47L97 Minlents-Neflerionkli. Separat- Ubdruck aus der „Haibacher Zeitung." Baibach, 1869. Dru^ und Verlag von Jgn. v. Kleinmayr L F. Bamberg ^Hn der Sitzung unserer Handels- und Gewerbe¬ kammer vom 17. December v. I. wurde über Aufforde¬ rung des Handels-Ministeriums, es wären Abänderungs- Anträge zu dem bestehenden Gewerbegesetze oder Wünsche behufs Verbesserung desselben einznbringen, von dem Präsidenten der hiesigen Kammer, Herrn V. C. Supan, eine schwungvolle, treffende Ansprache gehalten, welche die Mängel der derzeitigen Gewerbe-Ordnung im allge¬ meinen kennzeichnet und in der Auffassung gipfelte, daß Dank der ausgesprochenen Gcwerbefreiheit in Oesterreich sich seit den 8 Jahren des Bestandes derselben successive so eine Art Geschästsproletariat hcrangebildet hat. Mancher wird sich die Frage vorgelegt haben, wie cö komme, daß in der neuen Zeit unser Platz wieder holte Fallimente erlebt hat, nachdem derselbe anerkannter Maßen früher mit den Städten Villach nnd Salzburg den Ruhm der gesundesten und reellsten Geschäftsabwick¬ lung genoß und nach diese!» Maßstabe auch behandelt oder vielmehr ausgezeichnet wurde. Wir hoffen, daß die freimiithige, offene Sprache dieses Artikels niemanden verletzen wird. Er betrifft einen Gegenstand, dessen öffentliche Erörterung gewiß von allgemeinem Interesse und Nutzen ist und mir der Sache, nicht den Personen gilt. Anmerkung der Redaction. 4 Wir werden unsere Anschauung darüber in ein Bild znsammenzufassen bemüht sein, wir werden bei dieser Aufgabe ganz unparteiisch zu Werke gehen, selbst auf die Gefahr hin, hier und dort anzustoßen, wir werden bei dieser Aufgabe hauptsächlich von der Wirkung auf die Ursache zurückgehcn und das Ende des Fadens nach und nach abwickcln, die Resultate ergeben sich dabei schla¬ gend eins um's andere von selbst. Der Ursachen dieser Erscheinung sind viele und wir werden, nm nns die Aufgabe der Bearbeitung dieses Stoffes zu erleichtern, dieselbe in mehrere Capitet zem splittern, und bezeichnen als Hauptfactoren der früher angedeuleten Erscheinungen: 1. die unbedingte Gewcrbefreiheit; 2. die seit neuerer Zeit eingetretenc directe Con- currenz von Seite der Fabriksplätze in unserem Ge¬ schäftsrayon und die seit neuerer Zeit durch fremde Hausirer und Marktfieranten cingetretene Detailcon- currenz; 3. die im hohen Grade mangelhafte Praxis der Crediteinräumnng von Seite des Laibacher Escompteurs dem hiesigen Kaufmanne, und von Seite des hiesigen Kaufmanns (Commisfionärs) dein Landkrämer gegenüber; 4. die unverhältnismäßig thcnere Geschäftsregie des Platz-Kaufmannes, schließlich: 5. den Mangel kaufmännischer Kenntnisse und Er¬ fahrungen von Seite der meisten Anfänger. Unsere Gewcrbefreiheit betreffend, hat man bei Bescherung dieser Wcihnachtsgabe vielleicht mehr das Er- gebniß der zuwachsendcn Steuer, als die Wohlfahrt der Gewerbetreibenden im Auge gehabt, — man möge da Meße von Papier mit Gründen und Beweisen aus dem Gebiete der Handelspolitik vorführcn, man möge uns andere Eultur-Staaten als Excmpcl statniren, alle diese Gründe und Beweise fallen vor der unerbittlichen Logik 5 der vollendeten Thatsachen in nichts zusammen, wenn man heute den Zustand des Handels nnd