Miklosich und die Festschrift zum Jubiläum des Herrn Universitätsprofessors Dr. Franz Xaver Ritter v. Miklosich in Wien. Von Dr. L. WAGNER Pressburg und Leipzig. Commissionsverlag von Karl Starapfel's k. u. k. Hofbuehhandlung. 1883. 6 ST Druck von C. F. Wigand in Pressburg. Da die magyarische Sprache zu einer den übrigen europäischen, nämlich romanischen, germanischen und slawischen Sprachen fremden Sprachfamilie gehört: so bildet die magyarische Sprachwissenschaft die eigentliche magyarische Nationalwissenschaft. Die magyarische Sprachwissenschaft hat bereits im Anfange dieses Jahrhunderts einen sicheren Boden ge- habt. Der eigentliche Begründer der sprachhistorischen Forschung und Methode, so wie der magyarischen wissenschaftlichen Grammatik ist Nicolaus Revai (f 1807 als Professor der magyarischen Sprache und Literatur- geschichte an der Pester Universität). Dieser von der magyarischen Nation hochgefeierte und wegen seines Einflusses auf die magyarische Sprache „der Grosse" zubenannte Sprachforscher, findet in seiner Grammatik der magyarischen Sprache*) die Mittel zur vollständigen *) Elaboratior Grammatica Hungarica. Ad genuinam patrii sermonis indolem fideliter exacta, affiniumque linguarum adminiculis locupletius illustrata. Studio et opera Joannis Nicolai Revai, pres- byteri sec. dioec. Jaurinensis, linguae ac literaturae Hungaricae professoris publ. ord. in regia seientiarum universitate Pestiniensi. Duo volumina. Pestini, typis Mathiae Trattner, 1803—1806. VIII0 976 S. 1* — 4 - wissenschaftlichen Behandlung der Grammatik zuförderst in der Kenntniss deren historischen Entwickelung, dann im Studium der orientalischen und der nördlichen Sprachen. Zu den letzteren gehören nach ihm die lappische, finnische und esthnische Sprache, ferner das Wogulische, Ostjakische und Permische etc., und alle diese sind der magyarischen verwandt. Rdvai äussert sich in dem Abschnitte seiner Gram- matik De linguarum cognatione cum hungarica folgen- der Weise : Ex linguarum cognationibus solent vulgo et gen- tium cognationes inferri: atque hoc argumenti genere itur postea ad evolvandas ipsas etiam earum origines. Sic nimirum factum est: ut et nostrae origines, antea diu a Scythis deductae, recentiore hoc tempore jam ad Fennos referantur. Quidam indigne hoc ferunt; partim, quod humilia putent ista incunabula; partim, quod majores nostros, revera ab Oriente huc ingressos, tarnen cum septentrionalibus jungi, absonum ipsis videatur. Quare, ut primordia nostra in Oriente maneant, idem opponunt argumenti genus, idque multo latius conquisitum, orientalium nempe linguarum cognationem magis diffusam. Verum et hoc aspernantur nonnulli propterea cumprimis: quod ab Hebraeis deduci ab- horreant. Mea de his sententia haec est. Hebraeam linguam, qualis in Sacris Codicibus superest, non esse primigeniam, jam ad evidentiam de- monstraverunt complures viri eruditi.--- — Aetatis quaedam tarnen indicia in nostra sese manifestant, si cum Hebraea conferatur. Nostra enim vocum simpliciore — 5 - forma, illa certe primigenia, Hebraeae et liodie praecel- lit. — — — Ab Hebraeis itaque non descendimus. Jam de Fennicis gentibus illud teneo : eas quidem de eadem, qua nos, esse Stirpe prima, in Oriente sensim in plures propagines latius diffusa. Sed quarum pleras- que migrationum vicissitudines, potentiorumque gentium imperia, jam penitus oppresserunt. Nobis tantum Hungaris, et Fennis, meliora obti- gerunt fata: alteris in septentrionem