Lehrbuch der Gesclrichte der Neuzeit fiir flie otei Classen Jer Gyiniiasl8n von Andreas Zeehe k. k. Gymnasial-Director in Villach. Mit lioliemMinisterialerlasse vom 24. Juni 1899, Z. 17.520, zumUnterriehtsgebrauche an Gymnasien mit deutscher Unterriclitssprache als allgemein zulassig erklart. Preis geb. 2 K 80 h. Laibach 1899. Druck und Verlag von Ig. v. Kleinmayr & Fed. Bamberg. 0W;ShV Vorwort. Auch bei dem dritten Bande meines Lehrbuches war ich be- miiht, durch sorgfaltige Sichtung und sachgemabe Anordnung des Stoffes das Interesse und Verstandnis des Schiilers zu fbrdern. Dadurch, dass ich die deutsche Literaturgeschichte, die ohnehin beim Unterricht im Deutschen in eingehender Weise behandelt wird, sowie die Leistungen auf dem Gebiete der Mathematik und der Naturwissenschaften, die beim Unterricht in diesen Gegen- standen vorgefiihrt werden, weglieb, gewann ich Raum fiir die Aufnahme anderen, namentlich volkswirtschaftlichen Stoffes. Was den auberen Umfang des Buches (249 Seiten Text) anbelangt, sind bei dem Vergleiche mit anderen Lehrbuchern die mafiig grobe Druckflache, die Zeilenzahl einer Seite, die mitunter umfangreichen Uberschriften, die eingehende Gliederung des Stoffes, die vielen Anmerkungen und Literaturangaben, endlich die durchgangige Vermeidung des Kleindruckes zu beriicksichtigen. (Den 234 Seiten der 9. Auflage des Lehrbuches von Gindely entsprechen 255 Seiten meines Buches.) Fiir die liber aus sorgfaltige Vornahme dei' Correctur bin ich meinem Freunde Herrn Professor Dr. Anton von Leclair in Wien im grobem Danke verpflichtet. Villach, April 1899. A. Zeehe. Seite Einleitung.1 Vom Mittelalter zur Neuzeit I. Die Erfindungen.3 II. Entdeckung Amerikas und Auf- findung des Seeweges nach Ostindien.4 A. Entdeckung Amerikas . . 5 B. Auffindung des Seeweges nach Ostindien .... 8 C. Die wichtigsten Eolgen der Entdeckungen .... 9 III. Wiedererweckung des classi- schen Altertliums (der Iluma- nismus).11 A. Der Humanismus in Italien 11 B. Der Humanismus in Deutsch- land.12 ,C. Die wichtigsten Folgen der W iedererweckung des clas- sischen Altertliums... 14 IV. Die Renaissance.16 A. Die Renaissance in Italien 17 B. Die Renaissance im Norden der Alpen.20 Erster Zeitraum. Das Zeitalter der Reformation und Gegenreformation (1492—1648). Erstes Capitel. Die Reformation. I. Die Reformation in Deutsch- land.22 A. Maximilian I. und die all- gemeinen Zustande in Deutschland beim Be- ginne der Reformation . 22 1. Maximilian I. (1493 bis 1519).22 2. Die allgemeinen Zu¬ stande in Deutschland beim Beginne der Re¬ formation .26 B. Martin Luther und das Prin¬ cip der Reformation . . 28 C. Karl V. (1519— 1556) und Luther; das Wormser Edi ct 30 Seite D. Hemmnisse der Reformation 32 E. FbrderungenderReformation 34 F. Ausbreitung der Reforma¬ tion in Deutschland bis zumNiimberger Religions- frieden (1521 — 1532) . 36 G-. Bekampfung des Protestan- tismus durch Karl V. (der schmalkaldische Krieg), das Interim und der Augs- burger Religionsfriede (1546—1555). 38 II. Die Reformation in der Schweiz 41 Iil. Hbliepunkt d. deutschen Prote- stantismus nnter Ferdinand I. und Maximilian II.; Be- griindung der bsterr.-ungar. Monarchie; Kampfe mit den Standen; Ttirkenkriege . . 43 A. Ferdinand I. (1556—1564) . 43 B. Maximilian II. (1564 — 1576) 46 IV. Die Reformation in Frankreich (1498—1610); die Dynastien Valois und Bourbon ... 47 V. Die Reformation in England und Schottland.50 A. Die Reformation in England unter dem Hanse Tudor (1485—1603). 50 B. Die Reformation in Schott¬ land unter den Stuarts . 54 C. Religioseu.politischeKampfe unter den ersten zwei Stu¬ arts in GroBbritannien und Irland.56 1. Jakob I. (1603-1625) 56 2. Karl I. (1625 — 1649) 56 VI. Die Reformation in Diinemark, Norwegen und Schweden . 59 Zweites Capitel. Die Gegen¬ reformation. I. Kirchliche Gegenreformation . 60 II. Philipp II. von Spanien an der Spitze derpolitischen Gegen¬ reformation im westlichen Europa.64 A. Philipp II. (1556 — 1598) . 64 VI Seite B. Der Unabhiingigkeitskampf der Niederlander(1568 bis 1648). 66 C. Fortsetzung der kirchlichen Politik Philipps II. miter seinen Nachfolgern Plii- lipp III. (1598 — 1621) und Philipp IV. (1621-1665) 70 III. Die Gegenreformation in Deutsch¬ land und in Osterreich-Un- garn; dordreiBigjahrige Krieg 72 A. Die Gegenreformation unter Rudolf II. und Matthias ; Fortsetzung der Tiirken- kriege.72 1. Rudolf II. (1516—1612) 72 2. Matthias (1612—1619) 76 B. Der dreifiigjahrige Krieg (1618-1648) ..... 76 1. Der bbhmisch-pfalzi- šche Krieg (1618 bis 1623). 77 2. Der niedersachsisch- danische Krieg (1625 bis 1629). . . . . 81 3. Der schwedische Krieg (1630—1635) ... 83 4. Der schwedisch-fran- zosische Krieg (1635 bis 1648) .... 87 5. Der westfalischeFriede (1648) ...... 88 6. Deutschland am Ende des dreifiigjahrigen Krieges.89 Zweiter Zeitraum. Das Zeitalter der absoluten Fiirsten- macht (1648—1789). Erstes Capitel. Der hofisclie Absolu- tismus (1648—1740). I. Ludwig XIV. und die Vorherr- schaft Frankreichs . . . 91 A. Ludwig XIII. (1610-1643) 91 B. Ludwig XIV. (1643 — 1715) 92 1. Leitung des Staates durch Mazarin (1643—1661) . 92 2. Ludvigs XIV. Selbst- regierung (1661 — 1715) 93 n) Die Kriege Ludwigs XIV.93 b) LudwigsRegierungim Innern.96 II. GroBbritannien und Irland . . 100 A. Oliver Cromwell und die Re¬ publik (1649 — 1660) . . 100 Seite B. Die Restaurationsherrschaft unt.d. Stuarts(1660—1688) 102 C. Sieg der parlamentarischen Verfassung; Wilhelm III. von Oranien und Anna . 103 III. Deutschland und Osterreich; Osterreichs Heldenzeitalter; Niedergang der Tiirkei . . 104 1. Leopolds Katnpfe mitden Ungarn und Tiirken. . 105 2. Der spanische Erbfolge- krieg (1701—1714) . . 108 3. Karl VI.; das Erloschen d. habsburgischenManns- stammes.110 4. Begriindung des Absolu- tismus in Brandenburg- Preufien.114 IV. DcrNorden und Osten Europas; Peter der Grofic und die Er- hebung Russlands zur euro- paischen Grofimaclit . . . 116 A. Russland vor Peter dem Grofien.116 B. Peter der Grofie (1689 —1725) 117 1. Begriindung der west- europilischen Cultur in Russland.118 2. Der nordische Krieg (1700-1721) .... 119 Zweites Capitel. Der aufgekliirte Absolutismus. I. Die Literatur der Aufklarung 123 II. Die wichtigsten Folgen der Auf¬ klarung . . .... - • .126 III. Deutschland und Osterreich; Friedrich II. (1740 — 1786); Mari a Theresi a ( 1 7 40 — 1780); Josef II. (1780—1790); Leo¬ pold II. (1790-1792) . . 129 A. Die ersten zwei schlesischen Kriege (1740 —1745) und der osterr. Erbfolgekrieg (1741—1748) .... 129 B. Der dritte schlesische oder siebenjahrige Krieg (1756 bis 1763). 132 C. Die Beziehungen zwischen Osterreich und PreuBen nach dem siebenjahrigen Kriege; Gebietserwerbun- gen beider Staaten .135 D. Die Reformen Friedrichs II. 137 E. Die Reformen in Osterreich unter Maria Iheresia, Josef II. und Leopold II. 139 VII Seite 1. MariaTheresiasReformen 139 2. Josefs II. Reformen . . 141 3. Leopolds II. Reformen . 143 F. Die Reformen in Portugal, Spanien und Italien . . 143 G. Die Reformen in Danemark und in Schweden . . . 144 II. Die Reformen in Russland. 145 1. Der Ausgang des Hauses Romanow (1725 — 1762) 145 2. Das Haus Holstein-Got- torp (seit 1762) . . .- 146 a) Peter III. (1762) . . 146 b) Katharina II. (1762 kis 1796) .... 146 I. Grofibritannien und Irland . 149 1. Abfall der nordamerika- nischen Colonien (1775 bis 1783). 149 2. Begriindung der engli- selien Herrschaft in Ost- indien.152 3. Erwerbung Australiens durch England . . .152 4. Zustande im Innern . . 153 K. Frankreich.153 Dritter Zeitraum. Das Zeitalter der franzbsischen Re- volution, der constitutionellen, na- tionalen und socialen Bestrebungen (1789 bis zur Gegenwart). Erstes Capitel. Die franzosisehe Revolution (1789 — 1815). I. Die Revolution im Innern bis z. Errichtung d. Directorial- Verfassung (1789—1795) . 155 A. Ursachen der Revolution . 155 B. Ludvig XVI. (1774—1792) und seine Reformversuche 157 C. Die constituierende National- versammlung(1789 —1791) 158 D. Die gesetzgebende (legisla- tive) Nationalversammlung (1791—1792) . . . .161 E. Der Nationalconvent (1792 bis 1795) . . ... .163 II. Ausbreitung der Revolution liber d. Nachbarliinder Frank- reichs bis zum Frieden von Čampo Formio (der erste Coali- tionskrieg und die Anfiinge Napoleon Bonapartes, 1792 bis 1797). 167 Seite III. Die Revolution in- und auBer- halb Frankreichs von der Errichtung der Directorial- verfassung bis zur Erhebung Napoleons zum Kaiser (1795 bis 1804). 170 A. Die Directorialregierung (1795—1799). 170 B. Bonapartes bisheriger Le- bensgang und die Erobe- rung Agyptens .... 170 C. Der zweite Coalitionskrieg (1799—1802) .... 172 I). Sturz des Directoriums, das Consulat und die Errich¬ tung des Kaiserthums (1799—1804). 175 IV. Die revolutionaren Eingriffe Napoleons I. in die staatliche Ordnung Europas bis zu seinem Sturze (1805 —1815) 178 A. Der dritte Coalitionskrieg (1805). 178 B. Der vierte Coalitionskrieg (1806 u. 1807); der Sturz und die Wiedererhebung Preufiens.179 C. Napoleons Krieg mit Portugal und Spanien (1808 — 1813) 182 D. Osterreichs Krieg mit Na¬ poleon (1809) .... 183 E. Napoleon auf dem Hohe- punkte seiner Macht (1810 bis 1812).187 F. NapoleonsKriegmitRussland (1812).188 G. Die Befreiungskriege (der fiinfte Coalitionskrieg 1813 bis 1815).190 H. Napoleons Rilckkehr und die Herrschaft der 100 Tage (1815).193 I. Beseitigung d.revolutionaren Einrichtungen auf dem "VViener Congresse (1814 bis 1815) . . . . ' . .195 Zweites Capitel. Die Zeit der Ver- fassnngskampfe im westlichen Europa (1815-1850). I. Deutschland, Osterreich und PreuBen (1815—1848) . . 198 II. Frankreich (1815 — 1852) . . 201 A. Die Restaurationsherrschaft unter den Bourbonen (1815 — 1830).'201 VIII Seite B. Ludwig Philipp von Orleans (das Julikbnigthum, 1830 bis 1848). 202 C. Die Februarrevolution und d.Begriindung des zweiten Kaiserreiches (1848—1852) 204 III. Italien, Spanien und Portugal 205 IV. GroBbritannien und Irland . . 207 V. Der Osten (Russland und die Turkei).209 A. Russland unter Nikolaus I. (1825—1855). 209 B. Der Freiheitskampf der Griechen (1822—1829) . 209 C. Intervention zu Gunsten des Sultans (1840); Agyptens Eroberungen im Sudan . 211 VI. Eimvirkungen der Februar¬ revolution auf das iibrige Europa.212 A. Die Revolution in Deutsch- land ........ 212 B. Die Revolution in Osterreich 214 C. Die Revolution in Italien 218 Drittes Capitel. Die Zeit des Vor- herrsehens der nationalen Bestrebungen; Einigung Italiens und Deutsclilands; der wirtschaftliche Aufschwung und die sociale Frage. I. Das Ubergewicht Frankreiehs unter Napoleon III. . . . 220 II. Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland und die Einigung der deutschen Staaten (1863—1870) . . 225 Seite A. Preufien nach dem Regie- rungsantritte Wilhelms I. 225 B. Die schleswig-holsteinische Frage und der deutsch- danische Krieg . ... . 226 C. Der Kampf zwischen Oster¬ reich und PreuBen um die Vorherrschaft in Deutsch¬ land und der osterr.-ital. Krieg (1866). 227 D. Der deutsch - franzosische Krieg und die Einigung Deutschlands(1870 —1871) 230 III. Osterreichs Neugestaltung unter dem Einflusse der liberalen und nationalen Stromungen 235 IV. Der Osten (Russland und die Turkei).236 V. Uberblick liber die gegenwartige europaische Lage .... 238 VI. DerwirtschaftlicheAufschwung, die Socialdemokratie und die Socialreform.240 A. Der wirtschaftliche Auf- schwung.240 B. Die Socialdemokratie und die Socialreform . . . 243 VII. Literatur u. Kunst im 19.Jahr- hunderte, hauptsachlich in Deutschland.245 A. Die Literatur.245 B. Die Kunst.247 VIII. Schlussbemerkung .... 249 Lageder wenigerbekanntenOrte 250,251 Stammtafeln. Einleitunsf. Die Geschichte der Neuzeit umfasst die Ereignisse von der Entdeckung Amerikas (1492) bis zur Gegenwart. Sie zerfallt in drei grobe Abschnitte; diese sind: 1. ) Die Zeit der Reformation und Gegenreformation (1492-1648). Es ist die Zeit der Entdeckungsfahrten, des Entstehens der habs- burgischen Vorherrschaft, der Kirchenspaltung und der uberwiegend von confessionellen Gesichtspunkten geleiteten Politik. 2. ) Die Zeit der Ausbildung der absoluten Fiirstenmacht (1648 bis 1789). In diesen Zeitraum fallt das Ubergewicht Frankreicbs, bis im Gegensatze dazu ein System des Gleichgewichtes der euro- paischen Staaten zustande kommt. Die confessionellen Gesichtspunkte der Politik weichen den weltlich-staatlichen Interessen. 3. ) Die Zeit der franzosischen Revolution, der constitutionellen und nationalen Bestrebungen (1789 bis zur Gegenwart). Allmahlicher Sturz der absoluten Furstenmacht und Einfiihrung constitutioneller Verfassungsformen, Einigung Italiens und Deutschlands, grobartige Ausbildung des Handels und der Industrie, Emporstreben des vierten (Arbeiter-) Standes. In der Neuzeit erweitert sich der geschichtliche Schauplatz iiber Amerika, das Christenthum wird wahrhaft zur Weltreligion, der bis- herige Kustenhandel zum Welthandel. Mit der zunehmenden Aus¬ bildung der einheimischen Sprachen wird die lateinische mehr und mehr auf das Gebiet der Theologie und der Kirche eingeschrankt. Z e eh e, Geschichte der Neuzeit. 1 Vom Mittelalter zur Neuzeit. Gegen Ausgang des Mittelalters und am Beginne der Neuzeit wurden mehrere wiclitige Erfindungen gemacht, neue Lander und Handelswege aufgefunden und neue Richtungen auf wissenschaft- lichem und kiinstlerischem Gebiete (Humanismus und Renaissance) eroffnet; aus diesen Griinden lasst man mit dem Ausgange des 15. Jahrhunderts den dritten grofien Abschnitt der Weltgeschichte, die Neuzeit, beginnen. I. Erfindungen. 1. Erfindung des SchieBpulvers. Wann das Schiefipulver erfunden wurde, ist nicht bekannt; 1 Thatsache ist, dass es in den ersten Jahr- zehnten des 14. Jahrhunderts bei Belagerungsgeschiitzen und bald darauf auch bei der Bewaffnung des Fufivolkes Verwendung fand. Nachdem schon im franzosisch-englischen Thronkriege, in denKampfen der Schweizer mit den Habsburgern und Karl dem Kiihnen sowie in den Husitenkriegen die Bedeutung des FuBvoIkes immer mehr hervorgetreten war, wurde seit der Erfindung des Pulvers die Infanterie der eigentliche Kern der Heere, die nunmehr zum grofiten Theile aus geworbenen Soldnern bestanden. Infolge dessen schwand all- miihlich die militarische und sociale Stellung des Ritterstandes, dessen Burgen den neuen Belagerungsgeschiitzen der Landesfiirsten nicht standhalten konnten. (II. 170, 182, 192.) 2. Erfindung des Leinenlumpenpapieres. Das wichtigste Schreib- material des Mittelalters war das kostspielige Pergament; an seine Stelle trat seit dem 14. Jahrhundert immer mehr das billige Papier, das aus Leinenabfallen hergestellt wurde. Beide Erfindungen wurden den Europaern vom Oriente her durch die Araber vermittelt. 1 Dass der Franciscaner Berthold Schwarz (14. Jahrhundert) das SchieB- pulver durch Zufall erfunden habe, ist ganz ungeschichtlich. Die alteste Er- wahnung von Morsern in Osterreich fallt in das Jahr 1390: vgl. Ang. Demmin, Die Kriegswaffen in ihren geschichtlichen Entwickelungen von den altesten Zeiten Us auf die Gegenwart, 3. Aufl., Gera 1891. 1* 4 Vom Mittelalter zur Neuzeit. 3. Erfindung der Buchdruckerkunst. Sie ist das Werk des Mainzer Patriciers Johann G-utenberg, der von dem reiclien Peter Fiirst die Geldmittel zur Einrichtung seiner Druckerei erhielt, sie aber vvegen des schlechten Geschaftsganges seinem Genossen iiber- 1468. lassen musste und im Jahre 1468 als Mainzer Hofdienstmann starb. 1 Die Kunst, in Holz geschnittene Bilder abzudrucken (Holzscbnitt oder Xylographie), war in Deutschland und Flandern sicher schon seit dem Jahre 1400 verbreitet. Gutenbergs Verdienst ist, dass er aus Metali gegossene Lettern herstellte, die fiir den Druck der Biicher nach Bedarf zusammengestellt werden konnten. Hiedurch wurde es mbglich, anstatt der theuren Manuscripte des Mittelalters wo]ilfeile Biicher herzustellen und so einen Wunsch Karls des Groben (II. 71) allmahlich zu verwirklichen. Urspriinglich geheim gehalten, verbreitete sich die «deutsche Kunst« seit der Eroberung von Mainz (1462) im Kampfe Adolfs von Nassau mit seinem Gegenbischofe Diether in die iibrigen Lander Europas. II. Entdeckung Amerikas und Auffindung des Seeweges nach Ostindien. Schon am Ende des 13. Jahrhunderts hatten italienische Schiffer die canarischen Inseln und etwa 50 Jahre spater die Agoren ent- deckt. Aber die ersten planmabigen Entdeckungsfahrten zur See 1460. veranlasste der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer (f 1460), der zahlreiche Unternehmungen zur Erforschung der Westkiiste Afrikas ausriistete. Bis zu seiner Zeit waren die Gegenden jenseits des Caps Bojador unbekannt geblieben; denn im Mittelalter waren ab- schreckende Erzahlungen vom «dunklen Meere« an der Nordwestkiiste Afrikas verbreitet und galt die heifie Zone geradezu fiir unbewohnbar. Aber durch das Beispiel des Prinzen Heinrich ermuthigt, drangen die Portugiesen immer weiter nach Siiden vor, betraten mit Erstaunen das «griine» Vorgebirge und die capverdischen Inseln und entdeckten 1486. endlich im Jahre 1486 unter Bartholomaus Diaz das Cap der guten Hoffnung. Die Erfolge der Portugiesen ermuthigten aucli die Spanier zu Entdeckungsfahrten; wahrend aber jene ihre Fahrten nach Osten richteten, schlugen die letzteren den Weg nach Westen ein, wodurch sie Amerika entdeckten. 1 A. v. d. Linde, Gutenberg. Geschichte und Dichtung, aus den Quellen nachgewiesen, Stuttgart 1878. ■— A. Borckel, Gutenberg, GieBen 1897. 2 A. Ruge, Das Zeitalter der Entdeckungen (bei Oncken). Entdeckung Amerikas; Auffindung des Seeweges nach Ostindien. 5 A. Entdeckung Amerikas. 1. Christoph Columbus. 1 Columbus, ein Genueser von Geburt, begab sich infolge der Verarmung seines Vaters, eines Webers, nach Portugal, machte Reisen bis zur Guineakiiste und nach England (ob er nach Island gekommen ist, muss dahingestellt bleiben), konnte aber die mafigebenden Kreise fiir seinen Plan, durch eine westliche Fahrt nach Asien zn gelangen, nicht gewinnen. Er glaubte namlich, auf Ptolemaeus und eine Karte des beriihmten Florentiner Naturforschers Toscanelli gestiitzt, dass Europa und Asien sich iiber zwei Drittel des Erdumfanges ausdehnen und demnach zwischen beiden Erdtheilen nur 120 Langengrade liegen. Columbus begab sich hierauf nach Spanien, und hi er wurden ihm endlich nach der Eroberung Granadas (1492) die Mittel fiir die Fahrt zur Verfiigung gestellt, nachdem ihm die erbliche Admiralswiirde iiber die neuentdeckten Gebiete und fiir seine Person die Wiirde eines Vicekonigs sowie der zehnte Theil vom Ge- winn aller Producte zugesichert worden war. Mit drei kleinen Schiffen, deren gesammte Bemannung nur 120 Kopfe betrug, fuhr Columbus zu den canarischen Inseln, um von hier aus den Weg nach dem Westen einzuschlagen. Die Fahrt, auf der Columbus die (vestliche) Declination der Magnetnadel kennen lernte, wurde zwar durch die ruhige See begiinstigt, doch fiirchteten die Matrosen, wegen des Nordostpassates und des Sargassomeeres nicht mehr zuriickkehren zu konnen. Bereits drohte eine Meuterei auszu- brechen, als endlich im October 1492, einen Monat nach der Abfahrt von den canarischen Inseln, Guanahani, wahrscheinlich die jetzige Watlingsinsel, entdeckt wurde. Nachdem Columbus auf der weiteren Fahrt noch Guba vmA Haiti aufgefunden hatte, kehrte er nach Europa zuriick, wo er mit dem grofiten Jubel begriiBt wurde. In den Jahren 1493 —1504 unternahm Columbus noch drei Reisen und entdeckte Portorico, Jamaica, Trinidad, die Orinocomilndung, endlich das amerikanische Festland zwischen den Golfen von Honduras und Darien. Den verheiGenen Lohn fand er nicht. Als namlich wahrend seiner dritten Reise in der Colonie S. Domingo auf Haiti ein Aufruhr ausbrach, wurde der leidenschaftliche Bobadilla zur Untersuchung abgesendet und auf dessen Befehl Columbus in Ketten nach Europa gebracht, jedoch alsbald wieder in Freiheit gesetzt. Da aber die Verwaltung der neuen Lander Geld kostete und die gehofften 1 »S Ruge, Christoph Columbus, Dresden 1892. 1492. 1492. 1493. bis 1504. 6 Vom Mittelalter zur Neuzeit. Reichthiimer nicht gefunden wurden, so gerieth Columbus wahrend 1506. seiner letzten Lebensjahre in Vergessenheit. Er starb im Jahre 1506 und nahm den Irrthum mit ins Grab, dass er den Osten Asiens (Japan) betreten babe; die Erinnerung daran bewahrt noch der Ausdruck Westindien. Columbus war ein Mann der That, der durch seine eiserne Willenskraft, seine bewundernswerte Ausdauer und Kulmheit die grofiten Hindernisse iiberwand; auberdem zeichneten ihn grobe Frommigkeit, lebhafte Phantasie und ein hervorragender Natursinn aus. Mabloser Ehrgeiz, grobe Leichtglaubigkeit und Geldgier sind die Schattenseiten seines Charakters. 2. Balboa. Dieser entdeckte nach Uberwindung zahlreicher 1513. Schwierigkeiten den grofi en Ocean (1513); er benannte ihn, da er von Norden kam, die Siidsee und nahm ihn fiir den Konig von Spanien in Besitz. Nunmehr war festgestellt, dass Columbus einen neuen Continent entdeckt hatte. Balboas unfahiger Nachfolger in der Statthalterwurde lieb jenen aus Hass und Neid wegen angeb- lichen Aufruhrs hinrichten. 3. Ferdinand Magelhaes. Dieser kuhne Portugiese fuhr im 1519. Jahre 1519 in spanischem Dienste nahe der Ostkiiste Siidamerikas nach Siiden, entdeckte die nach ihm benannte Strabe und gelangte quer durch den groben Ocean nach schrecklichen Hungerqualen zu den Philippinen, wo er im Kampfe mit den Eingebornen den Tod fand (1521). Sein Steuermann Elcano setzte die Fahrt fort und 1522. kehrte im Jahre 1522 nach Europa zuriick. So kam die erste Erd- mnsegelung zustande, die der mittelalterlichen Anschauung, dass etwa 6 /? d er Erdoberflache vom Festland eingenommen vviirden, ein Ende machte. 1519. 4. Ferdinand Cortez. Im Jahre 1519 entdeckte Cortez Mexico und eroberte es mit ungefahr 750 Mann nach zweijahrigem Kampfe und blutiger Unterdriickung eines Aufstandes der hauptstadtischen Bevolkerung, bei dem auch der gefangene Beherrscher des Reiches, Montezuma, den Tod fand. Kaiser Karl V. iibertrug dem Entdecker die Verwaltung des Landes, beschrankte ihn aber spater aus Miss- trauen auf die Austibung der Militargewalt. Cortez entdeckte noch Californien und begab sich hierauf nach Spanien, um sich bei Karl zu rechtfertigen; er fand aber nicht die erwartete Aufnahme und lebte deshalb bis zu seinem Tode in Zuriickgezogenheit. Cortez, einer der hervorragendsten C onquistatoren (spanische Entdecker und Entdeckung Amerikas; Auffindung des Seeweges nach Ostindien. 7 Eroberer), zeigt deren typische Ziige in ganz besonderem Grade; er war unglaublich tapfer, kiihn und verschlagen, von seltener Geistesgegen- wart, daneben aber auch habsiichtig und herzlos bis zur Grausamkeit. In Mexico lernten die Europaer das erste amerikanische Cultur- reich kennen. Die Azteken, die kriegerischen Bewohner dieses Reiches, besafien eine hochentwickelte Metallindustrie, bauten steinerne Tempel (Teocallis), besafien eine Bilderschrift (L 46), deren geringe Reste noch nicht entrathselt sind, und betrieben Astronomie und Geschicht- schreibung. Im ganzen Lande herrschte grofier Wohlstand. Diese hobe Cultur wurde aber durch grassliche Menschenopfer geschandet; bei einem einzigen Tempel fanden die Spanier 136.000 Schadel von Geopferten! 