Naiodna in uniyemtetna knjiinica v Ljubljani it i.t>00(>2 > Rußland. 3 and und keute. L^erau5c;egebon Hermann Roskoschny. Zweiter Vand. Leipzig. Greßner K Schra m m. ^ A b ^/ a 180062 Alle Rechte vorbehalten. p^c. ^^/^^ Druck oon Greßner si 3chrai»n» in leipzig. Inhalt des zweiten Dander.: Heile 5>t. Petersburg.............................. 4 Rußlands Norden............................ IM Die Ostseeprovinzen............................ ^8? Groß-Nowgorod und pskow........................ 228 Polen und kittauen............................ 2^7 ^loinrußland.............................. 285 Register................................ 3^7 Dcrzcichnt'' der Zbluldnngen. Unterschriften von Angchörigcil des russischen Kaiser- bauses................ ,, In der Neivamündung ......... , . 5 Eishacker auf der Newa........... « Die 35örsc in 3t. Petersburg......... <) Die Akademie der Künste.......... 1,2 ^phinr am Newaufer bei der Akademie der Künste . l,3 Geldwechsler............... <6 volkstypen: Wasserträger. Fischhändler. Glaser . . ^7 Alcrandcrsänlc.............. 2a peter-pauIsKirche in der Festung....... 25 Petersburger Schlitten............ 2-^ Die kaiserliche Eremitage........... 25 Der Winterpalast............. 2«) Nii,istschätze der Eremitage: Vie Garnwinden», von Gerhard Dow .... 53 Dio ^5ibellecture. von Gerhard Dew ... 35 Der ^lorgen, Don Alande lorrain..... 26 Philipp li. von Rubens......... 3? Vieh auf der weide, von Aar! Dujardin ... 2? Jan 5obicski. vo» Rembrandt....... 3? ^ich auf der weide, von A. Cuyp..... 37 van Dyk. ^elbstporträt......... 37 ^cttcljunge. von lNllrillo........ 4^ Helene Fourment. von Rubens...... 45 Der Inkunabelnsaal der kaiserlichen Bibliothek ... ^<) Die Isaakskirche nebst Grnndiis; derselben..... 52 Inneres der Isaakskirche........... 5>3 Denkmal Peter des Großen aus dein Petersplatz . . 5? Rutschbahnen............... 60 Eisgang auf der Newa........... b>, Petersburger Omnibus........... «5 Narwa°Triumphbogcn............ 66 Fontäne im Alerandergarten......... 6<) vor einem Vadchanse am 5o,mabe»d...... 73 Die Rumysheilanstait in Zarsfo^e 5elc»..... 7? Türkisches 25ad in Zarskoje 5elo ........ 8^ Pawlowsky-Park............. «5 Auf der Rhede ron Kronstadt......... u<1 5chlüsselbnrg............... Y2 i^oksowo bei petcrsbllrg........... YI ^chuwalowo............... Y7 3turm auf dein Tadoga>öce.......... lva Ufer des Onegasees............ 505 Denkmal Alerandcr I............. ^N8 Seite Überfall durch Ivölfe............ l«y 25auer und ^äueril: aus Finnland ....... 1.^2 A,n 5aima>Ranal............. N2 3chlos; Illonrepos bei wyborg......... Nl» 3tatlle Iväinämöinens im park von Monrepos . . . ^? Der Imatrafall.............. 12^ <3ino Inrte der Lappländer .......... 12^, Schlittenfahrt in kappland.......... 1,25» Lappenfamilie auf der ^eise......... 12<) spiele der 5a,no^eden............ ^32 ^amoseden ................ ^ZK Am Weihnachtsabend............ 1.5? Ulostcr Solowetzk. (Nach einem alten Gemälde) , . ^0 Archangelsk............... ^4^ Flos; auf der Dwina............ !H5 Die heiligen 3abatius und Josimus im solowetzfische» Alostcr............... ^^ I,n petschoragebict........ , , , . i,^«) Frau aus dem Gouvernement Archangelsk . , , , >,52 ^aucrnhaus im Norden........... <55 3ophienkirche in wologda.......... !56 I,n petschoragebiet ............ ^'1? Der Teufelssclsen im Gouvernement wjatka , . . . ^6l. iiaus im Gouvernement wologda....... !<>^ Denkmal an der Grenze Asiens und Europas , . . »5, Felsen im Matotschkin Scharr......... N»') 3chwinnnende Eisberge in der Aarasec...... nl)a............... >'? Russische Bäuerin aus dem Norde»....... ^80 Schluszvignette (Fische) ........... ^l» Vauern aus tivland............ <^? 2?anernbursch nnd Vaucrninädchcn aus Livland . . . 1,«^ Esthllischer Vaucr und Bäuerin........ ^') Riga.................. <<)2 dauern ans Kurland............ ><),'» 3chlos; Mitan............... ^><> Auf dem wolchow stromaufwärts....... 1,9" Domruine in Dorpat............ 200 Trachten aus der Gegend von Nascnpoth..... 20^ Groß'Nowgorod.............. 205 Vauerllfaniilie ill Kurland.......... 2l)8 brücke bei wolmar ............ 209 Reval................. 212 Seite ^namensl'^-Kathcdrale in Nowgorod......2^2 7 2o;'liirn Kathedrale in 3Izfällcn (l?ianctte) . . 22? Frauen aus dem Gouvernement f>sl'ow ..... 22« Der weiße Cnr,n in Nowgorod........ 22») Johanneskirche in Nowgorod........ . 233 Denkmal des nmoiähr, Bestehens des russischen Reiches............... 25« ^olnischcr Jude.............. 23? ^chlus^ianette.............. 2^^ I5azienki ^ark in ivarschau.......... 2^5, polnische Trachten............. 2^7 3chnittcrfest in Aleincusiland......... 2^8 Markt in Ivarschan ............ 25,2 tittauischer ^ancr und Bäuerin .'....... 2',', Aapelle in !I?iIna............. 25«, ^üdrussischo Malierin , . . ......... 25? Der Misent............... 260 ^lumenmädchcn ans Ai^ew .......... 26^ KatlicDiale in N^ilna............ 26,', Venkmal in 5-molensf............ 2^8 Rleinrussischer Liriljik............ 2c^) ^ieneuförbe in RIcinrus;Ia,!d........ . 275 ^ Reste der Irenenkirche in Kijew........ 2<)? Facade der tawra in üii^cw......... ,".n«> 3tro!nschnellcn des Dlljepr.......... zo^ Eingang ,^u dcn Aatafoml'en in Aijcw...... .^0^ Grabinal Iaroslaws............ ',(15 35örse in Charkow............. 50« Uspenska^a pustyn............. ",c)<> Ilntschcr aus Ai^ew............ 7,^2 Mädchen zur Erntezeit . , ......... 7>i'> 2chluf;vigneit>.v ^ilaer............ .^n. ßmMcilnlM. Drei Fenster in der Akademie der Rimstc in 5t. Petersburg............... 32 Dn der 25utterwoche auf dem Admiralitätsplah in 5t. Petersburg............. 6H Ansicht von Dorpat............................. 2^6 Russischer Urwald............................. 2^0 Ansicht von Ualisch............................. 272 Üerichtiglmgt» für einen Teil der Auslage: 3eitc '^5,, ^ Zeilen r>on oben lies statt ^vi^a: Dorpat. 55eite 2«^, ^.?. <^eile r^n öden ist vc>r der Zahl l',', 7 ^l lesen: als Itöniaspalast erbaute, a,n Anfang dieses Iahi° Hunderts zllr Hochschule einlzerichtctc, sog. Uasimir-Baracke. Die Anstalt ist wie die in Arakau iin Hahrc l,237 n. s. w. öt. Petersburg. Der Vodci,, auf dcm Peter der Große die neue Residenz gründete, von welcher aus er gleich dein Kaiser Konstantin das 3^ei waren fast 50Ml) Menschen mit der Trockenlegung der sümpfe, dem Ausroden der Wälder, dem Bau von Festungswerken und Häusern beschäftigt — außer Sträflingen und gefangenen Schweden ständig etwa 20 000 leibeigene aus allen Gegenden des Reiches, die von zwei zu zwei fahren durch neue Arbeiter abgelöst wurden. Um alle vorhandene«' Maurer zur Verfügung zu behalten, wurde unter Androhung schwerer Strafen der Bau steinerner Gebäude für das ganze Reich mit Ausnahme der neueu Stadt untersagt, wie man später Mannschaft zum Kriegsdienst aushob, so fand nun alle zwei Jahre eine Rekrutierung vou Arbeitern statt, die mit Werkzeugen versehen an die Newa gesandt wurden. Der Tod hielt eine reiche Ernte unter diesen leutcn; taufende und abertausende erlagen der ungewohnten Arbeit und dem ungesunden Klima. Jeder Fußbreit festen Bandes mußte sozusagen mit einein Menschenleben erkauft werden. Die große Sterblichkeit unter den leibeigenen veranlaßte schließlich sieter, das bisherige System der zwangsweisen Heranziehung von Arbeitskräften aufzugeben und die auszuführenden bauten Unternehmern zu überlassen, welche bezahlle Arbeiter heranzogen, j^eter beaufsichtigte aber trotzdem selbst alle Arbeiten und wohnte inmitten der Arbeiter und Kolonisten nahe der Festung am Newaufer in einem bescheidene»! Häuschen. Allmählich gewann die ganze Gegend ein freundlicheres Aussehen, aber die Bevölkerung vermehrte sich nur sehr langsam, da eine Niederlassung in der neuen Stadt noch gar zu wenig Vorteile bot. Meters Energie überwand auch dieses letzte Hindernis, wclches der Ausführung seines Lieblingsplanes im Wege stand: im Jahre ^7^2 verordnete er eine allgemeine Aushebung zu ständiger Ansiedelung in der neueu Residenz. Die Verordnung erzeugte viel böses Blut, aber 4?eter setzte seinen Willen durch. «Line Menge Kaufleute und Handwerker aller Art strömte nun an der Newa zusammen, und auch der Adel stellte sich bald ein, als Oeter befahl, daß jeder, der mehr als dreißig Baueruhöfe besaß, ein Haus an der Newa bauen müsse. Die ueue Stadt erhielt deu Nameu ihres Gründers — doch seltsamerweise iu holländischer Sprache, Oiterburg, zur Erinnerung an den Namen, unter welchem der Zar auf der Schiffswerfte in Saardam als schlichter Arbeiter die Schiffbaukunst erlernt, und bis auf deu heuligen Tag hat sich im Volksmuude neben dem offiziellen Sankt-Oeterburg die Benennung f)iter für die Newaresidenz erhalten. Line Stadt der Paläste, der Bevölkerungszahl nach die fünfte Stadt Europas, ist seitdem an der Newa entstanden, herrliche Gärten und Parkanlagen haben den Urwald verdrängt, aber eine ungesunde Stadt ist Petersburg trotzdem geblieben. Die Zahl der Sterbefälle übersteigt bedeuteud die Zahl der Geburten, und wenn die Einwanderung die jährlichen Verluste uicht ausgliche, würde Petersburg in wenigen Jahrzehnten aufgehört haben, eine Großstadt zu sein. Glücklicherweise ist die Einwanderung immer uoch im Steigen begriffen. Da sie Petersburg meist Männer zuführt, überwiegt dort die männliche Bevölkerung so sehr, daß sie sich zur weiblichen wie H : 3 verhält, ein Verhältnis, das in keiner anderu großen Stadt Europas zu siudeu ist, Ja iu den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts war die mäuuliche Bevölkerung sogar mehr als doppelt so stark wie die weibliche (^(X) Männer auf ^2 Frauen), uud in: Jahre ^8(>9 zählte mau noch 577 580 Männer und 28«) 827 Frauen. Die Einwanderung, namentlich jene aus dein Auslaude, besteht nämlich aus jungen leuten, die sich in Petersburg erst emeu Hausstand gründen wollen, und aus solchen, welche ihre Familien daheim zurückgelassen haben und in Petersburg nur zeitweilig, vielleicht uur einige Monate, während welcher sie zu Hause entbehrlich sind, Arbeit suchen,. Jenen Hang zum Nomadeittum, auf den wir im ersten Unterschriften von An^et>örigen !>es russischen Aaiser^auses. !. p.itiiar.'b pl'ilaret, der ^t. 5^opl'ia und ^Iv.m, Geschwiilri Peter d. G7, 8, Ellsabet s1740—1752). 'I, pctrr III, 1752^. !^, !3. 2l!exandcr I. b7b). <^. p.'tei d. Gr.: ^Iviborg, den 5. Iu^i l >?. Aut^iina II, (!7ü2—'79'^). '/>. ^ikalai I. (!8I2—1835). 3. ^ai Frdör ^«?K—5KK2 . ?. A.,iirnn lialarina (>725—>72N. ^0. peicr II !>72?->73»>. '3, Paul I. (I795-Is<1>>. In dcr ^Icwa-INündung. ? 25andc bereits wiederholt hingewiesen haben, finden wir in der Residenz durch diese fluktuierende Veoölkernng vertreten, welche gleich den Nordamerika überflutenden Chinesen in Petersburg >mr Geld verdienen und ersparen will, das sie dann in ihren« Heimatsdorfe verzehrt. Fast alle Dolksstämme des europäischen Rußland stellen ein mehr oder minder großes Kontingent zu der jährlichen Einwanderung. Aussen und Deutsche — letztere sowohl aus den (>?stseeprovinzen als aus den» deutschen Reich, (Österreich und der Schweiz — kommen am zahlreichsten, aber auch Finnland und die Tatarendörfer an der Wolga stellen ein bedeutendes Kontingent. Die Tataren leben in der Hauptstadt als Hausierer, sie vertreten hier die jüdischen Kleiderhändler. Westeuropas, oder suchen Beschäftigung als Hausdiener in den Restaurants und Hotels. Das deutsche Element ist in allen ständen vertreten, unter den Handwerkern und Kaufleuten, in der Gelehrtenwelt und in den Veamtenkreisen. Die deutsche Einwanderung nach Petersburg begann schon unter Peter dem Großen, lebhaft gefördert durch denselben, alsbald nach Gründung der Stadt. Der große Reformator des Zarenreichs, der sein l)olk aus der Nacht asiatischer Barbarei, in der es infolge Jahrhunderte langer Knechtschaft unter Tatarenjoch sich befand, der westeuropäischen Kultur zuführen wollte, hatte erkannt, das; kein Volk zur Durchführung dieser Aufgabe so sehr berufc,, war wie das benachbarte deutsche, So berief er denn deutsche Gelehrte, Kaufleute, Handwerker und Künstler nach seiner neuen Residenz, um dort die Wissenschaften, Kunst und Gewerbe zu pflegen und zur Vlüte zu bringen. Deutsche Gffiziere und Soldaten wurden durch glänzende Versprechungen bewogen, in russische Dienste zu treten, um das Heer zu reorganisieren, wohl kamen, als des Zars Reformbestrebungen im Auslande bekannt wurden, auch aus anderen tändern viele Einwanderer nach Rußland, aber die einmal in Fluß gekommene Einwanderung aus Deutschland blieb doch die überwiegende, und blieb es bis auf den heutigen Tag, nicht zum geriugsten Teile gefördert durch die freundschaftlichen Beziehungen zwischen dein Hause Romanoff und mehreren deutschen Fürstenhöfen. Diese freundschaftlichen Beziehungen, welche wiederholt deutsche Prinzessinnen auf den Zarenthron führten, hatten Zur Folge, daß auch die höheren Gesellschaftsklassen, welche der Auswanderung nach Paris, Tondon, Amerika u. s. w. fern blieben, sich in Petersburg eine neue Heimstätte suchten — neben zahlreichen Angehörigen des niedern Adels, bedeutenden Staatsmännern und Militärs auch Fürsten und Prinzen. AIs dann später Rußland die Gstseeprovinzen, das ehemalige Gebiet des deutschen Ritterordens, erwarb und eine geschlossene deutsche Bevölkerung sich einverleibte, erhielt das Deutschtum einen festen Rückhalt in Rußland selbst, und die an Intelligenz den anderen Unterthanen des Zaren damals noch sehr überlegenen Bewohner der Ostseeprovinzen eroberten sich bald sowohl in den höhereu Derwaltungszweigen als in Militär und N?arine die einflußreichsten Stellungen — nicht zum Nachteile des Reiches. Als eine seltsame Erscheinung muß hier hervorgehoben werden, daß Peter der Große sich nicht damit begnügte, Deutsche in sein Tand zu ziehen und zur Ansiedelung in seiner Residenz zu veranlassen, sondern daß er geradezu als Germanisator der Residenz und ihrer Umgebung auftrat. Die neue Stadt selbst hatte, wie wir bereits erwähnt, keinen russischen Namen erhalten. AIs Peter die am Austritt der Newa aus dem kadogasee gelegene schwedische Festung Noteburg (Nußburg) eroberte und dann bedeutend verstärkte, stellte er nicht etwa den alten russischen Namen derselben (Orochowetz, Nüssestadt) wieder her, sondern nannte sie Schlüsselburg, weil sie für ihn der Schlüssel zu den angrenzenden Gebieten werden sollte. Später erhielten auch die auf der Insel vor der Newamündung gelegene Hafenstadt Petersburgs und die dazu gehörige Feste deutsche Namen: Kronstadt und Kronslott, und als die von Russen bewohnte Stadt Iami, westlich von Peters» bürg, den Schweden abgenommen war, gab der Zar auch dieser einen deutschen Namen: Iamburg. Ebenso erhielten die allmählich in der Umgebung Petersburgs sich erhebenden Lustschlösser des Zaren und der Großen des Reiches deutsche Namen, und spätere Herrscher und Herrscherinnen ahmten das Beispiel Peter des Großen nach. So finden wir heute in der Umgegend Petersburgs Granienbaum, um welches herum bald eine stattliche deutsche Kolonie entstand, Peterhof, Katharinenhof, Anneuhof, Elisabethof und viele andere, und diese wrte verbindet eine lange Kette von Dörfern mit einer an ^2 000 Seelen zählenden deutschen Vauernbevölkerung. Noch mehr aber faßte das Deutschtum im Nordwesteu Petersburgs Fuß, in den, sogenannten Alt-Finnland, dessen schwedische Bevölkerung von den russischen Herrschern allmählich germanisiert wurde. Die schwedischen Schulen, die Normalschulcn sowohl als die Gymnasien, wurden durch deutsche ersetzt, die Pfarreien mit deutschen -------- 8-------- Geistlichen beseht, und da viele deutsche Adlige Grundbesitz in Alt Finnland erwarben, Deutsche Gouverneure der Provinz waren und die Hauptstadt wiborg als ^eehandelsplatz viele Kaufleute heranzog, trat das schwedische Element immer mehr vor dem deutschen zurück, und die meisten 5tädte Alt-Finnlands wurden ebenso deutsche Städte wie jene Esthlands. 5eit der im Jahre ^8^ bewirkten l^ercmiguna Alt-Finnlands mit den übrigen finnischen Tandesteilcn werden zwar die Einheimischen mehr geschützt als frühei, ab- das Deutschtum ist doch aus den einmal gewonnenen Gebieten nicht mehr verdrängt worden. Man besitzt in Petersburg erst seit dem Ende des ^8. Jahrhunderts genaue statistische Angaben über die Zahl der deutschen Bevölkerung, Im Jahre ^?9H sollen >^7 üc>0 Deutsche in Petersburg gelebt haben; ^9 zählte die Kolonie bereits 23 000, und z8qü war sie auf 30000, ^3^9 auf nahezn ^0 000 gestiegen. Im Jahre ^l^t,2 zählte die deutsche protestantische Gemeinde 5^ 700 eingepfarrtc Angehörige; außerdem lebten Eishacker cinf l>cr Ncwa. in Petersburg noch etwa ()000 deutsche 'Katholiken, ganz abgesehen von den vielen Deutschen, die in den dort stationierten 2>egimente«n dienten. Dcr starke Rückhalt, den das Deuischtum in den Gstseeprovinzen und Alt-Finnland hatte, bewirkte ein so stetiges lvachslum der deutschen Kolonie in Petersburg, daß man dieselbe jetzt auf mindestens 75 000 Seelen schätzen kann. Diese Zahlen gewinnen noch erhöhte Bedeutung dadurch, daß sich die russische V<'volkerung Petersburgs während der letzten Jahrzehnte sehr langsam vermehrt hat, so daß es Jahre gab, in dcncn gar kein IDachstum derselben zn verzeichnen war, und daß auch die auderen in der ^tadt vertretenen Nationen sich während der letzten neunzig Jahre fast gar nicht vermehrten, einzelne sogar honte an Kopfzahl geringer sind als damals. tVir erwähnten bereits, daß das deutsche Element seine Thätigkeit auf den verschiedensten Gebieten entfaltete. Auf keinem hat sich aber sein Einfluß bis in die jüngste Zeit so dominierend erhalten wie in den Drei Fenster in der Akads "^ in 5t. Petersburg 9 Künsten und Wissenschaften. Es ist keine Übertreibung, wcnn wir sagen, daß Außland die Meln'zahl seiner geistigen Errungenschaften, namentlich anf den Gebieten der Naturwissenschaften und der Geographie, Deutschen verdankt. Schon der erste ausländische Gelehrte, der von ^70H—1.7^0 in Petersburg thätig war und rastlos die Umgebungen der Stadt durchforschte, war ein Deutscher, der Magister Wilhelm Tolle aus Göttingen. Vic Vörse in ^5t. ^etersburc). )stsceprovinzen, welche als Beamte oder Gffiziere m der Verwaltung und im Militär einflußreiche Slellen bekleiden, unterscheiden sich in ihrer Gesinnnng durch nichts von den vollblutrnssen; sie sind — darüber möge man sich in Deutschland keiner Täuschung hingeben — zunächst Russen und dann Deutsche, Nie und nimmer hätte die Bevölkerung der (>)stseeprooinzen ihre fetzige Stellung in Rußland erringen tonnen, wenn sie sich durch ostentatives betonen ihrer Nationalität in schroffen Gegensatz zu der russischen Bevölkerung gesetzt hätte. Russisch sprechend gleich dein Russen, allen Eigentümlichkeiten der Rreise, in denen er lebte, sich rasch anpassend, gewann der Deutsche aus den (Ostsee-Provinzen leicht das Vertrauen seiner Ilmgebung, was den aus den: Reich Eingewanderten und noch viel weniger den auf ihre geistige ilberlegeuheit stolzen Franzosen nur in sehr seltenen Fällen gelang. Die Leichtigkeit, mit welcher der Deutsch-Russe den Russifizierungsprozeß übersteht, befähigt ihn daher vorzngsweise, für Rnßland der Vermittler der Rultur des Westens zu sein, welche ihn, selbst durch das deutsche Mntterland, dessen Sprache die seine geblieben ist, erschlossen wird. Und man darf auch nicht außer acht lassen, daß die (Ostseeprovinzen nicht bloß gaben, sondern auch empfingen. Sie sandten und senden noch heute in die fernsten Tandesteile ihre Sohne als Oionierc der Rultur, aber Rußland hat auch die ihm geleisteten Dienste nicht ungelohnt gelassen, wie die Namen von Hunderten, ja taufenden von Deutschen beweisen, die zu hohen und höchsten Ämtern und würden gelangten. Dieses für beide Teile vorteilhafte Verhältnis kann für kurze Zeit durch stürmisch sich geltend machende Gcgenbestrebungen gestört werden, es aber völlig zu beseitigen, die Deutschen Rußlands _____ s? _____ völlig beiseite zu schicken, ist auch heute noch eine Unmöglichkeit. Dein Sensationsbedürfnis ausländischer Zeitungen mögen berichte über die angeblich gefährdete Stellung der Deutschen eine allezeit willkommene Gabe sein, in Rußland selbst aber urteilt man darüber andere: die Deulsch°Russen wissen aus Erfahrung, das; die hochgehenden Wogen über kurz oder lang sich legen werden ohne schaden angerichtet Zu haben. Der Tag wird ja zweifellos kommen, an dem auch das russische Volk fremder Aräfte nicht mehr bedürfen wird — bis dahin aber werden die Deutschen in Rußland zum Heil des Tandes gleich segensreich wie bisher weiter wirken als Träger und Verbreiter wahrer Rultur. Vn' Al^!>enu> 5or Amisle. Oetor der Große, der die bewundernswerte Fähigkeit besaß, stets mit richtigem Verständnis die zur Ausführung seiuer f?lä'nc geeignetsten Persönlichkeiten zu finden, hatte auch bei der Anlage der neuen ^tadt seinen gewohnten Scharfblick bewährt. Der fleißige, ausdauernde, genügsame deutsche Kolonist war der ülann, wie ihn der Zar brauchte, denn obwohl schon die Trockenlegung der sümpfe und die Ausrodung der Wälder leine leichte Aufgabe war, so waren die neuen Ansiedler, nachdem sie ihre Häuser bezogen, noch keineswegs ^plzinr am Ncwaufor dci d^r AlVid^ini^ i)^r Aiinstc, -------- ;5 auf Rosen gebettet. Das rauhe Klima, die ungesunde Gegend, die Nähe der feindlichen Grenze, von wo mcui jeden Augenblick einen Überfall befürchten mußte, der Mangel von Verkehrsstraßen nach dem Süden — das waren nur einige der Annehmlichkeiten, an welche sich der Ansiedler hier, wo er als äußerster russischer Vorposten durch Wasser, Sumpf und Urwald von aller Welt abgeschlossen war, gewöhnen mußte. Der Riesenstrom, aus dessen Fluten gleichsam die neue Stadt sich erhob, umbrcmste die Niederlassungen wie ein tobendes Meer, stellenweise bis ^280 Meter breit, und wenn er auch an vielen stellen eine Tiefe von mehr als i/> Nieter erreichte, so war doch durch viele Untiefen und große Sandbänke, gerade m der Umgegend Petersburgs, die Schiffahrt sehr erschwert. Außer Oenedig, Amsterdam und Stockholm ist wohl keine europäische Stadt so wasserreich wie Petersburg. Fast ein viertel der Stadt Zieht sich am finnischen Meerbusen hin, nnd nicht weniger als vierzehn Flüsse und Flußarme und acht Kanäle durchschneiden, Zahlreiche große und kleine Inseln bildend, das Weichbild. Da zweigt sich zunächst vom Hauptstrom unterhalb der Alej anderbrücke die Newka ab, in weitem Vogen gegen Norden stießend und sich weiterhin in die Kleine (M-llaja) und die Große (Volschiija) Newka teilend, welche letztere wieder die Mittlere (Sr^dnaja) Newka nach Süden entsendet und mit ihr die Jelagin-Insel bildet. Außer dieser bilden die verschiedenen Arme der Newka noch drei Duseln, den Kamenny und Krestowsky (i)strow und die sogenannte „Petersburger Seite", eine etwa H Kilonieter lange Insel, von ber die Karpowka die Apotheker-Insel abschneidet und an deren Südufer der Hauptstrom sich abermals teilt, um als Große Newa gegen Süden, als Kleine Newa längs der Petersburger Seite gegeu Norden zu stießeu. Die Shdanowka verbindet die Kleine Newa mit der kleinen Newka und trennt von der Petersburger Seite den Petrowsky Gstrow ab, während von dem durch die Kleine und Große Newa gebildeten, 5) Werst langen wassily-wstrow (vasilius»Insel) durch die von der Kleinen sich abzweigende Schwarze Newa die Golodai°IuseI abgeschnitten wird. Zu diesen größeren Inseln gesellt sich noch ein halbes Hundert kleinerer: innerhalb der Stadt die durch den Kronwerksgraben gebildete Festun gs-Insel, vor dein Ausstich der Großen Newa der Gutujewsky-, Njaswy-, Krugly, Kanonersky- und Truchtanowsky-(>)strow, vor der Kleinen Newa der wolny (l)sn-^w und noch v!ele andere, die jedoch unbewohnt sind. ^ Neben all diesen Flußarmen ist auf dem linken Newaufer noch ein vielfach verzweigtes Kanalsystem vorhanden, welches die eigentliche, am linken Newaufer gelegene Stadt in eine Unzahl künstlicher Puselchen teilt und in vier konzentrischen 3?ögen, die durch Seiten-Kanäle wieder unter einander verbunden sind, dnrch das Häusermeer sich hindurchwindet. Der größte derselben ist der Neue Umfassungsgraben (Nowy obwodny kanal); dann folgen die nnter Elisabet und Katarina mit (yuais eingefaßte Fontanka, der Katarinenkanal, der in vielen Windungen vom Nordende der Fontanka am Sommergarten zu ihren» Südende an der Kalinkin-^rücke führt, und eudlich das Flüßchen Moika, welches die City von Petersburg umschließt, den sogenannten Admiralitäts-Stadtteil, in dem auch der Kaiserliche Palast steht. wir köunen das wassernetz, welches Petersburg durchzieht, hier nur in großen Zügen schildern, uud eine ausführliche Topographie kann nicht unsere Aufgabe sein, deim wir wollen dem Leser nur einen Überblick über die Hindernisse ermöglichen, welche die vielen Flußarme mit ibrer versumpften oder versandete»! Umgebung der Anlage einer Stadt entgegensehten. Die ersten Häuser wurden im Jahre 1,70^ auf der Petersburger Seite in der Nähe der Peter»pauls'Festung erbaut. Im folgendeil Jahre wurde eine Anzahl Ausländer am gegen-überliegeudcn linken Newaufer augesiedelt, und auch auf dem Wassily-Gstrow entstand eine Niederlassung. Auf dieser Insel, welche ihren Namen von dem dort stationierten Kapitän wassil Kortscbmin erhielt, erbante im Jahre ^8^0 Fürst Mentschikoff das crste steinerne Haus, und bald darauf erhielt auch die Petersburger Seite ein solches, das der kaiserliche Kanzler Graf Golowkin errichten ließ. Die Niederlassungen auf der Peters» burger Seite und dem Wassili-Gstrow hatten aber in jedem Frühjahr so viel dnrch Überschwemmungen zu leiden, daß Peter der Große sich endlich entschloß, sämtliche Staatsgebäude nach dem höher gelegenen linken Ufer zu verlegen, wo er auch im Jahre ^?^ am Ausfluß der Fontauka in die große Newa für sich selbst ein kleines zweistöckiges Haus erbauen ließ, das ihm zum Sommeraufenthalt dienen sollte und davon den Namen Sommerpalast (letny dwor«'ch oder Ietn>- dom) erhielt, In demselben Jahre wurde eine virile Niederlassung am rechten Ufer der Großen Newa gegründet, die jetzige „wiborger Seite". -------- 56 -------- Die vision, stellenweise sehr breiten Flußarme erschwerten den Oerkehr zwischen den einzelnen Nieder-lassungen ungemein. Heute führen über die Flüsse und Ranäle mehr als hundert brücken, während der ^egierungszeit Meters aber waren nur die schmäleren Flußarme und einige der jetzigen Ranäle, die Fontanka, N7oika u. a. überbrückt, und die Fallbrücken, welche über dieselben führten, waren so eng, das; nur ein zwei-spänniger Magen sie passieren konnte. Den Oerkehr mit der Petersburger und lviborger Seite vermittelten ausschließlich Rähne. Jeder Hausbesitzer mußte einen Kahn besitzen, ärmere erhielten Kähne von der Negierung unentgeltlich, jedoch mit der Verpflichtung, wenn der geschenkte Rahn morsch und unbrauchbar wurde, auf eigene Rosten einen neuen anzuschaffen. c,^ldw>,'äiöl»r. Trotz aller Hindernisse wuchs die neue Stadt rasa?, Im Jahre ^708, ein Jahr vor der entscheidenden Schlacht bei Poltawa, in welcher Meters großer Gegner Rarl Xll. dem lange gering geschätzten Zaren erlag, überstand Petersburg glücklich eine Belagerung durch die Schweden, nnd seitdem ist nie wieder ein feindliches Heer vor seinen Mauern erschienen; es ist bis auf den heutigen Tag die einzige Residenz auf dem Rontinent geblieben, in welche noch nie ein Eroberer seinen Einzug gehalten hat. Im Jahre ^7^2 hatte es bereits eine solche Bedeutung erlangt, daß Peter den Augenblick für gekommen hielt, den längst im stillen gehegten plan auszuführen uud Petersburg zur Residenzstadt zu erheben. Faktisch war es ja bereits die Residenz, da Peter hier mehr weilte als in Nloskau, aber der plan des Zaren stieß dennoch auf den heftigsten Miderstand der allrussischen Partei, die sich in ihren heiligsten Empfindungen dadurch getroffen fühlte, daß der altehrwürdige Rreml seiner Würde als Sitz der Zaren entkleidet werden sollte. Doch Peter, dessen eiserne Energie seine Tieblingsstadt so zu sageu den feindlichen ^aturkräften abgerungen hatte, verstand auch den starren Trotz seiner Unterthanen zu brechen. Petersburg wurde und blieb der Sitz der Rcichsverwaltung. _____ , ^ _____ Nicht minder wichtig für das Gedeihen der ötadt war die Verordnung, durch welche der Hafen von Archangelsk allen fremden schiffen verschlossen wurde, da sich der Handel dieses Hafenplatzes nach Petersburg zog. Die Lrhebung Petersburgs zur Residenz bewog nun auch den Adel, der dem Hofe nicht fern bleiben konnte, zur Übersiedlung, und in den nächsten fahren enlstauden am linken Newaufer zahlreiche große Paläste, durch welche allmählich das ganze Aussehen der ^tadt verändert wurde, lim dein Mangel an Bausteine» abzuhelfen, verordnete Peter, daß jedes schiff, welches an Petersburg vorbeifahre, und jeder wagen, der in die ^tadt komme, eine bestimmte Ladung Bausteine mitbringen nuisse, und so streng wurde diese Verordnung gehandhabt, daß sogar die Lquipageu der vornehmen diesen seltsamen Lingangszoll entrichten mußten, ^m volkstypon: !1.Visst'rträi;er. Fischhändler. Glaser. Iahre ^72^ ließ Peter die Gebeine des heiligen Alexander Neiv^kv nach Petersburg bringen und erbaute zu Ehren des Heiligen ein großes Rloster, welches dem Troitzky-Rloster bei Moskau lind den« berühmten Höhlen-lloster bei Rijew den Nang als erstes Nationalheiligtum streitig machen sollte. Als Peter starb, zählte die von ihm gegrüudete 5tadt bereits ?5)(XX1 Einwohner. Unter Katarina I. (^725—^727) und Peter ll. (z727—^730) gerieten zwar die Neubauten ins Stocken, da sowohl Katarina als Peter II. lieber in Moskau weilten lind selten nach der neuen Residenz kamen, aber uuter Anna Iwanowna (^7,'>0—^0) und ihrer Nachfolgerin «Llisabet Petrowna (^7^—^760) wurden na^ch einem sorgfältig ausgearbeiteten plan jene großen Vauteu am linken Newaufer ausgeführt, durch welche der Wassily-Gstrow, bis dahin der bedeutendste Stadtteil, überflügelt und die Gegeud an der Fontanka zum Verkehrscentrum der ötadt wurde. 1.68 dtiux im^i^N'it'l^ <,ni lni out 8ucc6 ^(.»8 vuc«, Gstrow verlegt. Es tvährte jedoch sehr lange, bevor die Vörse ein den: Umfang ihrer Geschäfte entsprechendes, würdiges Gebände erhielt. Schon im Jahre ^78^ wurde nach den Plänen des Architekten Guarenti der Van eines inonunientalcn Gebäudes begonnen, jedoch damals wurde nur die große Freitreppe vollendet und der Van ruhte bis zum Anfang dieses Jahrhunderts, wo er nach neuen Plänen wieder aufgenommen wurde. Im Jahre ^3^ fand endlich die feierliche Eröffnung der neuen ^örse statt. Die Höhe der ^ das Gebäude umgebenden jonischen Säulen steht leider nicht im richtigen Derhältnis zu den Dimensionen des breiten Daches, dem gegenüber die Säulen zu kurz und gedrückt erscheinen. Den Giebel über dem Haupteingang schmücken die Statuen des Fleißes, der Hoffnung und der Gerechtigkeit. Auf den, platze vor der Vörse stehen zwei hohe Säulen, Nachahmungen der altrömischen <:o1mim^ rogtratae, die mit metallenen Schiffsschnäbeln verziert sind, im Innern hohl, so daß man auf einer eisernen Treppe bis zu der mit einem Gitter umgebenen Spitze emporsteigen kann (siehe Seite 9)- Die Vörse ist mit Ausnahme der Sonn» und Festtage täglich von ."> bis 5i Uhr geöffnet, vom ^. No^ vember bis Ende Januar nur bis ^ Uhr. Das Vörsenjahr beginnt mit dem ^. !Nai. Der besuch der Vörsenräume ist jedermann gestattet, dort Geschäfte abzuschließen ist jedoch nur den Bankiers, den Raufleuten erster und zweiter Gilde, den Petersburger Raufleuten dritter Gilde und noch einigen wenigen anderen Personen erlaubt. Ein Vörsenkomitee wacht über die Aufrechterhaltung der Grdnung und entscheidet vorkommende Streitigkeiten; jeder Vörssnbesucher ist verpflichtet, sich den Anordnungen des Romitees zu fügen. Russische Kaufleute bildcn selbstverständlich die Mehrzahl der Vörsenbesucher, doch sind auch Ausländer zahlreich vertreten. Der inländische Handel ist fast ausschließlich in den Händen von Russen, während an den« Handel mit dein Auslande Russen und Ausländer ziemlich gleichmäßig beteiligt sind. Die Petersburger Vörse ist eine der bedeutendsten ganz Europas. Rußland besitzt außer ihr noch Vörsen in Archangelsk, Taganrog, Riga, NIoskau und Odessa. Die Vörse von Archangelsk ist die älteste, und von ihr aus haben verschiedene charakteristische Eigentümlichkeiten der russischen Handelskreise auch in Petersburg Eingang gefunden. Die interessanteste unter diesen Eigentümlichkeiten ist das Art''lwesen, dem wir bereits unter der Form der Arbeiter-Artüle (siehe Vand I Seite ^7<), 25i^ u. a. G.) begegneten und das wir nun hier in seiner Anwendung auf den Ex- und Import kennen lernen werden: als Drjagil-Compagnieen und Vörsen-Anüle. In Archangelsk bestanden schon im ^<». Jahrhundert sogenannte Drjagil-Art,'iv, und nach ihrem l)or-bild entstand bereits im Jahre ^72^ auch in Petersburg eine derartige Art«l. Der Name Drjagil ist ebenso wie Art«'>l (aus Anteil) ein korrumpiertes deutsches Wort; er enstcmd aus dem Worte „Träger". Im Jahre ^827 ist zwar durch Ministerialbefehl die Benennung Drjagil-Artöl in Drjagil-^ompagnie umgewandelt worden, aber der alte Name war unbestreitbar für die Thätigkeit dieser Gesellschaften bezeichnender, da sich die Drjagil-Compagnieen von !X'n Vörsen-Art«>len nur dadurch unterscheiden, daß sie die Interessen des Zollamtes vertreten, während die Art^lgenofsen die Interessen des Raufherrn wahrnehmen. Dem Löschen der waren aller der Zollrevision unterliegenden Schiffe wohnen außer dem Zollaufseher Angehörige der Drjagil-cüompagnie und einige Artl>Igenossc» (ArtÖlschtschiki) bei. letztere beaufsichtigen in» Auftrage des Raufherrn die töschungsarbeiten bis zum Anlegen der Plomben, auf daß die Ware nicht mit anderer vertauscht werde und nichts abhanden komme. Sie begleiten darauf die Drjagil-Compagnie in die Zolldepots, wohin jene die plombierten Warenballen bringen, öffnen dort die fallen und Risten, packen die Waren ans, wiegen sie gemeinsam mit den Drjagili und legen, nachdem der Zoll entrichtet worden, die entsprechenden Plomben an. wird der Zoll nicht sofort erlegt, so bleibt die Ware in den Zolldepots und wird dort von den Artlgenossen von den Raufherren noch zu dcn verschiedensten Arbeiten gemietet. Man schickt sie nach Rronstadt, um dort das Umladen der waren aus den Schiffen mit größerem Tiefgang ?!>^a,,!>l'!sä>!>l'. Pctcr Pauls-Kirche in der Festung. _____ 2I_____ auf die Achterschiffe zu beaufsichtige», man verwendet sie in den Comptoirs, im Kassengeschäft oder als Hausknechte (Dwornjik). Zu Aufträgen, die ein gewisses vertrauen zu dem Veauftragten erfordern, bedient sich die Petersburger Kaufmannswelt besonders gern der ArMgenossen, und viele Petersburger Häuser haben eine Art, l ausschließlich für ihre Vedürfnisse engagiert. Ein solches Verhältnis ist nur dadurch möglich, daß die Art<>le durch sirenge Zucht den Ruf der Rechtlichkeit und Zuverlässigkeit, den sie genießen, sich erhalten, und jede Genossenschaft wacht denn auch sorgfältig darübcr, daß jeder ihrer Angehörigen gewissenhaft seine Michlen erfülle. In Petersburg entstanden die ersten Börsen-Artige schon in, Jahre 1.71^2, und die älteste jetzt vorhandene, die Jaroslawsche, datiert aus dem Jahre ^?^. Die Mehrzahl der jetzigen Art<'>le stammt aus dem vorigen Jahrhundert, neue entstehen jetzt selten, aber die Zahl der Genossen, welche jede einzelne umfaßt, ist noch immer im Steigen begriffen. Die Mitgliederzahl ist bei den einzelnen Art^Ien sehr verschieden; sie schwankte nach den uns vorliegenden Tabellen zwischen ^,6 und 261.. Die Organisation ist jedoch bei allen dieselbe. wer in eine Art^l aufgenommen werden will, muß zunächst einigen Genossen so genau bekannt sein, daß diese die Vürgschaft für seine Ehrlichkeit und Mäßigkeit übernehmen können, denn das sind unentbehrliche Eigenschaften eines Art<''lgenosscn-, ferner muß er des Besens und Schreibens kundig sein und darf keine körperlichen Gebrechen besitzen. Die Aufnahme findet in« Beisein aller Genossen statt. Der Aufzunehmende gelobt vor dem Heiligenbilde, die Artl aufgenommen zu werden wünschen, haben außer dein wkup noch die Veregowija Dengi (Schonungsgelder) zu entrichten, weil sie noch nicht zu den schweren Arbeiten verwendet werden können und „geschont" werden müssen. Für jedes Jahr, während dessen der Maltschik (junger Mensch) genannte minderjährige Genosse noch auf Schonung Anspruch hat, werden 90 bis ^0 Rubel an Schonungsgeldern berechnet. Das Schonungsgeld entfällt jedoch, wenn der junge Mann körperlich so entwickelt ist, daß er jede Arbeit verrichten kann. Alle Art,^genossen, welche den wkup noch nicht vollständig entrichtet haben, heißen Nowiki (Neulinge); sobald sie ihn bezahlt haben, avancieren auch die Minderjährigen zum Rang von Stariki (Alte). Außer dein wkup und den eventuell zu zahlenden Schonungsgeldern hat der Veweiber un, die Aufnahme in eine Art^l noch sämtliche Genossen zu bewirten, und jede Aufnahmefeierlichkcit schließt daher mit einem schmaus. was die Genossenschaft verdient, das stießt in die gemeinsame Kasse, welche der jedesmalige Älteste verwaltet. Ein- oder zweimal jährlich, gewöhnlich nach der Beendigung der Winter- und der Sommerarbeit, erfolgt die Rechnunglegung über die Einnahmen der Art,',l und die Verteilung der auf jedes Mitglied entfallenden Anteile. Die Abrechnung, welche der Artl solidarisch für ihn haftete, viele Genossen erhalten nämlich von Kaufleuten Privataufträge, und da der verdienst aus diesen nicht in die Genossenschaftskasse stießt, sondern dein betreffenden Arbeiter bleibt, verfügen manche über ein ziemlich bedeutendes privatvermögen. sämtliche Art^Ie haben eine feststehende Taxe für alle Arbeiten, und ein Feilschen um den preis ist stets erfolglos. Die Arbeiten werden nach drei Gruppen tariert: Arbeiten bei Importwaren, bei «Lzportwaren und bei solchen, die aus dem Innern des Reiches kommen. Für Auftrage, deren Ausführung einen ganzen I>io faiscrlicho Eremiwgc. Monat in Anspruch nimmt, besteht eine besondere Taxe. Die Einnahmen sämtlicher Art«le betragen durch» schnittlich mehr als eine Million Rubel jährlich, wovou mindestens drei viertel auf den Sommer entfallen, da im Winter mit der Schiffahrt auch die Arbeit stockt. Man hat berechnet, daß die von den Arti-len geforderten preise in 5^ fahren um ?6,8H, Prozent oder jährlich um ^,50 Prozent gestiegen sind, doch gilt dieser Prozentsatz nnr für einige Arbeiten, während bei den meisten die jährliche Preissteigerung höchstens '/^ Prozent betrug, und dann darf mau auch die in 5^ fahren eingetretene tvertvercmderung des Geldes nicht außer acht lassen, 4 _____ 26 _____ die man in Deutschland auf 20 Prozent in 20 Jahren berechnet und die auch in Rußland keine unbedeutende war. In Anbetracht der großen Sicherheit, welche die Art6le dem Auftraggeber durch Übernahme der Haftpflicht für jeden Genossen gewähren, kann übrigens eine solche Preissteigerung nicht als ungerechtfertigt angesehen werden. Da bei der Aufnahme von Mitgliedern sehr vorsichtig vorgegangen wird, kommt es zwar nur selten vor, daß durch verschulden derselben ein von der Art^l zu ersetzender Schaden entsteht, aber entsteht ein solcher, so zahlt die Art6l anstandslos — allerdings nur bis zu einem gewissen Prozentsatz des Reservekapitals, da bei den ihr anvertrauten großen werten ja leicht der Fall einlreten könnte, daß das ganze Genossenschaftsvermögen durch eine einzige Entschädigungszahlung verschlungen würde. Die Art^le mit kleiner Mitgliederzahl, in denen die Gesamtheit jeden einzelnen besser kontrollieren kann, erfreuen sich daher auch der bestell Aufträge, da sie verhältnismäßig die größte Sicherheit gewähren. Außer durch die Artülschtschiki und Dragil-Compagnieen ist im Petersburger Handelsverkehr altrussisches Wesen durch die Raufleute selbst reichlich vertreten. Auf der Vörse auf Wassili-Gstrow trifft man noch die sogenannten Vartrussen, die Christusköpfe mit dem glatt gescheitelten Haar, das rote Gberhcmd über die weiten, in hohen Stiefeln steckenden Beinkleider herabfallend und in den Hüften durch einen Gürtel zusammengehalten. Gar mancher dieser Männer, die sich in ihrer äußern Erscheinung fast gar nicht von einem sauber gekleideten Dwornjik unterscheiden, hat sein drei» oder vierstöckiges Haus auf dem Newsky »Prospekt oder in der Großen Seestraße, und seine von französischen Gouvernanten erzogenen Töchter lenken im Opernhaus durch ihre glänzenden Toiletten manchen bewundernden und noch mehr neidische Vlicke auf sich — er aber, der Vater, ist seinen alten Gewohnheiten in Kleidung uud Lebensweise treu geblieben. Ihn hat auch das allmähliche Wachstum seines Geschäftes von bescheidenen Anfängen zum Millionenhause nicht veranlaßt, sich die von den, veränderten Geschäftsbetrieb verlangten Kenntnisse anzueignen. Des Besens und Schreibens unkundig, würde er am liebsten noch ausschließlich mit der nationalen Rechenmaschine arbeiten und statt der doppelten sich jener primitiven Buchführung bedienen, die wir bereits im I. 2^ande (Seile ^8) erwähnt haben. Nur die instinktive Erkenntnis der unumgänglichen Notwendigkeit hat ihn veranlaßt, der Neuzeit dadurch Konzessionen zu machen, daß er sich den Beistand eines gewiegten Geschäftsführers sicherte, dessen Hauptaufgabe es ist, alle zur Teilung eines Großhandlungshauses erforderlichen Eigenschaften zu besitzen, welche seinem Chef fehlen, diesen also gewissermaßen zu ergänzen. Ein großer Teil der Raufmannschaft wohnt auf Wassilv-Gstrow, sowohl Russen als auch viele Deutsche und Engländer, aber die Insel ist doch ein sehr ruhiger Stadtteil, der verkehr konzentriert sich am (yuai und in der Umgegend des Zollhauses und der Nörse. Rein Stadtteil Petersburgs ist so regelmäßig gebaut wie Wassilv-Gstrow. Drei große Prospekte durchschneiden ihn, und diese werden von parallelen, meist gleich breiten Straßen, „Linien" genannt, gekreuzt, welche keine besonderen Namen führen, sondern als ^., 2., 3. time bezeichnet werden. Gegenwärtig ist erst etwa ein Drittel der Insel mit Häusern bedeckt, aber an dem Aussehen der Straßen erkennt man sofort, daß hier nicht wie in der City drüben am andern Ufer und in deren Hingebung eine Stätte des !^uxus und der Vergnügungen ist, sondern eine Stätte der ernsten Arbeit. Hier hat nicht nur der Gott Merkur seinen Tempel, sondern in seiner Nachbarschaft haben auch die Musen eine Heimstätte gefunden und der Wassily-Grow ist einer der Centralpunkte des geistigen Lebens der Residenz geworden, wo die Jünger der Runst und Wissenschaft zu stillem Schaffen sich einftnden. wenn man an dem Vörsengebäude vorbei den (!)uai an der Großen Newa entlang schreitet, gelangt ma>i bald zu den palastartigen Gebäuden der Akademie der Wissenschaften, der Universität und der Akademie der Rüuste, nebst den nut denselben verbuudenen Museeen und Bibliotheken. Die Akademie der Wissenschaften wurde, wie schon erwähnt, unter Peter dem Großen nach dem von Leibnitz und Chr. von Wolff gutgeheißenen plane gegründet, ihre Wirksamkeit begann aber erst nach des Zaren Tode mit dem Jahre ^72^» und dieselbe entsprach lange nicht den großen Erwartungen, die man gehegt halte. Erst unter der Regierung der Kaiserinnen Anna und Elisabet begann die Akademie Vedeutenderes zu leisten und erreichte uuter Katarina II., der Freundin der Wissenschaften und Künste, ihre Glanzperiode. Die Akademie ist reich dotiert; ihr jährliches Einkommen beträgt 500 (XX) Rubel und ihre Sammlungen nehmen unter denen der Residenz eine der ersten Stellen ein. Die Bibliothek enthält etwa 500000 ^ände und viele wertvolle Handschriften; das Geologische Museum, ^ Säle füllend, ist besonders reich an vorweltlichen Tieren, darunter ein Schädel des Megatherium und da-, in, Jahre l.?99 ü, der ^ena. einen, Fluß im asiatischen Gouvernement Irkutsk, gefundene vollständige Skelett eines Man,» muth' die botanische Sammlung umfaßt etwa 50 (X)0 pflanzen, unter denen besondere die Flora Sibiriens zahl« reich vertreten ist- im Münz-Kabinet, welches schon unter Peter dem kroßen gegründet wurde, trifft man außer altgriechischen und römischen Münzen und einer wertvollen Medaillensammluug sämtliche russische Münzen von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, während das Ethnographische Museum uns alle Trachten und Kostüme des Reiches vorführt und das Mineralogische Kabinet, obwohl nicht das bedeutendste Petersburgs, doch durch seine Sammlung von Meteorsteinen sich auszeichnet. Die Universität, die einige Schritte von der Akademie entfernt ebenfalls am (Yuai der (kroßen Newa liegt, ist eine Schöpfung der Neuzeit. Erst durch Alerander I. (^y) erhielt die Newastadt eine solche ^ehr-anstalt. Sie befindet sich in dem Gebäude, in welchem früher die zwölf Reichskollegieu ihren Sitz hatten, und besteht aus vier Fakultäten, für Geschichte und Philologie, Physik und Mathematik, Jurisprudenz und orientalische Sprachen. Die Vorlesungen werden durchschnittlich von etwa 7W Studierenden besucht. wir wandern weiter den Newa>(Yuai entlang, vorbei an der langgestreckten Paul-Militärschule und dem Run,M,zoff-Garten, in dessen Mitte der ^820 vom Marsfelde hierher versetzte 25 Meter hohe Obelisk von schwarzem Granit steht, zu Ehren des Marschalls Rumjanzoff Sadunaisky errichtet, welcher die Pforte zu den, bekannten schimpflichen Frieden von Kutschuk-Kaiuardschi (^??H) zwang, und erreichen endlich das schöne Gebäude der Akademie der Künste, eine der ersten monumentalen Zierden Petersburgs. Es wurde in den fahren ^7t>5 bis ^768 nach den Plänen von de la Mothe und l?elten erbaut. Die mit Säuleu und pilastern geschmückte Hauptfa^ade des ein (Huadrat bildenden Gebäudes (siehe Seite ^2) ist der Newa zugekehrt, und über dein mittlern Portikus erhebeu sich die Statuen des farnesischen Herkules und der Flora. «Line breite Freitreppe führt zur Newa hiuab, flankiert von zwei riesigen, auf hohem Sockel ruhenden Sphinren, über deren Herkunft uns eine Anschrift mitteilt, daß sie aus den, alten ägyptischen Theben im Jahre ^8.">2 nach der Stadt des heiligen Petrus gebracht wurden (siehe Seite ^7,). Die Akademie enthält außer den Sammlungen auch wohnräume für die Professoren und Zöglinge, sowie für hier thätige Künstler. In dem großen Konferenz» Saal befinden sich jene herrlichen Glasmalereien, welche die erste Beilage zu diesem 25ande darstellt. Sie sind ein werk des talentvollen w. D. Swertschkoff, eines Finnländers, der während seines langjährigen Aufent' Haltes i„ München eine Menge Glasmalereien für die nordische Residenz geliefert hat. . Jahrhundert, Ihren Höhepuukt erreichte sie mit Andreas Rublew, vou dem noch mehrere gute wilder erhalteu sind, die sich durch korrektere Zeichnung und angenehmere Farben vorteilhaft von ihreu Vorgängern unterscheiden. Vei anderen Malern aus dieser Zeit findet sich jedoch immer noch starres Festhalten an den traditionellen Malregeln: Die Heiligen werde»« sn laos gemalt, nur mit sehr seltenen Ausnahmen im Profil; dem mattgefärbtcn Gesicht mit den eingefallenen Wangen und den ausdruckslosen Augen entspricht der auffallend magere und lauge Körper. Ein Umschwung trat erst ein, als Iwan III., der Gemahl der Tochter eines griechischen Kaisers, italienische und griechische Künstler nach Moskau berief, unter deren Einfluß sich allmählich eine andere Malweise entwickelte. Die bedeutendsten der noch erhaltenen werke der Moskauer Schule dieser Zeit siud die Malereien in VIagowjestschensky Sobor von Fedor Jedikejew (um ü.5^5) und die heilige Dreifaltigkeit von Nikifor Grablennoi in der Troihko-Sergiewskaja Qiwra bei Moskau. Aus der Schule Andreas Rublews gmg in der zweiten Hälfte des ^6. Jahrhunderts die Stroganoffsche hervor, so genannt nach ihren Gründern Maz'im uud Nikita Stroganoff, die sich ftreng an die alten byzantinischen Vorbilder hielt und sich durch korrekte Zeichnung, helle Farben und sorgfältige Behandlung der Gewandung auszeichnete. Die meisten Gemälde wurden auf linden- oder Cypresscnholz gemalt, die hellen partieen der Vilder mit zerriebenen perlen überdeckt. In dieser zweiten Periode, die von Iwan III. bis zu Peter dem Großen reicht, zeigen sich am Ende des ^l>. Iahrhun« derts die ersten schüchternen versuche zu einer verweltlichung der bis dahin ausschließlich im Dienste der Kirche stehenden Kunst. Neben den Heiligenbildern gelangen Scenen aus der biblischen Geschichte uud aus der Vergangenheit des Vaterlandes zur Darstellung. Nnter Fedor Iwanowitsch wurde der von Iwan III. erbaute Facettenpalast im Kreml (bolschnja granowltaja palata) mit derartigen Gemälden geschmückt, die leider zu Gruude gegangen sind. Das ^7. Jahrhundert R. A. Trutowsky gefunden, der die vielen typischen Gestalten dieses Landes uud die Lebensweise der RIeinrusseu vortrefflich darzustellen versteht. Diesen reihen sich an A. M. Ivolkoff (1- ^873; Eine Partie öchach), R. Sawitzky (Touristen in dcr Auvergne), Peroff (Die ^äger; Die Vogelfänger; 2?egräbuis auf dein Landes A. ^). Uorzuchin (Der betrunkene Familienvater; Nenn öamowar), der zu früh gestorbene R. E. Hanson (^8^6—1,87^; Treff°?lß), N. N. Newrew (Gestörtes Rendezvous), w. Charlamoff, H. A. Vogatoff (Die gute alte >Zei»), Paul Tschist^akoff (Greis in der Bibel lesend), N. Bogdanoff (der Vogelliebhaber), F. 5>. öhurawlew und Ruschelew. Ausschließlich aus dem Leben der romanischen Völker schöpft Prof. A. A. Rizzoni, Italiener von Abstammung, doch in Petersburg geboren. Bedeutenden Talenten begegnen wir unter den Landschaftsmalern. ). N. öchischkin, der es versteht, alle Poesie des tvaldlebens in seinen Bildern zur Darstellung zu bringen, steht heute noch unerreicht und einzig in seiner Art unter den russischen Malern da. Einer der hervorragendsten Vertreter der russischen Landschaftsmalerei ist ferner Prof. I. I- Ulever, dessen „Ufer der ^nsel Nargön im Abenddunkel" auf der Berliner Ausstellung Aufsehen erregte (Abend in einem livländischen Dorfe; Am Nleeresufer). Prof. L. F. Lagorios Name (^827 in Feodosia geboren) hat auch im Ausland guteu Alang; zu seinen besten lverken zählen die Bilder aus Italien: „Fontäne in Rocco di Papa", „In den poutinischen sümpfen", und „Capo di Monte". A. D. Riwschenko, der seit langer Zeit in 5»aint-vallerie in der Nähe von Dieppe lebt, ist auch in ausländischen Runstkreisen wohl bekannt und geschätzt. 5»eine Bilder aus den» Leben der Fischer an den Rüsten der Normansi> gel-ören zu den besten neueren Schöpfungen dieser Art. -------- 33 -------- Zu dcn hervorragenden russischen Meistern im Tandschaftsfach gehören ferner Prof. A. I- Mesch. tschersky (Vei den Duellen des Rion), Vogoljuboff und A. ^. Ruindshi, ei» Schüler Aiwasowskys (geb. ^8^2 m Feodosia; Nacht in der Ukraine). N. F. Swertschkoff ist Rußlands bester Tiermaler, dessen Vilder aus den Tabunen der Steppen Südrußlunds sehr geschätzt sind. Im Jahre ^882 erschienen auf der Petersburger Ausstellung mehrere wilder eines bis dahin unbekannten Malers, der berufen sein dürfte, Rußlands zweiter Aiwasowsky zu werden: R. G. Sudkowsky (geb. ^850 in Otschakoff). Die Vildcr, welche er ausstellte (Abend an, Ufer des Schwarzen Meeres, Im Sturm am Molo von Odessa, Einöde am Dnjepr, Mittag am Ufer bei Vtschakoff) lassen erkennen, daß der talentvolle Maler das Meer gründlich studiert und kennen gelernt hat, und berechtigen zu den höchsten Erwartungen für die Zukunft. Vio Garnwindcrm. sGcrhcu'd Vcn».) Die 35il>ellcctnrc. N^ir schließen hiermit diese Skizze der Geschichte russischer Malerei, die, wie schon erwähnt, auf Ooll> ständigkeit keinen Anspruch erhebt, sondern dem Teser nur einen Überblick über den Entwicklungsgang der russischen Malerei gewähren soll. von einem großen Teil der genannten Rünstler enthält die Akademie Arbeiten in ihrer Gemäldesammlung, welche im Hauptstoct'werk des Gebäudes aufgestellt ist, während im Erdgeschoß das altchristliche Museum untergebracht wurde, reich an Denkmälern altrussischer Runst, an Heiligenbildern aus dem ^t>, bis ^8. Jahrhundert, Skulpturen, Reliefs, Gipsabgüssen, alten Handschriften mit Miniaturen u. s, w. Der Sammlung russischer Gemälde und Skulpturen reiht sich eine ansehnliche Sammlung von Gemälden ausländischer Meister an, unter denen wir sehr viele gute Namen der Reuzeit vertreten finden: Hildebrand, Andreas Achenbach, Rnaus (Vrcmd in einem Vauernhause), Vecker; Delaroche (Cromwell am Sarge Rarls I.), Horace vernet (Der Todesengel 5 entführt des Malers Tochter), Meissonier (Der Raucher), Delacroix, Gudin, G('noinc (Das Duell nach dem Maskenball), Tassaert; Gallait, Stevens u. a. Unter den älteren wildern sind besoilders Niederläilder gut vertreten, D. Teniers der Altere (Teufelsspuk in einer Gebirgslandschaft), I. Jordaens (eine seiner besten Vohnen-festdarstellungen), Ruisdael, Gstade, Wouverman u. s. w. Außer der Sammlung der Akadenne der Künste besitzt der Wassily-Gstrow noch eine interessante Galerie in der für das Studium der holländischen und vlämischen Malerei hochwichtigen Sammlung des Geheimen Rats Peter von Semenoff, wir finden da fast vollzählig die älteste nationale Richtung der holländischen Landschaftsmalerei und die Maler der idyllisch-arkadischen Landschaft, eine unseres Wissens größte Sammlung von werken der Rembrandlschen Schule, sowie auch Rembrandis Lehrer und nächste Vorgänger vertreten; Rembrandt selbst ist nicht vertreten, doch diese Tücke wird reichlich alisgefüllt durch die große Rembrandt» Sammlung der Kaiserlichen «Lrcmitage. wir können des beschränkten Raumes wegen uns nicht auf Nennung von Namen einlassen, und bemerken nur noch, daß die Genremaler der Blütezeit, die klassischen Meister der Tandschaft und die Stilllebenmaler, wie auch die vlämische Schule (Rubens, Jordaens, Vreughel) durch eine so große Anzahl von Vildern vertreten sind, daß diese Galerie ein getreues ^ild des ganzen Entwicklungsganges der holländischen und vlämischen Malerei bietet. Ferner befindet fich auf Wassili - Gstrow noch das große Mineralogische Museum, eines der bedeutendsten Museen dieser Art. Rußlands Mineralien sind vorherrschend, aber einzelne sind durch wahre Riesenexcmplare von großem wert vertreten; man sieht da Vlöcke von Malachit (auf ^25 000 Rubel geschäht), von Gold, wovon in Rußland !/>() Arten vorkommen (im wert von ^00 000 Rubeln), einen durchsichtigen Veryll (im wert von über ^Nl)N Geschützen armiert. In den folgenden Jahren wurden die Befestigungen vervoll' ständigt und noch unter Katarina I I. und Paul 1. neue werke hinzugefügt. Als Festung ist die ein bastioniertes Sechseck mit vorgeschobenen werken auf benachbarten Inseln bildende Peter-Pauls-Festung heute von keiner Bedeutung mehr, aber sowohl die Gebäude, die sie umschließt, als die Erinnerungen, die an ihren Mauern haften, erwecken das Interesse eines jeden Besuchers in hohem Grade, In der Festnng befinden sich die Staatsgefängnisse, das Arsenal mit einem Artillerie-Musenm, das außer alten Fahnen und Kriegsmaterial aller Art viele Erinnerungen an russische Herrscher und berühmtc Feldherren enthält, die Münze und die berühmte petcr>pauls »Kathedrale. In der letztern ruhen alle russischen Kaiser seit Peter dem Großen, mit Ausnahme Peter ^11., der in Moskau starb und dort begraben ist, und fast alle Angehörigen des Kaiserhauses. Hellgrüne Marmorsarkophage erheben sich über den Grüften, welche die sterblichen Überreste der Männer und Frauen aus dem Hause Romanoff umschließen. Der Sarkophag Peter des Großen, der rechts vom Lingang vor dem Ikonostas steht, trägt um das bekränzte Medaillonbild des Zaren die Inschrift: „Von der dankbaren Nachkommenschaft!" Ihm gegenüber ruhen Nikolaus I. und Alexander II. Auf dem Sarkophag Alexander I. liest man eine auf das Jahr ^3^2 bezügliche Inschrift, und auf jenem des Zarewitsch Konstantin pawlowitsch ist der Schlüssel der Festung Modlin (des jetzigen Nowogeorgiewsk) angebracht, welche ^8(>9 von Napoleon angelegt wurde und sich erst nach einer fast dreijährigen Belagerung am 25. November ^81^5 den Russen ergab. Die Kaisergruft befindet sich in einen: Anbau, der durch ein Gitter verschlossen ist, und man gelangt in den, von übe'i' den Gräbern Tag und Nacht brennenden Lampen erhellten Raum aus der mit ^.lmnen und exotischen Gewächsen reich geschmückten Kirche durch eine Thür in der Nähe des Altars. In der Kirche selbst ist besonders der reich vergoldete Ikonostas bemerkenswert, ein werk Moskauer Künstler, die vier Jahre (1,722—^726) zu seiner Herstellung brauchten. >)O Der Grundstein der Peter-Pauls-Kathedrale wurde am 50. Mai ^7^ gelegt, an demselben Tage, der als der Geburtstag Peter des Großen gefeiert wird, doch erst unter Anna Iwanowna im Jahre ^733 wurde der Vau vollendet. <3r ist ein Kuppelbau, an dessen Westseite si6^ ein ungemein spitz zulaufender, ^28 Meter hoher Glockenturm erhebt, auf dessen in einer 'Kuppel endender Spitze ein Engel ein 7 Meter hohes vergoldetes Kreuz hält. Zur Vergoldung der Turmspitze wurden 22 Pfund reinen Goldes verwendet. Im dritten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts waren das Kreuz und der dasselbe haltende Lngel so schadhaft geworden, daß eine Reparatur unumgänglich nötig erschien, aber man scheute die großen Rosten, welche mit Arbeiten in solcher Höhe verbunden waren. Lin schlichtes russisches ^äuerlein, ein gewisser Teluschkin, wurde der Retter in der Not und legte durch die vollbrachte Arbeit Zeugnis dafür ab, wie richtig das ist, was wir bereits früher über die Anstelligfeit und Geschicklichkeit der russischen dauern gesagt haben. Die Reparatur, vor welcher die gelehrten Vaumeister zurückgeschreckt waren, vollbrachte der ^auer in drei Tagen, ohne Gerüste. In dem Glockenturm befand sich, früher e!n Glockenspiel, welches Peter der Große in Amsterdam für ^5 000 Rubel gekauft hatte; nachdem ei schadhaft geworden, wurde es ^?3f) unter Glisabct petrowna durch das jetzt vorhandene ersetzt. Der Ruhestätte der to!en Zaren gegenüber, von ihr nur durch die breite Wassermasse der Newa geschieden, liegt jetzt die Residenz der lebenden Zaren, und von den Fenstern ihres Palastes können die Selbst» Herrscher Hinüberseheu nach der stillen Insel, wo die Gebeine ihrer Oorfahrcu ruhen, welch greller Kontrast zwischen jenem einsamen, fast schlichten Saint-Denis der russischen Herrscher und diesem Palast, in dem sie aller Glanz und alle Pracht des größten Reiches der Welt nmgiebt! Der Palast erhebt sich ^37 Meter lang und ^0s> Meter breit unmittelbar am Ufer der Newa, an jeiler stelle, wo der in die Kleine nnd Große Newa sich teilende Fluß seine größte breite erreicht und seearlig zwischen der eigentlichen Stadt und den gegenüber liegenden Inseln sich ausbreitet. Der jetzige Kaiserpalast ist erst unter Kaiser Nikolaus erbaut worden. Zur Zeit Peter des Großen sland an der Stelle, welche er jetzt einnimmt, ein dein Großadmiral Grafen Aprarin gehöriges Haus, welches dieser testamentarisch dem Kaiser Peter I!. vermachte. Die Kaiserin Anna Iwanowua wohnte eine Zeit lang in diesem Hause, ließ es aber dann niederreißen und beauftragte den Architekten Rastrelli mit dein ^5au eines großen Palastes. Ä5eim Tode der Kaiserin war der Van noch nicht vollendet und geriet ins Stocken, bis ^75H die Kaiserin Elisabet pelrowna noch einige angrenzende Paläste ankaufte und dann die Arbeiten fortsetzen ließ, welche jedoch erst unter Katarina II. ^762 beendet wurden. Dieser Palast brannte am 7. Dezember ^83? zum großen Teil nieder, wobei große Kunstschätze, die in den Sälen untergebracht waren, von den Flammen vernichtet wnrden, so daß der Schade auf etwa 25 Millionen Rubel geschäht wnrde. Sofort ließ aber Kaiser Nikolaus nach Rastrellis Plänen den Wiederaufbau beginnen, und ^83Z war derselbe unter der Leitung des kaiserlichen Gcneraladjutanten, Grafen Kleinmichel, vollendet, Unter den vielen Sälen des Schlosses sind die beachtenswertesten: Der Saal Peter des Großen, die wände mit rotem Sammet überklcidet, in welchen zahlreiche russische Adler eingewebt sind; in den, angrenzenden Saal steht der Thron, und in einer Nische sieht man ein Gemälde von Amiconi: Peter der Große vom Ruhm geführt, über ihm Genien schwebend, welche die Kaiserkrone halten — der Feldmarschall-Saal, an dessen wänden die lebensgroßen Porträts der berühmtesten russischen Marschälle hängen (Paskewitsch «Lriwcmsky, Rumjauzoff Saduuaisky, patjomkiu Tawritschesky, Kutusoff Smolensk^, Diebitsch Sabalkansky n. a.), sowie einige Schlachtenbildcr, darunter auch die Kapitulation der Armee Görgeis bei vilngos am ^3. August ^6^) — der mit zehn großen Kronleuchtern zu erleuchtende Georgs-Saal, iu dessen Mitte ein Thron steht, aus dein der Kaiser platz nimmt, wenn hier am 26. November (8. Dezember) das Fest des Grdens vom heiligen Georg gefeiert wird — der mit herrlichen Marmorstatuen geschmückte weiße Saal, wo die goldenen Schüsseln aufgestellt sind, in welchen dein seligen Kaiser Alexander ll. nach altrussischer Sitte Vrot und Salz überreicht worden — der kolossale Nikolai-Saal mit ^l> Fenstern Front nach der Newa, Raum bietend für die Bewirtung von ^500 Menschen, der Schauplatz der großen Hofbälle, mit ^ riesigen Kronleuchtern, welche 5000 Kerzen tragen — und die pomvejanische Galerie, an welche sich ein Garten schließt, in dessen Mitte sich ein schönes Marmorbassin befindet. Den Gipfelpunkt aller f)racht erreicl^en loir aber anf unserer Wanderung durch den Palast beiin Vetreten der Schatzkanuner, welche einen Saal i»n zweiten Stockwerk einnimmt, vor dessen eiserner Thür stets zwei Unteroffiziere der Garde wache falten, l^ier befinden sich die jetzt bei Kroinlngen der Kaiser zur Der-wendung gelangenden Kroninsignien. Die auf ^ ^OOOOO Rubel geschätzte Kaiserkrone, ein werk des Hofjuweliers f)auzi6 aus Geuf, der sie ^762 zur Krönung Katarinas II. verfertigte, ist in byzantinischem Styl gehalten und ähnelt einer Mitra. l)on den» mit 2« brillanten besetzten Stirnrcif steigen von je 38 großen jDerlen gebildete ^?ögen zu einem, mit Diamanten besetzten Reif auf, ans welchem sich auf einem mattrotcn Rubin ein aus 5) großen Diamanten bestehendes Kreuz erhebt. Noch viel kostbarer ist das Reichsscepter, das kostbarste Stück der ^chahfammer ^ ganz abgesehen von seinen: wert hochinteressant durch den größten Diamanten Europas, der es schmückt, den ^85 Karat wiegenden Grloff. Dieser wellberühmte ötein und der ?l,'r Morgen. ^c>n C!a»do Lorrain. in der englischeil Schatzsannner befindliche Kohinur sollen einst die Augen des goldenen ^owen gewesen sein, der in Delhi vor dem Thron des Großmoguls stand. Ein 5epoy ranbte den Grloff und verkaufte ihn später auf Malabar für 2000 Guineeen einem öchiffskavitän, der ihn für ^2(1U<> Guineeen (etwa ^00 (XX) Rubel) einem ^uden überlief;. !)on dieseni erivarb ihn ein armeniscl^er Kaufmann Namens tazarew, der ihn in A,nsterda,n dem russischen Grafen Grloff zum Kauf anbot. Der Graf kaufte den Stein, um ihn sofort der Kaiserin Katarina N. zu schenken. Tazarew erhielt ^50000 Rubel, eine lebenslängliche Rente von 20(X) Rubel, und wurde in den Adelsstand erhoben. Der jetzige wert des Grloff, nach dem Schliff desselben, wird auf l-l Millionen Francs geschätzt, ^eben diesen« Riesendiamanten erscheinen alle anderen Schätze der Schatz-kannner unbedeutend, und doch sind noch sehr viele Steine und Kleinodien von bedeutendem wert vor» Handen, so der 50 Karat schwere Schahdiamant, in welchen persische Buchstaben eingraviert sind, das Geschenk Philipp II l«ul'rii5,) Vieh auf derIVeide. Jan 5ol'il'sfi. Vieh auf der Weide. van Dyck. (6elbstportlät.) ------- 39 ------- eines persischen Prinzen, die mit perlen, Diamanten und anderen Edelsteinen ubcrsä'ete Krone der Kaiserin, das auf einem Saphir ruhende Diamantenkreuz des Reichsapfels, und all die diamantengeschmückten Ordens« ketten, welche das Kaiscrpaar bei der Krönung zu tragen pflegt. Den Edelsteinschätzen, welche der Palast umschließt, stehen ebenbürtig die Kunstschätze Zur Seite, eine Menge von Gemälden, meist Porträts und Schlachtenbilder von russischeu und ausländischen kleistern, welche die wände der Zimmer und Korridore bedecken. Die sogenannte Galerie von ^8^2 enthält Porträts von Fürsten aus der Zeit der Befreiungskriege, von Georg Dawe und seinen Schülern gemalt, darunter auch Friedrich Wilhelm III. Zu Pferde, und 250 Porträts von Generälen, welche an dem Feldzug von ^8^2 teilnahmen, sämtlich in Lebensgröße. Im Alexander>Saal und den folgenden sieben Zimmern befinden sich Schlachtengemälde von Saucrwaid, ^aikoff, Suchodolsky, Kotzebue, Aiwasowsky, Vogoljnboff, Maksutoff, Peter Heß, Grusinski, willebalde, Rcuchlin und Steuben. Vesonders fesseln unter denselben Aiwasowskys Darstellungen der Seeschlachten von Rcval, Hochland und wyborg (^?90), Navarin (^82?) und Sinope (^855). In dem Zimmer, durch welches man nach dem sogenannten dunlVln Korridor gelangt, und in diesem selbst hängen wieder zahlreiche lebensgroße Porträts von Staatsmännern und Feldherren, von Fr. Krüger, Himmler u. a. gemalt, darunter auch Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, Feldmarschall Graf Moltke, Erzherzog Albrecht von Österreich und Feldmarschall Graf Radetzky. Das Kaiserhaus ist unter den Gemälden vertreten durch ein herrliches Porträt des Kaisers Nikolaus Zu Pferds von Fr. Krüger (im Nikolai-Saal), durch die in der Rotunde vor der Palastkirche hängenden Porträts Nikolaus I,, Alexander I, und II., und der Kaiserinnen Alexandra Feodorowna (Prinzessin Charlotte Friederike touise wilhelmine von Preußen, Gemahlin Nikolaus I.) und Maria Alexandrowna (Tochter des Großherzogs kudwig II. von Hessen, Gemahlin Alexander II). In dem mit herrlichen Mosaikarbeiten geschmückten Goldenen Saal befindet sich eine sitzende Marmorfigur der Kaiserin Alexandra Feodorowna von Wichmann. Gegen die Pracht, die in allen Sälen entfaltet ist, sticht wohlthuend die Einfachheit der Einrichtung in den eigentlichen Wohnzimmern der Kaiser ab. Das Kabinet Alexander II. sowohl als jenes Nikolaus I. ist heute noch in demselben Zustande wie zu Lebzeiten der Herrscher, denen es zum Aufenthalt diente. In dem gewölbten Kabinet Nikolaus I. sind die wände mit grünen Tapeten bekleidet, ein einfacher Teppich von gleicher Farbe bedeckt den ^oden, und anßer einigen kleinen Gemälden und den Porträts der Kaiserin und der kaiserlichen Kinder befindet sich in dem Gemach nur die unenlbehrlichste Einrichtung: vor dem großen Bogenfenster ein niedriger Schrank und, durch einen kleinen Zwischenramn von diesem getrennt, der Schreibtisch, daneben an der wand ein Sopha mit einem kleinen Tisch, zwischen diesem und dem Kamin das mit einer dunkelblauen Decke bedeckte Feldbett, und einige Tischchen und Stühle. Alle Möbel sind höchst einfach, das Sopha mit grünen: Safianleder überzogen. Das Arbeitskabinet Alezander II. unterscheidet sich von dein Nikolaus l. fast nur durch die größere Anzahl Gemälde und Familienporträts, welche die wände bedecken. Zwei große Tische, mit Büchern und pholographieen bedeckt, ein Divan, ein Schlafsofa, einige kleine Tische — das ist die ganze Einrichtung jenes Zimmers, aus dem so mancher große Resormgedankc hervorging, der Rußland auf neue segensreiche bahnen lenkte. Im Winterpalast befinden sich zwei Kirchen: eine kleine Kapelle und der Sobm- nerukotworönnawo obrasa (Kathedrale des nicht von Menschenhänden gemachten Heiligenbildes), wo sich ciu aus Malta stammendes Muttergottesbild befindet, welches der Evangelist Qckas gemalt haben soll. Hier werden auch verschiedene Reliquien aufbewahrt, welche früher Eigentum des Malteserordens waren und nach Petersburg kamcu, als Kaiser Paul I. die Großmeisterwürde des durch Napoleon von seiner Insel vetriebenen Ordens annahm (die Hand Johannes des Täufers und ein Knochen der heiligen Magdalena). l)on dieser Kirche geht am c^. Januar (Epiphanienfest) die große Prozession aus, in welcher sich der Kaiser, die ganze kaiserliche Familie, der Hof und die Spitzen der Vehörden über die prachtvolle paradetreppe und durch den sogenannten Jordaneingang des Palastes zur Newa begeben, um der feierlichen Wasserweihe beizuwohnen. Auf dem > dem „Jordanwasser" mit nach Hause nimmt. -------- H0 -------- vor dcr Südseite des Palastes stellt inmitten des großen Palastplatzes dic Alexandersänle, welche Nikolaus I. zur Erin»ren°Sammlung enthält, befindet sich ein bronzener Pfau, eiu Automat (von einem Preußen in London verfertigt), welcher, wenn das werk aufgezogen worden, ein Rad schlägt, während ein daneben befindlicher Hahn dreimal kräht uud eine Eule die Augen bewegt. Das meiste Interesse erregt aber in der alten Eremitage die Galerie Peter des Großen, eine ziemlich reichhaltige Sammlung von Gegenständen, welche mit der Person des großen Fürsten in Zusammenhang stehen. Eine Wachsfigur Peters, von Rastrelli verfertigt, sitzt unter einem Thronhimmel; wenn die mit der Figur verbundene Maschinerie in Vcwegung gesetzt wird, erhebt sich der Zar und grüßt den vor ihm stehenden. Früher geschah dies allen Vesuchern gegenüber, doch wurde es abgeschafft, da man es unpassend fand und auch Frauen häufig durch die sich plötzlich erhebende Gestalt erschreckt wurden. Zwei Totenmasken des großen Zaren liegen neben der Wachsfigur, und von dem Hofmaler Tanhauer gemalte wilder zeigen uns ihn auf dem Sterbebett. An den wänden hängen Porträts der Familie Peters und seiner ersten Würdenträger. Unter den vielen Kuriositäten befindet sich eine Sammlung Zähne, welche der Zar selbst ausgezogen, und allerlei Holz- und Elfenbeinschnitzereien, die er verfertigt. Eine lange Gallerie, die Romanoffsche genannt, enthält Porträts der Mitglieder des Kaiserhauses vom Ahuhcrrn Patriarch philaret bis auf Alezander I. Ein mit Statuen geschmückter Wintergarten, in dem sich eine unter Katarina II. errichtete Voliere befindet, beschließt die lange Flucht der Zimmer. Die angrenzende neue, auch „die große" genannte Eremitage der Kaiserin Katarina Is. enthält in ihren ^ Zinnnern und Sälen Gemälde von französischen und niederländischen Meistern (poussin, (Ulaude Lorrain, Hondekoeter, wynants u. a.). Dieser Palast wurde für den Thronfolger Nikolai Alerandrowitsch prachtvoll eingerichtet. l)on den Fenstern der beiden großen Prachtsäle, deren einer mit d Dioritsänlen, dcr andere mit 8 Säulen aus schwarzem, weißgeaderten Marmor geschmückt ist, genießt man eine herrliche Aussicht auf die Newa. Die Möbel sind meist kostbare Kunstwerke, teils altflorentinische Arbeit, und neben prachtvollen, mit Mosaikarbeiten verzierten Tischen fehlen auch hier die Vasen nicht, an denen alle Eremitagen reich sind. Seit dem Tode des Großfürsten dienten diese Räume als Wohnung für hohe Gäste des Kaiserhauses, und hier haben der Kaiser Franz Joseph, der deutsche Kronprinz mit seiner Gemahlin, der Prinz von Wales und auch Schah Nasr eddin während ihres Petersburger Aufenthaltes gewohnt. Neben dem winterpalasi ließ Katarina II. ^7(»^ ein zweistöckiges Gebäude aufführen, welches zuerst der kleine Winterpalast genannt wurde, später aber den Namen Eremitage erhielt. Dasselbe war mit den von der Kaiserin bewohnten Räumen im Winterpalast so wie noch jetzt durch eine stiegende Drücke verbunden und enthielt außer einer Reihe Prunkgemächer drei Gemäldegalerien und einen Garten, in dem sich eine Menagerie 4< befand. ?a innner none Kunstschätze erworben wurden, erwies sich das Gebäude aber bald als Zu klein, uud ^??I wlirde der 35au eiuer neuen größern «Lremitage begonnen. ^)>n ^ahre ^8^0 erwarb Baiser Nikolaus noch einige angrenzende Däuser, worauf der berühmte Münchner Architekt 3eo von Klenze und der Hofarchitekt A. I. Stakenschneider, ein geborener Moskauer, die jetzige Eremitage in griechischem Stil erbauten. ^., ^ettoljunc)!,'. Oon Mnrilio. Die Anfänge der Sammlungen, welche die Eremitage enthält, reichen bis auf Oeter den Großen zurück, welcher fast von allen seinen leisen Aunstwerke aller Art heimbrachte. ^)hre erste große Vereicherung erhielt die Galerie unter Katarina II. durch Ankauf der Sammlung ^oh. A. Gohkowskis, des uns aus der Geschichte Preußens uuter Friedrich 11. wohl bekanuten patriotischen Kaufmannes. Unter den Vildern, welche die Kaiserin für ^80 000 Chaler erwarb, befanden sich außer Vildern von Rubens, ^)ordaens, van Dyck und anderen 7 Rembrandt, 5 Honthorst, 5 A. von Gstade. vis ^??9 kamen noch die ebenfalls durch Kauf er- 6 -------- 42-------- wordenen Galerien des sächsischen Ministers Grafen Vrühl, des Marquis de Crozat und des Sir Robert Wal» pole hinzu, dnrch welche letztere die Eremitage eine berühmte van Dyck-Samn,lung erwarb. Große Erwerbungen kan«en hinzu unter Alexander I. (Sammlung der Erkaiserin Josephine für 9^0 000 Francs) und Nikolaus 1,, einem eifrigen Veschützer der dünste. Die Eremitage enthält heute im Erdgeschoß ein ägyptisches und assyrisches Museum, in letzteren, die von layard entdeckten Basreliefs aus Nimrud am Euphrat, 7 Säle mit griechischen und römischen Skulpturen, einen Saal n,it Ausgrabungen vom kilnerischen Bosporus (Saal von Kertsch), in vier Sälen eine Sammlung antiker Vasen, in einem Saal antike Vronzen, Terrakotten und pon,pejanische Funde, ferner eine ^ I( 880 Num» mern zählende Sa>mnlung Handzeichnungen, eine mehr als 200 000 Vlatt enthaltende Kupferstichsammlung, in welcher alle bedeutenden englischen, französischen und dcutschcu Meister vertreten sind, und im letzten Saal die aus den Kurgancn des Gouvernements Iekaterinoslaw stammenden skythischen Funde nebst einigen sibirischen Altertümern. Durch ein schönes Treppenhaus gelaugt man in das erste Stockwerk und in die Gemäldegalerie. Die hervorragende Stellung, welche die Eremitage-Galerie unter allen Gemäldesammlungen einnimmt, verdankt sie weder der großen Zahl ihrer Gemälde (nur etwa ^700), noch der Möglichkeit, durch sie einen umfassenden ilberblick über den Entwicklungsgang aller bedeutenden Schulen zu gewinnen — manche Schulen sind gar nicht vertreten, und die deutsche enthält nur ein bedeutenderes Vild von Hans Holbein dem Düngern — sondern sie verdankt sie der Menge von Meisterwerken einzelner Schulen, die man zahlreicher nur in den großen Galerien jener länder findet, in denen die betreffenden Schulen einst geblüht. So trifft man französische Meister nur in, louvre, spanische nur in Madrid zahlreicher vertreten als in der Petersburger Eremitage, an Werken der holländischen und namentlich Rembrandtschcn Schule aber ist die Eremitage-Galerie so reich wie keiue andere der Welt. Die Vilder Reinbrandts und seiner Schule füllen fünf Kabinette. Ans der Fülle der groß« artigen Kompositionen des Amsterdamer Meisters heben wir besonders hervor: Abraham bewirtet die Engel; Vpfer Abrahams (mit lebensgroßen Figuren); die Söhne Jakobs bringen das blutige Kleid Josephs; Heilige Familie; Rückkehr des verlorenen Sohnes, eines der größten Vilder Rembrandts; Parabel von den Arbeitern im Weinberge; Petrus verleugnet Christus; Kreuzabnahme; die sogenannte Dana<> und viele ungemein wirkungsvolle Porträts, darunter der sogenannte Sobieski (siehe Seite 57). Alle Rembrandt zugeschriebenen Vilder können zwar nicht eine strenge probe auf ihre Echtheit bestehen, aber 5<> von ^ sind jedenfalls echte Ren,° brandts. Die Schule des Meisters ist fast vollständig vertreten, durch besonders viele wilder Ferdinand Vol. (Vilder von Gerhard Dow siehe Seite 53.) Das feinere Genre ist unter den Holländern durch vortreffliche Meisterwerke vertreten. Gbenan stehen Gerhard Terburg und Gabriel Metsu, ersterer mit „Glas Limonade", letzterer mit seinem „Frühstück". von Frauz Mieris ist das beste werk, „Das Austernfrühstück" vorhanden. Die vlämische Schule ist durch eine Menge von Werken aller ihrer großen Meister vertrete»,. Die Rubenssammlung (l>2 Vilder, darunter wohl 5i0 echte) steht der Münchner Pinakothek keineswegs nach. „Jesus bei Simon", „Abraham entläßt die Hagar", „Anbetung der Könige", „Perseus befreit die Andromeda", „Tigris und Abmidantia" — die großartigen Skizzen zu dem Triumphbogen für den Einzug des Kardinalinfanten Fcrdinand in Antwerpen, die Landschaften „Der Regenbogen" und „Frachtfuhrmann" — endlich die viclen Porträts, unter denen jene der beiden Frauen des Künstlers, Isabella Vrandt und Helene Fourmcnt (siehe Seite H5), sowie ein Porträt Philipp ll. (siehe Seite 57) hervorragen, zeigen uns sowohl die kühne Erfindungs» gäbe als das malerische Können des Meisters auf den verschiedensten Gebieten, Ihn, reiht sich in gleich würdiger Vertretung mit 5H Vildern sein vorzüglichster Schüler van Dyck an, der Stolz der Eremitage, deren van Dyck-Sammlung von keiner andern erreicht wird. von seine», biblischen Darstellungen erwähnen wir nur das ungemein wirkungsvolle „Ruhe auf der Flucht" (l^ visr^s aux pörärix) und „Der ungläubige Thomas"; der Schwerpunkt der Sammlung liegt in den Porträts des unübertroffenen Vildnismalers. Da sind zunächst die Porträts der Familie wharton, unter ihnen van Dycks Hauptwerk, das Vild lord Philipp whartons; dann die Porträts der königlichen Familie von England aus der Galerie Sir Robert Walpoles (Karl l. und seine Gemahlin, Wilhelm ll. als Knabe); und schließlich eine Reihe von Porträts aus van Dycks Jugendzeit (Familie Snyders), die sich seinen besten späteren werken würdig zur Seite stellen könne»,. Auch unter Jakob Jordaens Vildern i>l der Lremitage finden wir vortreffliche Porträts. Die Ä^arakteristische Entwickelung ab r, welche die kandsä?aftsnmlerei durch Rubens erhielt, ka»m man an den zahlreichen Gemälden von Franz 5>nyders studieren, dessen Landschaften in der Lremitage seine Jagdstücke weit übertreffen, von Jordaens und ^nyders besitzt die <3renntage eine so große Anzahl wilder wie keine andere Galerie, und auch von den ans der Rubensschen schule hervorgegangenen Vertretern des hlunoristischen Genre unter den Holländern, obenan Teniers, Vater und Hohn, namentlich der letztere, trifft mau nur noch in Madrid mehr bedeutende werke. Die l3re?nitage besitzt von dein Düngern Teniers anßer cllva vierzig anderen Vildern das berühmte „Schützenfest iu Antwerpe,l" und die „wachtstnbe". Doch nicht nur die Gipfelpunkte der einzelnen ^clmlen führt uns die Eremitage vor, auch all die vielen holländischen Klcinmeister sind durch köstliche wilder vertreten: Adrian von Gstade (Tanz vor dem Wirtshaus), sein Bruder (Winterlandschaft), Cornelius Vega, Jan 5teen (die von fröhlichem Humor übersprudelnden „lustigen Zecher"); Adrian Vrouwer; ferner Caspar Netscher, Peter de Hooghe („Der eingekaufte Fisch"); schließlich die Landschafter, obenan Jakob von Ruysdael (^ wilder; „Der einsame Vergsee", das beste 2)ild aus der letzten Zeit des Meisters, „Der Sandweg"), dann van der Neer („Die Windmühle"), Jan wynants, A. von «Loerdingen, N. Lerchen«, Jan van der Heyde, letzterer nnt zwar vielen, aber nur wenigen bedeutenden wildern. Trefflich vertreten sind unter den Holländern die verschiedenen Arten des Tierstücks — zunächst ? herrliche Gemälde von Paul Dotter, zweifellos echt („Halt von Reitern", „Der Kettenhund", und sein groß angelegtes Hauptwerk „Der Meierhof"), dann 53 echte wilder von PH. wouoerman („Der Katzenrilt", „Aufbruch zur Falkenjagd", „Rückkehr von der Falkenjagd", „Die Reitschule", „In den Dünen"), Landschaften mit Vieh von A. Cnyp (siehe öeite 37), viehstücke von C. Camphuisen und Anderen. Unter den Meisterwerken der französischen Schulen finden wir eine Menge von Hauptwerken der ersten Maler Frankreichs: Claudc- Lorrains „vier Jahreszeiten" (siehe „Der Morgen" Seite 30), N. ^onssiüs „Triumph der Amphitrite, „polvphcm in italienischer Landschaft" und „Italienische Flußlandschast", I. G. Greuzes „Der Tod des Gichtbrüchigen", I. ^. ö. Chardins „Tischgebet" u. s. w. Die spanische schule ist durch l^5i Vilder vertrcteu, unter denen sich vorzügliche werke von Mmillo und vcla-auez befinden. Alle vorhandenen Murillos sind zwar niclt ccht, aber schon elwa fünfzehn wilder, deren Echtheit erwiesen ist, genügen, um den Künstler in allen Richtungen seiner Thätigkeit kennen zu lernen. Die besten seiner wilder sind „Himmelfahrt Maria", „Jakobs Traum", „Ruhe auf der Flucht", „Petrus im Gefängniß", „^'tteljunge" (siehe 5eite ^) und „Vettelmädchen", wahre perlen, auf welche jode Galerie stolz sein kann. Zu valescniez' hervorragendsten werken zählen die Bildnisse Philipp IV., seines Ministers Herzog von (l)lioarez (beide für 8(1 MO Francs gekauft) und des Papstes Innocenz X. von den übrigen wildern der spanischen schule heben wir noch hervor „Das Martyrium des heiligen Sebastian" von Ribera, „Der heilige Llorenz" von Zurbaran und „Die Vision eines Dominikaners" von A. Cano. Angesichts dieser großartigen Vertretung Einzelner Hauptschulen vergißt man cs gern, daß von den Kunstwerken des 1^. und ^5i. Jahrhunderts in der Lremitage fast gar nichts vorhanden ist. von den vorhandenen werken der Niederländer und Deutschen dieser Zeit sind die bedeutendsten eine „Verkündigung Maria" von Jan van ^v^, „Die Heilung d^'s blinden" von Tucas van beyden, „Venus und Amor" von ^ukas Cra-nach dem Altern und das Bildnis eines jnngcn Mannes von Hans Holbein dem Jüngern, Die ältere italienische schule weist nur ein einziges erwähnenswertes werk auf: „Die Anbetung der Könige" uon S>andro Voticelli. Die Lchtheit vieler Gemälde der großen Meister der spätern Zeit ist nicht unbestritten. Als anerkannt echt geltcn Raffaels „Madonna Alba" und noch zwei Jugendbilder desselben, Correggios „Madonna delta latte", mehrere Vilder Tizians aus dessen letzter Zeit („büßende Magdalcna", „Toilette der Venus"), und seiner Zeitgenossen torenzo totto, Paris fordone („Heilige Familie"), pordenonc, Paolo Veronese („Lazarus beim reichen Mann", „Kreuzabnahme") und Tintoretto („Geburt Johannes"), wogegen die Echtheit der vom Katalog Tionardo da Vinci zugeschriebenen reizenden „Madonna aus dem Hause Citta" bestritten wird. Die Galerie schließt mit einer in zwei 5älen aufgestellten Sammlung von werken älterer und moderner russischer Maler. Mehrere der hier befindlichen Gemälde haben wir bereits in unserer geschichtlichen ökizze erwähnt. Die Hauptwerke sind „Der letzte Tag Pompejis" von Vrjuloff; „Die eherne Schlange" von Vruni; ü* -------- 44 -------- „Die Erschaffung der Welt", „Da5 schwarze Meer", „Ansicht von Gdcssa" von Aiwasowsky; „Die Wahl Michael Romanoffs" von Ngrjumoff; ein Porträt Thorwaldsens von Kiprensky; „Ansicht von Ron," von Schtschedrin; „Jahrmarkt in Amsterdam" von Uogohuboff; „Ansicht von wladikawkas" von willebalde. Die Raffael-Galerie enthält Kopieeu der Raffaelscheu Loggien im Vatikan, die (um ^770) von (ühristoph Nnterberger, einem Tiroler, gemalt und von Katarina 11. für ^.5 000 Gulden erworben wurden. Der an die Galerie grenzende Saal birgt allrussische Altertümer, Waffen, Gefäße und Schmuckgegen-stände aus dem ^0. Jahrhundert, und eine Sammlung tschudischcr Altertümer. Die Münzsammlung, welche drei große Säle füllt, zählt etwa ^00000 Münzen, Selbstverständlich siild Rußland, und aus früherer .^eit polen uud die Gstseeprovinzen am besten vertreten, doch sind auch die Münzen anderer Bänder ^Frankreich, England, Spanien) i»i sehr reichen Folgen vorhanden, lind zu alledem kommt noch die berühmte Sammlung geschnittener Steine, deren wertvollste Kameen und Jutaglieu früher der Sanunlung des Herzogs von Grleans angehörten, welche Katarina II. erwarb. In den Sälen, welche diese Sammlungen borgen, begegnet man häufig Vasen von Marmor, Malachit, Jaspis und anderen Sleiuarten, die teils durch ihre Größe, teils durch die kunstvolle Arbeit fesseln. So trifft man in dem herrlichen Treppenhaus eine aus der kaiserlichen Steinschleiferei in Iekaterinenburg heroorgegangene prächtige Vase aus dunkelgrünem Jaspis, in der Gemäldegalerie eine große Vase aus Manganit, eine Jaspis-vass mit vergoldeten Bronzehenkcln, zwei Achatvasen, bei denen zwei vergoldete Panther die Henkel bilden, zwei große Malachitvasen und zwei, reich mit vergoldeter Bronze verzierte Riesenvasen aus Tapis lazuli u. s. w. Solche Fracht, wie wir sie im Winterpalast und in der neuen Eremitage bewundern, hat in den Palästen der russischen Raiser und Kaiserinnen schon im vorigen Jahrhundert geherrscht. Die Gesandten, die im ^. Iahrhuudert in Petersburg akkrediert waren, wissen nicht genug über deu Glanz der Hofhaltung zu berichten, der besonders uuter den Kaiserinnen Anna, Katarina und Elisabet mit Wiem des versailler Hofes wetteiferte. Alle Säle waren mit Sainmet oder kostbaren golddurchwirkten Seidenstoffen austapeziert, Marmor, Silber und Gold in verschwenderischer Fülle zu Verzierungen verwendet, die Möbel aus Paris bezogen. Die Kaiserin Anna besaß ein ^5ibliothekzimmer, das an Eleganz der Ausstattung nicht seines gleichen halte. Dieses Gemach, in dem die Kaiserin einen großen Teil des Tages zuzubringen pflegte, war mit gelbein Seidenstoff ausgeschlageu und enthielt zwei große, reich mit Schnitzereien verzierte Eichenholzschränke, welche der französische Tischler Michel verfertigt hatte. Neben den Bücherschränken stand das gleichfalls mit gelbem Seidenstoff drapierte Himmelbett der Kaiserin, auf welchem sie ruhte, weuu sie las. Ihr Schlafgemach war mit Silberbrokat aus» geschlagen, die Möbel mit Silberglac^stoff überzogen, grüne vorhänge, mit Streifen von Silberbrokat benäht, verhüllten die Fenster. Kostbare Teppiche aus eiuer russischen Fabrik bedeckten den Voden. wenn die vielen silbernen Armleuchter, die in dein Gemach verteilt waren, angezündet wnrden, gewährte dasselbe einen Märchen-haften Anblick. Dcr Maler Tarasac hatte den Olan zu diesem Gemach entworfen, der französische Meister Antoine Rogcbart das prachtvolle, reichgeschnitzte Himmelbett verfertigt. Eine Eigentümlichkeit der Oalastsäle waren unter der Kaiserin Anna Iwanowna und auch noch unter der Regentin Anna Teopoldowna die vielen, mit Sammet von grüner oder Himbeerfarbe ausgeschlagenen l/kuindro-Tische. Das Kartenspiel bildete neben Schach und Ballspiel die Hauptunlerhaltung der Hofkreise, und beide Fraueu, die Kaiserin sowohl als die Regenlin Anna waren leidenschaftlich dem Kartenspiel ergeben. Diese sogenannten „Zimmervergnügungen" war»,'» eine sehr teure Unterhaltung, dcnn das Pharao, welches am beliebtesten war, verschlang bedeutende Summen. Auch bei den größten Festlichkeiten fehlten die I/Inxndro Tische nicht, uud Anna Teopoldowna und ihr Günstling 25iron befanden sich unter den Spielern. Es war jedoch schou uuter Anna Iwanowna auch für andere Unterhaltung gesorgt; in» alteu Winterpalast war eine ^ühne errichtet worden, in den» sogenannten „Komödiensaal", und dort wurde abwechselnd deutsch, italienisch und auch russisch gespielt. Italien lieferte Lustspiel und Posse, Deutschland Tragödien und Gpern. Über die Titel der Stücke ist nichts bekannt, wir wissen nur, daß damals auch die bekannte Neuberin aus Leipzig nach Petersburg berufeu wurde und mit ihrer Truppe vor dem kaiserlichen Hofe spielte. Den Schauspielern wareu in einen» Nebengebäude dreizehn Zimmer als wohuung eingeräumt, sie bliebe,, aber nicht lange in Petersburg, denn noch in demselben Jahre (4?