{ D ONAU - BULGARIEN UND. DER BALKAN. DONAU-BULGARIEN UND DER BALKAN. HISTORISCH-GEOGRAPHISCH-ETHNOGRAPHISCHE REISESTUDIEN AUS DEN JAHREN 1860 — 1879. ZWEITE NEU BEARBEITETE AUFLAGE. I. BAND. MIT 30 ILLUSTRATIONEN IM TEXTE, 10 TAFELN UND EINER ROUTIER-KARTE. VON F. KANITZ. LEIPZIG. VERLAGSBUCHHANDLUNG VON HERMANN FRIES. 1879. VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE. Selten feiert ein ernst angelegtes, durch reiche Ausstattung mit Illustrationen und Karten kostspieliges Werk so rasch -wie dieses seinen Neudruck. Viel trug die Anerkennung der maassgebenden europäischen 'Tagespresse hierzu bei, welche es bei seinem ersten Erscheinen als ob-jectiv und bahnbrechend auf den behandelten Gebieten rühmte; nicht minder lenkten aber die überraschend grosse Theilnahme weiter Lesekreise auf die erste Ausgabe jene wuchtigen Ereignisse, welche aus dem absterbenden Leibe des europäischen Osmanenreiches neue Staatenbildungen entstehen Hessen. Obschon nun der Berliner Areopag Rumänien, Serbien, Montenegro unabhängig erklärte, Oesterreich zum Curator Bosniens und der Her-cegovina bestellte und auch ein „Fürstenthum Bulgarien" gründete, dessen Schöpfung der heute vom Sultan an Fürst Alexander I. ausgelieferte Ferman besiegelt, erscheinen die Neugestaltungen im illyrischen Dreiecke nicht abgeschlossen. Von Griechenlands Forderungen und Albamens ungeklärter Zukunft abgesehen, ist auch das Los des von Beginn problematischen „autonomen Ost-Rumelien" keineswegs entschieden. Es sind schwellende Processe, welche die nächste Zeit wahrscheinlich wieder in Fluss bringen dürfte. Wenn aber das Bulgarenvolk zuletzt schon einen wichtigen politischen Angelpunkt bildete, wird es auch im nächsten Acte des fortspielenden zeitgeschichtlichen Drama's, „Orientalische Frage" genannt, schwerlich ein unbetheiligter Zuschauer bleiben können! Aus diesem Grunde, und weil sich am Balkan eine Regeneration aller geistigen und materiellen Verhältnisse vorbereitet, weil dort die Gründung von Bildungsanstalten jeder Art, die rationellere Bodencultur, die Aufschliessung von Minen und Wäldern, die Hebung der Hausindustrie, der Bau von Eisenbahnen u. s. w. nothwendig die Mitwirkung occiden-taler Kräfte bedingt, darf der Autor wohl hoffen, dass jene Kreise, welche sich über Vergangenheit und Gegenwart von Bulgarien^ Land und Leuten unterrichten wollen, diese neu bearbeitete, die interessanten Ereignisse der inhaltsschweren Jahre 1877—1879 einbeziehende zweite Auflage seines „DONAU-BULGARIEN UND DER BALKAN" willkommen heissen werden. MARIENBAD, am 9. Juli 1879. F. KANITZ. VORWORT ZUM I. BANDE DER I. AUFLAGE. In dem grossen politisch-culturellen Gestaltungsprocesse, der sich seit Beginn dieses Jahrhunderts auf der classischen Hämushalbinsel vollzieht, tritt seit einem Decennium jenes Bulgarenvolk in erste Linie, das trotz seiner interessanten Vergangenheit und obschon Byzanz oft vor demselben gezittert, durch Jahrhunderte bis auf den Namen verschollen war. Die Völkerphysiologie des illyrischen Dreiecks bildete gleich seiner Geographie bekanntlich bis vor Kurzem das Stiefkind europäischer Forschung und so warf man auch die slavischen Bulgaren, als Bekenner der griechisch-orientalischen Kirche, ethnographisch mit in die bunte Nationalitätenmasse, welche wegen grober Unkenntniss ihrer Bestandthcile collectiv „Griechen" getauft wurde. Seit neuestens jedoch das Bulgarenvolk mit bewundernswerther Zähigkeit den Kampf um seine geistige Wiedergeburt mit dem Constan-tinopler Patriarchate aufgenommen und dadurch den tiefen Spalt zwischen Südslaven und Griechen blosgclegt, wenden sich ihm die Blicke des überraschten Welttheils zu. Wer immer den Gang der Ereignisse auf türkischem Boden aufmerksam verfolgt, beginnt bereits die bedeutungsvolle Rolle in Erwägung zu ziehen, welche den zwischen Türken, Griechen, Albanesen, Serben und Rumänen eingekeilten, an Zahl aber jede dieser Nationalitäten überragenden Bulgaren zufallen dürfte. Auch der Westeuropa mit dem Orient verbindende Schienenstrang zieht grossentheils durch das Land der Bulgaren, sie halten zudem beinahe den ganzen unteren Donauhandel in ihrer Hand, sind vortreffliche Ackerbauer, Gewerbsleute und Bautechniker, dabei arbeitsfleissig, sparsam, intelligent, sowie in hohem Grade bildungslustig und erinnern sich, was politisch ungemein wichtig, stets mehr ihrer einstigen staatlichen Selbständigkeit! ' Dem durch alle diese Momente bedingten hohen Interesse für Vergangenheit und Gegenwart von Land und Leuten dies- und jenseits der durch sechs Längengrade von der Donau zum Pontus streichenden Balkankette, versucht das hier in seinem I. Bande vorliegende Werk auf Grundlage vieljähriger Reisen und ernster Studien in historisch-geographischethnographischer Richtung zu begegnen. Vielleicht in erhöhterem Maasse, als mein wohlwollend aufgenommenes „Serbien", dürfte dieses Werk, welches das nahezu ungekannte „Donau-Bulgarien" und den von mir achtzehnmal gekreuzten „Balkan" behandelt, einem realen Bedürfnisse begegnen. Die specielle Anordnung des I. Bandes, sowie den Plan des ge-sammten Werkes entwickelt die „Einleitung". An dieser Stelle sei es mir aber erlaubt, dem Verleger, der es so reich ausgestattet, den Gönnern und Freunden, die es gefördert, meinen tiefgefühlten Dank auszudrücken. Möge es ihren Erwartungen einigermaassen entsprechen. Wenn ich eine nachsichtige Beurtheilung dieses Werkes zu hoffen wage, geschieht es im Hinblicke, dass es in seinem gesammten Inhalte grossentheils ohne jede Stützung auf vorhandene fremde Vorarbeiten geschaffen werden musste und weil es auf durchaus neuen, auf dem Terrain selbst mühsam erworbenen Materialien beruhend, den ersten Versuch eines geschlossenen Werkes über „DONAU-BULGARIEN, DEN BALKAN Ul^p DAS BULGARENVOLK" bildet, deren hohe Bedeutung nur Wenige früher erkannten. WIEN, Ostern 1875. F. KANITZ. INHALTSVERZEICHNIS^ I. IM ALTEN UND NEUEN VIDIN. Landschaftlich-geologischer Charakter der Donau vom Timok bis zur Jantra. — Der Bancerovo bei Florentin. — Oesterreichische Positions-Bestimmungen am bulgarischen Ufer 1854. — Mein erster Besuch zu Vidin 1862. — Hanns Wachenhusen's Schilderung seiner Physiognomie. — Ungerechte Vorwürfe. — Wanderung durch die Festung. — Stambul kapu. — Erster Lichtpunkt: seine zahlreichen Brunnen. — Eisstiftung Pasvan Oglu Pasa's. — Dessen Stellung zu Selim III. — Sein Sieg über die Reform. — Dessen Monumentalbauten. — Seine Grabstätte. — Die Achmet-Moschee und das Grab des Reform - Grossveziers Hussein Pasa. — Hie Tülbend, hie Fes! — Sami Pasa, der „Deutschcnfeind'1. — Des Waffenmuseum's interessanter Inhalt. — Die Ausrüstungsmagazine. — Das Hospital und dessen Aerzte. — Militärische Etablissements. — Gold- und Silberschmiede. — Bazar. — Christenviertel. — Bulgarische Schulen. — Kirche und Glockenthurmgeschichte. — Eine Intervention des österreichisch-ungarischen Consuls. — Charakter der älteren Kirchen. — Synagoge und neues katholisches Kirchlein. — Tataren-Colonie. — Emigrirte Türken von Belgrad. — Exilirte Helden vom Libanon. — Fürst von Aslom. — Vergnügungen. — Promenaden. — Donauufer. — Schifffahrtsbewegung. — Kriegsflottille. — Garnison. — Lager. — Tumuli. — Soldaten und Soldverhältnisse. — Das römisch-byzantinisch-bulgarisch-magyarisch-türkische Vidin. — Geschichte seiner Befestigung. — Citadelle und Wallgürtel. — Aeltester Theil der Festung. — Prinzessin Vida. — Grundrissaufnuhme des Schlosses der Sisruaniden. — Römische Inschriften von Hatiaria herrührend. — Eroberung durch Kaiser Basilius 1002. — Geschichte 1394—1444. — Markgraf von Baden vor Vidin lbVJ. — Einnahme und Verlust. — Tököly. — Belagerung durch Marschall Khcvenhüller 1737. — Fehlschlagen der Operationen wegen Unkenntniss der Strassen-züge. — Marschall SeckcndorfTs Ankunft. — Verluste der Kaiserlichen. — Aufhebung der Belagerung. — Vidin's Rolle im serbischen Befreiungskämpfe. — Im türkisch-russischen Kriege 1828 — 1829. — Kampf bei Bojelcsti. — Russisch-türkischer Krieg 1853. — Gefecht bei Cetate und Kalafat's Heiagerung 1851 bis zur österreichischen Occupation der Fürstenthümer. — Von wem und gegen wen wird Kalafat im nächsten Kriege vertheidigt werden? — Rasche Beantwortung dieser Frage. — Vidin im türkisch-serbischen Feldzuge 187(5.— Hinrichtung bulgarischer Insurgenten. — Im russischen Kriege 1877. — Kalafat, von den Rumänen besetzt. — Bombardement in Fürst Kurl'.s Gegenwart. — Osman Pasa's Abzug nach Plevna. — Erschliessung Vidin's von der Landseite. Wegnahme der türkischen Redouten bei Smrdan. — Uebergabe der Festung. — Verheerungen in der Stadt und Festung. — Räumung der Citadelle. — Russische Sprengung ihrer Werke. — Neuer Glockenturm. — Ueberfüllte Friedhöfe. — Neubauten. — Hotels. — Kaistrasse. — Russisches Soldatcnleben. — Alte Strahsm-Physiogiiumie und neue Sitten. — Verschönerung der Stadt. — Fürst Dondukoff-KorzakofFs Besuch. — Festlicher Empfang. — Unfall in der „Vidine kule". — Abschiedsfest für die abziehende russische Garnison. — Zurückbleibender russischer Administrationsstab. — Emigration der moslimschen Bevölkerung. — Sinken der Häuserpreise. — Einwohner- und Häuserzahl im Februar 1879. — Schulwesen. — Administrations- und Gerichtsbehörden. — Steuern und Zölle, Strassenbau, Posten. — Import und Export. — Erste Firmen. — Vidin's commercielle Zukunft. S. 1. II. LIEBER BELOGRADCIK ZUR VRSKA-CUKA UND DONAU. Der Aufstand im Balkan 1862. — In Vidin. — Reisegefährte Consul von Walcher. — Bei Suleyman Pala. — Das Bujurdu. — Pasagehalte. — Abreise. — Unfall am Arcer. — Raschid Pasa. — Neue und alte Strasse. — Eine tscherkessische Ansiedlung. — Die Stoloviberge. — Beschwerlicher Aufstieg zur Passhöhe. — Schönes Panorama. — Empfang. — Die Belogradciker Steinwelt bei Mondnacht. — Blanqui's Apologie. — Geologisches. — Das Städtchen und dessen Bewohner. — Was Glockengeläute dem Moslim bedeutet. — Bauernaufstände 1840 und 1841. — Im serbischtürkischen Kriege 1876. — Rumänen und Serben vor Belogradcik 1878. — Dessen Uebergabe an die Russen. — Die Festung. — Suleyman's neues Fort. — Künstliches Hochplateau. — Ein Aufenthalt für Adler. — Guter Peilungspunkt. — Aeltere Bauten, römische Befestigung? — Tiefer Friede zwischen Lom und Timok. — Durch den Arcer nach Rakovica. — Seine Karaula. — Ihr Buljukbasa. — Aufstand 1851. —Bulgarische Auswanderer nach Serbien. — Nizam-Garnison 1870. — Ein Exercitium. — Durch die Vitbolquellen nach Vrska-Cuka. — Serbisch-türkische Grenzanstalten. — Die Timokterrasse im serbischen Feldzuge 1876. — Lesjanin's und Osman Pasa's Kämpfe zwischen Bregova und Zaicar. — Im russisch-türkischen Kriege 1877. — Serbische Besetzung Kula's. — Weiteres Schicksal des Timokgebietes. — Ktila und sein neuer Name Adlieh. — Vergebliches Suchen der Stadt auf früheren Karten. — Das alte Schloss und nahe antike Funde. — Der Kaimakam und störrige Spahiabkömmling. — Kula's Casino. — Seine Tataren und Tscherkessen. — Neue Poststrasse nach Vidin. — Abstieg zur Donau. — Ihre Niederungen, Sümpfe und Fiebermiasmen. — Alttürkische Viaducte. — Wasserjagd. — Gastfreundschaft in Vidin's Mauern. S. 41. III. DURCH DAS T0P0L0VICA-, DELENA- UND TIMOK-GEBIET. Durch Vidin's Glacis. — Tepe an der Strasse nach Kapitanica. — Verbreitung der Tumuli. — Ihre einstige Bestimmung. — Die Bevölkerung des bulgarischen Timoklandes. — Ansiedlung der Rumänen. — Neueste Versuche, sie zu Rom zu bekehren. — Ethnographisches. — Bulgaren, Türken, Tataren, Tscherkessen, spanische Juden, Zigeuner, Cincaren, Griechen u. s. w. — Polyglottes Völkerdurcheinander. — Florentin's Ruinen und Geschichte. — Cetate. — Verfall des Türkenthums. — Das Bulgarenviertel. — Contraste. — Ein antikes Grab. — Petrefactenreiche Formation. — Castell von Vurv. — Dorticum. — Castell zu Rakovica. — Verschiebung der Timokmündung. — Bregova. — Alter Strassenzug. — Neuere Römerfunde bei Praovo. — Grosse Timokinsel. — Fortschritte der Rumänen. — Kirche und Schule zu Bregova. — Terrain bis Delena. — Seine bisherige schlechte graphische Darstellung. — Verfehlter archäologischer Ausflug zur Vrska-Cuka. — Positionspunkt Gola-Manova. — Mahnung an südrussische Thalbildungen. — Der „Räuberbrunnen" lind seine Tradition. — Tscherkessendorf Albatina. ■— Waldvertilgung. — Knesenhaus zu Girca. — Ein Fall von Kinderlosigkeit. — Christ und Türk, einst und zuletzt. — Vertheidigungskirche. — Delenska- und Topolovicathal. — Weinlese zu Vurv. — Die Timokbulgaren über das Türkenregiment. — Landschaftliche Physiognomie des Timokthals. — Seine neuen Befestigungen. S. 61. IV. VOM SVETI NIKOLA- BALKAN DURCH DAS LOMGEBIET ZUR DONAU. Auf der Passhöhe des Sv. Nikola-Balkans. — Geologisches. — Im russisch-serbisch-türkischen Kriege 1877- — Neue Grenze 1878. — Kein Kloster Sv. Nikola. — Grosses Beklemeh. — Verschiedene Bestimmung der Karaule in der Türkei und in Serbien. — Räuberthum und Gensdarmen. — Die Zaptie's aus den Gefilden Albaniens. — Der moslimsche Gensdarm der eigentliche Regent. — Weites Panorama nach SW. und NO. — Vegetation. — Abwärts nach Öupren. — Irrige Darstellung der Lomquellen. — Theilung der Strasse nach Lom und Vidin. — Der Han von Falkovce, ein prächtiger Aussichtspunkt. — Die in Wirklichkeit nicht vorhandenen Städte unserer Karten. — Die ehemalige Bischofsstadt Drinovac. — Tataren, Tscherkessen und emigrirte Bulgaren am Lom-flusse. — Owen Stanleys ,,Penpits" und Edward Brown's „Troglodyten". — Eine Mahnung für Archäologen. — Aufblühen Lom-Palanka's. — Einfluss des Postverkehrs und dessen Einrichtung. — Dampfschifffahrt. — Das Almus der Peutinger'schen Tafel. — Sein Castrum. — Einnahme Lom's durch die Rumänen 1877. — Einsetzung russischer Behörden. — Römische Inschriften, die Legio I. Italica, antike Funde. — Remetodia. — Der römische Donaulimes und seine Castelle. S. 75. V. ZWISCHEN LOM, ARCER UND VITBOL. Vergebliches Forschen nach Fluss und Dorf Smorden unserer Karten. — Das ungekannte Skomlja-flüsschen. — Die Terrasse zwischen Lom und Arcer. — Kloster Sveta Bogorodica's Kirche und Wunderquelle. — Qucllgeister. — Keine schreibkundige Seele zu Skomlja. — Eine bulgarische Dorfschule. — Arcer, das alte Ratiaria. — Ein treffender Ausspruch Carey's über die römische und türkische Epoche der Donauländer. — Geschichtliches über Ratiaria. — Arcer's Besetzung durch die Rumänen 1877. — Archäologische Funde daselbst. — Mommsen's „Corpus". — Aufsuchung der Römerstrasse zwischen Naissus und Ratiaria. — Römische Steinbrüche bei Lagosovce. — Das Bett des Arcerflusses. — Fund eines Castrums bei Ostrokavce. — Ruinen einer römischen Stadt bei Kladrup. — Ein bulgarischer „Cromlech". — Inschriften und Gräberhügel bei Rabis. — Conbustica und die Peut. Tafel. — Der „Pilav bair" und Landsee bei Rabis. — Weite Fernsicht von der Magura. — Ein rückgewanderter Krim-Emigrant. — Sprachtalent der Bulgaren. — Die Rakovicka rjeka. — Serbische Haiduken 1864 zu Makres. — Vitbolquellen. — Im Kmetenhause zu Gramada. — Türkisches Ciftlik. — Zurückweichen der Türken vom flachen Lande. — Die Wasserhebewerke der Bulgaren. — Das Vitbolgebiet auf Oberst v. Scheda's Karte. — Nizam-Piquet auf einem Castelle des römischen Donaulimes. — Serbisches Wappen auf der Kirche zu Vitbol. — Kalkfelspylone bei Voinica. — Romantisches Nachtbivouak zu Sadrca. — Ein 120jähriger Rajah. — Trauriger Zustand der Tscherkessencolonie Kula. — Originelle Getreidereinigung zu Storopatica. — Verrufenes Tscherkessendorf. — Waldeinsamkeit im Kloster Sv. Troica. — Verkommene Mönche. — Deren Ideale. — Das Kirchlein und des Hegumens Reisesegen. — Die Klosterschlucht glücklich im Rücken. — Misstrauen der Pforte gegen ihre südwestlichen Nachbarn. — Verstärkung des mos-limschen Elements durch Colonisation. — Abschied von der westbulgarischen Terrasse. S. 91. VI. UEBER VIDIN NACH RUSCUK. Reise-Ouverture 1871. — Landung zu Vidin.—Rumänischer Unions-Apostel aus Ungarn. — Scheitern seiner Mission. — Zwccklosigkeit der katholischen Propaganda. — Sturz Asiz Pasa's. — Agent v. Takacsy. — Herr v. Källay. — Akif und Hadzi Asiz Pasa's Wirksamkeit. — Der russische Consul Kira Dindjan. — Seine und IgnatiefTs Aufgabe. — Russische und französische Urtheile über die Rumänen. — Vergessener Lichtpunkt Vidin's. — Donaufahrt nach Ruscuk. — Dessen Lage. — Dampfer-Compagnie „Idariji nehrije". — Schiffswerfte. — Wirkung meines Fermans. — Hotel „Isle Hane". — Wesshalb keine deutschen Journale. — Oesterreichisch-Ungarisches Ge-ncral-Consulat. — Vau Omer Fewzi Pasa. — Schicksal seiner Reformpläne. — Eine neue türkische Karte. — Ethnographisches Gewirre am Donaukai. — Einwohnerzahl. — Physiognomie Alt- und Neu-Ruscuk's. — Consulate. — Der Vali-Seraiplatz. — Oeft'entliche Gebäude. — Anstrich U la franca. — Moscheen. — Kirchen. — Schicksal der neuen Glocke. — Action des russischen Gcneral-Consuls Masnin. — Sturz des Vali Rasim Pasa. — Streit zwischen Bulgaren und Griechen. — Mr. Flocken. — Amerikanische Bibel-Gesellschaft. — Irische Nonnen. — Bulgarische Bildungsanstalten, Buchhandel und Journale. — Kunstgewerbe. — Kaufläden. — Handel en detail und en gros. — Advocaton und Aerztc. — Klima. — Temperatur-Minira» 1860—76. — Sommer-Ausflüge und Winter-Vergnügungen. — Ruscuk zur Römerzeit. — Schloss Hadzi Chalfa's. — Moltke über türkische feste Plätze. — Ruscuk in den türkisch-russischen Kriegen 1810, 1828—29, 1853 —54, — Vergleich Ruscuk's mit Mainz. — Neue Befestigungs-Projccte. — Ruscuk's Werke im Kriege 1877. — Seine Garnison. — Geschützkämpfe mit den russischen Batterien von Slobosia und Giurgcvo. — Flucht der Civilbcvölkcrung während des Bombardements am 24. Juni. — Commandant Eschrew Pasa zur Verantwortung nach Stambnl berufen. — Ersetzung durch Achmed Kaisserli Pasa. — Zerstörung der Dampfmüblcn. — Ausfalle der Besatzung. — Grosse Zerstörung in der Stadt am 8. September. — Ereignisse im Oktober am Lom bei Ruscuk. — Suleyman Pasa ergreift dort die Offensive. — Verlustreicher Ausfall. — Rückzug der türkischen Operationsarmcc. — Engere Einschliessung der Festung. — Wechsel im Commando. — Erhöhung der Besatzung. — Uebcrgabo an General Todleben. — Zerstörte grössere Gebäude. — Russische Administration und Gerichte. — Türkische Emigration. — Grundpreise und Miethcn. — Alte und neue Handelsfirmen. — Schulwesen während und nach dem Kriege. — Strasscn-Trottoirs und Neubauten. — Zukunft der Stadt. S. 115. VII. ENTLANG DER JANTRA. Orakclsprüchc über die Balkanpässe. — Das Reisen in der Türkei. — Der niederländische Consul Scheu. — Zu Wagen nach Tirnovo. — Beginn der geographischen Arbeit. — Barth's Nomenclatur. — Das Reitpferd eine Nothwendigkeit für den Reisenden. — Unsere Karten selbst bei Ruscuk unrichtig. — Musivische Bevölkerung. — Die Strasse bis zum Göl cesme-Han. — Karaula. — Landschaft und Leute bei Manastirci. — Intermezzo. — Alte und neue Gräber. — Auftauchen der Jantra und Balkankette. — Defile. — Geologisches. — Nachtquartier im Han zu Bela. — Muezin-und Symantronmusik. — Kirche. — Dampfmühle. — Strassen-Knotenpunkt. — Dr. Barth und Bela's Mudir. — Decorationswechsel nach Sedan und Metz. — Shocking! — Bulgariens schönste Brücke. — Ihr Erbauer. — Die Architekten der grossen Sultane. — 40 Tumuli. — Prähistorische Volker und Russen im Jantrathai. — Schanze bei Kosovo. — Ruscuk-Plevna Strasse. — Kriegs-Ereignisse bei Bela 1877. Neueste und frühere Emigration. — Agricoler Wohlstand. — Primitiver Ackerbau. — Pflug. — Armutli und Dranköi. — Slavejkov und die Schlacht von Nikopoli. — Die Rusica-Quellen nach Barth. — PolikraiBte. — Landschaftlicher Prolog zur Balkanwelt. S. 141. VIII. DIE CARENSTADT TIRNOVO. Samovoden, als Hüter der Jantraschlucht. — Justinianisches Castell. — Vorregion des Balkans. — Altäre der Tumulimenschen, heidnischer und christlicher Slaven. — Kloster Sv. Troica's Stiftung. — Sbor zu Sv. Preobrazenije. — Landschaft und Mönche. — Gruss von Tirnovo's Castellbcrg. — Im Han „Bella Bona". — Lage der Carenstadt. — Choniates, und Moltke's Situationsplan. — Schilderung der Stadt. — Ihre Viertel, Moscheen, Kirchen, Serai, Brücken, Befestigungen u. s. w. — Geschichte des „heiligen Berges". — Tirnovo's hohes Ansehen bei den Bulgaren. — Residenz der Dynastien Asen und Sisman. — Kalojan und Papst Innocenz III. — Car Boris' schöne Tochter. — Die Ungarn vor Tirnovo. — Die byzantinische Maria, Car Konstantin und Haiduk Ivailo. — Des Tatarenchans Nogaj's Sohn Coki. — Patriarch Joakim's Ende. — Adamiten und Hesy-chasten. — Car Alexander und die jüdische Carin Theodora. — Bajazid's Sohn Celebi erstürmt Tirnovo. — Eutimiji der letzte Patriarch. — Verwüstung der Stadt. — Unter türkischem Regiment. — Einstige Industrie. — Consulate. — Besetzung durch die Russen 1810. — Martyrium der Freiheitskämpfer 1836. — Geschichte des Kirchenbaues Kiril und Methodije. — Mord seines Stifters Vasil Kiselov. — Erhebungsversuche 1867 und 1876. — Folgen. — Ereignisse während des russischen Krieges 1877. — Grossfürst Nikolaus und Fürst Öerkavski. — Einrichtung der russischen Administration. — Notabein-Versammlung und Fürstenwahl. — Eingeborene höhere Beamte. — Der Konak. — Sultan Machmud's Pavillon. — Mutessarif Haidar Bei. — Vor und hinter dem Velum. — Akademische Conversation. — Midhat's Pompiercorps. — Moltke's Schilderung der Privatbanten Tirnovo's. — Römerstein der Basderlik cesma. — Sultan Machmud's Besuch der Kursumlu dzamesi. — Einst und heute. — Grauser Tod Kaiser Balduin's I. — Felsbrücke. — Eingang zum Carevec. — Das Türkenschloss Hadzi Chalfa's. — Aufstieg zur Hisar dzamesi. — Römische Inschriften. — Alter Taufbrunnen. — Wahrscheinliche Stelle der alten Patriarchalkirche „Christi Himmelfahrt". — Palast Car Joannes Alexander's. — Sv. Petkakirche. — Der Türke und die alten Ruinen. — Can tepesi. — Römerstein. — Barth's Nicopolis ad Haemum. — Abstieg. — Antike Reste. — Wirkung des Gegenbesuchs Haidar Pasa's im Han Bella Bona. — Vortheile der Kcfvisiten für den Ethnographen. — Rekrutirungscene im Konak. — Der Heeresdienst und die Moslims. — Besuch der h. Carenkirchen. — Eine Moschee 1877 dem christlichen Cultus zu- rückgegeben. — Feierliches Tedeum in derselben zu Ehren der Constituirung Bulgariens 1879. — Ausflug nach Arbanas. — Seine Kirche. — Krdsaliensturm. — Brancovan's, Kantacuzen's, Bra-tiano's, Filipescu's Häuser zu Arbanus. — Nonnenkloster Sv. Nikola. — Kömcrsculptur. — Kara-giozoglu's „Fabrika" zu Marinopol. — Signor Bianchi. — Klöster. — Pfcrdemarkt zu Kahovica. — Türkische Tattersallknifle. — Kloster Sv. Petar. — Antike Fragmente. — Die Jantra. — Kartographische Correctur. — Qualen auf dem Sirket-Vehikel. — In Tirnovo. S. 153. IX. NACH NICOPOLIS AM ISTER UND SVISTOV. Mein Reisegclcit. — Ibrahim Gaus. — Aufbruch nach Nikup. — Ein deutsches Landhaus. — Durchführung der Rusica. — Ruinenfeld von „Nicopolis am Ister". — Dessen Umfang, Umwallung und Tbore. — Sein Prätorium. — Gräberstätte, Sarkophag und Bad. — Decorative Reste. — Mein Vertrag mit türkischen Schätzesuchern. — Ausgegrabene griechische Inschrift. — Die Streitfrage über die Stelle von Nicopolis ad Humum entschieden. — Die ulten Itinerarien und Münzen. — König Sigismunde und Bajazid's Nicopolis. — Trajan's und Heraclius' Nicopolis. — Aeltere und neuere Historiker über deren einstige Stelle. — Aufhellung ihrer Widersprüche. — KirchhofPs Lesung der Inschrift. _ Enttäuschung der Schatzgräber. — Türkische Behörden und antiquarische Funde. — Münzen von Nicopolis. — War Trajan sein Gründer? — Nicopolis' einstige Bedeutung. — Dessen Handels- und Heerstrassen. — Seine Prachtbauten. — Zerstörung durch Gothen und Hunnen. — Keine mittelalterlichen Funde. — Abschied von der Trümmerstätte. — Prof. Brunn's jüngste Hypothese. — Enttragene Sculpturen und Inschriften zu Novi Nikup. — Kömerstein zu Mekis. — Topographisches. — Getreide-Caravane bei Tekir. — Frachtlohn in Bulgarien und im Occident. — Sumpffieberherde. — Im Janakci-han zu Svistov. — Auf der Cuka. — Geschichte der Stadt von der Römerzeit bis zum russischen Kriege 1877. — Donauübergang. — Fürst Alexander v. Battenberg betritt bulgarischen Boden. — Sviötov's Besetzung. — Brückenbau. — Car Alexander's Besuch. — Während des Krieges. S. 179. X. UEBER SELVI UND GABROVO AUF DEN SIPKA BALKAN. (II. BALKAN-PASSAGE.) Misstraucn gegen die türkische Post. — Das moslimsche Mussafirlik und der christliche Han. — Statistische Enquete zu Carovec. — Kampf und Ende der Legion Hadzi Dimitri's. — Salpetergewinnung zu Ovca Mogila. — Hoher Tumulus. — Insurrection 1870. — Abend in einem Türken- und Bulgarendorf. — Osma Gradiste. — Archäologisches vom Catal tepe. — Römerreste. — Alte Strasse. — Thal von Vrbovka. — Römisches Relief. — Ein Bulgarenhof. — Rusicathal. — Intermezzo. — Nachtlager zu Sücündol. — 18 Seelen in einem Hause. — Schwiegermütter. — Antikes Dianabild. — Tracht. — Eine Braut. — Durch die Rusica bei Bars. — Pittoreske Landschaft. — Verlassene Strasse. — Kursovo als Orientirungspunkt. — Abstieg nach Selvi. — Häuserzahl. — Kreisamt jetzt und einst. — Römischer Votivstein. — Antike Stadt. — Neue Brücke und Kirche. — Preise moderner Schnitz-und Bildwerke. — Altes Kirchlein. — Neue Schule. — Bildungstrieb junger Bulgaren. — Aufstandsversuch 1876. — Russische Eroberung 1877. — Nach Serbegli. — Späte Obstreife. — Weilerdörfer. — Organisation der Kolibi. — Charakter der Vorregion des Balkans. — Han zu Gabrovo. — Seine Mahle, Kirchen und Schulen. — Seig-Fabrikation. — Frauenkloster Blagovestcnijo. —■ Dessen Organisation. — Gabrovo's Industrie. — Kein Türke. — Denunciation 1871. — Merkwürdiges Postamt. — Sperrung der Schulen. — Meine Enquete. — Gabrovo's Rivalität mit Travna beim Strassenbau. — Antikes Castell. — Gabrovo's Zerstörung 1798. — Russische Besetzung 1810. — Seine Schicksale 1829, 1854. — Sultan Machmud's und Abdul Medjit's Besuche, Brücken und Strassen. — Aufständische Bewegung 1876. — Ein bulgarischer Verräther. — Russische Besetzung 1877. — Besuch des Grossfürsten Nikolaus 1878. — Strasse zum Sipka-Passc. — Barth's Lisis Küi. — Coban-Brüeke. — Mineraltherme. — Orden für eine Brücke. — Selenodrvo's Holzindustrie. — Unwetter. — Kloster Sv. Sokol. — Ein Pasa, sein Protector. — Kirche und merkwürdige Fresken. — Mysteriöse Höhlen. — Zum Marko kralskigrud bair. — Seine Ruine. — Römerstrasse. — Kaiser Dccius und der Gothcnhäuptling Kniva. — Der Pass unter Bulgaren und Türken. — Seine Befestigung und Rolle im letzten Kriege. — Haiduk Panajot Hitov. — Weite Aussicht. — Geographisches. — Wichtigkeit des Nipka-Passcs und seiner Strassenziige für Handel und Krieg. — Messungen der Passhöhe. — Erster Blick auf das thracische Schiri-. S. 198. XL VON KAZANLIK UEBER DEN TRAVNA-BALKAN NACH TIRNOVO. (III. BALKAN-PASSAGE.) Contrast zwischen Nord und Süd auf dem Sipka-Balkan. — Staffage. — Abstieg nach Dorf Sipka. — Schlechte Strasse. — Bulgarischer und türkischer Kef. — Moltke's Schilderung des Kazanlik tekne. — Tumuli bei Hasköi im letzten Kriege. — Der Sismancchugel. — Ausgrabungen. — Zur Tumuli-forschung. — Römercastell. — Rosen-Cultus im Orient und Occident. — Thracischer Rosenölhandel. — Volkspolizei. — Beschreibung Kazanliks. — Nonnenkloster. — Römerreste. — Thermen._ Fische. — Türken und Christen der Stadt. — Besuch in Papasoglu's Rosenölfabrik. — Jungbulgarenputsch 1875. — Gurko's Zug über den Elena-Balkan 1877. — Einnahme Kazanlik's. — Besetzung des Sipka-Passes. — Vorgänge an der Marica. — Rückzug der Russen über den Balkan. — Rückkehr der Türken nach Kazanlik. — Verwüstung der Stadt. — Suleyman's Angriffe auf Radetzki's Sipka-Stellung. — Sturm auf den Sv. Nikola. — Neue Kämpfe unter Reuf Pasa. — Umzinglung der türkischen Balkan-Armee 1878. — Ihre Capitulation. — Grossfürst Nikolaus zu Kazanlik. — Das „Thal der Rosen und der Thränen". — Wege nach Travna. — 9 Tepe. — Magliska-Defile' und Dorf. — Merkwürdige Harmonie zwischen Türken und Bulgaren. — Gründungssage von Kloster Maglis. — Mönchsindustrie. — Ueber den Pobak nach Selci. — Das keltische Tyle. — Dorf Selci. — Sommerliche Emigration. — Mächtiges Kohlenlager. — Ueber den Travna-Balkan. — Riesiges Kohlenflötz. — Städtchen Travna. — 54 Weilernamen. — Cibukci-Mudir Hadzi Mustafa. — Ein lustiger Abend. — Rosenölbereitung. — Eine Valevica und Tepavica. — Besuch beim bulgarischen Veit Stoss. — Bulgarische Jünglinge in Wien. — Takim-Fabrikation. — Bulgarische Industrie. — Kozohari. — Ziegenleder für Wiener Handschuhe. — Ziegenhaargewebe. — Neue Strasse über den Balkan. — Abschiedsfest im Freien. — Travna's Schicksale 1876. — Han auf der Carova Livada. — Drenovo und sein Kloster Sv. Arhangel. — Aufstand 1876. — Kilifar und Debelec. — Empfang zu Tirnovo. S. 230. XII. HÖHEN-MESSUNGEN. S. 268. \ ERZEIUIXISS DER 30 ILLUSTRATIONEN IM TEXTE: Seil Bulgariens Wappen. (Titel). 1. Auf der Donau........................... 2. Osman Pasvan Oglu's Grab zu Vidin................... 3. Planskizze der ältesten Feste zu Vidin................... 4. Verurtheilte Insurgenten auf dem Gange zur Richtstätte............. 25 5. Geschützkampf zwischen Vidin und Kalafat................. 29 6. Plan der Feste Belogradcik....................... 50 7. Verwundeter serbischer Officier in einem Bulgarenhause............ 55 8. Schlossruine von Kula........................ 57 9. Der hohe Thurm zu Kula....................... 58 10. Die Tumuli des Militärlagers bei Vidin.................. 62 11. Donauufer bei Florentin........................ 65 12. Türkisches Donau-Cordons-Phmet.................... 66 13. Das musische Donauufer zwischen dem Lom und Timok auf der Pcutinger'schen Tafel . 86 11. Vorlesung von Kriegsnachrichten am Cad ravan-Brunnen zu Lom......... 89 15. Kloster Sv. Bogorodica bei Dobridol................... 93 16. Römischer Sarkophag zu Arcer..................... 98 17. Bulgarischer Bewässerungs-Apparat am Vitbol................ 107 18. Jantrabrücke bei Bela........................ 148 19. Bulgarische Brückenbau-Technik..................... 149 20. Kloster Sv. Troica im Jantra-Engpasse bei Tirnovo.............. 154 21. Russische Soldaten im Bulgarenviertel zu Tirnovo............... 158 22. Fries und Deckplatte von Nicopolis am Ister................ 184 23. Hämus-Mcduille von Nicopolis am Ister.................. 189 24. Diana-Relief zu Sücündol....................... 207 25. Bulgarisches Gehöft zu Sücündol ..................... 208 26. Feier von Plevna's Fall in der neuen Kirche zu Selvi............. 211 27. Einzug russischer Truppen in Gabrovo.................. 222 28. Geschützkampf auf dem Nipku-Passe................... 247 29. Mönchs-Industrie zu Maglis....................... 252 30. Posamentier-Werkstättc zu Travna.................... 263 YKKZEICIINISS DER 10 TAFELN: I. BULGARENSCHLOSS ZU VIDIN................... 16 II. FELSFESTE BELOGRADCIK.................... 46 III. IM FESTUNGSHOFE ZU BELOGRADCIK................ 50 IV. TÜRKISCHE KAR AUL-ZA PTIES................... 80 V. TROGLODYTENDORF AM LOM................... 84 VL DISTRICTSSTADT RUSCUK..................... 124 VII. CARENSTADT TIKNOVO...................... 156 VIII. RUINENSTÄTTE VON NICOPOLIS AN DER RUSICA........... 190 IX. BALKANSTADT GABROVO..................... 216 X. ROSENERNTE BEI KAZANLIK.................... 238 ÜBERSICHTSKARTE VON F. RAMITZ' ROUTEN IN BULGARIEN 1862—1875. Landschaftlich - geologischer Charakter der Donau vom Timok bil zur Jantra. — Der Baneerovo bei Florentin. — Oesterreichisehe l'ositions-Bestimmungen am bulgarischen Ufer 1854. — Mein erster Besuch zu Vidiit |S(}2. — Hanns Wachenhusen's Schilderung seiner Physiognomie. — Ungerechte Vorwürfe. — Wanderung durch die Festung. — Stamhul kapu. — Erster Lichtpunkt: seine zahlreichen Brunnett. — Eisstiftung Patres Oglu I'asa's. — Dessen Stellung zu Sclim III. — Sein Sieg über die Knill (7., iJ.iiiini-HiilK'iirlin uml ihr Balkan. 1 Reform. — Dessen Monumentalbauten. — Seine Grabstätte. — Die Achmet-Moschee und das Grab des Reform-Grossveziers Hussein Pasa. — Hie Tülbend, hie Fes! — Sami Pasa, der „Deutschenfeind". — Des Waffenmuseum's interessanter Inhalt. — Die Ausrüstungsmagazine. — Das Hospital und dessen Aerzte. — Militärische Etablissements. — Gold- und Silberschmiede. — Bazar. — Christenviertel. — Bulgarische Schulen. — Kirche und Glockenthurmgeschichte. — Eine Intervention des österreichischungarischen Consuls. — Charakter der älteren Kirchen. — Synagoge und neues katholisches Kirchlein. — Tataren-Colonie. — Emigrhte Türken von Belgrad. — Exilirte Helden vom Libanon. — Fürst von Aslom. — Vergnügungen. — Promenaden. — Donauufer. — Schifffahrtsbewegung. — Kriegsflottille. — Garnison. — Lager. — Tumuli. — Soldaten und Soldverhältnisse. — Das römischbyzantinisch-bulgarisch-magyarisch-türkische Vidin. — Geschichte seiner Befestigung. — Citadelle und Wallgürtel. — Aeltester Theil der Festung. — Prinzessin Vida. — Grundrissaufnahme des Schlosses der Sismaniden. — Römische Inschriften von Ratiaria herrührend. — Eroberung durch Kaiser Basilius 1002. — Geschichte 1394—1444. — Markgraf von Baden vor Vidin 1689. — Einnahme und Verlust. — Tököly. — Belagerung durch Marschall Khevenhüller 1737. — Fehlschlagen der Operationen wegen Unkenntniss der Strassenzüge. — Marschall SeckendorfTs Ankunft. — Verluste der Kaiserlichen. — Aufhebung der Belagerung. — Vidin's Rolle im serbischen Befreiungskampfe. — Im türkisch-russischen Kriege 1828—1829. — Kampf bei Bojelesti. — Russisch-türkischer Krieg 1853. — Gefecht bei Cetate und Kalafat's Belagerung 1854 bis zur österreichischen Occupation der Fürstenthümer. — Von wem und gegen wen wird Kalafat im nächsten Kriege vertheidigt werden? — Rasche Beantwortung dieser Frage. — Vidin im türkisch-serbischen Feldzuge 1876. — Hinrichtung bulgarischer Insurgenten. — Im russischen Kriege 1877. — Kalafat, von den Rumänen besetzt. — Bombardement in Fürst Karl's Gegenwart. — Osman Pasa's Abzug nach Plevna. — Einschliessung Vidin's von der Landseite. — Wegnahme der türkischen Redouten bei Smrdan. — Uebergabe der Festung. — Verheerungen in der Stadt und, Festung. — Räumung der Citadelle. — Russische Sprengung ihrer Werke. — Neuer Glockenthurm. — Ueberfüllte Friedhöfe. — Neubauten. — Hotels. — Kaistrasse. — Russisches Soldatenleben. — Alte Strassen-Physiognomie und neue Sitten. — Verschönerung der Stadt. — Fürst Dondukoff-Korza-koffs Besuch. — Festlicher Empfang. — Unfall in der „Vidine kule". — Abschiedsfest für die abziehende russische Garnison. — Zurückbleibender russischer Administrationsstab. — Emigration der moslimschen Bevölkerung. — Sinken der Häuserpreise. — Einwohner- und Häuserzahl im Februar 1879. Schulwesen. — Administrations- und Gerichtsbehörden. — Steuern und Zölle, Strassenbau, Posten.— es bulgarischen Donauufers landschaftliche Physiognomie erscheint gegenüber der prächtigen Stromscenerie des „Eisernen Thores" beinahe reizlos, bietet jedoch belebten Wechsel und anmuthenden Gegensatz zum walachischen Ufer, dessen monotone Alluvial-Ebene mit graublauen Lufttönen in eins verschwommen dem Auge in unabsehbarer Ferne entschwindet. Vom serbisch-bulgarischen Grenzflusse Timok bis gegen Ruscuk zeigt das rechte Donauufer eine fortgesetzte, von Balkanabflüssen durchbrochene Terrasse, deren Rand meist steil zum Strome abfällt. Sie ist wechselnd 16 bis 130 Meter hoch und mehr oder weniger gewellt. Ihr hauptsächlichstes Formationsglied bildet der Löss. Er beginnt bereits bei dem von Rumänen bewohnten serbischen Orte Praovo und wird stromabwärts nur selten durch die zu Tage tretenden unterlagernden Kalk-, Letten-und Mergelbänke unterbrochen. Landeinwärts vom einstigen Römerorte Florentin erhebt sich der pittoresk profilirte Ufersteilrand im Baneerovo zur ansehnlichen Höhe von 228 Meter. Wir verdanken diese Messung und einige Positions-Bestimmungen am bulgarischen Import und Export. — Erste Firmen. — Vidin's commercielle Zukunft. Donauufer dem einzigen practischen Ergebnisse der kostspieligen österreichischen Occupation der Fürstenthümer im Krimkriege, jener k. k. Generalstabs-Aufnahme der Walachei vom Jahre 1855, welcher gegenüber die bulgarische Karte an Darstellungen der ungekanntesten Länder der südlichen Hemisphäre mahnte. Bevor ich auf grösseren Reisen daran ging ihre weissen Flecke auszufüllen und ihre unglaublichen Fehler zu berichtigen, entschloss ich mich im Jahre 1802 zu einer Orientirungs-Excursion. Diese führte, wegen der damals im Balkan herrschenden Unruhen, zu einem unfreiwilligen längeren Aufenthalte in Vidin, dessen genaue Bekanntschaft ich auf diese Weise nothgedrungen machte. Oft "landete ich seitdem in dieser ersten echtmoslimschen Donaustadt und Feste, deren malerische, reich mit Minareten und Masten gezierte Silhouette fremdartig anmuthet. Ich darf es mir ersparen, die ehemalige Physiognomie der Hauptstadt des von 0 Kreisen gebildeten Vidiner Districts zu schildern. Leichtbefederte donau-abwärte schwimmende Touristen haben dies, namentlich was ihre auffälligen Schattenseiten betrifft, längst gethan. Ich erinnere nur an Hanns Wachenhusen's lebensvolle Geisselung des Schmutzes der krummlinigen Strassen Vidin's, seiner schiefen Gebäudefronten, der ekelhaften Blutlachen im Fleischerviertel, der verpestenden Sümpfe seiner Plätze, des ohrzerreissenden Geächzes ungeschlachter Büffelkarren, des halsbrecherischen Pflasters enger, unbeleuchteter Gassen, des absoluten Mangels an Promenaden, Gasthöfen und jeglichem Comfort, bei reichem Ueberfluss an zudringlichen Bettlern, Zigeunern und anderem schmutzigen Gesindel! Warum wurde aber gerade Vidin zum Vorwurf gemacht, was nun einmal zur vollständigen Toilette eehttürkischer Städte und selbst der moslimschen Viertel Constantinopels gehört. Was aus der Ferne gesehen so sehr bestrickt, sollte bei näherer Betrachtung nicht ungerecht machen. Der Leser begnüge sich also mit dem Vorgeschmäcke der nach Knoblauch und anderen unnennbaren Parfüms duftenden Atmosphäre, welche den meisten Blättern der grell gemalten Wachenhuseu'schen Fresken des alten Vidin's entströmt! Ich will es lieber versuchen, der ersten an der unteren Donau uns entgegentretenden Stadt einige Lichtseiten abzugewinnen; hier und da einfallende Schlagschatten werden das Bild beleben, und vor Jahren niedergeschriebene, wie ich behaupten darf, bis zum Niedergange des alttürkischen Regiments .v'ollgiltige Bemerkungen sollen zeigen, wie wenig dessen Kern sich bis zuletzt änderte, obschon man es zur Blendung des Anlehcn borgenden Auslandes oft sehr geschickt mit fränkisch schillerndem Culturlacke zu firnissen bemüht war. Wir be ginnen unsere Wanderung durch das Stambul kapu, das Hauptthor der Citadelle, welches ein Soldat, Gewehr bei Fuss, bewacht, streuen einige Para in die verlangenden Hände kauernder, halbverschleierter Bettlerinnen und gelangen durch die enge Bazarstrasse mit Tabak-, Teppich- und Hijouterieläden l* auf den grossen, durch eine nette Moschee gezierten Platz der Feste. Hier Stessen wir sogleich auf Vidin's ersten Lichtpunkt, auf einen seiner zahlreichen, an heissen Sommertagen ersehnte Labung spendenden öffentlichen Brunnen. Die Erschliessung von Quellen für alle lebende Crcatur, zur Erquickung für Mensch und Thier, zählt der Orientale zu den gottgefälligsten Werken. Genügt dies wirklich allein, um in die himmlischen Paradiesespforten einzugehen, so haben sie sich zuverlässig voiv Pasvan Oglu, Vidin's letztem „echt- und rechtgläubigen" Statthalter und Protcctor der Jcnisseri-Rebellen gegen den reformfreundlichen Padischah Sclimlll., aufgethan; die vielen, durch Stadt und Festung zerstreuten Brunnen, zum Thcil mit monumentaler Decorirung im reichen orientalischen Style, sind nämlich oTösstentheils sein Werk. Mit einer verwandten Wohlthat krönte er dasselbe. Es ist dessen „Eisstiftung", aus welcher im Sommer täglich grosse Eis-Quantitäten an Arme unentgeltlich, und an Wohlhabende gegen eine geringe Vergütung überlassen werden. Man muss selbst einige Zeit in Vidin's heisscr Atmosphäre gelebt haben, um Pasvan Oglu's menschenfreundliche Einrichtung zu würdigen. Werfen wir einen Blick auf das Leben des merkwürdigen Mannes, dessen Thaten mit Vidin's Vergangenheit enge zusammenhängen, dem es die Mehrzahl seiner humanitären Einrichtungen und auch seine besten architektonischen Werke verdankt. Osman Pasvan Oglu war der letzte grosse Pasa im alttürkischen Style. Er wagte es nicht nur, den Neuerungen des ersten berühmten Reformsultans entgegen zu treten, sondern Sei im III. sogar offenen Krieg zu erklären*). Selim hob die Jenisseri (Janitscharen) im ganzen Reiche auf; Pasvan-Oglu war aber ihre Stütze, denn mit ihrer Hilfe gedachte sich der kühne Empörer zum halbsouverainen Vasallen des Sultans, gleich den Dey's von Algier, Fez und Marokko, aufzuschwingen, und Vidin, der Stammsitz seiner Familie, sollte dann seine feste Hauptstadt werden. Osman Pasvan Oglu von bosnischer Abkunft, hatte sich noch im Kriege gegen Russland und Oesterreich 1789 besonders hervorgethan. Nach demselben nahm er aber, ein vermeintliches Erbrecht vorschützend, gewaltsamen Besitz von ausgedehnten Territorien an der Donau, welche einst seinem als Rebell hingerichteten Vater gehört haben sollten. Gestützt auf seiren grossen kriegerischen Anhang, auf die berüchtigten „Krdsalien", welche durch ihre Zerstörung der reichen Cincarenstadt Moskopoli sich einen gefürchteten Namen gemacht, stellte er, in so Vielem dem grossen „Friedländer" ähnlich, die Belehnung mit dem Pasalik Vidin und seine Ernennung zum Pasa von drei Rossschweifen als Bedingungen des Friedens mit dem Sultan auf. Die Gründung neuer Vasallenstaaten lag aber nicht im Plane des, die Cen-tralisation aller Reichsgewalten anstrebenden Selim's. Er verweigerte beide For- *) Ranke, Die serbische Revolution, Berlin, 1844. derungen und sandte gleichzeitig im Frühjahre 1798 ein Heer von 100,000 Mann gegen Vidin. Pasvan Oglu antwortete damit, dass er sieh persönlich in die Listen der von Seiini in Bann gelegten Jenisseri eintragen Hess. Deli Ahmet, der berüchtigte Jauitscharenführer von Belgrad, und andere Häupter zogen auf diese Nachricht mit ihren kriegsgeübten Schaaren Pasvan Oglu zu Hilfe, und erkannten ihm unter allen Scrhad-Aga's den höchsten Rang zu. Er, der mit ihrem erbittertsten Feinde, dem Sultan, im offenen Kampfe lag, dessen Losungswort „Euer sei die Beute, mein der Ruhm" so verführerisch klang, schien ihnen ganz der Mann, um der Jenisseri bedrohte Machtstellung mit Erfolg wieder zu Ehren zu bringen. Sie hatten sich nicht getäuscht, Pasvan Oglu, der sich Vidin's 1794 bemächtigt und dessen Werke durch einen tiefen Graben bedeutend verstärkt hatte, zersprengte durch einen glücklichen Ausfall aus dem 6 Monatelang belagerten Vidin des Grossherrn stolze Armee. Hierauf überschritt er die Donau und machte sich seinen Nachbarn dies- und jenseits des Stromes furchtbar. Ein anderer Versuch des Sultans, Vidin im Jahre 1800 Pasvan Oglu zu entreissen, scheiterte gleichfalls. Erst nachdem Pasvan Oernec, Krajova, Nikopoli mit wechselndem Glücke erobert hatte und ganz Bulgarien in Aufruhr und Flammen stand, machte der Sultan mit ihm Frieden, gestattete die Rückkehr der Jenisseri nach Belgrad und sandte ihm die verlangte Rangerhöhung. Die Gegensätze zwischen den von der Rajah gestützten humaneren Statthaltern des Sultans in Serbien, zwischen Ebu-Bekir, Hadzi-Mustafa einerseits und Pasvan Oglu mit seinen Jenisseri andererseits, waren aber lange nicht beseitiget. Pasvan Oglu's fortgesetzter hartnäckiger Widerstand, in dem das alttürkische Anti-Iieformsystem sich verkörperte, hatte aber sehr wichtige Folgen. Denn ohne deuselhen würden sich wahrscheinlich in Serbien der Rajah wenig glückliche Zustände durch Deccnnien noch fortgeschleppt haben und der Christen Loos wäre dort ein gleich trauriges geblieben, wie vor Kurzem noch in der Hercegovina, in Bosnien und Bulgarien. So aber führte Pasvan Oglu's gewaltsame Besitzergreifung alles serbischen Grund und Bodens unter dem Titel „Öitluksahibien", sowie andere gegen die Rajah verübte Gewalttaten seiner Prätorianer die serbischen Befreiungskämpfe herbei, in denen es ihrem Urheber, dem grossen Bebellen von Vidin, jedoch nicht mehr gegönnt war, eine Rolle zu spielen. Er starb im Februar IS07 kurz vor der Thronentsetzung seines grossherrlichen Gegners, und in dein von ihm beinahe unabhängig verwalteten Pasalik Vidin wurde der mildere Molla I'asa sein Nachfolger. Pasvan Oglu vereinigte mit seltener Energie eine sehr grosse, natürliche Begabung, Vidin's etwas europ&isirte Physiognomie, dessen erhöhte Verteidigungsfähigkeit, die Eröffnung neuer Strassen, viele monumentale Bauten, darunter die schöne „Pasvan Oglu dzami" mit .Medresse und Bibliothek, dann die bereits er- wähnten zahlreichen humanitären Einrichtungen dieser Stadt sind sein Verdienst. Der kleine Friedhof neben der Mustafa Pasa-Moschee bewahrt das Grabmal Osman Pasvan Oglu's. Es ist von etwa zwei Fuss hohen, reich mit Ornamenten Osman Pasvan Oglu's Grab zu Vidin. en relief bedeckten Steinplatten umschlossen, am Kopfe erhebt sich ein Pilaster mit Inschriften und dem alttürkischen Tttlbend (Turban), am Fussende ein zweiter, etwas niedrigerer, mit einer Blumenvase geziert. Von der, durch einen reich tragenden Maulbeerbaum beschatteten, bei den Moslims in hohen Ehren stehenden Ruhestätte des letzten grossen Führers der Janitscharen wenden wir unsere Schritte zu jener des Vernichters dieser, des Halbmonds Schrecken einst durch ganz Europa tragenden Soldatesca und wandern zur Achmet dzami, zur grössten der 32 Moscheen Vidin's, welche zahllose Glaslustres mit riesigen Straussen-eiern auszeichnen. Vor ihrem Haupteingange ruht Hussein Pasa, der berühmte Grossvezier und die kräftigste Stütze des reformfreundlichen Machmud III. Hus-scin's Cenotapliium gleicht jenem seines Antipoden Pasvan Oglu, nur ist es reicher, weil neuer, auch besser erhalten und durch ein geschmackvolles, nach oben laubenartig sich überbiegendes Eisengitterzelt gegen Unbilden geschützt. Prächtiges Laub umgrünt die Stelle, auf der Hussein, der Held rastloser Kämpfe, Ruhe fand. Treffend charakterisirte der Bildner in der knappen Sprache der muhame-danisehen Plastik Husscin's Gegensatz zu Pasvan Oglu durch das unter Selim den alttürkischen Tülbcnd verdrängende „Reformfes" welches den Denkstein am Haupte krönt. Hie Tülbend, hie Fes! hiessen die Symbole, unter welchen Alt- und Neu-türkenthum sich befehdeten. In jedem anderen Staate würde ein solcher Kampf das höchste Interesse der Nachbarländer und des gesammten Europa's erregt haben. Der Wellenschlag der periodisch sich vollziehenden Ministerwahlen des Grossherrn aus dieser oder jener Partei inachte sich jedoch früher selbst zu Stambul nur im Kreise der zunächst betheiligten Beamtenhierarchie und ihrer Günstlinge geltend, weil die Wirkung guterund schlimmer, von beiden Parteien getragener Principe schon nahe der Hauptstadt, noch mehr aber in den Provinzen und an der Peripherie des Reiches, durch den Eigenwillen der Gouverneure und sonstigen Regierungsorgane abgeschwächt, ja gänzlich paralysirt wurde. Welche Theilnahme sollte demnach das Ausland diesen häufigen, durch Sultanslaune herbeigeführten Vezierwechseln schenken, welche Fall oder Sieg der beiden Systeme verkündigten? Wusste es doch, dass die letzten Würfel über das Schicksal der Türkei hilirollen werden, unabhängig vom Ausgange dieser seit Selim III. ununterbrochen, grösstenteils durch fremde Intriguen oder Seraillaunen fortge-sponnenen Kämpfe, deren ausgeprägteste Repräsentanten, Pasvan Oglu und Hussein Pasa, ein merkwürdiger Zufall im selben Boden, in Vidin's Erde ruhen lässt. Husscin's Nachfolger im Vilajct von Vidin war Sami Pasa, der „Deutschenfeind" und ganz besondere Verehrer von Franzosen und Engländern, welcher eine bescheidene Nachahmung ihrer grossartigen Schaustellungen militärischer Widerst andsmittcl in dem von ihm gegründeten Waffcnmuseuin versuchte. Das in Vidin Überall „schiefen Linien" begegnende Auge war erstaunt, hier Waffen und Trophäen in europäischer Weise aufgestellt zu finden. Wohl sah das Gebäude mehr einer Baracke als einem Museum ähnlich, auch fehlte es an übersichtlicher chronologischer Aufstellung seines reichen Inhalts; doch erschien das Gleichartige ziemlich zusammengehalten und dies erleichterte cinigermassen den Ueberhlick der werthvollen Sammlung. Neben rohen Biiffelkollcrn der „Jenisseri kolluk neferi" (Janitscharcn) und ihren furchtbaren Waffen, die einen Platz in der berühmten Sammlung alttürkischcr Costüme auf Constantinopels Atmeidan verdient hätten, sah man Hellebarden mit kreisförmigen Messern zum Mähen nach rechts und links, Morgensterne, Aexte, deutsche Arkebusen, Schwerter, österreichische und slavische Fahnen, darunter weisse Banner mit Heiligenbildern und eine Menge Armaturstücke verschiedensten Ursprungs und Alters. An den Wänden hingen, bunt durcheinander gewürfelt, die stark mitgenommenen Uniformen, Cakos, Säbel, Gewehre u. s. w. der im Jahre 1849 auf türkischen Boden geflüchteten und dort entwaffneten ungarischen Freischaaren. Im Hofe des Arsenals ruhten auf mächtigen Laffetten riesige reich verzierte Kanonenrohre aus der Zeit KaiTs VI., welche die mittelalterlich deutsche Tracht der damaligen „Artilleurc" zeigten. Für die Waffenkunde vergangener Epochen und insbesondere der Türkei hätten Special-forscher in diesem kleinen Museuni höchst interessante Studien machen können. Die Ausrüstungsmagazine für Vidin's Besatzung zeigten musterhafte Ordnung. ^ Waffen, Schanzwerkzeuge, Laternen, Feldflaschen, Seile und Kiemzeug waren im Ueberfluss vorhanden und, wie es schien, von guter Qualität. Auch des Militärhospitals Krankensäle erwiesen sich rein und zweckmässig eingerichtet; über die wissenschaftliche Befähigung der angestellten türkischen Aerzte, grösstenteils griechischer oder italienischer Nationalität, hörte ich aber höchst ergötzliche, kaum glaubliche Histörchen. Schon in Nis erhielt ich Mittheilungen über die Art, wie die Mehrzahl der dortigen Hekimbasi's ihre Doctordiploine erworben hatten. Ehemalige Barbiergehilfen fungirten dort als selbstbewusste Jünger Aeskulap's. Natürlich stand die Zahl der Genesenden ausser allem Verhältniss zu jener der in ein besseres Jenseits hinüber Pilgernden und erregte oft das Kopfschütteln manches Miralai, der sein Regiment im Spitale deeimiren sah. Bei zu auffallend grosser Sterblichkeit beschwichtigten aber rechtzeitig von Seite der Aerzte gespendete Geschenke beinahe immer die Bedenken der Vorgesetzten. Ein solch würdiger Regimentschef nahm einem auf räthselhafte Weise zu seinem Doctor-patente gelangten Griechen in Nis, der gleich berühmt durch seinen in ausgedehnter Civil- und Militärpraxis erworbenen Reichthum, als durch seine menschenfreundliche Fürsorge für das Wohlbefinden der Niser Todtengräber war, allmälig als Lohn für die gespendete Nachsicht ein vollständiges Hausmobiliar, Wagen, Pferde"u. s. w. ab! Zu den bedeutenderen Militärbauten der Vidiner Citadelle zählten eine Dampfmühle und ein von hohen Mauern umgebenes Pulvermagazin, nahe dem hölzernen Uhrthurme, dessen architektonische Aussenseite noch im Jahre 1862 einem riesigen, f angerussten Fabriksschlott glich; in den letzten Jahren wurde er aber auf Kosten der Commune aus solidem Steinmaterial erneuert und zu einer Zierde der Festung umgestaltet An seinem Fusse nisteten Vidin's berühmte Gold- und Silberschmiede in niederen, ärmlichen Holzbaracken. Manche Stunde ruhte ich hier von ermüdenden Spaziergängen aus, und vergnügte mich, den fleissigen Künstlern aus den makedonischen Gefilden das Geheimniss ihrer bewundernswerthen Filigranarbeiten abzulauschen. Aus antiken Funden, meist aus griechisch-römisch-byzantinischen Münzen, zieht der Cincare*) den langen, fein gesponnenen, dann in kleine Stücke zerschnittenen Silberfaden. Mit unendlicher Geduld und merkwürdigem Geschick schmiegt seine Hand Draht an Draht, fügt er Kreise, Sterne, Knöpfchen und Arabesken zu schönen, maurischen Formen, manchmal auch zu bizarren, doch selten den Rhythmus beeinträchtigenden Figuren, und allmälig entstehen vor unseren bewundernden Augen jene niedlichen Gold- und Silbertassen, in welchen die türkischen Vornehmen den duftenden Moka credenzen lassen, ebenso die reichen Cigarettenspitzen, welche die kostbaren Cibukrohre zu verdrängen drohen, der verführerisch kleidende Kopfschmuck türkischer Odalisken, neben einfacheren Ohrgehängen, Haarnadeln, Halsketten und Gürtelschnallen, letztere meist in Form zweier Schilde oder Palmenblätter, für die bulgarischen Schönen. Neben den zierlichen Gebilden orientalischer Phantasie spielen unsere abendländischen, durch Stampiglien gepressten, mit unechten Steinen, Perlen und Email überladenen Schmucksachen eine schlechte Rolle in den Bazarläden; doch erringt sieh das neue, ungewohnte Fremde, unterstützt durch wechselnde Formen und wohlfeile Preise, stets mehr Boden. Oesterreichische Quincaillcriewaarcn aller Art, Glas- und Porzellanfabrikate, geblümte Kattune und Taschentücher füllen neben englischen Garnen, Eisen-, Stahl- und Lederarbeiten die kleinen Gewölbe der türkischen und jüdischen Kaufleute. Immer schwerer fällt es den anatolischen Rosenkränzen, persischen Fächern, reich gestickten Tabaksbeuteln, Öibukhaltern, Pantöiielchen und golddurehwebten Gazegespinnsten, welche die Börse europäischer Besucher lockend anziehen, sich zu behaupten. Die christlich-bulgarische Industrie bat ihr Hauptquartier ausserhalb der Citadelle aufgeschlagen. Namentlich leistet der Bulgare in der Verarbeitung von Schnur-, Pelz- und Lederwerk Vorzügliches. Ich sah wahre Prachtstücke von zierlich ausgenähten Sätteln, Bissackeif, Pelzen u. s. w. Sie werden jedoch meist nur auf feste Bestellung angefertigt. Die beinahe ausschliesslich von Christen bewohnte südwestliche Vorstadt hat, seit Suleyman Pasa 1S02 das alle Neubauten untersagende Verbot Sami Pasa's aufhob, sehr gewonnen. Der zerstreute, stark verschuldete türkische Besitz in (liesem Stadttheilc ging dadurch nahezu gänzlich in bulgarische Hände über, und *) P. Kunitz, Die Ziii/.areii. Mitth. d. g«Qgr. Cii'scllschuft, VH. Jahrg. Wien 1803. „Serbien", 1868. an Stelle der hässlichen, den Einblick in das Innere moslimscber Behausungen wehrenden Lehmwände und Bretterzäune traten, unter Russlands und Oesterreichs schützenden Flaggen, schmucke Häuser mit freundlichen Gassenfronten, stattlichen Thoren, Stockwerken, Erkern und Balconen. Die bulgarische Gemeinde besass 1875: 2 Schulen mit 6 Lehrern und etwa 560 Schülern, dann eine Mädchenschule mit 80 Schülerinnen. Bald dürfte sich neben dem bescheidenen Konak des Erzbischofs auch die projectirte Kathedrale erheben, für welche beim hölzernen Glockenturme der alten Kirche ein reiches Baumaterial seit 1855^ aufgespeichert liegt. Durch diesen Neubau wird das christliche Element nach Innen einen belebenden Impuls, nach Aussen aber einen schwer errungenen sichtbaren Ausdruck gewinnen; bis er vollendet, dürfte sich aber die moslimsche Bevölkerung mehr als früher mit dem Glockengeläute ihrer bulgarischen Stadtgenossen befreundet haben. Bald nach der Publication des Hat i humajuns, welcher die Gleichberechtigung aller Unterthanen des Sultans feierlichst proclamirte, wollte Vidin's christliche Gemeinde die ihr auf dem Papier verheissene Errungenschaft practisch anwenden und Hess die Glocke ihres bescheidenen Holzthurmes zum ersten Male erschallen. Die Türken fanden jedoch nur geringes Gefallen an dieser die Stimmen ihrer Muezin übertönenden Musik! Nächtlicherweile entfernten sie den Schwengel aus der kaum geweihten Glocke und drohten mit der Zerstörung der Kirche, falls derselbe durch einen neuen ersetzt würde. Wohl hätte Vidin's bulgarische Christenschaft gegen die so gröbliche Verletzung eines von den Grossmächten gewährleisteten Rechtes im Medjlis Klage erheben können. Zu welchem Resultate hätte dies aber in einer Versammlung geführt, in der nur ein Mitglied damals die Rechte der bulgarischen Bevölkerung gegenüber von etwa zehn türkischen Genossen, also gegen eine feindlich gesinnte Majorität vertrat, die, wenn vielleicht nicht direct an dem zur Klage Anlass gebenden Akte betheiligt, ihn doch gewiss nicht verdammenswerth fand. So hing die eherne Mahnerin, gleich einer Uhr ohne Zeiger, traurig da, bis der Gouverneur im Jahre 1871 dem inter-venirenden österreichisch-ungarischen Consul jede weitere Störung des Glockengeläutes zu verhindern versprach; es ertönte bei der unter Assistenz des Consuls celebrirten Weihnachtsmesse und wurde als Zeichen des Anbruches einer bessern Zeit befrachtet. An die traurige Epoche, welche die Christen der Türkei im letzten Jahrhundert durchlebten, mahnen zu Vidin einige tief in die Erde versenkte ältere Kirchen, deren Fresken durch moslimschen Fanatismus arg verstümmelt wurden;. der Gottesmutter, h. Petka und anderen Heiligen stach man die Augen aus u. s. w. Diese construetiv übrigens unbedeutenden basilikenartigen Bauten besitzen kein architektonisches Interesse und ebensowenig enthält ihr bewegliches Inventar viele Gegenstände von archäologischem Werth. Vidin's zahlreiche fränkische Judenschaft betet in einer sehr bescheidenen Synagoge. Zuletzt erhielt die Stadt durch die Anstrengungen eines vom walachisch-unirten Bischöfe zu Grosswardein abgesandten Missionärs auch ein katholisches Kirchlein, das höchst unansehnlich, aus Brettern gezimmert, einem Holzschuppen sehr ähnlich sieht. Hart bei demselben steht ein Votivstein mit eisernem Kreuze und folgender Inschrift: A cesta s croca darnito-o intru marirea lui Domne dieei comunitalei romane gr. cat. din Vidinu 1869. Für einen entsprechenderen definitiven Kirchenbau hat Kaiser Franz Josef eine namhafte Summe gespendet Ich glaube nicht an eine Zukunft der katholischen Kirche auf bulgarischen Boden und denke, dass ihre Ausbreitung grossen Schwierigkeiten begegnen dürfte. Vidin's im Sinken begriffene Bevölkerung wurde im Jahre 1852 durch eine Tataren-Ansiedlung und 1862 durch die gezwungene Emigration der Belgrader Moslims um einige hundert Köpfe vermehrt. Gleichzeitig mit diesen zogen die interessanten Druseuchefs von Dschidda in seine Mauern ein. Ich fand die einst von Belgrads Christen, gleich gefangenen Löwen in leicht zerbrechlichen Käfigen, geflirchteten Kaubvögel aus dem Libanon: Hussein Bey aus Aitez, Schumbale Jussuf aus Armatur, Hali Aria aus Ruschaja, Abdulah Elakaili aus Beirut u. A. in Pasvan Oglu's einstigem Konak. Die Fieberluft der bulgarischen Donaufestung bekam ihnen schlimmer, als jene der hochgelegenen Belgrader Akropolis; die Kälte unserer Winter, die Sehnsucht nach Heimath und Familie beugten sie und Hessen nur einige die herrlichen Cedernkronen des Antilibanons wieder sehen. Vidin war im Jahre 1862 auch das Exil Iskendjer Bey's, Fürsten von As-lom, des von England, Frankreich und der Pforte verbannten kurdischen Revolutionärs mit blassen, scharf geschnittenen, doch einnehmenden Zügen. Er trug fränkische Kleider von elegantem Schnitt, bewegte sich vollkommen frei, bekleidete sogar, wohl nur in der Türke; möglich, das Ehrenamt eines Präsidenten des Vidiner Criminaltribunals, machte aber, trotz dieser ungerechtfertigt nachsichtigen Behandlung, dennoch zeitweise Versuche, weitere Concessionen zu erlangen. Wie man sieht, fehlte es der Vidiner Gesellschaft nicht an interessanten Elementen. Welches waren aber die Vergnügungen am Sitze eines türkischen Civil-und .MilitärgouvcrncursV Gab es daselbst Theater, Conccrtc, Promenaden, öffentliche Spiele oder andere Unterhaltungen geistiger Natur? Nichts von dem'Allen! Die gelegentlichen Vorstellungen des „Kara Gös", des türkischen Polichinell's und seines Pylades, Hadzi Aiwa, eine Art Puppenspiel, in dem diese beiden Volks-lieblingc persischer Abkunft besonders zur Bairaniszeit die losesten Streiche, gewürzt mit einem von obseönsten Zweideutigkeiten strotzenden Dialog, aufführen, mussten Vidin, gleich allen türkischen Städten, mit Ausnahme von Stambul, unsere Muscntcmpcl ersetzen. Unschwer vermisst jedoch der Türke dieselben; denn er kennt nicht die „göttliche Comödia", jenes Vergnügen, welches den Hauptreiz unserer occidentalcn gesellschaftlichen Zerstreuungen bildet. Durchziehende Jongleurs, gewöhnlich Inder und Perser, Zigeunerbanden mit phantastisch aufgeputzten Preciosa's und zu allerlei Liebkosungen stets bereiten geschmeidigen Jünglingen, entschädigen den Moslim für unsere Turn- und Gesangsfeste, Wettrennen, Corso's und Schützenfahrten. Nicht besser stand es mit Vidin's öffentlichen Gärten und Spaziergängen. Gewöhnlich erfreuen sich türkische Städte einer reizvollen natürlichen Lage, nahe, mit saftigem Grün bedeckte Höhen, Obst- und Weinculturcn ersetzen ihnen unsere künstlichen Parks und Promenaden. Vidin entbehrt aber aller landschaftlichen Keize. Vergebens suchte man auf dem durch Aeser verpesteten, von unzähligen herrenlosen Hunden unsicher gemachten Glacis nach einem schattigen Plätzchen. Das Donauufer bildete den belebtesten Punkt der Stadt. Zwei Eilschiffe in der Thal-, zwei in der Bergfahrt, ein Passagierboot und ein Frachtschiff, sämmtlich im Dienst der österr. Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft, erhielten im Sommer wöchentlich Vidin's Verbindung mit der Ferne, und das Ankunftssignal dieser Dampfer brachte die einzige Unterbrechung in die Monotonie seines socialen Lebens. Nahe dem Zollamte bildet eine Gartenanlage mit kleinem Casino eine gern aufgesuchte Oase der Vidiner Gesellschaft, hier liegen immer mehrere Schiffe, Ladungen einnehmend oder löschend, man geniesst eines schönen Ausblicks gegen Kalafat, auf die ferne hohe Balkankette, und das bunte Getreibe am Ufer beschäftigt angenehm das Auge. Die originellste Staffage bieten die echttürkischen Getreide- und Salz-Caiken mit buntbemalten hohen Borden und Masten. Früher ankerten hier auch die grossen, salzbefrachteten Schleppschiffe Major Misa's, des serbischen Rothschilds. Als Pächter der rumänischen Salinen erhielt er 1863 von der Pforte für jährlich 30,000 Ducaten das Monopol für den ausschliesslichen Salzverkauf in allen türkischen Donaustädten, zum vereinbarten Detailpreise von 92 Piastern per 100 Oka (1 Oka = llU Kilo). Später wurde jedoch der Salzhandel freigegeben und nur ein Importzoll von 40 Piastern per 100 Oka erhoben. Vidin's Handel ist durch den geringen Bedarf von Stadt und Hinterland an Import, und durch die geringe Production für den Export sehr beschränkt. Das nahe kleinere Lom erscheint commerciell bedeutender und gewinnt durch die von Midhat Pasa angelegten Strassen nach Nis und Sofia raschen Aufschwung. Zur Verbindung ihrer Festungen an der unteren Donau unterhielt die Türkei eine Dampfer-Flottille, von welcher bei Vidin vier Kanonenboote mit je einem Geschütz auf Bug und Castell stationirten. Selbst tiefergehende Schiffe können die Donau vom Schwarzen Meere bis Vidin hinauffahren; die Stromsschnellen vor Orsova sind aber selbst bei höchstem Wasserstande schwer passirbar. Im Sommer 1862 strandete dort ein mit Provisionen und .Munition für Belgrad bestimmter türkischer Kriegsdampfer; alle Anstrengungen ihn flott zu machen blieben erfolglos, es gelang nur einige Maschinenteile aus dem in Brand gesteckten Rumpfe zu bergen. Vidin's Garnison betrug im Frieden gewöhnlich 3000 Mann, unter Commando eines Ferik Pasa von Feldmarschall-Lieutenants-Rang. In unruhigen Momenten wurden jedoch auf der Donau Verstärkungen herangezogen, die gewöhnlich eine Stunde NW. der Festung, auf dem etwas höheren Terrain ein Lager bezogen. Der Weg nach demselben ging durch die vernachlässigten, von Hunden durchwühlten türkischen Friedhöfe, zu welchen der bulgarische einen wohlthuenden Gegensatz bildet; auf diesem begegnet man von liebevoller Hand gezierten Gräbern und selten fehlt eine Laterne oder Grablampe antiker Form. Auch Blumen schmücken oft den Fuss seltsam geformter sternzackiger Leichensteine und hoher Sandsteinkreuze, welche, den altschottischen ähnlich, mit drei Reliefkreuzen auf polychromem Grunde, oder mit Inschriften in allen Sprachen bedeckt, selbst deutsche und magyarische fehlen nicht, vielfach Stoff zu interessanten Studien bieten. Unfern von diesen Friedhöfen befindet sich der Platz, auf dem Vidin's Garnison in den heissen Monaten lagert. Im Sommer 1862 commandirte hier Suleyman Pasa 6000 Mann Nizams, zum Theil Cavallerie. Der Anblick eines türkischen Lagers, aus der Ferne gesehen, ist sehr freundlich. Lange, grüne Zeltreihen dehnten sich endlos aus und vor denselben zog sich eine Linie von Ziehbrunnen hin, mit hohen, in die Luft ragenden Hebebäumen; denn Wasser in reichlicher Quantität ist auch im Lager schon aus religiösen Gründen ein unumgängliches Bedürfniss. Auf einem „Tepe" (Tumulus) thronte nach alttürkischem Brauche das Zelt des Ober-Commandanten Isinael Pasa, seltsamerweise jedoch isolirt, weit weg von der Fronte und mit dem Eingange von dieser abgewendet. Wie in Nis, fand ich auch hier bei den Soldaten grösste Beweglichkeit und Liebe zum Exercitium; die auf Posten stehenden Wachen sah ich oft mit Einübung der Handgriffe des Gewehrs sich die Langeweile vertreiben. Erwägt man, dass unter Selim, zu Beginn unseres Jahrhunderts, eine eigens abgefasste Schrift dem widerstrebenden Muhammedaner erst beweisen musste, das Bajonette und leichte Artillerie nicht gegen den Koran Verstössen, so muss man ihre in wenigen Decennien gemachten grossen Fortschritte in der Führung europäischer Waffen gewiss anerkennen. Die Bewaffnung und Naturalverpflegung der türkischen Truppen lässt im Frieden nichts zu wünschen übrig; auch der Unifor-mirung wurde in neuerer Zeit vermehrte Sorgfalt zugewendet; weniger denkt man aber daran, den Soldaten ihren Sold pünktlich zu bezahlen. Die angestrebten Reformen in dieser Richtung erstreckten sich niemals über die Mauern Constan-iinopels. Verbreitet sich in einer Provinzhauptstadt das Gerücht, es sei aus Stambul eine grössere Geldsendung für die Regierung angelangt, ein seltener Fall, der sich aber doch zufällig während eines meiner Besuche zu Vidin ereig- nete, so wird das Serai in wenigen Minuten von einer solchen Mjenge ungestümer Staats- oder Privatgläubiger des Pasa's umdrängt, dass für die Soldaten selten etwas bleibt. Jene 50,000 Gulden verschwanden bald in verschiedenen Taschen; die im Vidiner Lager concentrirten Truppen erhielten aber weiter keinen guten Rock und mussten länger noch auf die ersehnte Bezahlung ihres seit 18 Monaten ausständigen Soldes warten. Derartige Vorfälle änderten jedoch nichts an der Ergebenheit der türkischen Soldatesca für den Grossherrn. Beim Abendgebete brachte sie die für denselben vorgeschriebenen Segenswünsche unter obligater Begleitung ihrer gräulichen Kriegsmusik mit solcher Begeisterung aus, dass ihr Echo ferne bei den Festungswällen uns noch erreichte. Vidin, nach der Notitia dignitatum Imperii (aus dem Anfange des 5. Jahrh.) das alte Bononia der Römer, nach den Hunnenstürmen von Justinian wieder erneuert*), das Bodene des Acropolita und Bydinum bei Theophylaktos von Ohrid (1071), in einer Urkunde Car Asen's (1186), der es den Byzantinern entriss, B'dyn**), von 1260 —1264 in magyarischer Gewalt, und in der zweiten Hälfte des 13. sowie im 14. Jahrhundert die Residenz von Fürsten der letzten bulgarischen Dynastie Sisman und eines eigenen Metropoliten, 1365 von Ludwig d'Anjou, König von Ungarn erobert, dann wieder bulgarisch und seit dem unglücklichen Ausgange der Schlacht bei Nikopoli (1396) mit nur kurzen Unterbrechungen in der Sultane Händen***), bildete durch seine günstige Lage in Mitte einer sumpfigen, schwer zugänglichen Donauniederung stets eines der stärksten Bollwerke der türkischen Nordgrenze. Die Anlage seiner occidentalen Vertheidigungs-bauten wurde höchst wahrscheinlich durch Oesterreich begonnen und später durch französische Genieoffiziere fortgesetzt. Der berühmte Hussein arbeitete eifrig an ihrer Verstärkung. Als Moltke im Herbste 1839 vorüberfuhr, lud ihn der alte Janitscharenvertilger ein, dieselben zu besichtigen und seine Meinung über ihren Werth abzugeben. Auch im Jahre 1853, später und namentlich 1876 —1877 wurde an der äusseren Linie eifrig geschanzt. Einem aus dem Jahre 1731 herrührenden Plane Vidin's f) nach zu urtheilen, erhielt die Festung zu Ende des 17. Jahrhunderts den grössten Theil ihrer gegenwärtigen Werke. Das Material zu deren gemauerter, gut erhaltener Steinverkleidung lieferten die zahlreichen Römer-Castelle und mittelalterlichen Schlösser an der Donau und im Innern des Landes, insbesondere Florentin, Lom, Arcer und Kula. Die eigentliche Festung, Vidin's Citadelle, liegt halbmondförmig auf einem *) D'Anville, Me'm. de l'Ac. des Insc. XXVIII. Mannert's Geographie. VII. Bd. **) Safarik, Slavische Alterthümer. II. Bd. ***) Beiträge zur Geschichte der bulgarischen Kirche. Memoires de l'Academie imp. des sciences de St. Pe'tersbourg. VII. Serie. Tom. III. No. 3. t) K. k. Kriegsarchiv zu Wien. etwas erhöhten Terrain, den nahen sumpfigen Wiesenplan dominirend, und zeigt ein stärkeres Profil, als es gewöhnlich bei türkischen festen Plätzen gefunden wird. Sie besitzt auf der Landseite 8 Bastionen mit 7 vorliegenden, für je 6 Geschütze eingerichteten Polygonen, einen trockenen revetirten Graben, gut palis-sadirten Weg, Places d'armes und Glacis; auf der Wasserseite einen mit Contre-forts versehenen Wall mit vorliegender 3—4 Meter starker und 5—6 Meter hoher crenelirter Mauer. Die Gräben vor den Bastionen sind etwa 17,50 M. breit und 5,ß0 M. tief. Die Festungswerke sind nicht casemattirt, das Glacis und der gedeckte Weg jedoch minirt. Die Citadelle zählt vier Haupteingänge: an der Südseite das auf die Constantinopler Strasse führende Hauptthor „Stambul kapu" und das in schönem orientalischen Style decorirte „Londze kapu", im Volksmunde auch „Bukluk kapu" genannt, vom Unrathe (Bukluk), den man vor demselben auszuleeren pflegte, an der Westseite das „Bazarkapu", gegen Norden das „Flortin kapu", und an der Wasserseite C kleinere Thore. Die Wälle waren mit Schanzkörben bekleidet und an ihren Fuss führten von fünf Punkten aus Patenen. Das Wasser der Donau konnte 4,70 M. tief in den grossen Graben geleitet werden. Die Geschütze schwersten Calibers waren stets gegen Kalafat gerichtet. Dort befand sich auch das Observatorium, welches einen prächtigen Ausblick auf das südliche vom Balkanzuge begrenzte Panorama gestattete, und daneben wehte vom hohen Mäste die weithin sichtbare rothe Sultansflagge. Citadelle und Stadt umspannt im weiten Bogen ein langgestreckter Erdwall mit 10 Fronten provisorischen Charakters. Er ist 1,30 M. hoch, 5 M. breit und hat 5 Eingänge zur Stadt. Zwei seiner in permanenter Manier gebauten Lttnetten trugen 18, die anderen 6 Geschütze. In den vorliegenden Graben kann der nahe vorüberfliessende Peresit-bach geleitet werden. Die grosse Ausdehnung dieser äusseren Linie, welche mit ihren von Hussein Pasa 1839 vollendeten Schlussforts „Kum bair" und „Ghazi bair" die Donau berührt, bedingte ihre Schwäche, denn es bedurfte einer Armee, um sie, die vorliegenden Donauinseln und das jenseitige Kalafat ernsthaft zu vertheidigen. Trotzdem bot Vidin's natürliche Lage grosse strategische Vortheile zur Beherrschung des mittleren Donauverkehrs und als Aufnahinspunkt für ein sich sammelndes oder geschlagenes Heer, da ausgedehnte Sümpfe und leicht unter Wasser zu setzende i Niederungen die feindliche Annäherung erschwerten. Der älteste und historisch interessanteste Theil der Festung befindet sich innerhalb der Citadelle, hart an der Donaufronte. Auf engem Räume vereinigen sich hier zahlreiche quadratische und polygone Thürme. Das Ganze bildet ein Bauwerk, an dem sieh seit den Römern, die es begründeten, alle ihnen folgenden Völker beteiligten, und wahrscheinlich haben wir es hier mit dem Schlosse zu tlmn, das gleich jenen zu Kurvingrad und Vitbol von einer der drei Töchter eines bulgarischen Königs erbaut worden sein soll. Nach der im Volke verbreiteten Sage hätte diese Prinzessin „Vida" in ihrer „Vidine knie" auch ein Kirchlein der h. Petka zu Ehren erbaut, dessen Spur bis heute vergeblich gesucht wurde, vielleicht aber noch gefunden werden dürfte. Sicher ist, dass hier jener Fürst Sisman und dessen Sohn Mihail residirten, welcher als später erwählter Car die dritte bulgarische Dynastie zu Tirnovo (1323) begründete. Leider gestattete mir das Misstrauen des türkischen Miralai nur, einen unvollkommenen Grundriss der merkwürdigen Baute aufzunehmen. Bizarr und unregelmässig, gleicht ihr starkes Mauerwerk in wechselnden Bruch- und Backsteinlagen einigen benachbarten V Planskizze der iiitesten Feste zu Vidin. Ruinen aus römisch-byzantinischer Epoche. Der österreichische General Vetcrani Hess diese älteste Vidiner Befestigung 1689, wie dies aus einer handschriftlichen Notiz des erwähnten alten Planes hervorgeht, mit einer niederen Brustwehr und Graben umgeben. Für die Vertheidigung werthlos, diente das alte Schloss den Türken zur Aufbewahrung ihrer Munitionsvorräthe. Als interessantes, in seinem Oberbau höchst merkwürdiges Beispiel mittelalterlicher Befestigungskunde, dürfte die einstige genauere Untersuchung der Rudimente dieses Baues höchst wahrscheinlich herausstellen, dass das altbulgarische feste „B'dyn" auf den Resten des römisch-byzantinischen Bononia entstanden sei. Bei dem stetigen Argwohn der türkischen Behörden war es immer etwas Missliches, archäologische Forschungen in türkischen Festungen zu unternehmen. 1545 1015 05 B./:++A 341994 Namentlich musste ich am Beginne meiner Reise, und Vidin bildete deren Ausgangspunkt, alles vermeiden, was ihren Charakter in den Augen jener türkischen Autoritäten verdächtigen konnte, von deren wohlwollenden Empfehlungen ihr Ausfall grossentheils abhing. Im September 1864 begnügte ich mich daher, meine 1862 aufgenommene Ansicht des Schlosses durch eine zweite aus dem obersten Geschosse des neuen Uhrthurmes und eine hier mitgetheilte, nach Schritten aufgenommene Planskizze zu ergänzen. Das Mauerwerk giebt einen neuen Reweis der ausgezeichneten byzantinisch-bulgarischen Bautechnik, namentlich in der Verwendung von Backsteinen zu wirkungsvoller rhythmischer Unterbrechung des massiven Bruchsteinwerks. In diesem fand ich antike Steinfrag-mente, darunter zwei römische Steintafeln, welche hohe Beachtung verdienen, da sie zu den seltenen Inschriftsteinen Ratiaria's, der nahen musischen Hauptstadt gehören. Die kleinere Inschrift ist an der Donau-Frontseite eingemauert, die grössere aber verkehrt und so hoch im Mauerwerk eingelassen, dass ihre Copi-rung sehr schwierig wurde. Nur durch das Pulvermagazin konnte man zum Punkte gelangen, wo eine Annäherung möglich war. Ich entschloss mich zu dem gefährlichen Gange; mit abgezogenen Schuhen passirten wir die dicht geschichteten Pulverfässer und Kartätschenkisten, kamen dann durch einen Hof und nach allerlei Kletterkünsten auf die Dacheindeckung, wo ich stark vorgeneigt und von meinen Führern an den Extremitäten festgehalten, in nicht sehr angenehmer PotÄion, den Stein abschrieb. Beide Inschriften wurden mit einer dritten, von Herrn Conan] Walcher v. Molthein copirten im „Corpus" der Berliner k. Akademie veröffentlicht*). Horns stolze Bollwerke und Monumente an der Donau hatten also das Material zum Aufhau des Vidiner Schlosses geliefert, das später, gleich anderen festen Plätzen der Bulgaren, sich oft den Byzantinern ergeben musste. Als Kaiser Basilius beispielsweise 1002 gegen das nordwestliche Bulgarien zog und nach der Eroberung von Preslav und Silistria die bulgarischen Schaaren vor sich her drängte, fiel Vidin trotz einer Diversion, welche Car Samuel zu seiner Rettung gegen Adrianopel ausführte, nach achtmonatlicher Belagerung. Es wurde mit Sturin genommen und hierauf wieder hergestellt. Wie wir auf S. 14 sahen, Wechselte es noch oft seinen Besitzer, bis es zuletzt in türkische Hände fiel. Zur Zeit der grossen Tataren-Invasion (1285) residirte zu Vidin der bereits erwähnte Fürst Sisman, Stammvater jener gleichnamigen dritten und letzten bulgarischen Dynastie, deren trauriges Ende zugleich des liulgarenreiches Untergang bezeichnet, Letzter Purst von Vidin war Car Joannes Sraoimir, der mit den I Dgarn durol) viele Jahre um seine Herrschaft auf der westbulgarisehen Donau-terrasse kämpfte, auch 2Um Vasallen der Türken sieh erniedrigte, bis diese Vidin *) UotnmMn, Corpus inner, lut. No. <>2'J5, JM, !»2. Kunitz, Donuii-lliilKiuiin und der llulkun. 2 ( 1398 definitiv besetzten*). Kurz zuvor musste es noch, als König Sigismunde Heer gegen Sultan Bajazid vordrang, eine ungarische Garnison aufnehmen (1396). Auf Hunyädi's verhängnissvollem Zuge nach Varna gelangte Vidin nur kurz in christliche Hände. Erst der Markgraf von Baden, welcher 1689 alle festen Plätze von Belgrad bis Nis eroberte, führte die christlichen Fahnen neuerdings vor Vidin. Er Hess Oberst Graf Pälffy mit 2000 Mann in Nis zurück und stand, trotz unwirklicher Wege, in acht Tagen mit seiner Armee vor den Wällen der altberühmten Donaufestung. Sic konnten der Energie des sieggekrönten Feldherrn nicht lange widerstehen. Prinz Ludwig schlug ein türkisches 9000 Mann starkes Corps, das in Vidin's Nähe Stellung nahm, der Markgraf stürmte aber am 14. October seine äusseren Linien, und schon fünf Tage darauf sah sich die Besatzung zur Uebergabe der Citadelle gezwungen. Vidin's Werke und deren Armirung scheinen selbst vom damaligen artilleristischen Standpunkte unbedeutend gewesen zu sein. Es wurden nur 21 Geschütze erbeutet und der Markgraf hielt es dringend geboten, den Platz in besseren Vertheidigungszustand zu setzen. Die Türkei verdankte also auch zu Vidin wie in Belgrad, Orsova, Kladova und Nis das einigermassen verbesserte Fortificationssystem ihrer wichtigsten nördlichen Festungen ihren einstigen Hauptgegnern, den deutschen Kaisern. In Graf Guido Starhemberg's Biographie**) finden wir die Ereignisse ausführlich geschildert, welche den raschen Verlust der glänzenden Eroberungen des Markgrafen von Baden herbeiführten. Namentlich seheint der siebenbürgische Rebell Tököly den Türken zur baldigen Rückeroberung Vidin's wesentlich verholfeti zu haben. Ich fand nämlich auf dem im k. Kriegsarchive bewahrten Plane „der in Bulgarien an der Donau der k. k. oder kleinen Walachei gegenüberliegenden Grenz-Festung wie solche Nr. 736 hat abgenommen werden können" Vidin's nördlichster Festungsbastion gegenüber, auf rumänischem Boden, eine Anhöhe verzeichnet, „worauf der Tekely eine Schanz gebauet gehabt". Im Jahre 1737 sah Vidin die kaiserlichen Adler abermals vor seinen Mauern; schlecht geführt, sollten sie jedoch diesmal dort keine Triumphe feiern. Die in jenem Kriege begangenen grossen strategischen Fehler, welche das Misslingen der Unternehmung auf Vidin und den für Oesterreich's Waffen unglücklichen Ausgang des ganzen Feldzuges herbeiführten, begründen aber zu sehr die beinahe unverändert gebliebene Wichtigkeit des von mir genauer festgestellten römischen Strassenzuges entlang des Timok's, als dass nicht eine detaillirtere Schilderung der bezüglichen Vorgänge genügend mativirt erschiene. Ich werde dabei den besten Quellen, den gleichzeitigen Aufzeichnungen eines bewährten Militärs *) Ueber Car Joannes Sracimir ist das letzte Urtheil noch nicht gefällt. Die ihn betreffenden historischen Daten widersprechen sich in hohem Grade. **) Arneth, Wien, 1853. im österreichischen Hauptquartiere, den „mömoires secrets" des Grafen von Sehmettau, dann dem wohlunterrichteten anonymen Biographen und Vertheidiger des Marschalls Seckendorf folgen, und die gewonnenen Daten durch die Resultate meiner eigenen geographischen Forschungen auf dem fraglichen Terrain ergänzen. Während die österreichische Hauptmacht 1737 in dem durch Nis's rasche Einnahme glänzend inaugurirten Feldzuge, vor dieser Festung beinahe unbeweglich lagerte, durchstreiften die von ihrer ersten Ueberraschung sich erholenden Türken von Vidin her die reiche Ebene um Zaicar und Knjazevac, verwüsteten die Ernten, plünderten und nahmen überall die zur Erhaltung der schlecht verpflegten kaiserlichen Armee bestimmten Lebensmittel weg. Dem zu steuern, befahl Graf Seckendorf 600 Kürassieren unter Oberst Holly, dann dem General Changlos in Razanj mit 1200 Mann die Besatzung von Gorgusovac (Knjazevac) zu verstärken; den Feldmarschall Khevenhüller beauftragte er aber Vidin zu nebuine. Letzterer hatte sich zu Beginn des Feldzuges geschmeichelt, selbst das Obercoinmando der Armee als Generalissimus zu erhalten. Nur schwer vermochte er sich in die Rolle eines abhängigen Corpscommandanten zu fügen, und er verdiente, wie wir sehen werden, den Vorwurf, des Oberfeldherrn Befehle ungern und lässig vollzogen zu haben. Seckendorf? empfahl dem Marschall, die Zugänge von Nikopoli und Sofia zu versperren, gab ihm Ingenieure und Arbeiter, um die Strasse von Nis über Gorgusovac nach Vidin auszubessern, trug ihm strenge auf, sie als kürzeste Marschroute schleunigst einzuschlagen und den Passo Augusto mit 2 Regimentern Kürassiere und 8 Bataillonen Infanterie zu besetzen. An der Spitze von 20 Compagnien Grenadiere, 6 Regimentern Cavallerie, 100 Husaren und 4 Feldstücken setzte sich Khevenhüller am 1. August in Marsch. Am 3. traf er in Gorgusovac ein. Am 4. zog er, verstärkt durch 2 Regimenter Kürassiere, wahrscheinlich vom Detachement im Passo Augusto, durch dieses Defile. Am 5. folgte ihm der Herzog von Lothringen, escortirt von 200 Reitern mit 3 weiteren Regimentern Cavallerie. Auf dem Wege versprachen zahlreiche Rajah-Deputationen dem Marschall, sich gegen die Türken erheben zu wollen. Mit einem rasch geführten Schlage hätte man damals das noch unvorbereitete Vidin leicht nehmen können, denn nach Aussagen von Spionen war seine Besatzung nur -4000 Mann stark und am 29. Juli erst durch zwei Schifte nothdürftig mit Munition versehen worden. Anstatt jedoch diese glücklichen Verhältnisse auszunützen und die ihm von Seckendorf streng vorgezeichnete kürzeste Strasse von Nis über „Gorgusovac, Novihan, Passo Augusto (Vratarnica), Stuppian (V), Wrcko-zuli (Vrska-Öuka), Culo (Kula)" einzuschlagen, um Vidin durch einen kühnen Handstreich rasch wegzunehmen, verliess Khevenhüller, Wasser- und Fouragemangel (!) auf dieser Route vorschützend, unmittelbar hinter dem Passo Augusto die schon von der Natur tracirte Route, folgte dem Laufe des Timok's in weitem Rogen, traf erst am 12. August vor Bregova und zwei Tage später vor Vidin ein. Er brauchte demnach genau 14 Tage (!) für eine Entfernung, welche man auf der ziemlich guten Strasse bequem in 24 Marsch-Stunden zurücklegen kann*). Dieses in der neueren Kriegsgeschichte seltene Beispiel behäbiger Langsamkeit wurde verhängnissvoll für das Unternehmen gegen Vidin. Auf des Marschalls Aufforderung zur Uebergabe der Festung antwortete der türkische Commandant, dass er sich bis auf das Aeusserste zu vertheidigen gedenke. Zur Bekräftigung seines ungebrochenen Muthes warf er sich auf die iso-lirte Cavallerie-Vorhut, welche am 14. Vidin's Vorstädte besetzen sollte, und zwang dieselbe, sich mit einem Verluste von 229 Mann und 171 Pferden zurückzuziehen. Ungeachtet Khevenhüller mit der ihm unter Graf Sternberg's Commando — über Vrska-Öuka und Kula — zugesandten Verstärkung: 19 Bataillone, 30 Compagnien Grenadiere und eine zahlreiche Cavallerie zählte, unterliess er es, die Festung ernstlicher zu cerniren oder selbst nur die nach Lom-Palanka und Belogradcik führenden Strassen zu versperren. Nichts hinderte die Türken, Provisionen und Verstärkungen zu Wasser und zu Land an sich zu ziehen. Letztere vermehrten die Besatzung um 3000 Mann. Als Seckendorf? persönlich im Lager erschien, war er nicht wenig erstaunt, den Marschall 5 Stunden von Vidin entfernt zu treffen und nicht einmal die nothwendigen Faschinen zum Beginne der Belagerung vorzufinden. Im Gegentheile erklärte ihm Khevenhüller, die Einschliessung der Festung sei unmöglich, weil es an einer genügenden Donauflottille mangle, und weil selbst die wenigen vorhandenen Schiffe nicht genügend ausgerüstet wären. So war nahe ein Monat nutzlos verstrichen und die noch vor Kurzem leichte Eroberung Vidin's musste aufgegeben werden. Man beschloss im Kriegsrathe, alles eroberte Land durch eine von der Timokmündung über den Passo-Augusto, Nis, Pirot,'Jovanica (bei Sofia)'und Mustapha Pasa-Palanka gehende Linie zu halten; doch schon waren die Türken stark genug, um aus der Vertheidigung zur Offensive überzugehen. Im September capitulirte die kleine kaiserliche Besatzung zu Pirot und zog sich auf Nis zurück. Anfangs October wurden Perivol (?), Selvigrad (Selenigrad?), die Schanze von Badajova bei Sofia und Mustapha Pasa-Palanka aufgegeben. Am 8. October capitulirte Nis. Nach dem unerwartet raschen Falle dieses Haupt-stützpunktes der Kaiserlichen konnten die Palanken von Razanj, Banja und Krusevac nur mehr schwachen Widerstand leisten. Sie wurden sämmtlich von den Türken genommen. Das im Passo-Augusto aber isolirt gelassene und vergessene Bataillon Bayreuth, dem Khevenhüller erst am 8. October den Befehl *) Der Verfasser machte den Weg zu Pferde in 22 Stunden. zum Rückzüge zusandte, als die Türken nach dem Abzüge der Kaiserlichen von Vidin bereits lange in deren Kücken operirten, wurde am 9. October gänzlich aufgerieben. Nur [zwei Manu entkamen, welche die Nachricht vom nutzlosen Opfertode der braven Vertheidiger des Passes in's Hauptquartier überbrachten. In solcher Weise rächte sich Khevenhüller's langsamer Vormarsch gegen Vidin. Unzulänglich sind die Gründe, mit welchen er ihn zu rechtfertigen suchte. Er behauptete, durch des Hauptquartiers Verschulden die ihm zugesagten Lebensmittel bei Vratarnica nicht gefunden zu haben und dadurch zum Verlassen der kürzesten Route nach der Donau genöthigt worden zu sein. Selbst angenommen, dass der erhobene Vorwurf die Heeresverpflegung wirklich traf, war der zweite Grund, dass er wegen Wasser- und Futtermangels die weit kürzere Strasse von Vratarnica über Vrska-Öuka und Kula nach Vidin nicht einschlagen konnte, jedenfalls eine willkürliche Annahme, die nur auf mangelhafter Terrainkenntniss beruhte und allein schon durch jene Verstärkungen unter Graf Sternberg vollkommen widerlegt wurde, welche auf jener Route, ohne irgend welche Schwierigkeiten, zu ihm gestossen waren. Erwägt man, dass es sich von Vratarnica um den Marsch über eine quellenreiche Hochebene handelte, den man zu Wagen in 8 Stunden zurücklegt, dass Truppen und Pferde frisch aus dem Lager kamen, dass man nur wenig darauf rechnen durfte, in dem verwüsteten Gebiete von Zaiöar mehr Subsistenzmittel vorzufinden; ferner dass der von Sternberg dem Marschall zu-geführte Succurs, wie schon früher (1689) die Armee des Markgrafen von Baden, von Nis über Kula vor Vidin, in der noch immer langen Zeit von 8 Tagen erschien, so wird man billig darüber staunen, wie ein Feldherr, wegen grösstentheils eingebildeter Schwierigkeiten, den Erfolg einer hochwichtigen Unternehmung, ja eines ganzen Feldzuges in Frage stellen konnte. Der schlimme Ausgang der Expedition gegen Vidin darf aber nicht in den von Khevenhüller vorgeschützten Umständen, sondern in seinem schon angedeuteten Verhältnisse zum Oberfeld-herrn gesucht werden. Die bereits von den Römern erkannte strategische Wichtigkeit der von Nis durch den Passo-Augusto über Kula nach der Donau führenden Strasse erscheint jedenfalls durch die Erfahrungen" der Feldzüge 1689 und 1737 zweifellos bestätiget. Während der ersten serbischen Befreiungskämpfe bildete Vidin, ähnlich wie Nis, einen Hauptsammelpunkt der grossherrlichen Truppen zur Niederwerfung der rebellischen Rajah. Von Vidin aus wurden die Südkreise Negotin und Zaicar (früherer District Kraina) lange in Schach gehalten und erst die russische Convention vom Jahre 1837 bestimmte viel später den Timok als definitive Grenzscheide zwischen der Türkei und Serbien. Im türkisch-russischen Kriege 1828 machte der Pasa von Vidin mit seiner grossentheils irregulären Streitmacht dem russischen Beobachtungscorps unter General Geismar viel zu schaffen. Am 27. August trieb er die Russen bis Krajova zurück und nahm deren Vorräthe weg. Ein zweiter Ausfall, in der Richtung von Bojelesti, scheiterte an der Tapferkeit der Russen. Am 26. September wurden die Türken ungeachtet ihrer grossen Ueberzahl, sie führten 20,000 Mann in's Treffen, nach verzweifelter Gegenwehr geschlagen und in einem mit seltener Kühnheit ausgeführten nächtlichen Ueberfallc in wilder Flucht über die Donau gejagt. Der prahlende Vezier entkam auf einem Maulthiere, sein Seraskier zu Fusse nach Vidin. Das Lager mit allen Vorräthen, 24 Fahnen, 7 Kanonen, 10,000 Gewehren und zahlreichen Gefangenen fiel den Russen in die Hände. Die Türken verloren nach eigener Angabe 3000 Mann. Nach dieser kräftigen Zurückweisung mieden sie fortan die Walachei und räumten am 25. October Kalafat, dessen wichtige Verschanzungen russischerseits sofort, mit gegen Vidin gerichteten neuen Werken, geschlossen wurden. Im fortgesetzten Feldzuge 1829 blieb hier volle Waffenruhe erhalten. Die wichtige Rolle, welche Vidin im russisch-türkischen Kriege 1853 —1854 spielte, lebt noch in unverwischtem Gedächtnisse; ohne die Unterstützung, welche Vidin seinem walachischen Brückenköpfe Kalafat lieh, hätte die berühmte siegreiche Affaire von tetate sicher anders geendet. Bei Kalafat erfolgte Omer Pasa's erste Bewegung gegen den russischen Generalissimus Gortschakoff, als dieser seine Sommation, die Donaufürstenthümer zu räumen, ausweichend beantwortete. Am 17. October 1853 besetzte Omer Pasa die zwischen Vidin und Kalafat liegenden Inseln und machte durch diesen Sehritt dem von England übernommenen letzten Vermittlungsversuche ein Ende. Während das Kriegsglück in diesem Herbstfeldzuge bei Giurgjevo und an anderen Punkten der unteren Donau mehr den Russen günstig war, blieb es bei Vidin-Kalafat dauernd dem Halbmonde treu. Die türkischen Waffen feierten sogar hier einen Sieg, welcher dieselben beim Gegner gefürchtet machte, Europa Achtung einflösste und für den Fortgang des Krieges von weitgehendsten Folgen wurde. Die Occupation der kleinen Walachei war, als zu entfernt von den Operationen des grossen Gortschakoff'schen Hauptquartiers in Bukarest, einem gesonderten combinirten Corps, unter General Fischbach, anvertraut worden, das von Krajova aus gegen die Donau vordrang. Omer Pasa erkannte die Gefahr, schob am 27. October den Ferik Ismail Pasa von Vidin auf das linke Donauufer vor, Hess den Brückenkopf Kalafat durch neue Verschanzungen eiligst verstärken und, um letztern zu decken, verschiedene Streifungen in der Richtung auf Bukarest vornehmen, in dessen Nähe Russen und Türken bei dem berühmt gewordenen Olteniea hart aneinander geriethen. Die türkische Bravour widerstand den stürmischen Angriffen des Gegners und dieser musste sich am Abend mit grossen Verlusten zurückziehen. Als jedoch die russische Hauptmacht bei Budesti ernste Miene machte, sich der unliebsamen türkischen Streifcorps zu entledigen, hielt es Omer Pasa für gerathen, sie am 13. November näher an das linke Donauufer zurückzuziehen. Gleichzeitig suchte er aber seine feste Stellung dort zu verstärken. Eine Stunde im Umkreise zogen sich die Werke hin, welche polnische und türkische Genie-Ofüciere um Kalafat anlegten, das zum Stützpunkte der türkischen Operationen in der kleinen Walachei ausersehen wurde. Dieses grosse walachische Dorf liegt am Rande einer zur Donau sanft abfallenden Terrasse. Am 20. Juni 1700 wurden seine wenig starken Verschanzungen vom österreichischen-General Clerfayt gestürmt und genommen. Nun war Kalafat aber gedeckt durch eine grosse Sternschanze mit Graben, welche in gedoppelter Linie zahlreiche Forts halbkreisförmig bis zur Donau umgaben, und auch die mit dem Festlande durch eine Pontonbrücke communicirende Insel schützten starke Werke. Gegen diese allmälig uneinnehmbar gemachte Position richtete Anfangs Januar 1854 General Fischbach, der nun den Westflügel des auf zwei Divisionen verstärkten Corps in der kleinen Walachei unter General-Lieutenant Anrep befehligte, die grössten Anstrengungen. Am 5. Januar besetzte eine russische Abtheilung den 3 Stunden nördlich voir Kalafat, hart an der Donau gelegenen Ort Cetate, welcher eine einzige riesige Gasse bildet, deren Ausgänge er rasch verschanzte. Ein grosser Teich verstärkte diese Stellung. Schon am 6. stürmte aber der von Kalafat rasch vorgehende Tscherkesse Ismail Pasa vereint mit Achmed Pasa, die heiss vertheidigte Position, wobei sich die Basibozuks unter den tollkühnen Renegaten Jakub Aga (Constantin v. Jakubowsky) und Skender Bey (Graf Ulinsky), neben anderen Polen, welche hier mit den Türken gegen Russland, wie einst der Ungar Tököly gegen Oesterreich, kämpften, ganz besonders auszeichneten. Cetate ging für die Russen verloren und die Gefechte bei Mocacei, Kisipieis und a. 0. waren nicht glücklicher für dieselben. Trotz alledem schloss sich die russische Cernirungslinie bald dichter um den Schanzengürtel von Kalafat, dessen Vertheidigung Omer Pasa seinem in europäischer Schule gebildeten Freunde Achmed Pasa anvertraute. Bei unleugbaren Kenntnissen war er jedoch zaudernd im Entschlüsse, ja in türkischen Kreisen deutete man seine übergrosse Vorsicht auf Einvcrständniss mit dem Feinde. Trotzdem verloren die Russen schon während ihres winterlichen Campirens vor Kalafat an 20,000 Mann. Auch die Türken hatten aber von ihrer 20—30,000 Mann betragenden Garnison, innerhalb des weitgestreckten Sclianzengürtels, an 10,000 Mann während des Winters 1853—54 eingebÜ8St. Als das Commando zu Kalafat an Halim Pasa, einen wenig gebildeten aber sehr muthigen Mann, überging, gestalteten sich die dortigen Verhältnisse noch verhängnissvoller für das Belagerungscorps. Vidin-Kalafat blieb die unerschütterliche Position, an welcher stets alle Versuche der Russen, über die Donau den zur Theilnahme am Kriege geneigten Serben die Hand zu reichen, vollkommen scheiterten. Unzählige Feuerschlttndc auf den vortrefflich benützten Höhen schreckten die durch das Campement geschwächten Angreifer vor einem allgemeinen grossen Sturm umsomehr zurück, als hinter denselben die Hauptarbeit, eine wohlverschanzte Insel und das starke Vidin, ihrer wartete. General Fischbach musste sich auf Kalafat's Beobachtung beschränken. Am 15. Juni wurde die türkische Hauptmacht von Vidin gegen Silistria gezogen und dessen Bewachung, sowie jene der Kalafater Schanzen einigen Tausend Irregulären übergeben. Man durfte dies wagen — denn Oesterreich hatte sich bereits zur Occupation der Fürsten-thttmer entschlossen. „Heute ist Kalafat ein netter, aufblühender Ort und eine nicht unwichtige Dampfschifffahrtsstation; andererseits wissen wir Russland officicll mit der Pforte auf bestem Fuss. Letzteres" kann und wird sich aber wieder einmal ändern. Nun wäre es interessant zu wissen: welche Stellung wird das über eine wohlbewaff-nete Armee gebietende, auf die Integrität seines Bodens — und Kalafat steht auf diesem — eifersüchtige Rumänien zwischen beiden Mächten nehmen, wer wird Vidin's wichtiges Vorwerk, das blutgetränkte Kalafat besetzen und gegen wen wird dasselbe die Geschütze seiner Forts richten?" Diese im selben Capitcl der I. Auflage erscheinenden Fragen drängten sich mir auf, als ich das letzte Mal im Mai 1874 an dem historisch interessanten, mit seinem Kirchlcin friedlich von der Höhe herabblickenden Orte vorüberfuhr. Kaum dachte ich damals, dass sie — genau drei Jahre später — so rasch und voll beantwortet werden sollten. Im serbisch-türkischen Feldzuge 1876 blieben dem alten Donaubollwerkc, trotz seiner mehrmaligen Bedrohung, des Kampfes Schrecken erspart. Wie oft zuvor erwies es sich als einen mächtigen Hort der erschütterten, aber noch nicht gebrochenen Türkenherrschaft, von dem Osman Pasa, der nachmalige Held von Plevna, seine Vorstösse gegen das serbische Timokcorps unternahm. 1876 war übrigens ein böses Jahr für die Christen Vidin's und seiner bulgarischen Donauterrasse, da man sie des Einverständnisses mit den wiederholt glücklich bis Ganzova vordringenden Serben zieh. Die alte Festungsstadt wurde damals Zeugin greller Scenen. Unsere Illustration zeigt eine solche, wie von Tscherkessen eingebrachte bulgarische Bauern, sogenannte „Komiteti" (Insurgenten) über den Vidiner Uhrthurmplatz zur Richtstätte geführt werden. Die zum Galgen Verurtheilten tragen den Todesspruch auf Tafeln an die Brust geheftet, neben ihnen schreitet rechts der Pope, der ihnen Trost zuspricht, links der Henker, ein Zigeuner, das primitive Gerüst und den vom Leben zum Tode befördernden Strick in den Händen. Ringsum bilden Zapties (Gensdarmen) mit aufgepflanzten Yatagans und türkische Zuschauer in aufgeregter Haltung die lebendige Hecke des traurigen Zuges. Möge der Sohn aus dem fernen Indien sein schauerliches Handwerk Vururtlieillu Insurgenten auf dein Gifingo zur Iticlitstlitte. LM wenigstens rasch vollführen und die Opfer ihrer Freiheitsliebe nicht unnöthig martern! Bei einer derartigen Exccution zu Ruscuk riss der alte abgebrauchte Strick dreimal, und ebenso oft wurde der unglückliche Verurtheiltc unter dem Beifall der johlenden moslimschen Menge in die Höhe gezogen, bis seine Seele dem gequälten Körper entfloh! Die bisher über den letzten russisch-türkischen Krieg erschienenen Werke sind ungemein arm und widersprechend in ihren Angaben über die Vorgänge auf der von der centralen Operationslinie abseits gelegenen westbulgarischcn Donauterrasse und ihr Bollwerk Vidin, das Rumänen und Serben lange beschäftigte; letztere allerdings nur insofern, als seine Besatzung, vor gänzlicher Cer-nirung der Festung, das Timokgebiet stetig bedrohte. Die in ein gewisses Dunkel . gehüllten Ereignisse in und um Vidin, während und nach der Belagerung, sind aber vielfach nicht ohne spannenden Reiz. Ich glaube also, dass ihre hier folgende Darstellung nach den besten Quellen und mir gewordenen persönlichen Berichten neben dem actuellcn, auch historisches Interesse beanspruchen dürfte. Im April 1877, als Russland den Krieg gegen die Pforte eröffnete, befehligte Osman Pasa zwischen Vidin, Kula, Rahova und Belogradcik 40,000 Mann, welche den linken Flügel der türkischen Donau-Armee bildeten. Am 19. April musste er an das Centrum 10,000 Mann abgeben; trotzdem bereitete sich Osman energisch zum Uebergange in die kleine Walachei vor. Er sammelte 150 Karlasen (Getreideschiffe) zum Brückenschlage nach Kalafat. Rumäniens unentschiedene politische Haltung und die ihm durch den Pariser Vertrag garantirte Unantastbarkeit seines Gebiets erschwerten es aber dem Pasa die für Vidins Ver-theidigung hochwichtige jenseitige Strom-Position rechtzeitig zu besetzen. So kamen ihm dort die Rumänen zuvor. Am 26. April, zwei Tage nach erfolgter Kriegserklärung, räumten sie wohl aus Furcht vor der überlegenen türkischen Offensive die vier gegen Vidin gerichteten Schanzen unter Mitnahme ihrer Geschütze. Allein schon am 5. Mai bei weiterem Vorrücken der Russen gegen die mittlere Donau erschienen sie wieder in Kalafat und errichteten eine fünfte Batterie auf der nur 2000 Meter von der Vidiner Enceinte entfernten Höhe. Vidin's Armirung zählte 200 Kanonen, darunter viele glatte. Die beiden permanent gebauten Donauforts „Kum bair" und „Ghasi bair" waren zusammen mit zwanzig Krupp'schen 15- und 23-Centimeter-Geschützen armirt. Vor der Ostfront der Citadelle ankerten Anfangs Mai mitten im Strome ein Monitor, ein Kanonenboot und mehrere Segelbarken. Der für mehrere Monate aufgespeicherte Proviant befand sich in Magazinen mit hölzernen Bedachungen. Hingegen waren die riesigen Munitions- und Pulvervorräthe vollkommen sicher in der „Vidine kule" (S. 15) untergebracht. Am 2. Mai 1877 wurde die Schifffahrt auf der Vidiner Donaustrecke einge- stellt und am 8. Mai, 2 Uhr Nrn. begannen die türkischen Geschosse jenes furchtbare Artillcricduell, welches sich zum grossen Schaden der Stadt volle neun Monate fortsetzen sollte. Das von den rumänischen Fcldbatterien abgegebene Feuer reichte tausend Schritte über die Festung hinaus, am Pfingstsonntage begann die erste heftige Beschiessung mit schweren Geschützen in Gegenwart des Fürsten Carl, welcher nach einem anstrengenden Ritte von 8 Stunden aus Krajova in Kalafat eingetroffen war. Nachdem der Fürst die Positionen und seine jubelnden Truppen inspicirt, begab er sich in die seinen Namen tragende Batterie I und gab den Befehl zur Eröffnung des Feuers, welches leider auch das grosse städtische Spital schwer beschädigte. Der Fürst, in dessen Begleitung ausser dem Kriegsminister der General Cernat, der Generalstabschef Slacineano, der russische Oberst Doktoroff und einige Adjutanten sich befanden, erhielt hier die erste Kugeltaufe und bewahrte, während mehrere türkische Granaten dicht neben ihm einschlugen, eine bewundernswerthe Kaltblütigkeit, welche ihre grosse moralische Wirkung auf die junge rumänische Armee nicht verfehlte. Unter den Tagen, an welchen Vidin's Bombardement im Jahre 1877 besonders heftig fortgesetzt wurde, verzeichnete uuser Chronist namentlich den 21. und 28. Juni; sie brachten vielen tapferen Soldaten und zahlreichen Bewohnern der Citadelle den Tod. Am 14. Juli trat Osman Pasa mit 24 Bataillonen, 1 Cavallerie-Regiment und der entsprechenden Artillerie, also mit dem grössten Theile der Vidiner Armee, von welcher unterwegs noch weitere 3 Bataillone zu ihm stiessen, seinen viel bewunderten, Russen und Rumänen verborgen gebliebenen Flankenmarsch von beiläufig 200 Kilometern nach Plevna an, welchen er in fünf Tagen glücklich vollführte. Zu Vidin's Verteidigung blieb nur die verhältnissmässig schwache Besatzung von 10 Bataillonen mit Artillerie, zusammen etwa 8000 Mann unter Izet Pasa zurück. Mit Rücksicht auf die grosse Tragweite der rumänischen Geschütze hatte bereits Osman Pasa mit der Anlage detachirter Forts begonnen. An der Donauseitc entstanden gegen Norden und Süden die neuen Forts „Jeldis-" und „Ajab tabbia#; auch den umliegenden Hügelkranz, welcher zahlreiche Dörfer trägt und dem Feinde vorzügliche Batteriestellungen bieten konnte, suchte man stark zu befestigen. Am 19. Nov. wurde ein von Rahova stromaufwärts flüchtender türkischer Monitor von einer 2 Meilen unterhalb Kalafats rasch errichteten Mörserbatterie zerstört. Nichts hinderte nun die rumänischen Truppen, ihre Streifpar-thien am rechten Donauufer zwischen Lom und Vidin, in grösserem Massstabe aufzunehmen. Der eigentliche Angriff auf das letztere von dieser Seite her erfolgte jedoch erst nachdem Plevna gefallen und es den Rumänen dadurch möglich geworden war, ihre frei gewordenen Truppen gegen Vidin vorzuschieben. Im Januar 1878 suchten vier Divisionen sich im Vidiner Vorterrain festzu- setzen. Am 12. Januar erfolgte die Aufforderung- zur Uebcrgabc. Die III. Division (Oberst Haralamb) marschirte in 2 Colonncn über Lom, Arcer und Bclogradcik, wo sie einen Tlieil der Brigade Kantiii zurückliess, nach Osmanie und Vitbol. Nach kurzem Kampfe bemächtigten sich die Rumänen am 15. Januar des letzteren Punktes, der wichtig ist, weil sich dort mehrere von Süden nach Vidin führende Strassen vereinigen. Die Brigade der Rosiori (rothen Husaren), welche eine Recognoscirung gegen N. vornahm, verjagte bei Dinkovica ein feindliches Dcta-chement und erreichte Florentin ohne Widerstand. Die nachrückenden Truppen besetzten Dinkovica und Ncgovanica, sodass Vidin's Isolirung eine Thatsache wurde. Um es enger und concentrischer einzuschlicssen, griffen die Truppen des rechten Flügels I. Division (Oberst Leka) und IV. Division (Oberst Angclescu) am 24. Januar die nur 8 — 10 Kilometer von Vidin entfernten Orte: Tatareik, Novoselci, Rupca, Rianovci an und vertrieben mit geringem Verluste den Feind aus denselben. Gleichzeitig [traf General Öerkes, Commandant der II. Division auf dem linken Flügel, ernste Anstalten zur Wegnahme des detachirten starken Vorwerkes, welches Osman Pasa am Vereinigungspunkte der Topolnica und Delena, auf der schmalen hohen Landzunge zwischen Smrdan und llinova, in 6 Kilometer Entfernung von Vidin's äusserem Bastionengürtel angelegt hatte. Nach dreistündigem Bombardement mit 78 Geschützen, b«i welchem auch Kalafat lebhaft mitwirkte, antworteten die drei türkischen, von wenigen Bataillonen verteidigten Redoutcn immer schwächer. Unter dem Feuer von 12 Kanonen, welche deren Front zuletzt auf 2 Kilometer Entfernung beschossen, schritten 0 Bataillone vom 4. und 0. Linien- und 9. Dorobanzen-Regiment zum Sturm, das Gefecht dauerte drei Stunden und endete um 6 Uhr Abends mit einem vollständigen Erfolge. 300 Türken bedeckten das Schanzenterrain, 250 Nizams, 6 Krupp'schc 9-Ccntinictcr-Kanonen mit ihrer Munition, viele Hunderte Hintcrladcr-Gewchrc waren die Trophäen des Tages. Die Türken zogen sich in grosser Unordnung auf Vidin zurück. Die rumänischen Truppen hatten auch hier ihre schon vor Plevna bewiesene Tapferkeit bewährt. Man hörte nur das Signal der Horner „Vorwärts" und den Laufschritt der Soldaten. Einige Officiere fielen, 3#—40 Mann blieben todt, etwa 100 wurden verwundet. Vidin's engere Einschlicssung war nun glücklich bewerkstelligt und die eroberten Geschütze in den Redoutcn wurden mit den rumänischen gegen dasselbe wirksam gerichtet. Alle Anstrengungen Izet Pasa's, die wichtige Position von Smrdan wieder zu nehmen, waren vergeblich, doch erlag noch manch tapferer Rumäne den feindlichen Geschossen. Am 25. und 26. wurde das Bombardement der Vidiner Werke mit aller Kraft fortgesetzt und verursachte in der Citadelle und Stadt mehrere Brände. Das rumänische Feuer steigerte sich unausgesetzt, grosse Verheerungen anrichtend, bis 4. Februar. Am 27. Januar verliess General Öernat mit dem Generalstabs-Obersten Pilat Bukarest, um den Sturm auf Vidin einzuleiten, der jedenfalls sehr viele Menschenleben gekostet hätte. Unterhandlungen wegen Capitulation der Festung zerschlugen sich, weil die Türken freien Abzug mit allen Waffen forderten. Der am 31. Januar zu Adrianopel abgeschlossene, am 5. Februar zu Izet Pasa's Kenntniss gelangte Waffenstillstand, welcher die Räumung von Vidin, Belogradcik und der anderen Festungen Donau-Bulgariens stipulirte, machte glücklicherweise weiterem Blutvergiessen ein Ende. Am 24. Februar erfolgte Vidin's Uebergabe an die Rumänen und gleichzeitig der Abzug des Gros der türkischen Besatzung mit allen Kriegsehren. Am 5. April zog das 138. Bothovski'sche Infanterie-Regiment (35. Division) in die Citadelle ein, bald folgten andere russische Truppen, und am 18. April erschien der finden bisherigen Vidiner Sandzak bestimmte Gubernator, Staatsrath Tuholka, welcher seit Ende Januar zu Lom auf die Uebergabe der Festungsstadt gewartet hatte, um dort im Namen des Caren die russische Civil-Verwaltung einzuführen. Vidin's enge Cernirung, welche zum rascheren Abschlüsse des Ädrianopler Waffenstillstandes mitwirkte, gab Europa einen erneuten Beweiss von der Tüchtigkeit der rumänischen Heeresleitung; die Erstürmung der Smrdaner Vorwerke fügte aber noch ein weiteres Lorbeerblatt in den Ruhmeskranz der tapferen rumänischen Armee. Am 17. Mai besuchte Fürst Carl die Smrdaner Redouten und die beiden Gräber auf dem grossen Platze im oberen Dorftheile, in welchen 12 rumänische Officiere und 200 Soldaten ruhen. Die Inschriften auf den zwei hohen Kreuzen verkünden, dass die hier bestatteten Tapfern am 12. Januar 1878 (a. St.) den Heldentod für Vaterland und für Erlösung der bulgarischen Nachbarnation gestorben sind. Haufen modernder rother Fesse bezeichneten aber noch im letzten November die Stellen, wo die türkischen Vertheidiger im Kampfe für ihre Waffenehre und ihre in den Vidiner Wällen eingeschlossenen Glaubensbrüder fielen, von welchen bereits Hunderte durch die feindlichen Kugeln das Leben verloren hatten! Vidin litt ungemein viel durch die rumänischen Geschosse. Es fehlte der Festung an grösseren casemattirten Räumen; während der häufigen verheerenden Beschiessungen gruben sich die Bewohner in Kellern und Höhlen ein, welche sie im Erdreich ihrer Höfe und Gärten mühsam aushoben. Kalafat's Batterien richteten ihr Feuer namentlich auf die Citadelle. Dort wurden im Pasa dzami Maha-lesi etwa 50 Häuser, im Üc kule M. ebensoviele, im Florentin kapu M. 40, im Öaus M. 50, im Londze M. 40, im Jaja Pasa M. 70, im Medresse M. 40, im Orta tuna M. 45, im Pazvandzi M. 60, im Medzid M. 30, im Katko M. 30 Häuser beschädigt. Von wichtigen Gebäuden wurde gleich anfänglich die militärische Dampfmühle beim alten Schlosse zerstört, ihre "Maschinen liegen unter Schutt und Trümmern begraben. Das eine weite Aussicht gestattende oberste Geschoss des Uhrthurmcs musste gleichfalls bald verlassen werden, denn es bildete wie alle Minaretgallcrien eine stete Zielscheibe für die rumänischen Artilleristen. Völlig in Ruinen geschossen wurden: die Achmet Pasa dzami mit des berühmten Husscin's Grabmal (S. 0), dann der unmittelbar an der Festungsmauer stehende israelitische Tempel, welchen die Türken zuletzt als Getreidespeicher benutzten, ferner ausserhalb der Festung die grosse neue Jali dzami. Leichter beschädigt wurden 11 andere Moscheen, das Militärspital und viele Häuser iu den an der Donau gelegenen Stadttheilen. Obschon auch das historisch berühmte „Pasvandzi serai" ziemlich gelitten, konnten seine weitläufigen Hofräume und Gelasse später von der russischen Intendanz noch zur Aufstapelung riesiger Vorräthe benutzt werden. Zuletzt diente Pasvan Oglu's einstiger Konak den Türken zur Verwahrung verschiedenartigster Verbrecher. Die exilirten Druseuchefs wohnten hier neben Mördern und tscherkessischen Pferdedieben. Am Tage, als Vidin fiel Hess man des Serai's gefährlichen Inhalt frei ausfliegen. Heute ist der schicksalsreiche Jauitscharen-konak eine Kaserne der bulgarischen Miliz. Junge, kindlich dreinblickende Bulgaren bewache? das Thor; im llofraume und unter seinen Arkaden liegen hoch übereinander geschichtet unzählige Kisten, nach den Aufschriften gefüllt mit: Fariue, Legumes, Bisquits etc., ihr Inhalt mag heute grossentheils verdorben sein. Schade um die vielen Steuerrubel, welche sie in die weiten Taschen russischer Lieferanten brachten. Noch schwerere Verluste aber erlitt der türkische Staat bei der Räumung der abgetretenen festen Plätze. Die Fortschaffung des sämmtlichen Kriegmaterials war wohl vertragsmässig bestimmt, konnte jedoch wegen mangelnder Transportmittel nur zum kleinsten Theile bewerkstelligt werden. Nach Vidin's Uebergabe glich der weite Platz beim alten Schlosse einem Chaos aller denkbaren Kriegs-vorräthe. Hunderte von Soldaten leerten die Magazine und thürmten hier ganze Hügel auf von Uniformen, Waffen, Trophäen aus besseren Zeiten, dazwischen 200 eiserne Oefen, Artilleriestficke aller Art, Patronenkisten und Bombenhülsen, bunt durcheinander, in grellster Unordnung und den schädlichsten Witterungsein-tlüssen ausgesetzt. Da wurde eines Tages (November 1878) Fürst DondukofTs des General-Gouverneurs Besuch in der Festungsstadt angekündigt und das wüste, lebensgefährliche Gerumpel musste bei Seite geschafft werden. Die Türken erleichterten sich diese Sy siphusarbeit, durch die Ausschreibung einer Licitation, zu welcher ein Haufe Kauflustiger erschien. Trotzdem wurden nur Spottpreise erzielt Vor einem grünen Zelte schob ein türkischer Cominissär das ihm zugetragene Geld in ein langes Säckel und notirte die Einzelbeträge in das vor ihm auagebreitete Teller. Der Platz leerte sich, die riesigen alten Wallrohre auf ungeschlachten Holzlaffetten aber, eine Anzahl von Pulverfässern, Kisten mit Brandraketen, die Kanonen von Belogradcik u. s. w. wurden zur Donau hinabgeführt, um dort auf Kriegsdampfern nach Constantinopel verladet zu werden. Zum letzten Mal schloss Ibrahim Effendi die Eisenpforte der gcschichtsrcichen „Vidine Kule", eine Thräne blitzte im Auge des kampfgewohnten Türken, als er die alten rostenden Schlüssel einem russischen Officier übergab. Anfangs September 1878 begannen die Russen vor ihrem Abzüge mit der Sprengung des westbulgarischen fünfhundertjährigen Zwinguri. Ein Dctachement Geniesoldaten vollzog diese Arbeit unter der Leitung eines Obersten mit grosser Raschheit, indem man 60—80 Pud Pulver (1 Pud = 16,i Kilogr.) auf einmal in die Minen einführte und so in einem Monate, an achf gleich weit von einander entfernten Stellen, die Hauptumwallung in Bresche legte. Auch das starke Kum bair-Fort wurde gesprengt. Die Gewalt der Explosionen erschütterte heftig den Stadtbereich, die Häuser erbebten in den Grundfesten, und während der letzten Sprengung an der Donaufronte wurden des Stromes Fluthen thurmhoch in die Höhe und landeinwärts in die Strassen geschleudert; mit dem Wasser flogen auch viele Fische in dieselben, welche von den russischen Soldaten jubelnd aufgelesen wurden. Jede einzelne Sprengung wurde einen Tag früher bekannt gegeben und bildete für die Bulgaren, welche ihre Läden schlössen, eine Art Fest. Dicht hinter der von den Minen in entsprechender Entfernung gezogenen Soldatenhccke wartete eine nach Tausenden zählende Volksmasse auf die betreffenden drei Trompetensignale. Beim dritten erfolgte präcis unter betäubendem Donner ähnlichem Getöse die Explosion. Berghoch flogen Erdreich und Gestein in die Luft und ein dichter Staubregen hüllte Vidin durch einige Minuten in eine beängstigende graue Wolke. Sobald sich diese etwas verzogen, begann aber ein wirres Rennen nach der gesprengten Stelle, mit tollem Hurrah stürzte Alles zum Festungsgraben, denn jeder wollte zuerst die devastirte Stelle überschreiten. Mit dem Schutt wird der sumpfige Festungsgraben trocken gelegt, und das durch den fortgesetzten Mauerabbruch gewonnene Material soll zu öffentlichen Bauten benutzt werden. Exarch Antim war der Erste, welcher sich Steine zur Erbauung der neuen Kathedrale und eines Konaks für sich selbst vom russischen Gouverneur erbat. Nun wird wohl der seit 1855 zu Vidin geplante Kirchenbau sich verwirklichen. Fünfundzwanzig Jahre und eine furchtbare Katastrophe mussten seit dem viel-verheissenden Pariser Frieden über den türkischen Boden weggehen, bis des mos-limschen Muezin's Weckstimme und der christlichen Glocke friedlich Geläute gleich berechtigt nebeneinander erschallen durften. Bald nach Vidin's Uebergabe erbaute man an der Stelle des alten hölzernen einen achteckigen, von Stein aufgeführten Glockenthurm, dessen kupferner Helm mit vergoldetem Schnörkelwerk reich verziert ist. Neuestens wird nach russischer Art geläutet, es wird nämlich neben der in Schwingung gesetzten Glocke gleichzeitig an einer zweiten, unbe- IM ALTEN I'ND NEUEN VIDIN. 