^M> KamstaZ den 15. Mai 1884). Frühling «nv grauen, oder: I vas „ff" ves Nebens. ^ Eine Vorlesung, gehalten zu Mi'mchcn im großen Museum-Saale ! von M. G. Saphir. >^er Text, den ich meiner heutigen Devise zu Grunde gelegt habe, findet sich aufgezeichnet in dem großen Buche der Natur und in dcm goldenen Buche Cptherea's. »Frühling und Frauen.« < Beide, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, beginnen mit dem weichsten Buchstaben des ABC, mit einem zusammenstoßenden Lippenlaut, und, so zu sagen, mit einem leisen Kusse für sich selbst. Zu diesem weichen Lippenlaut kömmt sogleich das N als Zungenbuchstabe, welcher nicht nur die Frauen characterift'rt, sondern auch den Frühling, denn im Frühlinge werden alle Zungen der Natur wach. Die befiederten Sänger auf den Bäumen, die vor unsern Sängern das Voraushaben, daßsie vom Blatte singen, werdenwach; die Bäche, des eisigen Mundschlosses entfesselt, schwätzen uud plaudern unaufhörlich, und aus Zweigen, Büschen, Blumen und Gräsern, ruft uns die Stimme der verjüngten Schöpfung zu. «Frühling und Frauen« sind die Vielliebchen des Daseyns. Der Frühling erscheint uns rosiger und blühender, wenn wir an der Hand der Frauen sein großes Blüthen-Bclvedere besuchen, und die Frauen sind wonniger und milder, inniger und treueigener, wenn der Frühling sie anweht, mit dem unsichtbaren Kusse der Verjüngung, Die erste Frau entstand im Schlaft, Adams er-icr ruhiger Schlafist auch sein letzter ruhi^ jer Schlaf gewesen; seine Ruhe hatte während seines Schlafes einen Nibbenstoß erhalten; aber auch der Frühling möcht' ich sagen, entstand in dem Schlummer der ermüdeten Schöpfung als reihender Traum ihrer raschen Jugend, und die gütige Gottheit hielt den Traum fest und führt ihn als Frühling alle Jahre auf kurze Zeit der schmachtenden Schöpfung wieder vor. Wir, meine freundlichen Hörer und Hörerinnen, stehen jetzt an der Schwelle des Frühlings; und der Frübling ist ein freundlicher Wirth, er frä'gtnicht nach Paß und Aufenthaltskarte, nach Wanderbuch und Kundschaft, er öffnet sein blaues Gezelt allen Wesen, die athmen und fühlen; und der Frühling ist ein heiliger Priester, und sein großer Tempel sieht offen allen, die belasteten Herzens sind; er ist ein großer Arzt, ein Wmidcrdoctor, und er frägt nicht nach Geld, Stand > und Nang seiner Kranken, sondern er nimmt alle auf, die kranken Herzens sind, und siechen Gemüthes in sei, ner großen Heilanstalt und in dem Bade der heilgewürzten Luft. Leider wissen wir in unsern Städten gar selten, wann der gute Frühling vor dem Thore sieht und nicht so sehr um Einlaß bittet als um Auslaß, das heißt, daß die Menschen hinaus zu ihm kommen und sich seiner freuen und kindlich und kindisch mit seinen Gaben spielen sollen. Bis die Nachricht, daß der Frühling da ist, durch das Thor kömmt, vom Thore durch die Straßen, durch die Hausthüre, durch die Flur, durch das Vorzimmer, bis zur gnädigen Herrschaft, indessen ! ist der Frühling schon weg. Der Bediente meldet ordentlich: »Der Herr Frühling ist im Vorzimmer!« 'Die gnädige Frau sagt ldarauf: »Der Frühling? ein andermal, ich hab' jetzt nicht Zeit!« Der Mops bellt, und die gnädige Frau halt ihn zurück, damit der Mops dem Frühling nicht in die Waden falle. Höchstens schicktder Frühling unsern Damen ein Paar Blumentöpfe als Visitenkarten in's Zimmer, die unter den - Spiegel gestellt werden. Zuweilen fällt es auch den Damen ein, dem Frühlinge eine Gegenvisite zu machen, oder eine Visite clc rLconn.'ii^.lncc. Sie lassen anspannen, fahren in wohlverschlossenem Kasten bei dem Frühling vor, aber nur der Kut-scher und der Lakai sprechen den Frühling mündlich. Steigt je einmal eine Dame ,aus, um dem Frühling persönlich ihren Besuch zu machen, so geschieht es mit aller Delikatesse und Aengstlichkeit, daß sie nur ja nirgend mit ihren langen Ermeln oder mit der Garni-rung in der lieben Natur hängen bleibe, oder vielmehr, daß nur ja nichts von der Natur an ihr hängen bleibe. Sie schauen die Natur durch ihre Lorgnette an, wie einen Schauspieler, fahren nach Hause und sagen: >»!>Ion5i^ui- I^i'ükIinA