5. Franz Pizarro und Diego Almagro. Den beiden Spaniern Pizarro und Almagro gelang im Jahre 1532 unter Veriibung 1532. grofier Grausamkeiten die Eroberung von Peru, das damals auch Ecuador umfasste; Almagro entdeckte und eroberte Chile. Die Eroberung Perus wurde den Entdeckern wesentlich dadurch er- leichtert, dass gerade damals Thronstreitigkeiten zwischen zwei Brudern aus dem Stamme der Inkas herrschten; beide fanden wahrend der Eroberung des Landes ein gewaltsames Ende. Uber den Besitz von Cuzco, der Hauptstadt Perus, geriethen die Entdecker miteinander in Streit; Pizarro, der eigentliche Eroberer des Landes, liefi deshalb Almagro hinrichten, wurde aber spater selbst von dessen Sobne getodtet. Von Peru aus entdeckte Orellana unter aufierordent- lichen Gefahren den Amazonenstrom und steigerte durch seine Er- zahlung von einem unerschopflich reichen Goldlande (Dorado) die Abenteuerlust seiner Landsleute. In Peru lernten die Spanier die einzige selbstandige Cultur der sudlichen Halhkugel kennen. Das Land, dessen natiirliche Fruchtbarkeit durch Anlage von kiinstlichen Wasserleitungen ge- steigert wurde, glich einem Garten; hoch oben im Gebirge wuchs die Kartoffel. Die Bewohner waren geschickt in der Herstellung von Thon-, Webe- und Metallarbeiten. Eigenthumlich waren ihnen die Guipus, die aus verschiedenfarbigen, mannigfach geknoteten Schniiren gebildet waren («Knotenschrift»). Sie haben sich in grofier Menge erhalten, konnten aber bisher nicht entziffert werden, obwohl die Knotenschrift noch jetzt bei den Hirten Perus verbreitet ist. Die Religion der unkriegerischen Bewohner war ein Sterndienst ohne Menschenopfer. 8 Vom Mittelalter zur Neuzeit. 1497. Da im Jahre 1497 der Italiener Johann G aboto in englischen Diensten noch Labrador entdeckte, so wurde allmahlich der ganze Con- tinent entschleiert. Auf Vorschlag des deutschen Geographen Wald- seemtiller erhielt er den Namen Amerika nach dem Florentiner Amerigo Vespucci, dessen Beschreibung seiner amerikanischen Reisen viel gelesen wurde. B. Auffindung des Seeweges nach Ostindien und Errichtung der portugiesischen Herrschaft daselbst. 1. Vasco da Gama. Die Erfolge des Prinzen Heinrich und die Entdeckungen der Spanier veranlassten die Portugiesen zur Fort- setzung ihrer Fahrten an der Westseite Afrikas. Durch die Umschiffung dieses Erdtheiles hoffte man den Seeweg nach Ostindien zu finden und dadurch die reichen Erzeugnisse des Orients (II. 153) billiger einkaufen zu konnen; auch glaubte man, in Indien auf den eigent- lichen Stiitzpunkt des Islam zu stofien. Die Umschiffung Afrikas ge- lang: Vasco da Gama war es, der dank seinem eisernen Willen alle Schwierigkeiten der Fahrt (Sturm, Kalte, Meeresstromungen, Meuterei der Matrosen) iiberwand; seine Reise unter Beniitzung des Siidwest- 1498. monsuns fortsetzend, landete er in Calicut (1498). Im folgenden Jahre kam der kiihne Mann glucklich nach Europa zuriick; von seinem Konige Emanuel dem GroBen mit Wiirden und Ehren iiber- hauft, unternahm er noch zwei Fahrten nach Indien, wo er nach der Griindung mehrerer Niederlassungen starb (1524). 2. Griindung der portugiesischen Herrschaft in Ostindien. Um die portugiesische Herrschaft in Indien aufzurichten, wurde Cabral mit einer groBeren Macht abgeschickt; da er aber zu weit nach Westen fuhr, gerieth er in die nordaguatoriale Stromung und 1500. entdeckte infolge dessen vider Willen Brasilien (1500), das daher auch von den Portugiesen besetzt wurde. Der eigentliche Grunder der portugiesischen Herrschaft in Indien ist der groBe Albuquerque, der von seinem Konige zum Gouverneur des Landes erhoben wurde. Er machte das eroberte Goa zu seinem Stiitzpunkt und dehnte, obwohl ihm nur geringe Streitkrafte zur Verfiigung standen, unter Beniitzung der Streitigkeiten der zahlreichen indischen Konige die portugiesische Herrschaft von Malacca bis nach Ormus aus. Nach seinem Tode legten die Portugiesen auch auf der Ostkiiste Vorderindiens Nieder¬ lassungen an und erwarben die Herrschaft liber die Molnkken und die Sunda-Inseln. Die Heldenthaten seiner Landsleute in Indien Entdeckung Amerikas; Auffindung des Seeweges nach Ostindien. 9 besang der grofite portugiesische Dichter Cambens in seinen Lusiaden, einem Epos, das die ganze Geschichte der Portugiesen an Gamaš Fahrt nach Calicut kniipft; er starb im Jahre 1580 als Bettler. C. Die wichtigsten Folgen der Entdeckungen. Damals wurde zum drittenmale der geistige Horizont der abend- landischen Bevolkerung in grofiartiger Weise erweitert (II. 142); der Kampf mit den feindlichen Naturgewalten und den Eingebornen steigerte die Geistesgegenwart und die AVillenskraft der Entdecker und hiedurch wieder die Selbstandigkeit ihres Charakters. Auberdem hatten die Entdeckungen auch nocli andere wichtige Folgen fiir Europa und Amerika. 1. Folgen fiir Europa. a) In politischer Beziehung. Die italienischen Staaten, nament- lich Venedig, verloren infolge der Beeintrachtigung ihres Zwischen- handels, der auch unter dem Vordringen der Turken schon Einbufien erlitt, ihre Vorherrschaft zar See; diese gieng nunmehr an die am atlantischen Ocean gelegenen Staaten iiber, zunachst an Spanien und Portugal. Das viele Edelmetall, welches die spanischen Konige aus den Colonien bezogen, machte sie von den Geldbewilligungen der Cortes unabhangiger und trug wesentlich zur Erhbhung ihrer JUacht bei (II. 210). b) In wissenschaftlicher Beziehung. Die Naturwissenschaften, die Geographie und die Ethnographie gewannen reichen Stoff. Schon im Jahre 1492 fertigte der Nurnberger Martin Behaim, der als Theilnehmer an einer portugiesischen Fahrt die Westkuste Afrikas kennen gelernt hatte, seinen beruhmten «Erdapfel» (Globus) an, der uns die gesammte Summe der damaligen geographischen Kennt- nisse zeigt; er wird im Nationalmuseum zu Nurnberg aufbewahrt. c) In materieller und socialer Beziehung. Europa erhielt aus Amerika den Truthahn, ferner den Mais, die Karto ffe.1, den Tabak 1 und das Heilmittel Chinin. Die grobe Menge von Gold und Silber, die namentlich aus Peru und Mexico nach Europa kam, vermehrte das gemunzte Edelmetall derart, dass es zu Ende des 17. Jahrhunderts 1 Die Spanier lernten das Tabakrauchen bei den Mexicanern kennen; von ihnen kam der Gebrauch zu den Niederlandern und durch diese im BOjahrigen Kriege nach Deutschland. 10 Vom Mittelalter zur Neuzeit. auf das Zehnfache des fruheren Betrages gestiegen sein soli. Das ver- ursachte eine groBe Preissteigerung aller Gegenstande, die im all- gemeinen 100 bis 150 Procente betrug. 1 In Spanien, wo jedermann durch den Aufenthalt in Amerika rasch reich zn werden hoffte, ver- fielen Industrie, Acker- und Bergbau. Aucb Portugal erfuhr bald einen Niedergang, da es wahrend des ganzen 16. Jahrliunderts seine tapfersten Sobne an Indien abgab. Die Einfubr der Colonialwaren (Kaffee, Thee, Rum, Zucker, Tabak und Gewiirze) rief eine vollige Anderung in der Lebensweise der europaiscben Bevolkerung hervor. 2. Folgen fur Amerika. Europa spendete dem neuentdeckten Erdtheile, der die milch- gebenden Hausthiere und deshalb aucb das Nomadentbum nicbt kannte, das Pferd und das Rind sowie die abendlandiscben Getreide- arten und die ostindischen Gewiichse; 2 ferner wurde die Bevolkerung dem Christenthum und den iibrigen Segnungen der europaiscben Cultur zugefuhrt. Im iibrigen war das Los der Indianer traurig genug. Denn da die Spanier schnell reicli werden wollten, zwangen sie die einheimische Bevolkerung zu schwerer Arbeit in den Bergwerken, obwohl deren Krafte biezu nicbt ausreichten. Vergebens bemubten sich edeldenkende Manner, wie der Dominicaner Las Casas, das Los der Indianer zu mildern; die Folge der harten Behandlung war, dass sie in manchen Gegenden Westindiens rascb ausstarben. Um nun die nothigen Arbeitskrafte zu erhalten, begann man Negersclaven aus Afrika einzufuhren, wodurcb freilicb ein bedeutend groberer Gewimi aus dem Bergbau und aus der Plantagenwirtscbaft erzielt wurde. Gleichwobl verfielen die Colonien immer mebr, da die Spanier ibnen jeden Verkehr mit anderen Nationen verboten, um sie nur fur sich selbst auszuniitzen. An der Spitze der Colonialverwaltung standen zwei Vicekonige, die ihren Sitz in Mexico und Lima hatten (spater kam noch ein dritter fur Neu-Granada dazu); diese waren wieder dem «indischen Rathe* in Madrid untergeordnet. 1 Vgl. G. Wiebe, Zur Geschichte der Preisrevolution des 16. und 17. Jahr- hunderts, Leipzig 1895. ’ Im ganzen wurden ungefiihr 50 amerikanische Pflanzen in Europa und 170 europaische in den Vereinigten Staaten von Nordamerika eingebiirgert. Wiedererweckung des classischen Alterthums (der Humanismus). 11 IH. Wiedererweckung des classischen Alterthums (der Humanismus). 1 Zwar vvurden clas ganze Mittelalter hindurch die Werke einiger lateinischer Classiker gelesen, doch vermoclite man sich nicht in die Denkweise des Alterthums zu versetzen (II. 146), und die Lectiire j en er Werke diente vvesentlich nur dazu, sich durch Erlernung der lateinischen Sprache fiir das Verstandnis der heiligen Schrift vorzu- bereiten (II. 71) und sich schone Sentenzen und einzelne Thatsachen einzupragen. Fiir die Art und Weise dieser Lectiire ist es bezeichnend, dass man die Aeneis und die Eclogen Vergils als Zauber- und Orakel- biicher ansah; auch galt die erstere vielfach als eine allegorische Darstellung des menschlichen Lebens. Erst gegen Ausgang des Mittelalters begann man die Werke der lateinischen Classiker (das Griechische trat bedeutend zuriick) nur um ihrer selbst willen zu lesen, sich an ihrem Inhalte, der eine neue Geisteswelt eroffnete, und der schonen Form, die man im Gegensatze zum mittelalterlichen Latein bewunderte, zu erfreuen. Diejenigen Manner, welche die Werke der antiken Schriftsteller in diesem Sinne lasen, heifien Humanisten und die von ihnen gepflegte Richtung Humanismus. Sein Mutter- land ist Italien; von hier aus verbreitete er sich nach allen Landern, ganz besonders auch — unter Vermittlung des Aeneas Sylvius (II. 187) — nach Deutschland. A. Der Humanismus in Italien. Der erste Abendlander, der wenigstens theilweise ein tieferes Verstandnis des Alterthums erreichte, ist Petrarca (II. 176). Er verehrte in Vergil nur mehr den Dichter, kannte auch Horaz, O vid, Seneca, Cicero, Livius und andere lateinische Schriftsteller, aufierdem (in einer lateinischen Ubersetzung) Homer. Er verachtete die Scholastik und erklarte nur antike Weisheit, Tugend und Beredsam- keit als mannesvviirdig. Seit ihm blieb liber ein Jahrhundert lang seine Vaterstadt Floienz der Hauptsitz der humanistischen Studien, mit denen sich auch sein Freund Boccaccio aus Florenz, der Be- griinder der classischen Prosa, eifrigst beschaftigte. Den Hohepunkt erreichten diese Studien zur Zeit Lorenzos des Prachtigen (II. 199), 1 L. Geiger, Humanismus und Renaissance (bei Oncken); G. Voigt, Die Wiederbelebung des classischen Alterthums, 3. Aufl., 2 Bande, Berlin 1893; J. Burckhardt, Cultur der Renaissance in Italien, 5. Aufl., 2 Bde., Leipzig 1896. 12 Vom Mittelalter zur Neuzeit. 1453. 1450 bis 1520. der am Ausgange des Mittelalters wohl der reichste Mann in Europa war und Wissenschaft und Kunst mit freigebiger Hand forderte. Damals war Florenz auch der Mittelpunkt der griechischen Studi en. Diese wurden namentlich infolge der Flucht griechischer Gelehrter nach dem Falle von Constantinopel (1453) in Italien mehr ver- breitet 1 und fanden unter Cosimo, Lorenzos Grofivater, besonders in der Griindung der platonischen Akademie, die sich die Pflege der platonischen Philosophie zur Aufgabe machte, ihren Ausdruck. Dadurch wurde die Ubermacht des Aristoteles gebroclien, von dem man bislier oft nur schlechte lateinische Ubersetzungen beniitzt liatte. Aufierdem ragen als Statten der liumanistischen Studien nocli Manina, Urbino, die Geburtsstadt Raffaels, Ferrara und Rom hervor. Die Humanisten begannen nicht nur die Sprache und Gelehr- samkeit der Monche zu verspotten, sondern wurden aucli theilweise gegen die kirchlichen Dogmen gleichgiltig, richteten ihr sittliches Verhalten nach den Forderungen der antiken Philosophie ein und vermengten Christliches und Heidnisches; nicht selten bezeichneten sie Gott als Juppiter, stellten die Engel den antiken Genien gleich und bezweifelten die Unsterblichkeit der Seele. Da aber die neue Bildung auch am papstlichen Hofe Eingang fand, so kam es in Italien zwischen den Humanisten und den Scholastikern zu keinen erbitterten Kampfen. 2 Das sittliche Leben vieler Humanisten lasst manches zu wiinschen iibrig; sie waren im allgemeinen eitel, be- stechlich, schmeichelten aus Eigennutz ihren Gonnern; gleichwohl hatten sie grofies Ansehen bei Fiirsten und Republiken, weil sie den Glauben zu erwecken wussten, dass von ihnen der Ruhm bei der Mit- und Nachwelt abhangig sei. Doch verloren sie infolge ihrer iiblen Eigenschaften im Laufe des 16. Jahrhunderts ihren Einfluss. B. Der Humanismus in Deutschland. Wahrend der Humanismus in Italien alle Schichten der Be- volkerung ergriff und vom 14. bis ins 16. Jahrhundert dauerte, blieb er in Deutschland auf einen engeren Kreis von Gelehrten und auf die Zeit von 1450 bis 1520 beschrankt; seitdem entzieht ihm die 1 Petrarca zahlte nur acht bis neun des Griechischen kundige Miinner in Italien. ’ In Florenz vermochte Savonarola (II. 200) mit seiner Forderung, dass der Einzelne und der Staat sich ganz nach den Geboten der Kirche zu richten habe, nur eine ganz voriibergehende Reaction lierbeizufiihren. Wiedererweckung des classischen Alterthums (der Humanismus). 13 Reformation rasch alle Sympathien. 1 Nur wenige deutsche Fiirsten begiinstigten die Humanisten; am meisten that dies Maximilian I. Die hervorragendste Pflege fand der Humanismus bei den Btirgern und an den Universitaten des sudwestlichen Deutschlands (wieder einmal iibernahm Schwaben die geistige Ftihrung der Nation); be- sonders bedeutend sind Konrad Peutinger in Augsburg und Wilibald Pirckheimer in Niirnberg sowie die Universitaten in Wien, Basel, Tiibingen und Erfurt. Die beriihmtesten deutschen Humanisten sind Reuchlin, Erasmus von Rotterdam und Hutten. Johann Reuchlin wurde besonders dadurch wichtig, dass er das Studium der hebraischen Sprache wieder zu Ehren brachte. Gerade damals empfahl der getaufte Jude PfefEerkorn die Vernichtung der nicht ins alte Testament aufgenommenen judischen Bucher und griff Reuchlin, der sich der gefahrdeten Bucher annahm, aufs heftigste an; die Kolner Dominicaner traten auf die Seite Pfefferkorns, die Humanisten auf die Reuchlins. Ein bleibendes Denkmal dieser Fehde sind die * Briefe der Dunkelmanner* (epistolae obscurorum virorum), welche aus dem Erfurter Gelehrtenkreise hervorgiengen und die Lebensweise der meisten damaligen Monche in schlechtem Latein ver- spotteten. Von der Reformation, deren Beginn Reuchlin noch erlebte, hielt er sich fern. Erasmus von Rotterdam war der grdilte und angesehenste deutsche Humanist, ein feiner Kenner des Griechischen und unge- mein vielseitiger Schriftsteller, fiir seine Zeit an Einfluss mit Voltaire vergleichbar. Nach Art der iibrigen Humanisten fiihrte er eine Zeitlang ein Wanderleben, doch nahm er spater seinen dauernden Aufenthalt in Basel. Besonders beriihmt wurde er durch seine kritische Ausgabe des griechischen neuen Testaments und durch seine Satire Encomium Moriae (Lob der Thorheit). Letzteres Buch geihelt unter dem damals beliebten Bilde der Narrheit die verschiedenen menschlichen Schwachen und greift namentlich die Geistlichen bis zum Papste hinauf an. Der Reformation gegeniiber verhielt er sich ablehnend. Ulrich von Hutten, der feurigste und leidenschaftlichste der deutschen Humanisten, zeichnete sich besonders durch seine Briefe, Reden und Dialoge aus, die er anfangs in lateinischer, spater, der einzige Humanist, in deutscher Sprache schrieb. An der Abfassung der Briefe der Dunkelmanner hatte er einen hervorragenden Antheil. Ein entschiedener Gegner Roms, schlug er sich auf Luthers Seite. ’ Vgl. den Ausspruch des Erasmus: Ubi Lutheranismus, ibi litterarum est interitus. 14 Vom Mittelalter zur Neuzeit. C. Die wichtigsten Folgen der Wiedererweckung des classischen Alterthums. Die nachste Folge der bumanistisclien Studien war, dass an die Stelle des verderbten mittelalterlichen Latein ein classisches trat, fiir das besonders Cicero und Quintilian (L 278) als Vorbilder dienten. Durcb das Studium der antiken Schriftsteller lernte man ganz neue Verhaltnisse kennen; dies forderte denVergleicb mit den bestehenden beraus, so dass der Geist der Autoritat durcb den der Kritik ver- drangt wurdeA Wahrend im Mittelalter das Gesammtwissen durcb die Scbolastik beherrscbt wurde, begannen jetzt die einzelnen Wissenszweige sicb zu trennen (I. 111); neben der Philologie entstand eine kritische Geschichtschreibung, ferner eine selbstandige Mathematik, Astro- nomie, Medicin und Jurisprudenz, so dass sicb jetzt ein Gelehrten- stand bildete, welcher der Trager einer im wesentlicben weltlichen Bildung wurde (I. 136 und 150). Besonders beriibmte Gelebrte der Zeit waren: der Florentiner Staatssecretar Macchiavelli, der einen wertvollen Commentar zu Livius, eine Gescliichte von Florenz und das Buch «Der Furšt» verfasste; in dem letzteren fiihrt er den Ge- danken durcb, dass die Fbrderung des Staatswohles das hochste Ziel eines Fiirsten sein musse und dass in dem von Kampfen zerriitteten Italien nur dami eine Besserung eintreten konne, wenn ein Furst, der die Eigenscbaften des Lbwen und des Fuchses vereinigt, sicb iiber die Vorschriften der Moral hinaussetzt und so die unbeschrankte Macht im Bande gewinnt (Maccbiavellismus). Der berilhmteste Mathematiker und Astronom des 15. Jahrbunderts war Johann Milller von Konigsberg (Regiomontanus), der eine Zeitlang in Wien als Lehrer wirkte. Im 16. Jahrbunderte lebte Nikolaus Copernicus 1543. aus Thorn, Domlierr von Frauenburg (j-1543), der durcb sein Werk «de orbium coelestium revolutionibus« das ptolemaische System endgiltig beseitigte (I. 152). a Sein Zeitgenosse Theophrastus Para- celsus war einer der bedeutendsten Arzte der Zeit; dessen Haupt- 1 Der Humanist Valla (15. Jahrhundert) wies nacli, dass die Urkunde, nach ivelcher Kaiser Constantin dem Papste das westromische Reich geschenkt haben soli, eine Falschung ist; die Urkunde war in der Zeit Karls des GroBen ent- standen und wurde im Mittelalter fiir echt gehalten. 2 Copernicus sagt selbst, dass ihn die Anschauung einiger griechischer Philosophen von der Bewegung der Erde zum Nachdenken liber diesen Stoff veranlasst hat. Wiedererweckung des classischen Alterthums (der Humanismus). 15 verdienst ist, dass er die Naturbeobachtung in den Vordergrund stellte (I. 117). Durch den Humanismus wurde aucli das systematische Studiom des romischen Rechtes (II. 125) angebahnt. Da gegen den Ausgang des Mittelalters das Schuhvesen verfiel (II. 148), so war es von grofier Wichtigkeit, dass in der Lecture der antiken Schriftsteller ein neues hervorragendes Bildiingsmittel gewonnen wurde. Gerade in Deutschland wurde durch die Humanisten das Unterrichtswesen sehr gehoben; classisches Latein in Prosa und in Versen zu schreiben («Eloquenz») war das vornehmste Ziel des Unterrichtes. 1 Audi begann jetzt wieder die Pflege der korperlichen Ausbildung der Schuljugend, die in den mittelalterlichen Klostern ganz vernachlassigt worden war. Es fehlten aber auch die Schattenseiten nicht; die Verirrungen italienischer Humanisten wurden bereits erwahnt. Nunmehr entstand ein tiefer Zwiespalt zwischen den classisch Gebildeten und den Nicht- gebildeten, wie ihn das Mittelalter auch nicht annahernd gekannt hatte; es kam so weit, dass alles Einheimische als roh verachtet wurde. Das gilt namentlich fur Deutschland, wo sich die Humanisten von der Pflege der Muttersprache fernehielten, so dass ihr bereits am Ausgange des Mittelalters eingetretener Verfall weiter fortschritt. Anders war es in Italien, das im 16. Jahrhunderte zwei hervorragende Dichter in der einheimischen Sprache besafi, namlich Ariosto und Torquato Tasso, die beide eine Zeitlang am Hofe der kunstsinnigen ■Este in Ferrara lebten; 2 der erstere verfasste das romantische Epos «Der rasende Roland*, der letztere das historische Epos «Das be- freite Jerusalem*. Endlich haben die Humanisten der antiken Astrologie (L 272), theilweise auch dem verderblichen Hexenwahne, der seit dem Ende des 15. Jahrhunderts immer unheilvoller um sich griff, Vorschub geleistet, da sie selbst nicht selten dem antiken Zauber- und Wunderwesen Glauben schenkten. 3 Durch den Humanismus wurde die geistige Selbstandigkeit der Abendlander machtig gefordert; es ist kein Zufall, dass die Zeit der groben Entdeckungen auch die des Humanismus ist. 1 Fr. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitaten vom Ausgange des Mittelalters bis zur Gegenwart, 2. Aufl., 2 Bande, Leipzig 1896. 2 Vgl. Goetlies «Torquato Tasso*. 3 Einzelne Humanisten glaubten sogar an Prodigien und Auspicien. 16 Vom Mittelalter zur Neuzeit. Uberall strebten die Menschen liber die engen Grenzen des mittel- alterlichen Horizontes hinaus (II. 210). Deu Umschwung der An- schauungen zeigen uns besonders Dante und Macchiavelli; wahrend der erstere Brutus und Cassius nebst Judas als Auswurf der Menschheit in die Holle verstobt, preist der letztere Caesars Morder als grobe Patrioten. IV. Die Renaissance. Nachdem das Alterthum literarisch entdeckt war, erwachte auch das Verstandnis fiir die antike Kunst. Wahrend das Mittel¬ alter an den classischen Bauresten Roms mit einer gewissen Scheu voriibergegangen war, wagte es Petrarca, sie als Zeugen einer groben Vergangenheit zu betrachten, und wurde sein Zeitgenosse Cola (II. 200) der erste eigentliche Alterthumsforscher in Rom. Wie man die Bibliotheken nach Handscliriften durclisuchte, so veranstaltete man namentlich in Rom Ausgrabungen zur Auffindung antiker Kunstwerke; dadurcli wurden der Apollo vom Belvedere (I. 59), die Laocoon-Gruppe, der farnesische Stier (I. 155) und andere Werke der Bildhauerkunst aus dem Schutte liervorgeholt. Auch wurden die Reste der antiken Bauwerke sorgfaltig ver- messen und zum Vorbilde fiir die neuen Bauten genommen. So entstand ein neuer Baustil, der Renaissance (Wiedergeburt) genannt wurde, weil man die classische Vergangenheit in Wissenschaft, Kunst und Leben wiederherstellen zu konnen meinte. Wahrend ferner im Mittelalter die Kunst wesentlich im Dienste der Kirche gestanden war (II. 49), feierte die Baukunst der Renaissance ihre hochsten Triumphe in der Palastarchitektur und erweiterte sich das Gebiet der Malerei, ahnlich wie sich die einzelnen Wissenschaften trennten, allmahlich liber alle Darstellungsgebiete (Weltgeschichte, Mythologie, Portrait, Genre, Thierstiick, Stilleben, Landschaft). So wurde auch die Kunst weltlich (I. 142). Gleichzeitig horte das dienende Ver- haltnis der Sculptur und Malerei gegeniiber der Baukunst auf (II. 49); die Kiinstler, durchaus weltliche, schufen nun Werke der Plastik und Malerei ohne Riicksicht auf die Werke der Baukunst, die durch jene geschmiickt werden sollten. Wie der Humanismus, verhreitete sich auch die Renaissance von Italien aus in die iibrigen Lander. Die Renaissance. 17 A. Die Renaissance in Italien. 1. Die Baukunst. Die Baumeister der Renaissance, der hochsten Bliite der christ- lichen Kunst, entnahmen den romischen Uberresten zweierlei: sie verwendeten die classischen Saulenanordnungen und Ornamente zur Ausschmtickung der Gebaude und studierten die schdne Anlage des Grundrisses (L 289), ohne jedoch dabei ihre hohe kiinstlerische Selbstandigkeit einzubiifien. Man theilt die Renaissance in die Friih- und Hochrenaissance und den Barockstil ein. a) Friihrenaissance (1420 — 1500). Der Vater der Renaissance ist Brunellesco (j- 1436), dessen Werke in und bei Florenz, der Ge- burtsstatte der Renaissance wie des Humanismus, entstanden sind. Von seinen Werken sind besonders hervorzuheben: die Vollendung der kolossalen Domkuppel in Florenz, die fast 150 Jahre ihres Ausbaues geharrt hatte, und der Bau des Palazzo Pitti, in dem der Meister ein Werk schuf, das an Erhabenheit der Wirkung alle iibrigen Profangebaude iibertrifft. AuBerhalb der Stadt Florenz ist das gefeiertste Baudenkmal der Zeit die unvollendete Fagade der Certosa bei Pavia, eines der reichstgeschmiickten Gebaude iiberhaupt. In der Freude liber die neugefundenen Ornamente wurden damals die Gebaude mitunter etwas tiberladen; auch unterschied man noch nicht, welclie Motive der Bliite- und welche der Verfallszeit der Antike angehorten. b) Hochrenaissance (1500 — 1580). Nunmehr wurde jeder An- klang an die Gothik fallen gelassen, und in der Verwendung der Ornamente, die man der besten Zeit der romischen Kunst entnahm, herrschte weises Mafihalten. Die einzelnen Stockwerke wurden durch edel gebildete Gesimse gegliedert, Fenster und Portale mit antiken Saulen- und Pilasterformen geschmiickt und mit Giebeln gekrbnt. Der Hauptsitz der Hochrenaissance war Rom, das unter Julius II. (II. 200) und seinem Nachfolger Leo X. fiir etwa zwanzig Jahre ein pericleisches Zeitalter erlebte. Der grofite Baumeister war damals Bramante (f 1514); sein profanes Meisterwerk ist der Palast der Cancellaria mit dem schonsten Hofe der ganzen Renaissance. Er begann auch den Bau der neuen Peterskirche, der freilich nicht in seinem Sinne zu Ende gefiihrt wurde. Der Grundriss dieses Baues, ein tonnengewolbtes Langhaus mit gewaltigen Pfeilern und einem Querschiffe mit einer Kuppel, wurde fiir den ganzen folgenden 1420 bis 1500. 