33 weglichen, mittelst eines durch einen Strick regierten Schwengels, in regelmässigen Intervallen geschlagen, was an das in den orthodoxen Klöstern übliche Symantron erinnert. Das fremdartig klingende Geläute begleitete in den letzten Monaten unglaublich viele russische Soldaten hinaus zur letzten Ruhestätte, welche nachdem sie glücklich und siegreich die heissestcn Kämpfe überstanden, in voller Jugendblüthc dem tückischen Vidiner Sumpffieber erliegen mussten. In langen Reihen liegen sie auf dem christlichen Friedhofe gebettet, und nun dort kein Raum mehr, wird der neue bulgarische, gleich den türkischen Begräbnissstätten, aus sanitären Rücksichten, weit hinaus, hinter die südöstliche Vorstadt verlegt. Vidin macht auch heute noch den fremdartig anziehenden Eindruck einer echttürkischen Stadt, und sie dürfte es bleiben, so lange dieses bizarre ruinen-hafte Häusergewirr mit phantastisch märchenhaften Staffagen bestehen wird, das den Orient charakterisirt. Und doch, wie sehr hat sich die alte Donaufestung unter dem kurzen Regime der Russen zu ihrem Vortheile geändert. Den Fremden, welcher Vidin seit acht Jahren nicht gesehen, erwartet gleich bei der Ankunft eine freudige Ueberrasehung. Während er noch 1871 dort ein anständiges Absteigequartier vergeblich suchte, kann er nun zwischen verschiedenen Gasthöfen wählen. Bereits 1875 errichtete der fortschrittlich gesinnte Rifat Pasa nahe dem Landeplatze der Dampfer, auf einem Baugrunde, welcher gelegentlich des von ihm begonnenen Kaibaues gewonnen wurde, das „Hotel Bellcvue" mit entzückender Fernsicht. Allerdings legte Rifat dem Unternehmer schwere Bedingungen auf, wohlhabende Vidiner Insassen mussten für den jährlich 1100 Dukaten betragenden Pacht haften und gleich viele Goldstücke glitten, wie man sich öffentlich erzählte, in des Pasa's Säckel. Allein es war einem dringenden Bedürfnisse abgeholfen und ein Beispiel gegeben, das rasche Nachahmung fand. Speculative Geschäftsleute „von drüben", aus dem Banat, angelockt durch die russischen Imperiale, schufen so rasch es ging, einstöckige Häuser am Donauufer in Gasthöfe um und gaben ihnen tönende Namen wie: Hotel d'Europe, Hotel de villc, Hotel d'Athenes, Restauration francaise u. s. w. Hinter weissen oder rothen Gardinen kann man nun, um 5 Uhr Nachmittags, in den erleuchteten Zimmern blank gedeckte Tafeln erblicken, an welchen um diese Stunde regelmässig table d'höte und sonst ä la carte gespeist wird. Die zahlreichen russischen Officiere suchten gewöhnlich das herrlich gelegene „Hotel Bellevue" wegen seiner prächtigen Balkan-Aussicht und die „Restauration frangaise" wegen ihres Gartens auf, dann auch den „Jardin publique", eine Anlage, wo bei den Klängen der Regimentsmusik oder eines auf der Orientfahrt begriffenen Dainenorchcsters, bei verschiedenen Anlässen, glänzende Bankette veranstaltet wurden, bei welchen auch, jedenfalls die grösste Neuerung, manchmal die Frauen der bulgarischen Notabein erschienen. Trat man in das von buntfarbigen Lampions beleuchtete heitere Treiben hinein, das bei echtem Kunlt/.. Donuii-HulKHrlt'ii imtl iler linlkun. •( Champagner wohl manchmal überschäumte, so frug man sich unwillkürlich, ob es dasselbe alte Vidin sei, wo früher nach Sonnenuntergang die menschenleeren Strassen den Hunden überlassen blieben oder unter dem Schritte finster blickender Militär-Patrouillen erdröhnten. Mehr noch als Gasthöfe und zweispännige Miethwagen, welche 2 Mark pro Stunde erhalten, überrascht Vidin's neue, mit Akazien bepflanzte schnurgerade Kaistrasse, sein Donau-Corso, welcher Abends mit einer stattlichen Doppelreihe von Petroleum-Candelabern beleuchtet wird. An den kleinen Tischen vor den Hotels wird viel getrunken und geplaudert, auf dem Trottoir hart am Ufer aber promenirt die schöne Welt bei Militärmusik, des bunten Strombildes sich erfreuend, dessen Mittelpunkt der stattliche, den Türken abgenommene Monitor „Nikopoli" bildet; vom Verdecke klingen die eigenthümlich schrillen Commandopfiffe, welchen man die russischen Matrosen mit mechanischer Präcision folgen sieht. Die hervorragendsten Gebäude am Kai sind die Dampfschifffahrts - Agentie, das Polizeiamt, das Zollgebäude. Das alte türkische Mauthamt und die erst vor einem Decennium erbaute Jali-Moschee dicht daneben wurden von den rumänischen Geschossen in hohläugige Ruinen verwandelt, auf deren weiten Hofräumen die russischen Soldaten mit grosser Findigkeit ihre Kochplätze anlegten. Dort konnte man die meist gedrungenen kräftigen Söhne des Nordens singend und von grellem Feuerscheine beleuchtet immer zu zweien, an den aus losen Steinen erbauten Herden, mit den kupfernen Kesselchen länglicher Form hantieren sehen, welche der russische Soldat, am Tornister aufgeschnallt, stets ins Feld mit führt. Die einen machten Holz klein, die anderen trugen Wasser von der Donau herbei, die dritten kochten, das Ganze bot ein frisches, namentlich in den Abendstunden ein neugieriges Publicum anziehendes Lagerbild und die dampfenden Sainovare Hessen über die Nationalität seiner Staffage keinen Zweifel. Wir biegen in eine der beiden Quergassen, welche nach der mit dem Kai parallel laufenden „Carsia" führen. Diese grösste Strasse Vidin's wurde zur Erinnerung an Plevna „Plevljeva ulica" getauft; trotzdem ist aber ihr früherer orientalischer Typus nicht verwischt. Hier und in den anderen Hauptstrassen erblickt man die türkischen Kaffehäuser, deren schweigsame Gäste, mit halbgeschlossenen Augen träumerisch in sich versunken dasitzend, dem um sie Vorgehenden keine Beachtung schenken, dieselben duftenden Garküchen, dieselben armenischen oder jüdischen Sarafi's mit gläsernen Geldkästchen, in welchen sie, unseren Zinnner-Aquarien ähnlich, ihre lockenden Gold- und Silberfische ausstellen. Es ist dasselbe Gedränge von ambulanten Verkäufern, verschleierten Kadunas, Popen, Hamalins, Zigeunern, kindlich neugierigem Bauernvolk, Büffelkarren u. s.w., das der Fremde zu betrachten niemals müde wird. Doch eines hat sich mit dein Einzüge der Russen ganz merkwürdig geändert. Die Strassen müssen seitdem jeden Abend gespritzt und gefegt werden. Hunderte von bulgarischen, türkischen, jüdischen Händen regen sich vor allen Häusern um die Wette, dieser strengen Verordnung eifrigst nachzukommen, den Kehricht in den Höfen zu bergen und wöchentlich auf kleinen Karren wegzuführen; wer es unterliess, musste zehn Kübel Strafe bezahlen. Dies leuchtete Jedermann so ein, dass auch nicht ein Traubenstiel, geschweige anderer Unrath auf die Strasse geworfen wurde. Eigens dazu bestellte Zigeuner vertilgten auch die unzähligen Hunde, welche ehemals Vidin's Strassen unsicher machten, und da sie für jeden abgelieferten Schwanz zwei Piaster erhielten, zählten die stets heulenden Vierfüssler bald zur Seltenheit. Auch das lästige Hettelvolk, mit Ausnahme der Blinden, welche nach wie vor auf den in die Citadelle führenden Brücken kauern, stob vor der Peitsche auseinander, welche bulgarische Gensdarmen nachdrucksvoll zu schwingen verstanden. Aber nicht allein gefegt, auch gepflastert wurden neuestens Vidin's Strassen, und zwar sehr hübsch von den österreichischen Arbeitern eines Unternehmers, welcher das Pflaster in contractlieh festgesetzter Frist herzustellen sich verpflichtete. Die „Ignatieva ulica" mit der Gouverneur-Residenz war zuerst vollendet, auch alle anderen Gassen erhielten Namen, die Häuser Nummern, und selbst die Petroleum-Laternen tragen auf Blechtäfelchen fortlaufende Zahlen, und eigens bestellte Lampen-Anzünder, alle gleich gekleidet, eilen mit Leiter und Wischlappen durch die Stadt ihres Amtes waltend. In den letzten Octobertagen vollendete Vidin nach vielen anderen Richtungen noch seine äussere Toilette. Den Anstoss dazu gab der angekündigte Besuch des General-Gouverneurs Dondukotf-Korsakoff, ein Ereigniss, das als epochal in Vidin's Annalen, nach den Aufzeichnungen eines Augenzeugen, hier wohl seine Stelle verdient. Zwei volle Wochen beherrschte Vidin nur Ein Gedanke, die erwartete Ankunft des Fürsten-Gouverneurs. Ein Ukas des Polizeimeisters besagte, dass die Pflasterung sämmtlicher Hauptstrassen bis zum 25. October vollendet sein müsse, und es geschah; ein anderer verordnete, dass alle Häuser, deren Aussenseite schadhaft, mit anderen Worten ganz Vidin, ausgebessert, frisch getüncht, sämnit-liche Thore, Fenster, Läden oder wie innner heissende llolzbestandtheile aber neu gestrichen werden sollten, und alsbald war Jung und Alt, von Morgen bis Abend, in vollster Bewegung diesen Anordnungen zu folgen. Man überbot einander an Eifer, die ganze Stadt roch acht Tage lang nach Oelfarbe, und während ein Theil der Bevölkerung bemüht war dein alten Vidin einen jugendlichen Anstrich zu geben, was wohl den armen moslimschcn Frauen durch ihr unbequemes Verhül-luugs-Costilm am schwersten fiel, plünderte man gleichzeitig alle Gärten, schleppte von nahe und leine ganze Lasten frischen Reisigs herbei zur Decoration der Bausfronten« Auf Veranden und Balcönen wanden Krauen und Mädchen allerorts Kränze von oft riesigen Formaten, voll und schwer hingen die Guirlanden über 3* den Thoren bis zur Erde herab; Fahnen, Aufschriften, Bildnisse des Caren, Transparente wurden überall angebracht. Man war pünktlich fertig, der ersehnte Tag erschien. Vidin's Einwohnerschaft fluthete am 29. Octobermorgen zum Donaukai und staute sich dort hinter der bulgarischen Miliz, welche in zwei langen Reihen die Hecke am Ländeplätze bildete. Dort waren alle Notahein der Stadt, der Exarch Antim mit dem orthodoxen Clerus, der Vice-Gouverneur, der Polizeimeister, der Stadtrath, mehrere angeschene Türken, einige türkische Officiere erschienen. Die bulgarische Jugend nahm mit ihren Lehrern gegenüber Aufstellung, die russischen Damen besetzten die nahen Balcone. Es war eine ausserordentliche Geduldprobe, man hielt jedoch, mit von ambulanten Verkäufern gebotenen Erfrischungen sich labend, aus. Die Dämmerung warf schon ihre Schatten Uber die Stadt und türkische Ausrufer verkündeten, dass die Illumination zu beginnen habe. Die Feuer entzündeten sich rasch, Uberall flammte und blitzte es auf, der Kai leuchtete in Tageshelle, namentlich erstrahlte dort die aus weissem, firnisgetränktem Leinen angefertigte mächtige Pyramide, mit Bulgariens Befreiung preisenden Inschriften, zwischen frischen Gewinden. Pechpfannen warfen dort ihr grelles Licht auf die geduldig harrende Menge, deren Gesichter voll Spannung und Staunen über das nie zu Vidin gesehene Schauspiel. Da erschien das erwartete Signal, Kanonenschüsse erdröhnten und zehn Minuten später landete der General-Gouverneur Bulgariens unter dem brausenden Jubel der Menge, vom Clerus mit Salz und Brot begrüsst. Fürst Dondu-koff hatte für alle Nahenden ein gutes Wort; den erschienenen türkischen Officieren rief er aber etwas barsch zu: „Was machen Sie noch hier? glauben Sie mit Ihrer Anwesenheit mir Vergnügen zu bereiten?" Geleitet von dem Vidiner Districts-Gouverneur, der ihm bis Lom entgegengeeilt war, und umgeben von einem imposanten Stabe fuhr der Fürst rasch durch die Carsia zur Ignatieva ulica, wo an der alle Häuser hoch überragenden Ehrenpforte 24 ganz gleich in Weiss gekleidete Mädchen warteten. Es waren rosenbekränzte Kinder der jüdischen Gemeinde, mit deutschen und französischen Versen, Kränzen und gestreuten Blumen dem Gouverneur huldigend, während Rabbiner und Lehrer die heiligen Gesetzesrollen ihm entgegen trugen. Am Hause des „Gubernators", wo Fürst Dondukoff absteigen sollte, harrte eine grosse Zahl reich geschmückter bulgarischer Frauen und Mädchen, an ihrer Spitze eine junge Lehrerin, welche mit weit hallender fester Stimme pries „den Regenerator Bulgariens, unter dessen Leitung und Gottes Schutze das Land sich gross, frei und mächtig entfalten werde, dessen Andenken die spätesten Enkel stets segnend nennen würden!" Den überreichten Lorbeerkranz hing der Fürst an seinen Arm, andere legten seine Adjutanten in den Wagen. Anstatt nun in die für ihn vorbereiteten Gemächer sich zu begeben, hielt der Fürst stehenden Fus'ses eine Art Cour ab, Hess alle höheren Beamten und auch den Officier der bulgarischen Miliz sich vorstellen, welche er sodann mit dem wiederholten Zurufe: „zdravstvujte!" deliliren Hess. Hierauf machte der Fürst dem Exarchen Antim in der nur wenige Schritte entfernten Öarsia seinen Besuch und kehrte nach einigen genommenen Erfrischungen zurück nach seinem Dampfer, auf dem er übernachtete. Das Fest endete aber erst mit dem Erlöschen der Lampen in den Strassen, welche bis Mitternacht singende und jubelnde Menschen durchzogen. Am nächsten Morgen erschien der Fürst zu früher Stunde bereits in der Citadelle, nahm im Scrai die Huldigung der städtischen Notabein entgegen und besichtigte sodann die alte „Vidinc kille" mit grossem Interesse in allen Bäumen. Der Fürst hob einen der schichtenweise den Boden bedeckenden Janitseharen-pfeile auf und äusserte gegen den ihn begleitenden damaligen Nacalnik Karadzic, dass man für die Kenovirung der durch die Kalafater Geschosse stark beschädigten Parthien und für die Eindachung der gut erhaltenen Thttrmc baldigst Sorge tragen möge, den das Castell umgebenden Platz aber gegen die Donau hin ebne und durch Baumpflanzungen in eine öffentliche Promenade umwandle, welche durch ihre günstige Lage, für das an Spaziergängen arme Vidin, gewiss eine grosse Wohl-that wäre. Dieser Wink soll, wie es heisst, bereits in diesem Frühjahre ausgeführt werden; er blieb übrigens nicht die einzige Anregung, welche Fürst Dondukoff während seines kurzen Besuches gab. Noch am selben Vormittage drückte er den Behörden, Honoratioren und Officieren seinen Dank für den prächtigen Empfang aus und um 10 Uhr setzte sich der Dampfer Donauabwärts in Bewegung. Die welkenden Kränze flüsterten aber lange noch von der so rasch zum Traume verflogenen Herrlichkeit, deren Vidin Zeuge war. Wenige Tage nachdem Fürst Dondukoff das alte Vidiner Castell besichtigt hatte, um November und ersten Sonntage, an welchem den Bürgern der Eintritt in die „Vidine kule" gestattet wurde, ereignete sich ein beklagenswerther Unfall. Wahrscheinlich durch unvorsichtiges Auftreten entzündete sich eine der vielen, von den Türken liegen gelassenen Brandraketen und verursachte eine heftige Explosion, welche einige Männer in den nahen Hof schleuderte. Die gräss-lich verstümmelten Leichen wurden unter grossem Gepränge in sieben offenen Särgen auf den Friedhof gebracht, und die aufgeregte Stimmung der Bevölkerung wollte sich lange nicht beruhigen. Man wollte nämlich wissen, dass die Türken eine Mine gelegt, die dem Fürsten-Gouverneur gegolten habe, und derlei mehr. Die alsogleich eingeleitete Untersuchung erwies die Grundlosigkeit dieser Gerüchte. Das Ereigniss wirkte jedoch beängstigend fort und allenthalben wurde der Wunsch laut, eine Abtheilung russischen Militärs möge neben der bulgarischen Miliz wieder zu Vidin garnisoniren. Die russische Besatzung hatte die Stadt kurz zuvor, am 17. October 1878, verlassen. Zum Abschiede gaben ihr die Burger auf dem Fcstungsghuis ein schönes Fest, mit Schmaus und Tanz, dem Officicrcorps aber ein glänzendes Bankett, dessen herzlicher Charakter die gegenseitigen Sympathien bekundete. Nur ein Stab höherer russischer Beamten blieb zurück, welche noch heute (April 1879) die Administration leiten: es sind der Vidiner Districts-Gouvcrncur, Guber-nator General-Major Kisclski (ein geborener Bulgare), der Militär-Commandant, Oberst-Lieutenant Florencki und der sehr energische Polizei-Meister Major Dimilri Vukovic-Karadzic, Sohn des berühmten serbischen Schriftstellers und Bruder der Krau Wilhelmine Vukomanovic, welche während ihres Herbstbesuches 1878 zu Vidin einige der hier gegebenen Daten für uns aufzeichnete. Aus anderer zuverlässiger Quelle erhielt ich Uber die neueste Entwicklung der Vidiner Verhältnisse die interessante Mittheilung, dass seit dem Beginne der russischen Öccupation bis zur Einstellung der Schulfahrt im Herbste 1878 die nioslimsche Bevölkerung in kleinen Trupps emigrirte, so dass gegenwärtig bereits 12—1500 Seelen die Stadt verlassen haben. Der an das Herrschen gewöhnte Türke kann sich nun einmal nicht hineinfinden, nur gleichberechtigt neben Andersgläubigen zu wohnen, und auch die zu Vidin verbliebenen .Moslims zeigen grosse Neigung ihm den Bücken zu kehren. Die Preise der Häuser und Grundstücke sind dadurch namentlich in der Citadelle bedeutend gefallen; selbst um den halben oder dritten Theil ihres früheren Werthes finden sich keine Käufer, und dies verhinderte bisher die beabsichtigte Auswanderung in grösserem Massstabc. Nach der Ende Februar 1879 vorgenommenen amtlichen Volkszählung besass Vidin in der Citadelle und in sämmtlichen Vorstädten: IT.iloo stabile Einwohner, mit Einschluss der Garnison (bulgarische Miliz), der tlottanten Bevölkerung und Fremden 21,000 Seelen, darunter 9000 Moslims. Die Citadelle zählt 1 kleine bulgarische Kirche und 1 Synagoge; ferner in 15 Vierteln (Mahale): 15 Moscheen, 1330 Häuser, welche beinahe ausschliesslich von Türken und spanischen Juden bewohnt werden. Die von der Citadelle durch das Glacis getrennte Varos (Stadt) besitzt: 12 Moscheen, 1 bulgarische Mctropolitankirche und 1700 Häuser in 17 Vierteln. Von diesen sind vier: das Ak dzami-, Banovca-, Mezarlik- und Dabag hane-Mahalcsi blos von Türken, vier andere: das Pazar-, Kuluk-, Tasköpri- und Mustafa Pasa-Mah. von Türken und Bulgaren, das Jali dzami-Mah. von Gcwerbs-und Kauflcuten aller Nationalitäten, das Hadzi Osman-Mah. von Bulgaren, Türken und Zigeunern, das Bara-Mah. von beiden letzteren, das Kum bair-Mah. von Bulgaren und Humanen, und die übrigen vier Mahale von letzteren mit Zigeunern gemengt bewohnt. Vor dem Kriege bestanden in der Citadelle 8 nioslimsche Schulen mit 12 Lehrern gemeinsam für nahezu 900 Knaben und Mädchen, gegenwärtig aber * nur 3 Schulen mit etwa 600 Schülern; in der Stadt früher 9, jetzt 6 Schulen mit I 1 Lehrern und 100 Schülern. Die Bulgaren besitzen heute nur eine Schule mit 6 weltlichen und 2 geistlichen Lehrern, welche 275 Knaben, dann eine andere mit 3 Lehrerinnen, welche 55 Mädchen besuchen, die Spagnuolen eine israelitsche Schule mit 5 Lehrern, in welcher 150 Knaben und einige Mädchen Unterricht erhalten. Im Allgemeinen stehen alle diese Bildungsanstalten auf sehr primitiver Stute. Von Seite der türkischen Behörden wurden stets nur geringe Impulse zur Hebung des Schulwesens gegeben, und das bald eintretende ncubulgarisehe Regiment wird bemüht sein müssen, vielhundertjährige Cultursäumnisse durch eifrige Arbeit auszugleichen. Gegenwärtig tagen zu Vidin fünf verschiedene Administration;;- und Justizbehörden: I. Das „Okrusnji sud" (Kreis-Gericht): Präsident Herr Peter Damianov, 4 ernannte, 1 gewählte Mitglieder. II. Das „Apelacionji sud" (Appellations-Gericht) für den Vidiner District: Präsident Herr Ilija Canov, 2 ernannte, 4 gewählte Mitglieder. III. Der „Gradski savict" (Stadtrath): Präsident Herr Vanko Nesov, 5 bulgarische, 4 türkische Mitglieder. IV. Der „Okrusnji saviet" (Kreisrath): 1 Präsident, 8 Mitglieder. V. Der „Administracionji saviet", der oberste Verwaltungsrath, präsidirt vom russischen Districts-Gouverncur, mit je zwei Mitgliedern der früher genannten vier Behörden; auch der Bischof, der Mufti und Rabbiner nehmen zeitweilig Theil an seinen Verhandlungen. Unter dem bisherigen russischen Provisorium wurden im Vidiner Districte nur wenige administrative Neuerungen eingeführt. Die Steuern werden, mit Ausnahme der Militärsteuer für die Bulgaren, wie früher eingehoben. Gasthöfe, Wirths-und Kaffehäuser müssen eine grössere Liccnzgebühr bezahlen, auch wurde die Taxe beim Kauf und Verkauf von Häusern und Grundstücken von 2'/2 auf 4° 0 erhöht. Bei Import-Artikeln wird zum bisherigen Zollsatze eine Connnunalgebühr von 1 |0 0 und alle Zölle ausschliesslich in Silberrubeln oder Franken eingehoben. Für den Ausbau der ins Innere führenden Strassen geschah bis heute äusserst wenig. Auch die ausländische Correspondcnz wird noch immer durch das österreichisch-ungarische Postamt befördert. Die russische Feldpost bestellt wohl auch Briefe für das Ausland, sie wird jedoch nur selten benützt. Seit IsTv ist im Vidiner Handelsverkehre ein starker Rückschritt bemerkbar. Der Import litt durch den Abzug der starken türkischen Garnison und eines Theiles der Civilbevölkcrung, der Export aber ist in Folge der letzten Missernte und der Epizooticn, welche den Viehstand nahezu vernichteten, auf ein Minimum gesunken. Noch immer sind jedoch die Firmen: Ceko Vanciov, Hadzi Jonco Ruskov, Hadzi Petko Petkoviö, Josef Cappon, Pinkas und Söhne als Importeure von österreichisch-englischen Garnen, Baumwoll-, Colonial-, Eisenwaarcn, Farbstoffen u. s. w., dann S. Cappon, Tusciu Mola Asic, P. S. Nisim Kalcf als Exporteure von Getreide und Rohproduoten belangvoll, obschon Vidin, seit der Abtretung- des Niser Districts an Serbien zwischen dieses und Rumänien eingekeilt, also ohne eigentliches Hinterland, au commcrcieller Bedeutung viel verlor. Diese würde aber noch mehr schwinden, falls die nioslimsche Bevölkerung wirklich auswandern sollte und Vidins Kaufleute einzig auf den kargen Localbedarf der Bulgaren angewiesen blieben. II. UEBER BELOGRADCIK ZUR VRSKA-CUKA UND DONAU. Der Aufstand im Balkan 1862. — In Vidin. — Reisegefährte Consul von Walcher. — Bei Suleyman — Das Bujurdu. — Pasagehalte. — Abreise. — Unfall am Arcer. — Raschid Pasa. — Neue und alte Strasse. — Eine tscherkessischc Ansiedlung. — Die Stoloviberge. — Beschwerlicher Aufstieg zur Passhöhe. — Schönes Panorama. — Empfang. — Die Belogradciker Steinwelt bei Mondnacht. — Blanqui's Apologie. — Geologisches. — Das Städtchen und dessen Bewohner. — Was Glockengeläute dem Moslim bedeutet. — Bauernaufstände 1840 und 1841. — Im serbisch-türkischen Kriege 1876. — Ku mänen und Serben vor Belogradcik 1878. — Dessen Uebergabe an die Russen. — Die Festung.— Suleyman's neues Fort. — Künstliches Hochplateau. — Ein Aufenthalt für Adler. — Guter Peilungspunkt. — Aeltere Bauten, römische Befestigung? — Tiefer Friede zwischen Lom und Timok. — Durch den Arcer nach Rakovica. — Seine Karaula. — Ihr Buljukbasa. — Aufstand 1851. — Bulgarische Auswanderer nach Serbien. — Nizam-Garnison 1870. — Ein Exercitium. — Durch die Vitbolquellen nach Vrska-Cuka. — Serbisch-türkische Grenzanstalten. — Die Timokterrasse im serbischen Feldzuge 1*76. — Lesjanin's und Osman Pasa's Kämpfe zwischen Bregova und Zaicar. — Im russisch-türkischen Kriege 1877. — Serbische Besetzung Kula's. — Weiteres Schicksal des Timokge-bictes. — Kula nnd sein neuer Name Adlieh. — Vergebliches Suchen der Stadt auf früheren Karten. — Das alte Schloss und nahe antike Funde. — Der Kaimakam und störrige Spahiabkömmling. — Kula's Casiuo. — Seine Tataren und Tscherkessen. — Neue Poststrasse nach Vidin. — Abstieg zur Donau. — Ihre Niederungen, Sümpfe und Fiebermiasmen. — Alttürkische Viaducte. — Wasserjagd. — Gastfreundschaft in Vidin's Mauern. -IVTindcr geräuschvoll als die Erhebungen in der Hercegoviua und Serbien entwickelte sich gleichzeitig im Sommer 1862 in den tiefen Schluchten des Bal-kan's jene Bewegung, die ohne den friedliehen Austrag der serbischen Wirren der Pforte grosse Verlegenheiten bereitet hätte. Die ersten für Serbien günstig lautenden Nachrichten nach Belgrad's Bombardement lockten die in geheimen Verstecken des Balkans rostenden Waffen wieder hervor. Lange niedergehaltene Hoffnungen wurden rege, der Moment zur Abwerfung der türkischen Herrschaft schien gekommen zu sein. Junge, von Freiheiteliebe erfüllte Männer aus Tirnovo suchten die christlichen, an der Kazanliker Strasse liegenden Dorfer zu insurgiren. Leicht gelang es ihnen die irregulären Besatzungen der Beklcmeh's zu vertreiben und panischer Schreck ergriff' die türkische Bevölkerung der von Aufständischen beunruhigten moslinischen Orte. Als ich in den ersten Julitagen in Vidin eintraf, war die Erhebung auf ihren Höhepunkt gelangt. Die Insurgenten waren Herren der Strasse Tirnovo-Gabrova-Kazanlik und drohten den Aufstand in die Landschaften jenseits des Balkans zu tragen. Die Pasa's von Ruscuk und Nis sandten Nizambataillone aus zur Niederwerfung der täglich wachsenden Gefahr, und die Nachricht von der Besetzung der nach Sliven führenden Pässe durch Insurgenten brachte auch Vidin's Militärautoritäten in vollste Bewegung. Diese stürmischen Vorgänge kamen der Ausführung meiner projectirten Rc-cognoscirungsreisc von Nikopoli bis zum Schwarzen Meere schlecht zu Statten; denn falls auch die ohne einheitliche Führung kämpfenden und durch den Stillstand der serbischen Bewegung entmuthigten bulgarischen Freischaaren den combinirten Angriffen der gegen sie abgesandten Nizamsoldaten erlagen, war doch an eine vollkommene Säuberung der selbst in friedlichen Zeiten unsicheren Balkanpässe nicht zu denken. Den Ausgang des Kampfes im mit Fieberluft geschwängerten Vidin abzuwarten, schien mir am wenigsten gerathen, da ich durch traurige Erfahrungen in Trebinjc's Sümpfen und am Skutarisee über meine Empfänglichkeit für bösartige Fieber ausser Zweifel war. Ich beschloss desshalb so rasch als möglich Vidin's Miasmenluft zu entfliehen und mich nach der insurrec-tionsfreien Nordwestspitzc Bulgariens zu wenden. Will man im Innern der Türkei eine von der gewöhnlichen grossen Heerstrasse abweichende Route einschlagen, will man sicher sein, in der Verfolgung wissenschaftlicher Forschungen durch das Misstrauen des ersten besten Türken nicht gehindert zu werden, gedenkt man sich nöthigenfalls, und es treten sehr oft und leicht derartige Momente ein, des Beistandes der Localbehörden oder eines bewaffneten Geleites zu versichern, so bedarf es hierzu eines „Bujurdu". Ich erinnerte mich der guten Dienste, die mir ein solches im bosnischen Zvornik 1860 geleistet, und ersuchte zu dessen Erlangung den ebenso kuustfreundlichen als gefälligen Consul Walcher von Molthein, der sich mir als erwünschter Reisegefährte anschlicssen wollte, dem Districts-Gouverneur Suleyman Pasa mich vorzustellen. Abdullah, der pittoresk costumirte Kavasse des österreichischen Consulats — Allah sei ihm gnädig, er ist nicht mehr — schritt uns mit dem vom Doppeladler gekrönten Amtsstabe des Consuls voraus. Die Wachen am Stambul kapu präsen-tirten das Gewehr, die Kavassen im Thorwege des wenig imponirenden Pasa serai salutirten und zahllose, im Vorhofe eines Konak's stets zu findende Bulgaren, mit von türkischen Schreibern aufgesetzten Bittschriften in den Händen, verneigten sich tief bis zur Erde. Wir schritten eine schlechte Holztreppe hinan, brachten durch unser Erseheinen den müssig umherlagernden Dienertross in Bewegung und Hessen, während wir in den geräumigen Audienzsaal eintraten, unseren Besuch dem Pasa anmelden. Bald öffneten sich die Flügelthüren des anstossenden Gemachs und „Seine Excellenz" begrüsstc uns mit der üblichen zirkclförmigcn Handbewegung von der Brust an Mund und Stirne, was übersetzt in unsere Sprache etwa sagen will: was das Herz empfindet, spricht der Mund und dieser grüsst dich. Ich erlaube mir des Lesers Bekanntschaft mit dem oft geschilderten Em-pfangsccremonicll bei Besuchen vornehmer Osmanli vorauszusetzen, und gehe über das Detail der uns nicht erspart gebliebenen Förmlichkeiten weg. Der Pasa schien sichtlich über meine Vorstellung und die Zwecke meiner Heise erfreut; bei köstlichem Moka, credenzt in goldenen Untertassen und gewürzt mit Tabak von Jenidze, besprachen wir das Kontier. Der Pasa berichtigte Einiges in demselben und meinte, dass wir ohne Sorge die ganze Reise bequem zu Wagen machen könnten, da auch die nach Belogradcik führende Strasse erst vor Kurzem in guten Stand gesetzt worden sei. Zu grösserer Sicherheit sollten zwei Zaptie's uns begleiten und ein Courier vorausgehen, der den Mudiren unsere Ankunft anmelden und den besten Empfang vorbereiten sollte. Der Secretair des Pasa brachte unser Geleitschreiben (bujurdu) zierlich kalligraphirt und mit Suleyman s grossem Siegel beglaubigt; seine „Excellenz" überreichte es mir, dankte dem Consul für das Vergnügen unseres Besuches in der blumenreichen Phraseologie des Orients und schied unter tönenden Wünschen für den glücklichen Ausfall unserer Reise. Welche Stelle könnte Suleyman seinem Bildungsgrade nach in unserer Beamten-Hierarchie wohl einnehmen V fragte ich meinen Begleiter, als das Veluni sich hinter uns schloss. Die Antwort war nicht leicht! Und welch riesige Gehalte bezogen diese Funclionäre, die oft kaum mehr als etwas Lesen und das Bei-drücken ihres Siegels gelernt. In letzter Zeit suchte wohl die Pforte die Gehalte ihrer höheren Beamten auf europaisches Niveau herabzudrücken; sie blieben aber noch immer unverhältnissmässig hoch, obwohl zugegeben werden muss, dass eines Pasa's herkömmlicher Harem - Luxus, Dienertross u. s. w. nicht geringe Summen verschlingen. Noch im Jahre 1860 erhielt Suleyman als Muschir von Vidin monatlich 14,000 Mark, und ISTö, wo Vidin blos einen District des Vilajets „Tunä" bildete, bezog der Mutessarif jährlich 72,000 Mark, nach occidcntalcm Mausse eine sehr grosse, nach l'asabcgriffon aber nur höchst bescheidene Summe, die durch allerlei Xebenzuflüsse gemehrt werden muss. Wie viel, oder richtiger gesprochen wie wenig aber ein türkischer Statt- ' halter mit 50,000 Piastern (10,000 Mark) Monatsgehalt, — und diese riesige Summe bezog Suleyman Pasa noch (1862), als wir ihn besuchten — vom Zustand der Strassen, selbst in unmittelbarer Nähe seiner Residenz weiss, sollte ich bereits am ersten Tage meiner Recognoscirungstour auf der bulgarischen Donauterrasse erfahren. Nur fünf Stunden von Vidin entfernt, brach unser Wagen schon in einem klippigen Hohlwege der elenden Strasse in Stücke. Rosselenker und Diener flogen mit einem nicht ganz kunstgerechten Saltomortale vom Kutschbocke, mein Reisegefährte und ich waren rechtzeitig aus dem offenen Wagen glücklich herausgesprungen und überlicsen dessen Trümmer den primitiven Verbandskünsten unserer Leute, dem Himmel dankend, dass wir mit heilen Gliedern auf den Pferden der uns begleitenden Zaptie's unsere Reise fortsetzen konnten. Ignorant Suleyman Pasa, der uns am Tage zuvor die Fläche seiner Hand gezeigt, was auf türkisch sagen sollte, dass die Strasse nach Belogradcik vollkommen eben sei, wurde zwei Jahre später durch den intelligenten Raschid Pasa ersetzt, welcher als einstiger Präsident der internationalen Donau-Commission den Werth guter Strassen besser als sein Vorgänger zu würdigen verstand. Er betheiligtc sich mit Energie an der Durchführung des grossen Strassenprojectes, welches der rührige Midhat Pasa zur Umgehung Serbiens und directen Verbindung seines Niser Pasaliks mit jenem von Vidin entworfen hatte. Bereits im Sommer des Jahres 1864 benützte ich den schönen Strassenzug, welcher die Militär- und Handelscentren Nis und Sofia den Donauhäfen Vidin und Lom bedeutend näherte, und der als einer der wichtigsten Reformanläufe Midhat's eine neue Aera im türkischen Communicationswesen zu inauguriren verhiess. Im Allgemeinen hielt sich der Erbauer der neuen Poststrasse, welche Vidin mit Belogradcik verbindet, an die Trace des alten Weges. Bis zum bald für uns verhängnissvoll gewordenen Punkte, am rechten Arcerufer bei Osmanieh, führt sie in selten von SW. abweichender Richtung durch das sumpfige Vidiner Festungs-glacis bis zum Vitbol und nach dessen Ueberschreitung, an den fetten Triften des gleichnamigen Ortes vorüber, auf die sanft ansteigende, Vidin im weiten Bogen umspannende Lössterrasse zu Karaula Karnol. Von ihrem ärmlichen Han geht es durch niederen Eichenwald, der wie allerorts in der Türkei durch umherstreifende Ziegenheerden leidet, zur zweiten die Strasse bewachenden Karaula Popadia am Arcer. Bis hierher trägt die Landschaft einen etwas düsteren Anstrich. Ist nicht eben Markttag, so begegnet man selten Holz oder Schaffelle zur Stadt transportirenden Landleuten. Vor Popadia traten wir in ein bulgarisches Häuschen. Menschen und Thiere lebten hier unter einem Dache friedlich zusammen, und an der niederen Feuerstelle rösteten Frauen brauue Schwämme zum frugalen Mahle. Bessere Wohnungen trafen wir im freundlicher sich gestaltenden Arcerthal, auch schien es besser bebaut. [IEBEB BE&OGBADCffi ZUR VK§ka-cuka UND donau. 45 x/t Stunde W. von Popadia gelangten wir an die Furth des Flusses, suchten hier jedoch das auf unseren Karten an dieser Stelle liegende Belogradcik vergebens, was auf natürliche Weise sich erklärte, die Feste liegt nämlich nicht am Arcer, sondern 3 Stunden landeinwärts von diesem. Auf ihrem fictiven Platze stand aber die Tscherkessen-Colonie Osmanieh, deren Ansiedlung dem Mudir (Bezirks-Hauptmann) von Belogradcik einst schwere Plage bereitete. Die noma-disirenden Marssöhne vom Kaukasus wollten sich nicht gutwillig an die Scholle binden lassen, noch weniger sie selbst bearbeiten. Später wurde dies etwas besser. Ich besuchte Osmanieh im Jahre 1868 wieder und fand bereits ein riesiges Terrain in Maisfelder und Gemüsegärten verwandelt. Freilich alles in so primitiver und luderlicher Weise, dass einem deutschen Landwirthe, der kein Ackerkrümchen verloren gehen lässt, das Herz geblutet hätte. Die Ansiedlungen auf beiden Arcerufern wurden durch eine zierliche Holzbrücke verbunden. Hat man sie übersetzt, so geht es in ziemlich sanfter Trace die steilgeböschte jenseitige Terrasse hinan, dort verlässt die neue Poststrasse nahe beim Bulgarendorfe Kaludjer die alte Wegrichtung, welche über das nun umgangene Stolovigebirge lief. Erinnerungen an grosse Pein, aber auch an unvergesslichen Genuss knüpfen sich für mich an die alte Trace. Ein beinahe unwegsamer, unsern Wagen gänzlich illusorisch machender Pfad führte zum Punkte hinan, der mir im Jahre 1862 zum ersten Male die märchenhafte Landschaftscenerie von Belogradcik, wie mit einein Zauberschlage, erschloss. Unferne dem Dorfe Oresec, an einem Brunnen mit köstlichem Quell, harrten wir unseres durch allerlei geschickt angelegte Notverbände, mit Holzschienen, Stricken u. s. w. einigermassen hergestellten Wagens. Hätten wir jedoch die schlimmen Stunden voraussehen können, welche ihn am selben Tage nach der vorausgegangenen harten Prüfung bedrohten, würden wir ihn wohl nach Vidin zurückgesendet haben. Westlich von unserem Halte stieg nämlich, im Widerspruche mit den Karten, ganz unerwartet ein hohes, am Fusse bewaldetes Gebirge auf, das oben nackt in langgestreckte, „stuhlförmige" Mauern überging. Sie gaben dem aus hornsteinreichen Kalken auf unterlagerndem Sandstein sich eonstituirenden „Stolovi" - Gebirge seinen Namen. Es befindet sich beiläufig auf dem Punkte, wo unsere Karten die Quellen des gar nicht existirenden Smorden sieh vereinigen Hessen. Am Fusse dieses unerwartet auftretenden Gebirges Stolovi hörte zu unserer nicht angenehmen Ueberraschung die von Menschenhand gebahnte schlechte Fahrstrasse gänzlich auf. Sie verwandelte sich in einen Uber nackte Klippen, zwischen dichtem Feld-Ahorn und wildem Fliedergestrüpp, aufwärt stimmenden Reitpfad, und der Wagen musste mit Hilfe herbeigerufener Bauern förmlich auf die Höhe getragen werden, sollte er nicht gänzlich in Brüche gehen. Unsere Begleitung hatte vollauf zu thun, und verwünschte Su- leyman Pasa; wir selbst führten unsere Vierfüssler am Zügel über die gefährlichsten Barrikaden des engen Felsdefiles und hatten in einer Stunde dessen schlimmsten Theil zurückgelegt. Endlich erweiterte es sich in südwestlicher Richtung und die Aussicht gewann alhnälig an Ausdehnung, jemehr wir aus den Steilwänden zu beiden Seiten uns herausarbeiteten. Endlich war der Ausblick gänzlich frei. Gegen N. traten die wenig energischen Profile der serbisch-bulgarischen Grenzberge auf, nach S. die hohen Rücken des Balkans, den Mittelgrund erfüllte aber ein so überraschend grossartiges Bild, dass es mit seinen Zaubern uns rasch das kaum Uberstandene Leid vergessen Hess. Unter Ausrufen tiefen Staunens stiegen wir hinab zum Städtchen Belogradcik, das nach ungewöhnlich heissem Tage mit seinen von Laub umrahmten Dzamien und Minareten, im tiefblauen Schatten der es überragenden Felsakro-polis lagerte. Des Ortes Autoritäten, der Mudir, Kadi und Ulema, waren uns bis zu den ersten Häusern der Stadt zur Begrüssung entgegen gekommen. Kaum hatten wir in dem zu unserer Aufnahme bestimmten Regierungskonak den unumgänglichsten Forderungen orientalischer Etikette genügt, drängte es uns, mitten in jene Scenerie hineinzutreten, deren bizarre Umrisse schon aus der Ferne gesehen unsere Sinne vollständig bestrickt hatten. Der Mudir, ein alter freundlicher Herr, wünschte uns zu begleiten; wir wollten jedoch die unser harrenden Eindrücke nicht durch einen vielleicht minder empfänglichen Cicerone uns verkümmern lassen und lehnten das Anerbieten höflich ab. Allein betraten wir die Felsenwelt von Belogradcik. Ein dünner Wasserfaden glitzerte als Führer in der Von N. nach S. sich öffnenden Engschlucht auf, durch welche der Weg hinab zum Lom führt. Der Mond war eben aufgestiegen. Er beleuchtete eine der phantastischsten Schöpfungen der Allmacht. Wie das Unbeschreibliche schildern? „Malern und Geologen sei das Herabsteigen von der Belogradciker Höhe gegen Verbova (Vrbova) empfohlen. Die Engpässe von Ollioula in der Provence, das Defile von Pancorbo in Spanien, die Alpen, Pyrenäen, die wildesten Berge von Tirol und die Schweiz besitzen nichts, was dem verglichen werden könnte", äusserte Blanqui*), jenes berühmte Mitglied des Pariser Instituts, das im Jahre 1841 Bulgarien in politischer Mission bereiste. War Blanqui's Apologie nicht überschwenglich, war sie nicht vielleicht das Product einer augenblicklichen subjectiven Stimmung? Boue und Visquesnel, seine Vorgänger, gedachten nur mit wenigen dürren Worten Belogradcik's, und doch hatten auch sie ein offenes Auge für landschaftliche Reize oft gezeigt. Erst später vernahm ich, dass die beiden Reisenden die Vidiner Donauterrasse nie persönlich berührt hatten. Boue lernte durch mich erst die Existenz der merkwürdigen *) Voyage en Bulgarie. Paris, 1841. 9 UEBER RELOOBADCJK ZUR VRSKA-CUKA UND DONAU. 47 Felsgebilde Belogradcik's kennen und sie erschienen ihm so interessant, dass die von mir gesammelten Gesteinproben und Höhenprofile ihn zu einem durch diese illustrirten Vortrage in der Wiener Akademie anregten, in dem er die Wichtigkeit von Ilühenpronlen für die Wissenschaft betonte*). ßlanqui's Schilderung war also das einzige auf Autopsie beruhende Gemälde der nordbulgarischen Steinwunder, und nicht ausschweifende träumerische Phantasie mengte die Farben, mit welchen er es entwarf. Ich glaube, keines Menschen Seele könnte der überraschend gearteten Belogradciker Scenerie sich nahen, ohne von der Mächtigkeit des ersten tiefgreifenden Eindruckes überwältigt zu werden. Merkwürdige Formation und Gruppirung, seltsame prächtige Färbung und Oxy-dirung des Materials, aus dem die Natur, trotz aller bizarr phantastischen Details, die in sich harmonisch abgeschlossene Felslandschaft schuf, erzielen hier, unter dem blendenden Reize wechselnder Beleuchtung, wunderbare Effecte. Angesichts dieser im lebhaftesten Mondlichte erstrahlenden rothen Sandsteinwelt, deren untere Partien wie die Räume einer riesigen Allee sich aneinander reihen und deren obere Etagen oft 200 Meter hohe phantastische Gruppen von Häusern, Obelisken, Schiffen, Menschen und Thieren bilden, lernt man den Ursprung der petrificirten Stadt in der tripolitanischen Cyrenaica des arabischen Märchens begreifen**). Nicht wie dem Dichter ist es auch dem Reisenden vergönnt, einzig bei der poetischen Seite lieb gewonnener Gegenstände zu verweilen. Wie glücklich, wenn sieh mindestens auf einzelnen Punkten, wie zu Belogradcik, Prosa und Poesie harmonisch mengen. In Wahrheit dürfte nur selten eine Befestigung in eiue romantischere Umgebung hineingebaut worden sein und wohl niemals mochte ein nüchternem Kriegszwecke dienender Bau die ihn einschliessenden landschaftlichen Zauber weniger gestört haben. Es ist ein kühnes Wagniss, das Bild der farbenprächtigen Belogradciker Fclsgebilde in schwarzen Umrisslinicn zu geben, und doch glaubte ich meine Skizzen dem Leser nicht vorenthalten zu sollen. Seine Phantasie wird das Fehlende ersetzen, und dem Geographen dürften sie mit den geologischen Noten einigen Aufschluss über die Structur der westlichsten bulgarischen Donauterrasse bieten. Die Terrainformation von Belogradcik besteht aus einem rothen, mürben, quarzreichen Sandsteine mit ziemlich vielen weissen Peldspathpartikelohen, welcher theilweise durch Aufnahme grosser Brocken von Ulilchweissem Quart oonglomeratisch zu werden scheint und mit den rothen Sandsteinen der Dvusforiuation sehr viele Aehnliehkeit besitzt***). Das am Fusse der restniigsfelseu lagernde Belogradcik sollte längst durch einen Strassen bau mit dem benachbarten Kula verbunden werden. Allein wie *) Sii/.iiii".slni <1 k. Akiul. di WisseiiM-hafteu. Math, tiatunv. ClMMj I. lJtl. 1864, **) Ukert, Ilt-rtlm, Bd. I&25-*♦*) V.ihamll. .1. k. k. -.-ol,.;: Ki-ii-lisaiistaU, No. 1(1. Wien, 1868. mir Mudir Mehmed, ein früherer Miralai zu Vidin, im Herbste 1870 versicherte, fehlte es dazu an Geld. Es wurde ihm zur Pflicht gemacht, alle Einkünfte des Kaza so rasch als möglich nach Vidin zu senden, von wo sie nach Stambul wanderten, um nie mehr oder höchstens theilvveise zur Auszahlung des Truppensoldes in die Provinz ihren Weg zurück zu linden. Das Städtchen verdankte dem eifrigen Mudir manche Verschönerung, einen hübschen öffentlichen Brunnen, Strassenlaternen, ein verbessertes Pflaster und das neue Kreisamtsgebäude, in dessen gastlichen Räumen ich freundliche Aufnahme fand. Seine solidere Bauart lässt aber die Aermlichkeit der in einigen Vierteln vertheilten 200 Häuser noch mehr hervortreten. Die Belogradciker trieben etwas Feld- und Weinbau, den meisten Gewinn brachte ihnen aber die von einem Miralai (Oberst) befehligte, aus Infanterie, Cavallerie und Artillerie bestandene Garnison, welche in einer Kaserne und in der Citadelle lagernd, in kriegerischen Zeiten durch die türkische Stadt-Miliz verstärkt wurde. Zwei Dritttheile der Bewohner waren Muhamedaner, der Rest: Bulgaren, einige Juden und Zigeuner. Als isolirte nordwestliche Vorposten gegen Serbien und eingeschlossen von einer ausschliesslich christlichen Landbevölkerung, zeichneten sich Belogradcik's Türken stets durch ganz besonders fanatischen Hass gegen ihre christlichen Stadtbrüder aus und bei jedem Anlasse suchten sie ihr Müthchen an denselben zu kühlen. Der Hatt i humajun änderte nichts darin! In dem 6 Mitglieder zählenden Medjlis (Communalrath) sass beispielsweise nur Ein christlicher Hodzabasi. Also auch hier wie in allen türkischen Städten, die ich besuchte, immer dieselbe, jedes unparteiische Gebahren ausschliessende Minorität der Rajah, welche lautlos die von der Majorität gefassten Beschlüsse aeeeptiren musste. Die kleine christliche Kirche lag weit ausserhalb der Stadt hinter hohen Schutzmauern versteckt. Nur ihr roh gezimmerter hervorlugender Glockenthurm verrieth sie, die Glocke durfte aber so wenig wie zu Vidin und an vielen anderen Orten im Lande geläutet werden, wo Muhamedaner in der Majorität neben Christen wohnten. Nach türkischer Ansicht würde das Glocken-Geläute bedeutet haben: Inin sis, binelim bis! das heisst: „Steigt ihr (Türken) herab, damit wir (Christen) hinaufsteigen!" Desshalb beharrten sie dabei: Burda tschan tsalimnas, burda jasan okunujar! dies bedeutet: „hier wird die Glocke nicht geschlagen, hier ertönt nur des Gebetausrufers Stimme!" Der stets offen bekundete Fanatismus der Belogradciker Moslims Hess ihre Feste den umwohnenden Christen als ein Zwinguri erscheinen, dessen Vernichtung um jeden Preis angestrebt werden müsse. Jeder agrarische Aufstand im westbulgarischen Timokwinkel war denn auch hauptsächlich auf die Zerstörung des türkischen Felsennestes gerichtet. Die dort horstenden Raubvögel erwiesen sich aber stets den mangelhaft ausgerüsteten Bauern in der Waftenftthrung über- legen und ihr Stunnlaufen auf die romantische Zwingburg im J. 1840 und am 13. Juni 1851 blieb ein vergebliches. Ernstlicher erschien Belogradcik bedroht, als im sorbisch-türkischen Feldzuge 1870 eine starke Abtheilung des Knjazevacer Corps, unterstützt von bulgarischen Freischärlern, es zu nehmen suchte. Die energischen Ausfälle der kleinen Besatzung hinderten jedoch die Angreifer an einer Unizinglung der Feste. Ueber das NW. von Belogradcik liegende Dorf Salas kamen sie nicht hinaus. Im russisch-türkischen Kriege erhielt nach Plevna's Fall die Brigade Kantiii, von der rumänischen III. Division des Oberst Haralamb, den Auftrag von Lom gegen Belogradcik vorzugehen. Ihre starke Cavallerie-Vorhut trieb einige Basi-boy.ukhaufen vor sich her und inachte es dem nachrückenden Gros möglich, die nur 4 — 7 Kilometer von der Festung liegenden Orte: Oresec, Borovica und Cift-lik im Januar 1878 widerstandslos mit 3 Regimentern Infanterie, 1 Regiment Cavallerie und 12 schweren Krupp'schen Geschützen zu besetzen. Gleichzeitig rückte durch den Kadibogas-Pass eine serbische Colonne vor, welche unter dem Porucik Pokorni mit 2 Bataillonen der Knjacevackoi-Brigade zweiter Classe, etwas Zaicarer Cavallerie und 2 leichten Kanonen von N.-W. her Belogradcik's Erschliessung vollendete, dessen Forts und nächste dominirende Höhen etwa 1500 Nizams, 1000 Basibozuks, Zigeuner u. s. w. vertheidigten. Das Bombardement steckte einige Baracken und Häuser in Brand, es kam jedoch zu keinem ernsteren Kampfe und auch die Scharmützel hörten auf, als Grossfürst Nikolaus nach dem Adrianopler Waffenstillstände allen Corps die Einstellung der Feindseligkeiten befahl. Ungeachtet diese Convention die sofortige Räumung der festen Donauplätze und auch Belogradcik's verfügte, weigerte sich noch Anfangs Februar dessen energischer Commandant Miralai Suleyman es zu übergeben, und der zur Einrichtung der russischen Civil-Administration abgesandte Major Dimitri Vukovic-Karadzic musste mit seinen lo Kosaken — den ersten Russen, welche am Timok erschienen — im nahen Dorfe Oresec geduldig die Oeffnung der kleinen Felsenfeste erwarten, welche von den umwohnenden Bulgaren als eine Erlösung von vielhundertjähriger Schmach* und Pein freudig begrüsst wurde. Ein Steilpfad, den ich bei meinem dritten Besuche Belogradcik's (1870) in eine ziemlich reguläre Stiege verwandelt fand, führt aus der engen Bazarstrasse zum Thore des wichtigsten, zwischen drei mächtige Felsgruppen eingezwängten Theiles der Feste. Er ist in form eines Rechteckes angelegt, dessen Langseiten 4,74 M. hohe Quadermauern mit zahlreichen Schiessscharten und zwei mit 12 Ge-s< liiil/.en arniirto liundbastionen bilden. Schmalmauern mit riesigen Thoren zwischen weit vorgreifenden Pilastem schliessen diesen mehrere 100 Schritte langen, gegen N. ansteigenden Hof 1) des Grundrisses. Hier belinden sich ein Häuschen für die Wache, ein wigwamartiger Speicher und mehrere durch ein Nothdach schlecht Kiwi Ii 7., I >iiiiiui-ltiil^arii>n und iU-r lialkun. 4 geschützte Feldkanonen für die Vorwerke E und F des Grundrisses, welche im Jahre 1862 auf Suleyman Pasa's Befehl zur Verstärkung der von einer nahen Höhe dominirten Westbastion errichtet wurden. Bulgaren mussten ohne jede Entschädigung diesen Neubau ausführen, von dem der Fremdherrschaft Symbol, die Flagge mit Halbmond und Stern, gleichwie vom mittleren Theile der Festung, weit ins Land sichtbar werden sollte. Durch das südliche Thor des geschilderten Langhofes tritt man in den Fortifications-Abschnitt C, dessen Langmauern wohl auf gleichem Niveau mit jenen des ersten stehen, aber von W. nach 0. laufend, im rechten Winkel vorspringen. Aus diesem zweiten Hofe, an dessen Mauern gleichfalls einige unbedeutende Bauten, Kasernen, Depots u. s. w. kleben, gelangt man in den höchst gelegenen Theil B der Feste. Er besteht aus einem Hofe, welchen riesige Sandsteinfelsen und zwischen diese eingebaute hohe Mauern Höhe entfaltete sich eiu interessantes Panorama, das uns für unsere Kletterktinste reich belohnte. Die Feste, Suleyman's Werke und das durch einen hohen Palis-sadenzaun mit ihnen verbundene Städtchen, lagen im Pygmäenformat tief unter uns. Im Süden breitete sich das landschaftlich schöne Quellgebiet des Lom aus, mit seiner von Belogradcik sich fortsetzenden phantastisch rothen Sandsteinwelt, die aus der Ferne die Form von, durch saftiges Grün und Wasserfäden "getrennten Brücken, Thürmen, Städten und Burgen, anzunehmen schien. Etwas entfernter stiegen die scharfgeschnittenen Spitzberge auf, welche das Öuprenthal von jenem des Lom scheiden, hinter diesen erglänzte das Gebirge von Ciprovac, den Abschluss bildeten die über einander sich thürmenden Kämme des Sv. Niko-la-Balkans. Seine serbischen Ausläufer mit tiefen Einschnitten erschienen als westliche Fortsetzung des prächtigen Rundbildes, das auch gegen N. einen freundlichen Ausblick auf die sanft gewellte, ziemlich wohl bebaute Hochebene gewährte. Auf dieser bot das ferne, hell erglänzende Minaret der Tataren-Moschee Kula's Plan der Feste Belogradcik. abschliessen. Ein kleines eisernes Thor führt von hier zum letzten Zufluchtsorte A der Besatzung. Auf Leitern und Stiegen geht es aufwärts zur luftigen Höhe der durch Holzbrücken"*mit einander verbundenen Felsköpfe, welche sich besser zum Horste für Adler als zum Aufenthalte für Menschen eignen. Von der schwindelnden FESTUNGSHOF ZU BELOGRADCIK. DUHI BKLOORADCIK ZUR VRSKA-CUKA DUO DONAU. 