der Gewerbe bei den betreffenden Ausübenden vor Augen hat; die Cultur-Staaten, als der größere Theil Deutschlands, die Schweiz, Belgien, England und selbst Frankreich über¬ gingen successive, jedoch selbst heute noch nicht unbedingt auf die Basis der unbedingten Gcwerbefreiheit und des unbedingten Freihandels; wir aber fielen aus dem scharf zugeknöpften Zustande des Zunftzwanges ohne jed¬ weden Uebergang in die unbedingte Gewerbefreiheit hin¬ ein, und wahrhaftig, wir haben an den Consequeuzen dieser Metamorphose bereits erklecklich zu tragen; man warf uns ohne weiters in einen Coneurrenzsack mit Na¬ tionen, die ein halbes und mindestens ein Viertel-Jahr hundert Erfahrungen und Hebung in den bezüglichen Ge werben, billigere Arbeitskräfte und billigeres, leichter zu erringendes Betriebskapital vor uns voraus haben. Sie werden gefunden haben, daß die Zahlungsein¬ stellungen am hiesigen Platze und in mehreren Orten unseres Kronlandes vorherrschend in die Manufactur- Brauche fallen, und wir werden es versuchen, diese Ursachen etwas genauer zu erläutern. Unsere alten Manufactur - Häuser ersten Ranges betrieben das Commissions-Geschäft; sie arbeiteten nicht allein mit den Krämern nnd Marktfieranten unseres Kronlandes, sondern ihr Absatz erstreckte sich nach Croa- ticn, Istrien, Untersteiermark und sogar seinerzeit in das angrenzende Friaul, schließlich besaßen sie an den Hau- sircrn des Jsonzo-Thales nicht unbedeutende Abnehmer. Kärnten, Steiermark, Oesterreich und Tirol haben selbst in Marktflecken und Dörfern ausgesprochene, oder wie man zu sagen pflegt, ausgelerntc Kaufleute, welche fast zur Mehrzahl ihren Bedarf an Manufakturen von Wien decken nnd sogar die Brünner Märkte besuchen, dies kam seinerzeit in Kram nicht vor, denn mit Ausnahme von kaum 6 Provinzfirmen deckte der krainerischc Land- kaufmann oder Landkrämer seinen Manufactnrbedarf vom Laibacher Platze. Dieser Umstand hielt unseren Platz, und wenn die über die damalige Baumwoll-Conjunctur verstrichenen 3 Jahre das Commissionsgeschäft des Lai¬ bacher Platzes nicht noch künstlich gehalten hätten und das Kriegsjahr 1866 dazu gekommen wäre, so müßten wir uns im Jahre 1865 fast gerade dort befunden haben, wo wir uns heute befinden. Die Gewerbefreiheit hat in Kram eine Anzahl von Krämern geschaffen; es genügte dem erstbesten Hufschmied, Fleischhauer, Schullehrer, Wirth u. s. w., ein kleines ge¬ wölbtes Locale, auf einem günstigen Platze gelegen, zu besitzen und der Krämer war fertig; — wo ehedem in einem Monate 2 Krämer hausten, befinden sich derzeit ein halbes Dutzend, bei dem ausgesprochenen Krämersinn unserer Einwohner war das nicht anders zu erwarten, und wir finden in einem clcndenDorfe von 12—15Häusern ganz gewiß eine, wenn nicht mehrere Keuschlerinnen, die in der Ecke ihrer Stube ihre Lager aufgestapelt halten. Die größeren solventen Firmen unserer Provinz werden nun bereits auch von den Wiener und Brünner Geschäftsreisenden besucht, und wenn sich dieselben ein¬ zelne Artikel vom Laibachcr Platze nachschaffcn, so be¬ gnügt sich der hiesige Kaufmann der in sechs Monaten zahlenden Kundschaft gegenüber mit einem Gewinne von 5 — 6 Percent; durch die rapide Vermehrung der kleinen Landkrämer und Landkrämerinnen entstand selbst am Lande eine lebhafte Cvncnrrcnz; wer von den Leuten nicht gegen Cassa verkaufen konnte, zwang sich, auf Credit zu geben, die dubiosen oder schwer einbringbaren Pöstchen bei der Landkrämerin hatten größere Posten bei dem hiesigen Commissionär zur Folge, d. h. beide pumpten nicht immer sicher. 