^) kehrten sie nach Leipzig zurück. Die Vorstellungen halten nur vor einem kleinen, aber sehr gewählten Helene Fourinent. von Rubens. _____ n^ ______ ' Publikliin stattgefunden: außer der nächsten Nmgebung der Raiserin wohnten ihnen nur die Gesandten der fremden Mächte und die höchsten Würdenträger in Militär und Veamtenwelt bei. ^)n der Nähe der Eremitagen licgt jenseits der Eremitage-Brücke, welche über den Winterkanal führt, das Eremitage-Theater. Dieses wurde von Giacomo Guarenghi im IHahre ^780 an Stelle des „Winterhauses" Peter des Großen erbaut, welches baufällig geworden war und eingerissen werden mußte. Es faßt etwa 500 Personen, doch wird jetzt selten, nur bei großen Hoffestlichkeiten darin gespielt, wir kehren nun auf den palastplatz Zurück und treten durch den großen Thorbogen im Generalstabs« gebäude auf den Newsky-Prospekt hinaus. Diese Hauptverkehrsader der Stadt ist fast so alt wie Petersburg selbst. Wenige Dahrc nach Gründung der Niederlassung am linken Newaufer ließ Peter der Große im Wald eine breite Straße anlegen, welche die Stadt mit dem von ihm gegründeten Alexander Newsky-Rloster verbinden sollte. Später wurden längs dieser Straße Häuser erbaut, und heute ist sie uicht nur die eleganteste und schönste, sondern auch die belebtoste Straße Petersburgs — zugleich die längste, denn von ihrem Ausgangspunkte am Admiralitätsplah bis zu ihrem Ende beim Newsky-Rloster durchläuft sie eine Strecke von nahezu 5 Kilometern. wenn man aus den: vornehm stillen Stadtteil kommt, in dem die Eremitagen und der Raiserpalast liegen, lind plötzlich durch den Thorbogen in den Newsky einbiegt, ist man im ersten Augenblick wie betäubt von dem lärmenden Gewoge der Menschenmassen, die Zu Fuß, Zu wagen und zu Pferde vorüberhasten. Auf dem Fahrdamm der schnurgeraden, breiten Straße erblicken wir ein unübersehbares Gemenge von wagen aller Art, vom elegantesten Vehikel bis zu der ärmlichen Droschke, zum Vmnibus und der Tramway, alle sich im raschesten Tempo vorwärts bewegend, so daß man nicht umhin kann, die Gewandtheit der Rutscher zu be> wundern, welche sich ohne Unfall, der hier sehr selten vorkommt, durch das wagcnlabvrinth hindurchwinden. Die Droschken — himmelweit verschieden von ihren bei uns gebräuchlichen Namensschwestern — sind leichte, ungedeckte Einspänner, und der Fahrgast — eine solche Droschke hat nur für zwei Personen Raum — sitzt auf dem einzigen Sitz zwischen den beiden Hinterrädern, der Rutscher, der ^swl'»stschik, unmittelbar vor ihm. Da der Sitz keine Rückenlehne hat und die Federn, auf denen der wagen ruhen sollte, durch Abwesenheit glänzen, gehört einige Übung dazu, wenn man in einer Droschke sitzen will, ohne sich an die Seitenlehnen anzuklammern, und die heftigen Stöße, welche der Fahrgast zu parieren hat, wenn er nicht kopfüber unter die Hufe der neben» her trabenden Pferde stiegen will, sind wohl geeignet, bei schwachen Naturen ähnliche Wirkungen wie die Seekrankheit hervorzubringen. Reine Stadt der Welt besitzt so viele öffentliche Fuhrwerke wie Petersburg. Die Zahl der I^rrwstschiks wird mit nahezu 2.">000 angegeben, wozu im Winter, wenn Schnee in den Straßen liegt, noch taufende vou Schlitten kommen, mit denen sich Vauern aus Finnland und den anderen der Stadt nahen tandstrichen ein-finden. Eine so große Zahl von Fuhrwerken ist aber auch nötig, denn der großen Entfernungen wegen geht nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Vevölkerung zu Fuß. Die Röchin, welche auf dem Markte Einkäufe zu besorgen hat, fährt ebenso in der Droschke, wie der Raufmann, der sich in sein Rontor, und der Professor, der sich zu seinen Vorlesungen begiebt, ^u allen Straßen trifft mau Droschken, in den verkehrsreichen Hauptstraßen zu Hunderten. Man braucht nur aus dem Hause zu treten und „)swustschik!" zu rufeu, und sofort ist ein halbes Dutzend der kleinen wagen mit Blitzesschnelle herangesaust, von den Droschken in anderen Städten unterscheiden sich die Petersburger nicht bloß durch ihre primitive, sehr altvaterische Üauart, sondern auch durch die Tariflosigkeit, die sie sich bis auf den heutige», Tag zu wahre» wußten. Nur für Fahrten von den Bahnhöfen hat sie die Polizei zur Aufstellung einer bestimmten Taxe gezwungen, die in jeder Bahnhofs» halle angeschlagen ist, aber — auch diese steht nur auf dem Papier und wird in den seltensten Fällen eingehalten, wer in der Stadt fahren will, vereinbart mit dem ^)sw6stschik zuvor den preis, wobei die Differenz zwischen dem ersten Angebot und dem schließlich vereinbarten preis oft eins sehr bedeutende ist. wer die Verhältnisse kennt, erlangt bei der nie fehlenden Ronkurrenz stets billige preise, denn wenn auch der eine oder der andere der sich anbietenden ^swostschiks die gebotene Summe zu niedrig findet, so ist doch stets einer dar» unter, der lieber für wenig Geld eine Fahrt übernimmt als müßig steht. Für kurze Fahrten — im vergleich mit den Entfernungen in unseren Städten sind jedoch auch diese ziemlich lang — zahlt man gewöhnlich 20 Rc» Hfl_____ pekcn, den fünften Teil eines Rubels, doch kann man auch für I.N und ^.^ Ropckcn befördert werden, für einen Velrag, für welchen keiner unserer Rutscher sein Roß in Vewegung setzen würde. Und wie schnell wird man befördert! ^)n Petersburg beobachtet die Polizei den Rutschern gegenüber ein ganz anderes verfahren als bei uns: anstatt das schnelle Fahren zu bestrafen, achtet sie darauf, daß die Rutscher nicht zu langsam fahren, und oft kann man es sehen, daß ein Gorodowoi (Schutzmann) einem nach seiner Meinung zu langsam fahrenden ^sw^stschik zuruft, sein Roß in raschern Trab zu setzen. Neben den ungedeckten Droschken giebt cs auch viele vicrsitzige, zweispännige wagen nach Art der wiener Fiaker (Rarüta), die beauem, elegant und mit guten Pferden bespannt sind. Der Rutscher eines Zweispänners blickt vornehm auf die Isw<',stschiks herab, und ihm fällt es nie ein, sich so um einen Fahrgast zu bemühen wie jene, die ihn während des Feilschens um den preis beim Arm oder an den Rleidern fassen und aus dem Rreis der mitbietcnden Rollegen zu ihrem Wagen zu zerren suchen. Die Troika, das nationale Drei' gespann mit dem in der Gabel trabenden kräftigen Mittelpferd und den rechts und links galoppierenden Außenläufern dient mehr dem ^urus und dem Vergnügen, und tritt erst im Winter in den Straßen der Residenz häufiger auf, wenn der Schlitten das rollende Fuhrwerk ersetzt hat. Iu den letzten fahren ist außer den Gnmibuslinien auch das Tramwaynetz nach allen Richtungen hin ausgedehnt worden, und ^ Timen vermitteln heute den verkehr in der Stadt und mit den Inseln und vor. stadtdörfern. ^)m Innern der wagen ist der geringste preis einer ganzen Tour 5i, auf der ^mp^riale 5 Ro-peken; der höchste im Innern 2t), auf der ^mp^riale 8. Die wagen verkehren bis zehn Uhr abends, im Sommer aber, namentlich auf den belebteren Touren, sowie an Sonn- und Feiertagen auch noch später. Trotz dieser Menge von Fuhrwerken aller Art und ihrer starken Benutzung durch das Publikum ist auf dem Ncwsky-Prospekt das Trottoir stets mit Fußgängern bedeckt, denn die schöne Straße mit den breiten Trottoirs ist die Promenade der vornehmen Welt und in ihr befinden sich die feinsten vcrkaufsläden. Die Hunderte von Fuhrwerken, die vorüber rollen, gewähren den promenierenden ein an Abwechslung reiches, unterhaltendes Vild und werden dabei nicht durch das Gerassel der Räder lästig, da die Straße mit Holzwürfeln gepflastert ist, welche — was allerdings bei dcm großen Verkehr sehr nötig — das Geräusch dämpfen. Die promenierenden selbst fesseln aber den Fremden nicht weniger als die wagen, welch buntes Gemisch von Uniformen und Nationaltrachten zieht da an uns vorüber! Da die große Masse der Bevölkerung den nationalen Raftan zu hohen Stiefeln und zur Pelzmütze trägt uud etwa ein Zehntel der männlichen Limvohner — außer den« Militär auch alle Veamten bis zu den Subalternbeamten herab, sowie die Schuljugend — uniformiert ist, bedürfte es gar nicht der vielen Nationaltrachten, durch welche die verschiedenen das Reich bewohnenden Völkerschaften hier vertreten sind, um ein buntes, farbenreiches Vild zu erzielen. Auch das weibliche Geschlecht liefert dazu einen reichlichen Beitrag in den Ammcn in ihren grellen Nationalkostümen und den roten und blauen Überwürfen, unter denen sie die Säuglinge tragen. Und zwischen das promenierende Publikum drängen sich die Straßenverkäufer, die im Winter warmen Thee, im Sonnner Lis oder das beliebte Nationalgetränk Rwas feilbieten, Himbeerkwas und Honigkwas, und die vielen Garköche mit den Pirogen (Pasteten), die mit gehacktem Fisch oder Fleisch und mit Rohl und Rubel, gefüllt sind, die Ruchcnverkäufer, die wandernden Vilderhändler u. s. w., und alle preisen sie ihre Ware mit aller Rraft der Qmgen an ... Der Fußgängerverkehr zieht sich hauptfächlich auf die Nordseite der Straße, die Sonnenseite, wo sich auch die elegantesten Verkaufsläden befinden. Riesige Firmentafeln und Aufschriften an den Häuserwänden bis zum Dach hinauf machen schon von weitem auf die einzelnen Geschäfte aufmerksam. Moskau ausgenommen, ist in keiner europäischen Stadt die Reklame durch Aufschrifteu auf den Häusermauern so ausgebildet wie auf dem Newsky-Prospekt Petersburgs. Line andere Eigentümlichkeit der Riesenstraße sind die von schlanken eisernen Säulen getragenen leichten Schutzdächer, die von jeder Hausthür über das breite Trottoir hinweg bis zum Fahrdamm reichen. Ursprünglich bestimmt, den im wagen Anfahrenden boim Aussteigen Schutz vor den» Regen zu gewährcn, dienen auch sie jetzt der Reklame und tragen große Firmentafeln. Angenehm berührt in Petersburg das Auge die große Sauberkeit, die sowohl auf den Straße»» als ill den Häusern herrscht. Sie herrscht hier nicht, wie in so manchen anderen Städten, nur in den Hauptstraßen; man wird hier auch in den entlegensten Stadtteilen kein Haus und keinen Hofraum finden, die durch Unsauberkeit -------- 49-------- Anlaß zur Veschwerde böten. Die Polizei wacht in Petersburg nnt Argusaugen darüber, und dringt unnach« sichtlich auf sofortige Beseitigung aller Übelstände, die sie entdeckt, 5ehr viel verdankt die ^tadt in dieser Beziehung der Oolizeileilung Trepoffs, der sich nicht auf Unterbeamtc verließ, sondern sich gern selbst durch eigenen Augenschein überzeugte, daß alles in Vrdnung war. Die Wohnhäuser Petersburgs sind infolge dessen in sanitärer Beziehung viel besser als in den meisten europäischen Großstädten, was in Anbetracht der ungesnnden Gegend, in der die Ttadt liegt, nicht zu unterschätzen ist. Auch der gemeine Mann wohnt hier durchschnittlich besser als in anderen gleich großen Städten. Man vergleiche doch nur f?aris mit Petersburg! Dort leben nach den neuesten Ermittelungen 50 605 Familien mit IM?!.<) Köpfen in Wohnungen, welche nicht im ent- Der )llkmlabeln°5aal dcr kaiserlichen Bibliothek. ferntesten die unerläßlichen gesundheitlichen Bedingungen erfüllen, die man an für Menschen bestimmte Nä'unv lichkciten stellen muß. )n f)aris sind heule noch etwa 5000 Wohnungen ohne lieizvorrichtung, und ihre Bewohner müssen sich mit tragbareil (i)fen behelfen und müssen, um den ^auch abziehen zu lassen, die Thür oder die Fenster öffnen. Überraschen kann dies nicht, wenn man hört, daß es in ganz Frankreich noch 2^70 Wohnhäuser ohne Fenster giebt, in denen 1^ Million Menschen, also etwa der 58. Teil der Bevölkerung lebt. öolche Daten sprechen klar und deutlich zu Gunsten unserer oft wiederholten Behauptung, daß man, ehe man sogenannte „Übelstände" in Rußland tadelt, sich immer erst fragen möge: Wie sieht cs in dieser Beziehung in anderen Bändern aus? -------- 50 -------- wie vorzüglich die Petersburger Wohnungen sind, das lernt man erst recht im Winter kennen. Der böse wintcrgast, die Kälte, vermag da nicht einzudringen, sein Reich hat schon an der Thür ein Ende, welche zu dem stets angenehm durchwärmten Treppenhaus führt, trotzdem daß in Petersburg die Aalte während der Wintermonate einen ziemlich hohen Grad erreicht. Schon im November schwankt die Temperatur zwischen einem Maximum von ss,^' K. und einem Minimum von — ^7>,2, und im Januar, dem kältesten Monat, betragt das Minimum der Lufttemperatur — 25". Noch der Mai ist bedeutenden Schwankungen zwischen 22,H" und— ^,H" unterworfen, und nur während der Monate ^uni bis September sinkt das Thermometer nicht unter den Nullpunkt, obwohl es ihn» im September schon ziemlich nahe kommt. Die Monate Huni, Juli und August sind allerdings sehr warm — im Juli steigt die Temperatur bis 28,H", in den beiden anderen Monaten bis 26,5" — aber wer im Winter zum verweilen im Freien gezwungen ist, der weiß davon zu erzählen, was ein Winter in Petersburg bedeutet. Der Russe selbst empfindet die Kälte allerdings weniger als der Ausländer; er liebt sie sogar und hat seine Freude an einem starken Frost, „Heute ist einmal ein guter Frost!" sagt der gemeine M^nn, mit einem gewissen Vergnügen die Arme schlenkernd, um sich zu erwärmen, wenn das Thermo» meter ^ü bis ^ Grad Aalte zeigt. Eine Aalte, bei welcher es bei uns niemandem einfallen würde, ohne die zwingendste Veranlassung auf die Straße zu geheil, findet daher in Petersburg immer noch Hunderte von Spaziergängern auf den« Newsky-Prospekt. Für jene armen Menschen aber, die durch ihren Veruf gezwungen sind, auch bei 25" Aalte in» Freien sich stundenlang, ja manche Tag und Nacht aufzuhalten, wird auch gesorgt. Die wärmste Aleidung wäre nicht imstande, die ^swöstschiks und Gorodowois namentlich bei Nacht vor dem Erfrieren zu schützen; man zündet daher, wenn die Aalte eine außergewöhnliche Höhe erreicht, in den Straßen Feuer an, sogenannte Scheiterhaufen, was zwar eine sehr kostspielige Maßregel ist, seinen Zweck jedoch vollständig erreicht. Die Fuhrleute postieren sich dann um das Feuer, einer wirft frisches Holz zu, der andere schürt die Flammen mit einem langen Haken, und so vergeht die Zeit, wenn sich nicht inzwischen Fahr-gäste einsinden, die auch dein erstarrten Gaul des Iswnstschi? Vewegung verschaffen. 25ei solcher Aalte liegt die Versuchung nabe, sich durch einen Schnaps zu erwärmen, und gar leicht wird dann ein Gläschen zu viel getrunken, aber wehe dem ^5w"5tschik, der sich verleiten ließ, bei starkem Frost sich zu betrinken, denn der Betrunkene ist am meisten der Gefahr ausgesetzt, daß ihm Nase, Hände oder Füße erfrieren, wenn er nicht gar, im bausch eingeschlafen, überhaupt nicht mehr erwacht. Die Gorodowois sind daher auch scharf hinter den Isw^slschiks her und dulden nicht, daß einer auf den» Vock sitzend schläft. Ausnahmen kommen freilich auch in Petersburg vor, und nicht immer ist der Winter so streng wie wir ihn geschildert haben. ^'" D^hrs ^882 z. 25. herrschte eine so milde Temperatur, daß den größern Teil des winters hindurch fast gar kein Schnee in den Straßen zu sehen war und es sogar während der Wintermonate regnete. Dieses außergewöhnlich milde Wetter hatte aber auch seine Nachteile. Der Winter läßt sich in« hohen Norden seine Herrschaft nicht ungestraft streitig machen, und er rächt sich sofort, wenn einmal ein lauer Südwind ihm ins Handwerk zu pfuschen sucht. Die Folge der milden Witterung waren bösartige Arankheiten, die epidemisch auftraten, von anderen Nbelständen ganz abgesehen. Aus dem Gouvernement Archangelsk waren 30 000 Stück Wildbret nach Petersburg gesandt worden, die bei der landesüblichen Aalte ganz unbeschädigt den weiten weg zurück« gelegt haben würden, infolge des unerwarteten Tauwetters aber in einem solchen Zustande ankamen, daß die Polizei den Verkauf dieses Fleisches untersagte, wodurch die Unternehmer einen Verlust von 70 000 Rubeln erlitten. An: meisten litten jedoch die armen teute; meilenweit waren über 5000 Vauern wie alljährlich mit ihren Schlitten nach der Residenz gekommen, und als nun der Schnee plötzlich schmolz, gerieten die erwerblosen Schlittenkutscher bald in die größte Not und viele waren gezwungen, Pferd und Schlitten zu verkaufen, um nur wieder in ihr Heimatsdorf zurück zu gelangen. Doch Petersburg ist Großstadt, und die Wogen des großstädtische», Bebens gehen über solche vereinzelte Fälle von Not und Elend in den unteren Alassen hinweg und verlilgen rasch die Spuren derselben, wer längere Zeit in Petersburg lebt, der wird sich wohl überzeugen, daß wie in anderen Großstädten so auch in der Newastadt neben großein Reichtum die große Armut nicht fehlt, aber der oberflächliche Beobachter und der Reisende, der nur einige Tage in Petersburg weilt, wird von dein Reichtum, dem e» in den eleganteren Stadtteilen auf Schritt und Tritt begegnet, geblendet, und von der Pracht und dem ^urus, die er überall ----- 5^ entfaltet sieht, berauscht und entzückt werden. Nicht ohne Grund hat man Petersburg das Paris des Nordens genannt — man versteht dort das sieben Zu genießen, und demjenigen, der es genießen will, wird reichlich Gelegenheit dazu geboten, vorausgesetzt, daß er auch die nötigen Mittel besitzt, seine wünsche zu realisieren. Wir werden den Teser später auch mit der Kehrseite der Medaille bekannt machen und ihn auf einer Wanderung dnrch die Wohnstätten der Armut geleiten — jetzt laden wir ihn ein, mit uns den Newsky hinaufzuwandern und zunächst die Stadt der Paläste, die Stadt des Reichtums, das vornehme Petersburg mit seinen Monumentalbauten kennen zu lernen. Ans der Wanderung vom Chorbogen des Gcneralstabsgebäudes bis zur Fontanka, dem dritten die Stadt umspannenden wasserring, treffen wir zwischen den unabsehbaren leihen der palastartigen privatgebäudc vier Kirchen und eine große Kathedrale, das Stadthaus, den umfangreichen gostjnmy dwor, die kaiserliche Bibliothek und das kaiserliche Anjitschkoff-Palais. An der sogenannten polizeibrücke, die übcr die Moika führt, liegt die holländische Kirche (^83^ erbaut), und auf derselben Seite des Newsky, von jener nur durch die Große Stallhofstraße getrennt, die ^658 in gotischem Stil erbaute lutherische Peterskirche. Die Stallhofstraße hinabblickend, gewahren wir in derselbe»: noch drei Kirche»», die alte reformierte, in der man noch den Sluhl zeigt, auf welchem Peter der Große ^72^ einer Taufe beiwohnte, gegenüber die finnländische Marienkirche und hinter dieser die schwedische Katarinenkirche. Auf den» Newsky aber, der peterskirchc schräg gegenüber, überrascht uns der imposante ^au der Kasanschen Kathedrale (auch Kathedrale der Aasanschen Mutter Gottes genannt), von einer gewaltigen Kuppel überragt, bis zur spitze des auf der Kuppel sich erhebenden Kreuzes 66 Meter hoch. Line Kolonnade von 1^32 korinthischen Säulen umsäumt in weitem Halbkreis den platz, in dessen Hintergrunde die Kathedrale steht. Kolossalstatuen der vier russischen Hauptheiligen — Wladimir, Alezander Newsky, Johannes und Andreas — schmücken die Außenwände. Im Innern lenkt sofort das berühmte Muttergottesbild, das mitten in der Kirche hängt, die Vlicke des Eintretenden auf sich. Im Jahre ^5?9 kam es von Kasan nach Moskau und wurde ^72^ nach Petersburg gebracht. Die Edelsteine, welche das stets von Andächtigen umgebene ^5ild schmücken, sind von fast unschätzbarem wert. Nnd überall, wohin wir uns in der Kirche wenden, blitzen uns Edelsteine und Gold und Silber entgegen. Die Ikonostas ist von Silber, ein Geschenk der Donschen Kosaken nach dem großen Befreiungskriege; vor den, Hochaltar stehen vier silberne Riesenkandelaber, und das Tabernakel, ein Geschenk des Grafen Stroganoff, ist mit Edelsteinen besäet. Die vier Säulenreihen, welche von den die Ruppel tragende?« Pfeilern auslaufen, find ^ ^ Meter hohe Monolithe von finnländischem Granit, die Vasen und Kapitale der 56 Säulen von Vronze. An den Pfeilern und Wänden hängen erbeutete Fahnen, Trophäen aus den Ariegen gegen Napoleon, gegen die Türkei und Persien. Hier ruht auch der Fürst Kutusoff Smolenski, der im Jahre ^8^2 an Varclay de Tollys Stelle das Kommando der Napoleon gegenüberstehenden Armee erhielt und später Davoust und Ney in der Schlacht bei Smolensk besiegte. Er starb, nachdem er die bekannte Proklamation von Ralisch erlassen, auf der Reise zum Kais0 die Sammlungen des Senators Froloff, des Generals wjasmitjinoff, des Grafen Tolstoi und einm Teil der Vibliothek des Fürsten 3oba-noff Rosiowski. Durch die Feldzüge in Asien wurden der Vibliothek auch reiche Vücherschätze Zugeführt, durch paskewitsch aus der Moschee Achmed in Achalzich, aus Dagestan, Lrzerum, Vajasid, eine Sammlung von Koran-Handschriften aus Adrianopel und die kostbaren Handschriften des Scheik Scfi aus Ardebil, dos Ahnherrn der fetzigen persischen Dynastie. Don späteren Erwerbungen waren die bedeutendsten die ^50 000 Vände zählende Vibliothek der „Gesellschaft der ^itteraturfreunde in Warschau", die Vibliolhek des Archäologen und Slavisten pogodin, für ^50 000 Rubel angekauft, die für ^00 000 Rubel erworbenen alten karaitischen Hand» schriften, die Vibliotheken des Staatsrats Adelung, des prager Slavisten Jungmann, des Grafen Rostopschin u. a. In jüngster Zeit wurde auf kaiserlichen Vefehl mit diesen Sammlungen auch die über 70 000 Vände zählende Eremitage-Vibliothek und die früher in der Eremitage aufgestellte Vibliothek Voltaires (gegeu 7000 Vände und Handschriften) vereinigt. Die Statue Voltaires, ^780 von Houdon geschaffen, steht in» Treppenhause inmitten seiner Vibliothek, die ihm Katarina II. abgekauft. Der Hauptwert der Vibliothek liegt in ihren kostbaren Handschriften und den vielen bibliographischen Raritäten. Unter den letzteren sind an erster Stelle zu nennen die mit kyrillischer Schrift hergestellten Drucke, darunter vier aus dein Jahre ^9^, und die aus den südslavischen Druckereieil heroorgegangenen Vüchel-, namentlich die in den Jahren ^9H bis ^7Y^ in Montenegro, der Herzegowina und Serbien gedruckten; ferner der einzige in Vöhmen hergestellte kirchenslavischc Druck, die Vibelübersetzung des Franz Skorina (Prag ^">^> ^'^<1!, Zugleich das einzige bekannte Exemplar des Werkes; das erste in Rußland gedruckte Vuch, eine Apostelgeschich!e (Moskau, ^7it)4); ein Mainzer Psalter (I^5>7—1^5<)), eine Mainzer Vibel und ein Gutenbergsches Katholikon (^. Jahrhunderts eingerichtet wurde (siehe Seite H<)), enthält nahezu 7000 Inkunabeln (vor dem Jahre 1^)00 gedruckte Vücher). Ein Saal enthält eine Sammlung in fremden Sprachen über Rußland erschienener werke, mehr als 7)0000 Vände, welche die Vibliothek dem unermüdlichen Sammeleifer des Varons Korff, der von ^8H9 bis ^86^ Vibliothekar war, verdankt. Die Vibliothek ist mit Ausnahme der höchsten Festtage täglich dem Publikum geöffnet, an Wochentagen von ^0 Uhr früh bis 9 Uhr abends, an Sonntagen oon ^2 bis .". Uhr. Im obern Stock befindet sich ein großer Tesesaal, der jährlich von nahezu 1^20000 tesern benutzt wird. Zur Erinnerung an die hohe Stifterin der Vibliothek ist auf den, Aleranderplatz, dessen Westseite die Vibliothek einnimmt, ^877, inmitten schöner Garteuanlagen das Denkmal Katarinas II. von Kaiser Alexander II. errichtet worden. Das nach Entwürfen von Mikeschin und Gpeküschin ausgeführte Deukmal zeigt uns die H Meter hohe Figur der Kaiserin, mit dem Hermelinmantel und der Kette des Andreasordens geschmückt, in der Rechten das Scepter, in der Anken einen Kranz; den Sockel umgeben die lebensgroßen Figuren der be> rühmtesten Zeitgenossen der Kaiserin: patjomkin, Rumjanzoff, Suwaroff, Grloff und Tschitschagoff, die beiden letzteren als Repräsentanten der Flotte, die ersteren des Heeres, wogegen Kunst uud Wissenschaft durch die Fürstin Daschkoff, die Präsidentin der Akademie, die Volkserziehung durch Vetzki und Vesborodko vertreten werden. —— 56 Den Newski-Prospekt hinaufschreitend, gelangen wir nun zunächst zur Fontanka und zu der über dieselbe führenden Anjitschkoff-Vrücke. Unter den vier Kolossal-Gruppen von Pferdebändigern, einem Werke des Aarons Klodt, in Petersburg gegossen, welche diese brücke schmücken, finden wir altc bekannte wieder: zwei der Gruppen stehen als Geschenk des Raisers Alexander, der sie nochmals gießen ließ, vor dem königlichen Schlosse in Berlin. An der Fontanka, mit der Front nach dem Newsky-Prospckt, liegt das Anjilschoff-Palais, anch Nikolai-Calais genannt, welches früher dem Fürsten patjomkin gehörte, dann aber von der Krone angekauft und völlig umgebaut wurde, Seit ^8^7 bewohnte es der jeweilige Thronfolger, der jetzt regierende Kaiser ist jedoch den ihm lieb gewordene»! Räumen auch nach seiner Thronbesteigung treu geblieben. von: Anjitschkoff-Palais läuft der Prospekt noch ^ Kilometer weit schnurgerade und in gleicher Vreite bis zu der über den Tigowka-Kanal führenden Snamensky-^rüeke, jenseits welcher zur Rechten der große Bahnhof der nach Moskau führenden Nikolai ^ahn liegt, biegt jedoch bald darauf gegen Südost ab und führt dann wieder in gerader Richtung, doch bedeutend schmäler geworden bis zum Alexander Newsky-Kloster, bei welchem cr sich mit dem die Newa entlang laufenden Schlüsselburger Prospekt vereinigt, wir werden dem alten Kloster später einen besuch abstatten, und kehren nun zu unseren» Ausgangspunkt am Newsky zurück, um durch die in ihn mündenden Straßen die angrenzenden Stadtteile zu besuchen. Dnrch die unweit des Thorbogens des Generalstabsgebäudes einmündende Kleine Seestraße (Mülaja Morsk-ija) gelangen wir zunächst auf den weiten Isaaksplatz, dessen Mitte die imposante Isaaks-Kalhedrale einnimmt. Die Isaaks-Kathedrale oder wie sie mit vollem Titel heißt: Kathedrale des heiligen Wunderthäters Dsaak, des Dalmatiners, ist die Hauptkirche Petersburgs. An der Stelle, welche sie jetzt einnimmt, ließ schon Peter der Große ^?^l) eine hölzerne Kirche erbauen, welche abcr ^755 vom Vlitz getroffen wurde und abbrannte. Dreizehn ^ahre später begann Katarina II. den Vau ciuer steinernen Kirche, welche jedoch während ihres Bebens nicht vollendet wurde und unter Kaiser Paul ^8<^ einen Abschluß fand, der nicht zu ihren Gunsten war. Die jetzige Kathedrale wurde unter Kaiser Alerander I. nach den Plänen des Architekten Ricardo de Monlferrand zu bauen begonnen, und ihr ^au währte fast HO ^)ahre; erst unter Alerander ll. (^858) wur^e er beendet. Große Schwierigkeiten waren beim Vau zu überwinden. Ganze Wälder verschlang der Sumpfboden, bevor es endlich gelang, festen Grund zu gewinnen, und doch hat man seitdem mehrmals durch Nnter-bauungen einer Senkung der Kirche nach der Newaseitc entgegenarbeiten müssen. Die Kathedrale ist in Form eines griechischen Kreuzes gebaut und wird von einer riesigen Kuppel überragt (siehe Seite 52), welche 26,»> Meter im Durchmesser mißt; sie ruht auf einer von 2^ Granitsäulen (deren jede <) Meter hoch ist) umgebenen Trommel, und über ihr erhebt sich eine gleichfalls von 2^ Säulen umgebene Laterne, auf deren Kuppel ein 5,8 Meter hohes Kreuz steht. Die Hauptkuppel ist eine der größten der Welt. Nur jene der Peterskirche in Rom übertrifft sie an Größe, ^hre innere Scheitelhöhe beträgt 82 Meter, während jene der Peterskirche ^23 Meter beträgt, vom Vodcn bis zur Spitze des Kreuzes gemessen, ist die Kathedrale ^N2 Meter hoch. Line bequeme Treppe führt zur Kuppel, von der aus man eine herrliche Aussicht geuießt, empor; sie besteht aus Guß» und Schmiedeeisen, welches mit stark vergoldetem Kupfer bedeckt ist. Durch prächtige peristyle an der Nord- und Südseite, jedes von l^, Monolithsäulen aus rotem sinn-ländischen Granit gebildet, eine Nachahmung des Portikus am Pantheon in Rom, gelangt man in das Innere, das mit verschwenderischer Pracht ausgeschmüekt ist. Die Kosten des Vaues betrugen mehr als 23 Millionen Rubel, aber es ist mit dieser großen Summe auch etwas geschaffen, was der Residenz zur hohen Zierde gereicht, obwohl das Vorbild, das dem Baumeister vorgeschwebt, der Dom zu Sankt Peter in Rom, nicht erreicht wurde. Der Schmuck der wände ist geradezu blendend; sie sind mit den schönsten Marmorarten bedeekt, und an 2(10 Gemälde russischer Maler fesseln den Beschauer. Das große Deckengemälde von 35rjuloff und Vassin erwähnten wir bereits. Die marmorne, reich vergoldete Ikonostas trägt in drei Reihen 7,3 Heiligenbilder, Zwischen Säulen von 3apis lazuli und Malachit hindurch gelangt «nan in das Allerheiligste, wo der prachtvolle marmorne Hochaltar steht, dessen silbernes Tabernakel eine sehr gelungene Imitation der Kathedrale ist. Im Halbkreis vor dem Altar stehen die Sitze, die für den Metropoliten und die höhere Geistlichkeit bestimmt find. Ein herrliches in München verfertigtes Glasfenster, die Auferstehung Christi darstellend, prangt über dem Hochaltar. 5?_____ Die Isaaks-Kaihedrale steht in der Mitte des großen Isaaksplahes, welcher, gegen worden und Süden mit zwei anderen Plätzen zusammenstoßend, niit diesen den ganzen weiten Raum zwischen der Moika und Großen Newa einnimmt. Oon der Südseite der Kathedrale aus gelangt man durch den ^saaksgartcn, am Gebäude der deutschen Botschaft vorbei, auf den Marienplatz. Dort steht das Denkmal Nikolaus l., das im ^ahre ^,">l) nach Monlferrands Lnlwurf errichtet wurde. Auf einein hohen, mit Basreliefs geschmückten Sockel sieht inan den Kaiser in der Uniform der Chevaliergarde auf einem sich bäumenden, feurigen Roß. Die Reiterstatue, ein Werk des Sarong Klodt, ist ein Meisterwerk des Erzgusses; die ganze käst von Roß und Reiter ruht nur auf den Hinterfüßen des erstern. Unter den Vasreliefs ist am gelungensten die Darstellung des Aufruhrs wäh' rend des N)ütens der Cholera im ^ahre ^83^, der durch das entschlossene Auftreten des Kaisers unterdrückt Denkmal ^cter des Großen auf dcxi ^ctclsplatz. wurde. Die Cholera wütete damals in Petersburg so arg, daß täglich an ^5(D Menschen, meist den ärmeren Klassen Angehörige, starben, plötzlich tauchte das Gerücht auf, die Deutschen und polen hätten die Brunnen vergiftet, und das se° die Ursache des großen Sterbens. Fanatisicrte lX>lk5»nassen sammelten sich, mit Aexten bewaffnet, auf dem Heumarkt, und im nächsten Augenblick konnte ein furchtbares Blutbad beginnen. Da erschien der Kaiser allein unter der erregten Menge, fuhr bei der Kirche auf dem l^eumarkt vor, stieg die Stufen hinan und hielt eine kurze Ansprache an das Oolk, in welcher er es aufforderte, anstatt gegen die Ratschlüsse des Allmächtigen zu murren, lieber gemeinsam mit ihn» um Abwendung der Drangsale zu beten. Und der Kaiser hatte seine Russen richtig beurteilt. Als er nun vor der Kirchenthür zum Gebet nicderkniete, fiel das ganze versammelte Oolk auf die Kniee, und der drohende Aufruhr war beschworen. -------- 58 Auf der Nordseite der Isaakskirche erblickt inan einen Teil des großen Alezander°Gartens und hinter diesem den bis zur Großen Newa reichenden Petersplatz, in dessen Mitte das schölle Denkmal des Gründers der Stadt steht. Zar Peter hat Zwei Denkmäler in Petersburg: da? eine, vor dem Alten Michailowschen Palais (jetzt Ingenieurschule), ist ein werk Rastrellis, unter Elisabet gegossen, und zeigt uns den Zar in der Impe-ratorentracht zu Pferde, in der Hand den Feldherrnstab; an Schönheit kann es sich mit dem neueren auf den« Petersplatz nicht messen. Dieses wurde unter Katarina II. gegossen und an» ?. August ^782 unter großen Feierlichkeiten enlhüllt. Dcr mit den: Lorbeerkranz geschmückte Kaiser sprengt einen Felsen hinan, mit der er° hobenen Rechten nach der Newa weisend (siehe Seite 5>7). Zu den Füßen des Pferdes windet sich eine zertretene Schlange. Die ganze Statue ist 5 Meter hoch, die Gestalt des Raisers 3 Meter. Da das Pferd, sich hoch bäumend, auf den Hinterfüßen ruht, ist der Vronzegnß gegen den hintern Teil des Pferdes zu allmählich verstärkt worden, so daß er dort ."> (Zentimeter dick ist, während der Dorderteil nur eine Dicke von ^ Centimeter besitzt. Um den Schwerpunkt noch mehr zu sicheru, wurden außerdem 5000 Kilogramm Eisen in den Hinterteil des Pferdes und in dessen Schweif eingegossen. Den Guß leitete der Vildhauer Falconet, der auch die Statue modelliert hatte, und im Jahre ^?7."i war dieselbe fertig. Mehr Schwierigkeilen bereitete die Herbeischaffung des riesigen Granitblockes, auf dem sie befestigt werden sollte. Derselbe ist jetzt ^ Meter lang, 5i Meter hoch und <> Meter breit, doch als er nach Petersburg kam, war er fast dreimal so groß. Es eristiert noch ein alter Stich, welcher den Transport des „Grom" (Donner) genannten Riesenblockes aus der Umgebung des karelischen Dorfes ^achta nach dem ^2 Werst entfernten Petersburg darstellt. Man sieht darauf am Waldesrand eine Menge Kutschen, welche die vornehme Welt Petersburgs nach Tachta gebracht haben, um Zeuge des seltenen Schauspiels zu sein. Hoch oben auf dem Felsblock stehen zwei Tambours, die sich eben anschicken, durch einen Trommelwirbel die ermattenden Arbeiter aufzumuntern; der ganze Vlock ist mit Arbei« tern bedeckt, die beschäftigt sind, denselben zu beHauen, und auf dem untersten Absatz, von dem aus man auf einer weiter weiter aufwärts steigt, ist eine vollständige Schmiedewerkstätte nut Amboß und Feuerherd eingerichtet, während Hunderte von Arbeitern sich bemühen, den Felskoloß vorwärts zu bewegen. Der Stein rückte trotz aller Anstrengungen nur sehr langsam vorwärts, und die zu überwindenden Schwierigkeiten waren so groß, daß die Regierung schließlich 7000 Rubel Belohnung demjenigen zusicherte, der deu Transport desselben nach der Hauptstadt ermöglichen würde. Als endlich der Vlock glücklich an der Newa angelangt war, hatte der Transport bereits ^60 000 Rubel verschlungen, und noch im letzten Augenblicke wäre bald alle Mühe und aller Geldaufwand vergebens gewesen, da beim Transport über den Strom das Schiff, welches den Vlock aufgenommen hatte, zu sinken drohte. Gewaltige Gebäude schließen gegen Westen und (l)sten den Platz ein, auf dem das Denkmal steht. Auf der Westseite erhebt sich am Newaufer das Senatsgebäude, nach Rossis Plänen, der Sitz des Senats, des obersten Gerichtshofes des Reiches. An der Spitze des Senats steht der General- oder Gberproknrator. Vevor der Reichsrat, die General-Kontrolle und die Geheime Kanzlei des Kaisers errichtet wurden, hatte der Senat die oberste teitung aller Angelegenheiten; jetzt steht ihm nur die publizierung und Registrierung der Gesetze und Verordnungen zu, er ist die letzte Instanz für Staatsverbrechen und in allen Civil- und Krinünalangelegenheiten, entscheidet Streitigkeiten wegen Grundbesitzgrenzen u. s. w. Neben dem Senatsgebäude befindet sich auf der Westseite des Platzes der heilige Synod, mit jenem durch einen hohen Bogengang verbunden, was der Senat in weltlichen Angelegenheiten ist, das ist der heilige Synod in allen Angelegenheiten, welche in die Wirkungssphäre der Geistlichkeit fallen. Er wird gebildet durch die Metropoliten von Nowgorod, Petersburg und Finnland, mehrere Erzbischöfe und Archimandriten, und die Großalmoseniere der kaiserlichen Familie und der Armee. Die Synode gehört auch zu den vielen reformatorischen Schöpfungen Peter des Großen. Durch ihre Errichtung brach Peter mit uralten Traditionen dcr russischen Kirche, aber dieser )5ruch war unvermeidlich, wenn er seine Reformen gegen die größte ihnen drohende Gefahr, die Anfeindung durch die höhere Geistlich« lichkeit sichern wollte, wir haben bereits wiederholt auf die bevorzugte Stellung hingewiesen, welche sich die Weltgeistlichkeit zu erringen und zu wahreu verstand. Das Christentum hatte in Rußland von Konstantinopel aus Eingang gefunden, und Jahrhunderte lang war alles russische (and so zu sagen nur ein Teil der Diözese des Patriarchen von Konstantinopel. Die ersten Geistlichen Rußlands waren Griechen, und »nit Griechen waren lange Zeit alle höheren geistlichen jvürden besetzt. Erst durch die Tatarenherrschaft wurde das Verhältnis zur Mutterkirche gelockert. Die Großfürsten nahmen nun für sich das Recht in Anspruch, den Metropoliten von Kijew, das kirchliche Haupt Rußlands, zu ernennen, und der Verkehr mit Konstantinopel wurde auf die Reise beschränkt, welche der zum Metropoliten Ernannte unternahm, um sich vom palriarchen in Ronstantinopel weihen zu lassen. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts hörte auch dieser verkehr auf, der Metropolit erhielt die weihe von den versammelten russischen Vischöfen, und als unter Fedor I. ^58Z Rußland einen eigenen Patriarchen erhielt, welcher jenen von Ronstantinopel, Antiochia, Jerusalem und Alerandlien an Rang gleich gestellt wurde, hatte die russische Kirche ihre völlige Unabhängigkeit gewonnen. Die Patriarchen von Mos> kau erlangten rasch großes Ansehen uud bedeutende Macht, welche letztere sie nicht nur in geistlichen, sondern auch in weltlichen Angelegenheiten geltend zu machen suchten. Ein energischer Patriarch, wie Peters Zeitgenosse Adrian, war ein nicht zu unterschätzender Gegner, da der weliky gosudar (große Herr), wie der Patriarch tituliert wurde, namentlich in Glaubenssachen bei der großen Masse des Volkes mindestens ebensoviel, wem» nicht mehr galt als der dock? so hoch verehrte Zar. Nie und nimmer hätte Peter den Patriarchen bewegen sönnen, seine Zustimmung zu solchen Anordnungen zu erteilen, wie die Vesteuerung der geistlichen Güter, das verbot des Eintritts in ein Kloster vor zurückgelegtem 50. Lebensjahre, die Einführung einer neuen Jahres-rechnung, das Verbot des Tragens langer ^ärte u. s. w. Das Glück, das ihn so auffallend in allen seinen Unternehmungen begünstigte, blieb ihm jedoch auch hier treu, und der Tod des Patriarchen im Jahre ^7l»() half Peter über alle Schwierigkeiten hinweg. Trotz allen Drängens wurde der Patriarchenstuhl nicht wieder besetzt, und die Geschäfte wurden durch ein Erarchat von Rjäsan besorgt. Peter spielte ein gewagtes Spiel, indem er in der nächsten Zeit die unbegrenzte Verehrung, welche das Volk dem Patriarchen entgegenbrachte, mit allen möglichen Mitteln zu erschüttern suchte, und sich auch nicht scheute, bei Maskenaufzügen die Person des Patriarchen lächerlich zu machen; gelang ihm aber das letztere, so konnte er auch sicher sein, daß er sich des gefährlichen Gegners für immer entledigt habe. Gleichzeitig suchte er das Volk darau zu gewöhne», die Patriarchenwinde mit der des Zaren vereinigt zu sehen, und fungierte bei verschiedenen feierlichen Gelegen» heiten als Patriarch. Ruhig, ohne Überstürzung verfolgte er sein Ziel. Nachdem er dann die Jurisdiklions-rechte des Klerus bedeutend beschränkt hatte, errichtete er am 2H. Februar ^72 ^ den Heiligen Synod als höchste kirchliche Vehörde, und erklärte sich selbst zum Oberhaupt der russischen Rirche. Der Synod hatte anfangs seinen Sitz in Moskau; er bestand aus ^2 geistlichen Mitgliedern und einen, weltlichen Vertreter des Kaisers, den, Prokurator des Synods. Nur über rein theologische Fragen sollte er entscheiden, und auf die lvahl der Bischöfe keinen andern Einfluß ausubeu, als daß er dem Kaiser zwei Kandidaten für einen vakant gewordenen Sitz namhaft machte, aus denen dieser einen wählte. Die Entscheidung über die Verwaltung des Kirchengutes jedoch halte der Kaiser sich allein vorbehalten. Diese letztere Bestimmung ermöglichte es später Katarina ll. im Jahre ^?6H, alle jene Kirchen» und Klostergüter einzuziehen, zu welchen leibeigene gehörten, und sie teils zur Gründung von Seminarien und Schulen, teils zur Unterstützung der religiöseu Propaganda in Sibirien zu verwenden. Die Vereinigung der höchsten geistlichen und weltlichen Macht in der Hand des Kaisers hat sich für Rußland von den wohlthätigsten Folgen erwiesen. Ein solches Auflehnen gegen die Staatsgewalt wie bei dem katholischen Klerus mancher tänder ist bei der russischen Geistlichkeit völlig undenkbar und unmöglich, und keinem russischen Geistlichen könnte der Gedanke kommen, den Einfluß des Kaisers iu geistlichen Angelegenheiten beschränken zu wollen. Der Klerus weiß nur zu wohl, welche bedeutende Verbesserung seiner läge er dem humanen Einwirken der Kaiser verdankt. Die furchtbaren leibesstrafen z. ^5., denen er bei den gerinfügigsten vergehen früher unterworfen war, sind durch kaiserlichen Einfluß abgeschafft worden. Als ei», Iwan der Große seine Unterthanen unter den entsetzlichsten Folterqualen hinschlachtete, fiel es nicht auf, wenn anch der Klerus von seinen Oberhirtcn hart gestraft wurde; wohl aber war es mit den Ideen des Humanismus im Zeitalter einer Katarina II., der Gönnerin Voltaires, nicht mehr vereinbar, solche Zustände fortbestehen zu lassen. Noch im Jahre ^?48 hatte z. N. der Bischof von wologda jene Geistlichen mit schweren leibesstrafen bedroht, welche zerrissene Kleider oder solche von grobem Stoff trugen, und derartige Verordnungen gehörten nicht zu den 8' ----------- ssd ---------- Seltenheiten. Nnter Katarina ^1. wilrde die körperli^che Züchtigung aus dem geistlichen ötrafkoder gestrichen, und ein neues, huinaneres Verfahren trat an die Atolle des alten. Darum steht auch der Raiser, obwohl er das oberste Haupt der Kirche ist, doch hoch über dem Getriebe der Karteien: die niedere Geistlichfeit kann wegen dieser oder jener Verordnungen unzufrieden sein, aber nie wird jemand die geheiligte Person des Kaisers damit in Verbindung bringen, die Unzufriedenheit richtet sich höchstens gegen den Gberprokurator, den Stellvertreter des Monarchen, der als Taio, überdies vielleicht noch gar dem Militärstand angehörig, sich nicht solcher öympathieen erfreut wie die öynodalmitglieder des geistlichen Standes. Rutschdalzncn. Durch die feste l)ereinigung der geistlichen und weltlichen ^Nacht hat die russische Kirche auch eine Oerbreituug erlangt, die sie, auf ihre eigenen Mittel angewiesen, kaum erlangt haben würde. In erster Reihe sind da die Bestrebungen ;ur Tostrenmmg der griechischen Rirche Polens von Rom zu nennen. Vereits unter Katarina II. gelang es, nach der ersten Teilung Polens über eine Million Menschen für die russische Rirche zu gewinnen, da in den neucrworbencn polnischen Gebietsteilen der Erzbischof von Minsk und der Bischof von Eisgang auf der Ilcwa. _____ HH Mohilew der von der Kaiserin angestrebten Trennung von Rom geneigt waren, Seitdem ruhten jedoch die vereinigungsversilche, und erst unter Kaiser Nikolaus kamen sie durch die Errichtung eines griechisch-unierten Kollegiums unter dein Vorsitz des Metropoliten der NniVrten Kirche Rußlands wieder in Fluß; sie endigten nach der polnischen Revolution von ^830 damit, daß sich die müerte Geistlichkeit auf einer Synode zu plozk völlig von Rom lossagte und trotz aller Proteste des Papstes die Aufnahme in die russische Kirche feierlich vollzogen wurde. Das griechisch-unierte Kollegium erhielt den Titel „Weiß>russisch-lithauisches Kollegium", und der Bischof von Lithauen wurde als Archimaudrit des Dreifaltigkeitsklosters in wilna Präsident des Kollegiums. Noch größern Erfolg errang jedoch die Propaganda der russischen Kirche in den Ländergebieten im Gsten, welche dem Zarenreich allmählich einverleibt wurden. Der versuch, eine Vereinigung der armenischen mit der russischen Kirche herbeizuführen, mißlang zwar, da die Armenier ihren Patriarchen den: russischen Einfluß dadurch entzogen, daß sie den Patriarchensitz von den: Rußland einverleibten Kloster Etschmiadzin auf türkisches Gebiet verlegten, aber bei den heidnischen Volksstämmen in den Gouvernements Kasan, Saratoff, Samara, Astrachan und Grenburg, bei den Tschcremissen, Tschuwaschen, Mordwinen, Kalmyken, ferner in, Kaukasus, bei den Tschuktschen im Nordosten Sibiriens, und in den russisch-amerikanischen Kolonieen fand das Christentum immer mehr Eingang. Das russische Kaiserhaus selbst war dabei so eng mit der Staatskirche verwachsen, daß ein Glaubenswechsel seiner Angehörigen als etwas völlig Undenkbares erschien; nie tritt eine russische Prinzessin bei ihrer Verheiratung zur Konfession des Gatten über, sie bleibt stets ihrem Glauben treu, und an ihrem neuen Ivohnort entsteht alsbald eine russische Kapelle, in welcher sie dem von russischen Popen verrichteten Gottesdienst beiwohnt, wogegen alle fremden Prinzessinnen, welche russische Großfürsten heiraten, gleichzeitig zur russischen Kirche übertreten müssen. Die Befreiung des Zareutums von der Patriarchenmacht war die wichtigste der Reformen Peters; von ihr hing das Gelingen und die dauernde Sicherung aller anderen Reformen ab. Man konnte daher keinen passendern Platz für das Denkmal des Zaren wählen als den platz vor dem Gebäude, in welchem die Behörde ihren Sitz hat, in welcher die neue Grdnung der kirchlichen Angelegenheiten verkörpert ist — um so mehr, da drüben, auf der andern Seite des Denkmals, noch ein Gebäude steht, welches ebenfalls an eine für Rußlands Machtstellung hochwichtige Reformthätigkeit Peters erinnert. Die Ostseite des Petersplatzes nimmt das Gebäude der Admiralität ein, das in jüngster Zeit durch die Petersburger Gartenbaugesellschaft, welche in der Duma ihren Sitz hat, mit schönen Gartenanlagen, dem Neueu Alerander-Garton, in dessen Mitte eine Fontäne ihren Strahl hoch in die Lüfte sendet, umgeben wnrde. Es bildet ein Parallelogramm von H20 Meter Länge und H80 Meter Vreite, die Front nach der Newa gerichtet, und zeichnet sich trotz seiner Größe durch leichte, gefällige Formen aus. Gegründet wurde das Adnüralitäts-gebäude bereits durch Peter den Großen, doch die Vorratshäuser, welche er in den fahren ^?0H bis ^705 aufführen ließ, waren noch von Holz und nur mit Palissaden und einem Erdwall umgeben. Erst ^7^ wurde ein steinernes Gebäude für das Admiralitätskollegium errichtet und einige I)ahre später der ganze Kompler mit festen lvällen unigeben. Der Turm wurde ^?."»^ bis ^755 unter der Kaiserin Anna erbaut. Mehrmals erneuert und verstärkt, verschwanden die Wälle erst unter Paul I., der an ihrer Stelle mit Anden bepflanzte Voulevards anlegen ließ. ^etzt befinden sich in dein Admiralitätsgebäude das Marincministerium, die Seekadettenschule, das Marine-Museum und eine 7>0<)ll() Vände zählende Bibliothek. Das Museum ist reich an Erinnerungen aus den Tagen Peter des Großen, es enthält Zeichnungen von seiner Hand, die Fahne des Schiffes, auf welchen« der Zar an der Seeschlacht von Asoff teilnahm u. s. w. Auch die russische Marine gehört zu den Schöpfungen Peter des Großen. In Holland und England hatte der Zar den lvert einer Flotte kennen gelernt und sich dadurch bewogen gefunden, sich im Seewesen und allem, was damit zusammenhing, gründlich unterrichten zu lassen. Als der Gipfelpunkt der Vollkommenheit erschien ihm, zu trinken wie ein Engländer und ein ebensolcher Seemann zu sein wie jener, aber seine Bojaren wollten lange nicht begreifen, daß eine Flotte eine Macht repräsentiere und daß es sich lohne, um mit dem dein Seewesen vertraut zu werden, als gemeiner Zimmermann auf ausländischen Schiffswerften zu arbeiten, wie ihr Zar gethan hatte. Die russische Kriegsflotte hat später in den Kriegen gegen Schweden fuutcr Gustav III.) sehr gute Dienste geleistet, und Rußland war lauge Zeit die allein dominierende Seemacht in der Gstsee, aber mit dem riesigen Aufschwung, deu iu neuester Zeit das Flottenwesen einzelner känder genommen, hat Rußland nicht gleicheu Schritt gehalten, und seine Flotte ist heute im Verhältnis zu seiner Macht und seiner Küstenausdehuung eine zie>nlich kleine, was zum Ceil wenigstens auch dariu seinen Grund habeu dürfte, daß die starken Seefestungen iu den ballischen Gewässern — Sweaborg, Kronstadt, wyborg, l^elsingfors, Dünainünde u. s. w. — Rußland eine kräftige Defensive nach der Leeseite auch ohne Flottenschutz ermöglichen. Die russische Schlachtstotte besteht gegenwärtig aus 7 Panzerschiffen, zu denen im s^aufe dieses Jahres noch zlvei große Fregatten hinzukommen werden, die auf einheimischen Werften gebaut sind; ferner aus 2 Fre< gatten vou 5 und ^'/.^ Panzerstärke, mit ^7, beziehungsweise 22 Geschützen und t,55 oder s,80 NIann Besatzung, einem Kasemattschiff von H Zoll panzerstärke mit ^6 Geschützen und Hs>5 Mann Besatzung, und drei uuvollstäudig gepanzerten Fregatten mit 6, ^0 und ^ Hafen liegt, durch dcn es mit Westeuropa verkehrte, bevor der große Zar „das Fenster nach Westen" erschloß, dort wächst die Uferbevölkerung so zu sagen in, unaufhörlichen Rampf mit der stürmischen See auf; schon die Kinder begleiten den Vater im kleinen Fischerboot auf das Meer hinaus und lernen frühzeitig mit Ruder uud Segel umzugehen und inmitten des Tobens der entfesselten Elemente mit kaltem ^lut die Arbeit auf Deck zu verrichten. In diesem abgehärteten, kühnen Schiffervolk besitzt Rußland zum mindesten einen ebenso tüchtigeu Stamm von Matrosen für seine Flotte wie Frankreich in dem Fischervolk der vretagne und Normandie. Der f)latz vor dem Admiralilälsgebäude, der Admiralitätsplatz genannt, der mit dem Petersplatz und den, hinler diesen: liegenden Senatsplah ein großes Ganze bildet, war früher jährlich der Schauplatz der geräusch« ^tcr5l>inv^> ^mnilm^. vollen Volksbelustigungen der Maslen^itza. Die ^Zutterwoche wird in der Stadt nicht so lärmend gefeiert wie auf dem kande (siehe 23and l, Seite ^<>H), aber auch die Stadtbevölkerung laßt sich dieses Nationalvergnügen nicht rauben. Ist doch die Maslenjitza, wie der Russe sagt, der universale, der Allerweltsfeiertag! wer zählt die vielen Veinamen, mit denen er sie bezeichnet? öie ist ihm die Nichte des Semis, des (Vand l, Seite ^<><> erwähnten) Frühlingsfestes, die «Lhrenwoche (tschHnaja nediel^a), die lustige (weselaja), die breite (schir,'»kaja) Woche, die „Schwester von dreißig Brüdern und die Lnkelin von vierzig Groß»uültern", „dreier Mütter Tochter", ein „papierner Körper mit Zuckermund" u. s. w. Jeder einzelne Tag der Vutterwoche hat seinen eigenen Namen. „Die Vewillkommmmg" (wstrj«tscha) heißt der Montag, der Faschingsdienstag „Der Spieltag" (süi'gryschi), der Mittwoch „(eckermaul" (läkomka), der Donnerstag „Der Vreite" (schir6ky), der Freitag „Die Schwieger, mutter, der Sonnabend „Der Schwägerin Abendgesellschaft" (solüwkiny possidMki), der Sonntag „Der Abschiedstag" (proschtsch^lny den). Alle diese Namen weisen darauf hin, daß die Vuttcrwoche eine Zeit un> 9 _____ HH_____ gebundener Heilerkeit ist, nach den langen, düsteren wintertagen das erste Anzeich.'n des nahenden Frühlings, während der Russe keinen seiner anderen Festtage vorübergehen läßt ohne Frage»» an das Schicksal zu stellen, durch die er die Zukunft zu erforschen sucht — ob die Ernte gut ausfällt, ob in diesem )ahre geheiratet wird, u. s. w. —, hat er während der Vutterwoche für solche ernste Angelegenheiten keinen Sinn, da will er sich bloß unterhalten, die Vulterwoche ist ausschließlich dem vergnügen gewidmet. ^)n Petersburg herrscht auch die ganze Woche, Tag für Tag bis lief in die Nacht hinein eine gehobene, festliche Stimmung, aber die Rücksicht auf den verkehr der Wellstadt, der nicht gestört werden darf, hat das eigentliche Fastnachtstreiben der Butter woche auf einen verhältnismäßig kleinen Raun» beschränkt, auf dem es sich jedoch dafür um so toller austobl. Vis vor kurzem war für dieses volkssvst der Admiralitätsplatz bestimmt, Seit drei fahren ist derselbe aber nicht mehr der Schauplatz des bewegten Treibens der Vutterwoche. Die schönen Anlagen, die ihn jetzt bedecken, stehen der Errichtung der Vuden im Wege, und »nan hat diese nach einem entlegenern Teil der Stadt verwiesen, nach den: Marsfelde neben dem Sommergarten, das sich wegen seiner großen Ausdehnung besser zu solchen Volksfesten eignet als der Admiralitätsplatz. Das Marsfeld verwandelt sich in den Tagen vor der Vulterwoche in eine Vudenstadt. Da sieht man Schaubuden aller Art, Caroussels, schaukeln, Panoramas, Riesen und Riesinnen, Menagerieen u. s. w., und die Ausrufer, die auf den Tribünen stehen, bemühen sich mit dem Aufgebot ihrer letzten Stimmmittel die Herrlichkeiten und die Wunderdinge, welche ihre Vude birgt, in noch lebhafteren Farben zu schildern als dies schon durch die in greller Färbung viel bietenden Riesengemälde geschieht, welche die wände der Vuden be-dccken. Da hat sich ei» Panorama des Vrandes von Paris nach langen Wanderungen auch nach der Newa verirrt, und der Ausrufer verkündet der gaffenden Menge: „Hier kann man sehen, wie die Stadt Paris niederbrennt! Wer tust hat, wird mit verbrannt. Nur immer herein, jetzt ist gerade das Feuer am bestell zu sehen!" Und wie diesem der Atem ausgeht und er einen Augenblick inne hält, läßt sich sofort der Konkurrent von der andern Seite vernehmen: „Hier sieht man die Erstürmung von Geok-Teve! Der berühmte General Skobeleff steht im dichtesten Kugelregen und rings um ihn liegen Verge von erschlagenen Turkmenen, dazwischen unsere Heldensoldaten. Dein einen find durch eine Kanonenkugel beide Hände weggerissen, dem andern beide Füße, dem dritten der Kopf, aber unsere Helden kümmert das nicht, sie ranchen rnhig ihre pfeife!" So geht es weiter, einer sucht den andern zu überbieten, uud wenn die harmloseren Scherze nicht mehr verfangen, dann kommen die derberen, gepfefferten. Das Publikum, das sich vor den Vuden versammelt, kann ja eine starke Dosis der letzleren vertragen. Die populärsten Gestalten sind die sogenannte» Stariki (Alten) mit lang herabwallendem weißen Haar und bis zum Gürtel reichenden Värten, die »nit endlosen gereimten Ansprachen das Publikum zum Vesuch des macht und ihr Vesuch empfohlen wird. Mehr als einige Kopeken kostet aber auf dem Marsfelde kein vergnügen, wenn man nicht d,e ersten Plätze bei de», Aufführungen beansprucht, die ein bis anderthalb Rubel kosten. Auf diesen kann man häusig elegant gekleidete Damen uud Herren aus den höheren Sländen erblicken, die auch eiumal die Späße des Meisters Harlekin sehen wollen. Die Masse des Volkes drängt sich auf den letzten platz, wo man 20 Kopeken (etwa ">l) Pfennig) zahlt. Die Vorstellungen in den großen Vuden, den Valaganji, beginnen um Mittag und werde»» bis zum Abend ununterbrochen fortgesetzt. Zur Aufführung ge« langen nur Pantomimen. 5)7 Außer den Schaubuden haben für die Besucher der Valaganji den meisten Reiz die Schaukeln und die Rutschbahnen. Die ersteren, von jener Art, die man auch bei uns bereits als „russische schaukeln" kennt, sind cinc tieblingsbelustigung dos gemeinen Bannes, der sich stundenlang in ihnen wiegen kann, ohne dieses Vergnügens überdrüssig zu werden; er wird die Valaganji gewiß nicht verlassen, ohne sich geschaukelt zu haben und ohne mehrmals von den Eisbergen gerutscht zu sein. Die Eisberge sind so errichtet, daß die Fahrfiächen parallel in geringer Entfernung neben einander herlaufen. «Line steile Holztreppe führt auf eiu etwa ,">l) Fuß hohes Gerüst, von dessen Spitze man die Fahrt beginnt. Am Fuß der Treppe stehen stets einige Mushiks mit kleinen Stuhlschlitten, die ihre Dienste anbieten; wer eine Rutschfahrt unternehmen will, setzt sich hinter den Mushik auf den Stuhl, der Aufseher, der oben die Abfahrt überwacht, giebt dem leichten Fahrzeug einen Stoß, und im nächsten Augenblick saust es mit Blitzesschnelle die steile Vahn hinab und, unten angelangt, noch einige hundert Schritte auf der glatten Fläche weiter. Die Habitues der Rutschbahn bedürfen jedoch der Hilfe des Mushik nicht, der mit seinen in dicken Pelzhandschuhen steckenden Händen den Schlitten vor Zusammenstößen mit nebenher fahrenden zu behüten sucht; manchen Rotbart in Uaftan und Pelzmütze kaun man da mit seiner Dulcinea unter gellendem jauchzen im Schlitten herabsausen sehen, um, am Ende der Rutschbahn angelangt, nach einem wärmenden Schluck Thee oder Wodka sofort wieder das nächste Gerüst zu besteigen und auf der andern Rutschbahn die Strecke zurückzufahren (siehe Seite (>0). Das luftbad, das auf solcher Fahrt genossen wird, macht innere Erwärmung nötig, und so sieht man denn die paare, welche soeben noch im Schlitten dahersausten, nun zärtlich umschlungen einer der vielen Vuden zueilen, in denen Speisen und Getränke feilgeboten werden: die in der Nutlerwoche auch auf der feinsten Tafel nicht fehlenden Vlin/ (Pfannkuchen aus Sahne, Vutter und Mehl), mit saurer Sahne oder geschmolzener Gutter bestrichen, und Meth, Awas, Thee und Wodka — auch d?r Nüsse nicht zu vergessen, die zwischen den Valaganji unablässig von alt und jung geknackt werden, in welcher Beschäftigung sich die Arm in Arm mit ihrem angeheiterten liebsten schaukelnde Schöne auch auf der Schaukel nicht stören läßt. Wenn der Abend kommt, ist das Treiben zwischen den Vuden schon sehr geräuschvoll geworden, denn die Mehrzahl der Besucher hat zur Feier des Tages den vorhandenen Getränken reichlich zugesprochen. Der Tag muß ja mit ei»em Rausch beschlossen werden; es wäre ein verstoß gegen das Herkommen, wenn es nicht geschähe, und einen solchen läßt sich kein echter Mushik zu schulden kommen. An Wochentagen befleißigt er sich meist einer großen Nüchtern» heit, aber die Festtage sind seiner Meinung nach dazu da, daß man sich für die sonstige Enthaltsamkeit entschädigt, wie der Deutsche oder der Engländer und Franzose Abend für Abend im Wirtshaus zuzubringen, das ist nicht uach dem Geschmack des g>meinen Mannes in Rußland. Er besucht den Rabak nieist nur am Sonntag, aber dann will er auch austoben. Dies ist noch eine Angewohuheit aus alter Zeit, aus den Tagen ^wan wassiljewitsch N!., unter dessen Regierung die Rabat's nur an Sonn- und Feiertagen geöffnet werden durften, das Volk also an Wochentagen keine Gelegenheit hatte, sich zu bctrinken. Die Gewohnheit, die Gäste an Feiertagen bis zur Trunkenheit mit Getränken zu bewirten, wurzelt fast unausrottbar im russischen Volke, und alle Bemühungen der Mäßigkeitsapostel werden dort so lange scheitern, als der gemeine Manu eine Taufe, ein Namensfest, eine Hochzeit, ein Begräbnis ohne Trinkgelag für undenkbar hält. So beschließt denn der geineine Mann auch jeden Tag der Vutterwoche mit einen« größern oder geringern Rausch, und in den späteren Abendstunden kann »nan durch die Straße», die zum Marsfeld führen, gar manche«: betrunkenen wanken sehen, und die Gorodowois haben ihre liebe Not mit den heimkehrenden balagauji-Vesuchern, von denen mancher Neigung zeigt, nicht erst sein bett aufzusuchen, sondern seinen Rausch im Freien auszuschlafen. Ernste Ruhestörungen, Streit und Rauferei kommen aber höchst selten vor. wenn dem Mushik das Geträuk zu Ropfe zu steigen beginnt, wird er ausgelassen lustig, jauchzt und tanzt, umarmt und küßt alles, was ihm in den weg kommt, und zieht schließlich mit einem halben Dutzcud wankender Gestalten, jeder die Arme zärtlich um den Hals des Nebenmannes geschlungen, singend zu den Schaukeln, um sich dort so lange zu wiegen, bis die Geister des Alkohols die lärmende Gesellschaft zum Schweigeu bringen. Das Maisfeld (Marß^woje pole), auf dem dieses Volksfest stattfindet, liegt ziemlich nahe am kaiserlichen Winterpalais. Es hat die Form eines Trapezes und wird auf den beiden Schmalseiten von der Moika und dem Marmorpalais des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch, auf den Tangseiten von der 68 Narwa-Crnlmphbogcn. Oawlowsfischcn Aaserne und vom öommergarten begrenzt. Früher n^ar auch das ^larsfeld ein Garten „wiese der Aaiserin" (Zarizyn lug) gcnmmt, und lsicr lag a»lch das klcinc Palais, in wclche>n die spätere Kaiserin . April ^86. Mär; ^88^ das Nihilisten^Attentat auf den Raiser Alexander II. stattfand. Das Michailowsche Palais, dessen Front dem großen Michaelsplatz zugekehrt, ist eins der schönsten Petersburgs. Ls wurde ^8^y bis ^825 nach Plänen Rossis für den Großfürsten Michael erbant; jetzt bewohnt es des Großfürsten Tochter, die verwitwete Herzogin von Mecklenburg-Strelitz, Großfürstin Ratarina Michailowna. Der ganze große Raum, welcher von der Moika, der Fontanka, dem Aanal und der die beiden letzteren verbindenden Großen Italiänischen Straße begrenzt wird, ist mit Gebäuden bedeckt, nut denen der Name des Großfürsten Michael verbunden ist: das kaiserliche Michael-Theater, die Michaels-Manage und die BereiteoSchule und das schon erwähnte Alte Michailowsche Palais, jetzt Ingenieurschule, vor welchen: Rastrellis Denkmal Peter des Großen steht. Dieses alte Palais, ein düsterer gotischer Bau, verdankt der Vorliebe für das Mitlelalter, welche Raiser Paul l. hegte, seine Lntstehung. Ls wurde bald nach dem Regierungsantritt des Raisers nach dem Muster mittelalterlicher Burgen erbaut, eine Festung mitten in der Stadt, mit mächtigen Türmen, gußeisernen Thoren, Fallgittern und Zugbrücken, wällen und Gräben; 20 Geschütze standen auf den Bastionen. In dieser Burg, deren Lrbauung ^8 Millionen Rubel gekostet, wohute dcr Raiser, dort starb er auch in einein Zimmer des zweiten Stockes am 2H. März ^80^. An die Zeit, in der das Schloß Zarenresidenz war, erinnert heute nur noch der unverändert erhaltene Thronsaal; alle anderen Räume sind zu Schulzwecken verwendet worden. An die dem Michailowskischen Garten gegenüberliegende Schmalseite des Marsfcldes grenzt der Suwaroff-Plah, dcssen Mitte das Denkmal Suwaroffs einnimmt, ein werk der Zopfzeit, unter Raiser Paul von Roslowsky dem berühmten Feldherrn errichtet, der für seinen Feldzug in der Schweiz und Italien den Titel Fürst Italijsky erhielt. Als römischer Feldherr gekleidet, schwingt Suwaroff in der Rechten das Schwert und hält mit der tinken einen Schild schützend über die päpstliche Rrone und die Kronen von Neapel und Sardinien, -------- 72 -------- «Line Reihe von Palästen zieht sich vom Suwaroff'platz längs der Newa bis zur Eremitage hin: das Palais des Großfürsten Konstantin Nikola^ewitsch, auch das Marmorpalais genannt, ein bnrgähnliches Gebäude, dessen Unterbau aus großen Granitblöcken besteht, dadurch »nerkwürdig, daß zu demselben nur Stein oder Nietall verwendet wurde, selbst die Fensterrahmen sind von Eisen, und das mit Kupferplatten gedeckte Dach ruht auf eiserne»» Trägern; das Palais des Großfürsten Michael Nikolajewitsch und das im ssoreutinischen Stil erbaute des Großfürsten Wladimir Alerandrowitsch. Die Strecke vom Suwaroff-Platz bis zum kaiserlichen Winterpalais ist der vornehmste Teil der Stadt, aber auch der Tage nach der schönste. Hin Sommer genießt man hier die Aussicht auf die seeartig sich erweiternde Newa mit dem regen verkehr am Landungsplätze beim Zollgebäude, und in« Winter tritt an die Stelle des Schiffsverkehrs ein anderes, nicht minder fesselndes T^ild, wenn die Zeit der winteroergnügungen auf der weiten Eisfläche gekommen ist. Schon in den ersten Tagen des November kommen auf der Newa Eisstücke aus den» kadoga-See herabgeschwommcn, und gegen Ende der zweiten Noveniberwoche ist der ganze Fluß mit Treibeis bedeckt, das bald ins Stocken gerät, He nach der herrschenden Kälte, in H oder 6 Tagen, ist die Eisdecke bereits so fest, daß schmale Stege für Fußgänger über dieselbe gelegt werden können, und bald wird auch den Hswustschiks und anderen leichten Fuhrwerken der verkehr über den Strom gestattet. Sobald aber das Lis eine solche Stärke erlangt hat, daß es auch schwere basten zu tragen vermag, ist der gefrorene Strom von» frühen Morgen bis zum späten Abend mit taufenden von Fuhrwerken aller Art bedeckt, die sowohl den Personen- als den Warenverkehr zwischen der Stadt, den Inseln und der wyborger Seite vermitteln. Dann beginnt auch alsbald die Arbeit der Eishacker, welche in den Wintermonaten viele tausend Hände beschäftigt, von weither kommen die dauern mit ihren Schlitten nach Petersburg, um sich bei den Pächtern, welche von der Duma das Recht zur Ausnutzung einzelner Eisstrecken erworben haben, als Eishacker zu verdingen. Der Verkauf des Newaeises bildet in Petersburg einen sehr bedeutenden Handelszweig. Die Stadt zählt gegenwärtig über 21^000 Häuser; da ziemlich jedes Haus einen Eiskeller besitzt, zu dessen Fülluug durchschnittlich 25) große Eis« blocke nötig sind, so braucht die Bevölkerung selbst ein (yuantun» von etwa einer halben Million Lisblöcken. He nach der Jahreszeit und der Entfernung, nach welcher er gebracht werden muß, wird der Nlock mit ^0 bis 7>() Kopeken bezahlt; nimmt man als Durchschnittspreis 20 Kopeken an, so beträgt der Konsum dcr Bevölkerung ^ Million Rubel. Der bedarf der Konditoreien, Restaurants und verwirtschaften, der in d'< l Zahl nicht mit »«»begriffen ist, repräsentiert aber auch noch eine bedeutende Summe. Und wie gewaltige O l--massen, Milliarden nicht auszunützender werte, schwimmen jährlich, wenn das Eis sich hebt, bei Petersburg vorbei, während für mehrere Millionen Dollars Eis aus dem fernen Amerika nach den südlicheren 3ändi,rn Europas gebracht ivird, wo als Konkurrent aufzutreten Rußland durch die gefrorene See verhindert wird! Auch der südlicheren Provinzen Rußlands muß man gedenken, wenn man die Ausnutzung des Newacises in betracht zieht, während man in der nordischen Residenz für einige Kopeken einen Zentner Eis kauft, wird am Südufer der Kryn» ein kleiner Klumpe»» gefrorenen Schneees, den ein Tatar weither aus dem Gebirge gebracht hat, sozusagen mit Gold aufgewogen, und es lohnt sich dort, Eis künstlich zu erzeugen, trotzdem die dazu nötigen Maschinen etwa 25 000 Francs kosten. Das ist auch einer der Gegensätze, die nur in den» Riesenreich möglich sind, das sich durch 40 Breitengrade erstreckt und in dem im November einer Kälte von — HH,^l, ^ ^ Iafutgf ^ 22" i'n der kaukasischen Hafenstadt poti gegenüberstehe»» können. Doch nicht allein durch den Lisverkauf wird die Newa in den Wintermonaten zur Ernährerin vieler Tausende. Die großen Schielfplätze, die trotz des oft mit eisigem Hauch über die Stadt hinstürmenden Nordwindes, und trotzdem es bereits nach zwei ein halb Uhr zu dunkeln beginnt, vom Morgen bis in die Nacht mit Schlittschuhläufern bedeckt sind, bilden sowohl für die Duma als für die Pächter eine gute Einnahmequelle. An den Ufern stehen Männer mit bequemen Schlittenstühlen bereit, die für 3 Kopeken die Überfahrt über den Strain übernehmen. Und in den Feiertage»», besonders in der Vutterwoche, kommen von» hohe»» Norden her über den Tadoga>See die Samojeden mit ihren Familien, ihre»» Hurte»» und Renntiergespannen, und weite Fahrten in mit Renntieren bespannten Schlitten die Newa hinab über den eisbedeckten Meerbusen bis Kronstadt sind an dcr Tagesordnung. Solche Fahrten haben einen eigentümlichen Reiz, aber sie sind auch nicht gefahrlos. Rus^ ^wal5. i.» Schon oft ist bci dichtem Nebel oder Schneegestöber cin Schlitten von der 35ahn, die cr verfolgen sollte, abgekoinmen und hinaus in die offcne See geraten . . . was sind aber alle diese Vergnügungen im vergleich zu den glänzenden Festen, welche in den Winter nachten anf der Newa veranstaltet werden und die «Llite der Oetersbnrger Gesellschaft versammeln — M^keii' feste, „italienische Nächte", und wie sie alle heißen mögen! Auf der Eisdecke der Newa haben schon im vorigen Jahrhundert glänzende Festlichkeiten stattgefunden. Die berühmtesten sind die großen Volksmaskeraden zur Zeit der ^iaiserm Anna, in den Jahren ^759 bis ^7^1.. <3ine besondere „^askeraden-Aommission" war eingesetzt worden, mn die Vorbereitungen zu den: Feste zu leiten, und selbst aus den entferntesten Provinzen des weiches wurden Vertreter aller dasselbe bewohnenden Volksstämme „verschrieben", um bei dem Maskenaufzug mitzuwirken. Die Gouverneure waren angewiesen vor emcm Vadehause mn Sonnabend. worden, ^e einen Mann und eine Frau von jedem Volksstamm ihres Gouvernements nach Petersburg zu schicken, und der Vefehl wurde vimktlich alisgeführt. Alle diese teute nahmen dann in ihren Nationalkostümcn, teils zu Fuß, teils in von Pferden, Renntieren oder Hunden gezogenen Schlitten, an dem feierlichen Anfzuge teil, der sich durch die Hauptstraße»! der ötadt nach der Newa bewegte, wo von mächtigen Lisblocken ein Eispalast erbaut war. In einem Schlitten befand sich auch eine öchaukcl. Die Tiere, welche die Schlitten zogen, waren reich mit phantastischem Zierat geschmückt, trugen große Büschel von Straußenfedern, Ghr-schellen u. dgl. Diese Volksmaskerade war nur die Einleitung zu dem glänzenden Hochzeitssest des kaiserlichen Hofnarren Fürsten Galitzyn und des Nalmykenmädchens ^usheninowa, das am l>. Februar auf der Newa gefeiert' wurde. Nachdem das seltsame j)aar unter großem j)omp getraut worden und ihm Huldigungen wie einem Fürstenpaar dargebracht worden, geleitete man es in den e^palast, wo ihm fur die Ü5iemlnacht ein 5" -------- 7q Vett von on wo einige Monate später nach dem Tode der Kaiserin Anna Iwanowna dieselben Straußenfedern, welche die Pferde und Renntiere der a,n ^laskenzug beteiligten kappen, Mordwinen, Tschuwaschen und anderer Völkerschaften geschmückt hatten, hervorgeholt wurden, um den Leichenwagen der Kaiserin zu schmücken, > wie ein Märchen aus ^OOl^ Nacht lesen sich solche Schilderungen ans dem vorigen Jahrhundert, die ein Streiflicht auf die glänzenden Hofhaltungen der Kaiserinnen Anna, Llifabel und Katarina II. weifen. Kaum ein Mcuschenaller war seit je»iem denkwürdigen Jahre ^<>^8 vergangen, in welchem die auf dem roten platze in Moskau am Galgen hängenden deichen der aufrührerischen Strelzi die Grenzscheide zwischen dein uoch halb barbarischen und dem der Civilisation erschlossenen Rußland bezeichneten, und schon begann der Petersburger Hof an prachtenlfaltnng mit den ersten Fürstenhäusern Westeuropas zu rivalisieren. Nur der unermeßliche Reichtum, über den die altcn Adelsgeschlechter verfügten, konnte es ermöglichen, daß dieselben die Prachtliebe ihrer Kaiserinnen durch ihr eigenes Auftreten unterstützten, denn Rußland war damals noch ein verhältnismäßig armes 3and. Man begann erst allmählich die fast unerschöpflichen Hilfsquellen des Bandes auszubeuten, der Mangel gnter Straßen erschwerte noch Handel und Oerkehr im Innern des weiches, und die Industrie war noch in ihrer ersten Kindheit. Alle Bedürfnisse des verfeinerten Geschmacks mußten aus dem Auslande bezogen werden, und Millionen Rubel, an denen der Schweiß der ^auernbevölkeruug haftete, gingen jährlich außer Tandes für Erzeugnisse französischer und englischer Fabriken, wie sehr haben sich seitdem die Verhältnisse geändeit! Die sorgsame pflege, welche die Regierung der einheimischen Industrie seit Peter dein Großen unausgesetzt zn teil werden ließ, die Privilegien und Monopole, mit denen sie die Großindustriellen unterstützte, haben gute Früchte getragen, uud auf den letzten Weltausstellungen, wie anch auf der großen russischen Gewerbeausstellung iu Moskau konnte man sich überzeugen, daß die junge russische Industrie doch schou auf sehr vielen Gebieten der ausländischen völlig gleich kommt, auf manchen sie sogar übertrifft. Petersburg ist heute eine der wichtigsten Industriestädte des Reiches und hat der alten Residenz Moskau den Ruhm, auch auf dem Gebiete der Industrie eine hervorragende Stellung einznuehmen, nicht allein überlassen. Einzelne Industriezweige, daruuter viele, in denen Rußland noch vor gar nicht langer Zeit völlig vom Auslande abhängig war, sind in Petersburg zu hoher T3Iüte gelangt. Petersburger Fayencen und Petersburger Porzellan sind nicht zu unterschätzende Rivalen der ausländischen Fabrikate geworden, trotz der großen Schwierigkeiten, mit denen die Fabrikanten zu kämpfen, haben. In Petersburg befinden sich die bedeutendsten Porzellanfabrikeu Rußlands, die kaiserliche und die Korniloffsche, die letztere mit eiuem Jahres» umsatz von 222 000, die erstere ^50 000 Rubel. In Fayencen erzielen zwar die Fabriken des Industriellen Kusnjezoff in Riga und den Gouvernements Twer und Wladimir den größten Umsatz — etwa ^ ., Million Rubel — aber die Petersburger Fabrikate sowohl in Porzellan als in Fayencen können als Kunstwerke bezeichnet werden, denen ähnliches die anderen russischen Fabriken nicht bieten. Möbel- und Vautischlerei beschäftigen in Petersburg H5, Fabriken mit ^ Million Rubel Umsatz, darunter einige, die mit den ersten ausländischen Fabriken erfolgreich konkurrieren können. Dieser Erwerbszweig beschäftigt in der Umgebung Petersburgs auch die Hausindustrie. Oou den 7 Holzstofffabriken, die erst iu neuerer Zeit iu Rußland entstanden, entfallen 2 mit einer Produktion von 7>5>000 Pud Holzmasse auf das Gouvernement Petersburg, und auch in der Stadt selbst ist vor kurzem eine C^ellulosefabrik errichtet worden, deren Fabrikate sehr gerühmt werden. Die ^aumwollspinnerei wird im Gouvernement Petersburg in ^Fabriken betrieben, welche ^ ^82 2^0 Pud Garn uud ^ 5^5 950 Stück Mitkal (Vaumwollstoff) im Werte von 25^0!. HO? Rubel lieferu und ^)^ Arbeiter beschäftigen. Das Gouvernement Petersburg wird in diesen» Industriezweig nur von dem Moskauer über- ______75; ______ troffen, in welchem etwa 30000 Arbeiter Gar,, und Milkal im werte von nahezu 50 Millionen Rubel erzeugen. An der Gesamtproduktion des europäischen Rußland in Vaumwollgarn und Naumwollstoffen — im werte von ^05 ^9^607 Rubel (im Jahre 1^879) — partizipiert das Gouvernement Petersburg fast zuin vierten Teil, und von allen in der Vaumwollspinnerei beschäftigten Arbeitern — 98 2^5 — entfällt mehr als die Hälfte auf die Gouvernements Moskau und Peter-bürg. Sehr bedeutend ist die Fabrikation von Lederwaren. Die Zahl der Haudschuhfabriken dürfte »nit ^0 lmd ihr Iahresun,satz mit ^00 000 wohl zu gering angegeben sein. Die Kurikoffsche Fabrik, welche Saltler-waren und darunter viel zur Armeeausrüstung erzeugt, hatte ^87H einen Umsatz von 2 265^00 Rubel. In der 3cderfabrikation aber ist Petersburg der erste platz Rußlands. Juchtenleder wird außer Moskau, Kasan, N^ishuy-Nowgorod und Kostronü», hauptsächlich in Petersburg fabriziert, ebenso das für die Schuhmacher zugerichtete Kalbleder, Im Gouvernement befinden sich 73 Gerbereien, in Petersburg selbst zwei mit einem produktionswert von mehr als ^ Million, 5 mit einen: solchen von 5>00000 bis 90000s» Rubel und 20 mit 80000 bis 300000 Rubel. Drei Fabriken im Kreise Gdoff beschäftigen sich mit dcm Gerben der Häute von Pferden und Füllen, von denen die letzteren ein sehr gesuchtes Handschuhleder liefern, das dem Ziegenleder an Güte ziemlich gleichkommt. In Metallfabrikaten ist Petersburg für einzelne Industrieen geradezu der Hauptsitz, so für Maschine,,' bau, namentlich Lokomotiven, Dampfschiffe, Dampfkessel (2<. Fabriken in der Stadt, <, im Gouvernement), Gußstahlfabrikation und Eisenbahnbedarfsartikel (^ große Fabriken), Instrum, nlenfabrikatiou (^s, Fabriken) u. s. w. wie bedeutend der Umsatz ist, mögen einige Zahlen zeigen. Im Jahre ^879 gingen z. V. aus der „Russischen Fabrik für mechanische Arbeiten und Hüttenwerksbetrieb" hervor: ^23 Lokomou'ven samt Tender im werte von 3^43 000 Rubel, ^lokomotivteile für ^7 000 und Horteneisen für 6^000 Rubel, und außerdem wurden die Arbeiten an einer Fregatte und zwei Klipperschiffen zu Ende geführt, sämtliche Maschinenfabriken des Gouvernements beschäftigen i/>600 Arbeiter und liefern Fabrikate im wcrte von 23'/2 Millionen Rubel. Die ^ Gußstahlfabriken arbeiten mit ctwa 6000 Arbeitern uud liefern für ^'/^ Millionen Rubel Fabrikate, wovon über <) Millionen auf die „Gesellschaft der Putiloffschen Fabrik" entfallen. Nur das Gouvernement Orel kommt noch in diesem Industriezweig neben Petersburg in betracht. ()m Augenblick, da diese Zeilen in die presse gehen, lesen wir leider die Nachricht, daß die große puliloffsche Fabrik niedergebrannt und ctn a 7,000 Arbeiter dadurch brotlos geworden sind.) Ferner ist Petersburg der Hauptsitz für Vronzefabrikation (^2 Fabriken), in der recht Tüchtiges geleistet wird, und für Schriftgießerei (? Gießereien). Außer den bisher genannten liegen in der ötadt und im Gouvernement Petersburg ^2 der größten russischen Tapetenfabriken, ^ Papierfabriken, 2 Fabriken für Kautschuk- und Guttaperchafabrikate (produktions» wert 5 7,">5> 750 Rubel), ^Glasfabriken, ^2 Gewehrfabrikcn (im Gouvernement auch eine kaiserliche), <^2 Lta» blissements für Gold- und öilberfabrikate, 7 öcidenstofffabriken, ^2 für wirkwaren (die größte ist in Moskau), 8 Hutfabrikeu u. s. w. Der starke verbrauch importierter kosmetischer Artikel war kein Hindernis für die Fabrikation solcher in, Anlande, die gegenwärtig in 2? Fabriken einen Jahresumsatz von etwa 2> ^ Millionen Rubel repräsentiert. Das „chemische Laboratorium" der Firma Georg Doulfoi in Petersburg liefert jährlich für 7,"»<1000 Rubel Parfums, pomaden, (Vle u. s. w. (die Moskauer Fabrik derselbe,, Firma fast ebensoviel), uud fünf Fabriken, die sich neben dieser bedeutendsten in Petersburg noch mit demselben Artikel beschäftigen, erzeugen für 20000 bis 60000 Rubel. Einzelne Parfums, zu denen die nötigen VInmen und Kräuter von besonderen Plantagen in der Krym und im Kaukasus geliefert werden, sind eine Spezialität der russischen Fabriken. Die ötearinfabrikation ist in Petersburg durch die größte der russischen Stearin-Fabriken, die Newsky< Stearin Fabrik vertreten; ^?9 erzeugte dieselbe 300000 Pud Stearin», 1,25 000 Pud „palmlichte" (eine zwischen Stearin und Talglicht die Mitte haltende Sorte) und l/)0 000 Pud Glyzerin und Ole,n im werte von H l»I/)00l) Rubel. Die „Newsly-Steariufabrik" ist Eigeutum einer Handelsgesellschaft, der auch die drittgrößte Stearinfabrik Rußlands in Moskau gehört, welche für mehr als 2 Millionen Rubel ^ährlich produziert. Außer der großen Fabrik der Handelsgesellschaft Gebrüder Krestowniloff in Kasan kann mit dem großen _____76 _____ Capital, über welches die petersbl,rgcr Gesellschaft verfügt, kcine der übrigen elf,s Rubel 30 Kopeken verzollt. In bedeutender Zahl sind in ^etcr^burg anch Fabriken vorhanden, die sich mit Erzeugung von Nahrungsmitteln beschäftigen, Gbenan stehen die Znekerraffinerieen, die vorzügliche Fabrikate liefern, welche sich mit allen ausländischen messen können, dieselben vielleicht gar übertreffen. Die beste Raffinade liefert dic k. Königscho Zuckerraffinerie in Petersburg (die größte Fabrik ist in Nioskan), welche jährlich für ,"i Millionen Rubel produziert. «Lin ebenso vorzügliches Fabrikat, allerdings zu sehr hohen preisen, liefern die 6 Meters" burger ^hokoladefabriken, die sich nebenbei auch init der Erzeugung von Konfekt, Marmeladen und allerlei Zuekerwaren beschäftigen. Die Makkaronifabrikation wird in 6 Fabriken betrieben. Die während des letzten Krieges in Flor gekommene Konseroenfabrikation ist jetzt überall, auch in Petersburg, wo uur feinere Konserven fabriziert werden, zurückgegangen, dagegen steigt die Cichorienfabrikation, und der stetig zunehmende Vedarf, dem die vorhandenen Fabriken nicht entsprechen, macht Kapitalsanlagen in solchen sehr empfehlenswert. Petersburg besitzt die zweitgrößte Cichorienfabrik, Riga die größte. Don Flüssigkeiten und Getränken produziert Petersburg Essig (in fünf Fabriken), moussierende lOeine (2 Fabriken), Selterswasser (fast jede Gouvernemcntsstadt besitzt jetzt eine Selterswasserfabrik), künstliche Mineral» wasser (8 Fabriken) und Kwc»5 (8 Fabriken), Hier befinden sich ferner die größten Vranntweindestillationen Rußlands (^7 mit einem produklionswert von etwa ^l/.^ Millionen Rubel). Der schnaps, der in den Dörfern verkauft wird, ist auch jetzt noch zuweilen nur mit Wasser verdünnter Spiritus mit irgend einem Zusatz, der den Fuselgeschmaek weniger bemerkbar machen soll, doch werden solche Fälle immer seltener. Die Destillation ist zu hoher Entwicklung gelangt, und der russische Kornbranntwein kann den vergleich mit den besten ausländischen Sorten aushalten. Rußland befitzt 63Z Destillationen, in welchen H680 Arbeiter Spirituosen im werte von etwa H2',2 Millionen Rubel erzeugen. Diese kolossale Menge Vranntwein und ti^ueure wird fast ganz in Rußland selbst kousumiert — der «Lxport ist höchst unbedeutend, er betrug ^87^ (inklusive Traubenwein) nur 9<'"l^ Rubel — aber der bedarf wird dadurch noch nicht gedeckt, da trotz des Verbotes der Vranntweineinfnhr in Fässern viel über die westgrenze hereingcschmuggelt wird. Die größten Destillationen nächst den Petersburger befinden sich in Moskau, Warschau, Saratoff, Charkoff und Astrachan, die meisten (25) im Gouvernement Saratoff. Die Destillation wird nicht nur in Städten, sondern anch in Dörfern betrieben, und es giebt Dörfer, in denen man sogar mehrere Destillationen findet, so z. V. ^2 im Dorfe Nikoljewska im Gouvernement Astrachan. Petersburg, Moskau und Kijew liefern auch vo» züglichc ti?. _____?c) gewonnen, und die großen Vrauereien, insist Aktiengesellschaften, die in Petersburg, Moskau, Rijew, Gdessa u. s. w. entstanden, machen alle brillante Geschäfte. Dividenden von 30 bis ^0 Prozent, welche sie ihren Aktionären zahlen, sind gar keine Seltenheit. In Petersburg hat sich in den letzten Jahren das Vier auch in den unteren Vevölkeruugsschichtcn Eingang verschafft, und es würde, namentlich von der Arbeilcrbevölkerung, noch viel mehr getrunken werden, ivenn seii» preis im Verhältnis zum Branntwein nicht ein zu hoher wäre. Ehe der Arbeiter für die Flasche Vier ^0 Ropeken (etwa 30 Pfennig) zahlt, kauft er sich lieber Branntwein, der ihn seiner Meinung nach mehr stärkt als die Flasche Vier. «Line Preisherabsetzung wäre aber, wie die großen Dividenden zeigen, ganz gut durch« fühlbar, und der Ertrag der Vrauereien würde dabei immer noch eiu bedeutender bleiben, während andererseits der in den uuteren Volksklassen grassierenden Trunksucht durch die Einführung des Vieres an Stelle des Branntweins besser gesteuert würde als es durch alle legislatorischen Vestimmungen geschehen kann. Im Jahre 1^877 waren von der petersbnrger Polizei H7 000 Vetrunkene in den Straßen der Stadt angehalten und auf die wache gebracht worden, und die Zahl der an Trunksucht Gestorbenen war auf 1.00 gestiegen. In demselben Jahre stand in Petersburg einem Vierkonsum von ^. 1^000 Eimer ein Vranntweinkonsum von 2 2H^(M) «Linier gegenüber, in anbetracht der verschiedeneu Stärke der beiden Getränke ein höchst ungünstiges Verhältnis, da auf ^edeu Einwohner si'/^ Eimer Vier und 5 Eimer Vranntwein entfielen. Zu derselben Zeit belrug der Durchschnittskonsum von Vranntwein im ganzen Reiche, die weibliche Bevölkerung mit eingerechnet, 0,73 Eimer. Man hat aus dem Nmstand, daß in früheren Jahren die Durchschnittssumme eine höhere (0,8H Eimer von ^8c>3 bis ^867) war, den tröstlichen Schluß ziehen zu können geglaubt, daß die Neigung zu übermäßigem Spirituosenkonsum bei der ärmern Bevölkerung schwinde, aber wir fürchten, daß man da in arger Täuschung befangen ist. Die Neigung zum Vrannlweintrinken war nicht geschwunden, wohl aber ihre Vefriedigung durch Erhöhung der Vranntweinsteuer erschwert worden, da ili der Periode von 1,875 bis 1.87? der Staat durch die Vrannlweinsteuer über ^0 Millionen Rubel mehr einnahm als in der scheinbar ungünstigere Zahlen aufweisenden Periode von I^8l>3 bis ein lvirtshaus oder ein Rabak (Vranntweinschenke) entfällt, und man kann diese Verechnung nicht unwahrscheinlich finden, w^nn man sieht, wie auch in Petersburg in manchen Straßen ein Kabak neben dem andern liegt. Es ist daher uubedingt eine erfreuliche Erscheinung, daß in der letzten Zeit, besonders seitdem die großen Aktienbrauereien Vier nach bairischer Methode brauen, der Vierkonsum rasch zunimmt. In den belebtere»! Teilen Petersburgs sind eine Menge Restaurants und Vierwirtschafteu uach deutschen: Muster cut-standen, die sich eines zahlreichen Vesuches sowohl von Ausländern als von Russen erfreuen. Die Mehrzahl derselben bietet gute Speisen und gutes Vier zu verhältnismäßig geringen preisen; einzelne haben anch deutsche Bedienung. Nationale Restaurants, wie sie Moskau m seinen Traktirs besitzt, sind in Petersburg selten. Die Restaurants sind hier ineist m den Händen von Deutschen oder Franzosen; deutsche, französische uud italienische Rüche hat die russische verdrängt. In den eleganteren Restaurants (Vorell, Dusseau, privato) hört man neben russisch am meisten französisch, und auch die Uellner, sowie die Dienerschaft in den eleganteren Hotels sprechen französisch. Außer dem französischen Theater sind diese Restaurants heute noch die einzigen (')rte in Petersburg, an denen das französische Element in der Vevölkerung sich auffällig bemerkbar »nacht. Die nationale Bewegung, welche in den letzten Jahren die gebildeten Rreise der russischen Gesellschaft ergriffen, hat die französische Sprache als Umgangssprache bedeutend zurückgedrängt, uud obwohl auch heute noch jeder 80 gebildete Russe des Französische,, »nächtig ist, so bedient er sich desselben in, Verkehr mit Russen doch nicht mehr mit jcner Vorliebe, wie dies früher der Fall war. Die französische Kolonie Petersburgs hat die Vedeutuna, die sie noch am Ende des vorigen Jahrhunderts besaß, verloren, und ihr Wachstum bleibt schon seit Jahrzehnten weit hinter jenem der deutschen Bevölkerung zurück. In den Iahreu ^857 bis I^7H kamen zwar noch 56 20H Franzosen nach Rußland, aber in demselben Zeitraum kehrten ^ 6H5 in die Heimat zurück, weil sie sich in ihren Erwartungen getäuscht fanden. Neben diesen nach ausländischen Mustern eingerichteten Restaurants giebt es russische Speisehäuser (Traktirs), in deren keinem die große, ein ganzes Vrchester ersetzende Grgel fehlt, von denen jedoch nur zwei oder drei auch von der bessern Gesellschaft besucht werden. Studenten und kleine Beamte verkehren meist in den sogenannten Vürgerküchen (grashdanskaja kuchnja) oder in den Küchenmeistereien (kuchmeisterskaja), meist ziemlich saubere Speisewirtschaften, in denen russische, deutsche oder griechische Rüche, jedoch kein Vier oder sonstige geistige Getränke verabreicht werden, oder in den ^5ier- und Weinkellern (pitjeinije sawödy), wo ein lebhafter verkehr herrscht und wo man, wenigstens in den besseren lokalen, auch viele Deutsche antrifft. Der gemeine Mann aber fühlt sich nur im Kabak heimisch, wo Thee, Kwas und Wodka verabreicht werden. Im Verhältnis zu seiner Größe besitzt Petersburg immer noch ziemlich wenige Restaurants und öffentliche vergnügungslokale, dagegen ist das Klubwesen sehr entwickelt. Die Russen der höheren Stands lieben den Gasthausbesuch am Abend nickst und ziehen jenem das gesellige Veisammeusem im Klub vor, wo auch die Damenwelt vertreten ist, die den Restaurants meist fern bleibt. In den besser situierteu Gesellschaft^ kreisen wird man kaum jemand finden, der nicht dem einen oder dem andern Klub angehört. Die Kaufmanns-welt hat ihren Handels-Klub (komnwrtschesky klub), wo die Geldfürsten Petersburgs verkehren, und den Klub der russischen Kaufleute (kupütschesky klub); die Aristokratie und die höheren Beamten treffen sich im Englischen Klub (^770 gegründet), in: Adels-Klub (dwornskoje ßobränje) und in der Adelsgesellschaft (blagor<>dnoje ßobll'mje); Versammlungsorte der Deutschen sind der 2?