51 einen trefflichen Orientirungspunkt. Ich versäumte nicht, es nebst vielen anderen hervorragenden Spitzen von unserer hohen Warte aus zu peilen. Nur gegen Osten beschränkten leider die nackten Stuhlmauern der in nächster Nähe aufsteigenden Stolovi, an deren Fuss unter Kalk- und Sandsteinschichten schwächliche Kohlenflötze lagern, die weite Kundsicht, welche an Schönheit nicht leicht FOD einer zweiten, auf verhältnissmässig gleich niederem Standpunkte übertroffen werden dürfte. Belogradcik's günstige Lage zur Beherrschung des aus dem Nisavagebiete über den Balkan nach Vidin führenden Strassenzuges, ist nicht erst, wie Blanqui annahm, von dem berühmten scharfblickenden Hussein Pasa erkannt worden. Kr Hess nur, wie zwei am Haupteingange angebrachte Steintafeln in türkischer und bulgarischer Sprache melden, den moderneren Theil D der Feste im Jahre lv'17 erbauen. Belogradcik besitzt aber auch ältere Werke. In seinem höher gelegenen Theile auf und unter der künstlich geschaffenen Aussichtswarte, fand ich Substructionen von Thürmen und Mauern, die jedenfalls einer weit zurückliegenden Vergangenheit angehören. Nach der Meinung der uns begleitenden türkischen Orts-Notabein sollen sie von den „Latinski" herrühren. Dies will nicht viel sagen, denn Türken und Slaven bezeichnen gewöhnlich mit diesem Namen alle Bauten, deren Ursprung sie nicht kennen. Wie ich bereits erwähnte, ist es in türkischen Festungen leider selbst im Frieden misslich, archäologische Untersuchungen vorzunehmen. Erwägt man aber in diesem Falle, dass Byzantiner und Bulgaren sich nach den Völkerstürmen gewöhnlich darauf beschränkten, die zerstörten römischen festen Punkte herzustellen, so darf man wohl annehmen, dass Belogradcik auf den Rudimenten eines jener zahlreichen römischen Castelle Btehtj von welchen ich mehrere, zum Schutze der nach Ratiaria führenden Heer-strassc bestimmt, in des Arcer nächster Umgebung fand. Von den römischen Ansiedlungen, die auf der bulgarischen Donauterrasse eine weit grössere Ausdehnung erreichten, als dies die spärlich bewahrten Namen in alten Itinerarien und Schriftstellern vermuthen lassen, haben sich wohl zahlreiche Rudimente erhalten, die- Strassentracen sind jedoch im Laufe des letzten Jahrtausends grösstenteils den nivellirenden Elementargewalten zum Opfer gefallen. Unter der türkischen Herrschaft wurde bis vor wenigen Jahren wenig l'ih' neue Strasseuanlagen gethan; denn neben türkischer Indolenz gebot politische Klugheit, die eigene christliche Bevölkerung von jener der Nachbarländer möglichst zu isolircn. Blanqui fand lSll zwischen Vidin und Nis, wie ich selbst noch lstl*2, nur halsbrecherische rauhe Saumpfade und hatte in jenem Jahre überdies von den, einen kurz zuvor ausgebrochenen Bulgarenaufstand „pacitici-renden", eigentlich aber mehr wegelagernden albanesisehen Basibozuk's zu leiden. Sie machten die au und für sich unerquicklichen Wege unsicher, plünderten die 4* christlichen Hane und Dörfer und wurden selbst für ihre türkischen Glaubensbrüder, welche deren Cooperation angerufen hatten, zur furchtbaren Geissei. Ich war glücklicher als mein Vorgänger, obschou sich auch 1862 und 1868 die Gährung im Bulgarenvolke zu blutigen Aufständen gesteigert hatte und Hadzi Dimitri mit Stefan Karadza in den Schluchten und Wäldern bei Panu-Voinov den türkischen Nizams blutige Gefechte lieferten. Auf der Nordwestspitze Bulgariens herrschte jedoch Friede, den selbst die dort angesiedelten räuberischen Tscherkessen selten störten, er lag auch auf dem sanftgewellten Plateau mit jungem Eichenwald, über das wir gegen N. unseren Weg von Belogradcik nahmen, und dessen reichbewässerte, gut cultivirte Felder in fruchtbaren Thalmulden für den Fleiss der Bulgaren von Dubrava, Struindol, Osanje und Vesnica sprachen. Wir folgten einem dünnen, von Belogradcik NW. abfliessenden Wasserfaden und näherten uns in etwa 2 Stunden der den serbischen Grenzbergen entströmenden Salaska rjeka, welche den südwestlichen Zufluss des Arcer bildet. Ein von der Golema-Glava nach 0. vorgeschobener Ausläufer trennt ihn von der Mecina rjeka, dem nördlichen Arme des Arcer, und beide Bäche vereinigen sich in der Nähe des von mir aufgefundenen Römercastells bei Kladrup, von dem ich im V. Capitel sprechen werde. Ein tief eingeschnittenes Engdefile der zum Flussrinnsal steil abfallenden Hochebene brachte uns an die Meßinafurth und bald darauf an eine von hohen Weiden beschattete Mühle, welche kühlenden Halt an jenem heissen Sommertage bot. Nach kurzer Erquickung ging es in Serpentinen das jenseitige Steilufer hinan zum Dorfe Rabis und seiner tatarischen Ansiedlung. Eine Stunde später folgte Vlahoviö am gleichnamigen Flüsschen im Einschnitte einer weiten sumpfigen Hochebene. Auf ihrem viel coupirten, oft mit mannshohem Schilfwuchse bedeckten, für Reiter und Wagen höchst gefährlichen Terrain hatten unsere Zaptie's im einbrechenden Dunkel den nach unserem nächtlichen Ziele Rakovica führenden Pfad verloren. Nach langem Umherirren brachten uns einige zufällig vorüberkommende Bauern zur gleichnamigen Karaula, und nach harter Geduldprobe waren wir doppelt erfreut durch den freundlichen Empfang, welchen uns unfreundlicher Commandant bereitete. Der mit einer Krimmedaille ausgezeichnete Buljukbasa (Corporal), welcher erst wenige Tage zuvor beim nahen Korito ein Scharmützel mit serbischen Haiduken bestanden hatte und einem derselben das Lebenslicht ausgeblasen, verstand es die liebenswürdigste Gastfreundschaft zu üben. In später Nacht sandte er in's nahe Dorf hinab um das Nothwendige für ein schmackhaftes Abendessen, auch überliess er uns sein mit Teppichen ausgestattetes Gemach, in dem wir möglichst gut uns einzurichten suchten, während er selbst sich auf eine der Holzbänke seiner Zapties hinstreckte. Die Karaula Rakovica liegt dem serbischen Blockhause Izvor gegenüber und ist sein- fest gebaut. Ein eisernes Thor führt zu ihren zwei Stockwerken, von welchen das erste, gleich dem zur Stallung benutzten Erdgeschosse mit zahlreichen Schiessscharten versehen, ausschliesslich zur Vertheidigung dient, die Räume des zweiten sind zu Mannschaftswohnungen eingerichtet. Die Karaula beherrscht das am gleichnamigen Bache liegende Dorf, das im Juni 1851 in Folge agrarischer Bedrückung zum Ausgangspunkte eines die nahen Kreise ergreifenden Bauernaufstandes wurde, welchen die türkische Regierung blutig niederschlug. Die Anlage des kleinen Zwinguri-Blockhauses vermochte jedoch im Jahre 1861 die heimliche Emigration des grössten Theils seiner durch die Lasten der Tatarenansiedlung erbitterten christlichen Bewohner, über die nahe serbische Grenze, nicht zu hindern. Schon früher begegnete ich solchen bulgarischen Auswanderern im Jahre 1860 auf serbischem Boden, und nicht immer waren es die Aermsten, welche der Heimath den Rücken kehrten. In meinem „Serbien" (S. 43) schilderte ich den traurigen Eindruck, welchen diese bedauernswerthen Emigranten machten. Als ich im October 1870 von N. kommend, Rakovica wieder besuchte, war ich nicht wenig über die Erweiterung erstaunt, welche die Karaula seit 1862 erfahren hatte. Neben dem alten Gebäude erhob sich eine langgestreckte Kaserne und die albancsischen Zaptie's hatten regulären Nizams Platz gemacht. Asiz Pasa, der vorletzte und jedenfalls befähigtste Gouverneur, den Vidin seit langer Zeit besessen, erkannte die strategische Wichtigkeit Rakovica's und gestaltete es zu einem wohlbewehrten Vorposten gegen Serbien um. Die jungen türkischen Officiere der 100 Mann starken Besatzung empfingen mich mit derselben Gastlichkeit, wie seiner Zeit der alte kriegserfahrene Buljukbasa der irregulären Basi-bozuks. Sie nöthigten mich, in ihrem hübsch angelegten Gärtchen Kaflfe mit Cigaretten anzunehmen und bereiteten mir ein interessantes militärisches Schauspiel. Ein Hornist alarmirte die unvorbereitete, süssen Kefs pflegende Garnison, welche auch in wenigen Minuten in Reih und Glied wohlgerüstet dastand und nun mit seltener Präeision alle denkbaren Handgriffe mit ihren englischen Hinterladern (Sniders), dann Quarrt- und Klumpenformirungen ausführte. Als zum Schlüsse die prachtvollen kräftigen Männer in kleidsamer Turcosuniform gegen den imaginären Feind in der Richtung der nahen serbischen Grenze im Dauerlaufe vorgingen, ein wohlgenährtes Schnellfeuer abgaben und endlich unter wildem Feldgeschrei mit gefällten Bajonetten stürmten, gab dies ein malerisches Bild, das aber auch seine ernste Seite besass und mir noch lange Stoff zum Denken gab, nachdem ich von den freundlichen Officicren geschieden war. Unterhalb des Blockhauses durchschneidet die Strasse im Thale der Rakovica das auf ihren beiden Ufern liegende gleichnamige bulgarisch-tatarische, 1864 noch durch eine tschcrkessischc Ansiedlung vergrösserte Dorf, welches schöne, von buntbefiederten Sängern belebte Laubwaldungen umgeben. Wir durchschnilten sie und einige dünne Wasseradern, die ich später als Quelladcrn des Vithol constatirte, dann reichtragende Maisfelder und Weingärten, welche die Vorhöhen des serbisch-bulgarischen Grenzgebirges, bis zur isolirten und scharf profilirten Vrska-fJuka besäumen. Mit freiem Auge konnten wir den vom Kamme der letzteren herabziehenden Durchhau verfolgen, welcher das türkische und serbische Territorium schied, unten am Fusse schloss sich ihm ein hoher Palissadcnzaun an, hinter dem die rothen Ziegeldächer der serbischen Quarantainegebäudc freundlich hervorlugten. Die Türken begnügten sich hier mit der Anlage eines früher quadratischen, später durch angefügte Eckthürme verstärkten Blockhauses, in dem, ausser der irregulären Besatzung, in neuerer Zeit auch ein türkischer Mauthner seines Amtes waltete. Die Karaula liegt nach meiner im Jahre 1870 vorgenommenen Messung 326 Meter über der Mccresflächc. Die von ihr beherrschte Hochebene dacht sich sanft gegen Osten ab, während man gegen NW. die Umrisse der serbischen Stol- und Mirocberge erblickt. Die nordwestlichste Spitze Bulgariens zwischen Vitbol, Timok und Donau wurde im serbisch-türkischen Kriege 1876 der Schauplatz heisser Kämpfe des auf Vidin sich stützenden rechten Flügels der türkischen Armee unter Osman Pasa mit dem Lesjanin'schcn Timokcorps. Nach dem serbischen Kriegsplane sollte letzteres die bei Vidin sich sammelnden Truppen verhindern, die unter Cernajeff gegen Nis operirende Hauptarmee in Flanke und Rücken zu fassen. Lesjanin's Offensive kam jedoch schon bei den ersten Versuchen zum Stehen. Am 2. Juli Uberschritt seine Kraina-Brigade und „heilige Legion1' bei Vrska Cuka die Grenze, wurde jedoch von Osman mit starkem Verluste in die Verschanzungen am rechten Timokufer zurückgeworfen, musste schon am nächsten Tage auch diese räumen und sich in die feste Stellung bei Zaicar zurückziehen. Am 8. Juli überschritt eine serbische fliegende Colonne unter Oberst Ostoic den Timok bei Bregova, drang bis Ganzova, 16 Kilometer von Vidin, vor, Schrecken verbreitend in der Festung, wo nur eine schwache Besatzung verblieben war. Nach mehrstündigem Gefechte zwang jedoch der Ostoic entgegengerückte Fazli Pasa ihn zum Rückzüge. Seine Tscherkessen rächten die Zerstörung ihrer Dörfer Rakovica, Halova, Hamidie und der Tataren-Ansiedlungen zu Bregova und Rakitnica mit grausamen Repressalien an den christlichen Ortschaften, namentlich solchen, in welchen verwundete serbische Soldaten freundliche Aufnahme und Pflege gefunden hatten. Eine Ostoic'sche Abtheilung schlugen sie mit einem Verluste von 60 Todten aus Kosova hinaus; die von den Serben besetzt gewesenen Dörfer Florentin, Novoselo und Vurv an der Donau wurden aber zur Strafe von türkischen Kriegsdampfern bombardirt. Am 12. Juli griff Lesjanin, welcher Verstärkungen erhalten hatte, die Türken bei Veliki Izvor vergeblich an. Gleichzeitig versuchten es den Timok uberschreitende bulgarische Freischärler sich Rakitnica's wieder zu bemächtigen; ein halbes Bataillon kurz zuvor von Trapezunt angelangter Nizam's wies sie jedoch blutig ab. Ebenso erfolglos blieb aber Osman Pasa's Angriff am 18. Juli auf die serbische Stellung vor Zaicar, am 18. ging sogar Oberst Lesjanin erneuert zur Offensive über und suchte den linken türkischen Flügel durch weitausholende Umgehungen über Kadibogas und Salas zum Rückzüge, zu zwingen, was auch nach mehrtägigem Widerstande gelang. In diesen Gefechten fiel der russische Oberst Kirieff, Commandant der bulgarischen Freischaaren. Schon am 28. warf jedoch Osman die Serben wieder Uber den Timok und drängte sie zum Rückzüge auf ihre Zaicarer Position. Der weitere Kampf spielte nunmehr auf serbischem Boden fort, auf bulgarischem Gebiete gab es nur noch kleine Scharmützel bei Salas, nordwestlich von Belogradcik, wo die Serben, nach dem raschen Abzüge der Türken von Knjazevac, sich festzusetzen suchten. Die Bevölkerung der Timokterrasse hatte durch die Ereignisse im J. 1866 sehr zu leiden. Das Land wurde durch Requisitionen beider Armeen, namentlich aber durch die Plünderungen der Tscherkessen und Basibozuks vollständig ausgesogen; viele Dörfer wurden eingeäschert, und zahlreiche Schaaren flüchtender Bulgaren zogen nach Serbien. Der russisch-türkische Krieg brachte für Vidin's Umgebung neue furchtbare Heimsuchungen, namentlich als Rumänen und Serben zur Einschliessung Vidin's (S. 27) und Belogradcik's (S. 49) heranzogen. Mitte Dezember 1877 setzte die Zaicarer Brigade zweiter Classe über den Timok und marschirte vorsichtig mit einer kleinen Cavallerie-Vorhut auf der Vrska-(Juka-strasse nach Kula. Man traf seine Verschanzungen von den nach Vidin retiri-renden Türken verlassen und Oberst Zdravkovic fand in den weitläufigen Kasernen und nahen Dörfern bei dem einbrechenden Schneewetter treffliche Winterquartiere für seine Truppen. Kurz vor dem abgeschlossenen Adrianopler Waffenstillstände vom 31. Januar 1878 erschien bereits in Kula der russische Capitain Rudnicky mit dem Auftrage, die rassische Autorität und Administration dort einzuführen. Die Serben mussten aber auf die sehr energischen Vorstellungen des russischen Majors Dimitri Vukovic-Karadzic, obschon ungern, Kula, Belogradcik und die ganze bulgarische Timokterrasse räumen, welche durch die St. Stefano-Stipulation und den definitiven Berliner Frieden dem neuen Ftirstenthum Bulgarien belassen wurde. Zwei Stunden scharfen Rittes führen von Vrska Cuka zwischen fruchtbaren und bewaldeten Geländen auf einer ziemlich guten Strasse nach Kula, welches von dem mit der Tataren - Colonisation betrauten Nusred Bey den türkischen Namen „Adlieh" erhielt und von Midhat Pasa, als er das Tuna-Vilajet organi-sirte, zur Kaimakamstadt erhoben wurde. Vergebens suchte ich ihren Namen auf unseren Karten, welche so viele fictive Orte zeigten, und doch ist Kula keine neue Stadtanlage, sondern, wie seine ausgedehnten Ruinen bezeugen, existirt es lange und besass schon zur Römerzcit hohe Bedeutung unter Mösiens Städten. Koch erhebt sich in der Mitte des Städtchens ein hoher Thurm, als einzig erhaltener von vier Brüdern, und ohschon halb verfallen, beherrscht er in noch immer beträchtlicher Höhe weithin den offenen Plan. Um seine stolzen Reste gruppiren sich die vier von Bulgaren, Türken, Tataren und Tscherkessen bewohnten Stadtviertel. Im Sommer 1802 kam noch das grüne, von Flaggenbäumen überragte Zeltlager der türkischen Cavallerie hinzu, welche hier nahe an der Timokgrenze gegen das damals stark bewegte Serbien concentrirt wurde. Schlussruinc von Kula. Wir stiegen im Konak des Mudirs ab. Nach kurzer Rast zog es mich bereits hinaus zum Besuche des alten, in der Mitte geborstenen Römcrthurmes, dessen eine Hälfte drohend in die Luft ragt, während die andere von reicher Vegetation überwuchert, in Trümmern liegt. Sein erhaltener Oberbau ist wohl ein Werk der serbisch-bulgarischen Krale. Wie bei der Mehrzahl der im 13. und 14. Jahrhundert entstandenen Bauten ist das Mauerwerk in wechselnden Bruchstein- und Ziegellagen aufgeführt und von zahlreichen Oeffnungen durchbrochen, in welchen noch das Balkenwerk fault. Der Grundriss des Schlosses entspricht aber vollkommen der Anlage römischer Castelle. Er bildet ein Rechteck, dessen Seiten 19,75 Meter lang, von vier runden Eckthürmen mit 12,23 M. Durchmesser flankirt, mit einem Walle und tiefen, gegenwärtig vielfach verschütteten Graben umgeben waren. Die Construction des noch heute 13 M. über den Schutt aufragenden Thunnes zeigt eine treffliche Bautechnik. An seinem Fusse fand ich Ziegelsteine, welche von den nahe der Grundfeste abgebrochenen Mauern des wahrscheinlich in den Hunnenstttrmen zerstörten und während der byzantinisch-bulgarischen Periode wieder hergestellten römischen Werkes herrühren dürften. Ausser dem Grundrisse der „Kula" und zahlreichen Münzenfunden, deuten aber auch ein 15 Minuten von dem Castelle entfernter Hundt!) urm von 4,jq M. Durchmesser, dessen Rudimente ich mitten zwischen Feldern entdeckte, ferner ein Brunnen mit leider vielbeschädigtem , unverkennbar antikem Relief, dann andere von mir aufgefundene Fragmente römischer Säulen darauf hin, dass an der Stelle Kula's eine römische Colonie gestanden habe. Vielleicht war es die von Pro-copius*) erwähnte, Castra Marlis, welche etwas entfernt von der Donau in dieser Gegend lag und noch von Hierocles als Stadt und Bischofssitz gekannt war**). Der Mudir (Bezirkshauptmann) von Kula erzählte mir im September 1868, dass er als ehemaliger Kaufmann manche europäische Stadt gesehen und längst gern Kula's Verschönerung mit dem Abtragen der nach seiner Ansicht des Städtchens hübschesten Punkt verunzierenden Schlossruine begon-Der hohe Thurm zu Kula. ncn hätte, um den gewonnenen Raum theilweise zu verbauen und in einen öffentlichen Garten zu verwandeln. Die Erhaltung der archäologisch interessanten Baureste dankt man der Hartnäckigkeit eines türkischen Beg's, welcher gegen jede Verletzung seines mit einem Zaun umgrenzten Schlossfriedens protestirte. Wie er behauptete, wurde einer seiner Vorfahren unmittelbar nach der moslimschen Eroberung des Landes mit diesem Territorium belehnt, auf dem er mit bewundernswerthem Fatalismus ein karaulähnliches Gebäude bewohnte, das *) Procop. de aedif. IV. **) Mannert, Geogr. VII. Bd. S. 101. selbst bereits Ruine auf den Rudimenten älterer stehend, 'seinem baldigen Einstürze — wer möchte bei türkischen Ruinen einen Zeitraum bestimmen — entgegen sieht. Kula's Hauptstrasse fand ich im Herbste 1870 regulirt und sogar mit Trot-toirs versehen, und unweit des Mudirliks wurde ich durch einen ganz netten neuen Han überrascht, dessen Bauplan wohl nicht für unsere Architekten em-pfehlenswerth, den ich aber selbst in solcher Gestalt, trotz mangelnden Comforts, fehlender Bettstellen, bei hohen Preisen, die sein Besitzer, Cincar Mihalaky von Adrianopel, trefflich zu stellen verstand, umsomehr als willkommenen Fortschritt anerkennen musste, da in seinem zu einer Art Casino eingerichteten Sale türkische Militärs und bulgarische Kaufleute bei Spiel und Kaffe, Wein, Raki und Tschibuk sich freundlich begegneten. Im Jahre 1801 wurde Kula mit einer Tataren-Ansiedlung beglückt. Es erhielt 60 tatarische Familien, für welche Cincaren ein Jahr später jene Moschee erbauten, deren weithin sichtbares Minaret ich zu Belogradcik als einen der wichtigsten Orientirungs- und Peilungspunkte zwischen Lom und Timok erkannte. IS64 wurde der Bezirk Kula mit einer weiteren Ueberschich-tung von 600 tscherkessischen Familien bedacht, von welchen etwa 120 im Städtehen, nahe dem römischen Brunnen, südlich vom Schlosse sich ansiedelten. Die 1870 vollendete vorzügliche Poststrasse von Kula nach Vidin zieht durch eine höchst eintönige Landschaft stetig abwärts über das sanft gewellte, durch die neuen Ansiedler in Maisfelder umgewandelte Löss- Plateau. An der Strasse selbst ist aber kein Haus zu sehen, auch grösseren Bäumen begegnet man nur selten, und während dreier langer Stunden kamen wir bis Tatarcik nur an einem Karaule mit Han vorüber. Das Auftauchen der rumänischen Ebene brachte die erste tröstende Abwechslung. Bald darauf erglänzten das breite Donauband, als dünner, vielgesehlängeltcr Silberfaden, und jenseits die weissen Mauern des durch die türkische Vertheidigung (1851) zuerst berühmt gewordenen Kalafats. Wir näherten uns Vidin. Bereits wurden seine Minaretc erkennbar. Auf reben-bepflanzte Höhen folgten sumpfige Niederungen, welche durch häufige Frühjabrs- Uebei Huthnngen der Cultivirung entzogen bleiben und durch ihre sommerlichen Miasmen leider stehende Fieberherde bilden. Endlich kamen die tiefen, berüchtigten Moore selbst, über welche lange Dämme mit vielbogigen Wasserdurchlässen von Iiinova, Girca. Novoselo, Tatarcik und Vitbol zu den Vorwerken der bulgarischen Donaufestung führen. Unter diesen Kunstbauten sind drei grossartige Viaduote, auf der Strasse nach Kula, besonders hervorzuheben, darunter einer mit 18 steinernen Bogen. Die türkische Sorglosigkeit that nichts für ihre Unterhaltung. Sie -(dien unrettbar zu Grunde; bereits fanden ihre Balustraden grossentheils in den Sümpfen ihr Grab und auch die Falirbahn ist stellenweise durch Einsturz um die Hälfte ihrer ursprünglichen Breite verringert. Vidin's Sümpfe und Donauinscln sind mit Schnepfen, Gänsen, Enten, Schwänen, Reihern, Pelikanen u. s. w. bevölkert. Die Umgegend der Stadt ist auch besonders reich an Hasen, deren Bälge (an 10,000 jährlich) nach Wien gesendet werden; Rehe, Füchse, Wölfe u. s. w. werden seltener geschossen. Unter dem Auffliegen und Gekreische ganzer Schwärme von Sumpfvögeln, welche das Aech-zen unseres Wagens über das schlechte Steinpflaster der Dämme aus ihrer beschaulichen Ruhe aufscheuchte, hielten wir unsern Einzug durch Vidin's Wälle, innerhalb welcher mir im Hause des österreichischen Consuls Walcher von Molt-hein und später in jenem seines Nachfolgers, Ritter von Schulz, die gastlichste Aufnahme zu Theil wurde. An der Förderung meiner wissenschaftlichen Arbeiten betheiligten sich ferner zu Vidin, abgesehen von den genannten türkischen Func-tionairen, in liebenswürdigster Weise der k. russische Consul Kira Dindjan, der österreichische Consulats-Dragoman Pinkas, der k. k. Post-Expeditor Schnell u. A., welchen Herren hier herzlichst gedankt sei. III. DURCH DAS TOPOLOVICA-, DELENA-UND TIMOK-GEBIET. Durch Vidin's Glacis. — Tepc an der Strasse nacli Kapitanica. — Verbreitung der Tumuli. — Ihre einstige Bestimmung. — Die Bevölkerung des bulgarischen Timoklandes. — Ansiedlung der Kumiinen. — Neueste Versuche, sie zu Koni zu bekehren. — Ethnographisches. — Bulgaren, Türken, Tataren, Tscherkessen, spanische Juden, Zigeuner, Cincaren, Griechen u. s. w. — Polyglottes Vülkerdureh-cinander. — Florentius Ruinen und Geschichte. — Cetate. — Verfall des Türkenthums. — Das Bulgarenviertel. — Contrastc. — Ein antikes Grab. — Petrefactenreiche Formation. — Castell von Vurv. — Dorticum. — Castell zu Rakovica. — Verschiebung der Timokniündung. — Bregova. — Alter Strassenzug. — Neuere Rümcrfunde bei Praovo. — Grosse Timokinsel. — Fortschritte der Rumänen. — Kirche und Schule zu Bregova. — Terrain bis Delena. — Seine bisherige schlechte graphische Darstellung. — Verfehlter archäologischer Ausflug zur Vrska-Cuka. — Positionspunkt Gola-Manova. — Malmung an südrussischc Thalbildungcn. — Der „Räuherhrunnen" und seine Tradition. — Tscherkessendorf Alhatina. ■— Waldvertilgung. — Knesenhaus zu Girca. — Hin Fall von Kinderlosigkeit. — Christ und Türk, einst und zuletzt. — Vertheidigungskirche. — Delenska- und Topoloviea-thal. — Weinlese zu Vurv. — Die Timokbulgaren über das Türkenregiment. — Landschaftliche Physiognomie des Timokthals. — Seine neuen Befestigungen. [e Strasse von Yi 1641 und iii. 2. S. 1020. 7 Kunitz, Douiiu-Bulnurlfii uml ilur Balkan. • Ferner sah ich einen Votivstein als Treppe eines Kaffeehauses dienend*), dann eine schön profilirte, 1,06 M. lange, 0,20 M. hohe Simsplatte als Piedestal einer Holzstütze am Gewölbe des türkischen Kaufmanns Hadzi Hassan Ismail Aga. Auf dem Wege nach dem grösstentheils von Rumänen bewohnten Stadtviertel am rechten Arcerufer begegnete ich in den Strassen vielen Resten von Säulenstämmen, • Capitälen u. s. w., zum Theil stark verstümmelt in Neubauten eingefügt, oder frei umherliegend. Im bulgarisch-walachischcn Stadttheilc fand ich im Hause des Bulgaren Stefan Pavle einen Votivstein von 1,19 M. Länge und 0,74 M.Breite, zur Hälfte in der Wand einer finsteren Hütte steckend, was die Copirung seiner Inschrift sehr erschwerte. Mommsen las und ergänzte sie **). Einen andern Stein von seltener Form, verziert mit Schild und gekreuzten Pfeilen en relief, traf ich im Hofe des Walachen Stojan Dino. & 1, H _i_ i VC- Rümischer Sarkophag zu Arcer. Das am besten erhaltene Monument aus Arcers Römerzeit besitzt der (Jaus Hadzi Hassan Hussein im türkischen Stadttheile, es ist ein Sarkophag von sehr schöner Arbeit aus dem dunkelvioletten krystallinisckcu Gestein (Amphibol-Ande-sit), welches ich auf der Höbe des Sv. Nikola-Passes gesehen hatte. Dieser Sarkophag wurde vor etwa 20 Jahren im Garten des Caus in einem tiefen, ausgemauerten Gewölbe gefunden und ziemlich unbeschädigt herausgeschafft. Er misst 2,29 M. Länge und l,n Breite, seine Form ist aus der Abbildung ersichtlich. Die Karniesprofile der Umrahmung des grossen Mittelschildes sind tadellos gearbeitet, die Figuren (trauernde Genien) etwas schematisch behandelt, die Inschrift leider bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. An der Rückseite der 0,M M. hohen *) Mommsen, No. 6290. **) Mommsen, No. 6293. Decke befindet sich die bei römischen Sarkophagen oft vorkommende kleine quadratische Oeffnung. Unbegreiflicher Weise fuhr Graf Marsigli, der einzige Alterthumskenner, welcher im Beginn des vorigen Jahrhunderts die Donau bereiste, an der Strecke Vidin-Nikopoli gleichgiltig vorüber. In Ratiaria hätte er zu jener Zeit ohne besondere Schwierigkeit viele monumentale Reste gefunden, die seitdem zerstreut oder in Grundfesten und Mauern von Neubauten begraben wurden. Mommsen's von der k. Akademie der Wissenschaften zu Berlin edirte Sammlung römischer Inschriften zeigt bezüglich der wichtigsten Donau -Colonien leider sehr bedeutende Lücken, welche durch die von mir und später von Desjardins und Lejean*) in diesen Gegenden aufgefundenen nur wenig ausgefüllt werden konnten. Ich bin jedoch fest überzeugt, dass mit grösseren Mitteln unternommene Ausgrabungen, trotz aller Verschleppungen, ein noch sehr interessantes Material zur Geschichte der römischen Herrschaft an der bulgarischen Donau zu Tage fördern dürften. Wie schon zur Römerzeit war Arcer bis zuletzt der Standort einer kleinen Kriegsdampferflottille; denn es eignete sich vermöge seiner günstigen Lage zu einem vorzüglichen „Lugaus" Donauabwärts bis Lom und aufwärts weit hinauf über Vidin, also zur rJeberwachung einer Strecke von etwa 6 geogr. Meilen. Vom Walle des ehemals römischen Castrums erblickt man Vidins lockende Minarete mit unbewaffnetem Auge. Ich schlug jedoch nicht die nach der Pasastadt führende Fahrstrasse entlang dem Donauufer ein, sondern gedachte von Arcer aus die Trace der Römerstrasse aufzusuchen, welche einst Ratiaria mit Naissus verbunden hatte, und auf welcher ein Theil der Slaven im VI. Jahrb. aus dem ehemaligen Dacien in die Balkanländer eingewandert sein soll. Eine grosse Strecke dieser Strasse, von Nis Uber Knjazevac durch den Kadibogas-Pass bis zur serbisch - bulgarischen Grenze, hatte ich bereits früher festgestellt**); mit einiger Begründung durfte ich vermuthen, ihre Fortsetzung entlang dem Flussbette des Arcer in der Richtung gegen Rabis aufzufinden. Aus Arcer's romanisch-bulgarischem Stadttheilc führt eine ziemlich gute Strasse am rechten Flussufer bis zur Furth bei Karaula Popadia. Diese Strecke des Flussthalcs versprach jedoch in archäologischer Beziehung wenig Interesse, und ich verfolgte daher einen anderen aus demselben Stadttheilc abzweigenden Vicinal-weg, der mich rasch auf die ziemlich steil nach der Donau abfallende Terrasse brachte. Anfänglieh ritt ich zwischen Wäldern mit ausserordentlich üppigem Baum-wuchse hin, vor Vladisince eröffnete sich aber bald eine prachtvolle unbehinderte *) Desjardins und Lejean besuchten nach mir 1808 das bulgarische Donauufer. Desjardins veröffentlichte seitdem auch einige von mir 1804 aufgefundene und schon 1866 Herrn Prof. Moinm-sen mitgctheiltc Inschriften. '■■*) Serbien, S. 301. Aussicht auf den Sv. Nikola-Ralkan bis zu seinem nordwestlichsten Ausläufer, zur serbisch-bulgarischen Vrska-Öuka. Die stellenweise gut cultivirte Terrasse erschien für das Auge beinahe eben, nur wenig gewellt, und mit vielen Dörfern besiedelt, im Widerspruche mit unseren Karten, die im Arcerthale kaum eines anzugeben wussten, denn das von Scheda angeführte Almadan existirt nicht. Bei den grossen, jedenfalls schon von den Römern bearbeiteten Steinbrüchen von Lagosovce stieg ich wieder zum Bette des Arcer hinab, der von hier in beinahe strong östlicher Richtung, die bis zur Donau streichenden bewaldeten Höhen durchschneidet. Im Herbste 1868 kreuzte ich, von Izvor kommend, etwas westlicher von diesem Punkte, bei Karaula Popadia, den wenig tiefen Fluss und folgte der gut gehaltenen Vidin-Nis-Strasse bis zum Tschcrkessendorfe Osmanieh. Dort setzte ich auf das linke Flussufer über, um weiter nach dem alten Römerwege zu forschen; denn dass diese wichtige Strasse einst ihre Fortsetzung vom serbischen Kadibogas-Passe durch das Arcerthal genommen haben musste, war für mich im Hinblick auf die Lage Ratiaria's und meine früher gewonnenen Erfahrungen beinahe zweifellos. Es überraschte mich daher wenig, bei den Thalbewohnern bestimmte Traditionen von einem ehemaligen „Kaldrum put" (gepflasterter Weg) zu finden, der nach ihren Aussagen im Anfange des Jahrhunderts noch existirt haben sollte. Doch wie seine verschwundene Spur auffinden? So ruhig der Arcer in trockener Jahreszeit durch das massenhafte* Gerolle seines regellosen Rettes mehr sickert als fliesst, zu einem eben so mächtigen und gefährlichen Strome wächst er bei grossein Hochwasser an. In stets wechselnder Laune verbreitert er dann sein breites Rinnsal durch zahllose Krümmungen und Auswaschungen zum Nachtheil seiner schönen Gelände. Mit den einstigen römischen Uferversicherungen hatte aber der wilde Fluss auch jedenfalls die alte künstliche Heerstrasse hin weggespült. Ich verzweifelte bereits an dem Gelingen meiner Aufgabe; da stiess ich nahe bei Ostrokavce auf die ersten Reste römischer Bauten, auf die Mauern eines kleinen Castrums. Sie bildeten die Vorläufer wichtigerer Funde. Zwischen Ostrokavce und Kla-drup, zweien nur 3/4 St. von einander entfernten Orten, hatte der Fluss die Thalsohle furchtbar zerrissen. Grössere zusammenhängende Uferstrecken gehörten hier zur Seltenheit, die neue gebahnte Strasse verschwand und wir sahen uns genöthigt, lange den Weg über das grobe Gerolle des Bettes zu nehmen. Unmittelbar vor Kladrup, am Vereinigungspunkte der beiden Aröerarme, wartete meiner eine grosse Ueberraschung. Eine Menge parallel laufender, wallartiger Erhöhungen mit eigen-thümlicher Vegetation verriethen darunter lagerndes Mauerwerk und schon eine oberflächliche Untersuchung genügte, um mich darüber zu vergewissern, dass ich mich auf den Resten einer römischen Niederlassung von bedeutender Ausdehnung befand, deren Mittelpunkt ein festes Castrum vod etwa 140 Schritten im Gevierte gebildet hatte. Deutlich waren die im rechten Winkel auf einander stossenden Strassen und die Stellen einzelner Gebäude zu erkennen. Es wird jedoch umfassender Ausgrabungen bedürfen, um den einstigen Grundplan dieser antiken Niederlassung festzustellen. Im Dorfe Kladrup selbst fand ich zwei Fragmente von Inschriften und zwar eine: Dis deabusque omnibus, im Hause des Bauers Theodor Petrov, dann eine zweite auf dem kleinen umfriedeten Wiesenraume, welcher ungedeckt zu kirchlichen Versammlungen benutzt wird und durch dem Zaune entlang im Kreise aufgestellte rohe Steinsitze an die alteu Opferplätze prähistorischer Zeiten mahnte. In zwei Theile geborsten und mit der Schrift verkehrt, steckte diese römische Votiv-tafel neben einem grossen steinernen Kreuze im Boden. Ich Hess sie behutsam ausgraben und copirte die Inschrift Nach Mommsen gehört sie dem J. 213 n. Chr. an*). Beide Steine rühren aus den Ruinen der erwähnten nahen Römerstadt her und die Bauern erzählten auch von zahlreichen Münzenfunden, die dort gemacht werden. Der Tag ging zu Ende, hatte sich aber noch nicht in Ueberraschungen erschöpft. Etwa 1/2 Stunde westlich von Kladrup erblickte ich unfern des nach Rabis führenden Weges, auf einer kleinen Anhöhe, leuchtende weisse Punkte. Anfänglich hielt ich dieselben für weidende Schafe; sie blieben jedoch so merkwürdig unbeweglich, dass ich mich entschloss den Weg nach der Höhe zu nehmen. Hier fand ich nun etwa 30 römische Votivsteine, welche sich grösstentheils mit ihrer Breitseite tief in das weiche Erdreich eingewühlt hatten. Nur einer zeigte die Stirnseite nach oben gekehrt, seine Inschrift war aber unleserlich geworden und nur das hübsche Laubwerk des ornamentirten Rahmens war erhalten geblieben. Viele Votivsteine dieses römischen Begräbnissortes mögen wohl zum Rau der neuen Kirche des nahen Rabis verwendet worden sein, dafür spricht die gespaltete Hälfte eines solchen, die ich auf dem dortigen Kirchhofe fand**). In welchen Beziehungen das kleine Castrum bei Ostrokavce und der grosse Begräbnissplatz vor Rabis zu den von mir zwischen beiden aufgefundenen Ruinen der römischen Niederlassung bei Kladrup gestanden, wird nur durch spätere Ausgrabungen im grossen Maassstabe erwiesen werden können. Meine vorstehend knapp skizzirten Funde zu Ostrokavce, Kladrup und Rabis, ferner die grossen Steinbrüche zu Lagosovce und die Ueberbleibsel einer römischen Ansiedlung am Arcer zu Bela, von welchen ich leider erst zu spät hörte um sie persönlich in Augenschein nehmen zu könneu, sind aber jedenfalls sprechende Zeugen für meine bereits im Jahre 1868 geäusserte und seitdem unverändert gebliebene Ansicht, dass die grosse römische Hcerstrasse von Naissus nach Ratiaria, vom serbischen Kadibogas-Passe aus, nur durch das Aröcrthal gegangen sein könne. *) Mommsen, No. 0291. **) Mommsen, No 6290. Aber auch für den Namen der von mir bei Kladrup aufgefundenen Röincr-stadt gibt eine der wichtigsten römischen Kartcnquellen Anhaltspunkte. Die Peu-tingersche Tafel zeigt an der Strasse von Naissus nach Ratiaria drei Mansionen. Die ersten beiden: Timacuin Majas und Timacum Minus glaube ich in meinem Reisewerke „Serbien" (S. 297) genügend nachgewiesen zu haben. Die dritte: Conbustica soll nach der Peut. Tafel 27 Mill. von Timacum Minus und gleich-weit entfernt von Ratiaria gewesen sein. Zwischen Timacum Minus und Ratiaria habe ich allerdings nur die Reste einer einzigen grösseren, unzweifelhaft römischen Niederlassung bei Kladrup gefunden. Ihre Entfernung von Ratiaria und Timacum Minus, zwischen welchen Conbustica nach der Tafel genau auf der Mitte des Weges gelegen haben soll, ist jedoch, wie ein Blick auf die Karte zeigt (vgl. Kladrup-Arcer), mit jener der Tafel nicht übereinstimmend. Leicht wäre es wohl, die hier entstehende Millicndifferenz durch die Annahme eines Schreibfehlers der Peut. Tafel zu beseitigen, wie dies in analogen Fällen oft geschah. Es wäre um so gerechtfertigter, als bereits D'Anville*) und Mannert**) der Angabc der Tafel folgend, ungeachtet sie nicht die geringsten archäologischen oder topographischen Anhaltspunkte dafür besassen, dieses Conbustica hart am Arccrfiusse gesucht hatten. Ich möchte jedoch die endgiltige Lösung dieser Frage künftigen Forschungen vorbehalten, welche, wenn das Arcergebiet einst vollkommener gekannt sein wird, jedenfalls über reichhaltigere Vorarbeiten zu gebieten haben werden, als ich sie auf der archäologischen terra incognita der bulgarischen Donauterrasse, wo ich selbst die topographische Karte zuerst schaffen musste, vorfand. Es genügt mir also hier, durch meine Reise am Arcer sicher festgestellt zu haben, dass mindestens ein Theil der römischen Legionen den Weg von Naissus zur Donau durch das Arcerthal nach Ratiaria genommen habe, dass sich mehrere bisher ungekannte römische Niederlassungen in demselben befanden, und dass es für die Vertheidigung des musischen Donau-Limes eine hohe strategische Wichtigkeit besass, wie dies die von mir aufgefundeneu Befestigungen beweisen. Der steilgeböschte Terrassenrand, auf dem das wohlhabende Dorf Rabis liegt, ist durch zahlreiche Regenrisse vielfach zerschnitten. Ersteigt man denselben aber, so erblickt man eine schöne fruchtbare Hochebene, auf welcher V* Stunde nördlich vom Dorfe ein für den Topographen unschätzbarer isolirter Peilungspunkt sich erhebt. Ich kam an dem Dorfkirchlein Sv. Ilija mit kleinem Friedhofe vorüber, copirte dort die erwähnte römische Inschrift, kreuzte hierauf ein Bächlein und befand mich am Fusse dieser aus dichtem Korallenkalk sich aufbauenden Magura, welche das Volk „Pilav bair" heisst, weil sie von NW. *) D'Anville, Mem. de l'Ac. des Insc. T. XXVIII. 411. **) Mannert Geog. VII. Bd. gesehen, einem spitz zulaufenden Pilavhaufen ähnlich sieht. Die erste Hälfte der Höhe war leicht zu ersteigen, wir blieben auf den Pferden und kamen durch grosse Ziegenherden, welche auf dem tippigen Rasen sich lustig unihertumnielten. Leider rauben sie dem hier und da auftretenden Laubholze unbarmherzig die besten Lebenskeimc. Als der gute Weg sehr bald auf einem alpinen Karrenfelde endete, sahen wir uns genöthigt die Pferde zurückzulassen. Immer dichter erschienen die zu Tage tretenden steil sich aufrichtenden, stark zernagten Kalkblöcke und je höher, desto schärfer, kantiger und zugleich gefährlicher wurden sie für unser Schuhwerk. Doch einmal auf dem mit Strauchwerk bedeckten Sehmal-Plateau der Magura angelangt, wurden wir durch eine äusserst genussreiche Ruudsicht für alle Mühen entschädigt. Mit einem Blicke umfasst man von dem etwa 100 M. hohen Aussichtspunkte die mächtigen Bergreihen, beginnend mit den konisch geformten niederen Spitzen des Dzibrica- und Lomgebietes bis zu den Ausläufern der grossen Balkankette. Man vermag von hier aus die hohen Kuppen des Sv. Nikola-Balkan, die Ivanova-Livada, die Pisana-Cuka, den Rasovati-Kamen mit seinen Vorbergen Strebske, Vedernik und Cerovica, deren tief eingeschnittenen Schluchten die Quellen des südlichen Arccrarmes entfliessen, ferner die Golema Glava, den spitzen Kitko und rundkuppigen Babin-Nos, in welchen die Quellen des nördlichen Arcerarmes sich sammeln, und ebenso ihren Vereinigungspunkt bei Kladrup genau zu unterscheiden. Weiter übersieht man nördlich vom Babin-Nos, die Suva-Kladenica, den Crno-Glav und die Ostriccvac-Planina, in deren Vorbergeu die südlichen Zuflüsse des Vitbol, die Vlahovieka- und Rakovicka rjeka entspringen. Dass der Vitbol auch noch einen nördlicheren Arm besitzt, sollte ich erst später, hart an seiner Mündung, erfahren. Die scharfgeschnittenen Protile der Stolovi und die wunderlichen Formell der Belogradciker Sandsteinwelt erfüllen den südlichen Mittelgrund des prächtigen Bildes. Hart am Fusse der Magura, welche auf kristallinischem Untergrunde sich erhebt, warf aber — die Türkei ist unerschöpflich in Uebcrraschungcn für den Reisenden — die Morgensonnc ihre leuchtenden Strahlen auf eine weite Wasserfläche, welche, als ich auf die Spitze gegen N. hinaustrat, sich unerwartet als kleiner Landsec entpuppte. Nach der Aussage meiner Wegweiser aus Rabis soll das Wasser an manchen Stellen 2 — 3 Mannstiefen haben und von wohlschmeckenden, ziemlich grossen „saran" (Karpfen) bevölkert sein, welche in der Fastenzeit als Leckerbissen betrachtet werden. Gerne glaubte ich es meinem Führer Stojan Iliov, einem jener 10,000 im .Jahre 1801 nach Russland ausgewanderten und bereits 1802 wieder zurückgekehrten Bulgaren, dass der Krimboden, so fruchtbar und romantisch schön er auch sei, ihn doch nicht die eigentümlichen Reize seiner bulgarischen Heimath vergessen Hess. Die Mehrzahl der Emigranten suchte bekanntlich, obwohl ihrer bittere Prüfungen auf dem hciiuathlichcn Boden warteten, reuig denselben wieder auf. In dem jungen Stojan Iliov trat mir auf's Neue die grosse Bildungsfähigkeit des Bulgarenvolkes lebhaft entgegen. Während seines kaum einjährigen Aufenthaltes in der reichen Bulgarenstadt Bolgrad, früher zu Rumänien, gegenwärtig wieder zu Bessarabicn gehörig, bot sich ihm Gelegenheit die französische Sprache zu erlernen, und obschon er dieselbe seit vielen Jahren nicht geübt, sprach er sie noch ziemlich geläufig und mit dem allen Südslaven eigentümlichen weichen Accente. Wäre das herrschende nioslimsche Element selbst nur etwas gebildeter und befähigt gewesen, cinigermassen fördernde Impulse zur Civilisirung der Rajah im europäischen Sinne zu geben, wahrlich das von so mancher Seite wenig beachtete Bulgarien würde durch rasche Culturfortschritte Europa's Sympathien bereits viel früher erworben haben. Am östlichen Rande des Sees — nebenbei bemerkt, der einzige, welchen ich im Innern des Landes zwischen Save und Dobruca nördlich vom Balkan gefunden — erwartete mich meine zurückgebliebene Escorte im Schatten einer Gruppe schöner Wallnussbäume. Ueppigster Graswuchs bedeckte die Fläche, über welche wir nun NO. gegen Makros zogen. Kurz vor dem Dorfe stiessen wir auf den Vereinigungspunkt der von Vlahovic und Rakovica herabkommenden Bäche, welche des Vitbol südlichen Arm bilden. Makres zählt 120 Häuser. Es gehört zu den wohlhabendsten Orten der Umgebung und besitzt eine nette Kirche mit Schulhaus, welches ich in Begleitung des Ortsvorstandes besichtigte. Leider fand ich es unzweckmässig eingerichtet, ebenso verwaist, wie das bei Izvor geschilderte, und hörte hier wie überall über den Mangel fähiger Lehrer klagen. Die Errichtung von Schullehrer-Seminarien in den ersten Städten Bulgariens, etwa zu Ruscuk, Tirnova, Vidin, Sofia und a. 0. kann nicht warm genug der Regierung und den gebildeten bulgarischen Patrioten empfohlen werden. Im Jahre 1864 war Makres der Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen eingefallenen serbischen Ilaiduken und türkischen Zapties, in welchen Erstcrc blutig über die Grenze zurückgewiesen wurden. Dichter Wald zieht hinter dem Orte von den rechtsseitigen Höhen des Vitbol bis hart an dessen Rinnsal herab, während sein linkes Ufer flächer und mehr cultivirt erscheint. Bei Vulcak macht der Fluss eine starke Wendung SO. und der Weg geht eine Meile über das Steingerölle des die stark zerrissene Thalsohle oft durchschneidenden Flussbettes. Unmittelbar vor dem Dorfe verriethen zahlreiche Herden, darunter Hornvieh von schönem Schlage, den Wohlstand seiner Bewohner, welchen die armselige Einrichtung ihrer Häuser sonst kaum hätte vermuthen lassen. Auch Wein gab es hier in Fülle, und die mit seiner Einbringung beschäftigten Bewohner befanden sich sämmt-lich in fröhlichster Stimmung. Ein schattiges Eichenwäldchen brachte mich von Vulcak in NW. Richtung wieder hinaus auf die weite Ebene, deren prachtvoll schwarzer Humusboden reichliche Kornernten geben müsste. Leider spricht nur üppig wucherndes Unkraut für die hier brach liegende überschüssige Productionskraft, welche richtig verwerthet, viele fleissige Hände belohnen könnte. Ein Anfang zur Urbarmachung dieses Terrains wurde wohl durch ein Tatarendorf gemacht, das zwischen Vulcak und Gramada im Jahre 1862 angesiedelt wurde. Es heisst Kusevce. Unmittelbar vor demselben überschritt ich einen dritten, von Urbabince herabkommenden Vitbolzufluss und hatte in Gramada das ersehnte nächtliche Bivouak erreicht. Auf dem Wege dahin erfreute uns das schon mehrfach geschilderte Panorama der serbisch - bulgarischen Gebirgswelt, vergrössert durch die scharf geschnittenen Profile der W. erscheinenden Rtanj- Pyramide, meines liebgewonnenen, allerorts auftauchenden und wegweisenden Reisebegleiters durch Serbien. Auch andere hohe Spitzen dieses Landes, unter ihnen der charakteristisch profilirte Stol, traten hier in Sicht. Ich stieg in Gramada's Kmetenhause ab. Beim Scheine einer Blendlaterne, welche den einfachen Landleuten nicht geringe Verwunderung einflösste, ordnete ich die im Laufe des Tages gewonnenen Daten zur Feststellung des Vitbollaufes, wobei mich die zu meiner Begrüssung herbeigekommenen Ortsältesten neugierig umstanden und durch manche Auskünfte unterstützten. Nach kurzer Nachtruhe wurde ich schon zeitlich Morgens durch das geschäftige Treiben der Frauen des Hauses geweckt. Es ist wirklich schwer zu sagen, ob der weibliche oder männliche Theil der bulgarischen Bevölkerung sich in Fleiss, Geschick und Thätigkeit tibertrifft; gewöhnlich theilen sich aber beide Geschlechter mit gleich bewundernswertheni Eifer in die häuslichen Geschäfte. Zwischen Gramada's Maisfeldern führt ein Weg in östljeher Richtung (zuletzt SO.) nach Vodna. Kurz vor dem kleinen, rein bulgarischen Orte, der nur 53 Häuser zählt, mussten wir zum Rinnsal desselben Baches hinabsteigen, welchen wir Tags zuvor bei der Tatarcnansiedlung Kusevce durchritten hatten. Das Bächlein sollte, nach der Aussage der Ortsbewohner, im Vitbol münden und doch nahm es eine Richtung, welche dessen anderen Zuflüssen, die ich bereits kannte, ganz entgegengesetzt war. Es floss gegen Nord und nicht nach Süden. Glücklicher Weise traf ich hier einen türkischen Bcg, der die Gegend genau kannte und dessen Erklärungen mir nach vielen Kreuz- und Querfragen die Existenz eines nördlicheren Vitbolarmes klar machten, welcher sich mit den von mir bisher Überschrittenen nahe an der Donau vereinigen sollte. Ich beschloss, diese unerwartet entdeckte Wasserader bis zu ihrem Ursprünge zu verfolgen, um sie in die Karte eintragen zu können. Während bisher Maisculturen den Ausblick auf die weite Hochebene grösstentheils gestattet hatten, vertieften wir uns bald hinter Vodna in die Labyrinth- wcge eines jungen Eichenwaldes. Nur hier und da erschienen sclnnale Liebtungen mit pittoresken Laubzelten faulenzender, schnitzender oder niusicircnder Hirten. Ich trat in eine wahre Waldidyllc, welche durch einzeln oder in Trupps duftige Graspartien aufsuchende Ziegen, Schafe u. s. w., die- reizendste Thierstaffagc erhielt. Nach 8/j St. erreichte unser romantischer Kitt sein Ende. Wir senkten uns Uber die sehr sanfte Tcrrassenhöschung hinab, gelangten endlich an das gesuchte Flussrinnsal und bald darauf an das Bulgarendorf Kusovica. Die Strömung des von Kakovica herankommenden Baches ist hier eine so starke, dass seine letzten Frühjahrshochwasser die Anwohner zur Ucbcrsicdlung auf höhere Uferpunkte zwangen. Ich verfolgte den Bachlauf weiter gegen NO. Auf dem Wege nach Sinakovcc verschwand der oft wildromantische Anstrich seiner Ufcr-landschaft; Culturen, Weingärten und Wiesen zogen von der allmälig sich er-inässigendcn Terrasse bis hart in das sich erweiternde Thal herab, und liehen ihm stellenweise einen sehr freundlich anmuthenden Charakter. Besonders schön liegt nahe vor Sinakovcc das Ciftlik eines wohlhabenden Vidiner Türken. Es war eben Weinerntezeit und mehrere für türkischen Frauentransport eingerichtete Araba (Wagen) im Schatten riesiger Nussbäume, verriethen uns die Anwesenheit des Eigentümers mit seinem Harem. So einladend an dem heissen Tage eine kurze Bast an dieser Stelle gewesen wäre, hielten wir uns doch, die Landessitte ehrend, in respectvoller Entfernung von dem kleinen Hause, auf dessen Balcon sich der glückliche Ciftlikbesitzer, umgeben von mehreren weiblichen wie es schien, gänzlich unvcrschleicrtcn Frauengestalten, zeigte. Kinder schlugen lustig das Tamburin; Gesang, Guitarrespiel und lautes Lachen tönten uns noch lange nach. Die gänzliche Beseitigung des lange genug in Europa genährten Wahns, als bildeten die Türken den Grundstock der Bevölkerung in den Balkanländern, war für den. ethnographischen Forscher aus vielen Gründen eine wichtige Aufgabe. Ich erwähne desshalb hier ausdrücklich, dass dieses Ciftlik bei Sinakovce das einzige und nur zur Sommerzeit bewohnte Türkenhaus blieb, dem ich ausserhalb der Städte auf meinen zahlreichen Touren zwischen dem Lom und Timok begegnete. Alles Land zwischen diesen Flüssen fand ich, von den 1877 wieder abgezogenen Tataren und Tscherkessen abgesehen, von Christen, und zwar auf der Nordwestspitze und am Donauufer von Walachen, sonst aber meistens von fleissigen Bulgaren bewohnt und cultivirt, während der Türke nur sporadisch als Ciftlikbesitzer auftrat und selbst als solcher es stets vorzog in der Stadt zu wohnen. Bereits früher lernte ich des Bulgaren industrielle Talente schätzen; die von schlichten Gebirgsbewohnern selbst gefertigten Webstühle, auf welchen Frauen und Mädchen ihre farbenprächtigen Gespinnste erzeugen, ihre schönen keramischen Arbeiten, Schnitzereien u. s. w. sprachen allerorts für dieselben. Im Vitbolgebiete sollte ich nun die künstlichen Vorrichtungen bewundernd sehen, durch welche diese einfachen Menschen sich den Ruf als vorzüglichste Ackerbauer der Türkei erworben haben. Zwischen Sinakovce und Nazir-Mahala stiess ich auf höchst sinnreiche Bewässerungsapparate, deren Construction mir eine hohe Meinung von der technischen Begabung dieser Donau-Bulgaren beibrachte. An vielen Stellen Bulgarischer Be\viisserungs-A]>]mrat am Vitbol. fand ich den Fluss abgeleitet in künstliche Rinnen gestaut, hölzerne Räder von oft riesigem Durchmesser tauchten in dieselben und brachten, durch von Hornvieh getriebene Göpel bewegt, das Wasser auf die hochgelegene Terrasse. Schwungräder und Göpel erschienen im Hinblick auf die höchst primitiven Werkzeuge, über welche diese Landleutc verfügen, technisch vorzüglich gearbeitet und sogar durch einen schwarzen üclfarbe-Anstrich vor Fäulniss geschützt. Ich beschränke mich hier auf diese Andeutungen zur Charakteristik der Bulgaren, hoffe aber später noch weitere Beiträge zur besseren Kenntniss derselben zu liefern. Bei Nazir-Mahlc erweitert sich das Thal der Rakovica rjeka, gegen die Donau, zu ansehnlicher Breite. Vi St. östlich von dem Orte stiess ich auf das vom Dorfe Vitbol im Bogen herabkommende, eine kurze Strecke mit der Donau parallel laufende Vitbolflüsschen, das hier die Rakovica aufnimmt und unmittelbar darauf in die hier ziemlich breite Donau fällt. Bezüglich weniger Theile Ost-Bulgariens herrschte auf unseren Karten in topographischer Beziehung eine solch heillose Verwirrung, als auf dem zuvor geschilderten, so nahe am grossen Donaustrome gelegeneu Gebiete. Man muss v. Schcda's damalige Karte mit meinen Aufnahmen vergleichen, um daran zu glauben. Da erscheint neben einem selbständigen Flüsschen „Vidbok" (Vitbol) ein ziemlich grosser „Turnen", dessen Quellen bei demselben Orte Solas (Salas) entspringen, von dem in Wirklichkeit der südliche Arm des Aröer herabkommt. Neben dem fictiven „Turnen" gibt es ferner ein „Girce"flüsschen und an diesen fraglichen Wasseradern sieht man hier und da einige Dörfer, deren Namen gleichfalls fabulos sind. Die Orte Cipljane, Horito, Karaul, Kida, Kioj, Magale, Skclenkyoj, Cifa, Banovce und Säule kennt Niemand auf der Vidiner Terrasse. Streicht man -aber diese zehn fictiven Namen von Scheda's Karte weg, so bleibt um Vidin eine riesige Wüste! Auf der im scharfen Winkel von der Rakovica und dem Vitbol umflossenen Terrassenspitze fand ich Reste eines kleinen zweifellos römischen Castells, welches gleich allen ähnlichen Befestigungen an der Donau dem grossen nördlichen Vertheidigungslimes Mösiens angehört hatte. Dieser Punkt eignete sich trefflich zur Ueberwachung des jenseitigen dacischen, heute rumänischen Ufers. In der Folge mochte sich auf den in der Völkerwanderung zerstörten römischen Mauern ein byzantinisches Werk und noch später vielleicht auch ein bulgarisches erhoben haben; darauf deutet eine Sage hin, welche dessen Bau einer Schwester der Gründerinnen der Schlösser Kurvingrad und Vidin zuschreibt. Es war Mittag, als ich an diese baumlose Stelle kam. Die Sonne brannte heiss und gerne nahm ich die Einladung des freundlichen Öaus (Corporal) der dort lagernden 20 anatolischen Nizam-Soldaten an, nach dem sehr stark anstrengenden Marsche im Schatten seines Zeltes ein wenig des süssen Kefs zu pflegen. Bald sass ich auf dem von den Soldaten aus Römersteinen und aufgelegten Rasenstücken impro-visirten Di van, restaurirte mich mit Wassermelonen, Kaffee und obligatem Öibuk und blickte hinaus auf Vidins grellbeleuchtete weisse Mauern. Tiefe Ruhe lag auf seinem langgestreckten sumpfigen Glacis. Die Minaretspitzen hoben sich blendend ab vom tiefblauen Horizont und man vermochte beinahe die Mäste der vor Anker liegenden Schiffe zu zählen. „Seht Herr! lasst mich jetzt einen Schuss thun oder heute Nacht die Alarmstange anzünden und jene jetzt so ruhig aus- sehende Stadt mit ihrem Pasa und seinen Soldaten wäre in vollster Bewegung! Da liege ich aber bereits 3 Monate mit meinen Leuten, und hier wie auf der ganzen langen Cordonslinie ist nichts Verdächtiges vorgekommen. Ich wollte lieber, die Rebellen kämen herüber oder die Sache hätte sonst ein Ende, denn wir sterben auf diesem elenden Platze vor Nichtsthun und Langeweile." Der äusserst intelligente Öaus sprach die volle Wahrheit. Seit dem grossen, von Bukarest ausgegangenen Balkanputsehe 1867 war bis 1871 trotz aller das Gegentheil berichtenden Zeitungsreporter die Ruhe weder an der Donau noch im Balkan gestört worden. Der Sultan hatte den Bulgaren zugesagt, ihre Wünsche bezüglich eines selbständigen, vom bösen Einflüsse des Fanars befreiten Exarchats erfüllen zu wollen und der an einigen Orten aufflammende revolutionäre Geist war damit besänftigt. Nur von der Pforte selbst hing es ab, ihn ganz zu unterdrücken; aber nicht durch kostspielige Cordons und derlei Auskunftsmittelchen, sondern durch treue Erfüllung ihrer wiederholt den friedfertigen bulgarischen Unterthanen gemachten Verheissungen. Leider geschah dies nicht! Von dem kleinen Römercastell erreichten wir in Vi St. Vitbol. Die Poststrasse von Vidin nach Belograd6ik zieht mitten durch dieses bedeutende, sehr belebte Dorf. Vor seinen zahllosen grossen Hanen machen die bäuerlichen, nach Vidin zu Markte ziehenden Caravanen gewöhnlich zu einem letzten Trünke nochmals Halt Für die Wohlhabenheit des Ortes spricht seine neue, im Jahre 1863 vollendete Kirche, ihr Portal ist nach Cincarenweise reich decorirt und die Facade zeigt das von Ornamenten umrankte Wappen Serbiens. Dieser auffallende Schmuck entstammt jedenfalls nur einer Laune des Baumeisters und blieb unbeanstandet; denn weder Bulgaren noch Türken legten derlei Dingen besonderen Werth bei,* welche bei uns eine so grosse Rolle spielen. Das bunte Durcheinander von tscherkessisch-tatarisch-bulgarischen Wagen dies- und jenseits der breiten geländerlosen Vitbolbrücke lichtete sich ein wenig und wir konnten sie ungefährdet passiren. Am rechten Ufer des Flusses, der hier in schmaler Rinne ein stellenweise sehr gut cultivirtes Thal durchschneidet, ging es aufwärts. Allerorts zeigten sich die erwähnten Apparate, um das Wasser auf die Terrassen rechts und links zu heben, zahlreiche Viehherden tummelten sich auf den saftigen Matten umher, die hier und da in Mitte prächtiger Nussbaumgruppcn angesiedelten Mühlen schienen vollauf zu thun zu haben, und unter der Last des reichen Weinsegens ächzende Gefährte bildeten eine heitere, das Auge erfreuende Staffage. Bei Voinica verengte sich das Thal. Die Landschaft nahm einen ernsteren Charakter an und die immer höher ansteigenden Flussufer erschienen vielfach zerrissen. Vorspringende Kalksteinfelsen traten näher zusammen und wir durchritten eine Art Felscnthor von romantischer Schönheit; kaum verliessen wir aber seine westlichen Pylone, so nahm das Bild wieder einen freundlicheren Charakter an. Einladend blickte von einer Höbe das Dorf Mcdisovcc herab, dessen Lage wirklich reizend genannt werden darf. Mein Programm verlangte jedoch noch eine weitere Anstrengung an jenem Tage. Nach kurzer Rast im kleinen Dorfhai!, nebenbei bemerkt, einem der reinlichsten, die ich auf meinen Kreuz- und Qucr-zügen gesehen, zogen wir vorwärts in westlicher Richtung. Die Sonne hatte sich bereits lange hinabgesenkt, als wir die vom Horizonte scharf sich abhebende Silhouette des hochlicgenden Sadrca, des Zieles unserer nächtlichen Wanderung erblickten. Nach einigem Parlamentiren mit dem Corbasi (Dorfvorstehcr) und den herbeigekommenen Ortsältesten versuchten wir es, uns möglichst leidlich für die Nacht einzurichten. Es blieb beim Versuche. Mein Dragoman und Zaptie Ismacl hatten verschiedene Häuser des Ortes recognoscirt, aber keines war nach ihren Berichten besser als der elende Han, vor dem wir Halt gemacht hatten. Ich bcschloss also zu bleiben, Hess die ermüdeten Pferde absatteln und zog, wie gewöhnlich, die etwas über den Erdboden erhöhte hölzerne Veranda (Cardak) vor dem Hause, seinem nicht sehr reinlichen Innern vor. Geht man in der Türkei von der grossen Heerstrasse ab, so lernt man sich mit Wenigem bescheiden, etwas Heu, darauf eine Kautschuk-Decke und ein Mantel zum Einhüllen geben ein prächtiges Bett; Tschai (Thee mit Rum und Zucker), einige Eier oder ein Rest kalten Huhns sind ein treffliches, den Magen wenig beschwerendes Nachtessen, dem oft nur ein Stück schmackhaften Brodes fehlt, um die Fleischtöpfe der Heimath zu vergessen. Mein Pferdebursche Nikola hatte seine Thiere in einer stark verpalissadirten Hürde gut untergebracht. Die benachbarten Tscherkessen - Ansiedlungcn von Kula und Hamidieh mahnten nämlich zur Vorsicht. „Früher konnten wir unsere Pferde des Nachts auf der Weide frei umherlaufen lassen, jetzt aber ist kein Thier vor diesen Räubern sicher," meinten die Bauern und die guten Leute zündeten ein grosses Feuer vor meinem Cardak an, um bis zum anbrechenden Morgen als Wache vor demselben zu lagern. Unter ihnen befand sich ein noch vollkommen rüstiger Greis, der über 120 Jahre zählen sollte. Auf meine Frage: „Bist du wirklich so alt, wie deine Söhne behaupten?" gab er mir die merkwürdige Antwort: „Herr, ich war bereits verheirathet, als Pasvan Oglu Pasa von Vidin (der berühmte Janitscharen-Rebell gegen Sultan Selim III.) unser Herr war," und dies gab gewiss die beste Bestätigung. Der Alte erzählte mir noch viel vom einstigen alttürkischen Regiment, wie früher das grosse Dorf mit seinem ganzen Inhalte zur Verfügung des erstbesten durchziehenden Türken stand und wie glücklich sich seitdem das Loos der Rajah gestaltet hätte. Die jüngeren Männer erkannten dies wohl an, meinten aber: „Gott gebe, dass auch so Manches sich bald durch des Sultans Gnade ändere, was uns noch immer schlimm genug drückt." Unter klarem Sternenzelt, bei von den jenseitigen Vitbolhöhen herttbertönen- der Hirtenmusik, in welche sich das weniger melodische Brüllen weidender Büffel und Bellen wachsamer Hunde mengten, schlief ich, dank meiner Ermüdung, bald ein. Da weckte mich ein lauter Knall. Unwi 11kühdich, noch halb schlaftrunken, griff ich aufspringend nach meinem Revolver, ein Feuerstrahl zuckte vor meinen Augen nieder, ihm folgte unmittelbar ein betäubendes Krachen. Es war aber kein tscherkessischer Ueberfall. Ein furchtbares Unwetter hatte sich hart über unseren Köpfen entladen und sandte seinen feuchten Inhalt in Strömen nieder. Es war seit mehreren Wochen der*erste kühlende Regen. Dichter hüllte ich mich in meinen Mantel, suchte zunächst das schützende Hausdach und nachdem sich Natur und Menschen etwas beruhigt hatten, mein durch trockenes Heu bald ersetztes Lager wieder auf. Am nächsten Morgen zogen wir bei herrlichstem Sonnenschein in nordwestlicher Richtung gegen Kula (türkisch Adlieh). Es galt nun auch die Quellen des Vitbol genau festzustellen. Wir erreichten ihn unmittelbar vor dem Städtchen, von dem er gegen Öicil hinab flicsst und sodann unterhalb Medisovce ein kleines, von Brankovce kommendes Bächlein aufnimmt. Wir befanden uns hier auf einem der fruchtbarsten Punkte der grossen bulgarischen Donauterrasse, und wie oft früher, drängte sich mir erneuert der Gedanke auf: in welches Paradies könnten wohl europäische Ansiedler dieselbe verwandeln! Was Tataren und Tscherkessen hier gethan, geht wenig über den Gewinn des täglichen Brotes hinaus, der Boden erscheint überall mehr aufgewühlt, als gepflügt. Welch armseligen Eindruck machte Kula's Tscherkessenansiedlung und um wie wenig besser war dessen tatarisches Viertel, zu dem wir aus dem tiefen Einschnitte des Vitbols hinaufstiegen. Ich hatte genügend Zeit, diesen Betrachtungen nachzuhängen, während wir durch die langgestreckte Reihe der Tscherkessengehöfte, zwischen ihren mit faulendem Stroh gedeckten, halbverfallenen Häuschen hinritten. Selbst die hier und da in zerrissenen Kleidern auftauchenden Schönheiten aus dem Kaukasus vermochten nicht meinen stillen Hader mit dem zu jeder Colonisation und Administration im europäischen Sinne unfähigen Türkcnthum zu unterbrechen. Vom Städtchen Kula, welches ich später schildern werde, geht südlich eine ganz kleine Wasserader nach dem Vitbol; auf eine zweite, etwas grössere, stiess ich in SW. auf unserem Wege nach seinen nördlichsten, vom Kloster Sv. Troica herabkommenden Quellen. Nach einstündigem scharfen Ritte erreichten wir zunächst das wohlhabende Bulgarendorf Storopatica, dessen Bevölkerung wir auf den Tretplätzen mit dem Reinigen der eingeblachten Frucht beschäftigt fanden. Dieser Proccss vollzog sich in primitivster Weise. Das Getreide wurde mit breiten Holzschaufeln in die Luft geworfen, um die Spreu von den Körnern zu sondern. Mädchen, Bursche und Männer überboten sich dabei unter Gesang und Scherzen in der Entwicklung grosser Schwungkraft, welche ländliche Turnübung, wie ein mir gereichtes Stück Brot bewies, mehr der unbeabsichtigten Muskelstärkung als dem beabsichtigten Reinigungsproccsse des Getreides zu Statten kam. Eine einzige unserer Reutermaschinen hätte denselben jedenfalls in wenigen Stunden viel rationeller vollzogen. Unmittelbar lunter dem Dorfe trafen wir Weingärten mit wohlschmeckenden Trauben, welche von den arbeitsfaulen Insassen des nahen Tscherkessendorfes Hamidieh viel zu leiden hatten; die Storopaticer klagten, dass sie vorzeitig ernten mussten, um nur etwas Wein zu retten. Hier wie überall erschallte derselbe Jammer über dre Raublust der nunmehr glücklich verschwundenen Helden aus dem Kaukasus! Etwa 3/4 St. hinter Storopatica lugte das Minaret des verrufenen Tscherkessendorfes aus dem tiefen Vitboleinschnittc hervor. Von hier bis Sv. Troica begegneten wir keiner menschlichen Wohnung. Dichtes Laubholz zieht vom Kamme der serbisch-bulgarischen Grenzberge herab und bald traten wir in dasselbe. Eine Begegnung mit dem herumschwärmenden tscherkessischen Raubgesindel in dieser Waldeinsamkeit wäre mehr romantisch als erwünscht gewesen; als nun vollends die Nacht mit ihrer lautlosen Stille das Dämmerlicht des Abends ablöste, lauschten wir doppelt freudig den Tönen des Symantrons, das nach dem üblichen Herkommen zu Ehren unseres Einzuges im Kloster erklang. Nicht leicht kann man sich einen reizenderen Punkt zu beschaulichem Lehen denken, als diese der h. Dreieinigkeit geweihte Stätte. Kirchlein und Klostergebäude liegen still und traulich im dichten Verstecke und der schöne Wald hält jeden störenden Lärm so ferne, dass selbst das weltlichst gesinnte Menschenkind hier leichter die Einkehr in sich selbst finden musste. Die Mönche, welche diese kleine abgeschlossene Friedensoase bewohnen, sind jedoch nichts weniger als von heiligen Schauern und Wonnen, vom hehren Genüsse stiller Beschäftigung mit den Werken der Besten, die gefühlt und geschrieben, oder gar von krankhaftem Spiritualismus bewegt. Wie in Sv. Bogorodica würde man auch hier vergebens nach jeglichem Anzeichen occidentaler Bildung, z. B. nach Büchern, im Gemache des Hegumens suchen. Es war mir zur Nachtruhe angewiesen und ich konnte seinen Inhalt genau examiniren. Einige Heiligenbilder, Gewehre, Branntweinflaschen, Kleider, Patronen — welch letztere neben einem Beutel mit kleinen Geldmünzen unter dem wohl seit lange nicht gelüfteten Kopfkissen des mir abgetretenen Bettes lagen — das war Alles, was ich in der Zelle des Klosterabtes zu entdecken vermochte. Da kam er selbst, ein kleines bewegliches Männchen mit ergrautem Barte und überschwänglich demüthiger Geberde, dem aber trotz des Priesterkleides Alles zur Ehrwürdigkeit fehlte. Ihm folgte ein zweiter Mönch von geradezu abstossendem Cynismus in der äusseren Erscheinung, beladen mit Flaschen und gemeinschaftlich bereiteten Speisen. Dies waren die Verkttndiger des göttlichen Wortes im Kloster zur heiligen Dreifaltigkeit, welche ich ohne ihre Barte und geistliche Tracht niemals von rohen Gebirgshirten unterschieden hätte. Gegenüber der Ignoranz, der ethischen und physischen Unfläthigkeit dieser Mönche, sind jene Serbiens wahrhafte Muster klösterlicher Zucht und Bildung! Ich sah hier wieder eines der sprechendsten Beispiele, wie viel der hohe fanariotisch-griechische Clerus an dem Bulgarenvolke und seinen Priestern, welche er bisher regierte, gesündigt hatte. Nur auf die Zusammenraffung von Keichthümern bedacht, fand er nie Zeit die Gründung von Bildungsanstalten für die aus dem Volke hervorgehenden und mit diesem in engster Berührung stehenden Priester zu versuchen. Lange lag das einsam gelegene Kloster Sv. Troica gänzlich verödet, da kam vor etwa zehn Jahren ein speculativer Mönch und zündete das ewige Licht vor der ärmlichen Ikonostasis wieder an, die bäuerliche Nachbarschaft strömte herbei und der geistliche Unternehmer wusste das Klösterchen allmälig zu einer so einträglichen Rente zu steigern, dass er bald gegen 1500 Piaster (150 Gulden 0. W.) an Steuern, eine für jenes Land sehr grosse Summe, jährlich an die Regierung bezahlen konnte. Freilich sehr ungern. Als der alte Hegumenos hörte, dass ich den russischen Consul zu Vidin kenne, wurde er zutraulich, bat mich mit einem Winke meinen Begleiter zu verabschieden und schüttete nunmehr sein gepresstes Herz in einer Weise aus, die mir über seine letzten Hoffnungen keinen Zweifel Hess. Es wurde mir hier und noch oft später klar, welchen politischen Missgriff die Pforte durch die zuletzt eingeführte Besteuerung der Klöster begangen hatte. Der grossen Einfluss auf das Volk übende bulgarische Mönchsclerus wurde durch diese vielleicht tiscalisch gebotene Massregel jedenfalls noch mehr in die Arme Russlands getrieben. Rachgierig und habsüchtig, erbettelte und erwartete er nun noch sehnlicher von der Neva Geld, kostbare Kirchengeräthe, Messkleider und — die Erlösung von der Herrschaft der Moslims! Sv. Troica's Kirchlein bietet in baulicher Beziehung kein besonderes Interesse. Es gehört zu jener grossen Zahl durch ganz Bulgarien zerstreuter Capellen aus den letzten Jahrhunderten, wie ich sie zwischen dem serbischen Kablar und Ovöar gefunden und geschildert habe*). Des Kirchleins äussere Erscheinung ist nur durch eine kleine Kuppel ausgezeichnet, den wagrechten Sturz des niedrigen Portals ziert verwittertes byzantinisches Bandornament und einige Linieuverschlin-gungen en rclief; ein schlecht gemaltes Bild über dem Eingange zeigt den Pan-tokrator, den heil. Geist und Christus, die von Engeln begleitete Jungfrau Maria krönend. Durch die äusserst schmalen Fenster der Kuppel und Mauern dringt beinahe gar kein Tageslicht in das Inncrc des Schiffes. Seine Wände sind mit stark restaurirten Fresken bedeckt. Soviel ich bei dem ungenügenden Lichte einer dünnen Wachskerze unterscheiden konnte, sind dieselben eben so ktinst-*) Serbien. S. 149. Klinltl, DuNiui-r.ul/:inrii und der Balkan. 