Arheološki vestnik (Arh. vest.) 48, 1997, str. 231-246 231 Reliquiengraber - Sonderbestattungen der Spatantike Franz GLASER Izvleček Predstavljena je širša problematika čaščenja relikvij v zgodnjekrščanskem obdobju, vse od prvih izkopov ostankov mučeneev do čaščenja posameznih drobcev telesnih ostankov. Uveljavljanje relikvij v zgodnjekrščanskem svetu prikazuje avtor s posebnim ozirom na raziskave na Koroškem, Tirolskem in posamezne pomembnejše primere v širšem mediteranskem območju. Staroselsko prebivalstvo je ob opuščanju naselbin vzelo ostanke svetnikov s sabo. Na osnovi primerjalne analize ugotavlja, da mesta za relikvije predstavljajo grobove, ki so bili označeni z mensami in predstavljajo tako miniaturne grobnice. Prisotnost relikvij je mogoče dokazati ne samo v prezbiterijih ampak tudi v kapelah in apsidah. Relikvije in čaščenje mučeneev je bilo merodajno za nastanek dvojnih cerkva in posebne arhitektonske ureditve prostorov. Abstract Broad problems related to the veneration of relics in the early Christian period are discussed in this article, from the first excavation of the remains of martyrs to the worship of individual fragments of bodily remains. The value placed on relics in the early Christian period is shown with special attention to research in Carinthia and the Tyrol, as well as individual important examples in the broader Mediterranean region. The indigenous inhabitants took the remains of saints with them when they abandoned their settlements. On the basis of comparative analysis, the author establishes that the proper placement of relics was in graves, which were then marked with tables or mensae, thus representing miniature grave vaults. The presence of relics can be proven not merely in presbyteries, but also in chapels and apses. The relics and worship of martyrs were decisive for the creation of twin churches and special architectural spatial arrangements. Durch das Christentum kam es zu einer ver-anderten Einstellung zum Tod und im besonde-ren zunehmend auch zu einer veranderten Einstellung zu den sterblichen Uberresten bestimm-ter Personen, namlich der Martyrer und Heiligen. Ihre Leiber oder Skelette waren das Ziel von Ex-humierungen und oft anschlieBender Zerteilung. Die Folgen davon gehoren in die Kategorie der Sonderbestattungen, sie trugen zur Veranderung von Grabsitten bei und fuhrten zum Martyrer-kult und weiter zur Ausbildung des Pilgerwesens und zur Entstehung von Pilgerheiligtiimern. Eng verbunden mit dem Martyrer sind zwei wesentliche Punkte der christlichen Lehre: 1. Personliche Unsterblichkeit. 2. Auferstehung/Wiedererweckung bei der Erscheinung Christi, Abhaltung des Gerichts. Daraus ergaben sich verschiedene Fragen, u.a. die Frage, ob der Zustand der Seele in der War-tezeit zwischen Tod und jungstem Gericht mit-leiderregend oder beneidenswert sei. Demnach muBte man entweder fur den Verstorbenen be-ten oder diesen als Fiirbitter anrufen. Das letz-tere gait fiir die Martyrer.1 Die heilsgeschichtliche Besonderheit der Martyrer wird schon in der Apokalypse (6, 9 -11) des Johannes, in einer Vision ausgedriickt. "Und da es [das Lamm] das fiinfte Siegel auf-tat, sah ich unter dem Altar die Seelen derer, die erwiirgt waren um des Wortes Gottes willen und um des Zeugnisses willen, das sie hatten. Und sie schrieen mit groBer Stimme und sprachen: Herr, du Heiliger und Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rachest unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen? Und ihnen wurde gegeben einem 1 1!. Kotting, Der fruhchristliche Reliquienkult und die Bestattung im Kirchengebtiude (1965) 7 ff. Abb. 1: Salona/Marusinac: Mausoleum der Asklepia mit der Bestattung des Anastasius (nach E. Dyggve). jeglichen ein weiBes KJeid und ward zu ihnen gesagt, daB sie ruhten noch eine kleine Zeit, bis daB vollends dazukamen ihre Mitknechte und Briider, die auch noch getotet werden sollten gleich wie sie." In diesem Sinne heiBt es an einer weiteren Stelle der Apokalypse (20,4) : "...und die Seelen derer, die enthauptet sind urn des Zeugnisses Jesu und des Wortes Gottes willen..., diese lebten und regierten mit Christus tausend Jahre." Das be-deutet, daB sie im himmlischen Reich weilen bis zur Endzeit, bis zum Gericht.2 In der friihchristlichen Vorstellung sind die Seelen der Martyrer die einzigen, die vor dem Gericht im Himmel Aufnahme fanden, namlich unter dem himmlischen Altar. Die besondere Nahe zu Gott fiihrte zur besonderen Verehrung und zur Anru-fung der Martyrer als Fiirbitter bei Gott. B. Kotting vermutet als wesentlichen Faktor fur die zunehmende Martyrerverehrung und Verbreitung die Erkenntnis, daB das Gericht nicht in absehbarer Zeit stattfande.3 "Die Anfange des Martyrerkultes liegen im Dunkeln" (Deichmann).4 Nachdem die Blutzeu-gen wie jeder andere bestattet worden waren, unterscheidet sich ihr Andenken nicht von der ublichen antiken Totenehrung, zu der die Feier der Gediichtnistage (d.h. die Wiederkehr des Todestages) und das Mahl am Grab gehoren, was in den Bereich der Familienreligiositat fallt. Sichtbaren Ausdruck konnte die Martyrerverehrung im allgemeinen erst nach der Mailiin-der Vereinbarung im Jahre 313 erlangen, welche freie Religionsausiibung der Christen ermoglichte. Die zunehmende Martyrerverehrung spiegelt sich nun auch in der Architektur wider. Eines der fruhen Beispiele ist das Mausoleum derChristin Asklepia in einem Friedhof (Marusinac) vor den Mauern der antiken Stadt Salona (Solin) ' F. W. Deichmann, Einfiihrung in die christliche Archaologie (1983) 54. 