Adriano Fabris DIE PERSON ALS KOMMUNIKATIONSFÄHIGES WESEN ZWISCHEN NATUR UND KONSENS 42 1- Person Die Terminologie und die vielschichtige Geschichte des Terminus »Person« sind hinreichend bekannt. Persona ist die lateinische Übersetzung des Griechischen prosöpon. Es handelt sich um einen Terminus, der ursprünglich die Maske des Schauspielers, sein Aussehen, und dann das »Gesicht« überhaupt bezeichnete, also das, was vor meinen Augen steht, was meinem Gesicht (dps) vorsteht. Doch ist der Hinweis auf das Sehen in der Übertragung vom Griechischen ins Lateinische abhanden gekommen. Grundsätzlich steckt in persona ja der Gedanke der Theatermaske, des »Charakters«. Aber darin steckt der Hinweis auf etwas anderes: die Maske verweist auf das personare, auf das »erhallen, wiederhallen; eigene Stimme erhallen lassen«,^ auf das »durch etwas (hindurch) ertönen«, das Anklingen, einen Anklang freilassen, der, wie beim Schauspieler, durch den Spalt der Maske dringen muss, um überhaupt gehört zu werden. Das per-sonare der persona bedeutet also nichts anderes, als eine Stimme erhallen zu lassen, und damit etwas jenseits des bloßen Aussehens, jenseits von etwas, das nur beobachtet werden kann, zu feiern und auszurufen. Der vorherrschende Zusammenhang ist nicht mehr derjenige des Sehens und ' Vgl. die Stimme Personare in Pons Latin-Deutsch Wörterbuch, Klett, Stuttgart 2003., des Gesehenwerdens - die Schauspieldimension als solche sondern er wird zu dem des Redens und des Hörenlassens; er wird zum Sprach- und Kommunikationsbereich. Ich werde mich hier nicht bei dem wesentlichen Gebrauch des Begriffs der 'Person' in der christlichen Theologie aufhalten.^ Mit dem Hinweis auf die etymologische Herkunft des lateinischen Terminus möchte ich nur hervorheben, wie sich die Zentralität des Wortes und der Sprache überhaupt als besonderes Element für die Definition dessen, was wir »Person« nennen, herausgestellt hat. Das geschieht vor allem innerhalb der jüdisch-christlichen Tradition, in der eine ganz bestimmte Einsicht in das Wesen der Kommunikation herausgearbeitet wird. Deshalb kann man sagen, dass dort, wo von der Kategorie »Person« Gebrauch gemacht wurde, um den spezifischen Gmndzug der Menschlichkeit des Menschen zum Vorschein zu bringen - z. B. in der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts auch die Konsequenz gezogen werden kann, dass ein solcher Hinweis auf die Sprache und auf die Kommunikation eine grundsätzliche Besinnung auf unser eigenes Sein und Handeln einschließt. Zusammenfassend: Insofern die Verbindung mit dem kommunikativen Bereich eingeholt wird, kann vielleicht der alte Begriff »persona« aufs neue dazu dienen, das Menschsein des Menschen überhaupt zu denken. Das gelingt aber nur unter der Bedingung, dass der Begriff »Person« nicht als etwas »Natürliches« gedacht wird, und zwar als menschliche »Natur«. 2. Natur Die im zwanzigsten Jahrhundert und auch gegenwärtig^ stattfindende Wiederaufnahme des Begriffs der »Person« neigt dazu, »Person« als ein das »Wesen«, die eigene »Natur« des Menschen bezeichnendes Wort aufzufassen. Auf dieser Basis wird heutzutage versucht, fundamentale Rechte zu begründen und zu bestimmen, auf die sich die Menschen, abgesehen von ihrer Kultur und ihren Traditionen, berufen können. Gegen einen Kulturrelativismus scheint ein solcher Hinweis auf eine unverbrüchliche, von allen geteilte Natur nötig, die den Menschen als solchen charakterisiere und auf die sich alle Menschen beziehen müssen. Der Glanz der Natur leuchtet in jener Kultur. Gerade deswegen ^ Vgl. A. Milano, Persona in teologia. Alle origini del significato di persona nel cristianesimo antico, EDB, Bologna 1996. ^ Für das 20. Jahrhundert denke ich vor allem an Emmanuel Mouniers Überlegungen. kommt das alte, auf Grotius zurückweisende Thema der Naturrechte erneut zur Geltung."