8 lcrisch werthlos, wie die Ikonostasis und alle übrigen Einrichtungsstücke. Auch die Rauchfässer, Lampen, Kerzenträger sind neu, von bizarrer, sonst aber ganz gewöhnlicher Cincarenarbeit. Nach Landesbrauch legte ich einige Geldstücke als Dank für die genossene Gastfreundschaft auf das zum Kusse bestimmte Heiligenbild des Schautisches. Der, wie ich höre, seitdem verstorbene alte Hegumenos bat mich aber noch einen Augenblick zu bleiben, hing sein Epitraehilion um und näselte ein Gebet für meine glückliche Reise her. Ich Hess es ruhig geschehen, sehnte mich aber fort aus dieser Höhle gröbster Unwissenheit! Wohler fühlte ich mich erst, als wir die finstere Klosterschlucht hinter uns, im raschen Ritte über die vom Morgenlicht geröthete Hochebene zur Vrska tuka-Karaula hinflogen, wo ich den Tag mit Aufnahmen verbrachte. Die vielen neu errichteten Karaule und Forts, mit welchen die Pforte in letzterer Zeit Serbien und Montenegro umsäumte, waren der sprechendste Ausdruck des geringen Vertrauens, welches sie ihren nächsten Nachbarn schenkte. Die zahlreichen klemen Befestigungen von der Sutorina bis zum Skutari-See rings um Montenegro dienten, gleich den Blockhäusern und Festen an der Morava, Drina, Toplica, Nisava und am Timok, als ebenso viele „Lug ins Land", welche jede Bewegung in den beiden jugendlich aufstrebenden südslavischen Militärstaaten sorgfältig überwachen sollten. Obschon ich die westbulgarische Donauterrasse zwischen dem Lom und Timok nach verschiedenster Richtung, unter allen Wettern und in wechselndster Stimmung durchschnitten hatte, war sie mir doch nie schöner als bei Halova, an jenem Abende erschienen, der sie mit köstlichsten Tinten des scheidenden Lichtballs vergoldete! Ich vergass Karaule, Türken, Serben, Crnagorcen und schwelgte im Anblicke der herrlichen, vom Timok durchglitzerten friedlichen Landschaft, bis die anbrechende Dämmerung mich zum Aufbruch mahnte. Am serbischen Quarantainethor der Vrska Öuka nahm ich von ihr Abschied. Bereits im nächsten Sommer 1871 studirte ich aber ihre Fortsetzung bis zur Jantra und kehrte mit einem unerwartet reichen Materiale glücklich heim, welches Europa mit den interessanten Gebieten Mittel-Bulgariens und dem Central-Balkan besser als bisher bekannt machen sollte. VI. UEBER VIDIN NACH RUSCUK. Reise-Ouverture 1871. — Landung zu Vidin.—Rumänischer Unions-Apostel aus Ungarn. — Scheitern seiner Mission. — Zwecklosigkeit der katholischen Propaganda. — Sturz Asiz Pasa's. — Agent v. Takacsy. — Herr v. Källay. — Akif und Hadzi Asiz Pasa's Wirksamkeit. — Der russische Consul Kira Dindjan. — Seine und Ignatieflfs Aufgabe. — Russische und französische Urtheile über die Rumänen. — Vergessener Lichtpunkt Vidin's. — Donaufahrt nach Ruscuk. — Dessen Lage. — Dampfer-Compagnie „Idariji nehrije". — Schiffs werfte. — Wirkung meines Fermans. — Hotel „Isle Hane". — Wesshalb keine deutschen Journale. — Oesterreichisch-Ungarisches General-Consulat. — Vali Omer Fewzi Pasa. — Schicksal seiner Reformpläne. — Eine neue türkische Karte. — Ethnographisches Gewirre am Donaukai. — Einwohnerzahl. — Physiognomie Alt- und Neu-Ruscuk's. — Consulate. — Der Vali-Seraiplatz. — Oeffentliche Gebäude. — Anstrich ä la franca. — Moscheen. — Kirchen. — Schicksal der neuen Glocke. — Action des russischen General-Consuls Masnin. — Sturz des Vali Rasim Pasa. — Streit zwischen Bulgaren und Griechen. — Mr. Flocken. — Amerikanische Bibel-Gesellschaft. — Irische Nonnen. — Bulgarische Bildungsanstalten. Buchhandel und Journale. — Kunstgewerbe. — Kaufläden. — Handel en detail und en gros. — Advocaten und Aerzte. — Klima. — Temperatur-Minima 1860—76. — Sommer-Ausflüge und Winter-Vergnügungen. — Ruscuk zur Römerzeit. — Schloss Hadzi Chalfa's. — Moltke über türkische feste Plätze. — Ruscuk in den türkisch-russischen Kriegen 1810, 1828—29, 1853—54. — Vergleich Ruscuk's mit Mainz. — Neue Be-festigungs-Projecte. — Ruscuk's Werke im Kriege 1877. — Seine Garnison. — Geschützkämpfe mit den russischen Batterien von Slobosia und Giurgevo. — Flucht der Civilbevölkerung während des Bombardements am 24. Juni. — Commundant Eschrew Pasa zur Verantwortung nach Stambul berufen. — Ersetzung durch Achmed Kaisserli Pasa. — Zerstörung der Dampfmühlen. — Ausfälle der Besatzung. — Grosse Zerstörung in der Stadt am 8. September. — Ereignisse im Oktober am Lom bei Ruscuk. — Suleyman Pasa ergreift dort die Offensive. — Verlustreicher Ausfall. — Rückzug der türkischen Operationsarmee. — Engere EinSchliessung der Festung. — Wechsel im Commando. — Erhöhung der Besatzung. — Uebergabe an General Todleben. — Zerstörte grössere Gebäude. — Russische Administration und Gerichte. — Türkische Emigration. — Grundpreise und Miethen. — Alte und neue Handelsfirmen. — Schulwesen während und nach dem Kriege. — Strasscn-Trottoirs und Neubauten. — Zukunft der Stadt. T Xm Sommer 1871 galt meine Forschungsreise dem Central- und West-Balkan, ferner den weiten Gebieten, welche ihm nach N. und S. vorlagern. So interessant die Reise-Ouverture Wien-Vidin, schenkte ich ihr diesmal geringere Beachtung und ich darf wohl auch hier über ihr scenisches und historisches Detail weggehen, da ich es in meinem „Serbien" und im I. Capitel dieses Bandes bereits zu schildern versuchte. Während wir auf der serbisch-romanischen Donau 8* hinfuhren, lag ich über meinem Routiers-Croquis in der stillen Cabine und mit allen Gedanken jener musisch-thrakischen Gebirgswelt zustrebend, deren uner-schlossene Geheimnisse mich seit Jahren magnetisch anzogen. Am 17. Mai landete ich in der alten Pasalikstadt Vidin, wo mein Dragoman zur voraus bestimmten Stunde sich mir anschlicssen sollte. Der Orientale ist aber nie pünktlich. Im letzten Augenblicke fand er, dass er noch dringende Angelegenheiten ordnen müsse, und dies zwang mich zu einer Pause in der mir genugsam bekannten unsympathischen Stadt. Wohl fehlten auch diesmal nicht angenehme Stunden im Hause meines langjährigen Freundes, Consuls Ritter von Schulz, und eben so wenig jene fremden Elemente, welche Vidin's gesellschaftliche Physiognomie periodisch interessant gestalteten. Einiger dieser Typen gedachte ich bereits, andere verdienen aber schon desshalb hier der Vergessenheit entrissen zu werden, da ihnen als Akteurs in dem grossen Intriguenspiel an der unteren Donau oft ganz merkwürdige Rollen zufielen. Da promenirtc beispielsweise unter dem Balcon meines Gastfreundes der walachische Pope Draxin aus Siebenbürgen. Was hatte der dakische Sprössling und römisch-unirte Geistliche im streng orthodox-bulgarischen Vidin zu schaffen? Sehen wir, und so unglaublich es klingt, bleibt darum nicht weniger wahr, was ich von unterrichteter Seite darüber hörte. Bekanntlich arbeitete die magyarische Staatspolitik im Banat und in Siebenbürgen seit langer Zeit jener Propaganda energisch entgegen, welche die Vereinigung sänimtlicher Rumänen in ein Gross-Dakisch-Rumänisches Reich anstrebt. Pope Draxin bemühte sich aber im Gegensatz nicht etwa aus eigenem Antrieb, sondern unter offizieller Aegide des jüngst verstorbenen römisch-unirten Grosswardeiner Bischofs Pop Szilägyi, seit 1869, die bei Vidin zwischen Donau und Timok wohnenden Walachen (S. 68) in den Strom der grossromanisch nationalen Bewegung hineinzuziehen. Schon früher, zur Zeit der kurzen ungarischen Herrschaft über die westbulgarische Donauterrasse (1365—1369) wurde die „Katho-licisirung" des Vidiner Umkreises versucht. Doch die durch König Ludwig d'Anjou mit Hilfe bosnischer Franciscaner theilweise gewaltsam durchgeführte Bekehrung dauerte nicht länger als die Epoche der Occupation. Nun sollte Pope Draxin unter ganz veränderten Verhältnissen den Versuch auf neuer Basis wieder aufnehmen. Unter dem vorgeblichen Aushängschilde, diese dem orientalischen Bekenntnisse angehörenden „schismatischen" Walachen der Union mit Rom zu gewinnen, verbreitete er unter ihnen eine ihrem Wortlaute nach höchst merkwürdige Proclamation, welche die noble Stammesverwandtschaft der Timok-Walachen mit Franzosen, Italienern, Spaniern, Portugiesen, sowie mit den jenseitigen Donau-Rumänen betonte und ihnen den Schutz des damals allmächtigen „Imperators" Napoleon, nebst jenem anderer lateinischer Potentaten verhiess. Vom Kaiser von Oesterreich und König von Ungarn, unter dessen Zepter zahlreiche Walachen einer höheren Cultur entgegenstreben, war aber in der bombastisch stylisirten Proclamation kein Wort zu entdecken. Und doch beanspruchte dieser Missionair die materielle Unterstützung Oesterreich-Ungarns und beschäftigte dessen Vidiner Consulat beinahe unausgesetzt mit der Schlichtung seiner tactlos heraufbeschworenen Händel. Bekanntlich kreuzen sich im Oriente die verschiedenartigsten Bestrebungen auswärtiger Staaten. Hier stand ich jedoch einer Action gegenüber, welche ich wohl begriffen hätte, falls sie vom Bukarester Metropoliten inscenirt worden wäre, für die mir aber, wenn ich Zweck und Auftraggeber, die ausführende Person, Terrain und Mittel ins Auge fasste, der Schlüssel geradezu unerfindlich war. Nur die gröblichste Unkenntniss orientalischer Verhältnisse konnte den Versuch zulassen, dem eigensten Staatsinteresse entgegen, viele Tausende walachischer Seelen mit dem Geiste des Romanismus zu erfüllen und andrerseits durch die Partheinahme des k. u. k. Consulates für eine höchst tactlose, die griechischorientalische Kirche beleidigende Propaganda, Oesterreich mit der Majorität der Bevölkerung, mit den Bulgaren und deren Clerus zu verfeinden! Was kümmerte es aber den „römisch-unirten" Bischof von Gross-Wardein, dass in Folge dessen sein „schismatischer" Bruder, der Erzbischof von Vidin es unterliess, dem österreichisch-ungarischen Consul den sonst üblichen Antrittsbesuch zu erstatten und dass die Mehrzahl der vornehmeren „schismatischen" Notabein der Stadt jede Berührung mit dem k. und k. Consul damals vermied. Begreiflich; zuerst die Kirche, dann allenfalls der Staat! — Und wie war der Missionair beschaffen, den Bischof Pop Szilägyi zur Arbeit im Weinberge des Herrn entsendet hatte? Ein Pope ignorantester Sorte, welcher ausser dem Walachischen keiner anderen Sprache mächtig, nicht einmal mit seinem eigenen Consul, viel weniger mit den türkischen oder bulgarischen Autoritäten ohne Dolmetsch verkehren konnte. Sein gleich würdiger Sohn und präsumtiver Gehilfe im Schulamte wurde aber, noch bevor er es antreten konnte, für Monate aller Wirksamkeit unfreiwillig entrückt. Er harrte in den Vidiner Casematten des Urtheilsspruches wegen eines Todtschlages, den er durch ungeschicktes Abfeuern von Pistolenschüssen zur Verherrlichung des Pfingstfestes auf dem neugeweihten katholischen Kirchenplatze begangen hatte! Von Leuten solchen Schlages durfte man wohl keine religiöse Propaganda mit geistigen Streitwaffen erhoffen. Da die feinen Unterschiede, welche das Schisma begründeten, gleich den Concessionen, welche Rom später den Bekennern der orientalischen Kirche gemacht, um sie wenigstens nominell zur Anerkennung des päbstlichen Primats zu bringen, den Herren Draxin Vater und Sohn sicher unbekannt. geblieben waren, suchten sie durch realistischere Mittel zu wirken, schadeten aber ihrer Sache auch auf diesem Wege, durch weitgehende Ueber- treibung. Leicht war es den der Union mit Kom sich zuwendenden Clicntcn, die Befreiung von Steuern, Stola- und anderen Gaben zu versprechen. Als aber die türkischen Stcuerpächtcr nach wie vor den Zehent cinhoben und der von dem hochehrvvürdigen Bischof von Gross -Wardein nahe mittellos auf den Schauplatz seiner propagandistischen Thätigkeit entsandte Pope Draxin Geld, unter dem Titel von Vorschüssen bei den neophytischen Dorfgemeinden zu borgen begann, da schmolz deren Reihe von Tag zu Tag, und die Zahl der Uebergetretenen war bald von vielen Tausenden auf wenige hundert Seelen herabgesunken; aber auch diese sollten der mit reichen Actionsmitteln arbeitenden russischen Gegenpropaganda nicht lange widerstehen! Vergeblich blieb des Popen Draxin weiteres Mühen, und wahrlich die später auf seine Vorstellungen von verschiedener Seite aus Oesterreich-Ungarn geflossenen Gelder hätten leicht daheim eine nützlichere Verwendung finden können, als zum ungeschickten Ankauf eines Kirchenplatzes zu Vidin, dessen Verbauung vom türkischen Gouverneur nachträglich aus strategischen Gründen verweigert wurde. Der Ausgleich dieser Angelegenheit, der gegen den Missionair eingeklagten Schulden und des durch Herrn Popen Draxin Sohn verübten Todtschlages — welcher von gegnerischer Seite als absichtlicher dargestellt wurde — raubte aber, was mehr zu bedauern, dem k. und k. Consul viel kostbare Zeit, die er im Dienste des österreichischen Handels u. s. w. wohl nutzbringender hätte verwerthen können! Wir sehen hier leider einen jener Fälle, wo man unbelehrt durch traurige Erfahrungen in alter und neuer Zeit, österreichische Gelder und Kräfte ganz fruchtlos auf unrealisirbare Zwecke vergeudete und aus totaler Verkennung der fac-tischen ethnographischen und religiösen Verhältnisse im Orient, einzig für den Car von Russland arbeitete. Ich erzähle hier nur eine Thatsache, ohne daran politische Rathschläge zu knüpfen. Den mit kleinlichen Mitteln der Routine arbeitenden Staatsmännern der alten Schule möchte ich aber doch bei diesem Anlasse meine wiederholt geäusserte Ansicht in Erinnerung bringen, dass der Moment, durch römisch-katholische Missionen an der unteren Donau zu wirken, längst vorüber sei. Im Jahre 1860, als die alles Maass übersteigende Bedrückung des Bulgarenvolkes, durch den ihm national ferne stehenden griechischen Clerus, es zur tiefgehendsten Opposition gegen das Constantinopler Patriarchat geführt, damals hätte höchst wahrscheinlich ein combinirtes Zusammenwirken der katholischen Mächte Frankreich, Oesterreich und Italien, mit, dem grossen Zwecke entsprechenden Mitteln, Resultate erzielen können, welche Russlands politische Bestrebungen an der unteren Donau leicht ernstlich durchkreuzt hätten. Oesterreichs Staatslenker waren jedoch zu jener Zeit allzusehr in italienisch-polnischdeutsche Händel verstrickt, die Ereignisse im J. 1866 hatten später.seine und Frankreichs Aufmerksamkeit noch mehr von orientalischen Vorgängen abgezogen; der bulgarisch-griechische Religionsstreit erhielt aber seitdem, nach allerlei Phasen, durch die Sanctionirung des bulgarischen Exarchats seinen Abschluss, ohne dass die Zahl der römisch-unirten Bulgaren erheblich gewachsen wäre. Die verschwindend kleine katholische Minorität auf Kosten der grossen zur orientalischen Kirche sich bekennenden Mehrheit der Bulgaren künstlich zu vermehren, sollte man aber Rom uinsomehr allein überlassen, als die letzten Jahrzehnte constitutionellen Regiments in ganz Mittel-Europa und auch in Oesterreich-Ungarn das Princip gereift haben, dass der Staat nicht dazu berufen sei, die Geschäfte irgend einer Kirche zu besorgen. Folgerichtig müsste dieser Grundsatz auch auf ähnliche Oesterreich-Ungarn comproniittirende Missionen ä la Draxin endlich Anwendung finden und sicher könnten alle Betheiligte, namentlich aber der Staat bei solch weiser Enthaltung nur gewinnen. Auch die österreichisch-ungarischen Consuln dürften den wegfallenden, viel und unangenehm sie behelligenden geistlichen Händeln kaum eine Thräne nachweinen. Gab und giebt es doch in den Vorländern des Bosporus stets auch weltliche Persönlichkeiten räth-selhaften Treibens, welche sie beschäftigen. Beispielsweise zur Zeit als Asiz Pasa Gouverneur zu Vidin war, landeten dort manch interessante Zugvögel in mysteriösen Geschäften, mit deren Kommen und Gehen der seinerzeit grosses Aufsehen erregende Fall des Pasa's nicht unbegründet in Beziehung gebracht wurde. Da Asiz' plötzlich erfolgte Abberufung auch die Bulgaren des Vidiner Mutessarifliks schwer berührte, will ich die interessanten Ursachen derselben hier erzählen. Ich lernte Asiz Pasa im Herbste 1870 kennen, zur Zeit als die politischen Wogen an der unteren Donau hoch gingen und der österreichisch-ungarische General-Consul zu Belgrad, Herr Benjamin von Källay, Vidin besuchte. Asiz machte auf mich den Eindruck eines höchst intelligenten, man darf sagen europäisch gebildeten Mannes, dem als ehrenvoller Ausnahme vom Gros gewöhnlicher, nur auf Füllung ihres Säckels bedachter Gouverneure, das Wohl des von ihm adniinistrirten Thciles Donau-Bulgariens am Herzen lag. Asiz' Berufung zeugte für Midhat's Scharfblick. Unter seinem strengen, aber gerechten Regimente athmete die Rajah des Vidiner Sprengeis freier als seit Jahrhunderten auf. Er hielt sich an den Buchstaben des Hat i humajuns und gedachte ihn — bis dahin unerhört — in seinem Mutcssariflik zu verlebendigen. In den Mcdjilis wurde die Gleichberechtigung zwischen Türk und Christ thunlichst eingeführt, Christen gelangten zu hohen Aemtcrn, die Einhebung des Zehents erfolgte in schonenderer Weise, die Errichtung von Schulen wurde warm empfohlen und der Bau von Kirchen ohne Schwierigkeit gestattet. Asiz' Lob ertönte allerorts. Die christliche Rajah pries ihn, nannte ihn „blgarska maika" (Mutter der Bulgaren); doch seine moslinischen Glaubensbrüder waren mit seinem Vorgehen wenig einverstanden, misstrauten ihm, schimpften ihn verächtlich den „Djaur Pasa" (Christen-Pascha), und begannen gegen ihn zu intriguiren. Man erinnerte sich in den Kreisen seiner Gegner, dass Asiz Pasa der alt-bulgarischen Familie „Sokolski" (Falke) entstamme — ein Mehemed Sokolovic war Eigcnthümcr des Dorfes Dragoman nordwestlich von Sofia gewesen —, verbreitete, dass Asiz, obwohl Moslim, doch geheim die Traditionen seines einst angesehenen Geschlechts bewahre, dass er dieselben gelegentlich eines Banketts zu Negotin im Kreise serbischer Functionärc betont hatte und mit Vorliebe bulgarisch spreche. Mit diesen, ich weiss nicht wie weit wahren Gerüchten motivirte man Asiz' rajah-freundliche, dem Tttrkenthum aber feindliche Haltung und zieh ihn zuletzt geradezu hochverrätherischcr Umtriebe gegen den Sultan. Eine Verkettung merkwürdiger Verhältnisse förderte die Plane seiner Feinde. Asiz pflegte nämlich vertraulichen Umgang mit einigen magyarischen Emigranten, welche trotz des Ausgleichs, von bevorstehenden Umwälzungen in Ungarn sprachen, für die Aufrichtung der Kossuth'schen Donau-Conföderation agitirten, und als Sendlingc des grossen Bukarester Revolutions-Comites galten. Damals hielt auch die junge ungarische Regierung in den wichtigsten Donaustädten neben den vom „gemeinsamen Ministerium des Aeussern" bestellten offieiellen Consuln, zu deren nicht besonderer Freude, eigene vertrauliche Agenten, so zu Vidin einen Herrn v. Takäcsy, mit dem Asiz auffallend viel verkehrte. Auch des Pasa's directe Correspondenz mit Herrn v. Källay zu Belgrad, sowie des letzteren Besuch zu Vidin wurden missdeutet. Verschiedenste Gerüchte schwirrten durch die Luft und während Asiz in seinem Pasaserai sich noch in vollster Sicherheit wähnte, fanden sie bereits ihren "Weg über Ruscuk nach Constantinopel. Namentlich zeigte sich die Gesandtschaft einer auswärtigen Nachbarmacht thätig, die Pforte über Asiz Pasa's vermeintliche Conspirationen aufzuklären, und bald glaubte, ja hielt man sich zu Stambul davon überzeugt, dass Asiz den Versuch seines berühmten Vorgängers Pasvan Oglu wieder aufnehmen wolle, der, wie ich im I. Cap. erzählte, nichts Geringeres als die Unabhängigkeit seines Vidiner Pasaliks von der Pforte angestrebt hatte! Nun war das Räthsel gelöset. Nur desshalb, um sich später zum „Kral" der Bulgaren aufzuwerfen, hatte Asiz so oft seine Provinz bereiset und sich mit allen cinflussreichen Personen derselben persönlich bekannt gemacht. Nur desshalb hatte er Strassen, Schulen und Kirchen gebaut und die Rajah so sympathisch behandelt. Nun war auch den, die Bequemlichkeit aufs höchste liebenden Moslims Asiz' früher unbegreifliche Sportpassion erklärt. Nicht die Lust am edlen Waidwerk allein hatte Asiz „Sokolski" (den Falken) so oft im strengsten Winter in die Berge von Berkovica und Vraca geführt. Sein Sinn strebte dort nicht allein nach Wolfs- und schwarzen Bärenfellen. Nein. Er ging in den Balkan, um dessen streitbare bulgarische Bevölkerung für seine verruchten Pläne zu gewinnen und mit ihrer Hilfe sich eines schönen Tages Insch-allah! zum „König von Bulgarien" zu proclamiren! Nun Alles so klar am Tage (!) wie des Propheten Sonne, war auch des Pasa's Sturz beschlossen. Welches Glück für ihn, dass die alttürkische „rothe Schnur" ausser Brauch! So begnügte man sich Asiz nach Con-stantinopel zur Verantwortung zu laden, wo er ohne Procedur seiner StaatswUrden entsetzt wurde und mit seiner Familie in grossherrliche Ungnade fiel. Mehr als anderswo ist aber in der Türkei Alles rund und im Herbste 1875 fungirte der Hochverräther Asiz wieder als Mutessarif zu Filippopel, wo die ausgebrochene bulgarische Bewegung zu Eski Sagra ihm viel zu schaffen gab. Zur zeitweiligen Beseitigung Asiz Pasa's hatte namentlich der auf Midhat und Sabri gefolgte Ruscuker Gouverneur Akif Pasa mitgewirkt. Die bulgarische Rajah hatte Asiz seiner Talente, Thätigkeit und Gerechtigkeitslicbe wegen in ihren Journalen laut zum Vali des Tuna-Vilajets verlangt. Möglich auch, dass Asiz, unstreitig der fähigste Beamte nach Midhat Pasa, diesen einflussreichen hohen Posten, anstatt durch Baksis, auf in der Türkei allerdings ungewöhnlichem Wege, durch die Sympathien der christlichen Bevölkerung zu gewinnen hoffte. Charakteristisch ist jedenfalls die Aeusscrung des in seiner einträglichen Stellung sich bedroht fühlenden Vali Akif: „ein Mann, der nach dem General-Gouverneurposten strebt, kann kein guter Kaimakam (Districtsverwalter) sein", und er handelte danach. Asiz löste ein Stocktürke im Amte ab. Hadzi Asiz Pasa, sein Nachfolger, war, wie schon das „Hadzi" verkündet, ein frommer altgläubiger Moslim und Mekkapilger, der keine fremde Sprache verstand und dem selbst der strenge Prophet keine Sympathien für das „Djaurenthum" (Christenthum) hätte vorwerfen können. Auch sein Polizeichef verstand nicht bulgarisch, dafür ärgerte er aber die reisenden Kaufleute mit Passplackcreien u. s. w. Die wenigen höheren bulgarischen Beamten der kurzen Midhat'schen Epoche, z. B. der bekannte Cankov, mussten durch allerlei Intriguen nun ihre Stellen räumen und bald war die letzte Spur des reform- und rajahfreundlichen Waltens Asiz Pasa's getilgt, dessen Name sich im dankbaren Andenken der Bulgaren erhalten wird. Zu den interessantesten Vidiner Persönlichkeiten, deren Bekanntschaft ich 1871 gemacht, zählte der russische Consul Kira Dindjan. Er stammt aus Bcss-arabien, kannte die Verhältnisse der unteren Donauländer genau und seine Wahl für diesen zum Thcil von Walachen bewohnten District Bulgariens zeigte, wie geschickt Russland seine Agenten mit Berücksichtigung ihrer speciellen Sprachkenntnisse, ihres Bildungsgrades u. s. w. zu verwenden versteht. Gewiss hätte Herr Kira Dindjan auf einem Consulsposten im westlichen Europa keine erhebliche Rolle gespielt. Hier zu Vidin zwischen Bulgaren und Walachcn war er aber ganz auf seinem Platze. Seine Allüren mochten wohl den ceremoniösen Osmanlis weniger fein, als jene seiner occitlcntalen Collegen erscheinen; er war aber auch nicht der Türken, sondern der Rajah wegen nach Vidin gesandt worden. Mit ersteren fertig zu werden, sie in geschickter Weise zu ködern, das ist nach russischem System Sache des Botschafters zu Constantinopel, und man weiss, wie geschickt dies beispielsweise General Ignatieff verstand; mit der orientalischen Christenheit hatten aber die russischen Consuln oft in ganz entgegengesetztem Sinne zu verkehren und dieser Mission widmete sich auch Kira Dindjan mit Erfolg. Bei dem Vidiner Bischöfe war er gut angeschen, die Notabein hielten stets Fühlung mit ihm und mit den Landleuten suchte er sie zu bewahren, indem er die Dörfer bereiste, Kirchfesten beiwohnte, Popen und Klöster beschenkte u. s. w. Im hohen Grade unterhielt es mich von Consul Kira Dindjan zu hören, in welch drastischer Weise er die erwähnten Bestrebungen der katholischen Missionäre Draxin und Sohn zu vereiteln suchte, wie er sich zu Pferde setzte, persönlich von Dorf zu Dorf ritt und durch seine überzeugenden „Gegenpredigten" die „bethörten" Walachen wieder „orthodox" machte! Wie sehr das russische auswärtige Amt Herrn Kira Dindjan's Talente und Eigenart zu würdigen versteht, zeigt übrigens dessen spätere Sendung nach Cernovic in die Mitte des österreichischen Ruthenenthums! Auf die Rumänen war der in mancher Beziehung höchst originelle Consul im Allgemeinen schlecht zu sprechen. Anderer Ansicht über ihre Zukunft war der vom französischen General-Consulat zu Ruscuk damals in temporärer Mission nach Vidin gesandte Mr. Champoison jr., ferner ein liebenswürdiger französischer Arzt in türkischen Diensten, welcher seinem russischen Freunde Dindjan sets opponirte. War letzterer Pessimist, so neigte der französische Doctor mehr zum Optimismus, ja er wollte im Mai 1871 noch immer nicht an die deutschen Siege vor Paris glauben und hielt das Ganze für einen Schwindel der „Prussiens". So wenig geordnet seine politischen Anschauungen, so musterhaft geleitet erschien jedoch sein am westlichen Kaiende gelegenes Spital. Hatte man sich durch den abscheulichen Schmutz der Gerberwerkplätze am Donauufer durchgearbeitet, wirkte es überraschend in Mitte des Vidiner Unflaths in ein mit europäischer Reinlichkeit gehaltenes, gut eingerichtetes Haus zu treten, welches lobenswerther-weise von der Stadt für unbemittelte Kranke aller Confessionen unterhalten wurde. Ich scheide hier von diesem im I. Capitel unerwähnt gebliebenen hellen Punkte Vidin's und von seinem oft höchst pittoreske Staffagen zeigenden Zigeunerviertel, durch welches unser Rückweg führte. Am Landungsplatze der Dampfboote erwartete mich mein Dragoman reisefertig. Der donauabwärts gehende Dampfer erschien in Sicht. Vom Deck aus freute ich mich des herrlichen Strombildes, das die blutgetränkten Kalafater Höhen begrenzten und der niedergehende Sonnenball mit den leuchtendsten Abendfarben in Gelb, Roth, Violett und Blau übergoss. Die Maschine arbeitete vortreff- lieh. Bald erschienen Vidin's weisse langgezogene Festungsmauern nur noch als hellblinkende, fadenartige, immer mehr und mehr sich verjüngende Linien. Endlich schwanden auch sie, Abenddunkel hüllte die Landschaft ein und die Flaggen fielen von den Masten. Drei Stunden darauf, landeten wir bei dem bereits geschilderten Lom-Palanka (S. 85). Heller Mondschein Hess mich die in weiter Ferne aufsteigende Silhouette des „Sv. Nikola-Balkan" erkennen. Des Nachts kamen wir an den Donauhäfen Rahova und Nikopoli, am Morgen an Svistov vorüber, Städte, die ich auf meiner Landreise später besuchen wollte. Erst am nächsten Vormittag erreichten wir Ruscuk, die „Tuna-Vilajet-Hauptstadt", welche sich uns als solche schon durch die am Landeplatze herrschende Lebhaftigkeit ankündete. Der Dampfer legte nahe den Quadermauern eines von Midhat Pasa vor Jahren begonnenen Kaibaues an, der noch heute seiner gänzlichen Vollendung wartet und welcher den via „Rusöuk-Varna-Railway" nach Constantinopel Reisenden gleich beim Betreten grossherrlichen Bodens das sprechendste Zeugniss türkischer Reform, des „Ueberau Beginnens und Nirgends Beendens", deutlich vor Augen führte. Bis der zweite Schiffplatz seinen pittoresken Inhalt unter Drängen und Lärm entleerte und die Reihe an uns Passagiere der ersten Cajtite kam, fand ich genügend Zeit, mich über die Lage der Stadt zu orientiren. Wie alle Hafenstädte Bulgariens, liegt auch das auf Midhat Pasa's Vorschlag zur Vilajetstadt erhobene Ruscuk an einem der zahlreichen Flüsschen, welche dem Nordhange der waldreichen Balkankette entfliessen und mit ziemlich streng eingehaltenem Laufe S. N. in die Donau münden. Der Lomfluss bespült jedoch nur den westlichsten Stadttheil, in dem sich grossentheils wasserbedürftige übelriechende Gewerbe: Schlächter, Gerber, Fischer u. s. w. angesiedelt haben. Rus-euks Centrum mit dem Palais des Gouverneurs, den Kasernen, Amtsgebäuden nebst dem von 29 Moscheen und 20 Minareten überragten Türkenviertel, erhebt sich aber etwas landeinwärts auf der hohen Uferterrasse. Von ihrem gegen die Donau jäh abfallendem Steilrande, blicken östlich vom Landeplatze einige zierliche Neubauten im europäischen Style, darunter das grosse „Hotel Isle Hane" und verschiedene Consulate mit von hohen Masten wehenden Flaggen freundlich herab. Rechts krönen ein neues zweikuppeliges Bad, eine Moschee und ein Fort, welches den Hafen bestreicht, alles mit Grün durchwachsen, die Lehne. Tief unten an der steil geböschten Lehm wand hart am Uferrande stehen aber beinahe ausschliesslich Handel und Verkehr vermittelnde Bauten, das Zollamt, Magazine, Werkstätten der Lohnwagenunternehmung „Sirket", dann Gebäude der österreichischen und türkischen Dampfercompagnien. Letztere, die „Idariji nehrije", eine Gründung Midhat's, zählte 7 Dampfer und einige Transportschiffe, sollte jedoch Dank der lüderlichen türkischen Wirthschaft, schmählich enden. Die äussersten Etablissements bilden der V* St. östlich vom Landeplatze entfernte Rusöuk-Varna- Bahnhof, dann westlich an der Lommttndung eine kleine Schiffswerftc mit Hafen flir Segel- und KriegsschifTe. Sie liegen hart unter den Kanonen des von diesen beiden Endpunkten landeinwärts sich fortsetzenden, die ganze Stadt umschlicsscn-den Walles. An der Donau war er jedoch bis auf geringe Beste verschwunden. Midhat Hess dort mit der ihm eigenen Energie einen ganzen Stadtthcil nieder-reissen, neue Strassen nach dem Centrum eröffnen, den bereits gedachten Kai beginnen, und wäre er länger Vali geblieben, ich glaube, Ruscuk hätte in kurzer Zeit, unterstutzt durch seine herrliche Lage, alle Emporien an der unteren Donau an Schönheit Ubertroffen. So vermag es aber was Architektur, Pflaster, Beleuchtung und Reinlicheit betrifft, weder mit Giurgevo, noch mit dem jungaufstrebenden Belgrad zu wetteifern, es gleicht heute einer Frau, welche durch Schminke und Pflästcrchen vergebens über ihre Hässlichkeit zu täuschen sucht. Nicht ohne einigen Schmerz nahm ich auch diesmal Abschied von dem österreichischen Dampfer, dessen behaglichen Comfort ich nun für lange Monate mit den Unannehmlichkeiten des Reisens in einem beinahe culturloson, für Fremden-empfang gar nicht eingerichteten Lande vertauschen sollte. Zum mindesten Hess sich der Beginn gut an. Mein riesiger, der Constantinopler Kalligraphie zur Ehre gereichender sultanlicher Ferman, den ich durch geneigte Verwendung der k. u. k. Botschaft von der hohen Pforte erhalten, flösste den zahlreich an der Landungsbrticke Hecke bildenden, Teskereh (Pässe) heischenden Polizisten heilsamen Respect ein und in wenigen Minuten gelangte ich unbelästigt von den* auf Gelderpressung abzielenden Förmlichkeiten türkischer Zöllner in das ganz hübsch eingerichtete „Isle Hane Hotel", welches Ruscuk gleich seiner Strassen-beleuchtung mit Petroleumgas, seinem Lohnfuhrwesen u. s. w. ebenfalls Midhat's Reformeifer verdankt. Das Hotel besitzt im ersten Stockwerke einen grossen Saal, der im Winter zu Reunionen, Bällen, zur Aufführung von Operetten, Schau-, Lustspielen u. s. w. benutzt wird. Im Speisesaale des Erdgeschosses fand ich zur „table d'höte" und „ä la carte" gedeckt, ein „Büffet" mit ungarischen und französischen Weinen, ferner einige griechische, französische und bulgarische Blätter, merkwürdigerweise aber kein deutsches Journal. Ich rügte dies, da Reisende aus Deutschland hier zahlreich passiren. Der freundliche Wirth entschuldigte sich aber mit dem schlauen Complimente, dass wir Deutschen gewöhnlich mehrere Sprachen und zum mindesten französisch lesen, dies aber bei anderen Nationalen äusserst selten der Fall sei, was ihn zwinge auf deren Zeitungen zu abonniren. Aus dem Speisesaal trat ich in den von einem alten ungarischen Emigranten mit Sorgfalt gepflegten Garten. Er bietet eine prächtige Aussicht auf das jenseitige niedrige rumänische Lehmufer bis nach Giurgevo und seine lang gestreckten, von schmalen Donauarmen durchzogenen Wiesenflächen, über die riesige Schwärme von Sumpfvögeln wolkenartig hinflogen. Ich durchschritt das O%BP 14 73771093053055 B+:++/C 34 Gartenthor und stand hart vor dem Flaggenstocke, der für die etwa 300 Seelen starke österreichisch-ungarische Colonie eine für türkische Polizei und Gerichte unnahbare Schirmstätte bedeutete. Einige Schritte weiter, und ich begrüsste im damaligen General-Consul, Ritter v. Wohlfarth, einen alten Wiener Bekannten, bei dem es nicht erst einer offieiellen Empfehlung bedurfte, um mir dessen freundlichste Unterstützung meiner Reisepläne zu sichern. Begleitet von dem äusserst zuvorkommenden Kanzler Baron Gödel-Lannois, machte ich zunächst dem Vali Omer Fewzi Pasa meinen Besuch. Ich war dem Gouverneur durch seinen ehemaligen Professor an der k. Wiener - Neustädter Militärschule, gegenwärtigen k. k. Feldzeugmeister Ritter von Hauslab empfohlen und fühlte im warmen Empfange, welch treues Andenken Omer Fewzi seinem einstigen Lehrer bewahrt hatte. Ich traf den Vali noch jung im Amte, voll guter Vorsätze und Pläne. Ich werde an geeigneter Stelle von türkischer Administration und speciell über jene des Ruscuker Vilajets sprechen. Schon hier möchte ich aber eine Bemerkung betonen, die sich mir lebhaft während meiner Unterhaltung mit dem Gouverneur aufdrängte, dass nämlich durch den steten Wechsel der hohen Functionaire und Beamten selbst ein gesünderer Staat als die Türkei seine allmälige innere Zersetzung und Auflösung hätte finden müssen. Ich empfand, dass Omer Fewzi ungeachtet seines kurzen Aufenthalts in der Donauprovinz es dringend fühlte, wie sehr Midhat's lobenswerthe Reformen der Vervollständigung bedurften, die auf allen Gebieten angebrochen, auf keinem aber auch nur zu einem einigermassen befriedigenden Abschlüsse gebracht worden waren. Omer Fewzi liebte die Arbeit und gedachte dem vernachlässigten Bulgarien ein treuer Verwalter und Entwickler seiner brach liegenden Naturschätze zu werden. Er schilderte eine ganze Reihe von Entwürfen für Strassen- und Eisenbahnbauten, welche er durch den preussischen Ingenieur Julius ausführen lassen wollte. Zur Ausbeutung der Kohlenwerke bei Travna hatte er bereits Schritte bei einem Con-sortium zu Frankfurt a. M. gemacht, auch Schulen, Handel, Gewerbe u. s. w. wollte er zu heben suchen; doch fühlte er schon damals sichtbar das neuerdings Uber ihm und seinem Vilajet schwebende Damoclesschwert. Wirklich wurde Omer Fewzi noch im Herbste desselben Jahres nach Candia versetzt und es kam als neuer Vali Rasim Pasa, ein Mann der selbst das Wenige was sein Vorgänger angeregt, bald zu ewiger Ruhe einsargte. Omer Fewzi Pasa nahm als ehemaliger Zögling der Wiener-Neustädter Militär-Akademie ganz besonderes Interesse an den geographischen Arbeiten, welche ich in seiner Provinz auszuführen gedachte, und beauftragte den Ingenieur Julius mich aufs Beste zu unterstützen. Dies geschah von Seite dieses Herrn und seines polnischen Hilfsarbeiters Menejko iu liebenswürdigster Weise. Die Herren zeig-teu mir eine auf Midhat's Anordnung roh entworfene Karte des Vilajets in un- geheurem Maassstabe. Bei näherer Prüfung ergab sich jedoch, dass sie nur eine Vergrösserung der alten Kiepert'schen Karte vom J. 1853 mit allen ihren Irr-thümern war, und die wenigen von einzelnen Ingenieuren eingetragenen Strassen-tracen erwiesen sich, soweit ich sie auf dein von mir zwischen Timok und Lom bereisten Gebiete controliren konnte, als höchst leichtsinnig eingezeichnet. Trotzdem nahm ich mit des Pasa's Erlaubniss einige Copien von Strassenzügen des Vilajets. Später fand ich allerdings Ursache die aufgewandte Mühe zu bedauern, denn das Detail Hess mich überall im Stiche und nützte mir nur so weit, dass ich über die Hauptpunkte orientirt war, welche Midhat's Strassennetz verband. Unter Ruscuk's etwa 23,000 Seelen zählender Bevölkerung befanden sich 1874 nach türkischen Quellen in runden Zahlen beiläufig: 10,800 Türken, 7700 Bulgaren, 1000 Juden, 800 Armenier, 500 Zigeuner und 1000 türkische Soldaten; ferner an Fremden: 800 Walachen und Serben, 300 Oesterreicher und Ungarn, 100 Griechen, 100 Deutsche, Engländer, Polen, Russen, Italiener u. s. w., welche als Nationale oder Schutzbefohlene den fremdländischen Consulaten unterstanden. Oesterreich - Ungarn hält hier ein General-Consulat, ebenso Russland; England, Frankreich, Italien und Griechenland besitzen effective, Deutschland, Spanien, Belgien und die Niederlande nur Honorar-Consulate. Angesehene Kaufleute bewarben sich gerne um solche Ehrenposten, weil der Consulstitel und das an ihrer Hausfacade angebrachte Wappenschild des fremden Staates sie gegen die Vexa-tionen des eigenen schützten. An Sonn- und Festtagen, wenn alle europäischen Functionaire flaggten, erfüllte den Fremden in Mitte der asiatischen Rechtslosig-keit ein eigenthümliches Gefühl der Beruhigung! Da ich 1868 die Valistadt nur flüchtig kennen gelernt, suchte ich diesmal das Versäumte gründlich nachzuholen. Auch Ruscuks Hauptreiz ist, gleich wie bei allen türkischen Städten, wenn man von ihrer oft malerischen Lage absieht, mehr ethnographischer als architektonischer Natur. Man kann sich stundenlang unter den Zeltdächern der kleinen Kafee's am Donaukai, eine Cigarette oder Wasserpfeife schlürfend, bei billigem Moka, Sorbet, Dulcas u. s. w. am verschiedensprachigen, bunten Menschengewirre ergötzen und oft ganz interessante Einzelzüge beobachten; mit der Besichtigung der Monumentalbauten ist man jedoch sehr bald fertig. Consul Lejean zog eine Parallele zwischen dem einstigen und neueren Ruscuk, die sich zu einer Apotheose des letzteren gestaltete. Um wie viel weniger musste demnach das alte occidentalen Ansprüchen an die Hauptstadt einer Provinz von der Ausdehnung manches deutschen Kleinstaates genügt haben! Europäischen Anstrich zeigen selbst heute und auch da nur, wenn man auf eine Musterung des Einzelnen verzichtet, zwei bis drei Strassen, darunter jene, welche zum Varnaer Bahnhofe führt. Sie liegen im Stadttheile, wo das christlich-fremdländische Element vorwaltet. Im türkiseben Stadttbeile verdiente nur das Gouverneurs-Palais einige Beachtung. In seinen vorspringenden Flügeln und in den Gebäuden des angrenzenden Hauptplatzes der Stadt waren die Bureaus, Gerichte, die Druckerei des offieiellen Provinzblattes „Tuna", nebenbei bemerkt das einzige Journal im ganzen Vilajet, ferner das Polizei-, Post- und Telegraphenamt, dann die Gefängnisse untergebracht. Hechts vom Serai steht das Amt der Municipalität, links das Waisenhaus „Isle hane" und gegenüber eine weitläufige Infanterie- und Cavallerie-Kaserne. Mehrere Minarete, welche diese Fronten überragten, gaben dem Platze sein pittoreskes Aussehen, von einer festgegliederten, europäischem Maassstabe entsprechenden Architektur war jedoch bei allen erwähnten Bauten, kaum eine Spur zu entdecken. Des Reformators Midhat Pasa's Wille, dem sie grossentheils ihre Entstehung danken, war meist besser als ihre überstürzte Ausführung und nur wenige zeigten ein dauerhaftes Material, trotzdem es ganz nahe bei Ruscuk in Menge vorhanden. Bei den meisten Gebäuden bröckeln bereits die aus schlechtem Mörtel gezogenen Gesimse ab, und da an ihre Ausbesserung nicht rechtzeitig gedacht wird, dürften sie bald Ruinen sein. Wir stehen auch hier einem der vielen lobenswerthen Versuche des talentreichen, jungtürkischen Staatsmannes gegenüber, welcher orientalischen Geschmack mit occidentalem Wesen zu verschmelzen versuchte, ein Problem, das aber aus tiefer liegenden Ursachen im Kerne scheitern musste, und darüber täuschten weder die Risse verhüllende Tünche der Bauten, noch die im schwarzen Reformrock ihnen gravitätisch zuschreitenden beamteten Effendis oder die Uber den Platz ä la franca hinrasenden Fiaker den prüfenden Forscher. Von den 29 Moscheen erschien mir die „Hunkiar oder Bairakli dzami" (Eroberer- oder Fahnen-Moschee) als die architektonisch bedeutendste. Auf ihr wurde die Mittagsflagge aufgehisst; als älteste galt, wie schon ihr Name besagt, die „Eski dzami", die einst gleich dem „Teke des Hudir Baba" dem Ritus der „Dzenevis" (Genueser) gedient haben soll. Diese Tradition scheint bezüglich der „Eski dzami" unbegründet; denn der berühmte türkische Topograph Hadzi Chalfa erzählt, dass Sultan Suleyman sie erbaute; Baki Pasa stiftete eine andere Moschee und ein Besestan (Bazar), Martesa Pasa restaurirte aber das Schloss. Von letzteren beiden Bauton ist kaum eine Spur zu finden. Die Bulgaren besitzen zwei Kirchen, von welchen die St. Georgskirche die ältere ist, obwohl ihr architektonisch ganz unbedeutender Oberbau erst aus dem J. 1840 herrührt. Die jüngere vor hundert Jahren erbaute Sv. Troica-Hauptkirche steckt damaliger Uebung gemäss tief in der Erde, sie hat etwas kellerartiges, ist jedoch geräumig und ziemlich reich ausgestattet. Bekanntlich wurde im Pariser Friedensvertrage der Rajah als unverbrüchliches Recht zuerkannt, bei ihren Kirchen Thürme anbringen und deren Glocken läuten zu dürfen. Auch zu Ruscuk hatte ein Comite die Anschaffung einer Glocke glücklich zu Stande ge- bracht, welche 1871 mit Zustimmung des toleranten Vali Omer Fewzi Pasa feierlich geweiht wurde. Als jedoch der Gouverneur bald darauf eine kurze Heise ins Innere machte, ersuchte der ihn vertretende Kadi (Oberrichter) die bulgarische Commune alles Glockengeläute zu unterlassen. Omer Fewzi gestattete es nach seiner Rückkehr wohl wieder; das Vorgehen des Kadi wirft jedoch ein grelles Schlaglicht auf die Gerechtigkeitsliebe des moslimschen Richterstandes, der, mit Koransgeist durchtränkt, grossentheils sehr fanatisch gegenüber der Rajah sich benahm. Die Glockengeschichte von Ruscuk ist aber noch nicht zu Ende. Auf Omer Pasa folgte Rasim Pasa, ein geborner Christ, der um sein Glück zu machen mit 22 Jahren zur Lehre Mohammeds übertrat. Als Grieche und Moslim hatte er doppelt wenig Grund die von ihm gehassten Bulgaren zu schützen, und wahrscheinlich um seinen Eifer für den Koran auffallend zu bezeugen, ertheilte er nach seinem Amtsantritte sofort der bulgarischen Kirchengemeinde die bestimmte Weisung ihre Glocke nicht weiter zu läuten. Dieser Vergewaltigung laut proclamirter Rechte und Auflehnung gegen den Hat i humajun suchte der Vorstand der bulgarischen Gemeinde durch wiederholte Petitionen und Proteste zu begegnen. Als sie jedoch fruchtlos sich erwiesen und vom Vali einfach unter das „minder" (Sitzkissen, welches bei den Türken die Stelle unseres Papierkorbes vertritt) gesteckt wurden, als selbst die persönlichen Vorstellungen des russischen General-Consuls Masnin unbeachtet blieben, da ergriff dieser eines Sonntags das drastische Auskunftsmittel die Glocke auf eigene Gefahr durch seine russischen Kavassen läuten zu lassen. Diese hatten sich bewaffnet; denn man glaubte, dass der Pasa wahrscheinlich dem kühnen Wagnisse mit Polizeigewalt umsomehr Einhalt gebieten werde, als die fremden Consuln ihren „schismatischen" Collegen in dieser Angelegenheit nicht unterstützten. Rasim war über das freche Beginnen des „inoskov" wohl erzürnt, begnügte sich jedoch mit einem neuen Verbote und berichtete nach Stambul. Aber auch der russische Consul hatte nach Constantinopel geschrieben und General Ignatieff Hess Herrn Masnin, der ebenso wie Consul Kira Dindjan zu Vidin im Geiste russischer Traditionen gehandelt, nicht im Stiche und Rasim Pasa war kurz darauf nicht mehr Vali des Tuna-Vilajets. Sein Sturz wurde als ein Triumph Russlands gefeiert und die Glocke seitdem anstandslos geläutet. Wohl verkauften einige moslimsche Fanatiker ihren Besitz in. der Nähe der Kirche, was die Bulgaren wenig grämte, während der grössere Theil der türkischen Bevölkerung sich allmälig an die verhassten Glockentöne gewöhnte. Ruscuk's christliche Gemeinde bewahrte dem energischen russischen Consul ihre Sympathien, und dieser lohnte sie wieder durch sein inniges Verhältniss zum bulgarischen Clerus, mit dem Abfeuern von 21 Schüssen durch seine Kavassen am Cyril-Methodijtagc und anderen Liebesdiensten. Die Spaltung zwischen Bulgaren und Griechen äusserte sich auch zu Ruscuk durch eine 1873 thätlich zum Ausbruche gelangte Fehde, sowie durch die vollkommene Sonderung der griechischen Minorität, welche ein zu Ostern 1872 geweihtes Kirchlein sich erbaute. Auch die Katholiken besitzen seit 1858 ein solches, dessen Seelsorge von einem Passionistenpriester versehen wird, der dem Bukarester katholischen Bischöfe untersteht. Der evangelische Cultus zählt gleichfalls in Ruscuk mehrere Bekenner. Längere Zeit residirte hier Mr. Flocken von der amerikanischen Bibel-Gesellschaft zur Bekehrung aller Secten, und ein Missionär des Londoner Juden-Bekehrungs-Vereins, welcher neben der propagandistischen, wenig resultatreichen Aufgabe eine erspriesslichere humanitäre erfüllte; denn die Missionsschule für Knaben und Mädchen wurde als die beste der Stadt betrachtet und selbst von bulgarischen Kindern zahlreich besucht. Das Gleiche Hess sich leider nicht von der jungen katholischen Schule behaupten, um deren Gründung sich Herr General-Consul v. Wohlfahrt ganz besonders bemühte. Zuerst wollten die Beiträge nicht reichlich fliessen, 1871 betrugen sie nur 150 Dukaten, grossentheils von den Israeliten gewidmet; der hohe Clerus gab aber merkwürdigerweise gar nichts und wollte trotzdem der Schule den römisch-katholischen Stempel aufdrücken, wogegen die Spender sich natürlich verwahrten. Später wurde sie durch aus Irland herbeigezogene Nonnen geleitet und von 23 Knaben und Mädchen verschiedener Nationalität besucht. Auch die Schulen der Bulgaren standen nicht auf besonders hoher Stufe, obwohl man sich eifrigst bemühte sie entsprechend zu entwickeln. Neben zwei Volksschulen, welche gewisserniassen mit den beiden Kirchen materiell verbunden waren, da sie aus deren Einkünften erhalten wurden, besass die Gemeinde eine vierclassigc Bürgerschule, an welcher 7 Lehrer wirkten, ferner eine Mädchenschule mit 3 Lehrern und einer Lehrerin. Von grossem Nutzen für die Hebung der Volksbildung war die Danov'sche Buchhandlung, aus welcher zahllose Schul-, Lese- und Bildungsbücher, Karten u. s. w. in das Innere abströmten, dann eine zweite von Momcilov. Ein Journal „Uciliste", didaktischen Inhalts, wurde durch denselben bulgarenfeindlichen Vali Abdur Räch man, der im J. 1873 zu Nis meine Reise durch Verhaftung unterbrach, verboten. Dieser Revolutionsriecher ging so weit, die Cigarrettenpapiere, welche ein industrieller Bulgare zu Tirnovo mit unschuldigen bulgarischen Reimsprttchen fabricirte, zu eonfisciren; 1874 wurde er aber plötzlich seines Postens enthoben, weil er sich dem österreichisch-ungarischen General-Consul Montlong gegenüber ungebührlich benommen hatte. Nahe den Buchläden stiess ich auf einen deutschen Photographen, der recht Tüchtiges leistete. Nächst diesen Wissenschaft und Kunst zu Ruscuk vertretenden Geschäften erregen das Interesse des Fremden zahlreiche primitive Kunstgewerbe, welche auf Plätzen und Strassen frei betrieben werden. Kunitz., I v 111.111 1 *■ 1111* ■ 11 h■ n und der Bulkun. U Besonders anziehend und durch ganz Bulgarien berühmt sind die Ruseuker schwarzen Thongefässe von reizenden Formen, mit aufgelegten Silberverzierungen; namentlich verweilte ich gerne im Laden eines älteren Moslim, welcher mit seltenem stylistischen Formgefühle die zierlichsten Näpfe, Zuckerdosen, Tabaks-büchsen, Pfeifenköpfe u. s. w. auf der denkbar einfachsten Drehscheibe schuf. Er wusste die Ornamente immer am richtigen Orte anzubringen, ohne jede Ueber-ladung, mit feinstem Tacte, wie er bei occidentalen Handwerkern nur selten zu finden ist. Leider zählte Abdullah unter seinen Collegcn bereits zur Ausnahme, der europäische Import veranlasste sie zu Experimenten, die den originellen Reiz ihrer Miniaturkunstwerke erheblich beeinträchtigten. Hiervon mehr, sobald ich von bulgarischer Kunst und Gewerben eingehender sprechen werde. Unferne der „Töpferstrasse" fand ich eine Gasse, in der blos Tischler und Wagner arbeiteten. Man begegnete hier wunderlichsten Möbeln, grösstentheils aus weichem Holze mit bunter Bemalung, und konnte sich bei einiger Phantasie das Haremlik türkischer Schönen leicht vorstellen. Hier wurden auch Spielsachen für Kinder verfertigt; sie sahen roh und possirlich genug aus, und ich glaube, dass sie schwerlich sonst wo in Europa Käufer angelockt hätten. Wie sollte sich aber der Formensinn bei einem Volke auch entwickeln, dessen Religionslehre das Nachbilden der menschlichen Gestalt auf das strengste verbietet! Der Eingang heidnischen Götzenthums in den strengen Monotheismus wird wohl dadurch erschwert; doch entspringt daraus der empfindliche Nachtheil für des Islams Bekenner, dass sie von einem grossen Gebiete der schönen Künste ausgeschlossen, auch in dieser Richtung nicht in die Bestrebungen der europäischen Völker eintreten können und durch solche Schranke noch mehr von ihnen getrennt werden. Die Metall- und Silberschmiede Ruscuk's stehen weit hinter jenen Vidin's und Nis's im Rufe, doch fertigen auch sie manchen das europäische Auge anziehenden Gegenstand, z. B. die verzierten runden und palmettenartigcn Gürtelschnallen, dann Arm- und Ohrringe für Frauen der ländlichen Umgebung. Die kleine und grosse Bazarstrasse im Centrum der Türkenstadt zeigen an gewissen Tagen ein starkes Verkehrsleben. Landleute, welche ihre Cerealien, Gemüse, Thiere u. s. w. verkauft haben, strömen in die bunt ausgestatteten bulgarischen Gewölbe, von welchen einige lockende Auslagen im europäischen Style zeigen. Am stärksten ist unter den Gewerben jenes der Verfertiger türkischer Schuhe und Kleider vertreten. Man sieht ganze Reihen von Läden mit gelben und rothen Pantöffelchen für türkische Damen, dann schwarzen Schuhen für die männliche Bevölkerung von Stadt und Land. Die auffallende Grösse der letzteren wird durch die dicken buntgemusterten Strümpfe der Käufer bedingt. Zahlreiche Ser-madzi's (Gold- und Silbersticker) steppen reiche Verzierungen auf die Kleider alttürkischer und bulgarischer Facon. Das Uhrmacher-, Kürschner- und Sattler- gewerbe, sowie die Anfertigung verschiedener Webewaaren, Waffen u. s. w. wird gleichfalls von den Einheimischen schwunghaft betrieben. Artikel europäischen Brauchs und Schnittes werden aber ausschliesslich von Fremden erzeugt oder importirt, welche sich in der Valistadt vorübergehend oder dauernd niedergelassen und es manchmal zu nicht unerheblichem Wohlstande gebracht haben. Man trifft zahlreiche mit europäischen Luxuswaaren ausgestattete Läden, darunter Filialen renommirter Wiener Kleider- und Schuhfabriken. Der en gros Handel mit Landes-producten bildet nahezu ein Monopol der Eingeborenen. Als Unternehmer oder Pächter der Ruseuker Apotheken, Gasthöfe, Fuhrwerke u. s. w. treten grösstentheils Fremde auf. Neben vielen armenisch-griechisch-walachischen Kurpfuschern und Rechtsverdrehern, mit meist selbst fabricirten Diplomen, besitzt Ruscuk aber auch einige Aerzte und Advocaten, welche gründliche Studien im Auslande gemacht haben. Ich erwähne hier den seither gestorbeneu Dr. Grun, der mir 1872, als ich fieberkrank war, beste Dienste leistete. Die rationell gebildeten Aerzte werden von den Einheimischen wenig aufgesucht, denn abgesehen von türkischem Fatalismus und bulgarischer Sparsamkeit ist Ruscuk's Klima ein vortreffliches. Das Minimum der Temperatur beträgt nur ausnahmsweise — 18°, das Maximum (im Schatten) selten mehr als + 31 °R.*). Ruscuk's Glanzpunkt bildet seine herrliche Umgebung. Wasserfahrten nach dem gegenüberliegenden Giurgevo, Ausflüge zu Wagen und zu Pferde in das herrliche Lomthal, nach den Obst- und Weingärten von Kule und Basarbova bilden die Hauptvergnügungen der Ruseuker occidentalen Gesellschaft. Sie wechseln im Winter mit Soireen und Bällen in den Consularkreisen, mit theatralischen Productionen zu wohlthätigen Zwecken und musikalischen Genüssen verirrte* Concertisten oder wandernder böhmischer und ungarischer Musikanten. Letztere spielten auch im Sommer in den Erholungsgärten, welche die speculativen Oesterreicher Hallenstein und Riegler vor einigen Jahren mit gutem Erfolge in unmittelbarster Nähe des Bahnhofes etablirten. Allmälig gewann selbst der jüngere Theil der bulgarischen Bevölkerung Geschmack an diesen Vergnügungen; die Menge horchte aber an Sonntagen draussen vor der Hecke auf grünem Plane dem Klange der Musik, da die Genüsse innerhalb der schattigen Räume ihr viel zu theuer erschienen. Die Aussicht von den hochgelegenen Punkten ist herrlich, und wenn die „haute societe", Consuln, türkische Beamte und Officiere an diesen Orten sich *) Nach den Aufzeichnungen der meteorologischen Station im öst.-ung. Gcneral-Consulate betrugen y.u Uuscuk die Minima im Durchschnitte: 1BU0. Jäner — 13,B° R. In Sulina betrug das Minimum 1870. Winter 1860. „ 1867. 