maturius retrusis; alteris serius, post res in Oriente gestas, in mitiores Europae regiones deductis. Neutri itaque ab alteris descendimus; sed utrique ab altiore origine communi. (p. 45—47.) Revai wandte seine historische Methode lange vor Bopps Auftreten im ersten Bande seiner Antiquitates literaturae hungaricae (1803) mit Erfolg an, einer Arbeit, die für den Sprachforscher noch heute lehr- reich ist. Nach seinem Tode bildete sich die Schriftsprache und die Orthographie im Sinne seiner Grammatik aus; aber das Studium der finnischen Sprachen unterblieb vorläufig gänzlich. — Erst im vierten Decennium unseres Jahrhunderts fand sich ein talentvoller und begeisterter Mann, Namens Anton Reguly, der jene Völker kennen lernte, welche dem Fingerzeige der Sprachen zufolge, unzweifelhafte Stammverwandte der Magyaren sind, Reguly (geb. 1819 zu Zircz im Vesz- primer Komitate, gest. 1858 als Custos der Universitäts- Bibliothek zu Pest) bereiste nämlich den lappischen und finnischen Norden, dann den nördlichen Ural nach allen Richtungen hin, sammelte unter den Wogulen und Ostjaken Lieder und Sagen, die Schätze der traditionellen Literatur, dazu machte er werthvolle Sprachnotizen. — 6 - Dasselbe that er unter den Volga-Völkern, den Cuvasen, Ceremissen und Mordwinen. Die glänzenden Resultate der neuen Forschung, zu welchen ßeguly, seiner Kraft und Fähigkeit bewusst, auf seinen wissenschaftlichen Keisen gelangte, gaben nach seinem Tode Paul Hunfalvy und Joseph Budenz heraus. Dem von ßeguly gesammelten reichen Materiale haben wir folgende werthvolle Werke zu verdanken : A vogul föld ds n^p (das Land und Volk der Wogulen) 1864 von Paul Hunfalvy herausgegeben. Joseph Budenz gab 1862—63 unter den Titeln Csuvas közlemdnyek <3s tanulmänyok (Cuvasische Mittheilungen und Studien), dann Cseremisz tanulmänyok (Ceremissische Studien) die betreffenden Sprachnotizen Keguly's heraus; 1866 Hess derselbe das Vocabularium Ceremissicum utnusque clialecti imprimis e collectione Eegulyana folgen; endlich gab derselbe auch „Mordwinische Mittheilungen" mit einem möglichst vollständigen Wörterbuche heraus.*) Inzwischen haben der kenntnissreiche Wilhelm Schott u. a. die vergleichende Sprachwissenschaft durch gründliche Untersuchungen, namentlich über die ural- altaischen Sprachen bereichert, und die Bedeutung dieses Sprachstammes für die Wissenschaft darzuthun gesucht. ßeguly konnte an der neuen Bewegung wegen seiner Kränklichkeit keinen Antheil nehmen. Die Auf- gabe fiel zunächst Paul Hunfalvy zu. Erst die ausser- ordentliche Wirksamkeit Paul Hunfalvy-s und Prof. Joseph Budenz' hat einerseits durch rastloses Studium der verwandten Sprachen, andererseits durch taktvolle Anwendung der auf dem Gebiete der indogermanischen *) Vgl. Literarische Berichte aus Ungarn, herausgegeben von P. Hunfalvy, Budapest, 1877, I. Bd. I. H. p. 75-106. — Magyar Nyelvör XI. Bd. p. 433. f., 481. f., 531. f. — Sprachen erprobten Methode eine eigentliche magyarische Sprachwissenschaft geschaffen. Um diese beiden Begründer der magyarischen Sprachwissenschaft hat sich seit drei Decennien eine täglich wachsende Schaar begeisterter und talentvoller Schüler gesammelt. Auf der Universität zu Budapest wurde ein besonderer Lehrstuhl für die magyarische Sprachwissenschaft errichtet, welcher Gegen- stand bis dahin mit der magyarischen Literaturgeschichte verbunden war. Das wichtigste Organ für die sprach- wissenschaftlichen Studien sind die im Auftrage der magyarischen