3 13. Kotting, a. O., 8. 4 F. W. Deichmann, a. O., 55. 5 E. Dyggve, R. Egger, Der altchristliche Friedliof Marusinac, Forschungen in Salona 3 (1939) 10 If. bei dem heutigen Split in Kroatien.5 Die wohlha-bende Frau lieB den Leichnam des Tuchwalkers Anastasius, der wahrend der diokletianischen Verfolgung den Martyrertod erlitten hatte, in ihren und ihres Mannes Grabbau bringen (Abb. 1). Der Sarkophag des Martyrers erhielt seinen Stand-ort in der Apsis des Untergeschosses des Mausoleums und zwar durch eine Mauer vom iibri-gen Grabraum mit den beiden Sarkophagen ge-trennt. Ein Fenster ermoglichte allerdings den Blick auf den Sarg des Heiligen. Die uberwolbte Kam-mer war an der Westseite vom ObergeschoB her zu betreten. In der Apsis des Obergeschosses wird ein Altar von E. Dyggve vermutet. Die Entste-hung des Mausoleums wird meist schon in den Jahren nach der Verfolgungszeit, nach 304 n. Chr., angesetzt. Neben den Martyrern spielen andere Heilige und ihre Grabbauten in der einschlagigen Literatur keine Rolle. D. Korol hat auf den quadra-tischen Grabbau des Heiligen Felix Nola hinge-wiesen, der in hohem Alter am Ende des 3. Jh. starb.6 Das mittlere der drei Graber stammt vom kurz zuvor verstorbenen Bischof Maximus; da-neben die Graber des Bischofs Quintus und des Bekenners Felix (Abb. 2). An der Deckplatte des Heiligengrabes sind zwei kreisrunde Locher zu beobachten, sogenannte fenestellae, durch die die Glaubigen die Gebeine des Confessors beriihren konnten. Erst nach der Verfolgungszeit wurde zwischen 303 und 305 der quadratische Grabbau errichtet. Daraus entwickelte sich allmahlich ein Pilgerheiligtum. Paulinus von Nola, Statthalter in Kampanien, zieht sich nach seiner Amtszeit mit gleichgesinn-ten Freunden an diesen Wallfahrtsort zuriick, errichtet eine Dreikonchenkirche, beschreibt die besondere Ausstattung des Pilgerheiligtums und laBt weitere Reliquien zubringen. SchlieBlich wird Paulinus zwischen 410 und 431 Bischof von Nola. Wahrscheinlich hat man, wie die Christin Asklepia, die Scheu von der Offnung des Grabes uberwunden, indem man vorgab, den Martyrer in eine wiirdige Begrabnisstatte zu uberfiihren. Bald herrschte die Auffassung vor, daB auch Partikel des Korpers fiir die Gegenwart des Martyrers geniigen. Damit wurde auch einer groBeren Zahl Abb. 2: Cimitile/Nola: Grab des HI. Felix (f) und Grabbau (gerastert) (nach D. Korol). von Glaubigen die Bestattung "ad sanctos" er-moglicht. Nachdem in der theologischen Interpretation der Zusammenhang zwischen dem Blut-zeugnis der Martyrer und der Opferhingabe Christi geschaffen war, stand auch der Verbindung von Martyrergrab und Altar nichts mehr im Wege. Damit konnte die Translation der Martyrergebeine in die Kirche erfolgen. In Rom und Thessaloniki hin-gegen wendete man sich gegen die Ubertragung und Abgabe von Reliquien der Martyrer, die in den Coemeterien ruhten. Ein Beispiel dafur, daB wir einen Reliquien-behalter samt Inhalt nicht deuten konnten, wenn wir nicht die Inschrift hatten, gibt uns ein Fund im Pilgerheiligtum von Tebessa in Nordafrika (Algerien). Die Entdeckung wurde in einem Trikonchos gemacht, welcher am Anfang des 5. Jh. entstand.7 In der Mittelapsis wurden das Mosaik und Reliquienbehaltnis einer alteren Periode gefun- 6 D. Korol, Die fruhchristlichen Wandmalereien aus den Grabbauten in Cimitile/Nola (1987) 32 f., Taf. 11. Vgl. Abu Mina: H. Ch. Noeske, in: Tesserae. Festschrift fiir J. Engemann, Jahrbuch fiir Antike und Christentum. Erganzungsband 18 (1991) 278. Das Beispiel in Abu Mina zeigt, daB die Pilger Ol durch die Offnung der Platte auf ein Heiligengrab gossen und Miinzen einwarfen. Unter der Offnung stand ein GefaB, das aber nicht zuganglich war. Der Miinzeinwurf machte es fiir das EingieBen von Ol und fiir das Herstellen von Beriihrungsreliquien unbrauchbar. Der Wandel der Beniitzungsart der fenestella zeugt von veranderten Vorstellungen. 7 J. Christern, Das fruhchristliche Pilgerheiligtum von Tebessa (1976) 107 ff. Abb. 3: Tebessa, Pilgerheiligtuni: Martyrerinschrift (Novellusmosaik) in der Mittelapsis des Trikonchos an der Kirche (nach J. Christern). I......... den. Das Mosaik, nach dem Stifter als Novellus-Mosaik bekannt, zeigt im wesentlichen Inschrif-ten in den einzelnen Feldern (Abb. 3). Im Kranz (Siegeskranz) werden 7 Martyrer genannt, deren Todestag auf den 22. Dezember fa lit. Die groBe-ren Felder beinhalten jeweils Grabinschriften mit einem Namen und die Angabe "in pace." Lector Donatus, Diakon Victor und zwei Frauen namens Florentina und Septimina sind zu erkennen. In einer der beiden schmalen Zeilen besagt die Stifterinschrift, dali Diakon Novellus das Geliib-de eingelost hat. In der anderen schmalen Zeile wird eine Fluchformel fur den Fall der Grab-zerstdrung wiedergegcben. Da die Grabinschriften keinen Bezug zu den Sarkophagen haben, handelt es sich eigentlich um Memorialinschriften, weshalb offenbar auch keine Altersangabe vor-kommt. Eigentlich "eine ideelle Grablege