7 Die zweite Hand, d. h. unsere Manusactur-Häuser, vermehrten sich ebenfalls, und wir wollen auf's Gerathe- wohl erzählen, wie so ein junger Anfänger in die er¬ sehnte Selbständigkeit sprang. Ein junger Mann zwischen 24 und 28 Jahren, welcher in einem der größeren Manufactur-Häuser un¬ seres Platzes seit einigen Jahren diente und einen Jah¬ resgehalt von 400 fl. bis 800 fl. — nebst Kost und Logis bezieht, der, wie es heißt, ein sogenannter guter Verkäufer sein soll, nnd der, nebenbei bemerkt, von seiner Person und seinen Fähigkeiten eine ausgezeichnete Mei¬ nung hat, wird plötzlich von dem Drange nach Selbst¬ ständigkeit erfüllt, ungeachtet des starken Salairs dis- ponirt er am Schluffe des Monats selten über die Summe von 5 fl. — Warum? Wir ersuchen Sie, wie wäre das möglich? Es ist dem aber wirklich so. Da ist der ^.-Verein, da ist der L-Verein, da ist dieser oder jener au gewissen Tagen der Woche stattfin¬ dende Clnbb, über allem diesen jedoch steht die politische Tendenz — man ist doch Staatsbürger und Fortschritts¬ mann; wo ist am Ende der Gedankenaustausch gedie¬ gener, als bei dein regelmäßigen Wirthshaus-Tische und der regelmäßigen Tischgesellschaft? Zeit ist Geld, und von diesem Grundsätze ausgehend, darf ja doch der kaum freigesprochene Lehrling keine Zeit versäumen, um mit den politischen Hauptfragen am Laufenden zu bleiben. Unser Held wird mit sich selbst einig, Chef zu wer¬ den ; der Sprung ist ja nicht so gewaltig. Halten doch die Herren Chef's, ob der junge Mensch dessen würdig oder nicht würdig ist, ganz gute Nachbar¬ schaft zusammen, um so gewisser, als Chef und Gehilfen das gemeinsame Band der politischen Tendenz umschlingt; was wir hier sagen, gilt für beide Parteien, nur hat die eine in dieser Richtung einen etwas größeren Vorsprung. Sie verstehen uns doch? 8 Der junge Mann theilt nun dem Geschäftsreisenden, welcher sein Dicnsthans besucht, mit, daß er sich zu etw blireu beabsichtigt. Letzterer verspricht ihm die Untere stützuug seines Hauses und avisirt faetisch dasselbe vou dem Vorhaben des jungen Mannes; was alles hinter dem Rücken des Chefs betrieben und abgemacht wird; auf diese Weise hat er sich mit 10—15 dieser Herren Reisenden ins Einvernehmen gesetzt und er sieht im Geiste ein Waarenlager vor sich, welches nahe ein Drittel oder die Hälfte des Lagers seines jetzigen Dienstherr« beträgt. Sie wollen nns glauben, daß der junge Mann für den allfälligen Aeguivalent, nämlich für die Aufgabe, jcues schöne Lager successive bezahlen zu müssen, vor der Hand keine Gedanken übrig hat, — Pflegte ja doch sein gegen¬ wärtiger Chef die Sorge des Zahlens der Scadenzen allein auf sich zu nehmen. Das Local ist ausgenommen und es findet sich eine mitleidige Seele, welche den vierteljährigen Miethzins und die Reiscspcscu nach Wien zum Einlaufe vorzustrecken die Freundschaft