Akademie der Wissenschaften vordem von Paul Hunfalvy, jetzt von Jos. Budenz herausgegebenen Nyelvtudomänyi közlemdnyek (Sprachwissenschaftliche Mittheilungen). Eines zunehmenden Einflusses erfreut sich auch die Monatschrift Magyar Nyelvör (Magyarische Sprachwarte), deren Redaction im Auftrage der linguisti- schen Commission der magyarischen Akademie der Wissenschaften Professor Gabriel Szarvas leitet. Die Forschungen der neuen Schule haben folgendes Resultat erzielt. Innerhalb der grossen ural-altaischen Sprachfamilie besteht die Gruppe der ugrischen Sprachen aus sieben scharf von einander geschiedenen Hauptsprachen. Diese sind : 1. Das Finnische oder Suomi, 2. das Lappische, 3. das Mordwinische, 4. das Ceremissische, 5. das Syr- jänisch-Wotjakische, 6. das Wogulisch-Ostjakische, 7. das Magyarische.*) *) Ygl. J. Budenz : Ueber die Verzweigung der ugrischen Sprachen p. 3 ff. S.-A. aus der Festschrift zum fünfzigjährigen Doctorjubiläum des Herrn Prof. Benfey. (Beiträge zur Kunde der indogermanischen Sprachen, herausgegeben von Bezzenberger IV. Bd.) Budenz Jözsef: Hagyar-ugor összehasonlitö szötär. Budapest, 1873—1881. — 8 - Das folgende Schema mag die Verzweigung des ugrischen Sprachastes versinnlichen. ceremissische mordwinische finnische Ugrische Grundsprache lappische ...................... ......wotjakisch- syrjänische V \y magyarische wogulisch- ostjakisclie Sprache. Die Idee, dass die magyarische Sprache zu den finnisch-ugrischen in nächster Verwandtschaft steht, ist in Folge der klaren linguistischen Begründung durch die Meister in Ungarn nach und nach bis zum Ansehen eines Dogmas emporgestiegen. Hermann Vämbery, zur Zeit einer der besten Kenner der türkisch-tatarischen Welt und Professor dieser Sprachen an der Universität zu Budapest, ist in dieser Frage einer anderen Ansicht. Er bemüht sich in seiner neuesten ethnologischen Studie über „den Ursprung der Magyaren" aus den türkisch-tatarischen Sprachen die türkisch-tatarische Verwandtschaft der magyarischen Sprache zu beweisen. Vämbery behauptet, dass das Magyarische ganz so wie das Cuvasische, das Osmanlische, Jakutische und die übrigen türkischen Sprachen, ebenfalls nur ein Seitentrieb der ursprünglichen türkisch-tatarischen Sprachgruppe sei. — Nun gehören sowohl die ugrischen, als auch die turko-tatarischen Sprachen zu einem und demselben Sprachstamme, nämlich dem ural-altaischen; dass aber die magyarische Sprache der finnisch-ugrischen Classe näher steht, als der turko-tatarischen, das haben Paul Hunfalvy und Budenz mit gewichtigen Argumenten bewiesen.*) Selbstverständlich steht der ural-altaischen Sprach- forschung noch eine riesige Aufgabe bevor. Auf der einen Seite konnte die Ausdehnung des ural-altaischen Sprachstammes nach dem südlichen und östlichen Asien hin bis heute noch nicht genügend wissenschaftlich festgestellt werden, auf der anderen Seite ist selbst bei denjenigen Zweigen dieses Stammes, welche durch eine unzweifelhafte nähere Verwandtschaft mit einander verbunden sind, dem finnisch-ugrischen, samojedischen und türkisch-tatarischen, die Linguistik noch zu sehr mit der Fixierung und Darstellung der Einzelgrammatiken beschäftigt, als dass die Aufstellung einer Urgrammatik und eines Urwortschatzes des ganzen Sprachstammes irgendwie zum Abschluss hätte kommen können.