adsanctos", wie es J. Christern formuliert.8 Die Bcdeutung der Reliquien wird in der spiiteren Bauperiode durch die Gestaltung des Trikonchos deutlich. Beim Reliquiar handelt es sich um ein Tonge-faB unter dem Miirtyrerkranz im Mosaik (Abb. 4). Das GefaB besaB ursprunglich einen Deckel mit Gipsverstrich. Der Deckel in 3 Teilen und Reste des Gipses lagen innerhalb und auBerhalb des Topfes. Diese UmsUinde zeigen an, daB das Reliquiar schon einmal geoffnet worden war, bevor es mit zwei Dachziegeln bedeckt und das Mosaik verlegt wurde. In der schwarzen Erde des Tonge- x J. Christern, a. O., 120. Abb. 4: Tebessa, Trikonchos: Reliquiar und Lage des Reliquiars unter dem Boden (nach J. Christern). faBes befanden sich: Ein kleines Bronzestiick mit zwei kammartigen Zahnen mit Schnur umwickelt (ca. 1 cm lang), ein weiteres Bronzestiick mit Stoff umwickelt, ein Knochennadelfragment (3 cm), 1 Knochenstiickchen und zwei Zahne. In dem Topf in Tebessa sind vielleicht die Bronze-stiicke und das Beinnadelfragment als Beriihrungs-reliquien zu verstehen. Diese konnten von einem Martyrergrab stammen oder einem Ort des Heilsgeschehens im Heiligen Land. Heilige Erde wurde bewuBt eingefiillt. Der Reliquie als physikalisches Objekt haftet keinerlei Information an. Ihre Bedeutung wird durch entsprechende Inschriften oder durch die Translationslegende charakterisiert.9 Die Heili-gen- bzw. Translationslegende - sowie die zuge-horigen Zeremonien - machen erst die Reliquie fiir die Gesellschaft, fiir die Christengemeinde bedeutsam. Wenn am Aufbewahrungsort keine Inschrift vorhanden ist, kann dieser nur aufgrund des Analogieschlusses vom Archaologen bestimmt werden. MaBgeblich kann die zentrale Lage im Kirchenraum oder die spezielle Bauweise und Ausgestaltung des Loculus sein. Und hier ergibt sich bereits aufgrund des Erhaltungszustandes die Frage, ob es sich um eine vertiefte geschlossene Kammer oder um eine einseitige offene Kammer oder um ein vertieftes Becken handelt. Diese Unsicherheiten haben bekanntlich zu groBen Deutungsproblemen bei der spatantiken Kirche in Lavant gefuhrt.10 Die Reliquienkammer wurde anfangs fur ein Taufbecken gehalten. Die Frage der Rekonstruktion werden wir spater noch besprechen. Oftmals sind die erhaltenen Spuren schwer zu deuten. Klar ist die Situation noch, wenn sich z. B. eine Felsgrube im Zentrum des Presbvteriums befindet und noch Mortelreste der einstigen Ausmauerung erkennbar sind, wie dies z. B. in der Westkirche, der ersten Kirche auf dem Hemmaberg, der Fall war.11 Die letzten detaillierten Beobachtungen an den Reliquienkammern in der Bischofskirche von Teurnia und in der vierten Kirche auf dem Hemmaberg haben uns Aufschliisse iiber die Konstruktion geliefert. Die Beispiele sollen da-her am Anfang unserer Betrachtungen stehen. In Teurnia handelt es sich um eine Reliquienkammer (50 x 50 cm), die 1,15 m in den Presbyteriumboden eingetieft ist12 (Abb. 5). Der Boden besteht aus einem Ziegelsplittestrich. An der Ostwand ist unter der Aitarbasisplatte eine Nische von 30 x 23 cm ausgebildet, in der urspriing-lich der Reliquienbehalter, vielleicht ein GlasgefaB, stand. An der Westseite sind Langsmauern 42 cm vorgezogen; eine westseitige Abmauerung fehlt jedoch. Die Kammer wurde mit Bauschutt (Stei-ne und MortelgrieB) gefullt angetroffen, in wel- 9 J. Geary, Arch. Austr. 64, 1980, 112 f. 10 F. Miltner, Jahreshefte des Osterr. Archaologischen Institutes, 40, 1953, Bbl. 44 f. J. Fink, Kirche und Leben, Kirchen-blatt fur das Bislum Minister 31, 1957, 10 f. 11 F. Glaser, Das fruhchristliche Pilgerheiligtum auf dem Hemmaberg (1991) 141 Abb. 50,51. 12 F. Glaser, Carinthia I 176, 1986, 112. Ders., Carinthia I 177, 1987, 64 f. Abb. 5: Teurnia, Bischofskirche: Rekonstruktion der Reliquien-kammer (F. Glaser). chem noch eine einseitig glatte Marmorplatte steckte. Aus den Beobachtungen ist zu schlieBen, daB die Kammer urspriinglich an der Westkante des Altares geschlossen war und dafiir die verstiirzte Marmorplatte Verwendung gefunden hatte. Die vorspringenden Zungenmauern konnen dadurch erklart werden, daB die Kammer westseitig bis zur Dedikation der Kirche offen blieb. Der H6-hepunkt der Kirchenweihe bestand in der Beiset-zung der Reliquien des Martyrers. AnschlieBend wurde die Kammer verschlossen und der Raum zwischen den Zungenmauern aufgefullt. In ahnlicher Weise wurde auch der Reliquienloculus in der vierten Kirche auf dem Hemmaberg gestaltet,13 aber den veranderten Bediirfnissen angepaBt (Abb. 6). Zuerst war eine Grube ausgehoben worden, die bis 88 cm unter das Bodenniveau des Presbyteriums reichte. An drei Seiten einer Marmorkiste waren drei Marmor-quader versetzt worden, von denen zwei ein Kreuz in vertieftem Relief tragen. Die 38 cm hohe Ki-ste (89 x 49 cm) wurde aus einer Spolie gearbei-tet, das Relief abgeschlagen und an drei Seiten mit Kreuzen in erhabenem Relief versehen (Abb. 7). Die genannten Quader trugen urspriinglich die Altarbasisplatte. An der Westseite blieb zwi- Abb. 6: Hemmaberg, vierte Kirche: Rekonstruktion der Reliquienkammer (F. Glaser). schen der Basisplatte und der Steinkiste ein Abstand von 28 cm, sodaB der Reliquienbehalter in die Kiste gestellt werden konnte. Das Reliquiar war aus Kalksandstein gefertigt. Die Antefixe (bzw. Akrotere) des Deckels besaBen zwolf Kreuze in Champleve-Technik: die vertieften Flachen um die Kreuze waren mit rotem Stuck gefiillt, um Inkrustation nachzuahmen. Westseitig an die Konstruktion der Kammer schloB eine ausgemauerte Arbeitsgrube an. Die Trockenmauern der Grube waren leicht geboscht. Auch in diesem Fall war es moglich, bei der Kirch-weihe den Reliquienbehalter in die vorgesehene Kiste unter dem Altar zu stellen und anschlie-Bend an der Kistenwestwand eine Mauer aufzu-ziehen, fiir die man weitgehend Marmorspolien verwendet hatte. Westlich der Altarmensa konnte eine Mosaik-inschrift angebracht gewesen sein, wodurch sich die Randbordiire im unendlichen Rapport des Rautenornaments erklaren lieBe.14 Wie schon zuvor von R. Egger wird immer wieder die These von den erfahrenen Pliinderern ver-treten, welche die Reliquienkammern bei derSuche nach Edelmetallbehaltern zerstort hatten. Sowohl auf dem Hemmaberg als auch in Teurnia zeigt sich, daB die Kammern an der "richtigen" Seite, niim-lich an der Westseite, geoffnet wurden, um die Reliquien zu entnehmen. Daraus ist wohl zu schlieBen, daB abziehende romische Bevolkerung "ih-ren" Heiligen mitgenommen hat, wie dies mehr- " F. Glaser, Carinthia I 182, 1992, 22 IT. Die Ausgrabungen der 4. und 5. Kirche auf dem Hemmaberg wurden vom Fonds zur Forderung der wissenschaftlichen Forschung groBziigig und entseheidend unterstiitzt. 14 F. Glaser, Carinthia I 181, 1992, 52, Abb. 3. -jr Abb. 7: Hemmaberg, vierte Kirche: Ansicht der Reliquienkammer (F. Glaser). fach bezeugt ist.15 Fiir Noricum ist beispielswei-se die Exhumierung des HI. Severin anzufiihren, dessen sterbliche Uberreste bis nach Lucullanum bei Neapel gebracht wurden. Reliquien des Martyrers Quirinus von Siscia befanden sich in Savaria und wurden von fliehenden Pannoniern nach Rom gebracht. Diese Beobachtungen konnen auch zur Interpretation alterer Grabungsbefunde herangezogen werden (Abb. 8). Im Fall der friihchristlichen Kirche in Imst hatte R. Egger angenommen, daB die 1,25 m tiefe iiberwolbte Kammer (90 x 90 cm) an der Westseite offen gewesen ware, sodaB der Glau-bige den Reliquienbehalter hatte sehen und Beriihrungsreliquien hatte herstellen konnen.16 Doch haben auch die westlich vorspringenden Zungenmauern keinen AbschluB, welcher fiir die Festigkeit des Bodens notwendig ware. Vielmehr war diese Kammer auch nur bis zur Kirchweihe offen, um nach der Beisetzung der Reliquien eine VerschluBplatte zwischen den leicht divergieren-den Zungenmauern zu versetzen (Abb. 8). Abb. 8: Imst, St. Laurentiuskirche: Rekonstruktion der Reliquienkammer (F. Glaser). Die vorziiglich erhaltene Reliquienkammer in AmpaB in Tirol ist 1,22 m in den Boden eingetieft.17 An die Hauptkammer (128x56 cm) schlieBt eine 15 Eugippius, Vita S. Severini 49,7; 46,2. F. Glaser, Das fruhchristliche Pilgerheiligtum auf dem Hemmaberg (1991) 81. E. Toth, Rom. Osterr. 17/18, 1989-1990, 268 mit Anm. 17; 278 mit Anm. 63. H. Berg, Bischofe und Bischofssitze im Ostalpen-und Donauraum, in: Die Bayern und Hire Nachbarn 1 (1985) 85. 16 R. Egger, Osterreichische Zeitschrift fiir Kunst und Denkmalpflege 17, 1963, 164 f. 17 W. Sydow, VerOffentlichungen des Museum Ferdinandeum 66, 1986, 76, vertrat die Aul'fassung, daB die Kammer westseitig anfangs dauernd, spiiter teilweise offen gewesen ware, um die Reliquien zu sehen und zu beriihren (W. Sydow, a. O. 95). Abb. 9: AmpaB, Pfarrkirche: Rekonstruktion der Reliquienkammer (F. Glaser). 57 cm hohe iiberwolbte Nische (65 x 53 cm) an, in welcher der Reliquienschrein aus Marmor vorgefunden wurde (Abb. 9). Die Offnung der Nische war urspriinglich mit einer Platte verschlos-sen, worauf die vertikalen Falze an den Fenster-randern hinweisen. Die Stufen besitzten unregel-maBige Tritthohen von 47,4 cm, 14,2 cm und 41,1 cm. Die Hohe der untersten Stufe wurde durch das Vorlegen eines (zu) kurzen Quaders reduziert. Die ungleichmaBigen Stufenhohen und die schragen Trittflachen zeigen an, daB keine standige Benutzung vorgesehen war. AuBerdem ist zu bemerken, daB es fraglich ist, ob die Glaubigen iiberhaupt das Presbyterium betreten durften. Vor allem ist zu bedenken, daB die Reliquienkastchen im Alpen-Adria-Gebiet und im Balkanraum so gestaltet waren, daB man nicht mittels einer Offnung den Inhalt beriihren konnte. (Im Gegensatz dazu zeigen syrische Reliquiare oder der Sarkophag des HI. Nikolaus Offnungen fiir das EingieBen und das Auffangen von Ol).18 Vielmehr sind die steinernen Schreine wie klei-ne Sarkophage und die Reliquienkammern wie verkleinerte unterirdische Grabbauten gestaltet. Wenn man die bekannten Uberreste der Reliquienkammern von St. Andreas in Lienz (Patrias- dorf)19 und jene in der Kirche von Lavant20 be-trachtet, so fallt die Ahnlichkeit der Anlagen auf. Ein Unterschied zu den bisher besprochenen be-steht im wesentlichen darin, daB die Verschliisse der Reliquienkammern ostseitig liegen. In Lienz ist die 71 cm tiefe Kammer (52 x 110 cm) aus wiederverwendeten Marmoplatten her-gestellt (Abb. 10). Ostlich schlieBt eine Arbeits-grube aus Bruchsteinmauerwerk an (Abb. 10). Nach der Beisetzung der Reliquien anlaBlich der Kirch-weihe konnte die eigentliche Kammer von der Arbeitsgrube her verschlossen werden. In Lavant ersetzte in der zweiten