hat; der Anfänger ist von Wien zurück¬ gelangt, die Kisten nut Waaren kommen nach; der In¬ halt der ersten Kiste wird, um die Fracht auf die übrigen Colli bezahlen zu können, mit 5 bis 10 pCt. unter dem Einkaufspreise verschleudert; der Kaufmann ist nun fix und fertig, er läßt nun alle Minen springen, um sich Kunden zu verschaffen; vor der Hand will er mit den zweifelhaften nicht arbeiten, aber den sichern und stär¬ keren Abnehmern kann er keine besseren Cvncessivnen machen, als eben die alten Häuser es zu thun in der Lage sind. Das Detail-Geschäft gibt zu wenig aus, die ersten Scadenzen nahen, es wird gedeckt und coulante Waare nachbestellt, welche verschleudert wird, um die folgenden Scadenzen decken zu können, man riskirt ein größeres Geschäft mit einem starken aber zweifelhaften Kunden 9 gegen Wechsel; nahe Posten werden fällig, man sucht zwei Partner, die protokollirt sind und macht Geld, das hilft wieder, unser Anfänger hat bisher pünktlich be¬ zahlt ; leider gehen die Accepte der sogenannten gefähr¬ lichen oder zweifelhaften Kunden nicht ein, oder wirft gar eine oder die andere um, auch verlangen die Herren Partner Gegcngefälligkeit, und so kommt der junge Mann in einen flotten Strom. Teufel, so schwer hat er sich das Geld- herbcischaffen nicht gedacht, jetzt sucht er Zerstreuung in öffentlichen Localen und verfällt hier und da sogar dem Dämon des Spieles. Das fatale bei der Sache ist, daß so ein mittel¬ loser Anfänger, dem auf einmal um 20—30.000 fl. Waare ins Magazin fällt, ungeachtet dieses schönen La¬ gers zu Wcchselpartnern nur wieder auf schwachen Füßen stehende Geschäftsleute bekömmt, und Pech bleibt Pech, ob es nun Terpentin-, Bindcrpech oder Schusterpech ist; mit Schaudern sieht er die Tendenzen mit drei Nullen, er kämpft wie ein Ertrinkender gegen die heranstürmende Fluth, eines schönen Morgens sehen wir an der ver¬ schlossenen Gewölbethnr den gewissen, halb bedruckten, halb beschriebenen Zettel angeklebt. Jetzt ist er auf Unkosten seines ehrlichen Namens zur Einsicht gekommen, daß er, außer seiner Gabe, leicht verkaufen zu können und ein bischen WirthShauspolitik zu machen, verdammt wenig gelernt hat. Das ist einer van den Fällen, nämlich jener des Leichtsinnes und der geringen commerciellen Ausbildung, cs gibt wohl noch andere Fälle, Unkenntniß der Pflichten, welche sich der Anfänger auf die Schultern laden muß, oder solche, wo eine plötzlich eingetretene weichende Con- junctnr dem mittellosen Anfänger in wenig Monaten das Genick bricht, die ersterwähnten Fälle find jedoch die häufigsten. 10 Wir lassen uns das hiemit Gesagte gerne widerlegen und sind für jede Belehrung zugänglich. Die sogenannte zweite Hand, unsere Manufac- turisten nämlich haben sich in dem Verhältnisse ver mehrt, als der Absatz auf's Land und an die Hansircr gefährlicher wurde. Bon hundert Krämern acceptiren nicht zehn den Werthbctrag der gekauften Waare, warum denn auch? Sind ja doch die Herren Manufactnristen froh, wenn sic auf halb sicherer Basis die Waare ans dem Magazine gebracht haben, und daß cs möglich wäre, diese Norm (ohne Ausnahme) einzusnhren, daran glaubt kaum ein Fünftel der hiesigen Manufacturisten. Auf unserem Platze war