1500 bis 1580. Zeehe, Geschichte der Neuzeit. 2 18 Vom Mittelalter zur Neuzeit. Kirchenbau mafigebend. Die grofiartige Kuppel dieser Kirche, die schonste der Erde, erbaute Michelangelo Buonarotti (j- 1564). In ganz Italien herrschte damals die eifrigste Baulust; besonders herrliche Palaste wurden in Genua und Venedig erbaut; hier ist namentlich die reichgeschmiickte Bibliotbek von Sansovino zn erwahnen. c) Barockstil. «Die Barockbaukunst spricht dieselbe Sprache wie die Renaissance, aber einen verwilderten Dialect daven*. 1 Um grofiere Wirkungen zu erzielen, wurden die antiken Saulenordnungen, Pilaster, Giebel n. s. w. in der willkurlichsten Weise verwendet, die schmiickenden Motive gehauft, die Wandflachen gekriimmt. Der bekannteste Meister dieser Zeit ist Bernini, der die groBartigen Colonnaden des Petersplatzes erbaute. 2. Die Plastik. Zum Studium der antiken Statuen trat das der Natur (Michel¬ angelo hat jahrelang anatomische Studien betrieben), so dass die plastischen Werke der Renaissance im Gegensatze zu den idealistischen des Mittelalters einen mehr realistischen Charakter tragen (I. 114). Auch in der Plastik gieng die neue Bewegung von Florenz (und Toscana iiberhaupt) aus, dessen Meister bei der Erbauung von Grabdenkmalern in ganz Italien Verwendung fanden. Der beriihm- teste Plastiker der Zeit war Michelangelo, der zuerst in Florenz thatig war, spater aber von Julius II. nach Rom berufen wurde. Er schuf in Florenz die Kolossalstatue des jugendlichen David und die Grabdenkmaler zweier Medici, die er mit allegorischen Gestalten, die vier Tageszeiten darstellend, schmiickte, ferner die Riesengestalt des sitzenden Moses in Rom. Seli on vor der Mitte des 16. Jahr- hunderts war die Plastik in ganz Italien verfallen. 3. Die Malerei. Seit der Renaissancezeit ist die Malerei die Hauptkunst des Christenthums geworden. Auch sie schlug die Wendung zum Realis- mus ein; doch beschrankten sich die groben Mal er sowenig wie die Plastiker auf eine getreue Wiedergabe der Natur, sondern stellten ' J. Burckhardt, Der Cicerone, 6. Aufl., 4 Bande, Leipzig 1893. Man nennt auch die Ausartung eines Stiles iiberhaupt «Barockstil» und spricht in diesem Sinne von einer grieehischen (der spateren alexandrinischen) und gothi- sclien Barockzeit. Die Renaissance. 19 sie in idealer Verschonerung dar. Auch auf dem Gebiete der Malerei stand Florenz obenan, bis es dur eh Rom zuriickgedrangt wurde. Das vielstudierte realistische Erstlingswerk waren die Fresken in der Brancacci-Kapelle in Florenz, die von Masaccio und Masolino herriihren, um 1420 entstanden und Scenen aus dem alten Testa¬ mente, dem Leben Christi und der Apostel darstellen. Die grofiten Maler, die alle dem 15. (Quatrocento) und 16. (Cinguecento) Jahr- hundert angehorten, sind Lionardo da Vinci, Michelangelo, Raffael und Tizian; an jeden schlossen sich zahlreiche Schiller an. Lionardo (f 1519) war ein Universalgenie; er war nicht nur Maler, sondern auch Baumeister, Dichter, Mechaniker, Musiker und Gelehrter. Er ist das Haupt der lombardischen Schule, die in und um Mailand thatig war. Sein beriihmtestes AVer k ist das ernannt wurde, war mit dem Plane einverstanden, doch scheiterte er an der Furcht der Hansa vor der Gegenreformation. Nur noch wenige Stadte, darunter namentlich Stralsund, wagten einen Widerstand; vergebens belagerte Wallenstein diese Stadt, die, von Danemark und Schvveden unterstiitzt, sich vveigerte, kaiserliche Truppen aufzunehmen. Da rieth er selbst dem Kaiser zur Nach- giebigkeit, und so kam mit Christian der Liibeckcr Friede zustande 1629. (1629), demzufolge dieser die verlorenen Gebiete zuriickerhielt, wo- gegen er »allen Einvvirkungen auf das Reich® entsagte. Wallenstein erhielt vom Kaiser als Entschadigung fiir die vorgestreckten Geld- summen die beiden Herzogthiimer Mecklenburg, deren Fiirsten er wegen ihres Anschlusses an Danemark vertrieben hatte. 1629. d) Das Restitutionsedict (1629). Der Kaiser stand jetzt auf dem Ilohepunkte seiner Macht, und er wollte diese zur Zuriickdrangung des Protestantismus Deshalb erliefi er das Restitutionsedict, das bestimmte: 1.) dass alle seit dem Passauer Religionsvertrage eingezogenen mittelbaren Kloster und Kirchengiiter herausgegeben, 2.) dass alle Reichsabteien und Bisthiimer wieder mit katholišchen Geistlichen besetzt werden und 3.) dass die Calvinisten vom Religions- frieden ausgeschlossen sein sollten. Da die norddeutschen Pro- testanten zahlreiche Štifte und Kirchengiiter eingezogen hatten, so rief das Edict eine grobe Aufregung unter ihnen hervor; der Kaiser konnte es nur mit Gewalt durchfiihren, und gerade damals entlieB er Wallenstein. Der dreiBigjahrige Krieg. 83 ej Wallensteins Entlassung (1630). Schon seit Jahren klagten die Reichsstande liber die Aussaugung Deutschlands durch Wallen- steins Truppen, woran iibrigens die damalige Art der Heeresauf- stellung und Heereserhaltung die Schuld trug, so dass die ligistischen Truppen nicht weniger zu Beschwerden Anlass gaben. Wallenstein war aber den Fiirsten besonders deshalb verhasst, weil sie in ihm die Sttitze des Kaisers erkannten; hatte er doch geauhert, dass er die Kurfiirsten «moreš lehren» werde, dass Deutschland ein Erbreicli werden miisse u. s. w. Als der Kaiser einen Kurfurstentag nach Regensburg berief, um die Wahl seines Sohnes zum rbmischen Konige durchzusetzen, erneuerten daher die Fiirsten ihre Klagen gegen Wallenstein, so dass der Kaiser seinen Feldherrn entliefi; dieser begab sich : ohne W iderstreben auf seine Giiter, weil er sein Schicksal in den Sternen gelesen hatte. Gleichwohl lehnten die Kurfiirsten die Wahl des Kaisersohnes zum Konige ab. Kurz vorher war der schwe- dische Konig Gustav Adolf auf Usedom gelandet. 3. Der schwedische Krieg (1630—1635). a) Gustav II. Adolfs Charakter und Bestrebungen. Gustav II. Adolf (1611 — 1632), ein Enkel Gustavs L, ist der groBte schwedische Konig. Nach langen Kampfen entriss er den Russen Ingermanland und Karelien sowie den Polen Livland und einen Theil WestpreuBens. Er war ein hervorragender Feldherr, ein hochgebildeter, fiir Wissen- schaft und Kunst begeisterter Herrscher, ein offener und ritterlicher Charakter. Persbnliche, religiose und politische Griinde veranlassten ihn, sich in den Gang des dreiBigjahrigen Krieges einzumischen. Er war namlich von Wallenstein beleidigt worden, da dieser Polen gegen ihn unterstiitzt und die ihm verwandten Herzoge von Mecklenburg vertrieben hatte. Weil er streng evangelisch gesinnt war, so gieng ihm das Schicksal des deutschen Protestantismus nahe, nach dessen , Niederwerfung er fiir šeine eigene Krone besorgt werden musste, zumal da der Kaiser und der Papst seinen Vetter Sicgmund von Polen auch als den rechtmafiigen Konig Schwedens betrachteten. Am wichtigsten aber waren fiir ihn die politischen Beweggriinde. Da er namlich die Ostsee zu einem geschlossenen schwedischen Meere machen wollte, so musste ihm der Plan, eine deutsche See- macht daselbst ins Leben zu rufen, als eine schwere Bedrohung erscheinen. Er verfiigte liber ein tiichtiges, gut bewaffnetes und wohldiscipliniertes Heer und hoffte auf den Anschluss der deutschen Protestanten. 1630. 1630 bis 1635. 1611 bis 1632. 6* 84 Erster Zeitraum. b) Gustav Adolfs Erfolge (1630—1632). Gustav Adolf, der liber ein Heer von 40.000 Mann verfiigte und von Frankreich Hilfsgelder erhielt, fand nur an den Reichsstadten Bundesgenossen, wahrend die Fiirsten sich fast ausnahmslos von ihm fernehielten; er musste sicli daher mit Waffengewalt den Weg durcli Nord- deutschland bahnen. Tilly, der Befehlshaber der kaiserlich-ligistischen Truppen, schritt zur Belagerung Magdeburgs, das eine schvvedische Besatzung unter dem Obersten Falkenberg aufgenommen hatte. Wahrend Gustav Adolf mit dem Kurfiirsten von Sachsen Unter- handlungen pflog, fiel Magdeburg nach hartnackiger Vertheidigung, die wenigstens 20.000 Menschen das Leben kostete, als ein Triim- merhaufen in die Hande Tillys; Falkenberg hatte selbst die Ein- ascherung der Stadt veranlasst. Tilly wendete sich hierauf gegen den Kurfiirsten von Sachsen, der infolge dessen offen zu Gustav Adolf 1631. iibertrat; letzterer schlug Tilly bei Breitenfeld (1631) vollstandig. worauf die Sachsen in Bohmen einriickten, Gustav Adolf durch Franken an den Rhein marschierte und Tilly sich nach Bayern zuriickzog. Die Liga war zersprengt. Im Jahre 1632 drang Gustav Adolf auch gegen B&yern vor und besiegte Tilly, der bald darauf infolge seiner Verwundung starb, beim Stadtchen Rain. Nunmehr war ganz Deutschland dem Schwedenkonige preisgegeben. c) Wallensteins zvveites Generalat; die Schlacht bei Ltitzen. Bald nach der Schlacht bei Breitenfeld hatte sich der Kaiser neuerdings an Wallenstein gevvendet, der aber erst nach langeren Unterhand- lungen sich bereit erklarte, ein Heer von 40.000 Mann aufzustellen und gegen Einraumung auhergew6hnlicher Vorrechte dessen Fiihrung zu ubernehmen. Den Wortlaut der Zugestandnisse kennen wir nicht; doch wurde ihm sicher die Ernennung aller Officiere und der unum- schrankte Oberbefehl liber alle Truppen im Reiche sovvie die Voll- macht, Friedensunterhandlungen einzuleiten, zugestanden und eine Entschadigung fiir Mecklenburg, das Gustav Adolf den vertriebenen Herzogen zuriickgegeben hatte, in Aussicht gestellt. liber den Inhalt dieses Vertrages aufiert sich der spanische Gesandte in Wien: «Der Kaiser befindet sich in vollstandiger Abhangigkeit vom Herzoge.» Wallenstein verdrangte zunachst die Sachsen aus Bohmen und zog dann nach Franken, um sich mit dem Reste der bayrisch- ligistischen Truppen zu vereinigen. Als nun Gustav Adolf bei Ntirnberg eine feste Stellung bezog, that Wallenstein dasselbe, und so lagen sich beide Feldherren sieben Wochen gegentiber. Endlich Der dreiBigjahrige Krieg. 85 begann der Schwedenkonig den Angriff, wurde aber zuriickgeschlagen; es war sein erster Misserfolg. Als er nun nach Siiden zog, wandte sich AVallenstein gegen den Kurfiirsten von Sachsen, zu dessen Unterstiitzung Gustav Adolf umkehrte. So kam es zur Schlacht bei Lutzen (1632) \ in der die Schvveden nach blutigem Ringen den 1632. Sieg davontrugen; Gustav Adolf selbst aber fand den Tod im Handgemenge mit den feindlichen Reitern, deren Anftihrer Pappen- heim todlich verwundet wurde. Wallenstein fuhrte seine Truppen in die Winterquartiere nach Bohmen. Bei den Schweden wurden nach dem Tode ihres Kbnigs, der nur eine minderjahrige Tochter, Christine, hinterliefi, die militarische und die diplomatische Leitung getrennt (I. 118); die erstere ubernahmen tuchtige Generale aus der Schule Gustav Adolfs, wie der zweiundzwanzigjahrige Herzog Bernhard von Weimar und Gustav Horn, die letztere der beriihmte Reichs- kanzler Axel Oxenstierna, der mit den Protestanten den Vertrag von Heilbronn zustande brachte, wonach diese die militarische Fuhrung den Schweden uberliefien. Die Franzosen zahlten auch jetzt noch Hilfsgelder. d) Wallensteins Verrath und Ende.' 1 Wahrend die Schweden Fortschritte in Franken, in der Oberpfalz und am Oberrhein machten, beschrankte sich Wallenstein darauf, die Lucken seines Heeres zu erganzen, die Disciplin wieder herzustellen und einen Zug nach Schlesien zu unternehmen, auf dem er den Grafen Thurn gefangen- nahm; doch schenkte er ibm alsbald wieder die Freiheit. Seine iibrige Zeit fiillten seit dem Sommer des Jahres 1633 hauptsachlich Unterhandlungen mit Brandenburg, Sachsen, den Schweden und den bohmischen Emigranten aus, deren Zweck war, einen ihm genehmen Frieden selbst gegen den Willen des Kaisers zustande zu bringen, dem er besonders wegen der Zumuthung grdite, einen Theil seines Heeres zur Bildung einer spanischen Truppenmacht im Elsass abzu- geben. Da er aber niemals ganz bestimmte Bedingungen stellte, vielmehr immer »eine Zwickmuhle» behalten wollte, um alle iiber- listen zu konnen, fand er bei niemandem Glauben; anderseits rief sein Vorgehen in Wien groBes Misstrauen hervor. Wallenstein hatte nach seiner Ruckkehr aus Schlesien in Pilsen Quartier genommen. Da er von der Stimmung in Wien Kunde hatte, 1 Die Gegend um Leipzig, wo das norddeutsche Tiefland weit nach Siiden vordringt, ist eines der wiehtigsten Schlachtfelder Europas. 2 K. Wittich, 'VVallensteins Katastrophe in Sybels historischer Zeitsclirift 1894. 86 Erster Zeitraum. suchte er sich der Armee um j eden Preis zu versichern. Er berief deshalb die meisten Generale und Obersten nach Pilsen und liefi ihnen daselbst bekanntgeben, dass er wegen «wider ihn angestellter gefahrlicher Machinationen« das Obercommando niederlegen wolle. Daraufhin verpflichteten sich die erschienenen hohen Officiere, denen sein Riicktritt schwere Verluste zugefiigt hatte, bei einem Bankette schriftlich, miter allen Umstanden bei ihm auszuharren. Schon dadurch begieng Wallenstein Verrath gegen den Kaiser, der sich nunmehr ins- geheim der Trene einzelner Heerfiihrer versicherte und die Absetzung Wallensteins aussprach. Dieser nahm nun die Verhandlungen mit den Protestanten wieder auf und begab sich mit wenigen getreueh Truppen nach Eger, um den Sachsen naher zu sein. Hier wurden bei einem Bankette zunachst seine vier vertrautesten Anhanger durch Iren vom Regimente des Obersten Butler ermordet und sodann er selbst 1634. vom Hauptmanne Deveroux mit einer Lanze erstochen (1634). Die Ermordung Wallensteins war eine eigenmachtige That Butlers, doch erhielten alle Theilnehnjer an dem Verbrechen reichliche BelohnUngen, und das gesammte Vermogen Wallensteins wurde eingezogen. Den AnstoB zum Verderben Wallensteins gaben seine Forderun- gen bei der Ubernahme des zweiten Generalates, welche die natiir- lichen Schranken zwischen Herrscher und Unterthan beseitigten, und seine Stellung war haltlos geworden, als er im Gegensatze zu der katholischen Politik Ferdinands den Frieden in Deutschland um j eden Preis wieder herstellen wollte. 1635. e) Der Prager Friede (1635). Wahrend der Verhandlungen, die der Ermordung Wallensteins vorangegangen waren, hatte der Kaiser dem General Gallas die Fuhrung der treu gebliebenen Truppen ubertragen; dieser sicherte durch sein rasches Handeln den Bestand des Heeres, an dessen Spitze jetzt des Kaisers Solin Ferdinand trat. Letzterer erfocht bei Nordlingen einen vollstandigen Sieg iiber die Schweden unter Bernhard von Weimar und Horn, so dass Siiddeutsch- land von den Schweden geraumt wurde und der Kurfiirst von Sachsen den Prager Frieden mit dem Kaiser schloss, demzufolge die Durch- fuhrung des Restitutionsedictes auf vierzig Jahre hinausgeschoben, d. h. thatsachlich aufgehoben und dem Kurfursten die verpfandete Lausitz endgiltig uberlassen wurde. Da sich dem Prager Frieden bald die meisten Reichsstande anschlossen, so wurde der Krieg mir mehr zu Gunsten der Schweden und Franzosen fortgesetzt, indem die Niederlage der ersteren die letzteren auf den Kriegsschauplatz rief. Der dreifiigjahrige Krieg. 87 4. Der schvvedisch-franzosische Krieg (1635—1648). Seitdem Frankreich an Deutschland und Spanien den Krieg erklart hatte, gab .es in Deutschland zwei Kriegsschauplatze, einen oberdeutschen, auf dem die Franzosen, und einen niederdeutschen, auf dem die Schweden thatig waren. Wahrend die Franzosen, in deren Dienst Bernhard den Krieg im Flsass fiihrte, zunachst geringe Erfolge davontrugen, besiegten die Schweden unter der Fiihrung Bančrs, der an die Stelle des gefangenen Horn getreten war, die kaiserlich-sachsisclien Truppen bei Wittstock (1636) ganzlich. Im nachsten Jahre starb Ferdinand II.; sein Nachfolger war sein Sohn Ferdinand III. (1637 — 1657), ein frommer und im Gegensatze zu seinem Vater sparsamer Mann, wie fast alle Habsburger ein Freund der Kunst und Wissenschaft. Der Thronwechsel anderte aber am Gange des Krieges nichts; immer mehr artete er in einen wilden Vernichtungskampf aus, so dass aus blober Zerstbrungswuth der entmenschten Soldtruppen die Liinder grauenhaft verwustet und die Einwohner entsetzlich verstummelt und hingeschlachtet wurden. Seit dem Tode Bernhards (1639) namentlich schleppte sich ein Kriegsjahr nach dem andern in ermiidender Gleichformigkeit bis zur volligen Erschopfung des deutschen Volkes hin. Als der grofite Theil der kaiserlichen Streitkrafte gegen die Schweden vereinigt wurde, errang Bernhard groBere Vortheile am oberen Rhein; besonders wichtig war die Eroberung Breisachs, der starksten Festung im siidwestlichen Deutschland. Bald darnach starb Bernhard, und an seine Stelle traten franzbsische Generale; doch behaupteten sich die Bayern im ganzen gegen sie, wahrend die kaiserlichen Truppen der Ubermacht der Schweden weichen mussten, die nach dem Tode Baners von dem groBen Feldherrn Torstenson gefuhrt wurden. Dieser besiegte die kaiserlich-sachsisclien Truppen bei Breitenfeld (1642), fiel wiederholt verwustend in Schlesien, Mahren und Bohmen ein, errang einen entscheidenden Sieg bei Jankau und drang sogar bis gegen Wien vor. Die Lage des Kaisers war um so unglinstiger, als sich damals auch Georg I. Rakoczy, der Nachfolger Bethlens in Siebenburgen, seinen Feinden anschloss und Spanien (S. 71) ihn wenig unterstiitzen komite. Da sich aber Torstenson zu schwach fiihlte, um Wien zu belagern, zog er sich wieder nach Mahren zuriick, belagerte Brtinn, das sich unter dem Obersten de Souches aufs heldenhafteste vertheidigte, ohne Erfolg und legte, nach- dem inzwischen Rakoczy mit dem Kaiser Frieden geschlossen hatte, 1635 bis 1648. 1636. 1637 bis 1657. 1642. 88 Erster Zeitraum. den Oberbefelil zu Gunsten Wrangels nieder. Mit dessen Zustimmung zog der schwedische General Kdnigsmark nach Bohmen und besetzte einen Theil von Prag. Da endlich erscholl die Nachricht vom heifi ersehnten Friedensschlusse. 1648. 5. Der westfalische Friede (1648). Die Unterhandlungen iiber den Frieden fiihrten namentlich der hoben Forderungen Frankreichs halber lange zu keinem Ziele; sie wurden mit den Franzosen zu Miinster und mit den Schweden zu Osnabrtick gepflogen. Die Bestimmungen waren kirchlicher, terri- torialer und politischer Art. a) Kirchliche Bestimmungen. Der Augsburger Religionsfriede wurde auf die Calvinisten ausgedelmt und auch den Reichsstadten der Religionsbann zuerkannt (S. 40). Als Normaljahr fur den Besitz der Kirchengiiter und die confessionellen Verhaltnisse wurde das Jahr 1624 festgestellt, d. h. alle Kirchengiiter, welche die Prote- stanten bis zum 1. Janner dieses Jahres eingezogen hatten, sollten ihnen verbleiben und die Unterthanen der Reichsstande bei der- jenigen Confession belassen werden, zu der sie sich damals bekannt hatten; es horte semit das Reformationsrecht der Reichsstande auf. Nur hinsichtlich seiner Erblander machte der Kaiser keine Zu- gestandnisse (S. 72). b) Territoriale Bestimmungen. Frankreich erhielt die oster- reichischen Gerechtsame im Elsass, namlich die Landgrafschaft sammt den dazu gehorigen Besitzungen und die Landvogtei (das Schutzrecht) iiber die zehn Reichsstadte daselbst, aufierdem noch Breisach. An Schweden wurde Vorpommern (westlich von der Oder), ein Theil von Hinterpommern, dann die Štifte Bremen und Verden mit Ausnahme der Reichsstadt Bremen abgetreten, so dass es drei Flussmiindungen beherrschte; es wurde deutscher Reichsstand. Brandenburg, welches Erbanspriiche auf Pommern hatte, wurde hiefiir mit dem Reste Hinterpommerns und den sacularisierten Stiften Minden, Halberstadt und Magdeburg entschadigt; da.es im Jahre 1618 auch OstpreuBen geerbt hatte, war es nun der mhchtigste Reichsstand. Dem Sohne des Winterk6nigs wurde die Rheinpfalz (die Oberpfalz blieb bei Bayern) zuriickgegeben und fiir ihn die achte Kurwiirde errichtet. Endlich wurde die Unabhangigkeit der Schweiz und Hollands anerkannt. c) Politische Bestimmungen. Den Reichsstanden wurde die unbedingte Landeshoheit und das Redit ertheilt, untereinander und Der dreiCigjahrige Krieg. 89 mit dem Auslande Biindnisse zu schlieCen, nur sollten diese niclit gegen den Kaiser und das Reich gerichtet sein. Die Landeshoheit war eine wirkliche Staatsgewalt, daher der Spruch: «Jeder Reichs- stand ist Kaiser in seinem Land.» Hiemit war demnach der Zerfall des Reiches besiegelt. Weil dem Reiche audi Danemark und Schweden fiir ihre deutschen Lander angehorten, hatte es keinen nationalen Charakter mehr. 1 Der Friedensvertrag ist das letzte in lateinischer Sprache abgefasste diplomatische Actenstiick; nunmehr trat die franzosische an ihre Stelle. 6. Deutschland am Ende des dreiBigjahrigen Krieges. a) Politische Zustande. Der Kaiser war in allen wichtigen An- gelegenheiten, wie Gesetzgebung, Steuerwesen und Kriegserklarung, an die Zustimmung des Reichstages gebunden. Noch wahrend des Krieges wurde der Reichstag von Fali zu Fali einberufen und von den Reichsstanden selbst besucht; seit dem Jahre 1663 tagte er aber ununterbrochen (der «immerwahrende» Reichstag) in Regensburg und bestand aus den Abgesandten der Reichsstande. Diese beriethen getrennt in den Curien der Kurfiirsten, Fiirsten und Reichsstadte; 2 zu einem giltigen Beschlusse («Reichsschluss») war die Uberein- stimmung aller Curien erforderlich. Da iiberdies die Abgesandten bei wichtigen Anlassen erst die Entscheidung ihrer Herren einholen mussten, so war der Geschaftsgang ein auBerst schleppender, was bei einem Angriff auf das Reich sehr verderblich werden konnte. Von den «Kammerzielern» 3 zur Erhaltung des Reichskammergerichtes abgesehen, gab es keine regelmafiige Reichssteuer; der Kaiser bezog als Oberhaupt des Reiches nur wenige tausend Gulden. Ebenso schlimm stand es mit dem Heerwesen. Ein Reichsheer wurde erst im Bedarfsfall aus Soldnern gebildet und betrug in der ein- fachen Starke («Simplum») seit dem Ende des. 17. Jahrhunderts 40.000 Mann; in aufierordentlichen Fallen wurden mehrere Simpla ' Zuletzt waren alle europaischen Machte aufier Frankreich, Russland und der Tiirkei im Reiche vertreten. 2 Es gab damals acht Kurfiirsten, 69 geistliche und 96 weltliche Fiirsten, wozu noch die zwei Stimmen der niclit gefiirsteten Pralaten und die vier Stimmen der Grafen und Herren kamen, und 61 Reichsstadte; die Reichsritter waren auf dem Reichstage nicht vertreten. Es trat daher im Gegensatze zu England (II. 208) der niedere Adel und der Biirgerstand stark zuriick. 3 Im Singular • Kammerzieb, d. h. Ziel (Termin), an dem die einzelnen Reichs- stiinde ihre Beitriige zur Unterhaltung des Reichskammergerichtes zu bezahlen hatten, dann dieser Beitrag selbst. 1663. 