Bauperiode ein rechteckiger Saal die Apsis der alteren Kirche, um die Reliquien aufzunehmen, die urspriinglich in der Apsis untergebracht waren.21 Im angebauten rechteckigen Saal befindet sich ein nur um eine Stufe erhohtes Presbyterium mit Klerusbank. Im Zentrum des Gevierts befindet sich eine zweiteilige Kammer. Die westliche ver-putzte Kammer (81 x 70 cm) ist gegeniiber dem Estrichniveau des Presbyteriums 98 cm eingetieft (Abb. 11). Die Bodenplatte besteht aus einem 14 cm tiefen Marmorbecken, dessen kreisrunde Mitteloffnung von einem Wulstring umgeben ist. Die westliche verputzte Kammer wird von der ostlichen Kammer (115 x 67 cm) nur durch ein 13 cm starkes Mauerchen getrennt. Rings um die westliche Kammer verlauft in einem Abstand von 42 cm eine 19 cm hohe Steinsetzung, die urspriinglich an die Deckplatte angeschlossen hatte. Die Deckplatte war gleichzeitig die Altarbasisplatte, wie es die analogen Beispiele nahelegen. Dem-nach war auch die ostliche Kammer verschlossen worden, um von der Klerusbank her den Altar zu erreichen (Abb. 11). Da das Trennmauerchen auBerst schwach ausgebildet ist, muB man dar-auf schlieBen, daB die ostliche Kammer nicht aufgefiillt, sondern mit einer Deckplatte verschlossen wurde. Die ostliche Kammer wurde also hier als Arbeitsgrube geniitzt. Nach den angefiihr-ten Beispielen hatte die westliche Kammer als Aufbewahrungsort fiir den Reliquienschrein ge-dient, welcher auf der Bodenplatte aus Marmor stand und deren Mitteloffnung verdeckte. Dieses seichte Marmorbecken stammt von einem kleinen Springbrunnen und wurde hier als Spolie verwendet.22 18 U. Peschlow, Istanbuler Mitteilungen 23/24, 1973-1974, 225 ff. E. M. Ruprechtsberger, in: Syrien. Von denAposteln zu den Kalifen (1993) 419 ff. Katalog Nr. 46: Die Offnung am Deckel zum EingieBen wird nicht beschrieben. Nr. 47. Nr. 48. 19 L. Zemmer-Plank, Verdffentlichungen des Museum Ferdinandeum in Innsbruck 54, 1974. 20 F. Miltner, Jahreshefte des Osterr. Archaologischen Institutes, 40, 1953, Bbl. 41 ff. 21 F. Glaser, Das fruhchristliche Pilgerheiligtum auf dem Hemmaberg (1991) 50, Abb. 138. 22 St. Karwiese, miindliche Mitteilung. žzmcmrm 4 Reliquiengrab, Westwand 13 Trittstein 6 Boden 5, Estrich 14 Apsismauer 7 Arbeitsgrube, Nordwand 15 Klerusbank 11 Reliquiengrab, Bodenplatte 21 Boden 5, Estrich 12 Arbeitsgrube, Ostwand 42 Anstehendes Erdreich Abb. 10: Lienz, St. Andreas (Patriasdorf): GrundriB und Schnitt der Reliquienkammer mit Arbeitsgrube (nach L. Zemmer). Abb. 11: Lavant, westliche Kirche: Rekonstruktion der Reliquienkammer (F. Glaser). Betrachten wir nach den bisherigen Ergebnis-sen den quadratischen eingetieften Mortelboden (1,10 x 1,10 m) in der fiinften Kirche auf dem Hemmaberg:23 Der Mortelboden ist gegeniiber dem erhaltenen Estrichboden im Bereich der nordlichen Treppe 50 cm eingetieft. Handelt es sich dabei um die Uberreste einer Reliquienkammer oder um die eines Beckens? Im wesentlichen bieten die MaBverhaltnisse Vergleicsmoglichkeiten. Bei den gezeigten Kammern wird nur in Imst eine Flache von 90 x 90 cm erreicht. Die Tiefen der Reliquienkammern liegen zwischen 90 und 125 cm, abge-sehen von St. Andreas mit nur 71 cm. Der Mortelboden auf dem Hemmaberg weicht daher in seiner Tiefenlage und mit seinen Ausdehnungen von den Reliquienkammern ab. Es sind auBerdem keine Spuren einer angeschlossenen Arbeitsgrube vor-handen. Wollte man den eingetieften Boden in der 5. Kirche auf dem Hemmaberg mit der Kirche in Lavant vergleichen, so fehlt auf dem Hemmaberg im Raum ein entscheidendes Vergleichsmerkmal, namlich die Klerusbank. Vielmehr handelt es sich bei dem eingetieften Boden auf dem Hemmaberg um den Rest eines Taufbeckens. Die Anordnung der Abschrankung und Stufen laGt sich gut mit der Taufkirche in Vranje vergleichen.24 Kehren wir zuriick zu den Reliquiengriibern. In Salona/Marusinac hatte man um die Mitte des 5. Jh. den Sarkophag des HI. Anastasius aus dem Mausoleum der Asklepia in die Apsis der siidli- chen Kirche von Marusinac gebracht.25 Als Be-halter wurde ein Sarkophag - vielleicht der ur-spriingliche - verwendet, den die Ausgraber be-reits beschadigt angetroffen haben. Bis zu einer Tiefe von 1,28 m war er in den Boden eingesenkt und mit einer Deckplatte versehen. Westlich vor dem Sarkophag erstreckt sich eine 1,88 m lange und 66 bis 70 cm breite ausgemauerte Grube. Die Westwand des Sarkophages durchbricht eine kleine rechteckige Offnung (16,5 x 23,0 cm). Die Spuren an den Seitenflachen und der Falz in der Offnung lieGen E. Dyggve und R. Egger auf ein Metalltiirchen schlieBen, dessen Rahmen in den seichten Einarbeitungen verkeilt war. Diese Anordnung wird der ersten Phase der Aufstel-lung des Sarkophages im Mausoleum zugeordnet. Die Klammerlocher an der AuBenflache weisen demnach darauf hin, daB in einer zweiten Peri-ode ein VerschluBstein eingesetzt und befestigt wurde. Vielleicht war die Offnung bereits verschlossen, als der Sarkophag in die Kirche iibertragen wurde. E. Dyggve und R. Egger nehmen in der westlichen Kammer eine Treppe an. Da Spuren in dieser geschiitzten Tiefenlage fehlen, miiBte sie aus Holz gewesen sein. Nach dem VerschlieBen der Offnung ware ein Zugang nicht mehr notwendig gewesen. Vor al-lem kann man in Analogie zu den gezeigten Bei-spielen