^ Was in dieser Auffassung alles mitspielt, berührt nicht nur die Basis der Rechte und deren Begründung, es bezieht auch den Bereich der Moral mit ein. Zum einen erscheint, sobald die »Natur« bzw. das »Wesen« des Menschen in dieser Weise festgestellt wird, all das, was einer solchen Menschlichkeit des Menschen entspricht und sie fordert, als moralisch, während andererseits das unmoralisch sein soll, was den Menschen von seiner eigenen Natur unterscheidet. Um Richtlinien für ein bestimmtes Verhalten zu gewinnen, reicht es also aus, eine Definition der Menschen-»Natur«, der Natur der menschlichen Person, zur Verfügung zu stellen. Außerdem wird der Begriff der »Natur« vor allem im Hinblick auf bioethische und biomedizinische Fragestellungen kaum im Sinne eines philosophisch aufgefassten »Wesens« zum Vorschein gebracht, sondern eher als etwas, was sich anthropologisch und naturwissenschaftlich bestimmen lässt. Die biologische Perspektive nimmt dabei den Vorrang ein. Man glaubt, das Sein des Menschen 44 naturalistisch erfassen zu können, um dann aus diesem Begriff Verhaltensanweisungen zu ziehen, an die sich sowohl die Ärzte als auch die im medizinischen Bereich operierenden Individuen halten sollen. Der Begriff »Person« läuft damit Gefahr, biologistisch verstanden zu werden und sich einer Art»Ver-naturalisierung« zu unterwerfen. In der Geschichte des Denkens erweisen sich all diese Auffassungen als nicht neu. Die Person mit der Natur des Menschen bzw. mit seinem Wesen zusammenfallen zu lassen, also die »Person« als Begriff herauszuarbeiten, wird bereits im 6. Jahrhundert n. Chr. von Severinus Boethius geleistet. Der Begriff wird gleichsam fixiert, als Substanz erfasst. Mehr noch: er wird in einer genaueren Weise bestimmt, und diese Bestimmung ist vor allem in der christlichen Besinnung bis in unsere Tagen maßgebend geblieben. Wie lautet die bekannte Bestimmung der »Person«, wie sie in Contra Euthy-chen et Nestorium zu lesen ist? Folgendermaßen: Personae definitio /est/ naturae rationabilis individua substantia. Die Person sei »individuelle Substanz Vgl. z. B. die von D. J. Denn Uyl, D. B. Rasmussen, R, Cubeddu, F. Monceri in Teoria. 2 (2001) über Naturrechte und Globalisierung, veröffentlichten Aufsätze. vernünftiger Natur«.^ Zu dieser Bestimmung gelangt Boethius durch einen langen und vielschichtig artikulierten Denkweg, der sich auf eine vorangegangene theologische Besinnung bezieht: d. h. von Tertullian bis zu Augustin, über die griechischen und lateinischen Kirchenväter. Wie andere Stellen in Contra Euthychen et Nestorium zeigen, bezieht sich der Terminus »persona« bei Boethius zum einen auf das Individuum, was auf Tertullian zurückweist, zum anderen aber auf die Substanz, von der Augustinus trotz seiner Auffassung der Beziehungshaftigkeit der Person nicht loskommen konnte. Deswegen bestimmt Boethius zunächst das, was mit »Individuum« gemeint sein soll, und macht sich dann daran deutlich, dass sich persona nur von Individuen sagen lässt. Denn: nusquam in universalibus persona did potest, sed in singularibus tantum.^ Diese Individuen - und hieran bestimmt sich Boethius' Auswahl - müssen aber eine bestimmte Natur zeigen. Weil: nec praeter na-turam personam posse praedicariJ Und ihre Natur sei eben diejenige vernünftiger Wesen. Von daher lässt sich verständlich machen, warum die Person Boethius zufolge naturae rationabilis individua substantia sein soll. Zusammenfassend: mit Boethius geschieht die Fixierung der Person als Natur und Wesen und die Bestimmung dieses Menschenwesens als eines vernünftigen. 4S Dies ist, wie ich schon erwähnt habe, die Weise, in der der Begriff »Person« auch heutzutage sowohl im juristischen als auch im ethischen Bereich zumeist gedacht wird. Und dennoch handelt es sich um eine Auffassung, die sich den eroberten Ergebnissen des modernen und heutigen Denkens entgegenstellt. Gerade deshalb tauchen mehrere Schwierigkeiten auf, die sich vom Standpunkt philosophischer Rede deutlich machen lassen. Wir weisen im Wesentlichen auf drei hin: 1. Weder die Fixierung noch die endgültige Bestimmung der menschlichen Natur ist ein für alle mal möglich, denn der Mensch ist ein Wesen, das durch eine konstitutive Unvollkommenheit charakterisiert ist. Der Mensch ist seine Möglichkeiten, er ist derjenige, der sein Sein-können ist, wie Heidegger hervor- ^ Contra Euthychen et Nestorium, PL 64, III, S. 1--6, Genauer wird diese Bestimmung wie folgt eingeführt; quo circa si persona in soils substantiis est atque in his rationabilibus substantiaque omnis natura est nec universalibus sed in individuis constat, reperta personae est definitio: naturae rationabilis individua substantia. ® Ibid., II, S. 47^9. ^ Ibid., II, S. 10. hebt: anders gesagt ist der Mensch nicht, sondern er macht sich, er lässt sich machen. Das unterscheidet den Menschen von den anderen Lebewesen. Die menschliche Person lässt sich also weder als »Wesen« noch als »Natur«, und schon gar nicht im biologistischen Sinne, verstehen. 