**) Was speziell das Magyarische anbelangt, so ist zunächst die Edition einer wissenschaftlichen Grammatik und eines sprachgeschichtlichen und etymologischen Wörterbuches dringend wünschens wertli. Zu diesem Zwecke vereinigten sich bereits vor einigen Jahren *) Vgl. Vämbery's Ursprung der Magyaren, besprochen von Paul Hunfalvy. Wien und Teschen, Prochaska, 1883. **) Vgl. Dr. 0. Schräder, Sprachvergleichung und Urge- schichte, Jena, Costenoble, 1888. p. 61. — 10 - mehrere hervorragende Linguisten, zumeist Mitglieder der magyarischen Akademie der Wissenschaften, um zuerst Materialien zu sammeln. Das gesammte Material auf Zetteln bearbeitet und alphabetisch geordnet, liegt bereits vor und es ist zu hoffen, dass die Grammatik und das Lexikon in einigen Jahren herausgegeben werden. Unbedingt nothwendig erscheint uns die Edition einer wissenschaftlichen Grammatik der magyarischen Sprache auch im deutschen Idiom, worin die Errungen- schaften der ugrischen vergleichenden Linguistik ge- wissenhafte Verwerthung zu finden hätten. Den wissen- schaftlichen Anforderungen musste bis heute BiedVs grosse magyarische Grammatik (1858) Genüge leisten; bei dem heutigen Stande der magyarischen Sprachwissenschaft reicht sie aber nicht mehr aus. Sehr häufig liest man in bedeutenden deutschen linguistischen Werken, dass die Autoren die zur Illustration der magyarischen Vocal- harmonie oder Conjugationsweise etc. dienenden Beispiele aus Sprachlehren von Dallos, Toepler etc. citiren, welche Lehrbücher in Ungarn nicht einmal dem Lehrplane der Mittelschulen entsprechen und höchstens als Leitfaden beim Elementarunterrichte gebraucht werden können. Wie ersichtlich, darf die Thätigkeit auf dem Ge- biete der magyarischen Sprachwissenschaft in den ver- gangenen Decennien nur als Vorbereitung, als Vorstufe zu der in dem jüngsten kurzen Zeitraum eingetretenen erfreulichen Entwickelung betrachtet werden. Erst dem letzten Decennium war es vorbehalten, die Aufgabe der magyarischen Sprachwissenschaft mit Sicherheit zu erkennen und diejenige Richtung einzuschlagen, in welcher man das Ziel erreichen kann. Das Ziel involvirt in sich aber nicht nur die Er- forschung der finnisch-ugrischen Sprachen in erster, — 11 - und der türkisch-tatarischen in zweiter Linie, um dann die Urverwandtschaft der beiden Sprachstämme fest- stellen zu können; es kommt aber hier noch die Schwie- rigkeit in Betracht, welche das Verhältniss zwischen altererbtem und im Laufe der Zeit entlehntem Sprachgut betrifft. Es muss nämlich die Grenze zwischen der Urverwandtschaft und der Entlehnung festgesetzt werden. Grosse geschichtliche Bewegungen haben nämlich besonders auffallende Veränderungen der Sprache in Gefolge. Die Völkerwanderung war ein Anstoss, der nicht nur der Sagenbildung der Völker eine andere Richtung gab, sondern der vor allem auch auf die Sprachen der von dieser Bewegung ergriffenen Völker mächtig wirkte.*) Nachdem die finnischen Völker sich von den ugri- sehen getrennt hatten, kamen diese unter den Einfluss türkischer Völker, jene aber unter den Einfluss von Germanen (Gothen) und Letten. Daher finden wir sehr viele türkische Wörter in den ugrischen Sprachen, aber nicht auch in den finnischen; und andererseits finden wir sehr viele germanische und lettische Wörter in den letzteren, aber nicht in den ugrischen. Und gleich wie man sehr viele germanische und lettische Wörter in der finnischen Sprache findet, ebenso gross musste in dieser Richtung der slawische Einfluss auf die Magyaren sein,f! denn, wie bekannt, war hier zur Zeit ihrer Einwande- rung überall eine slawische Bevölkerung vorhanden, und die Magyaren hatten sogar schon vor der Occn- pation Pannoniens Verkehr mit Slawen und verkauften slawische Sklaven an griechische Kaufleute. Die Slawen des occupirten Ungarlandes befreundeten sich sehr schnell *) Vgl. Schleicher, Die deutsche Sprache. - 12 — mit den Magyaren; die Harmonie beider Völker be- kundet auch die magyarische Sprache.