1870. Fcbcr 1874. Jäner ihr Rendezvous gegeben, die Musik Straussischo Walzer und Quadrillen spielte, wähnte man sich ferne von der halb orientalischen Valistadt. An der den revetirten Wallgraben tiberbrückenden „Stambul kapia köprüsti" erinnern wir uns, dass Ruscuk zur langen Liste türkischer Donaufestungen zählte. Schon zur Römerzeit bildete Ruscuk eine der befestigten Mansionen des grossen mösischen Donaulimes. Von seinem östlichsten Hauptplatze Durostorum (Silistria) zeigt die Peut. Tafel stromaufwärts die Orte Tegulicium, Nigriniana, Transmarisca und Prisca. Die Entfernung dieses letzteren, vom Itin. Ant. Serantaprista, von der Not Imp. Seragintaprista, bei Ptolemäus Priste Polis genannten Ortes mit 73 Mill. von Durostorum, fällt auf Ruscuk. Prista hatte also zweifellos hart am Ausflusse des Lom gestanden, dort wo heute die meisten römischen Funde gemacht werden. Noch zuletzt grub man nordwestlich vom Konak eine Inschrift in 2 Met Tiefe aus, andere wurden bereits früher hier aufgefunden und pub-licirt*). Auch Kiepert setzte dieses nicht unbedeutende Prista an die Lommündung, sein Name mochte von Pristis, einer Gattung Flussschiffen herrühren; Mannert vermuthete scharfsinnig, dass hier die untere römische Donauflottille stationirte, wo bis zuletzt noch türkische Kriegsdampfer ankerten. Zu Prisca lag die V. Co-horte der LEG. I. ITAL. und eine Abtheilung Reiter als Besatzung. In den Völkerstürmen zerstört, erhielt Prisca-Ruscuk erst in neuerer Zeit wieder Bedeutung, seit die Türken es zu einer ihrer Hauptniederlassungen an der Donau erhoben. Nach dem türkischen Geographen Hadzi Chalfa**) besass Ruscuk früher ein befestigtes Schloss, das Murtesa Pasa erneuerte. Ich glaube, dass es auf dem Punkte der heutigen Quarantäne nahe dem Dampfboot-Landeplatze stand, wo noch heute Reste alter Mauern zu sehen sind. Graf Moltke schilderte die türkischen festen Plätze an der Donau und See-küste in treffendster Weise: „Ihre Befestigung ist nach europäischen Begriffen sehr armselig. Ein bastionirter Hauptwall mit geringem Commandement und ohne Aussenwerke, trockene Gräben mit revetirter Escarpe und Contreescarpe, aber von geringer Tiefe und Breite, Linien, welche enfilirt und oft in grosser Nähe dominirt sind, reichliche Vorräthe an Lebensmitteln, Pulver und Waffen, zahlreiches Geschütz, gänzlicher Mangel an gemauertem Hohlbau und ein durch Häuser aus Fachwerk und Lehm sehr beengter innerer Raum sind die Eigentümlichkeiten, welche wir fast tiberall wieder finden"***). Ruscuk's Festungswall zählte seit langer Zeit nächst 5 steinernen Thoren, 16 Bastionen mit je 5—12 Geschützen. Letztere waren stets von verschiedenstem Kaliber, und der an der Donauseite theilweise zerstörte Wall wurde gegen S. von *) Mommsen, C. I. L. III. **) Rumeli und Bosna, übersetzt von Hammer. Wien, 1812. S. 43. ***) Moltke, Der russisch-türkische Feldzug 1828 u. 1829. Berlin 1845. S. 48. nahen Anhöhen beherrscht. Im Jahre 1810 hatte Ruscuk den ersten Angriff der Russen unter Graf Nikolaus N. Kamenski auszuhalten; trotzdem es sich tapfer wehrte, musste es doch nach der Niederlage des türkischen Entsatzheeres beim nahen Batin capituliren. Vor der im nächsten Jahre erfolgten Räumung schleifte Graf Kutusoff Rusöuk's Werke. Obschon sich die Vernachlässigung der türkischen Donauplätze auch 1828 und 1829 rächte, traf das Jahr 1853 alle und so auch Ruscuk in beinahe vertheidigungslosem Zustande. Erst in letzter Stunde griff man zu Spaten und Schaufel, um die dominirenden Höhen nothdtirftig mit fünf detachirten Erdvverken zu krönen. Zweifellos figurirten im türkischen Kriegsbudget bedeutende Posten für verschiedene Festungsbauten; doch durften es nicht türkische Pasa's sein, sollten die Gelder nicht in andere Canäle fliessen. Die Unterlassungssünden des türkischen Gouvernements wurden aber gewöhnlich durch die heroische Vertheidigung aufgewogen, und viele Donaufestungen leisteten schon 1829 den Russen einen Widerstand, welcher an Saragossa erinnerte! Als die Russen im Mai 1828 den Feldzug gegen die Türkei eröffneten, galt es ihr Occupationscorps in der Walachei und deren reiche Vorräthe gegen die Streifzüge aus den bulgarischen festen Donauplätzen sicher zu stellen. Das mit dieser Aufgabe betraute VI. Corps unter General Roth stiess anfangs auf geringen Widerstand. Erst am 2. Juni setzte eine geringe Zahl Türken von Ruscuk nach Slobozia Über, ein beträchtlicher Trupp Infanterie mit Cavallerie stiess aus Giurgevo zu ihnen und es kam zu einem Gefechte, welches die Türken zum Rückzüge zwang. Am 3. Juli wiederholte die Garnison der beiden Plätze mit 1000 Mann Infanterie, 2000 Reitern und 7 Geschützen den Ausfall, wurde jedoch abermals von General Roth geschlagen, und fortan hielt sich Rusöuk's Besatzung ruhig hinter den Wällen. Das erste Feldzugsjahr 1828 schloss bekanntlich mit dem Verluste Ostbulgariens und Varna's für die Türken ab; Silistria, Sumla und Ruscuk-Giurgevo waren jedoch in ihren Händen geblieben. Als der neue Generalissimus Reschid Mehemet Pasa im Mai 1829 bei Pravadi von den Russen geschlagen worden war, plante er mit Hussein Pasa von Ruscuk eine gemeinsame Unternehmung gegen dieselben. Während der Gross-Vezier gegen General Roth bei Kozludza am 28. Mai mit 40,000 Mann vordrang, sollte Hussein eine Diversion von Ruscuk in der Richtung auf Silistria machen, um General Diebitsch dort festzuhalten. Es fehlte jedoch an präcisem Zusammenwirken und beide Operationen blieben erfolglos. Reschid wich gegen Pravadi zurück und Hussein wurde im Augenblicke, als er merkwürdigerweise das bulgarische Landvolk zu einer Art Landsturm gegen die Russen vergeblich aufbieten wollte, durch General Kreutz von Kaorga her mit 8 Bataillonen, 12 Escadronen und 12 Geschützen bei Razgrad angegriffen, gegen Tutrokan abgedrängt und nach einem unglücklichen Gefechte seiner Nachhut, zur Rückkehr nach Ruscuk ge- zwungcn, womit dessen kriegerische Rolle bis zum Adrianopler Fricdensabschlusse ausgespielt war. Bereits im I. Cap. berührte ich die Episode der Besetzung und Vertheidigung walachischer Donaupunkte, welche dem eigentlichen Kampfe am Pontus 185,1-54 vorausging. Nicht viel günstiger als der Angriff auf die berühmte Position Kalafat-Vidin, gestaltete sich das Vorgehen der Russen im Spätherbstfeldzuge 1853 gegen Giurgevo-Ruscuk. Wohl gelang es ihnen bereits im November die Türken zur Aufgabe der von Omer Pasa besetzten Donauinseln zwischen beiden Städten zu zwingen, erst im Februar 1854 konnten sie aber Giurgevo, dessen Werke kurz zuvor verstärkt worden waren, nach heftiger Gegenwehr der Besatzung nehmen und dort einen bedeutenden Belagerungspark etabliren. Ein späterer Angriff auf Ruscuk selbst wurde von den Türken energisch zurückgewiesen, ungeachtet die Befestigung seiner Donaufronte Alles zu wünschen übrig Hess, ihre Werke ent-mantelt und die Geschütze, im Ganzen 200 Kanonen von geringer Tragweite, in weit vorgeschobenen Erdwerken vertheilt waren. Oesterreichs diplomatische Intervention machte der russischen Occupation der Fürstenthttmer ein Ende und am 22. August rückte Omer Pasa von Ruscuk über Giurgevo in Bukarest ein. Die Lage von Ruscuk-Giurgevo wurde vielfach mit jener von Mainz und Castcl verglichen, doch ändern die zwischen ersteren liegenden Inseln hier die Situation insoferne, als ihr Besitzer des Gegners Position mit seinem Feuer bestreichen kann. Nach einer Mittheilung der Wiener „Presse" vom 1. September 1874 sollte Ruscuk bereits in jenem Jahre mehrere detachirte Forts und Kasernen für 6000 Mann erhalten. „Ich zweifle nicht — schrieb ich 1875 —, dass zu Stam-bul Aehnliches beabsichtigt, vielleicht auch befohlen worden ist, doch warten wir den Fortschritt der Arbeiten ab; in der Türkei geschieht allerdings Vieles, leider aber grösstentheils nur auf dem Zeitungspapiere!" In der That, als Russland im April 1877 der Türkei den Krieg erklärte, befanden sich Ruscuk's Werke in einem wenig Respect einflössenden Zustande. Nur die unerhört grossen Frühjahrswasser wehrten den Russen die Valistadt und die andern vernachlässigten türkischen Donaubollwerke rasch wegzunehmen. Die Elementarereignisse Hessen der Pforte hinlängliche Zeit Silistria, Nikopoli, Vidin, namentlich aber Ruscuk stark zu befestigen, das, weil auf der Hauptverbindungslinie der Invasionsarmee liegend, hohen strategischen Werth erhielt. Die Stadt wird eng umfasst vom Hauptwalle mit 4 Landfronten, welche 10 Bastionen zählen, von der Wasserfront mit 2 Bastionen und 4 zwischen letzteren vorspringenden Batterien. Wichtiger als diese mit Graben und Contre-Escarpen versehenen älteren Werke sind die auf den Höhen angelegten detachirten Forts aus den Jahren 1829 und 1854, welche 1877 im letzten Augenblicke rationell verstärkt wurden. Es sind die vierseitige geschlossene „Lom tabbia" zur Sperrung der Svistover Strasse, die „Levant tabbia"/ ein geschlossenes Viereck mit 4 Bastionen an den Diagonalpunkten, welches die Sumlaer Strasse deckt, und das die Stadt, sowie ihre Umgebung, weit hinaus dominirende höchstgelegene, mit gemauerter Escarpe und Contre-Escarpe versehene Kronwerk „Ejub tabbia" auf dem Sari bair (Gelber Berg), das nur durch eine förmliche Belagerung zu nehmen war, dessen Fall aber auch jenen von Ruscuk bedeutet hätte. Alle diese und einige andere Vorwerke, darunter 2, östlich vom Bahnhofe, Giurgevo hart gegenüber liegende, wurden grösstentheils mit weittragenden Krupp'schen Geschützen armirt. Die Besatzung war alhnälig auf 17000 Mann gebracht worden, musste jedoch am 5. Juni 5 Bat-taillone nach Tutrokan und am 6. Juni weitere 6 für Nikopoli, Rahova und nach Plevna abgeben, in dem Unruhen ausgebrochen waren. Im Mai und Juni bonibardirten die Russen wiederholt Ruscuk, um die Aufmerksamkeit von ihrem in Vorbereitung begriffenen Uebergange bei Svistov abzulenken. Auch die Demonstrationen des XI. Corps am linken Donauufer hatten denselben Zweck. Das heftige Feuer am 24. und 25. Juni aus 8 Batterien beschädigte die Stadt ungemein stark, es gab dort 80 Todte und Verwundete, auch wurde ein türkischer Dampfer in den Grund gebohrt. Eine heftige Panik ergriff die vom Muschir Eschrew Pasa in Sicherheit gewiegte Bevölkerung, als die russischen Projectile ihre Häuser in Brand steckten. Alles flüchtete in heilloser Verwirrung nach Öcrvenavoda und suchte von dort, mittelst Bahn und zu Wagen, Razgrad oder Sumla zu erreichen. Nachdem die Russen östlich von Svistov die Donau überschritten, wendete sich das ihren linken Flügel bildende XII. Armeecorps gegen Ruscuk, die Vorhut strich bis Tetova, unterbrach den Bahnverkehr, musste sich aber bald, von den vorbrechenden Türken gedrängt, auf das Gros zurückziehen. Erst nachdem das XIII. Corps in der rechten Flanke das linke Kara Lomufer bei Ajaslar besetzt hatte, vermochte das XII. Corps, unterstützt durch die Batterien von Slobozia, welche Ruscuk heftig beschossen, am 22. Juni sich erneuert in seinem Vorterrain zwischen Pirgos und Damogila festzusetzen. Am nächsten Tage zwang das wirksame Feuer der russischen Uferbatterien auch die gegen Slobozia vorgegangene türkische Flottille zur raschen Umkehr; ihr Versuch Sachovsky's XI. Corps am Uebergange bei Pirgos zu hindern, war vollkommen gescheitert Die nahezu ohne jeden Widerstand vollzogene Ueberschreitung der Donau durch die russische Centrum-Armee verursachte zu Constantinopel grosse Aufregung, man berief den als unfähig erkannten Eschrew Pasa vo\ ein Kriegsgericht und übergab Ende Juli den Befehl über das Ruseuker Corps und die durch eine Torpedolinie bei Parapan schon früher lahm gelegte Flottille, deren Com-mandant Dilaver Pasa gleichfalls entsetzt wurde, dem alten Achmed Kaisserli Pasa. Am 14. August gelang es den russischen Batterien bei Slobozia 8 Dampf- mühlen in Ruscuk zu zerstören und die Einstellung« seines Feuers zu erzwingen. Am nächsten Tage richtete es aber um so grössere Verheerungen in Giurgevo an. Am 16. Juli folgte ein Ausfall gegen die russischen Vortruppen auf dem rechten Lomufer bis Dolab, das Gefecht ging bis über Basarbova hinaus, endete jedoch mit der Zurückweisung der Türken und Vertreibung der Tscherkessen und Basibozuks aus Öervenavoda und Jenidzeköi. Am 30. Aug. erfolgte ein neuer Ausfall, um die Offensivbewegung des Ober-Commandanten Mehemed Pasa gegen das Centrum des Grossfürst-Thronfolgers zu unterstützen. Die Action glückte insofern, als Jovan Öiftlik erstürmt, Buzisna und Krasna genommen, die Belagcrungsarbeiten dort zerstört und 3 Geschütze und mehrere Gefangene erbeutet wurden. Die Russen verloren 500 Mann, verliessen Öervenavoda und damit war die Verbindung Ruscuks mit Sumla wiederhergestellt. Am 5. Sept. versuchte Achmed Kaisscrli mit 17 Bataillonen eine Diversion, welche Mehemed Ali seine neue Vorwärtsbewegung bei Kacelevo am Lom erleichtern sollte, und stürmte im ersten Anlaufe das von einer Brigade und 12 Escadronen des XII. Corps vertheidigte Kadiköi, musste es aber bald wieder räumen. Durch die glücklichen Gefechte bei Ajaslar, Kara Hassanköi, Kacelevo und Kadiköi (20. Aug.— 5. Sept.) drängte Mehemed Ali die Russen allmälig auf das linke Lomufer zurück. Um ihrem linken Flügel (XI, XII, XIII Corps) die Befestigung seiner neuen Stellungen am rechten Banicka Lomufer zu erleichtern, beschossen Slobozia's und Giurgevo's Batterien in der Nacht vom 7. zum 8. Sept. abermals Ruscuk, wodurch 150 Häuser zerstört, die Werke jedoch wenig beschädigt wurden. Am 11. Sept. bombardirte ein Ruseuker Monitor Giurgevo, am 14. drangen Tscherkessen von der Festung gegen Pirgos vor und zerstörten den Feldtelegraphen zwischen beiden Donauufern. Der mit den Operationen am Lom unzufriedene Constantinopler Sriegsratk übertrug dort das Commando, unter seiner eigenen Oberleitung, an denselben Suleyman Pasa, dessen Unthätigkeit am Balkan Mehemed Ali an einer erfolgreichen Offensive verhindert hatte. Schon Ende September musste Ali seinen Rückzug antreten, des Thronfolgers linker Flügel folgte ihm und Suleyman, der am 4. October zu Razgrad eintraf, vermochte dessen allmäliges Vordringen nicht zu hindern. Am 7. und 8. Oct. kam es bei Kadiköi und Kosovo zu heftigen Vorpostengefechten. Vom 2 f. bis 24. October besetzte das XII. Armeecorps, gemeinsam mit anderen Abtheilungen, das ganze untere Lomgebiet bis Nisova und Kostanca und begann Ruscuk, in dem Achmed Kaisserli noch immer über 10,000 Mann mit 24 Feldgeschützen befehligte, von der Bahnlinie abzuschneiden. . Am 7. Dez. erschien Suleyman Pasa zu Ruscuk, um persönlich einen kräftigen Vorstoss gegen den, wie er irrig annahm, geschwächten linken Flügel des Carevlc zu unternehmen. Unterstützt durch einige Demonstrationen bei Popköi überschritt Suleyman am 11. Dez. den unteren Lom bei Krasna. Die Russen r waren durch Telegramme in englischen Journalen auf diese gegen sie geplante Offensiv-Unternehmung vorbereitet. Wohl gelang es Suleyraan's rechter Flügel-Colonne am Morgen des 12. Dez. die Verschanzungen bei Pirgos zu erstürmen, allein trotz aller Bravour waren die Angriffe seines Centrums auf die russische Hauptstellung zwischen Mecka und Damogila, welche das XII. Armeecorps unter dem Grossfürsten Wladimir vertheidigte, vergeblich. Die Türken drangen bis auf 80 Meter an die feindlichen Jägergräben vor und theilweise in dieselben ein. Da erschien aber rechtzeitig der Careviö mit der 35. Division vom XIII. Armeecorps zwischen Kosova und Damogila in Suleyman's linker Flanke, der nun im Rücken bedroht, persönlich den allgemeinen Rückzug auf das rechte Ufer des vereinigten Lom befahl. Anfangs ging er in guter Ordnung, zuletzt aber, als die russische Cavallerie energisch nachdrang, bei den Brücken von Kosova und Krasna in ungestüme Flucht Uber. Suleyman Pasa selbst entging nur durch das kaltblütige Feuer seiner Artillerie der Gefangennahme durch die einstürmenden Kosaken. Die beiden Tage kosteten den Russen etwa 800, den Türken aber 2000 Soldaten — ein grosses, ganz nutzloses Opfer, da Plevna zwei Tage zuvor, am 10. Dez., bereits gefallen war. Nach diesen entscheidenden Schlägen zog die Pforte ihre Feldarmee aus Donau-Bulgarien auf die Südseite des Balkans zur Deckung der auf Constantinopel führenden Strassen. Nur die Besatzungen der Festungen blieben zurück. Kais-serli Pasa's Corps wurde zu Ruscuk's wirksamer Vertheidigung bis 20. Dez. auf 20,000 Mann verstärkt, welche sofort daran gingen, die alten Verschanzungen am unteren Lom durch neue zu vervollständigen und mit von Sumla und Varna herbeigeführten Geschützen zu armiren. Suleyman eilte nach Constantinopel; man war auf allen Punkten des grossen nordbulgarischen Festungsvierecks zur Defensive Übergegangen. Russischerseits dachte man aber nunmehr ernstlich daran, sich der festen Donauplätze zu bemächtigen. Die Aufgabe Vidin zu nehmen, war den Rumänen allein zugefallen (Cap. I); das am 20. Jäner vom XII. Corps gegen W. und S. bereits cernirte Ruscuk sollte aber durch die von Razgrad herangezogene 35. Infanterie-Division vollkommen eingeschlossen und nach dem Eintreffen des Belagerungsgeschützes wirksam angegriffen werden. Letzteres langte Ende Jäner zum grossen Theil an. Der an des alten Kaisserli Pasa's Stelle getretene neue Commandant bereitete sich vor, mit seiner reorganisirten Garnison dem zur Leitung der Belagerung eingetroffenen Todleben tapferen Widerstand zu leisten; ehe es aber neuerdings zum blutigen Ernste kam, erfolgte der Abschluss des Adrianopler Waffenstillstandes am 31. Jäner, welcher die Räumung des fortwährend vom linken Donauufer bombardirten Ruscuk's verfügte. Letztere verzögerte sich, weil der Commandant die Ermächtigung zur Uebergabe durch ein specielles Fetwa des Sultans verlangte, bis zum 21. Feber, an dem General Todlehen unter dem Jubel der bulgarischen Bevölkerung seinen Einzug in die stolze Feste und Tuna Vilajet-Hauptstadt hielt. Durch das russische Bombardement hatten namentlich Ruscuk's türkische und armenisch-jüdische Stadttheile stark gelitten, aber auch die bulgarischen wurden arg mitgenommen. Von wichtigeren Gebäuden sind zerstört worden: der grosse Vali konak mit dem Harem, seinen Stallungen u. s. vv., die ihm gegenüber liegende Moschee, das anstossende Telegraphenamt und Waisenhaus Isla haue, welches zuletzt als Militär-Hospital diente; der auf demselben Platze stehende Mutessarif konak brannte zwei Tage vor dem Einzüge der Russen ab und etwa 30 Häuser in seiner Umgebung wurden unbewohnbar. Stark beschädigt wurden: das türkische Mauthgebäude, die beiden bulgarischen Schulhäuscr, die Hotels der Consulate von Oesterreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich und England, die katholische Kirche und Schule, das Arsenal und mehrere Gebäude in der Nähe des Eisenbahnhofes, wo die Batterie III. placirt war, dann einige Moscheen und die meisten Minarete. Die von den Russen sofort nach Ruscuk's Besetzung dort eingerichtete Administration gleicht beinahe vollkommen der zu Vidin näher geschilderten (S. 39); doch befindet sich hier auch ein „Komerc sud" (Handelsgericht) für Processe zwischen Ausländern und Einheimischen mit einem Präsidenten und zwei Beisitzern, zu welchen zwei andere, von dem bezüglichen Consul gewählte Votanten hinzutreten; ferner ein Hafencapitäusamt und Quartier-Cömmissariat. Im „Okrusnji saviet" (Kreisrath) erhielt der Metropolit berathende Stimme, und als Richter in Eheprocessen zwischen Moslims fungirt der Kadi. Auch zu Ruscuk wurden die Stellen des Kreispräfekten, Polizeimeisters und Gouverneurs (zuletzt General Akimoff) mit Russen besetzt und der Vice-Gouverneurposten einem Bulgaren, dem bekannten Patrioten Balabanov anvertraut, der ihn aber bald, wegen ausgebrochener Misshelligkeiten mit seinen russischen Collegen, mit einer Stelle zu Sofia vertauschen musste. Von den während der Schrecken des Bombardements und nach Ruscuk's Capitulation fortgewanderten Muhamedanern ist der wohlhabendere Theil grösstentheils zurückgekehrt. Der Häuser- und Bodenwerth sank dadurch und auch desshalb nicht so wie zu Vidin, weil das Einströmen fremden Capitals mit Sicherheit erwartet wird. Aus dieser Ursache zögern die mit der Wendung der Verhältnisse unzufriedenen, emigrationslustigen Türken mit dem Verkaufe ihrer liegenden Güter und halten dieselben hoch im Preise. Schon gegenwärtig haben die Miethzinse und Häuserwerthe eine erhebliche Steigerung gegen früher erfahren. Unter dem Einflüsse der russischen Occupation hat sich namentlich der Ruseuker Import auch bedeutend erhöht. Die Haupteinfuhrartikel sind: Mehl, Zucker, Kaffee, Wein, Bier, Spiritus und Eisenwaaren; die Hauptexportartikel blieben; Häute und Felle. Das grösste Droguengescliäft heisst: V. Cano, die bedeutendste Eisenfinna: II. Radiev, sonst giebt es nur wenige einheimische en gros Kaufleute. Im Gefolge der Russen kamen jedoch viele ausländische Speculanten, von welchen die kleineren Droguisten, Wirthe u. s. w. wohl wieder mit dem Aufhören der russischen Occupation abziehen werden; einige grössere ungarische Weinfirmen wie: Jälics et Cie., Flandorfter, Pälugjay, ferner die Dreher'sche Bierbrauerei, Siglitz, Vertreter eines Reimser Weinhauses, Gebr. Schmidt's Mehldepot u. A. dürften jedoch weiter fortbestehen. Unter dem russischen Provisorium erfuhr das Zoll-, Post- und Telegraphenwesen wohl einige Verbesserungen, doch bleibt der bulgarischen Regierung auf diesen Gebieten viel zu thun, um sie gleich vertrauenswürdig wie die noch immer von den Kaufleuten mit Vorliebe benutzte österreichisch-ungarische Post zu gestalten. Auch das gesammte Steuerwesen bedarf gründliche Reformen. Da der Rusöuker Handelsverkehr gegenwärtig grossentheils auf Zeit- und Epochengeschäften beruht, entbehrt er der Stabilität; hierzu kommt auch, dass in Folge des in Rumänien herrschenden Disagio's der russischen Silbermünzen, in den bulgarischen Donaustädten ein 12°/0 Goldcours entstand, welcher auf den Detailhandel nachtheilig wirkt, weil hier die meisten Zahlungen in Silber erfolgen und die Waaren um jene Goldprocente sich vertheuern. Es sind dies Uebelstände, welche mit dem Eintritte normalerer Verhältnisse allmälig schwinden werden. Mit dem Ausbruche des Krieges hörte zu Ruscuk, wie in allen bulgarischen Städten, beinahe jeder Unterricht auf. Nur eine grössere türkische Schule mit zwei Lehrern blieb auch während des Bombardements geöffnet. Nun die neue Ordnung sich befestigt, hat auch die Christenschaft dem Schulwesen ihre Sorgfalt zugewendet. Ruscuk besitzt gegenwärtig: eine von CO Knaben besuchte bulgarische Realschule mit 6 Lehrern, welche Unterricht in Sprache, Geschichte, Arithmetik, Geographie, Physik, Naturgeschichte, Zeichnen und Malen ertheilen, ferner 5 von 180 Knaben und Mädchen besuchte Normalschulen mit 7 Lehrern, und 3 Privatschulen mit 120 Schülern, deren Eltern die Lehrer honoriren, während die vorerwähnten 6 öffentlichen, 160,000 Piaster kostenden Anstalten aus den Gemeindefonds unterhalten werden. Die kleine katholische Pfarrschule hat gleichfalls ihr Wirken wieder aufgenommen, ebenso die von der Pariser Alliance israelite begründete Knabenschule mit einem Lehrer, während die früher von einer Französin geleitete israelitische Schule für Mädchen noch geschlossen ist und die von Baron von Hirsch erbaute prächtige Knabenschule im April 1878 noch als russisches Proviantdepot diente. Gleich nach dem Abzüge der Türken ging man daran die durch das Bombardement verursachten Verkehrshindernisse in den Hauptstrasscn zu beseitigen und Trottoire aus den Quadern der alten Festungsmauern herzustellen, welche allerdings, weil Sandstein, geringe Dauer versprechen. Der ganz vernachlässigte Donau-Kaibau soll wieder aufgenommen werden. Von erheblicheren Neubauten ist eine im Entstehen begriffene bulgarische Kirche zu erwähnen, auch wurde an Stelle des alten ganz unzulänglichen Zollamtes an der Donau ein sehr solides einstöckiges Gebäude aus Quadersteinen erbaut. Die mercantil vortrefflich gelegene Donaustadt Ruscuk hätte jedenfalls eine vielversprechende Zukunft, falls ihre Pontus - Bahnlinie durch eine stabile Brücke direet mit dem rumänischösterreichischen Schienennetze verbunden würde. VII. ENTLANG DER JANTRA. Orakelsprüche über die Balkanpässe. — Das Reisen in der Türkei. — Der niederländische Consul Scheu. — Zu Wagen nach Tirnovo. — Beginn der geographischen Arbeit. — Barth's Nomenclatur. — Das Reitpferd eine Nothwendigkeit für den Reisenden. — Unsere Karten selbst bei Ruscuk unrichtig. — Musivische Bevölkerung. — Die Strasse bis zum Göl cesme-Han. — Karaula. — Landschaft und Leute bei Manastirci. — Intermezzo. — Alte und neue Gräber. — Auftauchen der Jantra und Balkankette. — Defile. — Geologisches. — Nachtquartier im Han zu Bela. — Muezzin- und Syman-tronmusik. — Kirche. — Dampfmühle. — Strassen-Knotenpunkt. — Dr. Barth und Bela's Mudir. — Decorationswechsel nach Sedan und Metz. — Shocking! — Bulgariens schönste Brücke. — Ihr Erbauer. — Die Architekten der grossen" Sultane. — 40 Tumuli. — Prähistorische Völker und Russen im Jantrathai. — Schanze bei Kosovo. — Ruscuk-Plevna Strasse. — Kriegs-Ereignisse bei Bela 1877. Neueste und frühere Emigration. — Agricoler Wohlstand. — Primitiver Ackerbau. — Pflug. — Armutli und Dranköi. — Slavejkov und die Schlacht von Nikopoli. — Die Rusica-Quellen nach Barth. — Polikraiste. — Landschaftlicher Prolog zur Balkanwelt. Was ich zu Rusöuk über die verschiedenen Balkanpässe erfuhr, glich dunkeln Orakelsprüchen. Wenige waren über die Kette gekommen und aus je respectvollerer Entfernung man sie gesehen, desto zuversichtlicher lauteten die Berichte. Einige überschätzten die Terrain-Schwierigkeiten, während Andere sie allzusehr herabminderten. Glücklicherweise lebe ich auf Reisen wie ein Soldat im Felde und um allen Ansichten Recht zu thun, verzichtete ich von Beginn auf jeglichen Comfort, der auf schlechten Wegen meiner Pferde Gepäcklast störend vermehren konnte. Selbst bei bescheidensten Ansprüchen erheischt jedoch eine mehrmonatliche Reise im Innern der in cultureller Beziehung bekanntlich nur nominell Europa angehörenden Türkei manche unumgänglich nothwendige Vorbereitung. Sicher reiset man im Reiche des Khedive unvergleichlich bequemer, und ohne des Grossherrn Landen nahe zu treten, darf man sie in diesem Punkte mit jenen des Schahinschah in eine Linie stellen. Erst auf Rahovica's berühmtem Pferdemarkte, nahe bei Tirnovo, sollte ich mich und meine kleine Caravane beritten machen. Dies fügte sich gut, da mein in allen Theilen zum voraus entworfenes Routier-Programm direet nach dem von Mythe und Geschichte umwobcnen Sitze der altbulgarischen Care wies. Mit im Orient seltener Pünktlichkeit sandte Omer Fewzi Pasa mir das zugesagte Empfehlungsschreiben für dessen Mutessarife (Districtsgouvcrncure) durch seinen gefälligen "Sekretär Erncst Effendi ins „Isla Hane". Auch die letzten Vereinbarungen ftir die tägliche fünfmalige Ablesung meines Basisbarometers waren mit Herrn Zuckerkandel, dem damaligen Leiter der protestantischen Missionsschule, getroffen und nichts stand dem Antritte meiner Reise entgegen. Unter den Personen, welche ihre Einleitung sympathisch gefördert, fühlte ich mich, nächst dem bulgarischen Patrioten Cankov und dem deutschen Chefingenieur Julius, dem im Lande viel herumgewanderten Consul der Niederlande, Herrn Scheu aus Rheinpreussen, ganz besonders verpflichtet. Stets zu Rath und That bereit, Hess er es sich zuletzt trotz andauernden Unwohlseins nicht nehmen, mich hinaus vor das Weichbild der Stadt zu geleiten. Hinter den letzten Häusern der Lomvorstadt, bei „Scrai Ciftlik" Hessen wir auf grünem Plane unsere Wagen halten und leerten eine Flasche feurigen Ungars „auf frohes Wiedersehen!" Leider sprach ich den Consul hier zum letzten Male; bald darauf erlag er seinem langjährigen Siechthum, von Vielen bedauert. Rasch ging es vorwärts. So weit der Blick reichte, lag vor mir der breite Donauspiegel, in vielen Armen das rumänische unabsehbare Tiefland durchschneidend. Die Aussicht trübte sich, graue Schleier umzogen das Firmament und bald dämpfte sanfter Regen den Staub der grossen Heerstrasse. Die melancholische Färbung der nach Feuchtigkeit lechzenden rothbraunen Löss-Landschaft harmonirte mit der ernsten Stimmung meines Gemüthes. Glücklicherweise durfte ich mich ihr nicht lange überlassen. Mein Canevas, den ich im Maassstab 1:288,000 nach 'den besten Quellen compilirt hatte, zeigte eine Menge leerer Flecke, welche ich füllen, zahlreiche grobe geographische Widersprüche, die ich lösen sollte. Angesichts dieser für den Einzelnen schwierigen Aufgabe, zu welcher sich noch ethnographische und archäologische Studien gesellten, hatte ich mein Routennetz über Donau-Bulgarien und die Balkankette so dicht als möglich im Zickzack gezogen. War mir das Glück nur einigermassen hold, an Forschungseifer und Entsagung sollte es meinerseits nicht fehlen. Es war gut, dass mit der ersten Stunde sogleich die ernste Arbeit begann, welche fortan mein treuester Begleiter und liebster Tröster, während der ganzen langen Reise, vom Frühmorgen bis Spätabend blieb. Die Route nach Tirnovo wurde vor mir von verschiedenen Reisenden, zuletzt von dem berühmten Afrikapionier Barth im Herbste 1862, und 1867 von Consul Lejean zurückgelegt und eingetragen. Was konnte es also noch auf derselben zu thun geben? Sage ich: so ziemlich Alles, erscheint dies übertrieben und doch ist es volle Wahrheit. Ich verglich die von meiner ortskundigen Begleitung er- fragten Namen der am Wege auftauchenden Orte mit den Karten von Kiepert, Scheda, Barth und fand, dass mehrere verwechselt waren, andere fehlten, die Namen aller aber bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren. Wer würde beispielsweise in dem Barth'sehen Mastraba den wirklichen Namen Basarbova, in Guleli — Kula, in Bretanonk — Obretenik, in Kabe-banja — Balabanlar, in Usovska — Buzovca, in Pätitcha — Batinca, in Bodishma — Buzisna, in Köshula — Kosava u. s. w. erkennen? Leider vermochte ich vom Wagen aus nicht auch die Lage jener Orte festzustellen, welche dies- und jenseits der auf dem baumlosen Hochplateau hinlaufenden Strasse, in den tiefen Furchen der Flüsse Lom und Jantra versteckt lagen und auf sämmtlichen Karten fehlten. Ein wiederholter kurzer Ritt nach rechts und links auf höhere Punkte hätte hierzu gentigt. Forschungsreisen lassen sich nun einmal nicht zu Wagen machen, nur das Reitpferd gestattet dem Reisenden die nothwendige Freiheit der Bewegung über alle Terrainhindernisse. Höchst ungern musste ich diese nähere Aufnahme des interessanten Lomthals verschieben. Sie bildete den Abschluss meiner bulgarischen Reise im Jahre 1874. Wenn nichts grösseres, hatte ich gleich in der ersten Stunde die Gewissheit gewonnen, dass in diesem von den erwähnten Reisenden, sowie von österreichischen und russischen Topographen durchzogenen Theile Bulgariens, selbst in Ruscuk's unmittelbarster Umgebung unsere Karten der eingehendsten Correctur bedurften. Von dieser Erfahrung getragen, verlor die landschaftliche Umgebung für mich ein gut Theil ihrer Eintönigkeit; ich war beschäftigt, musste auf Wegrichtung, Bodengestaltung, Ablauf der Wasseradern und vieles andere unausgesetzt achten. Bereits nach zweistündiger Fahrt hatte ich kleine Verbesserungen in Karte gebracht und die Nationalität einiger Orte richtig gestellt. Die Bevölkerung des Ruseuker Kreises ist eine musivisch zusammengewürfelte. Meine Karte, auf welcher ich seine Orte nach den sie bewohnenden Nationalitäten verschiedenfarbig unterstrich, schillert gleich einer Palette. Von einer Nationalität bewohnte Dörfer bilden die Ausnahme, gewöhnlich sind es bulgarische, seltener türkische. Dabei ist es charakteristisch, dass jede Nationalität stets ihr vollkommen gesondertes Mahle neben dem Stammdorfe ansiedelte und so gewis-sermassen eine Gemeinde in der Gemeinde bildet. Von diesem bunten Völkergemenge war auf unserer leicht ansteigenden Strasse aber nur wenig zu bemerken, sie erschien beinahe verödet. In vollster Ruhe wiegten sich zahllose Blauspechte auf den Telcgraphendrähten und unbeweglich sassen auf den sie stützenden Stangen nach Raub spähende Adler. Nur auf Minuten Hessen sie sich durch unsere Annäherung aufscheuchen, sobald wir vorüber waren, nahmen sie ihre hohen Throne wieder ein. Diese Staffage passte prächtig zur in düstere Wolkenschatten gehüllten Landschaft und zum melancholischen Geflüster der hohen Maisblätter, welche ein starker Luftstrom aus S^W. rauschend bewegte. Wir waren eben wieder einer durch tiefe Löcher gefährlichen Stelle der schlecht tracirten und noch trauriger ausgeführten Strasse dadurch ausgewichen, dass wir eine Strecke querfeldein fuhren, als wir nach 2l/2 stündiger Fahrt uns plötzlich abwärts senkten und an den isolirten „Göl cesme-Han" gelangten. Mein Kutscher gehörte der zu Jassy und Bukarest das Lohnfuhrwerk beinahe monopolistisch betreibenden russischen Sectircrkaste „Skopci" an und hatte sich unangenehmer Händel wegen bis nach Ruscuk verirrt. Gegen allen Rosselenkerbrauch schlug er das ihm angebotene Gläschen Raki aus und bat mit der dieser Secte eigenthümlichen Höflichkeit, seinen Pferden etwas Heu vorbreiten zu dürfen. Wesshalb der wenig einladende, rauchige Han „Göl eesme" (Rosenborn) genannt wird, konnte ich nicht erfahren, da gab es keine Rosen, wohl aber hochtreibende Disteln und sonstiges Unkraut. Die Gegend war nichts weniger als poetisch; eher noch romantisch, aber auch dies nur im schlimmsten Sinne, wie das nahe Beklemeh, ein mit Gensdarmen besetztes Wachhaus zur Sicherung der Strasse, bewies. Seine Errichtung an dieser Stelle erschien sehr zweckgemäss, da von Ruscuk bis Manastirci, durch 5 Meilen, alle Orte rechts und links weitab vom Wege liegen und die in den benachbarten Damogila und Obretenik siedelnden Tscherkessen im schlechtesten Rufe standen. Unmittelbar hinter der Karaula stiegen wir in einigen Serpentinen wieder die reizlose Terrasse hinan. Die Strasse wich immer mehr W.S.W, vom S.N. einhaltenden Lomflusse zurück, und seine oft reich belaubten Ufer mit zahlreichen Dörfern waren bei Obretenik bereits vollkommen ausser Sicht. Glücklicherweise wurde das Bild hinter Dolni Manastirci ein erfreulicheres. Nach fünfstündiger Fahrt endlich wieder guter Ackerboden, bewaldete Hügel, Obstbäume und Weingärten, dazwischen arbeitende Menschen in bunter Tracht, dann prachtvolle Büffel, Schaafherden und anderes Vieh an rieselnden Tränken. Wir hielten am bescheidenen Hane. Um den Anblick vollen Lebens zu gemessen, Hess ich mir gerne die neugierigen Fragen gefallen, mit welchen mich einige zutraulicher gewordene türkische und bulgarische Dorfinsassen, in Folge mehrerer von mir verlangten Auskünfte, belästigten. Zu welchem Zwecke erkundete ich: wie weit sich der Weinbau in der Gegend erstrecke, ob auch Tabak gepflanzt werde, ob mehr als ein oder zwei Zigeunerhäuser im Orte, wie stark die Tscherkessencolonie, ob die nahen Tumuli jemals geöffnet worden und was man dabei fand, ob das kleine Dorfbächlein bei Pirgos oder oberhalb desselben in die Donau münde u. s. w. u. s. w.? Wesshalb notirte ich ihre Antworten, z. B. dass im Orte 80 türkische, 32 bulgarische und 20 tscherkessische Gehöfte, sofort in mein Buch? Ich hatte gut ihnen von Statistik und ihren Zwecken zu sprechen. Meine Aufklärung befriedigte sie so wenig, wie etwa unwissende Tiroler Bauern in gleichem Falle. Man steckte die Köpfe zusammen und flüsterte das türkische „Kim bilir" und das gleichbedeutende bulgarische „Koje znaje"! (wer weiss es!). Das unerwartete Intermezzo gab den biederen Leuten gewiss noch willkommenen Anlass zu allerlei Erörterungen, gewürzt mit vermehrtem Rakiconsum. Es ging nun eine Höhe hinan, in deren östlichem Risse, zwischen Laubholz gebettet, das Schwesterdorf Gornji Manastirci liegt. Bald darauf fesselten auf dem zur nahen Jantra abfallenden Hochplateau vier Tumuli durch ihren regelmässigen Abstand meine Aufmerksamkeit. Nahe diesen seit etwa zwei Jahrtausenden die Gebeine müder Wanderer bewahrenden Denkmalen der grossen Völkerzüge befand sich das neue Grab eines vor mehreren Jahren hier ermordeten Bulgaren. Ein türkisches Wachthaus und ein riesiger prähistorischer Grabhügel folgten. Letzterer markirt so ziemlich den höchsten Punkt der Wasserscheide. Nun senkten wir uns zur Jantra hinab, deren unzählige Krümmungen im Lichte der durch zerrissenes Gewölke durchbrechenden Sonnenleuchte erglänzten. Prächtige Abendfarben lagen auf dem breiten Flussthale, auf den mächtigen Höhen, welche es umsäumen, auf den hoch sich aufbauenden langen Linien der Balkankette, die es abschlössen. Mein Dragoman wollte den Schnee auf ihren 11 Meilen entfernten höchsten Spitzen mit freiem Auge unterscheiden. Wo wird es dort hinübergehen? dachte ich und suchte die Einsattlungen zu erspähen, welche nach Sipka, Kalofer u. s. w. führen. Nicht lange blieb mir Zeit das lebendige Relief mit Kiepert's Karte zu vergleichen. Der Weg wurde plötzlich abschüssig und des Gehänges feuchter brauner Lehmboden gestaltete den Abstieg nicht wenig schwierig für die armen Pferde. Ich zog es vor, die tief eingeschnittene Furche zu Fusse zurückzulegen. Ihre Scenerie bot geringen Reiz; denn die arrosirenden Wässer hatten die horizontal lagernden Kalk- und Mergelschichten nackt gelegt. Hier und da erschienen ältere, stark vernarbte Steinbrüche, welche wahrscheinlich den Römern ihr Baumaterial lieferten; in den neueren wurden die Steine für Bela's kurz zuvor vollendete Jantrabrücke gebrochen. Nach !/a St., als wir aus dem Defile heraustraten, erblickten wir dieses schönste Werk bulgarischer Baukunst und gleich darauf bezogen wir unser Nachtquartier in einem der zahlreichen Hane des weitläufigen hochliegenden Dorfes. Der Leser hat ein Recht zu erfahren, wie ein bulgarisches Dorf-Hotel beschaffen ist. Ob die ihrer prachtvollen Architektur wegen berühmten Karavan-serai der grossen Sultane, die Georges Brown noch vor 200 Jahren pries, auch im Innern den entsprechenden Comfort boten, weiss ich nicht. Den heutigen Hancn der Türkei lässt sich aber ohne Verleumdung nachsagen, dass Aussen-und Innenseite derselben gewöhnlich einander vollkommen würdig sind. Der Han zu Bela, dessen wackelige Holztreppe ich emporklcttcrte, hielt aber anerkennens-werther Weise mehr, als der erste Eindruck seines baufälligen Zustandes ver- Kunit/., DOMm-Bnlgarten und dor nulluni. X» sprach; denn er besass ein mindestens fünf Schritte im Q messendes abgesondertes Zimmerchen, mit leidlich rein gehaltenen Wänden. Wohl war in diesem Staatsgemache keine Spur von Mobiliar zu entdecken, auch vermochten die zerrissenen Papierscheiben — Fensterglas wird in der Türkei noch immer nicht producirt — den störenden Lärm von Kutschern und Pferden im Hofraumc nicht abzuhalten. Und doch gehörte dieser Han bereits zu den besseren; denn gar oft erblickte ich durch die Spalten der nachlässigen Fussbodendielung die unter dem ersten Stockwerke eingestallten Pferde. Der bulgarische Handzi rechnet übrigens darauf, dass der Reisende seinen Comfort, zu dem auch das Bett zählt, selbst mitbringt. Nur ein Waschbecken, Krüge und Gläser werden gereicht; Bettstellen, Tische, Sessel sind aber nur in einigen ä la franca eingerichteten Hancn der Städte zu finden. Was beginnt der Reisende in vier kahlen Mauern? Am besten, er macht es wie ich, er lässt alle Ansprüche zu Hause und erspart sich und dem Wirthc nutzlose Auseinandersetzungen. Auch diesmal suchte ich, wie oft zuvor, im frischen Heu, auf das ich meine Kautschukdecke breiten Hess, mich so gut als möglich zu betten, brachte, auf diesem Lager hingeworfen, meine Tagesnotizen in Ordnung, improvisirte aus der mir vom Consul Scheu gespendeten kalten Küche ein trefflich mundendes Abendbrot, dünkte mich in einem unserer luxuriösesten Hotels und fand bald darauf den erquickendsten Schlaf. Am nächsten, 30. Junimorgen las ich um A]!.2 Uhr zum ersten Mal meine Instrumente ab, und die nachträgliche Berechnung ergab für das bulgarische Mahle Bela's 66,3 Meter Seehöhe. Seine etwa 100 türkischen Häuschen liegen etwas höher, zwischen mit hohen Mauern umgürteten Gärten versteckt. Von dem sie überragenden Minaret der Miniaturmoschee stritt des Muezins Gebetruf mit den Klängen dreier Symantrons, welche vom Dorflehrer und einigen Knaben mittelst hölzerner Hämmer eifrigst geschlagen wurden. Es war für die Bulgaren die Einladung zur Sonntagsfeier. Ich folgte den Tönen und gelangte an das 1843 erbaute Kirchlein. Einige Stufen führten abwärts in den nach alttürkischem Gebot zur Hälfte in der Erde steckenden finsteren Räume, mit kleinem vorgebauten Narthex, Schule und Friedhof der Gemeinde schlössen dicht an. Das Ganze spiegelte ein interessantes Bild merkwürdiger Verhältnisse, deren die ältere Christengeneration nur schaudernd gedenkt. Ich wanderte zurück in die von festlich geputzten Dorfschönen und Burschen mit reichgestickten Hemden und aufgesteckten Blumen belebte Carsi, welche ich für einen Flecken aussergewöhnlich gut versorgt fand. Allerdings ist Bela's örtliche Lage eine vortreffliche, weil es für die Ruscuk und Svistov mit Razgrad, Sumla, Tirnovo, Gabrovo und Filipopel verbindenden Strassenzüge den natürlichen Knotenpunkt bildet. 1860 gründete ein speculativer Franzose hier eine Dampfmühle und sicher birgt Bela den Keim zu einem Administrations- und Handelscentrum, den das weite fruchtbare und exportfähige Gebiet zwischen Lom und Osem schwer entbehrt. Schon früher einmal war Bela Mittelpunkt eines Bezirks. Aus welchen Ursachen er in den Kreis von Rusöuk einverleibt wurde? wer frug im Lande gröblichster Willkühr nach derartigen Dingen! Als Mudir traf Barth noch 1862 zu Bela einen ziemlich gebildeten Jungtürken, welcher „im Princip" sehr für den Fortschritt schwärmte. Wie ich mich aber tiberzeugte, hatte er nicht die geringste Spur praktischen Wirkens zurückgelassen. Gleich den meisten türkischen Beamten interessirten ihn die laufenden Welthändel hingegen ungemein und er äusserte gegen Barth seine Verwunderung, dass man von des Reisenden Heimath (Preussen) so wenig höre. „Es war ihm zweifelhaft, ob er dies zum Vortheil wie bei Frauen, bei denen gänzliches Stillleben und Un-besprochensein die höchste Tugend sei, oder zum Nachtheil deuten solle." Ist der zweifelsüchtige Mudir noch am Leben, so dürfte er heute Über diesen Punkt wohl beruhigt sein, denn sicher drang die Kunde von den deutschen Thaten auch zu ihm. Hatte sich ja selbst eine elend colorirte Lithographie nach Bela verirrt, auf welcher die blauen „Prusli" rothhosige Turcos grimmig vor sich hertrieben, und daneben hing als weitere Zier im Zimmer des Handzi „Besmerk's" Portrait. Hier, wie schon oft im Jahre zuvor, fühlte ich auf Reisen den unschätzbaren Gewinn an Achtung, welchen der grosse Decorationswechsel bei Sedan dem Deutschen als Individuum und Nation gebracht. Nachdem ich vergebens zu Bela nach den von Barth als nahe angegebenen Orten: Norat Kerimlü und Bilena geforscht, Uber Gölbunar (Seebrunnen) und Besbunar (Fünfbrunnen) mich aber genauer orientirt hatte, schlug ich die Strasse nach Tirnovo ein. Wir übersetzten zunächst auf hohem Viaducte mit riesigem Bogen den Einschnitt, durch welchen wir am Abend zuvor nach Bela gelangten. Sein klares Rächlein mündete tief unter uns in der trag sich hinwälzenden Jantra und an seinem Raine bildeten waschende hochgeschürzte Frauen und Mädchen die pikante Staffage, welche strengen Puritanern vielleicht ein „shoking" entlockt hätte. Die überraschend grosse monumentale Brücke dicht vor uns zog meine Aufmerksamkeit von der hübschen Gruppe ab. Wie war die schmutzigbraune Jantra zu dieser aus dichtem eocenen Kalkstein äusserst sorgfältig gearbeiteten, 270 M. langen, 9 M. breiten Steinbrücke, mit 14 Bogenöffnungen von 9 M. Spannweite und hübsch sculptirten, 11 M. starken Pfeilern gelangt? Bei dem häufigen Wechsel der Vali ist es schwer zu sagen, wer die erste Anregung zu diesem Prachtbaue gab. Da er 3 Jahre beanspruchte und 1870 YoNendet wurde, fällt sein Beginn jedenfalls in des grossen Vali Regiment, somit war es höchst wahrscheinlich Midhat, dem er sein Entstehen dankt. Der Zufall fügte es, dass_ich 1872 nahe beim Städtchen Kilifar, zu Fedabei den 10* Werkmeister «der Brücke persönlich kennen lernte. Dort, in der grossen Zech-stuhe des Hans sass er, Nikola Ficoglu, ein schlichter Bulgare aus dem Balkan, weder in Tracht noch sonst vom einfachsten Dorfbewohner unterschieden. Wohl sprach er mit berechtigtem Selbstgefühl von seinem Werke und betonte namentlich, dass er 700,000 Piaster, d. i. 70,000 Gulden, eine für Bulgarien riesige Summe, gekostet habe. Doch schien er wenig zu fühlen, dass er, der kaum mehr als die dürftigsten Elementarkenntnisse besass, ein Werk geschaffen hatte, welches, wenn man Constantinopel ausnimmt, die vollendetste hydrotechnische Neubaute der Türkei genannt werden darf und das selbst tüchtigen europäischen Technikern zur Ehre gereichte. Wiederholt hatte ich mich früher gefragt, wer wohl die zahlreichen Brücken- Jantrabrüeke bei Bela. bauten der Sultane im 16. und 17. Jahrhunderte, beispielsweise die bewunderungs-werthen Viaducte bei Vidin geschaffen haben mochte? Besassen die türkischen Eroberer anfänglich doch Ingenieure und Architekten in ihren Reihen und verlor sich erst später bei ihnen die Liebe für Künste und Wissenschaften? oder benützten sie vielleicht ausländische Talente? Nikola Ficoglu's Brücke löste alle diese Zweifel. Die meisten Bauten aus der Zeit türkischen Glanzes verdanken macedonischen und bulgarischen Meistern ihre Entstehung, in welchen die grossen technischen Traditionen der berühmten byzantinischen Baumeister Justinian's merkwürdig fortwirkten. Wer aber meine Skizze der Brücke Ficoglu's zu Bela und ihre scharfsinnig zum Widerstande gegen den Eisgang construirten Pfeiler mit höchst originellen Canälen zum leichteren Durchlasse der Hochwasser betrachtet, wird wohl gleich mir ausrufen: Was müsste aus einem solch hochbegabten Volke werden, könnte man auch nur eine unserer zahlreichen technischen Schulen in den Balkan verpflanzen! Bekanntlich war Midhat von Ruscuk plötzlich nach Bagdad Versetzt worden und mit ihm verschwand im Tuna-Vilajet das Geld für gemeinnützige Zwecke. Auch Ficoglu's Brücke und der vielbogige Viaduct, der sie auf dem linken Jantraufer mit dem Niveau der Strasse nach Tirnovo verbindet, blieben Jahre lang ohne sichernde Geländer. Türkische Menschen und Thiere sind jedoch an derlei gewöhnt und ohne Unfall gelangten auch wir ans jenseitige Ufer, zu einem kleinen von Mauern umgebenen Han, der sich links, dicht neben dem Brückenkopfe angenistet hatte. Auf den westlichen, weniger unter Cultur gesetzten rothbraunen Lehmhöhen begleiteten uns fortan zahlreiche Tumuli. Von Ruscuk bis zum Jantrapasse bei Samovoden brachte ich etwa 40 Grabhügel zu beiden Seiten der Strasse in Karte. Es war wohl mehr als blosser Zufall, dass die Gruppen auf beiden Jantraufern oft merkwürdig mit einander correspondirten und gewöhnlich auf Punkten erschienen, welche ihre nächste Umgebung dominirten, oder weite Ausblicke ins Thal hinaus gestatteten. Der grosse Tumulus nördlich von Bela blieb beispielsweise bis zum 2 Meilen fernen Radan sichtbar und wird einen vortrefflichen Triangulirungs-punkt geben. Ueber das Volk oder die Völker, welche diese primitiven Denkmale errichteten, haben wir heute blos Vermuthimgen, ihre grOSSe Zahl bezeugt Bulgarische Brückenbau-Technik. jedoch, dass die Wanderer aus Asien das breite, fruchtbare Jantrathai mit Vorliebe zum Marsche Uber den Balkan in die jenseitigen Gefilde Macedoniens benützten. Während des Feldzugs 1854 fürchteten die Türken, dass die Russen den Donau-Uebergang bei Ruscuk forciren und den Weg über Tirnovo nach Filipopel einschlagen könnten. Sie errichteten desshalb auf vielen Punkten an der Jantra Redoutcn, und befestigten auch beim nahen Kosovo, wo die Strasse nach Pleven abbiegt, einen schroff zum Flusse abfallenden Vorsprung, den ich zur Croquirung des vielgeschlängeltcn Jantralaufes benutzte. Glücklicherweise wurde in jenem Jahre der Friede in dieser 1828—29 durch Requisitionen und andere Bedrängnisse hart mitgenommenen Gegend nicht gestört; 1877 litt sie aber umsomehr unter den Schrecken des Krieges. Die türkische Heeresleitung in Bulgarien ver-muthetc den Ucbergang der russischen Donauarmee mit Sicherheit bei Tutrokan, und war nicht wenig überrascht, als derselbe plötzlich am 27. Juni bei Svistov erfolgte. Auf der wichtigen, von dort nach Tirnovo führenden Strasse fehlten die geringsten Vorkehrungen zum Widerstände, nur schwache Tseherkcssentrupps hielten einige Punkte besetzt. Schon am 5. Juli schwärmte die russische leichte Cavallerie bis zur Jantra, am 6. vertrieb das 12. Dragoner-Regiment die bei Bela stehenden Türken, und nahm die dominircnden Höhen an der Ruseuker Strasse. Ohne nennenswerthe Verluste waren die Russen in den Besitz der strategisch werthvollsten Position und der einzigen stabilen Brücke über den unteren Jantralauf gelangt, welche die Vorhut des XII. Armeecorps auch sofort benutzte, um sich am 10. nördlich von Bela, bei Manastirci, festzusetzen. Das Gros rückte rasch nach, südlich schob das XIII. Corps seine Cavallerie vor, am 12. befand sich bereits die ganze Jantralinie von Tirnovo bis zur Donau in den Händen des Carevic, welcher den linken Flügel der russischen Invasionsarmee befehligte, und am 18. Juli schlug der Kaiser sein Hauptquartier in dem nur 15 Kilometer von Bela entfernten Pavel auf. Als Osman und Suleyman Pasa den ersten raschen Erfolgen der Russen dies-und jenseits des Balkans Halt geboten, siedelte die Operationskanzlei des Ober-Commandanten Grossfürst Nikolaus am 31. Juli von Tirnovo nach Bela Uber, wo am 1. August in Gegenwart des Kaisers und Carevic der Beschluss gefasst wurde, die unzulänglichen Streitkräfte gegenüber der unerwarteten militärischen Kraftäusserung des unterschätzten türkischen Gegners durch rascheste Mobilisi-rung des Gardecorps, der 42. 43. 