90 Erster Zeitraum. beschlossen, doch giengen die verschieden ausgeriisteten Truppen- contingente und die zu ihrer Besoldung nothigen Gelder («Romer- monate*) 1 2 3 hochst mangelhaft ein. Diese Zustande veranlassten damals den beriihmten Rechtsgelehrten Pufendorf zu dem Aus- spruche: «Das Reich ist ein Monstrum, einzig in seiner Art.» b)Wirtschaftliche und sociale Zustande. Der dreibigjahrige Krieg ist in seinen verderblichen Wir kun gen mit dem peloponnesischen und dem Rosenkriege zu vergleichen. Deutschland verlor damals ungefahr zwei Drittel seiner Bewohner; i so soli die Bevolkerung Bohmens von zweieinhalb Millionen auf 700.000, die der Rheinpfalz gar auf ein Fiinfzigstel herabgesunken sein. Das Reich hatte achtzig Procent seines Viehstandes eingebubt, weite Strecken varen zur Wildnis geworden, Wolfe streiften in groben Rudeln umher, entlassene Soldner wurden zu Raubern, die ganze Bevolkerung war vervvildert, Trunk- und Spielsucht allgemein verbreitet; Gewerbe, Industrie und Han del waren ganz verfallen (den deutschen Handel beherrschten England und Holland), fast alle Stadte seufzten unter einer erdruckenden Schuldenlast, bereits begann die Auswanderung nach Amerika. An die Stelle des friiheren Selbstgefiihles trat ein knechtischer Sinn, der den deutschen Namen auf lange Zeit im Auslande verachtlich machte und den Sieg des Alamodevesens erleichterte. 8 Da der Einzelne nur von seinem Landesherrn, nicht mehr vom Reiche Rettung hoffte, machte das Nationalgefiihl einem beschrankten Particularismus Platz, der die landesfurstliche Macht 'steigerte. Daneben bliihte damals ganz besonders der Hexenwahn, der selbst Kinder nicht verschonte und erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Europa ein Ende nahm. 4 * * Wahrend im Zeitalter des Humanismus der Biirger- stand die geistige Fuhrung der Nation hatte, verdrangte ihn jetzt fiir ungefahr 150 Jahre der Adel, der die hoheren Stellen fast ausschlieblich erhielt. 1 Rbmermonat hieB der fiir das Simplum erforderliche Monatssold in Er- innerung an die Romerzuge. 2 Die Bevolkerung Deutsclilands mag vor dem Kriege 25 Millionen be- tragen liaben; sie erreichte erst 1820 wieder diese Hohe. Bis dahin war Frank- reich der bevolkertste Culturstaat Europas. 3 Opitz sagt: is 1711 Karl VI. (1711 — 1740). Unter dem edlen, hochgebildeten und 1711 thatenlustigen Josef L erfochten Eugen und Marlborough, die sich bis 1740. nach der Schlacht bei Hochstadt getrennt hatten, neue Siege. Eugen zog zum Schutze des Herzogs von Savoyen nach Italien und besiegte die Franzosen bei Turin vollstandig (1706), so dass sie 1706. Italien raumen mussten. Da auch Neapel und Sardini en Karl als ihren Herrscher anerkannten, so war der Krieg in Italien zu Ende, und Eugen zog deshalb nach Norden, um sich mit Marlborough zu vereinigen. Dieser hatte inzwischen die Franzosen bei liamillies besiegt (1706) und schlug sie nun in Verbindung mit Eugen bei 1706. Audenaarden (1708) und bei Malplaquet (1709), der blutigsten 1708 und 1709. 110 Zweiter Zeitraum. Schlacht des ganzen Krieges, so dass Ludwig sich sogar bereit er- klarte, Hilfsgelder zur Vertreibung seines Enkels aus Spanien zu zahlen. Da traten drei Ereignisse ein, die ihm einen giinstigen Frieden verschafften; es waren dies der Sturz des Whig-Ministeriums in England, der Sieg der Franzosen bei Villa Viciosa und endlich der Tod Josefs I. Am wichtigsten war dieser letztere Umstand, da auf Josef sein Bruder Karl folgte und die Seemachte nicht geneigt waren, das ganze Erbe an Osterreich fallen zu lassen. Sie schlossen 1713. daher mit Ludwig den Frieden von Utrecht (1713), dessen Be- dingungen thatsachlich England feststellte; sie lauteten: 1.) Die spanische Monarchie wird getheilt; 2.) Spanien und die Colonien fallen an Philipp V. unter der Bedingung, dass die Kronen von Frankreich und Spanien nie miteinander vereinigt werden; 3.) die Niederlande, Mailand und Neapel bekommt Karl VI.; 4.) England behalt Minorca und Gibraltar, die es im Laufe des Krieges besetzt hatte, und gewinnt auf Kosten Frankreichs Neufundland, Acadien (Neuschottland) und die Hudsonsbailander; 5.) der Herzog von Savoyen erhalt Sicilien und den Konigstitel. Die Niederlande, die doch einen groben Theil der Kriegslasten getragen hatten, giengen leer aus und waren nunmehr endgiltig von England uberfliigelt. Zu schwach, um den Krieg fortsetzen zu konnen, musste der Kaiser auf Grund der Utrechter Bestimmungen mit Frankreich den 1714. Frieden zu Rastatt (1714) abschlieben, in welchem er auch noch Sardinien Sekam. Bald schloss auch das deutsche Reich zu Baden im Aargau Frieden. Ihm zufolge erhielten die Kurfursten von Bayern und Koln, die Josef I. geachtet hatte, ihre Lander zuriick. Endlich 1715. schloss Karl mit den Hollandern den Barriere-Tractat (1715), wo- nach der Kaiser und Holland das gemeinsame Besatzungsrecht in mehreren belgischen Festungen zum Schutze der Niederlande gegen Frankreich ausuben sollten; erst Josef II. hob diesen lastigen Ver- trag auf. 3. Karl VI.; das Erloschen des habsburgischen Mannsstammes. Karl VI. war ein wohlwollender und gerechter Herrscher, ein Freund der Biicher und der Musik, eifrig in der Erfullung seiner Herrscherpflichten, ganz von der Hoheit seiner Wtirde erfullt. Weil er auch misstrauisch war, gelang es den Gegnern Eugens, dem groben Feldherrn eine Zeitlang das Vertrauen des Kaisers zu rauben. Karl VI. 111 a) Erster Ttirkenkrieg (1716 — 1718). Da die Tiirken den Venetianern Morea entreiBen wollten und Karl mit den letzteren einen Bund schloss, erklarte die Pforte — zum letztenmal — an Osterreich den Krieg. In diesem fand sie keinen Riickhalt mehr an aufrtihrerischen Bewegungen in Ungarn, denn hier war die Emporung unter Franz II. Rakoczg, die letzte bis zum Jahre 1848, durcli den Szatmarer Frieden (1711) beendet worden, der allgemeine Amnestie und Sicherung der politischen und kirchlichen Freiheit Ungarns feststellte. 1 Eugen besiegte die Tiirken bei Peterwardein (1716) und schritt nach der Eroberung Temesvars zur Belagerung Belgrads. Als nun ein star kes tiirkisches Entsatzheer heranriickte, schlug er, ahnlich wie Caesar vor Alesia, zuerst dieses ganzlich, worauf sicb auch die Festung ergab (1717). 2 Hierauf kam es zum Frieden von Passarowitz (1718); in diesem trat die Pforte das Banat, den Rest Slavoniens, einen Streifen Laudes im nordlichen Bosnien, den groBten Theil Serbiens und die Walachei westlich von der Aluta an Osterreich ab, Morea wurde an die Turkei zuruckgegeben. b) Quadrupelallianz (1718). Die Verwickelungen Osterreichs im Osten wollte der spanische Minister Alberoni beniitzen, um die einstigen Nebenlander Spaniens in Italien zuriickzugewinnen. Aber Frankreich, England, der Kaiser und Holland verbanden sicb gegen diesen Angriff auf den Utrechter Frieden («Quadrupelallianz») und zwangen Spanien, diese Bestrebungen fallen zu lassen. Die vier Machte nothigten ferner Savoyen, das Alberoni durch die Aussicbt auf die Erwerbung Mailands gewonnen hatte, Sicilien gegen Sardinien zu vertauschen; die letztere Insel blieb seitdem fiir immer mit Savoyen verbunden, das nunmehr Konigreich Sardinien hiefi. Damals erst wurde auch zwischen Osterreich und Spanien Frieden geschlossen. c) Pragmatische Sanction (1713), Um die Einheit seines Lander- bestandes (S. 78) und seiner Tochter Maria Theresia den Thron zu sichern, erliefi Karl die pragmatische Sanction. Diese bestimmte : 1.) dass die habsburgischen Lander ungetheilt bleiben, und 2.) dass in Ermangelung mannlicher Erben auch die weibliche Nachfolge gelten solite, und zwar derart, dass zuerst seine Tochter, dann die ' Rakoczy, der volksthiimlichste Fiihrer der ungarisehen Aufstandischen, starb vic Tbkbly in der Turkei. 2 Dieses Ereignis bat Eugen, «den edlen Ritter», besonders populiir gemacht. 1716 bis 1718. 1711. 1716. 1717. 1718. 1718. 1713. 112 Zweiter Zeitraum. 1731. 1733 bis 1738. 1738. 1737. 1737 bis 1739. Josefs, endlich die seines Vaters und deren Nachkommen folgen sollten. Dieses Hausgesetz wurde in den Jahren 1720—1725 von den Standen der einzelnen Lander angenommen. Die fernere auswartige Politik Karls drehte sich hauptsachlich darom, die Anerkennung der Sanction seitens der anderen Staaten zu erwirken. Nachdem Spanien und Russland die Sanction anerkannt hatten, gewann Karl die Zustimmung der Seemachte durch Aufhebung der ost- und westindischen Handelscompagnie (1731), die er in Ostende gegriindet hatte. Nacli langen Unterliandlungen gab audi der deutsche lieichstag seine Zustimmung, mit Ausnahme der Kurfursten von Bayern und Sachsen, die mit Tochtern Josefs I. vermahlt waren. Um letzteres zu gewinnen, unterstiitzte Karl im Bunde mit Russland den Kurfursten August bei seiner Bewerbung um den erledigten Kbnigsthron von Polen; da aber dessen Nebenbuhler Stanislaus Leszczynski, der Schwiegervater Ludwigs XV., Riickhalt an Frank- reich fand, so kam es zum polnischen Thronstreite (1733 — 1738), in dem Osterreich von Frankreich, Spanien und Sardinien bekampft wurde. Wahrend am Rhein der schlecht ausgerustete Eugen in seinem letzten Feldzuge wenigstens gr obere Erfolge der Franzosen verhin- derte, zogen die osterreichischen Waffen in Italien den kiirzeren. Deshalb schloss Karl den Frieden von Wien (1738), der ihm mehrere Verluste bracbte. Zwar wurde August Kbnig von Polen, aber der Kaiser musste Neapel und Sicilien an den Infanten Don Carlos als spanische Secundogenitur und das Reich musste Lothringen an Stanislaus Leszczynski abtreten, nach dessen Tode es an Frankreich fallen solite. 1 Dem Herzoge von Lothringen Franz Stefan, dem Brautigam der Maria Theresia, wurde das Grofiherzogthum Toscana, das infolge Erloschens der Medici frei geworden war (1737), bestimmt, und der Kaiser erhielt die Herzogthumer Parma und Piacenza, wo kurz vorher die Farnese ausgestorben waren. Endlich wurde die pragmatische Sanction von den betheiligten Machten, soweit dies noch nicht geschehen war, anerkannt, so dass nur Bayern im Wider- spruche beharrte. d) Zweiter Tiirkenkrieg (1737—1739). Am Abende seines Lebens musste Karl infolge seines Bundnisses mit Russland an einem Kriege mit der Tiirkei theilnehmen. Da aber Eugen im Jahre 1736 1 Das gescliah tvirklich im Jahre 1766. Karl VI. 113 gestorben war, seine Nachfolger im Commando sich niclit be- wahrten und der Krieg mit unzureichenden Streitkraften unter- nommen wurde, so waren die osterreichischen Waffen ungliicklich. Ubereilt wurde der Friede von Belgrad geschlossen (1739), in dem Osterreich alle Erwerbungen des Passarowitzer Friedens mit Aus- nahme des Banates aufgeben musste. e) Die inneren Verhaltnisse Osterreichs. a) Verfassung und Verwaltung. Schon im 17. Jahrhundert bildete sich im habsburgischen Staatsgebiete ein Dualismus aus, da der ungarische Landtag bei der Gesetzgebung, der Steuerbemessung und der Wahl des Palatins mitwirkte. Die Versuche Leopolds, aucli Ungarn «auf den Fufi der ilbrigen Erblander« zu bringen, scheiterten namentlich daran, dass die Magyaren einen Riickhalt an der Pforte hatten. r)) Literatur und Kunst. 1 2 Die Literatur hatte sich von ihrem Verfalle noch nicht erholt; weit besser stand es mit der bildenden Kunst, namentlich der Architektur. Ungefahr seit der Mitte des 17. Jahrhunderts drang aus Italien der Barockstil ein und schuf sehr hervorragende Werke. Der beruhmteste osterreichische Bau- meister war damals Johann Bernhard Fischer von Erlach, der Erbauer der Karlskirche, des bedeutendsten deutschen Centralbaues im 18. Jahrhunderte, der Wiener Hofburg und des Schonbrunner Schlosses (letzteres genau nach dem Muster von Versailles). AuBer- dem ragten damals Schliiter in Berlin und Poppelmann in Dresden, der Erbauer des «Zwingers», am meisten hervor. Um 1740 drang von Pariš her der Rococostil ein 3 (»Stil Ludwigs XV.>), ohne aber in Osterreich zu besonderer Bliite zu gelangen. Dieser Stil liebt im Gegensatze zu den wuchtigen Formen des Barockstiles das Zier- liche und statt der kraftigen Farben die zarten. Wahrend damals Plastik und Malerei hauptsachlich durch Italiener gepflegt wurden, erfreute sich Osterreich eines der grofiten Bildhauer der Zeit, des Raffael Donner, dessen beruhmteste Werke die vier allegorischen Flussgestalten an einem Brumen in Wien sind. Auf dem Gebiete der Musik herrschte in Wien, wie an anderen Hofen, der italienische Einfluss; doch schufen damals bereits die Norddeutschen Bach und Handel ihre erhabenen Kirchenmusik- dichtungen (Bachs Passionsmusik und Handels Oratorium «Messias»). 1 A. lig, Kunstgeschichtliche Charakterbilder aus Osterreich - Ungarn, Prag und Leipzig, 1893. 2 Genre rocaille = Muschelwerk. 1739. Zeehe, Geschichte der Neuzeit. 8 114 Zweiter Zeitraum. 1640 bis 1688. 1618. 1688 bis 1713. y) Die materielle Cultur. Aus dem tiefen Verfalle, den diese im dreifiigjalirigen Kriege zu beklagen hatte, begannen sich die oster- reichischen Lander seit Leopold I. allmahlich wieder zu erheben. Das war namentlich der Fiirsorge der Herrscher zu danken, die im Sinne des Mercantilsystemes die Industrie forderten. Die ersten planmafiigen Versuche zur Hebung des Handels durch den Bau guter Alpenstrafien, Grundung eines getheilt, verkaufte der Adel das Wohl des Staates an die fremden Machte. Da fiihrte der zweite Konig aus dem Hause Holstein-Gottorp, Gustav III. (1771 bis 1792), einen vollstandigen Umschwung herbei. Mit Unterstiitzung des Heeres und der Biirgerschaft von Stockholm stiirzte er durch eine unblutige Revolution die Adelsherrschaft und setzte die Annahme einer neuen Verfassung durch, derzufolge zwar die Reichsstande das Recht der Gesetzgebung behielten und der Konig sich verpflichtete, keinen Krieg ohne ihre Zustimmung zu beginnen, dagegen der Reichs- rath zu einer berathenden Korperschaft herabgedriickt wurde. Durch zeitgemaBe Reformen erwarb sich Gustav die Liebe der Bevolkerung, verscherzte sie aber spater durch eine verschwenderische Hofhaltung und einen eigenmachtig begonnenen und ungliicklich gefiihrten Er- oberungskrieg gegen Russland. Der Umschwung der Volksstimmung ermuthigte den Adel zu einer Verschworung gegen den Konig, infolge deren er ermordet wurde. H. Die Reformen in Russland. 1. Der Ausgang des Hauses Romanow (1725—1762). Auf Peter I. folgten drei Kaiserinnen und ein Kaiser aus seinem Hause, die aber fiir die Entwickelung Russlands keine besondere Bedeutung hatten. Es waren dies seine Gemahlin Katharina I., sein Enkel Peter II., seine Nichte Anna und seine jiingere Tochter Elisabeth. Anna gewann in dem Kriege, den sie mit Osterreich gegen die Pforte fiihrte (S. 112), Asow zuriick, Elisabeth nahm am siebenjahrigen Kriege theil und erhielt von Schweden im Frieden von Aho (1743) einen Theil Finnlands. Im Innern herrschte grofie 1772. 1751. 1771 bis 1792. 1743. Zeehe, Geschichte der Neuzeit. 10 146 Zweiter Zeitraum. 1762. 1762 bis 1796. 1768 bis 1774. 1772. Willkiir und Verschwendung; unter der unwiirdigen Elisabeth be- reicherten sich ihre Giinstlinge auf Kosten des Staates, und Manner, welche langere Zeit allmachtige Minister gewesen waren, wnrden mitunter aus bi o 6 er Laune nach Sibirien geschickt. So ergieng es Mentschikow, dem Minister Katharinas, sowie dem General Miinnich und dem Minister Ostermanu, den verdienten Rathgebern Annas; ersterer wurde unter Peter II., die beiden letzteren wurden unter Elisabeth gestiirzt. 2. Das Haus Holstein-Gottorp (seit 1762). a) Peter III. (1762). Elisabeth setzte ihren Nefien, den Herzog Peter von Holstein- Gottorp, zu ihrem Nachfolger ein. Er war ein launenhafter Mann, der sich durch die Einziehung der Kirchenguter beim Clerus und durch die Einfuhrung des preufiischen Dienstreglements bei der Garde verhasst machte. Mit beider Hilfe wurde er wenige Monate nach seiner Thronbesteigung von seiner Gemahlin Katharina, einer deutschen Prinzessin, gestiirzt und von einigen Adeligen ohne Mit- wissen der letzteren ermordet. b) Katharina II. (1762-1796).» Obwohl Katharina, eine hochbegabte aber herrschsuchtige und sittenlose Frau, nur das Recht hatte, fiir ihren minderjahrigen Sohn die Kegierung zu fiihren, so legte sie die Gewalt doch nicht nieder, als dieser grofijahrig geworden war, und behauptete sie nach der Unterdriickung mehrerer Aufstande bis zu ihrem Tode. Die Haupt- ziele ihrer Politik vvaren die Vernichtung Polens und der Tiirkei. a) Erster Tiirkenkrieg (1768 — 1774) und erste Theilung Polens (1772). Wahrend des nordischen Krieges begriindete Peter der Grobe den russischen Einfluss in Polen, und wahrend des sieben- jahrigen Krieges durchzogen russische Heere das Land, als ob es eine Provinz des Czaren ware. Katharina nahrte aus selbstsuchtigem Interesse die Wirren im Lande. Nach dem Tode Augusts III. (S. 112) zwang sie den Polen ihren friiheren Giinstling Stanislaus Ponia- towski zum Konig auf und nothigte im Vereine mit ihrem polnischen Anhange, der die Confoderation von Radom abgeschlossen hatte, den Reichstag zur Beibehaltung der alten Ubelstande (S. 121) und zur Zulassung der Dissidenten, d. h. der Bekenner der griechischen und protestantischen Confession, zu den offentlichen Amtern. Gegen 1 A. Briickner, Katharina II. (bei Oncken). Katharina II. 147 Ilire unbefugte Einmischung verbanden sich die Katholiken in der Confoderation von Bar, wurden aber nacli erbittertem Kampfe geschlagen und auf tiirkisches Gebiet gedrangt. Die Verletzung der turkischen Grenze veranlasste den Sultan zur Kriegserklarung an Katharina. Aber die Russen siegten zu Wasser und zu Lande; sie drangen bis an die Donau vor und vernichteten eine tiirkische Flotte bei Chios. Diese groben Erfolge Russlands fiihrten zu einer Annaherung zwischen Josef II. und Friedrich II. und zur ersten Theilung Polens, das demnach als Opfer fiir die Erhaltung der Tiirkei fiel. Russische Truppen nothigten dem Reichstage die Zustimmung zur beschlossenen Theilung ah, durch die Katharina das ostliche Polen bis zur Dtina und dem Dnjepr erhielt. Zwei Jahre spater wurde mit der Tiirkei der Friede von Kudschuk Kainardsche geschlossen (1774). Russland wurde darin die Durchfahrt durch die Dardanellen, die Unabhangigkeit des Khanates Krim von der Pforte und die freie Religionsubung der orthodoxen Bevblkerung der Moldau und Walachei zugestanden. So gewann Russland die freie Ausfahrt im Siiden und einen Vorwand, sich zum Beschiitzer der Christen in der Tiirkei aufzuwerfen. (3) Zweite und dritte Theilung Polens (1793 und 1795). Die un( j 1795 nationalpatriotische Partei in Polen erkannte die Hauptschuld an der Theilung in der trostlosen Verfassung; sie beniitzte daher die Zeit, als Katharina mit dem zweiten Tiirkenkrieg, Osterreich und Preufien mit dem Kampfe gegen die franzbsische Revolution be- schaftigt waren, dazu, um durch den Reichstag die Abschaffung des liberum veto und die Einfuhrung des Erbkbnigthums im kursachsischen Hause beschliefien zu lassen. Kaum hatte aber Katharina wieder freie Hand erhalten, so schickte sie ihre Truppen gegen die polnische Reformpartei (die «Patrioten»), welche die mili- tarische Leitung dem wackeren Thaddiius Košciuszko iibertragen hatte, zwang den Konig Stanislaus zur Beseitigung der Reformen und verband sich mit Preufien zur zweiten Theilung Polens, von der Osterreich auf Betreiben Katharinas ausgeschlossen wurde. Russland erhielt darin das Gebiet westlich vom Dnjepr bis zu einer Linie, die von der Miindung des Zbrucz nach Norden bis an die Dtina geht, Preufien dagegen Danzig, Thorn und das Land zu beiden Seiten der Warthe. Da die russischen Truppen das Land nicht verliefien, so erhoben sich die Patrioten unter Kosciuszko zu einem Verzweiflungskampf, 10* 148 Zweiter Zeitraum. 1794. 1787 bis 1792. unterlagen aber der Ubermacht in der Schlacht bei Maciejowice (1794), in der Kosciuszko verwundet und gefangen genommen vurde. 1 Nachdem hierauf der russische Feldherr Suworow unter furchtbaren Greueln Praga., die befestigte Vorstadt Warschaus, erstiirmt und hiedurch aucli das letztere zur Ergebung gezwungen hatte, verband sich Russland mit Osterreich und PreuBen zur letzten Theilung Polens. Osterreich erhielt dadurch das Land zwischen Pilica und Bug («Westgalizien»), Russland das Gebiet bis zum mittleren Niemen und Bug und PreuBen das Stiick vom unteren Bug bis zum Niemen und das Quellgebiet der Warthe. Noch in demselben Jahre eroberte Katharina auch Kurland (S. 120). Bei den drei Theilungen Polens gewann Russland mehr Land und ebensoviele Einwohner, als die beiden anderen Machte zusammen; sein Einfluss auf die Gescbicke des westlichen Europa wurde dadurch neuerdings gesteigert, freilich auch ein tiefgehender Zwiespalt unter den Slaven hervorgerufen, der niemals mehr iiberwunden wurde. y) Ziveiter Tiirkenkrieg (1787 — 1792). Zehn Jahre nach dem Friedensschlusse mit der Pforte bewog Katharina den Khan der Krim, zu ihren Gunsten auf sein Land zu verzichten. Da gleichzeitig in Asien Grenzstreitigkeiten zwischen Russland und der Turkei aus- brachen, so erklarte diese an Katharina abermals den Krieg. Die russischen Feldherren Potemkin und Suworow drangen nach der Erstiirmung mehrerer Festungen bis an die Donaumiindung vor, so dass die Pforte den Frieden von Jassy schloss, der Katharina das Land zwischen Bug und Dnjestr einbrachte. d) Katharinas Reformen. Sie setzte die Reformthatigkeit Peters I. fort und verfuhr hiebei theilweise nach den Grundsiitzen des aufgeklarten Absolutismus. Besonders wichtig wurden ihre Anderungen in der Vervvaltung. Sie zerlegte namlich die grofien Provinzen in 50 kleinere Gouvernements, so dass die Macht der Statthalter, die bisher wie Satrapen schalten konnten, beschrankt wurde. Die Verbreitung der westlichen Cultur in Russland lieB sie sich sehr angelegen sein; doch drang jene nur oberflachlich in die hoheren Schichten der Gesellschaft, wahrend die Masse des Volkes, die dem Aberglauben und der Trunksucht ergeben war, davon unberiihrt blieb. Auch fehlte es an einer tiichtigen und unbestech- lichen Beamtenschaft. Katharina selbst wurde von ihrem Giinstlinge, 1 Nach Katharinas Tode erhielt Kosciuszko die Freiheit und starb im Jahre 1817 in der Schweiz. Die Vereinigten Staaten. 149 dem Minister Potemkin, in der schmahlichsten Weise getauscht. Als namlich die Bewohner der Krim sich der russischen Herrschaft nicht unterwerfen wollten, zwang sie Potemkin durch eine barbarische Kriegfiihrung, infolge deren das Land verheert und entvolkert wurde, zur Ergebung, und als bald darauf Katharina die Krim bereiste, gaukelte er ihr das Bild eines glucklichen Volkes vor («Potemkin’sche Dorfer»). Es bleibt immerhin staunenswert, dass Katharina, eine fremde Prinzessin, die in jungen Jahren keine besonderen Anlagen verrathen hatte, trotz des verderbten Petersburger Hoflebens eine so hervor- ragende russische Herrscherin geworden ist. Ihrem Verkehre mit einzelnen franzosischen Schriftstellern verdankt sie die Bezeichnung: «nordische Semiramis«. I. GroBbritannien und Irland. Als am Ende der Regierung Wilhelms III. die Nachfolge des Hauses Hannover nach dem Pode seiner kinderlosen Schwagerin Anna festgestellt wurde, beschloss das Parlament gleichzeitig die Verantwortlichkeit der Minister fiir alle Regierungshandlungen, die Unabhangigkeit der Richter von der Krone und die ausschliefiliche Gerichtsbarkeit des Parlaments uber die Minister und die Richter; damit fanden die englischen Verfassungsgesetze ihren Abschluss. Unter den ersten Konigen aus dem Hause Hannover {Georg I, Georg II. und Georg III., 1714—1820) befestigte sich die Herr¬ schaft des Parlaments um so leichter, als Georg L sich am liebsten in Hannover aufhielt und seine beiden Nachfolger wegen ihrer Theilnahme an den schlesischen Kriegen auf die Geldbevvilligungen des Parlaments angewiesen waren. In diesem hatten dauernd die Whigs das Ubergewicht, das sie hauptsachlich der Bestechung der (10.000) Parlamentswahler verdankten. Aus der damaligen auBeren Geschichte Englands ist besonders der Abfall der amerikanischen Colonien und die Ausbreitung der englischen Seeherrschaft hervorzuheben. 1. Abfall der nordamerikanischen Colonien (1775—1783). 1 a) Begriindung der Colonien in Nordamerika und ikre Ver- fassung. Als in England im 16. Jahrhundert infolge der Einfiihrung der flandrischen Wollindustrie ein groBer Theil der Acker in Weide- 1 G. Bancroft, History of the United States from tlie discovery of the con- tinent, 10 Bde., Boston 1834-74. (A.uch iibersetzt, Leipzig 1847-75.) — Derselbe: History of the formation of the constitution of the United States, 2 Bde., Boston 1882. 