den Altar iiber dem Reliquiensarkophag annehmen und miiBte nicht wie E. Dyggve knapp neben der offenen Treppe einen Altar setzen. In der friihchristlichen Apostelkirche von Iulia Concordia blieb unter der vollstandigen Altar-basisplatte die 80 cm tiefe Reliquienkammer (100 x 38 cm) erhalten.2hDer ostlich anschlieBende Kammerteil ("Arbeitsgrube") befand sich bereits neben dem Altar, war urspriinglich geschlossen und mit Mosaik bedeckt. Eine detaillierte Doku-mentation liegt nicht vor. Eine VerschluBplatte oder eine Abmauerung zwischen Reliquienkammer und Arbeitsgrube darf fiir den urspriinglichen Zustand angenommen werden. In der Basilica S. Maria delle Grazie in Grado schlieBt westlich an die Basisplatte der Mensa eine Deck- bzw. Bodenplatte an, welche vielleicht den Zugang zur Reliquienkammer birgt.27 Untersuchungen unter den Platten hat man noch nicht vorgenommen. 23 F. Glaser, Carinthia I 183, 1993, 170 ff. 24 P. Petru, Tli. Ulbert, Vranje pri Sevnici. Starokrščanske cerkve na Ajdovskem gradcu, Kat. in monogr. 12 (1975) 43 ff., Abb. 17a. Vgl. F. Glaser, Carinthia 1 183, 1993, 178, Abb. 7. 25 E. Dyggve, R. Egger, Der altchristliche Friedhof Marusinac, Forschungen in Salona 3 (1939) 19 f. Die Deckplatte des Sarkophages war nicht die Standplatte des Altares. Demnach ist fur die Mensa eine eigene Basisplatte zu erwarten. 26 G. Dei Fogolari, Concordia paleocristiana, in: Iulia Condordia dall'eta romana ali etd moderna (1978) 198 ff., Abb. 27 P. L. Zovatto, Memorie St. Forogiul. 39 (1943-1951) 23 ff., Taf. 15. Abb. 12: Saben, siidliche Kirche: Rekonstruktion der Reliquienkammer (F. Glaser). In der spatantiken Kirche auf dem Abhang des Burgberges von Saben befand sich innerhalb des Presbyteriums eine 1,20 m tiefe Kammer (105 x 65 cm).28 In ihrer Ostwand war eine Nische (40 x 45 cm) ausgespart (Abb. 12), welche urspriinglich den Reliquienbehalter aufnahm. Zur Kammer fiihrte westseitig eine nur 40 cm breite Treppe, von der sich vier Stufen erhielten. Wenn ein Gewolbe das Altarpodium etwa 80 - 90 cm iiber-ragt hatte - wie die Ausgriiber vermuten - dann hatte man auch die ca. 50 cm hohe Nische fiir den Reliquienschrein iiber dem Bodenniveau un-terbringen konnen.29 Die enge Treppe (40 cm!) schlieBt eine rege Benutzung durch die Glaubigen aus. Vermutlich war die Kammer wie die ver-gleichbaren Beispiele verschlossen. Als vertikale VerschluBplatte einer Reliquienkammer ist auch die Nonnosus-Inschrift in Molzbichl zu deuten.30 Dadurch wird die schrage Abarbeitung an der Oberkante der Riickseite verstandlich, wenn die Abmessungen der Offnung exakt dem PlattenmaB entsprach (Abb. 13). Das Problem ergibt sich, wenn links und rechts der Platte die Zungenmauern einer Arbeitsgrube vorhanden sind, sodaB man den Stein vertikal anheben konnte. Das vorhandene Klammerioch gerade an der Sichtseite ist kein Hinweis auf eine Spolie, sondern auf den VerschluB mittels Klammer: der Raum dafiir war in der Inschrift ausgespart (Abb. 13). Aufgrund der Bearbeitungs-spuren gehort sie also zu jenem Typus von Reliquienkammern, den wir in gutem Erhaltungs- 28 V. Bierbrauer, H. Nothdurfter, Der Schlern 62, 1988, 277. 29 Bei der zeichnerischen Ausfiihrung eines Aui'risses werden die Probleme der beschriebenen Rekonstruktion (siehe Anm. 28) deutlich: Bei einer erhaltenen Hohe von 80 cm und einer lichten Breite der Kammer von 65 cm sowie bei erhal-tenem Gewolbeansatz kann sich kein Gewdlbescheitel von "knapp 2 m" ergeben. 30 F. Glaser, K. Karpf, Ein karolingisches Kloster. Haierisches Missionszentrum in Karnlen (1989) 4. Abb. 13: Molzbichl: VerschluBplatte einer Reliquienkammer mit Nonnosus-Inschrift (F. Glaser). zustand aus der Bischofskirche in Teurnia ken-nen. Wenn man bedenkt, daB die Beisetzung der Reliquien der Hohepunkt der Kirchweihe darstellt,31 wird auch die Bedeutung der Inschrift besser verstandlich: + Hie re[quies] /ci(t) servus XpliKcrrov) / Nonnosus diac(onus) I qui vixit annos / pl(us) m(inus) C1I1 obiit /1111 Non(as) Septemb(res) / et deposit (us) est in / hunc loco XIII Kctl(endas) / Aug(ustas) indict(ione) XII tertio (anno) post eons(ulatum) / Lampadi et Ores/tis v(irorum) e(larissimontm) Das heiBt: Hier ruht der Diener Christi, der Diakon Nonnosus, der ca. 103 Jahre lebte. Er starb am 2. September und wurde am 20. Juli an die-sem Ort im elften Jahr der Indikation bestattet, drei Jahre nach dem Konsulat der viri clarissimi Lampadius und Orestes. Die Angabe des Todestages (2. September) ist wichtig, um die jahrlichen Gedachtnisfeiern zu " F. W. Deiehmann, A. Tschira, Jahrbuch ties Deutschen Archaologischen Institutes 72, 1967, 105. Spatantike und friilies Christentum. Ausstellung im Liebieghaus. Museum alter Plastik Frankfurt am Main (1984) 676 f. Kat. Nr. 251 mil Lit.: Das Elfenbeinrelief in Trier zeigt eine Kirchweihe. Die kaiserliche Stifterin steht vor dem Bau, daneben erschcint der Kaiser. Auf einem prunkvollen Wagcn bringen zwei Kleriker den Reliquienschrein, dessen Beisetzung den Hohenpunkt tier Dedikation darstellen wird. Im Hintergrund das Volk der Stadt. Ehren des Heiligen abzuhalten. Die Beisetzung der Reliquien wird auf den 20. Juli des Jahres 533 datiert. Das heiBt, daB an diesem Tag eine Kir-che im Raum Molzbichl geweiht wurde. Demnach ist die Inschrift