ürger°Klub, ^772 von Schuster gegründet und daher auch Schuster-Klub genannt, und der deutsche Handwerker-Klub. Einzelne Klubs, wie z. v. der englische, sind sehr exklusiv, und der Zutritt wird Nichtnutgliedern sehr erschwert. Hauptaufgabe aller Klubs ist die Unterhaltung durch Veranstaltung von wällen, Diners, Konzerten, Theatervorstellungen, Gartenfesten, Ausflügen zu Tande und zu Wasser (die beidcn I^acht-Klubs); in den eleganten, großen Klubräumcn findet der Besucher überall vorzügliche Restaurants, Lesezimmer mit russischen, deutschen, englischen und französischen Zeitungen, und Spielzimmer mit jederzeit gut besetzten Spieltischen fehlen auch nicht. «Line Schattenseite der russischen Klubs ist das Kartenspiel, das schon manchem Klubbcsucher verhängnisvoll geworden ist. wie sehr dasselbe überhaupt in Rußland grassiert, erhellt aus der einen Thatsache, daß die einzige Spielkartenfabrik Rußlands, die kaiserliche in Petersburg, jährlich au 5> Millionen Spiele Karten liefert. Die Spielkartenfabrikation ist Monopol, und der aus derselben resultierende Gewinn wird zur Erhaltung der Findelhäuser verwendet. Der preis der Karten ist infolge dessen ein sehr hoher, und durch ihn erklärt sich der kolossale Umsatz der einen Fabrik, welcher ^700 000 Rubel übersteigt. vei so reicher Dotierung ist es leicht erklärlich, daß das Petersburger Fiudelhaus eine Musteranstalt ersten Ranges wurde, deren besuch nicht nur für den Fachmann, sondern auch für den taien von hohem Interesse ist, da er einen tiefen Einblick in die sozialen Verhältnisse Rußlands gewährt. Das Petersburger Findelhaus bedeckt mit seinen zahlreichen Nebengebäude», dem Krankenhaus, der Entbindungsanstalt, den Schulen u. s. w. fast den ganzen großen Raun», der von der Erbsenstraße, dem Newskyprospekt, der Moika und dem Katarinenkanal begrenzt wird. Der Gedanke, ein Findelhans Zu errichten, wurde von einen, hohen geistlichen Würdenträger, dem Metropoliten Iowa von Nowgorod angeregt, aber außer Peter dein Großen, der ihn richtig zu würdigeu verstand, fand dieser edle Menschenfreund bei seinen Zeitgenossen nur wenig Anklang, wenn auch noch kein Findelhaus erbaut wurde, so war aber doch die Aufmerksamkeit der leitenden Kreise einmal auf die „unglücklich Geborenen" gelenkt, und die Regierung begann sich mit ihrem Schicksal zu beschäftigen. Unter Peters Nachfolgern wurde stets ein Teil der Einkünfte aus den eingezogenen Kirchengütern für die Waisen und unehelichen Kinder bestimmt. System kam in diese Fürsorge erst, als Katarina bei ihrer Krönung in Moskau am >^<). Juni ^7t)5 die Sliftungsurkunde eines Hauses unter» zeichnete, in welchen, „iene unschuldigen Rinder, welche durch unglückliche, oft auch unmenschliche Mütter aus» gesetzt, verlassen oder gar getötet zu werden pflegen", eine Zufluchtsstätte finden sollten. I. I). ivetzky, der unter ähnlichen Verhältnissen geboren worden, bat die Kaiserin, ein Institut ins ^eben zu rufen wie jene, die er im Auslande gesehen hatte, wo man sich bemühte, die Findelkinder auch zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft zu erziehen, und die Folge seiner Vorstellungen war ein Nkas der Kaiserin von» ^. September desselben Jahres, durch welchen ein Findelhaus in Moskau gegründet und mit vielen Privilegien ausgestattet wurde. Die günstigen Erfolge, welche dieses erste Institut bald aufzuweisen hatte, veranlaßten dann die Gründung eines ähnlichen in Petersburg, das bereits am ^. Gktober ^?ss^ in der Nähe des 5>moluy-Klosters eröffnet wurde, öechs Jahre später wies die Kaiserin der Anstalt ein Haus auf der sogenannten wiese der Kaiserin (Zarizyn lug) gegenüber den: Marmorpalais an, und dort blieb dieselbe während Türkisches Vad in Zarskoje ^Ic», der nächsten 28 Jahre bis zum beginn der Regierung Oauls I. Zwei Jahre nach der Rrönung des lehtern bewog ihn die durch ihr mildthätiges Ivirken unvergeßliche Kaiserin Maria Feodorowna, das Palais des Grafen Rasumowsky und das Haus Stroganoff an der Moika, zu dem ein großer Garten gehörte, anzukaufen »nid dem Findelhaus zu schenken, und seitdem ist dieses bis auf unsere Zeit unter steten vergrößernngen der Anstalts-gebäude auf derselben stelle geblieben. Nachdem die Anstalt in die neuen Gebäude übergesiedelt war, begann die hohe j^rotektorin eine ungemein segensreiche Thätigkeit zu entfalten. Zunächst wurde bei dem Findclhaus ein Gebärhaus eingerichtet, dann ein Asyl für arme obdachlose Frauen, und schließlich eine Hcbammenanstalt, in welcher 22 Frauen Unterricht in diesen: Neruf erhalten konnten. Die Aufnahme von Rindern in das Findelhaus wurde so erleichtert wie in keinem andern ^ande, um bei gewissenlosen Müttern den Gedanken an eine gewaltsame Beseitigung ihrer Rinder gar nicht aufkommen zu lassen, wenn sie ohne Rosten und ohne daß sie jemand mit „___ g2 ____ Fragen belästigte, denselben eine gesicherte Eristenz schaffen konnten. Niemand fragt im Findelhause nach dem Namen der Mutter des dort geborenen oder nur abgegebenen Rindes; das Rind wird nnter einer bestimmten Nummer in die Register eingetragen und dem Überbringer eine Bescheinigung darüber ausgestellt, so daß das Rind nach fahren, wenn die Eltern eine Wiedervereinigung wünschen, erkannt werden kann. Ein großer Vorzug der Anstalt ist, daß die Rinder ihre erste Lebenszeit nicht in der Stadt zubringen, sondern Bäuerinnen auf dem tande zur pflege übergeben werden. bei der Sorge für die Erhaltung des kcbens der Findlinge ließ es aber die Raiserin nicht bewenden; die armen elternlosen Rinder sollten, wenn sie heranwuchsen, in der Anstalt Ersatz für die ihnen fehlende elterliche Fürsorge finden und zu tüchtigen Gliedern der menschlichen Gesellschaft erzogen werden. In Gatschina errichtete die hohe Frau eine Schule für die Findelkinder, in welcher diese vom ?. bis zum ^. Jahre einen solchen Unterricht genossen, daß sie nach beendigtem Studium die Reife zum besuche eines Gymnasiums hatteu. In dieser Vorschule konnten 600 Rinder Aufnahme finden. Für die Talentvollen wurde weiter gesorgt: sie kamen auf die medizinische Akademie, einigen besonders befähigten wurde auch der besuch der Universität ermöglicht. Als Maria Feodorowna im Jahre ^2tt starb, befanden sich 2? ihrer Schützlinge auf Universitäten und in der medizinisch-chirurgischen Akademie. In gleicher Weise wurde für die Mädchen gesorgt; die befähigten wurden zu Gouvernanten ausgebildet. Vei ihrer Ausbildung nahn« man besonders Rücksicht auf die bedürfuisse der Landbevölkerung der Gouvernements im Innern des Reiches, wo Lehranstalten nicht so zur Verfügung standen wie in den großen Städten. Die Gouvernante sollte befähigt sein, in den verschiedensten Unterrichtszweigen allen Ansprüchen zu genügen. In der „Gouveruantenklasse", in welche solche Mädchen eintraten, wurden sie nicht nur in allen Lehrgegenständen der Mittelschulen unierrichtet, souderu erhielten auch noch Unterricht in Sprachen, im Zeichnen, in Tanz, Musik und weiblichen Handarbeiten. Dieser Unterricht währte sechs Jahre. Nach Absolvierung der „Gouvernantenklasse" avancierte die Schülerin zur „Randidalin" und hatte als solche noch während eines Jahres einen pädagogischen Rursus zu besuchen und sich praktisch für ihren beruf auszubilden. Die Anstalt selbst verschaffte den Mädchen ihre erste Anstellung, sei es in Petersburg oder auf den, Tande, und schloß mit der Familie, welche eine Gouvernante suchte, im Namen der scheidenden Schülerin einen Rontrakt, wodurch sich diese gegen ein Honorar von de Sicard in Paris, der das vom Abb,' de l'Ep«'e aufgestellte System des Taubstummenunterrichts weiter ausgebildet hatte, wurde ersucht, einen weiter für die Anstalt zu empfehlen, und sandte einen seiner besten Schüler nach Petersburg. Die Anstalt zählte bald 2H Pfleglinge, von denen die Hälfte auf Rosten Maria Feodorownas erzogen wurde; der Rest der Ausgaben wurde aus den Fonds des Findelhauses gedeckt, beim Tode der Raiserin war die Zahl der taubstummen Zöglinge bereits _____ gI _____ auf 5^ gestiegen und es fanden auch wohlhabendere Taubstumme gegen Zahlung eines bestimmten Betrages 2Iufnahme in einen« mit den: Institut verbundeneu Asyl, wo sie an dem allgemeinen Unterricht teilnehmen konnten. Mancher Künstler, besonders tüchtige Zeichner, sind seitdem aus dem Taubstummen-institut hervorgegangen, und viele Hunderte, die früher der menschlichen Gesellschaft verloren waren, sind fähig geworden, sich ihr ^rot selbst zu verdienen und auch anderen zu nützen. Das Andenken der edeln Frau, der Rußland alle diese Schöpfungen verdankt, lebt heute noch in der Erinnerung des Volkes, das seine Wohlthäterin nicht vergessen wird, trotzdem der Frauen, die gleich ihr gewirkt, im russischen Kaiser« hause bis auf die iüngste Zeit nicht wenige waren. Die großen Schöpfungen Maria Alezandrownas sind nur eine kleine perle in der langen Kette von Verdiensten, die sich Angehörige des Kaiserhauses um das Tand erworben haben. Rußland hat auf der Vahn der Civilisation nur selten einen öchritt gethan, zu welchem die Anregung nicht von: Kaiserhause ausgegangen ist. Der Russe bedarf ^a stets eines Führers, einer leitenden Persönlichkeit, der er mit Codesverachtung folgt, uud wo diese nicht vorhanden ist, rafft er sich nur schwer Zu eigener Initiative auf. Das Kaiserhaus hat seit Peter dem Großen gar mauchen Winkelried gestellt, der auf irgeud einem Gebiet dem Fortschritt eine Gasse brach. Große Mildthätigkeit hat die Frauen ausgezeichnet, und die Annalen der wohlthätigen Anstalten Petersburgs wissen davon zu erzählen, wie sie der Bevölkerung mit gutem Veispiel vorangegangen sind. Die Domäne der Männer dagegen waren Heer und Flotte, Wissenschaft und Kunst; in letzterer hat sich auch der Linfiuß der Frauen erfolgreich geltend geinacht. Die große Gönnerin der Künste, Katarina II,, hat bis in die jüngste Zeit in der kaiserlichen Familie viele Nachahmer gefunden, wir nennen nur Alexander ll., den Großfürsten Konstantin, die Königin Mlga von würtembcrg, die in Kunstkreisen unvergeßliche Großfürstin Helene, aber viele hohe Namen ließen sich den genannten noch hinzufügen, wie die großen Kunstsammlungen durch das Kaiserhaus geschaffen worden, haben wir bereits erzählt und gezeigt, welchen (Linsiuß sie anf die Entwicklung der russischen Malerei hatten; mehr noch verdankt dein Kaiserhause die russische Musik. Schon unter Peter dem Großen fanden in Petersburg theatralische Vorstellungen mit Grchesterbegleitung statt. Im Jahre ^?^c> ließ des Zaren Schwester, Natalia Alexe^cwua, in einem in ein Schauspielhaus mit Vühne, parterre uud togen umgewandelten Gebäude von zehn schauspielern, sämtlich Russen, eine russische Tragödie aufführen, wobei ein Orchester von ^l» Musikern mitwirkte, vier Jahre später wurde an der Newa bereits deutsch gespielt, allerdings nur in einer erbärmlichen Holzbude, d.xch auch dieses Theater hatte sein Orchester. Peter der Große, der in seiner Jugend keine anderen Instrumente als Trommeln und pfeifen kennen gelernt, hatte eine große Vorliebe für Musik, die sich freilich ineist in etwas drastischer weise äußerte; so bildeten z. 25. die Melodieen, welche in Deutschland die Posaunenbläser von den Türmen bliesen, seine Tafelmusik, und die polnischen Dudelsäcke hatten so sehr sein Wohlgefallen erregt, daß er eins eigene Kapelle bildete, welche nur dieses Instrument spielte, und in seinen späteren Lebensjahren sich selbst im Dudelsackpfeifcn unterrichten ließ. Italicnische und französische Musik war dagegen dem Zaren verhaßt, und erst unter der Kaiserin Anna (^?7>0—^7^0) erhielt Petersburg eine italienische Oper. Diese prachtliebende Kaiserin, unter deren Regierung, wie schon erwähnt, auch die bekannte Neuberin mit ihrer ^chauspieltruppc nach Petersburg kam, berief 70 italienische bänger an ihren Hof, darunter zwei Kastraten, deren einer Namens pietro Morigi sich des größten Stimmumfangs unter allen damals lebenden Kastraten erfreute. Im Jahre ^737 wurde in Petersburg, im Winterpalast, zum ersten Mal eine italienische (i)per aufgeführt, wobei jedem anständig gekleideten Mann der Eintritt in dcn Theaterraunt gestattet war. 2^ald darauf wurde auf dem Newsky-Prospekt gegenüber der Kasanschen Kathedrale ein hölzernes wpernhaus erbaut, wo bis ^7H<) Vorstellungen stattfanden, in welchem Jahre es niederbrannte. Im Jahre ^7^0 bestand die „Hof^ Musikern, welche sowohl Konzerte veranstalteten als auf Hofbällen zum Tauz aufspielten. Ihre Nui» form — oder wohl richter gesagt: Livree — war aus schwarzem und gelbem Tuch verfertigt. 5>ie wurden gut besoldet und erhielten außerdem für die ötändchen, die sie dann und wann den Mitgliedern des Kaiser» Hauses brachten, namhafte Geschenke, aber sie wurden doch alle mehr wie Diener denn wie Künstler behandelt. Neben dieser Kapelle bestand unter der Regierung der Kaiserin Anna bereits eine von dieser gegründete Musikschule, in welcher fünfzehn Knaben in Musik und Gesang unterrichtet wurden. Als Kapellmeister war damals Giovanni Ristori berühmt; miter den Musikern ragten besonders die Vrüder Domenico und Giuseppe Dalloglio (Violine und Tello) hervor. Durch die Kaiserin Elisabet erhielt die 2^esidenz zwei neue Theater, und eine italienische Gperngesell-schaft, die unter der Leitung des berühmten. Komponisten Francesco Araja stand, wurde na6? Petersburg berufen. Araja (geb. in Neapel, gest. ^762 in Vologna) komponierte in Petersburg mehrere Gpern, darunter auch eine mit russischem Text: „Kephalus und prokris", wofür ihm die Kaiserin eitlen kostbaren pelz überreichen ließ. Als erste Schöpfung nationaler Musik kann jedoch diese ). Der Direktor des Hoftheaters, Staatsrat Alexander Sumarokoff, engagierte eine neue italienische Gperutruppc und übertrug ^7<)t> die Leitung der Vper dem Komponisten ^aldassaro Galuppi aus Venedig, der einen Gehalt von H000 Rubel erhielt. Unter seiner Zweijährigen Leitung wurde die Hofopcr ein echtes Kunstinstitut, in dein in den nächsten Jahren die berühmtesten Sänger und Sängerinnen Italiens, Frankreichs und Deutschlands als Gäste auftraten. Auch die berühmte Sängerin Katarina Gabriel: erhielt ^768 eine Einladung zu einein Gastspiel. Als sie das in jener Zeit riesige Honorar von 5)000 Dukaten verlangte, soll die Kaiserin ausgerufen habeu: „So viel erhält ja feiner meiner Marschälle!" — „Nun, dann lassen sich Euer Majestät von einem Ihrer Marschälle etwas vorsingen," war die schnippische Antwort der stolzen Künstlerin. Allmählich gewann die Musik auch in weiteren Kreisen Freunde und Gönner. Mehr als in irgend einem andern ^ande hat in Nutzland der Adel sich die pflege der Musik angelegen sein lassen, und der spätere Aufschwung der russischen Kunst ist zum großen Teil sein verdienst. Im Jahre ^772 wurde in Petersburg ei«: musikalischer Klub gegründet. Er trat Ziemlich exclusw auf, da er nur für die Elite der Gesellschaft berechnet war und nur Persönlichkeiten vom Staatsrat und Brigadier aufwärts Aufnahme fanden — die Tare für die Aufnahme betrug 30, der Jahresbeitrag 20 Rubel — aber trotzdem zählte er schon nach kurzer Zeit über 800 Mitglieder und sein wirken trug herrliche Früchte. Mit Ausnahme der Sommermonate veranstaltete der Klub wöchentlich ein Konzert, bei dem die Musiker, Sänger und Sängerinnen der kaiserlichen Kapelle mitwirkten. In diesem Klub wurde jenes feine Verständnis für Musik herangebildet, durch welches der hohe russische Adel sich seitdem auszeichnete. Ein kunstsinniges Publikum fehlte daher in Petersburg nicht, als ^780 Katarina neben ihren, Palast von Guarcnghi das kleine Eremitage-Theater und vier Jahre später das Große Theater erbauen ließ, welches 7>0N0 Menschen faßte. Später kam noch ein kleines Theater am Nord. ende des Newsky-Prospektes hinzu, und I.7<)0 fanden in Petersburg bereits wöchentlich 5 russische, 2 französische und ^ deutsche Vorstellung statt; die italienische Gper war nur im Winter geöffnet, während dessen an jeden» Freitag gespielt wurde. Die Kaiserin scheute keine Koste,,, wenn es galt, bedeutende Kräfte an Petersburg zn fesseln. Galuppis Nachfolger in der Teilung der Hofkapelle wurde Tomaso Tract ta, welchen: ^77(> pacsiello folgte, der fast l)000 Rubel an Gehalt und Nebeueinkünften bezog. Lr schrieb in Petersburg mehrere Opern, eine große Kantate zu Lhren patjomkins, zwei Vä'nde Sonaten, und schließlich ein Lehrbuch: kaccMu nc^ ek u. a. Die unsterblicheu Verdienste, welche sich Katarina um die Musik erwarb, beruhen aber nicht allein auf der Unterstützung, die sie dein Theater zu teil werden ließ. Sie leitete nicht der Lgoismus des Kunstliebhabers, der sich begnügt mit den» ihn« selbst sich bietenden Genuß; höhere Ziele schwebten ihr vor: die Kunst, die sie nach der Newa verpflanzt hatte, sollte dort Wurzel schlagen und im russischen 25oden heimisch werden, nicht länger ein erotisches Gewächs sein, das nur der pflege fremder Hände seine «Lristenz verdankte, ^n der Nähe des kaiserlichen Sommergartens wurde ^75^5 eine Theaterschule gegründet, in welcher junge Männer und Mädchen in Instrumental» und Vokal-Musik, in der Schauspielkunst, im Tanz u, s. w. unlerrichtet wurden. Die Findelhäuscr in Moskau und Petersburg sandten hierher ihre talentvollsten Zöglinge, aber außer diesen fand Aufnahme, wer sich um dieselbe bewarb. Veanlagte junge keute sandte die Kaiserin auf ihre Kosten zu fernerer Ausbildung nach Italien, und mancher tüchtige Musiker und bänger verdankte der Kaiserin sein Lmvorkommen. Alexander Ablesimoff, einer der begabtesten einheimischen Musiker, wurde der Schöpfer des russischen vaudevilles. Der langen Legierung Katarinas ll. folgte die kurze Pauls I. (^?9^'—^^), während welcher sich die französische Gper besonderer Begünstigung erfreute. Unter der teitung des Direktors Paris wurden besonders im kaiserlichen Schloß pawlowsk viele französische Gpern aufgeführt und der französischen Gesellschaft eine jährliche Subvention von ^00000 Rubel gewährt. Zu beginn der Regierungszeit Alexanders I. erforderten die vier großen Theater Petersburgs — das russische, französische, italienische und deulsche — bereits einen Aufwand vou 500 000 Rubel, wovon nahezu die Hälfte aus der kaiserlichen Kasse bestritten wurde. Das Dahr ^02 wird in der Geschichte der russischen Musik ewig denkwürdig bleiben, denn während des» selben erfolgte die Gründung der philharmonischen Gesellschaft und der Rudjinskischen Gesangschule, wie es nun einmal in Rußland zu gehen pflegt, ist der Anstoß zu einer der wichtigsten Schöpfungen auf musikalischem Gebiet von den untersten Volksklassen ausgegangen. Alezei ^wanowitsch Rudjinsky war Arbcileraufseher in einer Moskauer Fabrik, von Wissensdrang getrieben, begab er sich auf die Wanderschaft und durchstreifte einen großen Teil Rußlands. So kam er schließlich auch nach Petersburg. Lin frommer Man»,, wie jeder gemeine Russe, dabei ein begeisterter Musikfreund, hatte er erkannt, welchen großen Linstuß Musik und Gesang beim Gottesdienst auf das Gemüt auszuüben vermögen, und er beschloß, zu thun was iu seinen Kräften stehe, um den Kirchengesang zu vervollkommnen. Mit einigen Freuuden gründete er eine Gesangschule, für welche er aus Moskau einen Gesanglehrer berief und selbst talentierte Schüler in den Schulen Petersburgs auswählte. I5m März ^802 wurde die Schule eröffnet, und im Herbst desselben Jahres führten die Schüler bereits unter allgemeinem Vcifall Sartis große Motette auf. Unablässig bemüht, geeignete Kräfte für seine Schule zu entdecken, war Rudjinsky bei seinen Nachforschungen auch sehr vom Glück begünstigt, und manche schöne, bildungs» fähige Stimme wurde von ihm in demselben hohen Norden entdeckt, den man bis dahin für unfähig gehalten, bedeutende Sänger zu erzeugen und mit dein Rekrutierungsgebiet der kaiserlichen Kapelle, mit dem Süden Rußlands zu rivalisieren. Der damals bedeutendste Tenorist der russischen Gver, Samoiloff, war auch einer der Vielen, die ihre Ausbildung in der Rudjinskyschen Schule erhalten hatten. Die Anregung zur Gründung der philharmonischen Gesellschaft ging von dem kaiserlichen Rat Friedricb Adelung, dem Lrzieher des Großfürsten Nikolaus, aus, und der Gedanke fand alsbald in den höchsten und allerhöchsten Kreisen eifrige Unterstützung. Die Gesellschaft wollte zweierlei Zwecke verfolgen: bedeutende Musikwerke zur Aufführung bringen und die Witwen und Waisen armer Musiker unterstützen. ^)n Vezug auf den ersten Teil ihres Programms führte sie sich am 22. März ^802 mit Haydns „Schöpfung" in glänzender weise ein, aber auch der pekuniäre «Lrfolg war ein bedeutender; schon nach vier fahren verfügte die Gesell- ----89 — schaft über cm vermögen von 25 000 Rllbel und hatte bereits zahlreiche, nicht unbedeutende Unterstützungen hilfsbedürftigen Familien zu teil werden lassen. Die Chancen, die sie ihren Mitgliedern bot, waren äußerst günstige: jeder Rünstler, der sich in die Gesellschaft aufnehmen ließ, zahlte einen Jahresbeitrag von ^5 Rubel und erwarb schon durch Zahlung des ersten Veitrages für seine Witwe den Anspruch auf eine lebenslängliche Pension von 500 Rubel, von großer Wichtigkeit war, daß der verein eilten Saal erwarb, in welchem bis» her Maskcnfeste veranstaltet worden; damit war eine der Hauptschwierigkeiten beseitigt, mit denen ausländische virtuosen, die in Petersburg auftreten wollten, zu kämpfen hatten, denn der verein überließ seinen Saal jedermann gegen Zahlung von ^00 Rubel. Ein solcher Konzertsaal war in der That bereits eine dringende Notwendigkeit für Petersburg geworden. Die bedeutendsten Künstler Europas strömten in den ersten fahren dieses Jahrhunderts nach Petersburg, wo ihnen glänzende Einnahmen winkten (ein killet zu dcn Koncerten der C'atalani kostete 25 Rubel) und wo ein kunstsinniges Publikum ihren Leistungen richtiges Verständnis entgegenbrachte. Mit vollem Recht konnte die (üatalani sagen: Im^ ju^te et I<^ Mi« cormai^eur. Obenan unter den Musikfreunden stand der Adel, und die in seinen Kreisen Mode gewordenen Dilettantenkonzerte trugen wesentlich dazu bei, daß Petersburg auch das Eldorado aller Musiklehrer wurde. Nun kam auch die Kammermusik in Mode, die man im vorigen Jahrhundert in Rußland gar nicht gekannt hatte, und Haydn und Mozart wurden für einige Zeit die Lieblinge der musikalischen Kreise. Veethoven fand nicht viel Anklang, viel mehr die Kompositionen für piano von Field, der mit feixen Konzerten beispiellose Erfolge erzielte, und Rossinis und Mozarts Gpern. Der Adel beschränkte sich jedoch nicht bloß auf die Protektion der Künstler und auf einiges Dilettantentum, sondern versuchte sich auch in eigenen Schöpfungen. Ein Graf Grloff schrieb einen 1^5^i 5Ur I'ln'^wiiv _' la mu^i'iuo <_>n Italic', und das hübsche Tied „Schöne Minka, ich muß scheiden" wird sogar einer allerhöchsten Persönlichkeit zugeschrieben, die es in Tilsit vor ihrem Abschied von der unglücklichen Preußenkönigin Couise verfaßt haben soll. Die französische Oper, an welcher der berühmte Gpernkomponist A. F. Noieldieu als Kapellmeister wirkte, leistete um diese Zeit Vorzügliches; das Orchester zählte Künstler ersten Ranges zu seinen Mitgliedern. Und nun entstanden auch russische Gpern. Ein Ausländer, der Kapellmeister C. Cavos, wurde der Begründer der russischen (»per. Mit mehr Geschick als seine Vorgänger löste er die schwere Aufgabe, denn er verstand es, aus dem unerschöpflichen Vorn der russischen Volkslieder zu schöpfen und so Musikwerke zu schaffen, die nicht nur der Sprache, sondern auch dem Geiste nach echt russisch waren, viele seiner bieder leben heute noch im Volksmunde fort. von den ^ Gpern, mit welchen er der russischen 25ühne ihr erstes Gpernrepcrtoire schuf, fand den meisten Beifall „Iwan Susanjin"; seine sämtlichen Stoffe waren der russischen Sage oder Geschichte entnommen. Die russische Gper hob sich nun rasch. Das Repertoire wurde von Jahr zu Jahr durch Übersetzungen deutscher und französischer Gpern (Freischütz von Weber u. a.) bereichert. Einheimische Komponisten traten erst in den dreißiger Jahren auf, doch gleich zwei hell leuchtende Sterne erster Größe: Alerei Nikolajcwitsch wjer stow sky und Michael Iwanowitsch Glinka, wjerstowskys erste Gpcr „Herr Twjerdowsky" (Tcrt von Sagoskin) wurde vom russischen Publikum mit einen, Enthusiasmus aufgenommen, wie man ihn im Norden kaum für möglich gehalten hätte. In wenigen Wochen waren seine Melodieen Gemeingut des Volkes, das Volk sang sie auf den Straßen, die herumziehenden Musikbanden spielten sie, sie wareil zum Volkslied geworden. So konnte es vorkommen, daß der Direktor eines kleinen Provinztheaters bei der probe von „Herr Twjerdowsky" entrüstet auf dcn Regisseur zustürzte und fragte, wer das Tied eingelegt habe, welches alle Straßenjungen pfiffen; er wußte nicht, daß das Aed der Gper vorangeeilt war und sich eingebürgert hatte, bevor noch die Gper selbst zur Aufführung gelangte. Zehn Jahre lang erhielt sich diese und die zweite Gper wjerstowskys „Zwölf schlafende Mädchen" auf dem Repertoire, und in jüngster Zeit sind beide in neuer Vearbeitung wieder aufgetaucht. Noch größere Erfolge erzielte der Komponist mit seiner dritten Gper „Askolds Grab", die in Moskau allein mehr als 300 mal aufgeführt wurde und einem Theaterdirektor über ^ Million Rubel eintrug. In Petersburg fand sie zwar nicht eine so begeisterte Aufnahme wie in Moskau, aber sie hat die Runde durch ganz Rußland gemacht, und keine Gper ist dort so populär geworden wie „Askolds Grab". Nur Gogols und Gribojedoffs Lustspiele „Der Revisor" und „Gore ot uma" mit ihrvn -------- 89 ...... aus dem Teben gegriffenen Gestalten haben einen gleichen Erfolg erzielt. Heute noch sind wjerstowskys von echt nationalem Geist durchwehte Kompositionen, namentlich seine späteren Gvern „Gromoboi" und „Der Zauberer von Moskau" Zierden des Petersburger Repertoires und machen, wenn sie zur Aufführung gelangen, stets volle Häuser. Im Jahre ^836 trat Glinka mit seiner großen lyrischen Gver „Das Teben für den Zar" vor das Petersburger Publikum. Obwohl die Handlung des Librettos höchst einfach ist, so hat doch dcr geniale Romponist es verstanden, allen Gestalten der Gper eine scharf ausgeprägte individuelle Färbung zu verleihen, und durch die glückliche Mischung russischen und polnischen Wesens in den schwermütigen russischen und den feurigen polnischen Gesängen ist es ihm gelungen, das Ziel zu erreichen, das ihn: vorschwebte: eine nationale slavische Gver zu schaffen. Auf allen Vühnen Nußlands, ja der ganzen slavischen Welt ist Glinkas „^eben Auf der Üvhcdc von Rronst^t, für den Zar" gegeben worden ^ in Petersburg dreißig Jahre nach der ersten Aufführung, am 27. November 1,866 zum 275. Mal — und immer noch beherrscht die Gpcr das Repertoire aller slavischen kühnen. Diesen beiden schließt sich in neuerer Zeit als ebenbürtig an Anton Rubinstein, ^evor wir von seinen Tondichtungen sprechen, sei jedoch auf sein wirken als weiter eines Vereins hingewiesen, der ihm in erster Reihe die wichtige ötcllung, die er sich errungen, verdankt. Die oben erwähnte philharmonische Gesellschaft hatte sich im Jahre ^8."i9 aufgelöst. Da faßte Rubinstein mit einigen Freunden den Entschluß, dieselbe auf zeitgemäßen Grundlagen neu zu gründen, und von einflußreichen Persönlichkeiten unterstützt, rief er bald die „Russische musikalische Gesellschaft" ins Tebcn, deren Statuten am ^. Mai ^85/) von der Regierung bestätigt wurden. Die Gesellschaft stellte sich zur Aufgabe, für Verbreitung musikalischer Kenntnisse zu sorgen, das Publikum mit den Meisterwerken der bedeutendsten Tondichter aller Völker bekannt zu machen, Mche . 52 --------90 -------- Talente zu unterstützen und sie durch prcisausschreiben und Verleihung von Medaillen zu schöpferischer Thätigkeit anzueifern, ihre Erstlingswerke in Konzerten aufzuführen und eventuell auch durch den Druck bekannt zu machen, minder Bemittelten Stipendien zu Studienreisen ins Ausland zu verleihen u. s. w. jährlich sollten ^0 Konzerte und 6 Kammerkonzerte veranstaltet werden und 2 Gratorien zur Aufführung gelangen. Die Gesellschaft wählte Rubinstein zu ihrem weiter und die kunstsinnige Großfürstin Helene pawlowna Zur protektorin, und dank so hoher Protektion und der unermüdlichen Thätigkeit Rubinsteins konnte sie schon ^860 eine ähnlicl-e Gesellschaft in Moskau gründen und bald darauf Filialen in mehreren Städten errichten. Am ^?. September ^8l»2 wurde das von der „Russischen musikalischen Gesellschaft" gegründete Konservatorium in Petersburg eröffnet, dessen Protektorat wiederum di^ Großfürstin Helene und dessen Leitung Rubinstein übernahm. Tüchtige tehrer, darunter Musiker ersten Ranges, wirkten an demselben: neben Rubinstein A. Dreyschock, 3eszetizki, der bekannte Violinvirtuose wieniawski, Dawidoff u. v. a. Vier Jahre später gründete die Moskauer musikalische Gesellschaft ebenfalls ein Konservatorium, und Rubinsteins Bruder wurde der weiter dieses Instituts, an welchem wieniawski, Ferdinand taub u. a. wirkteli. Das ganze musikalische 3eben Rußlands gipfelte dan,als in Rubinstein, und er wurde durch sein verdienstvolles wirken der Liebling des Petersburger und des Moskauer Publikums. Seine Arbeitskraft schien zu wachsen mit jeder neuen ^ast, die er auf seine Schultern nahm, denn trotzdem seine vielseitige Direktionsthätigkeit viel Zeit beanspruchte, konnte er doch Jahr für Jahr die musikalischen Kreise mit einer Reihe neuer Schöpfungen überraschen: Kompositionen für piano, Violine und Orchester, eine Menge bieder, mehrere Symphonieen, sein berühmtes Oratorium „Das verlorene Paradies" (op. 50), mehrere russische und deutsche Gpern. Seine ersten Gpern und Operetten, die in den fünfziger fahren erschienen ^ „Dmilri Donskoi" (^50, dreiaktige Oper), „Der sibirische Jäger" (I85i^, einaktige Operette), „Der närrische Thomas" (^,">8). „Die Rache" (^858) sind jetzt vom Repertoire verschwunden. „Der sibirische Jäger" kam auch in Deutschland zur Aufführung, doch ohne sich auf der Bühne behaupten zu können. Mehr Erfolg erzielte die große lyrische Oper „Feramors", ganz besonders aber seine „Makka-bäer" (^87?) und sein „Nero". Augenblicklich macht Rubinsteins neueste Oper „Der Dämon" die Runde über alle Bühnen des Auslandes. An mehreren der ersten kühnen Deutschlands hat diese Oper, deren Tert der bekannten gleichnamigen Dichtung Michael ^ermontoffs entnommen ist, sensationelle»' Erfolg erzielt, wir hören da wieder echt russische Musik, während Rubinstein bei der Mehrzahl seiner früheren werke sich mehr an deutsche Meister wie Mendelssohn, Schumann und Beethoven anlehnte. Zu diesem glänzenden Dreigestirn am musikalischen Himmel Rußlands — wjerstowsky, Glinka, Rubinstein — hat sich in jüngster Zeit als vierter Alezander Nikolajewitsch Sjeroff gesellt. Sjeroff <^82l) jn Petersburg geboren) ist ein Schüler Glinkas, doch haben Franz Liszt und Richard Wagner großen Einfluß auf die Entwicklung seines Talentes ausgeübt; er ist in Rußland der bedeutendste Vertreter wagnerscher Richtung, und sein musikalischer Stil steht in Verbindung mit Glinkas slavischen Nationalwcisen, sowie mit der neudeutschen Opernrichtung Richard Wagners, vereint die Sangbarkeit und Charakteristik des Nationalgesanges mit einen, ununterbrochenen dramatischen Fortschritt und farbenprächtiger Instrumentierung. Schon während seiner frühern Thätigkeit als Kritiker war Sjeroff scharf angefeindet worden; die Erfolge, die er rasch nach einander mit seinen Opern „Judith", „Rognjeda", „Wrashja s>la" und „Taras Bulba" errang, vermehrten nur noch das Heer seiner Gegner, anstatt diese zu entwaffnen. Es entstand ihm gegenüber die sogenannte „jungrussische musikalische Schule", ein RaslV»! auf musikalischem Gebiet, der jedoch nicht bloß die jungen Kräfte umfaßte, sondern auch manchen der älteren Meister beeinflußte, wie z. B. Dargomishsky, der noch am Abend seines Cebens mit den Regeln brach, die er bisher befolgt hatte, und eine Oper „Der steinerne Gast" schrieb, welche zwar ein nicht unbedeutendes Talent für rezitative Form verrät, aber für die Bühne völlig unbrauchbar ist. Die „jungrussische musikalische Schule" stellt folgendes Programm auf: Sie will mit alleu Regeln und Traditionen, an die sich bisher die Komponisten Westeuropas gehalten haben, brechen, will nichts wissen von Meyerbeer und Rossini, noch weniger von Bellini, Donizetti u. s. w.; die Musik Bachs, Haydns und Mozarts ist ihr ein überwundener Standpunkt; die konzentrische Melodieeilführung ist möglichst zu vermeiden, und da, ------- 9; ------- wo die Melodie sich nicht umgehen läßt, wie z. V. bei volkstümlichen Stoffen, ist sie möglichst mit harmo° nischcn Arabesken zu verhüllen; die Gpcr ist auf dem Rezitativ oder Dialog aufzubauen, Duette, Trios und andere „morcecmx d'onsemble" mit Ausnahme der Massenchöre von der Verwendung auszuschließen, uud der Musik eine solche reale Grundlage zu geben, daß sie imstande ist, nicht nur alle seelischen Empfindungen und Gefühle, sondern auch Gedanken auszudrücken; überhaupt will die Schule sich bei Verfolgung aller dieser Grundsätze durch keine wie immer gearteten musikalischen Schranken hemmen lassen, alles von Grund aus beseitigen, was von älteren Komponisten stammt, eine neue Kunstrichtung schaffen und neue Wege einschlagen, so wie es sich für bahnbrechende Geister geziemt. Ihre bedeutendsten Vertreter fand diese Schule in Kyj („Angelo", „Wilhelm Redcliff"), N. Rimsky-Korsakoff („Snjegurotschka", komische Gper „Maiennacht" nach Gogols gleichnamiger Erzählung, „pskowi-tjanka") und in G. M. Musorgsky („Noris Godunoff"). In den beiden letzten Jahrzehnten ist das russische Gpcrn-Repertoire bedeutend bereichert worden. Die tüchtigsten unter den neuereu Meistern sind Sokalsky („Maiennacht"), p. I. Tschaikorvsky („Der wojewode"), lt. F. Solowjew („Vakula-Kusnj^tz), Raschperoff („Der Sturm" und zwei italienische Gpern „Maria Tudor" und „Rienzi", in Mailand aufgeführt), D. A. Stolypin („Stenka Rasin"). Glinka, der auch mit seiner Zweiten Gper „Ruslan und Ljudmila" großen Lrfolg erzielte, hat auf der von ihm betretenen Vahn viele Nachfolger gefunden, die einen Vaustein nach dem andern zu dem Gebäude der ersehnten Rational-Gper hinzufügen. An regem Interesse für solche Schöpfungen ist im Publikum kein Mangel. Das goldene Zeitalter der Künste, welches Rußland und namentlich Petersburg und Moskau in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts erlebten, ist zwar vorbei, aber Petersburg ist auch heute noch eine der kunstsinnigsten Städte Europas. Petersburg besitzt augenblicklich vier kaiserliche Theater, denen gegenüber Privatunternehmungen, die gleichwohl bestehen, schwer aufkommen können. Das Kaiserliche Große Theater, >"iTheater, 2000 Personen fassend, für russisches Drama und italienische Gper; das Kaiserliche Alexandra-Theater, welches für ^790 Zuschauer Raum enthält, für russisches Drama, uud das für ^000 Personen berechnete Kaiserliche Michael-Thealer für deutsches und französisches Drama und Lustspiel. Außer dem Michael Theater wird an bestimmten Tagen auch im Alerandra-Theater deutsch gespielt. Das frühere Kaiserliche Kleine Theater an der Fontanka ist jetzt ein prioatunternehmeu, und im Eremitage-Theater, dessen wir schon erwähnten, wird nur bei großen Hoffestsn gespielt. Außerdem giebt e^ noch kleine Theater iu Krasnoje Selo, Granienbaum und pawlowsk, und im Sonnner auf dem Kameny-Ostrow und in Gserki. Die preise, besonders in den kaiserlichen Theatern, sind nach deutschen begriffen sehr hoch: Im großen Theater kostet die Vel-Etage-Loge H5 Rubel 75 Kopeken, ein parketsitz (je nach der Entfernung von der Vühne) bis ^0 Rubel; bei den deutschen Vorstellungen im Michael-Theater die Vel-Ltage» Loge l/> Rubel 80 Kopeken, parket ^ Rubel 80 Kopeken bis 5 Rubel c.O Kopcken. Treten fremde Gäste auf, werdcu die preise noch bedeutend erhöht; ebenso gelten bei Venesizvorstellungen und an Feiertagen erhöhte preise. Nach dem vorbilde der Hauptstadt entstanden auch in anderen Städten des Reiches musikalische Gesell» schaften, viele derselben von Deutschen gegründet. So entstand sogar hoch oben im äußersten Norden, in Archangelsk, ^8H0 ein deutscher Gesangverein. Drei Jahre vorher hatte Karl Gödicke in Moskau einen deutschen Gesangverein gegründet, der Oratorien, kirchliche Kompositionen von Beethoven, Händel, Haydn und anderen zum Vortrag brachte. Damals gab es wohl in keiner andern Stadt so viel Sinn für Musik wie in Petersburg. . März bis s>. April ^8^0 fanden mehr als Hl) Konzerte statt, ganz abgesehen von den zahllosen musikalischen Abendunterhaltungen. Die Glanzpunkte bildeten die Hofkonzerte unter der Leitung Schuberts, die Produktionen des von Lomakin geleiteten gemischten Sängerchors des Grafen Scheremetjew, welcher zuweilen bis ^50 Mitglieder zählte, und die Konzerte der philharmonischen Gesellschaft, welche vorzüglich klassische Musik kultivierte, doch auch neuere Kompositionen zum vortrag brachte. ^3* _____ H2 ____ Die Russen lieben, wie alle Slaven, Musik und Gesang ungemein. Das Volk singt in Rußland nicht nur, um seiner Freude Ausdruck zu gcben. Der Gesang ist ihm zur Gewohnheit geworden, und der Arbeiter oder 35auer kann keine Arbeit verrichten, ohne irgend ein Volkslied vor sich hin zu summen. Die schwerste Arbeit wird ihm leicht durch den Gesang; ohne diesen würde sie ihm drückend sein und ihn ermüden. <3ine besonders wichtige Rolle spielt aber der Gesang im Heere. eierslmrg. Z) Aufsicht von der Ischaimiia gora. 2) Aussicht von loksoivo. 5) Areuz auf denl Areuzberg. ------- 95 ein monotones Rezitieren teils des Demestwennjik allein, teils des Volkes oder der anderen Sänger mit ihm, und nur durch ein zeitweiliges stärkeres Anschwellen des Tones kam einige Abwechslung in den Gesang. Jaroslaw führte den dreistimmigen Rirchengesang des hl. Johannes Damascenus in Rußland ein, der neun Jahrhunderte lang sich behauptete, im s^aufe der Zeit aber, anstatt weiter ausgebildet zu werden, immer fehlerhafter wurde. Die erste Änderung trat unter dem Patriarchen Nikon ein, der manche dringend nötig gewordenen Verbesserungen im Rirchengesang des hl. Johannes Damascenns einführte, aber seine Neuerung stieß in Großrußland auf den heftigsten wiederstand, da man ihn ohnehin geheimer Verbindungen mit Ron, beschuldigte und nun glaubte, er wolle den römische»» Kirchengesang an Stelle des griechischen einführen, was nicht im entferntesten zu befürchten war, da Nikon den griechischen Gesang sehr liebte. Er sah abcr doch ein, daß er die westeuropäische Musik nicht völlig entbehren könne, da der griechische Rirchengesang von Fehlern wimmelte. Daß er jedoch die in Rußland an stelle der griechischen TZuchstabennoten gebräuchlich gewordenen eigentümlichen Haken (krjuk/) durch die abendländischen Noten ersetzte, war eine Änderung, die den größten Unwillen der Strenggläubigen erregte, und heute noch bedient sich der russische Rassk6l nur der alten krjuk^. Der abendländische Einstuß begann sich erst gegen das Ende des ^?. Jahrhunderts bemerkbar zu machen. Unter der Regierung des Zaren Feodor wurde der mehrstimmige Gesang in einigen Rirchen eingeführt, und unter Oeter den, Großen wurde er für alle RircheN angeordnet. Der kunstsinnige und aufgeklärte Vischof Theophan prokovowitsch unterstützte f)etcr kräftig bei seinen Bestrebungen zur Hebung des Rirchengesanges, auf seine Veranlassung wurden auch Sänger ins Ausland gesandt, um sich dort weiter auszubilden, doch ein origineller russischer Rirchengesang entwickelte sich trotzdem nicht, man kam über die Nachahmung italienischer Vorbilder nicht hinaus. AIs unter der Raiserin Elisabet eine Menge fremder Rünstler nach Petersburg kam (Aray, Raupach, Salieri u. a,), wurde der Einstuß italienischer und deutscher Meister noch größer. Die Gesangskräfte waren vorzüglich. Schlözer, der in den Jahren ^?ci^ bis ^7t,5 in Petersburg lebte, weiß die kaiserliche Rapelle, die aus ^5 Tenoristen, ^5 Altisten, ^2 Vässen und ^5i Diskantstimmen bestand, nicht genug zu rühmen. Er war entzückt von dem lieblichen Rlang der einen, und von der Stärke der anderen Stimmen und schrieb, daß die finite bebten, vor denen die Bassisten standen. Der alte Meßgesang mit seinen einfachen Melodieen schwand aber immer mehr. Der größte Meister der russischen Kirchenmusik, Vartnjansky (^75^ bis ^825), der „russische Oalestrina" genannt, vermochte sich trotz bedeutender Anlagen nicht von den: italienischen Einsinß zu befreien, von Ratarina II. zu seiner Ausbildung nach Italien gesandt, kam er dahin zu einer Zeit, in welcher die Glanzperiode der italienischen Musik mit den großen Meistern längst zu Grabe getragen war und nur die Epigonen derselben seine Lehrer sein konnten. Gbwohl die italienische Musik durch ihn erst recht in Rußland Verbreitung fand, so zeichnen sich doch seine Rompositionen durch kernigen Gehalt und Tiefe der Empfindung aus. Er schrieb eine dreistimmige Messe, 55 vierstimmige Rirchcnkanzonen und zehn Doppelchöre. Außer Vartnjansky verdient von älteren einheimischen Romponisten nur Dekterew Erwähnung, bei dem jedoch trotz unleugbar sorgfältiger Sahführung die Rirchenmusik schon völlig in modernen Gpernklängen aufgegangen ist — und von ausländischen Meistern der schon oben erwähnte Sarti, der durch seine großartige», Messen und das von 500 Sängern in Jassy aufgeführte Tedeum (siehe Seite 8H) große Popularität erlangte. In jüngster Zeit hat auch die russische Rirchenmusik unter ihren Vertretern wieder bedeutende Namen aufzuweisen, wie Dawidoff, Roslowsky, Nanmoff, Turtsch^njew und Lwoff, dessen Name europäische Berühmtheit erlangt hat. Die Rirchenmusik war schließlich so nut modernen italienischen Romposilionen durchsetzt, daß Raiser f)aul sich ver> anlaßt fand, am 1^8. Mai ^?9? anzuordnen, daß nur alte Gesänge in den Rirchen zum vortrag gelangen dürfen. Diese Verordnung fruchtete aber wenig, nnd noch Alexander I. und Nikolaus I. fanden Veranlassung, gegen das Unwesen einzuschreiten. Alexander I. verbot zunächst die Aufführung neuer Rompositionen in seiner f)rivatkapelle und dehnte dann dieses verbot auf alle Rirchen aus, so daß fortan nur noch die alten bieder gesungen werden dnrftcn. Unter Nikolaus l. wurde unter dem vom Synod ihm beigelegten Titel Irmologia ein mehrbändiges Gesangbuch herausgegeben, welches die revidierten Texte und Melodieen der alten Rirchen« gesänge enthielt. wir können von der russischen Rirchenmusik nicht scheiden, ohne eines jener kirchlichen Feste geschildert zu haben, bei denen der Gesang einen geradezu überwältigenden Eindruck hervorbringt: das Fest der Recht« -------- 96 -------- glä'ubigkeit. wir folgn, hierbei zum Teil der prächtigen Schilderung des czechischen Schriftstellers Karel Hav-liciek. Der Schauplatz der scene, welche er uns schildert, ist eins der Kreml-Kathedralen. Harmonischer Chorgesang, der nach jeder Strophe auf einige Augenblicke verstummt, tönt durch die mächtige Kirche, in welcher die Menschenmenge Kopf an Kopf gedrängt steht. Da erdröhnt plötzlich vom Glockenwrm der ^wan der Große, die Riesenglocke, und im nächsten Moment stimmen all die Hunderte großer und kleiner Glocken auf den unzähligen Glockentürmen Moskaus mit ein, der Gesang verstummt, die drei Thüren des ^konosti'i,s öffnen sich und langsamen Schrittes zieht die Geistlichkeit in die Kirche, ein bunter Zug voll farbiger, mit Gold und Silber gestickter Gewänder, auf denen perlen und (Ldclsteine funkeln. Der Metropolit läßt sich auf einem erhöhten Tehnstuhl nieder; oor ihm fällen die Bischöfe und Abte, ehrwürdige Gestalten mit langen graue»« Värten, zwei Sitzreihen, und hinter ihnen stellt sich die niedere Geistlichkeit auf, die weiße nnd die schwarze, erstere in farbigen, dem Oluviale ähnlichen Kleidern, letztere schwarz gekleidet, auf dem Kopfe den hohen schwarzen Hut. Nun tritt ein Archidiakon vor und liest einen geeigneten Abschnitt aus der Vibel. Nachdem er das ^uch geschlossen, herrscht eine weile Grabesstille in der Kirche. „Dann," schreibt Havliöek, „breitete sich ein gewisser Lrnst über die ganze Gestalt des Archidiakons aus, und mit starker, möglichst tiefer Stimme begann er so zu sprechen: „wer sich dem Achte der göttlichen Wahrheit widersetzt und die Finsternis seiner Seele im Volke verbreitet" — und setzte dann nach einer kleinen Oause mit einer Stimme wie Gewittersiurm hinzu: „Sei verflucht!" (anäiema, d. i. anindcm^). Da erhoben sich alle Greise von ihren Stühlen und wiederholten mit zitternder Stimme: „Sei verssucht! Sei verflucht! Sei verflucht!" Dann begann wieder der Diakon: „wer, wenn ihm ^eben und Seelen seincr Brüder anvertraut sind, nicht arbeitet zu ihrem Wohlergehen, sondern zu ihren» verderben, sei verflucht!" — und alle Väter wiederholten dreimal: „Sei verflucht!" — „Wer," fuhr der Diakon fort, „seinem vaterlande in der Zeit der Not, welche die Hand des Herrn über dasselbe hereinbrechen ließ, nicht zu Hilfe eilt, sei verflucht!" Und wieder tönte es dreimal gedehnt und dumpf: „Sei verflucht!" — „!ver sich an seinem Volks soweit vergessen hat, daß er Fremden, die unser Vaterland zu vernichten streben, hilft und die «Lrniedrigung und die Schande seines eigenen Vlutes vergrößert, wie es ^)wan Maseppa gethan hat, sei verflucht?" — Hier rollte die mächtige Stimme des Diakons wie Donner über die kirchlichen Kleinodien hin und schwebte über den Köpfen des versammelten und zitternden Volkes, lind alle greisen Bischöfe erhoben traurig ihre grauen Häupter und riefen: „Sei verflucht! Sei verflucht! Sei verflucht!" Schüttelfrost überlief mich, als ich leise ihr „Sei verflucht!" wiederholte. Und so ging der Diakon allo Fehler, Sünden und vergehen, deren man sich gegen Gott, die Menschheit und das Vaterland schuldig machen kann, durcb, eines nach dem andern aufzählend, immer beginnend mit: „wer . . .", und immer den Fluch hinzufügend, den dann die Bischöfe, nachdem sie sich von ihren Sitzen erhoben, dreimal wiederholten. Der Diakon verkündete alles im tiefsten und stärksten Vaß, und sein „Sei verflucht!" kam mir vor, als wenn er in jähem Zorn und Abscheu vor der genannten Sünde sie erregt und eilig verfluchte; die ruhige, schwache, vielstimmige Antwort der Bischöfe aber, die den Fluch dreimal wiederholten, erschien mir als unabänderlicher Urteilsspruch nach reiflicher Überlegung und als ein verdammen unsäglicher vergehen durch den einstimmigen Beschluß des ganzen Rates ..." Der zweite Teil der Ceremonie ist den« Andenken hervorragender Männer gewidmet. Nach jedem Namen preist der Diakon in singendem Ton alle Verdienste des betreffenden Mannes, macht dann eine kurze pause und ruft endlich: „Lwiges Angedenken! WMschnaja pümjat!" (das t in p^'unjat ist weich zu sprechen, so als ob ein schwaches j darauf folgte.) Und die Bischöfe wiederholen stets dreimal: „Lwiges Angedenken!" „Das versammelte Volk," sagt Havln'ek, „war jedesmal erfreut, wiederholte jeden ausgesprochenen Namen mit stillen: Flüstern, gleichsam als ob der Geist des verdienten Tandsmannes über der Versammlung schwebte, viele der Anwesenden hoben ihre Kinder in die Höhe, damit sie mit eigenen Augen die Reihen der greisen Bischöfe sehen könnten, welche da stehen und „ewiges Angedenken" rufen den Verdiensten eines hochgeschätzten Mannes. Um beurteilen zu können, wie solche Worte aus dein Munde der Vischöfe auf das Volk wirken können, muß man wissen, mit welcher Ehrerbietung es seinen Bischöfen begegnet, sie schon während ihres Bebens sozusagen gleich Heiligen verehrt, weil sie in der That durch ihr verhalten, durch das stille, musterhafte, durchaus nicht herrscherhafte Teben, das sie führen, alles Lob verdienen." -------- 9? -------- So wird dem Bürger Minin und den» Fürsten Losharski, Oeter dein «Lrsten, „dein großen vermehrer nnd Förderer des Vaterlands", „den Kriegern, die bei der Verteidigung des Vaterlandes gegen den Angriff des stolzen fränkischen Eroberers gefallen sind", und vielen anderen „ewiges Angedenken" gewünscht. Dann folgt der dritte nnd letzte Teil der Feier, der Wunsch der „Mnogaja ljeta! Viele Jahre!" Die Reihe der Beglückwünschten eröffnet der Name des Kaisers, und kaum hat der Diakon mit mächtiger stimme das „Nlnogaja ljeta!" gejubelt und die Bischöfe den Ruf dreimal wiederholt, so donnern draußen die Kanonen, und von den Türmen ertönen die Kirchenglocken. Dann werden die Kaiserin und die Angehörigen des Kaiserhauses, jedes Alitglied desselben einzeln, beglückwünscht; ebenso die ganze Geistlichkeit, das Beamtentum, das ruhmreiche tapfere Heer. Stets wiederholen die Bischöfe dreimal den !vunsch des Diakons, und dann singt Schnwalowo. der Sängerchor noch längere Zeit nach einer sehr anmutigen Melodie „N^nogaja ljeta!" Die anwesenden Geistlichen, Beamten, Soldaten u. s. w. verneigen sich stets tief bei dem Glückwunsch, der ihrem Stande gilt, und wenn dann der Diakon, sein Buch schließend, ausruft: „Und euch allen, dem rechtgläubigen russischen Volke, viele ^)ahre!" —- da verneigt sich alles Volk freudestrahlend vor seinen, den Glückwunsch wiederholenden Bischöfen und dankt ihnen für denselben. Solche Feste gewähren einen Tiefblick in den Charakter des russischen Volkes, wie er sonst nicht leicht bei einer andern Gelegenheit möglich wird. Durch sie finden auch der beispiellose Patriotismus, die Gofer-Willigkeit ohne gleichen ihre Erklärung, welche den Russen vor allen anderen Nationen auszeichnen, ivas sind noch so große Resultate bei uns eingeleiteter Sammlungen gegenüber der Gpferwilligkeit in Rußland, l5 —— 93 -------- wo der schlichte, ungebildete Kaufmann in edler Begeisterung Hunderttausends von Rubeln auf d^'n Altar des Vaterlandes niedergelegt hat! Aber andererseits muß man auch fragen: wie ehren wir unsere großen Männer und wie ehrt sie der Russe? Können sich alle unsere Denkmäler von Stein und Erz, die wir unseren großen Männern errichten, mit jener Verehrung vergleichen, welche in Rußland an geheiligter Stätte noch nach Jahrhunderten vor dem versammelten Volke die Thaten seiner Lieblinge preist? Das ist in des Wortes vollster Bedeutung ein „ewiges Angedenken", das ist, sagt Havli, ek, „eine beseligende Unsterblichkeit unter den eigenen Angehörigen! Und wo fände mal, nur einen einzigen Jüngling, der nicht bereit wäre, alles zu wagen und alles zu leiden für eine solche Erwähnung seines Namens — der sich bedenken würde, sein 3eben und all sein Gut, sein Teuerstes für die Gewißheit hinzugeben, daß einst über seinen Staub gewordenen Gebeinen Greise im Silberhaar vor dem ganzen Volke seinem Namen und seinen werken „ewiges Angedenken" wünschen werden!" In Deutschland hat man solchen Erscheinungen bisher viel Zu wenig Beachtung geschenkt und ist durch vornehmes Ignorieren der slavischen Welt glücklich dahin gelangt, daß die gebildeten Kreise Englands und Frankreichs heute über vieles in Rußland bosser unterrichtet sind als man es in dessen nächstem Nachbarreiche ist. In jenen Tändern haben Anatole Teroy-Beaulieu, ^ouis ^eger, Murchinson, w. R. S. Ralston und in jüngster Zeit D. MackenZie-Walla^e u. a. wertvolles Material Zur Kenntnis Rußlands geliefert. Vergebens suchen wir aber ähnliche objektive, wissenschaftliche Arbeiten in Deutschland, wo man sich in die Geringschätzung des Slaventums so verrannt hat, daß man eines Tages höchst unangenehm durch die Wahrnehmung überrascht werden könnte, daß unsere östlichen Nachbaren doch ein Faktor sind, mit dem man in anderer weise rechnen muß, als man es bisher gewöhnt war. weil man in Deutschland die Leistungen Rußlands auf wissenschaftlichem Gebiete nicht kennt, würdigt man sie nicht. Die für den Deutschen schwer zu erlernende Sprache und die fremdartige Schrift sollten aber kein Hindernis scin, die geistigen Errungenschaften Rußlands uns zugänglich zu machen. Die Zeiten sind vorbei, in denen Ausländer allein in Rußlaud die Wissenschaft repräsentierten, und unter den Männern, die heute dort Bedeutendes leisten, findet man gar viele gutrussische Namen. Dem gegenüber klingt es geradezu komisch, wenn man, wie es so häusig geschieht, die Bemerkung hört, Rußland sollte in« eigenen Interesse, um den geistigen verkehr mit anderen Völkern Zu erleichtern, seine eigenartige Schrift aufgeben und die lateinische an deren Stelle einführen. Ein Volk von 70 Millionen kann sich wohl den Tuxus eigener Schriftzeichen erlauben und es ruhig abwarten, ob gewisse Umstände sich nicht mächtiger erweisen als die bei irgend einem andern Volk herrschende Abneigung gegen die Erlernung dieser Schrift. Eigenartig wie die russische Schrift ist ja auch die russische Kultur, deren Eristenz alle vornehme Geringschätzung auch nicht aus der Welt zu schaffen vermag. Die traurigen Verhältnisse, unter denen das russische Volk Jahrhunderte lang gelebt, haben demselben eben einen andern geistigen Entwicklungsgang vor-gezeichnet als er den durch keine Barbacenherrschaft niedergehaltenen Völkern des Westens möglich wurde. Die Religion hat bei diesen» Entwicklungsgang, worauf schon wiederholt hingewiesen worden, eine hochwichtige Rolle gespielt und spielt sie auch heute noch. Mit ihr hat auch Peter der Große, trotzdem er aus dem Kampfe mit der Hierarchie als Sieger hervorging, rechnen müssen, und seine 3ieblingsschöpfung ist schon in den ersten Jahren unter den Schutz eines der Nationalheiligen gestellt worden, jenes Alexander Newsky, der siegreich gegen Schweden und tittauer gefochteu und durch sein politisches Auftreteu gegenüber den Mongolen sein Volk vor der Sklaverei bewahrt, welche die unausbleibliche Folge des Sturzes des alten Herrscherhauses gewesen wäre. Unter allen kirchlichen Gebäuden Petersburgs bringt keines einen so imponierenden Eindruck hervor wie das Alerauder Ncwsky-KIoster. Mit allen seinen Kapellen und Nebengebäuden von einer starken Mauer umschlosseu, sieht es wie eine Festung aus, und iu der That war es früher eine, denn in der Zeit, in welche die Gründung des Klosters fällt, mußte man täglich feindliche Überfälle von schwedischem Gebiet her befürchten, und es war daher ein Gebot der Notwendigkeit, die Kirche durch Mauer und Graben gegen Plünderung zu schützen. Der eigentliche Gründer des Klosters war Feodosius (Janowsky), Archimandril von Chutyn, der während der Kriege Peters mit Karl XI!. nach der Newastadt kam. Er machte den Gouverneur der neuen Stadt, den Fürsten Mentschikoff, darauf aufmerksam, wie große Fortschritte die katholische und lutherische Propaganda unter dem gemeinen Volke mache und welch bedeutender Teil der Bewohner Petersburgs eiuer andern Kirche angehöre als der rechtgläubigen. Diesem Übelstande, meinte er, könne man am besten dadurch Sturm auf dem ladoga-3cc. Ufer des Onega-Zecz. _____ »HI _____ begegnen, daß Petersburg unter den besondern Schutz jenes Heiligen gestellt werde, dessen Name mit der Newagcgend eng verknüpft war: des hl. Alexander Ncwsky. Mentfchikoff, für den plan gewonnen, teilte ihn Peter mit, der seine Zustimmung gab, als Feodosius auseinandersetzte, wie das Kloster, welches er gründen wolle, eine Pflanzstätte der Wissenschaft werden und so des Zaren Bestrebungen unterstützen solle. Feodosius erhielt für sein Kloster am sogenannten Schwarzen Flüßchen einen tandstrich angewiesen, der den sinnischen Namen wichtula führte, von den Deutschen wurde dieser Name in Viktory korrumpiert und aus dem letztern später gefolgert, daß das Alexander Newsky-Kloster an derselben stelle erbaut worden, an welcher Alexander Newsky am ^8. ^uli ^2^ den großen Sieg über die verbündeten Schweden und Ordensritter errungen, doch entbehrt diese Annahme jeder Vegründung. ^m I^ahre ^?l,3 wurde bei dem Kloster nur eine kleine hölzerne Kirche erbaut, aber schon zwei ^ahre später begann Peter den Vau der großen Kathedrale, welcher erst ^?9^ unter Katarina II. vollendet wurde. Die Gebeine des hl. Alexander Newsky wurden ^72^ ans Wladimir, wo sie bisher geruht, in das neue Kloster gebracht, und ruhcu nun in einem kostbaren Reliquien-schrein der Kathedrale, zu dessen Aufnahme ein 5, Meter hoher pyramidenförmiger Unterbau von massivem Silber errichtet wnrde. Die Kaiserin Elisabct hatte dazu 9^ Oud (^800 Kilogramm) Silber, das erste Erträgnis des Koliwanschen Bergwerkes angewiesen. Nebe»' dem Katafalk halten zwei Engel Tafeln mit Anschriften, und die wände des Denkmals sind mit Darstellungen aus dem ^ebeu des heiligen geschmückt, vor den, Denkmal steht ein silbernes Pult, in dem sich ein Reliquienschrein befindet, und ein silberner Kandelaber, welche ^8lld Alexander I. den« Kloster schenkte. Daß die Schatzkammer große Reichtümer an mit perlen und Ldel° steinen besetzten Gewändern, Mitren, Heiligenbildern, Kelchen u. s. w. birgt, ist bei der großen Verehrung, deren sich das Kloster und sein Heiliger erfreuen, selbstverständlich. wie in Moskau das Troitzky-Kloster, so wurde schon frühzeitig in Petersburg das Alexander Newsky-Kloster die Begräbnisstätte des hohen Adels. Neben einigen Mitgliedern des Kaiserhauses — Peter des Großen Schwester Natalie und die Gemahlin Pauls l. — ruhen in der Kirche der Verkündigung Maria der gewandte Minister Katarinas II. Fürst ^esborodko, Pauls I. Erzieher Fürst panjin und der lvrühmte Suwaroff, dessen Grabinschrift seinem Wunsche gemäß kurz lautet: „Hier ruht Suwaroff." Du der Kirche d'°Stadtteil, nahe dem preobrashensky» platz. Nach der Eroberung der Krym schenkte ihn Katarina II. dem Fürsten patjomkin, dem „Vesiegcr Tauriens", nach dessen Tode er wieder in Kronsbesitz kam. Zu den großartigen öffentlichen Gebäuden passen die imposanten Privathäuser, unter denen sich manche Riesengebäude befindet». Trotzdem die meisten Häuser wegen des sumpfigen Vodens auf eingerammten pfählen erbaut und die Baukosten sehr bedeutende sind, trifft man die Raumverschwendung, die man auf den zahlreichen Plätzen anstaunt, welche für 60000 bis ^00000 Mann Raum zu militärischen Übungen bieten, auch in den großen Mietskasernen Petersburgs. Holzhäuser waren vor wenigen Jahrzehnten noch in den elegantesten Stadtteilen zu finden; jetzt ist die Errichtung neuer untersagt, und man muß schon ziemlich weit an die Grenzen der Stadt und auf die Inseln hinauswandern, wenn man noch Holzhäuser sehen will. Diesen vielen Holzbauten verdankte Petersburg die große Zahl Vrände, von denen es in jedem Jahre heimgesucht wurde; daß aber diese Vrände vor 25 bis 30 Iahrcn oft riesige Dimensionen annahmen, verdankte man der höchst mangelhaften Einrichtung der Feuerwehr. Erst nachdem Trepoff Gberpolizeimeister geworden, begannen sich die Feuerwehrverhältnisse Petersburgs rasch zu bessern, und das Jahr ^866, in welchem das ganze Polizeiwesen neu organisiert, wurde, blieb auch nicht ohne Einfluß auf die Organisation der Feuerwehr. Trepoff sah ein, daß das vorhandene Material nicht nur an (Dualität, sondern auch an (Quantität den Bedürfnissen einer Großstadt nicht genügte, und er drang alsbald nach seinem Amtsantritt darauf, daß größere Summen als bisher für die Petersburger Feuerwehr angewiesen wurden. Für Pferdeankauf waren anfangs 300? Rubel jährlich angewiesen gewesen, doch schon im Jahre 1^862 hatte der damalige Gberpolizeimeister Anenkoff eine Erhöhung auf 8500 Rubel erlangt. Jetzt wurde dieser Jahresbeitrag abermals erhöht und außerdem durch den Minister walujew 50000 Rubel zur Anschaffung besserer Maschinen und Gerätschaften bewilligt. Jede Neuerung im Töschwesen, die sich im Auslande bewährt hatte, wurde von jetzt ab auch in Petersburg eingeführt, und die Petersburger Feuerwehr erreichte unter Trepoffs Leitung eine solche Vervollkommnung, daß sie denen anderer Großstädte ebenbürtig ist. Allerdings wurden manche Verbesserungen, die im Auslande eingeführt waren, in Petersburg erst viel später angenommen; so wurde dort z. 25. Gallifets Apparat, der das Atmen in, dichtesten Rauch ermöglicht, erst im Jahre ^86? eingeführt. Doch dabei blieb Trepoff nicht stehen; das Töschcorps selbst sollte völlig umgestaltet werden, Er lud alle Feuerversicherungsgesellschaften ein, Delegierte zu einer Beratung über die Neugestaltung der Petersburger Feuerwehr zu senden, und auf Grund der von diesen vorgebrachten wünsche unternahm er die Reform. Die Petersburger Feuerwehr besteht nicht wie in anderen Städten aus Freiwilligen, die sich zu diesem Dienste anwerben lassen, sondern sie rekrutiert sich aus den, stehenden Heere. Das war auch schon vor Trepoff der Fall, aber man nahm früher auch alte Teute, die zu solchem Dienst nicht mehr taugten, wogegen fortan eine strenge Auswahl getroffen wurde. Durch eine derartige Zusammenstellung ist innerhalb des ^üorps eine strengere Disziplin ermöglicht, als wenn dasselbe aus Freiwilligen bestehen würde, und die Unterhaltungskosten sind auch bedeutend geringer. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht dürfte jedoch auch eine Änderung der «Organisation der Petersburger Feuerwehr nötig machen. --------^05 -------- Die Vertreter der Versicherungsgesellschaften hatten auch gewünscht, daß Löschmannschaft zu Fnße, mit den notwendigsten Apparaten versehen, gleich den Schutzleuten in verschiedenen Straßen postiert werde, doch dies glaubte Trepoff ablehnen zu müssen, da dadurch eins Niehrauslage von ^000 Rubel jährlich, die !Niete für die nötigen Wachlokale gar incht eingerechnet, enlstanden wäre, und die zu Fuße nach der Brandstätte eilenden Feuerwehrleute doch nur in sehr seltenen Fällen diese früher erreichen würden als die schnell fahrenden Spritzen, so daß der Vorteil dieser Einrichtung in keinem Verhältnis zu den durch sie veranlaßten Kosten stünde. Dagegen werden im Sommer, wenn während der großen Hitze die Gefahr eines Brand.'s drohender ist, nach den am meisten derselben ausgesetzten und bevölkertsten funkten, z. V. Tschernaja Rjetschka, Jemeljanowka u. s. w. Abteilungen der städtischen Feuerwehr gesandt, die dort bis zum Herbste bleiben. Solche Riesenbrände, wie noch vor zwanzig bis fünfundzwanzig fahren stattfanden, z. B. jene der Ismailoffschen Kaferne und des Aprazin dwor, sind heute in Petersburg nicht mehr möglich. Die Feuerwehr ist mit Blitzesschnelle am Brand« orte, und vorzügliche Maschinen, tüchtige Leitung und eine kühne, vor keiner Gefahr zurückschreckende Nlaun-schaft sichern den Erfolg der ^oschungsarbeiten. Einer der verheerendsten Brände, die Petersburg je erlebt, war jener, der in einer winteruacht des Jahres ^ß.^? den kaiserlichen Palast mit unschätzbaren Kunstschätzen in Asche legte. Ein schöner Charakterzug des Kaisers Nikolaus wird aus jener Schreckensnacht berichtet. Der Baiser hatte den brennenden Palast nicht eher verlassen, als bis er die Überzeugung erlangt hatte, daß all die taufende seiner Bewohner, unter denen sich auch eine schwer kranke Hofdame befand, gerettet seien, während die Feuerwehr riesige Anstrengungen machte, den Palast zu retten, kam die Nachricht, auch auf wassily Gstrow sei ein Feuer ausgebrochen. Nikolaus, der bei jedem Brand gegenwärtig zu sein und die töscharbeiten zu beaufsichtigen pflegte, wollte sich sofort nach der andern Vrandstätte begeben, und befahl der beim Palast arbeitenden Mannschaft, ihm zu folgen und seinen Palast brennen zu lassen. Der Großfürst Thronfolger suchte ihn zurückzuhalten und erbot sich, selbst nach wassil^Gstrow zu fahren. „Nein," sagte der Kaiser, „wenn unser Haus niederbrennt, können wir uns ein neues bauen, ich weiß aber nicht, ob dies auch die Eigentümer des andern Hauses können." Er fuhr nach WassilyVstrow, wo das Feuer gelöscht wurde, während sein Palast völlig ausbrannte. Jetzt bilden eine ernstliche Feuersgefahr nur noch die sogenannten Datschen, kleine hölzerne Landhäuser, in denen die Petersburger die Sommermonate zuzubringen pflegen. Die ersten derartigen Häuser, die eine Eigentümlichkeit Petersburgs sind, wurden bereits in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut. Den Namen Datsche (Gabe, Geschenk) erhielten sie, weil Katarina II. eine ^Ne>,ge solcher Villen nebst Grundstücken an verdienstvolle Nlänncr verschenkte. Ein großer Teil der NewaInseln ist mit Datschen bedeckt, die nebst dem bei ihnen befindlichen Garten im Sommer vermietet werden. Der petrowsky^, Krestowsky-, Kamcnuy» und Jelagiu-Gstrow, die im Volksmunde speziell „die Inseln" heißen, und die jenseits der Großen Ncwka ge» lcgcne Nowaja und Staraja Derewnja (neues und altes Dorf) besitzen die hübschesten Garten- und Parkanlagen, trotzdem sie in jedem Frühjahr überschwemmt werden. Im Sonnner herrscht zwischen ihnen und der Stadt ein reger verkehr; Droschken, Gnmibusse, Pferdebahnen, Barken und Dampfschiffe bringen die Villen« bervohncr nach der Stadt oder ihren Sommersitzen. Der Landungsplatz der für solchen lokalverkehr bestimmten Dampfer ist am Sommergarten; jene Dampfer, welche weitere Touren befahren, z. B. nach Kronstadt, haben ihre Landungsplätze am Wassili-Gstrow in der Nähe der imposanten Nikolaus-Brücke, welche ^5^ aus Granit und Eisen erbaut wurde und, auf 7 Pfeilern ruhend, die Sladt nut dem Wassili-Vstrow verbindet. Eine Fahrt nach Kronstadt wird gewiß niemand unterlassen, der Petersburg besucht. Das bu»le Treiben im Hafen der H8(100 Einwohner zählenden Stadt, wo die baltische Flotte und die großen Kauffahrer liegen, welche ihres Tiefganges wegen nicht in die Newamündung einfahren können, erlangt durch die echt russischen volkstypcn, denen man da begegnet, auch für jenen großen Reiz, der schon größere Häfen gesehen hat. Wie man sich aber der Stadt zuwendet, wird man sofort daran gemahnt, daß man sich in einem der ersten Waffenplätze Rußlands befindet. Da liegt das große Admiralitätsgebäude, und daran reihen sich Arse» nale, Schiffswerften, Kasernen, Vorratshäuser aller Art, Hospitäler, Laboratorien und Schule», dicht zusammen» gedrängt in dem sogenannten Admiralilätsteil der Stadt. Die andere Hälfte Kronstadts, der Gouverneursteil, bietet dagegen wenig Bemerkenswertes. -------- ;06 -------- Die Festungswerke auf der Insel Kotlin (dor alte finnische Name ist Retusari), auf welcher Kronstadt liegt, haben Millionen und aber Millionen Rubel verschlungen. Seit Peter dein Großen hat kaum einer der russischen Monarchen es unterlassen, Kronstadts Vefestigungen zu verstärken, besonders viel hat aber in dieser Veziehung Nikolaus I. gethan, so daß die Rosten der werke beim Regierungsantritt Alexander II. wohl nicht zu hoch mit 200 Millionen Rubel angegeben wurden, Kronstadt war aber auch bereits eine so starke Feste geworden, daß während des Krymkrieges die Flotte der Alliierten unter Napier, der sich gerühmt hatte, Kron-stadt zum Frühstück zu verspeisen lind in Petersburg zu Mittag zu essen, nach einer flüchtigen Rekognoszierung sich zurückzog und keinen Angriff wagte, seitdem sind die Festungswerke durch den bekannten Ingenieur-General Totleben noch bedeutend verstärkt worden. Mitten im sinnischen Meerbusen gelegen, sperrt Kronstadt die Linfahrt in die Newamündung vollständig; das nördliche Fahrwasser, ohnehin nicht tief, ist durch Spreu» gungen völlig unpassierbar gemacht, und die schmale Fahrstraße im bilden beherrschen von der einen Seite die Kanonen dcs nordischen Gibraltar, von der andern die Forts Risbank oder Foit Paul und Kronslott. Ein Feind, der hier die Durchfahrt erzwingen wollte, müßte über unzerstörbare Schiffe verfügen, denn die Natterieen der Festung sind so angelegt, daß jede Stelle des südlichen Fahrwassers von 20 bis .">0 schweren Geschützen ins Kreuzfeuer genommen werden kann. Kronstadt besitzt 7> Häfen, der mittelste enthält die Schiffswerften und dazu gehörigen Werkstätten, am Südwestende der Insel liegt der Kriegshafen, und am westeude der Kaufmannshafen, groß genug, um ^WO Schiffe aufnehmen zu können. Die schmale Fahrstraße für die Achterschiffe, welche von dort durch das seichte Wasser zur Newa führt, ist durch Stangen, Flaggen und Tonnen, bei Nacht durch «Leuchtschiffe markiert. Auf dem Kronstadt im Süden gegenüberliegenden Ufer ziehen sich in weitem Halbkreis die Lustschlösser des Kaisers und der kaiserlichen Familie hin: Stijelna, Peterhof, Granienbaum, Krasnoje Selo, Gatschina, pawlowsk u. s. w. Hoch über der Meeresküste bei dem Dörfchen gleichen Namens liegt 1^8 Werst von Petersburg entfernt Strjelna, das Lustschloß des Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch. Peter der Große hatte hier durch teblond ^?^ ein Schloß erbauen lassen, das aber zweimal von verheerenden Vränden heimgesucht wurde; das jetzige gotische Gebäude wurde ^8(^ erbaut. Des Kaisers Nikolaus VruHer, Großfürst Kon» stantin, weilte gern in Strjelna, das durch ihn sehr verschönert wurde. Ls besitzt herrlich».' Parkanlagen, die von Kanälen durchschnitten werden. Einige Stationen weiter liegt an derselben Eisenbahn Peterhof. Auch dieses Schloß wurde von Peter dem Großen gegründet (^720). Es liegt bei einer kleinen deutschen Kolonie gleichen Namens, von Katarina ll. wurden sowohl das Gebäude als die Parkanlagen vergrößert, und auch Kaiser Nikolaus hat noch viel zur Verschönerung vou Peterhof beigetragen. Peterhof ist das russische Versailles; das französische hat wenigstens bei seiner Anlage als Vorbild gedient, und was sich im Norden erreichen ließ, das ist gethan worden, um einen großartigen park zu schaffen. In dem am Meere gelegenen untern Teil des Schlosses befinden sich eine Grangcrie, ein Vadehaus und mehrere lusthäuser. In einem derselben, Mon» plaisir, welches Peter der Große ganz in holländischem Geschmack erbauen ließ, hat Elisabet petrowna häufig in der ebenfalls nach holländischen» Muster eingerichteten Küche des Amtes der Hausfrau gewaltet und eigen» händig das Mahl für ihre Gäste zubereitet. Eine Menge Fontainen und Kaskaden schmückt diesen Teil des Parkes. In, obern Teil sind künstliche Seeen mit Inseln angelegt worden, auf denen sich reizende kleine Lustschlösser erheben, der Kaiserin- und der 8 Porträts junger Mädchen aus allen Gegenden des Reiches hängen, welche der Graf Rotari als Vegleiter Katarinas II. auf einer ihrer Reisen gemalt; die beiden chinesischen Zinnner; das Toilettenznnmer der Kaiserin Alexandra Feodorowna; der Saal Peter des Großen und der Gardensaal nüt Darstellungen der Schlacht bei Tschesme, welche I. PH. Hackert ^??2 in Rom gemalt hat — Graf Grloff ließ bekanntlich, um dem Maler ein in die Tuft fliegendes Schiff zu zeigen, in ^ivorno, wo eine russische Lscadrc vor 2lnker lag, eine Fregatte sprengen. Auf derselben Vahnlinie liegt weiterhin, 59 Werst von Petersburg entfernt, schloß Granienbaum, hoch über dcm gleichnamigen Städtchen, welches etwa ^,000 Linwohner zählt. Jin Jahre ^?^ erbaut, war das Schloß ein Cieblingsaufenthalt der Kaiserin Elisabet petrowna und Peters III. In »ieuerer Zeit weilte dort häufig die Großfürstin Helene, welche das schloß vou ihrem Gemahl, dem Großfürsten Michael, Bruder Nikolaus >., geerbt hatte. Nach ihren: Tode wurde Granienbaum wieder Eigentum der Krone. l)on der peterhofer Time zweigt sich eine Vahn nach Süden ab, die über das weite, wenig Abwechslung bietende Manöverfeld der kaiserlichen Gardelruppen, wo dieselben jährlich im Juli und August ein Tager beziehen, nach Krasnoje Selo führt, einem freundlichen Dorf mit zahlreichen hübschen Dillen, einer am Ufer eines Tees gelegenen kaiserlichen Meierei (Farn«) und einem Schweizerhäuschen (dwor^z, das schloß, genannt), welche beiden letzteren die Kaiserin Alexandra Feodorowna ^828 erbauen ließ. Ltwa ^ Werst weiter liegt das Schloß Gatschina, das in jüngster Zeit als Zeitweilige Residenz des Kaisers viel genannt worden. Das in edlem Stil erbaute dreistöckige Gebäude, welches durch Kolonnaden mit einstöckigen Seitenflügeln zusammenhängt, wurde auf Befehl Katarinas II. ^??0 für den Grafen Grloff erbaut und mit prachtvollen Parkanlagen umgeben, die sich bis zu dcm sogenannten Weißen See erstrecken, in welchen die forellenreiche Ishora mündet. Das Schloß enthält nahezu 600 Zinnner und 3 Thronsäle, auch ein Theater und eine Reitbahn. Die Stadt Gatschina zählt lM)0 Einwohner und Hat ein sehr freundliches Aussehen; die Straßen sind mit Vä'umen bepflanzt, die Häuser meist villenartig gebaut. Hier befindet sich auch ein Findelhaus nebst Erziehungsanstalt, in welchem 600 Waisen Ausnahme finden können. Nordöstlich von Gatschina liegt das i/iO00 Linwohner zählende Zarskoje Selo, die Aeblingsresidenz Nikolaus l. und Alexanders ll. Schon unter Peter dein Großen stand hier ein Haus inmitten eines Tiergartens, die großartigen Anlagen jedoch, die man heute in Zarskoje Selo bewundert, sind Schöpfungen der drei Kaiserinnen, welche im vorigen Jahrhundert auf dem Zarenthron saßen. Für die Pracht, die hier herrscht, ist eine Anekdote bezeichnend, die von Katarina I!. erzählt wird. Die Kaiserin hatte den französischen Gesandten eingeladen, das eben vollendete große kaiserliche Schloß zu besichtigen. Nachdem derselbe alle Gemächer durchwandert und dann auf den Schloßplatz hinaustrat, sah er sich nach allen Seiten um, als ob er etwas suchte, und als die Kaiserin ihn deshalb befragte, erwiderte er: „Majestät, ich suche nur die Glasglocke, mit welcher dieses Kleinod bedeckt werden muß." Der Gesandte hatte damit keine leere Schmeichelei gesagt, denn die Ausstattung des Schlosses blendet nicht nur durch die entfaltete Pracht, sondern entzückt auch durch das geschmackvolle Arrangement. Da trifft man ein Zimmer, dessen wände ganz mit Vernstein bedeckt sind; ill einem Saal sind die Wände von Lasurstein, der Fußboden aus Lbcnholz. Das Schlafzimmer der Kaiserin hat wände von feinem weißen Porzellan, welcher durch Säulen von dunkelblauem Glas in Felder geteilt wird, und der Fuß» boden ist mit Perlmutter ausgelegt. Nnter den Gemälden sind viele wilder niederländischer Meister, herrliche Seestücke von Aiwasowsky, eine Kopie des Vrüloffschen Knppelgemäldes in der Isaakskirche u. s. w. In der zierlichen, tt2 Meter langen „Marmorgalerie", einer der ersten Sehenswürdigkeiten des Schlosses, von Cameron erbaut, stehen Vronzebüsten berühmter Männer Griechenlands nnd Roms, Über eine, von zwei großen Vronze-figuren bewachte breite Treppe steigt man von der Galerie in den Park hinab, der trotz seiner gewaltigen Ausdehnung so mit Sehenswürdigkeiten überfüllt ist, daß man mehrere Tage mit seiner genauen Vesichtignng zubringen könnte, wir können nur in, Fluge hindurchcilen, und steigen in eine Droschke, die uns durch den schönsten Teil der Anlagen hindurchführt. Wir sehen die chinesische Brücke, auf deren Geländer, einer täuschenden Korallenimitation, vier Steinfigurcn sitzen, Chinesen mit Sonnenschirmen, von denen die Brücke den Namen erhalten hat. weiterhin finden wir sogar ein ganzes chinesisches Dorf, dessen zierliche Hänschen für -------- 108 -------- das kaiserliche Gefolge bcstimmt sind. An den Nfern des Sees, dic an landschaftlichen beizen überaus reich sind, steht eine 33 Meter hohe Marmorsäule, mit vergoldeten Schiffsschnäbeln geschmückt, ein Seitenstück der columna ro«trnt3 vor der ^örse in Petersburg, zur Erinnerung an den Seesieg bei Tschesme und Zu Ehren des Hiegers und kaiserlichen Günstlings ^ Fürsten Grloff errichtet. Auf den klaren wellen des Sees schaukelt sich eine kleine Miniaturflotille, für die kaiserlichen Rinder bestimmt, und nahe dem Ufer erhebt sich das Gebäude der Admiralität dieser Flotille, wo eine Menge Schiffsmodelle von der malaiischen Piroge und der Gondel Venedigs bis zu den runden Panzerschiffen des Admirals Popoff aufgestellt sind. Halb im Gebüsch versteckt, gewahrt man das türkische Vad Katarinas II., mit vergoldeter Kuppel und schlankem Minaret (siehe Seite 8^), dessen innere, streng orientalische Einrichtung aus Adriauopel zur Zeit des dort geschlossenen Friedens nach Rußland gebracht wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees schimmern zwischen dem dunkeln Grün der Tannen und den Ahornbäumcn die weißen Maliern eines Kiosk hervor, eines trotz seiner Dimensionen zierlich und kokett aussehenden Gebäudes, das gleichfalls Katarina. II. errichten ließ. Kurz, auf schritt und Tritt erblickt man in dem weiten park etwas Fesselndes, bald einen Gbelisken, bald die Ruinen einer gotischen Kirche, dann wieder Riesenvasen und reizende Vronzefiguren, große marmorne Triumphbögen, eine Granit-Pyramide, und Pavillons in allen Größen und Baustilen. So großartig dieser park ist, so wird er doch von jenem des etwas südlicher gelegenen pawlowsk noch übertroffen, in dein Natur und Kunst im hohen Norden ein herrliches Stück Erde geschaffen haben (siehe Seile 85). Griechische Tempel — darunter besonders sehenswert der Tempel der drei Grazien — wechseln ab mit zierlichen Schweizerhäuschen, mit lauschigen Grölten und Eremitagen, Wasserfalle stürzen von den Felsen herab und das Klappern von Mühlrädern läßt sich im stillen Waldesgrund vernehmen, wenige Parks sind so reich an landschaftlichen Schönheiten, an Fernsichten und lieblichen Thälern wie der pawlowsky park, aber auch die Kunstgärtnerei hat hier Herrliches geschaffen; so z. 35. die Rosengärten, welche den ?aviNon (l^5 ro^ umgeben, die mit 25ronzefiguren geschmückten Labyrinthe, die großartigen Treibhäuser und Grangerieen. Sowohl bei pawlowsk als bei Zarskoje Selo liegen viele deutsche Rolonieen, von denen die meist aus Vadensern und Rheinländern bestehende Kolonie Friedcnthal (^820 gegründet) die bedeutendste und durch die hier lebhaft betriebene Fabrikation von Bändern und ^mnmvollzeugen zu großer Wohlhabenheit gelangt ist. Rußlands Norden. Vis zum Ende des elften Jahrhunderts der ck^ristlichen Zeitrechnung stießen die Nachrichten über den Norden Rußlands noch sehr spärlich. Ts weiß zwar schon Tacitus von einem Volke jenseits der Wohnsitze der wenden — wahrscheinlich die Tappen — Zu berichten, und er erzählt gar manches von der Wildheit desselben, daß es keine festen Wohnsitze habe, sich in Tierfelle kleide und von Jagd und Fischfang lebe, aber das Dunkel, das über jenen Gegenden liegt, beginnt sich doch erst zu lichten, nachdem vou der ältesten ötätte slavischer Kultur, der alten Handelsstadt Nowgorod, Raufleute über den ^ndoga- und Gnega-See nach Norden vorgedrungen sind, um Handelsverbindungen nut den dort wohnenden Völkerschaften anzuknüpfen, was später über jene Volksstämme, die heute im Norden wohnen, namentlich über die Finnen (Tschuden) berichtet wird, klärt uns über das tand im Norden nicht auf, da die Grenzen der finnischen Niederlassungen weit nach öüden reichten, bevor dieses Volk von Slaven und Germanen nordwärts gedrängt wurde. Die byzantinischen Schriftsteller erwähnen Rußland nur bei ihren berichten über Znsammenstöße mit nach 5üden gezogenen russischen Raubscharen, der hohe Norden ist aber auch ihnen unbekannt. Rußlands ältester Annalist Nestor ______ 7 Is» ______ ^" (seit ^073 Mönch i?n Höhlenkloster bei Kijew) zählt wenigstens bereits einige Völker auf, die nördliche Nachbaren der Slaven sind, und weiß auch einiges über ihre Lebensweise zu berichten, daß sie Ackerball nnd Viehzucht treiben und gleich dcu Slaven in festen Niederlassungen wohnen. Au den Ufern des Ladogasees befanden sich nach seiner Erzählung die Wohnsitze der Karelier; weiterhin wohnte« andere finnische Völkerschaften, die ^)am oder ^)em. Soweit beglaubigte Nachrichten reichen, finden wir die Karelier als Freunde der Nüssen und als Verbündete Nowgorods erwähnt, unter dessen Fahnen sie an manchem Feldzug gegen die Finnen teilnahmen. Als aber Schweden in« Norden die Oberhand gewann, unterwarf es sich alle Stä'mine finnischer Abkunft, und der schwedische König Erich zwang sie im ^ahre ^ ^56 mit Feuer und Schuvrt zur Annahme des Christentums. Die Russen, bald darauf durch die auftürmenden Mongolen in Anspruch genommen, wurden vom hohen Norden für lange Zeit abgedräugt. Line noch heute erkennbare Nachwirkung der gewalisamen Christianisierung Finnlands, durch welche dasselbe beinahe entvölkert wurde, ist das düstere, schweigsame, mißtrauische Wesen der Finnen. I)n ihren schwermütigen Volksliedern hat sich die Geschichte ihres Unglücks und ihrer beiden erhalten. Der Finne liebt sein Vaterland ungemein, und wenn die Not ihn zwingt, südwärts zu ziehen und in Petersburg oder anderen Vrten als Lishacker oder Vutterverkaufcr Arbeit zu suchen, trennt er sich nur sehr schwer von der heimischen Scholle. Der Charakter des Finnen ist ein seltsames Gemisch von Rauheit und weichherzigkeit. Starrköpfig bis zum Trotz, zäh am Althergebrachten festhaltend, ist er dabei doch der gutmütigste Mensch von der Welt. So wie er nie ein ihm widerfahrenes Unrecht oder eine ihm zugefügte Velcidigung verzeiht und ruhelos auf Rache sinnt, so ist er auch dankbar gegen seine Wohlthäter, und seine Dankbarkeit erlischt erst mit seinem Leben. Dort oben in, hohen Norden kennt man auch noch die echte Gastfreundschaft, die in anderen Ländern längst zur Mythe geworden, und ohne Sorgen kann der Fremde in der ärmsten Vauernhütte sein Haupt zur Ruhe legen, denn Diebstahl, Einbruch oder Raub siud in Finnland etwas Unerhörtes; das Haupt des Gastfreundes ist dem Finnen heilig, und wie er ohne bedenken mit dem hungernden Fremdling den letzten Nissen Vrot teilen würde, so gäbe er auch sein Leben hin, um das bedrohte Leben des Gastfreundes zu retten. Schon in Petersburg trifft man Finucn sehr häusig, zu taufenden in den Wintermonateu, in denen sie das Hauplkontingent zu den Eishackern auf der Newa stellen. Wenn man aber die Newa hinauffährt, zu dem majestätischen Ladoga-See, dessen Abfluß sie bildet, befindet man sich bald inmitten finnischer Bevölkerung. Rings um deu See erstrecken sich finnische Niederlassungen, und ziemlich die Hälfte seiner Ufer gehört Zum Großfürstentum Finnland, der Schweiz des Nordens, wio man das an herrlichen Gebirgsseeen reiche Land genannt hat. Der Ladoga-See, der großartigste aller Seeen des Nordens, ist, obwohl nach der heutigen Landeinteilung seine Ufer nur zum Teil zu Finnland, zum Teil zu den Gouvernements St. Petersburg und Glonetz gehören, gleichsam der äußerste Vorposten jener Legion von Vinnengewässern, welche wie ein Netz über halb Finnland sich ausbreiten uud das Festland in eine Unmasse von Inseln und Puselchen aufgelöst haben. Der Ladoga-See ist so genau durchforscht worden wie kein anderer Rußlands uud wie uur wenige Europas. Die Vodenformation seiner Südufer, der mit gewaltigen Vlöcken angeschwemmten Gesteins bedeckte Sandboden läßt darauf schließen, daß der See sich in früherer Zeit gegeu Süden viel weiter erstreckte als jetzt. Au einzelnen Stellen, bei den im See zerstreuten Felseninseln, ist das Wasser M) bis ^50 Meter lief, und westlich vou deu Walaam»Infeln erreicht es sogar eine Tiefe von 22."> Meter. Der See, 32H ^Meilen groß, 28 Meilen lang und an manchen Stellen 2^ Meilen breit, ist einer der größten Vinnenseeen Europas und sein Wassergehalt etwa neunzehnmal so groß als jeuer des Genfer Sees. Man hat ihn annähernd auf ^>7>^0()0U00lX)l) Kubikmeter geschätzt. Trotz seiner bedeuteuden Tiefe enthält der Ladoga-See viele Klippen und Sandbänke, durch welche die Schiffahrt sehr gefährlich wird, besonders wenn Stürme über deu See dahin-brausen. Es wurde daher schon unter Peter dem Großen ^8 der Aau des Ladoga-Kanals begonnen, der Schiffen ermöglicht, ohne in den See einzufahren, am Südrande desselben eutlaug von der wolchowmündung bis zum Ausfluß der Newa bei Schlüsselburg zu gelangen. Später wurde dieser Raual noch weiter längs der Seeufer hingeführt: ^7l,0 bis !M1^ wurde der sogenannte Sjässische Kanal angelegt und ^802 die Fortsetzung desselben, der Swir-Kanal, durch welchen Schiffe aus dein Flusse Swir in die Newa gelangen. Der Ladoga-Kanal, der wichtigste vou allen, hat gegenwärtig 32 Schleußen, die erste bei Neu-Ladoga, wo die Schiffe zum — m Niveau des Kanals, die letzte bei Schlüsselburg, wo sic zum Niveau der Newa gehoben werden. Der Kanal bleibt auch bei bedeutender Dürre befahrbar, da der wasserzustuß vom Ladoga-See her durch Dampfmaschinen jederzeit reguliert werden kann. So gefährlich der See zuweilen durch die auf ihm wütenden stürme wird, so gewährt er doch bei ruhigem Wetter einen herrlichen Anblick. Gbwohl sich manches trübe ^ergwasser, wie der wolchow, in ihn ergießt, ist sein Wasser doch so klar und durchsichtig, daß man bis zu 5 Meter alle Gegenstände auf dem Grunde des Sees deutlich wahrnehmen kann. Seiner etwas südlichen tage und dem Einfluß des Seeklimas verdankt es der tadoga, das; er nicht so lange mit Eis bedeckt ist wie der Gncga-See und die finnländischen Gewässer. Während der Gnega-See jährlich durchschnittlich ^5l, Tage die Eisdecke trägt, ist der Ladoga nur ^20 Tage cisbedeckt, und früher als im Dezember friert er höchst selten zu; in manchen fahren ist die Mitte des Sees völlig eisfrei. Seltsamerweise erlangt die Eisdecke in einem anhaltend strengen Winter keine solclie Dicke wie m einem milden, in welchem Frost und Tauwetter abwechseln. Die Ursache dieser Erscheinung ist darin zu suchen, daß der Sturmwind die düunen Schollen übereinander wirft und sie besonders in der Nahe der Klippen und felsigen Ufer auftürmt, wo sie dann bei wieder eingetretenem Frost zusammenfrieren und oft Lismassen von über 20 Meter Höhe bilden. Das Wasser ist das ganze Jahr sehr kalt; nnr im August erwärmen sich die oberen Schichten ein wenig, doch in« Juli ist es noch so eisig kalt, daß alle Anwohner sich scheue,«, es zu trinken. Trotzdem birgt der See sine sehr mannigfaltige und zahlreiche Tierwelt. In großen Mengen findet man hier eine Robbenart, die auch im Onega« und peipus°See lebt. von den Uferbewohnern wird des Felles und Fettes wegen diesen Tieren eifrig nachgestellt, aber im Winter wagen sich oft auch Wölfe auf das Eis und überfallen die Robben, wenn sie durch einen der Risse im Eise an die (Oberfläche kommen. Don den Flüssen und Flüßchen, die sich in den Ladoga ergießen, sind die bedeutendsten der Wolchow und Swir, in der Sage als zwei Schwestern bezeichnet, der erstere vom Ilmen-, der letztere vom Gnega-See kommend, die aus dem Saima-See kommende wuoxa, die pasche und der Sjaß. Der wolchow, der wasser» reichste vou allen, hieß früher „der Trübe" (mntny), denn noch eine gute Strecke in den See hinein ist bei der Mündung sein unreines Wasser zu erkennen. Da der wolchow in seinem 2000 Kilometer langen ^auf vom Ilmen- zum Ladoga-See beim Durchbrechen des Gebirges eine Menge kleiner Katarakte bildet, deren erster etwa 9 ^cter über dem letzten erhaben ist, können nur speziell für den Fluß geballte Schiffe und Flöße eigener Form denselben befahren. «Line Menge großer und kleiner Inseln bedeckt die Oberfläche des Sees, zwischen welchen und dein Festlande der Derkehr durch Dampfer vermittelt wird. Die größten Inseln sind Konewez, Keksholm und walaam. Auf Konewez und walaam befinden sich Klöster. Das erstere wurde I^3<)5 von einem Mönch Arsinius gegründet, welcher vor den Tataren in die Wälder geflohene Russen sammelte; als er sein Kloster baute, war die Umgegend noch von heidnischen Stämmen bewohnt, die ihren Göttern Uko und Akko Tiere, meistens Pferde, zum Gpfcr brachten, wovon das Kloster auch seinen Name?» ableitet (kon heißt das Pferd). «Line silberne Statue des als heilig verehrten Arsinius veranlaßt alljährlich zahlreichen pilgerbesuch. Das Kloster walaam ist viel bedeutender. Es wurde 992 gegründet, seine jetzigen Gebäude stammen aber aus dem Jahre ^785, da es ^75^ völlig niederbrannte. Hier soll der schwedische König Magnus Erichson als Mönch Gregorius gelebt haben und auch im Kloster gestorben sein — wenigstens erzählt man dies im Kloster, denn nach anderen Nachrichten ist der König ^57^ in Norwegen ertrunken. Das Kloster ist uugemein reich, aber es hat viele schwere Drangsale erdulden müssen. Die Nähe der schwedischen Feste Keksholm ist ihm mehr als einmal verhängnisvoll geworden, Schweden sind auf der Insel gelandet, haben die Mönche erschlagen, die Gebäude geplündert und niedergebrannt. Die herrliche kage der Insel und die Erinnerungen an die vielen hier erschlagenen Glaubcnsmärtyrer zogen jedoch immer wieder neue Mönche herbei und das Kloster erstand stets wieder aus den Ruinen, allerdings bald von Stein, bald von Holz, und wiederholt unter anderem Namen. Im ^>. Jahrhundert, als das Kloster schon einen bedeutenden Ruf genoß, überfielen es die polen, mordeten und brannten, und nachher wütete drei Jahre lang eine Epidemie auf der Insel, der viele Mönche zum wpfer fielen. Die 2Mte des Klosters datiert erst seit Peter dem Großen, der die ^6^ nochmals von den Schweden zerstörten Gebäude wieder aufbaute. Im achtzehnten Jahrhundert --------^2 wurde» den Mönchen von frommen Renten viele reiche Stiftungen zugewendet, auch dic Regierung unterstützte sie, und Kaiser Alexander, der !^2^ die Insel besuchte, erhob IValaam zu einem Kloster erster Ordnung. In jüngster Zeit haben mehrere von Balaam ausgesandte Missionäre auf den Inseln des Stillen Ozeans den Märtyrcrtod gefunden und durch denselben nicht wenig zur Vermehrung des Ansehens beigetragen, dessen sich das Kloster ^etzt weit und breit erfreut. Vm>er ,md 35cino,-m aus Finnland. 2luf der etwa ^0U Werst entfernten Insel Keksholm liegt ein Städten gleichen Namens mit etwa ^200 Einwohnern. Schon im Jahre ^29>" wurde auf der in der Mündung der IVuoxa gelegenen Insel eine Festung angelegt, die später im Frieden von Stolbowa (l^?) au Schweden abgetreten wurde. Im Jahre ^?^> wurde Reksholm von den Russen belagert und mußte sich ergeben. Line Zeit lang hat dann die Festung als Staatsgefänguis gedient, in dem u. a. auch die Töchter des Rebellen f)ugatscheff bis zu ihrem A in ^aima Kanal. l5 '------- U5 -------- Tode gefangen gehalten wurden. Die Stadt treibt lebhaften Handel mit Petersburg — Nutter, Fische, Wild-pret, Holz — und besitzt' auch Fabriken für Porzellan und Fayencen. Der Swir führt dem Ladoga die Wasser des <) Werst vom Städtchen Serdobol, beim Dorse Ruslijal. Don dort kam der prächtige Marmor, der beim 2)au der Isaakskirche verwendet wurde. Die Ausnutzung dieser Steinbrüche wurde jedoch aufgegeben, weil die Kosten des Transportes der Steine zu groß waren. Um die großen Blöcke, welche man zum Nau der Isaakskirche brauchte, ans See» ufer zu bringen, waren oft ^0 Pferde — nach russischer Art eines hinter dem andern — vor einen Schlitten gespannt worden, Jetzt ruhen dort ungenützt riesige werte und harren der Zeit, bis auch durch jene Gegend die Eisenbahnschienen sich hinziehen »nid den verkehr erleichtern werden. Indessen brennen die vauern der Umgegend aus dem Marmor Kalk, der seiner Güte wegen sehr gesucht ist. An die frühere Thätigkeit in den Steinbrüchen, wo während des Vaues der Isaakskirche bis 800 Arbeiter beschäftigt waren, für die mau dort Häuser und auch eine kleine Kirche erbaut hatte, erinnern heute nur noch die Gräber der Arbeiter, welche hier den Tod fanden und bei der Kirche begraben wurden, Jedes Grab schmückt ein kleines Marmordenkmal oder eine Marmorplatte — das geschätzte Material war ja hier nicht so teuer wie anderswo. In dem Steinbruch liegt auch noch ein riesiger behauener 2?lock, auf dem die Jahreszahl ^632 zn lesen ist, ein Zeichen, daß die Marmorbrüche schon frühzeitig bekannt waren. Außer dem weißen und grünen Marmor liefert die Um° gegend Serdobols auch den vortrefflichen Granit, der zu den Gebäuden Petersburgs verwendet wird, und ein der Steinkohle ähnliches Mineral, den Serdobolit, im Auslande als öerdovatit bekannt (nach dem finnischen Namen des Vrtes: Serdovala). Aus diesem ziemlich sprödeu Mineral werden allerlei Schmuckgegenstände gefertigt. 