und ist nichts leichter als Cassa zu machen, vorausgesetzt, daß das gewisse Trifolium beisammen ist. Wir würden uns die Frage erlauben, ob, wenn diese Geldmacherei beschränkt werden würde, ob sagen wir, der hiesige Commissionär, wie es in den Städten am Lande, wo sich keine Crcditinstitute befinden, der Fall ist, darauf dringen würde, daß seine Kundschaft für die bezogene Waare Wechsel gibt? Hier freilich ruht das Geldschaffen auf Domizile, vorausgesetzt, daß der Acceptant gut ist, was wir doch annchmen müssen, sehr im argen, man könnte sagen, daß ein moralischer Credit, den mau auf die Person des Remittenten, dessen Geschäft, dessen Lebensweise in und außer dem Hause und dessen Art Geschäfte abzuwickeln, anderorts in Cultur-Staatcn oder in den nördlich ge¬ legenen Provinzen der Monarchie anzulegen pflegt, hier fast gar nicht existirt. Wir sagen nun, daß wenn die gewisse Geldmacherei beschränkt werden, an die Kaufleute die Nothwendigkeit herantretcn würde, die Waarenbeträgc acceptiren zu lassen und es werden sich nach und nach unsere 11 Escomptcnrs hcrbeilasscn, gute Domizile zu nehmen, und wenn nicht, so wird es die Aufgabe der Kaufleute bleiben, sich für diesen Zweig ein Wiener Haus zu halten; so haben wir es zur Zeit unseres Wirkens als Commis bei den verschiedenen Häusern, wo wir gedient haben, ge¬ sehen und gemacht. So viel steht fest, daß wenn ich nicht Cassa habe, ich auf Grund meiner Domizile mir auf reelle Weise Geld schaffen kann, habe ich jedoch weder das eine noch das andere, so muß ich auf die hier gebräuchliche Weise Geld machen; welche nun von den zwei Arten jene ist, die unserem Verstände und dem Gefühle der Sicherheit besser entspricht, überlassen wir den: Urtheile des kommer¬ ziellen Publicums. Was unsere Geschäftsregie als solche betrifft, so ist dieselbe eine enorme zu nennen, und es gehört unserseits fast Rücksichtslosigkeit dazu, die Erörterung dieser Fragen so recht und schlicht herauszusagen. Nehmen Sie Frankreich, die Schweiz, Deutschland, bei uns in Oesterreich z. B. Tirol, Salzburg, Ober- östcrreich, sogar Böhmen, und Sie werden finden, daß in diesen Ländern der Handverkauf vorherrschend durch Ladenmädchen versehen wird, und weßhalb auch nicht? Eine solche Person ist für das Detail-Geschäft un¬ bedingt unverdrossener als ein Mann, und was die Waarenkenntniß anbctrifft, so haben wir von Frauen¬ zimmern die mehrere Jahre hinter dem Pult beschäftigt sind, sogar eine bessere Meinung, als von Männern; gönnen Sie dieser Sache die Aufmerksamkeit, welche sic ver dient, und ich müßte wenig prophetische Gabe besitzen, wenn ich nicht als bestimmt annehmen könnte, daß die Zeit nicht mehr ferne ist, wo der Chef über das Studium der Geschäftsregie kommen und zu dem angcdeuteten Mittel greifen wird. 12 Wissen wir ja doch alle, daß jeder Commis beim Handverkauf sich an die Rnmmerirung der Preise am Packet der Waare hält; wir wissen sogar, daß wenn der erste Commis irrthümlich eine Waare unter dem Einkaufspreis oder 100 pCt. darüber notirte, der be¬ treffende Commis ohne wesentlichste Gewissensbisse und ohne seine durch Jahre gesammelte Waarenkenntniß be¬ sonders zu incommodireu, ganz getrost nach der irrthüm lichen