*) Die germanischen Lehnwörter in den finnisch-lap- pischen Sprachen wurden in einer sehr gründlichen Untersuchung von Dr. Wilhelm Thomsen (Ueber den Einfiuss der germanischen Sprachen auf die finnisch- lappischen, aus dem Dänischen übersetzt von E. Sievers, Halle, 1870) zusammengestellt und besprochen. Wäh- rend aber Thomsen in dem genannten Werke mehr die grammatische Bedeutung jener Lehnwörter für die Erkenntniss der germanischen und finnischen Sprach- formen ins Auge fasste als die culturhistorische, ver- öffentlichte im Jahre 1875 der bekannte schwedische Sprachforscher A. Ahlqvist in Helsingfors ein Buch, Die Culturwörter der westfinnischen Sprachen, ein Bei- trag zu der älteren Culturgeschichte der Finnen, in welchem der Wortschatz der westfinnischen Sprachen in culturgeschichtliche Abschnitte geordnet und auf seine Genuität sorgfältig untersucht wird. Indem nun Ahl- qvist alle durch ihre fremdländischen Bezeichnungen sich als entlehnt erweisenden Culturbegriffe aussondert und die genuinen finnischen Wörter, wenn er dieselben durch die Uebereinstimmung der ostfinnischen Sprachen (Ostjakisch, Wogulisch, Syrjänisch, Wotjakisch, Mord- winisch etc.) bestätigt findet, zur Keconstruirung einer urfinnischen Cultur zusammengestellt, versucht er ein Bild des Culturzustandes zu entwerfen, welchen die Finnen zur Zeit ihrer Einwanderung in die baltischen Länder einnahmen. Eine ähnliche Arbeit, wie die Ahlqvist's liegt auf dem Gebiete der türkisch - tatarischen Sprachen von *) P. Hunfalvy, Die Ungern oder Magyaren, Wien, Prochaska, 1881, p. 68—68. — 13 - Prof. Hermann Vämbery vor : Die primitive Cultur des turko-tatarischen Volkes auf Grund sprachlicher For- schungen (Leipzig, 1879). Auch das neueste, umfang- reiche Werk Vämb&y's : Der Ursprung der Magyaren, eine ethnologische Studie, muss hier besonders ange- führt werden.*) Was nun das Entlehnungsverhältniss insbesondere der magyarischen Sprache zu einem Zweige der indo- germanischen Sprachen, nämlich dem slawischen, anbe- langt, so ist dieses Verhältniss auf Grund streng wissen- schaftlicher und tiefer Forschung und mit Hilfe eines merkwürdigen Beobachtungstalentes bereits eingehend geklärt. Der Mann, dem die Sprachwissenschaft diese durch sorgfältiges Sichten und Abwägen und durch Unbefangenheit ausgezeichnete Arbeit verdankt, ist Miklosich. Bevor wir aber zu seinem bedeutenden Werke, Die slawischen Elemente im Magyarischen, übergehen, gedenken wir im Kurzen seiner vier Vorgänger auf diesem Gebiete : Faustus Verantius', Gyarmathi's, Leschka's, Dankovszky's. * * Der erste, der sich mit der Nachweisung der slawi- schen Wörter in der magyarischen Sprache beschäftigte, war Faustus Verantius, eigentlich Vrancic (f 1617) aus Sebenico in Dalmatien, ungarischer Secretär des Königs Rudolf, Bischof von Csanäd und Neffe des Cardinais, Primas von Ungarn und kön. Statthalters Anton Veran- tius, der in die Reihe der bedeutendsten Männer Un- garns im XVI. Jahrhundert gehört. — Faustus Veran- tius ist berühmt als Verfasser des Lexicon pentaglottum, welches in erster Ausgabe 1595 erschien. Dictionarium *) Dr. 0. Schräder, Sprachvergleichung und Urgeschichte, p. 61—65. — 14 - quinque nobilissimarum Europae linguarum, Latinae, Italicae, Germanicae, Dalmaticae et Ungaricae. Cum privilegiis. Venetiis, apud Nicolaum Morettum, 1595. 