55* --------U6 -------- Die malerischen, stellenweise wildromantische!! Umgebungen des Tadoga°5>ees werden leider sowohl von Petersburgern als von Ausländern nicht so häusig besncht als sie es verdienten; man beschränkt sich auf den Vesuch der Ufer und Inseln, welche man mit dem Dampfschiff erreichen kann, weil man bei partieen landeinwärts auf die Post angewiesen ist und, nachdem mm, strecken von ^0 bis 50 Werst zurückgelegt, nicht immer mit Sicherheit darauf rechnen kann, ein Gbdach zu finden, wie es der ermüdete weisende wünscht, wenn der Petersburger Ausflüge nach dem Norden unternimmt, benutzt er daher lieber die sinnländische «Lisen« bahn, die ihm an der ötrecke petcrsburg-wyborg auch eine Fülle landschaftlicher Schönheiten bietet, die jedoch leichter zu erreichen sind als jene ienseits des Ladoga, so 3. V. das freundliche Schuwalowo (siehe Seite 9?), is» dessen Umgebung viele Petersburger Familien sich an den Ufern der beiden 5usdalschen Seeen Villen erbaut 5chloß Monrepos bei lvyborg. haben und wo inmitten sinnischer und russischer Dörfer auch eine deutsche Kolonie liegt — oder die sogenannte „Petersburger Schweiz" bei dein Dorfe Coksowo (siehe Seite <)3), die sowohl von Petersburg zu wagen über Murino als auch von der Vahn au- leicht zu erreichen ist. «Lme kleine strecke hinter der 30 Werst von Petersburg entfernten Station Vjelo tVstrow oder walkeasaari überschreitet die Vahn die russisch-finnische Grenze und betritt das Gouvernement wyborg, jenen Teil des Großfürstentums, welcher zuerst, schon unter Peter den, Großen, Uußland einverleibt worden, während die übrigen Teile nach und nach, der letzte im Frieden von Fredrikshamn (^80<)) abgetreten wurden. Das Großfürstentum Finnland bedeckt heilte einen Flächenraum von 365 522,6 ^Kilometer, wozu noch Finnlands Anteil am tadoga-öee mit s0^3,ä s^Kilometer zurechnen ist, und zerfällt in 8 Gouvernements: Abo-V^örneborg, Ruopio, Nyland, St. Michel, Tawastehus, Uleaborg, Wasa und Wyborg mit 2 020 000 wohnern (im ^)ahre ^87^)). Die Gouvernements (finnisch tän gcnannt) zerfallen iu ^ärader, welche unter der teitung von Aronvögten stehen, und die Härader sind in ^änsmansdistrikte eingeteilt. Dm Rahmen des großen russischen Reiches haben die Finnen das erreicht, was sie zur Zeit ihrer völligen Selbständigkeit nicht zu erreichen vermochten: eil» wohlgeglicdertes Staatswesen zu bilden. Als der Sturm der Völkerwanderung sich verzogen halte, war immer noch der ganze Norden und Nordosten Rußlands von den «Duellen der Wolga bis zu ihrem mittlern tauf von Finnen oder wie sie sich in ihrer Sprache nannten: Suomalaiset (Suo --- Morast; also „Morastmänner") bewohnt, und zerstreute kleine sinnische Niederlassungen hatten sich auch noch im untern wolgagebiet erhalten, aber Staatenbildung war ihnen unbekannt geblieben, und zerstreut in einzelnen Stämmen, 2tatue NXiiiwmömcnä im f>ark von NIonrepos. ohne festen Zusammenhang, wurden sie leicht die Veute des ersten besten Eroberers. Nur ein einziges !Nal haben die Finnen sich zur Vildung eines großen Staates aufgerafft, und es entstand das Reich Viarmia oder Perm an der Rama und wjatka, welches lebhafte Handelsverbindungen mit Chasarcn und Vulgären, ja bis nach Vyzanz und mit den Arabern unterhielt (besonders mit pelz und Wallroßzähnen), aber dem nach Abschütt» lung des Tatarenjoches gewaltig sich äußernden Ausdehnungsdrang der Slaven ebensowenig zu widerstehen vermochte wie die Stammverwandten im Westen. In dem Rampf der slavischen mit der finnischen Welt, der mm entbrannte, unterlag die letztere. Die Slaven dringen von» ^)lmen>See zur Newa vor, drängen die Tschuden nach Lsthland, die Iämen nach Finnland zurück; sie brechen sich Vahn zur nördlichen Dwina und zum weißen Meer, vertilgen mit Feuer und Schwert die Finnen an der Dwina und treiben nach Westen die Karelier in die Sumpfgebiete der Newa und nach Gsten die Hngrelier und Samo^eden in die Tundra der petschora; -------U3 -------- damit ist dic große Rette finnischer Niederlassungen, die sich vom Finnischen Meerbusen bis zum Ural hinzieht, gesprengt, und bald reizen nun auch das reiche Perm, die Goldgruben des Ural und das in sagenhaftes Dunkel gehüllte Tand jenseits desselben die Eroberungssucht der Bussen, das Neich j)erm fällt, und die russischen Kolonisten drängen sich wie ein Keil zwischen die sinnischen Stämme, Eine gewallige Völkerwanderung ist die Folge des Vordringens der Bussen: vor ihrem Ansturm weichen die Syrjanen nach bilden zurück, wo sie sich mit den Samojedeu verbinden, Vstjakeu lind Wogulen aber verlassen deu Erdteil und suchen neue Wohnsitze jenseits des Urals. Nur die j?ermjaken und wotjäken bleiben in ihren: Tand, anfangs in den dichten Ur» wäldern verborgen, bald aber mit Gewalt zur Annahme des Christentums gezwungen, und schon im Jahre ^575 ist Groß-f)erm ein Bistum, als dessen erster Bischof und Vekehrer der eingeborenen Bevölkerung ein gewisser Stephan genannt wird. Durch diese slavischen Vorstöße wurden die Finnen in jene vier großen Gruppen geteilt, in denen wir sie heute noch finden. Die nördlichste Gruppe bilden die tappen, die eigentlichen Finnen im Großfürstentum und die Rarelen im Gouveruement Vlonetz. An diese schließen sich südwestlich die Tschuden in Esthland uud Nordlivland, östlich die Nralstämme an, die Samojeden (Archangelsk und Nord-Sibirien), die Wogulen (Gouvernement Tobolsk), die Vstjaken, wotjäken (Gouvernement wjatka), perinjaken (Gouvernement f)erni), die mit Vaschkyren vernüschten Meschtscheriaken (Gouvernement Orenburg) uud die S>'rjanen (Gouvernement wologda). längs der Wolga tieffen tvir die vierte Gruppe in den Gouvernements Rostrom!!,, Njishegorod, Rasan, Simbirsk, f^ensa, Saratow uud Samara: die uns schon bekannten Mordwinen und Tscheremissen und die mit Tataren vermischten Tschuwaschen. Das Tand, in welchem sich bis heute die Finnen noch als herrschender, unvermischter Stamm erhalten haben, unterscheidet sich von den angrenzenden Gebieten ebensosehr, wie die Finnen sich von allen ihren Nachbaren unterscheiden, wie die Finnen gleich einem verlorenen hosten zwischen der germanischen und slavischen Welt stehen, so liegt Suomen-maa, das „Tand der sümpfe", zwischen den wilden Gebirgslandschaften Schwedens und den weiten Ebenen Nußlands. Man trifft dieselben Granitfelsen in Finnland wie in Schweden, Seeen und wasserfälle, aber die gewaltigen bewaldeten I^öhenzüge Schwedens sucht man in Finnland vergebens, uud während die Sümpfe der Newagegend noch tief in Finnland ihresgleichen finden, zeigen sich nur im Süden dieses Tandes einige Ausläufer der großen russischen Ebenen. Das ganze land gleicht einem riesigen vorsint« fiullichcn Trümmerfeld, aus welchem «nächtige Granitfelsen emporragen, teils kahl, teils mit Moos und Flechten bedeckt, teils mit Fichten, Tannen und birken, jedoch nur dünn, bewachsen. Die Geologen haben festgestellt, daß die Granitfelsen Finnlands als Inseln schon lange aus dem Meer emporragten, bevor die angrenzenden Tänder sich aus demselben erhoben. Das „Tand der Sümpfe" ist demnach vielleicht das älteste Stück Erde in ganz Europa, und hier gab es bereits Vegetation, als die weiten Ebenen Rußlands noch Meeresboden waren. Früher waren aber Finnlands Felsen höher als jetzt, und seine Thäler waren tiefer, wie man aus dem vielen Schutt und den gewaltigen Trümmern, welche den Voden der letzteren bedecken, schließen kann. Von Nordost nach Südwest hereinbrechende Gletschermoränen, deren verheerende bahnen man noch erkennen kann, haben in grauer Vorzeit die Felsen umnagt und ihre wände glatt gewaschen, die Thäler mit Sand und Gerölle gefüllt. Eine Eigentümlichkeit Finnlands sind die riesigen Wanderblöcke, die man nirgends so groß findet als dort. Sie bilden oft weite Steinmeere, und die Dimensionen einzelner sind so groß, daß auf diesen Steinen, die eilist durch Wassergewalt vielleicht Hunderte von Meilen fortbewegt wurden, Däuser erbaut worden sind. Mau hat aber auch Blöcke von solcher Größe gemessen, daß es ganz undenkbar ist, daß dieselben einst ange» schwemmt wurden, und man nur annehmen kann, sie seien durch gewaltige»! Druck vom Noroen vorgeschobener Eismassen gleichsam entwurzelt und umgestürzt wordeu. Die Rüste Finnlands ist ebenso reich an buchten und Einschnitten wie die gegenüberliegende schwedische, und vor ihr liegt in ihrer ganzen Ausdehnung eine Rette von Inseln und Inselchen, an, dichtesten zwischen Abo und Stockholm, wo die Alandsinseln und der Archipel von (yuarken in einigen tauseud Jahren sich wohl zu Festland vereinen und den Nottnischen Meerbusen in einen Binnensee verwandeln werden. In strengen wintern stellt schon jetzt der Frost die Verbindung zwischen Finnland und Schweden her, indem das Meer in der Gegend der Alandsinseln bis auf dcn Grund zufriert, und diese Eisdecke ermöglichte es im Jahre ^liy, daß Rosaken über deu Meerbusen drangen und das schwedische Städtchen Grisselhamn übersielen. An der Südküste Finnlands aber, U9 -------- im Finnischen Meerbusen (Suomen lahti), befindet sich noch ziemlich tiefes Fahrwasser, doch die vielen, zwischen den Inseln Zerstreuten Klippen gefährden dort die Schiffahrt sehr. Einige Inseln liegen mitten im Golf: Hochland, Tavensari, Penisari, Groß« und Klein-Tütters, Seskär u. a. Hochland bezeichnet die Grenze zwischen dem Süß- und Seewasser im Finnischen Meerbusen; an der Gstküste ist das Wasser noch trinkbar, während es an der Westküste schon ziemlich star? mit Salz durchsetzt ist. Über eine interessante Erscheinung auf dieser Insel berichtet Koppen: über singende Steine, die er auf dem höchsten Verge, dem Haukkavuori (Falkenberg) beobachtete, wo die ^uft in den Felsspalten Töne hervorbrachte, welche jenen der Grgel glichen. Eigentliche Gebirge sind in Finnland nicht vorhanden. Der Maanselkö ((andesrücken), der das ganze ^and durchzieht, ist ein sandiger Hähenzug, der nur eine Höhe von 500 bis 5>NN Fuß erreicht. Größere Verge findet man erst im Norden Tapplands, wo der Gunastuntur eine Höhe von ^92^ nnd der Peldoioi von 2000 Fuß erlangt. Die Natur hat aber trotzdem dem Menschen in Finnland nicht viel Raun» zur Anlage von Wobnungen gelassen. Die Niederungen zwischen den Granit-, Gneis-, Porphyr- und Vasalt-Felsen sind zum großen Teil durch Seeen und Sumpfe ansgefüllt. Die Ausläufer des Maanselkä teilen das ^and in fünf große Wassersysteme: im Norden liegt der Enara-See, welcher durch den Patsjokifiuß mit dem Eismeer in Verbindung steht; im Nordwesten der Ulcü,, und die Flüsse Torneii,elf, Iijoki, Kemijoki, Nlell und Kyrijoki; südwestlich der Pyl'äjärvi inmitten vieler großen Seecn, aus dem sich der Kuno in den Vottnischen Meerbusen ergießt; östlich der Enonvesi, um den sich ebenfalls große Seeen gruppieren, die durch den Saima»See und die wuoxa ihr Wasser in den kadoga senden; und in der Mitte des Bandes eine Gruppe Seeen, deren bedeutendster der päjäne ist, ans welchem der Kymmenefluß in den Finnischen Meerbusen stießt. Zu den vielen Wasserstraßen, welche die Natur dem Tande bescheert hat, wurde in jüngster Zeit noch eine künstliche hinzugefügt, d' bis ^N5t» kam der plan zur Ausführung. Der schwedische Ingenieur Erickson leitete den Vau. Der Kanal, dessen Nfer mit (Quadersteinen ausgelegt sind, ist ^2 Meter breit uud 5 Meter tief. Durch ihn ist eine bequeme Verbindung zwischen dem äußersten Norden und dein Süden Finnlands hergestellt, und Dampfschiffe, Flöße und Varken fahren nach wyborg hinab, wo die Produkte Finnlands, vorzüglich Eisen und Schiff» bauholz, nach Petersburg verladen werden, wogegen die zurückkehrenden finnischen Schiffer als Rückfracht Korn und Salz mitnehmen, von ähnlichen Verkehrsstraßen Rußlands unterscheidet sich der Saima-Kanal vorteilhaft durch die Solidität seiner Anlage, wie denn überhaupt der Herstellung guter Verkehrsstraßen in Finnland viel mehr Sorgfalt zugewendet wird als in« übrigen Rußland. Die vorteile, welche der Saima-Kanal gewährt, waren die Veranlassung, daß die Anlage eines zweiten Kanals ill Angriff genommen wurde, welcher, etwa 500 Kilometer lang, vom Vottnischen Meerbusen zum Top»osero im Gouvernement Archangelsk und von diesen, zum weißeu Meer führen wird. Die Erleichterung des Verkehrs innerhalb des Tandes und mit dem Auslande hat jedoch nur auf einen Teil der Vevölkernng einen sichtbaren Einfluß ausgeübt, auf die Finnen in den Küstengebieten, wo schon seit Jahrhunderten unter schwedischer Herrschaft sinnisches Vlut sich mit germanischem gemischt hat. In Karelien aber und in Tavastland, dem Herzen Finnlands, in seinen schönsten Gegenden, hat sich sinnisches Wesen rein und unberührt von fremden Einflüssen erhalten, und in der stillen Abgeschlossenheit jener Thäler haben fremde Sitten nicht Eingang gefunden. Dort findet man noch das alte finnische Wohnhaus, die „Porte", aus roh behauenen Vaumstämmen errichtet, eine einzige große Stube enthaltend, in welcher das Tageslicht, das durch die schmalen, niedrigen Fenster eindringt, nur ein trübes Halbdunkel zu erzeugen vermag, wie in den russischen Vauernstuben nimmt einen großen Teil des Wohnraumes der auf Valken ruhende, aus Steinen zusammengefügte Gfsn ein, dessen Rauch sich in der Stube ansammelt und nur, wenn er lästig zu werden beginnt, durch (Nffnen einer am Dach angebrachten Klappe in den hölzernen, mit weidenzweigen umwundenen Schornstein geleitet wird, ein Übelstand, dem die vielen Augenkrankheiten zuzuschreiben sind, an denen die finnische tand« bevölkerung leidet. Ein Tisch, einige Vänke und ein Schrank, in welchem das Hausgerät verwahrt wird, bilden die Einrichtung einer solchen rauchgeschwärzten Stube, welche die Familie im Winter auch mit den ^20 Haustieren teilt. Vei keiner Porto fehlt jedoch die Nadestube, in der sich im Sommer täglich, im Winter mindestens einmal wöchentlich die ganze Familie und das Gesinde zusammenfindet, um sich dem Genuß jenes Dampfbades hinzugeben, das wir schon in den russischen Nauerndörfern kennen gelernt haben. Hier »vie dort wird durch Aufgießen von Wasser auf erhitzte steine Dampf erzeugt, und wenn derselbe den Nadenden den Schweiß aus den Poren treibt, wobei noch durch Schlagen mit Ruten nachgeholfen wird, begietzcn sie sich mit kaltem Wasser oder eilen ins Freie, um sich im Schnee zu wälzen und dann wieder in die Nadestube zurückzukehren und dieselbe Prozedur von vorn zu beginnen. Die alten Porten werden jedoch auch im Tavastland immer seltener, und Hütten, welche zwei Stube»» und eine Vorstube enthalten, treten an ihre Stelle. Finnischen Ursprungs sind übrigens die Porten kaum; sie haben wahrscheinlich von Schweden her Eingang gefunden, wo man ähnliche Wohnhäuser noch jetzt findet. Die ursprünglichen Wohnungen der Finne»» waren wohl die „gurten", in denen heute noch ihre Stammverwandten, die tappen, die Samojeden und Gstjaken wohnen, zeltartige Hütten von konischer Form, aus zusammengebundenen Stangen gebildet, die mit einem Mantel von Virkenrinde oder Torf umgeben werden (siehe Seite ^2H), den man, um das Lindringen von Feuchtigkeit Zu erschweren, mit einer dichten tage Moos übcrkleidet. Solche primitive Hütten find neben den hölzernen noch im äußersten Norden des Tavastlandes vorhanden, wo sie wie bei den tappen „Rota" heißen, jedoch nur als Sommerwohnung oder als Rüche dienen. Der Herd einer solchen Rüche ist höchst einfach, nur aus einigcn Steinen zusammengefügt, über denen der Rochtopf an einer Vuerstange aufgehängt wird. Der Rauch zieht durch eine Öffnung an der Spitze des Naues ab. Außer diesen beiden Gebäuden trifft man in finnischen Dörfern, in deren Umgebung sich viel Wald befindet, wo »nan also Holz genug zur Verfügung hat, große überdachte Trockenplätze für das Getreide, Ria genannt, die besonders in regnerischen Erntezeiten, die im filmische»» Norden sehr häufig sind, das Getreide vor dem verderben sicher»,. ^n diesen, nichts weniger als wohnlich aussehenden Hütten führt der finnische Nauer im Tavastland ein einförmiges teben voll Arbeit und «Lntbehrungcn. Die aufgehende Sonne findet ihn bereits in den Rleidern, und nachdem das Frühstück — gesalzener Fisch, Nrot und sauere Milch — eingenommen ist, beginnt die Arbeit, die bis 9 2A?r abends währt. Arbeitspause,» bilden nur die verschiedenen Mahlzeiten: das zweite Frühstück, zwischen 8 und 9 llhr, aus Fischsuppe, mit Rartoffeln oder Roggenmehlbrei oder saurer Milch bestehend, wor> auf cine Stünde geschlafen wird; das Mittagessen um 2 Uhr, gewöhnlich wie beim ersten Frühstück gesalzene Fische mit Nrot und saurer Milch, worauf wieder eine Stunde Siesta gehalten wird; und schließlich das Abendbrot, aus Fisch, Rartoffeln, Roggenmehl» oder Gerstenbrei bestehend. Solche „lukullische Mahlzeiten" können sich jedoch nur die wohlhabenderen gestatten; je weiter man gegen den Norden des Tavastlandes vordringt, desto einfacher, ärmlicher wird die tc-bensweisc, und sogar Salzsisch, Rartoffcln und Nrot werden zu kostbaren tecker-bisscn, die nicht täglich auf dem Tische erscheine»» können. All dic Mühe und Not, mit welcher der Finne im teben zu ringen hat, spiegelt sich in seinen Volks» liedern wieder. Düstere, schwermütige weisen sind es, mit denen schon das Rind in der wiege von der Mutter in dcn Schlaf gesungen wird: Schlaf', schlaf', mein bleiches Kind, In der schwarzen il?ioge! ^iedriq, dunkel ist dir Stube, Schlaf, schlaf! Muttors 1?a„d ist schwarz m»d schwielig! Schlaf, schlaf'! Schlumm're, schlumm'l'e, bleiche Kind, In der schwarzen Wiege. Schlaf, schlaf', mein bleiches Kind, Vie grüne ll)iese wartet! 0() Rubeln ^chlitteufaln'l m Kappland. bezieht. Auch hat man i>, den ausgedehntesten Kirchspielen in einzelnen, vom Pfarrdorf sehr weit entfernten Gemeinden, kleinere Kirchen erbaut, „Kapellen", welche zwar von der „Mutterkirche", wie im Schwedischen die Kirche am Sitz des Pastors heißt, abhängen, wo aber der Gottesdienst und die kirchlichen Handlungen von dort ansässigen Geistlichen, den Kaplänen, verrichtet werden. Trotzdem ist es allgemein Sitte, fast alle religiösen (üeremonieen nur an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen, und es ist dann gar nichts seltenes, daß der Pastor nach dem Gottesdienst noch mehrere Taufen, Trauungen und Beerdigungen zu vollziehen hat. Die Gemeindeangehörigen begegnen dem Pastor mit der größten Achtung, die in grellem Kontrast sieht zu der Stellung, welche in russischen Dörfern der Pope einnimmt. Der Pastor ist ihnen Verater in allen wichtigen Angelegenheiten, er ist Advokat und Richter, Arzt und Lehrer in einer Person. gestopften Schuhe des Finnen können das Eindringen des Wassers nicht verhindern, aber er tröstet sich damit, daß das Wasser durch dieselben Öffnungen, durch die es eindrang, cmch wieder abstießt, und wandert munter mit nassen Füßen fürbaß, In gleicher weise wandelt er durchs Teben, resigniert bis zum Fatalismus. Daß der schwere Kampf ums Dasein nicht bloß den Charakter, sondern auch das ganze Äußere des Finnen beeinflußt, ist selbstverständlich, Im Tavastland ist das !)olk von kräftigen: Körperbau, untersetzt und breitschultrig; die Augen sind graublau, die Gesichtsfarbe ist licht, aber den fast viereckigen Kopf, der mit fiachs-farbcnem Haar bedeckt ist, verunstaltet die kleine, eingedrückte Nase und das unschön geformte Kinn mit dem dünnen Bartwuchs. Im übrigen Finnland, besonders in Karelien, ist das l)olk schlanker, aber auch weniger kräftig, im großen und ganzen ein schöner Menschenschlag mit dunklem lockigeil Haar, starkem Bartwuchs, dunkelblauen Augen, das Geficht lang und schmal, die Nase regelmäßig geformt. Unter den Frauen trifft man viele schöne Gestalten. Gesprächig lind zum Frohsinn geneigt, ist der Karelier aber auch in Vezug auf Arbeitsleistung und Kraft das gerade Gegenteil seines schweigsamen, aber mit zäher Ausdauer begabten Stammesgenossen im Norden, Im Jahre ^850 schätzte Tastr<>n die Karelier auf 830 000 Seelen, heute aber dürften sie bereits eine Million zählen. Überhaupt vermehren sich die Finnen sehr rasch. Trotzdem daß im Jahre ^868 der Hungertyphus über ^00000 Menschen himvegraffte, hat sich die Bevölkerung Finnlands seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts fast vervierfacht, seit dem Jahre ^8^s> fast verdoppelt: im Jahre !^?50 zählte Finnland nur 5i,")00ll0 Einwohner, i^ft^5 schon ^095^)50, und im Jahre ^878 war die zweite Million beiuahe erreicht (^9^2 650). Durch Auswanderung vermindert sich die Bevölkerung fast nur in den Grcilz-gebieten, von wo viele nach Petersburg ziehen, das etwa 1^8 000 Finnen beherbergt, oder nach dem Norden Schwedens und nach lappland. In jüngster Zeit ist auch in Amerika eine finnische Kolonie entstanden, in der Stadt Hannock in Michigan, wo sogar eine Zeiwng in finnischer Sprache erscheint. An den Küsten wohnen auch noch viele Schweden, Ruothaläiset von den Finnen genannt, die nur unter sich heiraten und sich völlig unvermischt erhalten haben. Ein Teil der Aland»Iuselu hat schon seit ,2? -------- 1.^30 schwedische Vevö'lkerung, und in der Umgebung von Abo, ferner südlich von Gamla Rarleby und etwa 30 Kilometer gegen Westen von Forsby am sinnischen Meerbusen trifft man noch Schweden. Um Nyland haben sie jedoch bereits viel von ihren nationalen Eigentümlichkeiten eingebüßt und sprechen finnisch. Um wyborg herum findet man auch einzelne russische Dörfer. Die Gesamtzahl der im Großfürstenwm lebenden Russen dürfte, die Veamten mit eingerechnet, 6000 betragen. Deutsche sind etwa ^000 in Finnland ansässig, meist Kaufleute und Fabrikanten. Außerdem nomadisieren in den südlichen Grenzgebieten Finnlands noch elwa ^000 Zigeuner, die vom Ladoga-Soc» herüberkommen. Die sinnische Landbevölkerung lebt heute fast ausschließlich vom Ertrag des Ackerbaues. Der Fischfang, der früher sehr eifrig betrieben wurde, ist in jüngster Zeit zurückgegangen, seitdem der Fischrcichtum dor finnischen Seeen sich bedeutend vormindert hat. Der nächsten Zeit bleibt es vorbehalten, durch Ausbau dos Eisenbahnnetzes und Eröffnung neuer Dampfschiff-Routen die ärmeren Distrikte in den Weltverkehr einzubeziehen und dor Vovölkerung neue Erwerbsquellen zu erschließen. Finnland ist reich an Naturschätzen aller Art, an Gold, Eisen, Rupfer, Zink und Zinn, seine Verge liefern vortrefflichen Granit, Marmor und Porphyr, aber diese Schätze bleiben ungehoben, weil dcr Transport Zur Rüste zu schwierig ist. An» meisten wird noch auf Eisen gebaut, aber die Eisenwerke ziehen sich in neuerer Zeit immer mehr gegen Norden, und in den südlichen Gegenden ist infolge dessen in violen Eisenbergwcrken der Bergbau eingestellt worden. Die Steinbrüche aber werden nur dort ausgebeutet, wo man den gebrochenen Stein sofort auf Schiffe laden und auf einem See, Fluß oder Ranal weiter transportieren kann. wie sich bei guten und billigen Verkehrsmitteln rasch Handel und Industrie beloben, sieht man deutlich längs joner Wasserläufe, welche durch Regulierungen und Ranalisic-rungen mit dem Meere iu Verbindung gebracht wurden, namentlich an ienem Komplex von Seoen, welches der Saima-Kanal mit dem finnischen Meerbusen vorbindet. Dieses größte der finnischen Wassersysteme, das östliche, welches einen Raum von 6000 ,1 Meilen bodeckt, sammelt alle seine Wasser in dem bedeutendsten der Seoen des Bandes, dem Saima, der 60 Werst lang, 30 Werst breit ist und 256 Fuß über dein Meeresspiegel liegt. Sein Abfluß ist die wuoxa, welche dem Ladoga zufließt, anfangs iu ziemlich ruhigen, Lauf, eine Menge lieblicher ^nselchen bildend; je weiter sie sich aber von: Saima entfernt, desto ungestümer wird sie; bald teilt sie sich in mehrere Arme, bald bildet sie kleine Wasser« fälle, bis sie endlich zu tosen und zu brause»» beginnt, ihre schamubodecktou wollen sich hoch ausbäumen, so wie Meereswogen, vom Sturm gepeitscht, und dann mit dumpfem Geräusch in einen tiefen Thalgrund hinabstürzen. Das ist der Wasserfall Taiuionwirta oder der tloino ^matra. Hinter diesem erweitert sich das Flußbett, und der Lauf dos Flusses wird wieder ruhiger, doch nur für kurze Zeit, denn bald beginnt er wieder zu brausen und zu schäumen uno stürzt sich abermals über Felsen hinab. Unterhalb derselben führt die wuora den Namen Lautta-Suwanto, das ist „das stille Wasser", denn sie stießt nun wieder so ruhig weiter, daß es mög' lich war, hier eine ständige Überfuhr einzurichten, brücken findet man längs des ganzen Laufes der wuoxa nicht, denn das Wasser ist meist so tief und reißend, daß den Vrückenbauten sehr große Schwierigkeiten im Wege stehen. Allmählich ändert sich mm das ganze Aussehen der Flußufer. Das Flußbett verengert sich, Felsen schließen es ein, und mächtige Felsblöcke ragen aus dem Wasser empör, über welche dieses in Schaum zerstiebend hinwegschießt. Und nochmals ändert sich die Landschaft. Hinter einer Gruppe Inseln erschließt sich eine entzückende Fernsicht. Dio wilden Felsformationen sind verschwunden, und zu beideu Seiten des Flusses lrblickt man wohlbebautos Land, Ackerfelder und wiesen, auf denen Herden weiden, deren Glockengeläute bis zum Ufer herüberdringt. Doch plötzlich schlägt ein dumpfes Arausen an unser Ohr, das Wasser wird bewegt, erweitert sich zur breite eines kleinen Sees, und pfeilschnell schießt es einer (Öffnung zwischen don Granitfclsen zu, von welcher das Vrausen herübcrlönt. wir stehen beim großen ^matrafall (siehe Seite ^2l^). Die herrliche Scenerie, die man da vor sich erblickt, läßt sich im ongon Rahmen eines Vildes schwer wiedergeben. Leider sind die angrenzenden Felsen nicht hoch genug, um von ihnen den ganzon Fall übersehen zu können, und die scharfe Viegung, in welcher der Fluß sich zwischen den Felsen hindurchwindet, hindert sowohl auf- als abwärts die Fernsicht. Der Sinatra ist kein Wasserfall wie der Niagara mit von hohen Felsen sich herabstürzenden Wassermassen, und auch mit dem Rheinfall bei Schaffhanseu kann man ihn nicht vergleiche,,, aber doch überrascht der Anblick dieses Falles, des reißenden Wassers, dem bald hier bald dort -----^28 —- Felsen und Rlippen den Meg zu versperren suchen, an denen es wie in wildem Zorn zischend emporwogt und einen Sprühregen von Schaum in die Lüfte sendet. Es ist eigentlich kein wasserfall, sondern eine, etwa eine halbe Meile lange S< romschnelle, durch welche sich aber so kolossale Wassermassen dahinwälzen, daß man den Imatra mit vollem Recht den größten wasserfällen zur Seite stellen kann. Man hat berechnet, daß durch die Felsschlucht in der bekunde 1^8 223'/.. Rnbikfuß Wasser hindurchschießen, in der Stunde also s>7 7tadt und mußte sich endlich, uachdcm er in vergeblichen stürmen taufende seiner Teute verloren, zurückziehen. Auch peler der Große belagerte wyborg einmal vergeblich; erst bei der zweiten Belagerung im Jahre ^7^0 ergab sich die ^tadt, welche bald darauf im Frieden von ^ystadt an Rußland abgetreten wurde. Achtzig Jahre später wurde die vou Gustav III. persönlich geleitete schwedische schären- u>ld Linien-fiolte in der 25ucht von Wyborg vou der russischen Flotte eingeschlossen und schlug sich am ,"i. Inli I^O nach fast vierwöchentlicher Vlockade nur mit schweren Verlusten durch, seitdem ist wyborg stark befestigt worden, sowohl nach der öce< als nach der Tandseite, im Jahre ^8,'i() wurden aber die Vefestigungen auf der ^and» seito demoliert, und die öcebcfestigungeu find jetzt meist so verfallen, das; sie neueren Geschützen kaum nennens» werten widerstand zli leisten imstande sein dürften. wyborg ist heute der Vevölkerungszahl nach die dritte Stadt Finnlands (es zählt ^3 ^s,6 Giiuoohner), aber der ersie Seehafen des tandes. Schiffe vou großem Tiefgang müssen allerdings etwa ^,"> Ailometer südlich vou wyborg, auf der Rhede von Transund, vor Anker gehe«', doch sind sie auch dort unter dem Schutz der Kanonen der Festung, da die Werke sich bis dorthin erstrecken. In wyborg stationiert auch stets ein Teil der baltischen Flotte. Der Handel ist bedeutend; ein Hauptausfuhrartikel sind die Nretter, welche die Säge» ^«iz'z'cnfamilu' auf ü>l,'r Excise. mühlen im Ruopio-Tän liesern, und die Erzeugnisse der in der 5tadt gelegenen Fabriken, nnler de>ien eine Maschineubauanstalt und eine Gießerei besonders erwähnenswert sind. viele Deutsche, 5>chwedeu und Russen sind in der Stadt ansässig, und man trifft in Wyborg, sowie ziemlich überall in Finnland, sclten in den gcbil» deten Areiseu jemand, der des Deutschen nicht mächtig ist; schwedisch bildet jedoch die Umgangssprache der Gebildeten, und sinnisch bleibt auf den Oerkehr mit den niederen Alassen uud der Landbevölkerung beschränkt. ^)n Wyborg residiert der ^äwGouverneur, der Präsident des isofgerichts und ein griechischer Lrzbischof. Das Gymnasium wurde schon ^6H^ gegründet; in neuerer Zeit erhielt wyborg auch eine Navigationsschule, und seit den vierziger Jahren bestehen dort eine litterarische und eine landwirlschaftliche Gesellschaft. 5 begann sie Elias slönnrot zu sammeln, versuchte sie zu ordnen, und auf langen Reisen durch alle von Finnen bewohnten Gebiete brachte er bis zum Jahre ^8^9 eine Sammlung zusammen, welche 50 Runen oder Gesänge enthält, jeder zu 2 bis 500, durch allitterierende Hebungen gebundenen Versen, zusammen 22 800 Verse, die mit Ausnahme des letzten (50.) Gesanges, welcher erst nach Einführung des Christentums eutstanden sein kann, alle aus der heidnischen Zeit des Volkes stammen. Einzelne Runen waren zwar im vorigen Jahrhundert in Druck erschienen, ^8^l) gab Schröter und 1^822 Topelius eine Sammlung derselben (in !> Händchen) heraus, aber erst durch Tönnrots Arbeiten wurden die zerstreuten Teile zu einen: Ganzen vereinigt, wobei der Herausgeber thätig durch die finnische Titteraturgesellschaft unterstützt wurde. Der Haupt-Held des Epos, um den sich die ganze Handlung gruppiert, ist wäinämöinen, der Grpheus des Nordens, dessen Gesang zu den Rlängen der Rantele übendes und lebloses zu rühren vermag. Die Mehrzahl der Gesänge füllt die Erzählung der Abenteuer Iväinämöinens und Ilmarinens auf ihren Zügen ins Nordland, wo sie um des Nordlands Jungfrau freien wollen. Des Nordlands lvirlin verspricht dein in der Schmiede» kunst erfahrenen Ilmarinen die Hand ihrer Tochter, wenn er ihr den Sainpo schmieden könne. Ilmarinen schmiedet den Sampo, aber nachdem des Nordlands lDirtin diesen in den Steinberg eingeschlossen, weigert sich die Jungfrau, Ilmarinen nach seiner Heimat zu folgen, nnd dieser kehrt schlechtgelaunt allein nach Hause zurück. Die zehnte Rune schildert dies in folgenden Versen: louhi, sie, des Norlands Wirtin, ^lahin die ausgewähltsten Kleider, Nordlands zähnelose ^llte, Der Gemänder allerreiuste, Ging geschwinde in die Stube, schichtet füufe auf einander, Redet Worte solcher Meise: legt zurecht den öchnuick des lMlptes, „Meiner Töchter allersüngste, Ehut sich mn das Anpfevl'ändchen, ?u das beste meiner blinder, Schmückt sich mit dem gold'nco Gürtel, Rlcid' Dich ans das deste hellte, Lege an die schönste» Röcke. Nam rc>m lV>r»Uöhmls zur ^tude. Schmuck' ?ich mit den schönsten perlen, l)on dem Iwfe in die Stnde, Mit dem Schönsten Deinen ^usen, )st ""ll Schönheit an den Angen. Mit dem Uettstcu Deinen backen, An den Ghveu hochaestaltet, Mit dem ^unt'sten Deine Schläfen, Ulit gar strahlendem Gesichte, Sorge Du für rote Wangen, lNit der wangeu schöner Röte. Für'den Glanz des Angesichtes. G"!d "glänzte an dem ^usen. Schon gcfommen ist der Schmicder, ' ^Ibcr schimmert' auf dein yaup!e, Der geschickte Ilmarinen Uordlm.ds Wirtin führte selber Daß er uns den ^ampo schm.ede. . Ilmarinen, ihn. den Schmieds Uns den bullten Deckel namm re. -, <^^ »^ <> ^ i,>» , ,» ^ ' ^n des ^lordlauds wohngebaude, Üordlallds wunderschöne Tochter, Iil das I^aus von Sariola, Eine Zier von land und Wasser, Sättigt dort deu Mann mit Speisen, ^ Giebt ihm auch genug zu trinken, Und bewirtet ihn gar trefflich; Fing drauf also au zn sprechen: „V Du Schmieder Ilinarinen, Lwig tücht'ger Schniiedckünstlcr, Raunst Du mir deii 5a»lpo schmiede», Mir den bnnten Deckel hämmern Aus der Schwanenfcder Spitze, Aus der Milch der giisteu Stärke, Alis dem kleinen Rorn der Gerste, Aus des Sontinerschafes wolle, So erhältst die Maid zum Lohne, Für das werk Du meine Tochter." sprach der Schmiedcr Ilmarinen, Redet' selber diese Worte: „werde wohl den Saiiipo schmieden, Dir den Knuten Deckel hämmern, Ans der Schwanenfeder Spitze, Aus der Milch dcr giisten stärke, Aus dein kleinen Korn der Gerste, Aus des Sommcrschafes Molle, Da den !?i>ninel ich geschmiedet, Ich der Lüfte Dach gehämmert, Vhne den geringsten Anfang, Ohn' ein Händchen vorzufindeil." Ging den 3ampo dann zll schmieden, Ging den bunten Deckel hainmern, Fragte nach der Schmiedestätte, buchte nach dem Schmiedezeuge, war dort keine Schmiedeftelle, Reine schmiede, keine 35älgr, Reine Esse und kein Amboß, Reine Hammer, keine Rlopfer, Sprach der Schinieder )lmari>len, Redet' Worte solcher weise: „Alte Weiber nnr verzweifeln, Schiifte lassen 'ivas zur lxilfte, Nicht ein Mann, ein schlechterer selber, Tlicht ein lield von iven'gcril Kräften!" Snchte für die Ess' ein Plätzchen, Für die Välgc eine Stelle Auf den dortgcu ^audesstrccken An dein Rand der ^lordgefilde. 5nchte eiilen Tag, den zweiten, Lndlich an dein dritten Tage Ram ein buntgestreifter ^teinblock, Ram ein Fels ihn» zn Gesichte, Dahin Iäs;t der öchmicd sich nieder. Dort bereitet er sich Feuer, Einen Tag stellt er die Välge, An dem andern Tag die Csse. )Imavinen, er, der !5chmieder, Dieser cw'ge ölchnnedrkiiustler, Drängt die 3toffe in das Feuer, In die Esse seine Arbeit, stellte Rnechte au den ^lasbalg, stellt sie lnn, um stets zn schi>re>i, hastig trieben sie den ^lasbalg, Schilrte» voller Fleis; die Rohlen Drei der schönsten 3ommertage, Drei dcr 5oinmeruächte einsig, steine »vuchsen an den Fersen, Vlöcl-'e a,> der ^ehen ^pit^cil. An dem ersten Tage bengte 5e!bst der ^chmieder Ilmarinen 3ich herab, um zuzuschauen Auf dem ^oden seiner Esse, !I?as wohl aus dein Feuer käme, Aus der Flamme sich erhöbe. Ans dem Feuer drang ein 25ogen Mit dem Goldcsglanz des Mondes, Golden ganz mit ^überspitzen, An dem 5chaft r»on bnntem Rupser. 5chön r>ou Anblick ist der 25ogen, Aber leider bösgeartet; Fragt nach einem Ropfe täglich, Zivei verlangte er am Festtag. Zelbst dcr 3chmieder Ilmarineü Freut sich seiner kcinesweges, bricht den ^5ogcn von einander, wirft ihn wieder in das Feuer; Lies; die Rnechte wieder blasen, ^ieß fic unverdrossen schüren. An dein zweiten Tage beugte, Selbst der !5chmieder Ilmariuen 3ich herab, um zuzuschauen Auf dem ^oden seiner Esse; Aus dem Feuer drang ein dachen, Drang eiu ^oot mit brannein Scheine, Golden ist der 35ord verzieret, Rupfern sind die ^uderhakeu. 5chöu vo,i Anblui' ist der dachen, 2lber leider bösgeavtet: fielst ganz ohne ^'lot zmu Rampse, (^hne A,,las; zu dein streite, Selbst dcr Schmieder Ilmarinen Freut sich seiner keinesweges, Vricht das ^oot in tausend Trüuuner, wirft es wieder in das Feuer; Lief; die Rnechtc munter blase», 'lies; sie unverdrossen schüren. An dem drittcil Tage beugte 5clbst der Schmieder Ilmarinen Sich herab, nm znznschaurn Auf dem ^oden seiner Esse; Eine Ruh dringt aus dem Feuer, Golden strahlen ihre l>örner, An der Stirn der 35är vom l^iulmel, Auf dein Ropf das ^vad der Sonuc. Schön von Anblick war die Rnh ivohl, Aber leider bösgeartet: Schlief beständig in dem Walde, Liest die Milch herab zum T5odeu. Selbst der Schmieder Ilmarinen Freut sich ihrer keiuesweges, Schneidet sie in kleine Stille, wirft sie wieder in das Feuer; Läs;t die Rnechte mnnter blasen, Läßt sie unverdrossen schüren. An dein vierten Tage beugte Selbst der Schmieder Ilmariuen Sich herab, mn zuzuschauen !?' '— ^"1 Auf dem Vodcn seiner Lsse; Aus dem Feuer drängt l'in s»fillg sich, Golden strahlet seine Spitze, kupfern ist der Schaft desselben, Silbern ist der ^l(nopf an, Schafte. Schön von Anblick ist der 1>flug wohl, Aber leider bösgeartet. Er durchwühlt die freinden Felder Und durchfurcht die schausten wiesen, Selbst der Schinieder Ilmarinen Freut sich seiner keinesiveges, 35richt den s>fti>g gar rasch in Stücke, wirft ihn wilder in die Esse; ^äs;t die winde kräftig blasen, 6as;t den Stnrm das Feuer schüren. Rasch erbrausten da die winde, (Nstwind blies lind Westwind brauste, Arästig n'ar ^'s !5nd!vi»ds ^>las^n, >,^ar gl'il'altig stürint dcr ^ordil'ind, I^Iason ^incn Tag, drn ,;ir>^lton, ^lascn fc>rt ain driitcn Cage, Aus dl'in Fcnstcr sprüht das Fcucr, ^1l!S dcr TIn'nv flicgl'il Flinken, Anf ,;n>n I^immcl ^taul'gcu'c'lfr, !1"!it dl'ii N^olkcn mischt dcr ^xallch sich, Ilinarlül'n, cr, drr ^chnliodcr, ^cngte an dcm dritten Cag^' !5ich herab, um ;>i',uschane!l ^lnf !>cn! ^c>do!i seiner Esse-Tah den ^ainzi!? schon entstehen, 3ah den bunten Deckel wachsen. Illnarincn, rr, der ^chmieder, ?ieser ewge ^chnuedekünstler, ^chmi>,'!)!,'t mit behenden schlagen, ^!(Io^fct mit gar fräftgem iianuner, ^chiniedet gar geschickt den ^ampo, ?ast er Mehl auf einer ^eile, Anf der zweiten 5alz cr mahlet, Ails der dritten Geld in ,sülle, ^'risch geschmiedet inahlt der ^ampc», schaufelt hin nnd her der Deckel, INahlt ein illas; beim Tagcsanbrnch, 11'iahlt ein Iilas^, das; man es esse, Mahlt ein zweites ^i»n verkaufen, )NahIt ein drittes zum verwahren. .sreud^oll war des Werdens Alte, brachte dann den großen !5ampc> !1Iach des ^'iordlands ,selsenbergl', ^,l den festen Ü.x'rg von Rupfrr Ninter nenn der besten Schlösser, !^ur;eln läs;t er dorten schiesten, ^eun der Klaftern in die Cicfe, Eine !^nr',el ill die Erde, Eine an den ^and des Wassers, In des !,ianses ^erg die dritte, Daranf bittet Illuaiiin',, Gar bescheiden »m die Inllgfran, Redet Worte solcher weise: „wirst Dn nun die Inngfrau geben, Da der 3ampo fertig worden Nud gar schön der bunte Deckel?" Nordlands wunderschöne Tochter Redet selber diese Worte: „Wer wind' wohl im nächsten Jahre, wer im übeina'chsten ?ommer l')ier zmn Rnf den Auckuck bringen, Wer die Oöglein hier zuin 3ingen, wenn ich in die fremde ,,öge, Ich, die ^>eer', in sreinde Bänder! „Ging das liiihilchen hier verloren, lind verirrte sich oas Gänslein, Ging der Mntter Rirsch' ron hinnen Nnd die rote Preiselbeere, würd' der Kncknck ganz verschwinden, hastig fort die vöglein flattern von deni Gipfel dieses Hügels, Don dem Rncken dieser i')öhe. „Iverde in der Welt wohl nimmer Diesen schönen Mädchentagen, werd' der Arbeit nie entsagen, ^lie den sommerlichen borgen, Ilngepflücket blieb' die ^eere, Unerfüllt von: 5ang das Ufer, Nndorchwanoelt blieb' die waldnng, blicht würd' in dein 1'iain i^l? spielen," Ilinarinen, er, der Schmiedcr, Dieser eivge ^chmiedekünstler, schlechtgelaunt, gesenkten yaupies, Seine Mütze schief geschoben, .^'ing nllll an i>l überlegen, t^ielt gar lange, es im Aopfe, Wie cr sollt' nach I)m>sc reise», In bekanntes Land gelangen Aus dem nimmerhellen ^"lordland, Aus dein düstern Sariola. Sprach die Wirtin von ^ohsola: „(>) du Schmieder Ilmarinen, lvcsl^alb bist Du sä'lechter Kanne, Schiebest schief Du Deine Mütze, Treibet Dich Dein Sinn ;n gehen ^"(ach dem frühern 1^'imatlande?" Sprach der Schmieder Ilmarinen: ,,Dahin gehen die Gedanlex, Nach der lx'imat, dort ,^ll sterbe», In dem Kand zur Ruh zn koinmen." Nordlailds Wirtin dranf verpflegn' wohl mit Speis' und Trank den Neiden, Setzt ihn au des 35c>otcs Ende, l)in inm knpferreichcn Rllder, !^ies; den wind dann kräftig wehen, Liesi de» Nordlvind heftig blasen, Ilmarinen, er, der Schmieder, Dieser ewge Schmiedekünstler, Reist nach seinein l)e!mat!a»de Auf dem blauen Meeresrücken; Reiste einen Tag, den zweiten, Endlich an dem dritten Tage Aommt der Schmied nach l^aiise glücklich, Nach dein Grt, wo er geboren. Spiele der ^amo^on. --- M --- ^n späteren Runen werden dann die Thaten Wäinämöinens, Ilmarinens und ^einminkäinens besungen, die aufziehen, um den Scnnpo aus dem Nordland zu entführen. Ans den Backenknochen eines riesigen Fisches, den sie unterwegs fangcn, verfertigt Wäinämoineu seine Kantcle, und alles, was auf der Grde, m der ^uft und im Meere lebt, eilt herbei, um seinem Spiel zu lalischen. Im Nordland angekommen, verseht er durch sein Spiel das ganze Volk in tiefen schlaf, geht dann mit seineu Brüdern zum Steinberg, in welchem der Sampo verwahrt ist, bemächtigt sich desselben und bringt ihn in sein Boot. Auf der Rückfahrt haben aber die Argonauten des Nordens, die Sampofahrer, schweres Ungemach zu erdulden. Des Nordlands Wirtin sendet ihnen einen Sturm nach, der sie so lange aufhält, das; sie von den Verfolgern eingeholt werden. Es kommt zwischen Nordland und Kalewala zum Kampf auf offenem Aleere, doch Kalewala geht aus demselben als Sieger hervor. Der Sampo zerbricht während des Kampfes; einige Stücke fallen ins Meer und begründen den Reichtum desselben, andere werden von der Flut ans Nfer getrieben, wäinämöinen sammelt die Sampo-trümmer uud seht sie Auf die m'l'oll'cichc 3pitze ?l»f den« waldmigsreichen Eiland, Das; sic wüchsen und sich inelnten, Das; sie sich gestalten möchten Dort zu Gerste für die ^iere, Dort zu Roggen für die Vroto. Die letzte Rune, welche, wie schon erwähnt, erst in christlicher Zeit entstanden ist, schildert uns, wie wäinämöinen, im Mißmut darüber, daß der Sohn der Jungfrau Mariatta trotz seines Widerspruches zum König von Karjala getauft wird, sein kupfernes Boot besteigt und fortsegelt. Er verschwindet an, Horizont, wo sich Himmel und Erde berühren, aber er läßt seine Kautele und seine bieder zurück, <^>u des Dolkcs ewger Freude, 3chöne>i 3a»g den ^iwnu'kmdern. „Kalewala" ist die größte finnische Volksdichtung, aber es giebt außer ihr noch viele kleinere, die ihr an wert nicht nachstehen, teils mythischen, teils lyrischen Anhalts. Eigene Sänger, die Ruonalainen, haben diese alten bieder oder Runen von Geschlecht zu Geschleckst fortgepflanzt und sie zn den Klängen der nach der Sage von wäinämöinen erfundenen Kantele, eines mit fünf Metallsaiten bespannten Instrumentes, gesungen. E. tönnrot, der Herausgeber der „Kalewala", hat auch die übrigen Erzeugnisse der Volkspoesie gesammelt Es erschienen: unter dem Titel „Kauteletar" 5^)2 lyrische kieder und 5,0 Valladen, ferner das ?()?? Sprichwörter enthaltende „Suomen kansan scmalaskuja" und „Suomen kansan arwoitulsia", 2^88 Rätsel enthaltend. ^)n den fünfziger fahren erschien die erste Sammlang Volkssagen. Immer noch vermehrt sich aber der reiche Schatz sinnischer volkspoesie durch neue Schöpfungen. Unter den neuereu Volksdichtern ist der bedeutendste der Vaucr f?aul Korhonen, desssu kieder ebenfalls durch Tönnrot gesammelt und herausgegeben wurden. Die Gründung der Finnische» kitteraturgesellschaft bezeichnet einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der finnischen Sprache und Litteratur. Die nationale Propaganda, welche durch diese Gesellschaft ins ^eben gerufen wurde, richtet ihr Streben darauf, die finnische Sprache ebenso zur Sprache aller Gebildeten im Tande zu machen, wie es die russische Sprache in den Gouvernements mit russischer Bevölkerung ist; sie sucht die Sprache zu läutern, vorhandene Härten zu beseitigen, damit sie auch für moderne f)oesie, vor allem aber auch für wissenschaftliche Orosa verwendbar werde. Bis ^etzt besteht die jDrosalitteratur fast nur aus religiösen oder speziell für das Volk bestimmten, populären Schriften. Die finnische Sprache ist ungemein reich an vokalen und Diphthongen, und infolge dessen sehr wohl' klingend und biegsam. Zu deu einfachen vokalen, bei denen die Dehnung durch Verdoppluug angezeigt wird — a, ä, e, i, o, ö, u, y (unseren: ü entsprechend) — kommen die Diphthonge ai, au, äi, äy, ei, eu, iu, oi, ou, öi, öy, ui. vou den Konsonanten fehlen c, f und q. Unter den Sprachen des altaischen Sprachstammes ist die finnische nächst der magyarischen am meisten entwickelt. Die Deklination weist ^ Casus auf und ist Ziemlich schwierig; man kennt Nominativ, Genitiv, Infinitiv, Lssiv ((Hualitw), Faktiv ((Hualifikalw), Illatio, Allatw, Inessiv, Adesfio, Elativ, Ablativ, (üaritiv, Suffixiv und Adverbial. Es giebt eine Deklination für Worte, deren -------- ^c, -------- Nominativ auf einen Vokal, und für solche, bei denen er auf einen Aonsonanten endigt. Die Possessiva werden durch Suffire erseht: aus i^i, Vater, wird durch Suffixe i^wi, mein Vater, i^ü5, dein Vater, i^m^l, sein Vater u. s. w. Das Verbum hat ein Activum und Passivum, 2 Nuineri, 3 Personen, 2 einfache Tempora (Präsens, praeteritum) und 5 Modi (Indikativ, Imperativ, Ron^unktiv, ^nsinitiv und Participium). Die sinnische Sprache zerfällt in eine Menge Dialekte; die bedeutendsten derselben sind der karelische und tavastische. Der erstere wird von den eigentlichen Aareliern (Aar^alaiset) im Nordoste» des Großfürsten-tums und von einem großen Teil der Vevölkerung ^)ngermanlands gesprochen, der letztere von den Tavasten (Hämeelaiset) iln südwestlichen Fiiniland, den Twen, Tschuden, Lsten und der fiuuischen Bevölkerung a,n ^Zott« nischen Meerbusen. Aus den: letztern, wie er um Abo und Helsingfors gesprochen wird, hat sich vorzüglich die Schriftsprache herausgebildet, und in den Gebieten, in denen er verbreitet ist, wirkt die eine Vervollkommnung der Sprache erstrebende nationale Propaganda am erfolgreichsten. Sehr zu statten kommt dabei den Finnen die bevorzugte Ausnahmestellung, die sie iin rlissischen Reiche einnehmen. Finnland ist zwar mil Rußland nicht bloß durch eine Personalunion, sondern auch durch die gemeinsame Vertretung nach außen und durch die Gemeinsamkeit verschiedener staatlichen Einrichtungen verbunden, aber es hat sich doch seine alte Verfassung nach schwedischem Muster bewahrt. Der Kaiser aller Reutzen und Großfürst von Finnland ist in Helsingfors durch einen Generalgouverneur vertreten, und an: Hofe des Kaisers weilt ein Minister für Finnland, der über alle Angelegenheiten, die der kaiserlichen Entscheidung vorbehalten sind, Vericht zu erstatten hat. Der kaiserliche Gouverneur ist Vorsitzender der höchsten Vehörde des tandes, des Senate. Der Tandtag, der mit dem Tandes» fürsten gemeinsam die gesetzgebende Gewalt ausübt, tritt alle fünf Jahre zusammen; er ist eine etwa 200 Mitglieder zählende Versammlung von Delegierten der vier Stände: Adel, protestantische Geistlichkeit (welcher auch A,n ^vcilniachtsabeilt». alle Professoren beigezählt werden), Vürger und 2)auern. In den Städten entfällt auf etwa 6000 Vürger ein (andtagsabgcordneter; die Vauern eines jeden der 5<) Gerichtsbczirke wählen einen Abgeordneten. Die Stände tagen nicht vereint, sondern jeder für sich; bei wichtigen Angelegenheiten können Zwar alle Stande zu einer gemeinsamen Sitzung zusammentreten, jedoch nur gemeinsam beraten, nicht auch beschließen. Zur Verhandlung kommen nur die von der Regierung eingebrachten vorlagen, uud Gesetzeskraft erlangen nur solche Beschlüsse, für welche sich sämtliche vier Stände erklärt haben. Ghne Zustimmung aller Stände kann auch keine Rekrutenaushebung staltfinden. Die eigene Armee Finnlands soll dem Gesetz nach ^0 000 Mann Zählen, doch wurde sie auf ein Corps von 800 Mann reduziert, welches nur im tande selbst Verwendung findet. Der tandtag dcs Großfürstcnwms lritt in Helsingfors, der Hauptstadt desselben, zusammen, doch nicht l8 --------- 428 -------- in einem gemeinsamen tandtagsgebäude; Adel und Geistlichkeit tagen im sogenannte»: Ritterhaus, die Depu» lierten der Bürgerschaft iin Rathaus, während der Vauernstand kein bestimmtes Versammlungslokal besitzt, sondern für die kandtagsdauer irgend einen Saal mietet. Das in Finnland geltende Aecht ist mit geringen Abänderungen das alte schwedische Gesetzbuch von ^73H. Die Todesstrafe besteht noch, aber seit mehr als einem halben Jahrhundert ist kein Todesurteil vollstreckt worden. «Line große Schaltenseite der finnischen Zustände ist die Intoleranz gegen andere Glaubensbekenntnisse. Neben der lutherischen Staatskirche genießt nur die griechische Kirche gleiche Aechte, alle anderen Religionen und Konfessionen haben es höchstens zur Duldung gebracht; die 500 Duden z. 2.5., die sich in Finnland aufhallen, sind nicht naturalisiert, ein Jude kann überhaupt nur für furze Zeit die Bewilligung zum Aufenthalt innerhalb der Grenzen Finnlands erlangen. Helsingfors liegt an einer der wenigen Buchten, welche das Meer an der von schären umlagerten Südküste Finnlands bildet. Die Bevölkerung, H3 ^2 Seelen, ist meist schwedischer Abkunft, Bis zum Jahre ^808, in welchen: es der russische General Burhöwden besetzte, gehörte Helsingfors zu Schweden, von dem es bald nach der Besetzung durch die Russen im Frieden zu Fredcrikshamn <^7. September ^809) an Rußland abgetreten wurde. Von Gustav wasa war die Stadt ^550 am Ufer des Flusses wanda gegründet worden, wo man noch Überreste jener alten Ansiedlung, Gammelstaden, die alte Stadt genannt, sieht; unter Königin Christine wurde sie, da jene ^age sich für ihr Gedeihen nicht günstig erwies, nach der Stelle verlegt, welche sie jetzt einnimmt, aber trotzdem blieb sie unter schwedischer Herrschaft ein unbedeutender Olatz. was Helsing-fors heute ist, seinen ganzen überraschenden Aufschwung verdankt es seiner Verbindung mit Rußland, Nicht mit Unrecht hat man das durch schöne, breite Straßen und große Plätze mit stattlichen Gebäudeu ausgezeichnete Helsingfors mit seinen: lebhaften Fremdenverkehr und den: regen geistigen teben Klein Petersburg ge> nannt. Als Hauptstadt des Großfürstenlums, als Sitz des General- und Civil Gouverneurs des kaiserlichen Senate? und aller Centralstcllen der Tandesverwaltung, ferner als Universitätsstadt, als Handelsplatz und als Seebad besitzt es so viele (Huellen zur Wohlhabenheit, daß ein rasches Aufblühen unter umsichtiger Verwaltung gar nicht ausbleiben konnte. In diesem Jahrhundert ist Helsingfors durch imposante Orachtbauten verschönert worden: durch das kaiserliche Palais, in dessen Nähe eine Denksäule an den Besuch der Kaiserin Alexandra Feodorowna erinnert; die lutherische St, Nikolai-Kirche und die neue russische Kirche; die Universität, die UniversitätS'Bibliothek, das Studcntenhaus (welches eine Bibliothek, ein Restaurant, einen Musik- und Billard-Saal enthält); das Ritterhaus, in welchen« während der Sitzungen des Landtags Adel und Geistlichkeit (letztere in einem der Vorsäle) tagen; das schöne Stadtthealer u, s. w. Die Universität, ein großartiges Gebäude mit schöner Freitreppe, wurde ^2l^ von Alexander 1. gegründet, dessen Bronzebüste die Aula ziert. Die Vorlesungen an den vier Fakultäten werden von 700 Studenten besucht. Die Zahl der inskribierten Universitätshörer ist jedoch viel größer, da viele ihr ganzes leben lang als Studenten eingeschrieben bleiben, dabei jedoch sich gar nicht in Helsing-fors aufhalten. Mit der Universität sind verbunden eine Münzsammlung, eine Bibliothek mit ^20 000 Bänden, ein ethnographisches Museum, ein physikalisches Kabinet und chemisches Laboratorium, ein anatomisches Museuni, ein magnetisches (Observatorium und ein Turnsaal. Alle diese stattlichen Prachtbauten und die vielen schönen Anlagen, der reizende Stadtpark, der Ulrikas» bc»rg°f)ark mit den vielen Villen, der Tölö>jDark an der Tölö-Bucht, machen Helsingfors zur schönsten Stadt Finnlands. Auch seine Umgebung ist nicht ohne Reize, besonders der Archipel, der sich zwischen Helsingfors und Borgl». ausbreitet. Auf einer jener Inseln liegt die starke Festung Sweaborg, die man mit den: Dampfer in einer halben Stunde erreichen kann. Als Schweden im Frieden zu Abo (^7^5) einen großen Teil seiner Besitzungen an: Finnischen Meer» busen abtreten mußte, wurde Helsingfors in einen Waffenplatz ersten Ranges umgewandelt. 25 Millionen Riksdaler kosteten die werke, welche unter der Leitung des Generals Grafen «Lhrenswä'rd und des be< rühmten Architekten Thnnberg errichtet wurden. In: Jahre ^770 waren sie vollendet, aber die fast unein« nehmbare Festung siel im Jahre l^Odj durch verrat in die Hände der Russen, in deren Besitz sie seitdem ge< blieben ist. Im Jahre ^855 wurde Sweaborg von der vereinigten französischen und englischen Flotte bom> bardiert, aber das Bombardement blieb wirkungslos, und die Flotte zog sich nach einem gleichfalls erfolglosen ------- ;39 ------- Tandungsversuche zurück, Seitdem wurden auf den Inseln neue Forts und Vatterieen errichtet und Sweaborg noch mehr befestigt. Die Inseln, auf denen ^efestigunge»» angelegt sino, bilden gleichsam eine Kette vor der Vucht von Helsingfors, in welche nur an der o das Meer nicht wie bei Helsingfors von Dezember, ja oft schon von November bis Mai mit Eis bedeckt ist. Helsingfors ist aber immer noch der Hauptmarkt für das nächste Hinterland, namentlich für die beiden Städte Tavastehus und Tamerfors. letztere Stadt, dos „Manchester Finnlands" genannt, ist die größte Fabrikstadt des Großfürstentums (Vaumwollspinnerci, siapierfabrikation). Schon im Anfang der zwanziger Jahre hat man in Tamerfors begonnen, die gewaltige Wasserkraft des die Stadt dnrchstießenden Tampereenkoski, welcher auf einer Strecke von 7, Werst etwa 20 Meter fällt, im Dienste der Industrie auszunutzen, und gegenwärtig steht an beiden Ufern des Flusses Fabrik an Fabrik. Tamerfors zählt etwa ^»000 Einwohner, und ist auch als Handelsplatz von großer Bedeutung, wird jedoch als solcher weit übertroffen von Abo (sprich: Gbö), welches mit seinen 2,", lV(1 Einwohnern nach Helsingfors die größte, zugleich aber auch die älteste Stadt des Großfürstentums und unter allen Handelsstädten an der sinnischen Küste die bedeutendste ist. Der Hafen Abos liegt auf der Insel Hirvinsala bei Vackholm, wo alle großen Schiffe vor Anker gehen^ bis zur Stadt können durch einen dieselbe mit dem Meer verbindenden Kanal nur kleine Schiffe mit geringem Tiefgang fahren, .^ur Ausfuhr gelangen hier hauptsächlich Getreide, Mehl, Holz, Pottasche, Eisen, Häute, Wildpret, Fiscbe und Nutter; die Einfuhr besteht besonders in Kleidungsstoffen, Glas, Salz, Zucker, wein, Kaffee und Früchten. Reges Tebeu herrscht auf den werftcn, wo sowohl die großen Dampfer der amerikanischen Schiffahrtsgesellschaft als auch Kriegsschiffe gebaut werden. Abos Gründung wird in das Jahr ^5? verlegt. Erich der Heilige, der die Finnen gewaltsam zum Christentum bekehrte, soll hier auf einem Felsen an» rechten Ufer des Aurajoki, auf dem noch jetzt Schloß Abo (Abohns) steht, eine Vurg angelegt haben. Wiederholt von den Russen geplündert und niedergebrannt, begann Abo erst in der ersten Hälfte des ^. Jahrhunderts sich zu heben. Im Jahre ^628 gründete hier Gustav Adolph ein Gymnasium, welches Christine ^s,q.O in eine Universität umgestaltete, die später einen be» deutenden Ruf erlangte, aber ^ft27 nach Helsingfors verlegt wurde. Im Jahre ^75^, wurde in Abo Zwischen Rußland und Schweden jener Friede geschlossen, durch welchen der zwei Jahre vorher auf Vetreiben der Kartei der Hüte von Schweden begonnene unheilvolle Hrieg ein Ende fand, während dessen das schwedische Heer bei Willmanstrand geschlagen, der General wrangel gefangen und ganz Finnland von den Schweden verwüstet wurde. Schweden trat damals alles 3and bis zum Kymmenefluß ab. ^60st wurde, nachdem sich Sweaborg ergeben hatte, auch Abo von dem russischen General Vuxhöwden beseht. Durch den Friedensschluß fiel ganz Finnland an Rußland, und der Sitz der Regierungsbehörden wurde von Abo nach Helsingfors verlegt, welches seine alte Nebenbuhlerin nun rasch überflügelte. l)on dem schweren Schlag, der Abo dadurch und durch die Verlegung der Universität traf, hat es sich lange nicht erholen können, und erst seit dem Auf. schwung des Seehandels beginnt es allmählich seine frühere Wohlhabenheit wieder zu erlangen, Abo war schon frühzeitig Vischofssitz. Vischof Magnus I. ist der Erbauer der großen Kathedrale (Domkyrkan) in spätromanischem Stil, die auf einen, kleinen Hügel inmitten des Kathedralen-Platzes steht. Das Bistum blieb auch nach Einführung der Reformation bestehen und wurde ^8^7 in ein protestantisches Erzbistum verwandelt. ;8* -------- ;40 -------- von Abo nach Norden liegen an der Küste noch mehrere größere Städte mit teilweise Ziemlich bedeutendem Handel, zunächst Nystadt, wo ^72^ der bekannte Friede mit Schweden geschlossen wurde, in welchem dieses Estland, Ingermanland, Tivland und einen Teil Rareliens an Rußland abtrat. Ein Tclegraphen-kabel verbindet jetzt von hier aus die finnische Rüste mit der schwedischen. Dann folgen Njörneborg, am schiffbaren, lachsreichen Umno gelegen, eine rasch aufblühende Industriestadt mit nahezu MX) Einwohnern; Rristinestadt (2700 Einwohner); Wasa oder Nikolaistadt (etwa l>500 Einwohner), eine alte Stadt, in deren Ulngebung sich viele Eisenwerke, Glashütten und Pulvermühlen befinden; ^akobstadt; Gamla Karleby, eine alte Handelsstadt, die jedoch etwa 2 Werst von ihrem Hafen entfernt liegt; ^rahestad und Ule^borg (sprich: Uleoborg). Die letztere, romantisch am Ulell-Elf gelegene Stadt inacht trotz ihrer Holzhäuser einen freundlichen Kloster 5olow?tzk, (Nach emrm alten russischen G^inäld^,) Eindruck, als Handelsstadt hat sie jedoch viel von ihrer Vedeutung eingebüßt, da sich der öeehandel immer mehr nach den südlichen Plätzen Finnlands zieht. Schon am Anfang dieses Jahrhunderts wurde hier ein lebhafter Handel mit Holz und Teer getrieben, trotzdem die vielen Sandbänke und Klippen im Mell-Elf die Schiffahrt sehr gefährden, und diesem Handel verdankte die Stadt ihren abermaligen Aufschwung, als sie ^622 völlig niedergebrannt war. Die nördlichste Stadt Finnlands am Vottnischen Meerbusen ist Torneu (sprich: Torneo), am Torne-Elf gelegen, der aus dein gleichnamigen See in Schweden kommt und ^00 Werst weit die Grenze zwischen Schweden und Rußland bildet. Am andern Ufer des Flusses, Tornel, gegenüber, liegt das schwedische Städtchen Haparanda. 25eide Städte werden von vielen Touristen besucht, namentlich im Jum, da 6? Werst nördlich, auf der finnischen Seite des Torne-Elf der Verg Avasaksa liegt, von dem aus am 2H. I)uni das großartiae Archangelsk. -------- ^3 -------- Schauspiel der Mitternachtssonne beobachtet wird. Der Reisende findet sowohl in Haparanda als i>» Tornek gut eingerichtete Hotels, und Mangel an Comfort wird ihn hier sicher nicht daran erinnern, daß er an der Nordgrenze des civilisierten Europa steht. Der Ackerbau beschränkt sich hier, nahe dem 66. Grad nördlicher Vreite, bereits auf den Anbau von Gerste und Rartoffeln, doch sind Jahre, in denen eine auch nur mittelmäßige Ernte erzielt wird, selten, ^eim d^. Breitengrade hört der Ackerbau überhaupt völlig auf, und es beginnen Me traurigen weiten Schneestächen, die sich wie eiu endloses weißes Leichentuch von Sibirien her längs des weißen Meeres bis zur Nordgrenze Schwedens ausdehnen. Torneu ist der Hauptmarkt für die tappen im Großfürstentum; dorthin bringen sie das wenige, was ihr Land bietet, Renntierfelle und Fische, um dafür andere Bedarfsartikel einzutauschen. Vis hinauf zur nördlichen Grenze des Erdteils, im Nordwesten nach Schweden, im Nordosten tief in das Gouvernement Archangelsk hinein erstrecken sich die Wohnsitze der Lappen. Es ist eine eigene, fremdartige Welt, die wir da betreten, doch ein und derselbe Charakter der Landschaft von den Vergen Schwedens bis zum fernen Ural. Rauh und unwirtlich ist das Land, bald mit kahlen Gebirgen, bald mit dichten, Urwald bedcckt, und obwohl seine Seeen und die gewaltigen Ströme, die es durchschneiden, vortreffliche Verkehrsstraßen bilden, solange sie der Winterfrost nicht mit einer Eisdecke überzieht, so haben sich doch Handel und Verkehr nur schüchtern zu dieser ukima 'I'Inü«.' heraufgewagt, welch riesiges Gebiet, fast doppelt so groß als das Deutsche Reich, doch wie dünn gesäet die Bevölkerung! Im Gouvernement wasa kamen noch ? Menschen auf den ^Kilometer; in UIeu,borg, dem größten der finnischen Distrikte (^65 6^0,9 ^Kilometer), zählt man nur noch ^ auf den ^Kilometer, in Glonetz 2, ebenso in wologda, und im Gouvernement Archangelsk gar nur uoch 0,^.! Im Gouvernement w^atka, das bereits eine Nbergangsstufe vom rauhen Norden zu dem gemäßigten Klima Kasans bildet, kommen noch nicht mehr als ^i Menschen auf den ^Kilometer, Das Gouvernement Archangelsk ist fast viermal so groß als das auch nicht dicht bevölkerte Königreich Ungarn, und doch kommen in letzterem mehr als ^000 mal soviel Menschen auf die ^ Meile als in jenen«. Ein buntes Gemisch finnischer Stämme lebt in diesem riesigen Gebiet, die Lappen, Karelier, Tschuden, Samo^eden und Sir^änen. Der Volksstamm, dem wir im hohen Norden zunächst begegnen, die Lappen, führt diesen Namen erst seit der Zeit des Saxo Grammalicus, der um ^H^ unter ihnen lebte; früher hieß das Volk Sirit'Finnen. Die Lappen sind zweifellos die Ureinwohner des Landes, aber schon frühzeitig drangen die unternehmungs» lustigen Kaufleute Groß-Nowgorods bis zum Lappenlande vor und erlangten eine Art Oberhoheit über die zerstreuten Stämme, die ihnen noch im Jahre ^26^ durch einen vertrag bestätigt wurde. Damals erstreckten sich aber die Wohnsitze der Lappen noch viel weiter nach Süden als ietzt, da sie noch nicht durch die Slaven nach dem höchsten Norden zurückgedrängt waren. Düster und traurig ist der lappländische Norden. Schroff und steil steigen die Felsen empor, wie ein mächtiger Damm, der dem Meer das weitere vordringen wehrt, chaotische Granitmasssn, die selbst einen: ver> steinerten Meer ähnlich sind. Tief im Schoße der Gebirge liegen kleine Seeen, aber keine grünende Insel spiegelt sich in den klaren wellen, und kein Laut unterbricht die Totenstille, die über der Gegend lagert. Selten gewahrt das Auge spärlichen Manzenwuchs oder auf einem Berggipfel einige einsame Tannen und Fichten. Trotzdem hat dies Land eine Zukunft, und es war kein sinnloses Beginnen, daß die Regierung sinnische und russische Kolonisten an die Meeresufer verpflanzte, denn die an buchten reiche Küste, das nie zufrierende Meer und der große Fischreichtum der Seeen sind Eigenschaften des hohen Nordens, die vieles ersetzen, was ihm fehlt. In den südlicheren Gegenden Lapplands sieht es etwas freundlicher aus, aber auch dort ist der Kampf ums Dasei», den die Bevölkerung zu führen hat, noch ein sehr schwerer. Die Dörfer der Lappländer bestehen aus ärmlichen Holzhütten von ovaler oder konischer Form; Steingebäude trifft man, trotzdem kein Mangel an Baumaterial ist, sehr selten, wenn der Herbst kommt, werden die Sommerhütten verlassen und die für den Winter bestimmten bezogen, aber unsauber und nach unseren begriffen unbehaglich sind die einen wie die anderen. Die vom Rauch des Herdfeuers erfüllte, durch die Ausdünstung der vielen, sich darin aufhaltenden Menschen verpestete Luft dieser Hütten, in denen die Familie auf Renulierfcllen schläft, ist so schlecht, daß man — ^4 .— dort, wie das russische Sprichwort sagt, kein Veil gern aufhängen mochte. Die Hauptnahrung der Lappländer ist, da der Boden, auf den, sie leben, sie nicht ernähren kann, eine animalische: Fische, Renntierfieisch und Schneehühner, doch während andere Völker in, hohen Norden, so z. 25. die Samojeden, das Fleisch roh verzehren, wird es von den Lappländern nur gekocht oder gebraten genossen. Brot hat erst seit etwa HO fahren allgemein als Nahrungsmittel Aufnahme gefunden und wird aus einer Mischung von Mehl und zerriebener Fichtenrinde gebacken. Dagegen gewinnt der Genuß geistiger Getränke, besonders aus Norwegen herübergebrachten Ruins, auch bei den Lappländern von Jahr zu Jahr an Verbreitung. Der Reichtum der Lappländer beruht auf ihren Renntierherden, doch so große Herden wie in Schweden und Norwegen, wo sie nach Tausenden zählen, trifft man in kappland nicht; selten besitzt ein Lappländer mehr als 8 bis <)00 Tiere. Der Futtermangel ist das größte Hindernis der Renntierzucht. Man läßt die Tiere frei weiden und sich ihr Futter selbst suchen, wobei jedoch viele sich verlaufen oder von Wölfen zerrissen werden. Diejenigen, die man als Zugtiere braucht, werden mit Hilfe von Hunden zusammengetrieben und mit wurfleinen gefangen. Jeden« Kinde wird bei der Geburt ein Renntierweibchen geschenkt, und alle jungen, die dieses später zur Welt bringt, werden sein Eigentum, so daß jeder herangewachsene Tappe schon über eine Herde verfügt. Renntiere werden auch der Braut als Brautgeschenk überbracht. Die Tappen heiraten meistens unter sich; Ehen mit Russinnen oder Norwegerinnen sind höchst selten. Will ein junger Mann ein Mädchen freien, so schickt er den «Litern desselben durch Verwandte einige Geschenke und erwartet vor den, Hause den Bescheid. Dem Vater der Vraut wird ein Glas Branntwein angeboten; wenn er dasselbe annimmt, gilt die Verlobung für geschlossen, andernfalls ist der Freier abgewiesen. Während der Brautzeit besucht der Tappe seine Auserwählte täglich, bringt ihr häusig Geschenke und singt selbstgedichtete Tieder zum f)reis ihrer Schönheit und ihrer sonstigen Eigenschaften, die jedoch nichts wenigcr als melodiös sind, denn musikalisches Verständnis scheint die Natur den Tappländern versagt zu haben. Ihr Gesang bei Festmählern klingt geradezu ohrenzerreißend; cühorgesänge kennen sie nicht, es singt daher jeder das Tied, das ihm am meisten gefällt, und die rauhen Slimmen, welche da durcheinander ertönen, haben dann viel Ähnlichkeit mit dem Geheul eines Rudels Wölfe. Die Tappen sind Christen; in Norwegen wurden sie durch König Friedrich V., in, Gouvernement Archangelsk gegen Ende des ^6. Jahrhunderts durch die russischen Heiligen Feodorit uud Trifon bekehrt. Trifon erbaute auf der Halbinsel Kola die erste christliche Kirche im Tappengebiet, bei welcher später ein Kloster entstand, das jedoch von den diese Gegend häusig plündernden Norwegern niedergebrannt wurde. Trotzdem sie aber schon Jahrhunderte lang «Christen sind, hat sich unter den Tappen noch viel Aberglaube aus heidnischer Zeit, auch noch Opfer zur Versöhnung der bösen Geister, erhalten. Über dem Grabe eines Kindes, welches keinen Namen erhalten, heult in stille», Winternächten ein böser Geist, und das schauerliche Konzert findet nicht früher ein Ende, als bis man dem begrabenen Kind nachträglich noch einen Namen gegeben hat. In ihrer heidnischen Vorzeit verehrten die Tappen eine Unzahl Gottheiten höhern und niedern Ranges, gute und böse Geister, die im Himmel, in der Tuft, im Wasser, auf und unter der Erde walteten. Die höchsten Götter waren der im Himmel wohnende Radien und sein Sohn Sioraw-Radien. Des Erstern Tochter führte die Seelen der verstorbenen nach Rata, in das Tand der ewigen Finsternis, aus den, es keine Wiederkehr gab. Als vierter gesellte sich zu diesen obersten Göttern Rawonanekda, der Schutzgeist alles auf Erden Tebendcn, der auch dafür sorgte, daß es den Renntieren nie an Nahrung fehlte. Außer diesen verehrten die Tappen die Sonne, als Ernährer und Wärmespender, und brachten dem Sonnengott die besten Fleischstücke zum Gpfer, ebenso wie dem bösen Donnergott, der die Menschen tötet und den man deshalb sich günstig stimmen mußte. Teib-Glmai war der Gott der Jagd, den, am Morgen und an, Abend unter Absingen von Tobhymnen geopfert wurde. Die Frauen beteten besonders zu Maderakko uud ihren Töchtern, deren einer als der Beschützerin der Geburten, welche den Schmerz der Gebärenden zu lindern vermochte, Milchopfer dargebracht wurden, während man ihr zu Ehren Branntwein trank. Schlechte Menschen mußten die unterirdischen Götter fürchten, die unter der Erdoberfläche in bodenlosen Abgründen hausten, wohin nach dein Tode auch die Seelen aller jener kamen, die auf Erden wider die Gebote der Götter gehandelt hatten. Man opferte ihnen die <<) Floß auf dcv Dwina. — ^? — Rnochcn, die Ghren und die Eingeweide der Renntiere. Auf den Gipfeln der höchsten Verge thronte Sakwo» Almak, der Gott der Zauberer und Wahrsager. Den südlicher wohnenden Slaven galt der hohe Norden schon frühzeitig als die eigentliche Heimat aller Zauberer und Wahrsager, Iwan der schreckliche ließ bekanntlich, als er im Jahre ^5)8^ immer schwächer wurde und das Erscheinen eines Kometen ihn ängstigte, Zauberer und Sterndeuter aus Tappland kommen, die ihm seinen Tod nach ^2 Tagen, auf den ^8. März, voraussagten, solche Zauberer trankeu von dem Wasser der Duelle, welche auf dem Verge ihres Gottes entsprang, und mit dem Wasser ging alle Kraft und alles Wissen des Gottes auf sie über, sie konnten Krank» heiten heilen, aber auch durch ihrcn Zauber Menschen töten oder ihnen böse Krankheiten senden, die ohne ihren Veistand nicht zu heilen waren. Nur zwei Personen gegenüber ist der Zauberer «nachtlos. Diese beiden sind der Isprüwnjik (Kreisrichter) und der Stanow«',i (Polizeibeamte). von Tempeln, welche die russischen Tappen ihren Göttern errichteten, ist uns nichts bekannt. Sie opferten denselben auf den Gipfeln bestimmter Verge oder bei großen Steinen, die dann häufig selbst für Gottheiten gehalten wurden, In Zeiten der Not flehte man zu diesen: „Heiliger Stein, steh' uns bei!" In Norwegen stand in grauer Vorzeit ein berühmter Tempel am Ufer eines Sees, und dorthin kamen auch Tappen aus dein russische»! Gebiet. Die den Göttern geheiligten Grte wurden sorgsam vor Entweihung bewahrt. Niemand durfte sich dort länger als einen Tag aufhalten, und während dieser Zeit durfte man nichts thun als bete,-, oder Gpfer darbringen. Kindergeschrei wurde an solchen Orten nicht geduldet, weil es die Ruhe der Götter störte, und Frauen mußten, wenn sie vorüberkamen, die Augen mit der Hand bedecken, um den heiligen Verg oder Stein nicht durch ihren Vlick zu beflecken. Die Tappen sind jetzt Unterthanen dreier Reiche: Norwegens, Schwedens und Rußlands. Zu derselben Zeit, als die Nowgorodcr in ihr Tand vordrangen, unterwarfen sich die Norweger alles Gebiet bis zum Waranger Fjord, und im ^3. Jahrhundert kam der letzte noch freie Rest des Volkes durch die Unterwerfung (Dsterbottniens an Schweden. Auf russischem Gebiet leben etwa ^0000 Tappen. Auf der Halbinsel Kola im Gouvernement Archangelsk, der östlichsten Grenze ihres Gebietes, haben sie sich bereits an feste Wohnsitze gewöhnt und wohnen in Dörfern bei einander. Mit der Tracht der russischen Vauern haben sie dort auch den Hang zur Trunksucht angenommen, aber sie lieben die Reinlichkeit, verwenden viel Sorgfalt auf ihre Kleidung und waschen sich, was man nicht von allen Nordländern sagen kann, auch im Winter täglich und mit großer Sorgfalt. Alle Tappen, dic längs der Ufer des Eismeeres wohnen, sprechen auch ruffisch, da die meisten in Diensten russischer Unternehmer stchcn und für dieselben auf den Fischfang ausziehen, wir können aber auch nicht unerwähnt lassen, daß an den Ufern des Nördlichen Eismeeres und des weißen Meeres heute noch eine Art weißer Sklaverei besteht, die jeden freiern Aufschwung des Volkes hindert. Die russischen Unter, nehmer bezahlen für die in ihren Diensten stehenden Tappen die Abgaben, liefern ihnen alles was sie zum Tebensunterhalt und zum Vetriebe des Fischfanges brauchen, aber alle Ausbeute des Fischfanges gehört ihnen. Durch die empfangenen Vorschüsse, die er nie völlig abzuarbeiten vermag, wird der Tappe für Tebenszeit zu ihren» Sklaven. Es sind ähnliche Verhältnisse, wie jene, denen wir bereits im I. Vande bei Besprechung der Hausindustrie in den Gouvernements jenseits der Wolga begegneten, und wir werden ihnen bei unserer Wanderung durch den Norden Rußlands nochmals begegnen bei den Samojeden, bei denen die Sklaverei eine noch viel unheiloollere ist als an den Ufern des weißen Meeres. Im äußersten Nordosten des Gouvernements Archangelsk, dann jenseits des samojedischen Ural bis über den Jenisei nomadisieren die Samojeden. In Europa bildet die Grenze ihres Gebietes im Westen der Fluß Mesen, im Süden der posa, ein Nebenfluß des Mesen, im Gsten der Ural, im Norden das Meer. Die Horden, die dort mit ihren Renntieren herumziehen, sind nicht groß, und ihre Zahl schmilzt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr zusammen; Koppen berechnet sie auf ^50(1 in Europa, 5000 in Asien. Klein von Gestalt, mit gelblich-brauuer Gesichtsfarbe, niedriger Stirn, schwarzen: walzenförmigen Haar, schief stehenden Augen und platter Nase sind die Samojeden getreue Ebenbilder der Mongolen; Castra!ms nn!> ,i)>,>s!!!!lls im >ol0>v^!;tischcn ^dostcr. Einförmigkeit cnnüdete 2.^Iick haften könnte. 2ln der Meeresküste rauhe, düstere Felsenbcrge und ^isblöcke, von dencu herab weiter nichts zu sehen ist als auf der einen 5eite dieselbe endlose Wüste Tundri, und auf der andern die noch ödere unbegrenzte Eisfläche des Meeres. Totenstille rund umher, keine Hpnr von Mitmenschen und selten ein Anzeichen, daß es hier noch einiges tierisches Teben giebt. 5o ist die Gegend während des größten Teilcs des Jahres beschaffen; nur in der kurzen f)eriode des sogenannten Sommers belebt sich das ungeheure Grab der Natur hier und da durch Renntier- und Gänseherden." 1) Ufer de5 podschcicin. 2) Veig öablja. ^ini ^rtschc'ragl'I'il't. ^) ^n dor innt'Iichrn !Uvlw) Felscnll^r l»i Schtsclzugorfluß. Die Samojcden ncnncn sich selbst benetz (Menschen) oder auch cllhassow (Männer); über den Ursprung des Na»uc»ls Samojeden ist man niä^t einig: ob derselbe vom finnischen ^lioma, Sumpf (also Sumpfbewohller) abzuleiten sei, oder ob »nan russischen Ursprung annehmen solle (Samojedy, Autophagen). von den Russen werdeu sie auä) Sirojedy (rohes Fleisch <3ssende) gena»lnt. Sie sind noch nicht lange zum Christentum bekehrt, und wenn auch das Neue Testament in ihre Sprache übersetzt worden ist, Airchen in ihrem Gebiet gebaut wurden und sie äußerlich allen Anforderungen der griechischen Kirche Genüge leisten, so ist doch der Fetischismus, dem sie früher anhingen, unter ihnen noch nicht ausgerottet, und insgeheim werden immer noch die alten Gotter angebetet. Da die Götzenbilder, die sie mit zäher Ausdauer immer wieder aufrichteten, so oft sie auch von den Russen zerschlagen oder verbrannt wurden, schließlich doch vor den christlichen Missionären nirgends sicher waren, verzichteten die Samojeden auf die «Lrrichtuug großer, weithin sichtbarer Götzenbilder und begnügen sich nun mit kleine», wildern in Talismanform, die sie in ihren Zelten oder in den Kleidern verborgen mit sich führen, besonders am Nral hat sich der Götzendienst und mit ihn» der Glaube an die guten und bösen Geister noch bis auf den heutigen Tag erhalten. Freiherr von Sterneck, der ^72 durch das petschora-gebiet reiste, fand in einer Samojedenhütte »leben einem Bilde des heiligen Nikolaus ein Götzenbild. Als die ersten christlichen Sendboten zu den Samojeden kamen, war das Tand noch mit Götzenbildern förmlich besäet. An die Gpfer, die den Göttern dargebracht worden waren, erinnerten zahllose, von der Sonne gebleichte Renutierschädel, die in weitem Kreis um das Götzenbild aufgeschichtet waren, bei Bildern der guten Götter die Augen nach Gsten, bei jenen der bösen nach Westen gerichtet. Außer den Renntieren, welche auf der Gpfcrstätte von den Priestern erdrosselt wurden, opferte man auch Bären. Als Stephen Vurrough im Jahre ^556 waigatsch, die „heilige Insel" besuchte, fand er am Nordkap um ein großes Bild des Götzen vcsako nicht weniger als ^2(1 kleinere Götzenbilder aufgestellt. Im Jahre ^82H waren dieselben noch vor« Handen, wurden aber dann von den Missionären teils zerstört, teils fortgeführt, und auf der Spitze dos Nord« kaps thront jetzt das Kreuz. «Line ähnliche Vpferstelle befand sich in der Nähe von Mesen, und nur schwer gelang es den Missionären, die von den Samojeden immer wieder aufgerichteten Götzenbilder endlich zu beseitigen. Das höchste Wesen der Samojeden ist Nmn oder Ilibambärtje, der Beschützer der Herden, der über de», Wolken wohnt, von wo er Regen und Schnee herabsendet. Der oben erwähnte vesako ist der Vertreter des bösen Prinzips und Gemahl der „mächtigen Mutter" Radako, der Erde. Ihn und alle bösen Geister verehrt der Samojede mehr als das höchste Wesen, um das er sich im großen und ganzen recht wenig kümmert. All sein Streben geht nur dahin, die Geister sich günstig zu stimmen, die ihm schaden können, wenn er sie erzürnt, und von deren Gunst er große vorteile erwartet. Dem kleinen Idol, das der Samojede iu der Tasche mit sich herumträgt, ergeht es aber zuweilen doch recht schlecht, wenn der Samojede in alle,, Hoffnungen, dio er gehegt hat, sich getäuscht sieht. Offenbar ist der Götze daran schuld, daß der Jäger ohne Beute und der Fischer mit leeren Netzen heimgekehrt ist, und er muß dafür büßen: er wird geschlagen, und wenn ihn die Prügel nicht bessern, in Stücke zerbrochen und weggeworfen, und der Samojede verfertigt sich einen neuen Talisman, den jedoch gewöhnlich über kurz oder lang dasselbe Schicksal ereilt. Nach diesen seltsamen Glaubensbegriffen kann man schon erkennen, daß die Samojeden auf keiner hohen Bildungsstufe stehen, wenn man die Bildungsstufe, welche ein Volk erstiegen hat, nach der Achtung beurteilen kann, deren sich bei demselben die Frau erfreut, so steht der Samojede wohl unter alle» in Luropa wohnenden Völkern am tiefsten. Die Frau gilt den Samojeden für unrein, und sie darf den Sinikui, jenen platz in der Hütte, wo der Samojede sein bestes Besitztum verwahrt, nicht betreten, da eine Berührung durch ihre Hände die dort verwahrten Gegenstände verunreinigen würde. Inmitten der nackt auf dem Boden hockenden, schmutzigen Rinder sitzt die Frau da und näht Gewänder für ihren Mann oder verfertigt aus Renntiersehnen Bindfaden, das ist Jahr aus Jahr ein ihre Beschäftigung. Ihr Mann hat sie vielleicht scholl in ihren« ^5. Lebensjahre gekauft, denn die Samojedenmädchen werden schon sehr früh verheiratet, und sie ist in seineu Augen »um »licht mehr als eine Sklcwin, die den Kaufpreis, der für sie gegeben wurde, dem Mann wieder verdiene»: muß. Daß sich unter solchen Umständen nie ein Familienleben entwickeln kann, ist selbst« verständlich. Ls wird dies auch noch dadurch erschwert, daß viele Samojeden gar kein eigenes Heini besitzen, sondern oft 2 oder 5 Familien in einem Zelt beisammeuwohnen. Iu diesen kegelförmigen Zelten (Mjä, russisch 5? Tschum genannt) spoltet die Unreinlichkeit aller Beschreibung. Noch mehr zuwider als durch diese werden aber die ^amojeden durch ihre echt mongolische Gefräßigkeit. 5ie können riefige Mengen rohen Fleisches verschlingen, wobei sie die Fleischstücke in das im aufgeschnittenen ^eib des geschlachteten Tieres angesammelte Nlut wie in eine ^auce tauchen. Noch dampfendes Rennlicrfleisch und warmes ^lut sind ihre größten Delikatessen, und das schlachten eines Renntieres ist stets ein Fest für den ganzen Stamm. Dazu gesellt sich ihre Leidenschaft für Tabak und Branntwein. Die Tabakblätter werden zerrieben und in großen Mengen von Männern, Weibern nnd Rindern geschnupft, ^m Vranntweintrinken jedoch ist sogar der russische Vauer dem Samojeden gegenüber nur ein Stümper, wenn Branntwein zur Hand ist, trinken Männer und Frauen bis sie niederfallen, und sobald dcr bausch ausgeschlafcn ist, beginnt das Gelage von neuem. Man findet zuweilen die Bevölkerung eines ganzen Dorfes wie entseelt am Voden liegen, wo sie ihren Rausch ausschläft. F'ra» aus «X'm Gmwcrncim'üt Archüimelsk. Die Händler, welche mit den Samo^eden verkehren, besonders die schlauen öirjäuen, kennen diese schwache Seite des Volkes sehr wohl uud wisseu sie auszunützen. Das Feuerwasser leistet in den Schneefeldern am Ural dieselben Dienste wie in den Orairieen Nord Amerikas. Wenn der Samojede einige Gläser Vrannt-wein im ^eibe hat, gicbt cr für frischen Branntwein leicht alles hin, was er besitzt, Fuchs-, Vären- und 2?enw tierfelle, ^a sogar die lebenden Renntiere seiner Herde, und vielleicht gar noch einen Schlitten, daniit der Händler die für den zehnten Teil ihres wertes erworbenen Gegenstände fortschaffen kann. Der Rausch emes einzigen Abends, der sich auf die ganze Familie, die Kinder mit eingerechnet, erstreckt, kostet dann oft alles, was der öamojcde in mehreren Wochen mühsam auf der I^agd erworben hat, aber er beklagt, wenn der Rausch verfiogen ist, niemals den Verlust, ärgert sich höchstens, daß er dem Händler nicht noch etwas mehr Branntwein abgepreßt hat. ___ iHI___^ Vei solcher wirtschaft ist es erklärlich, daß das Samojedenvolk immer tiefer sinkt. Dem Dämon Alkohol verfallen, geht es langsam, aber unaufhaltsam seinen« Untergang entgegen, denn die Zahl der Todesfälle nimmt in demselben Verhältnis zu, wie die Zahl der Geburten abnimmt. Dabei verarmt das Volk immer mehr. Durch die gewissenlosen Händler immer wieder zum Vranntweintrinken verteilet, wird der Samojede, der kein Geld zum bezahlen desselben besitzt, ihn aber doch nicht entbehren will und kann, nur zu leicht der Schuldner des Händlers, und sobald er erst nur einmal von diesem einen Vorschuß auf späler zu liefernde Fells oder Renntiere angenommen hat, wird er in seinem ganzen ^eben den Gläubiger nicht mehr los. Nlit iveib und bindern ist er der Sklave desselben geworden und wird ausgebeutet, soweit seine Kräfte reichen. Große Henntierherden gehören bei den Samojeden daher schon längst zu den Seltenheiten; man berechnet die Durchschnittszahl ihrer Herden auf ^c» bis ^? Tiere. Die Zeit ist nicht fern, wo »nan nur noch in ethnographischen Nluseen Spuren finden wird, daß einst Samojeden gelebt haben, wenn dann nicht noch irgend ein Sprachforscher sich veranlaßt findet, sich mit der Poesie des untergegangenen Volkes zu beschäftigen. 2.xun'rnIxn!S im ^c^id^ii. Poesie der Samojeden! Es klingt kaum glaublich, und doch hat auch dieses verkommene Volk seine Heldengesänge, Überbleibsel aus vergangenen besseren Tagen, monotone Rezitationen, der starren Ruhe dos eisigen Nordens angemessen. I)n manchen zeigen sich Anklänge an die Ralewala der benachbarten Rarelier. Ls giebt eigene bänger, die im vortrag dieser bieder geübt sind und deren Gesang die Samojeden oft stundenlang lauschen. Trotz der tiefen Verkommenheit des Volkes entstehen auch jetzt noch immer neue Volkslieder. Die Spiele, mit denen die Samojeden sich zu belustigen pflegen, sind sehr einfach. Man wirft Speere nach einen» eisernen Ring, und wessen Speer in dein Ring stecken bleibt, der ist Sieger. Auch eine Art Acgel-spiel ist bei den Samojeden gebräuchlich: durch einen (!)nerstab verbundene Stäbe werdcn in die «Lrde gesteckt und nach diesen ein Rnüttel geschleudert, um sie umzuwerfen (siehe Seite ^). Die Sirjä'ueu, die so verhängnisvoll fur die in der geistigen Entwicklung zurückgebliebenen Samo-jedeu geworden sind, haben schcn frühzeitig als Handelsvolk eine Rolle gespielt und lebhaften verkehr mit Sibirien unterhalten, ja bis nach Persien und Indien erstreckten sich ihre Verbindungen. Sirjänenstraßen hießen die alten Handelsstraßen, die über den Ural führten. Nach jenen, welche mit den Samojeden in Verührung kommen, darf man jedoch nicht das ganze Volk beurteilen: sie sind schlau, hinterlistig und allezeit zu Vetrug geneigt, während die weitaus größere, südlicher wohuende Masse des Volkes sich durch Wahrheitsliebe, Recht« 2U -------- ;5q -------- schaffenheit und Viederkeit auszeichnet. Die Sirjänen sind bereits so rusfifiziert, daß sie sich fast gar nicht von den Russen unterscheiden. Unter den vielen Völkerschaften, welche in Rußland leben, sind sie eine der talent, vollsten, Schon in der schule zeichnen sich die Sirjänen durch ihr Fassungsvermögen und ihre ternbegierde aus, und im Seminar zu wologda sind weist die besten Schüler Sirjänen. Trotz ihrer angeborenen Neigung Zum Handel, die sich auch in der überraschenden Schnelligkeit dokumentiert, mit welcher Sirjänenkinder im Rechnen Fortschritte machen, sind sie auch tüchtige Jäger, die sich nicht scheueu, den 23är in seiner Höhle aufzusuchen. Zuweilen ist die ganze Bevölkerung eines Dorfes auf der Jagd oder beim Fischfang und die Frauen Verrichten indessen zu Hause die Arbeiten der Männer. Vären, Füchse, Eichhörnchen, Schneehühner sind die Veute, welche die Sirjäneu von der Jagd heimbringen; der Fischfang in den fischreichen Flüssen liefert tachse, Hechte, Slöre, Sterlets (^c?,i^en8^r ratlionu«), Schuäpel (('or^^^i^i^), Kaulbarsche u. s. w. iu Meuge. Durch den Fischfang, dem der Sirjäue gewöhnlich im Dienste eines Unternehmers obliegt, verdient er lit) bis 80 Rubel, viel einträglicher ist die Jagd: ein glücklicher Schuß bringt oft dem Jäger ein in diesen Gegenden bedeutendes Kapital ein, wenn ihm z. V. der Zufall einen Zobel oder einen Silberfuchs in den weg führt, denn für Oelze aus diesen seltenen Fellen werden in Rußland taufende von Rubeln gezahlt. Mehr als der gute «Lrtrag der Jagd trägt aber die rationell betriebene Renntierzucht zu der meist großeu wohlhabeuheit der Sirjäncn bei" Herden von 6 bis 7000 Tieren gehören keineswegs Zu den Seltenheiten. Im Sommer, während der Sirjäne der Jagd oder dein Fischfang obliegt, läßt er seine Herden unter der Gbhut eines samojedischen Anechtes zurück, im Winter aber, wo Überfälle durch Raubtiere mehr zu befürchten sind, übernimmt er selbst die Veaufsichligung der Herden. Selten wird ein junges Tier geschlachtet, da der Sutane den Wert des Felles eines ausgewachsenen Renntieres gar wohl zu schätzen weiß. wenn er zum Herbst den dritten oder vierten Teil seiner Herde schlachtet, ist ihm aber auch durch den verkauf der Felle ein Reingewinn von 5 bis 6000 Rubeln sicher. So fehlt denn Geld, das bei den Samojeden nie zu finden ist, niemals in der Hütte des Sirjänen, und bei vielen sammelt sich im kaufe der Zeit ein auch für andere Verhältnisse bedeutendes vermögen an. Der Grundzug des (Charakters der Sirjäncn ist, wie bei allen sinnischen Völkern, ehe sie durch fremde , in ^2 dagegen l) oder ^0). Die Gesamteinnahmen betrugeu 28? bis ti0^) Rubel, die Ein-nähme dcs einzelnen Jägers 6'/^ bis 22'/^ Rubel, In je eincr Wolost der Kreise piuega und Archungelsk erreichte der Gewinnanteil des einzelnen die Höhe von q,0 Rubel. Im ganzen Gonvernement erzielten HIM Jagd-Art.'lgenossen, also etwa Z'/,,"/« der Bevölkerung, eine Gesamteinnahme von 1.23 850 Rubel, und in, Durchschnitt betrng die Einnahme des einzelnen ^2 Rubel ^0 Kopeken. Die ältesten Nachrichten über die Jagd-Artige reichen bis ins ^3. Jahrhundert zurück. Damals hießen sie watagi, und der Obmann der Genossenschaft war der wataman. Nicht so alte Nachrichten sind über die ArlÖle für den Fischfang vorhanden, über welche wir erst seit dem ^?. Jahrhundert ausführliche Nachrichten besitzen. Es giebt Art<>le für den Stockfisch-, für den Tachs- und den Häringsfang u. s. w. Heute sind sie alle ent< weder von Unternehmern oder von Aufkäufern abhängig, vei jenen für den Stockfischfang war es früher Regel, daß der Genosse sich nicht nur mit seiner Arbeit, sondern auch noch mit einem bestimmten Kapital beteiligte, doch diese Artülform ist nun völlig verschwunden, da sie den Kampf mit den, Großkapital nicht auszuhalten vermochte. Der «Lrzbischof hatte bis ^70H, in welchem Jahre Peter der Große es aufhob, ein Privilegium auf die Fangstellen, und die Fischcr mußten unter ziemlich ungünstigen Verhältnissen arbeiten, aber die Not zwang sie, sich zu fügen, trotzdem der Gewinn der Arl«'lgenossen sich zu jenen, des Lrzbischofs wie ^5 : 5? verhielt. Peters Absicht, die 6agc der Arbeiter durch Aufhebung des erzbifchöflichen Privilegiums zu verbessern, wurde jedoch leider vereitelt, dem, die vielen Unternehmer, welche nun an die Stelle des einen traten, nützten 2«* -------- ^56 -------- die Not der Arbeiter ebenso aus, wie es früher geschehen war. sobald jetzt ein Unternehmer eine Art^l gemietet hat, bewirtet er dieselbe, und jeder Genosse erhält von ihm Holzlöffel, Tuch zum Ausbessern der Fausthandschuhe und 'V. bis ^ Rubcl als Veitrag zu den Rosten seiner Verpflegung während des Marsches Zur station. Hunderte von Werst muß ost eine Art^l zurücklegen, ehe sie die Halbinsel Rola erreicht; zu Fuß durchzieht sie eine Gegend, in der sie erst nach tagelanger Wanderung irgend ein elendes Toparendorf findet, und sie muß meistens ihr Arbeitszeug und die Lebensmittelvorräte selbst auf Schlitteu nachziehen, denn nur selten ist einer dieser Arbeiter Vesitzcr eines Renntieres oder gar eines Pferdes. ^)n hunderterlei Gestalten lauert auf diesem Wege der Tod. Väreu und Wölfe bedrohen die Reisenden, die sich bei Nacht durch auf dein Schnee angezündetes Feuer kaum vor dem Erfrieren schützen können, nnd dann überfällt sie vielleicht ein Vrkan, der die Schneemassen aufwirbelt und vor sich hertreibt, und tagelang muß die Gesellschaft auf einer stelle liegen bleiben, im Schnce vergraben das t,>I auf der Station angekommen ist, für die Verpflegung derselben Sorge zu tragen, doch in vielen Fällen läßt er sich sowohl die Nahrungsmittel als das zum Einsalzen der Fische nötige Salz bezahlen. Nur der Art«>Iälteste steht sich ein wenig besser als die übrigen, da ihm der Unternehmer eine stets vorher vereinbarte Crtrabelohnnng zu verabreichen hat. Ltwa 2«00 Mann, die sich auf ungefähr 700 Art6le verteilc.n, sind jährlich an der murmanskischen Rüste mit Stocksischfang beschäftigt. , Im ^l'tschoragebict. l) V«lg<,Colpl,s. 2) A'rche l»> Dorfe Ocreil^.in^l. ',) Felsen mu podscheren«. ^) 3le<„l'r«ch am Ufer dr5 Sopljnz. _____ ,AH _____ Andere Verhältnisse herrschen bei den Art^Ien für den tachsfang. Die Fangplätze sind gewöhnlich Eigentum der Dorfgemeinde, welclie die besten selbst ausbeutet, die übrigen verpachtet. ^>o viele Fangplätze eine Gemeinde besitzt, so viele Art^Ie bildet sie, an welche die Fangplätze dnrch das ^os verteilt werden, ^ede Arl^l hat ihre bestimmte Nummer und muß nach Ablauf eine» Jahres ihren Fangplatz der nächsten Art»'>l-nummer abtreten, so daß nach und nach jede Art<'l alle Fangplätze benutzt. Die größte Ehrlichkeit ist auch hicr die Grundbedingung. würde ein Genosse dabei ertappt, daß er diesö außer acht gelassen, vielleicht auch nur einen einzigen Fisch sich angeeignet hat, so würde keiner mehr gemeinsam mit ihm arbeiten, solche Missethäter werden slugs aus dem Verbände ausgeschieden, und man weist ihncn einen abgesonderten Teil des Fangplahes an, wo sie zusehen können, was sie mit eigener Kraft fertig bringen. Der Mangel des für die vorausgaben nöligen Capitals vermindert jedoch von ^)ahr zu ^)ahr die Zahl solcher selbständigen Art^Ie. viele T?aueru ziehen es vor, anstatt selbst auf den Fischfaug auszuziehen, ihren Anteil an der Ausnutzung der Fangstelle irgend cinom wohlhabendcrn Gemeindemitgliede zu verkaufen, und es kommt oft vor, daß ein Einzelner Besitzer allcr Art^l'Antelle ist und den Fischfang, dessen ganzer Ertrag ihm dann selbstverständlich zufällt, durch bezahlte Teute besorgen läßt. Doch auch die ^age der selbständigen Artüle ist keine so glänzende, als man auf den ersten Vlick glauben möchte. Nicht imstande, die Fische selbst zu Markte zu bringen, weil der nächste Markt vielleicht Hunderte von Werst entfernt ist, sind sie auf die Vermittlung der Händler angewiesen, welche zur Zeit des Fischfanges die Dörfer besuchen und von denen sie durch empfangene Vorschüsse bald ebenso abhängig werden wie die anderen weißen Sklaven, deren wir oben Erwähnung gethan. Diesem Übelstand begegnen wir mehr oder minder auch bei den Artölen für den Fang von Häringen und anderen Fischen, von walrossen, Seehunden u. s. w. Der Walroßfang wurde uutcr der Regierung der Kaiserin Elisabet Monopol des Grafen Schuwalow, und aus den Satzungen der einzelnen Art^le wurde eine sogenaimle „Meerordnung" gebildet. Nach Aufhebung des Monopols bemächtigten sich die Kapitalisten auch des Walroßfanges, und bei der großen Armut der Arbeiter halten sie es bald dahin gebracht, daß für diese gar keine Aussicht vorhanden ist, sich durch eigene Kraft jemals von ihrer Schuldenlast zu befreien. Die Wal' roßartl'le haben sich infolge dessen sehr vermindert und werden wohl bald völlig verschwinden, während in den dreißiger fahren noch über hundert Ar!,'lschiffe auf den Walroßfang auszogen, zählte man ^872 nur noch 5. Früher zogen dic Walroßfänger im ^)uni aus und kehrten im September des nächsten Jahres zurück, überwinterten alfo auf den Fangplätzen; jetzt ziehen sie im Mai aus und kehren im September heim. Die in dieser Zeit von einer Art^l erlegten walrosse repräsentieren durchschnittlich einen wert von !