1714 bi s 1820. 1775 bis 1783. 150 Zweiter Zeitraum. land umgewandelt und dadurch zahlreiche Bauern und Pachter brotlos wurden, als dann ferner die religiosen Wirren des 17. Jahr- hunderts das Land zerriitteten, suchten sich nach dem Vorgange Raleighs viele Bewoliner in Amerika eine neue Heimat. Die Kampfe mit der Wildnis und den Indianern erzeugten in den Colonisten ein kraftiges Selbstbevvusstsein (L 91), die Mischung der Confessionen aber den Geist der Toleranz, so dass daselbst keine Reli- gionskriege gefiihrt wurden. Die Ansiedler errichteten zwischen der Kiiste und dem Alleghany-Gebirge nach und nach dreizehn Staaten («Neuengland»), deren jeder einen koniglichen Statthalter an der Spitze hatte, in Handelsangelegenheiten vom Mutterland abhangig war, im iibrigen aber sich selbstandig verwaltete. Da sie keine Ab- geordneten ins englische Parlament entsendeten, erkannten sie diesem auch kein Gesetzgebungsrecht iiber sich zu und betrachteten sich iiberhaupt nur dem Namen nach als zu England gehorig. b) Veranlassnng zum Kriege. England hatte unter der Leitung des alteren Pitt, eines der edelsten und grofiten Manner der eng- lischen Geschichte, Canada gewonnen (S. 135), was besonders fur die Colonisten ein Gewinn war, weil sie nun von der gefahrlichen Nahe der Franzosen befreit waren. Deshalb wollte sie das Parlament zur theilweisen Deckung der groben Kriegskosten heranziehen, be- schloss zu diesem Zwecke die Einfiihrung von Stempelpapier bei allen Urkunden und, als diese am Widerstande der Amerikaner scheiterte, die Einhebung von Zollen bei der Einfuhr verschiedener Waren, namentlich des Thees, des Lieblingsgetrankes der Colonisten. Als nun die ostindische Handelscompagnie Thee in Boston ein- fiihrte und ungefahr fiinfzig als Indianer verkleidete Burger der Stadt die Ladung ins Meer warfen, sperrte die Regierung den Hafen von Boston und hob die Verfassung des Staates Massachusetts auf. Infolge dessen versammelten sich Vertreter der einzelnen Staaten in Philadelphia (1774) und beschlossen, allem Verkehre mit dem Mutterlande zu entsagen und sich zur Wehr zu setzen, wahrend das Parlament sich fur die Anwendung von Waffengewalt entschied. So brach der Krieg aus, und bald darauf erklarten sich die Colonien als « Vereinigte Staaten von Nordamerika» fur un- abhangig, wobei sie sich auf die unverauberlichen Rechte freier Burger beriefen (1776). c) Verlauf des Krieges. Die Englander fiihrten, wie ehedem die groben Handelsstaaten Carthago und Venedig, den Krieg mit Die Vereinigten Staaten. 151 fremden Truppen; nahezu 30.000 Mann wurden ihnen damals von deutschen Fiirsten (liber die Halfte von Hessen-Kassel) verkauft. Wahrend den Englandern die weite Ausdehnung und geringe Be- volkerung des Landes den Krieg, der iibrigens arm an groben Schlachten ist, erschwerte, herrschte unter den Colonisten vielfach Streit, Eifersucht und Unentschlossenheit (L 99); es bedurfte daher der ganzen Ausdauer und Opferwilligkeit ihrer Fiihrer, namentlich des edlen, durch reges Pflichtgefuhl und hingebende Vaterlandsliebe ausgezeichneten Oberfeldberrn Georg Washington, um seine wider- strebenden und ungeschulten Landsleute (drei Millionen) zum Siege zu fiihren. Dieser ware ihnen trotzdem kaum zugefallen, wenn nicht die Vorgange in Amerika in ganz Frankreich einen Sturm der Be- geisterung fiir die Freiheitskampfer hervorgerufen hatten, der ihnen zahlreiche Freiwillige zuftihrte und nach dem groben Erfolge der Colonisten bei Saratoga Frankreich zum Abschluss eines Biind- nisses mit ihnen veranlasste, dem spater auch Spanien und Holland beitraten. 1 Der Urheber dieses Biindnisses war der amerikanische Gesandte in Versailles Benjamin Franklin, der Erfinder des Blitz- ableiters, der dank seiner sittlichen Kraft sich von einem armen Buchdruckerlehrlinge zum groben Gelehrten und Staatsmann empor- gearbeitet hatte. Zwar behaupteten die Englander zur See das Ubergewicht und vertheidigten auch unter Elliot Gibraltar erfolg- reich gegen die heftigsten Angriffe der Spanier und Franzosen; dagegen erlitten sie bei Yorktown eine vollstandige Niederlage (1781). 1781. Daraufhin schloss England den Frieden von Versailles (1783), worin 1783. es die Unabhangigkeit der Colonisten anerkannte, an Frankreich einige Besitzungen in Ostindien und am Senegal, an Spanien Menorca und Florida abtrat. 2 Die Einheit der englischen Rasse war vernichtet. d) Verfassung der Vereinigten Staaten. Ahnlich wie seinerzeit Holland (S. 69) mussten sich die Colonisten wahrend und nach dem Kampfe eine Verfassung geben; ihre Grundziige gelten auch heute noch. An die Spitze der Republik wurde ein Prasident gestellt, der auf vier Jahre gewahlt wird und wieder wahlbar ist; die Gesetzgebung erhielt der Congress, der aus dem Senat und der 1 Es waren die drei Staaten, auf deren Kosten England seine Seemaclit begrundet hatte. 2 Den groBten Theil dieser Gebiete hatte England im Frieden von Pariš (S. 135) von Frankreich und Spanien erhalten. 152 Zweiter Zeitraum. 1768 bis 1779. Reprasentantenkammer besteht. Der erste Prasident war Washington, der acht Jahre lang (1789 —1797) diese Wiirde bekleidete und sodann ins Privatleben zurticktrat; als er drei Jahre darauf starb, schenkte er seinen Sclaven die Freiheit und der Union die Mittel zur Errichtung einer Universitat. 2. Begriindung der englischen Herrschaft in Ostindien. Wenige Jahre nach der Ankunft der Portugiesen in Ostindien begriindete daselbst ein Urenkel Timurs (II. 181) das Mogulreich mit der Hauptstadt Delhi, dessen Theile nach orientalischer Weise (I. 44) durch machtige Statthalter (Nabobs) verwaltet wurden. Als sich diese im 18. Jahrhunderte mehr und mehr vom Grofimogul unab- hangig machten und dadurch die Moglichkeit zur Begriindung einer Fremdherrschaft gegeben schien, suchte sich sowohl die franzosische als die englische «.ostindische Handelscompagnie* einzelner Theile des Landes zu bemachtigen. Anfangs waren die Franzosen im Vor- theile, doch gewann wahrend des siebenjahrigen Krieges die englische Gesellschaft unter der Leitung von zwei kiihnen und riicksichtslosen General-Gouverneuren das Ubergewicht. Es waren dies Lord Olive, der den Grofimogul zur Abtretung Bengalens bestimmte, und sein Nachfolger Warren Hastings, 1 dem es gelang, den Bund der Franzosen mit den einheimischen Fursten zu sprengen und einen Theil Dekhans zu gewinnen. Die grofic Macht der Gesellschaft veranlasste aber den Minister Pitt den Jungeren, einen Sohn des Alteren, die ostindische Bill im Parlamente durchzusetzen (1784), der zufolge die Besitzungen der Gesellschaft an den Staat iiber- giengen und jene nur das Monopol des Handels behielt. Durch fortgesetzte Kampfe mit den einzelnen Fursten erlangte England allmahlich die Herrschaft iiber ganz Indien, dessen gesammte Bevolkerung (287 Millionen), langst aller Widerstandskraft beraubt (I. 33), ihm nunmehr mittelbar oder unmittelbar unterthan ist. 3. Erwerbung Australiens durch England. Zu derselben Zeit, als England Bengalen gewann, unternahm der kuhne Seeheld James Cook seine beriihmten drei Seereisen (1768 —1779). Auf diesen entdeckte er zum zweitenmal Australien, das ganz in Vergessenheit gerathen war (S. 70), durchkreuzte den 1 Wegen seiner Gewaltthatigkeit wurde er in England als «neuer Verres» (I. 252) angeklagt, jedocli vom Oberhause freigesproclien. Ludwig XV. 153 grofien Ocean nach allen Richtungen und erforschte die Polarlander im. Norden und im Siiden; auf einer der Sandwich-Inseln wurde er von den Eingebornen erschlagen. Durch seine Fahrten stellte er fest, dass das Meer weit mehr Flachenraum eimiimmt als das Fest- land; die von ihm entdeckten Lander blieben im Besitze Englands. Durch die Erwerbungen im indischen und groben Ocean fand England einen Ersatz fiir seinen Verlust in Nordamerika. Im Gegen- satze zu Frankreich, das seine Staatsverwaltung, sein feudales Wirt- schaftssystem und seine kirchliche Unduldsamkeit auch auf die Colonien iibertrug, gewahrte England den seinigen weitgehende poli- tische, volkswirtschaftliche und religiose Freiheiten und brachte sie dadurch zu hoher Bliite. 4. Zustande im Innern. Gleichen Schritt mit der Entwickelung des englischen Colonial- reiches Iiielt der Aufschwung der Industrie und des Handels infolge der Erfindung mehrerer wichtiger Maschinen in den letzten Jahr- zehnten des 18. Jahrhunderts. Zunachst begami die Verhiittung der Eisenerze mittelst Steinkohlen, bald folgte die Erfindung der Spimi- Webe- und Dampi'maschinen, wodurch England das Mutterland der modernen GroBindustrie geworden ist. Um so schlimmer stand es mit dem irischen Volke, das fast nur aus Bettlern, Taglohnern und Pachtern bestand; dem Elende seiner Landsleute hat der Humorist Swift (f 1745), der Verfasser von «Gullivers Reisen* und anderen satirischen Schriften, Ausdruck gegeben. Von den wichtigen literarischen Leistungen Englands im 18. Jahrhundert ist bereits S. 124 gesprochen worden. Derselben Zeit gehort auch der Maler Hogarth an, der durch seine satirischen Sittenbilder bekannt geworden ist. K. Frankreich. 1715 1. Die Regentschaft (1715 — 1723). Der Nachfolger Ludwigs XIV. bj s 172 3. war sein minderjahriger Urenkel Ludwig XV. (1715 — 1774), fiir 1715 den der sittenlose Herzog Philipp von Orleans die Regierung fiihrte. bis 1774. Wahrend «der Regent* hauptsachlich seinen Leidenschaften frohnte, iiberliefi er die Besorgung der Staatsgeschafte grofitentheils dem nicht weniger zugellosen Cardinal Dubois. Im Innern wurde damals Frankreich durch das schwindelhafte Finanzsystem des Schotten Law auf das tiefste erschiittert. Dieser errichtete eine Bank 154 Zweiter Zeitraum. 1720. 1723 bis 1774. («Generalbank»), welche Wechsel vor der Verfallzeit auszahlte und die laufenden Rechnungen der Kaufleute besorgte, wodurch sie wohl- thatig wirkte. AuBerdem griindete Law die Westcompagnie, die zunachst das Monopol des Handels mit Amerika erhielt, bald aber inVerbindung mit der Bank den gesammten AuBenhandel Frankreichs an sich riss, die Einhebung der Steuern pachtete (S. 96), dem Staate das Recht der Miinzpragung abkaufte u. s. w. Infolge dessen gab die Compagnie immer neue Actien aus, und diese stiegen allmahlich auf das Vierzigfache ilires Nominalwertes, zumal da ihr Credit durch die Ernennung Laws zum Finanzminister noch erhoht wurde. Bald aber erfolgte der Riicksclilag. Der bobe Cours reizte zum Verkaufe der Actien , t und um sie einlosen zu konnen, erhielt die Bank fiir ihr e Geldscheine den Zwangscours, der Wert der Actien wurde auf weniger als die Halfte herabgesetzt und endlich die Ablieferung alles Bargeldes an die Bank angeordnet. Da aber durcb diese Mafiregeln der Credit. der Actien vollstandig erschiittert war, veri oren sie bald aIlenWert, so dass der Ban ker o tt der beiden Unternehmungen erklart werden musste. Der Verlust traf bauptsacblich den Biirgerstand, da die Adeligen recbtzeitig gewarnt worden waren (1720). Natiirlich steigerten diese Vorgange die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhaltnissen (S. 100). 2. Ludwigs XV. selbstandige Regierung (1723—1774). Nach dem Tode des Regenten ubernahm die Regierung dem Namen nach Ludwig selbst, in Wirklichkeit aber sein Erzieher, der Cardinal Fleury (f 1743), der durch Sparsamkeit dem zerriitteten Staate aufzuhelfen suchte. Nach dessen Tode versank der Konig immer tiefer in Sittenlosigkeit und Schwelgerei und gestattete ehrlosen und verschwenderischen Frauen, wie der Marquise von Pompadour und der Grafin Dubarry, den grofiten Einfluss auf die Staatsverwaltung; im Todesjahre Ludwigs betrug der Aufvvand des kdniglichen Hauses iiber 42 Millionen Livres! So war damals der franzosische Hof neben dem russischen der sittenloseste in Europa. Auch die auGere Politik verlief fiir Frankreich schmachvoll, da die Theilnahme am oster- reichischen Erbfolge- und am siebenjahrigen Kriege dem Staate nur neue Schulden eintrug; auch bewies der letztere den militarischen Verfall Frankreichs. 1 Der einzige Gewinn der zahlreichen Kriege, an denen Ludwig XV. theilnahm, war Lothringen (S. 112); aufier- 1 Zum Holme fiir die besiegten Hoflinge wurde Friedrich. II. von der oppo- sitionellen Literatur gepriesen. Ursachen der franzosischen Revolution. 155 dem kaufte er Corsica den Genuesen ab, die eines Aufstandes auf der Insel nicht Herr werden konnten. Bezeichnend fiir Ludwig XV. ist sein Ausspruch: «Nach mir mag die Siindflut kommenL 1 Wahrend in ganz Europa, mit Aus- nalime des constitutionellen England, der aufgeklarte Absolutismus Verbesserungen einfuhrte, kennt Frankreicb, dem die bedeutendsten literarischen Vorkampfer der Reform-Ideen angehbrten, die Segnungen dieser Richtung nicht, weshalb es hier zur Revolution kam. ZDritter Zeitraum. Das Zeitalter der franzosischen Revolution, der constitutionellen, nationalen und socialen Bestrebungen (1789 bis zur Gegenwart). Erstes Capitel. Die franzbsische Revolution (1789—I8I5). 2 L Die Revolution im Innern bis zur Errichtung der Directorialverfassung (1789 — 1795). A. Ursachen der Revolution. Die wichtigste Ursache der Revolution war die schlechte Staats- verwaltung, die wenigstens theilweise eine Folge der Verfassung war. Im einzelnen kommt besonders in Betracht: 1. UngleichmaBige Vertheilung der Staatslasten. Der Adel und die hohere Geistlichkeit (ungefahr 200.000 Personen) besaben nahezu zwei Drittel vom gesammten Grund und Boden, waren aber fast steuerfrei. Die Lasten ruhten daher hauptsachlich auf dem Biirger- und Bauernstande, die rund 25 Millionen Kopfe zahlten. Der erstere litt iiberdies durch die Zollschranken zwischen den einzelnen Provinzen und durch den Zunftzwang, der zahlreichen Handwerkern die Erringung 1 Apres nous le deluge! 2 H. v. Sybel, Geschichte der Revolutionszeit 1789—1800, 5 Bde.; Neue (wohlfeile) Ausgabe erscheint soeben. Stuttgart. — W. Oncken, Das Zeitalter der Revolution, des Kaiserreiclies und der Befreiungskriege, 2 Bde., Berlin 1884-86. — ff. Taine, Les origines de la France contemporaine, 6 Bde., ver- schiedene Aufl., Pariš 1885-94. (tibers. von L. Katsclier.) 156 Dritter Zeitraum. einer selbstandigen Stellung unmbglich machte; die Bauern waren haufig aufierstande, sich auch mir Gersten- oder Haferbrot zu bereiten. Es gab damals in Frankreich ungefahr sechs Millionen Bettler, und fast die doppelte Anzahl war nicht in der Lage, jene zu unterstiitzen. 2. GrolJe Vorrechte des Adels. Der Steuerdruck wurde um so schvverer empfunden, als alle eintraglichen Stellen im Staate, im Heere und in der Kirche dem Adel vorbehalten waren. Gleichwohl war dieser infolge des verschwenderischen Hoflebens (S. 100) tief verschuldet und nur darauf bedacht, seine Einkunfte auf Kosten der Bauern zu erhdhen, wahrend ihm fast jede Fiirsorge fiir diese fremd geworden war. 3. Verschwendung am Hofe und zunehmende Finanznoth. Auch unter Ludvvig XVI., dem Enkel und Nachfolger Ludwigs XV., herrschte am Hofe šine unsinnige Verschwendung, so dass dessen Jahresbedarf damals iiber 40 Millionen Livres beanspruchte. Die Officiersstellen wurden nicht selten Adeligen in zarter Jugend ver- liehen und waren sehr zahlreich; es kam damals auf 157 Soldaten ein General! Eine Menge gutbesoldeter Hofbeamten umgab den Konig und seine zwei Bruder, 1 uberdies verschlangen hohe Gnadengehalte riesige Summen. So hatte der Staat mit einem jahrlich anwachsenden Fehlbetrage zu kampfen, der beim Regierungsantritte Ludwigs XVI. 300 Millionen Livres, d. h. ein Drittel der gesammten Einkunfte, betrug. 4. Misstande in der Rechtspflege. Wenn es auch nach den neuesten Forschungen nicht richtig ist, dass es einflussreichen Mannern moglich war, auf Grund eines Verhaftsbefehles (lettre de cachet) missliebige Personen ohne Richterspruch ins Gefangnis werfen zu lassen, so gab es doch mancherlei Gebrechen in der Rechtspflege. Es bestand namlich eine Menge theilweise einander widersprechender Rechtsbestimmungen; aufierdem waren die richterlichen Amter von ihren Inhabern grofientheils durch Kauf erworben; 2 die Richter waren von den druckendsten Steuern befreit und fiihlten sich daher fast wie eine Kaste. 5. Das absolute Konigthum. Als die Quelle dieser Ubelstande vvurde das absolute Konigthum betrachtet, das einerseits selbst 1 Der Hofhalt der beiden koniglichen Bruder erforderte iiber acht, der der Konigin vier Millionen Livres. 2 Der Wert der verkauften Richterstellen vvurde beim Ausbruche der Revolution auf 800 Millionen Livres geschatzt. Ludwig XVI. 157 iiber die unbedeutendsten Angelegenheiten, z. B. die Einsetzung des Biirgermeisters in den kleinsten Gemeinden, entschied und anderseits durch Ludwig XV. ein Gegenstand des allgemeinen Abscheues ge- worden war. Audi war die finanzielle Noth so sehr mit dem Hofleben verquickt, dass eine Besserung nur durch die Anderung der Ver- fassung moglich schien. 6. Einfluss der Aufklarung. Wenn diese auch schon im wesent- lichen der Ausdruck der herrschenden Unzufriedenheit war, so bat sie die letztere doch noch gesteigert. Viel mehr aber, als der Einfluss der Aufklarung, war es das Bewusstseiu von seiner trostlosen Lage, was das Volk zur Revolution trieb. B. Ludwig XVI. (1774—1792) und seine Reformversuche. Ludwig XVI., ein frommer und sittenreiner Mann, war ver- mahlt mit der hochgebildeten aber vergnugungssiichtigen Marie An- toinette, einer Tochter Maria Theresiens, die in Pariš als Auslanderin verhasst war und daher vielfach verleumdet wurde. Ludwig hatte zwar den besten Willen, es fehlte ihm aber die nothige Thatkraft, um die nothwendigen Verbesserungen selbst gegen den Widerstand der Hofpartei durchzufuhren. Seine gute Absicht bekundete er durch die Ernennung Turgots zum Finanzminister; dieser war namlich ein edler und ttichtiger Mann, der im Sinne der Physiokraten refor- mierte, aber schon nach anderthalbjahriger Thatigkeit wurde er infolge des Unwillens der Hofpartei entlassen. Der Konig ernannte sodann den Banquier Necker zum Finanzminister, der durch Sparsamkeit und Heranziehung der steuerfreien Stande eine Besserung herbei- fiihren wollte; aber auch er wurde gestiirzt. Als nun die beiden folgenden Minister in der herkommlichen Weise wirtschafteten und eine vom Konige berufene Notabelnversammlung ohne Erfolg aus- einandergieng, stieg die Finanznoth so sehr, dass Ludwig abermals Necker berief (Turgot war inzwischen gestorben) und in die Ein- berufung der Reichsstande (etats generaux) willigte, die zum letztenmal im Jahre 1614 versammelt waren. Schon kam es zu Ausschreitungen der Menge, die auch unter einer Missernte litt. Die damalige Stimmung in Frankreich lasst sich vergleichen mit jener in Deutschland vor der Reformation, die ja auch eine wirt- schaftliche Seite hatte, nur dass man hier die Quelle aller Ubel in der Kirche, dort dagegen im Staate erblickte. 1774 bis 1792. 158 Dritter Zeitraum. 1789 bis 1791. C. Die constituierende National versammlung (1789—1791). 1. Einberufung und Constituierung der Reichsstande. Die Reichsstande traten in Versailles zusammen; sie zahlten rund 1200 Mitglieder, von denen ungefahr die Halfte dem Biirgerstand angehorte. Der Konig und die Regierung wiinschten, dass die Reichs¬ stande, wie frater, nacli Curien berathen und abstimmen; da aber dann dem Biirgerstande die grofiere Anzahl seiner Vertreter nichts geniitzt hatte, so erklarte er sich auf den Vorschlag des Abbe Sieyes als die eigentliche Nationalversammlung, weigerte sich, dem Auftrage des Konigs, bis zur Entscheidung der Angelegenheit keine Sitzung zu halten, nachzukommen, 1 und schwur nacli dem Beispiele seines Prasidenten, des Astronomen Bailly, nicht friiher auseinander- zugehen, bevor er dem Staate eine neue Verfassung gegeben hatte. Als sich nunmehr einige Geistliche und Adelige dem Biirgerstand anschlossen, ermahnte Ludwig selbst die Vertreter der hoheren Stande zum Nachgeben, und so zeigte es sich, dass man dem Konige gegeniiber durch Entschiedenheit seinen Willen durchsetzen konne. 2. Sturm auf die Bastille und die Emigration. Wahrend die Nationalversammlung mit der Berathung der Verfassung begann, entliefi der Konig Necker und vereinigte um Versailles eine Anzahl von Truppen zu seinem Schutze. Diese Mafiregel beniitzten die ziigel- lose Presse, der charakterlose Herzog von Orleans, der selbst nach dem Throne strebte, und leidenschaftliche Demagogen zur Aufwiegelung der leichtglaubigen Menge (L 255). So kam es am 14. Juli zum Sturme auf die Bastille, ein altes Staatsgefangnis, in dem man die Opfer einer willkurlichen Rechtspflege vermuthete; obwohl man aber nur sieben Gefangene, darunter vier Wechselfalscher, fand, wurde doch das Gebiiude ganzlich zerstiirt und die Besatzung nieder- gemacht. Der Konig liefi diese Gewaltthat unbestraft und gestattete, dass aus den wohlhabenderen Parisern eine Nationalgarde zum Schutze von Leben und Eigenthum der Bevolkerung errichtet werde; den Oberbefehl iiber sie erhielt Lafayette, der auf Seite der Amerikaner gekilmpft hatte, vvahrend Bailly zum Biirgermeister von Pariš, das eine freie Gemeindeverfassung erhalten hatte, gevahlt wurde. Diese 1 Als der konigliche Ceremoniemneister die Vertreter des Biirgerstandes zum Gehorsam gegeniiber dem Konig aufforderte, sagte der Graf Mirabeau, der hervorragendste Staatsmann der Versammlung : «Wir sind kraft des Volks- ivillens beisammen und werden nur gehen, wenn man Gewalt anwendet.» Die constituierende Versammlung. 159 beiden Manner und Mirabeau hatten bald mehr Einfluss als der Konig selbst. Infolge der herrschenden Unsiclierheit verlicfien zahlreiche Mitglieder des hohen Adels Frankreich (die Emigration), um mit Hilfe des Auslandes die alte Ordnung wieder herzustellen. Ilire Drohungen steigerten die Erbitterung der Men ge, ihr sittenloses Leben 1 erwarb der Revolution, welche die besten Geister anderer Viilker (Klopstock, Schiller) als den Beginn des Volkerfriihlings betrachteten, zahlreiche neue Freunde. 3. Die Umgestaltung des Staatswesens. Die Reform begann in Versailles mit der Aufhebung aller Feudallasten, indem der Adel und die Geistlichkeit auf die bauerlichen Leistungen ohne jede Entschadigung verzichteten und der Biirgerstand den Vorrechten einzelner Stadte und Provinzen entsagte. Dieser Beschluss war ein Ausfluss edler Begeisterung, er war abei’ iiberhastet und verletzte wohlerworbene Rechte; er entsprach dem Mangel der «Aufklarung» an historischem Sinne. Es folgte die Erklarung der Menschen- und Biirgerrechte, wonach alle Menschen vor dem Gesetze gleich seien und die Souveranitat dem Volke zukomme (S. 126), wahrend es damals viel nothwendiger gewesen ware, die Pflichten zu be- tonen. Sodami wurde Frankreich zu einer constitntionellen Monarchie erklart und beschlossen, dass die Nationalversammlung nur aus einer Kammer bestehen, dass sie bestandig tagen und alle zwei Jahre neu gewahlt werden solle; dem Konige solite nur ein aufschiebendes Veto zustehen, so dass ein zweimaliger Beschluss der Abgeordneten nach vier Jahren auch gegen seinen Willen Gesetz wurde. Vergebens bemiihte sich Mirabeau, ein Anhanger Montesguieus, dem Konig ein absolutes Veto zu verschaffen, zumal da dieser zu groben Zuge- standnissen bereit war. Der Bund der Nation mit dem Konigthume fand seinen Ausdruck in der Einfiihrung der blau-weifi-rothen Fahne (Tricolore) anstatt der weifien der Bourbons. 4. Erste Demiithigung des Kdnigthums. Als der Herzog von Orleans das Gerucht verbreitete, dass der Konig einen Staatsstreich plane, zog der P obel nach Versailles, verlangte die Ubersiedlung Ludwigs nach Pariš und drang in die koniglichen Gemacher ein, wobei mehrere Schweizer ermordet wurden. Erst das Erscheinen Lafayettes, der wohl absichtlich mit der National garde verspatet 1 Vgl. Goethes «l’eldzug in der Champagne«. 160 Dritter Zeitraum. ankam, befreite die konigliche Familie von der drohenden Gefahr; doch musste Ludvvig seinen Hof nach Pariš verlegen, angeblich, damit die Theuerung daselbst beseitigt werde. Bald darauf folgte auch die Nationalversammlung, die nun vielfach durch den Pobel eingeschticbtert wurde. 