4°, 128 S. Andere Ausgabe : Petrus Loderecker Praga — Bohe- mus idem hoc Fausti Verantii Dictionarium lingua Bo- hemica et Polonica locupletatum Pragae 1605, forma 4-a oblonga pag. 272, sub hoc titulo edidit: Dictionarium Septem diversarum Linguarum, videlicet Latinae, Itali- cae, Dalmaticae, Bohemicae, Polonicae et Hungaricae, studio et opera Petri Lodereckeri Prageni. Lodereckerus itaque alienam rem suam fecit. (Vgl. Biographia Fausti Verantii, Secretarii et Consiliarii Regii, Episcopi Chana- diensis — von Georgius Gyurikovits in der Thewrewk- sclien Edition des Lexicon pentaglottum, p. XVI.) Dritte Ausgabe: Dictionarium pentaglottum. Re- cudi curavit Josephus Thewrewk de Ponor.*) Posonii, typis Belnayanis, 1834. — 4°, XXVIII, 128. S. Das dictionarium pentaglottum enthält im Ganzen 5400 Wörter. In dem Kapitel Vocabula dalmatica, quae Ungari sibi usurparunt (p. 118—122) sind 305 Wörter in alphabetischer Ordnung angeführt, welche in der magyarischen Sprache als dalmatinische Lehnwörter vor- kommen. Verfehlt sind einige vierzig Wörter, darunter: beteg (vgl. Budenz : magyar-ugor összehasonlftö sztftär, p. 455), bir (ib. 456), csip (ib. 369), dies (ib. 773;, kar (ib. 5.), 61 (ib. 835), szdp (ib. 292), szö (ib. 301), s<5 *) Joseph Thewrewk (spr. Török) de Ponor, ein vielseitig gebildeter und unterrichteter Mann, wurde zu Deva 1793 geb., Advocat etc.; nahm regen Antheil an der Entwickelung der magy. Literatur vor d. J. 1848. Gest. 1870 zu Ofen. Seine drei tüch- tigen Söhne sind Professoren in Budapest, Emil und Aurel a. d. Universität, Arpäd am Gymnasium. — 15 — (ib. 344), tagad (ib. 789, 882), zavar (ib. 126, 324); ferner hitväny, huszär, körte, sz&mszerij (balista) u. s. w. Auf Faustus Yerantius folgte Samuel Gyarmathi, Arzt und Sprachforscher. Gyarmathi (geb. zu Klausenburg 1751, gest. all- dort 1830) brachte, nachdem er in Wien die Medicin absolvirt hatte, zwei Jahre in Göttingen mit den dor- tigen Professoren im freundschaftlichen Verkehr zu. Hier hatte auf Gyarmathi Prof. Schlözer (f 1809), wel- cher für die finnisch-magyarische Sprachverwandtschaft eintrat, einen bedeutenden Einfluss. Gyarmathi machte sich nun zur Aufgabe, die Verwandtschaft der magya- rischen Sprache mit dem Finnischen grammatikalisch zu beweisen. Sein Werk : Affinitas linguae hungaricae cum linguis fennicae originis grammatice demonstrata. Nec non vocabularia dialectorum tataricarum et slavicarum cum hungarica comparata. Auetore Samuele Gyarmathi, medicinae doc- tore et societatis Gottingensis sodali correspondente nec non societatis naturae curiosorum Jenensis socio. Got- tingae, typis Joann. Christian. Dietrich, 1799. VHP XXVI, 380 S. — Das Werk ist Paul I., Kaiser von Eussland, gewidmet. Gyarmathi verglich zuerst das Lappische und das Finnische mit dem Magyarischen. (Fasciculus I. Affi- nitas linguae Lapponum et Finnorum, p. 1—124). Dann verglich er das Esthnische mit dem Magya- rischen. (Fase. II. Affinitas linguae hungaricae cum esthonica grammatice demonstrata, p. 125—174). Ferner die anderen sieben Sprachen finnischen Ur- sprungs. (Fase. III. Aliae Septem linguae fennicae ori- ginis : Vogulica, Votjakica, Tschuvaschica, Tscheremis- I — 16 - sica, Permica, Sirjenica et Morduinica cum Hungarica comparatae, p. 175—220). Endlich schloss