^500 Rubel, wovou der Unternehmer zwei Drittel, also ^000, die Artül 5,00 Rubel erhält. Da der gewöhnliche Mitgliederstand einer Artcehundfang 300 f>ud Fett einem Kapitalisten zum greise von 2 Rubel ^0 Kopeken. Der Kapitalist gewann dadurch bereits 70 Kopeken pro Oud, da das Pud zu derselben Zeit in Archangelsk 2 Rubel 80 Kopekeu kostete; er gab aber den Ar<»>lgenossen kein Geld, sondern Mehl, wovon er das f>ud mit ^ Rubel 20 Kopeken anrechnete, obwohl er selbst dafür nur 80 Kopekeu bezahlt hatte. Thalsächlich zahlte cr also für das nach dein Marktpreis ^35i0 Rubel werte Fett nur 630 Rubel, verdiente also ^H"/u — und auch wenn man davon seine Auslagen für Transport, Tager u. s. w. abzieht, blieb ihm noch ein Gewinn, der gegenüber jenem der Art^lgenosseu als ein wahrer Löwenanteil erscheint. Angesichts solcher Verhältnisse ist die Ehrlichkeit der Bevölkerung geradezu überraschend, Höchst selteu kommt es vor, daß ein Genosse die Ar"),". in die Mündung der Divina ein, das letzte einer zur Aufsindung einer nordöstlichen Durchfahrt ausgesandten Expedition, deren andere schiffe r>om Eis eingeschlossen wurden nnd zu gründe gingen. Der Kapitän des Schiffes, Richard Chauceller, wurde in Cholmogori, de,n damaligen Centralpunkt des Handels am weißen Meer, freundlich auf-geuonuuen und reiste bald darauf nach Moskau zum Großfürsten Iwau lvaWewitsch, dem er ein von Köiug Eduard Vl. unterzeichnetes Veglaubigungssä?reiben überreichte. Die nächste Folge dieses Besuches war ein Handelsvertrag zwischen Rußland und England. Ein russischer Gesandter begleitete Chanceller auf der Rückfahrt. Chancellery Schiff scheiterte zwar au der Rüste Schotllauds nnd er selbst fand in deu Wellen den Tod, aber der Gesandte wurde gerettet und fand in London am königlichen Hofe eine höchst ehrenvolle Anfnahme. Seitdem kanien alljährlich englische Schiffe nach (üholiuogori, am Ufer der Dwina wnrde in der Nähe des Klosters Archangelsk ein Kaufhof erbaut, und um diesen herum entstanden rasch Niederlassungen, die ^58H zu dem Städtchen Archangelsk vereinigt wurden. Die günstige Tage dieses Grtes an« Ufer der Dwina machte ihn zu einem gefährlichen Rivalen des ältern Handelsplatzes Cholmogori, von dem sich der verkehr immer mehr nach Archangelsk hinüberzog, und um die Mitte des ^?. Jahrhunderts war das letztere bereits unbestritten der Haupthandel^platz im russischeu Norden, den englische jährlich 30 bis HO), deutsche, holländische und norwegische Schiffe besuchten, und wo viele fremde Kaufleute ständige Vertreter und große Magazine unterhielten. Nur vorübergehend ist seitdem Archangelsk in seinem raschen Aufblühen gestört worden, als f?eler der Große, der alles zu beseitigeu strebte, was dem Aufschwung seiner neuen Residenz hinderlich sein konnte, verschiedene Privilegien der Stadt aufhob und auch für deu Hafen von Archangelsk einen höhern Eingangszoll einführte als für jencn von Petersburg. Damals verminderte sich rasch die Zahl der schiffe, welche nach Archangelsk kameu, doch es folgten bald bessere Zeiten, die Kaiserin Anna II. hob in richtiger Erkenntnis der Jutcresseu ihres Reiches alle Bestimmungen auf, welche dem Handel vou Archangelsk hinderlich waren, und die Stadt war in kurzer Zeit wieder, was sie früher gewesen, der bedeutendste Handelsplatz in den nördlichen Meeren, und ist es seitdem auch geblieben. D'tzt wird der Hafen von ArchilNgelsk jährlich durchschnittlich von 800 schiffen, daruuter etwa 200 englische, besucht. Arch-mgelsk ist heute Hauptstadt des Gouvernements gleichen Namens, des größten, aber auch am schwächsten bevölkerten Gouvernements Rußlands, uud ist 5»itz des Civilgouverneurs, eines Bischofs und der Admiralität. Mit der Vorstadt Solombala zählt es etwa 27>OO0 Einwohner (^268 im Jahre ^872). In seinen: Äußern unterscheidet es sich gar nicht von anderen russischeu Gouveruementsstädten, auch hier treffen wir die die 5>tadt durchschneidende Hauptstraße, den großen Prospekt, wo sich die verkaufslädeu uud Magazme der Raufmannschaft befinden und wo sich zwischen stattlichen Steinhäusern immer uoch viele hölzerne erhalten haben, und die unvermeidlichen großen Airchen mit d<>), eine alte, schon im ^2. Jahr» hundert oft erwähnte Handelsstadt, ferner die reiche Fabrikstadt welikv Ustjug (Fabrikation geschwärzter Gold- und Silberwaren) mit etwa 8000 Einwohnern, durch hübsche (age und stattliche Gebäude sich auszeichnend, und Totma (etwa 5000 Einwohner), bei dem sich große Salinen befinden; iu wjctka die gleichnamige Gouverne» mentsstadt mit 22 000 Einwohnern und Sarapul (7700 Einwohner), in Perm das 25000 Einwohner zählende Ielalerinenburg, die Gouvernementsstadt Perm mit etwa 22lXX) Einwohnern, Schadrinsk mit 7000 und die I bis ^000 Einwohner zählenden Städte Dalmatow, Dedjnchin (^ergstadt), Irbit, Krassno-Usiinsk, Wssa, Soli« kamsk und Tschedr^n. Das Gouvernement Archangelsk besitzt nur zwei Städte mit über 2000 Einwohnern: Kem, an, weißen Meer den solowetzkischen Inseln gegenüber, und Gnega, eine freundliche, saubere Stadt, malerisch am Ufer des Flusses Gnega, 2'^ Werst von seiner Mündung gelegen. Alle Häuser sind von Holz gebaut, denn Holz ist immer noch billig, trotzdem hier die englische Holzhandelsgesellschaft ihren Sitz hat, die durch Niederlegung der großen Waldungen in den achtzig Iahreu von l.ßO5 bis IM,", jährlich eineu Umsatz von mehreren Millionen, erzielte und furchtbare Verwüstungen in dem waldbestand anrichtete, da auch hier niemand an wiederaufholzung denkt. -------- ;69 -------- Auf die Gouvernements Archangelsk, wologda, Glonez und Oerm entfallen etwa 60 Prozent der waldsiäche Rußlands. Fast die Hälfte der Wälder von Arch:mgelsk besteht aus Fichten und Tannen; im bilden des Kreises Mesen (Gouvernement Archangelsk) kommt auch die sibirische Ceder ^'imix c^emlira) vor, ^aubholz dagegen erst in j)erm und wjatka. Dieser Holzreichtuin dcr Wälder des Nordens wird von tDn.'ga aus weit nach Westeuropa versandt, und auf der Rh.'de der Stadt nehmen alljährlich gegen 1^00 Schiffe frem» der Nationen Holzladung ein. Die Einwohner selbst bringen Hol,; nach Norwegen und nehmen als Rückfracht in Umtausch Fische mit, die sie auf dem Markt in Archangelsk verkaufen. Die Gnegaer sind im Norden als tüchtige Seeleute bekannt, und selbst arme ^eute besitzen ihr ^oot, in dem sie sich kühn auf das stürmische weiße Meer hinauswagen. Die früher bedeutendste Handelsstadt des Nordens, Cholmogori, ist nun eil, unbedeutendes Städtchen von ^200 Einwohnern, das sowohl von Gnega als von dem am gleichnamigen Vusen liegenden Mesen (etwa ^500 Einwohner) überflügelt worden ist und von seiner einstigen Größe nur noch Ruinen auszuweisen hat. Die nördlichste Stadt Europas aber, das schon erwähnte Rola, zählt nur etwa 8M Einwohner. Fl'Ison im i!mtc>tschkin scharr. Am weißen Meer bildet Mesen die äußerste Nordgrenze der cimlisierten Welt. Nördlich von Niesen ragt die sumpfige Halbinsel Ranin ins Meer hinaus, und nordöstlich erstreckt sich weithin die Mesensche Tundra, wir werden sie später bei einer Wanderung ins Innere des Bandes kenne», lernen und führen den ^eser nun zunächst noch längs der lauste weiler nach Norde». Der Tscheska^a-Vai gegenüber liegt die ^nsel Ralgujew. Dieses an den Rüsten flache, im Innern mit steilen Felsen bedeckte Eiland ist 3HH6 ^Kilometer groß, hat in der Mündung der Arywa^a einen guten Anker» platz, ist aber noch wenig durchforscht. Der Hage nach wohnt im Innern der Insel ein „unsichtbares Oolk", welches einst aus den Höhlen, die es am Flusse Aorotaichi bewohnte, hierher zurückgedrängt wurde. In neuerer Zeit wird Kalgu^ew häufig von russischen Schiffern besucht, denn die vielen Flüsse, welche die Insel durchstießen, sind sehr fischreich, und Aarpfen, Stocksische und andere Gattungen sind hier in großen Mengen vorhanden. Auch Samojeden von der Halbinsel Aanin kommen hierher, besonders um die vielen Wasservögel, Wildgänse, cknten und Schwäne zu jagen. Der «Lxport von Dunen und Schwanenbälgen hat bereits eine ansehnliche Höhe erreicht. Es werden jährlich nahezu I.5NN Kilogramm Dunen, ebensoviel kleine Federn und etwa ^000 Schwanenbälge ausgeführt. Die Jäger umzingeln die Tiere in Kähnen und treiben sie gegen auf» -------- ;?0 -------- gestellte Netze, wo si».' erschlagen werden. Ein Jäger erzielt eine Jagdbeute von durchschnittlich 250 Stück i»n 3^Ionat. Die Gänse werden eingesalzen und sofort an Grl und stelle verkauft; Räucherung ist nicht gebräucl'licli und auch völlig unbekannt. Line eingesalzene Gans kostet nur einige Kopeken. Außerdem sind an der Rüste Ralgujews Robben, Seekälber und walrosse sehr zahlreich vorhanden, und im Innern der Insel Eisbären, Polarfüchse und Renntiere. Der Unternehmungslust steht hier noch ein weites Feld offen. Die Insel ist auch sehr reich an Guano. In den fünfziger fahren erhielt eine Firma für alle Inseln des Weißen und des Eis° meeres das Recht der freien Ausfuhr von Guano, und sie begann alsbald die Ausbeutung, Ralgujew aber ist unseres Wissens bisher nnr einmal durch einen schmier besucht worden, der dort Guano einnähn:, fernere versuche zur Ausbeutung der Tager haben nicht stattgefunden. Die Vegetation auf der Insel beschränkt sich auf einige weidensträncher, auf Sumpfmoos, Teekohl, Sauerampfer, Heidel- und Schellbeeren. Eiu versuch zur Kolonisation Ralgujews ist zwar schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts geinacht worden, fünfzehn Altgläubige wurden dort angesiedelt, aber der Skorbut raffte schon im ersten Winter alle hinweg. wenn wir uns nun an der petschoramündung vorbei nach Nordosten wenden, gelangen wir bald zu den unwirtlichsten Gegenden unseres Erdteiles. Ein schmaler Wasserweg, der jedoch einen großen Teil des Jahres durch von der Nordküste Asiens herangedrängte Eismassen verschlossen ist, die Rarische Straße, verbindet hier das Nördliche Eismeer mit dem Rarischen Meer. Rechts liegt die kleine Insel Waigatsch, links erstrecken sich in weitem 33ogen die Ufer von Nowaja Semlja, dessen Gstküste von ewigem Eis eingeschlossen ist, während an der Westküste die lauen winde das Meer wenigstens im Sommer eisfrei erhalten. Die Gstküste ist erst seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts bekannter geworden, und namentlich haben in jüngster Zeit die Reisen von payer, weyprecht, Graf Wilczek und endlich Nordenskjöld einiges Acht über diese Gegen« den verbreitet, von denen früher nur sagenhafte Runde zu uns gedrungen war, von einem Walsischfänger Tosch-kin, den: allein es im vorigen Jahrhundert glückte, die ganze Gstküste zu befahren. Nowaja Semlja oder das neue Tand ist eine Doppelinsel. Auf alten Rarten findet man noch häusig drei Inseln angegeben, da man vor genauerer Erforschung der Rüsten annahm, daß oberhalb der Wasserstraße, welche Nowaja Semlja in zwei Inseln, eine große im Norden und eine kleinere im Süden teilt, sich noch eine solche Straße befinde, wodurch eine kleine Mittelinsel geschaffen worden wäre, ein Irrtum, der erst durch Moisejeffs Expedition im Jahre ^5/) beseitigt wurde. Nur eine einzige Wasserstraße, der Matotschkin Scharr, auch Matjuschkin Scharr oder Matwejew Scharr genannt (der Ursprung des Wortes ist unbekannt), durchschneidet demnach Nowaja Semlja und stellt eine leichtere Verbindung mit der Rarasee her, als durch die meist verstopfte Rarische Straße möglich ist. Tetzterem Umstand verdankt es der Matotschkin Scharr, daß er in letzter Zeit die Pforte geworden ist, durch welche die Nordpol-Erpeditionen in das Reich des ewigen Eises einzudringen pflegen. Der 5/>l 2 Meilen lange Matotschkin Scharr (siehe Seite ^dH) befindet sich an der schmalsten Stelle der Insel, aber auch an jener, wo sich die höchsten Verge befinden: die ^l>8 Meter hohe Wilczek-Spitze, eine noch nicht gemessene, nur annähernd auf ^250 Meter geschätzte Spitze, und nordöstlich von der wilczek-Spitze ein angeblich ^25 Meter hoher Verg. Die westliche Einfahrt in den Matotschkin Scharr liegt zwischen dem Säulenkap (stolbowoi myß) und dem Widderkap (baranji myß), ist jedoch so wenig kenntlich, daß schon manches Schiff nicht imstande war, sie zu finden. Die Tiefe des Matotschkin Scharr ist auch für große Schiffe genügend, und stellenweise ist sie sogar sehr bedeutend, 60 bis 85 Faden. Die gegen Nordwinde geschützte Tage des Matotschkin Scharr ruft an seinen» Ufer während des kurzen Sommers eine verhältnismäßig reiche Vegetation hervor, aber landeinwärts hat die Tandschaft bereits völlig den Charakter der Polargegend, kein Vaum, kein Strauch ist da zu sehen, hie und da nur sprossen einige Blumen zwischen den, Gestein hervor, und dem spärlichen pftanzenwuchs entspricht die Vertretung der Tierwelt. Renntiere trifft man in der Nähe des Matotschkin Scharr nicht mehr, denn sie haben sich aus jener Gegend, wo der Mensch sie störte, weiter nach dem Norden zurückgezogen. So sind Eisbären, Eisfüchse und Temminge fast die einzigen Repräsentanten der Vierfüßler, die sich in der Nähe des Matotschkin Scharr aufhalten, und außer auf den vogelbergeu an der Westküste der Insel erblickt man auch Vögel selten. Für den Mangel an Teben auf dem Tande entschädigt aber die mannigfaltige Tierwelt der See: viele Tachsarten, Delphine, Robben, walrosse u. s. w. Russische « ______ 1?, ______ und norwegische Schifferbootc kreuzen daher in großer Anzahl an den Küsten der öden Insel, oder fahren in den Matotschkin Scharr hinein, um die Fische zu fangen, die zur Laichzeit in großen Zügen die vielen Flüßchen hinaufziehen, welche in jeneu »nünden. wenn die Zeit des Fischfangs vorüber ist, herrscht auf der Insel wieder Grabesslilie, von den Vergspitzen derselben sieht man uichls als mit glitzerndem Schnee bedeckte kahle Verge, hinter denselben im Norden der Jusel große Gletscher, deren einige einzelne Arme weit nach Süden vorstrecken, und im Osten die Karasee mit treibenden Eismasseu bedcckt. Don den vielen Expeditionen, welche in diesen: Jahrhundert den Matotschkin Scharr besucht haben, können wir hier nur einige erwähnen: die des Russen pachtusoff, der 1^822 längs der Ostküste der Insel nach Norden vordrang und der Erste war, der den Matotschkiu Scharr in der Richtung von der Karasee nach Westen ganz durchsegelte; die Rosenthalsche Expedition auf der „Germania" im Jahre ^87^, der wir die Spezialkarte des Matoschkin Scharr verdanken; die Expedition des Grafen wilczek auf dem „Isbjörn", welche auf die geologische Durchforschung Nowaja Semljas und die Messungen der Höhen am Matotschkin Scharr ihr Hauptaugenmerk richtete; und schließlich Professor Nordenskjölds Fahrten, der zweimal durch die Karasee bis zum Gb und Jenisci vordrang und so die Möglichkeit eines Haudelsweges durch den Matotschkin Scharr durch die That bewies. Die russische Legierung hat in jüngster Zeit den versuch gemacht, Nowaja Semlja zu kolonisieren. Jeden: arbeitsfähigen Mann wurde ein Vetrag von 350 Rubel und zehnjährige Steuerfreiheit iu Aussicht gestellt, aber ein dauernder Erfolg wird wohl auf Nowaja Semlja ebensowenig wie auf Kalgujew erzielt werden, wichtiger ist jedenfalls die Gründung einer ständigen Hilfsstation, welche ^877 in Malije Karmakuli an der Moller-Vai angelegt wurde, ein äußerster Wachtposten in der Eisregion, der bei Nordpol-Expeditionen bessere Dienste leisten wird als einige Kolonisten. Die Jusel, welcher man unter Zusicherung von Steuerfreiheit eine Einwanderung zuführen wollte, ist übrigens, obgleich nominell ein Teil des russischen Reiches, doch ziemlich Herreuloses 3and. wer dort jagen will, wird sich durch nichts gehindert finden, und nichts wird ihn daran mahnen, daß er sich auf russischem Gebiet befindet. Nowaja Semlja und die von ihn: durch die Aarische Straße getreuute Insel waigatsch sind die äußersten Ausläufer des Ural, von dessen Hauptmasse auf den, Fesllaude die letztere Insel nur durch die schmale Jugorstraße geschieden ist. Daß die Vergketten auf Nowaja Semlja von der nach Norden ziehenden Uralkette in weitem Vogen nach Westen ausbiegen, ist kein Grund, sie nicht als Fortsetzung des Ural anzusehen, denn ganz abgesehen von der gleichen Felsformalion auf Nowaja Semlja und in der großen Uralkelle durchzieht die letztere auch das Festland iu ähnlichen großen Vögen, dabei die convexe Seite einmal Europa, und einmal Asien zukehrend. Das russische Volk hat den Ural den Gürtel der Lrde genannt, von dsn Kirgisensteppen im Gou» vernemeut Orenburg bis hinauf zur ewigen Eisregion bildet er die natürliche Grenze zweier Erdteile, fünf große Gouvernements — Archangelsk, Wologda, Perm, Ufa und Orenburg — durchziehend, und ein Dutzend Sprachen erklingt au seinen Abhängen und in dem 3and zu seinen Füßen. Dort wohnen außer Russen die Pcrmjakeu, Wogulen, Sirjäncn, Samojeden, Gstjaken, Kalmyken, Kirgisen und Vaschkiren, und ungezählte Tausende mögen einst über seine Höhen und durch seine Thäler nach Westen gezogen sein, dort eine neue, bessere Heimat zu sucheu. Ein Nlarmordenkmal erhebt sich jetzt an einer Stelle der Grenze zwischen Europa und Asieu, auf einem niedrigen Hügelrücken, etwa 58 Werst von Iekatermenburg entfernt (siehe Seite ^65). Es wurde errichtet zur Erinnerung an den damaligen Großfürsten Alexander Nikolajewitsch (Kaiser Alexander ll.), der ^837 au dieser Stelle weilte, und an den Vesuch des Herzogs Maximilian vou Teuchteuberg im Jahre ^3^5. Großfürst Alexander, der damals zum spätern großen Nutzen jener Gegenden dieselben durch persönlichen Augenscheiu kenne?, lernle, war jenseits des Ural überall festlich empfangen worden. In Tjumen wird noch jetzt als kostbares Andenken im Museum das Voot aufbewahrt, in welchem der Thronfolger über den Fluß Tura gefahren war, und in Tobolsk hütet man das Haus, in den: er gewohnt, wie ein Heiligtum. So konnte es denn nicht ausbleiben, daß man die Stelle, von welcher er zum ersten Mal sibirischen Vodeu erblickte, durch ein Denkmal kenntlich machte. Ein Obelisk aus grauem uralischcn Marmor trägt auf der westlichen Seite die ^nsä^rift „Europa", auf der östlichen „Asien", und auf dcr Vorderseite liest man die Widmung: „Zur «Lrinnerluig cm den hohen besuch dieser stelle durch 5eiue kaiserliche Hoheit deu Thronfolger und Großfürsten Alez-ander NikolaMvitsch i,n Dah>e ^7,7 und dcn herzog ÜUarimilian vou teuchtenberg im ")ahre ^8^5." 2lls ^chwinnncndc Eisberge i>l der A^rasec. spater der Großfürst ^Ilerei Alerandrowitsch auf der Durchreise durch ^ekatermenburci diese Stelle besuchte, kam noch eine Anschrift hinzu, welche meldet, daß auch er, von seiner ^cise um die Erde heimkehrend, dort gewcilt habe. Die Straße, welche au dem Denkmal vorbei von f?erm nach ^ekaterinenburg führt, durchzieht emeu Ceil des Iiral, über den sich seltsam widersprechende Ansichten laut geworden sind. Die Liuen — und darunter Der Masserfall Ri watsch Namen von sehr gntem Alang, wie Humboldt, Murchinson, verneuil, Keyserling, Hochstetter u a. — sagten aus, daß man, in ^)ekaterincnburg angekon»n»en, kaum wisse, daß man ein Gebirge überschritten habe, weil der Uial bci seiner geringen Reliefbildung leichter auf den Karten als in der Natur wahrgenommen werde. Dieser Ansicht opponieren andere und erklären die Tänschung der Reisenden dadurch, daß sie im leichten Drei» oder Sechsgespann wie im Fluge von Bergrücken zu Vergrücken gelangt seien. „Sie merkten nicht," schreibt in der Zeitschrift „Die Natur" Albin Kohn, der den Ural unfreiwillig zu Fuße überschritten hat, „daß sie schon zwischen Malmysch und Gchansk im Gebirge sind, sie sahen nicht die mächtige, viele hundert Fuß hohe Sand° steinschicht, welche wir gewöhnlich als „vermische Formation" bezeichnen und welche die »nächtige Kama, den riesigen Nebenfluß der Wolga begleitet; sie sahen nicht die riesigen ^urakalklager von Kungura mit ihren derzeit noch wenig bekannten Höhlen, in welchen wasserströme an der Arbeit sind, um sie zu erweitern, vielleicht einen Erdrutsch oder ein Erdbeben vorbereiten, Sie kamen nach Perm wie im Fluge, Hochstetter sogar schon per Dampf, und eilten, wiederum wie im Fluge, über Kungura hinaus in die Vergwerke und nach ^ekaterinen-burg — ohne das Gebirge, so zu sagen, gesehen zu haben, Sie wurden durch das Vestcigen desselben nicht müde. Anders lagen die Verhältnisse mit mir! Schon als ich zu Fuß aus Kasan eskortiert wurde, merkte ich, daß sich die Gegend erhebt, daß ich den, wenn auch sanften Abhang eines Gebirges hinansteige; hinter Mal» mysch und Gchansk wurde mir dieses zur Gewißheit, denn hier sah ich die mächlige vermische Formation vor mir liegen, und wenn sich auch von hier aus bis Perm ein Ansteigen nicht bemerkbar machte, so wurde es mir doch ziemlich sauer, alz ich hinter Kungura einen Rücken nach dem andern erklimmen mußte und vom ersten aus meinen Horizont durch einen weit höhern zweiten beschränkt sah. So ging es fort bis zum Hauptrücken, auf dessen Mitte ein ziemlich winziger (?) Granitpfsiler steht, dessen nach Westen gekehrte Seite die Aufschrift „^ewropa" (Europa) trägt, während die nach Gsten gewendete Seite die Aufschrift „Asia" führt. Don hier aus übersah ich vor mir und hinter mir die Gegend bis weit hinaus, und keine wand hinderte wie bis dahin die Fernsicht." Der Grund des Widerspruches in diesen beiden Ansichten ist wohl, wie ja auch schon Albin Kohu andeutet, in der verschiedenen Art des Reifens zu suchen: der in» wagen rasch dahin Rollende wird jedes Gebirge minder hoch finden als der Fußgänger, der mühsam eine Anhöhe nach der andern ersteigt. In der That ist der durch 7,0 Breitengrade sich erstreckende Ural nicht so hoch, wie man in, Hinblick auf seine gewaltige Tange anzunehmen geneigt ist, denn seine höchste spitze, der Irmel-Tau im Gouvernement Ufa, erreicht nur 2000 Meter, und in einzelnen Teilen des Gebirges sind zwar schroffe Felsen, die bis zu ^600 Meter und darüber ansteigen, zahlreich vorhanden, aber in seinem mittleren Höhenzug bietet der Ural doch einen ziemlich bequemen Übergang von Europa nach Asien. Dabei ist noch besonders in 2)etracht zu ziehen, daß der Ural gegen Asien meist schroff nnd steil abfällt, während er sich nach Europa zu allmählich senkt und dort Felder und Wiesen, Städte und Dörfer seine Abhänge bedecken. Man teilt bekanntlich den Ural in den arktischen, den nördlichen, mittleren und südlichen. Zum arktischen, den man auch schon znm skandinavischen Gebirge gerechnet hat, der aber, wie bereits erwähnt, durch die Geologie als Teil der Uralkette erkannt worden ist, gehören die beiden Inseln des Eismeeres. Diesen gegenüber zieht sich auf dem Festlande unter 68>/.>" das flache Pallchoi-Gebirge mit seinen moosbedeckten Höhen hin, dessen niedrige Hügel aber bald zerklüfteten Felsen weichen, die wirr über einander getürmt einem in heftigster Bewegung plötzlich erstarrten Meer gleichen. Kein )5aum, kein Strauch wächst auf dieseu bis ^200 Meter hohen Felsen, zu deren Füße», sich die öde Tundra ausbreitet und deren Gipfel Schnee und Eis bedeckt. Das ist der nördliche Ural, anch der wüste Ural genannt, der bis zu den (yuellen der petschora reicht. Don diesen bis zu jenem Thal, durch welches die Ufa das Gebirge verläßt, dehnt sich der mittlere Ural aus, der werchoturische oder permische genannt, auch der „erzreiche" oder der „Metall-Ural" wegen seines großen Reichtums an Metallen, Dieser Teil des Gebirges ist mit dichtem Urwald bedeckt, aus welchen» uur hier und da kahle Felsen, z. ^.V der Katschkanar, schroff emporragen. Jenseits der Ufa gelangen wir dann in den südlichen Ural, der auch der baschkyrische genannt wird. von der Grenze der Gouvernements Perm und Ufa streckt derselbe drei, durch die Flüsse Ural und Vjelja getrennte Arme »»ach Süden vor, wo sich seine letzten Ausläufer in den Steppen der Kleinen Horde verlieren. Hier ist der Ural durchschnittlich nur H5O bis 600 Meter hoch, doch sind auch hier Verge von bedeutender Höhe, wie der ^556 Meter hohe Iremel, vorhanden. -------- 5?6 Auf der langen strecke, welche der Ural vom Vliessinger Hooffd auf Nowa^a Senil^a bis zur Gren° burger Steppe durchzieht, ist er aber nicht überall ^enes rauhe, unwirtliche Gebirge, als das sich ihn in West» europa immer noch sehr viele vorstellen. Der mittlere Nral birgt in seinen Thälern so manche Stadt und so manches Dorf mit wohl bebauter Umgebung, die ..malmenden Schornsteine der Fabrikdörfer und die Hütten der taufende von Arbeitern bei den Gold- und Silberbergwerken und den Kohlengrube» zeugen vou reger menschlicher Thätigkeit, eine gute Fahrstraße führt bald durch herrlichen Wald, bald durch Felder und wiesen über das Gebirge, und auch an entzückenden Aussichtspunkten und wild romantischen, malerischen Landschaften ist kein Mangel. Nachdem die Geleise der Eisenbahn das früher iu geheimnisvolles Dunkel gehüllte Gebirge uns näher gerückt haben, werden wohl über kurz oder lang auch die landschaftlichen Schönheiten des Ural ihre Anziehungskraft auf die Touristenwelt äußern, und die großartigen F.rnsichten von der schon Ende August mit Schnee bedeckten Deneschkin-Kuppe und all die anderen Aussichtspunkte, der Katschkanar, der ^280 Meter hohe Taganai, dcr Iremel, der Mogilny Kam^n (Grabhügelfelsen), eine der schönsten partieen im baschkyrischen Ural, der ^7)00 Meter hohe Kyrtym u. a. werden die wohl verdiente Würdigung finden. So wie man sich den Ural noch bis vor kurzer Zeit ziemlich allgemein in Westeuropa dachte, sieht er nur in seiuen nördlichsten Teilen aus, und ^erge, die das ganze Jahr hiudurch nut Schnee und Eis bedeckt sind, trifft man erst nördlich von der am Deneschkin Kamen an der nördlichen Grenze des Gouvernements Perm entspringenden Stoswa. Der mittlere Ural wird von Jahr zu Jahr mehr der Kultur erschlossen. Line mächtige Triebfeder sind dabei die Schätze, die im Schoße seiner Verge ruhen — Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Kohle u. s. w., deren mächtige Lager ihrem Umfange nach noch lange nicht genügend erforscht sind. wie bei fast allen industriellen und gewerblichen Unternehmungen des russischen Volkes, datiert auch der Aufschwung des Bergbaues im Ural von der Zeit Peter des Großen an. Durch ihn wurde ^70^ das erste Bergwerk im Ural am Flusse Newja angelegt, und Demidoff, der Schmied von Tula, der Stammvater der bekannten Familie, wurde der Verwalter des Bergwerkes Nen^ansk unter der Bedingung, daß er dem Zaren auch fernerhin so gute uud billige Waffen für seine Truppen liefere wie bisher. Außerdem erhielt Nikila Antufe^ew — so hieß der Schmied — vom Zaren, dessen besonderer Gunst er sich schon seit ^)<) erfreute, in welchem Jahre Peter auf der Reise durch Tula sein Gast gewesen, die Erlaubnis, im Ural nach Kupfer zu schürfen und etwa gefundene Adern selbst auszubeuten, wogegen dabei entdeckte Silberminen dem Staate zufallen sollten. Drei große Bergwerke wurden nach und uach durch Nikita Anwfejew angelegt, zu Njishny-Tagilsk, Werchnv-Tagilsk und Shuralinsk, und der Zar ermunterte den unternehmungslustigeu Mann durch Zahlreiche Gnadenbezeigungen zu immer neuen versuchen zur Durchforschung der Ural-Wildnis. Der schlichte Schmied wurde allmählich Besitzer großer Ländereicn mit Hunderten von leibeigenen, nn Jahre ^707 verlieh ihm Peter sogar den persönlichen Adel, und verwandelte diese würde ^720 in eine erbliche. Nach seinem Vater Demid führte seitdem der geadelte Schmied den Namen Demidoff, wie sehr ihn Peter zu schätzen wußte, kann man aus der Antwort ersehen, welche er einst dem Großadmiral Apraxin gab, als dieser meinte, es wäre zu wünschen, daß Rußland ein Dutzend solcher Männer wie Demidoff besäße. „Ich wäre schon glücklich," erwiderte Peter, „wenn ich ein halbes Dutzeud solcher Mä'uner wie er zur Verfügung hätte." Die Nachkommen des Schmieds von Tula haben sich ihres Ahnherrn würdig gezeigt. Den unermeßlichen Reichtum, den sie ihren Bergwerken verdankten, wußten sie vortrefflich zu verwerten, und weit entfernt davon, gleich vielen anderen Emporkömmlingen das ererbte vermögen zu einer üppigen, verschwenderischen Lebensweise zu benutzen, haben sie sich jederzeit als eifrige Förderer von Kunst und Wissenschaft, vor allem aber als echte Menschenfreunde erwiesen, ihre Hauptaufgabe in der Verbesserung des Loses ihrer Unterthanen und in werken der Wohlthätigkeit erblickt. Großartige Stiftungen, wie man sie wohl von den Astors und vanderbilts und anderen Millionären Amerikas, nicht aber in Europa gewöhnt ist, sind von den Demidoffs gegründet worden. Der Enkel des Schmieds von Tula, prokop Demidoff (gest. ^?Ns>), bestimmte ^ Million Rubel zur Gründung eines Waisenhauses in Moskau. Anatol Nikolajewitsch Demidoff gründete ein As>'l für Frauen aus höheren, und ein ebensolches für Frauen aus niederen Ständen, eine Anstalt zur Erziehung ver« lassener Kinder, in welcher ^5l) Knaben und Mädchen Aufnahme finden können, ein „Frauenschutz" geuanntes Asyl für Mädchen unter ^s, Jahren, und ^ene großartige wohlthätigkeitsanstalt in Petersburg, die noch seinen — ;?? — Namen führt und in der u. a. jährlich 2N0 000 Mahlzeiten unentgellliä) verabreicht werden. Als in Meters« bürg die Cholera ausbrach, schuf Demidoffsches Geld s^chleunig ein großes Krankenhaus, in welchem Fürst Anatol Demidoff persönlich die Gberaufsicht führte und ohne Scheu vor der Krankheit die Kranken besuchte. In gleicher, wahrhaft fürstlicher weise wurden Rünste und Wissenschaften von Anatol Demidosf unterstützt. Tausende von Rubeln verwendete er jährlich zu greisen für gelehrte Gesellschaften und zur Unterstützung von Gelehrten und Schriftstellern, sandte Expeditionen zur Erforschung des Bandes aus, deren eine in das alte Donsche Steinkohlenbecken er persönlich leitete, und behielt bei all dieser vielseitigen Thätigkeit immer noch Zeit, auf seinen großen Vesitznngen neue industrielle Unternehmungen ins ^eben zu rufen und zur Vlüte zu bringen. Ni°tag im Ural war gleichsam die Hauptstadt seines wohlorganisierten großen Industriestaates, in dem ein Heer von Beamten, Technikern und Arbeitern aller Art zur Ausführung feiner Befehle bereit stand. Der Fürstentitel der Demidoffs stammt von ihrer berühmten Oilla San Donato bei Florenz. Der Großherzog von Toskana ernannte Anatol Demidoff zum Fürsten (Principe) von San Donato. bekanntlich sind die Demidoffs seitdem in enge verwandtschaftliche Veziehungen zu den Vonapartes getreten, da Fürst Norwegische Mngstjakt in den «^wZM-,, von ^'loiv^a ^emha. Anatol ^9^ die Tochter Jeromes, des ehemaligen Aönigs von Westfalen, Prinzessin Mathilde, heiratete. Da Jerome Napoleon der Schwiegersohn des Aönigs von Württemberg war, das württembergische Aönigshaus aber mit den« russischen verschwägert ist, sind die Demidoffs auch uahe verwandle des russischen Kaiserhauses geworden. Fürst Anatol starb kinderlos in Paris, und seine großen Vesitzungen gingen auf seinen Reffen Paul über, der in Petersburg lebt, wo er eine Hofcharge bekleidet. Der Name Demidoff wird in der Geschichte des russischen Bergbaues manche der glänzendsten Seiten füllen, aber der jetzige Stand desselben beweist doch klar und deutlich, wie sehr Peter der Große alle Ursache hatte, seinem Tand ein halbes Dutzend Demidoffs zu wünschen. So sehr sich die Eisenproduktion im Ural hob, so hat sie doch mit jener in den Staaten Westeuropas nicht gleichen Schritt gehalten. Überraschen kann dies nicht, denn uugeheure Schwierigkeiten und Hindernisse waren im Ural zu überwinden. Am allermeisten beein» trächtigte die Produktion der schwierige Transport der gewonnenen Metalle. Hunderte von Werst mußten auf elenden Landwegen zurückgelegt werden, die nur im Winter, wenn der Schnee sie bedeckte, passierbar waren, und erreichte »nan endlich einen Fluß, so mußte man vielleicht noch Wochen lang warten, bis der Transport fortgesetzt werden konnte, da der Wasserweg nur wenige Monate im Jahre frei war. Mehrmals mußte unter» -------- ;?8 -------- wegs umgeladen werden, und das Eisen wurde dadurch so verteuert, daß es, wenn es schließlich den Markt von Njishny-Nowgorod erreichte, trotz seiner viel bessern (Dualität mit dem ausländischen Eisen nicht mehr kol»kurricren konnte. Durch den ^au einer Eisenbahn, welche die Bergwerke im Ural »nit Rjishny-Nowgorod vorband, wäre dieser Übelstand sofort beseitigt worden, aber es wurden im Gegenteil anstatt einer solchen zunächst Eisenbahnen gebaut, welche in strategischer Veziehuug und für den Handel Rußlands wichtig waren, die Eisenhütten im Ural aber in eine noch ungünstigere tage als bisher brachten, da durch sie der Import ausländischen Eisens erleichtert, dessen Aonkurrenzfähigkeit erhöht wurde. An den: Ausbau des russischen Eisenbahnnetzes war die einheimische Eisenindustrie fast gar nicht beteiligt. l)on den schienen bis zu den tokomotiveu und Waggons stammt fast alles ans ausländischen Fabriken, denn die Regierung hatte, um den 25au zu beschleunigen, den Unternehmern unter anderen Begünstigungen auch die zollfreie Einfuhr des zum ^au und zur Inbetriebsetzung der Eisenbahnen erforderlichen Materials bewilligt, wodurch das einheimische Eisen voll» ständig verdrängt wurde. Die Aufhebung der Leibeigenschaft war auch nicht geeignet, den Bergbau zu fördern, da durch sie die Arbeitspreise verteuert wurden, binnen zwei fahren sank infolge dessen die Produktion in den uralischen Hütten um 56 Prozent, und viele Besitzer vou Eisenwerken sahen sich gezwungen, den betrieb völlig einzustellen. Außerdcm war man auf Holz als Brennmaterial angewiesen, wodurch so furchtbare ver< Wüstlingen in den wälderu angerichtet wurden, daß man trotz des Waldreichtums des Nral mit Vesorgnis der Zukunft entgegensehen mußte. Das ist uuu alles in letzter Zeit besser geworden. Die Auffindung großer Kohlenlager in der Nähe der Eisenhütten hat der russischen Eisenproduktion die Möglichkeit geschaffen, sich bei Linschmelzung der Erze der mineralischen Aohle zu bedienen, und unter dom Einfluß dieses Materials beginnt die Eisenproduktion all« mählich einen Umfang zu erlangen, der in richtigerem Verhältnis als bisher zu den mächtigen tagern steht. Der Ural ist nun auch durch S.-1 ienengeleise mit dem Westen des weiches verbanden, und nach dem Aufschwung der Montanindustrie in den von der Eisenbahn hellte schon durchschnittenen Gegenden kann man bedeutende Fortschritte erwarten, wenn erst einmal alle projektierten tinien des uralischeu Eisenbahnnetzes ausgebaut sein werden, namentlich wenn die heute noch viel zu hohen Eisenbahntarife reduziert würden. Die Regierung, welche die einheimischen werke lange genug stiefmütterlich behandelt halte, fängt nun an, bei Lieferungen für Eisenbahnen auch diese zu berücksichtigen, und überall, wo es bisher geschah, mit zufriedenstellendein Erfolg Auf der letzten Moskauer Ausstellung konnte man sich überzeugen, daß man in Rußland heule bereits imstande ist, öchienen, Waggons und tokomolwen zu liefern, welche den ausländischen kaun: nachstehen. Don vielen Seiten ist infolge dessen das Vedaueru laut geworden, daß die Regierung trotz der großen pekuniären Gpfer, die sie hätte bringen müssen, denn Vau des großen Eisenbahnnetzes der einheimischen Industrie nicht den Vorzug, vor der ausländischen gab. Trotz der Subventionen und trotz der Vorausbezahlung, die sie erhielten, konnten zwar die russischen werke damals doch nicht so billig liefern wie die ausländischen, aber man glaubt aus den jetzt erzielten Erfolgen den Schluß ziehen zu dürfen, daß der Mehraufwand für den Eisenbahnbau durch den Auf« schwung der einheimischen Industrie reichlich vergütet worden wäre. solche Alagen mögen nicht ohne alle Berechtigung sein, aber man darf auch nicht vergessen, daß es sich vor allein darum handelte, das Eisenbahn» netz rasch auszubauen, und daß für eine rasche Durchführung des Vaues bei Heranziehung der ausländischen Industrie weit mehr Garantieen vorhanden waren als die einheimische bieten konnte. Bei der Hebung der schätze des Ural sind gegenwärtig mit Ausuahme von Archangelsk, welches über-Haupt unr ein geringes (Quantum Salz liefert, alle Gouvernements zu beiden Seiten der Vergkette beteiligt, in Europa Perm, wjatka, wologda, Ufa und Grenburg. Gewonnen werden dort Gold, Platina, Eisen, Aupfer, Nickel, Graphit, Steinkohlen und Salz. Die Goldwäschereien am Ural sind jetzt sämtlich in privatbesitz, da die Staatswäschereien ihre Thätigkeit völlig eingestellt haben. Durch einen Ukas vom 2«. Mai ^.8^2 ist privaten gestattet worden, auch Gold- und Silbergruben auszubeuten, und seit ^8^) ist diese Erlaubnis auf die Goldwäfchereien ausgedehnt. Hinter der reichen Goldausbeute in einzelnen asiatischen tandesteilen bleibt aber der Ural weit zurück. Ausschließlich in ihm wird das Platina gefunden, das zuerst 1^9 im Gebiete von Newjansk entdeckt wurde. Die ^upferproduktion ist im Siuken; während große Rronshütten dort in prwathändc über-gingen, sank die Produktion auf den Privathütten binnen 22 Jahren um 70"/^. Die Kohlenbecken des Ural ------- ^9 ------- kämpfen noch mit den schwierigen Transportverhältnissen, und erst bis die Kohlengruben mit der Uralbahn durch eine Zweigbahn verbunden sein werden, ist ein größerer Aufschwung des Bergbaues zu erwarten. An Erz» und Mineralieurcichtun» kommt kcmm ein anderes Tand Rußland gleich, aber die geologische Durchforschung des Ricsenreiches ist bisher noch eine höchst ungenügende. Ein sehr großer Teil der in der letzten Zeit entdeckten Tager verdankt seine Aufsmdung nur dem Anfall. Eine systematische Durchforschung des Tandes ist aber bereits durch die Gründung des geologischen Instituts in 5t. Petersburg angebahnt, das unter seiner vorzüglichen Teilung bald für die russische Montanindustrie epochemachend werden dürfte. Die Regierung scheut überhaupt jetzt keine Opfer, um den Vergbau Zu fördern und namentlich die kaiserlichen Hüttenwerke zu Musterwerken zu erheben. In den Kronshütteu werden neue Methodeu der Metallgewinnung geprüft, und was sich bewährt, wird sofort eingeführt. Den Kronshütten verdankt man z. V. in Rußland die Gußstahlfabrikaliou, die Einführung der Siemensschen Schmelzöfen, des Martiniereus u. s. w. Allerdings sind wegen der noch sehr bureaukratisch organisierten Verwaltnng die Betriebskosten der Kroushütten bedeutend höher als jene der in privatbesih befindlichen, abcr das in neuerer Zeit von Anhänger» der Manchesterschule deshalb vielfach ventilierte Projekt, alle Kronshüttcn in privalbesitz übergehen zu lassen, dürfte doch kaum im Interesse der russischen Montanindustrie liegen, noch weniger aber in jenem des Staates. Für die Lieferung von Kriegsmaterial, blanken Waffen, Kanonen u. dergl. sind die Kronshütten geradezu unentbehrlich, da sie eine Garantie für rechtzeitige Tieferung bieten, die man der privatindustrie nicht zutrauen kann. Anch sprechen die bisher erzielten Erfolge sehr gegen einen solchen Vesitzwechsel, denn den Kronshütten verdankt es Rußland, daß es sich bei oer Waffenlieferung vom Ausland völlig emanzipieren konnte und nicht mehr auf Deutsch» land und England angewiesen ist. Die Kanonen werden jetzt im Tande gegossen imd haben sich als gut und brauchbar bewährt. Im allgemeinen krankt die russische Montanindustrie anch heute noch an dem Mangel von Unter' nehmungsgeist in Rußland selbst. Der Russe ist nun einmal nicht zn selbständiger Initiative geschaffen und läßt sich solange vom Pessimismus beeinflussen, bis unternehmendere Ausländer ihm :ul oculok vordemonstriert haben, wie sehr er gefehlt, daß er die Hände in den Schoß legte, wo er sie nur auszustrecken brauchte, um Schätze zu heben. Über eine Milliarde Rubel hat das Ausland durch Rußlands Eisenbahnbauten verdient, und alljährlich gehen über ^N0 Millionen Rubel ins Ausland, als preis für Eisen und andere Produkte der Montanindustrie, an denen das Tand überreich ist. Obwohl große Kapitalien erforderlich sind, um die in der Erde verborgenen Schätze zu hebeu, ist doch in Rußland an Kapital, und namentlich an Großkapital kein Maugel, und man brauchte ausländischen Kapitalisten das Feld nicht allein zn überlassen. Tetztere beginnen in neuerer Zeit mit großer Vorliebe sich an der Montanindustrie zu beteiligen, was für Rußland »ur vou Oorteil sein kann, andererseits aber auch ein Veweis ist, daß die russische Bevölkerung eine große Unter» lassungssündc begeht, indem sie jenem Zweig der Volksthätigkeit, der nächst der Tandwirtschaft der wichtigste ist, nicht die ihm gebührende Beachtung schenkt. In vielen Montanprodnktcn ist Rußland immer noch mehr oder minder vom Ausland abhängig, so in Kupfer, ^lei, Zinn, Zink, Schwefel u. s. w., auch noch in Roh- und Schienen-Eisen, Steinkohlen, Kochsalz, doch wird in letzteren sein bedarf schon mehr als zur Hälfte in» Anlande gedeckt. Auch dem Vedarf an Stahl entspricht die inländische Produktion noch nicht völlig (nur zn 89"/»)> Die hauptsächlichsten Produkte der Montanindustrie verteilen sich jetzt auf die einzelnen Gouvernements folgendermaßen. Die größten Goldwäschereien besitzt das Gouvernement Yakutsk, mit einem Ertrag von nahezu ^3 Millionen Rubel; daran reihen sich mit einem Ertrage von etwa 2 bis H'/^ Millionen Trans-baikalien, Perm, Iemsse'Msk, das Amurgebiet und Tomsk, ferner mit unbedeutenderen Erträgen Irkutsk, das Küstengebiet ls, Semipalatjinsk, Abo und Ulcuborg. Die Silberausbeute ist gering. In Tomsk erreicht sie nahezu eine halbe Million Rubel, aber die Silberbergwerke in Transbaikalien, im Terekgebiet und in Perm liefern nur für einige Tausend Rubel Silber. Platina wird nur im Ural (Gouvernement Perm) im werte von einer halben Million gewonnen. Man hatte angefangen, Geld aus Platina zu prägcu und schon mehrere Millionen in Umlauf gesetzt, als die rasche Abnutzung der Münzen die Einstellung der Prägung und die Einziehung der kursierenden Münzen veranlaßte. Seitdem ist die Platinaproduktion sehr zurückge- 33' -------- 180 -------- gangen. Dic größten Kupferbergwerke befinden sich in piotrkow, Ufa, Ielisawetpol, Tomsk, Akmolinsk, kleine außerdem in Tiflis, Ivyborg, Neuland (Finnland), Grenburg, Semipalat^insk und wjatka, mit eiuer Ge-santtproduktion von etwa 2'/^ Millionen Rubel. Die Roh eisen Produktion erreicht ihren Gipfelpunkt im Ural. Das Gouvernement Perm participiert an derselben mit 50 Prozent oder etwa ^0 Millionen Rubel. Vedcutend ist die Produktion außerdem noch iu Ufa, Radom, Njischny-Nowgorod, Kaluga, wjatka, piotrkow, Orenburg. Liscu liefert perin allein für über ^6 Millionen Rubel, und die Gouvernements 5t. Petersburg, Russische^Väuenii mis den, Icorde». wjalka, !^ischny»Nowgorod, Radom für 2 bis Z'/.^ Millionen, bei einer Gesamtproduktion von etwa 35'/^ Millionen Rubel, ^u der Stahlproduktion steht das Gouvernement St. Petersburg mit etwa ^5 Millionen Rubel obenan, und ebensoviel erzeugen die Gouvernements Grel und Warschau zusammen. Der Gesamtproduktion, die stetig im Steigen begriffen ist, steht nur noch ein Import im betrage von etwa 800000 Rubel gegenüber. Zink liefert nur das Gouvernement piotrkow im betrage von 700000 Rubel. Die Gewinnung von Vlei, vorzüglich i„ Tomsk und noch drei asiatischen Gouvernements vertreten, ist höchst unbedeutend. Die Rohlenindustrie hat sich in Rußland sehr langsam entwickelt. Noch im )ahrc 1^860 entfielen nach v. Uöppens Angaben nicht weniger als 5sil/, "'„ dcr in Rußland gewonnenen Rohlen anf das Zartlnn polen, jm Donezbccken besitzt Rußland das nächst dem nordamerikanischen Uohlenbassin größte Kohlenlager der ganzen Erde, das sich über eine Fläche von 27 3^2 ^Milometer erstreckt und etwa ^0000 Millionen Tonnen Steinkohlen und Anthracit enthält. Seitdem die Eisenbahn von Rursk nach Asoff eröffnet ist (1.869), niinmt im Donezbecken die Rohlenausbeute von ^ahr zu jähr zu. von 6 Millionen Pud im Dahre ^860 stieg sie im Taufe von 20 fahren auf 86,5 Millionen oder um ^53?"/«. ?luch die anderen Kohlenbecken Rußlands weisen in derselben Zeit ein bedeutendes Steigen der Produktion auf, das Moskauer Becken um 5880"/,. das Uralsche um ^9 "/g. welchen Einfluß der Bau von Eisenbahnen dabei ausübte, zeigt das Donezbecken, wo die Produktion zwei ^ahre vor Eröffnung der Eisenbahn etwa 9 Millionen Pud betrug, und in, dritten Dahr nach Eröffnung des Betriebes bereits über 30 Millionen. Die Kohlenbecken liegen jedoch den großen Städten, namentlich jenen im Norden, so fern, und der Rohlenkonsum ist in den letzten fahren so bedeutend gestiegen, daß trotz der beträchtlichen Produktion von nahezu 200 Millionen Pud Steinkohle der Import noch immer über ^00 Millionen Pud beträgt. Unter den europäischen Staaten nimmt Nußland in der Rohlenproduktion erst die sechste Stelle ein (nach England, Deutschland, Frankreich, Belgien und (Hsterreich-Ungarn), und varti-zipierte nach v. Aöppens Berechnung (ü.8l>?) an der gesamten Kohlenproduktion der Erde nur mit 0,6"/,,. Von der eigenen Aohlenproduktion entfielen damals in Rußland nur 2^ Mogramm auf den Aopf der Ve-völkernng, gegenüber 5955 in England und ^H8 in Deutschland, ein Verhältnis, das sich jetzt bereits etwas günstiger für Rußland gestaltet haben dürfte, jedenfalls steht der russischen Rohlenproduktion eine große Zukunft bevor, ebenso wie der Raphtaproduktion. Die raffinierte Naphta, das Photogen, drängt nicht nur in Rußland das Ksrosin immer mehr zurück, sondern wird auch schon exportiert, und die Roh»Naphta nebst den bei der Photogenbereitung sich ergebenden Rückständen findet immer mehr Verwendung als Brennmaterial auf den Eisenbahnen und Dampfschiffen. Die größten Naphtaquellen befinden sich in Baku, in Transkaspien und dem Terekgebiet, außerdem liefern Naphta das Gouvernement Tifiis, das Rubangebiet, Dagestan und ^clisawetvol, Archangelsk, Vologda, Simbirsk und Samüra. Die Schwefelproduktion in einer einzigen Hütte bei Charkow, in, Raukasns und in Dagestan ist unbedeutend, und der Vedarf Rußlands wird durch den Import gedeckt. Sehr entwickelt ist dagegen die Salzproduktion, wir haben von dieser schon wiederholt (Band l, Seite 26H, 539) gesprochen. Außer den Binnenseeen im Gouvernement Astrachan und in der Kr>'m, welche das meiste Salz liefern, findet man noch Salzseeen im Gebiet des Uralheeres, im Donschon Aosakenland, im Rubcmgebiet, Tomsk, Yeniseisk, im Semipalatjinskischen, Semirelschenskischen und Baikalgebiet u. s. w. Steinsalz wird vorzüglich im ^letskischen Bergwerk, Gouvernement Orenburg, gewonnen; außer diesem giebt es noch bedeutende Steinsalzlager in den Gouvernements Astrachan und Eriwan und im Syr-Darja-Gebiet. All' die riesigen Mengen Salz, die da gewonnen werden, konsumiert fast ausschließlich das Inland — der Export ist höchst unbedeutend —, aber nebenbei wird noch viel ausländisches (deutsches, englisches, spanisches) Salz verbraucht, trotzdem in Rußland der Salzkonsum gegen jenen anderer Tänder noch zurücksteht. Der Gesamtwert der jährlichen Produktion von Metallen, Salz, Rohle, Schwefel, Naphta u. s. w. beträgt jetzt in 5? Gouvernements lind Gebieten des europäischen und asiatischen Rußlands etwa 1^0 Millionen Rubel, verhältnismäßig noch eine kleine Summe, doch ist zu erwarten, daß sich die Produktion fortan rasch steigern wird, da infolge der dem Bergbau zugewendeten größern Sorgfalt in jedem Dahr eine große Zahl ncncr Tager von Metallen und Mineralien entdeckt wird. Man hat in Rußland eingesehen, daß man hinter dem Auslande zurückgeblieben ist, und bemüht sich nun ernstlich, der Montanindustrie jene Bedeutung zu verschaffen, die sie dank dem großen Metallreichtnm des Tandcs schon längst sich errungen haben sollte. Die Zeit ist vorüber, in welcher die russische St. Petersburger Zeitung ohne widerlegt zu werden behaupten konnte, daß die vom Bergdepartement beschäftigten Knriere mehr Geld kosten, als für geologische Forschungen aufgewendet werde, und jedes Dahr führt jetzt der Montanindustrie auch eine Anzahl Ingenieure mit guter vor^ bildung zu. Die Regierung widmet ganz besondere Sorgfalt der Verbreitung von Bildung unter den Bergarbeitern. Bei vielen Rronshütten sind Volksschulen für Rnaben und Mädchen errichtet worden, vier Ureis» schulen dienen dem niedern Unterricht im Bergwesen, in jekaterinenburg in: Nral besteht eine Bergmanns-schule, in lisitschansk eine Steigerschulc. ^n Rorsun hat der bekannte Eisenbahnunternehmer Poljakoff eine -------- ^82 -------- Montanschule gegründet, und für di.' höhere fachmännische Ausbildung sorgt das von übe>' 200 studierenden besuchte Institut für Bergingenieure. wir beschränken uns hier auf diese allgemeinen Vetrachtungeu, da wir bei der Beschreibung Russisch-Asiens den Teser nut den größten Bergwerken bekannt inachen und dort auch auf die Details der Montan-industrie genauer eingehen werden, von den freundlicheren Thälern und Höhen des Ural wenden wir uns wieder seinen wilden, unwirtlichen partieen zu, wo die zerklüfteten kahlen Felsmassen aus der Tundra hervorragen, gleich als hätten Titanenhände hier Felsblock auf Felsblock getürmt. Es ist ein eigentümliches Tand, dieser russische Norden! Den anmutigen Wechsel von Verg und Thal, von Feld- und wiesenstächen und Wald, den andere Bänder bieten, kennt man hier nicht, völlig uuvermittelt stehen die schroffsten Gegensätze neben einander. So versinkt auch gleichsam das Gebirge plötzlich in den sümpfen, die sich in einer Ausdehnung von ^5>0 Meilen vom Fuße des nördlichen Ural über die petschora hinweg bis zur Halbinsel Kanin und der Mündung des Mesen hinziehen. Eingeschlossen von, Meer auf der einen, von den kahlen Uralfelsen auf der audcrn Seite, gegen Süden umsäumt von den unermeßlichen Urwäldern, von denen gleich äußersteu vor> geschobenen Posten nur eiuige verkrüppelte Virken sich bis Zur Sumpfregion vorgewagt haben, bildet die Tundra eine öde weite Fläche, die mit weißem Renntiermoos bedeckt ist, aus dem nur stellenweise rötliche Flecken hervorschimmern, das Vorhandensein reicher Erzbestandteile in dem Morastboden verratend. Hier und da glitzert in der einförmigen tandschaft die glatte Spiegelfläche eines Sees, und Flüßchen und väche ziehen sich wie ein Silbcrband durch den dunklern Voden hin. Dort ist der Moorboden mit verfaulten Pflanzenresten und mit Sand bereits so durchsetzt, daß er nicht mehr imstande ist, das emporquellende Wasser aufzusaugen und dieses daher sich Vahn brechen kaun. Tangs dieser wasscrläufe und an den wenigen kompakteren Stellen, welche Inscln gleich aus dem Morastmeer auftauchen, fristen niedrige Wacholdersträuche, neben denen in großen blassen die Sumpfbrombeere und die Sandbeere gedeiht, ein kümmerliches Dasein, im Sommer von dichten Mückenschwärmen umschwirrt, die wie eine Wolke über der kleinen Gase schweben. So sieht es aber in den Tundras nur während der kurzen Sommerszeit aus. Nald senken sich die dichten Herbstnebel herab, und in ihrem befolge kcmmt der Frost und der Schneesturm. Die Tundra, die unter den Strahlen der Juli-soime wenigstens an der Gberfiäche aufgethaut war, gefriert wieder, und im Januar ist sie schon cme viele Fuß liefe Eis,nasse, über welcher der Schnee oft klafterhoch liegt, den dann zuweilen die wintcrstürme aufwirbeln und vor sich her treiben. Um diese Zeit beginnt die öde Tundra sich zu beleben. Der Morastboden, der im Sommer kein Tier zu tragen vermochte, ist nun gefroren, und scharenweise kommt wild aller Art herangezogen, auf seiner Fährte der Mensch, um das nun so wildreiche Revier auszubeuten. Da hat sich der Marder im Schnee eine Hohle gegraben und glaubt sich in derselben geborgen, aber die Huude der Jäger von Mesen spüren ihn auf und schnell ist sein Zufluchtsort umstellt und rings mit Netzen und Fallen umgeben. Die Jäger beginnen den Schnee wegzuschaufeln und lärmen und schreien, bis der Marder endlich aus seinem versteck hervorschießt, jedoch nur, um sich alsbald iu eines der Netze zu verwickeln, wo er erschlagen wird. Den in der Tundra in unzähligen Mengen vorhandenen Hasen stellt man durch Falle,« nach. An Plätze,,, wo die Hasen sich gern einzufinden pflegen, werden elastische Stangen im Noden befestigt, niedergebogen und an ihnen eine Schlinge angebracht, wenn ein Hase in. die Schlinge gerät, schnellt die Stange in die Höhe imd er wird erwürgt. Doch Meister Tampe ist im Norden ein schlauer Gesell, den» solch eine niedergebogene Stange leicht verdächtig erscheint, und bei Tageslicht gerät selten einer in die Falle. Auch kommt es vor, daß starke Tiere sich losreißen und samt der Schlinge das weite suchen. In dem Schnee gräbt auch der Polarfuchs ein Tager für sich und seine Jungen, aus dem er sich schwer herauslocken läßt. Er wird meistens durch Rauch, den man m seine Höhle ziehen läßt, zum verlassen derselben gezwungen uud, wie er am Eingang erscheint, niedergeschlagen. Den Iuugen, deren man gewöhnlich ^(1 bis ^2 vorfindet, bricht man ein 3^ein und nimmt sie mit nach Hause, wo sie in der Wohnstube aufwachsen. Das gebrochene ^5ein sott ihr Entweichen verhindern, aber manche entkommen trotzdem später in die Tundra. Die herangewachsenen Tiere werden erwürgt, da das von keiner Rugel durchlöcherte Fell viel besser bezahlt wird als das eines geschossenen Fuchses. Große Mühe verursacht es dem Jäger, dein schlauen Polarfuchs so nahe zu kommen, daß eine Rugel ihn erreichen kann, und er muß mit den Gewohnheiten dc^selben wohl vertraut sein, wenn er verhüten will, daß der Fuchs rechtzeitig die flucht ergreife. Der Silberfuchs ist in der Raninschen und Timmischcn Tulldra fast nichl inehr vorhanden, aber in der Volschesemelskaja Tundra nimmt die Zahl dieser wegen ihres kostbaren Felles viel verfolgten Tiere von Jahr zu Jahr trotz der Nachstellungen der Jäger noch zu. Das bei den russischen Jägern beliebte Ausräuchern d.r Füchse mag schuld daran sein, daß sie ans den beiden oben genannten Tundras verschwunden sind. Der Fuchs sucht mit Vorliebe alte höhlen auf, mögen es nun seine eigeueu oder fremde, verlassene sein, aber eine einmal ausgeräucherte i^öhle betritt er uiemals. Darum sind die Füchse schon in Men Tundras sehr selten geworden. Nicht unerwähnt darf hier ein Tier bleiben, welches in großen blassen in den Tundras vorhanden ist und den Füchsen und ebenfalls zahlreich sich einfindenden Wölfen zur Nahrung dient, jedoch auch von den Renntieren nicht verschmäht wird: der lemming, (bleich der übrigen Tierwelt der Tundras kommt er über den Ural herüber und wandert rastlos nach Westen. Rein Fluß hält ihn auf, in dichtgedrängten scharen schwimmen die Tiere durch das Wasser, das hintere mit den Zähnen sich an den Schweif des vordern klammernd. Zuweilen geschieht es, daß eine nach Westen wandernde Schar einer in der entgegengesetzten Richtung sich bewegenden begegnet. Dann entbrennt ein erbitterter Aampf, und die Tundra ist oft auf weite Strecken mit toten Temmingen bedeckt. Die wilden Renntiere, welche früher in viele hundert Tiere zählenden Gerden in den Tundras lebten, haben sich uun nachlegenden zurückgezogen, wo sie von Jägern weniger beunruhigt werdeil: in die Tundras am nördlichen Nral und auf die Inseln waigatsch und Nowaja Semlja, auch auf die Nordspitze der Kaninschen Halbinsel und Aalgujew. Man t^ilt das ganze Sumpfgebiet zwischen diesen und dem Nral in drei ungleiche Teile, die ihre eigenen Benennungen haben: die Kaninsche Tundra auf der Halbinsel gleichen Namens, die Timausche Tundra zwischen der Tscheskaia Taucht und der j)etschora, und die Volschesemelskaja zwischen jX'tschora und Nral. In der letztern machen die von Süden kommenden Susanen den Samojeden die alten Jagdgründe streitig, in den beiden erstgenannten Tundras aber sind die Jäger überwiegend Russen. Sie kommen der Jagd wegen aus den südlicheren Gegenden herauf oder von den Ufern des weißen Meeres, für deren Bewohner die Jagd in den Tundras fast ebenso wichtig ist wie der Fischfang und die Robbenjagd. Trüb und einförmig verläuft das Teben der russischen Bevölkerung an den Ufern des weißen Aleeres. Mehr als acht Monate sind die Männer jährlich vom 1)ause fcrn, auf dem Meer mit Fischfang beschäftigt oder in Archangelsk als Arbeiter kärglichen Verdienst suchend, und nicht viel mehr als ein Vierteljahr weilen sie im Rreise ihrer Familie. Auf der Frau lastet während ihrer Abwesenheit die ganze Sorge für die ^rhal» tung des Hausstandes. Sie sorgt für das Vieh, sie mäht das 1'^eu, sie fährt in« Kahn zum Fischfang aus, und daneben verrichtet sie alle häuslichen Arbeiten der Hausfrau. Durch ihre Lnergie und Arbeitsamkeit hat sich aber die russische Frau im Norden auch eine soziale Stellung errungen, die sich wie der Tag von der Nacht von der kläglichen Tage der Frauen bei den anderen Völkerschaften im Norden unterscheidet, I^ier ist die Frau keine Sklavin. Indem sie mit Aufbietung aller Kräfte schwere Arbeit verrichtet, ist sie dem Manne ebcnbürlig geworden, sie ist seine treue Genossin in Freud und Teid^ und ihre Stimme gilt im I^anse ebensoviel wie die des Mannes, der nichts wichtiges unternimmt, ohne den Rat und die Zustimmung seiner Frau eingeholt zu haben. So ist, obwohl die nomadische Lebensweise der Männer der Entwicklung eines Familienlebens nicht günstig zu sein scheint, ein solches den» russischen Ansiedler in, Norden doch nicht fremd geblieben. Die Not, der gemeinsame Kampf ums Dasem hat dort ^ande geschmiedet, welche Mann und Frau fest umschlingen und ihr Teben zu eiuem einträchtigen, allem Streit und Zwist fremden gestalten, ^i» ähnliches Verhältnis zwischen Mann und Weib trifft man auch noch südlich von Archangelsk, im Norden des Gouvernements Glonez. Dieses Gouvernement, größer als Va^vrn und Württemberg zusammengenommen, ist noch zum großen Teil mit dichten Urwäldern bedeckt. Die ersten russischen Kolonisten, die in dieselben vordrangen, bildeten dort nur kleiue Nieder» lassungen, ^ine oder höchstens 2 bis 7, Familieu rodeten am Nfer eines Sees den Wald aus und begannen das Tand urbar zu machen. Nur sehr langsam vergrößerten sich solche Niederlassungen in der Wildnis und selten trifft man auch heute noch ein Dorf, welches mehr als zehn Hütten zählt. Der Russe aus dem Slide», der au die großen, in langer Doppcllinie längs der Landstraße sich hinziehenden Dörfer gewöhnt ist, wo man 5«4 hinter den Däusern weithin die Felder und die wiesen sich erstrecke» sieht, wird die kleine Häusergruppe, die er im Glonezkischen nutten in: Ivalde antrifft, kaum für ein Dorf ansehen, in ihnen vielmehr höchstens zu einer einsamen poststation gehörende Wirtschaftsgebäude vermuten. Die Bewohner dieser Hütten aber fühlen sich wohl in ihrer Einsamkeit, wo ein Nachbar auf den andern, ein Familienglied anf das andere an» gewiesen ist und das häusliche Teben bei freunduachbarlichcm verkehr sich viel anziehender gestaltet als in vielen südlicheren Gegenden, in denen der häufige wirtshausbesuch einerseits und das Nomadenleben der Männer andererseits ein richtiges Familienleben nicht aufkommen lassen. Als unter Zar Alexei der streit um die alten Kirchenbücher entbrannte, flüchteten viele Altgläubige in die nordischen Urwälder, wo sie Klöster und Dörfer gründeten, vor Verfolgungen waren sie auch dort uicht sicher. Man entdeckte ihre Niederlassungen, zwang sie, dieselben zu verlassen, schleppte die Starrsinnigen ins Gefängnis und brannte die Häuser nieder. Au manchen Orten wurde jedoch hartnäckiger widerstand geleistet. Den Tod dem sieben im Gefängnis vorziehend, zündeten schließlich die Bedrängten selbst ihr Kloster an und fanden unter den Trümmern desselben den Tod. Einzelne Klöster der Altgläubige» überdauerten die Zeit der Verfolgungen und wuchsen durch immerwährenden Zuzug zu bedeuteudcn Ortschaften heran. Au der wvga hatte ein gewisser Danilo Philipoff wikulin ein Kloster gegründet, das bald das Mekka aller Alt-gläubigeu wurde. In wenigen Jahren wuchs die Zahl der Mönche so sehr au, daß im Kloster für sie keiu Naum mehr war und in der Umgegend mehrere neue Aloster gegründet werden mußten, darunter eiues am Flusse Teksa für Frauen. Die Altgläubigen hatten Gelegenheit, Peter dem Großen bei der Anlage von Eisenwerken iu ieuer Gegeud wichtige Dienste zu leisten, und sicherten sich dadurch eine nachsichtige Behandlung. Dank derselben war das Wygorjetzky-Rloster bereits um die Mitte des ^8. Jahrhunderts das Centrum eiuer Niederlassung von etwa 2000 Männern und 3000 Frauen, die Schatzkammer des Klosters war überreich au goldenen und silbernen, mit Edelsteine,, besetzten Gefäßen und wertvollen Heiligenbildern, und fleißige Hände schufen unter geschickter Teilung wohl bebautes Tand mitteu in der Wildnis. Die Gemeinde der Altgläubigen, deren erhebender Gottesdienst mit den alten slavischen Gesängen viele Bewohner der Umgegend zu einein Besuch des Klosters verlockte, erschien aber docb mit der Zeit lrotz der guteu Dienste, welche die Altgläubigen der Negierung als Pioniere der Kultur leisteten, gefährlich: die Verfolgungen begannen aufs neue und endeten mit der Zerstörung des Klosters. Die Wälder blieben aber nach wie vor der Zufluchtsort altgläubiger Flüchtlinge, und aus ihilen ging später jene fanatische Sekte der Stranjiky hervor, welche verkündet, daß das Reich des Antichrist auf Erden bereits begonnen habe, und die sich darum iu die Wälder und Einöden zurückzieht, die einzigen Orte, wo man nach ihrer Meinung Gott uoch ungestört anbeten kann. Ihre (ehren (siehe Band 1 Seite ^HH) tragen ganz das Gepräge des düstern Nordens, der jede heitere Negung des Gemütes im Keime erstickt und im Hinblick auf den es kaum glaublich erscheiut, daß aus solchen verhältuissen auch ein Dichter hervorgehen konnte: der Altmeister der russischen Poesie, M. w. Lomonossoff, der in dem Dorfe Deni-sowka geboren wurde. Der hohe Norden Nußlauds mit seinem bewölkten trüben Himmel, seinen düsteren Wäldern und schneebedeckten Flächen erscheint wenig geeignet, den Menschen zu dichterischein Schaffen anzuregen, aber in den abgelegenen, von allen, verkehr mit Fremden abgeschlossenen Ortschaften konnten sich die alten Erzeugnisse der Volkspoesie, welche die ersten russischen Ansiedler aus der südlichen Heimat mitbrachten, viel reiner erhalten als in jenen Gegenden, welche in, ^aufe der Zeit durch die maunigfaltigsten fremden Elemente beeinflußt wurden. So treffeii wir dort noch die Sitte der Totengesänge und all' die alten Klagelieder, deren ganzer Inhalt deutlich zeigt, daß sie nicht im kalten Norden, sondern in einer südlichern, wärmern Gegend entstanden sind. Bis ins ^. Jahrhundert hinauf läßt sich in Nußland die Sitte der Totenklagen verfolgen. Im Hause des verstorbeuen versammelten sich sämtliche verwandte desselben, wohl auch die nächsten Nachbaren, die spor-jadowije d. i. die in einer Neihs wohnenden, stellten sich um die teiche auf, und die Frauen begannen ab> wechselnd Klagelieder zu singen. Auch jetzt singen nur Frauen die Klagelieder, doch an die Stelle der verwandten, denen dies früher oblag, sind eigene Klageweiber getreten, welche beim Absingen der tieder bald die eine, bald die andere Frau der Verwandtschaft vorstellen. Es sind keine Klageweiber nach Art der römi? schen praeücuo und der lament-Nriceg, sie machen aus ihrem Talent kein Gewerbe; es sind meist ältere Frauen --------,.85 -------- oder 3Näd6?en, deren gutes Gedächtnis die (besänge bewahrt hat, die sie von fugend auf bei Begräbnissen ver» nahmen, und sie werden hoch in Lhren gehallen, um so mehr, je schöner und rührender sie die alt^'n weisen vorzutragen verstehen, viele hundert Versc, ja über tausend enthalten solche tieder und es gehören daher zu ihrcm vortrag Fähigkeiten, die unter einer ungebildeten Bevölkerung nicht häusig vorhanden zu sein pflegen. wir teilen den Inhalt einer solchen Totenklage in Kürze mit. >Lin Klageweib stellt zunächst die Witwe des verstorbenen dar und klagt, daß sie nun allein und verlassen dastehe. Die rote Tonne habe sich hinter hohen Vergen, hinter dichten Wäldern und wandernden Wolken, hinter den östlichen Sternen verborgen und sie (die Witwe) mit ihren Rindern allein gelassen. Doch ihre Schuld sei es ja: warum habe sie den Tod in das liaus eingelassen, warum habe sie ihn nicht bemerkt, als er leise heranschlich? Ls würde ihr ja gewiß gelungen sein, ihn zu bewegen, mit einein andern Gpfer als mit ihrem satten vorlieb zu nehmen. Nun sei ihr der Gatte geraubt, und sie besitze nicht einmal sein ^ild, um es später, wenn ihre Kinder heran-gewachsen sein werden, diesen zu zeigen. Fußfällig bittet sie die Nachbarn, sie und ihre Kinder nicht zu verlassen, sondern ihnen in ihrem Unglück beizustehen. Die versammelten suchen sie zu trösten, aber sie bittet, sie nicht zu hindern, ihrem schmerz freien Tauf zu lassen. Nun beginnt ein Klageweib, welches die Nachbarin darstellt, all' die Sorgen zu schildern, welche die Waisen der Clutter verursachen. Zu dem Toten sich wendend, bedauert sie, daß sie keinen ^rief mitgebracht, damit er ihn ihrem schon früher gestorbenen Gatten überbringe, «kr möge ihm aber doch wenigstens erzählen, wie mühsam sie sich durchs teben durchkämpfen müsse. Dann kommt wieder die Witwe des zu Vegrabenden an die Reihe. Sie dankt dem Priester, der das Totenamt abgehalten, und beginnt aufs neue zu klagen, wenn der Sarg in die Grube gesenkt ist und der Grabhügel sich bereits über ihm erhebt, wirft sich die Vertreterin der Witwe auf denselben und ruft, daß sie vergessen habe, den Toten zu fragen, wann er wiederkehren werde. Sie fragt nun, ob er wiederkehren wird und wann sie ihn erwarten soll, um Mitternacht, um Mittag, am Morgen oder am Abend. Dann schildert sie, wie sie ihn erwarten wolle, und sagt, daß sie sich nicht fürchten werde, auch wenn er bei Nacht käme. > ^Kilometer, doch die übrigen Seeen von Archangelsk bleibell weit hinter ihm zurück! der Kutno-See zählt nur 77,0, der Kowd 58^, der j?äw oder l?ää nur 5s»0 ^Kilometer. Größere Secen hat das Gouvernement Vlonez: de>> ^2^6 s ^Kilometer messenden Seg»tschora gebiet ist reich an wildromantischen Uferlandschaften (siehe Seite I^l) und ^?). Da ist der mit ewigem Schnee bedeckte zwcigipflige Verg Tolpas, auf den sich von der Schtschugora, einein Nebenstuß der Oetschora, eine großartige Aussicht eröffnet. Der Verg ist sehr schwer zugänglich, man muß ein gutes Voot und erfahrene Ruderer haben, um durch die Strudel und Stromschnelleu bis zu seinem Fuße Zu gelangen. Vis zum Gipfel, erzählen die Anwohner, könne niemand gelangen, denn so wie man aus dem Wald, der den untern Teil des Verges bedeckt, heraustrete, wehe ein so heftiger wind, daß mau sich nicht aufrecht erhalten kann. Deshalb soll der Verg auch den Namen Tolpas erhalten haben, der im Sirjänischen „Höhle des ^Windes" bedeutet. Sehr malerisch sind auch die Ufer des j^odscherem, durch dessen krystallklares Wasser man bis auf den Grund sehen kann. Jede Biegung des Flusses enthüllt neue großartige Landschaften, die Felsen steigen oft so senkrecht aus dein Wasser empor, als wäreu sie von Menschenhänden behaucn, und bilden seltsame, grolteske Formalionen, welche Burgen mit Türmen und ginnen gleichen. Am Ufer des Flüßchens Sopl^as sind Hunderle von Menschen in den Steinbrüchen beschäftigt. Die Männer brechen den Stein und die Frauen beHauen denselben zu Schleifsteinen, die in speziell für solche Fracht gebauten Schiffen massenweise versandt werden. Im vergleich mit der Dwina und j?etschora ist der Mesen nur ein, unbedeutendes Flüßchen, aber auch er erlangt bei seiner Mündung eine Ereile von etwa ^ Kilometer. In der Vncht von Mesen, in die er sich ergießt, kann man ganz eigentümliche Fluterscheinungen beobachten: die Flut dauert dort nur H, die Ebbe aber 8 Stuudcn, und die Flut tritt so rasch und uuter so stürmischem Wachstum eiu, daß die vor Anker liegenden Schiffe in Gefahr sind, losgerissen Zu werden. Noch ein viertes Gewässer im Norden Rußlands müssen wir erwähnen, weniger seiner Größe wegen, denn als Kuriosität, weil es wohl der einzige Fluß auf unserem Kontinent ist, dessen Tauf noch uicht mit völliger Sicherheit festgestellt wurde. Die Schwierigkeiten, welche einer Reise durch die Tundras entgegenstehen, sind schuld daran, daß wir heute noch über den Ursprung des von, Ural kommende,, und in die Karasee sich ergießenden Flusses Kara ziemlich im unklaren sind und die besten Karten uns seinen ^auf ebensowenig genau angeben können wie die Höheuverhältmsse der Verge in jenem landstrich, den die Aara durchstießt. Die Ostseeprovinzen. jenseits des Flüßchens Narowa, welches mit dem peipussee die Vstgrenze des Gouvernetneitts 5t. Petersburg bildet, beginnt jenes Gebiet, welches man in Deutschland gewöhnlich als „die deutschen Gstsee» Provinzen" bezeichnet, trotzdem daß dort die deutsche Bevölkerung weder die eingeborene noch der Zahl nach die überwiegende ist. Esthen, betten und Russen bewohnen uebeu den Deutschen das 3and, und kaum der sechste Teil der Bevölkerung ist deutsch. Man muß daher für den Namen „deutsche" Ostseeprovinzen, den man in Rußland, wo sie einfach Gstseeprovinzen genannt werden, gar nicht kennt, einen andern Entstehungsgrund suchen, wir finden ihn in der Geschichte des kandes, welche uns berichtet, daß Deutsche es waren, die als die ersten öendboten der christlichen tehre zu den heidnischen betten und Esthen kamen, daß schon vor 600 fahren an der Gstsce deutsche Ritterorden über weite strecken tandes geboten und ihre Hoheitsrechto in langwierigen Kämpfen gegen Dänen, Norweger, Schweden, Oolen, tittauer und Russen erfolgreich verteidigten, und daß deutscher Ausdauer und Intelligenz es zu verdanken ist, wenn die Gstseestädte durch ihren Handelsverkehr reich und durch ihre Lehranstalten eine Pflanzstätte der Wissenschaft wurden, die berufen war, ihren segensreichen Linfluß weit und breit geltend zu machen. 2^ -------- ;88 -------- Die sogenannten Gstseevrovinzen bilden drei Gouvernements: Lsthland, Kurland und kivland. In weitem Vogen fast ringsun» auf der Bandseile von polnisci^en: Gebiet unischlossen, zählen die drei Gouverne-mcnts auf einen: Flächenraum von ^t»9^,H6 ^Meilen eine Bevölkerung von etwa 2 Millionen Einwohnern — nach den letzten, jedoch schon bei weitem nicht mehr zutreffenden Zählungsresultaten Lsthland 32596^, Aurland 6^3^ und ^ioland ^ (XX) 676 «Linwohner. wie cin Reil drängt sich gegen lveslen das polnische Gouvernement Uowno mit seiner littauischcn Vevölkerung zwischen die Grenzen Ostpreußens und Avlands und umklammert die Gstscevrovinzen, nach denen das eheinalige Rönigreich f)olen zur Zeit seines Glanzes manchen begehrlichen ^lick geworfen und die auch die Bussen erst nach schweren, langwierigen Aä'mpfen als kostbare Ocrle ihrer Krone einzufügen vermochten. Die erste Niederlassung deutscher Kaufleute an der Gstseeküste fällt in das Dadr ^38. Durch einen öturm verschlagen, geriet ein Bremer Schiff in hie Mündung der Düna, welche damals in Deutschland noch Vauernbursch und 35aucrmnädchcn alis ülwlmld. -------- ;89 -------- unbekannt war, und seitdem fanden sich Rauflente aus den deutschen Seestädten immer häufiger an der Düna ein, um mit den betten Tauschhandel zu treiben. Ein Uaufhof, dcn sie an der Düna erbauten, wurde später befestigt, allmählich in eine Vurg verwandelt, und durch stets neuen Zuzug verstärkt, machten die fremden Kaufleute schließlich die friedlichen Einwohner zu ihren Unechten, ^n ihrer 25urg - - dem spätern Uexknll, ^keskola von den betten genannt^ erbaute ^90 der holsteinische Augustinermönch Meinhard eine Uirche und ^slhnischcr Malier »nd 3?äucri», ein Kloster, und vom f)apst zum Vischof von ^ivland ernannt, betrieb er mit großer Lnergie die Christianisierung des ^alides. 5>ein Nachfolger, Bischof Albrecht, der Gründer ^igas, stiftete ^2(1<> den Orden der Schwert-brüdcr. Er gebot bereits über ein stattliches Heer, und zahlreiche Burgen, die er im ganzen ^ande erbaut hatte, sicherten ihm den Gehorsam der betten, die gleich den Esthen, wenn sie nicht freiwillig das Christentum annahmen, mit Gewalt bekehrt wurden. Die wachsende Niacht des Bischofs begann aber nun den eigentlichen Herrn des Tandes, den mächtigen russischen Fürsten wladjmür von f?lotzk, zu beunruhigen. Er hatte anstandslos dem Vischof Meinhard die Erlaubnis erteilt, unter den Eingeborenen das Evangelium zu predigen, nun aber sah er, daß die Fremden e; auf mehr abgesehen hatten als auf bloße Verbreitung der Christenlehre, und untersagte daher den» Bischof Albrecht feinere Vekehruugsocrsuche unter den betten. Als der Bischof, auf seine Macht vertrauend, sich nicht fügte, kam es zum Krieg, der jedoch einen für die Russen ungünstigen Verlauf nahm: die russische Vurg Konenois an der Düna wurde von den Schwertbrüdern erstürmt und ein großer Teil Tivlands, sowie das Fürstentum f)skow den: Vischof unterworfen. Da brach aber ein Aufstand unter den ketten aus, die durch die Vedrückungen des Vischofs und der Ordensritter zur Verzweiflung getrieben wurden, und die Schwertbrüder erlitten durch die Aufständischen eine empfindliche Niederlage. In der Bedrängnis, in die sie dadurch gerieten, kam ihnen das Anerbieten des Großmeisters des Deutschen Ordens, Hermann von Salza, beide Orden zu vereinigen, sehr gelegen. Die Vereinigung fand statt, aber trotzdem vermochten sich die bitter in der nächsten Zeit der von allon Seiten auf sie eindringenden Feinde kaum Zu erw.ehrsn. Der russische Großfürst Alexander Newsky schlug sie an den Ufern des jX'ipussces und eroberte f)skow wieder. Erst im Jahre ^268 wandte sich das Kriegsglück. In der blutigen Schlacht bei Wesenberg wurden die Bussen geschlagen, und seitdem befestigte sich der Orden immer mehr in der Herrschaft über die Gstseeländer, obwohl er unablässig Russeu und Tittauer abzuwehren hatte und ein Aufstand in Esthland erst nach verzweifelter Gegenwehr der Vauern in Strömen von Vlut erstickt wurde. Die erste Hälfte des ^6. Jahrhunderts ist die glänzendste Periode in der beschichte des Ordens. Nach seiner Vereinigung mit dem Deutschen Orden wurden die Schwertbrüder durch einen Tandmeister (ma^l^r pruvincinn'x) geleitet, der in der Vischofsstadt Riga seinen Sitz hatte und, obwohl er dem Hcrrmeister des Deutscheu Ordens unterstand, doch ziemlich selbständig war und auch in den Ostseeprovmzen ein höheres Ansehen genoß als der Vischof. Als sich nun die Reformation an der Ostseeküste auszubreiten begann und der Hochmeister des Deutschen Ordens, der junge Albrecht von Vraudenburg, derselben zuneigte, suchte sich das Ober» Haupt der Schwcrtbrüder, Walter von Olettenberg, von demselben völlig unabhängig zu machen, während seines Krieges mit stolen verkaufte Albrecht Tivlaud dem Tandmeister der Schwertbrüder für ^00 OW Gulden, und als er bald darauf das preußische Ordcnsland in ein weltliches Herzogtum verwandelte, das er von Lolen zu kehen nahm, hörte Tivlands Verbindung mit Preußen ganz auf. Der deutsche Raiser ernannte den Herrmeister der Schwertbrüder zum Reichsfürsten, und er führte fortan den Titel Fürstenmeister. Unter diesen: Walter von f)lettenberg brach zwischen dem Orden und Rußland ein neuer Krieg aus, der Jahre lang mit größter Erbitterung geführt wurde, Tausenden das Teben kostete und viele blühende Städte in Asche legte. jAettenberg, mit dem Fürsten Alerandcr von Tittauen verbündet, fiel in das Gebiet von pskow ein und schlng die Russen an der Siriza bei Isborsk (<.50I^), aber das Kriegsglück blieb ihm nicht hold, und die Russen drangen später verheerend bis gegen Dorpat und Marienburg vor. Endlich kam es am ^. September ^502 unter den Mauern von ^skow zur Entscheidungsschlacht. Dem Grden stände,: 9^^k) Russen gegenüber, aber die Ritter schlugen den sechsfach überlegeneu Feind in die Flucht. Die Erinnerung an diesen glänzenden Sieg lebt heute noch in den Ostseeprovinzen fort und manche alte adelige Familie rühmt sich eines Ahnherrn, der an jenem Tage in den Reihen der Ordensritter gefochten. Der Sieg bei pskow ist der letzte Glanzpunkt in der Geschichte des Ordens. Als der fünfzigjährige Waffenstillstand, welchen der Zar infolge der Niederlage mit den, Grden geschlossen, abgelaufen war, saß auf dem Moskauer Thron Iwan der Schreckliche, der ebcu die beiden Reiche Kasan und Astrachan sich unterworfen und das Moskauer Großfürstentum zu einer Macht erhoben hatte, die weit und breit gefürchtet wurde. Die tscherkessischen uud kabardischen Vergstämme erkannten freiwillig seine Oberhoheit an, der am Tobol herrschende Fürst Ldiger erbot sich zur Tributzahlung, wenn der Zar ihn in seinem Tand ungestört lasse, und bis aus der Vucharei und vom Chau von Samarkand kamen Gesandte an den Moskauer Hof. Innerhalb des Ordens hatten sich indesftn auch große Veränderungen vollzogen: er war so zu sagen gealtert, die alte Rraft war geschwunden. Die Entdeckung Amerikas hatte durch die völlige Umgestaltung des Welthandels die Auflösung der deutschen Hanse zur Folge, deren einzelne Mitglieder, durch verschiedene Interessen getrennt, sich immer feindlicher gegenübertraten. Die Städte Tivlands wollten nun auch von dem alten Gesetz der Hanse, das ihnen gebot, in ihren Häfen nur hanseatische Kaufleute zuzulassen, nichts mehr wissen, da dasselbe ihrem Handel hinderlich war. Nachdem sic sich so von dcr Hanse losgesagt hatten, konnten sie in ihren Kämpfen auf Unter, stützung seitens derselben nicht mehr rechnen, das deutsche Reich aber, das sie mit Bitten um Hilfe bestürmten, konnte ihnen uxter den damaligen zerfahrenen Verhältnissen keinen Beistand leisten, So ka»n alles auf die eigene Widerstandsfähigkeit des Grdensstaates an, diese jedoch war infolge der Uneinigkeit der stände eine sehr geringe. Schon i,n ^. Jahrhundert pflegten die Landesherren in den livländischcn Gebieten bei gemeinschaftlichen Zusammenkünften die allgemeine Interessen berührenden Angelegenheiten zu beraten. Aus diesen Zu» sammenkünften entstanden im ^5. Jahrhundert die tandtage. Seit dem Jahre 1^2^. nahinen an, Tandtag teil: der Erzbischof von Riga, die Bischöfe von Dorpat, Gesel, Kurland und Reval, der Grdensmeister, die Stifts-kapitcl, der Tandmarschall und die übrigen Vrdenshäupter, die Ritterschaften der einzelnen Stifter und der Ordenslande, die Städte Riga, Dorpat und Reoal, Zu denen später noch pernau, wenden, wolmar, Narwa, Fellin und Kokenhusen hinzukamen. Versammlungsort des Landtags war anfangs der Flecken walk, später gewöhnlich die Stadt wolmar, welche ihre Tage in der Mitte des Bandes dazu besonders geeignet erscheinen ließ. Abgestimmt wurde nach Ständen: der Erzbischof bildete mit den Bischöfen einen Stand, den zweiten der Grdensmeister mit den Ordensrittern, den dritten der Adel des ganzen Bandes, den vierten die Städte. Über die vom Tandtag gefaßten Beschlüsse wurde eine Urkunde, der Receß oder Tandtags-Abschied ausgestellt, von welcher die Tandstände auf Wunsch Abschriften erhielten. Krieg durfte nicht ohne Bewilligung sämtlicher Stände begonnen worden, inncre Streitigkeiten sollten vor Gericht oder anf dem Tandtag durch die dabei nicht beteiligten Stände zum Austrag gelangen. Zwischen diesen Ständen war nun gerade zu der Zeit, als das Nngewitter, welches den Grdensstaat vernichten sollte, sich an den Grenzen zusammenzog, nichts weniger als Einigkeit vorhanden. Die Stände hatten, um sich gegen zu befürchtende Übergriffe des Erzbischofs zu sichern, auf dein Tandtag zu wolmar >^5Hs, beschlossen, daß zum Koadjutor des Erzbistums kein ausländischer Fürst gewählt werden dürfe. Der Erzbischof hatte diesen Tandtags-Abschied selbst unterschrieben, setzte aber später doch durch Einschüchterung des Kapitels die Wahl des Herzogs Christoph von Mecklenburg zum Koad^utor durch, und dieser hielt unter großem Gepränge seinen Einzug in Riga. Der Grdensmeister und die übrigen Stände beschnldigten nun den Erzbischof, daß er mit Hilfe des Herzogs von Preußen und des Königs von polen „Tioland den Garaus macheu wolle"; sie beschlossen, zu ihrem Schutze Kriegsvolk heranzuziehen, warben in Deutschland Soldaten und suchten sich auch, obwohl vergeblich, den Beistand der Hanse zu sichern, wogegen der Erzbischof seinen Bruder, den Herzog Albrecht von Preußen, zu Hilfe rief. Seine Korrespondenz mit dem prenßischen Herzog siel in die Hände der Stände, die ihn nun für einen Tandesfeind erklärten und ihm die Kriegserklärung zusandten, während gleichzeitig die Stadt Riga sich empörte und dem Erzbischof den Gehorsam aufkündigte, vergebens mahnte König Sigismuud von polen zur Ruhe: der Krieg brach aus, und nach wenigen Tagen war der Erzbischof Gefangener der Stände, seine Residenz Kokenhusen von ihnen besetzt. Das energische Ein« schreiten des Königs von polen, der seine Schutzherrnrechte über das Erzbistum Riga durch Entsendung eines 80000 Mann starken Heeres zur Geltung brachte, rettete den Erzbischof aus seiner bedrängten Tage, und es kam ein vergleich zustande, durch welchen der Erzbischof noch als Sieger aus dem Streit hervorging. Über solchen Streitigkeiten versäumte man es, rechtzeitig gegen Rußland zu rüsten. Dorpat, das zu« nächst bedroht war und deshalb aus Hamburg und tübeck Kanonen kommen ließ und die Befestigungen in aller Eile zu verstärken suchte, sah sich sogar durch kleinlichen Egoismus in den Anstalten zur Verteidigung gehemmt, da das Domkapitel die Anlage von Befestigungen auf einem ihm gehörigen Grundstück nicht gestatten wollte, auch die Stellung vou Bauern zu den Schanzarbeiten verweigerte, völlig auf sich selbst angewiesen, blieb deu Dorpatern nichts übrig, als Verhandlungen mit dem Zaren anzuknüpfen. Iwan IV. machte geltend, daß Dorpat von alters her Rußland tributpflichtig sei, und beanspruchte den angeblich rückständigen Tribut, den er schließlich auf ^0000 Reichsthalcr ermäßigte. Als die Zahlung nicht erfolgte, rückte er mit drei Heeren in Tivland ein, zog sich aber, nachdem er durch Plünderung weithin Schrecken verbreitet, wieder zurück und erklärte sich bereit, gegen Zahlung von t>0 (100 Thalern die Feindseligkeiten einzustellen. Da er aber den Moskauer Kaufleuten verbot, diese Summe den Tivländern vorzustrecken, verging viel Zeit, bevor sie durch einen Tandtagsbeschluß aufgebracht wurde, und indessen hatten die Truppen des Zaren bereits so große Er° -------- 492 -------- folge errungen, daß dieser von einer Abfindung durch Geld nichts mehr wissen wollte. Narwa wurde erstürmt und niedergebrannt und schrecken und Verwirrung verbreiteten sich über das ganze ^and. vergebens gab Georg Uezküll von Ladenorm der Bevölkerung eiu leuchtendes Beispiel von Mannesmut, indem er mit 80 Kriegs-knechten und einer Hand voll Vauern das schloß ^elihausen se.chs Wochen lang gegen 80 000 Bussen verteidigte, bis endlich Hunger und Erschöpfung ihn zur Nbergabe der Festung unter der Vedingung freien Abzugs zwangen, ^eini herannahen des Feindes ergriffen überall die Schloßvögte mit ihren Anechten die Flucht, und eine Reihe von Schlössern und Städten fiel ohne Schwertstreich in die Hände der Russen. Auch Dorpat, wo die j?anik beispiellos war, kapitulierte, als der rnssische Feldherr Schnisky vor der Stadt erschien. Den len vertrag mit dem Rönig Sigismund von ^?olen, durch welchen sich der Grden mit allen Ordensläudern nnter den Schutz des Königs stellte. Gleichzeitig hatte der Vischof von Gesel mit dem Aönig von Dänemark einen vertrag geschlossen, durch welchen er diesen: das Recht einräumte, den Bischof von Vesel zu ernennen, wenn er sich bereit erkläre, das Stift gegen äußere Feinde zu schützen. Rönig Friedrich II. verlieh das Stift seinem jüngern Vruder, Magnus von Holstein, der nach seiner -------- ^3 Bandung in knrzer Zeit außer dcm Stift Gescl auch das Bistum ^eocil »md einige andere Landstriche besetzte, und Retllcr mußte gute Miene Min bösen Spiel inachen, wenn er nicht zu alle« übrigen Drangsalen noch einen einheimischen Krieg gesellen wollte, ^n einer Versammlung zn 2tiga faßten aber die Ordensoorstände den ^eschlnß, nochlnals alle ^Nächte mn ihren Beistand an,^igchen, nnd wenn diese Vitte abcrinals erfolglos bleibe, es dem Grdensnieistcr freizustellen, in den weltlichen 5>tand znrnckzutrclen und als Lrbfürst von Lioland dieses von der Arone j)olen Zu Tehen zu neh>nen. Vaucru aus Kurland. Die lLreigmsse auf dein Kriegsschauplatze führten diese Lösung viel rascher herbei als man erwartet hatte. Die Niederlage der ^wläuder bei Lrnns und der Fall Fellins lösten alle Vande der Grdnnng. Die Ritterschaft in Esthland und die ötadt ^eval sagten sich von !x>n Grden los und huldigten Lrich XlX,, da das nahe liegende Schweden ihnen am ehesten i)i!fe bringen konnte, nnd viele Städte ^ivlands nahmen polnische Vesatzmig ein. Da begab sich der Grdensmeister an den Hof des Rö'nigs 5>igisn«u>,d August, und in Ivilna -— m —^ kam am 28. November ^56^ jener vertrag zustande, dor als Privilegium Sigismundi Augusti später wieder« holt „och eiue wichtige 2^olle spielte. Uuter Sicherung d^'r ^lufrechterhaltluig seiner Verfassung, sowie der evangelischen Religion wurde TWIand mit der Krone Polens vereinigt und der bisherige Grdensmeister Kettler erhielt dasselbe als Herzog von Kurland und Semgallen zu Tehen. Der alte Grdensstaat war durch diesen vertrag zu Grabe getragen, aber der Hegnungen des Friedens wurden die Gstseeländcr noch nicht teilhaftig. Der neue herzog von Kurland mit Sigismund August, Magnus von Holstein, der König von Dänemark und Iwan IV. machten einer dem andern das Tand streitig, und nach einem 22jährigen Krieg, während dessen auch die Pest Tivland heimsuchte, schuf ^5«7> ein Waffenstillstand, in welchem den Schwede» ganz Esthland überlassen wurde, nur für kurze Zeit Ruhe. Im nächsten Jahr wurde aucb zwischen polen und Rußland ein zehnjähriger Waffenstillstand geschlossen, durch welchen dieses Roland an polen abtrat. So endete der 25 Jahre unier grauenhaften Verwüstungen geführte Krieg ruhmlos und ohne irgend welchen Nutzen für Rußland, das erst nach über ^00 Jahren wieder bestimmend in die beschicke der Gstseeländer eingreifen sollte. Georg Kettler, der letzte Herrmeister des livländischen Grdens und spätere herzog von Kurland, war während des Krieges gestorben. Seine Söhne Friedrich und Wilhelm teilten das Tand, der eine residierte in lNitau, der andere in Goldingen, der letztere aber wurde später vom König abgesetzt und Friedrich Herzog von ganz Kurland, Tange Zeit war das Tand noch ein Sireitapfel zwischen polen und Schweden, herzog Jakob, unter dessen Regierung Kurland durch seinen überseeischen Handel rasch wohlhabend geworden, wurde von den Schweden gefangen und erhielt erst im Frieden von Gliva <^6(i()) gegen Gebietsabtretungen seine Freiheit. während des nordischen Krieges kamen schlimme Tage für Kurland. Der Herzog Friedrich Wilhelm war minderjährig, und die Vormundschaft trat auf sächsische Seite, was die Besetzung des Bandes durch die Schwede» zur Folge hatte. Als die Schweden abzogen, wurde Kurland von den Russen besetzt. Line bessere Zeit schien endlich anzubrechen, als Herzog Friedrich Wilhelm sich mit der russischen Prinzessin Anna, einer Nichte Peter des Großen vermählte, aber die Hoffnungen der Kurländer wurden rasch zerstört, denn der Herzog starb plötzlich auf der Rückreise in sein Tand. Sein Nachfolger Ferdinand war kinderlos, lebte meist in» Auslande und gab dcm Adel durch Übergriffe in seine Rechte beständig Anlaß zu Klagen in Warschau, die schließlich dahin führten, daß der König von polen kraft seiner Tehnsherrenrechte eine Tandesverwaltung einsetzte, dann aber immer deutlicher das bestreben durchblicken ließ, Kurland vollständig mit polen zu vereinige,,. Die Staude des Herzogtums hielten deshalb ohne königliche Zustimmung einen Landtag ab und wählten auf demselben NIoriz von Sachsen zum Herzog, polen beantwortete diesen verfassungswidrigen Schritt der Kur> länder damit, daß es Kurland für ein erledigtes Tehn erklärte und es auf dem Reichstage zu Groduo mit dein Königreich vereinigte, doch kam ein Ausgleich zustande, als der ?5jährige Herzog Ferdinand sich mit einer Prinzessin von Sachsen-Weißenfels vermählte, und Ferdinand blieb im besitz des Herzogtums. Die Witwe des vorigeu Herzogs, die russische Prinzessin Anna, welche bis dahin still nnd zurückgezogen in Milan gelebt hatte, bestieg um diese Zeit den russischen Thron. Auf ihr Geheiß rückten russische Truppen in Kurland ein, und sie ließ dem polnischen Hof anzeigen, daß sie Kurland in seinem verfassungsmäßigen Recht, seinen Herzog selbst zu wählen, schützen wolle. Auf ihre Empfohlung wählten nach dem Tode des Herzogs Ferdinand die Stände einen Kurländer, den Oberkammerherrn der Kaiserin, Johann Ernst ^iron, zum Herzog. Nach den» Tode der Kaiserin Anna wurde Viron zwar abgesetzt und nach langem Streit über die Besetzung des Herzogsstuhls Karl von Sachsen znm Herzog gewählt, aber Katarina II. setzte ^5iron wieder ein und der sächsische Prinz leistete Verzicht. Anch der polnische Reichstag erkannte ^iron als rechtmäßigen Herzog an. Ihm folgte sein Sohn Peter, unter dessen Regierung endlose Streitigkeiten zwischen Adel und Vürgerstand das Tand nicht zur Ruhe kommen ließen. Veide streitenden Parteien suchten Hilfe im Ausland, die eine in polen, die andere in Rußland, und das unerqnickliche Schauspiel endete damit, daß der kurländische Tandtag am ^8. Riärz ^7<)5 den Beschluß faßte, das Tand Rußland zu unterwerfen. Der Herzog befand sich, als dieser Beschluß gefaßt wurde, in Petersburg. Da er kinderlos war, erhob er keine Einsprache gegen den willen der Stände, verzichtete gegen ein ziemlich bedeutendes Iahrgehalt auf die Herzogswürde, und Kurland wurde mit Rußland vereinigt. -------- !95 -------- viel früher schon waren die beiden Nachbarländer tivland und Esthland unter die Herrschaft der russischen Krone gelangt. Unter der schwedischen Herrschaft war es beiden Ländern nicht zum besten ergangen, obwohl ihnen manche wohlthaten zu teil wurden, So waren z. V. die Universität in Dorpat und mehrere Gymnasien gegründet worden, die Katastrierung des ländlichen Grund und Bodens wurde durchgeführt, die Leibeigenschaft beschränkt, ja die völlige Aufhebung derselben wurde bereits geplant, und nur dcr Ausbruch des nordischen Krieges verhinderlc die Durchführung, Dies alles wog jedoch die unheilvollen Folgen der Willkür-Herrschaft Karl Xl. nicht auf, dessen Güterreduktion, durch welche fünf sechstel aller Rittergüter eingezogen wurden, einen großen Ceil des Adels zu Bettlern machte. Die Landesverfassung, welche solchen Willkürakten im Wege stand, wurde einfach aufgehoben, und nun schalteten und walteten die königlichen General-Gouver» neure wie türkische Maschas in den armen Provinzen. Dann kam dcr zwanzigjährige Krieg und in seinem Gefolge ^est und Hungersnot. Dörfer und Städte waren verödet, aus Riga wurde die ganze Bevölkerung nach Rußland fortgeführt, die Felder blieben unbestellt, früher reiche adelige Familien sah man bettelnd auf den Straßen. Alle Errungenschaften der Friedensjahre waren vernichtet. Esthland und Lwland waren arme, ansgesogene Tänder, als sie durch den Nystädter Frieden ^72^ mit Rußland vereinigt und nun endlich unter dein Schutz des mächtigen Nachbarstaates für die Dauer der Segnungen des Friedens teilhaflig wurden. Die Spuren der frühern polnischen und schwedischen Herrschaft sind jetzt in dc.n Vstseeprovinzen ziemlich verwischt, In Kurland, das von ^56^ bis ^7^)5 mit f>olen in Verbindung stand, leben heute noch etwa ^5 000 j?olcn, aber die Namen vieler Familien, die sich als Deutsche bekennen, verraten deren polnischen Ur» sprung. Die schwedische Bevölkerung, deren Verbindung mit dem Heimatlande durch die Vereinigung des Bandes mit Rußland völlig unterbrochen wurde, da nun der Zuzug neuer Einwanderer aus Schweden auf« horte, hat sich mit der deutschen vermischt oder das Land verlassen. Nur auf den Inseln sind noch Spuren der frühern schwedischen Herrschaft erkennbar. Die Namen der Inseln Dagö, Kühnö, Mogö, Nuckö, Vdensholm sind schwedischen Ursprungs, und auf Dagö leben auch noch einige Tausend schwedische Bauern. Die russische Bevölkerung ist anf etwa 50 000 Köpfe gestiegen, darunter sehr viele Raskolnjiky. In Riga sollen über .