GERHARD HEILFURTH (11. 7. 1909 - 11. 3. 2006) Als Gerhard Heilfurth am 11. 3. 2006 wenige Monate vor der Vollendung des 97. Lebensjahres — also in einem geradezu biblischen Alter voll reicher Erfüllung — zur letzten Schicht eingefahren ist, wie er es in der von Kindheit an vertrauten Bergmannssprache ausgedrückt haben würde, ist einer der letzten großen Altmeister der Volkskunde in Forschung und lehre von uns gegangen. Besonders die Montanwissenschaft und Montanvolkskunde hat mit ihm sicherlich den prominentesten vertreter ihres Faches verloren. seine im langen leben gesammelten erfahrungen und sein Wort werden fehlen, aber die große Zahl der veröffentlichungen von Gerhard Heilfurth wird künftig dem von ihm bearbeiteten Themenkreis manchen Impuls verleihen als anregung und aufforderung zur Fortsetzung seines inhaltlich scheinbar engen und doch so breit gefächerten Lebenswerks. Bei aller Charakterisierung von Leben und Werk Gerhard Heilfurths stehen zwei Punkte so dominant im vordergrund, daß sie das Bild seiner Persönlichkeit trefflich umreißen. Der eine Punkt ist die feste verbindung mit seiner erzgebirgischen Heimat und die tiefe verwurzelung in ihr und der Geburtsstadt neustädtel bei schneeberg. dem entsprach es auch, daß er noch vor einem Jahr seine einmalige wissenschaftliche Bibliothek der Heimat als verpflichtendes vermächtnis geschenkt hat. mit der ehrenbürgerschaft wurde ihm der dank der Landsleute zu Hause entgegengebracht. dennoch oder um-somehr mutet es wie ein bitterer Wermutstropfen an, daß Gerhard Heilfurth noch in den letzten Lebensmonaten gegen eine ebenso heimtückische wie infame verleumdung in schutz genommen werden mußte. der zweite Punkt ist die mit der Heimatverbundenheit eng zusammenhängende auseinandersetzung mit dem Bergbau, dessen geistiger Welt und den volkskundlichen auswirkungen, die ihn seit seines Lebens beschäftigt haben. die Grundlagen dazu wurden bereits in seiner Kindheit geschaffen. Gerhard Heilfurth entstammte einer alten erzgebirgischen Bergmanns-, Handwerker- und Pfarrerfamilie. damit wurde ihm die bergmännische Welt mit ihrem harten dasein und den Gefahren ebenso wie die daraus resultierende geistige und geistliche Welt frühzeitig vertraut. dazu gehörte sicher auch das erlebnis der Feierabend-schnitz- und Bastelkunst, die er in neustädtel am schaffen des altmeisters Gustav rössel verfolgen konnte. so hat er auch später diesem im Westerzgebirge stark ausgeprägten volkskünstlerischen schaffenszweig eine studie in den mitteldeutschen Blättern für volkskunde gewidmet. der Weg von Gerhard Heilfurth führte vom Besuch des schneeberger Gymnasiums zum studium an den Universitäten Leipzig, Heidelberg und Palermo, wo er sich der Germanistik, soziologie, Philosophie, volkskunde, Geschichte und religionswissenschaft widmete. In Leipzig waren es vor allem der Philosoph Theodor Litt und der sprachwissenschaftler Theodor Frings, die ihn wesentlich beeinflußten. Bei letzterem promovierte er auch 1935 mit einer arbeit über Das erzgebirgische Bergmannslied. Ein Aufriß seiner literarischen Geschichte, die 1936 im Glückauf-verlag in schwarzenberg im druck erschien und 1982 in Frankfurt/ M. eine zweite auflage erlebte. nach dem 1936 abgelegten staatsexamen für das höhere Lehramt folgte die Tätigkeit als assistent am deutschen volksliedarchiv in Freiburg im Breisgau und ein Jahr später an der volkskundlichen abteilung des Germanistischen Instituts der Leipziger Universität. Gerhard Heilfurth kommt damit durchaus eine Pionierrolle zu, nachdem die volkskunde bei aller Inanspruchnahme für die nazistische Ideologie keineswegs eine wünschenswerte vertretung an den deutschen Hochschulen erlebte. einen weiteren schritt zu dieser Konsolidierung bedeutete ein 1938 ergangener Forschungsauftrag vom ruhrberg- bau zu einer umfassenden Darstellung des Bergbaus mit seiner Arbeitswelt und Volkskunde. Es wird darin sicher zu Recht die Geburtsstande für den Aufbau einer QQQuellensamm-lung zur Volkskunde des europäischen Montanwesens gesehen [Karlheinz Hengst, Sächsische Heimatblätter 45, 1999: 5]. Was der unermüdliche Forscher und Initiator dort in den Grundlagen erarbeitete, war für ihn Arbeitsprinzip — wie es auch der Titel Kontakte und Grenzen der ihm zum 60. Geburtstag gewidmeten Festschrift sinnfällig ausdrückt. Dieser programmatischen Haltung entsprach es durchaus, wenn er den volkskundlichen Erscheinungen des Bergbaugebietes von Banska Stiavnica