er seinem Werke noch tatarische und slawische Wörterverzeichnisse bei: Appendix I. Vocabularium tataricum, p. 221—241. Appendix II. Vocabularia linguarum slavicae origi- nis comparativa, p. 306—366. Trotz mancher Verdienste war Gyarmathi's Arbeit nur ein Versuch. Ein so grosses Sprachgebiet lässt sich in kurzer Zeit unmöglich derart bemeistern, dass man durch die Schale in das Innere der Sprachen dringen und sich von der Täuschung durch den äusseren Schein bewahren könnte. So urtheilt darüber treffend Paul Hunfalvy. Und was die von den Magyaren aus den slawi- schen Sprachen entlehnten Wörter anbelangt, so genügt die diesbezügliche Aeusserung des grössten Slawisten Miklosich, dass nämlich die Zusammenstellung dieser Wörter vin ziemlich unkritischer Weise" geschah. Theodor Benfey überschätzt demnach Gyarmathi's Arbeit, indem er sagt: Gyarmathi's Affinitas linguae Hungaricae cum linguis fennicae originis grammatice (NB.) demonstrata ist für ihre Zeit ganz ausgezeichnete, erste wirklich wissenschaftliche Sprachvergleichung. Gyarmathi's Werk verdanken wir theils den russischen Verdiensten um Sprachenkunde, theils den auf der Uni- versität Göttingen mit so grossem Eifer — insbesondere unter Schlözer's Antrieb — gepflegten historischen und ethnographischen Studien. (Vgl. Th. Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft, München, 1869, p. 278.) Der dritte Gelehrte, der sich mit diesem Thema beschäftigt, ist Stephan Leschka, geb. zu| Verböcz im Neutraer Komitate 1757, gest. 1818 als ev. Pfarrer in — 17 - Kis-Koros, dem Geburtsorte Alexander Petofi's, im Pester Komitate. Leschka unterhielt mit Männern, wie Do- brovsky, Jungmann, Nejedly, Palkovic etc. einen regen literarischen Verkehr und wurde dadurch selbst zu mannigfaltigen Arbeiten angeregt. So sammelte er für die lexikalischen Werke Tomsa's, Dobrovsky's und Jung- mann's Wörter und Redensarten der slowakischen Sprache in Ungarn. Dann beabsichtigte er ursprünglich in einem grossen Werke unter dem Titel: „Hungaria polyglotta" alle Sprachen des Königreiches Ungarn „secundum ea- rum origines et fata" zu behandeln. Von diesem Wei'ke, welches er nicht zu Ende führen konnte, ist nach seinem Tode nur der Appendix erschienen, nämlich : Elenchus vocabulorum Europaeorum curnprimis slavicorum magyarici usus, id est, quae Magyari asiatici, cum in Pannoniam venissent, linguam suam exculturi, a gentibus Europaeis assumserunt, suique usus fecerunt, quo compluribus observationibus criticis, philologiae pro- priis, necnon historicis, hanc partem literaturae illustran- tibus, passim insertis reipublicae literariae quodam modo emolumento esse voluit Stephanus Leschka, Hungarus Verbötzino-Nitriensis. Budae, typis typographiae regiae univ. Hungaricae. 1825. VHP' XVI. 271 S. Leschka's Werk verdient volle Anerkennung, da es nicht nur den slawischen Sprachschatz im Magyarischen behandelt, sondern auch romanische, germanische u. a. Elemente heranzieht, wesswegen auch Miklosich sich da- hin äussert, dass es ein Werk sei, dessen Brauchbarkeit nicht in Abrede gestellt werden könne. Diese Ansicht scheint der magyarische Literatur- historiker Franz Toldy nicht zu theilen, indem er sich über Leschka folgendermassen ausspricht: Ssärmastatö ssötärt, de a magyar nyelv kölcsönzött szavaira szorft- 2 kozöt, LeschJca Istvdn adott (1825), ki a hasonh'tö nyel- vdszet elveit nem ismer ve, tudomänytalan, a szläv nyelv dicsöit^s^t tartva inkdbb szem elött, mint a kritikai nyel- v&zet