^000 leben, in allen drei Provinzen clwa 20000. Große Fortschritte hat die griechisch-orthodoxe Kirche im Lande zu verzeichnen. Besonders in den ^0cr Jahren traten Esthcn und wetten massenhaft von der lutherischen znr griechischen Kirche über, allein in den Jahren ^3^5 und ^8Hl> etwa 60000. In einem Zeitraum von ^5 Jahren waren die Anhänger der griechisch-orthodoxen Kirche in Livland auf ^I000, in Kurland auf 2^ 000, in Esthland auf etwa ^000 gestiegen, in welcher Zahl allerdings neben den Neubekehrten auch die russischen Garnisonen, Beamten und die aus Gstrußland Eingewandcrten enthalten sind. In jüngster Zeit macht sich unter der Landbevölkerung eine ähnliche Bewegung zu Gunsten der griechisch-orthodoxen Kirche bemerkbar, und der Übertritt ganzer Dorfgemeinden ist gar keine Seltenheit. Juden waren in Kurland schon seit der polnischen Herrschaft vorhanden, und in ziemlich großer Zahl, angeblich 20 000. Sie hatten sich dort ebenso festgesetzt wie in f?olen, wareil Branntweinbrenner und Krüger, trieben Hausierhaudel, daneben aber auch allerlei Gewerbe, wie Schlosserei, Schneiderei, Metzgerei und der» gleichen, und der Schmuggel an der Grenze bei Schuwallen war auch von ihnen insceniert. In der Tracht und in der ganzen Lebensweise unterscheidet sich der kurländische Jude gar nicht von, polnischen. Ulan trifft bei ihm dasselbe kriechende Wesen, denselben Hang zum Herumstreifen wie beim polnischen Juden, und seine ekelerregende schmutzige Kleiduug wird nur noch von der Unreinlichkeit der Wohnungen übertroffen. Scharenweise ziehen, während der Mann dein Schacher nachgeht, Frauen und Kinder bettelnd im lande herum. Stundenlang umlagern sie die Thore der Edelhöfe und Pastorate, bis man ihnen endlich doch eine Gabe giebt, im» das widerliche zudringliche Gesindel nur los zu werden, aber je mehr sie bekommen, desto schwerer wird »nan sie los. wein» sie Vrot erhalten, bitten sie noch um ein Geldstück; giebt »nan ihnen Geld, verlangen sie noch Brot, dann vielleicht noch abgelegte Kleider, und wenn sie auch diese erhalten, ist ihre Begehrlichkeit nur noch gewachsen. Dcr Einfluß der Juden auf die Vauernbeoölkerung Knrlands ist ein ebenso demoralisierender wie i»i f)olen und jenen Gegenden Rußlands, wo sie massenweise in den Dörfern wohnen. Durch sie zum Trunk und dann Zum Schmuggel verleitet, wird der Bauer seiner regelmäßigen Beschäftigung entfremdet, und ist er einmal in Iudeuhänden, kann er sich zeitlebens von seinen Fesseln nicht befreien. 25* ------- 596 — Als die Regierung im Jahre ^65 cine Emanzipation der Juden anzubahnen begann und den Inden auch jene Gouvernements erschlossen wurden, s; Mita». Ausdrücken durchsetzt, heute schon kaum mehr ist als ein Dialekt der lettischen. Zwischen Goldingen und Hasen-poth trifft man noch viele Familien, die sich der Abstammung von kurischen „Königen" rühmen. 5>chon im Jahre ^320 geschieht freier Vauern in Aurland Erwähnung, welche wahrscheinlich die Nachkommen von Häuptlingen waren, die sich den Deutschen freiwillig unterwarfen und dadurch eine günstigere Stellung als ihre anderen 5ie durfteu das Jagdrccht ausüben, waren steuerfrei und auch vom Militärdienst befreit, und erst im Jahre ^85^ wurden alle diese Privilegien aufgehoben. tamm, die Arewinnen oder Rrewitschen, wohnte früher südlich von Mitau, um ^auske Heruni, ist nun aber auch völlig verschwunden. Die betten, in welche alle diese Oölker aufgegangen sind, bewohnen jetzt Aurland, den südlichen Teil Tivlands, das rechte Nfer der Düna im Gouvernement witebsk bis zur Drissa und den Areis j?onewjesch im Gouvernement Aowno. 5ie sind gleichen Stammes mit den Tiitauern und alten Preußen und zählen hellte etwa ^ ^(10(100 Seelen, davo», 460 000 in Aurland und ziemlich ebensoviel in TW- Auf dcm Molchow stroinaufwärts. ------- ;99-------- land. Das lettische Volk vermehrt sich ungemein rasch, an: Zusammenleben in Dörfern findet aber der kette immer noch wenig behagen und zieht seiu einsam gelegenes Gehöft einem Hause im Dorfe vor. Die lettische Sprache, lange unterdrückt und gering geschätzt, wird jetzt eifrig kultiviert. Große Verdienste erwarb sich um dieselbe die im Jahre I^82H in Mitau gegründete lettisch-litterarische Gesellschaft, welche ^828 ein Magazin herauszugeben begann. Allmählich hat sich eine kleine Litteratur entwickelt. Die ersten Vücher, welche in lettischer Sprache gedruckt wurden, waren religiösen Inhalts: ^586 wurde auf Gotth. Rettlers Aosten ein lutherischer Katechismus gedruckt, später durch den kurläudischen Pastor Georg Nlancel die Bücher Salomouis und Jesus Sirach, von Fürecker die ^salnien, vo»n Marienburger probst Gluck das Alts uud Neue Testament übersetzt. Die erste lettische Grammatik gab in den achziger fahren des vorigen Jahrhunderts Slender, der „Vater der lettischen Litteratur" heraus, der auch die lettischen Volkslieder sammelte, meist lyrisch-idyllische Dichtungen ohne Reim, doch auch bieder mythologischen Anhalts und zahlreiche Spottlieder auf die deutschen Herren. Im Jahre ^7^0 wurde Holbergs Lustspiel „Der verwandelte Vauer" ins Lettische übersetzt und in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts erschien das erste Griginal-Drama: „Karl Johanns letzter Abschied von Freunden und verwandten" von Vaumann, dem bald darauf mehrere Schauspiele von Eversberg folgten. Auch das Nibelungenlied und Schiller und Shakespeare sind bereits übersetzt. Im Jahre 1^822 gab tvatson in Mitau die erste lettische Zeitung „Lalweeschu Awises" heraus, die noch heute besteht, und im Jahre ^876 waren bereits fünf lettische Zeitungen mit zusammen über 20000 Abonnenten vorhanden. In Riga erscheinen jetzt 5 Wochenblätter und ^ Tageblatt (Rigas Lapa) in lettischer Sprache, in Nlilau 2 und in Libau ^ Ivochenblatt. Die Esthen, das zweite autochthone Volk der Gstseeprooinzen, sind finnischen Stammes. Sowohl ihre Sprache als auch ihre Sitten und Gebräuche und ihr ganzes Äußere kennzeichnen sie als echte Suomi. Sie waren schon den alten Römern nicht unbekannt, denn das Volk, welches Tacitus, f)tolemaeus u. a. als O^tione«, ^iätoneä, ^Ve^tlncri u. s. w. erwähne,,, waren zweifellos die «Lsthen. Ihre Niederlassuugeu erstrecke»» sich jetzt weit über die Grenzen jenes Landes hinaus, das nach ihnen den Namen führt. Der ganze Norden des Gouvernements Lwland ist von ihnen besetzt, und kleine und große Gruppeu esthnischer Niederlassungen findet man in den Gouvernements witebsk, pskow und St. Oetersburg. Einzelne dieser Gruppen bilden völlig vereinsamte Sprachinseln: so wohnen jenseits des Teufelsberges, losgetrennt von der blasse ihres Volkes, etwa 2000 Esthen. Das Volk zählt jetzt im ganzen etwa 800 000 Köpfe, wovon 500000 auf Esthland, H00000 auf Lwland entfallen. Früher mögeu die Eschen noch viel weiter uach Südwest gewohnt haben, bis sie von den Letten zurückgedrängt wurden. Der Name, den ihnen die Letten beilegen Igonas, die Vertriebenen -weist auf solche Kämpfe in der grauen Vorzeit hin. Die Esthen selbst nennen sich in ihrer Sprache Söhne des Landes, betrachten sich also als das Uroolk Esthlands. Die alten Esthen zeichneten sich durch große Tapferkeit aus und haben den in ihr Gebiet dringenden Deutschen hartnäckigen widerstand geleistet. Als sie zum ersten 3Ual mit den Slaven in Berührung kamen, in deren ältesten Urkunden sie uoch Tschuden genannt werden, waren sie eiu völlig uucivilisiertes, barbarisches Volk, das unter Zelten von R^nntierfellen, gleich den Samojeden, wohnte. Im ^.Jahrhundert hatten sie schon einige Fortschritte in der Kultur gemacht; es gab auch in ihrem Lande schon mehrere von Holz erbaute Aurgeu, und die kleinen Fahrzeuge der Esthen waren gefurchtste Piratenschiffe in der Ostsee. Jahrhunderte lange Knechtschaft, erst unter der Herrschaft der Ordeusritter, dann als Leibeigene des deutschen Adels, war nicht geeignet, die schlummernden guten Eigenschaften und Fähigkeiten des Volkes zu wecken. Trotzdem schwangen sich viele Lstheu zu einer höhern Lebensstellung auf, wurden Vürger und Grundbesitzer, gaben aber gleichzeitig ihre Nationalität auf und assimilierten sich vollständig den herrschenden Deutschen. Veide eingeborene volksstämme, die Esthen sowohl als die tetten, standen, wie schon erwähnt, noch auf sehr niedriger Kulturstufe, als das Land von den Deutschen besetzt wurde. Die esthnischen und lettischen Vaueru wurden Leibeigene der Deutschen, und sie blieben es., bis im Jahre 1,81.8 uuter Alexander!, die Leib» eigenschaft in den Gstseeprovinzen für aufgehoben erklärt wurde. Das Verhältnis der deutschen zur eingeborenen Bevölkerung unmittelbar uach Aufhebuug der Leibeigenschaft war ziemlich dasselbe, wie in den vierziger Jahren in den österreichischen Provinzen mit gemischter deutscher uud slavischer Vevölkerung das Verhältnis der —— 200 -------- Deutsche»» zu den cüzechen, Slovenen u. s. w. Die Vefitzenden, die Gebildeten waren Deutsche; ihnen gegen» über stand eine durch Abstammung und Sprache von ihnen geschiedene, ungebildete vauernmasse, aus deren Mitte heraus sich erst Einzelue, dann immer mehr zu höheren Lebensstellungen emporzuringen begannen, und nur allmählich errang sich auch das als Sprache der Knechte verachtete ^diom Anerkennung. ^)etzt sind oie früheren Leibeigenen teils sachter, teils freie Vesiher, und die Zahl der letzteren nimmt von Dahr zu I^ahr zu. Nicht zu bestreiten ist das verdienst der Deutschen als erster Kolonisatoren des tandes. was die Gstseeprooinzen geworden sind, das sind sie, neben der Begünstigung durch die russischen Negierungen, durch deutschen Fleiß und deutsche Intelligenz geworden, aber bei der fernern Kulturarbeit dürfte bald auch die eingeborene Vevölkerung ein nicht zu unterschätzender Faktor werden, was in den rein russischen Gouvernements noch fehlt, der landwirtschaftliche Mittelstand, bildet sich bereits allmählich in den Wstseeprovinzen, da die vielen Kronsgüter verpachtet sind und dem Übergang derselben in das volle Eigentum dcs Pächters keine Hindernisse bereitet werden. Vomnliitt' in I^m'pat. Die esthnische Sprache ist wohlklingend und reich an Vokalen und Diphthongen. Durch die letzteren und die vielen Triphthongen wird dem Deutschen die Aussprache sehr erschwert, da viele feine Nuancen derselben dem deutschen Ghr entgehen. An Veugungsformen ist das Esthnische arm, es ersetzt jedoch dieselben und die ihm für viele Vorstellungen fehlenden Ausdrücke durch bildliche Umschreibungen, wodurch auch die Sprache des gemeineu Mannes ungemein bilderreich und poetisch wird. So haben sie z. V. keine Bezeichnung für die begriffe Freiheit und Wohlthäter, und umschreiben dieselben. Ein dummer Mensch heißt bei ihnen „armes Haupt", die Tieie sind „stumme Wesen" u s. w. Man unterscheidet drei Dialekte: den Dorpa-tischen, am wenigsten ausgebildeten, der um Dorpat und am Oeipussee gesprochen wird; den j?ernauschen am Rigaischen Meerbusen; den Nevalschen, der am meisten ausgebildet ist und auch als Schriftsprache dient. ^)m allgemeinen ist das Esthnische unter allen Sprachen finnischen Stammes die reinste, trotzdem es mit vielen aus den« Russischen stammenden Wörtern durchseht ist. Eiue Litteratur wie das Lettische hat die esthnische Sprache noch nicht aufzuweisen. ^)n Dorpat, Oernau, Reval und St. Petersburg erscheinen einige Zeitungen in esth» nischer Sprache, fast sämtlich Wochenblätter, ein einziges Zweimal monatlich. ____ 2l)l ____ Alle Aschen zeigen viel Talent für Poesie, ^ei der Arbeit, in Wald und Feld, sowie zu Hause, überall wird gesungen, und im Improvisieren besitzen sie große Fertigkeit, während die Letten »neist i>n Chor singen, bilden die esthnischen Tanger mehrere Thore, die einer dem andern erwidern und die ^chlußstrophen gemeinsam wiederholen. Aus der kriegerischen Vorzeit des Volkes haben sich viele Gesänge erhalten. Als in Finnland die Bruchstücke der Ralewala gesammelt wurden und in der ganzen gelehrten Welt großes Aufsehen erregten, wurde mau darauf aufmerksam, daß auch in Esthland ähnliche Lieder vorhanden waren, und begann sie zu sammeln. 5o entstand das 5eitenstüek der Ualewala, das Epos Ualewi poeg, d. i. der 5ohn Ralewas, eine Di^tung, die sich dem großen finnischen Natioualepos vollkonnnen ebenbürtig zur ^eite stellen kann. In Esthland war aber die Überlieferung nicht so vollkommen wie in Finnland, weshalb Rreutzwald, der die Bruchstücke gesammelt hat, bei manchen öagen nach der prosaischen Erzählung die metrische Form selbst herstellen mußte. Kalewi poeg besteht danach aus 20 Nunen oder 20 000 Versen. Die Handlung der Dichtung reicht ins ^.Jahrhundert, bis Zum Kampf der Esthen mit dem deutschen Grden und der diesem folgenden Knechtung des Volkes durch bitter und Pfaffen. Düstere Schwermut beherrscht den öänger, wie er nun von den schonen Tagen berichtet, die sein Volk früher erlebt, und Anklänge an die melancholischen slavischen Volkslieder haben den freudigen Ton, der dem finnischen Heldenlied eigen ist, verdrängt. „Kalewala," sagt Schott, „ist ein frischer Frühlingsmorgen mit ^ilberwö'lkchcn in» blauen Äther, Aalewi poeg ein in bunter, zuweilen phantastischer Farbenmischung schillernder Herbstabend." ^>o scheu die drei Heldenbrüder am strande, während die öonne in den Wellen untergeht, und trauern um die verlorene Gutter: INimt'rer bellen ^chaukclspielen, Wassers schöm's I^irdelkreiseil, ^ternesallge^ hoch a>n Hinxnel, Ulond n»d ^oiiil' in heit'venl Ma»ze, Fragen nicht nach lins'rcr Freude, nicht nach lins'lem ^eclenschincrze. NVlle rollet hiliter l^elle, wälzt sich cm das F'elsen»f,.'r, bricht zll 3chanm sich an !>c»tt Fl'Ison, nnis; ^ils N^cissevst^nl' zersnclien, V^ch sie lniügct keiiil' 1l !>cn .slaaorii. Unsres 'iil'l'l'üs klcin,,' »vollen roll»,',! in 5er Al'endknlile Schn'anken!> aeaen Ilalemas 1>üael untcr (drain's ^^isendecke, Ttenlesailac 1'Iickt oc>>u liiülincl, Nlcndes^n^e ans der l?öhe, 3cnne strahlt mit heit'rem Antlit; anf dio 3terbcnde>l, die Toicn. Aber Sprache hat das Gral' nicht, Ivort ist nie in Zternes Nttlnde, Mond verstehet nicht ^ii reocn, anch die 3^nne sann nichts t'ündeü, ^icht dein ,frac;er Antwort geben. wie in Ralewala, enlhält auch hier der Schluß des Epos den Ausdruck' der Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach der trüben Gegenwart. Kalewi poeg schlägt mit der Faust gegen das Thor der Hölle, aber seine Fällst bleibt in dem Felsenthor eingeklemmt, und so ist er selbst Gefangener, während er gleichzeitig die höllischen scharen verhindert herauszukommen. „ Handschuh; 1I»ter,n Arme schreit die lieuue, Unterm Ärmel schreit die Graugaus, Auf dein Ivageu blölt das Schäfchen. Unsre Hühner legen Eier, Alle für des ?eli sl'tzt sl'Ill flel'l'ig 'lälNInch!,'!!, Das mich siir des Deutschen ^ratspies;. Unsrer Rich ihr erstes Mchschen, Das auch für des Deutschen Felder, pferdchcn setzt ein nnmtres Füllen, Das auch für des Denn !?ofe, IVinselnd trinkt nian seinen Becher, Fenerl'rot »lit Felierlnailde, Fnnken in des Brotes Rrlline, Ivuton unter Brotes 2viude, wenn ich los von l'?ofe ton'ine, ^l'ar,,er! vrot hab' ich für Euch, Ihr Hunde, ^n der l>anl> hier für den schwarzen, Nnteim Avnl hier für dcn araneu, ^n de,n ^»seu für das limidchen. viel <^eit wird noch vergehen, bevor so tief gewurzelter Haß völlig schwindet, obwohl er schon jetzt viel von seiner frühern Heftigkeit verloren hat. Das ^ewußtsein, ein freier Mensch zn sein »vie der Deutsche, muß mit der Zeit eine ausgleichende, versöhnende wirknug ausüben. Die wohlthätigen Folgen der Aufhebung der Leibeigenschaft treten ja in den Gstseevrovinzen in anderer Veziehung schon sehr deutlich zu Tage. Der ballische ^5auer ist um mehrere Jahrzehnte früher frei geworden als der russische. <3r hat daher auch schon die meisten üblen Gewohnheiten abgestreift, die eine Folge seiner Knechtschaft waren, in erster ^eihe die Neigung zum Trunk. Früher war sie unter der tandbevölkerung der Wstseevrovinzen ebenso groß wie heute noch unter der russischen, aber von Hahr 3« Iahr haben sich seit Aufhebung der Leibeigenschaft die Verhältnisse gebessert, lind gegenwärtig gehört Trunksucht zn den seltensten Erscheinungen. Auch seinen» Wohnhaus beginnt der Esthe allmählich mehr Sorgfalt zuzuwenden. Früher lebte er im Winter gleich den, russischen 25auer vieler Gouvernements mit seinen Schafen, Schweinen und Hühnern in derselbeu Stube. Große Sauberkeit kann man auch heute noch den Vauernstuben nicht nachrühmen, alt und jung, Manner und Frauen schlafen auch noch wie früher in derselben Stube, aber die Haustiere sind doch meist schon aus der Menschemvohmmg ausgeschieden. _______^,s)^_______ Die Dörfer dagcgen sind noch immer cm so planlos zusammengewürfelter Hanfe von Hütten, daß man sie mit Dörfcrn in Westeuropa gar nicht vergleichen kann. Acme Rücksicht auf durch das Zusammenleben erwachsende gemeinsame Interessen hat bei ihrer Anlage zur Richtschnur gedient. Jeder hat sein Haus dort gebaut, wo es ihm am besten gefiel, ohue sich um seine Nachbaren zu kümmern, und er hat dem Nau auch nicht mehr Sorgfalt zugewendet, als nötig war, um ein gegen die Unbilden des Wetters Schutz gewährendes Gbdach zu schaffen. Das russische ^auernhaus hat doch wenigstens seinen mit Holzschnitzereien verzierten Giebel und weist, je nachdem der Vesitzer wohlhabend ist, auch noch andere Verzierungen auf, die aus behauenen Baumstämmen errichtete Hütte des Esthen aber ist ohne allen äußern öchmuck, und ein Gärtchen beim Hause, wie es in russischen Dörfern jetzt doch schon hin und wieder vorkommt, ist in esthnischen Dörfern nicht vorhanden, ^ei alledem ist die Landwirtschaft in den Gstseeprovinzen zu hoher Entwicklung gelangt, nicht bloß auf den Großgütern, wo tüchtige Verwalter den Gutsbesitzern zur 3eite stehen, sondern auch bei den kleinen Landwirten. Die landwirtschaftlichen Vereine haben hier sehr segensreich gewirkt; Esthland besitzt deren drei, in Livland wirkt die gemeinnützige und ökonomische Societät in Dorpat, welche ein Netz von Filialen über das Gouvernement gebreitet hat (acht deutsche, sechs esthnische und lettische), und in gleicher Weise hat in Kurland die kurländische ökonomische Gesellschaft fünf Filialen errichtet. In allen drei Gouvernements finden Zusammenkünfte der Landwirte zu Beratung gemeinsamer Angelegenheiten statt, die landwirtschaftlichen vereine veranstalten Ausstellungen, Probepstügeu und dergleichen, landwirtschaftlicher Unterricht wird sowohl auf der Universität in Dorpat als auf dem Polytechnikum in Riga erteil^ bei beiden Anstalten bestehen ^amenkontroll» stationcn und beim Rigaer Polytechnikum eine chemische Versuchsstation. Der Vaner hat den wert solcher Einrichtungen und Vereine erkannt und beteiligt sich immer eifriger an denselben. Die sichtbaren vorteile der auf den Großgütern fast allgemein eingeführten Wechselwirtschaft haben ferner auch schon den ^auer veranlaßt, die Dreifelderwirtschaft aufzugeben und sich jener zuzuwenden. Dadurch wurde es möglich, daß die drei Gstscegouvcrnements, trotzdem ihr ^oden keiner der besten im Reiche ist, in landwirtschaftlicher Veziehuug alle anderen überflügelten. Der Durchschnittsertrag der Ernte in den Gstseeprovinzen ist bedeutend größer als in den 1^3 nördlichen Gouvernements 5>t. Petersburg, pskow, Smolensk, Kaluga, Moskau, Wladimir, Njishny-Nowgorod, wjatka, Perm, Kostroma, Iaroslaw, Cwcr und Nowgorod. Die Getreidcproduktion genügt vollkommen für die eigenen Bedürfnisse der Provinzen und liefert noch einen nicht unbedeutenden Überschnß. weizenbau findet man nur in Kurland und Livland; in Esthland ist der 35oden für denselben nicht geeignet. Dagegen werden in allen drei Gouvernements sehr viel Rartoffeln gebaut, die hauptsächlich bei der Vranut> wcinbrennerei Verwendung finden, welche in den Gstseeprovinzcu sehr verbreitet ist. Es bestehen über ^liO Branntweinbrennereien, welche für etwa 2^ Millionen Rubel Spiritus erzeugen. Die Bierbrauerei ist in Kurland, wo sich etwa vier Fünftel der Vrauereien der Gstseeprovinzen befinden, noch fast ausschließlich land wirtschaftliches Nebeugewerbe; die größten Vrauereien mit einem produktionswert von über 2 Millionen Rubel besitzt Livland. Ebenso entwickelt wie der Feldbau ist die Viehzucht, und auch die Pferdezucht weist seit einigen Jahren erfreuliche Erfolge auf. Nach vielerlei versuchen mit ausländischem Zuchwieh und Kreuzungen desselben mit dem einheimischen hat die Angler Rasse sich als die für das Land geeignetste bewährt und ist fast allgemein eingeführt worden. Die Milchwirtschaft wird sehr rationell (jetzt nach ^warhscher Methode) betrieben, und Gutter und Käse der Gstseeprovinzen sind im Handel begehrt. Das Tandesgestüt zu Torgel bemüht sich, die etwas degenerierte einheimische Rasse der csthländischen Klepper, eines zwar kleineu, aber kräftigen und ausdauernden Pferdes, in der alten Reinheit zu züchten. Früher war in Esthland die Zucht der Merinoschafe sehr verbreitet, sie ist aber jetzt zurückgegangen, wie überhaupt die Zucht der feinwolligen öchafe, und jetzt werden überwiegend Landschafe gezüchtet. Ncben ihrer fleißigen Landbevölkeruug, welcher auch — besonders den Estheu — Intelligenz und schnelle Fassungsgabe gar nicht abzusprechen ist, besitzen die Gstseeprovinzen noch eiue rührige, hoch intelligente ötadtbevo'lkerung. Auf dem Lande ist die Bevölkerung zwar nicht so dicht wie in manchen gleich günstig situierten russischen Gouvernements, aber die Zahl der bedeutenden Städte ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl des Landes eine große. Reval, pernau, Dorpat, Riga, Mitau, windcm, Libau u. s. w. sind durch Handel 2H* --------20^ -------- und Industrie wohlhabend gewordene 5tädte, und nmncher derselben dürfte noch eine bedeutende Zukunft als Handelsplatz bevorstehen, Riga, die Hauptstadt des (^ouvernenicnts ^ivland, ist die größte der russischen Gstsecstädte. Bei der Zahlung im Jahre ^8?^ hatte es ^i)2l,00 Einwohner (es soll jetzt I/)8(100 zählen), darunter etwa ^000 Deutsche, 2^000 tetten und 25 000 Russen. Der Nest der Bevöb kerungszahl verteilt sich auf die «Lsthen (etwa WO), Juden (über 5000) und die Angehörigen fremder Staaten und verschiedener Völkerschaften Rußlands, unter welchen letzteren besonders zahlreich die Oolen ver. treten sind, tvährend zu den Ausländern das größte Kontingent die Engländer stellen. Riga wurde, wie fchon oben erwähnt, ^206 durch den Bischof Albrecht gegründet. Die ersten Ansiedler kamen ans Bremen nnd Lübeck. In der ^>tadt, die sich noch im ^3. Jahrhundert der deutscl^en Hanse angeschlossen, hatten aber die Bischöfe und späteren Lrzbischöfe (seit ^2^6) eine sehr unruhige Residenz. Die Bürgerschaft hatte fast ohne Nulerbrechung streit nüt deni Bischof und dem Grde»i der ^chwertbrüder. Zuweilen standen die Vürger auch auf 5eite des Vischofs gegen den Grden. In einer solchen Fehde wurde ^.)7>^ Riga von den ^chrvertbrüdern ^.ivichtcii ^l>5 dcr Gegond von Nasenpoth. besetzt, welche, um die widerspenstige S>tadt besser beherrschen zu können, die Festungen Dnnamünde und 2Nagnusholm anlegten. Lrst ^85 gelang es deu Rigaern, diese Burgen zu zerstören. Für die Reformation erklärte sich Riga schon im Jahre ^522. Die Bürgerschaft sagte sich von: Vischof los und wählte ein Konsistorium zur Leitung der kirchlichen Angelegenheiten, In den Kriegen, welche um den Vesitz des landcs zwischen dem Grden, den Russen, Oolen und Schweden geführt wurden, litt Riga sehr. Ls hat manche Belagerung glüeklich überstanden, so in den Jahren ^572 und ^(i5(, dllrch die 2^usseu, aber sehr oft sah es auch den Feind als Sieger durch seine Thore einziehen. Im Jahre ^,">8^ bemächtigte sich Stephan ^iUhory der ötadt, a»n ^5. öepteinber ^62^ eroberte sie (Gustav Adolph nach langer Belagerung, und ^?^) mußte sie sich nach NIonate langem widerstand, nachdem die feindlichen (Geschosse, j?est uud liunger die Bevölkerung dccinüert hatten, ^>eter dem kroßen ergeben, ^toch in diesem Jahrhundert hatte Riga Kriegsdrangsale zu überstehen: ^8^2 bombardierten die Franzosen uuter Macdonald die ötadt und brannten die Vorstädte nieder, und ^85^ erschien vor dein Hafen die vereinigte englisch-französische Flotte, die sich jedoch auf die vlokade beschränkte. Groß-Nowgorod. 20? In den dreißig Friedensjahren seit diesem letzten Feindesbesuch ist Riga gewaltig gewachsen. Icht ist es unter den russischen Städten der Einwohnerzahl nach die fünfte, aber als Handelsstadt nimmt es bereits die dritte Stelle, nach Petersburg und Odessa ein. Der Import Revals ist zwar größer als jener Rigas, aber im Export wird es von diesen: bedeutend übertroffen. Riga liegt etwa ^5 Ailometer von der Düna-Mündung entfernt, aber es ist mit der Aüste durch Eisenbahnen verbunden. Auch große Seeschiffe könuen bis zur Stadt selbst vordringen, die meisten ziehen es jedoch vor, in dein eigentlichen Hafen Rigas, bei Dünamünde, vor Anker zu gehen. Ein großer Nachteil dieses Hafens ist, daß er Monate lang durch Eis versperrt ist. In den fünfziger fahren sind großartige Hafenbauten ausgeführt worden, die einen Aufwand von über 2 Millionen Rubel erforderten, und seit dieser Zeit datiert auch der große Aufschwung des Rigaer Handels. während des Rrymkrieges war Riga noch Festung. Im Jahre j^858 wurden die Festungsmauern niedergerissen, und prächtige Boulevards bilden jetzt einen breiten Ring um die innere Stadt mit ihren alten gotischen Häusern, welche sie von den freundlichen Vorstädten scheiden. Zwischen der Altstadt und den drei Vorstädten gab es häufig Streit, da sie, wie durch ihre Bauart, sich auch durch ihre Bevölkerung und die derselben zustehenden Rechte unterschieden. In der Altstadt wohnten die alten Patrizierfamilien, dort befand sich das Rathaus, auf dessen Balkon alljährlich am Michaelistag die feierliche verlesuug der Gesetze der Stadt (der Vursprake) stattfand, die große Gilde versammelte sich dort am Tage der Ratswahl, und auch alle Gerichtssitzungen wurden in diesem kleinen, aber den Aern der Stadt bildenden Teil Rigas abgehalten. Die Bevölkerung war in weitaus überwiegender Zahl eine deutsche. Nicht so in den Vorstädten! Dort wohnten meist Russen, Esthcn und betten, die weniger Bemittelten, die von Jahr zu Jahr in größeren Massen nach der Sladt kamen, die auf sie eine merkwürdige Anziehungskraft übte. Sie suchten Beschäftigung in der Handelsstadt, woran dort kein Mangel war, aber sie beanspruchten bald auch gleiche Rechte mit den Altansässigen, und die Nichlbewilligung dieser Forderung hat zu endlosen Reibereien zwischen der Bevölkerung der Stadt und der Vorstädte Anlaß gegeben. was Riga an Sehenswürdigkeiten enthält, das befindet sich in der kaum eine Werst breiten Altstadt. Das gotische kaiserliche Schloß wurde am Ende des 1^5. Jahrhunderts von dem Ordensmeister Walter von plettcnberg erbaut, diente früher als Residenz der Grdensmeister und wird jetzt vom Gouverneur bewohnt. Auf dem platze vor dem Schloß errichtete ^8^7 die Rigasche Kaufmannschaft dem siegreich ans den» Franzosen« kriege heimgekchrten Raiser Alexander !. ein Denkmal: auf einer 8 Meter hohen Granitsäule steht eine Victoria mit dcm Torbecrkranz, den Sockel zieren das Stadtwappen und der Reichsadler. Die Schloßstraße hinab» schreitend gelangen wir zur Börse, einem imposanten Gebäude in florcntinischem Stil. In der großen Jakobs« straße, an deren Kreuzung mit der Schloßstraße die Börse liegt, lenkt das Ritterhaus die BlictV auf sich. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erbaut, wurde es früher zu den Versammlungen des livländischcn Adels benutzt, desscu Wappen noch die wände des großen Rittersaales schmücken; jetzt hält in ihm der pro» vinzial-kandtag seine Versammlungen. Das Hauptgeschoß enthält den Rittersaal, den versammlungs- und Speisesaal. Im Rittersaal hängen dem Eingang gegenüber die Porträts Peter des Großen, panl l. und Alexander II. Die übrigen drei wände bedecken die chronologisch geordneten Wappenschilder der livläodischen Adelsfamilien: zunächst die Wappen der Geschlechter, die schon zur Zeit der Grdcnsmeister im «5ande ansässig waren (bis ^56^), dann die Wappen aus der Zeit der polnischen (bis ^62^), der schwedischen (bis ^7^0) und der russischen Herrschaft. von der Schloßstraße vor dem Vörsengebäude rechts abbiegeud, gelangen wir zum Dom, einem der ältesten Gebäude Rigas, dessen Grundstemlemmg in das Jahr ^2^5 fällt. An die Domkirche grenzt der Herderplah, in dessen Mitte eine Uopie der weimarischen Herderbüste steht. Bekanntlich lebte der Dichter von ^76H bis ^769 in Riga als Prediger und Lehrer, Eine Inschrift an seinem wohnhause meldet uns: „Hier wohnte Joh. Fr. Herder ^?6H bis ^?l»H", und in der Stadtbibliolhek werden noch mehrere Autographen des» selben aufbewahrt. Die Stadtbibliothek besitzt auch viele auf die Geschichte Rigas bezügliche Altertümer und Merkwürdigkeiten, doch viel mehr in dieser Art enthält das sogenannte Schwarzhäupter>Haus: Waffen, Silbergeschirr, Porträts u. s. w., fast alles aus der Zeit der Ordensherrschaft stammend. Die Schwarzhäupter waren eine Waffenbrüderschaft unverheirateter Bürger, die sich einst über das ganze land erstreckte. In Riga, -------- 208 -------- Reval, Dorpat, Narwa, wolniar gab es Kchwarzhäupter. Die Organisation der Vrüderschaft war jener des Ritterordens nachgebildet, ihr Zweck die wahrluig städtischer Interessen. Den Namen 5>chwarzhäupter führten die Brüderschaften nach ihrem Schutzpatron, dem heiligen Mauritius, der von Abstammung ein Mohr war. In den städtischen Streitigkeiten sind die ^chwarzhäupter früher ein wichtiger Faktor gewesen. In Riga und Reval haben sie sich noch erhalten, jedoch in wesentlich modifizierter Form, als eine gesellige Nntclhallnng anstrebende ^litegesellschaft. Die reichsten jungen Aauflcute Rigas und Revals gehören, so lange sie uiwei^ heiratet sind, der Gesellschaft der öchwarzdäupter an, der auch jetzt noch bei öffentlichen Aufzüge,, ei,, ^h»en-plah neben Rat und Gilden bewahrt ist. Im Jahre ^85? wurde das ^3HH von einem reichen Bürger erbaute 1>aus, welches I^6,"7 in den 3.^sitz der schwarzen Häupter gelangte, völlig umgcbant, al er die hohe Vaucrilstnbc in Rurland. Gicbelwand desselben ist unverändert geblieben. Oereimte Inschriften mit <6oldschrift anf blauen: Grunde bedecken die Mand, an der sich auch eine alte astronomische Nhr befindet. Auf den Pfeilern neben dem ^ingcmg stehen auf der einen öeite eine Statue der A'laria mit dem Jesuskinde, auf der andern ein öchwarzhäupter in voller Rüstung, über den Figuren sieht man die trappen der 5tadt und der 5>chwarzhäupter. Den: ^ause der schwarzen Häupter gegenüber erhebt sich^auf der andern öeite des ^athausplahes das Rathaus. 6 9ti8 Tasten in den Hafen ein. Der Import (etwa H2 Millionen Rubel) umfaßt Salz, Häringe, Petroleum, Steinkohlen, Eisenbahnschienen, Mauersteine u. s. w.), der Export (etwa 66 Millionen Rubel) erstreckt sich auf Getreide, Hanf, Flachs, Holz aus den polnischen Gouvernements, (einsamen, Ol u. s. w. Die Hälfte sowohl der Ein- als auch der Ausfuhr eutfällt auf England; an der Einfuhr partizipiert Deutschland zu '/,^, an der Ausfuhr zu 1/7. Nach England und Deutschland folgen beim Export Belgien, Frankreich, die Niederlande, Norwegen; beim Import Portugal, Frankreich, Belgien, Norwegen. Riga ist der Hauptplatz für den Export von Holz aller Art. Im Jahre ^86^ belief sich derselbe auf ^<,3 Millionen Rubel, wie maunigfallig das zur Oersendung gelangende Holz ist, zeigt der Bericht der handelsstatistischen Sektion des Rigaer Börsen-Comitüs, welcher für das Jahr ^878 folgeude Holzgattungeu unter den ins Ausland gegangenen Tandesprodukten aufzählt: fichtene Balken und Brussen, grähene und espene Valken, Vootsmasten, Brennholz, Bretter, Faßholz, Kluftholz, kleine Latten, Masten, Mauerlatten, Gxhoftstäbe, pipenstäbe, Pfosten, Schwellen, Sparren, Spieren, Splittholz, fichtene und grähnene Tonnenstäbe »nid wagen^ schoß. An der Gesamtausfuhr von Holz partizipierte Riga im genannten Jahre mit 58,2"/c,, also mit mehr als ___ 2li ___ der Holzexport auf dein Landwege längs der ganzen (andesgrenze betrug. Nur Petersburg mit Kronstadt (H,6 Millionen Rubel) uud Archangelsk (^^ Millionen) wiesen außerdem noch bedeutendere Zahlen auf. Dabei war im Jahre j^88^ im russischen Holzexport ein bedeutender Rückgang gegen das Vorfahr (von 32,9 Millionen auf 29,6 Millionen) eingetreten. Rußlands Holzhandel bringt viel Geld in das kand und die Russen weisen gern mit Stolz auf die riesigen Schiffsladungen hin, welche jährlich nach fernen Tändern gesandt werden, aber in wirtschaftlicher Beziehung ist der große Aufschwung des Holzhandels, der eng mit der Devastierung der russischen Wälder Zusammenhängt, eher zu beklagen, als daß man sich über ihn freuen könnte. Ein flüchtiger Überblick über den russischen Handel dürfte hier angezeigt sein, da wir uns mit demselben auf den folgenden Vlättern noch bei mehreren Städten beschäftigen müssen. In einein so großen Reich wie Rußland, das nahezu IM1 Millionen Einwohner zählt, muß selbstverständlich der Handel sehr bedeutend sein, aber leider läßt das statistische Material, das uns über denselben zur Verfügung steht, an Vollständigkeit noch viel zu wünschen übrig, Namentlich über den innern Handel Rußlands fehlen genaue und verläßliche Angaben, und die vorhandenen Verechnuugen desselben können keinen großen Wert beanspruchen. Der Zwischenhandel, der die Ware durch Dutzende von Händen führt, bevor sie an den Konslimenten gelangt, bildet bei jeder Verechnung ein fast unüberwindliches Hindernis. Der auswärtige Handel dagegen ist leichter zu kontrollieren, und die Zahlen, die er aufweist, können wenigstens als Maßstab für den gesamten Handel Rußlands dienen. Unter den Exportartikeln steht obenan das Getreide, und von diesem insbesondere der Weizen. Die durchschnittliche jährliche wcizenausfuhr repräsentiert einen wert von etwa Z2 Millionen Rubel. Davon entfielen auf England nahezu 7,3",.,, auf Deutschland und Frankreich je 2^, der Rest auf Österreich, Belgien, Italien, Holland, die Türkei, Griechenland und Rumänien. Der A^ehlexport.ist verhältnismäßig gering, trotz» dem das russische Weizenmehl ausgezeichnet ist und im Ausland immer mehr Anerkennung findet. Im russischen Interesse ist nur zu wünschen, daß derselbe sich steigere. Rußland würde dadurch nicht nur außer dem preis für das Getreide noch den Preis für eine Arbeit erhalten, die jetzt im Auslande verrichtet wird, sondern es würde auch auf dem Weltmarkt seinem gefährlichsten Konkurrenten Amerika erfolgreicher entgegentreten können. Die Konkurrenz amerikanischen Weizens macht sich in England, Frankreich, Deutschland, ja in fast allen Tändern, nach denen russischer Weizen exportiert wird, sehr fühlbar. Amerika produziert billiger, und das russische Getreide wird durch den Trausport ungebührlich verteuert, wie in Rußland z. 23. die Montanindustrie an dem Mangel billiger Tarife krankt, so leidet darunter auch der Getreidehandel, der außerdem noch mit vielen Schwierigkeiten bei der Verladung des Getreides auf die Schiffe zu kämpfen hat. Und doch sollte Rußland keine Mühe und Kosten scheuen, um zu verhindern, daß sein Getreide durch solches aus den Vereinigten Staaten, ans Indien und Algier, welche letztere tänder auch von Jahr zu Jahr mehr exportieren, verdrängt werde. des gesamten Getreide» exports. Neben dem Weizen spielen die änderet« Getreidesorten nur eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle. Am meisten werden noch Roggen und Hafer exportiert, doch dürflen erstern, dessen Hauptkonsument (mit nahezu 6d"/u) bisher Deutschland war, die deutschen Kornzölle sehr beeinträch!igen. 27lit dem Export von Erzeugnissen des Feldbaues hält der Export von Vieh nicht gleichen Schritt. Die vielen Viehseuchen, die in Rußland vorkommen, und Die infolge derselben verhängte Grenzsperre seitens der Nachbarstaaten waren stets ein großes Hindernis, mit dem alle Exporteure zu kämpfen hatten. Seit dem Jahre ^882 ist die österreichische Grenze für den Eintrieb russischen Hornviehs definitiv gesperrt, und Rußland hat dadurch eiuen Konsumenten verloren, der bis dahin I8"/« seiner Gesamlausfuhr an Hornvieh ihm abnahm, Gleichzeitig hat der Export nacb Preußen, obwohl dort im Jahre ^86^ wegen einer Viehseuche in Rußland nur eine zeitweilige Grenzsperre stattfand, völlig aufgehört. Der russische Hornoiehhandel sucht augenblicklich andere Absatzgebiete, und in England, Griechenland und der Türkei hat er zwar solche gefunden, aber noch bei weitem keinen vollen Ersatz für das in (Österreich und Deutschland verlorene. In gleicher weise wie die Seuchen beim Hornvieh, hindert die unter den russischen Schafen häusig vorkommende pockenkrankheit den Export der Schafe, da die Nachbargrenzen demselben nur zu häufig versperrt sind. Dagegen ist Rußlands 2?" Ausfuhr von lebenden Schweinen die größte der ganzen Melt, obwohl dieselbe seit dem I)ahre ^877 sich in stetem 2?ückgang befindet. Die Pferdeausfuhr, die während des türkischen Rrieges sisticrt war, beginnt sich wieder zn hebcn, und russische Pferde finden auch bereits in England in bedeutender Anzahl Lingang. Das iiauplabsatzgebiet des Pferdehandels ist aber immer noch Deutschland. Man hat Rußland wegen seiner reichen Getreideausfuhr eine 1(ornkammer Europas genannt, aber es verdient mit gleichen: Rechte auch den Namen eines Materialiendepots der europäischen Industrie, den ihm ein gründlicher Kenner seiner wirtschaftlichen Zustände gegeben hat, denn Rohstoffe und Halbfabrikate bilden etwa ^"/u der Gesamtausfuhr Rußlands. Rcval. Sehr bedeutend ist die Ausfuhr russischen Flachses, die von ^867 bis ^88^ um 2c»2"<> gestiegen ist. Das Hauptabsatzgebiet bilden England und Deutschland mit 5<),H, beziehungsweise 50,?"/,, der Gesamtausfuhr. Große (Quantitäten geheu außerde,n nocl^ nach Frankreich, (Österreich und Velgicn, der Rest nach Nordamerika, Holland, Schweden, Portugal, Däncinark und Rumänien, Die größte Ausfuhr findet zur 5ee über Archangelsk, Riga, Reoal und Petersburg, zu slande über wirballen und Granitza statt. Oon den I^äfen am Schwarzen R'leer wird Flachs nicht exportiert. Geklagt wird darüber, daß die Produzenten auf die Bedürfnisse der Käufer keine Rücksicht nehmen, den Flachs nach der Ernte nicht so sortieren, wie es die ausländischen Fabrikanten wünschen. Das Sortieren des Flachses wird erst von den Aufkäufern im Auslande besorgt, wodurch Rußland HO bis 50 Millionen Rubel verloren gehen, welche Ausländer durch eine Arbeit verdienen, die gauz gut im Anlande verrichtet werden könnte. Auch der russische I^anf ist wegen seiner guten (Dualität sehr gesucht, und der «krport über Riga und Petersburg, noch mehr aber über Gra^ewo und IVirballcn nimmt von Hahr zn ^)ahr zu. bedeutend ist der «Lrport von Schafwolle, hauptsächlich von den I'^äfen des Schwarzen Inamensky-Kathedrale in Nowgorod. -------- 2^5 -------- Meeres aus, welche den großen Schafzüchtoreien der südlichen Gouvernements am nächsten liegen, und von Schweinsborsten, welche hauptsächlich nach Deutschland (Vorsten niederer (Dualität), England, Osterreich und Frankreich ausgeführt werden, jedoch gleich dem Flachs bei besserer Sortierung viel höhere greise erzielen würden. Unverarbeitete Felle und Viehtalg haben jetzt der amerikanischen Konkurrenz gegenüber einen schweren ötand und ihr Export hat sehr abgenommen. In großen Quantitäten werden immer noch sowohl rohe als gebrannte Knochen ausgeführt, denn Knochenmehldüngung ist erst in einigen Gegenden Polens uud in den Gstsee-Provinzen gebräuchlich. Man hat, um die tierischen Knochen der heimischen Felddüngung zuzuführen, anf die Ausfuhr einen Zoll gelegt, der aber viel zu gering ist, um sie zu beeinflussen. Die große Geflügelzucht Rußlands hat neben dem Export von Eiern uud lebeudem Geflügel auch einen namhaften Export von 25ett> federn ins (eben gerufen, neben denen scit einigen fahren auch allerhand Schmuckfedern exportiert werden. Pelzwerk kommt in riesigen Massen auf den Markt, keine erfreuliche Erscheinung, da es meist Raubtiere sind, deren Felle verkauft werden, und eiu Steigen des Exports auf eine bedeutende Vermehrung der sowohl dem wildstand als dem Vieh verderblichen Raubtiere schließen läßt. Die russische Kürschnerei ist berühmt und russisches pelzwerk wird im Auslande gut bezahlt. Der Fischexport hat erst seit einigen Jahren einen nennenswerten Aufschwung genommen und geht fast nur nach Rumänien und (Österreich. Trotzdem Rußland eins der fischreichsten tänder ist, hat man dort der Fischerei an maßgebender Stelle bis in die jüngste Zeit fast gar keine Veachtung geschenkt, und doch liefert allein die Fischerei von Astrachan jährlich für 1^2 Millionen Rubel Fische! Ein sehr wichtiger Exportartikel ist der Kaviar; der schwarze Kaviar geht nach Rumänien, der Türkei, Deutschland und Frankreich, der rote fast nur nach der Türkei und Griechenland. Den Holzexport erwähnten wir bereits, von Montanprodukten geht trotz des Metallceichtums Ruß« lands sehr wenig ins Ausland. Die für den Export geeignetsten Metalle liefert der Ural, sie sind also von der Grenze des Reiches so weit entfernt, daß durch die hohen Kosten des Transports der Absatz nach dem Auslande fast unmöglich gemacht wird. Und die russische Industrie? Auch sie liefert ihren Veitrag zum Export des Reiches, obwohl derselbe hinter den Massen der Rohprodukte weit zurückbleibt. Am meisten werden exportiert: Tanwerk, wegen seiner Güte sehr gesucht („ach fast allen tändern), Segeltuch (besonders nach Deutschland), Sackleinwand (nach Eng« land), Bastmatten ans dcn lindenrcichcn mittleren Gouvernements, wo fie von den dauern fabriziert werden (nach fast allen tändern Europas), wachs- und Stearinlichte und Seife, Iuchtenleder (nach Deutschland, (i)ster-rcich und England) und gewöhnliches teder, in letzter Zeit auch Kautschukwaren, zwar nur von einer einzigen Fabrik, aber einer der ersten Kautschukwarcnfabriken der ganzen Welt. viel höhere Zahlen als der Exporthandel weist der russische Importhandel auf, und bei der Ent< wertung der Valuta, die in Rußland chronisch geworden zu sein scheint, ist ein solches Überwiege,: des Imports eine sehr beachtenswerte Erscheinung. Ein so riesiges Reich wie Rußlaud wird zwar niemals alle seine Ve« dürfuisse durch eigene Produktion decken können, dagegen dürfte es sich gerade in Rußland empfehlen, durch hohe Zölle die Einfuhr von Artikelu zu beschränken, die eventuell im tande selbst gleich gut und billig herge° stellt werden können, wie Rußland dem Ausland seinen Flachs liefert und dafür fertiges teinen bezieht, das es doch selbst erzeugeu könnte, so ist es noch in einer Unzahl von Fabrikaten, zu denen es die Rohstoffe her» giebt, vom Ausland abhängig, könnte sich aber leicht emanzipieren, wenn der heimischen Industrie mehr Ge» legenheit zur Entwicklung geboten würde. wir können hier auf Details des mannigfaltigen Importhandels nicht eingehen und beschränken uns auf einige allgemeine Andeutungen. Die bedeutendsten Einfuhrartikel sind Salz (über ^ Millionen Pud), Früchte (für über ^0 Millionen Rubel), Fische, besonders I^äringe (aus Deutschland und Schweden), Kaffee, Rohzucker, Tabak (viel Blättertabak aus Deutschland, daneben bedeutender Schmuggel, besonders mit Cigarren), wein und Thee (im Iahrc ^ttW für N<) Milliouen Rubel); Steinkohlen, besonders nach den nördlichen Gegenden, Petersburg und den Gstseeprooinzen, welche die ausländischen Kohlen nicht entbehren können; eine Menge Halbfabrikate für die Texlil-Industrie, obenan Rohbaumwolle und Schafwolle (trotz der wiederholt erhöhten Zölle), von unverarbeiteten Nietallen besonders Roheisen, Stangen« und Sorteneissn, Kupfer, Panzer» und Kessel» -------- 2^6-------- eisen, Vlei, Stahl und Stahlschienen u. s. w. (säintlich in erster Reihe aus Deutschland und England), Gummi lind Kautschuk (hauptsächlich aus England und Deutschland), allerlei Farbwaren, vorzüglich Indigo (ineist über Deutschland und (Österreich), Chemikalien (IM1, für fast ^? 3Uillionen Rubel), u. s. w. In steten, wachstun, begriffen ist der I'uport Iandwirtschaftli6>'r Geräte und Maschinen (zollfrei), sonstiger Maschinen und Maschinen-teile (^88^ für ^5 Millionen Rubel), Vlech«, Lisen- und ötahlwaren, Gußeisenwaren, Glas- und j?orzellaw waren, Tischler- und Drechslerarbeiten (Möbel aus Österreich und Deutschland; hoch verzollt), Javier (ans Deutschland und Osterreich), all der verschiedenen «Lrzeuguisse der Textilindustrie, welche etwa Zu drei vier° teilen Deutschland liefert, u. s. w. Schon diese flüchtige Skizze zeigt die bahnen, in denen sich der rnssische Handel bewogt: eineni massenhaften ^rport von Rohprodukten steht ein fast das ganze Gebiet der gewerblichen und industriellen Thätigkeit Rurländlschc Ncttlcr. umfassender gewaltiger Import von Halbfabrikaten und Fabrikaten gegenüber, während die russische Industrie erst nur schüchterne Versuche »nacht, sich an dem Welthandel zu beteiligen. Die rnssische I»dustric ist eben noch zu jung und dcr bedarf von fast ^lX) Millionen Einwohnern, den sie doch zunächst zu decken hat, auch bei den bescheidensten Bedürfnissen ein so großer, daß noch sehr viel Zeit vergehen muß, bevor durch die einheimische Produktion der ganze bedarf der Bevölkerung an jenen Fabrikaten, in denen sie jetzt noch vom Auslande abhängt, gedcckt werden wird und noch Überschüsse für den Export sich ergeben werden. Nach dieser kleinen Abschweifung kehren wir nach Riga zurück, um uun, nachdem wir die 5tadt salbst kennen gelernt, uns auch iu der Umgebung derselben ein wenig umzusehen. Die Umgebung Rigas ist nichts weniger als schön, weite Heidestächen wechseln mit ^andhügeln und Sumpfboden, uud wenn man auch in jüngster Zeit eifrig bemüht ist, Anpflanzungen zu schaffeu, wo immer sich solche anbringen lassen, so hat man doch den Dünenketten ihr ödes, trauriges Aussehen nicht nehmen können. Der Wanderer, der sich in das Gewirr von seiden, Wäldern und sümpfen vertieft, mag zwar hie und da Du dcr Vutterwoche auf ^ ^'raluätsplatz in ^ctcrsbul'g. Nach dcm 00l) überwiegend deutschen Einwohnern. Russen und Letten find dort nicht so zahlreich ansässig wie in Riga, aber an die Zeit der ehemaligen Verbindung Kurlands mit polen erinnern die etwa 5)000 Köpfe Zählende Judengemeinde und die vielen polnischen Namen. Nlitau hat eine sehr interessante Vergangenheit. Im Jahre ^27^ durch den Herrmeister Konrad von Medem gegründet, erlangte es als Handelsplatz rasa? große Vedeutung, da die Aa ziemlich tief war und viele Seeschiffe bis zur Stadt gelangen konnten. Erst als Riga unter schwedische Herrschaft kam, verlor Mitau seine frühere Vedeutung. Um den Handel Rigas von der unbequemen Konkurrenz Mitaus zu befreien, machten die Schweden die Aa durch versenken von steinen unfahrbar und zerstörten dadurch Mitaus Verbindung mit dem Meere. Für die Handelseinbuße fand Mitau erst später Ersatz in der Hofhaltung der Herzoge von Kurland und Semgallen, welche es zu ihrer Residenz wählten. Im Mitauer schloß wohnte die Witwe des Herzogs Friedrich Wilhelm, die russische Großfürstin Anna, bis sie auf den russischen Thron berufen wurde. Dann bezog die Räume des Schlosses ^ener Johann Ernst von Viron, den die Stände Kurlands auf ihr (Geheiß zum Herzog wählten, Er war bekanntlich der Sohn eines kurländischen Vauern, welcher ein adeliges Gut als Erbpächter inne hatte. Nachdem er in Königsberg seine Studien beendet, kam er nach Petersburg, wo er bald die Aufmerksamkeit der Herzogin Anna auf sich lenkte und ihre Gunst sich erwarb. Rasch von Stufe zu Stufe steigend, wurde Viron, der als Graf das Wappen der französischen Herzöge gleichen Namens annahm, eine der einflußreichsten Persönlichkeiten am Hofe der Kaiserin, ^737 Herzog von Kurland und später Vormund des Prinzen Iwan und Regent des Reiches. Seit ^722 war er mit einer Kurländerin aus der Familie Trotta, genannt Treyden, vermählt, die ihm zwei Söhne gebar. wie schnell nach dem Tode der Kaiserin Anna sein Stern erblich, ist bekannt. Er wurde am 20. November ^7H0 durch die Prinzessin Elisabet mit Hilfe Münnichs gestürzt und nach Sibirien verbannt. Herzog von Kurland wurde Karl von Sachsen, Erst die Kaiserin Katarina II. setzte Viron ^763 wieder in sein Herzogtum ein, dein er ein milder, wohlwollender Regent bis an sein Lebensende blieb. Vei der Einnahme Mitaus durch die Russen im Jahre ^706 war die alte Ordensburg völlig zerstört worden. Als Viron den Herzogssiuhl bestieg, ließ er von Rastrelli, dem Erbauer des Petersburger Winterpalastes, auf der Insel in der Aa, wo sich früher die Ordensburg erhob, einen großen Palast im Rokokostil erbauen. Die Gemächer, welche der Herzog einst bewohnte, sind noch erhalten und können besichtigt werden. Man sieht da sein mit chinesischen Tapeten ausgeschlagenes Schlafzimmer, den prachtvollen Villardsaal und eine Menge anderer Säle und Zimmer, von deren Fenstern aus man eine entzückende Aussicht auf den park und die Umgegend genießt. Ein Teil des Schlosses brannte ^788 nieder und ist nicht wieder anf« gebaut worden. «Zehn Jahre später wurde Mitau die Residenz des vor der Revolution aus Frankreich ge-fiohenen spätern Königs Ludwig XVtlI., der dort bis ^80^ lebte. Jetzt dient das Schloß dem Gouverneur und einigen Veamten zur Wohnung, mit Ausnahme einiger Gemächer, die als Absteigequartier für Angehörige des Kaiserhauses reserviert sind. Im rechten Flügel des Schlosses stehen m einem großen schmucklosen Raum auf einer niedrigen Estrade 50 Särge in hölzernen oder eisernen Sarkophagen. Diese Särge bergen die sterblichen Überreste der Angehörigen der beiden kurländischen Herzogshäuser, des Kettlerschen und des Vironschen. Früher konnte man alle Leichen sehen, in den sechziger Jahren kam aber plötzlich der Vefehl, die Särge zu schließen und eine Vesich' tigung der Leichen nicht mehr zu gestalten. Nur Virons Sarg ist jetzt noch geöffnet. Hundertzehn Jahre ruht der cinst allmächtige Günstling bereits in diesem Sarge, aber sein Körper hat sich ziemlich gut erhalten. Nur an der Nase bemerkt man eine leichte Verletzung, über deren Entstehung uns der Führer aufzuklären vormag. Der Veamte, welcher seiner Zeit das Verschließen der Särge beaufsichtigte, soll, auf Virons Sarg weisend, befohlen haben, denselben offen zu lassen. „Mag ihn ^eder sehen und ihm ins Gesicht spucken!" soll er gesagt 2U -------- 2^8-------- haben. Dieser Aufforderung kam dann bald darauf ein Besucher nach, indem er in patriotischer Entrüstung dem toten Herzog ms Besicht spie und ihm einen Faustschlag versetzte, dessen Spuren in dem mumienhaft zusammengeschrumpften Gesicht noch bemerkbar sind. Die Art und weise, wie jetzt mit dem Leichnam umgegangen wird, ist übrigens auch eine derartige, daß jedermann das „3^ trankt gloria mnn0 Roggen, 29 370 Gerste, 2l^2<.0 Hafer, 2020 Vuch» weizen, ^^^0 Schlagleinsaat, ^330 Hanfsaat, lF^0 Kleie, ^,2^0 Mehl, im ganzen, alle Exportartikel zu-sainmengcrechnet, H2? 530 Tonnen ->. ^000 Kilogramm. Am meisten empfindet Königsberg, da- vor dein Aufschwung Tibaus durch den russischen Getreideerport, dcn es an sich gezogen, so zu sagen ein russischer Hafen war, die Konkurrenz der Nachbarstadt jenseits der Grenze. Die Stadt liegt auf einer schmalen Nehrung zwischen der Gstsee und dem sogenannten Kleinen See. Ihre Bevölkerung — jetzt 27 000 — hat sich in wenigen Jahren verdoppelt, und der wachsende Handels» verkehr wird ihr in dcn nächsten Jahren noch viele Tauseude zuführen. Allmählich beginnt Tibau auch sein Äußeres dcn veränderten Verhältnissen anzupassen. Die alten einstöckigen Holzhäuser, sauber und freundlich, überwiegen allerdings immer noch in seinen Straßen, doch dazwischen erheben sich immer mehr stattliche Gebäude, die allen Anforderungen an Comfort, welche die Neuzeit stellt, entsprechen, kibau besitzt cine Navigations« schule, ein Gymnasium und auch ein Theater, dessen Existenz hauptsächlich die vielen Badegäste ermöglichen, welche die Stadt wegen der Seebäder besucheu. Zur Aufuahme der Vadegäste sind außer dem Aurhaus, welches 30 Zimmer enthält, eine Menge hübscher Villen vorhanden, mit denen das ganze Areal zwischen der Stadt und dem Strande bebaut ist. Tibau hat vor allen anderen russische» Gstseestädten den Vorzug des etwas mildern Klimas voraus, der beim Seehandelsverkehr schwer in die wagschale fällt, da die Eisfesseln, welche der Winter dein Hafen anlegt, inn drei Wochen früher als vor den anderen Häfen der Gstseeprovinzen und um fast sechs Wochen früher als vor der Ncwamündung schmelzen — ein Grund mehr, der zu Gunsten Tibaus sprach, als man den j?Ian faßte, einen großen Hafen in den ballischen Gewässern zu schaffen. Das ^?9 Kilometer von Tibau entfernte windau, an der Mündung des gleichnamigen schiffbaren Flusses gelegen, war einst auch für große Hafenbauten ausersehen, man wollte es in einen Kriegöhafcn verwandeln, aber die großen Sandablageruugen vor dem Hafen bewogen die Legierung, den j?lan aufzugebeu. Nordöstlich von windau ragt eine Tandzunge weit in das Meer hinaus und endigt in das Kap Domesnäs, anf dem sich ein Leuchtturm befindet. Kap Domesnäs gegenüber, von diesem nur durch eine 28 Kilometer breite Meerenge getrennt, liegt die Insel Gesel, esthnisch Kurre Saari, die Kranichinsel, genamtt, mit dem Leuchtturm Swalferort. Schon im ^3. Jahrhundert kurze Zeit von den Dänen beseht, kam die Insel ^559 durch Kauf von dein letzten Bischof von Gesel, Johann von Münchhausen, nochmals an Dänemark, wurde ^6^5 an Schweden abgetreten und ^72^ zugleich mit dem gegenüberliegenden Festlande mit Rußland vereinigt. Hinter den steilen, felsigen Küsteu der Insel breitet sich zum Teil bewaldetes Hügelland aus, das von vielen kleinen Flüssen durchschnitten wird. Infolge des mehrmaligen Wechsels der Landesherren sind Adel und Bütgerstand, sowie die Geistlichkeit deutscher, schwedischer oder russischer Abstammung, die große Masse der ^,2 000 Köpfe zählenden Vevö'lkerung aber gehört dem esthnischen volksstamm an. Neben Ackerball und Viehzucht treiben die Einwohner hauptsächlich Fisch' und Seehuudsfang. Der Söla.Sund trennt (Nesel von der Insel Dagö und ein kleiner Sund von der Insel Mohn. Gescl, Dagö, Mohn, das mitten im Nigaschen Meerbusen gelegene !tunö und noch emige kleinere Inseln an der esthnischen Küste bilden den 26^8 ^ Kilo» meter großen Kreis Arensburg des Gouvernements ^ivland, der seinen Namen von der auf Gesel gelegenen Stadt Arensburg, der einzigen der Insel (3^60 Einwohner), erhalten hat, in welcher ein vicegouoerneur residiert und der Adel sich alle drei Jahre zu den verfassungsmäßigen Veratungen versammelt. Die den Inseln im Mgaschcn Meerbusen gegenüberliegende lioländische Küste ist gleich Kap Domesnäs dicht bewaldet. Meilenweit erstrecken sich die Wälder, selten trifft man ein Rittergut oder einige Vauern> Häuser, noch seltencr eine Stadt. Städte sind in Civland so selten, daß auf ^00 I^j Meilen eine entfällt. Das waldige 3and, so unwirtlich es im allgemeinen auch erscheinen mag, hat aber doch auch seine landschaftlichen Seize, und nicht mit unrecht hat »nan den zwischen dem Meere und der Straße von Riga nach Wolmar 28" -------- 220 -------- gelegenen Teil die livländische Schweiz genannt. 2ln romantischen Oartieen ist dort kein Mangel, aber die livländische Romantik hat auch ihre argen Schattenseiten: die Aultur ist in diese „Schweiz" noch nicht eingedrungen, Vären und Wölfe hausen in den Fichten- nnd Birkenwäldern, Sümpfe, Seeen und reißende Bäche hennnen das vordringen. «Linen hübschen Anblick gewähren die schwimmenden Dnsein, die man dort häufig auf den Seeen erblickt. Das Wasser hat ein Stück ^and unterwühlt und losgerissen, und mit den Gebüschen und bäumen, die darauf wachsen, treibt es nun auf dem See umher, bis der wind cs wieder an eine Stelle der Aüste treibt, wo es sich in den ins Wasser ragenden Wurzeln der Bäume fängt und fest gehalten wird, oder bis dauern alls der Umgegend es mil Stricken ans ^and Ziehen und dort festbinden, um ihr Vieh darauf weiden zu lassen. Am zugänglichsten ist die livländische Schweiz von dem Städtchen wenden aus, wo die niedrigen Höhenzüge vielfach an die sächsische Schweiz erinnern. Mitten in den Wäldern liegen herrliche Schlösser des Iwländischen Adels in anmutigen Thälern. Auch Ruinen aus den Tagen des Ritterordens findet man häufig. Bei wenden liegt die berühmteste Ruine Tivlands, das Grdcnsschloß, in welchem der Herrmeister der Schwertbrüder residierte. Das Schloß wurde ^22H von dem Grdensmeister Volkwin von winterstedt erbaut und hieß „das Haus der heiligen Maria und ihrer Wrdensbrüderschaft". Unter Iwan wassiljewitsch ^57? saint der Stadt zcrstört, wurde es, obwohl der Grden sich seiner noch in demselben Jahre wieder bemächtigte, nicht mehr vollständig hergestellt und blieb Ruine. Spätere Besitzer waren der schwedische Kanzler Arel Gren-sticrna, der russische Minister Graf Vestuschew, und schließlich kam es an die in tivland reich begüterte gräfliche Familie Sievers, der es noch heute gehört, ^in hübscher f)ark umgiebt jetzt die Stätte, welche mit den Tagen des höchsten (Glanzes des Ritterordens eng verknüpft ist. In der protestantischen Kirche Zu wenden ruhen mehrere Herrmeister des (>)rdens, unter ihnen auch Walter von plettenberg. (>)stlich von wenden jenseits der Aa führt die Landstraße von Riga nach Dorpat, häufig durch Sümpfe (siehe Seite 2^2) und über niedriges, bewaldetes Hügelland. Auf der ganzen 2Hl, Werst langen Strecke treffen wir nur zwei Städtchen, wolmar (etwa 2600 Linwohner) und walck. Hinter walck bildet der (Lmbach die Grenze zwischen dom lettischen und esthnischen Sprachgebiet, aber die Gegend ändert sich nicht, endlose dichte Nadelwälder erstrecken sich zu beiden Seiten der Straße, bis man endlich in der Ferne den Dom von Dorpat auftauchen sieht. Run erst gewinnt die Landschaft ein anderes Alissehen. Lin hübsches Thal liegt vor uns, von grünen Hügeln begrenzt, durchströmt von dem schiffbaren Fluß lLmbach, der vom Tedla- und vom Wirtz>See herabkommt, nnd zu beiden Seiten des Flusses, über welchen zwei brücken, eine mächtige steinerne und eine hölzerne führen, breitet sich die freundliche alte Universitätsstadt aus, hoch überragt von der imposanten Domruine, die das Erste ist, was man von der Stadt erblickt, von welcher Seite »nan sich ihr auch nähern mag. Dorpat soll eine russische Gründung sein, und der Großfürst Jurji Jaroslawitsch wird als der Gründer genannt. Sicher ist, daß die Burg, welche früher an der Stelle stand, die Dorpat jetzt einnimmt, den Namen Jurjewgorod (Georgsstadt) führte. Darauf sind die früher (Seite 1^) erwähnten Forderungen Iwan IV. zurückzuführen, der Dorpat als alten russischen Bositz in Anspruch nahm und den rückständigen Tribut verlangte, von den Rittern wurde Dorpat schon im Jahre ^22^ besetzt, Im folgenden Jahre verlegte der Bischof von Teal seinen Sitz nach Dorpat und begann den Bau des Domes. Fast ununterbrochene Streitigkeiten zwischen dem Ritterorden und dem Bischof, auf dessen Seite gewöhnlich die Bürgerschaft staud, füllen die ersten zwei Jahrhunderte Dorpatscher Geschichte, während welcher Zeit die Stadt im großen und ganzen sich eines friedlichen Gedeihens erfreute. Dann aber kamen, wie für das ganze tand so auch für Dorpat, die Rriegsdrang-sale. Den ersten ernstlich gefährlichen Ansturm der Rnssen unter ^)wan III. schlug der Grdensmeister Walter von ^lcttenberg noch zurück, indem er sie in den Schlachten bei Fellin und Oleskau besiegte uud den schon erwähnten fünfzigjährigen Waffenstillstand erzwang. Dorpats Schicksale nach Ablauf dieses Waffenstillstandes haben wir bereits in der Geschichte der Gstseeprovinzen (S^ite ^^^ ^2, ^^) geschildert. In den ersten Jahren der russischen Herrschaft, noch bevor die Gstseeprovinzen definitw von Schweden abgetreten waren, erging es den Vorvätern recht schlecht. Man hatte sie beschuldigt, geheime Verbindungen mit Schweden zu unterhalten, und ^eter der Große ließ deshalb ^708 mitten im Winter die ganze Bevölkerung ins Innere des Reiches abführen, die Festungswerke niederreißen und die Stadt in Brand stecken. Lrst sechs Jahre später wurde den SopbiewRatkedrale in Nowgorod. -------- 223 -------- Schwergeprüften die Rückkehr zu den Ruinen ihrer Häuser gestattet, In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts legten dann noch große Feuersbrünste (^755, ^763, ^775) die ganze Stadt oder große Teile derselben in Asche, bis endlich der Bau hölzerner Häuser in der Stadt selbst untersagt und nur noch in den Vorstädten gestaltet wurde. Der Dom (siehe Seite 200) war schon seit ^598 Ruine. 3, welche für Reval 25 l,2H Einwohner ergab, hat sich die Veoölkerungs-zahl verdoppelt, wie denn überhaupt alle Handels- und Verkehrszentren der Gstseevrovinzen in den letzten ^0 bis 20 Jahren ein rapides Steigen der Bevölkerung zu verzeichne?, haben. Auch in Reval ist, wie in Riga und Dorpat, die deutsche Bevölkerung nicht der Zahl nach überwiegend — bei der Volkszählung von ^863 waren 6000 Deutsche vorhanden, dagegen ^3000 Esthen und 800 Schweden; der Rest waren Russen, ketten und Ausländer verschiedener Nationalität —, aber, obwohl der Zahl nach den Esthen nachstehend, repräsentiert doch das Deutschtum die Intelligenz, und die angesehensten und wohlhabendsten Familien sind deutsch. In den Kämpfen des Rigaer Bischofs Albert und der Schwertbrüder mit den Esthen und den von diesen zu Hilfe gerufenen Russen wurde im Jahre ^2lH die in der Bucht von Reval gelegene esthnische Feste Tindanissa von den Rittern zerstört und eine neue erbaut, um welche herum allmählich eine Stadt, das heutige Rcval, entstand, die sich schon ^23^ der deutschen Hanfe anschloß und rasch durch ihren Handel reich und mächtig wurde. Lange Zeit stand Reval unter dänischer Herrschaft, und unter derselben wurde es Bischofsitz, _____ 225 _____ erhielt vo», den Königen von Dänemark lubischcs Recht und von der Königin Margarete, der nordischen Semi» ramis, wertvolle Privilegien, das Deutschtum erstarkte aber auch unter dänischer Gberhoheit immer mehr und die dänische Einwanderung vermochte es aus seiner dominierenden Stellung nicht zu verdrängen. Die Stadt schied sich in zwei Teile, eine» dänischen und einen deutschen: Festung und Dom waren in den fänden der Dänen, die eigentliche Stadt deutsch. Dies hatte zur Folge, daß, als Ü.52H die Reformation in Reval Eingang fand, der Dom noch lange katholisch blieb, nachdem die Stadt bereits sich von Rom losgesagt hatte. Wir erwähnten bereits (Seite ^<)5), daß Reval kurz vor der Auflösung des Ritterordens, der ihm gegen die Russen und die aufständischen Vauern keinen Schutz mehr gewähren konnte, von dem Grden sich lossagte und Erich XIV. von Schweden huldigte. Gleichzeitig hatte der letzte katholische Bischof von Reval zu dunsten des Herzogs Magnus von Holstein, dem, wie wir wissen, auch die Insel Gesel zufiel, abgedankt, aber Herzog Magnus betrat nie Revalschen Voden, auf dein die Schweden sich rasch festsetzten. Nach sechswöchenllicher Velagerung über« gab der Grdenskomtur Gaspar Gldenbockum Festung und Dom den Schweden, und damit schwand die letzte Stütze, welche der Katholizismus noch im Revalschen (siebiete hatte. Eine stürmische Zeit folgte nun für Riga. wiederholt sah es feindliche Heere und Flotten erscheinen lind mnßte gar manches Vombardement über sich ergehen lassen, so ^56H durch dänische Kriegsschiffe, ^570 und ^577 durch die Russen, die es in ersterem Jahre 50 Wochen lang vergeblich belagerten. Unter russischer Herrschaft, unter welche es faktisch am 2^. September ^0 durch die Kapitulation des Rommandanten patkul, rechtlich durch den Nystadter Frieden von ^72^ gelangte, hat sich Reval wohler befunden als unter allen dieser vorangegangenen, von Peter dem Großen bis auf die jüngste Zeit haben fast alle russischen Herrscher ein lebhaftes Interesse an dem Gedeihen der Stadt gezeigt. Peter der Große, der ihre Privilegien bestätigte und sie zum Standort der Kriegsflotte machte, ließ sich sogar als Mitglied in die Schwarzhäuptergesellschaft aufnehmen, und seitdem haben alle russischen Kaiser der Gesellschaft als Ehrenmitglieder angehört, viele russische Kaiser und Kaiserinnen, Elisabet, Katarina II., Alezander I., Nikolaus I., haben Reval besucht, und diesen Vesuchen verdankt die Stadt gar manche segensreiche Einrichtung. Reval nimmt heute unter den Seehandelsstädten Rußlands die vierte Stelle ein. Es verdankt seine Vedeutung seiner ungemein günstigen tage, einerseits gegenüber dcm finnischen Hafenplatz Helsingfors, anderer» seils an der parallel der Küste nach Petersburg führenden Eisenbahn, durch welche es gleichsam ein äußerer Vorhafen der Residenz geworden ist. wenn die Newamündung noch von Eismassen versperrt ist, hat im Hafen von Reval oder wenigstens in den: etwas westlicher gelegenen Valtisch'port der Schiffsverkehr schon begonnen, und die Eisenbahn übernimmt dann in Reval die für Petersburg bestimmten Frachten, welche dem» selben auf dein Wasserwege noch nicht zugeführt werden können. Petersburg machte in der ersten Zeit seiner Gründung Reval bedeutende Konkurrenz, indem es sowohl einen großen Teil des Erports als auch des Tran-sithandels nach den inneren Gouvernements von demselben ablenkte, aber seitdem der Hafen Reoals durch große Hafenbauten verbessert worden und dieses auch durch eine Eisenbahn mit der Hauptstadt verbunden ist, wirkt die Nähe von Petersburg eher belebend als hemmend auf den Handel von Reval, der sich von Jahr zur Jahr steigert. Der Hauptimportartikel Revals ist jetzt Vaumwolle, in welchem Artikel seil, Import nur von jenem Havres übertroffen wird; ausgeführt werden Getreide, Flachs, Felle, Vorsten, wolle und andere russische Rohprodukte. Die alte Stadteinteilung Revals hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten: man teilt es in den Domberg, die obere Stadt, wo die Aristokratie wohnt nnd die kaiserlichen Vehörden ihren Sitz habe»', und in die Unterstadt, den Sitz des Handels und der Industrie. An letztere schließen sich, längs des Hafens sich hin» ziehend, die Vorstädte, meist von armen: Volk bewohnt. Die tage Revals ist entzückend, begeisterte Verehrer desselben haben sie sogar mit der tage Neapels verglichen. Im Sommer, wenn die ganze bucht, an der die Stadt liegt, von hellen» Sonnenglanz übergössen, die glänzende wasserstäche mit blinkenden Segeln bedeckt ist und ein klarer, wolkenloser Himmel sich über der tandschaft wölbt, mag allerdings manches an das alte parthenope erinnern, doch nur im Sommer, denn wenn die Zeit kommt, wo die Eisschollen im Hafen sich donnernd über einander türmen, ist Reval wieder eine völlig nordische Stadt geworden. Der herrlichen bucht verdankt es Reval auch, daß es in ganz Rußland als Seebad berühmt ist und Tausende während der Sommer» 29 226 -____ monate es besuche»,, teils um im Meere zu baden, teils uin die vieleu hübscheu Datschen iu der Umgebung der Stadt zu beziehen. Reval ist reich an Baudenkmälern aus alter Zeit, die durch ihre Schönheit uud durch die Reinheit des ötils deu Beschauer fesseln, so der hübsche schlanke Turm am Rathause, die ^329 erbaute Maikirche, wohl dic schönste der Gstseeprovinzen, deren ^5 Nieter hoher Turm der höchste in ganz Rußland ist, die Heiligcngeistkirche, die älteste der Stadt, die Nikolauskirche, sämtlich gothische bauten, uud das mit vielen Wappen geschtnückte Schwarzhäupterhaus, au desseu Facade tvir ivieder den uns schon von Riga her bekauuteu Mohrenkopf erblicken. Die Domkirche auf dem Doinberg dagegen erweckt unser Interesse durch die vicleu Grabdenkmäler berühmter Männer, die in ihr die letzte Ruhestätte gefuuden haben, u. a. Graf MaRusst'n, welche Nestor aus» drücklich von den Schweden, Normannen, Angeln und Goten unterscheidet, waren ein skandinavisches Volk, mit dem die alte 5tadt Nowgorod am wolchow jedenfalls schon sehr früh in lebhaftem Handelsverkehr stand. Die zu den Warägern gesandten Voten, erzählt Nestor weiter, sprachen zu diesen: „Unscr Tand ist groß und Der weiße Turm in Nowgorod. -------- 23^-------- hat an allem Überfluß, aber es herrscht keine Grdnung darin; kommt daher und herrschet über uns." Darauf zogen drei Brüder, Rurik, Sineus und Truwor, nut ihrem befolge über das Meer, um das ihnen angebotene tand in Vesitz zu nehmen. Der älteste, Rurik, ließ sich in Nowgorod nieder, dessen slavischen Ursprung Nestor wiederholt scharf betont, wie er erzählt, daß Nowgorod nun eine warägische Niederlassung wurde; Sineus zog nach Vjelo Osero und Truwor nach Isborsk, als aber bald darauf die beiden jüngeren Vrüder starben, wurde Rurik Alleinherrscher. Die von ihm gegründete Dynastie hat bis ^598 über Rußland geherrscht und dein kande fünfzig Großfürsten gegeben. Über den Namen Waräger-Russen ist viel gestritten worden. Man konnte sich lange Zeit über den Ursprung desselben nicht einigen. Im ^6. Jahrhundert war die Ansicht allgemein verbreitet, daß Rurik und seine Vrüder au^ dein preußischen littauen gekommen seien. Entsprechend dem Geschmack der damaligen Zeit, den Stammbaum eines Volkes bis zu einem berühmten Namen des Altertums zurückzuleiten, fand diese Ansicht um so mehr Veifall, als man die Attauer für Abkömmlinge der Römer hielt, weil man ihren Namen l^tvini mit I.ittmi, und den Ortsnamen Romowe mit Rom in Verbindung brachte. Erst seit dem Anfang dieses Jahr» Hunderts gewann auf Grund der Forschungen deutscher und skandinavischer Gelehrten die Anficht die Oberhand, daß die Waräger-Russen, welche nach Nestor „jenseits des Meeres her" kamen, zu denen die Abgesandten der Slaven, Rriwitschen u. s. w. „über das Meer" gingen, an der schwedischen Rüste zu suchen und daß fie Nor» manner seien. Diese zuerst von Schlözer aufgestellte Vehauptung ist später durch die Forschungen von Runik und Rafn ziemlich über allen Zweifel erhoben und durch die in den letzten Jahren von einen» russischen Gelehrten versuchte andere Deutung des Namens Ruß durchaus nicht widerlegt worden. Die Hauptgründe für die skandinavische Abstammung der Russen, welche von den Slaven freiwillig zu ihren Herrschern gewählt wurden, sind folgende: der Name, den die Finnen den Schweden beilegten, war Roß, und heute noch besteht für den Küstenstrich Upland die Venennung Roßlagen (Volk der Ruderer). Daß die Slaven die Schweden unter dem Namen kennen lernten, den ihnen die Finnen gaben, ist durchaus nicht auffällig, wenn man bedenkt, daß die Slaven weit entfernt vom Meere wohnten, die Finnen jedoch als Rüstenbewohner frühzeitig Gelegenheit hatten, die Schweden durch ihre Raubzüge kennen zu lernen. «Line Analogie bietet die russische Venennung Ritai für China: lange bevor sie mit China in direkte Verührung kamen, hatten die Russen dieses tand durch die Mongolen kennen gelernt und nannten es so, wie sie es von den Mongolen in deren Sprache nennen hörten, wir wissen ferner, daß schwedische Waräger auf ihren Raubzügen bis ins Mittelmeer und bis Ron° stantinovel kamen, wo sie im 9- Jahrhundert der griechische Raiser in seinen Sold nahm, und alte Runen, die in Schweden gefunden wurden, melden uns von dem Zug eines gewissen Ingvar, der nach Asien zog und dort den Tod fand — dieser Ingvar ist kein anderer als der russische Fürst Igor, der Sohn Ruriks, von dessen mißglückten: Zug gegen Ronstantinopel uns Nestor berichtet. Eine Menge altrussischer Namen verratet außerdem skandinavischen Ursprung. Luitprand, Vischof von Cremona, der zweimal als Gesandter nach Ron« stantmopel kam, hatte Gelegenheit, dort Russen zu sehen, und er erklärt ganz bestimmt, daß das Volk, welches die Griechen Russen (^t^) nennen, dasselbe sei, welches man in Italien als Normannen kenne. Nowgorod blieb nicht lange der Sitz der selbst gewählten Herrscher. Schon Ruriks Vruder Gleg ver« legte (880) denselben, dem Drang nach Süden folgend, nach Rijew, und in Nowgorod blieb nur ein Statthalter des Fürsten (nam^stnjik) zurück. Die Stadt, die gleich von Anfang an eine Ausnahmestellung unter den russischen Städten einnahm, wußte diese bald in eine gewisse Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu ver. wandeln. Das Volk ordnete seine inneren Angelegenheiten selbst in den Volksversammlungen, die auf dem wetscheplatz abgehalten wurden, wohin es die wetscheglocke rief und wo der Vürgermeister (possadnjik), dem die gleich ihm vom Volke gewählte» Richter (vc^aren) zur Seite standen, die Verhandlungen leitete. Gar oft hat während der Jahrhunderte langen Dauer der Nomgoroder Verfassung die wetscheglocke das Volk zur Versammlung gerufen, aber nicht immer war ihr Rlang die Aufforderung zu friedlicher Veratung, viel häufiger gab sie das Signal zu blutigen Stratzenkämvfen, zu Bürgerkrieg und Empörung. Jaroslaw I. (1M9 bis I.05H) gab den ^Nowgorodern ein geschriebenes Recht, die rußkaja vrawda, das später für ganz Rußland Geltung erlangte. Visher war noch die persönliche und Familienrache üblich gewesen, die sich mit den Satzungen des Christentums nicht vereinigen ließ. Das von Jaroslaw erlassene -------- 232 -------- Gesetz bestimmte nun: den Tod eines Mannes räche der Vruder, Hohn, Vater, die vettern oder die Neffen, sei aber keiner dieser verwandten am teben, also kein Rächer vorhanden, so habe der Mörder HO Griwen zu zahlen- für schlagen mit einem Stock, einer Stange oder dem Schwert, für das Abhauen der Hände, das Ausreißen des Vartes, für das Zücken des Schwertes, für das wegtreiben eines Rindes oder Pferdes wurden Geldstrafen festgesetzt- läugnete der Angeklagte, so sollten ^2 dazu gewählte Männer den Fall untersuchen. Durch diese Bestimmungen wurden die zahllosen Todschläge, welche bisher aus der Selbsthilfe entsprungen waren, eingeschränkt. von Jaroslaw I. erhielt Nowgorod zum Tohn für treue Dienste Freibriefe, welche die Grundlage seiner spätern freien Verfassung wurden. Diese Freibriefe sind nicht mehr vorhanden und über ihren Inhalt sind keine genauen Angaben auf uns gekommen, wahrscheinlich verlieh Jaroslaw der Stadt das Recht, gleich Kijew nur von den: Großfürsten abzuhängen (was man in Deutschland „reichsuumittelbar" nannte), in der Volksversammlung seine inneren Angelegenheiten selbst zu entscheiden und dem Fürsten nur eine bestimmte Abgabe zu zahlen. Nowgorod war die Wiege der russischen Herrschaft und beanspruchte daher, auch nach» dem es nicht mehr Residenzstadt war, einen Vorrang vor den anderen russischen Städten, woraus sich all» mählich ein Vewußtsein von Selbständigkeit entwickelte, das sich bald in den: Auftreten den Fürsten gegenüber zeigte. Nowgorod erkannte vier Jahrhunderte lang nur jenen Fürsten die Herrschaft über die Stadt zu, welche den Freibrief Jaroslaws beschworen. Durch ihre günstige 3age an der Handelsstraße von Skandinavien nach Griechenland und in der Nähe des Meeres reich geworden, konnte die Stadt ein Söldnerheer unterhalten, das bei den Rriegen der Teilfürsten unter einander oft eine wichtige Rolle spielte, aber auch Nowgorod große Gebiete im Norden des heutigen Rußland unterwarf. Am Anfang des XII. Jahrhunderts traten die Nowgoroder in Verkehr mit der deutschen Hanse, mit der sie zuerst auf wisby in Verührung kamen, und gestatteten auch deutschen Kaufleuten die Niederlassung in ihrer Stadt. So entstand der sogenannte Deutsche Hof in Nowgorod, neben welchem jedoch auch andere seefahrende Nationen, Z. V. die Schweden, ihre Faktoreien besaßen. Das war die Blütezeit Nowgorods. striche, auf welche der Großfürst einen Anspruch geltend machte, herausgeben, sich zur pünktlichen Zahlung der Abgaben verpflichten und versprechen, keine Verbindungen mit polen und ^ittauei, zu unterhalten. Alles dies hätte Nowgorod verschmerzen können, aber die auf seine Verfassung sich beziehenden Bestimmungen des ver« träges bracheu seine Kraft. Die Volksversammlungen wurden abgeschafft, bei Streitigkeiten zwischen dem Slalt-Halter des Großfülsten und dem possadnjik sollten die Nowgoroder den Großfürsten als obersten Richter aner» kennen, keine Verordnung ohne großfürstliche Bestätigung erlassen u. s. w. Kurz gesagt: die Freiheit Now» gorods war vernichtet. Als bald darauf wieder Streitigkeiten i>» der Bürgerschaft zu schlichten waren, kam der Großfürst auf Einladung eines Teiles derselben nach Nowgorod und hielt Gericht über die Ruhestörer. Durch die unparteiische Gerechtigkeitspfiege gewann er sich die Herzen Vieler, uud die Partei seiner Anhänger wnchs von Tag zu Tag. Wie man früher den Großfürsten geschmäht, so suchte man jetzt durch die demütigsten Schmeicheleien sich seine Gunst zu erwerben, und zwei Gesandte, welche die Stadt au seinen Hof gesandt, gebrauchten - ob aus eigenem Antrieb oder in Folge von Bestechung, ist nicht bekannt — in ihrer Ansprache anstatt des bisher gebräuchlichen Titels Gospodjin (Herr) den Titel Gosudar (Herrscher). Die Gelegenheit, sein Recht auf Nowgorod gegen jeden Zweifel sicher zu stellen, auf die ^)wan so lange gewartet hatte, war da. . Iaxuar ^78 huldigte,, die Großen und das ganze Volk Iwan als unumschränkten Herrn und Gebieter. Marfa Vorezka und sechs vornehme, deren unversöhnlicher Haß gegen Moskau bekannt war, wurden gefangen nach Moskau abgeführt- sonst wurde Niemand bestraft. Die alte Verfassung Nowgorods aber war zu Grabe getragen. Das Schlimmste stand jedoch Nowgorod noch bevor. (35 kamen die Tage Iwan des Schrecklichen. Der Zar, müde der Abschlachtung einzelner Unterthanen, begann von ^5(>9 an die Bevölkerungen ganzer Städte seine schwere Hand fühlen zu lassen, und auch Nowgorod ereilte sein Strafgericht. Deu äußern Anlaß zu der längst beschlossenen Vrandschatzung der immer noch reichen Stadt bot die erlogene Anzeige eines verkommeneu Subjektes, Lin Landstreicher aus Wolhynien, der in Nowgorod abgestraft worden, schwur der Stadt blutige Rache. Lr schrieb einen Vrief an den König von Polen, in welchem diesem die Unterwerfung Nowgorods angeboten wurde, setzte die gefälschten Unterschriften des Erzbischofs und einiger angesehenen Vürger darunter, versteckte den Vrief hinter dem Altar der Sophienkirche und eilte dann nach Moskau, dem Zaren anzuzeigen, daß man in Nowgorod sich mit verräterischen Absichten trage. Der ^rief wurde an der Stelle gefunden, die der, Elende bezcichuete, und Nowgorods Untergang war von diesem Augenblick an beschlossen. Am 8. Januar ^570 zog Iwan mit seiner Mördcrbande in Nowgorod ein. Die Scenen, die nun folgten, zu schildern, stränbt sich die Feder. Fünf Wochen dauerte das Morden, und dann begann eine allgemeine Plünderung. Ein pskowischer Chronist behauptet, daß damals 60 000 Menschen umgekommen seien, und die geringsten Angaben schwanken zwischen 1,2 000 und ^5 000. Unter Martern aller Art wurden die Einwohner hingerichtet. Man warf schließlich Männer, Frauen und Kinder gefesselt in den Fluß, auf welchem Kriegsleute in Kähnen herumfuhren und mit Fischerhakcn jene niederstießen, die nicht gleich untersanken. Nachdem die an Wahnsinn grenzende Wut des Zaren sich gelegt, ließ er aus jeder Gasse einen der noch am Teben