Nummcriruug weiter verkauft; — diese Fälle sind nicht allgemein, aber sie sind sehr häufig. Wir hatten College«, deren Blick regelmäßig von morgens Früh bis Abends zur Sperrstunde auf den Stunden-Zeiger der Uhr gerichtet war, was Wunder? Die Leute hatten von ihrer Aufgabe keinen echten Be¬ griff, jede Kundschaft die in das Gewölbe trat, war eine Art von momentanem Feind für sie, weil sie ihn in seinem Gedankenfluge, welcher nebenbei bemerkt, alles mögliche andere, nur nicht das Geschäft umfaßte, störte, und daß diese Leutchen die gute Kundschaft auf irgend einen anderen Bedarf in Waare aufmerksam gemacht hätten, Gott bewahre; waren sic doch froh, daß die Kundschaft beim Tempel draußen nnd sie wieder mit ihren ange¬ nehmen Ideen allein sein kannten. Während den Ge- schäftsstundcn gehört die Zeit dem Geschäfte, respcctive dem Brotherrn, das ist unnmstößlich, — wer sich als Diener zu diesen Anschauungen nicht bequemen will, der soll rücksichtslos aus dem Geschäfte entfernt werden, im Geschäfte gibt es keinen Scherz, und Rücksichten sollen nnr dann obwalten, wenn dieselben gerechtfertigt er¬ scheinen. Im Anfänge kam uns diese Weiber-Wirthschaft etwas sonderbar vor, aber nach zehn oder zwölf Jahren, während welchen wir jene Länder bereisten, überzeugten wir uns, daß die Sache nicht „Ohne" sei; in Tirol, Baiern, Württemberg nnd Baden zahlt man diesen 13 meistens im Hause selbst ausgelernten Frauenzimmern von 80 bis 140 fl. pr. Jähr, und läßt sie außerdem bei ihren Hauskleidern ein Extra-Honorar einfach da¬ durch erreichen, daß man ihnen die Stoffe für die Ge- schüftskleidcr schenkt: befindet sich keine Kundschaft im Gewölbe, so wird genäht oder gestrickt ; diese Gewölbe sehen wie ein gut erhaltenes Salon-Zimmer aus, und nicht einer, sondern viele Chefs, Bnchführer und Ma¬ gazineurs von großen Manufactur-Commissionsgeschäften versicherten uns, daß diese Ladenmädchen zum Hausver¬ kauf für gewöhnliche Kunden, ja sogar für Hausirer den Vorzug vor Männern verdienen. Das Ersparniß der dicsfälligen Geschäftsregie be¬ läuft sich bei gleicher Anzahl von Kräften wie 1 zu 5, wobei nicht zu vergessen ist, daß Frauenzimmer, die im Geschäfte bedienstet sind, in den sonstigen Ansprüchen, Kost, Logis und Bedienung betreffend, keinesfalls so difficil sind, als unser Geschlecht. Ucbcr diese Frage hätten wir noch sehr viel zu sagen, doch überlassen wir es der Phantasie des betref¬ fenden Herrn Chefs das Nichtgcsagte zu crrathcn oder es sich zu dem entworfenen Bilde weiter auszumalen. Auf das fünfte Capitcl kommend, haben wir in Anbetracht, daß wir uns in diese besprochenen Erschei¬ nungen, in die derzeitige Situation so recht hineindachten, haben, sagen wir, dieses fünfte Capitcl fast unter einem erschöpft. Wir haben nur noch zu bemerken, daß leider die Mehrzahl unserer Gehilfen des Manufactur - Geschäftes die Gediegenheit des Kaufmannes lediglich in der gewandten Art die Kundschaft zum kaufen zu bewegen sucht; ist das Individuum in dieser Richtung tüchtig, so hat sein Chef an demselben sonst eine gute Agnisition gemacht; aber gute Verkäufer pfle¬ gen auch hausircndc Slovaken, Markt-Krämer, Markt- 14 weiber, ja oft Leute, die weder lesen noch