in die Kategorie der Bauinschriften einzuordnen. Daraus wird auch die genaue Da-tumsangabe verstandlich: den Tag der Einweihung eines Heiligtums in einer Bauinschrift festzule-gen, ist im romischen Kulturkreis bekannt, wie z. B. fiir Mithrastempel.32 Ein seltenes Fundstiick stellt eine reliefierte Marmorplatte (110 x 80 cm) in Parentium/Poreč dar, die dem Altar der euphrasianischen Kirche des 6. Jh. zugeordnet wird.33 Dieser Altar soil die Maurus Reliquien aufgenommen haben. Die Platte zeigt im Relief einen Bogen mit einer Muschel, welcher auf Saulchen ruht. Uber der rechtecki-gen Offnung in der Platte befindet sich ein Gie-bel mit Kreuz und Vogeln; iiber dem Giebel sind zwei Delphine angebracht. Die Inschrift am Bogen lautet: + Famul(us) D(e)i Eufrasius Antis(tes) temporib(us) suis ag(ens) an(num) XI a fondamen (tis) D(e)o iobant(e) s(an)c(t)e aecl(esie) catholec(e) hunc loc(um) cond(idit). "Der Diener Gottes Eufrasius Antistes lieB im 11. Jahr seiner Amtszeit auf GeheiB des heiligen Gottes diesen Ort (= dieses Gotteshaus) der katholischen Kirche vom Fundament auf errich-ten." Mit der Verwendung des Begriffes locus kniipft Eufrasius an die Maurus-Inschrift (duplicatus est locus) an. Unverstandlich ware der Hinweis auf die ecclesia catholica, wenn wir nicht wiiBten, daB Eufrasius zu den Schismatikern des Dreikapitel-streites gehorte. Papst Pelagius I. tadelte ihn im Jahre 559/560 wegen nefanda scelera und der Storung der Kircheneinheit. Diese Kritik macht erst die Formulierung in der Inschrift verstandlich. Daraus wird wohl abzuleiten sein, daB der Neubau erst nach dem Schreiben des Papstes zu datieren sein wird. Die hochrechteckige Offnung in der 80 cm breiten Platte war fiir das Einbringen des Reliquien-kastchens vorgesehen. Hinweise auf eine VerschluB-vorrichtung sind nicht bekannt. Das Herstellen von Beruhrungsreliquien war aufgrund der An- ordnung der Offnung in Bodennahe nicht mog-lich. Wahrend bei den gezeigten Beispielen der Mensaaltar und das darunterliegende Reliquiengrab zwei getrennte Elemente darstellen, wird in Poreč der "Altarkasten" gleichzeitig zur Reliquiengrab.34 Die Vorstellung, daB am Altar die Martyrergebeine beriihrt worden seien, brachte offenbar E.B. Thomas dazu, bestimmte Platten mit halbkreis-formigen Ausnehmungen Altaren zuzuordnen.35 Die Vorstellung war, daB durch die halbkreisformige Offnung die Reliquien hatten beriihrt werden konnen. Die Vermutung hat auch die Datierung beeinfluBt. M. Nagy hat nun eindeutig aufgrund von Par-allelen die Platten als Bestandteile von Mono-podien erklaren konnen, die im romischen Kulturkreis in verschiedenen Zusammenhangen vor-kommen konnen.36 An der Platte von Dunapentele sind nicht die Spuren einer Libationsrohre zu erkennen, sondern die Reste einer Wasserleitung, wie dies pompejanische Beispiele belegen. Die Platte aus Obuda dagegen zeigt an der Untersei-te das Zapfloch eines Tischbeines und gehort zu einem Typ von Monopodien, wie sie z.B. auch von Ollampen bekannt sind oder auf Reliefs erschei-nen: Charakteristisch fiir das Monopodium ist, daB die hintere Kante gegen die Wand gesetzt wurde. Ein Monopodium konnte auch eine Votivgabe darstellen, wie eine Weiheinschrift an Herkules auf einer Platte in Carlisle zeigt (CIL III 6528). Die gefundenen Monopodiumplatten konnen demnach aus einem Heiligtum, aus einer Villa, aus dem Garten oder aus einem Grabbezirk stam-men und dem 1. bis 4. Jh. n. Chr. angehoren. Die drei Platten von Dunapentele diirften von zer-storten Grabern des 4. Jh. kommen. Sind Gruben im Bereich des Presbyteriums durch die Grabungen zu erfassen, kann leicht darauf geschlossen werden, daB Reliquien un-ter dem Altar beigesetzt waren. Gelegentlich fehlen allerdings solche Gruben bei den Altaren fur die Eucharistiefeier, wie wir dies von der groBeren Kirche auf dem Kučar, von der ostlichen Doppel-kirche auf dem Hemmaberg und von der Kirche extra muros (sogen. Friedhofskirche) in Teurnia kennen. Im besonderen waren natiirlich Details zur Lage der Reliquiengraber in Pola, Nesactium, 32 Z. B. G. Piccottini, Mithrastempel in Virunum (1994) 15. Tempelbauinschriften: CIL III 4800; III 5565; VIII 6979; IX 5177; IX 5294; XI 3614; XIV 2112; XIV 2410; XIV 2795. 33 M. Prelog, Die Euphrasiusbasilika von Poreč (1986) 97, Taf. 2. A. Šonje, Poreč, Die eufrasianische Basilika (1987) 2 14. 28. 34 Vgl. die Altiire in Pomposa und Ferrara: R. Farioli, 30. C'orso Cult, arte rav. biz. 30, 1983, 234 f. 35 E. B. Thomas, Arh. vest. 29, 1978, 573 ff. 36 M. Nagy, Fol. Arch. 39, 1988, 135 ff. Betiga, Parentium oder Aquileia wiinschenswert. Daher miissen wir auf andere Beispiele zuriick-greifen, die in den benachbarten Regionen lie-gen. In der Kirche extra muros in Teurnia hat R. Egger im Presbyterium des Hauptschiffes keine Grube feststellen konnen und hat vermutet, daB sich das Reliquiar zwischen den Saulchen der Altarmensa befand, eingelassen in die Basisplatte des Altares.37 Eine solche mittlere Vertiefung kennen wir von der Standplatte des Altares in der Basilica Santa Maria delle Grazie in Aquileia: Diese Ausnehmung stammt jedoch von einer Mittelsaule der Mensa.38 In Teurnia wurde in der siidlichen Seitenkapelle ein Reliquienbehalter festgestellt (Abb. 14)\ fiir die nordliche Seitenkapelle konnte man ebenfalls einen solchen vermuten. Uberdem Reliquiengrab stand ein Tisch. Wahrend im Hauptschiff die Mitte Abb. 14: Teurnia, Kirche auBerhalb der Stadtmauer. Reli- ohne Abschrankung blieb, wurde hier die Schranke quienschrein und Altar in der siidlichen Seitenkapelle. in die Mitte gesetzt (Abb. 15), wie dies vom SO- Abb. 15: Teurnia, Kirche auBerhalb der Stadtmauer. Abschrankung und Altar in der siidlichen Seitenkapelle ,7 R. Egger, Friihchristliche Kirchenbaulen im siidlichen Norikum (1916) 29. 