gebliebenen Nowgoroder vor sich kommen und sprach zu ihnen i „Ihr Männer von Nowgorod, alle bis jetzt noch bebende! Vetet zum Herrn für unsere gottesfürchtigc Zarschaft und für die christliche Kriegerschaft, auf daß wir alle unsere Feinde, sichtbare und unsichtbare, besiegen!" Unermeßliche Veute wurde nach Moskau gesandt. von diesem Vlutgericht erholte sich Nowgorod nicht wieder. Ein nochmaliger versuch, von Nußland abzufallen, den es zur Zeit der Zwischenherrschaft wagte, blieb ohne Erfolg, und durch die Gründung von Petersburg verlor Nowgorod den letzten Nest von Bedeutung als Handelsstadt. Große Feuersbrünste, von denen es wiederholt heimgesucht wurde, beschleunigten seinen Ruin. Das heutige Nowgorod zählt nur ^5>l)00 Einwohner — ein unscheinbarer Überrest der Handelsstadt, von deren Größe und Volkreichtum die Chronisten nicht genug Zu erzählen wissen, wie groß die Stadt einst gewesen, kann man noch danach beurteilen, daß Klöster, welche jetzt etwa eine Meile von der Stadt entfernt liegen, sich einst innerhalb der Stadtmauern befanden. Die Stadt liegt an beiden Ufern des Wolchow, auf dem östlichen Ufer die sogenannte „Handels-Seite" (torgowaja storomi.), auf dem westlichen die „Sophien-Seite" (Sofijsknja storonll), welche durch eine von ^2 Granitpfeilern getragene brücke verbunden sind (siehe Seite 205). Auf der Sophien-Seite befindet sich der Kreml (Djetjinetz genannt), zu dem von der wolchow-^rücke eiue steile Straße cmporführt. Noch stehen die alten Mauern dieser Nurg, welche in den Jahren ^302 und I^OH errichtet wurden. Auf dem großen Kremlplatz fanden zur Zeit der freien Verfassung Nowgorods die Volksversammlungen (wetsche) statt, Jetzt erhebt sich in der Mitte des Platzes das von Mikeschkin entworfene Denkmal Ruriks, bekannter als Denkmal des tausendjährigen Bestehens des russischen Reiches (siehe Seite 236). Es wurde ^8<,2 bei der Feier des letztern enthüllt. Eine Erdkugel, auf der sich ein riesiges Kreuz erhebt, ruht auf dem mit Reliefs geschmückten Sockel, um welchen die verschiedenen Perioden der russischen Geschichte durch charakteristische Persönlichkeiten (Rurik, wladjmnr, Peter I. u. s. w,) dargestellt sind. Dem Denkmal gegenüber liegt das geist^ liche Konsistorium ^duchnwuaja konsist,'>ria) und hinter diesem der Palast des Erzbischofs. Schon in der alten Zeit wohnte im Kreml der Metropolit von Nowgorod, der wladyka, wie ihn das Volk nannte. Nahe dem erzbischöflichen Palast erhebt sich die Sophien-Kathedrale, die Kirche der Patronin der Stadt, der heiligen Sophie. Die Sophien-Kathedrale ist eines der ältesten Vaudenkmäler Nowgorods. Schon im ^). Jahrhundert stand an ihrer Stelle eine hölzerne Kirche, welche unter )aroslaw I. in den Jahren ^OHH bis ^05^ durch einen -------- 2^0 -------- großartigen Steinbau ersetzt wurde. Die Sophienkirche in Konstantinopel hat dcm Vauineister als Vorbild gedient und griechischem Geld ermöglichte den Bau: jene Summe, nut welcher Konstautmopel den Abzug der vor seinen Mauern erschienenen Russen erkaufte. In den sicbeu Jahrhunderten, die seit ihrer Erbauung über die ehrwürdige Kathedrale dahingezogen, sind an dieser nach zwei großen Bränden viele Nm- und Anbauten vorgenommen worden, die ihr Äußeres wesentlich veränderten. Den Hanpteingang an der Westseite zieren die berühmten Korsunschen Bronzepforten, die aus mit Bronze überzogenem Eichenholz verfertigt sind, welches in mehreren Feldern eine Menge sowohl biblischer als mythologischer Darstellungen und Porträts von Heiligen und Bischöfen enthält, ncben denen römische und slavische Inschriften angebracht sind. Die Herkunft dieser Pforten ist in Dunkel gehüllt. Es heißt, wladjimir der Große habe sie l) pult des Erzbischofs, über welchem drei kostbare lampen hängen, die nuttlere lant einer an ihr angebrachten Inschrift zur Zeit Boris Godunoffs verfertigt. Deu kaiserlichen Pforten im Ikonostas gegenüber stehen der Thron des Zaren und der Thron des Erzbischofs, reich vergoldet, mit Schnihwerk und Malerei verziert. Sie stammen noch aus der Zeit des Metropoliten Pinien und Iwan des Schrecklichen ^5?H)> ^" der Westseite der Kathedrale befindet sich eine durch große Bögen von dem eigentlichen Kirchenraum getrennte Vorhalle, deren wände nut Gemälden bedeckt sind, die Korsunsche Vorhalle genannt, weil dort früher das wunderlhätige Vild der Mutter Gottes von Therson aufgestellt war, „welches weinte, wenn Nowgorod gekränkt wurde". Ein Seitenstück zu deu Korsunschen Pforten, doch nicht so wertvoll und auch nicht so alt wie diese, sind die sogenannten schwedischen Thüren, durch welche man in die (Neburtskapelle gelangt, Sie stammen aus der schwedischen Stadt Sigtuna, von wo sie ^5>(> während eines Krieges entführt wurden, wertvolle Altertümer birgt auch noch die Schahkammer der Kathedrale. Außer der Sophien Kathedrale enthält der Kreml noch zwei Kirchen: die Kirche des heiligen Johannes (siehe Seite 235), eines Nowgoroder Erzbischofs, und die Erlöserkirche. In drei konzentrischen Bögen umschließen ihn die alten Festungsmauern, der Graben vor denselben und ein Kanal, der sein Wasser aus dem wolchow erhält und es an der Nordseite des Kremls wieder in denselben ergießt. Jenseits des Kanals zieht sich rings um den Kreml ein weiter platz, der zum Teil mit hübschen Anlagen, dem Stadtgartcn, bedeckt ist. In dcn Anlagen zeigt man noch neben dein Schloßgraben die Stelle, wo einst das Haus jener Marfa Vorezka stand, deren Intriguen und Hetzereien gegen Rußland der Stadt so verhängnisvoll geworden find. Ein kleiner Pavillon erhebt sich jetzt dort, wo vor 7i^0 Jahren die Anhänger der alten freien Verfassung bei der reichen patrizierwitwe sich zu vorsammeln pflegten. Wenn wir den Kreml durch das sogenannte preußische Thor verlassen, erblicken wir in der Mitte des vor uns liegenden Platzes ein großes Denkmal, welches zur Erinnerung an die glückliche Abwehr der französischen Invasion von ^8^2 errichtet wurde. Beim Stadtpark beginnt die Hauptstraße der Sophien-Seite, welche den ganzen Stadtteil durchschneidet, die große Petersburger Straße (bolsch^ja peterburgskaja). Am Eingang derselben liegt rechter Hand an der Ecke der Sadowaja das kaiserliche Palais. Die Straße führt bis zum alten Stadtwall, der wiederum, gleich dem Kreml, von einem Graben und einen: Kanal umschlossen ist. Der größere Teil der alten Stadtbefestigungen ist nun abgetragen, und was noch vorhanden, ist kaum der Beachtung wort. Nur ein alter Turm, der söge« nannte weiße Turm (siehe Seite 22)) gegenüber der Südvorstadt verdient einen besuch. Die auf dem andern Ufer des Wolchow gelegene Handels-Seite wird durch einen traben und Kanal in zwei Teile geteilt, In dem südlichen Teil befindet sich die zweite Hauptkirche der Stadt, die Snamensky« Kathedrale (siehe Seite 2^3). Unter den vielen Kirchen Nowgorods nimmt die Snamensky-Kathedrale eine hervorragende Stelle ein. Der fetzige Van stammt ans dem Jahre ^688; er wurde an Stelle der ^335 zur Erinnerung an ein durch das Muttergottesbild vollbrachtes wunder erbauten alten Kirche errichtet, die sechs Jahre vorher wegen Vau-fä'lligkeit abgetragen werden mußte. Das wunderthätige Muttergottesbild ist auch heute noch der größte Schatz der Kirche. Die heilige Maria ist betend dargestellt, mit gefalteten Händen, während das an ihrer Vrust ruhende Christuskind in der linken eine Papierrolle hält und die Rechte segnend erhebt. Unter dem linken Auge der Maria sieht man ein Toch, welches eine Kugel verursacht haben soll, die das Vild traf, als es während der Velagerung durch das Heer des Fürsten von Susdal auf die Stadtmauer getragen wurde. Die Belagerung der Stadt ist unter den beiden Figuren abgebildet. So alt, wie es der Überlieferung nach sein soll, ist aber das wunderthätige Vild nicht; cs ist kamn früher als im ^6. Jahrhundert gemalt worden. In der Hauptstraße der Handelsseite von Nowgorod, der Volschäja Iljinskaja, in der sich die Sna° mensky-Kathedrale befindet, steht ein zweites Haus der Marfa Vorezka. Außerdem treffen wir dort viele neue stattliche Gebäude, die Post, die Telegraphenstation, das Polizeigebäude u. s. w. Die Ihinskaja, welche pro« spcktartig den Stadtteil durchschneidet, entlang schreitend, kommen wir wieder zur wolchow'Vrücke. Den platz vor der Vrncke schließen heute große Gcbäude ein: das Rathaus, in welchem sich ein Altertümer-Mnseum befindet, die Metropolitan-Kirche, der sogenannte Wetsche-Turm und der gostjinny dwor. Als Nowgorod noch freie Handelsstadt war, befanden sich hier die Höfe der fremden Kaufleute, der Deutsche und der Pleskauer Hof, und in der angrenzenden, sogenannten slavischen pjat^ina konzentrierte sich der ganze Handelsverkehr der Stadt. Auf dem platz vor der Vrücke stand auch ein hoher Turm, in welchem die Wetsche-Glocke hing, welche die Bürger zu den Versammlungen rief. Der platz hieß damals Jaroslaws Hof, weil im ^. Jahrhundert auf demselben eine Vurg des Fürsten Jaroslaw gestanden. !)on der brücke, die unter Kaiser Alexander II. erbaut wurde, geuießt man eine schöne Aussicht auf die malerisch an beiden Ufern des wolchow gelegene Stadt und auf den HO Werst langen Ilmeu»See. «Line Menge wasserreicher Flüsse und Väche ergießt sich in diese»: See: von Süden kommt der Lowat, von Südwest der Schelon, an dessen Ufern die Nowgoroder einst die schwere Niederlage erlitten, von Nordost die ÜNsta, gleich dieser von den waldaibergen her der Polomet, und häusig bewirken die Gebirgswasser ein Austreten des Sees aus seinen Ufern. Das Wasser des Ilmen-Sees ist immer trüb, geschwängert mit den 23odenbestand« teilen, welche die Gebirgsbäche ihn: zuführen, und deshalb hieß sein Abfluß, der wolchow, früher „der Trübe" (mutny). Dampfschiffe befahren heute den Ilmen-See, den wolchow uud kowat, und längs der Westufer des Sees führt die Eisenbahn hin. Als Nowgorod noch Freistaat war, befanden sich der Stadt gegenüber am andern Ufer des Sees bei Stara^a Russa große Salinen, welche Nowgorod gehörten. Mit der Oberhoheit Nowgorods über seine Umgebung fand auch die Ausnutzung der Salinen ein L»de, da die Stadt Stara^a Russa von Iwan dem Schrecklichen zerstört wurde, und erst im vorigen Jahrhundert begann man die Salzquellen wieder auszubeuten. Die jährliche Ausbeute belrägt ^etzt zwar nur 2H00 Tounen, aber Staraja Russa ist doch eine in raschen, Auf« blühen begriffene Stadt, dank seinen Soolbädern, die in ganz Rußland berühmt sind und die Wirkung von Franzensbad und Kreuznach vereinigen sollen. Das Wasser der ältern, der sogenannten Direklionsquelle, hat 9 bis ^" K., ist geruchlos und besitzt bei völliger Klarheit einen bittersalzigen Geschmack; das der neueren Murawjeffschen (Huelle, welche als Fontäne in einer riesigen Steinoase aufsteigt, erreicht ^0,8" K., riecht dagegen nach Schwefelwasserstoff. Die Väder von Staraja Russa werden erst seit den zwanziger Jahren dieses Jahr» Hunderts benutzt und Wannenbäder sind erst seit ^83? eingerichtet. Der Überschuß des Wassers der Mura> w^effschen Duelle sammelt sich in einem großen Vassi», das rings mit Kolonnaden umgeben ist und mit kleinen Kähnen befahren werden kann; die Direktionsquelle stießt in einen See ab, der sich hinter den Vadegebäuden 2; _____ 242 _____ befindet. Außer den Soolbädcrn giebt es in Staraja Russa noch Fichtennadel« und Dampfbäder. Die greise der Bäder sind nicht hoch: ein Soolbad kostet HO Kopeken, ein Dampfbad 50, ein Moorbad 70, ein kaltes Bad 1^0 Kopeken. Anfangs befanden sich die Väder in Staatsregie, vor etwa fünfzehn Jahren aber wurden sie einem dortigen Arzte übergeben, der jetzt von der Legierung eine jährliche Subvention von ^2 00(1 Rubel Silber erhält. Die Legierung hatte vorher die Stadt aufgefordert, die Väder zu übernehmen, diese jedoch lehnte das Anerbieten ab, was die Stadtväter, nachdem das Bad einen so bedeutenden Aufschwung gewonnen hat, zu spät bedauert haben. Die Badegebäude sind noch fast sämtlich von Holz, ebenso wie die Badewannen; in jeder Stube befindet sich ein <3)fen, um bei jeder Witterung eine angenehme Temperatur im Baderaum erzeuge»« zu können, aber alle Badeemrichtungen lasseil noch viel zu wünsche»: übrig. Man hört klagen, daß jetzt so gut wie gar nichts für das Bad geschehe, trotzdem die sireise höher sind als früher. Die Badeanstalt liegt in völlig öder, kahler Gegend, ein Garten beim Hause ist eine Seltenheit, und das einzige freundliche Plätzchen in der Nähe ist der j^ark, wo übrigens, wenn der hier sich schon sehr fühlbar machende Nordwind weht, der Aufenthalt auch kein angenehmer ist. Im siark veranstaltet die aus 20 Musikern bestehende Bade» kapeile Konzerte, und in« Kurhaus finden zweimal wöchentlich Tanzunterhaltungen statt. Auch ein Theater befitzt das Bad, in welchem eine Wandertruppe Vorstellungen giebt. Die Stadt Staraja Rnssa zählt etwa ^5000 Einwohner. Der Sage nach gründete sie Ruß, ein Urenkel ^aphets und Bruder des Fürsten Slowen, der die Stadt Slowensk gegründet haben soll, und die bei Staraja Russa in den Ilmen-See sich ergießende,, Flüsse siornssja und siolista sollen ihren Namen von der Gemahlin und der Tochter des Ruß erhalten haben. Steinbauten sind in Staraja Russa selten, die Straßen aber regelmäßig angelegt und gepflastert, n»d fast bei jedem Hause befindet sich, was man in dem Badeorte so sehr vermißt, ein Garten. vo», Denkmäler», der Vorzeit ist wenig vorhanden. Unter den ^<) Kirchen und Klöstern ist das ^ ^)<, gegründete Spaßky>Kloster das älteste, die Auferstehungskirche die schönste unter den Kirchen. Nordwestlich von der Stadt liegen an der siolista die Salinen. Die jetzt vorhandenen !^9 Gradier» werke wurden ^??^ unter Katarina ll. angelegt. Das hier gewonnene Salz ist unrein und enthält viel Gyps, wohl der Hauptgrund, weshalb die Salinen »licht in Flor kommen «vollen. Unter den Dämpfen, welche die Gradierwerke entwickeln, hat man i», der Stadt sehr zu leiden. Die Tust ist mit denselben so geschwängert, daß das Atmen erschwert wird. Eine andere Schattenseite der Stadt ist der Wassermangel. Da das Fluß» wasser übelriechend und untrinkbar ist, hat man Trinkwasser aus einer «Lntfernung von 2 Werst nach Staraja Russa leiten müssen. Außerdem bringen Bauern Trinkwasser zum verkauf nach der Stadt. Die einförmige, wenig anziehende Landschaft, die man bei Staraja Russa vor sich hat, ändert sich erst, wenn man sich den Waldai-Höhen nähert, jenen östlich vom Ilmen-See sich hinziehenden niedrigen Hügelreihen, welche die Wasserscheide zwischen dem baltischen uud dem wolgagebiet bilden, von den Waldai-Höhen, die man jetzt bequem mit der Lisenbahn über Nowgorod und wolchow erreichen kann, kommt die Wolga, und auf ihnen entspringt auch ei»« großer Teil der Flüsse, welche sich in den Hlmen» uud tadoga»See ergieße»«. Große Urwälder sind dort noch vorhanden, in denen Bären und Wölfe hausen und in denen nur selten die Art des Holzfällers erklingt, welche neue»» Ansiedlern den weg bahnt. Nur ein unbedeutender Teil des Waldes ist bisher ausgerodet und in Acker- und Wiesenland verwandelt worden. Meilenweit erstrecken sich dort noch die Moräste, und große Streckeil fährt »nan auf Knüppeldämmen, die über den sumpfigen Boden gelegt sind. Unermeßlich ist der Wasserreichtum, den diese Wälder, ein wahres Riesenreservoir, enthalten. Überall vernimmt man das Rauschen der thalabwärts eilenden (Duellen oder sieht große Seeen durch das Taub der Väume schimmern. Stundenlang kann »nan durch die Wildnis wandern, ohne einem Menschen zu begegnen, und erblickt man endlich einen, dann kann man auch sicher sein, daß ein Dorf oder wenigstens ein Meiler in der Nähe ist. ^)n die dichtverwachsenen mnerstei, ^artieen der Waldai»Höhen, die völlig den amerikanischen Urwäldern gleiche»«, ist wohl sehr selten eines Menschen Fuß gedrungen. Dort sind die vierfüßigeu und die befiederten Bewohner des Waldes noch «»»gestörte Alleinherrscher. Raben und Krähen schweben kreischend über den Baumwipfel»,, bei Nacht nnfcht sich mit dem einförmigen Ruf der Eule das Heulen der Wölfe, von fern her vielleicht der sififf der Lokomotive, und krachend stürzt dann und wann einer der morsch gewordenen Vaumriesen zusammen. _____ 243_____ Waldai-Verge „emit man eigentlich nur die Höhen in der nächsten Umgebung der Stadt waldai, deren höchster Gipfel die Popowa Gora (soviel wie: Pfaffenberg) ist. Die gesamten Hügelreihen, die sich auf der Alaunischen Hochebene erheben, faßt man unter dem Rainen wolchonsky-wald zusammen. Die Stadt waldai, der Sitz der Behörden des gleichnainigen Rreises in« Gouvernement Nowgorod, liegt am Ufer des freundlichen, mit einer Menge waldiger Inseln übersäeten Waldai-Sees. Auf einer der Inseln befindet sich ein berühmter Wallfahrtsort, das Iwcrskv - Kloster, ^652 voin Patriarchen Nikon erbaut. Die Stadt waldai zählt nur etwa IOOO Einwohner, aber es ist ein rühriges Völkchen, das hier mitten in den Vergen wohnt. Die Kringel (baranki) von waldai sind berühmt, noch mehr aber die wagenglöckchen, die hier verfertigt werden und in ganz Rußland Räufer finden. Die Waldai-Höhen bilden nach Osten die Grenze des Gouvernements Nowgorod; Waldungen und Moräste, durch welche die Bandstraße von wilna nach St. Petersburg, ein großartiger Straßenbau, dahinführt, schließen es auf der Westseite ein. Dort beginnt das Gebiet einer Stadt, welche einst sich einer ähnlichen Verfassung wie Nowgorod erfreute, die es zu gleicher Zeit wie jenes, wenn auch unter weniger entsetzlichen Umständen, verlor: Pskow, deutsch pleskau genannt. Der Sage nach von der Gemahlin Igors, der Großfürstin Olga, 9?^> gegründet, wurde pskow bald eine bedeutende Handelsstadt und trat später der deutschen Hause bei. Gleich den Nowgorodern hatten die pskower ihren wetschcplatz und ihre wetscheglocke, wählten ihre Fürsten selbst und sehten sie auch wieder ab, wenn sie mit ihrer Legierung unzufrieden waren. Auch pskow gebot über ein großes Heer, das in den viele»» Fehden der Stadt mit den« deutschen Orden lind den Schwertbrüdern eine wichtige Rolle spielte. Die Vlüte-zeit pskows war das ^3. Jahrhundert. Damals hatten die Vürger den tapfern Dowmont, einen littauischen Fürsten, der als Flüchtling in ihrer Stadt weilte und dort sich taufen ließ, zum Fürsten gewählt. In jene Zeit fällt die berühmte Schlacht bei Wesenberg <^2 dunkle gekräuselte Haar und das gelbliche Gesicht mit den scharf geschnittenen Zügcn verraten auf den erstcn Vlick die orientalische Abstammung. Die Stirnlocken, die Payes, die man noch bei den galizischen Jude» fmdet, sind im ehemaligen Königreich polen verschwunden, das Tragen derselben ist verboten, und sie sind dort, wo sie nicht freiwillig abgeschnitten wurden, durch polizeiliche Exekution beseiligt worden. Das ist neben dcn immer 32 3chnittcrfcst in Aloimich^nd. -------- 25; -------- häufiger vorkommenden hohen stiefeln, welche die Schuhe und Kniehosen verdrängt habe»,, die einzige Änderung, die sich im Äußern des polnischen Duden seit Jahrhunderten vollzogen hat. Seme Kleidung ist immer noch der lange Kaftan oder ein fast bis zu den Ferse», reichender Tastiugrock, dessen Unsaubcrkeit aller Beschreibung spottet. Die Frauen stehen den Männern an Nnreinlichkeit nicht nach. Line», seltsamen Anblick gewähren die reicheren Frauen, die mit putz aller Art, darunter oft kostbarer Schmuck von Diamante», und perlen, behängen, im übrigen aber schmutzig und zerlumpt wie Bettlerinnen sind. Unter den Mädchen findet man häufig große Schönheiten, aber die Reize der Jüdin verwelken rasch, und sobald sie verheiratet ist, verunstaltet sie noch die häßliche Sitte, der Frau das Haar abzuschecrcn, die dann den kahlen Scheitel mit einer perrücke bedeckt, über welcher sie cine nut falschen oder echten Stemen geschmückte Haube von unschöner Form trägt. Den Gipfelpunkt der Unremlichkcit erreichen aber die Wohnungen dieser Q'ute, mit mephitischen Düften ge° schwängerte Höhlen, wahre Brutstätten epidemischer Krankheiten, des notdürftigsten Hausrats entbehrend, in denen oft mehrere Familien in einem Raum schlafen, der kaun» für eins groß genug ist, auf allerlei übelriechenden Lumpen auf dem Boden ausgestreckt, Alt und Jung, Männer, Frauen und Rinder bunt durch einander. Die Vorliebe der polnischen Juden für den Knoblauch trägt auch dazu bei, den längern Aufenthalt in von ihnen bewohnten Räumen jedem Nichtjuden unmöglich zu machen. N)er deshalb den polnischen Juden für arm halten würde, der befände sich in einem großen Irrtum. Der polnische Jude mag noch so wohlhabend werden, seine Kleidung und seine Lebensweise wird er deshalb nicht ändern; seinen sich mehrende», Reichtum wird höchstens der Schmuck seiner Frau verraten. Mäßigkeit ist eine seiner hervorragendsten Eigenschaften, aber er treibt sie bis zum Darben und Hungerleiden, lim keinen preis würde er auch eine Speise genießen, die nicht „koscher" ist, und wenn ihu sein Beruf in Gegenden führt, in denen er keine Glaubensgenossen findet, also auf die Rost in einem christlichen Hause, bei einem „Goi", angewiesen wäre, begnügt er sich lieber mit einem Stück harten Vrot, das er in der Tasche von Hause mitnahm, und mit einigen Zwiebeln. Die russische Regierung hat mit unnachsichtlicher Strenge schon manchen verrotteten Zuständen in der Judenschaft, die mit der modernen Kultur unvereinbar waren, ein Ende geinacht, aber die Judenwirlschaft in pole», ist ei»» Augiasstall, zu dessen Reinigung die Kräfte einer Generation nicht genügen. Als die Regierung die bei den Juden üblichen frühzeitigen Heiraten verbot, geriet das ganze Judentum Polens in die heftigste Aufregung und das wehklagen wollte gar kein Ende nehmen. Und doch war das verbot dringend nötig gewesen. Sehr häusig kam es vor, daß Heirate»» schon im Alter von ^2 Jahre»» geschlossen wurde»», wo beide Teile noch gar nicht fähig waren, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die junge Frau spielte noch mit ihren puppen, der zwölfjährige Hausvater saß auf der Schulbank und balgte sich mit den anderen Dorfjungcn herum. Die Verwandtschaft ernährte das paar so lang^ bis es selbst auf Erwerb ausgehen konnte; Braut und Bräu» ligam wohnten die ersten Jahre bei den Eltern der Braut, dann kamen sie zu den Eltern des Bräutigams. Immerhin übte»» diese frühzeitigen Heiraten auf die körperliche Eiltwicklung der Nachkommenschaft keinen guten Einssus; aus, und die viele»» schwächlichen Gestalten, denen man begegnete, waren unbedingt eine Folge des frühzeitigen geschlechtliche», Zusammenlebens. Im ehemaligen Königreich polen war der Jude in der Gestalt, in der er sich präsentierte, ei», unvermeidliches Übel. Er hat, wie wir weiter unten sehen werden, eine wichtige Rolle gespielt, und er spielt sie zum Teil auch heute noch, denn der leichtlebige polnische Edelmann, in dessen Kasse ei», chrouischer Mangel an barem Gelde herrscht, kann auch jetzt noch den allezeit mit Geld versehenen Retter in der Not »licht entbehren. Der polnische Jude treibt entweder Hausierhandel oder hält einen Vraniltwoinschank. Als Hausierer kauft er Alles, was halbwegs noch wert hat, und verkauft Alles, was man zu kaufen wünscht, ist Unter« Händler und Vermittler, kurz gesagt, für Teute, welche auch eine kleine Mühe scheuen und nicht viel nach dem preise einer Ware fragen, eine schätzenswerte Persönlichkeit. Als Pächter der Vrantweinschenke weiß er sich bei den Bauern ebenso einzuschmeicheln wie bei dem Edelmann und bringt bei ihnen seine schlechte Ware ebenso zu guten preise», an den Mann wie bei jenem. Das sind Verhältnisse, die — eben nur in polen möglich sind, wo der Bauer an den jüdische», Händler ebenso gewöhnt ist wie der Edelmann. Ein Fall aus der Regisrungs-Zeit Alexander II. wird uns zeigen, wie wesentlich verschieden die Stellung der Jude»: im ehemaligen Königreich 22* _____ 25? _____ polen von iener ihrer Stammesbrüder ist, die sich in den angrenzenden Gebieten mit russischer Vevölkeruug niedergelassen haben. Als Raiser Alezander II. dcn j)lan gefaßt hatte, die das Volk ruinierende Verpachtung des Vrannt« weinmonopols aufzuheben, und es bekannt wurde, daß die vorarbeiten für Einführung des neuen Accisesystems energisch betrieben wurden, beschlösse», die Branntweinpächter, in der kurzen Frist, die ihnen noch blieb, die (üitrone Mm'kt in Warschau. mit Macht auszudrücken. Der Vranntwein verschlechterte sich in geradezu gräulicher Weise, und die greise für dieses erbärmliche Getränk wurden um ^0U, um 200"/^ in die Höhe geschraubt. Die Pächter glaubten ihre Leute zu kennen und rechneten auf die Neigung des gemeinen Mannes zum Trunk; sie waren fest überzeugt, daß das Volk den schlechtern und theilerern Branntwein ebenso konsumieren werde wie früher den guten und billigen, öie hatten sich aber arg vorrechnet: wie ein Mann lehnte sich das Volk gegen eine solche Ausbeutung auf, überall entstanden Verbindungen, die sich verpflichteten, keinen Tropfen Vranntwein mehr zu trinken, und ^^^, 253 _____ die ihre der Verpflichtung untreu werdenden Mitglieder mit Geld» und Teibesstrafen bedrohten. Die Pächter sahen sich in ihren Erwartungen getäuscht, die Schenken blieben leer, und statt des erhofften großen Gewinnes erwuchs ihnen aus ihrer unsaubern Manipulation Schaden. Einige Pächter ließen vranntweinfässer auf die Straße rollen und den Branntwein ^edem, der trinken wollte, umsonst anbieten, um den Mäßigkeitseifer, der- Littauischer ^xwcr und Bäuerin. sich plötzlich des Volkes bemächtigt hatte, zu erschüttern, aber die dauern blieben standhaft, öo mußten denn die Pächter schließlich zu den alten greisen und der alten Dualität zurückkehren. Der eigentümliche, über hun« derte von Meilen sich erstreckende Strike — oder vielleicht richtiger gesagt: die Mäßigkeitsbewegung — hatte gesiegt. -------- 25H -------- So weiß sich der Nüsse die Blutsauger vom Halse zu halten, von denen sich das polnische Volk gewohnheitsmäßig ruhig ausbeuten läßt. Trotzdem ist er nicht der Judenfeind, als den man ihn nach den in Südrußlaud vorgekommenen Judenverfolgungen im Auslande zu brandmarken versucht hat. Der Russe haßt überhaupt niemanden seines (Glaubens wegen, in seinen« Tand kann jeder nach seiner Fa^on selig werden, mag er Jude, Mohamedaner oder Heide sein. Die russischen Judenverfolgungen fallen nicht dem russischen Volke zur Tast, an ihnen waren die Juden selbst schuld, oder richtiger gesagt die Verhältnisse, in denen sie inmitten der christlichen Bevölkerung leben. Man beschäftigt sich in neuerer Zeit in Rußland viel mit der Judenfrage, und hat den Ursachen nachgeforscht, welche so beklagenswerte Erscheinungen hervorgerufen haben. Die Zeitung „Nowosti" plaidierte vor kurzem für die Freizügigkeit der Juden, und sie fand mit diesem Vorschlag vielen Beifall in der russischen presse. Die russische St. Petersburger Zeitung betonte es ausdrücklich, daß dem russischen Charakter jeder feindselige Zug anderen Culten gegenüber fehle, und kam nach einer längern <3r-wägung der Frage zu dem Schluß, daß die Juden durch den Mangel der Freizügigkeit gezwungen seien, zu ihrer Lebenserhaltung eng beisammen zu wohnen, und daß dies zu einem geschlossenen Auftreten der christlichen Bevölkerung gegenüber führe. Außer Warschau, in welchen: die Judenschaft einen kolossalen Bruchteil der Bevölkerung bildet, findet man Juden auch in allen Landstädten, und viele Städte haben ausschließlich jüdische Bevölkerung. Für den iu polen reisenden Deutschen sind die Juden von großen: vorteil, da sie fast ausnahmslos deutsch sprechen, allerdings häufig ein solches kauderwelsch, daß man sie kaum versteht. Linen interessanten Anblick gewährt eine ausschließlich vc>n Juden bewohnte Stadt am Freitag Abend, dem Vorabend des Sabbats. Da jeder, auch der ärmste Jude, an diesen: Abend mehrere Achter anzündet, die Fenster aber nicht verhüllt oder mit Tädeu verschlossen sind, so strahlt aus allen Häusern Ticht auf die Straße, wie bei einer Illumination. Da werden auch noch all die eigentümlichen jüdischen Feste, die bei uns still und unbeachtet vorübergehen, in der Öffentlichkeit und einzelne mit festlichen Aufzügen gefeiert. Ungemein lustig geht es im jüdischen Karneval zu, im Schuschan purim, der noch vor einigen Jahrzehnten auch in Böhmen gefeiert wurde, jetzt aber auf polen beschränkt sein dürfte. Den ganzen Tag bis spät in die Nacht ziehen Masken durch die Stadt, auf den: Markt-platz wird vielleicht das Ahasverosspiel aufgeführt, in welchem der König Ahasvcros, die mit Gold- und Silber-schmuck behängte «Lsther und der böse Hainan die Hauptrollen spielen, Musik ertönt überall, in jeden: Haus ist eine festliche Tafel angerichtet, und jeder, der kommt, ist als Gast willkommen. In: Herbst wird Sukolh gefeiert, das Taubhüttcnfest. In: Garten beim Hause wird aus Stangen das Gerüst der Laubhütte hergestellt, die wände nut rotem Tuch bekleidet, Retten von farbigem Papier von Stange zu Stange geschlungen, grüne Zweige mit vergoldeten Nüssen dazwischen befestigt und das Dach mit frischem Taub bedeckt, jedoch so, daß man durch die Zweige Himmel und Sterne sehen kaun. In dieser Hütte hält sich nuu die Familie während der ganzen Dauer des Festes auf, hier verrichtet sie ihre Andacht, hier empfängt sie Besuche und nimmt ihre Mahlzeiten ein. In solchen kleinen Städten tritt das Judentum ganz anders auf als in jenen, in welchen es einer überwiegenden christlichen Bevölkerung gegenübersteht. Hier ist der Schacher nicht mehr die Hauptbeschäftigung, man trifft auch Handwerker aller Art, Bäcker, Fleischer, Schuhmacher, Kürschner, Schneider, die als fleißige und geschickte Arbeiter bekannt sind. Daneben blüht allerdings der Kleinhandel, welcher den: in die Stadt kommenden Bauer alles liefert, was er in seiner wirtschaft braucht, und alle Branntweinläden und sonstige»: Schenken sind in jüdischen Händen, Der Kleinhandel der Juden ist einer der ärgsten Krebsschäden der polnischen Zustäude, da durch denselben der Bauer förmlich ausgesogen wird; bares Geld besitzt der Bauer selten, er giebt daher für die Ware, die er bei dem Händler kauft, die Erzeugnisse feiner wirtschaft, und da der preis, zu den: diese iu Zahlung genommen werden, meist ein sehr geriuger ist, gewinnt der Händler bei den: Geschäft doppelt. Ebenso wie der Vauer wurde und wird der Ldelmaun durch den Juden ausgesogsn, wenn auch mit anderen Mitteln. ^ nur 31,5 298, kaum die Hälfte der wirklich vorhandenen. Heute kommt in polen auf ^2 Linwohner ein Jude, und der zehnte Teil der Juden der ganzen Welt wohnt innerhalb der Grenzen des ehemaligen Königreichs polen. Da es bei ihnen bis zum Jahre ^836 keine Familiennamen gab, war die Führung von Personenregistern ungemein erschwert. Erst durch Raiser Nikolaus, der sich durch Abschaffung vieler Mißbräuche und Übelstände, welche die soziale und politische Gleichstellung der Juden erschwerten, große Verdienste erworben hat, wurde auch da Wandel geschaffen. Die Juden wurden fortan angehalten, sowohl einen Familiennamcn zu führen als auch eine bestimmte Beschäftigung anzugeben, und der Raiser that alles Mögliche, um sie zu veranlassen, sich dein Ackerbau zu widmen. Steuerfreiheit für 25 Jahre, Befreiung der Söhne vom Militärdienst wurde zugesichert — mit welchem Lrfolg, das werden wir im nächsten Abschnitt sehen. Ls liegt uns fern - in jetziger Zeit bedarf es leider einer solchen Versicherung — für die heillose wirtschaft in polen das Judentum überhaupt verantwortlich inachen zu wollen. Der polnische Jude, der sich von allen seinen Glaubensgenossen unterscheidet, ist eben ein Produkt seiuer Umgebung. Nie und nimmer hätte er einen in volkswirtschaftlicher Beziehung so schädlichen «Linfluß erlangen können, wenn der Charakter des Volkes, in dessen Mitte er lebte, ein anderer war. Der polnische Adel hat erst den Juden zu dein gemacht, was er heute ist. wenn man von polnischem Adel spricht, muß man sehr wohl den h^hen Adel vom niedern unter-scheiden. Der erstere lebt in Warschau, Wien, Dresden, Paris — kurz überall, nur nicht auf seinen Gütern, deren Bewirtschaftung er den: deutschen Verwalter überläßt. Ausuahmen kommen selbstverständlich auch hier vor. Dieser hohe Adel hat eine vorzügliche Crziehuug genossen, spricht mehrere Sprachen, darunter französisch ebenso gut wie seine Muttersprache, ist ein vortrefflicher Gesellschafter und zeichnet sich durch jenes einnehmende feine Benehmen aus, welches außer ihm nur noch dem Franzosen eigen, wir möchten fast sagen: angeboren ist. Deutsch spricht Jeder, obwohl mit fremdartigem Accent, aber sehr häusig wird die Uenntnis dieser Sprache abgeläugnet, überhaupt nur höchst ungern deutsch gesprochen. Der pole hat ein Sprichwort, welches sagt: „Der Pole und der Magyar sind zwei Brüder"; seine Abneigung gegen alles, was deutsch ist, drückt das Gegenstück zu dich'm Sprichwort aus: „So lange die Welt steht, wird der Deutsche nicht des Polen Bruder sein." Um so mehr schwärmt der polnische Hochadel für sein liebes schönes Frankreich und sucht französische bitten und Gewohnheiten in seinem häuslichen Teben möglichst getreu zu kopieren. Auf seinen Schlössern geht es, wenn er vorübergehend dort sich aufhält, hoch her, denn er ist reich und kann sich bedeutenden Turus gestatten, und Baukunst und Runstgärtnerei haben meist gewetteifert, die schon von Natur schön gelegenen Tandsitze zu einem herrlichen, beneidenswerten Aufenthalt zu gestalten. wie der Tag von der Nacht, unterscheidet sich von diesen: Adel die große Masse des niedern Adels. 'Seine vorfahren haben vielleicht auf den alten Reichstagen und in den Rriegen der Republik eine bedeuteude Rolle gespielt, aber jetzt ist er arm, so arm, daß er als Diener seiner von Fortuna besser bedachten Standesgenossen sein Brot suchen muß. De>, Vermögensverhältnissen entspricht die Bildung, die er genossen hat, und durch die er sich von dem Baller entweder gar nicht unterscheidet oder nur wenig über demselben steht. Ein Teil des niedern Adels ist jedoch auch jetzt noch pekuniär nicht so schlecht gestellt, daß er seine Unabhängigkeit opfern müßte. Das ist derjenige, auf den eigentlich das Wort von der polnischen wirtschaft paßt. Lr besitzt »loch ein oder mehrere alte Familiengüter und verbringt den größern Teil des Jahres auf dem ^ande. Das Teben weiß er sich jedoch auch dort so angenehm zu machen wie nur möglich. Da herrscht noch eine Gastfreundschaft, die geradezu orientalisch ist. Zuweilen kommt ein Gutsbesitzer mit seiner ganzen Familie und Dienerschaft zu einem Nachbar und bleibt wochenlang zu Gast. Betten werden wohlweislich mitgebracht, -------- 256 -------- denn auf die Beherbergung einer solchen 3Nenge Gäste ist man auf keinem Gute eingerichtet; für den tebens» unterhalt aber wird der Hausherr schon sorgen, das weiß »nan, und wenn er deshalb eine Anleihe bei tebele Hirsch machen müßte. Mährend ihres Aufenthaltes schalten und walten die Gäste in dem fremden Hause als ob sie zu Hause wären, und was sie wünschen, das steht zu ihrer Verfügung. Line solche Invasion, die in Vorratskammer und Keller Verwüstungen anrichtet wie ein Heuschreckenschwarm, der sich auf ein Feld nieder» ließ, würde dem Deutschen entsetzlich und unerträglich sein, der j?ole fühlt sich aber in solchen Verhältnissen nicht unbehaglich, und wenn die Rosten der Bewirtung seine Rasse erschöpft haben, so tröstet er sich damit, daß er sich nächstens entschädigen und den Nachbar, der so lange sein Gast gewesen, auch einmal mit einem Besuch beglücken wird. Lr kommt dann auch nut seinem ganzen Hausgesinde und bleibt ebenfalls einige Wochen. wie es bei einein solchen — xit venia verdo — Zigeunerleben mit der wirtschaft bestellt ist, kann man sich denken. Die Hausfrau kümmert sich gar nicht um dieselbe, sie hat ja wichtigeres zu thun, sie muß repräsen» tiereu, sich mit den Gästen beschäftigen, von denen das Haus fast nie leer wird — der Hausherr aber hat, wenn er auch wollte, einen großen Teil des Jahres hindurch nicht Zeit, sich um sein Gut zu kümmern, da auch ihn die Freunde, die ihn besuchen, und die er wieder besuchen muß, in Anspruch nehmen. Der «Lrtrag der kleinen Adelsgütcr bleibt denn auch in der Regel weit hinter den: zurück, was sie bei ziemlich guten, Boden unter ordentlicher Bewirtschaftung tragen müßten. Die Gutsgebäude, sowohl das Wohnhaus als die Wirtschaftsgebäude, bringen im allgemeinen keinen günstigen Lindruck hervor, von außen und im Innern derselben bemerkt man sofort, daß hier die Hand fehlt, welche die Ordnung aufrecht erhalten sollte. Der Aufwand, Kapelle in IViliia. Südrussische Väuerm. 25 -------- 259 -------- der Gästen gegenüber entfaltet wird, kann auf die Dauer nicht blenden, und wer erst einmal die Zustände auf einem Edelhofe in ihrer vollen Nacktheit kennen gelernt hat, wird nachher überall dieselbe Wahrnehmung machen. Die Unmasse faulenzender Dienerschaft ist auch eine tast für das Gut, und der Hinweis auf den geringen tohn, den sie empfängt, ist keine Entschuldigung für den Unterhalt von Dutzenden von Personen, deren Zahl den wahren Vermögensvorhältnissen des Vefitzers des Gutes durchaus nicht entspricht. Ernährt müssen alle diese Teute doch werden, und daß bei dem fast völligen Mangel einer Beaufsichtigung ihr Tohn nicht ihre einzige Einnahmequelle bleibt, ist selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist aber auch der stetige wirtschaftliche Niedergang eines Standes, der im unbeschränkten Genuß des Augenblickes die Sorge um das Morgen nicht kennt, Sparsamkeit für Unsinn haltend, weil ja die Väter auch so gelebt haben und doch nicht zu Grunde gingen. Unvorhergesehene Unglücksfälle, Mißwachs und schlechte Ernten erschüttern sehr leicht das auf Sand gebaute stolze Gebäude, der Jude muß aushclfen, damit das bisherige Tebcn als Grand-Seigneur fortgesetzt werden könne, und das Haus, über dessen Schwelle dieser Retter in der Not einmal eingetreten, wird ihn nimmermehr los. Die Einnahmen des Edelmannes genügte»! bisher gerade, um seinen Aufwand zu decken, das nun vorhandene Defizit jedoch ist ohne Einschränkungen nicht zu decken, es vergrößert sich von Jahr zu Jahr, und schließlich kommt der Tag, an welchem das lustige Teben sein Ende findet, wir mall,'n hier keineswegs zu schwarz, denn kein Jahr vergeht, in dem der kleine Grundbesitz nicht seinen Prozentsatz zu dem adeligen Proletariat stellt, welches in Oolen nach Tausenden zählt. So viele Sympathie dem cdeln, ritten lichen 4?olenvolk nach dein Untergang seines Staates in Europa entgegengebracht wurde, den polnischen Adel hat niemand bedauert, und allgemein hat man in dein Unglück, das ihn traf, nur die unausbleiblichen Früchte seiner Schuld gesehen. Neben Adel und Judentum, die redlich au der Zerrüttung der sozialen Zustände im ehemaligen Xrol^v^vo gearbeitet haben, hat auch die Geistlichkeit eine Thätigkeit entfaltet, welche j)olen nicht zum Heile gereichte. Da waren zunächst die gewaltsamen ^ekchrungsversuche unter den Kosaken, welche schließlich im verein mit anderen Vedrückungen den Abfall derselben und ihre Vereinigung mit Rußland zur Folge hatten. Gegenüber ^incni so starr am Allhergebrachten und so unverbrüchlich an seinem Glaubeu hängenden Volke wie die Kosaken war es eine große Unvorsichtigkeit und politisch unklug, die Absicht, die Ukraine unter päpstliches Regiment zu bringen, offen zu zeigen. Den Greuelthatcn, welche in der Geschichte des Kosakenaufstandes unter Vogdan Chmclnizky verzeichnet sind, war im stillen gar manche ähnliche That von katholischer Seile vorausgegangen. Das Volk der Ukraine ertrug lange alle Vedrückungen, als man aber schließlich den Hohn so weit trieb, daß man den Juden die Schlüssel der Kirchen übergab und ein (öffnen der Kirchen zur Abhaltung des Gottesdienstes von den Juden durch Gcldabgaben erkauft werden mußte, riß auch die Tammes» geduld der Kosaken. Der erste ernste Konflikt zwischen griechischer und römischer Kirche in f)olcn endigte für letzteres mit dem Verlust weiter Landstriche, welche seinem Rivalen Rußland zufielen. Dann kamen im Gefolge der Reformation endlose Glaubensstreitigkeiten, die das Eindringen der kehren Luthers, Calvins und Socins veranlaßte. In keinem andern Tande hat das Sektenwesen so geblüht wie in polen, und zwischen den Sektcn und den zu ihrer Vekämpfung ins Tand gerufenen Jesuiten kam es zu den heftigsten Zusammenstößen. Anfangs hatten sich viele angesehene Männer der Reformation angeschlossen, und die Folge davon war, daß eine all» gemeine Glaubensfreiheit sich ausbildete, viele wegen ihres Glaubens in anderen Tandem verfolgte - wir erwähnen nur die Vöhmischen Vrüder ^- fanden in f?olen ein Asyl. Das wurde nun anders. Zu seinen vielen unerquicklichen Zuständen erhielt nun Oolen noch den Glaubensstreit, Der Bischof von Llozk bedrohte ^525 Anhänger der lutherischen Tehre mit dem Tode, und auch die Regierung ging nut großer Strenge gegen die Reformation vor, so durch den Thronesbefehl von ^52^. Eine Intoleranz, die bisher in j?olen nicht gekannt gewesen, gelangte zur Herrschaft. Nirgends hat der Jesuitenorden der römisch-katholischen Kirche so gut gedient wie in dem j?olen des ^ss. und ^?. Jahrhunderts, welches Tromwcll „eines der Hörner des römischen Stieres" nannte. Die Protestanten waren so unvorsichtig, ihre Zustimmung zur Verfolgung der Mennoniten, Anabaptisten, (yuäker und Arianer (Socinianer) zu geben, aber nachdem jcne beseitigt waren, kehrten sich die Verfolgungen auch gegen sie. Im Jahre ^736 wurden sie von den Sitzungen des Reichstages ausgeschlossen und man erneuerte sogar cm altes Gesetz, welches wladislaw II. (^386 bis ^3^) gegen Ketzer erlassen hatte. 25* —— 260 -------- Nur die Juden blieben von den Glaubensstreitigkeiten unberührt und unter Johann Sobieski erfreuten sie sich so großer Vcgünstigung, daß man die königliche Regierung allgemein nur dcn „jüdischen Rat" nannte. Alle königlichen Domänen waren an Juden verpachtet, denen der Rönig in allem so sehr sich gewogen zeigte, daß der Unwille darüber allgemein laut wurde. was alle diese Übelstände erfolgreich bekämpft haben würde, das fehlte in polen: ein freies Vürgertum. Nach vielversprechenden Anfängen war es von der auf ihm lastenden Adelsmacht erdrückt worden, und man hat semen Untergang ^nicht^mit Unrecht als das Vorspiel für den Untergang Polens erklärt. Erst unter Der Wisent vous-Platz der eleganten Welt, die hier promeniert oder sich in das mitten im park errichtete Sommertheater begiebt oder in dem Restaurant den Klänge«: einer Musikkapelle lauscht, welche hier am Abend Konzerte veranstaltet. Der Seitenfront des Schlosses gegenüber crh.'bt sich in der Königsstraße der große Kuppelbau der evangelischen Kirche. Die Kirche ist nicht schön, obwohl sie unter allen Kirchen Warschaus die auffallendste ist, aber von der Laterne der Kuppel aus bietet sich eine herrliche Aussicht auf die Stadt. Über das türm reiche Häusermeer zu unseren Füßen, durch welches unter zwei großen Vrücken die Weichsel in reißendein Tauf dahinschießt, schweift der ^lick weit über die Landschaft hin, bis zur waldigen Ferne. Vor uns liegt zunächst am Ausgang der Königsstraße die vom König Kasimir III. ^37>? gegründete Universität, die älteste Nordeuropas (die prager wurde erst ^3^8 gegründet), einst eine berühmte Stätte der Wissenschaft, jetzt nur noch ein matter Abglanz der Vergangenheit. Unter den letzten Jagelloneu war Gelehrsamkeit in polen zwar hoch geschätzt, aber die Hochschule übte doch gar keinen Einfluß auf die Vildung des Volkes aus, weil ein vermittelndes Bindeglied zwischen dem Adel und der großen Masse fehlte, wer die würde eines Vaccalaureus, eines Tizen» tialen, Magisters oder Doktors erlangte, wurde dadurch adelig, und der weg zu den höchsten würden stand ihm offen, aber erst unter König wladislaw wurde daran gedacht, durch Grüudung von Stipendien auch Unbemittelte,, das Studium zu ermöglichen. Vesonders berühmt war die Universität damals durch ihre Theologen, welche häufig auf allgemeinen Kirchenversammlungen eine wichtige Rolle spielten. Sie hatten auf den» selben den Vorrang vor den Theologen aller anderen Universitäten mit Ausnahme der Theologen von Paris. Kardinal Hosius, ein pole, war z. V. Vorsteher des tridentinischen Konzils. Die Vibliothek der Universität wurde I^?9H großenteils nach Petersburg gebracht (siehe Seite 55) uud auch ein Teil der anderen Sammlungen kam nach der Revolution des Jahres ^830 dorthin. Die Universität liegt in der Krakauer Vorstadt, deren breite lange Hauptstraße, am sächsischen platz und dem Gouvernementsgebäude vorbei zu dein interessantesten platz der Stadt, in den Mittelpunkt des warschauer Verkehrs führt: zum Sigismund-Platz. Die Mitte des mit Gartenanlagen und Fontänen verzierten Platzes nimmt eine Statue des Königs Sigismund III. aus dem Hause wasa ein, welche ^6H3 von seinem Sohn, Wladislaw IV., errichtet wurde. Auf hoher Marmorsäule, einem Monolith aus den Karpathen, steht der König, in einer Hand das Kreuz, in der andern das Schwert. An der Gstseite des Sigismund-Platzes befindet sich das königliche Schloß. An dieser Stelle haben schon die alten masovischen Herzoge gewohnt, später vergrößerten die beiden Könige aus dem Geschlecht der wasa, Sigismund III. uud wladislaw IV,, den alten ^au, der dann unter Stanislaus poniatowski noch mannigfach verschönert wurde. Jetzt bewohnt die ehemaligen Königszimmer im östlichen Flügel der General-Gouverneur vou pole»:, und eine Anzahl Sals und Gemächer ist für den Kaiser reserviert, der das Schloß bezieht, wenn er nach Warschau kommt. Der alte Thronsaal ist noch erhalten, ebenso die Säle des Senats und der tandboten. Im letzteren Saal wählten die Tandboten, nachdem sie in der Domkirche einer Messe und predigt beigewohnt hatten, einen Marschall aus dem Ritterstande, worauf zwei Tage später der Reichstag eröffnet wurde, von den Gemälden und anderen Kunstschätzen, welche sich einst in den Sälen des Schlosses befanden, ist nur wenig übrig geblieben; mit Ausuahme der wüsten berühmter polen im Nallsaal und einiger Gemälde und Skulpturen, meist Porträts von Königen oder Darstellungen aus der polnischen Geschichte, ist alles nach Moskau und St. Petersburg gebracht worden. Seiner Tage nach ist aber das Königliche Schloß noch eines der schönsten Residenzschlösser Luropas, die Aussicht von den Fenstern auf die vorbcifließende Weichsel und das alte praga am andern Ufer eine entzückende. von: Sigismund-Platz führt die breite Senatorenstraße an der Iuukerschule, dem ehemaligen Palais des Fürst.primas von polen, vorbei zum Theater, platz, auf dem sich Rathaus und Theater gegeuüberliegen. Das erstere ist ein imposanter Neubau, vor 20 Jahren (1^863) an Stelle des niedergebrannten Palastes der Fürsten Jablonowski erbaut. Das Theater, zugleich Schauspiele uud Opernhaus, enthält zwei kühnen. Das Ansicht?,'^" Malisch. Ätt ,» Xioisgericht. 2) Hauptarm ^r prosua, ,1) Iosefineu. Allee. 4) Rcformicttc Uirct'c. '>) Denkmal dor vereinig '"" der russischen und pil'ußischeu Truhen in dcn I'^l^n ,^i,' und ^Is-,^ rechtgläubige Rirche nnl> ^iaiienkirche. <^>) (yuai au oer ^»rosna, 7j Gonroriil'"' ^ ^ud^. ^) ^tronschncllen dcr f»ro5na. _____ 265 —-___ Warschauer Vallet ist berühmt m,d hat seinen Ruf, den es Zur Zeit eines vestris besaß, bewahrt. Die Nationaltänze — Mazurka, Krakowiak, Gaiduk u. s. w. — muß man von polen und Polinnen tanzen sehen; die init ettvas Rokettcrie gepaarte ?lnnntt der Vewegungen ist unnachahmlich und kein Vallet der Welt kann in diesen Cänzen mit dem Warschauer rivalisieren. Das Vallet in polen verdankt seine Wiedererweckung, nachdem es über hundert Jahre von der Vühne verdrängt gewesen, dem französischen Valletmeister Te Doux, welcher einige Leibeigene Tiesenhausens, des UnterschahmeisterZ von kittauen ausbildete. Tiesenhausen schenkte das Valletkorps den, Ronig Stanislaus poniatowski, der jedoch die Rünstler für frei erklärte und die Truppe Kathedrale in lNilmi. vergrößerte, viele Koryphäen des Vallets, deren Namen europäischen Ruf erlangten, sind im 1,8. Jahrhundert aus derselben hervorgegangen. Unier Stanislaus poniatowskis Regierung fällt auch die Vlütezeit der polnischen Vper, welche jedoch vorzüglich italienische Musik kultivierte. Auch jetzt noch werden in Warschan häufig italienische Gpern aufgeführt. von der 5enatorenstraße biegt kurz vor der Junkerfchule die Miodowa-Ktratze ab, die zu einem vierten großen platz führt, dcr seinen Namen von dem Palais Rrasinski erhalten hat, das sich auf seiner Westseite erhebt. Dieser Palast, einst Vesitztum der Familie Rrasinski, welche polen viele bedeutende öchriflsteller geschenkt hat, ist wohl das schönste Gebäude Warschaus, Im edelsten italienischen 5til gegen Lnde des ^8. Jahr» 24 -------- 266 -------- Hunderts erbaut, wäre das drei Stockwerke hohe Gebäude nüt seinein reichen architektonischen schmuck auch eine hervorragende Zierde jeder andern Stadt. Citadelle, ein Sperr» fort, welches die über den Slrom führende «Lisenbahnbrücke beherrscht, und in« Halbkreis um dieselbe liegen fünf tünetten, darunter drei geschlossene, die Forts wladjimir, Alexei und Sergijewsky. Auf dem andern Ufer vervollständigen diese Fortifikationsgruppe das Fort Sliwicki und zwei kleine künetten. Georgiewsk 9 Uilometer und als Besatzung sind ^2 000 bis ^5000 Mann erforderlich, wenn die bekannten Angaben richtig sind, soll der platz soweit ausgedehnt werden, daß er einem Armeekorps von 50000 Mann genügeuden Lagerraum bieten würde, in welchem Falle 20 000 Mann als Vesatzung erforderlich wären. Dieser rechte Flügel der weichsclbefestigungen soll sehr stark sein, eine Menge bombensicherer Rasematten besitzen und mit einem großen Minenstystem in Verbindung stehen. Für einen offensiven Vorstoß über die deutsche Grenze gcgcn Thorn und Danzig sind die werke von Nowo-Georgiewsk, die von der Grenze nur etwa ^ Meilen in der Luftlinie entfernt sind, von großer Wichtigkeit. Ein gleich wichtiger Schlüsselpunkt ist auf dem linken Flügel der Weichsellinie das südlich von Warschau gelegene Iwangorod, das alte Demblin. Am rechten Ufer der Weichsel gelegen, beim Zusammenfluß dieser mit dem wieprz, verdankt es seine jetzige strategische Bedeutung der durch das Festungsgebict führenden Eisen, bah», von Warschau nach Lublin uud der hier eiumündendcn Linie Iwangorod-Vrest-Literoski. Visher befand sich auf den» linken Ufer nur ein kleines Fort und auf den: rechten ein bastionierter wall mit drei Außenwerken und zwei detachierten Redouten, wenn die projektierten neuen werke vollendet sein werden, wird Iwangorod sowohl für eine preußische als für eine österreichische Invasionsarmee ein wichtiger platz sein, da einerseits eine Belagerung Warschaus die Detachierung eines starkVn Veobachlungskorps gegen Iwangorod erfordern würde, andererseits eins in das Land eindringende österreichische Armee zunächst die Festung belagern müßte, welche die Weichsel und das ganze Straßen- und Eisenbahnnetz nach Norden und wsten beherrscht. Auch Iwangorod würde, gleich Nowo-Georgiewsk in: Norden, einer russischeu Offensive zur Vasis dienen. Die Stellung der russischen Armee gegenüber einer österreichischen Invasionsarmee ist für erstere dadurch ungemein günstiger, daß sie über eine nach dem Innern des Reiches führende Eisenbahn verfügt, während die österreichische außer der von Arakau aus parallel mit der Landcsgrenze angelegten Vahn Rrakau-Vrody, die für die Offensive gar nicht in betracht kommt, gar keine Eisenbahn zur Verfügung hätte, sich also zur Sicherung ihres Nachschubs unbedingt zunächst Iwangorods bemächtigen müßte. Nehmen wir an, es wäre einem eindringenden feindlichen Heer gelungen, die Weichsellinie zu durch-brechen, sei es nun durch Einnahme Warschaus oder Iwaxgorods oder Nowo-Georgiewsks, so würde es beim weitcrn Vormarsche, mag es sich nun gegeu Petersburg oder Moskau oder gegen den Süden Rußlands wenden, nicht bald auf eine zweite Vefestigungslinie stoßen. Nur die (')sterrcicher fänden die bei Iwangorod in ihre Hände gefallene Eisenbahn durch die Festung Vrest'Litcwski gesperrt, von wo ein Schienenweg gegen Norden nach Bialystok°Uönigsberg, ein anderer über Minsk und Smolensk nach Moskau, ein dritter über Verditschew nach Rijew und podolien führt und wo die Militärbahn von Oinsk mündet. Die Stadt Vrest-Litcwski zählt etwa 22 000 Einwohner lind liegt an der Mündung des Muchawjeh in den Vug. Hier befinden sich große Depots und Väckereieinrichtungen. Den Kern der sehr starken Festung bildet die auf einer Insel im Muchawjetz gelegene Citadelle, vor ihr liegen, teils am linken Vugufer uud teils zwischen Vug und Muchawjetz die Terespoler, die Robrynsche und die wolhynische „Front": erstere, aus einem Hornwerke und vier verbundenen Lünetten bestehend, an: linken Vugufer; die Aobryusche jenseits des Vug, zwischen diesem und dem rechten 55* -------- 268 —^- Nluchawjetzufer, aus vier Vastionen bestehend, vor denen in jüngster Zeit das Sperrfort „Graf Verg" erbaut wurde, bei welchen: die ^Noskauer ^?ahn den Nug überbrüht; endlich ein wolhynischc Front genanntem Rronwerk jenseits des Muchawjeh zwischen diesem und dem rechten Vugufer. Auch Vrest>3itewski soll, wie es heißt, durch Anlage detachierter Forts in ein großes befestigtes kager verwandelt werden. Der hinter 35rest ^itewski gelegenen Festnng Vobruisk an der Veresina, derci: werke noch aus den dreißiger fahren stammen, wird kein großer Wert beigemessen. Die Eisenbahn überbrückt die Veresina nördlich von Vobruisk bei Vorisow, und die kleine Festung hat nur noch als Sperre der ötraße durch die Oripet» öümpfe und der tinie Attnsk-Aijew strategische Bedeutung. Die großen Oripet'öiimpfe bilden hier einen natürlichen öchuhwall, und eine von kemberg gegen Moskau vordringende ^nvasionsarmee wäre gezwungen, Dl'nt'mal roll !^^2 !!I ^üwlensk. sich alsbald nach Gsten zn wenden, u selbe ^ detachierte Forts angelegt werden sollen, eine Verstärkung, die dringend geboten erscheint, da Kijew einer der bedeutendsten Depntplätze Rußlands ist, ein Artillerie-Arsenal und eine Menge großer Magazine mit Kriegsbedarf und Vorräten aller Art enthält. Über die Befestigungen in den nördlichen Tandesteilen, auf der Time warschau.St. Petersburg, fehlen genaue, verläßliche Angaben. Gb dort nene Befestigungen schon in Angriff genommen sind, ist nicht bekannt. Visher war dort der einzige befestigte platz von einiger Bedeulung Dünaburg an der Düna, wo si6? große Magazine und ein Teil des Velagerungsparks befinden. Dünaburg ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, da hier die Omen von wilna, Mitau, Riga, Smolensk und St. Petersburg einmünden. Auf dem linken Ufer der Düna befindet sich ein Brückenkopf; die übrigen Befestigungen, einige detachierte Forts in geringer Entfernung von der Stadtumwallung, liegen am rechten Ufer. Die Anlage nelier Befestigungen bei Kowno, bei Bialystok und bei Goniadz an der Vobra soll projektiert sein. ^)n Bialystok und Kowno münden von Königsberg kommende Eisenbahnen, und das etwa 25 Meilen in der Luftlinie von der Grenze entfernte wilna mit feinen großen Magazinen und Militärbäckereien hat bisher keinen andern Schutz als die Flußlinien des Njemen und der wilja und die auch in Friedenszeiten in dem Kreis Suwalki ungemein eng bei einander liegenden Truppenkantonements. Die Defensive findet jedoch auf dieser Strecke eine nicht zu unterschätzende Unterstützung durch die vielen Flüsse und Sümpfe, die Narew und den Bug, die Vobra, den Njemen, die wilja bei Wilna und schließlich die Düna. Der Mangel großer Befestigungsanlagen in den Tandesteilen, durch welche der weg von der Weichsel« linie nach Moskau und nach St. Petersburg führt, zeigt klar, daß Rußland mehr als den Festungen seinem natürlichen verbündeten, der weiten Ausdehnung seines Gebietes, vertraut. Trotz der durch die Eisenbahnen geänderten Verkehrsverhältnisse würden in Rußland wie im Ijahre ^8^2 auch heute noch durch die Größe des Territoriums einer I'wasionsarmce große Schwierigkeiten erwachsen. «Line Schwächung Rußlands durch Be« setzung eines großen Teiles seines Gebietes ist unmöglich. Die feindliche Heeresleitung würde daher wohl trachten, gleich den verbündeten im Dahre ^85H und ^855, Rußland Plätze zu entreißen, deren Verlust empfindlich wäre. Ein solcher platz wäre die Tandeshauptstadt Petersburg, aber diese liegt mehr als 800 Kilo» meter von der deutschen Grenze entfernt, und die Sicherung der Verbindungen einer von Ostpreußen vor» dringenden Armee gegen Angriffe auf beiden Flanken, sowohl von der See- als von der Tandseite, ist schwierig. Nicht zu unterschätzen ist endlich auch trotz der hinter westeuropäischen Armeeen weit zurückstehenden Durchschnittsbildung des geineinen Mannes das kolossale Menschcnmalerial, über welches Rußland verfügt. Nach den neuesten offiziellen Ausweisen betrug die Friedensstärke des russischen Heeres 5^9^ Offiziere und 858 275 Mann; im Kriegsfalle stehen Rußland nach vollständiger Durchführung der Armeereorganisation gegen Ende der achtziger ^ahre fast 2^ Millionen Streiter zur Verfügung. Das Reich ist jetzt in ^ General-Gouvernements (Militärbezirke) eingeteilt: Finnland, Petersburg, wilna, Warschau, Moskau, Kijew, Kasan, Orenburg, Charkow, Odessa, Kaukasus, Turkestan, West- und Ost-Sibirien. Die Truppenzahl in diesen Bezirken ist je nach der Wichtigkeit derselben verschieden, in den westlichen Provinzen selbstverständlich am stärksten. Da die Truppen demnach nicht wie in Deutschland aus demselben Bezirke rekrutiert werden, sind bei der Mobilisierung Schwierigkeiten unvermeidlich. Sind doch manche Rekru« tierungsbezirke über 200 Meilen vom Standort des Regimentes entfernt! Bei der Mobilmachung in, ^ahre ^876, bisher der einzige Maßstab, waren 2 bis 3 Wochen erforderlich, um ^80000 Manu mobil zu machen, und Mobilmachung und Aufmarsch vollzogen sich in etwa ? Wochen. Bei einem Kriege mit einer der West. mächte würde sich die Mobilisierung jedoch unverhältnismäßig schneller vollziehen, da viele Eisenbahnlinien aus dem Innern des Reiches »lach Westen führen, die man 1.376 beim Marsch nach Süden nicht zur Verfügung hatte. Der Nationalität nach sind 80"/^ der Truppen Nationalrussen, 20"/» polen, Deutsche, Finnen u. s. w. Die Garde wird aus dem ganzen Reich rekrutiert, die Kavallerie meist aus dem Südwesten. Mag man nun immerhin einwenden, daß Rußland stets eine große Truppenmacht zur Niederhaltmig seiner asiatischen Unterthanen und zum Schutze seiner asiatischen Grenzen brauche, die auf einem westlichen -------^ 272 -------- Kriegsschauplatz nicht zur Verwendung kommen könne — die Macht, über welche das Reich gebietet, bleibt trotzdem eine sehr ansehnliche und die etwa noch vorhandenen Mängel der Mobilisierung werden reichlich ausgeglichen durch die oben erwähnten Dorteile, welche Rußland bei einem Defensivkrieg in seinen» riefigen Gebiete selbst findet. Gb Nußland schon in der nächsten Zeit in der (age sein wird, seine Kraft in einem Kriege mit einer der westmächte Zu erproben? — wir glauben es nicht. Lin Vlick auf Rußlands Grenzbefestigungen zeigt, wie wenig man dort an einen ernstlichen Konflikt mit seinem mächtigsten Rachbar, dem deutschen Reiche, gedacht hat. Halb polen liegt fast schutzlos einer eventuellen deutschen Invasion preisgegeben! All den vielen allarmierenden Gerüchten gegenüber halte man sich doch nur die Frage vor, welche Interessen Rußlands durch Deutschland gekreuzt werden, und umgekehrt, und was die beiden Staaten veranlassen könnte, die über hundert» jährige bewährte Freundschaft des deutschen uud russischen Kaiserhauses in einem Kriege zu Grabe zu tragen, wir finden keine trennenden, wir finden nur vereinigende Interessen. Der großen Kulturaufgabe, die Rußland zu erfüllen hat, ist nach Westen durch die deutschen Grenzpfähle eine Grenze gesetzt, ein weites Gebiet steht ihm aber offen, ohne daß ein störendes «Lingreifen des westlichen Nachbars zu befürchten wäre. Hoffentlich wird daher polen das traurige Tos, nochmals der Schauplatz eines Krieges zu werden, erspart bleiben. Ls besitzt der Schlachtfelder schon mehr als genug, und in weitem Vogen um Warschau herum ist alles Tand blut« getränkter Voden. wenn wir uns von der Citadelle auf das rechte Ufer begeben, kommen wir in die vor-' stadt praga, bekannt durch ihre Erstürmung durch Suworow am H. November ^?9H- ^e durch Huuger und Frost erschöpfte Besatzung der eins deutsche Meile langen Vefestigungen erlag dein unwiderstehlichen Ansturm der Russen; nach zwölfstündigem erbitterten Kampf deckten ^3 000 polen das Schlachtfeld, 1^000 waren gefangen und der siegreiche Feldherr sandte seiner Kaisern» die bekannte lakonische Depesche: „Hurrah, praga! Suworow" — worauf die ebenso kurze Antwort kam: „Vravo, General-Feldmarschall! Katharina." praga bietct heute außer deu Resten der ehemaligen Befestigungen wenig Sehenswertes, es lohnt sich aber, von hier aus einen Vlick auf die gegenüberliegende Stadt zu werfen, wenige Städte erfreuen sich einer so schönen (age wie Warschau, am hohen Ufer eines breiten Stromes, aber man dürfte auch kaum eine zweite Stadt von gleicher Größe finden, die sich dem Veschauer in so verwahrlostem Zustande präsentiert. Der russischen Regierung wird unter den fetzigen Verhältnissen gewiß niemand zumuten, etwas für die Verschönerung Warschaus zu thun, aber auch die polen, die so gern von ihrer ehemaligen Königsstadt schwärmen, haben nicht das Geringste gethan, um durch Kunst uachzuhelfen, wo die Natur minder freigebig gewesen, welch trostloses Vild bieten die Weichselufer! Keine Schiffe beleben die breite Wasserfläche, nur dann und wann windet sich ein Floß zwischen den zahllosen Sandbänken hindurch, die nach jeder Frühjahrsüberschwemmung an anderer Stelle sich erheben, keine (!)uais säumen die Ufer ein, das rechte Ufer ist entweder völlig kahl oder mit spärlichem Graswuchs bedeckt, und auf den Felsen am linken Ufer, welche direkt aus dem Wasser empor-steigen, hat nur beim Königlichen Schloß die Menschenhand der Natur nachgeholfen und die Eerrassen erbaut, auf denen der Schloßgarten angelegt wurde. Auf dcu übrigen Abhängen sind Kirchen, Häuser und unbebautes land bunt durcheinander gewürfelt, ein nichts weniger als anziehendes Vild, aber lebhaft daran mahnend, daß wir uns — ill polen befinden, ^n polen darf man sich nie durch den Schein blenden lassen, muß immer und überall nach der Kehrseite der Medaille fragen, wie zu den eleganten pariser Toiletten der Damenwelt in den Straßen Warschaus die finanzielle tage eines großen Bruchteils der Bevölkerung einen grellen Kontrast bildet, so sind die verwahrlosten Weichselufer und das holprige Pflaster der zu ihnen hinabführenden Straßen das düstere Seitenstück zu den prachtvollen Verkaufsläden, zu de» feinen Konditoreien und Restaurants in den Hauptstraßen, wir haben eine Stadt vor uns, die durch ihre Vevölkerungszahl und Ausdehnung vollkommen berechtigt ist, sich eine Großstadt zu nennen, die aber doch noch sehr weit davon entfernt ist, eine solche wirklich zu sein. Einen ebenso ungünstigen Eindruck wie die Gegend am Flusse bringt die am äußersten Gstende Warschaus gelegene, fast ausschließlich aus Holzhäusern bestehende Vorstadt wola hervor, und doch führt durch sie der weg zu einem platz, der Jahrhunderte lang in der polnischen Geschichte eine hochwichtige Rolle gespielt: die wahlebene, auf welcher der Adel Polens seine Könige wählte. Glänzende Versammlungen hat diese «Lbene 25 Vicncnkörbe in Rlcinrußlcmd. 273 -------- gesehen, denn jeder polnische Adlige, der ärmste Schlachzvz war berechtigt, bei der Krönungswahl seine Stimme abzugeben, und galt es wieder einmal, den Thron der Plasten zu besehen, dann blieb sicher kein Wahlberechtigter zu Hanse. Heute giebt es in polen noch mehr als 300000 Edelleute, trotzdem die Regierung nach dcm letzten Aufstand sich angelegentlich mit der Prüfung der Ansprüche auf Führung des Adelstitels beschäftigt hat, wobei mancher ohne nachweisliche Verechtigung geführte erlosch. Danach kann man sich vorstellen, wie zahlreich und wie glänzend die Versammlung war, die fich mit der Königswahl beschäftigte. Ma» zeigt jetzt noch die Stelle, wo bei dem feierlichen Akt die einzelnen Woiwodschaften und der Adel aus den Herzogtümern vor dem (Gebirge standen. Das Feld ist jetzt zum Teil von dem evangelischen und dem kalvinischen Friedhof und Gebäuden der Vorstadt wola bedcckt; elwa in der Mitte steht die neue katholische Kirche. Im Westen der wahlebene spielte sick? der letzte Akt des blutigcn Dramas von ^83^ ab! dort wurden die letzten Trümmer oer polnischen Armee von paskewitsch zersprengt. An: heftigsten wütete der Kampf bei dem Friedhof von wola, der hinter diesem Dorfe an der Chaussee liegt. Er ist jetzt Garnisonskirchhof und die Kirche in cine griechische Kapelle verwandelt, aber die Spuren des Dampfes vom 6. September ^83^ sind noch nicht verwischt, wall und (traben umgeben heute noch den Friedhof und verleihen ihm das Anssehen einer kleinen Festung. Erst wcnn man das Gitterthor passiert hat und plötzlich sich unter mächtigen Kastanien befindet, erblickt man die Grabkreuze und Denkmäler, unter denen die gefallenen Arieger ruheu. Doch wir wolleil nicht länger bei der düstern Vergangenheit weilen! wenden wir uns lieber dcn Stätten zu, an denen Handel und Industrie die wunden zu heilen gesucht haben, welche der starre widerstand gegen vollzogene Thatsachen dem ^ande geschlagen. polen nnterscheidct sich von dem übrigen Rußland auffallend durch die Mcngc Städte, die es besitzt, besonders längs der deutschen Grenze, in der Nähe der industriereichen Distrikle Schlesiens, liegt auf polnischem Nc>den Stadt an Stadt. Dort finden wir auch den berühmtesten Wallfahrtsort Polens, das Kloster Tschen» stochau (O^tuc^una) bei der Stadt gleichen Namens. Unweit der alten Stadt, einem belebten Handelsplatz mit etwa 8000 Einwohnern, ist um das Kloster herum eine neue Stadt entstanden, von jener durch die Schienen der Eisenbahn getrennt, doch durch eine stattliche Allee mit ihr verbunden und heute ebenso volkreich wie die alte Stadt. Das Kloster war einst sehr reich — der l.5. Teil der Güter Polens war sein Eigentum — und heute noch wird der Kirchenschah alljährlich durch die 50 000 Pilger, welche hierher konnneu, bereichert. Vis in unser Jahrhundert hat Tschenstochau auch als Fcstung eine wichtige Rolle gespielt, manchen Feind vor seinen Mauern gesehen, zweimal dcm König Johann Kasimir als Zufluchtsort gedient, und erst im Jahre ^772 sah es zum ersten Mal Feinde auch innerhalb seiner Maucin, nachdem es sich nach tapferer Gegenwehr den Russen ergeben hatte. Der Prior war Rommandant der Festung, und daß die Mönche von Tschenstochau sich auch auf das Waffenhandwerk verstanden, beweist die glorreiche Verteidigung desselben durch den Prior Kordetz gegen die Schweden. Seinen Ruf verdankt Tschenstochau dcm wunderthätigen Marienbild, das ein werk des Evangelisten 3ukas und früher im Vesitz der griechischen Kaiserin Helena gewesen sein soll. vor diesem, „die schwarze Madonna" genannten 2?ild liegen den ganzen Tag Andächtige, meist polnische Vauern, auf deu Knieen. Die größten pilgerscharen kommen im September zur Zeit des Marienfestes. Dem Wallfahrtsort verdankt auch Alt»Tschenstochau seine Nlüte. wie überall an derartigen Stätten finden auch hier Märkte statt — ^2 jährlich — die viel Volk heranziehen. Die Eisenbahn verbindet Tschenstochau einerseits über Graniza mit Preußisch>Schlesien und Krakau, andererseits über Piotrkow mit Warschau, piotrkow (petrikau) ist die Hauptstadt des gleichnamigen Gouver» nements und zählt ^8 000 Einwohner, ist aber heute nur ein Schatte», von dem, was es einst gewesen. Eine der ältesten Städte Polens, sah piotrkow schon im ^5. Jahrhundert glänzende Reichstage innerhalb seiner Mauern abhalten, und später ist mancher polnische König hier gewählt worden. Heute erinnert nur noch das verfallene Schloß an die Zeit des frühcrn Glanzes. Die Vorstadt ist fast nur vou Juden bewohnt, wie ganz auders sieht es in dem nahen Todz aus, das durch eine Zweigbahn mit der warschauer 3inie verbunden ist! Todz kann man als deutsche Stadt bezeichnen, denn etwa drei vierteile der 57 000 Einwohner sind Deutsche. Das deutsche Element hat sich in polen, besonders in den Gouvernements am linken Weichselufer, Z5* ____. ??ss _____ in den letzten Jahrzehnten so vermehrt, daß die der deutschen Einwanderung abholden Areise in Rußland schon wiederholt und nicht ganz nut Unrecht daranf hingewiesen haben, polen sei schon mehr germanisiert als die Gstseeprovinzcn. Alan braucht zwar nicht polnisch zu verstehen, wenn man in polen reist, die deutsche Sprache genügt — aber das ist nicht ausschließlich die Folge der vielen deutschen Kolonieen, sondern zum großen Teil den Juden zu verdanken, welche ausnahmslos der deutschen Sprache mächtig sind. Spricht ja doch auch in Warschau fast die Hälfte der Bevölkerung deutsch, obwohl unter den 38H000 «Anwohnern nur 20000 Deutsche sind. Auf dem Lande, in den Dörfern, trifft man selten Deutsche; wie im Mittelalter ziehen auch jetzt noch hauptsächlich die Slädte Einwanderer au sich, Handwerker, Kaufleute, Industrielle, und die Thatsache, daß die Industrie Polens znm großen Teil ein werk deutscher Hände ist, läßt sich allerdings nicht mehr wegleugnen. Lodz und seine ebenfalls überwiegend von Deutschen bewohnten Nachbarstädte, Zgierz, Gzorkow und pabianice besitzen große Fabriken, welche viele Tausende von Arbeitern beschäftigen, so z. V. die Rarl Schreib» ler'sche Vaunuvollenmanufaktur in Lodz mehr als 8000. Im Jahre ^82^ zählte Lodz kaum 800 Einwohner, und heute ist es sowohl der Einwohnerzahl nach als auch durch seine Industrie die zweite Stadt Polens — allerdings eine Stadt, welche in ihrem Äußern nicht die geringste Ähnlichkeit mit den alten polnischen Städten hat, sondern auf den ersten Vlick erkennen läßt, daß hier nur Fleiß und Arbeit geachtet und angesehen sind. Denkmäler und Prachtbauten hat Lodz nicht aufzuweisen, aber zu beiden Seiten der unübersehbaren Hauptstraße liegou zu Hunderten die Fabriken und Werkstätten, dazwischen die Wohnungen der Arbeiter, denn Lodz liefert etwa sieben Achtel der Wollstoffe, welche ganz polen erzeugt. Die meisten Etablissements sind von Deutschen errichtet. Jenseits der warschauer Vahn liegt an der pilica noch eine solche deutsche Industriestadt, Tomaszow, und gegen Westen jenseits der warta, am Grcnzsiüßchcn prosna finden wir gleichfalls eine zahlreiche deutsche Bevölkerung in dein alten Aalisch. Auch in Kalisch sind die großen industriellen Unternehmungen fast sämtlich in deutschen Händen, wir finden darunter eine Tuchfabrik mit 300000 Rubel Jahresumsatz, eine Pianofabrik, eine Zwirnbandfabrik u. s. w. Im Jahre ^880 zählte Ralisch uahezu ^8 000 Einwohner, darunter etwa 8000 polen, M0 Deutsche und fast 6000 Juden. Steingebäude überwiegen, doch sind noch sehr viele Holzhäuser vorhanden. Die Stadt ist eine der ältesten Polens. Man hat ihrcn Ursprung sogar bis in die Zeiten des ptolemäus zurückzuleiten versucht und sie für das von diesem erwähnte Ralisia erklärt. Ihre Vlütezeit erlebte sie uach dein Tode des Herzogs Voleslaw Rrummaul als Hauptstadt eines Teilfürstentnms. Später kam Ralisch so herab, daß es im Jahre ^7^y weniger als ^00 Einwohner zählte. Im Jahre ^8^3 wurde hier die Allianz zwischen Preußen und Rußland geschlossen, und ^833 war die Umgebung von Aalisch der Schauplatz der glänzenden Manöver der vereinigten preußischen und russischeu Truppen bei Gelegenheit der Zusammenkunft Friedrich Wilhelm lll. mit dem Raiser Nikolaus. Ein Obelisk erinnert an diese außergewöhnliche Freundschaftskundgebung der beiden Nachbarreiche (siehe die Beilage Seite 272). Längs der deutschen Grenze gegen Norde»» weiter wandernd, betreten wir nun wieder das industriereiche Gouvernement Warschau. Tuch» und wollfabrikatiou sind da in Flor, und mehr noch als diese die Zuckerfabrikation. Das Gouvernement Warschau besitzt 20, meist große Zuckerfabriken, welche etwa ?"/„ der gesamten Zuckerproduktion Rnßlands liefern. Große Zuckerfabriken befinden sich an der Thorn-warschauer 25ahn im Dorfe Gstrowy, in Guzow, Hermanow und Gryschew. An der Thorn-warschauer Vahn ist der erste bedeutende Vrt jenseits der Grenze wloclawsk, eine Stadt mit über 20000 Einwohnern, inmitten einer viel weizenbau treibenden Gegend an der Weichsel gelegen, und cin wichtiger platz für den Getreidehandel; der Umsatz auf dem Markte von wloclawsk beträgt etwa 8 Millionen Rubel jährlich, von wloclawsk führt uns die Vahn über Kutno (^3 000 Einwohner) nach Lowitsch, wo sich viele Gerbereien und Leinwebereien befinden uud große pferdemärkte abgehalten werden. Iu der Nähe von Lowitsch liegen zwei prachtvolle Schlösser des Fürsten Leo Radziwill, „Arkadia" und „Nieboröw", mit wertvollen Gemälden und Kunstsammlungen, echte Fürstensitze, die sowohl von dem Reichtum als dein Geschmack des Besitzers Zeugnis ablegen. Vei der Station Skierniewitz, einer Kreisstadt mit großen Rleinrussischer Töpfer. -------- 2?9 -------- Tuchmachereien und lebhaftem Handel, liegt auch ein schönes Sckloß, Eigentuni der Familie paskewitsch. Skierniewih, einst Residenz des Gnesener Erzbischofs, erhielt vom Baiser Alezander I. die Gräfin Johanna Grudzinska als Hochzeitsgeschenk bei ihrer Vermählung mit dem Großfürsten Konstantin pawlowitsch, wobei ihr bekanntlich auch der Titel einer Fürstil« von towitsch verliehen wurde. jenseits der Weichsel beginnt das Gouvernement plozk. Die Gouoernementsstadt plozk ist eine der ältesten Städte Polens (ihre Gründung wird in das ^ahr Hl'^ verlegt); sie war Residenz der Herzoge von Masovien, dann mehrerer polnischen Herzoge. Die Rönige wladislaw und Voleslaw III. sind in der Domkircbe begraben. plozk zählt jetzt 22 000 Einwohner, darunter viele Duden, stromaufwärts liegt an der Mündung des Vug die schon erwähnte Festung Nowo-Georgiewsk, stromabwärts knapp an der Grenze das viel besuchte Soolbad Ciechocinek. jenseits der Weichsel gewinnt die Landschaft ein völlig anderes Aussehen. Das bebaute tand verschwindet, alle Waldungen, meist Tannen und Fichten, doch auch Lichen und binden, dehneu sich vor uns ane. Dazwischen ziehen sich läng? der Ufer des Vug und der Narew weite Ebenen hin, die mit Schilf und Gebüsch bewachsen sind. Die unwirtlichste Gegend ist das ehemalige podlachien an der Narew und dem mittleren Vug, ein Teil des jetzt in die Gouvernements tomza, Sedljez uud Warschau geteilten Masoviens. Auch an der Muchawitza und dem Vobr trifft man weite Schilfsiächen. Iu diesen: Gebiet liegen die Städte Pultusk an der Narew (e!wa 8000 Einwohner), wo ^703 Aarl XII. ein sächsisches Heer gefangen nahn, — tomza am Vobr — und die Fabrilstadt Vstrolenka, bei welcber ^83^ der russische General Diebitsch einen Sieg über die Polen erfocht. Nördlich von komza zieht sich ein schmaler kandstreifen zwischen Gstpreußen und den Gouvernements Rowno und Wilna dahin, der nördlichste Zipfel Polens, das Gouvernement Suwalki. Dort ist die Vevö'lkerung so gemischt wie in keinem andern Teil Polens; man trifft auf diesem kleinen Gebiet polen, Tittauer, Russen, Deutsche, ^uden, Tataren und Zigeuner. Der Njemen bildet die Nord» und Ostgrenze des Gouvernements und fließt durch ebenes, häufig sumpfiges tand. Augustowo am gleichnamigen See (etwa 9000 Einwohner), das ^5^7 seinen Namen zu Ehren August I. erhielt, war früher Hanptort des Gouverne« ments und ist noch jetzt eine wohlhabende Fabrikstadt mit lebhaftem Holzhandel, der durch den Augustowoschen Aanal, welcher die Netta, den Abfluß des ^ees, mit dem Njemcn verbindet, sehr begünstigt wird. Gouvernementsstadt ist öuwalki, eine neue ^tadt mit überwiegend jüdischer Vevölkerung. Auch die anderen Städte des Gouvernements, Kalwarva, Maryampol, wilkowiszki, wladislawow, wysztyniec haben eine ansehnliche jüdische Vevölkernng; dagegen leben in dem Gouvernement auch sebr viele Raskolnjiki, deren Zahl jetzt etwa 42000 betragen soll. Liner der interessantesten Teile Polens ist der Südosten des Bandes. Dort liegt die Gouvernementsstadt lublin, vor dem raschen Ausblühen von todz die zweite ötadt Polens, die aber jetzt von 70000 Ein« wohnern, die sie einst gezählt haben soll, auf etwa 27 000 gesunken ist. Die 5tadt ist reich an alten Palästen des polnischen Adels, ^n der polnischen Geschichte hat sie eine wichtige Rolle gespielt: viele Reichstage wurdeu hier adgehalteu und glänzende Feste in der Stadt gefeiert. Hier kam auch auf dem ein ganzes ^ahr dauernden Reichstage von ^5t>9 die Vereinigung liitauens mit polen zu stände, jener Vertrag, der uuter dem Namen der knbliner Union bekannt ist. Schon unter den ^agellouen war Dublin eine reiche Handelsstadt, auf dereu Märkte vou weither Kaufleute kamen, und heute noch ist es dank seiner s^age in einer der fruchtbarsten Gegenden Polens ein Hauptplatz für den Gelreidehandel und hat auch als Industriestadt, in der Tuchfabrikation, sich eine hervorragende Stellung erruugen. Das Gouvernement tublin ist eine Rorukammer Polens. Unübersehbare Getreidefelder ziehen sich längs der Eisenbahn hin. An der Vahnlinie liegt gegen Gsten die alte Stadt cühelm, der Sitz eines Bischofs der griechisch-unierten Rircke, die jetzt nach den vielen Übertritten zur Staatskirche kaum noch 200000 Ve> kenner in ganz polen zählen dürfte, und am linken Vugufer das kleine Dubienka, bekannt durch seine heldenmütige Verteidigung durch Sobiesky am ^7. ^uli ^"9^, ^^ danach den Beinamen „der Held von Dubienka" erhielt. Die Südgrenze Polens gegen Galizien ist reich au Städten, die einst eine große Rolle gespielt: Zamo5<5, einst der Sitz der reichen Grafen Zamoiski, die hier sogar eins Akademie gründeten, Horodla am Vug, bekannt durch den vertrag zwischen polen und littauen im Jahre 1,^3, im Gouvernement Radom die Stadt Sando» -------- 280 -------- nn'erz an der Weichsel, im ^3. Jahrhundert Hauptstadt Polens und eins reiche Handelsstadt, die jetzt nur noch Holz« nud Getreidehandel treibt, wisliza, auch eine ehemalige königliche Residenz n. a. Tangs des bis zu 20 Kilometer Vreite sich hinziehenden Sandomirer Gebirges, aus welchem die ein altes Kloster tragende, 700 Meter hohe Tysa G6ra aufsteigt, liegen viele Industriestädte: die Gouvernementsstadt Kielce (Zuckerfabriken, Eisenhütten), Chmielnik, pinczow, Chencin (Marmorbrüche) u. s. w. Der Voden ist am linken Weichselufer nicht so fruchtbar wie auf dem rechten, in der ehemaligen Woiwodschaft Tublin. Das zerklüftete Kalksteingebirge geht gegen Westen allmählich in niedrige bewaldete Hügelzüge über, die Weichsel aber stießt bis zur Mündung des wieprz bei Iwangorod zwischen steilen, bewaldeten Nfern dahin. Die Verheerungen, welche dieser Fluß auf seinem 7^2 Meilen langen Tauf durch f)olen anrichtet, sind geradezu schrecklich. Der Schlamm, der nach den Überschwemmungen auf den Feldern zurückbleibt, ist zwar ein vorzüglicher Dünger, aber dieser Nutzen steht in keinem Verhältnis zu dem Schaden, welchen die dreimal jährlich eintretenden Überschwemmungen verursachen. Rein Damm schützt gegen den reißenden Strom, der jede Schranke durchbricht, Meilen weit das Tand überschwemmt und oft ganze Dörfer hinwegspült. Vesonders die Gegenden in der Nähe von Mündungen der Rebenfliisse, so z. V. Iwangorod, haben viel zu leiden. Das Tos der Vauernbevölkerung in solchen Gegenden ist selbstverständlich kein beneidend wertes, im allgemeinen aber steht sich der Vauer in f)olen jetzt hundertmal besser als zur Zeit der polnischen Republik. Die Leibeigenschaft war im freien polen viel drückender als in Rußland, wo das Verhältnis zwischen Herren und leibeigenen in den meisten Fällen — Ausnahmen kommen ja liberall vor — ein echt patriarchalisches war, und die Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre ^80? brachte keine Wendung zum bessern, da der Vauer zwar frei wurde, aber keinen eigenen Grundbesitz erhielt. Seine jetzige bessere Tage verdankt der Vauer der russischen Regierung, welche ihm im Jahre ^86H gleich den dauern Rußlands Tand zu vollem Eigentum anwies — ein für die Befestigung der russischen Herrschaft hochwichtiger Schritt, welcher, wie sich schon bei dem letzten polnischen Aufstand gezeigt hat, die Sympathie der großen Masse der Tandbevölkerung der Regierung sicherte und der Revolutionspartei den Anhang in den Kreisen derselben entzog. Der Vauer ist im allgemeinen mäßig, aber auch nicht sehr arbeitsam; seine Frömmigkeit ist ebenso groß wie seine Sorglosigkeit. Heiter und lebenslustig, liebt er den Tanz über alles. Man unterscheidet unter der Vauernbcvölkerung heute noch mehrere Stämme, von denen die interessantesten die Masuren im Gouvernement plozk, die Kujawzen im Norden des Gouvernements Warschau und die längs der Karpaten wohnenden Krakowiäken sind. In der Kleidung sowohl als im ganzen Äußern sind diese Stämme wesentlich einer vom andern verschieden, während die Masuren das Haupthaar über der Stirn kurz scheren, sonst aber es lang herabfallen lassen und lang herabhängende Schnurrbärte tragen, findet man bei den durch ihr dunkles Haar von den anderen polen sich unterscheidenden Krakowiäken niemals einen Vart. Die Masuren tragen gleich den Russen das Hemd über den Beinkleidern, durch einen wollenen Gürtel zusammengehalten, nnd darüber eine Art Kaftan von weißer oder schwarzer Farbe, den Sukman, und auf dem Kopfe eine niedrige Schaffellmütze, im Sommer wohl auch einen Strohhut. Die Krakowiäken dagegen tragen die bekannte polnische Mütze von viereckiger Form, die Konföderatka, ein weißes Hemd, das am Halse durch Vänder geschlossen wird, einen mit allerlei glänzenden Zieraten reich geschmückten breiten Gürtel und einen Kaftan von brauner, blauer, auch weißer Farbe, an dem sich eine Kapuze befindet. Die Absätze ihrer Stiefel sind mit Eisen beschlagen, denn es muß einen hellen Klang geben, wenn dieselben beim Tanz aneinander schlagen. Ihr spezieller Nationaltanz ist die Krakowiäka, während bei den Masuren die Masurka zu Hause ist. Die Krakowiäken und die Kujawzen kennzeichnet das polnische Sprichwort: „Die Krakowiäken und die Kujawzen sind gute Vurschen: sechs Tage arbeiten sie, den siebenten bringen sie beim Tanz in der Schenke zu." Mit der Gutmütigkeit der Krakowiäken ist es übrigens nicht weit her: sie sind nngemein rachsüchtig. Den Krakowiäken sehr ähnlich sind die ihnen benachbarten Sandomirer, wogegen die sogenannten podlächen ein Mischvolk sind, durch vereiuigung von Weißrussen und polen entstanden. Dem Edelmann begegnet der Vauer fast überall noch mit kriechender Höflichkeit. Selten wird er es unterlassen, durch sein stereotypes padum dn nü^ (ich falle zu Füßen) seine Unterwürfigkeit zu bezeigen. Das ist noch eine Angewohnheit aus den schlimmen Tagen der Teibeigenschaft, aus jener Zeit, in welcher der ?M I) I^r^t, vc,n ^ml'^ch ans. 2) Die Rumen d^s Bonn's nn^ di,' ^it'Ii^thck. .^) Vomniim' (l"'» ^ ^»doril ^l'itl',, 4, Uniroisitat. I) 5teinl,'r!!!,' ^rücko iibcr d<,'n Emdach. <<) Ratliaus. 7) Rliink. 