5. Fortfuhrung der staatlichen Reformen in Pariš. Die National¬ versammlung schritt nunmehr an die Anderung der Verwaltung. Die vvichtigsten hieher gehorigen Beschliisse sind: a) Neue Eintheilung des Landes. An Stelle der bisherigen Provinzen trat die Eintheilung in. 83 Departements, die sich auf die Dauer erhalten hat. Sie vvurde zur Grundlage der Ver- waliung, Pechtspflege und Seelsorge gemacht; es sollten namlich die vier bis fiinf Millionen «Activbiirger» der Departements sich ihre Beamten, Richter und Geistlichen (Pfarrer und Bischbfe) selbst wahlen. So wurde die unfreieste Nation plotzlich die freieste, kein Wunder daher, dass sie davon keinen besonnenen Gebrauch zu machen verstand, dass die heftigsten Demagogen den groBten Einfluss gewannen und die ruhigen Burger sich immer weniger an den zahlreichen Wahlen betheiligten. Alle ferneren Wahlen waren das Werk unglaublich kleiner Minoritaten, 1 die bisherigen Behbrden wurden zerriittet 2 3 und der Staat in lauter kleine Republiken aufgelbst, in denen die Bedeutung des Adels vollstandig gebrochen war. 8 Bald wurde der Adel ganzlich abgeschafft, so dass es nur mehr «Burger» gab. Ein Fortschritt war die Einfiihrung der Ge- schwornengerichte fiir Verbrechen und der Mundlichkeit des Gerichtsverfahrens, ferner die Abschaffung der Folter u. a. b) Einziehung des Kirchengutes und die biirgerliche Ver- fassung des Clerus. Auf Antrag des Bischofes Talleyrand wurden die Kirchenguter im Werte von ungefahr 1200 Millionen Livres zu Gunsten des Staates eingezogen; bald folgte die Aufhebung der Kloster, die Neuordnung der Bisthumer und die Einfiihrung der 1 Am Beginne der Revolution hatte Pariš etwa 600.000 Eimvohner; davon waren thatsachliche Revolutionare 16.000, grundsatzliche (auBer den Fiihrern durchaus Arme) 6000, virklich gewaltthatige 3000. — A. Schmidt, Tableaux de la revolution franjaise publičs sur les papiers inždits, 3 Bde., Leipzig 1867 bis 1870. 2 Mit Recht sagte Katbarina II., Frankreieh babe 1200 Gesetzgeber, denen niemand als der Kbnig gehorche. 3 Insofern erinnert die neue Eintheilung an das Werk des Clisthenes (I. 88). Die gesetzgebende Versammlung. 161 Religionsfreiheit. Die Priester wurden beauftragt, die neue (Civil-) Verfassung der Kirche zu beschworen, obwohl sie der Papst ver- worfen hatte; alle, welche die Ablegung des Eides verweigerten, — etwa zwei Drittel der Geistlichen — waren an ihrem Leben bedroht. Da der Verkauf der Kirchengiiter langere Zeit beanspruchte, der Staat jedoch dringend Geld brauchte, so wurde ein Papiergeld (Assignaten) ausgegeben, mit dem man die Giiter ankaufen konnte; weil aber von diesen Anweisungen, die eigentlich eine Hypothek auf die Giiter waren, allmahlich liber 45 Milliarden Franca 1 * ausgegeben wurden, so verloren sie nacli und nach allen Wert. 6. Jakobinerclub, Flucht des Konigs und Schluss der Na¬ tionalversammlung. Durch den Tod Mirabeaus (1791) verlor der Konig seine kraftigste Stiitze; das war fiir ihn um so verhangnis- voller, als auch die Treue des Heeres zu wanken begann und, seine Gegner immer offener die Republik anstrebten. Dieses Ziel verfolgten namentlich die Jakobiner, die sich in einem aufgehobenen Kloster zum heil. Jakob versammelten und meist aus armen und ungebildeten Leuten bestanden. Mit dem Stammclub in Pariš waren zahlreiche Zweigclubs in den Departements in Verbindung, so dass die Jakobiner (hochstens 400.000 Kopte) den machtigsten Einfluss ausiibten. Da beschloss der Konig, ins Ausland zu fliehen. Schon war er bis in die Nahe von Verdun gekommen, als er erkannt, festgenommen und nach Pariš zuriickgebracht wurde. Die konigliche Gewalt vvurde zunachst aufgehoben; nachdem aber die Nationalversammlung die Verfassung nochmals durchberathen und Ludwig sie neuerdings beschworen hatte, wurde er wieder als Konig anerkannt. Hierauf schloss die Versammlung ihre Sitzungen. D. Die gesetzgebende (legislative) Nationalversammlung (1791—1792). 1. Zusammensetzung der neuen Versammlung. Da die con- stituierende Versammlung beschlossen hatte, dass keines ihrer Mit- glieder in die neue Volksvertretung gewalilt werden diirfe, so bestand diese grofitentheils aus jungen und unerfahrenen Leuten, auf welche die Macht der Rede einen groben Einfluss ubte. Die redegewandteste Partei der Versammlung waren die Girondisten; ihr Ziel war die 1 Die Nationalversammlung fiihrte den Franc ein, der annahernd denselben Wert wie ein Livre hatte. 1791 bis 1792. Zeehe, Geschichte der Neuzeit. 11 162 Dritter Zeitraum. Aufrichtung einer gemafiigten Republik, deren Stiitze der wohlhabeii.de Biirgerstand sein solite. In der Bekampfung des Konigthums giengen sie Hand in Hand mit der aufiersten Linken, der Bergpartei, welche aber die Herrschaft der Masse selbst unter Stromen von Blut zu be- griinden bereit war. Beiden Parteien standen die constitutionell ge- sinnten Feuillans gegeniiber; Anhanger des absoluten Konigthums gab es in dieser Versammlung nicht mehr. Die verhaltnismafiig starkste Partei waren die Girondisten; da sie aber ihren Worten keine Thaten folgen liefien, so entriss ihnen die stramme Bergpartei die Entscheidung. 2. Thatigkeit der Versammlung. Der Konig musste infolge des Drangens der Girondisten an Franz II., den Nachfolger Leopolds II., den Krieg erklaren; beide republikanische Parteien wollten ihn nam- lich mit seinen nachsten Verwandten entzweien und dadurch seinen Sturz ermoglichen. Sodami beschloss die Versammlung die Becrete g ege n die eidweigernden Priester und die Fmigranten; die ersteren sollten ihren Gehalt verlieren, die letzteren wurden mit dem Tode bedroht, wenn sie nicht bis zum l.Janner 1792 zuriickkehrten, und ihre Giiter, wenigstens sechs Milliarden wert, eingezogen. Als aber der Konig das erstere Decret nicht bestatigte, zogen die auf- gehetzten Pobelmassen unter Absingung der Marseillaise aufs Rath- haus, setzten hier eigenmachtig einen ultrarevolutionaren Gemeinde- rath (*Commune>) ein und unternahmen sodami einen Sturm auf 1792. die Tuilerien (am 10. August 1792). Es war der eigentliche Sturz des Konigthums. Ludwig floh mit seiner Familie in den Schofi der gesetzgebenden Versammlung und befahl der Garde das Einstellen des Feuers, worauf sie niedergemetzelt vurde; 1 die Vertreter des Volkes suspendierten sodann den Konig und ilberlieferten ihn mit seiner Familie dem Pariser Gemeinderathe. Das folgende Leben der kbniglichen Familie war eine ununterbrochene Kette von Ent- behrungen und Verhohnungen. Das war die ganze Thatigkeit der legislativen Versammlung, die berufen war, die Gesetze zu geben, welche die neue Verfassung verlangte. Lafayette 2 hatte schon vor einiger Zeit den Befehl liber die Nationalgarde niedergelegt, die bald fast nur mehr aus Prole- tariern bestand. * Zum Andenken daran wurde der Luzerner Lbwe (von Thorwaldsen) auf- gestellt. — 2 . Nacli dem Ausbruche des Krieges ubernahm Lafayette das Com- mando tiber eine Armee, wurde daun abgesetzt, von den Osterreichern gefangen genommen und nach langerer Haft freigegeben. Der Nationalconvent. 163 3. Die Septembermorde. Nunmehr wurde die Einberufung eines Nationalconventes beschlossen, damit er liber die kiinftige Verfassung entscheide. Um eine republikanische Mehrheit zu sichern, liefi der Gemeinderath im Einvernehmen mit dem Justizminister Danton die den Gewalthabern verdachtigen Personen verhaften and forderte den Pobel auf, sie zu tbdten f« Septembermorde*); die Morder wurden fur ihre «Arbeit», die mehreren tausend Menschen das Leben kostete, vom Gemeinderathe bezahlt. Bald darauf loste sicb die Versammlung auf. E. Der Nationalconvent (1792—1795). 1. Einfiihrung der Republik und Hinrichtung des Konigs. Im Convente konnten zwar die Girondisten in den meisten Fallen auf die Mehrheit rechnen, doch setzte haufig die Bergpartei mit Hilfe der Sansculotten 1 ihren Willen durch. Die neue Versammlung beschloss sofort die Abschaffung des Konigthums und die Einfiihrung der Republik; bald folgte auch der Process des Konigs. Der Konig wurde des Landesverrathes beschuldigt und trotz der trefflichen Vertheidigung durch drei Advocaten mit grofier Mehrheit der unberechtigten Anklage fur iiberwiesen erklart und gegen den Willen der eingeschiichterten Gironde genau mit einer Stimme Majoritat zum Tede ohne Aufschub verurtheilt. 3 Thatsachlich bestieg er auch wenige Tage darauf (am 21. Janner 1793) das Schafot (die Guillotine)' 1 und biifite so fur die Siinden seiner Vorganger. 2. Sturz der Gironde. Nunmehr iibertrug der Convent die ausiibende Gewalt dem Wohlfahrtsausschusse (Comite de Salut Public), der aus neun Mitgliedern, tiberwiegend Anhangern der Bergpartei, bestand. Diese fiihrte am 2. Juni die Sansculotten zum Sturme auf den Convent, um die Verhaftung von ungefahr dreiBig Girondisten zu erzwingen. Damit war die Bedeutung der Gironde vernichtet; sie erlag den Folgen ihres ungerechten Vorgehens und ihrer Schwache, denn sie trat erst dann fur die Ordnung ein, als ihr der Pobel uber den Kopf gewachsen war. 3. Die Schreckensherrschaft (la terreur) vom 2. Juni 1793 bis zum 28. Juli 1794. a) Gewaltthaten in Pariš und in den Provinzen. 1 Das Wort bezeichnet diejenigen, welche keine Kniehosen (culottes), wie sie Ludwig XIV. eingefiihrt hatte, sondern lange Hosen trugen. Die Sansculotten .gehorten grofitentheils dem Kleinbiirgerstande an. 2 Fur den Tod stimmte auch der Herzog von Orleans, der sich seit der Abschaffung des Adels «Gleichheit» (Egalitž) nannte. 3 So benannt nach deni Arzte Guillotin, der ihre Einfiihrung veranlasste. n* 1792 bis 1795. 1793. 1793 bis 1794. 164 Dritter Zeitraum. Jetzt beherrschte der Berg, auf den Gemeinderath sowie auf den Wohlfahrtsausschuss, den Jakobinerclub und auf das Revolutions- tribunal gestutzt, ganz Frankreich; das letztere verhangte nur Todes- urtheile, die mit Giitereinziehung verbunden varen. 1 Unter dem Aus- hangeschilde der Freiheit, Gleichheit und Briiderlichkeit (liberte, ega- lite, fraternite) wurden Hunderttausende, die durch Adel der Geburt oder der Gesinnung, durch VVohlhabenheit oder Bildung sich auszeich- neten, hingemordet. Vergebens versuchte die edle Marie Corday durch Ermordung des wuthenden M ar at der Tyrannei Einhalt zu thun; sie wurde hingerichtet. Weitere hervorragende Opfer der Schreckenszeit waren: die ungliickliche Marie Antoinette, die nach der gewaltsamen Trennung von ihren Kindern 2 in zerlumpten Kleidern vor das Revolutionstribunal gefiihrt wurde; Elisabeth, die fromme Schwester des Konigs; Egalitb, der wenigstens sein Schicksal ver- diente; Bailly, der berlihmte Chemiker Lavoisier u. v. a. Als die Bewohner einzelner Stadte und Landschaften sich gegen die Pariser Gewalthaber erhoben, schickten diese Abgeordnete dahin, welche die Gegenrevolution in der grausamsten Weise unterdruckten. In Lyon wurden ungefahr 1700 Menschen haufenweise hingerichtet, weil die Guillotine zu langsam arbeitete. Toulon wurde nach langerer Belagerung, bei welcher der Hauptmann Napoleon Bonaparte die Entscheidung gab, eingenommen und geplundert, vobei viele Tau- sende den Tod fanden. In und um Nantes lieB der entsetzliche Carrier ungefahr 15.000 Menschen in der Loire ertranken (die Noyaden). In der Vendee, der einzigen Landschaft, deren Adel nicht am Hofleben theilgenommen hatte, war die Bevolkerung koniglich gesinnt, der Geistlichkeit ergeben und dem Adel geneigt. Als nun der Convent das Massenaufgebot (la levee en masse) anordnete, erhob sich die Vendee gegen die Machthaber, wodurch ein jahre- langer greuelvoller Krieg ausbrach, der erst nach dem Sturze der Schreckensherrschaft beendet wurde. 3 Solche Frevelthaten lassen sich nur daraus erklaren, dass die Jakobiner mit blindem Fanatismus die theilweise missverstandenen 1 Man sagte daher: «Miinzen schlagen mit der Guillotine.« 1 Ilir Sohn Ludwig (XVII.) wurde dem Schuster Simon, einem Jakobiner, zur «Erziehung» tibergeben; von diesem mit Schlagen behandelt und mit Brantwein berauscht, siechte er dahin und starb noch als Knabe. Ihre Tochter, die spatere Herzogin von Angouleme, wurde nach langerer Haft an Osterreich ausgelicfert. 3 Uber die Art der Kriegfuhrung belehrt der Ausspruch Bareres: «In zwei Monaten besteht keine Vendee mehr.» Der Nationaleonvent. 165 Rousseau’soben Lehren in die That umzusetzen suchten. Sie giengen namlich von dem Grundsatz aus, dass der Einzelne dem vermeint- lichen allgemeinen Wohle geopfert und dass die Lebens- und Ver- mogensverhaltnisse aller annahernd gleich gemacht werden miissten; alle Stande wurden den hartesten Steuern unterworfen oder ihres Vermogens beraubt, nur der Pobel und seine Fiihrer fanden Schonung. Das Ideal der Jakobiner war eine gleichmafiige Erziehung aller durch den Staat nach spartanischem Muster; die Finanzen waren dabei vollig zerriittet, Wissenschaft und Kunst geachtet, 1 Pariš musste auf Kosten des Landes mit Lebensmitteln versehen werden. Die damalige Massenherrschaft war die kostspieligste und tyrannischeste Regierung, die es je gegeben bat. 2 b) Gesetzgebung in der Zeit des Conventes. Der Convent beschloss eine aufierst demokratische Verfassung, doch trat sie niemals ins Leben, weil die fortwahrenden Kri ege die Zusammen- fassung aller Krafte verlangten. Die Partei des Gemeinderathes schaffte das Christenthum ab und setzte den « Cultus der Vernunft* an seine Stelle; die Anhanger des alten Glaubens wurden blutig verfolgt. 3 Zum Zeichen, dass ein neues Zeitalter angebrochen sei, wurde eine neue Zeitrechnung eingefuhrt, indem der 22. Septem¬ ber 1792, der erste Tag nach der Abschaffung des Konigthums, zum Ausgangspunkte der neuen Ara gemacht wurde; die Monate, velche neue Namen erhielten, wurden in drei Dekad en eingetheilt und die Sonntagsfeier abgeschafft. Von Dauer war jedoch nur die Einfiihrung des Metersystems. c) Sturz der Schreckensherrschaft. Da der eitle, pedantische und grausame Advocat Maximilian Robespierre eine dictatorische Stellung anstrebte, fasste er die Beseitigung derjenigen Jakobiner ins Auge, die ihm darin hinderlich schienen. Das war vor allem die Partei des Pariser Gemeinderathes (les enrages); denn Robespierre erkannte wohl, dass diese durch ihre Mafilosigkeit die Republik schadige. 1 Rousseau selbst sagt, der Zustand des Nachdenkens ist widernaturlich und der Mensch, der denkt, ein entartetes Thier. Lavoisier wurde der Aufschub der Todesstrafe um 11 Tage mit der Begriindung verweigert, dass die Republik keiner Gelehrten bediirfe. '' Die «Revolutionsausschtisse» kosteten jahrlich gegen 600 Millionen, d. h. mehr, als die Constituante fiir den ganzen Staatsbedarf bestimmt hatte. Auf zwei erwaclisene Burger entflel ein Beamter, auf drei ein Soldat an der Grenze. 3 Der religionsfeindliche Charakter unterscheidet die franzbsische Revolution ganz besonders von der englisclien. 166 Dritter Zeitraum. Nachdem er sie aui' das Schafot gebracht hatte, griff er Bariton and dessen Anhanger (les corruptes) an; er verdachtigte sie als Feinde der Republik, weil Danton die erworbenen Reich thiim er geniefien wollte und deshalb das Ende der Schreckensherrschaft wiinschte (I. 125). Erst nach langerem Kampfe siegte er im Convent liber semen Gegner, der sich grolier Beliebtheit erfreute. Nunmehr folgten die schrecklichen sieben Wochen (les grandes fournčes), die in Pariš allein 1400 Opfer kosteten. Endlich schlug auch die Stunde Robespierres. In der Uberzeugung, dass der Vernunft- cultus das Volk nicht befriedigen konne, liefi er durch den Convent das Dasein eines hochsten Wesens (Etre supreme) und die Un- sterblichkeit der Seele beschliefien; als er aber bei der Feier zn Ehren des hochsten Wesens sich lacherlich machte und bald darauf wieder mehrere Conventsmitglieder anklagte, wurde er unter einer Flut von Schmahreden verhaftet und, nachdem er sich durch einen Pištol enschuss den Ki eter zerschmettert hatte, mit einund- 1794. zwanzig Anhangern guillotiniert (10. Thermidor = 28. Juli 1794). «Im Schrecken endete der Schrecken* (Sybel). 4. Ende des Conventes; die Directorialverfassung. Der Sturz Robespierres war nur aus personlichen Riicksichten erfolgt; es glaubten daher auch seine Feinde («Thermidorianer»), die Schreckens¬ herrschaft fortsetzen zu konnen. Da aber der Terrorismus einer Steigerung nicht mehr fahig war, so trat von selbst ein Umschwung ein. Namentlich war wichtig, dass sich in Pariš die jiingeren Mitglieder der revolutionsfeindlichen Familien (*Pariser Jugend*) wieder hervorvvagten. 1 Der Convent berief die noch lebenden aus- geschlossenen Mitglieder zuriick, die argsten Wiitheriche, wie Carrier, wurden hingerichtet, die Ausiibung der Religion wieder freigegeben, der Jakobinerclub geschlossen. Endlich wurde eine neue, die Directo¬ rialverfassung, eingefiihrt. Ihr zufolge erhielt ein Directorium von fiinf Mitgliedern die ausiibende Gewalt, die gesetzgebende dagegen fiel zwei Kammern zu, namlich dem Rathe der 500, der die Gesetze vorschlug, und dem Rathe der 250 Alten, der sie annahm oder ver- warf; der letztere wahlte auch die Directoren. So war die ausiibende Gewalt mehr centralisiert und die gesetzgebende conservativer ge- worden. Da die Conventsmitglieder mit Redit besorgten, die neuen 1 Der Ausdruck jeunesse dorče findet sich in den gleichzeitigen Quellen nicht und wird erst seit der Zuruckfuhrung der Bourbons allgemeiner; die Gegner nannten sie gewohnlich Moschushelden (muscadins). Der erste Coalitionskrieg. 167 Versammlungen konnten sie zur Verantwortung ziehen, so verfiigten sie, dass mindestens zwei Drittel von ihnen in die beiden Rathe gewahlt werden miissten. Als deshalb in Pariš ein Aufstand der ‘Jugend» ausbrach, wurde er von Bonaparte im Auftrage des Conventes unterdnickt. Im October 1795 scldoss dieser seine ver- hangnisvolle Thatigkeit. II. Ausbreitung der Revolution iiber die Nachbarlander Frankreichs bis zum Frieden von Čampo Formio (der erste Coalitionskrieg und die Anfange Napoleon Bonapartes), 1792—1797? 1. Ursache des Krieges und Bestrebungen der Gegner. Die langwierigen Kriege mit Frankreich waren eine Folge des Gegen- satzes zwischen der alten absoluten und der neuen, auf dem Grund- satze der Volkssouveranitat aufgebauten Staatsordnung, der ebenso zum Kriege fiihren musste, wie am Beginne der Neuzeit der Gegen- satz zwischen der katholischen und protestantischen Kirchenordnung. Beschleunigt wurde der Ausbruch des Krieges durcb das Drangen der Girondisten, der Emigranten und Katharinas II., die im Osten freie Hand haben wollte. Die Vorgange in Frankreich riefen eine Annaherung zwischen Osterreicli und Preufien hervor; in ersterem und in Deutschland regierte damals Leopolds Sohn Franz II. (1792 bis 1835), in letzterem Friedrich Wilhelm II. (1786 — 1797), der Neffe Friedrichs II.; doch dachten beide schon wegen der elenden Reichsverfassung an keinen Angriffskrieg. Anfangs war der Rest der koniglichen Truppen der fast allein brauchbare Bestandtheil der franzosischen Heere, im iibrigen wurden damals nur zuchtlose Massen ins Feld gestellt, die aber bald mit grofier Tapferkeit kampften. Im Jahre 1794 fiihrte der beriihmte Mathematiker Carnot, ein uneigen- niitziger Mann von erstaunliclier Arbeitskraft, eine bedeutsame Wen- dung herbei: als Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, dem er, obwohl kein Terrorist, als unentbehrlich angehorte, berief er alle waffen- fahigen und nicht verheirateten Franzosen vom 18. bis zum 25sten Jahre ein, wodurch die franzosischen Heere allen Gegnern iiberlegen wurden. Angeblich erschienen die Franzosen in den Nachbarlandern als Freiheitsapostel, 1 2 in Wirklichkeit aber verlangten sie «die natiirlichen 1 Cl. Th. Perthes, Politische Zustande und Personen in Deutschland zur Zeit der franzosischen Herrschaft, 2 Bde., Gotha 18G2-69. 2 Vgl. Hermann und Dorothea, VI. Gesang: «Denn wer leugnet es wohl, dass hoch sich das Herz ihm erhoben» u. s. w. 1792 bis 1797. 1792 bis 1835. 1786 bis 1797. 168 Dritter Zeitraum. Grenzen® Frankreichs, d. h. die Rhein- und die Alpengrenze, und erpressten von den Gegnern zahllose Millionen. Anderseits suchten die verbiindeten Machte beim Zusammenbruche der alten Ordnung mbglichst viel Gebiet zn erwerben, England insbesondere strebte Frankreich seiner Colonien zu berauben, so dass die grundsatzliche Bekampfung der Revolution als Motiv bald in den Hintergrund trat. 2. Osterreich und PreuBen im Kampfe gegen Frankreich (1792). Infolge der franzosischen Kriegserklarung drangen die PreuBen, verstarkt durch eine osterreichische Abtheilung, miter der Anfiihrung des Herzogs Karl Ferdinand von Braunschweig in die Champagne ein, nachdem dieser durch ein Manifest, welclies die Wiedereinsetzung des Konigs verlangte und im Weigerungsfalle die strengsten Mafiregeln in Aussicht stellte, die Erbitterung der aufgeregten Franzosen hervorgerufen hatte. Aber die Ungunst der AVitterung, Seuchen im Heere und der unvermuthete AViderstand der Feinde bei Valrnv 1 veranlassten die Raumung Frankreichs, worauf jene in Belgien einfielen und infolge der Besiegung der Oster- reicher bei Jemappes das Land eroberten. Auch besetzten die Franzosen einen Theil des Gebietes am linken Rheinufer (S. 95), darunter besonders Mainz. Die Eifersucht, vvelche zwischen den Verbiindeten wegen der bevorstehenden zweiten Theilung Polens bestand, erleichterte ihnen diese Erfolge. 3. Europa im Kampfe gegen Frankreich (1793—1795). Die Hinrichtung des Konigs einigte ganz Europa aufier Schweden, Danemark, Russland, der Schweiz und der Tiirkei zu einem Bunde gegen Frankreich; England, an dessen Spitze der jiingere Pitt stand, zabite hauptsachlich Hilfsgelder. Anfangs waren die Verbiindeten gliicklich. Die Osterreicher eroberten infolge des glanzehden Sieges 1793. bei Neerwinden (1793) unter dem Jubel der Bevolkerung Belgien wieder, und die PreuBen gewannen Mainz zuriick. Bald aber ent- rissen die Franzosen infolge der Carnofschen Organisation den Osterreichern abermals Belgien und besetzten auch Holland; das erstere wurde mit Frankreich verbunden, das letztere in die batavische Republik verwandelt und zu einem Biindnisse mit Frankreich ge- zwungen: beide Lander aber wurden finanziell ausgebeutet. Da die Fran¬ zosen auch am Rhein vordrangen, so trat PreuBen, das mit Osterreich 1 Vgl. Goethes Campagne in Frankreich: «Von hier und heute geht eine neue Epoche der 'VVeltgescliichte aus, und ihr konnet sagen, ilir seid dabei ge- wesen.» Der erste Coalitionskrieg. 169 Polens wegen ganz zerfallen war, von der Coalition zuriick und schloss mit Frankreich den Sonderfrieden von Basel (1795); in diesem 1795. verzichtete es gegen anderweitige Entschadigung auf seine links- rheinischen Besitzungen, falls beim allgemeinen Friedensschlusse das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten werden solite, und sicherte durch die Feststellung einer Demarcationslinie dem nordlichen Deutsch- land den Frieden. Da mehrere andere Herrscher diesem Beispiele folgten, so setzten nur Osterreich, Siiddeutschland, England, Sardinien und einige kleinere italienische Staaten den Kampf fort. 4. Kampf in Siiddeutschland und in Italien (1795 —1797). Die Hauptlast des Krieges ruhte nun auf Osterreich. In Siid- deutschland schlug Erzherzog Karl, der fiinfundzwanzigjahrige Bruder des Kaisers, der schon in Belgien gegen die Franzosen gekampft hatte, die Feinde bei Amberg und Wtirzburg (1796), so dass daselbst 1796. der Krieg zu Ende war. Die Entscheidung fiel aber in Italien, wo der General Bonaparte den Oberbefehl erhalten hatte. Nachdem er seine schlecht ausgeriisteten Truppen durch eine feurige Ansprache zur Tapferkeit angespornt hatte, drangte er durch mehrere Gefechte in der Nahe von Genua die osterreichisch-sardinischen Truppen zuriick, gewahrte dem Konige von Sardinien gegen Abtretung von Savoyen und Nizza den Frieden, schlug die Osterreicher bei Lodi und zwang sie, in Manina Schutz zu suchen. Nachdem vier oster- reichische Entsatzheere geschlagen worden waren, musste sich die Festung ergeben (1797); Napoleon wiirdigte den Heldensinn des 1797. Feindes dadurch, dass er eine Heeresabtheilung (bei dieser befand sich auch der Major Radetzky) mit allen Ehren abziehen lieJB. Die kleinen italienischen Fursten erhielten gegen Geldzahlungen und Auslieferung von Kunstwerken Frieden. Sodann riickten die Franzosen liber Pontafel in Karaten ein, wo Erzherzog Karl das Commando iibernommen hatte. Vergebens suchte er mit der geschwachten Armee bei Tarvis, wo ihh seine Tapferkeit der Gefahr der Gefangen- nahme nahe brachte, den Feind zuriickzudrangen, er musste sich vielmehr nach Steiermark zuriickziehen. Als nun die venetianische Landbevolkerung sich gegen die Franzosen erhob, schloss Napoleon mit Franz den Waffenstillstand von Leoben, dem bald der Friede von Čampo Formio folgte (1797). Darin trat der Kaiser Belgien 1797. und Mailand ab; das erstere wurde Frankreich einverleibt, das letztere sammt dem Herzogthume Modena und einem Theile des Kirchenstaates zur cisalpinischen Republik vereinigt, die mit 170 Dritter Zeitraum. 