2. Wenn so etwas überhaupt gedacht werden kann, gibt es dann mehrere Weisen, in denen die menschliche »Natur« verstanden werden könnte. Und dies lässt sich auch in der Geschichte des Denkens aufzeigen. Denken wir z. B. an die unterschiedlichen Beurteilungen über das »Böse« oder das »Gute« des Menschenseins des Menschen, die Hobbes und Rousseau formuliert haben. 3. Und selbst wenn es möglich wäre, so etwas wie eine menschliche »Natur« festzustellen, könnte man von einem ethischen Gesichtspunkt keine konkreten Verhaltensanweisungen daraus ziehen. Das bedeutet das sogenannte »naturalistischer Fehlschluß«: dass man nämlich vom Sein nicht auf das Sollen schließen kann. 46 3. Die Person als kommunikationsfähiges Wesen Gewiss: man kann die Gültigkeit der Ergebnisse des modernen und heutigen Denkens auf besondere Weise in Frage stellen. Und das wird eben von denjenigen Vertretern durchgeführt, die die menschliche Person aus einer Idee von Natur heraus metaphysisch bestimmen. Ich möchte eher einen anderen Weg gehen. Und zwar möchte ich versuchen, von der allen Menschen eigenen Fähigkeit des Sprechens und des Kommunizierens her den Begriff »Person« neu zu denken, und damit zur Etymologie des lateinischen Terminus persona und zum Verb personare zurückkehren. Gewiss, es handelt sich um keine Neuigkeit in der Philosophie, dass der Mensch versucht, sich in Hinsicht auf seine eigene Fähigkeit zur Kommunikation zu verstehen. Wie bekannt, bestimmte schon Aristoteles den Menschen als zoon logon echon. Selbst wenn bei dieser Bestimmung noch zu klären bleibt: Ob der Mensch ein Tier unter anderen, biologisch bestimmbar, mitsamt dem logos ist; Ob dann der logos einen »Besitz« repräsentiert, etwas, das der Mensch wirklich »besäße«, ob ein solcher logos vor allem als logos apophantikos schlechthin zu verstehen ist: und zwar als ein Sagen, mittels dessen sich etwas über einen Sachverhalt aussagen lässt. Also: eben auf solche Fragen vermag die Verbindung zwischen dem Sein der »Person« und der Fähigkeit zu Kommunizieren eine Antwort zu geben. Denn: Zunächst ist der Hinweis auf das »Wort«, auf die »Rede«, das, was erlaubt, einen radikalen Unterschied zwischen dem Menschen und den anderen Tieren aufzumachen, angenommen, dass das Kommunizieren auf eine korrekte Weise verstanden wird. Dann ergibt sich ja die Sprache nicht als Besitz, und noch weniger als etwas, das der Men sc h von Natur her ein für alle mal gewonnen hat, sondern die Sprache besteht eher in der Möglichkeit einer Disposition der Persönlichkeit, zu deren Verwirklichung der Mensch selbst jeweils berufen ist. Aber vor allem, wenn all diese Aspekte besser verständlich gemacht werden können, wenn der Begriff »Person« genauer fokussiert werden soll, nicht zuletzt, um sich mit den gegenwärtigen Dringlichkeiten auseinander zu setzen, müssen wir von allen einseitigen Sprachauffassungen Abstand nehmen und wieder andere »Sprach«-möglichkeiten, jenseits des Vorrangs des apophan-tischen Modells, aufnehmen. Nur dann wird es möglich, wieder eine gemeinsame Moral, und nicht zuletzt die Möglichkeit eines Konsenses unter den Menschen zu denken, ohne auf den metaphysischen Begriff von menschlicher »Natur« hinzuweisen. Was heißt überhaupt »sprechen«? Worin besteht ursprünglich das »kommunizieren«? Die jüdisch-christliche Tradition ~ mehr als die griechische Philosophie, die mit Aristoteles dazu neigt, der Apophansis Vorrang zu verleihen -tritt wesentlich dadurch hervor, dass sich der Gott der Bibel zu der Welt und zum Menschen durch das Wort verhält. Mehr noch: durch