33. Das von R. Egger vorgebrachte Beispiel in der spiitantiken Kirche von Brioni stellt keine Parallele dar, weil hier eine seichte L-formige, asymmetrisch gelegene Einarbeitung keine derartige Funktion haben konnte. Richtig bei A. Griss, Jb. Altkde. 5, 1911, 85, Abb. 11. 38 P. L. Zovatto, Mem. Si. Forogiul. 39, 1943-1951, 23 ff., Taf. 15. Abb. 16: Hemmaberg, ostliche Doppelkirchenanlage: Apsis der Memorialkirche. genannten Asterius-Mausoleum in Karthago be-kannt ist.39 Links und rechts blieben seitliche Zugange zur Apsis (Abb. 15). In Teurnia waren auf den Pfeilern Saulchen eingezapft, die zusam-men mit den Pilastern einen Architrav trugen (G. Gruber).40 Diese Anordnung war auch fiir die ostliche Doppelkirchenanlage auf dem Hemmaberg maB-geblich.41. In der Kirche fiir die Eucharistiefeier fehlt die Reliquiengrube; in der Memorialkirche ist sie in der Apsis faBbar. Die Abschrankung war hier aus Holz und darf analog zur Marmoraus-fiihrung in Teurnia rekonstruiert werden: Eine mittlere Schrankenplatte aus Holz und seitliche Zugange. Die seitlichen Zugange erklaren auch den geringen Abstand zwischen Klerusbank und Schrankenplatte. Dieses Abgrenzen der Apsis konnte zum Beispiel durch Vorhange oder durch das Einfiigen eines Bildes im Mittelfeld noch gesteigert werden. Details, die maBgeblich sind fur die Raum-wirkung. Auf dem Kučar waren nur in der klei-neren Kirche, der Memorialkirche, Reliquien vorhanden.42 In Vranje kommen Reliquiengruben sowohl beim Altar der Gemeindekirche als auch in der rechteckigen Apsis der Taufkirche vor.43 Die sogenannte Dreikonchenkapelle ("trichora") an der Kirche S. Eufemia in Grado wird in der Uberlieferung als capella di S. Marco bezeich-net. S. Tavano denkt, daB sie urspriinglich den Heiligen Hermagoras und Fortunatus geweiht war und bezeichnet den Bau als "martyrion."44 Wo und wie in dieser Kapelle die Reliquien unterge-bracht waren, wird nicht ausgesprochen. Die Unterbringung in Wandnischen ist ebenfalls in Betracht zu ziehen, wie wir dies aus Grabern im Balkanraum kennen.45 Allerdings muB die Wand soweit erhalten sein wie in Khan Khalde,46 um uberhaupt eine Nische festzustellen. In St. Ste-phan in Chur konnte man unterhalb einer Nische einen Reliquienstollen beobachten und aufgrund der Parallelen und Zusammenhange die Funkti-on erklaren.47 Wenn wir die gezeigten Beispiele der Reliquienloculi betrachten, so steht die Auffas-sung eines Grabes im Vordergrund. Dieses Grab war nicht sichtbar, war aber durch eine Mensa gekennzeichnet. Es gibt offenbar keinen Fall mit einer Vorrichtung fiir die Beruhrung der Reliquien. Man gewinnt den Eindruck, daB die Loculi gleich-sam Grabkammern (Mausoleen) in Miniaturform darstellen. Die besprochenen Beispiele sollen zeigen, daB wir nicht nur im Presbyterium mit Reliquien zu rechnen haben, sondern auch in eigenen Kapellen und Apsiden. Zeitliche Krite- 39 N. Duval, A. Lezine, Melanges d'archeologie el d'hisloire 71, 1959, 339 ff. Dies., Cahiers archeologiques 10, 1959, 71 ff. Die miichtigen Fundamentblocke im Mosaikboden sind nur zu erklaren, wenn darin eingezapfte Schrankenpfeiler eine freistehende Mittelplatte zu halten hatten. 40 Enlgegen der Annahme R. Eggers, Fruhchristliche Kirchenbaulen im siidlichen Norikum (1916/17),daB die Pfeiler einen pinienahnlichen AbschluB besessen hatten, konnte G. Gruber die vorhandenen Spuren in Analogic zur Bischofskirche richtig als eingetiefte Plinthenlager von Saulchen deuten. 41 F. Glaser, Das fruhchristliche Pilgerheiligtum auf dem Hemmaberg (1991) 61 f. 42 J. Dular, Arli. vest. 29, 1978, 528 ff. S. Ciglenečki, Izd. Hr\>. arh. dr. 10, 1986, 137 ff. 43 P. Petru, Th. Ulbert, Vranje pri Sevnici. Starokrščanske cerkve na Ajdovskem gradcu, Kat. in monogr. 12, (1975) 24 ff. 44 S. Tavano, Grado. Guida storica e artistica (1976) 105 ff. P. L. Zovatto, Reallexikon fiir byzantinische Kunst 11 (1971) 914 s. v. Grado: Aufbewahrungsort der Reliquien von Heiligen und Martyrern. 45 W. Sulser, H. Claussen, Sankt Stephan in Chur (1978) 136 ff. 4(> N. Duval, J. P. Caillet, Archeologie au Lavant. Recueil R. Saidali, Collection de la maison de l'orient mediterraneen 12, Sčrie archeologique 9 (1982) 311 ff. 47 W. Sulser, H. Claussen, Sankt Stephan in Cliur (1978) 146. rien lassen sich an der Bauweise der Reliquien-kammern bislang nicht ablesen. Detaillierte Beob-achtung des Ausgrabers wird auch in Zukunft zurweiteren Kenntnis notwendig sein und jeweils eine sachgerechte Rekonstruktion ermoglichen. Die Reliquien und damit die Martyrerverehrung und das Pilgerwesen sind maBgeblich fur die Ent-stehung von Doppelkirchenanlagen und beson-dere architektonische Ausgestaltung von Rau-men. Dr. Franz Glaser Landesmuseum fiir Karnten Museumgasse 2 A-9021 Klagenfurt