1795 bis 1799. Frankreich in ein Bundesverhaltnis trat. In einem gelieimen Artikel iiberlieb Franz clas linke Rheinufer an Frankreich; doch solite den Frieden mit Deutschland ein Congress zn Rastatt abschlieben. Als. Ersatz erhielt Osterreich den venetianischen Staat, d. h. Veneticn, das venetianische Istri en und Dalmatien; nur die jonischen Inseln wurden Frankreich vorbehalten (II. 105, 182, 199). England schloss- auch jetzt noch keinen Frieden. III. Die Revolution in und auBerhalb Frankreichs von der Errichtung der Directorialverfassung bis zur Erhebnng Bonapartes zuni Kaiser (1795—1804). A. Die Directorialregierung (1795—1799). Die trostlosen Verhaltnisse der Schreckenszeit dauerten aucli unter dem Directorium fort, 1 da es fast ganz aus unfahigen Mannern zusammengesetzt war, deren Hauptthatigkeit in dem Streite daruber bestand, ob die Radicalen, die Priester oder die Royalisten mit grofierer Strenge verfolgt werden sollten. Schon im Jahre 1797 erhielten bei den Neuwahlen beide Kammern eine konigliche Mehrheit, und zwei Mitglieder des Directoriums, darunter Carnot, waren fiir eine Ver- standigung mit den Gemabigten. Die iibrigen drei Directoren wussten sich nur dadurch zu helfen, dass sie unter Heranziehung des Pobels- ihre Gegner, liber 200 an der Zahl, von den Kammern zur Depor- tation nach Cayenne verurtheilen liefien; doch gelang es Carnot zu entkommen. In der Fortsetzung des Krieges sah das Directorium die einzige Moglichkeit, den Blick der unzufriedenen Bevblkerung von den inneren Verhaltnissen abzulenken, neue Millionen zu er- werben 3 und Bonaparte, den es zu fiirchten begann, fernezuhalten. Deshalb wurde dieser auf seinen Wunsch mit der Eroberung Agyptens betraut. B. Bonapartes bisheriger Lebensgang und die Eroberung Agyptens. 3 1. Bonapartes bisheriger Lebensgang. Napoleon Bonaparte wurde als der Solin eines Edelmannes im Jahre 1768 (oder 1769) in Ajaccio geboren. Als zehnjahriger Knabe kam er in die Militar- 1 Beim Beginne des Directoriums hungerten in Pariš wenigstens 19 / 20 der Bevolkerung. Zuletzt wurden durcli die Erkltirung des Bankerottes die Schulden abgeschuttelt. — 2 In drei Jahren w ur d en dem Auslande zwei Milliarden abgepresst. — '-‘P. Pan frev, Geschichte Napoleons I., iibersetzt von C. v. Gluiner, 7 Bde., verschiedene Auflagen, Minden 1869-87. Napoleon in Agypten. 171 schule von Brienne, fiinf Jahre spater in die Artillerieschule zu Pariš, die er als Lieutenant verlieb. Er betrieb daselbst mit beson- derem Eifer Geschichte, Geographie und Mathematik. Im Jahre 1789 nahm er Urlaub und begab sich nach Corsica, um sich an die Spitze des Aufstandes zu stellen, der die Losreibung der Insel von Frankreich anstrebte, doch fand er nicht das erwartete Vertrauen und wurde nun widerwillig Franzose auch seiner Gesinnung nach. Beim Ausbruche der Revolution schloss er sich, wie einst Caesar an die Catilinarier, an die Jakobiner an, warf dami den Aufstand der Pariser Jugend nieder, vermahlte sich mit der Creolin Josephine von Beauharnais, einer Generalswitwe, und erhielt auf Vorschlag Carnots das Commando in Italien, das der Ausgangspunkt seiner Grobe wurde. Er war iiberzeugt, dass eine schrankenlose Staats- gewalt aufgerichtet werden miisse, zu deren Gunsten alle Bewohner gleich und unfrei sein sollten; an der Verwirklichung dieses Ge- dankens hat er unausgesetzt gearbeitet. 2. Die Unternehmung gegen Agypten und Syrien (1798—1799). Mit einem Heere von 35.000 Mann (25.000 Soldaten und 10.000 Matrosen, I. 120) und begleitet von hervorragenden Gelehrten unter- nahm Bonaparte den Zug nach Agypten, der auch eine wissenschaft- liche That war (I. 6 und 146). Er entgieng glucklich den Nach- stellungen der englischen Flotte, besetzte ohne Widerstand Malta, 1 erstiirmte Alexandria, schlug die Mameluken, 2 deren Beys unter tiirkischer Oberhoheit das Land regierten, bei den Pyramiden und besetzte sodami Kairo. Bald darauf aber vernichtete der englische Ad¬ miral Nelson die franzosische Flotte bei Abukir, so dass Bonaparte von der Heimat abgeschnitten war, und erklarte die Pforte an Frank¬ reich den Krieg, der von Syrien aus unternommen werden solite. Deshalb riickte Bonaparte selbst in Syrien ein, erstiirmte zwar Jaffa, komite aber die Festung Akre (Akkon, II. 117) infolge der englischen Unterstiitzung nicht erobern; deshalb und weil die Pest in seinem Heere wuthete, trat er den Riickzug an, auf dem er bei einer Hitze von 40° C. und ganzlichem Wassermangel grobe Verluste erlitt. In- zwischen war ein turkisches Heer in Agypten gelandet; iiber dieses 1 Der Malteserorden (II. 114) war langst eine Versorgungsstatte fiir jiingere Mitglieder lioher Adelsgeschlechter geivorden. 2 Die Mameluken, d. h. Sclaven, waren die Leibwache der Ejjubiten (II. 115 und 120), boherrschten seit deren Sturz (1250) das Land und geriethon 1517 unter tiirkische Oberhoheit. 172 Dritter Zeitraum. 1799 bis 1802. 1796 bis 1801. 1797 bis 1840. errang Bonaparte trotz der dreifachen Ubermacbt bei Abukir einen vollstandigen Sieg, verliefi aber, nur auf sich selbst bedacht, bald darauf Agypten, um die trostlose Lage des Directoriums auszu- niitzen. In einem wahren Triumphzuge kam er nach Pariš. Im Jahre 1801 wurde der Rest seines Heeres infolge eines Vertrages auf englischen Schiffen nach Frankreich zuriickgefuhrt. Das letzte Ziel, das Bonaparte in Agypten verfolgte, ist ni elit bekannt; er selbst bat sich dariiber verschieden geaufiert (Ver- treibung der Englander aus Indien, des Sultans aus Constanti- nopel u. s. w.). Jedenfalls erhiihte das Unternehmen im Oriente seinen Ruhm. C. Der zweite Coalitionskrieg (1799 —1802). 1. Bildung der Coalition. Die Ursache des Krieges war die Fort- setzung der republikanischen Propaganda durcli das Directorium. So wurde der Kirchenstaat im Einvernehmen mit einer demokratischen Partei in der ewigen Stadt in die romische Republik verwandelt und der Papst Pius VI. in die Gefangenschaft abgefiihrt, in der er bald darauf starb. Ferner mischte sich das Directorium in Streitigkeiten zwischen Bern und dem Waadtlande, stiirzte die aristokratiseben Cantonalregierungen, verwandelte die Schweiz in die einheitliche helvetische Republik und verband Genf mit Frank¬ reich. 1 Diese Ubergriffe veranlassten Osterreich, Russland, England und Neapel zum Abschlusse einer Coalition; in Russland regierte damals Paul I. (1796 — 1801), der Sohn Katharinas II., ein erbitterter Gegner der Revolution, der von einem Theile der Malteserritter zum Protector des Ordens gewahlt worden war. Die Unterhandlungen zu Rastatt fuhrten zu keinem Ziele, so dass die meisten Reichs- fiirsten mit Ausnahme des frommen und sparsamen Friedrich Wil- helm III. (1797—1840) von PreuBen, des Sohnes Friedrich Wil- helms II., dem Bunde beitraten. Kurz nach dem Ausbruche des Krieges verliefien die drei franzosischen Unterhandler Rastatt, wurden aber in der Nacht von Soldaten uberfallen, wobei zwei den Tod fanden, wahrend der dritte entkam; Urheber und Bevveggrund dieser That sind niemals bekannt geworden. 2 1 Es gab damals in der Schweiz regierende und unterthiinige Gebiete; nur die Angehorigen von 18 Gesclilechtern regierten iiber den Canton Bern und das von diesem abhangige Waadtland. 2 J. A. von Helfert, Der Rastatter Gesandtenmord, Wien 1874. Der zweite Coalitionskrieg. 173 2. Erster Abschnitt des Krieges bis zur Anderung des Kriegs- planes der Verbiindeten (1799). Die Verbiindeten beschlossen, die Franzosen auf drei Seiten anzugreifen; es solite sie namlich ein osterreichisch-russisches Heer aus Italien, ein osterreichisches aus Siiddeutschland und der Schweiz vertreiben und ein russisch- englisches von den Niederlanden her vordringen. Den Krieg eroffnete Neapel mit einem iibereilten Einfall in die rdmiscbe Republik, der aber misslang; die Franzosen drangen selbst in Neapel ein, vertrieben den Konig nach Sicilien und verwandelten Unteritalien in die par- thenopeische Republik 1 2 Diesem Vorspiele folgten die Unternehmungen der Hauptmachte. Zuerst schlug Erzberzog Karl die Franzosen bei Ostrach und noch entscheidender bei Stockach und ndthigte sie dadurch zur Raumung Deutschlands. Hierauf riickte er in die Schweiz ein und zwang Massena, den grofiten franziisischen Feldherrn nach Bonaparte, durch den Sieg bei Ziirich zum Abzuge aus der ostlichen Schweiz. Inzwischen erzwangen sich die Osterreicher in Italien den Ubergang iiber die Etsch, den Grenzfluss der cisalpinischen Republik, und vereinigten sich hierauf mit den spater angekommenen Russen, deren Fiihrer Suworow, ein groBer Feldherr von unbeugsamer Willenskraft, das Commando iiber die vereinigten Truppen iibernahm. Diese sicgten an der Trebia und bei Novi; in der ersteren Schlacht gaben die Russen, in der letzteren die Osterreicher den Ausschlag. Die Franzosen wurden bis nach Genua zuriickgeworfen, das sie in die ligurische, mit ihnen verbiindete Republik umgewandelt hatten. In den Niederlanden kam es zu keinem groBeren Kampfe. So hatte die Coalition schon bedeutende Erfolge erreicht, als auf den Vorschlag Englands der Kriegsplan geandert wurde, was nur Verluste und den Zerfall des Bundes zur Folge hatte. 3. Zweiter Abschnitt des Krieges seit der Anderung des Planeš der Verbiindeten (1799—1801). Infolge der Abanderung des Kriegsplanes erhielt Suworow den Befehl, in die Schweiz zu ziehen, wahrend Erzherzog Karl nach dem Mittelrhein marschieren solite, weil die Franzosen wieder in Deutschland eingefallen waren. Der starrsinnige Suworow verzogerte aber seinen Abmarsch und zog dann, statt iiber den Bernhardin, iiber den St. Gotthard- in der Hoffnung, hier noch die Osterreicher anzutreffen. Da aber Karl 1 Parthenope (= Magdeburg) ist der altere Name Neapels. 2 liber diesen Pass ftilirte darnals nur ein Saumweg. 1799. 1799. 1799 bis 1801. 174 Dritter Zeitraum. 1800. 1800. 1801 his 1825. 1802. seinem Auftrage gemafi die Schweiz bereits verlassen hatte, so stiehen die Russen iiberall auf den Feind und mussten sich unter aufier- ordentlichen Strapazen den Riickzug nach Graubiinden erkampfen, von wo sie den Weg in die Heimat nahmen. Erzherzog Karl legte aus Unwillen das Commando nieder, und bald darauf trat Paul von der Coalition zuriick. So standen die Dinge, als Bonaparte aus Agvpten zuriickkehrte und als Consul an die Spitze des Staates trat; alsbald griff er in den Krieg ein und entschied ilin zu Gunsten Frankreichs. Wahrend er Moreau nach Suddeutschland scbickte, ubernahm er selbst das Commando in Italien. Gerade damals fiel Genua in die Hande des bsterreichischen Generals Melas, der somit die Wahl hatte, sich daselbst belagern zu lassen oder sich den Riickzug zu erzwingen. Da er sich fiir das letztere entschied, so kam es zur blutigen Schlacht bei Marengo 1 (1800), die bereits fiir die Osterreicher ge- wonnen war, als der verwundete Melas das Commando dem General Zach iibergab, die Truppen die Verfolgung einstellten und Bonaparte mit Hilfe neuer Streitkrafte den Sieg errang. Melas musste sich nach Mantua zuriickziehen. In Suddeutschland hatte Erzherzog Johann, der achtzehnjahrige Bruder des Kaisers, die Fuhrung des Heeres ubernommen; er wurde aber von Moreau bei Hohenlinden vollstandig besiegt, so dass die Franzosen bis iiber die Enns vorriickten. Nunmehr schloss Franz II. den Frieden von Lunčville, der den von Čampo Formio bestatigte; iiberdies wurde das linke Rheinufer an Frankreich abgetreten. Bald folgte auch der Friedensschluss mit Russland, wo kurz vorher Paul L wegen seines Grofienvvahnes durch eine Adelsverschworung ermordot worden war und sein Solin Alexander I. (1801—1825) den Thron bestiegen hatte. Endlich kam im Jahre 1802 zwischen England und Frankreich der Friede von Amiens zustande; ersteres verstand sich darin zur Herausgabe der meisten eroberten Colonien und der Insel Malta, die es den Franzosen entrissen hatte, hielt aber die letztere Bestimmung n-icht ein. 4. Die wichtigsten Folgen des zweiten Coalitionskrieges. a) Deutschland. Dem Luneviller Frieden zufolge wurden von den Fiirsten, die durch die Abtretung des linken Rheinufers Verluste erlitten, nur die weltlichen entschadigt; es geschah dies nach 1 Wichtigkeit der Lage von Novi, Marengo, Alessandria (II. 128) im Norden des Bocchetta.passes. Erriclitung des Consulates. 175 langem Schachern auf Kosten der geistlichen Fiirsten und der Reichsstadte, die sacularisiert, bezw. mediatisiert wurden, durch den Reichsdeputations - Hauptschluss (1803). Es verschwanden dem- nach alle geistlichen Furstenthiimer mit Ansnalime eines einzigen, das fiir den «Kurerzkanzler» Freiherrn von Dalberg, einen hoch- gebildeten, aber charakterlosen Mann, aus den Resten von Mainz, dem Bisthume Regensburg und der Reichsstadt Wetzlar gebildet wurde, ferner alle 52 Reichsstadte aufier Hamburg, Bremen, Liibeck, Frankfurt, Niirnberg und Augsburg. Am meisten gewannen PreuBen (am Niederrhein) und die grbBeren Mittelstaaten; Osterreich erhielt die Štifte Brixen und Trient, die ubrigens schon seit Jahrhunderten von den Habsburgern ganz abhangig waren. Jener Hauptschluss, welcher auch den Reichsrittern und den Reichsdorfern ein Ende machte, bedeutet die grči G te Erschiitterung, die das Reich seit Jahr¬ hunderten durchgemacht hatte, beseitigte aber vvenigstens eine Anzahl lebensunfahiger Staatswesen. h) Italien. Die cisalpinische Republik wurde durch die An- gliederung Parmas erweitert, nunmehr die italienische genannt und von Bonaparte als ihrem Prasidenten verwaltet. Der Herzog von Parma erhielt Toscana, dessen friiherer GroBherzog mit Salzburg entschadigt wurde, und der Herzog von Modena den osterreichischen Rreisgau, in Rom wurde die Herrschaft des Papstes und in Neapel die der Bourbons wieder hergestellt. c) Die Schweiz. Hier beseitigte Bonaparte den Gegensatz zwischen den Anhangern der alten (federativen) und der neuen (centralistischen) Verfassung durch die Mediationsacte, eine seiner glticklichsten Schopfungen, die einen vermittelnden Standpunkt einnahm. D. Der Sturz des Directoriums, das Consulat und die Errichtung des Kaiserthums (1799 — 1804). 1. Sturz des Directoriums. Im Vertrauen auf die Stimmung des Volkes und im Einvernehmen mit zwei Directoren wagte Bonaparte einen Monat nach seiner Landung in Frankreich einen Staatsstreich. Es wurden namlich auf Beschluss der Zweihundertfunfzig wegen angeblicher Gefahrdung durch die Jakobiner die beiden Rathe nach St. Cloud verlegt und Bonaparte mit ihrem Schutze betraut. Hierauf dankte ein dritter der Directoren ab, und die beiden iibrigen wurden verhaftet (am 18. Brumaire = 9. November 1799). Am folgenden 1803. 1799 bis 1804. 1799. 176 Dritter Zeitraum. Tage suchte Bonaparte die Leiden Kammern fiir sich zn gewinnen, es gelang ihm dies aber nur im Rathe der Alten, wahrend er von den Fiinfhundert mit Schmahungen empfangen wurde, so dass er wie ohnmachtig einem seiner Grenadiere in die Arme sank und nur durch die Geistesgegenwart seines Bruders Lucian, der als Prasident die Sitzung eilends schloss, gerettet wurde. Nachdem er sich in der Mitte seiner Soldaten wieder erholt hatte, liefi er den Rath der Fiinfhundert auseinandersprengen und sodann sich und den beiden gewonnenen Directoren durch seine Anhanger in der Kammer die Regierung iiber- tragen. So kam die Consularverfassung zustande. Ihr zufolge er- hielt Bonaparte als erster Consul die hochste Gewalt auf zehn Jahre, wahrend die beiden anderen Consuln nur eine berathende Stimme hatten. Die legislative Gewalt wurde dem Tribunale und dem ge- setzgebenden Kbrper ubertragen; das erstere bestand aus 100 Mit- gliedern und hatte die Gesetze zu berathen, der letztere aus 300 und hatte sie ohne Debatte anzunehmen oder zu verwerfen. Aufierdem erhielt der Senat die Obhut tiber die Verfassung; da seine Mitglieder vom Consul ernannt wurden, waren sie auch von ihm abhangig. 2. Das Consulat (1799 — 1804). Als Bonaparte die Regierung iibernahm, waren der Staatsschatz ohne Geld, die Kirche ohne Priester, die Schule ohne Lehrer, die Armen ohne Nahrung, die Beamten ohne Befehle; auf allen diesen Gebieten wurde in kurzem Wandel geschaffen. Das erreichte Bonaparte durch seine auBer- ordentliche Arbeitskraft (vier bis fiinf Stunden Schlaf genugten ihm), seinen unvergleichlichen Scharfsinn und sein staunenswertes Ge- dachtnis; daher sagte auch Sieves gleich nach seinem ersten Ge- sprache mit ihm: «Wir haben jetzt einen Herrn; Bonaparte weifi, kann und thut alles.s Er gestattete den Emigranten die Riickkehr, 1 wenn sie auf ihre verkauften Giiter verzichteten, fiihrte gleiche Vertheilung der Steuern ein, steigerte durch Sparsamkeit und Ordnung die Einkunfte und sicherte Leben und Eigenthum der Bewohner. Er zog Angehorige aller Parteien an sich, wofern sie nur die neue Verfassung anerkannten (L 261); freilich niitzte er sie auch bis zur Erschopfung aus. Durch den Abschluss eines Concordates mit Pius VIL (1801) stellte er die katholische Kirche wieder her und gewann die Herrschaft tiber sie, indem der Papst 1 Beim Beginne des Consulates zahlten die Emigrantenlisten 146.000 Personen; dazu kamen noch 2- bis 300.000 ilirer Angehorigen, die aller Redite und alles Vermogens beraubt waren. Napoleon I. 177 auf die Kirchengiiter verzichtete und ihm das Redit einraumte, die Bischofe und Pfarrer zu ernennen. Es fehlte freilich nicht an Verschworungen gegen sein Leben, die theils ven den Republikanern, theils von den Royalisten aus- giengen; glucklicher als Caesar, fiel er ihnen nicht zum Opfer. Den Versuch der Royalisten, ihn mittelst der «Hollenmaschine» zu todten, benutzte er zur Verbannung der starrsinnigen Republikaner; ein zweiter royalistischer Anschlag endete mit der Hinrichtung der Radelsfiihrer und der Ermordung des jugendlichen Herzogs von Enghien aus dem Hause Bourbon, den Bonaparte als angeblichen Mit- schuldigen in Baden verhaften und unter Verholinung aller Rechts- begriffe erschiefien liefi. Um die Zahl seiner Anhanger zu vermehren, errichtete er den Orden der Ehrenlegion fiir hervorragende Verdienste. 3. Errichtung des Kaiserthums. Nachdem Bonaparte bereits im Jahre 1802 durch eine Volksabstimmung (Plebiscit) zum lebens- langlichen Consul mit dem Rechte, seinen Nachfolger zu bestimmen, erwahlt worden war, wurde er im Jahre 1804 vom Tribunale zum erblichen Kaiser der Franzosen 1 2 ausgerufen; der Senat stimmte bei, und eine Volksabstimmung bestatigte den Beschluss. Er nannte sich Napoleon I., liefi sich vom Papste in Pariš salben und setzte sich sodann selbst die Krone auf (2. December 1804). Die republi- kanischen Formen in seiner Umgebung horten nunmehr auf; denn wenn er auch fiir seine Person soldatische Einfachheit liebte, 3 so umgab er sich doch mit einem glanzenden Hofstaate; dessen Mit- glieder bildeten nicht nur seine tiichtigsten Beamten und Generale, die er mit dem Herzogs-, Fiirsten- und Grafentitel auszeichnete, sondern auch Sprossen des alten Adels. Die Verfassung wurde ent- sprechend abgeandert, den Kammern fast jeder Einfluss genommen, die christliche Zeitrechnung wieder liergestellt, dagegen liefi er die Beseitigung der Feudallasten, die Gleichberechtigung aller Burger und die Offentlichkeit des Gerichtsverfahrens unangetastet. Diese Grund- satze kamen auch in dem neuen biirgerlichen Gesetzbuche, dem Gode Napoleon, zum Ausdrucke, das er durch die beruhmtesten Rechts- gelehrten ausarbeiten liefi. So endete die franzosische Revolution wie die romische (I. 269) und die englische (S. 101) mit der Errichtung der Militarherrschafi; auch bedurfte der ganzlich zerriittete Staat vor allem einer starken Autoritat. 1 Nicht zum «Kaiser von Frankreich*, veil er gewahlt var. 2 Im ancien regi m e (unter Ludvig XVI.) kostete der Hoflialt jahrlich 45, 1795-96 die Verpflegung des Pariser Pobels 1200, der Hofhalt Napoleona nicht ganz drei Millionen Francs. 1802. 1804. Z e eh e, Geschichte der Neuzeit. 12 178 Dritter Zeitraum. IV. Die revolutioniiren Eingriffe Napoleons I. in die staatliche Ordnung Europas bis zu seinem Sturze (1805 — 1815). Wahrend Napoleon fiir Frankreich die Revolution schloss, er- offnete er sie erst recht fiir das tibrige Europa, indem er die bis- herigen Verhaltnisse durch zahlreiche Kri ege umstiirzte. Diese lagen nicht im Interesse Frankreicbs, dem er immer neue Opfer auf- erlegte; 1 er fiihlte sich daher jetzt aucb nicbt mehr als Franzose, sondern als internationaler Gewaltherrscher, dem zur Befriedigung seiner schrankenlosen Herrschsucht alle Mittel als erlaubt galten. 1805. A. Der dritte Coalitionskrieg (1805). 1. Veranlassung. Die Friedensbedingungen von Amiens wurden weder von England noch von Frankreich genau eingebalten, ja Napoleon reizte jenes iiberdies durch die Besetzung Hannovers. Da er noch dazu in Boulogne grobe Riistungen veranstaltete, als ob er England anzugreifen beabsichtigte, so schloss Pitt mit Schweden, Rnssland und Osterreich eine neue Coalition, der spater 1804. auch Neapel beitrat. Kaiser Franz, der am 10. August 1804 als Franz L seine Lander zum Kaiserthum Osterreich vereinigt hatte, furchtete fiir seine venetianischen Besitzungen; denn Napoleon hatte sich nicht nur zum Konige von Italien erklart (1805), sondern auch die ligurische Republik mit Frankreich verbunden. Spanien, Baden, Wurttemberg und Bayern leisteten ihm Vasallendienste, PreuBen dagegen blieb auch jetzt neutral. 2. Verlauf des Krieges. Wieder wurde der Krieg in Sud- deutschland und in Italien gefiihrt, die Entscheidung fiel jedoch diesmal auf dem nordlichen Schauplatze. Kaiser Franz iibergab dem Erzherzoge Karl den Oberbefehl in Italien und dem General Mačk in Suddeutschland, wahrend Napoleon fiir sich den letzteren Schauplatz wahlte und Massena gegen Karl entsendete. Ohne die Ankunft der Russen abzuwarten, drang der unfahige Mačk bis Ulm vor und blieb daselbst sogar stehen, als die Franzosen bereits liber ihn hinaus nach Osten vorgedrungen waren, so dass er vollkommen eingeschlossen wurde und sich ergeben musste. Napoleon riickte nun rasch in Osterreich ein, nahm Wien ohne Widerstand und zog 1 Napoleons Minister Talleyrand sagte einst zum Kaiser Alexander I.: ♦Der Rhein, die Alpen und die Pyreniien sind die Eroberungen Frankreichs, der Rest nur die des Kaisers.« Die Kriege von 1805 bis 1815 kosteten Frankreich un- gefa.hr 1,700.000 Menschen. Der dritte Coalitionskrieg. 