44. Infanterie-Division und durch Aufstellung von 4 neuen Armeecorps zu verstärken. Am 3. Aug. wurde auch die Aushebung von 188,000 Mann Opolcenie (Miliz) angeordnet und die active Cooperation des rumänischen Heeres in Anspruch genommen. Am 16. August wurde das russische Hauptquartier weiter nach G. Studena zurückverlegt. Bela blieb aber ein wichtiger Stützpunkt für das Centrum des Carevic, und als Mehemed Ali Anfang September dessen linken Flügel vom Schwarzen- zum Banicka-Lom drängte, wurden die Anhöhen um Kosova und Bela zur Deckung seiner Steinbrticke und der am unteren Jantralaufe geschlagenen Feldbrücke für den Fall eines eventuellen Rückzuges befestigt. Einige Male näherte sich die türkische Lomarmee Bela, doch gelangte sie nie in den Besitz der von den Russen mit grosser Bravour verteidigten Position. Während und nach dem für die Türkei unglücklich geendeten Kriege ver-liessen die meisten Türken, sowie nahezu alle Tscherkessen und Tataren ihre an der Jantra gelegenen Ortschaften, auch 1854 waren viele Bulgarenfamilien nach der Krim und Walachei gewandert; die schönen Dörfer: Trenbes, Musüklü,1* Radan, Odalar u. s. w., durch welche wir kamen, und prächtige Herden auf grasreichen Ebenen sprachen aber dafür, dass in dieser Gegend Kriegswunden rasch vernarben. Namentlich züchtet man sehr schöne Pferde, während das Hornvieh, für dessen Veredlung die Regierung nicht das geringste that, nur von massig kräftigem Mittelschlage ist. Der Boden ist vorzüglich, die Landschaft voller Reize, Mais- und Weizenfelder, von kleinen Wassern durchrieseltes Wiesenland, Weingärten und hübsche Obst Wäldchen, in welchen der ein treffliches Compot gebende wilde Birnbaum am häufigsten, dann zahlreiche Quellbrunnen charakterisiren das linke Ufer, dessen Höhen ziemlich weit vom Flusse sich entfernen, während die rechtsseitige, von Gestrüpp bedeckte und schwach bewohnte Lehne nur selten durch einzelne Eichengruppen verschönt erscheint. Auch im Jantrathai wird die Feldwirtschaft primitiv betrieben. Manchmal erblickte ich 4, ja 8 und im Gebirge sogar selbst 8—10 magere Oechslein vor den Pflug gespannt. Bei Kocina, einem Dorfe mit vielen Zicgelbrenncreien, knüpfte ich mit einem ackernden Bulgaren ein Gespräch an und er gestattete mir, seinen Pflug in allen Details zu besichtigen und zu zeichnen. Alles Holzwerk schnitzt der Landmann selbst, nur Pflugschar und Messer kauft er in der nächsten Stadt. Erstere kostet 25, letzteres 10 Piaster, das Ganze sammt den Eisennägeln also etwa 3,/2-'-4 Gulden. Da es trotz des tönenden Titels „Ministerium für Agricultur zu Constantinopel" keine landwirtschaftliche Schule im gesummten Innern der Türkei giebt, bemühte sich Midhat verbesserten österreichischen Ackergeräthen im Handelswegc Eingang in sein Vilajct zu bahnen. Namentlich im Kahovocr und Svislover Kasa siebt man häufig rati'onelle Pflüge und Reutermaschinen, im allgemeinen hält aber der Bauer des Orients noch zäher als jeder andere am Hergebrachten. Nachdem die schöne Ebene auf einer kurzen Strecke mit sumpfigen Niederungen abgewechselt, ersteigt die Strasse bei dem wegen seiner zahlreichen Birnbäume Armutli (bulg. Kruiiti) genannten Dorfe den Rand der hier zum Flusse vorspringenden Höhen; jenseits blickt in äusserst annmthiger Lage Dranköi's (bulg. Draganovo) leuchtendes Minaret herab. Nahe bei Borus's trefflichem Qucll-brunnen passirten wir eine Gruppe von 11 Tumuli, welche in ziemlich gleichen Abständen zwei W.O. streichende Reihen bilden. Zwei sehr hohe, links an der •Strasse, gaben prächtige Peilungs- und Orientirungspunkte. Die zahlreichen menschlichen Gebeine, auf welche man hier stösst, führten Herrn Slavejkov zur Annahme, die berühmte Entscheidungs-Schlacht (1396) zwischen dem Ungarkönig Sigmund und Sultan Bajazid wäre bei diesen Tumuli geschlagen worden. Leider folgte dem bulgarischen Cicerone Herr Prof. Brunn in Odessa und ihm wieder neueste Schriftsteller; im VIII. Cap. hoffe ich jedoch zu zeigen, wie hinfällig die Basis dieser total unbegründeten Behauptung ist. Bei Murgasli ermässigten sich die Höhen. Nördlich vom Dorfe passirten wir die 9 M. breite, 40 M. lange, auf 4 Pfeilern ruhende llolzbrückc über den bedeutendsten Jantrazufluss Rusica, dessen Quellen aber nicht, wie Barth,seinen Ignoranten Begleitern nacherzählte, vom Trojanski Monaslir, wo der Oscm hart vorbeifliesst, sondern bedeutend östlicher, aus der höchsten Parthie des Central- 152 ENTLANG DERJANTRA. Balkans herankommen. Als ich jenes Gebiet später bereiste, erhielt ich vollste Klarheit hierüber und gelegentlich seiner Schilderung werde ich ausführlicher die Quellen beider Flüsse besprechen. Hier möchte ich nur anführen, dass auch Barth's weitere Angabe, die Rusica führe den Beinamen „Nikop", vollständig irrig ist. Gleichzeitig mit uns kreuzten den Fluss viele Landleutc, welche vom Tir-novoer Markte heimkehrten, es fiel mir auf, dass die Frauen sämmtlich dunkle Kleider trugen. Wir waren nur mehr l1/* Meile vom Jantra-Engpassc entfernt, dessen Reize Barth zuerst eingehend schilderte. Immer deutlicher traten gegen S. die charakteristischen Stuhlberge hervor, welche dem Balkan vorlagern, und stets prächtiger gestaltete sich der Blick auf das von frischen Laubwäldern und Weingärten umgebene Polikraiste. Dies alles war aber gewissennassen nur der landschaftliche Prolog zu den grossartigen Bildern der wenig gekannten Balkanwelt, deren Geheimnisse sich mir zu erschliessen begannen! VIII. DIE CARENSTADT TIRNOVO. Samovoden, als Hüter der Jantraschlucht. — Justinianisches Castell. — Vorregion des Balkans. — Altäre der Tumulimenschcn, heidnischer und christlicher Slaven. — Kloster Sv. Troica's Stiftung. — Sbor zu Sv. Preobrazenijc. — Landschaft und Mönche. — Gruss von Tirnovo's Castellberg. — Im Hah „Bella Bona". — Lage der Carenstadt. — Choniates, und Moltke's Situationsplan. — Schilderung der Stadt. — Ihre Viertel, Moscheen, Kirchen, Serai, Brücken, Befestigungen u. s. w. — Geschichte des „heiligen Berges". — Tirnovo's hohes Ansehen bei den Bulgaren. — Residenz der Dynastien Asen und Sisman. —*■ Kalojan und Papst Innocenz III. — Car Boris' schöne Tochter. — Die Ungarn vor Tirnovo. — Die byzantinische Maria, Car Konstantin und Haiduk Ivailo. — Des Tatarenchans Nogaj'8 Sohn Coki. — Patriarch Joakim's Ende. — Adamiten und Hesychasten. — Car Alexander und die jüdische Carin Theodora. — Bajezid's Sohn Celebi erstürmt Tirnovo. — Eutimiji der letzte Patriarch. — Verwüstung der Stadt. — Unter türkischem Regiment. — Einstige Industrie. — Con-sulate. — Besetzung durch die Russen 1810. — Martyrium der Freiheitskämpfer 1836. — Geschichte des Kirchenbaues Kiril und Methodije. — Mord seines Stifters Vasil Kiselov. — Erhebungsversuche 1867 und 1876. — Folgen. — Ereignisse während des russischen Krieges 1877. — Grossfürst Nikolaus und Fürst Cerkavski. — Einrichtung der russischen Administration. — Notabein-Versammlung und Fürstenwahl. — Eingeborene höhere Beamte. — Der Konak. — Sultan Machmud's Pavillon. — Mutessarif Haidar Bei. — Vor und hinter dem Velum. — Akademische Conversation. — Midhat's Pompiercorps. — Moltke's Schilderung der Privatbauten Tirnovo's. — Römerstein der Basdcrlik cesma. — Sultan Machmud's Besuch der Kursumlu dzamesi. — Einst und heute. — Grauser Tod Kaiser Balduin's I. — Felsbrücke. — Eingang zum Carevec. — Das Türkenschloss Hadzi Chalfa's. — Aufstieg zur Hisar dzamesi. — Römische Inschriften. — Alter Taufbrunnen. — Wahrscheinliche Stelle der alten Patriarchalkirche „Christi Himmelfahrt". — Palast Car Joannes Alcxander's. — Sv. Petkakirche. — Der Türke und die alten Ruinen. — Can tepesi. — Römerstein. — Barth's Nicopolis ad Haemum. — Abstieg. — Antike Reste. — Wirkung des Gegenbesuchs Ilaidar Pasa's im Han Bella Bona. — Vortheile der Kefvisiten für den Ethnographen. — Rekrutirungscene im Konak. — Der Heeresdienst und die Moslims. — Besuch der h. Carcnkirchen. — Eine Moschee 1877 dem christlichen Cultus zurückgegeben. — Feierliches Tedcum in derselben zu Ehren der Constituirung Bulgariens 1870. — Ausllug nach Arbanas. — Seine Kirche. — Krdsaliensturm. — Brankovan's, Kanta-cuzen's, Bratiano's, Filipescu's Häuser zu Arbanas. — Nonnenkloster Sv. Nikola. — Römersculptur. — Karagiozoglu's „Fabrika" zu Marinopol. — Signor Bianchi. — Klöster. — Pfcrdcmarkt zu Kahovica. — Türkische Tattersallkniil'c. — Kloster Sv. Petar. — Antike Fragmente. — Die Jantra. — Kartographische Corrcctur. — Qualen auf dem Sirket-Vehikel. — In Tirnovo. D er Jantra-Engpass und die uns fremdartig anmuthenden bunt getünchten Hanc hart vor seinem Nordthore, die zweibogige Steinbrücke über den Samovo-denbach und der gleichnamige Ort gehören so recht eigentlich zur nahen Carenstadt Tirnovo. Mitten aus Wallnuss- und Maulbcerkronen hervorlugend, gleicht Samovoden einem riesigen Wachtliausc zur Huth der Religions-Mysterien, welelie die unvergleichlich pittoreske Klosterschlucht birgt Vor einem Jahrtausend fiel diese Mission einem der zahllosen Justinianischen Castelle zu, deren Mauern gegenwärtig in Trümmern liegen. Bei Samovoden betrat ich des Central-Balkans durch mannigfachen Wechsel belebte Vorregion, die am Tage liegende 800—1200 Meter ansteigende Kalkzone, deren horizontale Lager, durch Klüfte und Höhlen viel zerrissen, das Verbindungsglied zwischen der krystallinischcn hohen Kette und der zur Donau streichenden Lössterrasse bilden. Das in gleichmässig hohe, vor ihrer Trennung einst zusammenhängende Steilmauern eingeschnittene Jantra-Dcfilc muss zu allen Zeiten Kloster Sv. Troica im Jantra-Engpasse bei Tirnovo. zur Errichtung geheimnissvoller Opferstätten eingeladen haben. In den lauschigen Hainen am Fusse seiner hohen Abstürze standen die Altäre der Tumulimenschen und heidnischen Slaven wahrscheinlich auf denselben Stellen, wo heute dies-und jenseits der Jantra zwei stolze Klöster sich erheben. In der ganzen bulgarischen Christenheit kennt und rühmt man Sv. Troica und Sv. Preobrazcnije. Beide gemessen die höchste Verehrung, denn Natur und Mönche haben Alles gethan, um sie mit mystischem Glänze zu umkleiden. Entrückt dem Lärme weltlichen Treibens, gelehnt an eine wohl 80 Meter hohe Steinwand, deren dem Lichte unzugängliche Höhlen einst weltraüde Einsiedler aufsuchten, thront auf dem rechten Jantraufer das der Dreifaltigkeit geweihte Kloster malerisch schön, mit blinkenden Kuppeln und Thürmen, den Wanderer verführerisch hinanziehend. Sage und Tradition, Wahn- und Aberglaube leisteten das Ihrige und so haben seine 50 Mönche in und ausserhalb des Klosters vollauf zu thun. Ihr Einfluss erstreckte sich einst weit über dasselbe. Dies beweisen fromme Schenkungen, welche sogar von jenseits der Donau, von glaubenseifrigen walachischen Bojaren herrühren. Herr Consul Scheu und Sir Robert Dalyeil besuchten das Kloster im J. 1867 und fanden daselbst, nach einer mir freundlichst mitgctheilten Tagebuchnotiz, drei alte Pergamente, von welchen eines als Gründer des Klosters einen walachischen Metropoliten nennt, während der Hegumenos behauptete, dass Kral Sisman dessen Stifter sei! Ein anderes Document vom 6. Februar 1776 besagt, dass Stefan Kantacuzeno dem Kloster 6000 Piaster jährliche Einkünfte zusichere, und das dritte von Alexander Ghika herrührende bezeichnet das Jahr 1803 als die Zeit seiner Vollendung, richtiger wohl Restauration. Was von Sv. Troica, gilt auch von dem jenseitigen, noch mehr Mönche bergenden Schwesterkloster Sv. Preobrazcnije (Christi Verklärung), an dessen „Sbor" (Patronstag) im August Tausende von Gläubigen aus weiter Ferne heranpilgern, die sonst verlassene Strasse beleben und das Murmeln und Rauschen der stellenweise pfeilschnell hinschiessenden, gegen die Felsen ankämpfenden Jantra mit lauten Gebeten übertönen. Eine kleine Wendung des Weges Hess uns des Klosters Silhouette, eingeschlossen von jungem Laubwald am Fusse der hohen Kalkwand erblicken. Gut, dass der ewig gestaltende Kampf der Naturniächte da oben zeitweise ruht. In längstvergangenen Tagen hatte ihre zwingende Kraft ungeheuere Steincolosse bis zur Strasse herabgetrieben. Den glatt gefegten Weg, welchen sie im tollen Laufe genommen, bedeckt heute eine saftige Grasnarbe, und an mancher Stelle wurzelten Eichenstände, in deren Schatten nunmehr die reichen Herden der Mönche Siesta halten. Wie gut Hesse es sich hier und drüben sommern! Mich aber verlangte es nicht die Bekanntschaft der frommen Herren zu machen. Nur einen Augenblick rastete ich, um das herrliche Bild mit einigen Strichen zu croquiren; sowie die Skizze vollendet, ging es weiter hart am Jantra-bettc, zwischen den immer näher zusammenrückenden Steilmauern. Endlich erweiterte sich die Engschlucht und von Tirnovo's hohem Castellberge lugte, ein kleines Häusermeer überragend, seine höchstgclcgcnc Moschee herein; laut verkündend, wer hier Herr, zeigte ihre leuchtende Minarctspitze, einer Flagge von hohem Mäste ähnlich, den Halbmond. Bald darauf rollte unser Wagen über das halsbrecherische Pflaster der Carenstadt. Tirnovo besitzt viele und weitläufige Hane. Ich suchte aber, mit einer Ruseuker Empfehlung versehen, dessen kleinsten auf, und seine freundliche Eignerin, der zu Ehren reisende galante Italiener ihn „Bella Bona" getauft hatten, bemühte sich seinem Namen Ehre zu machen. Ihre Schönheit war allerdings seit der Hantaufe etwas verblichen, ihre Güte für fränkische Gäste hatte sich aber glücklicherweise nicht gemindert; sie theiltc dieselbe nur mit einer grossen Vorliebe für exotische Pflanzen, die mir sehr zu Statten kam. Die Fenster meiner ohne besonderen Luxus ausgestatteten Stube gingen auf eine Veranda, unter deren Schatten und Kühle spendendem Vordache „Madame" ein farbenprächtiges Gärt-chen in allerlei Töpfen bulgarischer Formkunst angesiedelt hatte. Hier traf mich die Früh- und Abendsonne, in würziger Luft oft Theo schlürfend, auf den zum Kef einladenden Divankissen. Von der jenseitigen dicht belaubten Thalwand tönte Nachtigallensang herüber und zwischen den rothblüthigen Oleandcrbüscheln erschienen fern gegen Süden schneeig weisse Balkanspitzcn von tiefblauem Acther eingehüllt. Gleich nach meiner Ankunft drängte es mich, von geeignetem Standpunkte die merkwürdige Situation der alten Carenstadt zu überschauen, dann erst gedachte ich dem Pasa und einigen Notabein die gebotenen Besuche zu machen. Tirnovo's Lage ist geradezu überraschend. Schon der Byzantiner Choniatcs rühmte sie mit einigen Worten. Auch Moltke behauptete nie eine romantischere Stadt gesehen zu haben und nennt die Felsbildung, in welche sie hincingebaut, „höchst abenteuerlich". Dass letztere übrigens Kalk- und nicht Sandstein, dürfte einem so tüchtigen Terrainkenner kaum entgangen sein, und es ist gewiss nur ein Schreibfehler, wenn er sie als solchen in den „Briefen" erwähnt, welche in jüngster Zeit erst ihre verdiente Würdigung fanden. Alle Theile der Stadt von einem Punkte aus im Gesammtbilde zu erfassen, erwies sich leider als unmöglich. Am umfassendsten gelang es noch von der jenseits der Ghazi-Ferüsch-ßei-Brückc gelegenen, mit einer Redoute gekrönten Höhe. Als trefflicher Cicerone erwies sich der von Moltke in einer Mussestunde gefertigte Situationsplan Tirnovo's. „Da Effendimk (Sultan Machmud, den M. begleitete) heute in die Moschee zieht", schrieb er am 19. Mai 1837, „so hab' ich den Rasttag benutzt, um mittelst einer Aufnahme dem Terrain sein Geheimniss abzuzwingen." Die werthvollen Aufschlüsse der in liebenswürdigster Weise mich begleitenden Herren Professor Siskov und Ingenieur Gavronjski befähigten mich, zahlreiche historisch und topographisch interessante Punkte in Moltke's Plan einzutragen; ohne ihn wäre es aber viel schwieriger gewesen, den Zusammenhang der auf verschiedenen Kalkterrassen nistenden, vom Jantraflusse in labyrinthischen Curven durchflossenen Stadttheilc zu erfassen, und so gedachte ich dankbar des grossen Schlachtenlenkers, den damals der Situationsplan von Paris in minder friedlicher Absicht beschäftigte. Da liegt jenes Panorama Tirnovo's vor mir, welches ich am prächtigen 2. Junitage 1871 entwarf, und wieder taucht in meiner Erinnerung die unvergessliche Stunde beschaulichen Genusses auf, welche ich beim Anblicke der von leuchtendem Sonnenglanze verschönten Carenstadt mit ihren malerischen Mauern, Thürinen, CARENSTADT TIRNOVO. Moscheen, Minareten, Kirchen, Kuppeln, Brücken, Inseln, Gärten, Fels- und Flussbändern durchlebte. Westlich im weitgezogenen Bilde erschienen jene beiden die Klosterschlucht hütenden Pylone, durch welche die Ruseuker Strasse nach Tirnovo führt. An den nahe dort am linken Jantraufer aufragenden „Orel" (Adlerberg, türkisch: Kartal bair) schliesst sich, nur durch eine niedrige Einsattlung getrennt, ein gegen Osten streichender Mamelon, mit dem terrassenförmig ansteigenden Christenviertel. Vom steilen Ufer drängen sich dessen Häuser, Magazine, Kaufhallen und Hane in Reihen dicht übereinander, die Gassen sind furchtbar enge und kaum sollte man glauben, dass die Leute hinreichende Luft dort zum Athmen finden. Die Kostbarkeit des Raumes zwang sie sogar, was im Oriente selten, zwei bis drei Stockwerke hoch zu bauen. Aus dem Häusergevvirre taucht die den Slavenaposteln Kiril und Methodije geweihte zweikuppelige Kirche empor und neben ihr das „Turnovski-jut vladiku", die bescheidene Residenz des Bischofs von Tirnovo. Vom Fusse dieses gegen Süden vollkommen überbauten Hügels zieht sich mehr auf ebenem Terrain ein zweites Viertel hin, das Bulgaren und Türken gemeinsam bewohnen und dessen Mittelpunkt das „Mutessarif serai", die Residenz des Gouverneurs bildete. Der weiter gegen Osten folgende Stadtthcil trägt einen ungemein behäbigen Charakter. Seine Bauten sind weniger gedrängt und von schönem Grün durchwachsen. Hier sind die Osmanli in der Majorität. Ihre Häuser kennzeichnen hohe Mauern oder Brettcrpalissaden, denn der Türke liebt es bekanntlich nicht, dass auch nur ein fremdes Auge in sein Haus, das in Wahrheit seine Burg, hineinblicke, liier in diesem bis zur Ghazi FcrUsch-Bci-BrUcke streichenden Viertel sind Tirnovo's hervorragendere Monumentalbauten vereinigt. Das Minaret und Spitzdach der „Saradz dzami", die Kuppel und vereinzelte Riesen-pappel der „Kursumlu dzami", zwischen beiden der „Sahatli" (Uhrthurm) und viele andere Minarcte, Kuppeln von Moscheen und Bädern wirken hier um so wohlthätiger, da die Mehrzahl der Häuser einander zum Verwechseln ähnlich sieht und nur durch verschiedenfarbige, gelbe, rothe, braune oder blaue Tünchen einigen Reiz erhält. Mehr als die erwähnten, durch ihre bescheidene Umgebung gehobenen Architekturwerke von Menschenhand, erregt eine merkwürdige natürliche Felsbrücke unser Staunen, welche aus dem zuletzt geschilderten Stadttheilc zum kegelförmigen „Carcvccberg" hinüberfuhrt. Schon sein Name kennzeichnet ihn als den Ort, auf dem einst der Bulgarencare Residenz gestanden. Ihre Spur ist vertilgt, der Name ist geblieben. Auch die Türken nannten ihn „Hisar bair" (Schlossberg), seine ihn krönende Moschee „Hisar dzamesi", die Spitze des tumulusartig aufsteigenden Berges aber „Can tepe". Der Hisar wird seit der Eroberung ausschliesslich von Türken bewohnt. Die an seinem nordwestliehen Hange liegende Moschee Kussische Soldaten im Uulgarenviertcl zu Tiruuvo, „Kavak-Baba tekesi" ist von unserem Standpunkte nicht sichtbar, dafür aber an seinem Südost-Fusse ein ärmliches Türken-Mahle mit Minaret, und hart an seinem Nordwest-Abstürze tauchen aus dem langgestreckten schmalen Bulgarenquartierc die Kuppeln der alten „Metropolska crkva" und der „Sv. Bogorodica" (Jungfraukirche) auf, bei welcher die „Vladika köprüsü" (Bischofsbrücke) ins dritte Bulgarenviertel und zum merkwürdig geformten „Trepevic" hinüberführt, an dessen Fusse die Krönungskirche der Aseniden-Dynastie in Ruinen liegt. Kehren wir zur erwähnten Ghazi-Ferüs-Bei-Brücke zurück, so sehen wir auf dem rechten Jantraufer, von der kleinen „Saracilar dzamesi", ein bedeutendes, grossentheils moslim'sches Viertel, gegen Süden hoch hinauf, zur ersten hübsch bewaldeten Stufe jenes Berges ziehen, yon dem ich meine Skizze Tirnovo's zu entwerfen versuchte. Die glücklichen Moslims, welche hier angesiedelt, täglich des entzückenden Panorama's sich erfreuen durften, erschienen mir wahrhaft beneidenswerth. In den letzten Jahren des altbulgarischen Carenreiches war dieser Punkt, wie Gregor Camblak, der gleichzeitige, in Tirnovo geborene Erzbischof von Kiev, schwungvoll erzählt*) — „ein von allen Seiten sichtbarer Grasplatz, von den dort zusammenströmenden Wassern reichlich getränkt und schon von der Ferne die Augen durch die Anmuth der Gewässer erfrischend, mit Bäumen bepflanzt, voll der mannigfaltigsten Blumen und Früchte und überragt von einem dichten und geräumigen Walde" — der Schauplatz eines grossen alljährlichen Festes, das zu Ehren der dort befindlichen Kirche „der reinsten Jungfrau, der Mutter Christi und Gottesgebärerin" gefeiert wurde. Seine spätere Entartung in eine Art heidnisches Bacchanal bewog jedoch den letzten Tirnovoer Patriarchen Euthiraiji es aufzuheben. Der Berg hiess „Sveta gora" (heiliger Berg), und Chalfa schilderte ihn noch im XVII. Jahrhundert unter diesem Namen als „waldigen Berg, dessen Bäume nicht gefället werden, damit das Vieh dort Schatten und Unterhalt finden möge." Gegenwärtig sind die Sv. Gora und nahezu säinnitlichc Berge, welche das fesselnde Panorama einschlicssen, meist ihres Baumschmucks beraubt. Von den nächstgelegenen zeigt nur der „Trepevic" etwas Grün und erst von Arbanas' fernein Hochplateau blicken grössere Culturen herab. Durch diese verschiedenen Contraste gewinnt das Bild aber, namentlich wenn flüchtige Wolkenschatten die nackten Kalkflächen mit düsterem Blaugrau überziehen und voller Sonnenglanz Stadt und Fluss, Brücken, Moscheen, Kirchen, Häuser, Minarete von ihnen trennt, den fesselndsten Reiz. Was Wunder, dass dieses vielgerühmte Tirnovo, mit seiner pittoresken Lage, seinem festen Carevic und Trepevic, seineu ehrwürdigen Kirchen und Klöstern, trotz Ruscuk's Erhebung zur Vali-Stadt, dem Bulgarenvolke die alte, lieb und *) Jirecek, Gefcchichte der Bulgaren. S, 448. heilig gewordene Caren- und Bischofsstätte blieb! Auch der Fremde brauchte sie nur zu sehen, von ihren historischen Traditionen zu hören, um ihren Zauber vollkommen zu begreifen. Zu Tirnovo (Dornburg) stand am Ausgange des vorigen Jahrtausends die Wiege des slavo-bulgarischen Dynastengeschlechtes der Sismanidcn. Sie traten das Erbe der finno-bulgarischen Herrscher an, nachdem der Gricchenkaiser Johann Zimische Bulgarien unterworfen und den letzten Carensprössling Boris gezwungen hatte, den kaiserlichen Purpur abzulegen. Im Jahre 1186 wurde Tirnovo, die „hochgeehrte Bischof statte", Residenz der Bulgarenfürsten aus dem Hause Asen, die das Reich der Bulgaren für kurze Zeit zu neuer Wichtigkeit erhoben und Tirnovo mit früher ungekanntem Glänze erfüllten. Namentlich war es der gricchen-fcindliche Car Kalojan, der hier mit seiner „Kumanin" thronend, durch Beutezüge nach Thracien und Macedonien, ja selbst bis an Constantinopels Thorc, un-ermessliche Schätze nach Tirnovo schleppte und sich 1204 vom Cardinal Leo mit dem ihm vom Pabst Innocenz III. verliehenen Diademe krönen Hess. Gleichzeitig nahm er Scepter und Fahne mit des b. Peters Bilde entgegen, was ihn jedoch nicht hinderte, ein Jahr später sich mit den Griechen gegen die Lateiner zu verbünden. Er blieb Sieger über Balduin I. in der Entscheidungsschlacht zu Adrianopel (1205), und in Tirnovo war es, wo dieser erste lateinische Kaiser von Byzanz so schrecklich dafür büsste, den vornehmsten Thron der orthodoxen Kirche bestiegen zu haben. Von Tirnovo holte sich der byzantinische Kaiser Heinrich um 1213 des Cars Boris schöne Tochter zur Gemahlin. Tirnovo's Mauern sahen den glanzvollen Einzug Akropolita's als Friedensbotschafters des ersten Palaeologen, Michael's VIII und wieder den feindlich heranziehenden Magister Aegidius mit seinen ungarischen Schaaren. Nur wenige Jahre später (1278) freite zu Tirnovo die intrigante byzantinische Maria, Wittwe des Caren Konstantin, dessen Besieger „Hai-duk Ivailo", und hier wurde öoki, Sohn des berüchtigten Tatarenchans Nogaj, nachdem er die Carenstadt besetzt hatte, gefangen und von jüdischen Henkern erdrosselt, sein Bundesgenosse Patriarch Joakim III. aber, wegen Landesverrat!), 1295 vom Burgfelsen herabgestürzt. Bald gestaltete sich das Schicksal der Carenstadt noch wechselvoller. Jenseits des Balkans überflutheten türkische Schaaren bereits Thracien, als sich in Donau-Bulgarien eine Epoche schlimmster religiöser Wirren abspielte. Adamiten und Hesychasten trieben sich zu Tirnovo herum, in den nahen Jantraschluchten wurden schamlose Orgien aller Art gefeiert, welche die Kraft des Volkes verzehrten, und seiner tiefen Gesunkenheit entsprach der Herrscher. Car Alexander sandte seine Gemahlin, eine walachische Fürstentochter, in ein Kloster, da ihm ein „bezaubernd schönes Judenmädchen" weit besser gefiel. Nachdem es getauft, erhob er es zur „neuerleuchteten Carin", auch wurde ihr nach dem Tode, als „Theodora", ein „ewiges Andenken" in den Kirchen gesungen. Unter Alexanders würdigen Söhnen brach das moslimsche Gericht herein, das dem Bulgarenreich sein Ende bereitete und Tirnovo dem Untergange nahe brachte. Am 17. Juli 1393 stürmte Öelebi, des grossen Bajazid Sohn, nach dreimonatlicher Belagerung den Schlossberg „Carevec". Patriarch Eutimiji, der den abwesenden Car vertrat, bat den Sieger vergeblich um Gnade für die Stadt und entging selbst nur durch „wunderbare plötzliche Lähmu»ng des bereits erhobenen Henkerarmes" dem Tode. Dieser letzte, später den Nationalheiligen beigezählte bulgarische Patriarch wurde Zeuge, wie Tirnovo's Prachtbauten zerstört, Putrider und Bojaren in einer Kirche (nach anderen auf dem nahen Marinopole) verrätherisch gemordet wurden. Bald darauf erhob sich das erste Minaret mit dem Halbmond auf dem altbulgarischen Carensitz und die griechischen Bischöfe aus dem Fanar schlugen, als Alliirte der Moslims, ihre Residenz in einem elenden Stadtviertel auf. Lange blieb Tirnovo die Hauptstadt Donau-Bulgariens, von der aus des Sultans Statthalter es regierten. Vor einem Jahrhunderte war Tirnovo auch eine der wichtigsten türkischen Gewerbestädte und sollen namentlich seine Webereien Tausende von Stühlen beschäftigt haben. Seitdem zog sich diese Industrie tiefer in den Balkan, nach Gabrovo, Bebrovo, Elena und Travna zurück. Noch heute aber enthält Tirnovo's Bazar Niederlagen in- und ausländischer Waaren, welche hohe Werthe repräsentiren, die umliegenden Gebiete mit dem Nöthigen versorgen und einen schwungvollen Zwischenhandel nach der Donau treiben. Desshalb hielten hier auch bis zur Gründung des „Tuna-Vilajets" Oesterreich, Frankreich und Russland Consulate, und es ist in mehrfacher Beziehung bedauerlich, dass dieselben später aufgelassen wurden. Sie hätten wahrscheinlich manch wohltätiger Reform auf dem Gebiete der Volkswirtschaft und Communicationen beschleunigteren Eingang erwirkt; oder ist diese Vermuthung im Hinblicke auf den früheren durchschnittlichen Einfluss des occidentalen Consularcorps im Orient allzu sanguinisch? Vier Jahrhunderte voll Druck und Erniedrigung waren an der altbulgarischen Metropole vorüber gegangen, als ihr ein trügerischer Augenblick Erlösung vom TUrkenregiment zu bringen verhiess. Im J. 1810 ergab sich Tirnovo dem Fürsten Vjazemski von Graf Kamcnski's Armee. Nur wenige Monate dauerte jedoch das Regiment des russisch-orthodoxen Kreuzes. Der Krieg 1818—1829 erregte neue vergebliche Hoffnungen. Die Sultansherrschaft kehrte gleichwohl wieder, der Wunsch nach Befreiung war aber geblieben; 183(5 büssten ihn Hadzi Jordan aus Elena und viele Patrioten zu Tirnovo mit dem Tode. Im III. Bande werde ich einige Details dieses missglückten Aufstandsversuches mittheilen. Hier will Kunitz, Donau-Bulgarien und ticr Balkan. 11 ich aber einen an Tirnovo sich knüpfenden charakteristischen Beitrag zur Geschichte des noch immer zu wenig gekannten türkischen Missregiments in Bulgarien erzählen, welches selbst die Stipulationen des Pariser Vertrages vom J. 1856 zu Gunsten der Rajah nicht einzuschränken vermochten. Eines der wesentlichsten, durch grossmächtlichen Druck errungenen Rechte garantirte der türkischen Christenheit den unbeschränkten Kirchenbau. Wo Christen neben Türken lebten, hatte man früher in halbuntcrirdisehen Kirchen gebetet, nichts natürlicher als dass sich nun überall fromme Männer bemühten würdigere Stätten zur Ehre Gottes zu errichten. Die türkischen Autoritäten sahen jedoch mit scheelen Augen dieses Beginnen und wo nicht europäische Consuln ihnen im Wege waren, suchten sie es nach Möglichkeit einzuschränken. So auch zu Tirnovo, dessen grosse Gemeinde über Anregung der einflussreichen Kaufherren Brüder Kiselov 1860 mit dem Bau der Kirche Sv. Kiril und Methodije begann. Nach dem Plane Vasil Kiselov's sollten die beiden Apostel, welchen das Gotteshaus in der Nova Mahala geweiht wurde, von aussen durch zwei Kuppeln versinnlicht werden. Es kostete viele Mühen, Baksise u. s. w., bis die Zustimmung des Konaks für diese, türkische Augen beleidigende Neuerung gewonnen war. Unter der Aufsicht der- beiden Brüder Kiselov, welche am meisten beisteuerten, stieg der für damalige Zeit imposante Bau bald mächtig empor, an Sonntagen arbeitete auch Vasil mit, sein Beispiel wirkte anregend und das Steinmaterial wurde grossentheils von den Bürgern selbst gebrochen und zugeführt. Je höher aber die Kirche aufragte, desto mehr steigerte sich der Hass der moslimschen Bevölkerung gegen Vasil Kiselov und sie schworen, dass er ihre Ueberdachung nicht überleben sollte. Wirklich wurde er im August 1861 mit einigen Kaufleuten auf der Heimreise von Selvi nach Tirnovo bei Kasanci deresi überfallen und durch einen Schuss nahe der Lunge, sowie durch Säbelhiebe auf den Kopf tödt-lich verwundet. So fand ihn ein Landmann, der seine Wunden mit Tabakblättern verband und ihn nach Selvi brachte. Trotz aller Pflege lebte er nur drei Tage, bei vollem Bewusstsein nannte er die Namen seiner türkischen Mörder und im letzten Augenblicke empfahl er noch seinen herbeigerufenen Angehörigen die Vollendung des ihm theuern Kirchenbaues, in dem er zum Danke für seine Aufopferung als erster seine ewige Ruhestätte finden sollte. Die Nachricht vom mörderischen Tode des angesehenen Patriciers Vasil versetzte Tirnovo's christliche Bevölkerung in höchste Aufregung, man bestürmte den Pasa um energische Bestrafung der bekannten Schuldigen. Diese wussten jedoch ihr Alibi, gegenüber dem beschworenen christlichen, nach Koransgesetz aber ungültigen Zeugnisse nachzuweisen. Um der erbitterten bulgarischen Gemeinde doch ihre „Unparteilichkeit" zu beweisen, Hessen die türkischen Richter einen wahrscheinlich am Morde ganz unschuldigen Zigeuner an den Galgen hängen. Eine derartige, die Christen nahezu täglich höhnende Rechtspflege, vereint mit der ihre besten Kräfte aussaugenden Administration, verursachte neue, immer aber blutig unterdrückte Aufstandsversuche, so 1867 und wieder 1876. Etwas später als im Süden des Balkans brach in jenem Jahre die bulgarische Insurrection in seinen nördlichen Gebieten aus, -obwohl dieselbe auch dort lange geplant war. Schon im Winter wurden aus Rumänien und Serbien bedeutende Waffenvorräthe ins Land geschmuggelt und in den ausschliesslich christlichen Balkandörfern vertheilt. Jede Gemeinde hatte ihre Gewehre, Munition u. s. w. selbst zu bezahlen, die Leiter des Aüfstandes besorgten nur den Ankauf. Die Vorbereitungen schienen vollendet, gleichzeitig sollten die Ceta's von Elena, Travna, Drenovo, Gabrovo, Selvi concentrisch gegen die nur von wenigen Bataillonen besetzte Carenstadt Tirnovo vorgehen, deren Einnahme so gut wie gesichert schien, da auch zwei Banden aus Samovoden und Rahovica von Norden her gegen dieselbe operiren sollten. In der Ausführung zersplitterte jedoch der gut angelegte Plan, welcher Ifi letzter Stunde von ängstlicher oder treuloser Seite den Türken verrathen worden war. Wir werden deti Untergang der verschiedenen Insurgentenbanden an den bezüglichen Orten kennen lernen, beinahe alle Führer fielen im Kampfe oder durch Henkershand. Der schauerliche Blutreigen begann mit den „Komiteti" des Tirnovo benachbarten Städtchens Rahovica. Im Augenblicke, als sich seine Ceta am 13. Mai zum nächtlichen Aufbruche nach der Carenstadt im Hause eines der Verschworenen fertig machte, wurde dieses von aus Tirnovo herabgekommenen Zapties umstellt und die verrathenen 24 jungen Leute sahen sich gezwungen, mit ihrem Führer Makedonski und Fahnenträger Panov an der Spitze, den Marsch in Mitte der starken Escorte nach der Pasastadt anzutreten, wo sie im Gefängnisse des festen neuen Konaks die Zahl der ihre Strafe erwartenden eingefangenen Insurgenten vermehrten. Am nächsten Tage zogen Rahovica's sämmtlichc Bulgaren, Männer, Frauen und Kinder, mit Popen, Aeltesten und Lehrern nach dem nur eine Stunde entfernten Tirnovo um die jungen Leute vom Mutessarif Reuf Pasa zu reclamiren. Dieser, ein zu Paris gebildeter Jungtürke, ritt auf die erste Nachricht von der Demonstration der aufgeregten Volksmasse bis zur „Vla-dika Köprüsü" (Bischofsbrückc) entgegen und bewog sie durch beschwichtigende Worte zur Umkehr. Wenige Tage später entliess er 6 der jüngsten Revolutionäre; die übrigen erhielten schwere Gefängnissstrafen, der frühere russische Offieicr Makedonski und der Lehrer Panov aber wurden zu Tirnovo gehängt. Auch dort suchte man nach Waffen und nahm viele Verhaftungen vor. Das Schwert geheimer Denunciation schwebte über allen Christen und zahlreiche Ungerechtigkeitsakte erbitterten selbst solche Männer, welche bisher jede Auflehnung gegen die Autorität zurückgewiesen hatten. In solcher, durch die unerhörten Metzeleien am Balkan gesteigerter Verbit- terung gegen die herrschende Race, wurde die ein Jahr später erfolgte Kriegserklärung Russlands und der rasche Vormarsch seiner Truppen gegen Tirnovo mit wahrem inneren Jubel von den Bulgaren der alten Carenstadt begrltsst. Man hatte erwartet, das von Natur feste und durch einige Redoutcn vertheidigte Tirnovo wegen seiner hohen politisch-militärischen Wichtigkeit energisch gehalten zu sehen. Die türkischen Heerführer hatten jedoch den Kopf verloren. Vergebens drang Tirnovo's Mutessarif Mehemed Said Pasa beim Commandanten der Donau-armee Abdul Kerim Pasa auf rascheste Verstärkung der schwachen Besatzung, welche, 4 Bataillone Infanterie, die Zaptie-Escadron von Salonik, eine Gebirgs-hatterie und mehrere Basibozukhaufen unter Savfet Pasa's Befehle, kaum zur Besetzung der wichtigsten Punkte ausreichte. In der Nacht vom 6. zum 7. Juli verkündeten Feuersäulen der aufgeregten Bevölkerung die Annäherung der Russen, welche Ströme flüchtender moslimscher Landleute vor sich herscheuchten. Am 7. Morgens rückte General Gurko's Cavallerie von Westen und Norden her gegen die Stadt. Beim Eindringen ihrer erste% Schwärme zog Savfet Pasa seine vor Marinopol canfpirenden Truppen auf die östlichen Höhen, musste aber den versuchten Widerstand bald aufgeben, als eine russische Batterie auf dominirendem nördlichen Punkte die türkische Linie unter wirksames Feuer nahm; da gleichzeitig eine Umgehungscolonne seine rechte Flanke bedrohte, trat Savfet, um nicht von der Strasse nach Osmanpazar abgeschnitten zu werden, gegen Abend den Rückzug dahin an. Archive, Proviant, Munitions-Vorräthe und Kranke, ferner der grösste Theil der türkischen Stadtbevölkerung waren bereits am Morgen mit Said Pasa in derselben Richtung geflüchtet. Die Verwirrung auf der Strasse soll eine riesige gewesen sein. Bei Merdan kam es zu einem ziemlich heftigen Arrieregarde-Gefecht zwischen der die Nachhut bildenden Zaptie-Escadron und den verfolgenden Kosaken. Auf diese bescheidenen Verhältnisse reducirte sich nach den mir gewordenen glaubwürdigen Berichten der Kampf um Tirnovo, welchen die ersten Depeschen mit gewohnter Uebertreibung zur blutigen Schlacht gestempelt hatten. Leichter als die Carenstadt einst genommen war, ging sie nach 484-jährigem Besitze den Sultanen für immer verloren! Jubelnd wurde der am 12. Juli von Carevec bei Svistov in Tirnovo eintreffende Grossfürst Nikolaus durch die sich nach bangem Hoffen erlöst fühlende Bewohnerschaft empfangen. Am selben Tage trat Gurko seinen berühmten Marsch von Tirnovo Uber den Balkan an. Das Hauptquartier verweilte bis 31. Juli, Jbis zum Eintreffen der telegraphischen Nachricht vom unglücklichen Ausgange der Schlacht bei Plevna am vorhergehenden Tage. Mit dem Grossfürsten reiste auch Fürst Cerkavski ab, welcher bestimmt war, eine Administration nach russischem Muster im befreiten Bulgarien einzuführen. Er ernannte zum Gubernator des Tirnovoer Districtes Herrn General Strbinski, als Vice-Gouverneur den verdienstvollen bulgarischen Patrioten Dragan Cankov. Letzterer verliess diesen Posten im Anfang 1879, um die aus den türkisch gebliebenen bulgarischen Landestheilen nach Ost-Rumelien zuströmende Emigration zu regeln, kehrte jedoch zurück und nahm an der im Jäner eröffneten Tirnovoer Notabeln-Versammlung Theil, in welcher er als Führer der liberalen Parthei der nationalen Sache grosse Dienste leistete. Nachdem das constitutionelle Statut zu Ende berathen war, versammelte sich in den Mauern der alten Carenstadt die erste bulgarische National-Versammlung. Am 29. April 1879 wählte sie einstimmig den Prinzen Alexander Joseph von Battenberg zum Souverän des nach 486 Jahren in die Reihe der europäischen Staaten wieder aufgenommenen Fürstenthumes Bulgarien und gleichzeitig traten Eingeborene an die Stelle der russischen höhern Beamten, welche in ihre Heimath zurückkehrten. Als ich Tirnovo im J. 1871 zum ersten Mal besuchte, eilte sein officiell von meiner Ankunft benachrichtigter Mutessarif einen Zaptiecaus in meinen Han zu senden, der mich bei den oft nicht ganz gefahrlosen Promenaden im Türkenquartier begleitete. Nichts natürlicher, als dass ich Haidar Bei meinen Besuch machte. Tirnovo's Strassen steigen stufenförmig auf und ab, man würde also im Innern der Stadt vergebens nach einem Miethwagen spähen. Durch die westöstlich streichende grosse Bazarstrasse begab ich mich zu Fuss mit meinen Hebens-würdigen Ciceronen, den Herren Siskov und Gavronjski in den Konak. Der Mutessarif war im „Idareh medjlis"; dies gab uns Müsse, das Serai ein wenig zu mustern. Es bildet ein Conglomerat verschiedener Bauten, die einen ziemlich langen quadratischen Hof umschliessen. Einige waren älter und fester, andere von mehr provisorischem Charakter wurden 1875 durch einen hübschen Neubau ersetzt. Historisch interessant ist jedenfalls ein Pavillon, welcher für Machmud, den grossen Reformsultan, rasch aufflog, als er, ein zweiter Harun al Raschid, jedoch mit dem kleinen Unterschiede, dass ihn ein 800 Pferde beanspruchendes Gefolge begleitete, im Sommer 1837 die Zustände seiner Provinzen aus eigener Anschauung kennen lernen wollte. Durch die zerbrochenen Scheiben konnte man in das grosse Prachtgemach blicken. An vielen Stellen war die im orientalischen Style bemalte Tünche abgebröckelt, das Holz- und Lehmmaterial lagen frei, und es mochte immerhin wahr sein, dass der neu sicher bestechende, echttürkische Bau in nur 14 Tagen entstanden war. Seinen grössten Reiz bildete aber wahrscheinlich schon damals der prächtige Ausblick nach den jenseitigen bewaldeten Laubhöhen des rechten Jantraufers und auf die saftig grünen Matten, welche zum hochgelegenen Pulverthurme hinanzichen. Ob Sultan Machmud, welcher kurz zuvor 20,000 Janitscharen über die Klinge springen Hess (1826), Sinn oder Zeit gefunden, sich der herrlichen Scenerie gleich uns zu erfreuen? Ein Beamter Haidar Pasa's kündete uns an, dass dieser bereit sei, mich zu empfangen. Im Vorsaale des bescheidenen Mittelbaues herrschte schwüle Luft. Wohl an 60 Personen aller Stände und Nationalitäten, darunter verschleierte Türkenfrauen und schwarzäugige Zigeunerweiber, erwarteten vom Pasa in geringfügigsten bis zu den wichtigsten Angelegenheiten ihren Spruch. Ich werde auf diese grosse Schattenseite der türkischen Administration ausführlicher zurückkommen. Der Officiant brach uns Bahn, die Wachen salutirten, das Vclum hob sich unter der Hand eines jungen Pagen und ich stand vor einem kleinen, etwas vorzeitig gealterten Manne, der sich bei unserem Eintritte freundlich grüssend von seinem Divan erhob. Es war der Pasa von Tirnovo, Regent von 6 Städten, 6 Flecken und 447 Dörfern. Neben ihm sass Karagiozoglu, ein Bulgare von intelligentem Aussehen und selbstbewusster Miene. Schon früher hatte man mir von ihm gesprochen. Er war nicht nur Besitzer einer Kunstmühle, Scidenfila-tur u. s. w., sondern der erste christliche Öorbasi Tirnovo's und Muavin, d. i. Gehilfe des Pasa's, welchen Titel er insofern rechtfertigte, als er Haidar in der Ausbeutung des Districtes mit seiner ausserordentlichen Schlauheit und Kenntniss des Landes trefflich unterstützte. Im Allgemeinen erschien der Pasa über die Zwecke meiner Reise bereits unterrichtet und mein Ferman sagte das Uebrige. Ueber den Zustand der Strassen, welche ich zunächst einzuschlagen gedachte, gab mir Haidar die tröstliche Versicherung, dass man „eben daran denke", ihren Bau in Angriff zu nehmen. Wir gingen zu anderen Gegenständen über; Schul- und Kirchenwesen, Bergbau und Industrie wurden besprochen. Stets lautete aber der mehr oder weniger umhüllte Kern der vorsichtigen Antworten: „Eben denkt man daran", „man beginnt" dies und jenes zu verbessern u. s. w. Dies sind nun einmal die abgebrauchten stereotypen Redensarten, mit welchen die höheren türkischen Beamten occidentale „Interviewer" zu bethören wähnen. Manchmal gelingt es wirklich und dann bekommt man in Correspondenzen und Büchern viel Heiteres über „türkische Reformen" zu lesen. Mich langweilte es aber, meine Zeit in unfruchtbaren Gesprächen zu verlieren, und als der Pasa nun gar zur Politik überging und mit oft gehörten Phrasen versicherte, dass er ein aufrichtiger Freund der „Austrici" sei, mit welchen der Türke stets „barabar" (zusammen) gehen werde, hielt ich es am gerathensten, da mir voraussichtlich ohnedies ein zweites Zusammentreffen mit Haidar blühte, den mit Kaffee und Cigarrettendampf gewürzten Besuch zu kürzen. Es darf den Leser meiner Schilderungen aus dem europäischen Osten nicht wundern, wenn mir der Name „Midhat" oft in die Feder kommt; denn wohin man in Bulgarien, Albanien u. s. w. tritt, ist das Wenige, was auf civilisatorischer Bahn geleistet wurde, sein Werk. Er war der Einzige, welcher das stereotype: „Man beginnt" der türkischen Pasa's zu verwirklichen suchte. Auf dem Rückwege sah ich beispielsweise unter dem grossen Zugange zum Konak die Locali- täten des mit einem kleinen Arsenal von Löschgcräthen ausgerüsteten Pompier-corps, wie es Constantinopel vor dem letzten grossen Brande in solch trefflicher Ausrüstung gewiss nicht besass. Es war eine Einrichtung Midhat's. Bei Besuchen, die ich des Abends gewöhnlich in hervorragenden bulgarischen Familien machte, bewunderte ich wiederholt die eigentümliche terrassenartige Bauart ihrer schönen, am südlichen Hange der Altstadt liegenden Gebäude. Treffend schilderte Moltke dieselben in seinen „Briefen": „Ich liebe überhaupt diese unregelmässigen Gebäude, zu denen das Bedürfniss- den Riss gezeichnet hat. In der Mitte findest du einen kleinen Hof, einen Garten mit Rosen und Obstbäumen, ringsumher reihen sich eine Treppe hoch in allerlei Zickzacks die Corridors und geräumigen Gemächer, welche gegen den Hof ganz offen sind, so dass man in Gottes schöner, freier Luft wohnt. Die Enden der Corridors sind zu Estraden erhöht, welche mit Teppichen belegt sind und ein nur handhohes, breites, weiches Sopha tragen. Das weit vorgreifende Dach beschattet dann noch die Nelken-und Goldlacktöpfe, welche rings ausserhalb der Galeric angebracht sind. Die Zimmer erhalten ihr Licht aus den Corridoren und es herrscht das gewisse angenehme Halbdunkel, welches die Augen von dem Uebermaasse an Licht dieses schönen Himmels sich erholen lässt." Der folgende Tag gehörte der Besichtigung des „Hisar" und Tirnovo's alter Monumente. Trotz des frühen Morgens herrschte bereits reges Leben in der Carsia. Auch der bulgarische Städter geht mit dem Hahnenrufe an sein Tagewerk. Die Bauern der nächsten Nachbarschaft schleppten auf kleinen Grauthieren alle möglichen Nahrungsmittel herbei, dazwischen rannten Milch-, Obst-, Holzverkäufer, ihre Waare lärmend anpreisend. Wir vermochten uns kaum der dicht umlagerten „Basderlik cesma" zu nähern, deren Römerstein meine Neugierde anzog. Er zeigte drei Seiten mit Adlern geziert, deren schematische Arbeit sich jedoch wrenig über die Mittelmässigkeit erhebt. Das nächste Object, welches meine Aufmerksamkeit fesselte, war die „Kursumlu dzamesi", nach ihrer kupfergedeckten Kuppel so genannt, sie ist Tirnovo's bedeutendste Moschee. Hier war es, wo „Effendimis" Machmud am 19. Mai 1837 Gebete für den glücklichen Ausfall seiner Reise zu Allah emporsandte. Ich belebte im Geiste den stillen Vorplatz der Moschee mit Gläubigen, die ehrfurchtsvoll Spalier bildeten, um den „Basileus und mächtigsten aller Kaiser" zu sehen. Hiezu dachte ich mir nach Moltke's Schilderung die Priesterschaft der Mollahs, Imams und Kadis, „Excellenz" Vasuf Effendi, eine Art Günstling oder Kämmerling, „vor dem selbst", wie Moltke erzählt, „der Vezier stehen bleibt, bis er ihm das Zeichen giebt, sich zu setzen", dann die Pasa's und die in prächtigen Costümen aufgebauschte persönliche Umgebung des Sultans, d. i. jener Classe von Leuten, „die weder Pagen, Kamnierherren, noch geheime Staatssecretäre, die dies aber alles zusammen sind und dabei sehr grossen Einfluss besitzen"; ferner den Hofnarren und Gross-Almoscnicr, die Officierc und Officianten, den Tross von Dienern aller Art — welch farbenprächtiges Bild! Dazu als Umrahmung die bulgarische Rajah, mit ihren dunkeläugigen Frauen auf den platten Dächern, scheu, weh- und demüthig, erdrückt von all diesem Pomp und Flitter, hie und da eine Thräne des Dankes im Auge für den Sultan, der seinen christlichen Unterthanen edclsinnig das Joch hundertjähriger Sklaverei zu lockern suchte, der Wehmuth, wenn des Einst der nationalen Gare und Patriarchen gedenkend! Ich sprach mehrere Christen und Türken, welche sich noch genau aller Einzelnheiten des glänzenden Einzugs erinnerten. Mit verschiedenen Gefühlen gedachten alle der nie geahnten Wandlung, die sich seitdem im Reiche des Grossherrn vollzog. Selim III., Machmud IL, Abdul Asiz 1.1 Drei Namen, drei Epochen verschiedenen Klanges, verschiedenen Inhalts, alle gleich bedeutungsvoll für die Geschichte des türkischen Reiches und seine Christenheit — und doch plötzlich für die Bulgaren verdunkelt von Sultan Abdul Hamid's Regicrungs-abschnitt, welcher die Auferstehung ihres alten Reiches herbeiführte! Wie ist der Türke tolerant geworden! Mein officieller Begleiter, der Jus-basi, lud uns ein in die Moschee zu treten. Ich dankte. Es zog mich weiter zum interessanteren „Carevic"; und mit einer Strassenbiegung nach links standen wir bald auf der merkwürdigen, natürlichen Felsbrücke, die zu ihm hinüberführt. War es nicht eine der hohen Mauern des Hisars selbst, so war es sicher hier wo der unglückliche lateinische Scheinkaiser von Byzanz, Balduin 1., nach eilf-monatlicher Regierung zu Constantinopel und gleich langer Gefangenschaft zu Tirnovo, auf Car Kalojans Befehl schrecklich verstümmelt, in den Abgrund gestürzt und den Geiern zur Beute überlassen worden war. Den schism'atischen Kaiser enden zu sehen, dürfte nicht wenig Zuschauer auf den grünen Plan gelockt haben, der jetzt so friedlich einladend zur Rechten liegt, und jene, die hier nicht Platz gefunden, mochte das grause Schauspiel wohl nach dem jenseitigen natürlichen Amphitheater des „Trepevic" gelockt haben. Wohl hatten die lateinischen Heere Unsägliches an dem ehrwürdigen Constantinopel verbrochen, doch furchtbar schwer büsste Balduin seinen kurzen Herrschaftstraum! Maassen seine letzten Blicke vielleicht des Abgrunds Tiefe oder schweiften sie weit weg nach der verlornen Familie und Heimath? Spähten sie sehnsüchtig nach Gnade aus oder erinnerte er sich beim Anblicke seiner blutlechzenden Umgebung jenes ungleichen Momentes in der St. Sofia am 16. Mai 1204, als er, auf goldenem Throne sitzend, den Purpur vom Legaten des Pabstes entgegennahm und auf den Ruf des pontificirenden ersten Priesters: „Er ist würdig zu regieren", die weiten Kuppelräume des Baues Justinians des Grossen vom lauten Rufe der Versammlung wiedertönen hörte: „Er ist es würdig!" Die erwähnte, etwa 60 Meter lange Felsbrücke, der Schauplatz prächtiger Festaufzüge wie manch heroischer und schwarzer That, ist nichts Anderes als eine über die tiefe Einsattlung zwischen der Altstadt und dem „Carevic" hinstreichende, etwa 12 Meter hoch aufragende, freigelegte Kalkmauer, wie deren viele andere von der Jantra etagenartig aufsteigen, nach der Höhe sich verjüngend und den Kegelberg „Hisar" wallartig umschliessend. Durch künstliche Nachhilfe hier und da verstärkt, bildeten diese natürlichen, steilgeböschten Mauern des altbulgarischen Carensitzes stärkste Befestigung. Der zu ihm führende schmale und hohe, nur für Weg und Wasserleitung Kaum gebende Felsdanim wurde noch ungangbarer durch einen wahrscheinlich künstlichen Spalt, dessen in Kriegszeiten zerstörte Ueberbrückung unter den Geschossen des nahen, den Wall sperrenden Werkes nicht leicht erneuert werden konnte. Gleich jenseits der Brücke betraten wir den heutigen „Hisar" durch das von einigen Redif-Soldaten bewachte Hauptthor, dessen Bau jedenfalls nach oftmaliger Zerstörung in den letzten Jahrhunderten erneuert wurde. Nach einer bulgarischen Sage soll das alte Tirnovo von Riesen erbaut worden sein! Seine heutigen Mauern scheinen grösstentheils von den Türken herzurühren. Hadzi Chalfa schilderte noch die Akropolis: „In der Mitte der Stadt erhebt sich aus gehauenen Steinen ein sechseckiges Schloss mit fünf Thoren. Die Jantra umkreist es wie ein Mondhof und es ist durch zwei Thürme mit dem Wasser in Verbindung gesetzt." Ausser dem Thurme, durch welchen wir eintraten, ist heute wenig vom einstigen Schlosse zu erkennen. Zwischen den fensterlosen Lehmmauern der engen Türkengässchen stiegen wir aufwärts. Manchmal fesselten uns eingemauerte antike Fragmente, darunter eine starß verstümmelte Votivtafel, dem Jupiter „Okoninos", wohl ein barbarischer Beiname, gewidmet. Hin und wieder gewährte das überhängende Laubgezweige der Obstbäume kühlenden Schatten, und munter rieselnde, von frommen Moslims gestiftete Fontainen, in deren Fugen sich kleine smaragdgrüne Eidechsen lustig sonnten, erquickten uns mit köstlichem Quell. So erreichten wir Tirnovo's höchstgelegene Moschee, die vor 450 Jahren Allah und seinem grossen Sultan-Krieger Bajazid zu Ehren erbaute „Hisar dzamesi". Da steht er, der festgefügte hübsche Kuppelbau, mitten zwischen grün umrankten, beturbanten Leichensteinen eifriger Ghasi (Glaubensheldcn), welche einst den Halbmond ins Herz Europa's trugen. Bunt durcheinander verstreut, liegen neben ihnen die Reste verschwundener Werke, welche wahrscheinlich früher diese Stelle krönten, darunter verwitterte Säulen-stämmc und Capitäle, sie sprechen von besseren Tagen, von Kaiser Trajan's Zeiten. Eine verwischte lateinische Inschrift, nach meiner Copie von Prof. Mommsen entziffert: „Dem Poeninischen Silvanus hat es Titus Octavius.....Enkel---- gesetzt", sah die Völkerstürme vorüberbrausen, und mehrere byzantinische Simse, dann ein römisch profilirtes Steinpostament im Octogon von 1 Meter Höhe, das, wie behauptet wird, als Taufbrunnen diente, zierten einstens den alt bulgarischen Bau, an dessen Stelle noch später die Moschee trat. Wahrscheinlich stand hier auch die Patriarchalkirche zu „Christi Himmelfahrt", deren Zerstörung der erwähnte gleichzeitige Erzbischof Camblak mit den Worten beklagte: „Alsoglcich wurden die Priester aus den Kirchen verjagt und die Lehrer der Schamlosigkeit in ihnen eingesetzt, in der Fremdlinge Hand fiel die Bundcslade und die Sacramcnte wurden Hunden vorgeworfen." „An diesen und anderen monumentalen Kesten vom Caren-Palaste Joannes Alexander's, in dem er ein Concil gegen Bogomilen und Juden 1355 abhielt, von der „Patriarchia", welche „die Mutter der Kirchen des Bulgarenreiches" genannt wurde, von der „Petkakirche", welche Car Joannes Asen IL zur Bewahrung der Reliquien der Heiligen auf dem Carevcc errichtete, geht der die Hisarmoschce besuchende Moslim als „Eski seier" (alte Sachen) gleichgültig vorüber. Er hat kein Verständniss für derlei Dinge, und doch könnten sie ihn eindringlich lehren, dass auch seine stolz aufragenden Minarete, von welchen der Muezin die Kinder des Propheten zum Gebet ruft, einst stürzen werden. Wann? Wer wollte darauf antworten!" So schrieb ich 1877 — und noch dasselbe Jahr sah die Erfüllung meiner Vorhersage! (S. 172). Ein mildthätiges Lüftchen fächelte uns würzigen Kräuterduft und Kühlung zu, als wir im heissen Sonnenbrande zum höchsten Punkte des Hisars, zum „(-an tepesi", aufwärts stiegen. Der herrlichste Ausblick lohnte unsere Mühe. „vJan" bedeutet im Türkischen Glocke, „tepe" Hügel. Möglich, dass einst hier der Glockenthurm der Stadt gestanden hat. Heute krönt das tumulusartige riesige Tepe ein an drei Seiten mit Widderköpfen gezierter, 1 Meter hoher, inschriftloser Stein. Barth traf ihn hier 1862 und knüpfte an denselben die Bemerkung: „Wahrscheinlich lag an dieser so bedeutenden und den ganzen Verkehr zwischen der Donau und dem Innern beherrschenden Stätte auch im Alterthum ein fester Platz, vielleicht das kleine Nicopolis ad Hämum." Man darf unbedingt dem ersten Theil dieser Ansicht des berühmten Afrika-Reisenden zustimmen. Tirnovo's ganze Situation und unzählige antike Fragmente sprechen dafür, dass hier eine ziemlich bedeutende Römercolonie stand; nur war es nicht „Nicopolis ad Hämum", dessen vielbestrittenc Lage durch meine Funde bei Nikup an der Rusica (IX. Capitel) unzweifelhaft entschieden wurde. Bei unserem Abstieg über des Hisars nordwestlichen Hang stiess ich noch auf verwitterte römische Säulenstumpfe. Eine ziemlich starke Schutthalde mag hier die Substructionen antiker und mittelalterlicher Bauten decken. Um sie bloss zu legen, müsste man jedoch jene hindernd zwischen Reben- und Obstculturen steckenden türkischen Häuschen rasiren, welche an der mittleren Berglehne um die „Kavak baba tekesi dzami", als stattlichen Mittelpunkt, amphitheatralisch sich gruppiren. Wir hatten den Vormittag fleissig ausgenützt und mahnender Hunger trieb uns gleich sehnsüchtig dem gastlichen Han „Bella Bona" zu, als „Madame" dort unserer endlichen Bückkehr etwas aufgeregt harrte. Sie brannte nämlich schon die nach ihrer Rajahansicht ganz besonders erfreuliche Nachricht zu verkünden, der Pasa und einige höhere Beamte des Konak hätten mir ihren höchst persönlichen Besuch gemacht und lebhaftes Bedauern geäussert, mich verfehlt zu haben. Einem Stündchen Langeweile glücklich entgangen, dachte ich, und tröstete mich um so leichter, als „Madame", wahrscheinlich unter dem Eindrucke der ihrem Hause widerfahrenen hohen Auszeichnung, uns mit einem ganz besonders trefflichen Mahle von Pilav, Lammfleisch, Huhn, Obst und Käse überraschte. Viel Zeit rauben dem Reisenden Besuche und Gegenbesuche, Einladungen zum Kef bei Cibuk und Kaffee, die man, ohne unhöflich zu erscheinen, nicht ablehnen darf. Manchmal sind es geradezu verlorene Stunden, oft erhält der Ethnograph aber gerade hier Gelegenheit, politisch und social lehrreiche Einblicke in das Leben, Treiben und Hoffen ganzer Kreise zu gewinnen, wie sie sich dem blos Monumente, Gesteine, Pflanzen u. s. w. Aufsuchenden nicht leicht eröffnen. Gleich Nachmittags lohnte sich der Gegenbesuch, welchen ich einigen Herren vom Konak machte, durch ein ebenso hübsches als lebendiges Schauspiel. Schon auf dem Heimwege vom Hisar waren uns kleine Trupps junger Moslims begegnet, welche von Arnaut köi's Höhen herabkamen.. In den malerischsten buntfarbigen Costümen lagerten die kräftigen jungen Leute nun auf der zur Veranda des Mutessarif serai's führenden Treppe, begleitet von ihren Vätern und Verwandten, darunter manch prächtiger Patriarchenkopf, umrahmt von weissem Silberbart und riesigem Turban. Auf der Estrade selbst, vor welcher einige Zapties die Ordnung regierten, hatte Tirnovo's Areopag, auf weichen Kissen hockend, Platz genommen. Es galt, der Auslosung der Nizanipflichtigen für den Tirnovoer kasa, als Zeugen reinen Hergangs, anzuwohnen. Aus Nargilchs und Öibuks hoch emporgestossene Aureolen umhüllten, zu Wolken verdichtet, die würdigen Mcdjlisglieder, nichts störte sie in ihrem Kef; denn die eigentliche Arbeit ruhte auf wenigen Beamten. Der Kadi und ein wohlbeleibter Miralai, welcher den unbequemen fränkischen Waffenrock bedeutend gelüftet, verglichen zwei gleichlautende Schriftrollen, während ein Kiatib (Schreiber) den abgelesenen Namen nochmals mit lauter Stimme den harrenden Jünglingen zurief. Diese traten der Reihe nach in den Kreis und zogen aus grünseidenem Beutel das bestimmende Los. Aller Lärm wich lautloser Spannung im entscheidenden Momente. Stumme Resignation des Getroffenen, wenn das Los „Asker!" (Soldat) zum Dienste für den Sultan rief, freudiger, von hundert Kehlen wiederholter Aufschrei, wenn „haleh!" (frei) aus dem Munde des Kadi ertönte. Hier wurde es mir zum ersten Male klar, mit wie wenig Begeisterung der Moslim den Kriegsdienst unter des Propheten grünem Banner antritt. Heute, wo auch der Echt- und Rechtgläubige im Gegensatze zu früher ganz wie der Rajah alle Steuern an den Staat zu leisten hat, trifft der Verlust eines jungen Mannes das ohnedies nur spärlich mit Kindern gesegnete Haus des Moslims weit fühlbarer als zuvor. Wenn es mit dem einmaligen Nizamdienst in der regulären Truppe noch abgethan wäre! Allein die alljährlichen Landwehrübungen zur Zeit der Feldarbeit und noch schlimmer, die fortwährenden, immer häufigeren Einberufungen aus Anlass von Revolutionen bald im heissen Asien, bald in den europäischen Provinzen, auf den Schneefeldern des Balkans, Albaniens und Bosniens oder im steinigen Montenegro und Serbien! Die Losung bot fortwährend wechselnde Bilder, köstliche Zwischenfälle für den Pinsel eines Genz, Schönn oder Isabey, und hätte mich noch lange gefesselt; auf meinem Programm stand aber noch der Besuch der bulgarischen Carenkirchen und so eilte ich, mit meinem gefälligen Cicerone Siskov, nach der zu ihnen führenden Felsbrücke. Wir besuchten die Kavak baba tekesi-Moschee mit Resten von Car Asens 40 Märtyrerkirche und Omortag Chans Säule, ferner die Peter und Paul Metropolie, die Mutter Gotteskirche und die Krönungskirchc Sv. Dimitri der Aseniden. Jede dieser Bauten besitzt ihre besondere, theilvveise historisch begründete oder traditionelle Geschichte, und gab mir willkommenen Anlass zur Fortsetzung meiner kunsthistorischen Studien über die kirchlichen Monumente der altbulgarischen Carenepoche. Ich werde sie in einem geschlossenen Capitel erläutert durch einige an Ort und Stelle aufgenommene Grundrisse u. s. w. behandeln. Dort werde ich auch von den Bauten auf dem Trepevicberge zu Tirnovo, auf dem Herr Drinov jüngst (1879) die Fundamente einiger Capellen blosslegen Hess, ferner von der „lateinischen" Kirche zu Nikopoli, von den byzantinischen Denkmalen zu Mesembria am Pontus sprechen und es versuchen, ihnen die gebührende Stelle in der Kunstgeschichte des europäischen Ostens anzuweisen. Nur jener Baute möchte ich hier noch gedenken, an der sich mein Ausspruch auf S. 170 zuerst erwahrte. Nachdem die Russen Tirnovo im Juli 1877 siegreich besetzt, Hess der Gouverneur eine der Peter und Paul Metropolie nahe stehende Moschee, welche einst den Sv. Öetirideset mucenici (heil. 40 Märtyrern) geweiht war, wieder in eine Kirche für die bulgarische Miliz umgestalten. In diesen der Christus-Religion zurückgegebenen Räumen wurde am 22. Februar 1879 ein feierliches Tedeum, zu Ehren der vom Gouverneur Fürst Dondukov Korzakoff eröffneten Notabein-Versammlung, welche die politischen Grundlagen für das neu aufgelebte Bulgarien berathen sollte, celebrirt. Der Fürst, die ihm folgenden auswärtigen Vertreter, die Bischöfe, der Mufti und Rabbi, die Deputirten und vieles Volk zogen von dem im einstigen Pasakonak etablirten Parlamentsgebäude in Procession nach der Kirche, welche 1230 erbaut, 1393 in eine Moschee ver- wandelt und 1877 dem christlichen Cultus wieder zurückgegeben worden war, wie dies eine jüngst angebrachte Inschrift verewigt. « Mein nächster archäologischer Ausflug zu Tirnovo war dem NNO. von der Stadt gelegenen Arnaut köi (bulg. Arbanasi) gewidmet, das allgemein als eine sehr alte Ansiedlung betrachtet wird. Es zählte (1871) 122 bulgarische neben 38 türkischen Häusern, also etwa 1400 Seelen. Seine prächtigen Gärten, eine alterthtimliche Kirche, sowie ein benachbartes Frauenkloster machen es zum Lieblingsausflug der Tirnovoer, welche überdies mit den dortigen als Patricier geltenden Einwohnern vielfach durch verwandtschaftliche Bande befreundet sind. Eine gut angelegte neue Strasse klimmt auf dem linken Jantraufer zu dem hoch auf der Terrasse gelegenen, ZU St. fernen Dorfe allmälig empor. Sie ist dem Sonnenbrand schutzlos ausgesetzt, doch entschädigt die Romantik der sich immer mehr verengenden, hier und da mit Quellbrunnen und Lauboasen geschmückten und Uberall von horizontalen, röthlich gefärbten Kalkbändern durchzogenen Steilschlucht reichlich für die Mühen des Weges. Durch Wein- und Obstculturen gelangten wir, das türkische öde Viertel zur Seite lassend, an die niedere, von Aussen ganz unscheinbare Kirche. Gräber aller Formen mit und ohne Blumenschmuck, dann einzelne prächtige Bäume verbergen sie beinahe dem Auge. Selten sah ich ein mystischeres Gebäude. Es ist eine Art oberirdische Katakombe, aus deren düsterem Hauptraume man in sechs noch niedrigere, fensterlose und nur durch bescheidene Lämpchen erhellte Capellen tritt, welche wahrscheinlich von den zu Arbanas wohnenden reichen macedo-walachischen Familien allmälig dem Hauptschiffe angefügt worden sind. Das Ganze, sowohl Bau als Ausstattung, gewährt nur geringes kunsthistorisches Interesse, denn wenige Fresken erheben sich über die gewohnten schablonenhaften Bilder orientalischer Dorfkirchen. Interessant schien mir nur eine mit fremdartiger Schrift gezierte metallene Schüssel des sonst unbedeutenden kleinen Reliquiariums. Da ihre Copie mich zu lange aufgehalten hätte, versprach mir der Dorfpope sie am nächsten Morgen nach Tirnovo zu bringen; doch weder ihn noch Schüssel sah ich jemals wieder. Vielleicht löset ein Arbanasi später besuchender Alterthumsfreund ihr Geheimniss. Als Stifterin der frommen Baute und Gründerin der ursprünglich griechischen Colonie wurde mir von Pope und Einwohnern eine byzantinische, an Car Sisman (um 965) vermählte Prinzessin genannt. Nach der Kirche mittelmässiger Bautechnik zu urtheilen, dürfte sie aber der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts angehören. Dafür spricht auch eine andere Tradition, dass der Ort erst vor 400 Jahren von sehr schwunghaften Viehhandel nach der Donau treibenden Gräco-Walachen aus dem Epirus gegrüudet wurde. Um 1793 befand sich hier ein Kloster, in dem jener vielgeprüfte Patriot Stojko kurze Zeit weilte, welcher später, als Bischof Sofronije von Vraca, durch sein Martyrium für die nationale Sache sich auszeichnete und 1S06 im Exil zu Bukarest das erste gedruckte Buch in neubulgarischer Sprache herausgab. Heute ist von dieser Lavra nichts mehr zu sehen. Die schönen Häuser der walachischen Kaufleute zu Arbanasi, welche ich bereits früher rühmen hörte, erheben sich weit über den landesüblichen Maassstab für Privatbauten und erinnern in vielen Stücken an Ober-Italiens Castelli. Das einstige Haus Brankovans, in dem die gleichnamige berühmte Bojarenfamilic wohnte und welches ein weiblicher Sprosse testamentarisch der Commune schenkte, ist ein einstöckiger, stattlicher Bau mit starken Gewölben und zahlreichen Gelassen. In diesen Räumen suchte der verjagte letzte griechische Bischof von Tirnovo seine ungeberdige Herde und seinen Kummer zu vergessen. Andere palastartige, im Innern mit zierlichen Holzschnitzereien, Decken, Kaminen in Stucco u. s. w. decorirte Bauten, gehörten den Patriciern Trandafil Kantakuzcn, Bratiano und Gjordaki Filipescu. In welchen Beziehungen diese Namen zu den gleichnamigen einflussreichen Bojaren-Familien Rumäniens stehen, wird noch aufzuhellen sein. Allmälig ist ihr Besitz