das Wort hindurch stiftet Gott dieses Verhältnis und setzt es in die Tat um. Beim Sprechend also offenbart sich Gott dem Menschen; sprechend schafft Er den Menschen und die Welt. Und der Mensch, da er als Bild Gottes geschaffen wurde, nimmt auch durch seine Worte mit den anderen Menschen und mit Gott selbst diese Verhältnisse auf. Im christlichen Kontext wird diese Auffassung noch tiefergehender radika-lisiert. Mit dem Christentum ist das Wort nicht nur die Bedingung für das Verhältnis Gottes zum Menschen: das Wort wird im Johannes- Evangelium Gott selbst, ist der fleischgewordene Christus. Das bedeutet, dass das Wort nicht nur die Weise ist, in der sich eine Person ausdrückt: sondern vor allem ist die Person die gleiche Person, sofern sie im Wort ist, d. h. sie ist ein sich vollziehendes Verhältnis.® ® Dazu Augustinus, De Trinitate, PL 45. 47 48 Von diesen theologischen Beobachtungen geht dann eine bestimmte Sprachauffassung aus: dass das Sprechen stiften und Verhältnisse in die Tat umsetzen heißt; dass die Sprache eine Verbindungsfunktion ist, eine Verbindung im Vollzug. All dies erlaubt, den Begriff von Kommunikation selbst neu zu denken. Denn was heißt kommunizieren'} Was ist Kommunikation unter Personen? 'Kommunizieren' - das sagt das Wort selbst, auch von seiner Etymologie her: lat. communicatio - heißt eben, einen gemeinsamen Raum zu schaffen, um miteinander zu sprechen: einen Raum, in dem sich für alle die Möglichkeit ergibt, daran teil zu nehmen; einen Raum, an dem alle, sofern sie zu sprechen vermögen, lediglich teilhaben können; einen Raum, für dessen Bev^/ahrung und Schutz sich die Gesprächsteilnehmer verantwortlich zeichnen; aber vor allem einen Raum, dessen Beförderung in aller Hand liegt. Gewiss: diese Auffassung von Kommunikation zeigt sich nicht als maßgebend in unserer Gegenwart. Heute bedeutet »kommunizieren« vor allem, auf den Gesprächpartner wirkende Botschaften zu senden. Das ist ein vorherrschendes Modell in der Werbungskommunikation. Aber es ist nicht das einzige. Es ist dagegen nötig, die ursprüngliche Einsicht in das Kommunizieren als Schaffung eines gemeinsamen Raums wieder aufzunehmen. Es geht nicht darum, eine schon gewonnene Dimension zu fixieren, an der alle Menschen immer schon teilhaben. Es geht nicht darum, eine Bestimmung des Menschen durch eine andere, jetzt an der Kommunikation orientierte Bestimmung, zu ersetzen. Beim Menschen ist die Kommunikation eine Tendenz, die aktiviert werden soll. Die Kommunikation als Schaffung eines gemeinsamen Raums ist eine zu verfolgende Aufgabe. Es handelt sich hier um eine ethische Aufgabe. Anders gesagt, taucht die Aufgabe auf, eine Ethik der Kommunikation zu verwirklichen. Durch eine solche Ethik kann sich die Möglichkeit geltend machen, Verbindungen in unseren Sprachverhältnissen einzurichten, die die Unterschiede zu bewahren und sogar zu befördern vermögen. Aber derart, dass diese Ethik - da dieses Kommunikationsverhältnis, wie schon gesagt, einen gemeinsamen Raum einrichtet und bewahrt - die Unterschiede nie zu Gegensätzen werden lässt. Das bedeutet wiederum: indem das verfolgt wird, wird das Missverständnis über das Einverständnis nie die Oberhand gewinnen. Eben das heißt: einen Konsens zu verwirklichen.'^ ® Dazu, und noch tiefergehender in Hinsicht auf die Ansätze K.-0. Apels und J. Habermas', erlaube ich mir, auf meinen Beitrag zu verweisen: A. Fabris, Etica della comunicazione, Carocci, Roma 2006. Abschließend: In dieser ethischen Perspektive, in der sich die Kommunikation als eine für den Menschen konstitutive Fähigkeit erweist, wird es auch möglich, den Begriff »Person« neu zu denken. Es wird möglich, diesen Begriff jenseits von Boethius' Gedanken aufzufassen. Es wird möglich, die »Natur« von der »Person« abzutrennen und sich von einer biologistisch oder metaphysisch aufgefassten Idee menschlicher Natur zu verabschieden. Es ist möglich, den Konsens unter den Menschen als zu verfolgenden ethischen Zweck und nicht als seit jeher gewährtes Ergebnis zu verstehen. Letzteres ist ja nur das Mythoshafte: das Mythoshafte, was die heutigen Geschehen alltäglich verleugnen. 49