179 hierauf nach Miihren, wo sich die Osterreicher mit den Russen ver- einigt hatten. Hier erfocht er (mit 65.000 gegen 82.000 Mann) bei Austerlitz (2. December 1805, Dreikaiserschlacht) einen seiner schbnsten Siege, womit auch der Feldzug entschieden war. Denn der Sieg Karls bei Caldiero anderte an dem Ausgange des Krieges nichts, und der grobe Sieg der englischen Flotte iiber die franzosisch- spanische bei Trafalgar kam der Coalition selbst nicht zugute; denn er vernichtete zwar die franzosische Flotte, hatte aber nur fur England eine Bedeutung, das freilich Nelson in dieser Schlacbt verlor 3. Friedensschluss und Auflosung des deutschen Reiches. Bald nach der Schlacht bei Austerlitz schloss Kaiser Franz mit Napoleon den Frieden von Pressburg, in dem er ein Fiinftel seines Reiches verlor. Er musste namlich die Erwerbungen beim Friedens- schlusse von Čampo Formio an Italien, Tirol an Bayern und die Besitzungen in Siiddeutschland an Bayern, Wiirttemberg und Baden abtreten; als geringen Ersatz hiefiir erhielt er Salzburg. Bayern und Wurttemberg erhob Napoleon zu Konigreichen, Baden zu einem Grobherzogthum und trat verschiedene Gebietsveranderungen in Deutschland. Dem Konige beider Sicilien entriss er Unteritalien, das er seinem Bruder Josef als Kbnigreich Neapel ubergab, die bata- vische Republik verwandelte er in das Konigreich Holland, dessen Krone sein Bruder Ludwig erhielt. Mit Russland schloss er zu Pariš Frieden (1806), England setzte auch nach dem Tode Pitts (f 1806) den Krieg mit Napoleon fort. Bald darauf erfolgte die Auflosung des romisch-deutschen Reiches (II. 89). Es sagten sich namlich 16 Fiirsten «von ihrer bisherigen Verbindung mit dem deutschen Reicliskorper® los, schlossen den Rheinbund (S. 105) und stellten Napoleon als dem Protector des Bundes ihre Truppen zur Verfugung. Noch in demselben Jahre (1806) legte Franz infolge der Drohungen Napoleons die deutsche 1806. Kaiserkrone nieder. Napoleon betrachtete sich bereits als den Herrn von ganz Deutschland; so liefi er den Nurnberger Buchhandler Palm erschiefien, als sich dieser weigerte, denVerfasser der bei ihm erschienenen Schrift «Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung* zu nennen. B. Der vierte Coalitionskrieg (1806 und 1807); der Sturz und die Wiedererhebung PreuBens. 180 1. Veranlassung. Friedrich Wilhelm III. hatte sich nach der Schlacht bei Austerlitz von Napoleon uberreden lassen, gegen Ab- tretung von Ansbach und Cleve Hannover anzunehmen, wodurch er sich mit England verfeinden musste. Als nun aber Napoleon England 12* 180 Dritter Zeitraum. die Zuriickgabe Hannovers in Aussicht stellte und so den fried- liebenden Konig geradezu verhohnte, gewann in Berlin die Kriegs- partei das Ubergewicht, zn der auch die edle Kbnigin Luise ge- horte. Einige norddeutsche Ftirsten schlossen sich an Preufien an. 2. Jena und Auerstadt (1806). Napoleon drang durch das Saalethal in Thuringen ein und schlug in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstadt den iiberraschten Feind vollstandig. Der Eindruck dieser Niederlage war so grofi, dass allerorten Verwirrung einriss; die starksten Festungen, wie Stettin, Kuštrin und Magdeburg, er- gaben sich fast ohne AViderstand; 1 nur Bliicher hielt sich in Liibeck, bis er kein Brot und keine Munition mehr hatte, und Kolberg wurde vom Major Gneisenau, dem Lieutenant Schi.ll und dem wackeren Burger Nettelbeck erfolgreich vertheidigt. AVahrend Friedrich AVilhelm mit seiner Familie nach Konigsberg floh, besetzte Napoleon Berlin. Hier verfiigte er die Continentalsperre, der zufolge den seinem Ein- flusse unterworfenen Landern aller Handel und Briefverkehr mit England verboten wurde; letzteres solite dadurch materiell vernichtet werden, doch erreichte er seinen Zweck nicht, weil sich dafiir ein lebhafter Schleichhandel entwickelte. Braunschweig, dessen Herzog Karl Ferdinand (S. 168) bei Auerstadt befehligt hatte, und Hessen- Kassel, dessen Kurfiirst 2 3 * neutral geblieben war, wurden eingezogen, der Kurfiirst von Sachsen dagegen erhielt den Konigstitel und trat dem Rheinbunde bei. 3. Napoleons Kampf mit der vierten Coalition; der Friedens- schluss und seine Folgen. Nunmehr traten Russland, Schweden und England auf die Seite PreuBens, das in einem Vertrage mit dem letzteren Staate auf Hannover verzichtet hatte. Napoleon kampfte gegen Preufien und Russland zum erstenmal unentschieden 1807. bei Eylau (1807), siegte aber dann bei Friedland iiber die Russen. Nach langen Unterhandlungen schloss endlich Napoleon mit Preufien den Frieden von Tilsit (1807); dieses musste eine hohe Kriegskosten- entschadigung zahlen s sowie alle Gebiete westlich von der Elbe 1 «Das war ein Greueb, schrieb damals Gneisenau, und Napoleon konnte mit Redit sagen: "Die ganze preufiische Monarchie ist in meiner Hand.» 2 Die Landgrafschaft Hessen war durch den «Deputations-IIauptschluss» zu einem Kurfiirstentlium erhoben ivorden. 3 Im ganzen hat Napoleon iiber eine Milliarde Francs aus Preufien ge- zogen, was 13 Brutto - Jahreseinnahmen des damaligen Preufien iibersteigt, wahrend die fiinf Milliarden, die Frankreieh 1871 an Deutschland zahlen musste, beiweitem nicht drei Brutto-Jahreseinnahmen des damaligen Frankreieh erreichen. Der vierte Coalitionskrieg. 181 und alle eliemals polnischen Landestheile mit Ausnahme West- preufiens abtreten, so dass es zn einem Kleinstaate herabgedriickt var. 1 Nachtraglich musste der Konig noch versprechen, seine Armee nie iiber 42.000 Mann zn erhohen. Aus den abgetretenen polnischen Gebieten schuf Napoleon das Herzogthum Warschau, das er dem Konige von Sachsen iibergab; die Lander westlich von der Elbe verband er mit Braunschweig und Hessen zum Konigreiche West- falen, dessen Krone er seinem jungsten Bruder Hieronymus iibertrug. Nunmehr gehorte ganz Deutschland aufier Osterreich, Preufien, Schwedisch-Pommern und Holstein dem Rheinbunde an. Alexander erhielt im Frieden von Tilsit auf Kosten PreuBens das Gebiet von Bialystok; im folgenden Jahre traf er mit Napoleon in Erfurt zusammen und versprach ihm Hilfe, venn er mit Oster¬ reich in Krieg gerathen solite. Napoleon verstand es namlich, auf die Menschen einen fast damonischen Zauber auszuiiben, auch stellte er dem Czaren die Erverbung von Finnland, der Moldau und Walachei und iiberhaupt die Theilung der Plerrschaft liber Europa in Aussicht. Thatsachlich entriss auch Alexander bald darauf den Schweden Finn¬ land, da der wahnvitzige Gustav IV. von Schveden den Krieg gegen Napoleon auch jetzt noch fortsetzte. Gustav vurde aber vom Reichs- rath abgesetzt und sein kinderloser Oheim Karl XIII., der letzte Wasa, zum Konig erhoben. Dieser nahm den franzosischen Marschall Bernadotte an Kindesstatt an, dessen Nachkommen noch jetzt in Skandinavien regieren. Mit England kam es abermals zu keinem Friedensschlusse. 4. PreuBens Wiedererhebung; Karl Freiherr von Stein. Selten vurde eine GroBmacht nach kurzem Feldzuge so niedergeworfen, viel- leicht aber nicht ein zveitesmal mit solchem Ernste an der Wieder- geburt des Staates gearbeitet, vie damals in Preufien; ihre Seele var der charakterfeste Minister Stein. Der Grundgedanke seiner Reformen war, im Sinne A. Smiths alle Krafte des Staates zur Entfaltung zu bringen, um ilm fiir die Zeit der Abrechnung mit Napoleon zu starken. Deshalb wurde die Erbunterthanigkeit der Bauern und der Zunftzwang auf gehoben, den Stadten die W ahl des Biirgermeisters und der Gemeinde- rathe zuerkannt, fiir die Verwaltung der hochsten Staatsamter geistige und sittliche Tiichtigkeit verlangt. Indem er die Bevormundung des Volkes durch die Bureaukratie vervirft, steht sein System im 1 Den Rest des preuBischen Staates lieB Napoleon «nur aus Riicksicht fiir den Czaren und als einen Beweis von Freundscliaft und Vertrauen* bestehen. 182 Dritter Zeitraum. 1808 bis 1813. schroffsten Gegensatze zum Beamten- und Polizeistaate Napoleona. Die Einfiihrung von Reichsstanden setzte er niclit mehr durch, da er von Napoleon geachtet und deshalb vom Konig entlassen wurde; doch fand er in Hardenberg einen wiirdigen Naclifolger. Scharnhorst, der Sohn eines Bauern, begriindete als Kriegsminister die allgemeine Wehrpflicht. Aucb fiir die geistige und sittliche Hebung der Be- volkerung vvurde gesorgt. Trotz der ungiinstigen Finanzlage vvurde hauptsachlich auf Betreiben des Staatsrathes Wilhelm von Humboldt in Berlin eine Universitat errichtet und die grofiten Gelehrten dahin berufen. Der Philosoph Fichte zeigte in seinen «Reden an die deutsche Nation», dass unbeugsame Sittlichkeit zur nationalen Befreiung fiihren miisse, vvahrend Schleiermaclier durch seine Predigten und Schriften die hoheren Stande wieder mit religiosem Sinne erf ulite. Der «Turn- vater» Jahn, damals Gymnasiallehrer in Berlin, forderte die korper- liche Tuchtigkeit der Jugend und patriotische Vereine suchten sittlichen Ernst und nationale Gesinnung zu verbreiten. So zeigte Preufien, was Wissen und Wollen vermiigen, und gieng den weiteren Stiirmen wohlgeriistet entgegen. C. Napoleons Krieg mit Portugal und Spanien (1808—1813). 1. Veranlassung. Da sich Portugal der Continentalsperre niclit fiigen vvollte, liefi es Napoleon besetzen; die Herrscherfamilie hatte sich schon friiher nach Brasilien eingeschifft. Hierauf beniitzte er ein Zerwiirfnis zwischen dem Konige Karl IV., dem Nachfolger Karls III., und seinem Soline Ferdinand, um durch ein schmahliches Rankespiel die spanische Krone zu gevvinnen. Er veranlasste namlich beide, nach Bayonne zu kommen, bestimmte sie daselbst zur Ver- ziclitleistung auf die Krone und nahm den widerstrebenden Ferdinand gefangen. Zum Konige von Spanien maclite er seinen Bruder Josef, vvahrend er Neapel seinem Schvvager Murat verlieh. 2. Verlauf des Krieges. Das Vorgehen Napoleons rief die grofite Erbitterung der Spanier hervor, so dass sie sich zur Be- kampfung der Gevvaltherrschaft erhoben. Sie fanden Unterstiitzung an den Englandern, die unter dem «eisernen Herzoga Wellington die Franzosen aus Portugal verdrangten und es infolge der gltick- lichen Vertheidigung von Torres Vedras auch gegen die spateren Angriffe Massenas behaupteten. Indem Napoleon die Incpiisition und zwei Drittel aller Kloster aufhob, die Kirchengiiter einzog und den Kirchenstaat besetzte, reizte er den Clerus zum lebhaftesten Krieg in Spanien und Portugal. 183 Widerstande; dieser entflammte das Volk zum aubersten Kampfe und befehligte theilweise auch die einzelnen Streifscharen (Guerillas), die dem Feinde im kleinen vielen Schaden zufugten (L 223), wahrend gleichzeitig die heldenmiithige Vertheidigung Saragossas die franzosischen Streitkrafte beschaftigte. In den einzelnen Stadten bildeten sich zur Organisierung des Volkskrieges Ausschusse («Junten»), die sich der Centraljunta in Sevilla unterstellten; diese fuhrte namlich fur Ferdinand die Regierung. Wie die Volksmassen durch die Geistlichkeit, sollten die gebildeteren Kreise durch die Aussicht auf politische Freiheiten fur den Krieg begeistert werden; deshalb berief die Centraljunta die Cortes nach Cadix, wo diese auch eine freisinnige Verfassung beschlossen (1812). Spanien kam der Umstand zugute, dass Napoleon einen Theil seiner dortigen Truppen fur den Kampf mit Osterreich und Russland herausziehen musste; Wellington konnte infolge dessen durch den Sieg bei Vitoria (1813) den vollstandigen Abzug der Franzosen erzwingen. Bald darauf erhielt Ferdinand die Freiheit. Der spanische Krieg hat die grobe Bedeutung, dass ein ganzes Volk (nicht, wie bisher, geschulte Truppen) Widerstand leistete und so der Beweis erbracht wurde, dass selbst Napoleon einem solchen Gegner nicht gewachsen var. 1 D. Osterreichs Krieg mit Napoleon (1809). 1. Osterreich nach dem Pressburger Frieden; Erzherzog Karl 2 und Graf Stadion. Nach dem dritten Coalitionskriege wurden auch in Osterreich militarische und politische Reformen vor- genommen; die Seele der ersteren war der Erzherzog Karl, die der letzteren der Minister Graf Philipp Stadion. Karl war urspriinglich vegen seiner Korperschwache fur den geistlichen Stand bestimmt. Enter der Leitung seiner hochsinnigen Tante, der Erzherzogin Christine von Sachsen-Teschen, die ihn an Kindesstatt annahm, entfalteten sich seine reichen Geistes- und Gemuthsanlagen in der schonsten 1 liber die Art des Krieges schrieb ein deutscher Officier aus Spanien: «Hier gilt nichts als Sieg oder Tod und am Ende — doch der Tod.» 2 Ausgewahlte Schriften weiland Sr. kais. Hoheit des Erzherzogs Karl, herausgegeben im Auftrage seiner Sobne, der Herren Erzherzoge Albrecht und Wilhelm, 6 Bde., Wien und Leipzig, 1893-95. — H. von ZeiBberg, Erzherzog Karl von Osterreich, I., Wien 1895. — E. ~Wertheimer, Geschichte Osterreichs und Ungarns im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, 2 Bde., Leipzig 1884-90. 1812. 1813. 1809. 184 Dritter Zeitraum. Weise. Nachdem er bereits in den ersten zwei Coalitionskriegen treffliche Dienste geleistet hatte, wurde er Hofkriegsraths-Prasident uri d Generalissimus, d. h. Oberbefehlshaber der gesammten Heeres- macht. Als solcher schuf er ein neues Exercier- und Dienstreglement; bei Abfassung des letzteren lieB er sich von dem Grundsatze leiten, dass «Ehrgefuhl die Seele des Soldaten ist». Mit schopferischem Geiste verfuhr er bei der Griindung der Landwehr, die spater von anderen Staaten nachgeahmt wurde, wahrend sie in Osterreich bald wieder verfiel. Er war ein ideal angelegter, wissenschaftlich hoch- gebildeter Mann, der seinen Feinden mit riicksichtsloser Offenheit entgegentrat. Sein Wahlspruch war: , und als er von den osterreichischen Rustungen horte, schrieb er an die Rheinbundfiirsten, «das Wiener Cabinet scheine das Wasser der Lethe zu trinken*. Zuletzt veranlasste die Frage der Anerkennung Josefs als spanischen Konigs die osterreichische Kriegs- erklarung; sie erfolgte, als Napoleon in den spanischen Krieg ver- vvickelt war, vvenige Monate, bevor er Pius VIL wegen dessen Weigerung, sich mit ihm gegen England zu verbinden, des Kirchen- staates beraubte und als Gefangenen nach Frankreich abfiihrte. 3. Verlauf des Krieges. Kaiser Franz stellte drei Armeen auf: die eine unter Erzherzog Karl riickte in Bayern ein, die zweite unter Erzherzog Johann in Italien, die dritte unter Erzherzog Osterreichs Krieg im Jahre 1809. 185 Ferdinand von Modena, der sich vor der Katastrophe bei Ulm mit der Reiterei durchgeschlagen hatte, in Galizien zum Kampfe gegen Russland. Karl erliefi einen feurigen, von Gentz verfassten Aufruf an die Deutschen; aber seine Worte ziindeten mir in Tirol und beim preufiischen Major Schill, der mit einem Regimente zur Befreiung Norddeutschlands auszog, jedoch beim Strafienkampfe in Stralsund fiel. Dagegen verstarkten die Rheinbundfiirsten abermals Napoleons Reihen. Dieser zog nach Bayern und drangte durch eine Reihe von Gefechten bei Regensburg 1 2 Karl uber die Donau zurjick, der dann durch Bohmen ins Marchfeld einriickte, wahrend General Hiller im Siiden der Donau seinen Riickzug nahm und bei Ebels- berg dem weit starkeren Feinde tapferen Widerstand leistete, ohne ihn jedoch im Vormarsche auf Wien hindern zu konnen. Als aber Napoleon unterhalb Wiens uber die Donau setzte, trat ihm Erzherzog Karl mit 75.000 gegen 90.000 Mann bei Aspern und Essling entgegen und brachte ihm nach hartnackigem Kampfe (Aspern wurde von den Franzosen 22mal genommen und verloren) am 21. und 22. Mai eine Niederlage bei: zum erstenmale hielt ein einzelner Staat dem Schlachtenmeister stand. Die Entscheidung gab die Infanterie; denn obwohl sie von 8000 Panzerreitern angegriffen wurde, liefi sie doch am ersten Schlachttage den Feind bis auf zehn Schritte heran- sprengen und brachte ihn am zweiten, begeistert durch das Beispiel Karls, der sich mit der Fahne in der Hand an ihre Spitze stellte, zum Weichen. Leider verhinderte das Anschwellen der Donau und der Mangel an Schiffen die Verfolgung Napoleons. Grofi war die moralische Bedeutung dieses Sieges: Napoleon hatte den Zauber der Uniiber- windlichkeit eingebiifit, in ganz Europa rief die Nachricht hievon einen gewaltigen Eindruck hervor, Napoleon selbst nannte bald darauf Osterreich eine «teufelsmafiig starke Macht». In Italien siegte zwar Johann uber Eugen Beauharnais, den Stief- sohn Napoleons, bei Bacile, verliefi aber darauf Italien, um seinen 1 Bei dem Rtickzuge aus einem dieser Gefechte sprengte ein osterreichischer Grenadier einen Pulverwagen und zugleich sich selbst in die Luft, um seine Kameraden zu retten. 2 Napoleon sagte selbst zu seinem Bruder Josef: «Ihr habet die Osterreicher bei Aspern nicht gesehen, darum habet ihr eben nichts gesehen.» Sie war die relativ blutigste Schlacht des Jahrhunderts, da die Kampfenden 38 Procent Ver- luste hatten. Kaiser Franz Josef lieB das Erzherzog Karl-Denkmal in Wien und den Ldwen bei Aspern (beide von Fernkorn) errichten. 186 Dritter Zeitraum. Bruder zu unterstiitzen. Semen Riickzug deckten die wackeren Sol- daten, welche die Befestigungen bei Malborget und am Predil unter der Fiihrung der Hauptleute Hensel und Hermann mit. bewunderns- werter Todesverachtung vertbeidigten. 1 Da ihm aber auf dem Marsche iiber den Semmering Eugen zuvorkam, strebte Johann die Vereinigung mit seinem Bruder iiber Ungarn an, doch gelang sie ihm nicht, weil er bei Raab infolge der Flucht eines Theiles der ungarischen Insurrections-Cavallerie von Eugen geschlagen wurde. Inzwischen griff Napoleon den Erzherzog Karl mit 180.000 gegen 128.000 Mann bei Wagram (II. 164) an und drangte ihn nach zweitagigem Kampfe auf Znaim zurtick. 4. Friedensschluss. Da Franz keinerlei Unterstiitzung zu er- varten hatte und eine Seuche im Heere wiithete, so musste er die Hand zum Frieden bieten; dieser wurde zu Wfez2 (Schonbrunn) abgeschlossen und bestimmte: Osterreich tritt Salzburg an Bayern, Westgalizien (S. 148) an das Herzogthum Warschau, das Gebiet um Tarnopol an Russland, endlich Oberkarnten, Krain, Gorz, Triest, Oster- reichisch-Istrien, das Kustenland um Fiume und Kroatien bis an die Save an Napoleon ab; diese Gebiete wurden mit Venetianisch- Istrien und Dalmatien zum Konigreich Illyrien verbunden und durch einen Generalgouverneur, der seinen Sitz in Laibach hatte, verwaltet. Osterreich war somit der Meereskiiste beraubt; auherdem musste es 85 Millionen Francs Kriegskosten zahlen und seine Armee auf 150.000 Mann beschranken. Nach der Niederlage bei Wagram trat Erzherzog Karl fiir immer ins Privatleben zuriick und beschaftigte sich bis zu seinem Tode (f 1847) mit den Wissenschaften, an Stadions Stelle trat Metternich, womit die Reformthatigkeit in Osterreich aufhorte; die trostlose Finanzlage hatte schon lange zur Entwertung des Papiergeldes («BancozetteD) gefiihrt und veranlasste im Jahre 1811 einen Staatsbankerott, durch den die Zinsen der Staatsschuld auf die Halfte herabgesetzt wurden. Am schlimmsten war die moralische Wirkung auf die Bevolkerung, da diese in die friihere Gleichgiltig- keit zurucksank. 5. Kampf in Tirol. In alter Treue und Anhanglichkeit an die Habsburger erhoben sich die Tiroler gegen die bayrische Herrschaft, die wegen der Einfiihrung der «Conscription», der Aufhebung der 1 Kaiser Ferdinand I. lieB zu Ehren der Tapferen an beiden Orten einen L6wen aufstellen. Napoleon auf seinem Hohepunkte. 187 Landstande und Kloster und anderer Neuerungen im ganzen Lande («Sudbayern») tief verhasst war. An die Spitze des Aufstandes trat Andreas Hofer, Pferdehandler und Gastwirt -zum Sand® im Passeier- thale, der wegen seiner Biederkeit, Frommigkeit und Tapferkeit allgemein beliebt war; neben ihm zeichneten sich besonders der ver- wegene Josef Speckbacher («der Mann von Rinn») und der feurig- kuhne Kapuziner Joachim Haspinger («Pater Jocliem®) aus. Durch Feuerzeichen auf den Bergen wurde die Zeit der Erhebung kund- gemacht und unter der groBten Verschwiegenheit der Kampf zugleicli an verschiedenen Stellen eroffnet. Dreimal (im April, Mai und August) gelang es den Bauern, die Franzosen und Bayern, die mit wilder Grausamkeit kampften, am Berge Isel zu schlagen, und dreimal riickte Hofer in die Hauptstadt ein. Aber durch den Ausgang des Krieges gegen Napoleon wurde auch das Schicksal Tirols besiegelt. Im Frieden von Wien ward den Tirolern Amnestie zugesagt, wenn sie die Waffen niederlegten; wahrend die meisten dies thaten, liefi sich Hofer von Haspinger und anderen bereden, nochmals zum Kampfe aufzufordern, gewann aber keinen grofien Anhang mehr. Deshalb fliichtete er sich in eine Sennhiitte, gerieth aber mit Hilfe des Verrathers Raffel in die Han de der Franzosen; er wurde mit roher Grausamkeit behandelt und in Manina auf Befehl Napoleons erschossen (1810). 1 Ruhig sah er dem Tode ins Auge und starb als Held; spiiter wurden seine Gebeine nach Innsbruck uberfiihrt und in der dortigen Hofkirche beigesetzt. Um die Widerstandskraft der Bevolkerung zu brechen, wurde Tirol in drei Theile zerstiickelt, die mit Bayern, Italien und Illyrien verbunden wurden. Die Vorarlberger hatten unter der umsichtigen Anfuhrung des Advocaten Schneider die feindlichen Truppen zuriickgedrangt und gliickliche Streifzuge nach Bayern unternommen. E. Napoleon auf dem Hohepunkte seiner Macht (1810—1812). 1. AuBere Politik. Napoleon machte in den Jahren 1810—1812 auch im Frieden Eroberungen (S. 94). Als sein Bruder Ludwig auf Holland verzichtete, weil er dieses nicht durch die Einhaltung der Continentalsperre zugrunde richten wollte, schlug es Napoleon zu Frankreich; bald darauf vereinigte er damit auch Bremen, Liibeck, ' Immermann, «Das Trauerspiel in Tirol«; Mosen, «Zu Mantua in Banden« ; Schenkendorf, «Als der Sandwirt von Passeier« ; Wickenburg, »Tiroler Helden«. Auf dem Isel wurde ein Hofer-Denkmal (von Natter) errichtet. 1810 bis 1812. 188 Dritter Zeitraum. Hamburg, Oldenburg und einen groben Theil Hannovers. Diese Einziehungen erklarte er als durch die Umstande geboten. Als er auch den .Canton Wa77/s mit Frankreich verband, umfasste dieses 130 Departements. Bald, glaubte er, werde er der Herr der Erde sein. 1 2. Innere Politik. Napoleon strebte immer riicksichtsloser nach einer schrankenlosen Gewalt; er stiitzte sich hiebei auf das Heer, ferner auf die Geistlichen, die Biirgermeister (Maires) und die Pra- fecten (die Vorstande der Departements), die alle von ihm ernannt vurden. Er sagte selbst: «Mit meinen Prafecten, Gendarmen und Priestern thue icli in Frankreich, was ich will.» So gelang es ihm, den bestgeordneten Absolutismus der neueren Zeit aufzurichten, 2 3 es war der scharfste Gegensatz zur Verwaltung vom Jahre 1790. Die oppositionellen Zeitungen unterdriickte er, Literatur und Theater wurden, durch die strengste Censur iiberwacht, 8 literarische Person- lichkeiten, die er fiirchtete (Chateaubriand, Frau von Stael), mussten Frankreich verlassen; von Wissenschaft und Kunst dachte er gering, die Gelehrten verspottete er als «Ideologen». Je mehr Napoleon erreicht hatte, desto schmerzlicher fiihlte er den Mangel eines Leibeserbens, da seine Ehe kinderlos blieb. Deshalb schied er sich von Josephine und vermahlte sich mit Maria Luise, der Tochter des Kaiser s Franz, was in ganz Europa als Friedens- biirgschaft begrilLit wurde. Kaum schien sein Gliick durch die Geburt eines Sohnes, dem er die stolze Bezeichnung «Konig von Rom» in die Wiege legte, 4 * * vollendet, da erfolgte sein jaher Sturz. 1812. F. Napoleons Krieg mit Russland (1812). 1. Veranlassung. Nachdem Napoleon der Herr von Mitteleuropa geworden war, glaubte er auch Alexander nicht langer schonen zu miissen. Er verletzte ihn besonders 1.) durch die Vergroberung des Herzogthums Warschau, die den Anschein erweckte, als ob Napoleon 1 Im Jahre 1811 sagte Napoleon zum bayrischen General Wrede: «Encore trois, ans et je serai le maitre de l’tlnivers.» 2 Napoleon selbst sagte einmal: «Die Franzosen brauchen nur Ruhm und die Befriedigung ihrer Eitelkeit, von der Freiheit verstehen sie nichts.» 3 In den Hansestadten durften die Gottorp t 1694 Ludwig, Karoline Kbnig v. Holland (Gemahl: Joachim Mur t 1846 Kbnig v. Neapel f1815) Georg IV. Wilhelm IV. Eduard t 1830 f 1837 । Karl Friedrich (Gemahlin: Anna, Tochter Peter s I. u. Mutter Peters III.) Christian I. Unionskbnig von Danemark, Norwegen, Schweden und Herzog v. Schleswig-Holstein f 1481 Danemark, Norwegen, Schweden. | Schleswig-Holstein. S. Die russischen I)ynastien Romano^vv und I lolstein-Cottorp. Mehrere Sohne