26 IN^rkt in cincm kleinrussischen Vorfe. _____282 _____ „welmoschuy Pan", der „hochvermögende Herr", den Vauer wic einen Hund behandelte und ihn mit dem Schimpfnamen Cham, dein Namen des von Noah verstoßenen Sohnes, rief, aber sobald der Herr ihm den Rücken gekehrt hat, ist die unterwürfige Miene des dauern schnell verschwunden. Mit der sich bessernden materiellen Tage der Vauern lind der wachsenden Selbständigkeit schwindet jedoch, wenn auch nur langsam, die erheuchelte ererbietige Scheu uor dem Edelmann. In landwirtschaftlicher Veziehung könnten dic zehn Weichselgouvernements den ineiften andere»» Nußlands als Auster und Vorbild dienen. So große Güter wie in Rußland sind in polen selten; der kleine Adel (die Schlacht«) und eingewanderte Deutsche bilden als Besitzer kleiner Landgüter einen zahlreichen Mittelstand zwischen dein Vauer und dem Großgrundbesitz, eine Übergangsstufe, die man in Rußland vermißt. Auf den meisten dieser kleinen Güter werden die Felder gut bestellt, auf vielen auch schon künstliche Düngmittel verwendet, lind der Ertrag ist verhältnismäßig ein höherer als auf manchem großen Gute in Rußland, polen deckt mit seiner Getreideernte nicht nur den bedarf seiner Bevölkerung, sondern liefert auch noch beträchtliche Quantitäten zum Export. Der Durchschnittsertrag der Ernte ist z. ^>. höher als in den doch wegen ihrer Fruchtbarkeit berühmten Gouvernements im Süden Rußlands, und nur die Gstseeprooinzen über» treffen polen in den verschiedenen Getreidearten, bleiben jedoch im Rartoffelbau hinter ihm zurück. Der Aufschwung der Industrie 'n Polen hat zur Rultur vieler Fabrikpflanzen geführt, unter denen die Zuckerrübe obenan steht. Im Jahre ^8?9 bestanden in Polen 5H Zuckerfabriken, welche mehr als ^ti 000 Arbeiter beschäftigten und etwa 2^/,,, Millionen Pud Rüben verarbeiteten. Gleich dem Ackerbau ist auch die Viehzucht in polen in erfreulicher weise entwickelt, besonders die Schafzucht, welche nicht nur die vielen einheimischen Fabriken mit wolle versorgt, sondern auch noch solche zum Export liefert, polen besitzt etwa ^ 200 000 Schafe, davon mehr als die Hälfte Merinoschafe, also doppelt so viel Schafe als Rindvieh, welches letztere durch die vom Süden Rußlands häusig eingeschleppte Rinderpest sehr dezimiert wird. Linen bedeutenden Exportartikel, besonders nach Deutschland und (l)sterrcich, bilden Schweine, obwohl die Schweinezucht noch viel zu wünschen übrig läßt. Die polnischen Pferde, die trotz ihrer unansehnlichen Gestalt früher als Militärpferde einen Exportartikel bildeten, sind eine kräftige, ausdauernde Rasse, sowohl als Zug» wie als Reitpferde verwendbar. Ihre Zahl stellt sich auf etwa 750000. von den landwirtschaftlichen Gewerben sind viele hoch entwickelt. Von den ^55 Bierbrauereien befinden sich ?? in Dörfern und auf Gütern, die größten allerdings in den Gouvernementsstädten, besonders in Warschau, die Vranntweinbrennercicn dagegen befinden sich fast alle auf dem tande. In» Jahrs ^8?H Zählte mall 738 Vrennereien mit einer Produktion von 2 3^5 000 Wedro wasserfreien Spiritus. Über die polnische Waldwirtschaft fehlen genaue Angaben, wir wissen, daß viele Großgrundbesitzer ihre Waldkomplexe durch deutsches Forstpersonal bewirtschaften lassen und daß auf ihren Gütern die Wald» wirtschaft eine zufriedenstellende ist; dagegen wissen wir aber auch, daß in polen, wenn auch nicht so wie in Rußland, mit dein waldbestand sehr leichtsinnig umgegangen wurde. Die berühmten und berüchtigten polnischen Wälder sind sehr gelichtet, und Tausende und aber Tausende schöner alter Stämme haben dank der rastlosen Thätigkeit der jüdischen Holzhändler auf der Weichsel und anderen Flüssen die Reise ins Ausland angetreten. Wie in Polen, ja noch viel mehr als in diesem, sind auch in Littauen die Wälder bedeutend gelichtet worden. Das heutige Littauen ist nicht mehr jenes unwirlbareLand, das es noch vor hundert Jahren war. Auch heute noch giebt es im Gouvernement Grodno viele Sümpfe und Wälder, aber von Jahr Zu Jahr werden große Strecken Sumpfland der Kultur gewonnen, die Wälder immer mehr ausgerodet, und wo man früher nur einsame Meiler traf, dort findet man jetzt von Feld und wiesen umgebene Dörfer und rasch wachsende Städte. Ein großer Waldkomplex, der letzte Rest der littau'schen Urwälder, ist dort noch in dem Wald von Vjela wescha (d. i. der weiße Turm) übrig geblieben, welcher den nördlichen Teil der etwa 22 ^1 Meilen großen Vjelowescher Heide einnimmt. Da stehen gewaltige Vaumriesen, Nadel- und Taubholz, Fichten, Riefern, Ahorn, Virken, Vuchen, Erlen, Linden und Eichen von einer Größe, wie man sie wohl sonst nirgends mehr so häufig zu sehen bekommt. Epheu und wilder Hopfen schlingen sich von Vaum zu 25aum lind umranken das unter den gewaltigen Stämmen emporgeschossene Unterholz, die Espen, weiden und Haselnuß» sträucher, und unten ragen in dichten Vüschen die Farnkräuter empor, und allerlei Schilf- und Grasgattungen, -------- 28^ -------- die wie eine grüne Mauer jedem Eindringling den weg versperren. Das sind aber noch keine ernste»: Hinder» nisse für jenen, der sich einen weg durch die Wildnis bahnen will. Da gilt es bald durch dicht verschlungenes Gestrüpp zu dringen, vor Alter morsch gewordene und gestürzte Riesenbäume, die zu Staub zerbröckeln, wenn man über sie hinwegsteigen will, hindern das Forlkommen, und plötzlich senkt sich oft der ^3oden unter den Füßen des Wanderers und das hervorquellende Wasser inahnt ihn zur Vorsicht, Rasch und behend über die sumpfige Stelle! Doch kaum ist das eine Hindernis überwunden, so türmen sich schon wieder andere auf, und unter endlosen Mühe»: und Anstrengungen wird der Marsch fortgesetzt. Der Anblick des herrlichen Waldes entschädigt aber reichlich für alle Beschwerden, wie mannigfaltig ist die Tierwelt, die man da erblickt! Singvögel schmettern von den bäumen herab, dort klopft der Specht an einem ^cmmstamm, Trappe,: und Virk» und Haselhühner scheuchen wir aus den: Grase auf, die Fläche der vielen kleinen Teiche beleben große Schwärme wilder Enten, am Ufer erblicken wir Vekasfinen und Doppelschnepfen, und prächtige Schmetterlinge schweben über unseren: Haupte dahin. Seit dem Jahre ^860 hat die Art des Holzfällers die heilige Ruhe des alten Waldes nicht mehr gestört. Die Regierung gestaltete früher den Holzhändlern das Holzfällen ohne alle Entschädigung, nur gegen die Bedingung, daß alle Gebäude, welche von den Holzfällern errichtet wurden, Eigentum der Forstverwaltung werden sollten, und es wurden in manchem Jahr ^0000 und mehr Vä'umc gefällt, bis der Raiser das Holzfällen verbot, weil er die Verminderung der Zahl der Wisente auf der 2^jelowescher Heide den: ^ärn: zuschrieb, den die Arbeiter im Walde verursachten. Hetzt ist es sogar verboten, das Holz gestürzter Väume fortzuführen; die Wisente, zu deren Schutz der Wald für unantastbar erklärt wurde, haben sich jedoch trotzdem nur wenig vermehrt. Am Anfang dieses Jahrhunderts zählte man in der Bjelowescher Heide noch ^000 Stück und ^65^ sogar ^00, doch seitdem haben die Wolfe und der Mangel an Nahrung arg unter ihnen aufgeräumt, so daß jetzt nur noch etwa 500 vorhanden sind. Es ist streng untersagt, einen Wisent Zu töten oder einzufangen; ihre Jagd ist so zu sagen Monopol des Raisers. Die Exemplare, welche in Europa in zoologischen Gärten vorhanden sind, wurden diesen oder befreundeten Fürsten vom Raiser überlassen, so den» Zoologischen Garten in Berlin, dem Fürsten f)leß und anderen. So wie jetzt noch im Norden der bjelowescher Heide, so sah es einst in ganz Altanen aus. Unermeßliche Wälder bedeckten das Lxmd, und wo der Wald aufhörte, begann der Sumpf. Auch hier hat vieles deutsche Arbeit geschaffen. Der zwischen die Gstseeprovinzen und die Grenze Ostpreußens sich hineindrängende Teil Oltauens, das Gouvernement Rowno, hat bereits eine so bedeutende deutsche beoölkerung, in deren Händen sich sehr viele große Güter befinden, daß auch in bezug auf diesen Teil Rußlands in letzter Zeit wiederholt Stimmen in der fresse laut wurden, welche darauf hinwiesen, daß das Gouvernement immer mehr ge» manifiert werde und Rußland, wenn man der Eimvandernng keine Schranken setze, bald vier deutsche Provinzen anstatt der bisherigen drei haben werde. In den Städten ist von einer solchen Germanisation nichts zu bemerken — man müßte denn die Juden, welche an manchen Grten die Hälfte der Bevölkerung bilden, für Germauisatoreu erklären. In Tittauen liegt der geistige Mittelpunkt des über die polnischen und littauischen Gouvernements zerstreuten jüdische»: Volkes: die Stadt Wilna. Don den etwa 80000 Einwohnern (incl. Garnison) sind 25 000 Jude»:, und die jüdische Litteratur wird alljährlich durch eine Menge hier gedruckter Vüchcr vermehrt, die teils in hebräischer, teils in deutscher Sprache erscheinen, wilna war früher Hauptstadt von Tittauen. In der heidnischen Zeit wurde hier ein heiliges Feuer unterhalten und der Gott j?erkun, der Donnergott, besaß hier einen berühmten Tempel, dessen Stelle jetzt die schöne Kathedrale einnimmt. Gegenwärtig ist wilna Gouvernementsstadt und Sitz eines katholischen Vischofs. von den viele»: einst berühmten wissenschaftlichen Anstalten wilnas bestehen die meisten nicht mehr. Die im Jahre ^576 gegründete Universität wurde ^832 aufgehoben. Die Stadt besitzt uoch ein jDiaristenkollegium, ein Seminar, eine theologische Akademie, eine medizinisch-chirurgische Anstalt, die sogenannte Ritterakademio und eine Schifferschnle. Die viele»: Paläste polnischer Geschlechter, die großen Kirche»: und alte»: Prachtbauten aller Art steche»: seltsam ab gegen die unsaubere»:, engen, Hügelauf hügelab führende»: Straßen, bei deren Anblick man es unbegreiflich findet, wie eine solche Stadt den stolze»: Veinamen „RIein-Oaris" erhalte«: konnte. Die wilna nächste große Stadt ist die Gouvernementsstadt Rowno. Sie soll bereits in: Auszug zur lx'ucntte. Nach einem Aquarell des Freiherr:! C. von Binzer. -------- 28? -------- ^0. Jahrhundert gegründet worden sein, war vierhundert Jahre später schon ein wichtiger Handelsplatz und im ^ss. Jahrhundert im Getreidchandcl eine gefährliche Rivalin Königsbergs; in den Kriegen des ^7. Jahrhunderts verlor aber Rowno alle Bedeutung und verarmte, so daß es nach der französischen Occupation von ^8^2, während welcher es viel zu leiden hatte, kaum 200 Häuser zählte. Jetzt hat durch die Eisenbahnen der Getreidehandel einen neuen Aufschwung erhalten und Rowno ist durch seine Teinwebereien auch in die Reihe der Fabrikstädte eingetreten. Außerdem wird von hier aus in großen lassen Honig versandt, welcher aus dein Gouvernement Snwalki kommt, wo das kühne Jägervolk der Rurpie, die als gute Schützen bekannt sind, neben der Jagd auch der Bienenzucht obliegt. Große Vrauereien in Aowno bereiten aus diesem Honig einen Meih, welcher unter dem Namen Tippitz bekannt und sehr geschäht isi. Die Stadt zählt jetzt H2 000 Einwohner, darunter, was man schon nach den vielen Synagogen vermutet, etwa 20000 Judeu. Zwischen wilna und Kowno liegt in einem kleinen See, auf einein Inselchen, welches durch zwei Vrücken mit den: Ufer verbuuden ist, Neu^Troki, eine Niederlassung aus der Rrym eingewanderter Karaite». Südwestlich von wilna treffen wir am Riemen die Gouvernementsstadt Grodno, eine reiche Fabrik- und Handelsstadt. Getreide ist auch hier der Haupthaudelsartikel; die Industrie ist vorzüglich durch die in polen viel verbreitete Tuchfabrikalion vertreten, doch außerdem werden noch Gewehre, Vaumwolle, Seide u. s. w. geliefert. Die Stadt Zählt etwa 35 000 Einwohner, wovon drei vierteile Judeu sind; ^880 hat man begonnen, sie zu befestigen, von Grodno aus führt die Eisenbahn durch einen blühenden Judustriebezirk, dessen Mittelpunkt das 2^000 Einwohner zählende Vialystock ist, zur Vjelowefcher Heide und nach der schon erwähnten Festung ^rest-Titewski (siehe Seite 2l)7). An der Grenze wolhyniens beginnen die Oripetsümpfe, südlich von welchen viele größere Städte, aber auch zwischen dem Styr und Goryn zahlreiche deutsche Rolonieen liegen. Wladimir» wolynski, eine alte Stadt, die schon von Nestor erwähnt wird, hat überwiegend jüdische Bevölkerung und ist der Ausgangspunkt eines lebhaften Schmuggels über die österreichische Grenze. Dann folgen Tuzk, einst Hauptstadt eiues Fürstentums — Dubuo uud das alte Rremcnetz, dessen Tyceum nach Aijew verlegt wurde, wo aus demselben später die jetzige Universität entstand — ferner Gstrog, früher Hauptstadt eines Fürstentums, auch dadurch bemerkenswert, daß hier eine der ersten Druckereien der ostslavischen Tänder bestand, in welcher ^58^ eine Vibel gedruckt wurde — Saslawl u. s. w. Iu allen diesen Städten bilden Juden einen bedeute»,den Bruchteil der Bevölkerung; Dubno ist fast au-schließlich von ihnen bewohnt. Die Eisenbahn berührt diese Grte nicht, trotzdem in allen mehr oder minder lebhafter Handelsverkehr herrscht und die Städte Kowel und Rowno, welche Eisenbahnstationen wurden, verhältuismäßig ziemlich uubedeutend sind. Die jüdische Stadt Star0'Konstantinow treibt lebhaften Handel mit Getreide, Pferden und Schweinen über Tarnopol mit (Österreich und ist Salz-Depot für die Umgegend. Im Gsten wolhyniens liegen die Städte Schitomir, Nowo-grad>wolinski, in dessen Nähe sich deutsche Rolonieeu befinden, und Gwrutsch an der Norina. Das Flüßchen Slutsch bildete früher die Grenze des Rosakenlandes, denn zum eigentlichen wolhynien gehört das östlich von ihm gelegene Tand nicht; es ist erst später mit dem Gouvernement wolhynien vereinigt worden. In grauer Vorzeit wohnten hier die Derewier, durch welche der Großfürst Igor erschlagen wurde, worauf seine Gemahlin Glga, wie Nestor uns ausführlich schildert, an dem armen Volk furchtbare Rache nahm. Nördliche Nachbarcu der Derewier waren die Kriwitschen, die in dem jetzigen Gouvernement Minsk wohnten, das heute noch an Wäldern und Sümpfen reich ist. Inmitten der Lripetsümpfe liegt die Stadt Oinsk in ungesuuder, von Fiebern heimgesuchter Gegend. Der privet, der durch die Sümpfe dem Dniepr zustießt, tritt häufig aus seinen Ufern und überschwemmt weithin das ganze Tand. Die Vevölkerung ist arm, die Dörfer sind klein; ineist trifft man nur einsame Gehöfte zwischen Wald und Sumpf. Die weißrussische Vevöl» kerung dieser Gegenden hat gleich ihren Stammverwandten in den jetzigen Gouvernements Grodno, Aowno, wilna, witebsk u. s. w. schwer unter der polnischen Herrschaft gelitten und war unter derselben geistig und körperlich verkommen. Hier ist die Heimat des Weichselzopfs (des Roltun, I'lic^i powni<:a), von dem besonders in dein sogenannten f)olesie selten ein Vauer frei ist. Die Gouvernementsstadt Minsk zählt HH 000 Einwohner, darunter ein Driltel Judeu und einige hundert Tataren, die Nachkommen von Gefangenen, welche einst aus der Rrym hierher gebracht wurden. Die Stadt treibt bedeutenden Handel, macht aber trotz ihrer freundlichen läge keinen günstigen Eindruck, da -------- 288 -------- die Straßen eng und unregelmäßig angelegt sind und Holzhäuser uoch überwiegen. Die Eisenbahn überschreitet die Veresina bei 35orisow, in dessen Nähe sich der Brückenkopf befindet, den am 20. November ^8^2 die Russen nach mehrstündigem Kampfe erstürmten, um der heranziehenden „großen Armee" den Übergang zu verwehren. Napoleon, der fünf Tage spüler an der Veresina eintraf, wußte bekanntlich die Russen zn täuschen, und während man einen Übergangsversuch südlich von Vorisow erwartete, ließ er nördlich von demselben bei dem Dorfe Studzianka zwei brücken über den mit Treibeis bedeckten Fluß schlagen und überschritt diesen am 2b. und 27. November mit dem größern Teile seiner Armee. Am 28. November erfolgte dann auf beiden Flußufern der Angriff auf die Franzosen, den diese anfangs siegreich abwehrten, Als sich jedoch die Nachricht verbreitete, daß die russische Hauptarmee unter Autusow in ihrem Rücken heranziehe, lösten sich in der französischen Armee alle Aande der Grdnung, und es begann jene wilde Flucht über die Vrücken, bei welcher Tausende in den eisigen Fluten ihr Grab fanden, von der großen Armee, welche gegen Moskau gezogen, war am 29. November nur noch ein ungeordneter Haufe von HO 000 Mann übrig, der von den Russen verfolgt gegen wilna floh, und doch waren nur wenige Monate verflossen, seitdem die gewaltigen Heeressäulen des Rorsen voll Siegeszuversicht über Minsk nach Vsten gezogen waren, jenseits der veresina beginnt Ms Straße, auf welcher Vagration und 2)arcla>' de Tolly dem eindringenden Feind so zu sagen ^eden Fuß breit streitig machten und dieser schon durch die blutigen Rämpfe bei Smolensk, ^ubina, Borodino (Schlacht an der Moskwa) und Moshaisk eine Ahnung von der Ividerstandsfähigkeit Rußlands gewinnen konnte. Die Stadt Smolensk, um deren Vesitz damals zwei Tage lang (1.7. und ^8. August) gekämpft wurde, ist eine der ältesten russischen Städte; Nestor berichtet, daß sie <3)leg, der Nachfolger Ruriks, auf seinem Zuge gegen RiMv eroberte. Nachdem sie eine Zeit lang mit Kijew vereinigt gewesen, wechselte die Stadt in der traurigen Periode der Zersplitterung Rußlands in die Teilfürstentümer sehr oft ihren Herrscher und wurde schließlich mit Littauen vereinigt. Die Vlütezeit von Smolensk fällt in das ^6. Jahrhundert; damals stand es noch unter littauischer Herrschaft und soll 200 000 Einwohner gezählt haben. Seit ^66? mit Rußland vereinigt, wurde Smolensk unter Oeter dem Großen stark befestigt, und »och heute ist es ein strategisch wichtiger Olah mit einer Citadelle und mehreren Anßenwerken. Noch steht die alte, unter Voris Godunoff erbaute, bis ^5 Meler hohe und l> Meter dicke Mauer, welche von 36 Türmen flankiert war. Die hier mündenden Eisenbahnen (Moskau-Vrest und U)itebsk-»at. Naä' A. INanritins. ^loch einmal knßt »nein thränenfeuchtes Alige, Di» tenre I^nttcr^ Dich, die mich gebar, Daß es der Mc>ll>,st sauber ans Dir sänge, Der einstens ihm des Lebens Balsam war. Jetzt lebe wohl, Dn «'and mit Deinen 3öhncn, Mit Deiner reinen Liifte trübem I?cer, Mirst mir des Lebens 2tbeud nicht verschönen; Mich trägt zmn Feinde hin das wcitc Meer. Dn tränte steppe, die inein ^os; durchjagte, Dn Canncnn'ipfel, der mein Lied gestöhnt, Dn leiser !5ach, der meine Liebe klagte, Dn weiches Moos, das mich im schlaf versöhnt! lebt alle wohl, ich zieh' in enge Räume, )n düstre Rerkermanern kehr' ich ein; Dort schweben nicht mehr nm mich Freiheitsträume, Dort mns; ein Sklave ich der Sklave» sein. Nicht locken ^veichtnm, f?rnnk nnd Rostbarkeiten, Die unersättlich häuft der Grient, ivonach die rauhen Horden ewig streiten, wonach der Völker Sande sie getrennt. Uns g'nügt der Fisch am klaren Wasserspiegel, Des Waldes Tier, so in das ^arn nns sprang, Der Lüfte scharweis flatterndes Gesinge! Nnd unsrer 5teppe gold'ner öchwanensang. Geleitet mich, Ihr sanften Trancrklängc, Flicht nicht von mir, Ihr seid mein Lin, »nein All, 3eid in der llerkerwand mein Grabgcpränge, scheucht inir die Finsternis dnrch süsien schall. Nnd Du auch, olhriftengott, geleite nlich hinüber, Denn Allah zürnt lind donnert ewig nnr. Dein wort ist sanft — doch jenes 25lick ist trüber - Tr steigt nie freundlich ab in die Natur. 3o lebt den» wohl, Ihr seligen Gestade! <3s Iet-,t den ^lick mir Eure letzte 5pur, Ich wandle fortan nur noch Dornenpfade — Doch nein — es wandelt inein Gedanke nur. Die kleinrnssischc f)osie ist ebenso reich als mannigfaltig. Neben deu epischen Dichtungen, welche die Thaten der vorfahren schildern, finden wir reizende tiebeslieder, in denen die reinste Zärtlichkeit mit glühender Empfindung, mit einer Kraft des Ausdrucks und so farbeureicher Sprache gepaart ist, wie man ihnen in Volksliedern scltcn begegnet, und dann wieder iene melancholischen weisen, welche von deu teiden des Volkes unter der Herrschaft der polnischen Oane berichten und dem Sänger wie dem I^örer Thränen in die Augen locken, blinde Greise ziehen, von Knaben geführt, von Dorf zu Dorf, von einem Jahrmarkt zum andern, uud singen die alten bieder zu den Klängen der nationalen Instrumente, der Kobsa oder Vandure, einer Art Mandoline, oder einer Teier. Das sind die Kobsary, die Äanduristen, die ^yrnjiki (siehe Seite 269), und wenn sie zu ihrer Vandure zu singen beginnen, „da sehen die Vurschen uud Mädchen einander mit freude« strahlenden blicken an, die Alten verjüngen sich uud erheben ihre gebückten Köpfe." In früherer Zeit zogeu die ^anduristen mit den Saporogen in den Krieg, um sie gleich den Skalden der nordischen Völker mit ihren Gesängen zum Kampf und zu ruhmvollen Thaten anzufeuern, „leider," schreibt eiu Vesucher der Ukraine, 27* -------- 292 -------- „verschwinden die Überlieferungen der ältern Zeit mit jedem Jahre mehr in Rleinrußland. Die berühmten Namen: Naliwaiko, Agaidatschni, Doroschenko, Moroscnko, Chlnelnizki bewegen schon nicht mehr die Herzen des Volkes. Sie haben sich wohl in den alten ukrainischen biedern und Ideen erhalten, aber die Ukrainer selbst singen neue Lieder, in denen man nicht mehr die Namen der berühmten Helden des Rosakentum- hört. In dem zweiten und dritten Jahrzehnt des jetzigen Jahrhunderts konnte man noch in der Ukraine alten Männern begegnen, die von Dorf zu Dorf wanderten und durch ihr Spiel auf der Vandure, durch Erzählungen Altt'r Bettler. I'lach cincm Aquarell des Freiherrn C, r>c»ii Winzer. ans der Vergangenheit und durch den Gesang von alten biedern das Volk anzogen. Man begegnet ancb jetzt noch solchen Vanduristen, aber ihre Erzählungen werden mehr und mehr verworren." Die bänger der Heldenthaten des Rosakentums werden bald ebenso von der ^rde verschwunden sein wie die S,>tscha (siehe Vand I S. 2?9) fast spurlos verschwunden ist. Das Dorf pokrowskoje nimmt jetzt die Stelle ein, an welcher einst die letzte Sötscha der Dnjepr-Rosaken stand, die auf Vcfehl Ratarinas II. 1^775 durch General Ceköli zerstört wurde. Raum erkennt man noch die Spuren der ehemaligen Vefestigungcn, und Die Universität in Aijew. auch die alte Kirche der Saporogen ist verschwunden, wie viel Fracht und Reichtum war in dieser Kirche der von den Kosaken hochverehrten Gottesmutter vereint! Alan glaubt die Schilderung einer Schatzkammer aus „Tausend uud eine Nacht" vor sich zu haben, wenn man das Verzeichnis der Kostbarkeiten liest, welche die Kosakeukirche enihielt, viele Zentner Gold und Silber, Kreuze, Campen uud andern Kirchenschmuck, nnt perlen uud Edelsteinen besetzte Evangelien, Vilder uud Gefäße, gegen hundert kostbare Kirchengewänder u. s. w. Das ist nun alles unwiederbringlich dahin. Im Aussterben ist auch noch ein anderer Überrest aus alter Zeit, der Tschumak, ein Repräsentant des Nomadentums im klein russischen Volke. Gegenüber den Eisenbahnen und Dampfschiffen hat er einen schweren Stand, und die Grenzen des Gebietes, in welchen: er noch konkurrenzlos sein? Thätigkeit entfalten sann, werden von Dahr zu Dahr enger, wo jedoch der pfiff der Lokomotive noch nicht ertönt, dort ist der Tschumak eine hochwichtige Persönlichkeit, wenn im Fri'lhjahr der Ruf: „Die Tschumaki sind da!" ertönt, stürzt alt und jung aus den Häusern uud eilt deu sehnsüchtig Erwarteten eutgegen. Dort erscheint schon die Spitze, die Avantgarde des langen Zuges hinter einem der Kurgane, mit denen die Steppe besät ist. langsam und bedächtig schreiten die kräftigen Gestalten mit den hohen Schaffellmützcu neben ihrem Ochsengespann einher; schon von weitem hört man das Knarren der Räder und deu monotonen Gesang der Tschumaki, dann und wann unterbrochen von lauten Zurufen, mit welchcu sie, ihre Stäbe schwingend, die trägen Tiere zu rascherem Gang antreiben. Nun hat der Zug das Städtchen erreicht und macht vor demselben Halt. Die Gchsen werden ausgespannt und lagern sich alsbald neben den wagen, wo Futter für sie ansgebreitet wird; Feuer werden angezündet und große Kessel über dieselben gehängt, in denen das Leibgericht des Kleinrussen, die gefüllten Mehlklöße, die Galuschki zubereitet wird, uud um das Feuer herum sitzen und liegen die Tschumaki, die kurze pfeife im Munde, ohne welche man selten einen Kleinrussen sieht, für dessen Erscheinung sie ebenso charakteristisch ist wie seine hohe Tammfellmütze. Einige begeben sich vielleicht ins Städtchen oder Dorf, um Vekannte zu besuchen oder im Vasar nachzusehen, ob sich Käufer für ihre waren fiuden. Der Tschumak treibt nämlich zweierlei Gewerbe, wie schon sein Name andeutet, der von Tschuma (Post) abgeleitet wird, ist er zunächst Fuhrmann; er vermittelt den Trausport dcr in den Häfen des Schwarzen leeres ankommenden waren nach den Gegenden im Innern des Bandes. Außerdem kauft aber der Tschumak in deu Hafenorten noch für eigene Rechnung allerlei waren, besonders Salz, auf, für welche die Bevölkerung des Vinuenlandes jederzeit Vedarf hat, so daß er auf seiuem Zuge leicht für sie Käufer findet. Daher die Aufregung, welche das Erscheinen der Tschumaki in Grten hervorbringt, die abseits von den modernen Verkehrsstraßen liegen und für welche der Tschumak so zu sagen der einzige Vermittler des Verkehrs nnt der Außenwelt ist! Gbwohl der Tschumak das Tos der Postillons und Postkutschen teilt lind überall dort verschwindet, wo die Eisenbahn die Güterbeförderung übernimmt, so hat doch die Neuzeit auch in jenen Gegenden, in denen er noch konkurrenzlos dasteht, schon einen wesentlichen Einssnß auf ihn ausgeübt; zwar uicht auf seine äußere Erscheinung — denn die Tammfellmütze und die mit Teer beschmierten weiten Veinkleider wird er nie ablegen — wohl aber auf die Art und weise des wareutransportes. Früher — und das ist noch gar nicht lange her — ging es dabei recht patriarchalisch zu. 2)ei Nerislaw, wo die Wagenkolonnen, die vom Süden durch die Steppe gezogeu kamen, deu Dnjepr zu überschreiten pflegten, war eine Überfuhr eingerichtet. Die Regierung unterhielt dort für den Salztransport zehn große Fähren spar<',m; Prahm) uud außerdem standen noch etwa 70 solcher schwerfälligen Fahrzeuge, die Eigentum der Nferbewohner waren, bereit. Was vermochte aber diese kleine Flotille gegenüber einem Andrang von Tausenden von Wagen, die sich bei Verislaw einfanden! Oft standen ^N000 wagen an, Ufer, und die schwerbeladenen Prahme vermochten wegen widriger winde die Fahrt über den Strom nur einmal im kaufe des Tages zurückzulegen. Da harrten denn manche Tschumaki Wochen laug, ja länger als eineu Mouat, bis die Reihe au sie kam, uud sie mußten noch froh sein, wenn die Vesitzer der Überfuhr, die ihr Monopol rücksichtslos ausbeuteten, nur eineu Rubel für den wagen verlangten. Das Geschäft der Fährenbesitzer war so einträglich, daß viele Einwohner von Verislaw ihre Felder verkauften und sich ausschließlich der Überfuhr der Tschumaki widmeten, die ihneu im Sonnner so viel abwarf, daß sie im wiuter nicht zu arbeiten brauchten. Das Arbeiten war überhaupt ihre Sache nicht; sie sahen nur darauf, daß die wagen auf der Fähre so dicht gestellt wurdeu, daß möglichst viele darauf platz fanden — -------- 2Y6 -------- das Hinüberrudern mußten die Tschumaki für ihr Geld noch selbst besorgen. Zur Zeit des Hochwassers war der Fluß vier Werst breit und die Fähren wurden durch die Strömung oft weit abwärts getrieben. Da änderte sich plötzlich das ganze Verhältnis. Ein unternehmender Gutsbesitzer ließ ans England einen kleinen Dampfer kommen und bot den Tschumaki seine Dienste an — für 30 Kopeken für jeden wagen. Die Fährenbesitzer lachten und spotteten anfangs — sie hielten sich für unentbehrlich, und da schon früher einmal ein von (üherson heraufgekommener kleiner Schleppdampfer sich als unbrauchbar erwiesen und die von ihm geschleppten Fähren mitten im Fluß hatte loslassen müssen, glaubten sie auch jetzt nicht an ein Gelingen des Unternehmens. Doch siehe da — es gelang! vergebens überboten sich nun die Fährenbesitzer in geringeren Angeboten, vergebens strengten sie schließlich sogar eine Klage wegen Gewcrbsstörung gegen den Eigentümer F'alzrt durch die steppe. des Dampfers an — der Kampf gegen die Neuerung war von kurzer Dauer. Die Regierung gab die von ihr mit großen Kosten bisher erhaltene Überfuhr auf, und bald folgten die Fährenbesitzer ihrem Beispiel, um sich wieder den: Ackerbau zu widmen. Für )5erislaw jedoch war die neue Einrichtung ein harter Schlag. Die Tschumaki, welche bisher Wochen lang bei dein Grte warten mußten, in dieser Zeit viel Geld in' den Schenken und im Vasar ausgaben, setzten nun, wenn sie zum Dnjepr kamen, sofort auf das andere Ufer über und machten erst bei dem gegenüberliegenden kleinen Grte Kachowka Halt, wo ihnen der Besitzer des Dampf« bootes ein Stück Steppe zu unentgeltlicher Venutzung als weide eingeräumt hatte, beider sind jedoch solche Änderungen auch für die Tschumaki selbst, obwohl sie ihnen momentan Vorteil brachten, nicht erfreulich, denn sie sind ein Anzeichen, daß sich die Kultur den Gebieten naht, die bisher von ihnen durchzogen wurden, und neben dem das tand durchbrausenden Dampfroß kann nun einmal das langsame Gefährt der Tschumaki nicht Reste der Ireuenkirchc in Rijew. Regung im frühern Kosakenlande verfolgte. !Nan sah es nicht gern, daß die Sprache des Zweitgrößten russischen Oolksstammes, die von inehr als ^0 Millionen gesprochen wurde, sich zur Schriftsprache ausbildete. Die kleinrussische Kunstpoesie bleibt zwar im großen und ganzen hinter den großartigen Schöpfungen der l)olks> poesie zurück, jedoch auch sie hat schon so manches geschaffen, was ihr ein Anrecht auf Beachtung auch außer-halb russischer Kreise verleiht. Der Vater der kleinrussischen Poesie ist Iwan Aetrowitsch Kotlarcwsly, geboren ^76) in j)oltawa. Er schrieb eine Parodie der virgilschen Aeneide. Gb er eine der Oarodicen seiner Vorgänger Alulnauer und Scarron golesen, ist nicht bekannt, aber sein in der Gestalt eines llkraine-Dagabonden auftretender Trojanerheld fand großen Veifall. Außerdem schrieb Kotlarewsky zwei stücke für die Vühne -------- 29? -------- bestehen. Die Zeit ist wohl nicht fern, in der ein kleinrussischer Dichter den letzten Tschumak wird besingen können und wieder ein ötück Steppen-Romantik zu Grabe getragen wird. !)!cle der poetischen Reize, welche einst die Sleppe umgaben, lcben schon heute nur in der Erinnerung, und allein den Schöpfungen der Dichter Kleinrußlands verdanken wir es, daß sie nicht auch schon aus dieser entschwunden sind. Die kleinrnsftsche Litteratur ist ein echtes und rechtes Kind der öteppe. tvie die öteppcn« blume niemand hegt und pflegt, und dieselbe trotz Dürre und 5onnenglut und trotz der über sie hinbrausenden stürme gedeiht, so hat sich auch die Litteratur der Kleinrussen entfaltet, öie hat lange und schwer unter dem Mißtrauen zu leiden gehabt, mit dem die Regierung nach der Vernichtung des freien Kosakenwms jede -------- 2Z8 -------- des Fürsten Repnin und viele bieder, von denen manche Volkslieder geworden sind. Durch ihn angeregt, sckrieb Artemowsky gleichfalls eine Parodie der Aeneide, welcher die sehr beliebt gewordene Fabel „der lierr und der l^und", Übersetzungen aus Goethe, Mickiewicz (pan Twardowski), I?zora; n. a. folgten. Gsno-wjanjenko (^??8 bis ^8^3) saminelte die kleinrussischcn ^agen. Er wurde in den dreißiger fahren der Mittelpunkt eines ungeniein fruchtbaren Dichterkreises, der neben Übersetzungen manches Griginalwerk lieferte: der Valladendichter Vorowikowsky, Eugen Hrebinka, der Puschkins „poltawa" übersetzte, Vodjansky, Met-linsky n. a. Als den erstell Dichter der Kleinrussen kann n»an Taras Grigorjewitsch öchewtschenko bezeichnen, ^8^ im (Gouvernement Ki^ew als ^ohn eines leibeigenen geboren. Der großrussische Dichter Shukowsky kaufte ihn frei, und er kam bald daranf auf die Akademie nach Petersburg, wo er ein kieblingsschüler Vrüloffs, des Altmeisters der russischen Malerei, wurde, öeine erste liedersammlung ersähen ^8^0 in 5>t. Petersburg, und durch feinen dieser bald folgenden „Robsar" erwarb er sich einen Ehrenplatz unter allen Dichtern der slavischen Welt und wurde mit einem schlage der populärste Dichter Kleinrußlands, „sein Tied," sagt Kostomaroff, „ist an und für sich ein Volkslied, nur ein neues, welches das ganze Volk siugeu könnte." öeine „Katarina" kursierte seiner Zeit in vielen Tausend Abschriften in Kleinrußland, und seine „Haidamaken" und andere kleinere Dichtungen sind heute noch sehr beliebt und zum Teil in aller Munde, öchewtschenko zunächst steht Nikolai Iwanowitsch Kostomaroff, ^8^7 im Gouvernement woronesh geboren. Einem Drama „5awa Tschal/", mit dem er ^838 an die (Öffentlichkeit trat, folgten im nächsten Jahre seine „Ukrainischen Balladen" und ^8H0 eine Sammlung Gedichte, später die Tragödie „Eine Nacht in Perejaslaw" und eine Übersetzung der „Hebräischen Melodieen" von Vyron. Mehr als auf seinen poetischen Schöpfungen beruht jedoch seine Vedeutung auf seinen historischen Forschm'gen, denen er sich nach seiner Verufung auf einen Tehrstuhl der russischen Geschichte in Kijew vorzüglich widmete. Durch seine werke über die Zeit des Vogdan (^hmelnicki wurde Kostomaroff einer der bedeutendsten und verdienstvollsten Geschichtschreiber Rußlands. Er veröffentlichte unter anderem „Der Kampf der ukrainischen Kosaken mit Polen vor Vogdan Chmelnicki", „Vogdan Chmelnicki", „Der Aufstand des 5>tenka Rasin", „5ndrnßland ain (Lnde des ^6. Jahrhunderts" u. s. w. Der fruchtbarste unter den kleinrussischen Dichtern ist Kulisch, der sich auch große Verdienste um die kleinrussische Grammatik und Rechtschreibung erwarb, Er veröffentlichte viele Romane, Erzählungen aus dem Volksleben und Gedichte. In jüngster Zeit macht sich unter den Kleinrussen eine rege litterarische Thätigkeit bemerkbar, und das aus den: unerschöpflichen Vorn des Volkslebens schöpfende ^ungo ^itteratentum berechtigt zu den schönsten Hoffnungen. Der talentvollste der neueren Schriftsteller ist Marko Ivowtschok (Aseudon^m), Kleinrußlands bester Erzähler, von dessen Erzählungen Turgenjew viele ins Russische übersetzt hat. Das geistige s>ben Kleinrußlands fand viel Anregung und Förderung durch die litterarische Thätigkeit im österreichischen Galizien, wo seit dem Vegmn derselben in den dreißiger Jahren einige hundert Vücher erschienen sind und mehrere gediegene Zeitschriften einen großen Kreis tüchtiger Mitarbeiter um sich versammelt haben. Der Mittelpunkt des geistigen Bebens der Kleinrussen bleibt aber doch Kyew, „das alte", „die Mutter der russischen Städte". Kijew ist eine der ältesten russischen Städte. Der Annalist Nestor erzählt, daß drei Brüder, Kij, ^chtschek und Choriw, die Oberhäupter der ^olänen, ain Dnjcpr sich niederließen und eine 5tadt gründeten, welche nach dem ältesten der Brüder Ki^ew benannt wurde. Über den Ursprung keiner andern russischen ötadt ist seitdem von Chronisten so viel gefabelt worden wie über jenen von Kijew, und auch für den Namen der ^tadt hat man bis in die neueste Zeit die verschiedenartigsten Deutungen versucht. 5o erklärt Tatischtschew, das Wort Kyew sei sarmatischen Ursprungs und bedeute Verge; Schtscherbatow bringt den Namen mit den Hunnen, Vaier bringt ihn mit den Goten in Verbindung; Voltin sucht nachzuweisen, daß der Name arabischen Ursprungs und die ötadt von den Arabern erbaut worden sei. In den ältesten werken, in denen Kijews Erwähnung geschieht, kommt der Name korrumpiert und ill einer Menge von Varianten vor: Dithmar von Merseburg schreibt (ünieinva, Kitana und Kitana, Adam von Vremen (^lnve, Helmold (^nne, Gtto von Freising (Ürna5> Konstantin f>orph>'rogeneta kioavn und I^mvo«, Matheus Oarisiensis <^va, und bei morgenländischen Schriftstellern heißt die 5tadt kujavak uud Kuan. Auf den slavischen Ursprung weisen jedoch die vielen ahn» -------- 299 -------- lichen Vrtsnamen hin, die sowohl in Rußland als in anderen Slavenländern vorkommen: viele Dörfer in Rußland heißen Kij^o, im Gouvernement Archangelsk ist ein Flüßchen X.ija und im Gouvernement Kaluga ein Flüßchcn X.ijevvka, in Vöhmen giebt es ei»l I^ijuvv, in Posen K.ievvei u. s. w. Nach der Erzählung Nestors kamen im ^)ahre 86^ Askold und Dir, Waffengefährten Ruriks, den Dnjcpr hinab, fanden dort eine Stadt, welche Kijew hieß, lind machten sich Zu Herren derselben. Zwanzig Hahre später wurden sie von Gleg, der mit dem jungen ^gor Rurikowitsch in diese (legend kam, in eine Falle gelockt und erschlagen. Ein Hügel am Dnjeprufer führt noch jetzt den Namen „Askolds Grab". Olegaber erhob Kijew zur Hauptstadt des Reiches und sprach: „Es soll die Mutter aller russischen Städte werden!" Dieser Wunsch, den Nestor dem Warägerfürsten in den Mund legt, ging in Erfülluug. Nowgorod war die wiege des russischen Staatswosens gewesen — Kijew wurde die wiege der russischen Kirche, wladji-mir der Große (980 bis ^O^) zwang den griechischen Raiser, ihm die Prinzessin Anna zur Gemahlin Zu geben, und diese heirat halte die Einführung des Christentums zur Folge. Die heidnischen Götzentempel verschwanden und christliche Airchen entstanden an ihrer Stelle, wo früher der Götze pcrun stand, erbaute der Fürst eine Kirche des heiligen ^asilius, die jetzige Dreiprälatenkirche' an einer cmdern Stelle, wo einst ein christlicher Waräger als Gpfcr für die heidnischen Götter geschlachtet worden sein soll, erhob sich eine Kirche der Gottesmutter, <)8^) von Griechen erballt. Die letztere erhielt den Namen „Zehnte>»kirche", weil der Großfürst ihr den zehnten Teil seines Einkommens überwies. Die jetzige Zehntcnkirche wurde an Stelle der alten ^828 zu bauen begonnen und ^8^2 eingeweiht. Der heilige Wladimir liegt in ihr begraben. Als im ^)ahrs ^2^0 Mang^, ein Feldherr des Rhans 25atu, Kijcw eroberte, war die Zehntenkirche der Schauplatz er« bittcrter Kämpfe: der 25ojar Dmitri hatte sich mit einer Handvoll Krieger in die Kirche geworfen uud verteidigte sie einen ganzen Tag lang. Die Menschenmasse, die sich in die Kirche geflüchtet hatte, war so groß, daß der überlastete Chor einstürzte. Endlich erlagen die Verteidiger der Übermacht und die Kirche teilte das Schicksal der Stadt, sie wurde in einen Schutthaufen verwandelt, ^n einer Anwandlung von Großmut, die Tapferkeit auch beim Feinde ehrend, schenkte 35alu dem verwundet in seine Hände gefallenen Bojaren Dmilri ^eben und Freiheit, währeud die anderen Kijewer, die sich nicht durch Flucht in die Wälder gerettet hatten, schonungslos niedergemetzelt wurden. Erst nach fahren begann man die Stadt wieder aufzubauen, aber wiederholte Verwüstungen und ^randschatzungen durch Tiltauer, polen und Tataren ließen sie nicht emporkommen. Schließlich wurde Kijew mit polen vereinigt. Unter polnischer Herrschaft erholte es sich rasch, da ihm die Könige viele privi» legien verliehen und sich eifrig bemühten, den Handel zu beleben; trotzdem fühlte die Bevölkerung unter polnischer Herrschaft sich nicht wohl, weil die orthodoxe Kirche bedrückt, der ^au ueuer Kirchen sowie das Ausbessern der alten verhindert und überhaupt nut allen Mitteln dahin gestrebt wurde, Kijew nicht nur in eine polnische, sondern auch in eine katholische Stadt zu verwandeln. ^)n blutigeu Kämpfen löste endlich Kijew und mit ihm ganz Klcinrußland seine Verbindung mit polen und schloß sich an das Zarenreich an, mit dem es seitdem vereint blieb. Das heutige Kijcw ist eine neue, moderne Stadt mit stattlichen Gebäuden und schönen Anlagen, denn die engen Straßen mit den alten Gebäuden hat der große 25rand im ^ahre ^8^ vernichtet. Kijew ist Hauptort des gleichnamigen Gouvernements und Sitz eines Gouverneurs, es ist eine ziemlich bedeutende Handelsstadt, als Festung ein sehr wichtiger platz — aber alles dies tritt weit in den Hintergrund zurück vor seiner religiösen Vcdeutung. Kaiser Nikolaus 1. nannte die Stadt in dcm Nkas, durch welchen er die Errichtung einer Universität anordnete, „die wiege des heiligen Glaubcus unserer vorfahreu", und Alexander II. gab ihr in einem Reskript an den Metropoliten von Kijew (2<). August ^656) den Beinamen „Jerusalem der russischen Lande". Diese beiden Aussprüchc kennzeichnen die Bedeutung Kijews. Das petscherskische Kloster oder die petschers» kischc Lawra ist das älteste Kloster und eine der verehrtestcn heiligen Stätten in ganz Rußland, und zahllose pilgerscharen strömen hier alljährlich aus dem ganzen Reiche zusammen. ^)m ^ahre ^0^7, — so berichtet die Überlieferung - kam cin Mönch des Athosklosters nach Kijew und ließ sich als Einsiedler in einer Höhle des jetzigen Klosterberges nieder, in welcher der Sage nach einst Waräger hausten und ihre Veute zu verbergen pstegten. Der Ruf seiner Frömmigkeit zog bald Gleichgesinnte 28* -------- 300-------- fromme Männer heran, welche die Höhle erweiterten und schließlich eine Kirche erbauten, um welche herum immer mehr Höhlenwohnungen von den Mönchen aus dem Felsen ausgehauen wurden. Höhle heißt im russischen petschora —und das bei Rijew entstehende Kloster erhielt daher den Namen petschersky monastyr oder Höhlen-klosicr. Auch der Name Tawra bezeichnet eine Höhle. Mau nannte im Grient lauren die Höhlen, in welche sich mehrere fromme Männer zu gemeinschaftlichem beschaulichen kebeu zurückzuziehen pflegten, von dieser ältesten Art des Rlosterlebens ging der Name ^awra auf die berühmtesten Rlöster Rußlands über, auf die Troitzko>öergiew5kaja lawra bei Moskau (fiche Vand I Seite H5), auf die Swjato-Troitzko Alexaudro-News-kaja kawra in Petersburg (siehe ^5and ^I Seite l)^) und auf das Rijewer Aloster. Das letztere bildet so zu sagen eine Stadt für sich; es gehören zu demselben nicht weniger als ^6 Kirchen, und eine Meuge Gebäude steht zur Beherbergung fremder Pilger bereit, in denen jedermann Aufnahme findet, die Armen unentgeltlich, Wohlhabende gegen Zahlung eines Betrages, dessen Höhe ganz ihrem Gutdünken überlassen ist. Oiele arme Pilger bleiben den ganzen Winter über im Uloster und erhalten unentgeltlich Wohnung und Rost, wenn bei ,fac,adc dcv Lawra in Ki^'w. ihrer Ankunft die Jahreszeit schon so weit vorgeschritten ist, daß Schnee und wintcrstürme ihre Rückreise in die ferne Heimat erschweren würden. In dem Rlosterrestaurant ist alles auf Massenbewirtung eingerichtet, und die 5peisekar>e weist Jahr cnis Jahr ein dieselben einfachen Gerichte auf, deren Hauptbestandteile immer uud immer wieder Fisch, Rartoffeln und Gemüse sind. Als Getränk wird Rwas in Flaschen verabreicht. In der Nähe des Restaurants ist ein Theehaus eingerichtet, in welchem ein Samowar von so riesigen Dimensionen steht, daß er an Größe wohl kaum seines gleichen in ganz Rußland finden dürfte. Eine Menge Hähne rings um denselben ermöglicht das Abzapfen des warmen Wassers, das einzige, was von den Besuchern des Theehauses außer einem Glas beansprucht wird, denn Thee und Zucker führt jeder Pilger mit sich. Die meisten f)ilgcr kommen im Juli. Dann spielt sich in den Rlostorhöfen ein sehenswertes Schauspiel ab. Oon den Türmen erklingen die Glocken, dicht gedrängte Menschenmassen füllen die Höfe, eine j)ilgerschar nach der andern kommt singend angezogen, und beim Rlostcrlhor und bei den Eingängen der Rirchen schreien und wehklagen die Vettler, die lahmen und blinden — den Ankömmling empfängt ein betäubender Tärm, an den ^tromschnellcn des Dnzepr. _____ 303 _____ man sich erst gewöhnen muß. Manche Pilger kommen weit her: von Finnland, aus der Krym, vonl Kaukaslis, ja sogar aus dem ferne», Kamtschatka. Man trifft unter ihnen gut gekleidete Leute, deren Äußeres auf Wohlhabenheit schließen läßt (siehe die Schlußvignette dieses 'Kapitel), aber viele sind in erbärmliche lumpen gehüllt, tragcu am Gürtel befestigt eine kupferne Schale und einen Samowar, auf dem Rücken einen kleinen tederrauzeu, in welchem sich alles befindet, was sie auf die Reise mitnahmen und unterwegs kauften oder geschenkt erhielten. Krüppel aller Art befindeu sich unter ihnen, Namentlich die Vliuden sind zahlreich vertreten, aber auch eine der abstoßendsten Erscheinungen unter den Tausenden, die man hier an seinem Vlick vorüberziehen sieht. Die langen Haare stattern wirr um das entblößte Haupt, eiu struppiger, ungepflegter Vart reicht bis auf die Vrust herab, aus dem sonnverbrannten, ausdruckslosen Gesicht glotzen uns die der Sehkraft beraubten Augen entgegen — mau muß solche Gestalten sehen, beschreiben lassen sie sich nicht. Unter den pilgern sind solche, die ihr ganzes Teben auf Pilgerfahrten zubringen, sehr zahlreich vertreten. Mancher, der sich vor den Heiligtümern der Tawra verneigt und bekreuzt, kommt vielleicht hierher von Solo-wetzk am fernen weißen Meer, dessen Heiligtümern er einen Vesuch abgestattet, und gedenkt weiter nach Süden Zu wandern, nach Palästina, nach Jerusalem, denn wer eine Wallfahrt m das gelobte ^and vollbracht, der hat die sicherste Anwartschaft auf eiu Plätzchen im Himmel. Scharenweise durchwandern die Pilger zu Fuße, den Stab in der Hand, die weiten Lbenen Nußlands, und wenn sie nach fahren heimkehren, findet gar mancher die Seinigen tot oder fortgezogen . . . Schwindler sind uuter den pilgern keine seltene Erscheinung. Im pilgerkleide ziehen sie umher, wissen gar viel von den Gefahren zu erzählen, die sie auf ihren wauderuugen zu bestehen hatten, und bieteu dem leichtgläubigen Landvolk allerlei Reliquien und Andenken an berühmte Wallfahrtsorte zum Raufe au: Rosenkränze, Kreuze, Heiligenbilder, Steine aus Nazareth, Wasser ans dem Jordan — mancher ist sogar glücklicher Vesitzer eines Stückes echten Holzes vom Kreuze Christi oder eines Fetzens von einem Aleide, das die Jungfrau Maria getragen . . . Vahuen wir uns einen Weg durch die Meuscheumeuge und steigen wir hinab zu der größteu Sehenswürdigkeit des Klosters, zu den Katakomben! Krüppel und Vlinde strecken uns die Hände entgegen — Zeltler und nichts als Velller auf allen Stufeu der Treppe, die wir hiuabsteigeu'. Der Pinsel eines Hogarth fände hier reiche Ausbeute. Der russische Zeltler ist eine Spezialität, mit der nur das Vettelvolk Asiens einige Ähnlichkeit hat. Da ist keine Spur von den« Stolz dcs spanischen Bettlers — in den Zügen dieser Teute prägt sich stille Resignation aus oder sie scheinen abgestumpft gegen alles keid, das sie noch treffen kaun. Das schmutzige, zerfetzte Gbergewaud um die Hüfteu durch einen Gürtel zusammengehalten, die Veine mit Riemen umwunden, die Füße in Schuhen aus Birkenrinde steckend, erwecken aber diese Gestalten doch, namentlich weuu man sie zum ersten Mal sieht, ein ungewöhnliches Interesse. Durch die Reihen der Bettler die Treppe hinabsteigend, gelangen wir bald zu einer kleinen unter« irdischen Kapelle, in welcher mehrere Mönche Kerzen verkaufen. Hinter derselben beginnen die Katakomben. Dieselben enthalten drei kleine Kirchen, mehrere Kapellen und eine Menge Nischen uud Zellen, in welcheu die Überreste der Heiligen uud Märtyrer in offenen Särgen ruhen. Da vor allen Altären und Heiligenbildern große Wachskerzen oder Öllampen brennen, auch jeder Pilger, bevor er sich in die Katakomben begiebt, eine Wachskerze kauft uud anzündet, ist der unterirdische Raum genügend erleuchtet, aber die Qift in demselben ist so geschwängert von Wachsgeruch und dem Dampf der Campen, daß das Atmen erschwert wird — wie in der Grabkapelle in I^'usalem oder der Geburtsgrotte in Bethlehem. Die Teichen in den Särgen sind eingehüllt und eiugeschnürt wie die ägyptischen Mumien, die Hände über der Vrust gefaltet, das Gesicht verhüllt^ uur am Feste des betreffeudeu Heiligen wird die Hülle vom Gesicht eulfernt. Überall liegen Andächtige auf den Knieen oder beugen sich über die Särge, küssen die teichen uud legeu dann eine Gabe auf den auf dem Sarge stcheuden Teller. Man sieht auch vor vermauerten Nischen Andächtige sich verbeugen. Dort ruhen die Überreste von Mönchen, welche sich lebend einmauern ließen (Stolbowije, Säuleuheilige); Speise uud Trank wurde ihnen durch eine kleine Öffnung gereicht, die mau zumauerte, sobald sie es verlangten. I" einer Kapelle stehen die Särge der zwölf griechischen Vaumeister, welche die Tawra erbaut haben. Die Kapelle war nicht groß genug, um zwölf Särge aufzunehmen; man hat also den zwölften auf die anderen gestellt. ^,----- 30H -------- Die Namen der Heiligen in den Katakomben sind uns fremd, und von ihren Thaten habm wir nichts gehört. Iver kennt ei»ien Heiligen «Lvhrem, Agapit, Nektars, j)innn, Alipij, Spiridon, Gnufri^, Makarij und so weiter? In Rußland aber, wo sie gelebt und gewirkt haben, werden sie hoch verehrt. Vischöfe und Fürsten sind unter diesen Heiligen: Nikolaus, Fürst von Tschernigow; Merkurs, Bischof von Smolensk; Ephrem, Bischof von j)erejaslaw; Simon, Bischof von Susdal u. a. Das weibliche Geschlecht ist durch die fürstliche Jungfrau Julianya vertreten. Man zeigt ferner die deiche Nestors, des ältesten russischen Annalisten, der schon im Jünglingsalter als Mönch in das Klostcr eintrat. Die Teiche ruht in einen: silbernen Sarge, und über demselben verkündet den Namen des hier Ruhendcn eine vergoldete Tafel, welche die Gesellschaft für russische Geschichte und Altertümer ^826 gewidmet hat. Line etwas befremdende Erscheinung in dieser heiligen Gesellschaft ist der Held Iha Muromeh, der Herkules der russischen Hage, dessen Gebeine ebenfalls hier ruhen. Das sind die sogenannten „näheren Katakomben"; eine tiefe Schlucht trennt diese von den „entfernteren". Auf dem Wege zu denselben kommt man an zwei heiligen Brunnen und einem heiligen Vaum vorbei, welcher Eingang zu den Aatakconbcu. von den: heiligen Antonius, dem eigentlichen Gründer der kawra gepflanzt worden sein soll. Unter der Sucht der Pilger, ein Andenken an die Pilgerfahrt heimzubringen, hat der Vaum schwer zu leiden, denn alle erreichbaren Äste und Zweige werden abgebrochen, die Rinde mit den Zähnen abgenagt. lDehe aber demjenigen, der sich an den Reliquien in den Katakomben vorgreifen wollte! Das wäre Kirchenraub, das entsetzlichste verbrechen, das der Russe sich zu denken vermag. Man erzählt, daß einst eine kranke Frau glaubte, gesund zu werden, wenn sie den Körper eines der Heiligen in den Katakomben berühren könnte. Ihr Mann ging hin, beugte sich über eine Teiche, als ob er ihr die Hand küssen wollte, und biß ihr einen Finger ab, den er der Kranken brachte. Die That blieb nicht verschwiegen, und der willfährige Gatte wurd^ alsbald nach Sibirien verschickt. In den „entfernteren" Katakomben sind die größten Heiligtümer die sogenannten „myrostießenden Häupter", die Schädel von dreißig Heiligen, aus denen das wunderthälige Myro, das heilige Salböl stießt, welches bei der Taufe und bei Verabreichung der Sterbesakramente gebraucht wird. Die Namen der Heiligen, -------- 305 -------- deren Schädel solche wunderkraft innewohnt, sind unbekannt. Das heilige Ol wird auch in kleinen Flaschen verkauft und soll sich namentlich bei Augenkrankheiten als vorzügliches Heilmittel bewähren. Die „entfernteren" Katakomben gleichen völlig den näheren. ^)n den düsteren (Fängen schreitet man an den offenen bärgen einer NIenge Nlönche, ^gmnens, Archimandrites Vischöfe u. s. w. vorbei. Diese Katakomben waren ursprünglich Zellen der Einsiedler, die sich hier niedergelassen hatten. AIs die Tataren im 3ande hausten, mögen fie wohl oft den Vewohnern der Umgegend als Zufluchtsstätte gedient haben, wie die Katakomben Roms den Christen zur Zeit der Verfolgungen. Stätten der Toten find jetzt die Katakomben Grabdenkmal Iaroslaws. Kijews und Roms, aber in den letzteren empfindet man trotz allem Moderduft doch nicht jenes beklemmende Gefühl, das in den Kijewer f?eschtschery die Vrust beengt, und es läßt jeden erleichtert aufatmen, wenn ihm wieder ein frischer tuftzug entgegcnweht und statt der rauchgeschwärzten Felswände der blaue Himmel über ihm sich wölbt. Dort unten ruhen nicht nur Tote, auch lebendig Vegrabene harren der Stunde, in welcher der Todes» engel sie abruft — nicht wie in den Zeiten eines finstern Wahns zum tzungertode verurteilt, sondern religiöse Schwärmer, die in ihrer Zelle in den Katakomben bei Wasser und T?rot, betend und fastend ihr keben ver> bringen, nie den kleinen Raum verlassend, in den sie sich einmal aus der sündhaften Welt geflüchtet haben. 29 -------- 306 —— Trotzdem ist die Totcnstadt des petscherskischcn Klosters der größte Stolz Rijews. Ihr verdankt die Stadt cin gleiches Ansehen, wie es Rom in der katholischen Welt genießt. Durch die vielen Gaben, welche die Tausende von pilgern hier zurücklassen, ist die tzlawra von petschersk eines der reichsten Rloster Rußlands geworden und ist es auch heute noch, obwohl der jetzige Reichtum des Rlosters nur noch ein Schatten jenes ist, dessen es sich vor hundert fahren erfreute. Vis zum Jahre ^786 gehörten dem Rloster in drei Gouvernements nicht weniger als ^38 Städtchen und Dörfer, in denen nach der Revision des Jahres !^?85 eine Bevölkerung von 55HW Seelen, 28 5^0 männlichen uud 2H 3H0 weiblichen Geschlechtes vorhanden war. Diese Güter verlor das Rloster, als durch kaiserlichen Ukas vom ^0. April ^786 auch in Rleinrußland das unbewegliche Rirchengut eingezogen und eine bestimmte Summe (etwa 260000 Rubel) für den Unterhalt der Mönche angewiesen wurde. Jetzt leben in dein Rloster etwa ^0 Mönche und 7>00 dienende Brüder, ferner etwa ^00 Menschen, welche in der Buchdruckerei, Buchbinderei und anderen Werkstätten beschäftigt sind, und gegen 50 alte Teute, Dieuer, kranke Pilger u. s. w. Unter den Rirchen, welche zu dem Rloster gehören, ist die Himmelfahrtskirche mit ihren sieben vergoldeten Ruppeln die bemerkenswerteste; sie ist berühmt durch ihren Reichtum an kostbaren Meßgewändern, Gefäßen und Heiligenbildern und besitzt eine Menge hochverehrter Reliquien, darunter den Ropf des heiligen Wladimir, der in einem goldnen Schrein verwahrt wird. Sie rühmt sich auch des Besitzes des ältesten Heiligenbildes Rußlands, welches die Verklärung Maria darstellt und etwa um das Jahr ^070 aus Griechenland nach Rijew gebracht sein soll. «Line tiefe Schlucht trennt die Stadt der Toten von der Stadt der bebenden, das alte Rloster von der modernen Stadt Rijew. Diese erstreckt sich über einen Flächcnraum von nahezu 50 ^Rilometer, aber in diesem Raum befinden sich so viele riesige unbebaute Plätze, daß die Bevölkerung sich zum mindesten verdreifachen könnte, ohne daß eine Erweiterung des jetzigen Stadlumfangs eintreten müßte. Um die alte Stadt, deren Mauern niedergerissen wurden, ist eine neue entstanden, mit hübschen Häusern und breiten Straßen, und die vielen pappelbäume, die überall über die Dächer der Häuser emporragen, bilden eine herrliche Staffage zu den vielen im Sonnenlicht funkelnden vergoldeten Rirchenkuppeln. Zwischen den beiden Bergen, auf denen das alte Rjew und die Tawra mit der petscherskischen Festung liegt, breitet sich im Thal am Ufer des Dnjepr entlang die Unterstadt „podol" aus, ein Häufermeer, aus dem die zahlreichen Gärten wie Inseln hervortreten und das mit seinen byzantinischen Ruppeln und dem Mastenwald am Dnjeprufcr schon Anlaß zu manchem begeisterten vergleich der Stadt mit Ronstantinopel gegeben hat. In der That verleihen der bunte Anstrich der Häusermauern, die grüuen Dächer, die goldenen Rirchenkuppeln, die silbernen Turmspitzen, die Terrassen und Gärten der Stadt ein Ausseheu, das lebhaft an die Farbenpracht des Orients erinnert. Großartig ist das Bild, das mau vor seinen Blicken sich entrollen sieht, wenn mau von der zwei Werst langen Nikolajewschen Brücke im Zickzack den petscherskischen Berg emporsteigt und Rijcw aus der Vogelperspektive betrachtet. Dort unten zieht sich die breite Hauptstraße hin, dcr Rreschtschatik, der Newsky-Prospekt von Rijew, wo sich die größten Hotels und die elegantesten Magazine befinden. Mehr als dieser vornehme Stadtteil und mehr als das geschäftige Treiben in der Handelsstadt podol zieht den Fremden Alt'Rijew an, das an Sehenswürdigkeiten der Tawra nicht nachsteht. Die bedeutendsten derselben, welche zu besuchen gewiß kein Fremder unterläßt, sind das Goldene Thor, die Sophien- und die Andreas-Rirche. Das Goldene Thor entspricht nun allerdings nicht der Vorstellung, welche sein Name erweckt. Die Tataren haben dafür gesorgt, daß von demselben nichts auf uns gekommen ist als einige verwitterte Mauerreste, die durch eiserne Stangen gestützt sind. Für den Altertumsfreund sind trotzdem diese mühsam vor dem Einsturz bewahrten Mauern von hohen: Interesse, weil sie eines dcr ältesten Bauwerke Rußlands sind. Die eigentliche goldene Pforte soll jedoch bei der Zerstörung der Stadt durch die Tataren gerettet worden sein, da sie ein gewisser Michailo, ein russischer Samson, aushob und auf seinen Schultern davon trug. So berichtet wenigstens die Sage. Lin ebenso altes Bauwerk wie das Goldene Thor sollen die Reste der Irenenkirche sein (siehe Seite 2Z7). Man scheint aber noch nicht völlig im Rlaren darüber zu sein, ob die Mauerreste, welche im Jahre ^833 bei Nachgrabungen an dcr Stelle des alten Stadtwalles entdeckt wurden und die man seitdem gegen weiteren _____ 20? _____ verfall geschützt hat, wirklich der Irenenkirche angehören, welche der Großfürst Jaroslaw zugleich mit einer den, heiligen Georg geweihten Kirche in der Nähe der Sophienkirche erbauen ließ. Unweit des goldenen Thores erhebt sich die imposante Sophienkirche. Gleich San Marco in Venedig sollte sie eine Rivalin der Sophienkirche in Konstantinopel werden, deren Namen sie auch trägt. Hier ruht jener Großfürst Jaroslaw, unter dessen Regierung Kijew Zur Großstadt heranwuchs, abendländische Vildung im Tande «Lingang fand und der Süden Rußlands aller Segnungen der «Civilisation teilhaftig wurde, so daß das Fürstentum Jaroslaws mit weit mehr Verechtigung sich einen europäischen Staat nennen konnte als fünf hundert Jahre später das Rußland Peter des Großen. Die Zahl der Kirchen in dieser „wiege des russischen Glaubens" soll damals gegen H00 betragen haben; einige Chronisten sprechen sogar von 700. -mbol der neuen Religion, zu der er sein Volk bekehrt. Die Taufe des zusammengeströmten Volkes ist eben vollzogen, und der Großfürst spricht nun, das Kreuz erhebend, ein Gebet — das ist die Scene, welche der Künster meisterhaft dargestellt hat. Der heilige Wladimir ist unstreitig einer der größten Fürsten, welche über Rußland geherrscht — ein Peter der Große des ^0. Jahrhunderts. Die Vereinigung aller russischön Fürstentümer und die Einführung des Christentums sind jedes für sich allein schon Thaten, die ihm ein ehrendes Angedenken bei den Nachkommen Ilspenska^a pust^'n^a im Gourcrncnicnt ^harkoll'. sichern würden, aber wir sehen ihn auch noch auf anderen Gebieten eine reformatorische Thätigkeit entwickeln, welche seine Ähnlichkeit mit dein russischen Reformator des 1^8. Jahrhunderts besondere scharf hervortreten läßt. Kirchen und Klöster entstanden überall in, Tande, Künstler und Gelehrte wurden aus dem Auslande herangezogen, junge Russen zu ihrer Ausbildung nach Griechenland geschickt, Handel und verkehr mächtig gefördert und eine Justizpfiege eingeführt, deren Grundzng strenge Gerechtigkeit war. Mag der Geschichtschreiber an dem Menschen auch manches zu tadeln finden, so steht doch der Fürst im hellsten Strahlenkranz des Ruhmes da, und die schatten, die auf seinen Charakter fallen, muß man füglich der rohen Zeit zur Tast legen, in welcher er lebte. Man hat ihn auch häufig mit Karl dem Großen verglichen, ihn den „russischen Karl den Großen" genannt, doch ist die Ähnlichkeit bei weitem nicht so groß, wie bei ^eter den» Großen. «Line Unmasse von Sagen knüpft sich an den Namen des heiligen Wladj'mn'r und die Helden, welche seine Umgebung bildeten. Die Versuchung lag nahe, diese Heldenschar mit der Tafelrunde des Königs Artus zu vergleichen, aber die Heldentafelrunde der „hellen Sonne" (krasnoje solnctschko), wie der Großfürst im Volksliede genannt wird, hat mit jener des Königs Artus nicht das Geringste gemein, In Ilja von Murom, Dobrynja Nikititsch, Aleoscha f)opowitsch und den anderen russischen Helden ist die rohe Kraft personifiziert; wir vermissen in den Erzählungen ihrer Thaten das höhere ethische Motiv, welches alle Thaten eines Tanzelot, parzival, Tristan u. s. w. so zu sagen verklärend umgiebt. Die zwölf Hüter des heiligen Grals, die sich, um in diesem engern Kreis der Artusritter Aufnahme zu finden, nicht nur durch Tapferkeit, sondern auch durch Weisheit, Frömmigkeit und Treue gegen den König ausgezeichnet haben mußten, sahen auch eine ihrer ersten Aufgaben im Schutz und in der Verehrung der Frauen, welche letztere namentlich der russischen Tafelrunde völlig fremd ist. Der religiösen Schwärmerei und idealen Weltauffassung der Artusritter steht bei den wladjimirschen Helden nur die Tust an Abenteuern gegenüber. Für die Kenntnis des russischen Altertums sind jedoch diese alten Tieder von unschätzbarem wert. Vbzwar die geschilderten Vegebenheiten nur Schöpfungen dichterischer Phantasie sind und nur wenig streng genommen Historisches in ihnen sich findet, so tragen doch alle das Kolorit der damaligen Zeit, und dadurch sind sie eine unerschöpfliche Fundgrube für das Studium der Sitten und der Denkungsart der alten Russen. In der Gegend, in welcher jetzt das Denkmal wladjimirs errichtet ist, stand einst der steinerne Terem des Fürsten von Kijew, und in dessen Hofe befand sich die Eichentafel, an welcher die Kijewer Tafelrunde sich zu ihren Zechgelagen zu versammeln pflegte. An Sonntagen strömten dort die Armen der Stadt zusammen, um auf Kosten des freigebigen Großfürsten bewirtet zu werden, aber auch Fremde waren sicher, dort jederzeit gastfreundliche Aufnahme zu finden. Seinen Waffengefährten gegenüber kannte die Freigebigkeit des Fürsten keine Grenzen. Ein ihn in dieser Veziehung kennzeichnender Vorfall wird von einem Chronisten erzählt: Als einst die Helden der Tafelrunde darüber murrten, daß man ihnen bei Tische hölzerne Toffel vorgelegt hatte, befahl der Großfürst sofort, silberne Toffel zu blingen, und sagte: „Silber und Gold kann mir meine treuen Krieger nicht ersehen, wohl aber kann ich mit deren Hilfe jederzeit Silber und Gold erwerben." Zu dem Denkmal wladjimirs gesellt sich als würdiges Seitenfiück die von uns bereits im I. Vande (siehe Seite 286 und die Kunstbeilage) erwähnte Reiterstatue des Vogdan Chmelnizki. Dieser Mann, dessen Andenken Kleinrußland durch jenes kühn entworfene, imposante Denkmal verewigt, ist so viel gepriesen und zugleich so viel verketzert worden, daß wir einen Augenblick bei ihm verweilen müssen, um den wichtigsten Abschnitt der Geschichte Kleinrußlands, welcher unlösbar mit seinein Namen verbunden ist, im richtigen Tichts zu betrachten. Der freundliche Teser begleite uns deshalb auf einem kurzen Abstecher in jenes Gebiet, welches der Ausgangspunkt der Umwälzungen war, die mit dcm Namen Chmelnizki zusammenhängen — den Dnjepr abwärts Zum Stammsitz des Kosakentums. Etwa ? Werst unterhalb Iekaterinoslaw bildet der Fluß die berühmten Stromschnellen, welche 65 Werst lang sind und sich bis zur deutschen Kolonie Kitschkas erstrecken (siehe Seite 301^). Diese Stromschncllen waren schon den Alten bekannt; Herodot erwähnt sie, und Konstantin porphyrogeneta nennt nicht nur, allerdings korrum. piert, die slavischen Namen der einzelnen Fälle, sondern erzählt auch, wie die Russen dieselben zu durchschiffen pflegen. Wenn man es nicht gesehen hat, hält man es nicht für möglich, daß ein Voot die reißende Strömung passieren könne, ohne an einem der taufende von Felsblöcken, die teils über das Wasser hervorragen, teils _____ 2l2 ____— unter demselben verborgen sind, zu zerschellen. Gefährlich ist die Fahrt allerdings und manches 33oot, manches. Menschenleben ist schon bei derselben zu Grunde gegangen, aber die Leute, welche den Dujepr befahren, sind mit allen Cückeu ihres Stromes wohl vertraut und steuern sicher und kaltblütig ihr Fahrzeug an den gefähr» lichen Stclleu vorbei. Sie haben sich andächtig bekreuzt, als sie ihr Voot bestiegen, und jedesmal, wenn eine der heftigsten Strömungen überwunden ist, stürzen sie auf die Ruiee und machen das Zeichen des Areuzes. Erfüllt von vertrauen auf höhern Schutz, schwimmen sie der nächsten Gefahr entgegen. Auf der Strecke von ^ekaterinoslaw bis Ritschkas befinden sich neun Stromschnellen oder richtiger gesagt Wasserfalle. Mehrere Meter hohe Felsblöcke ziehen sich quer durch den Fluß von einem Ufer zum andern; dazwischen liegen niedrigere, vom Wasser bedeckte, und zahlreiche Strudel und Untiefen. Das Wasser staut sich an den Felsblöcken, weißer Schaun, spritzt auf, und pfeilschnell schießt das Wasser durch die schmale Öffnung zwischen je zwei solcher Vlocke hinab. An manchen Stellen beträgt die Höhe, von dcr es herabstürzt, Knischer in Aijew. bis zwei Meter. Der gefährlichste der Fälle ist der Nenassitjez, welcher die ganze breite des Flusses bedeckt und aus ^2 Steinreihen besteht, die wirr durch einander liegen. «Line Stolle, an welcher die Wellen besonders wild tosen, wird „die Hölle" genannt, und ein auf sie bezügliches Sprichwort lautet: „wer in die Hölle gerät, dem wirds kalt und heiß zugleich." Die Felsbänke des Nenassitjez sind die einzigen, welche immer über das Wasser rageu, während alle anderen beim Frühjahrswasser unter den Wellen verschwinden, wie gefährlich hier die Schiffahrt ist, kann man am besten im Sommer ersehen, wenn bei niedrigem wasserstand Hunderte von Vlöcken zum Vorschein kommen, die sonst von, Wasser bedeckt sind. Die Regierung hat bereits Millionen aufgewendet, um die der Schiffahrt entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen, man hat große Sprengungen vorgenommen, eine Art Ranal geschaffen, aber gefahrvoll ist die Fahrt durch die Stromschnellen trotzdem geblieben. Sobald ein Voot in die Strömung geraten ist, werden die Ruder eingezogen, und alle Mann stürzen sich auf das Steuerruder, einen gewaltigen Mastbaum von etwa 60 Meter Länge, von dessen sicherer und gewandter Führung ihr tebcn abhängt. Vei der sogenannten Ziegeninsel oberhalb des Nenasfitjez wird gewöhnlich angehalten, um auszuruhen und zu den, letzten schweren Kampf Rräfte zu sammeln. Unterhalb __ IlI __ der Fälle sind auch stets Rettungsboote bereit, welche sofort zu Hilfe eilen, wenn ein schiff bei der Durchfahrt verunglückt, und die lotsen, welche diese Rettungsboote lenken, sind wegen ihres Mutes und ihrer Kaltblütigkeit berühmt. Sobald die Wasserfälle überwunden sind, hat man die )nsel vor sich, die einst als Mittelpunkt des Kosakentums eine so große Rolle gespielt hat: Cortiza, wo die öötscha sich befand, von der läge derselben hinter den Fällen haben die Kosaken ihren Namen öaporoger erhalten — „sa" heißt im Russischen hinter, und „Oarögi" heißen die 5trom schnellen oder Fälle, lllädchcn zur Erntezeit. Das sieben und Treiben der Kosaken in der Hetscha haben wir bereits im ersten Vande (^eite 278 u. f.) geschildert. Als später Kleinrußland mit f?olen vereinigt wurde, bildeten die Inseln unterhalb der Wasserfalle den Zufluchtsort, wohin die bedrückten Kosaken der Ukraine sich vor ihren Peinigern retteten, und sie wurden auch der Ausgangspunkt des Befreiungskrieges, als das Maß der Unbilden, die das Kosakentum zu ertragen hatte, endlich voll war. Der Zeitraum von ^59^ bis ^659 ^ ausgefüllt mit Empörungen der Kosaken, die alle mit blutiger strenge von den Oolen unterdrückt wurden. Das spätere barbarische wüten der Kosaken bei ihrem letzten und erfolgreichen Aufstand unter Chmelnicki findet mehr als eine Erklärung in der unmensch« 40 -------- 3^ -------- lichen Grausamkeit, mit welcher ihre früheren Vefreiungsvsrsuche bestraft wurden. So hatten die polen den Kosakenhetman Pawljuk in Retten nach Warschau geschleppt, setzten ihn dort auf einen glühend gemachten eisernen Thron, drückten ihm eine glühende Eisenkrone auf das Haupt, gaben ihni ein glühendes Scepter in die Hand und zündeten dan», unter seinem Sitze Feuer an. Unter entsetzlichen (Yualen fand dieser Märtyrer für die Freiheit seines Volkes den Tod. Solche Hinrichtungen betrachtete der Adel Warschaus als ein Schau» spiel. Damen und Herren sahen, Tokayer trinkend, der ^lutarbeit der Henker zu, und lustige Tanzmusik übertönte das Stöhnen der armen ncki über sie hereinbrach, welche Stellung die Juden in: Kosakenlande sich errungen hatten, geht aus den Worten des Rabbi Neta hervor, welcher erzählt, daß die in der ganzen Welt unterdrückten Juden über die Kosaken herrschen. Dieser Ausspruch enthält keine Übertreibung. Die Vranntweinbrennerei, die Vier» und Metherzeugung, der Ausschank dieser Getränke und noch vieles andere war in« Kosakenlande Monopol der Juden. Außerdem übten sie auch noch die niedere Gerichtsbarkeit aus, hatten die Steuern gepachtet und erhoben solche willkürlich bei den verschiedensten Gelegenheiten, wie bei Taufen, Trauungen und Vegräbnissen, kurz, sie quälten die Kosaken auf alle mögliche Art und sogen die arme Bevölkerung immer mehr aus. In der letzten Zeit war ihr Auftreten ein besonders herausforderndes geworden, da sie, auf ihr Kabbalabuch gestützt, im Jahre ^6^9 dem Erscheinen des Messias entgegensahen. Jüdische Schriftsteller berichten, daß in den Aufständen u»ter Chmelnicki mehr als 250000 jüdische Familien in der Ukraine, in tittauen und polen teils durch das Schwert der Kosaken, teils durch Hunger und Krankheiten umgekommen seieu. Die letzteren mögen dabei allerdings mehr gewütet haben als da- erstere, da die Juden sich ineist rechtzeitig vor den anrückenden Kosaken flüchteten, aber die oben angegebene Zahl zeigt doch, wie zahlreich damals auch in der Ukraine ein Vevölkerungselement vertreten gewesen sein muß, das in den: noch auf niedriger Kulturstufe stehenden Tande keine wirtschaftliche Berechtigung hatte und, abgesehen von allem anderen, schon durch seine Handelsthätigkeit eine drückende Tast für die übrige Bevölkerung sein mußte. Aus den Grenelthaten, die von damaliger Kriegsführung unzertrennlich waren und auf beiden Seiten, von polen wie von Kosaken verübt wurden, leuchtet hell der Name Chmelm'cki hervor. Glänzende Waffen« thaten knüpfen sich an diesen Namen. ^0 000 Kosaken unter Chmelnicki trafen einst mit einem noch stärkern polnischen Heer bei pilawce zusammen. Zwei Tage dauerte der Kampf, und die Polen waren am Abend des zweiten Tages siegreich. AIs aber während einer 2^ stündigen Waffenruhe die Nachricht sich verbreitete, daß ^00000 — in Wirklichkeit waren es nur 30000 — Tatare», den Kosaken zu Hilfe gekommen seien, da ergriffen im Dunkel der Nacht alle polnischen Führer und Edelleute die Flucht, und als die Soldaten am Morgen sich verlassen sahen, flohen auch sie, das ganze verschanzte Tager mit allen Vorräten dem Feinde ohne Schwertstreich überlassend. Die ganze polnische Geschichte hat keine zweite, so schimpfliche Flucht einer Armee aufzuweisen, wie die von Tatarenfurcht veranlaßte Flucht bei pilawce. temberg, das bald darauf von cühmelnicki belagert wurde, erkaufte, bereits dem Fall nahe, den Abzug der Feinde noch durch ein schweres lösegeld. Niemals aber hat sich Chmelnickis bedeutendes organisatorisches Talent so glänzend bewährt, wie nach der für die Kosaken unglücklichen Schlacht bei Sokal. In kurzer Zeit hatte er nach seiner Rückkehr vom Hofe des Tatarcnchans, der ihn, erzürnt über die Niederlage, gefangen gehalten haben soll, wieder ein Heer von 5(1000 Mann gesammelt, und bald darauf stand er auf den« Gipfel seiner Macht. In seinem schlichten wohnhause zu Tschigirin sah er Gesandte der Könige von pole»» und von Schweden, des Sultans, des Czaren, ja sogar des deutschen Kaisers erscheinen. Vlind gegen die Schreckensscenen, deren Schauplatz erst kurz vorher während des dreißigjährigen Krieges Dentscbland geweseil war, gefallen gegnerische Geschichtschreiber sich darin, dhmelnicki für alles ver» antwortlich zu machen, was die von ihm geführten wilden Scharen sich zu schulden kommen ließen, weil er, als ein Gebildeter, die Masse hätte im Zaum halte»: solle»«. Sie vergessen oder verschweigen dabei, daß mit Chmelnickis Heereil gar manche Raubbande in polen und Tittauen eindrang, über welche er gar keine Macht besaß. Der unparteiische Geschichtschreiber jedoch wird anerkennen, daß er ein bedeutender Feldherr und ein nicht minder gewandter Politiker war, und wird auch nicht unterlassen, der Bescheidenheit zu gedenken, durch -------- 3^5 -------- die er auch nach den größten Lrfolg^n sich auszeichnete. Das Volk der Ukraine aber hat nicht vergessen, daß es ihm die Befreiung aus einer entwürdigenden Knechtschaft verdankt, und sein Denkmal in Kijew ist ein Beweis dafür, daß sein wirken nicht aus den: Gedächtnis der Urenkel seiner Kampfgenossen geschwunden ist. Hetzt sind die Tage der Kämpfe und Unruhen für Kleinrußland längst vorbei. Handel und Industrie sind zur Blüte gelangt, und wo früher nur die rohe Kraft geschätzt war, dort hat jetzt auch die Wissenschaft eine Stätte gefunden. Kijew, das heute etwa 75(100 Einwohner zählt, nimmt unter den Handelsstädten des Reiches eine hervorragende Stellung ein. Ls verdankt seinen Aufschwung in erster Reihe der Petersburg mit dem Schwarzen Meer verbindenden Lisenbahn, deren von dem Lngländer Deviniol erbaute, ^? Meter breite und 2 Werst lange eiserne brücke über den Dnjepr (^850 vollendet) zu den bedeutendsten Lisenbahnbauten Luropas gehört. Auch eine Pflanzstätte der Wissenschaft wurde Kijew, als im Jahre ^83H die Universität von Wilna hierher verlegt und deren Sammlungen mit jenen anderer Anstalten vereinigt wurden. In neuerer Zeit hat Kijew eine Konkurrentin an dem viel Düngern Charkow gefunden, welches durch Llsenbahnen mit warschau-petersburg, Gdessa, der Krym, mit dem Asowschen Meer und dem Dongebiet verbunden ist. Unter der Regierung des Zaren Alexe« Michailowitsch entstanden, wurde die Stadt l^?80 Sitz des Gouverneurs der Ukraine und ist jetzt der Einwohnerzahl nach (etwa 60U(X)) die vierte provinzialstadt Rußlands, wie man Kijew wegen seiner geschichtlichen Vergangenheit und seiner alten Denkmäler mit Moskau vergleichen kann, so fordert der ganze Charakter Charkows zum Ziehen einer parallele mit Petersburg heraus. Die Vorstädte bestehen zwar noch meist aus armseligen Lehmhütten, aber die ungemein malerisch am hohen Flußufer gelegene Stadt hat breite, gerade Straßen mit stattlichen, bis vier Stockwerke hohen Stein» gebäuden, und keine andere russische provinzialstadt bietet so angenehme Geselligkeit und entfaltet ein so reges geistiges ^eben wie Charkow. Dasselbe ist eine Folge der vielen 6ehra>«stalten, unter denen namentlich die Universität sich eines ehrenvollen Rufes erfreut. Außer ihr besitzt Charkow zwei Gymnasien, eine an alten Handschriften reiche öffentliche Bibliothek, ein naturwissenschaftliches und ein physikalisches Rabinet, einen botanischen Garten und eine Menge, zum Teil vorzüglicher Privatunterrichtsanstalten, viel üÜeben, besonders im Winter, bringen in die Stadt die großen Messen, die hier abgehalten werden. Zu alledem gesellt sich dann noch eine schöne Umgegend. Der Donez ist überreich an landschaftlich schönen Flußpartieen, deren eine, das alte Kloster Usspenskaja pustinja (Einsiedelei Maria Himmelfahrt), unsere Abbildung (siehe Seite 30^) zeigt. Auch die Steppe ist nah. Seitdem die Dampfwolken der Lokomotive über sie hinwegziehen, hat sie zwar viel von ihrem poetischen Reiz eingebüßt, aber jenem, der in« leichten Tarantaß (siehe Seite 2<)k) fernab von der Bandstraße über den harten Steppenboden dahin fährt, präsentiert sie sich noch im alten Gewände, in aller Farbenpracht, mit ihrem mannigfachen pflanzen» und Tierleben. Nur wenn die Mittagssonne ihre Strahlen herabsendet, scheint alles svben erstorben. Schon im März wird hier die Sonne dem Reisenden lästig, in den Sommermonaten aber, wenn die Steppe, soweit das Auge zu sehen vermag, mit einem bunten Blumenteppich bedeckt ist, liegt eine erstickend heiße Luftschicht über dem dichten Grase. Die tiefe Stille, die ringsum herrscht, ladet zum Träumen ein. vor unseren« Blick tauchen aus dem Nebeldunst all die Gestalten auf, mit denen die Phantasie des Kleinrussen !3and und Wasser belebt. Die Phantasiegebilde der Kleinrussen sind viel mannigfaltiger als jene der Großrusscn. In den Gebüschen am Flusse sind die mit Schllf bekränzten Russalki (Wassernymphen) verborgen, die auf die jungen Mädchen lauern, welche Wasser holen kommen. Kommt eine unvorsichtig der Russalka zu nahe, so kitzelt sie diese zu Tode und zieht sie hinab in die Tiefe. Im Hause halten sich Hausgeister auf, gute und böse, die häusig menschliche Gestalt annehmen. Der gute Hausgeist sorgt für Vermehrung des Wohlstandes der Familie, und besonders die Haustochter erfreut sich seiner freundlichen Zuneigung, die er auch dadurch bethätigt, daß er ihr einen schönen und reichen Freier zuführt. Der böse Geist dagegen stört die Nachtruhe der Hausbewohner durch sein Gepolter und legt sich als beklemmender Alp auf ihre Brust. Schlimmer noch ist der vampyr (upir), der als Sohn des Teufels und einer Hexe seinen Mitmenschen alles Böse zuzufügen sucht, nach seinem Tode aber keine Ruhe im Grabe findet, »licht verwesen kann, und bei Nacht hervorsteigt, um den Schlafenden das Blut auszusaugen. Der Hexenglaube ist stark verbreitet. Bei Kijew liegt der Blocksberg der Hexen Kleinrußlands, der Kahlenberg, wohin sie in der Johannisnacht auf Besenstielen oder Gfengabeln reiten. Das ganze Reich Satans mit seiner tegion von Hexen, Teufeln und HU* -------- 3^6 -------- böse,, Geistern aller Art lernt der Schatzgräber kennen. Um Mitternacht vom 23. zum 2H. ^uni öffnet sich eine feuerrote Vlüte, welche die Fähigkeit besitzt, alle verborgenen schätze ans Tageslicht zu ziehen, aber dem Glücklichen, der die Nlüte fand, wird die Schatzhebung doch nicht leicht, denn das ganze Geisterreich macht ihm seinen Fund streitig, und der geringste Verstoß gegen die Reg^'» der Schatzgräberei hat seinen Tod zur Folge. Das Volk weiß eine Menge Geschicksten zu erzählen, in denen Geister die Hauptrolle spielen, und an langen Winterabenden, wenn alt und jung in der Wohnstube beisammen sitzt, bilden sie den Unterhaltungs-stoff. ^)n der traulichen hellen Stube lauscht es sich so gut den Erzählungen, wie nämlich der ganze Charakter des Aleinrussen einen Gegensatz zu jenen» des Großrussen bildet, so auch sein Wohnhaus. Da giebt es keine schwarzen, verräucherten Stuben wie in Großrußland; die wände sind weiß getüncht, der mit festgestampftem lehm bedeckte Voden sauber gefegt. Alles im Hause — die blank gescheuerten Tische, der weißgetünchte mächtige Ofen neben der Thür, das hoch aufgetürmte Nett, der Glasschrank mit den hübsch arrangierten Gläsern und Tassen u. s. w. — verrät den Grdnungs- und Reinlichkeitssinn des Rleinrussen. Das ganze Dorf, der khutor, sieht freundlich und sauber aus. Meist liegen die Dörfer an einem Nach und die Stroh» dächer blicken aus den Gebüschen hervor, welche jede ClMa (Vauernhaus) umgeben, denn der Rleinrusse baut, trotzdem es Dörfer mit 2 bis 3000 Einwohnern giebt, seine Häuser nicht wie der Großrusse in langer Doppelreihe längs der Straße, sondern regellos sind die weißen Häuschen über den Vergabhang verteilt. Ieder hat sich angebaut, wo es ihm am besten gefiel, aber bei keinem Hause fehlt ein Gärtchen, von Hollundcrsträuchen eingefaßt, in welchem die goldenen Sonnenblumen ihre schwere», Häupter wiegen und der hellrote Mohn ganze Veete füllt. Gasen gleich sind diese Niederlassungen über die baumlose Steppe zerstreut, in deren Einförmigkeit nur die Rurgane, die Grabhügel aus grauer Vorzeit, einige Abwechslung bringen. Zu diesen alten Hügeln, untor denen so manches Heldengeschlecht ruhen mag, ist in neuerer Zeit ein 20 Meter hoher Hügel hinzugekommen, in der 2^tähe der freundlichen Gouvernementsstadt f)oltawa (50 000 Einwohner), auf dem berühmten Schlachtfeld, auf welchem Karl XII. siegverwöhnte Truppen am 27. ^)uni ^?0H den gering geschätzten Bussen erlagen. Unter den» Hügel ruhen die in der Schlacht gefallenen Aussen — kein Areuz, kein Stein aber bezeichnet das Grab des im fernen Auslande gestorbenen Verräters Maseppa. Unter den mäch» tigen Fittichen des Kaiseradlers, zu dessen Untergang sich jener einst verschworen, ist Rleinrußland emporgeblüht, und in langer Friedenszeit ist das einst unruhigste Gebiet Rußlands ein tand der friedlichen Arbeit, ein tand voll Wohlstand geworden. An die stürmische Vergangenheit wird bald nichts mahnen als der Fluch, den am Fest der Rechtgläubigkeit der Archidiakon ausspricht und den die Menge tausendstimmig wiederholt — der Fluch über Maseppa, den Landesverräter! . . . Register. Aberglaube bri den Esthen II 201, „ „ Russen I 1.59, ^62 in Rleinrußland II 31.2 Ab.', Il ,5«) Achtuba I 26,1 Adel, polilischer, II 25>5 Aleksejcw, Fcdor Iakowlewitsch, II 35 Al,na I 31.5, 320 Altgläubigen, Verfolgungen der, II ^«^ Alupka I 2<^ Aluschta I 3N Anthrazit, s. Rollenlager Archiuigelsk II 1.67 Arensburg U 21.9 Art6l I iM, II <8, II 1.55 Askolds Grab II 299 Asoff I 21?, 299 Astrachan I 2?js Allgustowo II 279 Avasaksa II ^0 Vachtschi°3arai I 320 25adestnben, I ^07 Vahnhöfe l 22H Balaganji II 66 ^alaklaiva I 3^5 ^andünsten II 29«. ^askaken, I 3!, 92 25c>uerlihällser in Finnland II l.1.9 russische I i/x» II 21.6 ^auske II 218 lender I 3^8 Bergbau, I 255, 296, II >,?6 Vcrcsina II 2«» Veri slaw 11 2<»5 Vespop
    schtschina I <,^n Vcssarabicil I 7»<.5 Besteuerung der dauern I 1.2« settler I 1,2«, II 3«3 Vevölkerungszahl der Esthen II 1.99 Finnlands II ^26 der tappen II ^? der kettelt II ^<)^ der Mstseeprovinzcil II ^««, ^5 der ^anlo^edeu II ^7 Vialystok II 2«? Vierbrauerei II ?s, 233 Virons 5arg II 2^? V)clowescher t^aidc II 2«,; 25^örncbc>rg II ^^1 Vobruisk II 2c,8 Vörscu Rußlands II i» Vogoljuboss II 25 Vogorodsk^ie I ^^ ^5or!sow II 2N8 ^orowisowsk^' II 2')8 Brände, auf dem tande, I ^') in Petersburg, II ^5 Vral^estadt II ^0 Vrand von Moskau I ^7 Vranntweinbrennerei II ?b, 287i ^ranntweiwTtrike ll 252 ^rest^itcwski II 2<,? ^rjuloff, Rarl, II 2» Vruni, T. A., II 2» Vnrlaki I ^?<) ^5urun I 2l,?, 2?5 ^?utterwoche I ^6^ Cavos II ^6? Chancellor II ^l.? Charkow II 3^5> Clx'ncin II 2«u Chcrsones I 3^. Chmelnicki vogdan I 2«<», ll I^, 3^^ Chociiu I 3^» Cholmogori II ^67s ^69 Ll^olili, I ^2 Chotoschichin I ^78 Christianisieruug Rußlands I y? Churill I 2>',« Chutors 1 3^6, II 3^6 Ciechocinek II 279 Vagö II 2>,l) Datschen II ^05 Deinblin s. Iwangorod Dcmctrius-Nluscllu» I 2U2 Demidoff II !^7ü Derewier II 2«? Veutschc Koloniecn am Dujepr u. Dnjestr I 23<) in tittauen II 2«^, 2«? i„ Moskau I ?'^ bei pawlowsk II ^«8 in polen II 27k im Gouu. Taurieu 1 55? an der Wolga I 259 Deutsche Kolonisten, Zahl der, I 238 Deutsche Grden II ^ya Deutschtum i. d. Gstseeprovinzc« II 226 Dichte der Bevölkerung in Airland II 2^9 iin worden II ^3 Dmitri, Vojar, II 299 Dnieprfälle II 5U Dörfer der tappen II ^55 der Russen 1 f, II 3^6 Domesnäs II 2^1 Domowoi I ^5y Donez I 29^, II 3^5 Donsche steppe I 2«? Dorpat, Geschichte, II 5»^, ^95, 220 Dorpat, Universität, II 223 Dr)agil-Art>? Ephrim I >.«l) Esthen II ><»9 Esthnische Poesie II 201. Esthnische Sprache II 200 Export Rußlands II 2U Fanlilieulebril I >,2? Farlnass<'>nji I ^? Felli» II 22^ Feodosia I 30? Fest der Rechtgläubigfeit ll <»<> Feste, ländliche, I ^6>», >.',2 Fcstlingcil II 26« Feuern'ehr in Petersburg II i,u^ Findelhäuser I 79, II 80 Finnisches Recht II ^38 Finnische Sprache I! ^25 Finnland II >^6 Fischfang bei Astrachan I 271, bei ^alaklawa I 3^5 in der Wolga I ^95 a»t der Eismeerküstc II 1.5.5 im weißen Meer II !>u Fischfang Art^Ie I I ,5,5. Flachsausfuhr II 212 Flachsindustrie I 250 Flotte, die russische, II 63 Frauen, Stellung der bis zum i«. Jahrhundert I ^0 anf dem Lande, I >.5<> im Norden II «,85 Friedrichstadt II 2^8 Füchse II 1.82 Gamla Rarleby II 1,^0 Gatschina II 1.07 Geflügelzucht I 239 Geistlichkeit, lamaitische, I 26« Geistlichkeit, schwarte, I «0 Gellleinwesen, altrussisches, I 9«, 1.26 General-Gouverllemcnts II 27». Georgskloster b. Sewastopol I 320 Georgstag s. Iurjew Den Gesellschaften, musikalische, II «ü> Gesellschaft, philharmonische, II «? Gesellschaft, russische musikalische, II 89 Getreidebau am Don I 295 ili den Gstsceprovinzen II 203 an der Wolga I 255 Getrcideezport II 2^ 21.8 Glaubensvcrcinte Kirche I <44 Glaubensverfolgunge»! in polen II 1:59 Glmka. M. I. II «« Godnnoffs, Grabstätte der, 1 <>^ Götzen, samojcdische, II ^.^ Goldiugcu II 21^ Goldwäschereien II ^79 Gorbatoff, Kreis, I 250 Gostjiuny dwor in Moskau 1 K5 in Petersburg II 5>>, Grodno II 2«? Großgrundbesitzer, Type« der, I ^8 Gro^-Non'gorod II 22« Gruschowka 1 29? l^äriilgsfang II »59, ^0 Handel (s. Erport, Jinport) tibaus II 2^ Moskaus 1 <>i» ^'»dessas I 24«), 2^ peruans II 225 Reoals II 222 Rigas II 2^1 l)augo !l ^-)lj tiapsal II 22<^ t?ase!ipoth II 21,» t)alisi!id»strie in T5ogorodsko^e 1 ^l im G0110. Iaroslan,»! I 2. ivladjimir I ^2 i^eer, das »llssische, II 27», Heiligenbilder-,Malereiu.!?andel I zu, ^2 l^elsiilgfors II 1.2» I^errcuhliter I 2<>^ t)irvi,lsala, Iusel, II ^<> ijochzeitsfcier dor Eschcn 11 2<^ der NIordwineil I 24«» dcr rllssischl'ii dauern I ^7 tzoflcbeu im ,«. I^rlMidl'lt II ,^^ unll'l t>er Naisenn A»tna II ?^ l?ol^!iaudel II ,<>«, ^<), 2^0 ^ol.;lzaucr i ^12 i)oli>!iangcl I ,-,^<, 1'?c>iiX' s, ilirgisctl t)orodla II 27<) ^rebinka, Eugcn, II 2 ^sba, tsch!>rnaja u. bMaja, I ^u^,, ^l)7 Isw6slschif ! ^<», II ,^? ^wünowc, I ^2 In>a,lgorod II 2^.7 Ia.x'bi, Prof. w. ).. U 52 >ad im üordcii, II ^'>^ i. d. öteppe I 2«? Zagd.Anöle U ^5 Iaila-Dacch I Zn? Iakol'stadt II ^o Iakol'stadt II 2^8 Ialta I 20?, 2UY Iaroslawl I 2n^ Iedike^'ew, Fcdor, II 2« Iekaterinenbnra II ^<>u Ieltowodss, Kloster, I 20» Iemkale i 527, '>.^7 Io^ninisfeier II ^25 Jordan I ^„Z Iuchtculcder II 75 Juden in Rurlaud II ^)5 in Odessa I 33«) in polen II 24« Jüdische Feste II 25^ Jurjeu' ?eu I ^u Ilirod^ill>y I ^2 Jurten I 27^ Ilaffa, s. ^eodosia Kaisiakaiirgiseu 1 2?^ Aalduu I 25> 2lalewala II ,5» Kalewi poeg II 2u^ Aalgujen) II ^<) Ralisch II 27k Aalmyke» I 2<>u Aatua I 247 Kanäle Dou.NVlga I 2<>5 Zwischetl Raspisee llnd Ostsee 1 ,',5, Kanin II ^<,d Kara, Flust, II ^«,) Aarabelnasa I 7^^ Karaiiu s. Aaraiten Karaite» 1 7>55> 7nal I 252 Aaraseo 11 ^70 Aar^'ta II ^8 Rasau I 245 Kasau, Reich, I 2^ Rasanka 1 2^^ Raspisee°F'lotte 1 272 Katakomben in Ki^rw ll 2<»>, Katschkanar II ^75. Kattinisal'iikation I ^2 Kaufinailuschaft iilt ?o>lgebiet I 2,^» Kriwitschen II 2»7 Krönung der Zaren I 25 Kronstadt II >M Krym 1 ,^!»» Krymkrieg I ,'>!<) Kuindshi,'A. I., II 22 Kllsawien II 2«0 Kulisch II 2<>« 2ysheila!lstal Kurgane iu Klein»nßlauo II 2^<> an der N^olga I 2'»', Kurischc „Köilige" II ^ Kurisches 5ibirien II 2^« Kurland, Geschichte, II ^<, Kurpie II 2«? Klttnooee II ^U5 Kyrtym II ^?!^ liadoga^ee II N" lagorio, Prof. t. F., II 22 lamaismus I 2, Armenier, II 52 leal II 224 t^erfabrikation I 24?, ^5, II ?5> leibeigeilschaft I 1^22 Leihkassen I 25^ 3l9 kemwandfabrifation I 2s>? ketten II f<)<, Tettische kitteratur II ;<><, kiban II 2,« Tippitz II 28? Tittauen II 283 Titteratur finnische II ^35 kleinrussische II 29? lettische II ,<)<) kivadia I 5<'4 Tiven II ^qtt Tivländische schweif II 220 Tod,, ll 275. Tomza !l 27<» Dublin I! 27<) Tnzk II 287 Tyrnjiki II 2^^ Tysa Gora ll 280 NIaanselkö II uy Makariew I 215 Makowsky, Prof, lv. L., ll 32 Malachoff I 327, 52« Malakanji I ,4? Malerei, (beschichte der, II 27 MariaFeodoron'na, Kaiserin, mildthätiges wirken der, II «i, «2, 83 Mariengilde in Riga II 209 Marien Aanal systcin I 203 Marine s. Flotte Mäslensitza auf dein Tande I ^4 in Petersburg II s>5> lNasuren ll 2«»! Mennoniten I 25><) Mrsen, .^lusi, II ,«l. Mesen, !5tadt, I I ,<>>> Meschtschersky, Prof. A. I,, II 55 Militärlieiirke ll 27^ Minin, Grab I 2,,, Miniu ,i. posharski, Deilkmal in Moskall 1 l>2, N.»Nowgorod 1 2^5 Minsk II 28? Mlr, Organisation des, I ^2» Mitau II 2,7 Moliilisiernng II 27^ Modlin s. ^on'o-c^eorgiewsf Mönche s, Gastlichkeit, schivar^e Mol^n. Insel, II 2^'» Moldauer 1 Z^? Mokschany I <99 Monrepos, schlost, ll ,2y Mordwinen I 2,^<) Moskau I ^ Mnr'nansfischc Rüste II fs>c> Musik, Geschichte dcr, s. Oper Mnttcr Gottes, Aasansche 1, 2^5 Mythologie dcr Tappen II ^5 Naplsta II ^«, Napoloonisten I ^? Ueujahrsnacht, Erforschen der Zukunft, I !K2 Newa II 2^5 Newa-Inseln II ^5 Newka II ,5 Uifolaistadt II ^N Nikon, Patriarch, I <3N Njishny-Non'aorod I 27, 2<)>) Nystadt II 1^0 Odessa I 7i5«» Oesel II 2i<> (l^nega ll ><,« Oper, russische ll «5 Granicnliamn II n>7 Grechowctz s. Schlnsselburg Orenburg I 2?^ Grianda I 5,0^ Orfapn s. perekop Orloff, Diamant, II ^6 Wrloff.pferdc I 2<>n Grtsheiligeu, Fest des, I ^.^ Vsuon'janienko II 2>slseepror>inzen II ^«5> Ozorkow II 27«, Fabian ice I I 27', Pa^choi-Gebirgc ll ^?', pa'w, 3ee ll ,«'. Palmsonntag-Prozession in Moskau I <>7, Pastoren, finnische, II ^2^ pan'lowo I ^^ pawlowsk II ^s>8 perekaty I ^8q, perekop l ž;,^« peresyp I 55> penn II ^6» Pcruau II 22^ petcrhof II «na Petersburg ll ^ Veutsche in ll 7 Geinäldesaininlungen II 27,54,35,39,40 Griuionng r>on II 5 Mortalität II 2 Mnsecn II 34 wassernetz II 25> wassilyMstrow II 26 Petersburger 5chweiz II 5,6 PetscherskiKloster ll 2 Plozk ll 27<> pob<''tsch»ja I l«H Podscherein II l«a Poesie, klcinrussische, II 2<><, Pokrowskoie, Dorf, ll 2>)2 Pokrowsky 3obor s. wassily HZlashenny polen ll 24? Polizei in Petersburg II q,<) Polnische Juden ll 2^« Polnischer ?ldel II 255, poltawa II 316 Pope l ^3l> Popentöchter I 1^5, popowa Gora ll 243 Popäwschtschina d. 2lltgl. I ,40 praga II 2?2 Prl!.sdniiky Tpassa I '6.^ prawda, rufffaia, II 255 Presse I 542 Pripct II 2«? pstow II 243 pugatscheff I 258 pultusk ll 27Y lyuaranta'ne I 345> RastVil, Geschichte des, I <38 Raskolujiky I ^38, ^4? Rasschiwy I 5yy Renntiere II ^4, 554 Restaurants in Petersburg II 7<) Reval II 224 Revision I ^26 Riga II 2N4 RindrnelMcht an der Wolga I 25? am Don I 2')^ in polen II 2^3 Rjady s, Moskan Rostoff am Don l 2<>7, 2<»l» Rublen,', Andreas, II 28 Rnbinstcin, Anton, II »<> Russkiial, Steinbrüche bei, II 5,5, Rnssalki I !5><), II ,^5 Rnsscn, Ursprung der, II 23! Rybinsk l ^,<>^ 2«''» sachodM^i I ,2<» Säulenheilige II 5N3 3ai>na-Ranal I! ^9 ^aiina>3cc ll 127 Tal^bergweike im Gouv. Timbirsk l 255 5alMonsun, Rusilands I 552 3alz'5>eeen I 2<-^, 3^ samara I 25ü samojcden II 54? 5anwskn'arl>tschje s. Moskau sandomierz II 2?<) sanitäre Verhältnisse in Petersburg II 4^, 3chaf,^ncht am Von I 2<) 3cg Osero II ^85 Sekten I 558, ^2, ^? 3emik I i>60 3<^tscha I 2?<), II 2Y2 Sewastopol I 2^6 Shegulewskische !?erge I 225 Silberbergwerke II !,?') Simbirsk I 252 Simferopol I 7,57 Sirjänen II ^'>'> Sjeroff, A. U., II <>» Skicruien'itz II 27«. Skopzi I ^3 Snächar I ,ß3 Solombala II i>8 Solowcyfy Kloster II ^><, Sopelki I >,8l» Sopljas, Steinbrüche a>n, >,8l. Soshig/ltjcly I ^2, ^^ Sparkassen I 251, Sperliugsbcrge s. Worol'^cwy gory Spielkarten II »<» Stahlwarenfabrikaticn I 25.0, ^^ Staraja ^ussa II 2^5 ^taro Aonstantinon' II 2«7 StM'o-Tschcrfasf I !<)«> 3tenka Rasin I 2',» 5tep^cn am Don I 2«7 in 7l!einrus^Iand I! 3^. Nogaicr» I 37^ b. Odessa I Zqa 5teppe»brand I 275> 3tiftun^l,'u, milde, II «<', 8^, «2, 62 Störf>,i!ig l 27^ 5tr!uijiky I ^5, ^»2, <<).'> Strafen I »^ 3trelz>, Vernichtung der, 1 as> Strjelna, ^ustschlos;, II U'<> ^troganoff, Gregor, I 255 Slldkowst'y, R, G., II 33 Snsmljin, Denkmal I 20? 3un'alki II 2?y5 28? 3ivacha I IM, ^6? 3wat I 5c,? Sweaborg II ^z« 5werlschkoff, U. F., II 22 3^'nod, der heilige, II 5« Zysran I 25? Tal'ilii I 2«» Caganai II 1^6 Taganrog I 29?, 2yy Camerfors II ^7!<) Tatar als NIeiderhändler I 2N Tataren i. d. Rry»n I z^n, 328 im Golw. Rasan I 2^2 Tataren, 2luswanderung der, I 7>",» Tarastehns II ^<» Temperatllr in Petersburg II 50 Theater I ««, II <>^ deutsches im Kreml I 88 erstes in Rußland I 20? Türme, schiefe, I 2^3 Toksowo II ^6 Toleranz, religiöse, I 57 Tolpas, ^5erg, II ^l, Tomaszow II 2?6 Top-Osero II ^85 Torncil II ^'^n Torne-EIf II ^0 Totenfeier auf dem Friedhofe I ^72 Totenklagen, russische, 584 Totma II ^c,8 Traul'enkllr i. d, Rryin I 3^3 Trisna s. Totenfeier. Troika II ^8 Troitzky Kloster b. Moskan I <>5> Trunksucht I ^2l, II ?<) Trutowsky, U. A., II 32 Tscheboksary I 2^3 Tschenstochau II 275 Tscherrmisseu I 222 Tscheskaja-^ai II ^<,') Tschudof Monastyr s, Kreml. Tschufut Kaie I 325> Tschumak II 2<)5 Tst^un'aschcn 1 223 Tnndras II ^«2 Twer I !><)<> Uglitsch I 2»2 NIc-U'org II 5^ Ule^, i^If II ^0 Nni^crsita'ten I ?<), II 26^ Ural II ^7^ Usolie I 255» Utschan3u I 3N7 Verfassung Finnlands II 55? Viehausfuhr II 2^ volkscharakter, russischer, I 2 klcinrussischer II üttc> Volkspoesie II 5.M, ^52, 2ya lt^alnainoinen II ^2« Wagenbauer I 2^7 Ivahlebene I». Warschau II 272 waigatsch II 55^ Malaan», Kloster, ^^ walck II 22« lValdai l^öhen II 2^2 ll)a Id brande l ^8? lvalddevastation I I8<> Waldkultur I ^8<>, ll 282 N^alros;faug II ^5><) Waräger II 23^ Warschau II 26 Wodnoi ! ^')<> Wohnhaus ain Don I 2,8 wuoxa II ^2? wyborg II ^28 wygorietzky-KIoster II ^8^ wyg-5ee II ^85 wyin II 585 Zamosä II 2?l> Zarelikinder, frühere Erziehung I qc» Zarew I 26? Zä,rew ^?ugor I 255 Zarinnen, ^eben der, I ^7> .^arizyn I 2..,'. Zarsko^e 5elo ll y>7 Zeiwllgen s. Presse Zgierz 11 27ti Zigeuner i. d. Krym I 236 Zllckerfabrikell ll 276, 283