schreiben kön¬ nen, zu sein; von einen gesellschaftlich und commerziell gebildet sein wollenden Gehilfen verlangt man etwas mehr; wir wollen damit keineswegs gesagt haben, daß der Betreffende die höhere commercielle Bildung .haben müsse, sondern er wolle seine freien Stunden Fachstudien, einem ernsten Nachdenken über die Möglichkeit, eine Exi¬ stenz zu erringen und wiederholtem, ja fortgesetztem Mei¬ nungs-Austausch mit tüchtigen, besonnenen und reellen Geschäftsleuten widmen. Es genügt im Anfänge, namentlich wenn man blos mit einigen hundert Gulden ersparten Geldes beginnt, ein kleines Waaren-Lager, welches man sogar vom Hie¬ sigen Platze zusammenstellt, um erst mit den Jahren nach und nach vorwärts zu kommen, wie wir doch Beispiele selbst hier am Platze beobachten kön¬ nen, und vor allem darf der Anfänger nicht von der An¬ schauung ausgehen, er habe durch seine Geschüftsbegrün- dung irgend eine persönliche Freiheit errungen, denn ge¬ rade der Anfänger verliert seine Freiheit und wird total Sklave seines Geschäftes. Der Anfänger, der mit schwachem oder gar keinem Betriebsfoude ein Geschäft beginnt und in der errunge neu Selbständigkeit vor allem seine persönliche Freiheit und Unabhängigkeit gefunden zu haben wähnt, der im Beginne seiner selbständigen Laufbahn nicht die äußerste Oekonomic sowohl bezüglich der Hilfskräfte des Haus¬ wesens, besonders aber des odiosen conto purtiooluro einfnhrt und daran festhält, dieser Mann trägt den Keim der Existenz-Auflösung in sich, — leider gibt es eine Sorte Menschen, welche diesen hoch¬ wichtigen für die zweite Hälfte des Lebens entscheidenden Schritt mit derselben Leichtigkeit machen, als gälte es einen angenehmen Spaziergang. 15 Um nun noch der Herren Geschäftsreisenden, welche auf eine so bereitwillige Weise den mittellosen Anfänger unterstützen, zu gedenken, müssen wir aus unseren ge¬ machten Erfahrungen und aus den sich fast täglich wie¬ derholenden Fällen berichten, daß diese Herren fünf Mo¬ nate nach Begründung eines solchen Etablissements, daher circa ein Monat oor Fälligwcrdcn ihrer ersten Post bei denselben, — allerorts ihre leisen Befürchtungen über die Sicherheit der in Rede stehenden Post oder ihre Wünsche über die bereits überstandene Einbringung der¬ selben laut werden lassen. Dies heißt beiläufig, deutsch gesagt: Sie machen es, wie es die Wiener Kaufleute neuerer Faxon mit den polnischen Juden machen, nämlich: Sie animiren den Anfänger zur Etablirung, fidiren ihm ein- oder zweimal und brechen ihm dann das Genick; sie machten ihr Ge¬ schäft mit Nutzen — dem klebrigen, was folgt, gehen sie aus dem Wege. Wenn sich ein hiesiger Kaufmann über die Crcdit- fähigkcit seiner College» nm Platze genau informireu will, so rathen wir ihm, in ein Bcrhältniß mit Mar- qucurs der Cafas oder den Kellnerinnen der Bier-Restau- rationen zu treten, das heißt, dieselben zu beauftragen, dem bei diesen Tischen zwischen den Herren Geschäfts¬ reisenden laut geführten Diseurs Ohr zu leihen — und zu berichten. Die Nonchalance, mit wccher diese Herren die Credit- fähigkeit der hiesigen Kaufleute im Kaffee- oder Bier¬ haus ganz laut und ungenirt besprechen, ist im hohen Grade originell. coöiss SSESS212S