in der Slowakei ebenso sein Augenmerk widmete wie dem Bergbau in Südtirol, um so auf der vergleichenden Basis zu einer übernationalen Einschätzung zu gelangen. Dem entsprach auch der Aufsatz „Erzählüberlieferungen vom Bergbau in Idrija", den er zur Gedenkschrift für Franjo Bas beisteuerte, wie die Rezensionen der von Alfred Quellmalz gesammelten Südtiroler Volkslieder oder von Leopold Kretzenbachers Heimat im Volksbarock willkommene Erweiterung des Blickfeldes bedeuteten. Der Zweite Weltkrieg mit seinem vernichtenden Ausgang bedeutete nicht nur für Gerhard Heilfurth eine einschneidende Wendung. von ihr wurde die gesamte volkskunde betroffen, an deren Neugestaltung er nachhaltigen Anteil haben sollte. Mit der 1943 während eines Fronturlaubs durchgeführten Habilitation legte Heilfurth den Grund für die weitere Nachkriegsarbeit. Es entsprach dabei seiner sozialen Einstellung, daß er sich als Mitbegründer des „Jugendaufbauwerks" zunächst den dringenden Problemen der Nachkriegszeit zuwandte und 1946 den Vorsitz übernahm. Drei Jahre später erreichte ihn der Ruf zur Mitarbeit am Aufbau der Evangelischen Sozialakademie in Friedewald bei Betzdorf, wo er zunächst als Dozent, ab 1952 als Studiendirektor und ab 1954 als Akademiedirektor tätig war. In der gleichen Zeit widmete er sich zugleich als außerplanmäßiger Professor für deutsche Philologie, Volkskunde und Soziologie an der Universität Gießen der Neugestaltung der deutschen Volkskunde. Seine wichtigste bleibende Leistung bleibt der seit 1949 betriebene Aufbau eines kulturwissenschaftlichen Bergbauarchivs und eines Wörterbuchs der Montansprache. Diese erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit fand ihre Fortsetzung nach seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Deutsche Philologie und Volkskunde an der Universität Marburg. Der von Gerhard Heilfurth den zeitlichen Erfordernissen entsprachene betriebene Wandel läßt sich an den Umbenennungen ablesen, die vom „Institut für Europäische Ethnologie und Kulturforschung" über das „Institut für mitteleuropäische Volksforschung" zum „Institut für Europäische Ethnologie und Kulturforschung" führte und das er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1977 leitete. Gerhard Heilfurths für die Weiterentwicklung der Volkskunde fruchtbringende Tätigkeit war sowohl auf eine disziplinübergreifende Betrachtungsweise ausgerichtet, die den Fragen der industriellen Arbeitswelt und der Arbeiterkultur ebenso ihre Aufmerksamkeit widmete, wie sie auf die grenz- und ideologieübergreifende Betrachtung der Volkskunde ausgerichtet war. So sah er es auch als Selbstverständlichkeit an, daß er in den Jahren des Kalten Krieges die alte Heimat nicht vergessen hat und über unterschiedliche Posi- tionen in den beiden deutschen Teilstaaten hinweg als ausgleichende und vermittelnde Kraft wirken konnte. Diese Funktion hat er auch nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des bundesdeutschen Verbandes der Vereine für Volkskunde e. V. beibehalten. In den fortlaufenden Auseinandersetzungen forderte er beispielsweise, jegliche Komplikation zugunsten der Freunde im Osten' zu vermeiden [Petra Weckel, Wilhelm Fraenger, S. 292]. In den gleichen Zusammenhängen heißt es zu Heilfurths Haltung: Mit der Ablösung Dölkers durch Heilfurth bekommt der Verband eine der DDR gegenüber eher positive Tendenz. Heilfurth unterhält stets recht gute Verbindungen zum Akademieinstitut [Petra Weckel, Wilhelm Fraenger, S. 338]. Der in internationalen Dimensionen denkenden Haltung Heilfurths entsprach es, daß er seine Arbeit in internationalen Wissenschaftlichen Gremien einbrachte und auf zahlreichen Auslandsreisen und Gastvorträgen in den verschiedenen europäischen Ländern oder in der ehemaligen Sowjetunion bis nach Afrika, Südostasien, Japan, Mexiko und den USA zugleich als Brückenschläger der Wissenschaft wirkte. Der weite, themen-und länderübergreifende Geist weht nicht minder durch die wissenschaftliche Hinterlassenschaft. Ehrungen und Auszeichnungen, wie die 1959 erfolgte Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes durch den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuß oder die Verleihung der Ehrendoktorwürde 1991 durch die ehemalige Pädagogische Hochschule Zwickau konnten ihm noch zu Lebzeiten die Gewißheit vermitteln, daß sein vielfältiges intensives Wirken Früchte getragen hat. Die Zukunft wird diese Annahme sicher bestätigen. t Friedbert Ficker