zu Arbanasi in bulgarische Hände übergegangen; Gjorgje Hadzi Ilija's und Atanas Ruzovics schöne Häuser sind als Typen soliden orientalischen Luxus sehenswerth und mit Vergnügen erinnere ich mich der erquickenden Rast, zu welcher uns diese Herren in liebenswürdigster Weise einluden. Auf viel kürzerem aber abschüssigem Kletterwege ging es Abends zurück zur Carenstadt. Einen Augenblick sprachen wir in dem nahe bei Arbanasi am Hange liegenden kleinen Frauenkloster Sv. Nikola ein, dessen würdige Matronen, als gute Bekannte Siskov's, uns gastlich bewirtheten. Vom jungen weiblichen Inhalte dieser namentlich durch kunstvolle Handarbeiten berühmten Clausur bekamen wir jedoch nichts zu sehen. Nur melodischer lauter Gesang aus frischen jugendlichen Kehlen tönte zu uns herüber aus dem Kirchlein, welches die Nonnen zum Abendgebet versammelte. Unter einem 90 Jahre alten Vorstande leben hier 30 Frauen nach Cönobitenregel der Arbeit und Entsagung. Das Gärtchen des von der Tirnovoer Welt viel besuchten Klosters conservirt in toleranter Weise einen Stein mit heidnischem Figurenschmuck. Im Abenddunkel erkannte ich wohl dessen römische Herkunft, doch das Detail vermochte ich nicht zu unterscheiden. Ich bin mit der Erzählung des Gesehenen und Erlebten in der einstigen Carenstadt zu Ende. Die Tage flössen in Arbeit, die Abende im Han „Bella Bona" in anregender Unterhaltung rasch hin, denn während meines Dortseius bildete er das Stelldichein der Occidentalcn Tirnovo's. Nun war auch der Tag, an dem ich mich beritten machen sollte, erschienen und die wenigen Mussestunden, welche mich von meinem Ausfluge nach Rahovica's Tattersall trennten, wurden dem Besuche der „Fabrika" im nahen Marinopol gewidmet. Dort in der Mitte unzähliger kleiner Raki-Brennereien, fand ich in einem von Herrn Karagiozoglu begründeten grossartigen Etablissement eine Seidenfilatur, Mehlkunstmühle und Spiritus-Raffinerie durch Dampf und aus der Jantra abgeleitete Wasserkraft getrieben. Trotz ziemlich rationeller Einrichtung der beiden letzteren Fabrikszweige konnten sie doch aus verschiedenen Ursachen nur schwer die Concurrenz mit der impor-tirten Waare bestehen. Um so besser ging es mit der Seidenfilatur, ich traf diese in voller Arbeit; allerdings wird sie von einigen tüchtigen Italienern und Schweizern im Pachte betrieben. Die empfangenen Aufklärungen hier und auf meinen weiteren Reisen Hessen erkennen, welche wichtige Einnahmsquelle die Seidenzucht für die bulgarische Landbevölkerung bildet; ich werde dafür einige sprechende Daten im III. Bande bringen. Während wir die selbst nach europäischem Maassstabe bedeutende Fabrik Karagiozoglu's besichtigten und erneuert die Leistungen einfacher bulgarischer Werkmeister bewunderten, welche die Bauten und einige sinnreiche Apparate hergestellt hatten, war der zur Fahrt nach Rahovica gemiethete Sirketwagen vorgefahren. Bereits thronte Prof. Siskov auf einem aus Heu und Teppichen impro-visirten Sitze und so wenig Raum vorhanden war, nahm ich doch H. Bianchi's Anerbieten, uns dahin zu begleiten, freudigst auf; denn der Leiter der Seidenfilatur war nicht nur ein ausgezeichneter Gesellschafter, sondern auch ein tüchtiger Pferdekenner. Durch vielfältige Ausflüge ins Innere des Landes kannte er überdies, alle Welt und speciell zu Rahovica besass er gute Freunde. Vor der Abfahrt erquickte uns noch ein schnell improvisirter Imbiss im Wohnsttibchen des heiteren Sohnes der Schweizerberge. Wie der Deutsche, wo es nur immer angeht, ein Fässchen Bier sich in den Keller zu schaffen weiss, so der Italiener würzige Salami und Parmesankäse in die Küche. Draussen brannte die Sonne mit allen Gluthen und doppelt schmeckte das echt italienische Frühstück im kühlen Räume. Als Tafelmusik klangen die frohen Lieder der bulgarischen Arbeiterinnen zu uns herüber, es wurde eine Flasche Roth wein geleert, dabei von Occident und Orient geplaudert, und als die Sonne sich etwas gesenkt, ging es in heiterster Stimmung am rechten Jantraufer, durch riesige Leichenhöfc, die kahlen, grellbeleuchteten Kalkberge in Tirnovo's Osten hinan, zu der nach Osmanpazar führenden Strasse. Nachdem wir die Höhe erklommen, bot sich uns ein prächtiger Blick auf die Wiege der Sismanidcn, und gegen 0. breitete sich die fruchtbare, stark undu-lirte Hochebene aus, welche die vom Balkan herabkonnnenden östlichen Quell-arme der Jantra durchfliessen. Links von der Strasse erhob sich rasch das Terrain, und als wir aus einem schattigen jungen Laubwäldchen heraustraten, machte, uns Siskov auf das von der Höhe herabblickendc Kloster „Sv. Petar" aufmerksam. Es war das vierte Kloster in Tirnovo's unmittelbarster Nähe und ein fünftes „Sv. (.'etiridcset" (40 Märtyrer) lag bei Merdan dicht neben diesem. Die bulgarischen Care und Grossen standen also in frommer Pietät hinter jenen Serbiens nicht zurück. Hier bogen wir links von der grossen Strasse nach Les-kovica ab. Der Weg wurde elend, umsomehr überraschte mich der ausschliesslich von Bulgaren bewohnte Flecken, welcher an Grösse und Wohlhabenheit das nahe Bezirksstädtchen G. Rahovica übertrifft. Wir übersetzten den niederen Rücken, welcher beide Orte trennt, und hielten spät am Abend vor dem Hause eines bulgarischen Geschäftsfreundes Signor Bianchi's. Er hiess uns als liebe Gäste willkommen und setzte die Frauen des Hauses in Bewegung, um rasch ein treffliches Abendbrot zu bereiten. Schon am frühsten Morgen ächzten ungeschlachte Bauernkarren über die ausgetrockneten Morastfurchen des Ortes und lauter Lärm verkündete den Beginn des Bazartreibens. Unsere Fenster gingen auf die Hauptverkehrsstrasse und diese bot das bunteste Durcheinander. Christen, Türken, Zigeuner, zerrissen und gut gekleidet, immer aber pittoresk aussehend, Landleute, Bettler, Popen und Derwische, Kinder und Weiber, Caravancn von Lastpferden und Gethier aller Art drängten sich um und zwischen die grossen Buden, welche oft den gerade nicht wohlriechendsten Theil ihrer Vorräthe auf der Strasse ausgelegt hatten. Dort mengten sich frisch abgezogene Häute, Theerfässer, Salzblöcke, Unschlitt, Paprika-Zwiebel-, Obst-, Kürbis-, Gurken-, Melonenhaufen u. s. w. wirr durcheinander, während die Innenräume Gegenstände für den Haushalt oder verführerischen Krimskram zum Putz und Anzug für Männer und Frauen bargen. Dazwischen schmorte und briet es in unzähligen kleinen Garküchen, Hammelfett mit Knoblauch gemengt durchduftete die Luft, und wenig appetitliche Köche, mit einer Hand sich oft schneuzend oder nach beunruhigenden Insekten fahndend, während die zweite den Braten eifrig drehte, priesen den Wohlgeschmack ihrer Gerichte schreiend an. Wir drängten uns durch alle diese und andere durch Farbe und Originalität malerischen Scenen, welche noch ihres Genz harren, zum Rahovicer Tattersall. Er bot ein wo möglich noch sinnverwirrenderes Schauspiel. Auf einem von Baracken umschlossenen, nicht allzugrossen Platze tummelten sich etwa 150—200 Pferde, von den merkwürdigst aufgeputztesten Gestalten geführt und geritten. Was besagen aber diese occidentalen Sport-Ausdrücke gegenüber den allerlei Künsten, in welchen die Verkäufer ihre vierbeinige Waare producirten. Eigentlich kennt der türkische Reiter nur 4 Gangarten: den ruhigen Schritt (jeschkin), den rascheren (kara jeschkin), einen eigenthümlich beschleunigten Pass (rachvan) und den Galopp (link), der bei grösster Eile in „ventre ä terre" übergeht. Auf dem Pferde-bazar herrschte aber ein derartiges Durcheinanderjagen von Reitern und Pferden, ein solches Kufen, Schreien, Lachen, Fluchen, Feilschen, dass es Mühe kostete, das Einzelne im wirren Knaul zu erfassen. Der grössere Theil der aus dem Rusicagebiet und dem benachbarten Tozluk zum Verkaufe gebrachten Pferde zählte 5—8 Jahre, es waren aber viel jüngere da und auch solche, welchen, ganz wie bei uns, durch allerlei künstliche Mittel für diesen Tag ein jugendlicheres Temperament angezaubert worden war. Besonders verstehen sich die Zigeuner trefflich auf diese Rosskammkünste, wTie sie auch wegen ihres aufgeweckten Wesens als Verkäufer (telal) sehr beliebt sind. Sie putzen sich gewöhnlich für den Markt ganz besonders heraus. Das carmoisin-rothe goldbenähte Leibchen, der rothe Gürtelshawl stechen gut von dem blendend-weissen Hemde ab, dieses wieder von der braunen Hautfarbe und dem pechschwarzen Haare, welches das oft schöne Gesichtsoval flatternd umrahmt. Der bunte palmengemusterte Turban mit fliegenden Enden sitzt coquett auf dem lebhaft bewegten ausdrucksvollen Kopfe, aus dem blitzende Augen nach leichtgläubigen Käufern spähend suchen. Ich gedachte zwei Reitpferde und ein Lastpferd (Seksana) zu kaufen und Signor Bianchi hatte sich desshalb hinter einen geriebenen Unterhändler gesteckt. Kaum war jedoch die uns auf den Bazar führende Absicht von den Herren Rosskämmen erkannt worden, so wurden wir bald direet von blumenreichsten, aber nichts desto weniger zudringlichen Anträgen bestürmt. Erheiternd wirken die Lobsprüche, mit welchen ganz niederträchtige Gäule angerühmt werden; ihre Fehler wurden zu Vorzügen gestempelt und oft mussten wir in ein herzliches Lachen ausbrechen, in das die Händler dann selbst mit einstimmten. Die Verkäufer der besseren Thiere Hessen sich aufsuchen. Endlich waren die Pacte geschlossen, die üblichen Verkaufsscheine gelöset, dem türkischen Marktbeamten die Ankaufssteuer mit 15 Piastern pro Pferd bezahlt und unter zahlreichen Segenswünschen wurde ich glücklicher Besitzer dreier Thiere, die sich bis zum Ende meiner Reise, ungeachtet der grossen Zumuthungen, welche auf manchmal zehnstündigen Märsehen und 2000 Meter ansteigenden Balkanpassagen an sie gestellt wurden, ganz ausgezeichnet bewährten. Ich dankte herzlich den Herren, welche mir durch ihre Sach- und Local-kenntnissc zu dem trefflichen Kaufe verholfen hatten, und fühlte mich einer grossen Sorge ledig. Einen englischen Sattel besass ich, einen zweiten trat mir Herr Gavronjski ab, ein „seiner" (Packsattel) für das Lastpferd war in Tirnovo leicht zu finden. Nunmehr beritten, konnte ich mein Routier, ganz unabhängig von Beamten-, Zaptie- und Öorbasilaunen, wohin ich wollte, richten; wahrlich ein beruhigendes Gefühl! Wohl hat der Reisende im Besitze eines Fcrmans, wie er mir durch die freundliche Bemühung der k. u. k. Botschaft zu Theil wurde, oder in Folge eines Pasa-Bujuruldu's, zweifellosen Anspruch auf die Beistellung von Kunitz, Donaii-lJiilKnrlPii und der Balkon. 12 Pferden gegen die landesübliche tägliche Vergütung. So verführerisch dies klingt und so vcrhältnissmässig bescheiden auch die Taxe, rathe ich doch jedem Reisenden, der längere Zeit im Innern zu verweilen gedenkt, zur Nachahmung meines Beispiels. Wohl bereitet die Erhaltung und Pflege der Pferde oft manche Sorge und beim Verkaufe büsst man beinahe die Hälfte des Preises ein. Dies alles verschwindet aber gegenüber * den Verdriesslichkeiten, den grossen Zeitverlusten und Qualen, welche der häufige Wechsel der Thiere herbeiführt. Leider Hess ich meine Reitsättel zu Tirnovo und musste die erworbenen Pferde ledig dahin senden. Sie schlugen den kürzeren und romantischeren Steilweg über Arbanasi ein; ich sah mich aber zur wiederholten Fahrt in dein federlosen Sirket-Wagen, auf der holperigen Vicinalstrasse über Lcskovica verurtheilt. Ich gehe über diesen schönen Flecken und seine römischen Reste hier weg; denn erst 1872, gelegentlich meines zweiten Besuches der Jantragegend, lernte ich sie kennen. Im III. Bande wird von ihnen die Sprache sein. Längeren Halt machten wir nur am Fusse der hübsch bewaldeten, von mir mit 417 M. gemessenen Höhe, welche das erwähnte Kloster Sv. Petar trägt. Auf steilem Pfade stiegen wir zu ihm hinauf, Prof Siskov kannte die Mönche, dies verhalf uns zu einer physischen Erquickung; geistig war aber hier wenig zu holen. Nicht einmal über das Alter des bescheidenen, architektonisch weni"-interessanten Kirchleins konnten wir Bestimmtes erfahren, man wusste nur, dass die antiken Säulenfragmente im Klosterhofe vom nahen Nikup herrührten. Blieb unser Aufstieg nach der hochgelegenen Stätte des Apostels, welcher die Himmelsschlüssel bewahrt, ohne archäologische Resultate, so erwies sich der erhoffte Ausblick von der schattigen Veranda des Mönchkonaks doch äusserst lohnend. Sehr gut vermochte ich von hier den Jantralauf zu croquiren, der den älteren Karten widersprechend, mit weit ausgreifendem Bogen, tief gegen W. ins Land schneidet. Auch Dr. Heinrich Barth copirte auf Treu und Glauben diesen groben Fehler der russischen Karte. Einer der Mönche nannte mir einige Orte, welche auf der hier vom Flusse gebildeten Zunge lagen, die ich 1872 nebst vielen anderen dort in Karte brachte. Das „Sirket" bereitete uns auf der Heimfahrt noch schändliche Qualen; doch landeten meine arg mitgenommenen Knochen ohne besonderen Zwischenfall im Han „Bella Bona", wo mich eine erquickende Nachtruhe für den Aufbruch am nächsten Tage stärkte. IX. NACH NICOPOLIS AM ISTER UND SVISTOV. Mein Reisegeleit. — Ibrahim Caus. — Aufbruch nach Nikup. — Ein deutsches Landhaus. — Durch-furthung der Rusica. — Ruinenfeld von „Nicopolis am Ister". — Dessen Umfang, Umwallung und Thore. — Sein Prätori um. — Gräberstätte, Sarkophag und Bad. — Dccorative Reste. — Mein Vertrag mit türkischen Schätzesuchern. — Ausgegrabene griechische Inschrift. — Die Streitfrage über die Stelle von Nicopolis ad Hämum entschieden. — Die alten Itincrarien und Münzen. — König Sigismunde und Bajazid's Nicopolis. — Trajan's und Heraclius' Nicopolis. — Aeltere und neuere Historiker über deren einstige Stelle. — Aufhellung ihrer Widersprüche. — KirchhofFs Lesung der Inschrift. — Enttäuschung der Schatzgräber. — Türkische Behörden und antiquarische Funde< — Münzen von Nicopolis. — War Trujan sein Gründer? — Nicopolis' einstige Bedeutung. — Dessen Handels- und Heerstrassen. — Seine Prachtbauten. — Zerstörung durch Gothen und Hunnen. — Keine mittelalterlichen Funde. — Abschied von der Trümmerstätte. — Prof. Brunn's jüngste Hypothese. — Enttiagene Sculpturen und Inschriften zu Novi Nikup. — Römerstein zu Mekis. — Topographisches. — Getreidc-Caravane bei Tekir. — Frachtlohn in Bulgarien und im Occident. — Sumpffieberherde. — Im Janakci han zu Svistov. — Auf der Cuka. — Geschichte der Stadt von der Römerzeit bis zum russischen Kriege 1877. — Donauübergang. — Fürst Alexander v. Battenberg betritt bulgarischen Boden. — Svistov'a Besetzung. — Brückenbau. — Car Alexander's Besuch. — Während des Krieges. ie Pünktlichkeit, mit welcher am Morgen des 5. Juni das mir vom Mutessarif Ilaidar Bei zugesagte Reisegeleite an der Pforte des Bella Bonahan erschien, gereichte dem Mulasim seines Zapticcorps zu vollster Ehre. Ein martialischer Oaus (Sergeant) und zwei Gensdarmen überbrachten mir die besten Rcisewünsche von Seite der genannten Autoritäten. Da jedoch das zu erforschende Gebiet ziemlich sicher war, glaubte ich die beiden Zapties als eine nutzlose Vermehrung meiner Suite entlassen zu können. Nur den Caus Ibrahim behielt ich. Er wusste schon in der ersten Stunde, durch Würde und seinen überlegenen Rath bei der Packung unseres Lastthieres, meinem Dragoman verdienten Hespert abzugewinnen. So war ich auch in dieser Beziehung vom Glücke begünstigt. Der Beginn einer Reise zu Pferde ist immer etwas umständlich. Im letzten Augenblicke stellen sich stets kleine Uebelstände bei Pack- und Sattelzeug heraus und auch sonst Nothwendiges ist vergessen worden; der Witz des Orientalen in 12* Aushilfsmitteln erprobt sich aber stets bei solchen Anlässen. Alles was gegenwärtig greift rathend und helfend zu, doch geht darüber viel Zeit verloren. Immer noch früh für einen ersten Aufbruch, um 8!/a Morgens, stand unsere kleine Caravane marschfertig da. Mir zur Seite, elegant im Sattel, Herr Ingenieur Gavronjski, der mich als angenehmer Reisebegleiter bis Svistov weiter in Schuld nahm, an der Tete (Jaus Ibrahim, Dragoman Jakub Effendi und das Trainpferd schlössen rückwärts an. Die abwechselnd in Thränen zerfliessende und gleich wieder heitere Hausfrau meines Hans steckte zum Abschied mir einige Blumen zwischen das Hutband, Prof. Siskov mit den Signori der Fabrika begleiteten uns bis vor das Weichbild der Carenstadt. „Auf Wiedersehen in 14 Tagen im Bella Bonalian!" und fröhlichen Muthes schlugen wir den Weg zum Jantra-Defile gegen N. ein. Dahin führte der Beginn meines Routicrs, welches ich mft einigen landes-und strassenkundigen Leuten zu Tirnovo nochmals reiflich berathen und mit Berücksichtigung sämmtlicher zu lösenden Fragen für die ganze Reisedauer in West-Bulgarien festgestellt hatte. Nichts vermochte mir in der Folge daran zu rütteln; abgesehen von geringfügigen Abänderungen führte ich es beharrlich beinahe auf Tag und Stunde durch, wobei mich allerdings der herrliche, wenn auch heisse Sommer des J. 1871 ausserordentlich begünstigte. Die erste Tour meines Routiers lautete: Von Tirnovo durch die römische Nicopolitana nach Svistov, von der Donau über Selvi und Gabrovo durch das Jantra-Quellgebiet, sodann über den Sipka-Balkan in das Rosenbecken von Kazanlik, endlich über den Travna-Balkan und Drenovo zurück zum Ausgangspunkte, zur Carenstadt. Von den meisten antiken Resten, welche ich in und bei Tirnovo gesehen, wurde behauptet, dass sie von einem riesigen Ruinenfeldc bei Nikup an der Rusica herrührten. Leicht begreiflich also, dass ich vor Ungeduld brannte, mich so rasch als möglich von der Wahrheit seiner phantastischen Schilderung zu überzeugen. Unser Weg nach Nikup führte durch die bereits (S. 154) skizzirte Klosterschlucht. Mit der rasch eilenden Jantra gleichen Schritt zu halten, war unmöglich, doch Hessen wir uns auch nicht, trotz der stechenden Sonne, von den einladend herabblickenden Klöstern zu behaglicher Siesta gefangen nehmen. Nicht leicht konnten wir aber ohne kurzen Halt an der Consul Scheu'schen Campagna vorüberziehen, in der ein nach Bulgarien verschlagener deutscher Schuster Pförtner-Dienste versah. Wir bewunderten die niedliche Anlage, wo so vieles in Häuschen und Garten an die ferne Heimath mahnte, freuten uns der Nettigkeit im kleinen Haushalte, der Schönheit dreier kleiner Blondköpfe und bedauerten andrerseits den Verfall des reizend gelegenen Landgutes, dessen Instandhaltung wohl bedeutender Mittel bedurft hätte. Es war jedenfalls ein romantischer Gedanke, unter wenig Sicherheit und Comfort bietenden Verhältnissen sich hier zur Villeg- giatur anzusiedeln! Consul Scheu hat seitde^n seine Wohnung in lichteren Höhen bezogen. Was mag aus dem netten Häuschen, von dessen hohem Mäste uns die niederländische Flagge zum Abschied grüsste, geworden sein? Auf dem 17 Kilometer langen Wege bis zur Rusica passirten wir keine Ortschaft. Die bereits geschilderten buntfarbigen Hane von Samovoden waren die letzten menschlichen Stätten, und doch ladet die humusreiche Terrasse, über welche wir in nordwestlicher Richtung zogen, zur Ansiedlung ein. Da bedürfte es keiner Rodungen, denn die von den Tirnovoer Bergen gegen N. sich vorschiebenden niederen Kalkrücken sind nur schwach bewaldet und gehen allmälig in eine fruchtbare, wenig undulirte Hochebene über, welche die Rusica in nahezu streng horizontaler Linie W.—0. durchschneidet. Wir passirten ihre etwa 35 M. breite Furth, als eine leider rasch vorübergehende Brise die grünen Fluthen leicht bewegte. An einigen unerwartet tiefen Stellen fand sich Gelegenheit, die Ver-lässlichkeit meiner Pferde zu erproben, und alle, namentlich das Trainpferd, hielten sich trefflich. „Effendim!" hatte der Verkäufer eines der Thiere versichert, „nicht nur über Berge und Wasser, selbst durch Feuer wird mein Pferd Euch sicher tragen." Nun, letzteres hätte noch gefehlt. Ich war vollauf zufrieden, dass sich der erste Theil der Verheissung des würdigen Osmanli bewährte. Der Steilrand des linken Rusicaufers erhebt sich bis 10 Meter Höhe. Wir erstiegen ihn, ritten durch niederes Laubholz, das die Aussicht hinderte, andrerseits uns aber gegen die sengenden Strahlen der dem Zenith zueilenden Sonne wohlthuend schützte. Aus dem Buschwerk heraustretend, stiessen wir auf vereinzelte distelbewachsene Mauer- und Schutthaufen und nach einem Ritte von wenigen Minuten standen wir auf dem ersehnten Ruinenfelde „Eski Nikup", dessen Ausdehnung mich geradezu überraschte. Nie war ich auf meinen vielen Kreuz-und Querzügen auf ehemals römischem Boden den Resten einer gleich riesigen Ansiedlung begegnet; für ihren einstigen hohen Glanz sprachen die allenthalben zerstreuten architektonischen Fragmente, auf die wir bei fortgesetzter Wanderung stiessen. Nachdem ich mich in dem unabsehbaren Trümmerhaufen etwas orientirt hatte, versuchte ich einen allgemeinen Umriss der ehemaligen Stadt-Umwallung zu gewinnen. Auf dem weiten Plane war keine menschliche Ansiedlung zu entdecken. Mit H. Gavronjski und Ibrahim Öaus umritt ich die Ruinenstätte und fand, dass ihr Umfang mehr als 1 Stunde betrug. Nach meinen Wahrnehmungen musste sich die grösste Ausdehnung der Stadt von 0. gegen W. erstreckt haben. Die Strassen strichen in regelmässigen Parallclzügen, von anderen rechtwinklig durchschnitten. Ihre einstige Richtung kennzeichneten lange Busch- und Distelstreifen, oft war sogar die Area einzelner Hauptgebäude leicht erkennbar. Bei unserem Ritte durch die wellenförmigen Mulden von 0. gegen W. stiess ich im nordöstlichen Weichbilde auf untrügliche Spuren efhes grossen Platzes, der, seinen zahlreichen architektonischen Prachtresten nach zu urtheilen, einst das Forum der Stadt gebildet haben mochte. Ich werde noch später auf dasselbe zurückkommen. Weiter ziehend, erblickten wir rechts und links, an der nördlichen und südlichen Um« wallung die mächtigen Pylone zweier Thore, welche miteinander correspondirend eine breite Strasse abgeschlossen hatten. An der westlichen Wallfronte überraschten uns die Reste eines dritten Thores, dessen Anbauten noch mächtig aufragten, die grossartigen Verhältnisse seiner Pfeiler traten trotz der sie beeinträchtigenden hohen Schuttmasse imponirend hervor, die Wölbung lag aber unter Trümmern begraben und von der ganzen einstigen Decorirung des Portals war keine Spur zu entdecken. Nur an der inneren Thorfrontc waren die Ansätze des Schlussbogens deutlich zu erkennen, ferner die anschliessenden Mauern eines kleinen vorliegenden Hofes, des „Propugnaculum", in dem sich das Ausscnthor befunden haben musste. Die bedeutende Stärke dieser Befestigungsreste und andere Momente lassen mich vermuthen, dass hier im Westen der Stadt ihre einstige Burg, das „Praetorium", gestanden haben dürfte. Ich glaube darin nicht zu irren. Dieser westliche Theil entspricht nämlich vollkommen den Bedingungen, welche die Römer bei der Anlage ihrer befestigten Plätze gewöhnlich leiteten. Er dominirt durch seine erhöhte Lage ganz bedeutend das östlichere Territorium, wird südlich durch den Fluss gedeckt und erhält durch seinen steileren Absturz gegen W. ein weiteres strategisches Moment, was alles zusammen dessen stärkere Befestigung entschieden haben mochte. Schwierig erscheint es, ohne vorhergehende Blosslegung der gründlich zerstörten Mauern, schon gegenwärtig den Umfang des militärischen von jenem des bürgerlichen Weichbildes zu trennen, und ebensowenig möchte ich ohne die berührte Vorbedingung entscheiden, ob die bereits erwähnten Nord- und Südthore, zum Bereiche der Hauptburg gehörend, vielleicht die Porta principalis dextra und P. p. sinistra der Via principalis gebildet hatten. Wäre dem so, dann würde dem grossen dritten Westthore die Rolle der Porta decumana zugefallen und die Porta praetoria in der östlichen verlängerten Linie von ihr zu suchen sein. Dieser Anordnung der Via praetoria und Via principalis, der beiden durch vier Thore geschlossenen Hauptstrassen, widerspricht aber, vorausgesetzt, dass bei der Anlage der fraglichen Befestigung die Principien altrömischer Castell-bauten strenge festgehalten wurden — die Beschaffenheit des Terrains gestattete dies allerdings — die örtliche Lage des Westthores; denn weitere Gegengründe hier nicht in Betracht gezogen und angenommen, die Frontalseite wäre wirklich nach Osten gerichtet gewesen, so hätte ihre Porta praetoria sowohl, als auch die mit ihr correspondirende Porta decumana genau auf die Mitte der Via principalis, d. i. der durch das Nord- und Südthor abgeschlossenen Hauptstrasse zu stehen kommen müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ja, die Lage des hier entscheidenden Westthores weicht sogar se.hr bedeutend vom Mittelpunkte der Mauerfronte nach Norden ab! Unter Erörterung dieser Fragen, deren letzte Entscheidung einer späteren Zeit vorbehalten bleibt, gelangten wir durch das Westthor hinaus vor den einstigen Stadtfrieden und befanden uns auf einem Begräbnissplatze, den ein riesiger Sarkophag auf niederer Anhöhe majestätisch beherrscht. Wie allerorts, hatte auch hier der Barbaren Habsucht die Stätte der Pietät nicht verschont. Ob auch der merkwürdige, im Zickzack durch Deckel und Kiste gehende scharfe Spalt des durch seine Grösse auffallenden Sarkophags auf Rechnung wandernder Horden oder eines zufälligen Blitzstrahles zu stellen sei? Jedenfalls war hier rings umher das Löss-Erdreich durchwühlt, ja theilweise ausgehoben worden, monumentale Trümmer lagen zerstreut in der Nähe und eine tiefe Grube schien aus jüngster Zeit herzurühren, was nicht auffallend, da die Lust an Schatzgräberei noch heute sowohl bei Türk' wie Christ, bei hochgestellten Beamten wie Bauern im Schwünge ist. Auch auf dem Rückwege, den wir in entgegengesetzter östlicher Richtung einschlugen, stiessen wir innerhalb der Stadtmauern unausgesetzt auf architektonische Ruinen. Nahe bei dem zuletzt erwähnten Portal erblickten wir die Reste eines 22 Schritte langen Baues, welcher am meisten vom Schutte befreit, theilweise noch Aussenmauern von beträchtlicher Höhe zeigte und dessen Souterrain der Breite nach zahlreiche parallele, schmale, kanalartige Wölbungen durchzogen, von welchen eine von Beutelustigen gewaltsam durchbrochen worden war. In der aus riesigen Steinplatten hergestellten inneren Verkleidung der Ostmauer befanden sich, in Mannshöhe vom Roden, in horizontaler Linie und ziemlich kleinen Abständen, zahlreiche kleine Oeffnungen, durch welche einst wahrscheinlich metallene Röhren liefen. Das Ganze machte seiner Anlage nach den Eindruck eines Bades von schönen Verhältnissen mit äusserst prächtiger Decoration. Auch hier kann aber nur die eingehendere Untersuchung Gewissheit geben. Ich copirte eine sehr reich verzierte Deckplatte nebst einem Friesstücke und gebe sie hier als Typen der ornamentalen Kunst, welche Tempel und Paläste der verschollenen Ruinenstadt einst schmückte. Während ich mit diesen Skizzen beschäftigt war, signalisirte II. Gavronjski, der sich auf einem nahen, mit Disteln übersäeten Schutthügel als Ausluger postirt hatte, Ibrahims Anzug mit mehreren Moslims. Wir hatten nämlich südwestlich vom Sarkophaghügel ein türkisches Öiftük entdeckt, und glücklich hatte sich unser Caus seiner Mission entledigt, aus demselben einige Leute mit Grabwerkzeugen und Wassereimern herbeizuschaffen. Mehrere herkulische Gestalten, darunter der junge Gutseigcnthümer in scharlachrother, goldbetresster Jacke, be- grüssten uns, nicht ohne raisstrauische Blicke in mein Zeichenbuch zu werfen. Wie waren die Leute für unsere Zwecke zu gewinnen V Bereits Yor ihrem Erscheinen hatte ich mit Ii. Gavronjski einen „geheimen Plan" entworfen, den glänzender Erfolg krönte. Wir machten den Türken den Vorschlag, uns bei der Freilegung eines grossen Steines behiilflich zu sein, welcher allem Anschein nach in alter „Genevlischrift" wichtige Andeutungen enthalte, und sollten diese zur Hebung irgend eines Schatzes führen, so wollten wir als „dostler" (Freunde) den Fund ehrlich mit ihnen theilcn. Die würdigen Moslims, welche im Interesse der Wissenschaft auch nicht einen Spatenstich geführt hätten, stimmten dem Vertrage unter verschiedenen „Inschallah" zu und mit sichtlicher Hast und Spannung folgten sie uns zum Platze, dessen ich bereits früher als muthmaasslichcn bürgerlichen Forums der Römer-Colonie erwähnte. Ziemlich in der Mitte des von architektonischen Bruchstücken, Säulen, Deckplatten, Friesstücken u. s. w. bedeckten Terrains hatte ich, dasselbe auf der Suche Fries und Deckplatte von Nicopolis am Istcr. nach Inschriften und gestempelten Ziegeln durchstreifend, die Carniskante eines aus dem Boden hervorragenden Steines entdeckt, welcher dicht neben der Pro-filirung die ersten Buchstaben einer vielzelligen Inschrift erkennen Hess. Diesen Stein aus seinen mehr als tausendjährigen Banden zu befreien, war nun die Aufgabe, an die sich unsere moslimschen Bundesgenossen eifrig machten, es war für ihre hölzernen Schaufeln und primitiven Beile ein hartes Stück Arbeit. Ich wich nicht von der Stelle, da ich eine Beschädigung der allmälig hervortretenden Inschrift befürchtete. Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Schatzgräber nieder, sie wischten den Schweiss von den kahlrasirten Köpfen, die Aussicht auf Gewinn belebte aber ihren Eifer. Endlich, nach einer langen Stunde und unzähligen „Weh! Wuh!" mit welchen der Türke jegliche Kraftanstrengung begleitet, lag die vierzehnzeilige Inschrift durch vieles Wasseraufgiessen ziemlich rein da. Doch zeigte sich ein Uebelstand. Die letzten Buchstaben der senkrecht stehenden Zeilen Hessen sich trotz alles Bemühens von der anliegenden Erde nicht gänzlich befreien, noch war der fest im Boden wurzelnde colossale Stein von seiner Stelle zu bewegen. Dies erschwerte seine Copie unendlich und auch ein Abklatsch erschien nicht leicht zu nehmen. So suchte ich, buchstäblich auf dem Bauche liegend, die Inschrift zu copiren. Ein historisch eminent werthvoller Fund belohnte meine Ausdauer. In den letzten beiden Zeilen der Inschrift war der Name der Stadt deutlich zu lesen, deren „heiligster Senat und erhabenes Volk" den Votivstein im J. 203 der „Julia Domna" zu Ehren hatte aufstellen lassen. Jeder Zweifel war weiter ausgeschlossen, wir standen auf den Ruinen jenes „N1KOIIOA1C flPOC 1CTPX2I", welches Kaiser Trajan, nach Jornandes Mittheilung, zum Andenken seiner Siege über die Sarmaten in Mocsia gegründet hatte und das durchaus nicht mit dem gleichfalls von diesem Kaiser am Nestus (Kara su) erbauten Nicopolis oder mit dem heutigen Nikopoli an der Donau verwechselt werden darf. Ueber die muthmaassliche Lage weniger Städte aus der Römerzeit ist soviel geschrieben und gestritten worden, als über jene von Nicopolis am Istcr; denn zur Verwunderung unserer Historiker war von demselben entlang dem Strome in den Itineraricn keine Spur zu finden. Man wusste es nicht zu deuten, wie diese römischen Quellen, welche viel unwichtigere Punkte aufwiesen, eine so bedeutende Stadt gänzlich übersehen konnten, ferner wesshalb die alten Schriftsteller „Nicopolis am Ister" stets weit weg von der Donau am Jatrus (Jantra), nahe dem Haemus (Balkan), erwähnten, und dass selbst die Tab. Peut., eine der authentischsten Quellen für römische Topographie, ihr „Nicopolistro" gleichfalls nicht am Ister, sondern tief im Innern, am Flusse Jatrus, ansetzte. Diese auffälligen Widersprüche waren schwer mit dem Namen des fraglichen Nicopolis „am Istcr" zu vereinigen, und doch konnte an der richtigen Ueberlieferung desselben nicht gezweifelt werden, da von den alten Schriftstellern abgesehen, auch viele an verschiedensten Orten aufgefundene Münzen ihn trugen. Ausser dem geographisch-archäologischen Interesse, das sich an Kaiser Tra-jan's Nicopolis knüpft, war es aber noch ein zweites Moment, das stets von Neuem die Frage wegen seiner einstigen Lage in den Vordergrund drängte. Bekanntlich wurde König Sigismund von Ungarn mit seinem erlesenen Heere, sanimt den alliirten deutschen, französischen und walachischen llilfsvölkcrn, durch Sultan Bajazid bei einem Nicopolis in Bulgarien (1300) aufs Haupt geschlagen. Trotzdem nun dieses folgenschwere, der Osmanen Herrschaft in Europa befestigende Ereigniss in die letzten Jahrhunderte fällt, gelang es nicht den Historikern, sich über seinen Schauplatz zu einigen. Sehen wir von den Forschern ab, welche sich mit der Klarstellung des hochinteressanten Schlachtfeldes beschäftigten — ich werde im II. Bande auf ihre Versuche zurückkommen — und folgen zunächst den Bemühungen jener, welche die Bestimmung des Trajan'schcn „Nicopolis am Ister" anstrebten, so finden wir, dass die älteren Historiker dabei einen weit ungetrübteren Blick zeigten, als manche neuere, obschon auch Ersteren zwei Hauptbedingungen zur Lösung der Frage fehlten, nämlich: auf dem Terrain gewonnene archäologische Unterlagen und gute topographische Karten. Dass Kaiser Trajan's Nicopolis am Ister nicht in dem heutigen Nikopoli an der Donau gesucht werden darf, darüber war die Mehrzahl älterer und neuerer Forscher einig; denn man wusstc, dass diese einstige Römerstadt erst durch Kaiser Ilcraclius etwa 629, zur Erinnerung seines Sieges über die Perser, gegründet worden war. So wenig man aber auch am Ausgange des vorigen Jahrhunderts das Land nördlich vom Balkan kannte, musste sich doch irgendwie die Kunde von Ruinenstätten hei einem Dorfe Nikup an der Jantra verbreitet haben. Schon der ausgezeichnete Pariser Akademiker D'Anville (geb. 1697, f 1782), dessen bahnbrechender Arbeiten auf dem Gebiete der historischen Geographie ich bereits in meinem „Serbien" oft gedachte, suchte „Nicopolis am Istcr" nordwestlich von Tirnovo an der Jantra bei einem Dorfe Nikup. Aus D'Anville's Karte ging dieser Ortsname in spätere und auch in Manncrt's Karte (1812) über. Mannert wollte jedoch Trajan's Nicopolis lieber in der alten Carenstadt oder in einem südwestlichen Punkte von dieser angesetzt wissen, da ihm die Ruinen bei Nikup nur als eine „Behauptung" D'Anville's erschienen.*) Andere namhafte Forscher, wie Hammer**) und Ami Boue, folgten aber trotzdem D'Anville's« Ansicht. Boue***) äusserte: „Nicopolis super ou ad Ilaemum, le Nikopi actucl sur la Jantra", ohne jedoch Aufhellungen über die Ruinenstätte zu geben, welche er nicht besucht hatte. Der hervorragendste neuere Geograph, welcher das Trajan'sehe „Nicopolis am Ister" nicht im Innern, sondern durch dessen Beinamen verführt an der Donau selbst suchte, war Dr. Albert Forbigerf). Er behauptete: „Das von Trajan zum Andenken seines Sieges über die Dacier gegründete Nikopolis (Ammian 1,1) war unstreitig jenes an der Donau, von welchem die alten Münzen mit der Bezeichnung NixonoliTüv 7iq6? "is, No. tr>. Bs giebt noch andere Medaillen von Nicopolis mit dem Hildo des Isters, z. B. auf Macrinus mit beigefügtem Schiffe, auf Diadumenianns, Gordianu« etc. Der meisten Medaillen ReversBeiten zeigen die Figuren: Jupiter, Hercules, Mercur, Bacchus, Fortuna, Ceres mit symbolischen Emblemen des Ueberflusses von Getreide, Obst, Wein, Wihlprct, Wald u. s. w. Für die hohe Handels- und Verkehrs-Bedeutung der alten Siegesstadt spricht nächst der auffallend grossen, von ihr in Umlauf gesetzten Münzenzahl auch das umfangreiche Netz von Strassen, welches in derselben zusammenlief. Nach der Tab. Peut. gelangte man von Nicopolis über Melta zum C8 Millien entfernten Oescus an der Donau, eine zweite Strasse führte mit 130 Mill. nach Marciano-polis und weiter nach Odessus am Pontus, eine dritte über den Balkan nach dem von Sotra 37 Mill. fernen Pliilippopolis und eine vierte, wie man mit Gewissheit annehmen darf, über den niederen Sipka-Balkanpass bei Gabrovo in das Becken des Tonzus nach Hadrianopolis, stellte die directe Landverbindung mit Byzantium her. Nach alledem war Nicopolis nicht nur eine feste, sondern auch eine reiche Handelsstadt, welche römisch-griechische Cultur und Kunst, weit entfernt vom Reichscentrum, zu nicht gewöhnlicher Entfaltung brachte. Ungeachtet die Barbaren gründlich mit der Pracht unserer Siegesstadt aufgeräumt, obschon Türken wie Bulgaren die monumentalen Ueberbleibsel nach Möglichkeit verschleppt hatten, anstatt gleich den Kömern ihr Baumaterial in den nahen Steinbrüchen bei Hodnica selbst zu brechen, stiessen wir auf unserem Wege in südwestlicher Richtung neuerdings auf unzählige kunstvoll in Marmor sculptirte Werkstücke einstiger Paläste, auf Säulenstämme und attische Basen von Tempeln und öffentlichen Gebäuden. Dürfte man aus den bekannten letzten Medaillen von Nicopolis auf Kaiser Gordianus *) einen Schluss ziehen, so müsste es bereits im J. 203 n. Chr., aus welchem die von mir aufgefundene Inschrift unter dem Proconsul L. Ovinius TertuUus**) herrührt, das Münzrecht verloren haben. Es wird dies sogar höchst wahrscheinlich, weil sein Glanz bereits zu jener Zeit durch die Einfälle der Gothen und Hunnen gelitten haben mochte. Nach dem Zusammenbruche des Hunnenreiches soll die Nicopolitanische Provinz einen Gothenstamm, „Kleinere Gothen", auch „Moeso-Gothen" genannt, aufgenommen haben, in deren Mitte Bischof Ulfila wirkte.***) Procopius f) versichert, dass Nicopolis durch Kaiser Justinian wieder erneuert worden sei; seine frühere Blüthe mochte es jedoch kaum mehr erlangt haben. Es wird mindestens in den Kämpfen zwischen Bulgaren und Byzantinern nicht genannt und was ich von Bauresten sah, trug .ausschliesslich antiken Charakter. Vergebens suchte ich wohl nach gestempelten Ziegelsteinen; aber ebensowenig stiess ich auf erkennbare Spuren aus christlicher Zeit, und umfassendere Nachgrabungen dürften es zur Gewissheit erheben, dass hier keine mittelalterliche Niederlassung stand. Im *) Weder bei Mionnet u. A., noch in der reichen Sammlung des kais. Münz-Cabinets zu Wien findet sich eine Medaille von N. jünger als auf Kaiser Gordianus. **) Borghesi opere II. S. 224. Mommsen Corp. inscr. lat. III. ***) Mannert. VII. Bd. S. 142. f) Procopius, De Aedificiis. nahen Jeni Nikup (Neu-Nikup), wo ich nach Traditionen in dieser Richtung forschte, wusste man nur, dass zu Ende des letzten Jahrhunderts ein Dorf bei der Ruinenstätte lag, dessen Bewohner wegen Bedrängung es verliesseu und Jeni Nikup begründeten. Durch leicht erklärliches Sinnen über irdische Grösse tief bewegt, nahm ich am hochgelegenen Sarkophage, bei dem ich einige schöne Säulencapitäle bloss-legen liess, eine Skizze vom Trümmerfelde der „Siegesstadt". Nur auffliegende Störche störten die herrschende Grabesstille auf dem weiten Plane, den die scheidende Sonne, ein anderes Bild des Auf- und Niederganges aller Dinge im weiten Weltenrauine, mit ihren letzten Strahlen röthete. Als wären aber die Traditionen des Zeitraumes von Kaiser Trajan bis zur Feier des tausendjährigen römischen Keiches nicht vollkommen genügend, um den Ruinen von Nicopolis unser Interesse zu sichern, glaubte Herr Prof. Philipp Brunn zu Odessa*) neuestens auch die folgenreiche Vernichtung des Sigismund'schen Heeres durch Bajazid „den Blitz" an dieselben knüpfen zu müssen. Wie total unbegründet diese Behauptung ist, hoffe ich im II. Bande zu zeigen. Mit vielem Danke und reichlichem Baksis trennten wir uns von den enttäuschten moslimschen Schatzgräbern. Der hereinbrechende AJbend hüllte die gegen Osten in sanften Linien verlaufenden Berge von Osmanpazar in tiefes Violett-Blaugrau, und die höchste Spitze des Gabrovo-Balkans, welche ich mit S. W. gepeilt, war kaum mehr erkennbar. Das fortschreitende Dunkel zwang mich auf unserem Weiterritte N. 20 W. gegen Jeni Nikup ein alterthümliches Gebäude am Wege unbesichtigt zu lassen. Im Dorfe besorgte mein Dragoman aber ein treuliches Nachtquartier und Abendessen, was dem ersten Reisetage einen glücklichen Absehluss gab. Aehnlich wie das serbische Kostolac sich als Erbe des alten Viminaciuin's betrachtet) ebenso Jeni-Nikup gegenüber dem alten Nicopolis. Sarkophage werden da als Brunnen benutzt, Hansfluren mit grossen römischen Deckziegeln gepflastert, Grabkreuze: aus antiken Yotivstoinen gemeisselt und mit leicht transportablen Alterthümern wird — die Eingebornen wollten es natürlich nicht zugeben— ein schwunghafter Handel getrieben. Ungern sahen sie unseren Besuch und alle meine antike Dinge streifenden Fragen wurden ausweichend beantwortet. Ich hoffte zu Jeni-Nikup nur einzelne dahin verschleppte antike Reste zu finden« In Wahrheit begegnet man ihnen aber auf jedem Schritte und es giebt beinahe keinen Hofraum, der nicht eine .Menge Ziegel, Marmorplatten, Säulen u. s.w. enthielte. Nach eingehender Durehstreifung des rein bulgarischen Ortes, fanden wir am grossen Dorfbrunnen ein Friesstiick mit Stierköpfen, deren Horner Laubgewinde verbanden, mit dem Bruohtheil einer Inschrift „aus dem eigenen" . . ., *) Geographische Bemerkungen zu Schiltberger'i Etelsen. Sitzber. ;>. II. eine guterhaltene von neun Zeilen, dann eine attische Säulcnbasis von 67 (Millimeter Durchmesser und ein ionisches Capital mit zierlichen Voluten zwischen unzähligen antiken Bruchstücken im Hause Hadzi Marko's. Die neunzeilige griechische Inschrift lautet nach KirchhofFs Lesung: „Mit gutem Glücke! Der Mutter der Götter Aquilinus Sohn des Publius hat aufgestellt den Altar und den Tisch seines Gelübdes wegen." Mehrere stark verstümmelte Votivsteine traf ich in anderen Gehöften. Auch in den Mauern der kleinen Dorfkirche stecken viele eingemauerte Fragmente und auf dem angrenzenden Friedhofe sahen wir verschiedene Säulen-Capitäle zwischen Gräbern, auf welchen keramische Gefässe und Lampen, wieder ein Anklang an classische Sitte, selten fehlten. Einem schwachen Wasserfaden folgend, erreichten wir über das türkische Bedcrli in l1/, St. das türkisch-bulgarische Mekis, wo ein aus W. von G. Lipnica herabkommendes stärkeres Rinnsal zur Jantra fliesst. Hart bei dessen primitiver Brücke fand ich einen Votivstein. Sein Frontispice zeigte einen lebendig bewegten Reiter, der neben einem Baume ein wildes Thier zu erlegen sucht. Die lateinische, stark verstümmelte Inschrift*) sagt: „Den Todtengöttern. Der Minicia (Zahl der Lebensjahre fehlt) und dem C. Minicius" (das Uebrigc ist unleserlich). Wir zogen weiter, über die hier monotone Hochebene. Rechts und link,s vor uns gab es zahlreiche Orte zu recognosciren und kleine Wasseradern einzutragen. Die wenigsten Dörfer erwiesen sich rein von Türken oder Bulgaren bewohnt, die meisten hatten eine gemischte Bevölkerung und oft, wie in Akcijar und G. Studcna, traten Tataren und Tscherkessen hinzu. Wo letzteres der Fall, waren deren in langen Reihen hinlaufende Ansicdlungcn leicht durch grosse Armseligkeit, Schmutz und Verfall zu erkennen. Die kriegerischen Tugenden der Kaukasushclden in allen Ehren — wie musste jeder hier reisende Russe sein Land glücklich preisen, dieses arbeitsscheue Gesindel los zu sein! Kurz vor Tckir stiessen wir auf eine prächtige Baumoase, in deren Schatten eine Wagencaravane lagerte; Zugthiere, Ochsen und Büffel, weideten zerstreut umher, auf gut Glück ihr Abendfutter suchend, die Fuhrleute, kräftige Bulgaren, hockten nahe bei der Tränke um ein lustiges Feuer oder glotzten von ihren Wagen herab unseren fremdartigen Zug an. Wir ruhten gleichfalls hier und erfuhren, dass die Leute vorjähriges Getreide führten. Jeder mit 4 Thieren bespannte Wagen trug 400 Oka = 500 Kilogr., wofür sie von Tirnovo bis Svistov 1 Napoleon erhielten. So bescheiden dieser Frachtlohn für 4 Tage Wegs, auf bei schlechtem Wetter schwer gangbaren Strassen, zeigt er doch besser als jede Phrase, wie dringend Bulgarien den Ausbau seiner Bahnen beschleunigen muss, will es künftig mit den anderen Agriculturländeru auf dem europäischen Markte coneurriren, denn auf unseren Linien würde die Fracht von 500 Kilo Getreide *) Mommsen, Corp. insc. lat. III. auf 12 Meilen nur beiläufig 2.5 Mark gegenüber 16 Mark betragen. Leider zieht man aber in den Bureaux der Pforte bei Eisenbahnprojecten stets mehr das strategische als das national-öconomische Moment in Erwägung; sonst hätte die Linie Svistov-Tirnovo, für welche der mich begleitende Ingenieur Gavronjski schon im J. 1870 eine leicht ausführbare Trace entworfen hatte, längst vollendet sein müssen. Ja, wäre Midhat noch länger Gouverneur der Donauprovinz geblieben ! Das von Türken und Bulgaren bewohnte Tekir wird von letzteren Carovec genannt, ein Name, welcher mit irgend einer Tradition aus der altbulgarischen Carenzeit, vielleicht mit der Stiftung seines Klosters zusammenhängt. Ich Hess es links liegen, da wir Svistov vor dem Einbrüche der Nacht erreichen wollten. Hart vor seinem Weichbilde gelangten wir an riesige, mit quakendem Gethier bevölkerte Tümpel, welche, durch mehrtägigen Regen geschwellt, die nahe Strasse verschlungen hatten. Es sind wahre Fieber- und Choleraherde, wann hat aber die Beseitigung solcher den Herren Sanitäts-Beamten türkischen Regiments die kleinste Sorge bereitet? Das abscheulich duftende Hinderniss zwang uns, den Weg über die aufgeweichte Lösslehne zu nehmen, was nicht minder unangenehm wurde, da unsere Pferde bei jedem Schritte ausglitten. Endlich erschienen die ersten Häuser des Gornji Mahle von Svistov, aus welch hochgelegener Vorstadt wir auf abschüssigem Pflaster abwärts zum Dolni Mahle gelangten. Dort, im gerühmtesten Han der grossen Handelsstadt, fanden unsere Pferde jedenfalls eine bessere Unterkunft als wir selbst, obschon uns dessen mittlerweile verstorbener Eigenthümer Janakci sein eigenes Stübchen abtrat. Da ich diesmal nur einen Tag zu Svistov verweilen wollte, lehnte ich dankend die Gastfreundschaft einiger Notabein ab, welchen ich von Wien warm empfohlen war. Ich erbat mir vom Kreisvorstand nur einige nothwendige Daten, completirte meine Reise-Ausrüstung und zog Erkundigungen über die von Svistov gegen SW. führenden Strassenläufe ein, da ich nicht den directen Weg, sondern mehr westliche Richtung nach Gabrovo einschlagen wollte, um die Wasserscheide zwischen der Jantra und Osma genau bestimmen zu können. Svistov sollte ich bei einem zweiten Besuche näher kennen lernen; am nächsten Frülnnorgen stieg ich nur zu den Mauerresten der „Öuka" hinan, welche von seiner Vergangenheit erzählen. Die Stadt wird von den neubulgarischen Schriftstellern auch Svejestov, im Occident aber allgemein Sistow genannt und gilt als einer der wohlhabendsten Handelsplätze an der unteren Donau. Es ist schwer nachzuweisen, woher ihr Name stammt. Schon auf älteren Karten erscheint er in seiner heutigen bulgarischen Form. Die antiken Stadtreste liegen westlich vom gegenwärtigen Weichbilde in den Pisman's Weingärten des sogenannten „Stakleu", Dort stösst man auf unzweifelhaft römische Mauern. Nach Kunitz, Donau-Bulgarien und dor Balkan* 13 Vergleichung der verschiedenen Itinerarien sind es zweifellos jene der Colonie Novae, welche zu den frühesten Anlagen der Römer gehört, denn schon Ptole-maeus kennt sie, das Itiner. Ant. macht sie zum Sitze des Generalstabes der Leg. I. Italiea, die Not. Imp. bestätigt dies und erwähnt sie ausdrücklich als Garnison eines Theiles der V. Cohorte dieser Legion. Marcellinus nennt sie „Novensis Moesiae civitas". Als die Gothen unter Kniva im J. 250 die Donau bei Novae übersetzten, mochte es furchtbar gelitten haben, obschon die Barbaren durch Gallus ins Innere gedrängt wurden. Noch 601 war es das Standquartier römischer Truppen. Die Byzantiner Hierokles und Prokopios erwähnen Novae, Justinian dürfte also die von den Barbaren zerstörte Stadt restaurirt haben. Bei ihrer günstigen Lage ist es kaum zu bezweifeln, dass Novae ein wichtiger Waffenplatz blieb, und wahrscheinlich rührt die Befestigung auf der Öukahöhe aus dieser Epoche her; Spuren römischer Werke habe ich mindestens dort nicht gefunden. Auch Kiepert's Karte „Dacia" in Mommsen's Corp. inscr. lat. setzt Novae an Sta&len's Stelle, letzteres erscheint aber als Dorf angegeben, was auf einem Irr-thum beruht, denn es befindet sich dort keine Niederlassung, sondern nur ein Complex von Weingärten der Stadt Svistov und eine Ruinenstätte, welche bereits viele römische Inschriften lieferte. Die Nr. 749, 750, 756 — 759 im III. Bande des Mommsen'schen Corpus rühren sämmtlich von Staklen oder aus seiner Umgebung her. Zwei dieser Inschriftsteine wanderten nach Bukarest, zwei andere lagen 1871 im Hofe der grossen bulgarischen Schule. Die Türkenkriege hatten das einst bedeutende Svistov zum elenden Dorfe herabgebracht. Seit dem XVI. Jahrh. rückte es von den „Staklen" stets mehr östlich vor und gelangte allmälig auf seiner heutigen Stelle zu erneuter Bltithe. Als Oesterreich nach einem siegreichen Feldzuge, durch Preussens Alliance mit der Pforte (1790) sowie durch Englands und Hollands Eifersucht gedrängt), auf dem Reichenbacher Congresse Frieden mit der Türkei und zwar auf Grundlage des status quo vor dem Kriege schloss, wählte man Svistov zum Orte der letzten Unterhandlungen. Nachdem sich dieselben durch kleinliche Intriguen lange hingeschleppt, kam hier am 4. August 1791 das Friedensinstrument von „Sistow" zu Stande, auf dem die heutigen Grenzen zwischen Oesterreich und der Türkei beruhen. Gebrochenen Herzens unterzeichnete Kaiser Joseph dasselbe und lieferte mit Ausnahme des wieder errungenen Alt-Orsova die durch Laudon und Coburg gemachten serbisch-walachischen Eroberungen dem Sultan aus. Anders Katharina von Russland, welche die fremden Vermittlungsvorschläge zurückwies, den Kampf allein fortsetzte, dem Halbmond nach eigenem Ermessen unter harten Bedingungen den Frieden zu Jassy (1792) auferlegte und die Dniester-grenze sich errang. Von da ab datirt der Gegensatz in Oesterreichs und Russlands Orientpolitik, den Fürst Metternich zu einem unanfechtbaren Glaubenspunkte des Wiener Ballbausplatzes gestaltete! Vergebens bemühte ich mich, das Gebäude ausfindig zu machen, in dem Oesterreich jenes Instrument unterzeichnete, welches seine Stellung zum „Erbfeind" in die des wohlwollendsten Freundes bis zu den letzten Tagen herab veränderte. Kussland nahm aber bald wieder den Kampf gegen die Türkei auf, überschwemmte ihre schönsten Provinzen mit seinen Heeren und diese verwüsteten sämmtliche Donaustädte. 1810 wurde Svistov durch General Saint Priest in Brand gesteckt; seine Bevölkerung flüchtete nach den nächsten Dörfern und auf das walachische Ufer. Bis zu diesem grossen Brande existirte auf der Cuka, einem befestigten Stadt-theile, das „Kaleh", an welches sich Erinnerungen für die durch Verfolgungen zum Exodus nach Ungarn gezwungenen römisch-katholischen Bulgaren knüpfen. Nach der Tradition stand hier nämlich ihre (dreischiffige ?) lateinische Kirche mit drei Abtheilungen, für den Altar, für Männer, für Frauen. Vor der hochgelegenen Kirche war eine Kanone aufgepflanzt, die zur Ramazanzeit den Moslims die heiss ersehnte Abendstunde verkündete. Hier befand sich auch der türkische Richtplatz für zum Tode verurtheilte „Rechtgläubige", welche erdrosselt und sogleich in den vorbereiteten Gruben bestattet wurden. Vor 20 Jahren verwendete man die letzten Mauerreste der „lateinischen Öukakirche" zum Aufbau der neuen Kaserne „Jeni küschla". Ohne seine für den Handel so ausserordentlich günstige Lage würde Svistov nach den 1797 durch des rebellischen Pasvan Oglu's Krdzalien und 1810 über dasselbe hereingebrochenen Zerstörungen wohl nur mehr in den geschichtlichen Annalen zu finden sein. Es kehrten jedoch stets viele der alten Einwohner zur verlassenen Stätte zurück, frische Zuzüge kamen aus dem Innern und schon um 1820 begann sich Svistov von dem ihm zuletzt durch Saint Priest versetzten hartem Schlage zu erholen. Der türkisch-russische Krieg 1828—29 brachte aber neue Prüfungen für die aus der Asche kaum wieder erstandene Stadt. Es erfolgte ein grösserer Exodus nach dem jenseitigen Simnica und das heutige rumänische Städtchen Alexandria wurde damals von Svistover Flüchtlingen begründet. Die kurz darauf dem unteren Donaugebiete pulsirendes Leben vermittelnde österreichische Dampfschifffahrt brachte Svistov eine neue Epoche, bald war es einer der wichtigsten Stapelpunkte für das mittlere Donau-Bulgarien, Thracien und Macedonien, und sicher würde es sich zu noch höherer Blüthe entwickelt haben, wäre seine von Midhat Pasa geplante Bahnlinie über den Balkan nach Filipopel, von den nachfolgenden Vali nicht fallen gelassen worden. Von den Russen, welche in Svistov den geeignetsten Punkt zur radienartigen Operation ins Innere Bulgariens erkannten, sollte das Project im J. 1877 wieder aufgenommen werden. Wenn anfänglich noch bezüglich des Hauptüberganges für das Gros der russischen Armee zwischen Flamanda und dem Svistov gegen- 13* über liegenden Simnica geschwankt wurde, so entschied des Grossfürsten Nikolaus persönliche Recognoscirung vom 20.—24. Juni für das letztere. Es war hier nicht nur eine der schmälsten Stellen des Stromes, sondern auch die Uferbeschaffenheit günstig, welche jenseits die sofortige Entwicklung grösserer Massen gestattete, endlich sicherte die grosse von Simnica landwärts führende Strasse ungehinderte Nachschübe von Proviant u. s. w. für die Armee. Schon vom halben Mai ab maskirte eine dichte Cavalleriekette am linken Ufer alle Bewegungen der Truppen, ihre Ansammlung bei Turnu (IX. Corps), bei Oltenica und Giurgevo (XL Corps). Durch den Bau von Böcken, Pontons u. s. w. bei Galatz und Slatina am Olt, durch die Bombardements von Vidin, Nikopoli, Ruscuk und Tutrokan wurde in anderer Weise die Aufmerksamkeit des türkischen Generalstabs von der eigentlichen Uebergangsstelle abzulenken gesucht. Der Grossfürst leitete persönlich vom Hauptquartier Dracea aus alle die Donau-Ueberschreitung betreffenden Vorbereitungen, ihr Ziel blieb jedoch selbst der eigenen Armee möglichst verschleiert, nur das bewahrte Geheimniss verbürgte das vollständige Gelingen der hochwichtigen Operation. Nachdem vom 20.—24. Juni die 90 Kilometer lange Donaustrecke Korabia bis Parapan, in welcher nur mehr zwei kampfunfähige türkische Panzerschiffe sich befanden, durch Torpedos abgesperrt und am 22. der Uebergang des XIV. Corps bei Galatz erfolgt war, landete am 27. Juni, um 3 Uhr Morgens unterhalb Svistov die erste russische Pontonstaffel des Generals Jolsin in grösster Stille am türkischen Ufer. Hier war es, wo der gegenwärtige erste Fürst Bulgariens, Prinz Alexander von Battenberg mit dem 13. Schützen-Bataillon, dessen Inhaber er jüngst geworden, den Boden seines Landes betrat. Die überraschten türkischen Uferpiquets zogen sich nach einigen abgegebenen Schüssen zurück, und die Russen bemächtigten sich mit grosser Kühnheit rasch des dominirenden Thalrandes. Die nachfolgende zweite Pontons-Abtheilung mit dem 54. Regiment Minsk und einer Gebirgsbatterie wurden im Momente der Landung von der indessen angelangten türkischen Artillerie lebhaft beschossen; zwei Geschütze, der Batterie-Comman-dant Strelbicki, Lieutenant Turbert und viele Soldaten versanken im Flusse. Mit der dritten, unter den Augen des grossfürstlichen Sohnes Nikolai übersetzenden Staffel langte auch der Chef der 14. Infanterie-Division Dragomiroff an, er fand die Türken bereits 5 Kilometer landeinwärts getrieben und Hess den General Petrusevski gegen Svistov vorgehen, welches dieser unbesetzt und von den geflüchteten moslimschen Bewohnern verlassen fand. Die Türken standen auf den Höhen und vertheidigten sie energisch, wobei ihnen ihre Artillerie gegenüber den russischen Berggeschützen sehr zu Statten kam. Allmälig waren aber auch Abtheilungen des 23. Donischen Kosakenregiments und neue Jägerbataillone übergegangen. Als letztere nun zwischen den beiden Infanterie Colonnen auf das süd- lieh von Svistov liegende Carevec operirten, begannen die Türken ihre Positionen vor der drohenden Umgehung zu räumen und sich auf Bela zurückzuziehen. Die Festsetzung auf dem bulgarischen Ufer kostete den Russen, abgesehen von den Verlusten beim Uebergange, etwa 30 Officiere und 750 Mann, also verhältniss-mässig nur geringfügige Opfer zu dem glänzenden Resultate des Tages. Der Uebergang mittelst von Dampfern remorquirter Pontons und Fährglieder wurde nun eifrig fortgesetzt. Am 30. Juni sicherte bereits eine ansehnliche Macht den Brückenbau, für welchen das Material in drei Nächten (27.-29. Juni) von Turnu Magureli, unter den Kanonen der Festung Nikopoli, nahezu unbemerkt und unbelästigt herabgeschwommen war. Trotz vielfach störender Stürme wurde der am 28. Juni von beiden Ufern aus begonnene Brückenschlag am 2. Juli beendet. Bis 5. Juli hatten schon 120,000 Mann, darunter die bulgarische Legion, 20,000 Cavalleristen, 250 Geschütze und ein starker Train, die Donau passirt, am selben Tage traf auch der Grossfürst mit Ignatieff und dem Hauptquartier in Svistov ein. Der Car, welcher die Uebergangsoperationen von einem Hügel bei Simnica verfolgt hatte, besuchte am 3. Juli Svistov, wo er von seinen vier Söhnen begrüsst und von den christlichen Bewohnern jubelnd empfangen wurde. Auf seinem Rundrittc durch die Stadt trat ihm vor den Kirchenportalen der Clerus mit Brod und Salz entgegen, hierauf wohnte der Kaiser dem Begräbniss der Gefallenen bei, zuletzt belohnte er während einer grossen Heerschau die Tapfersten, darunter auch einige bulgarische Milizen, mit Decorationen; General Dragomiroff erhielt das St. Georg-Commandeurkreuz. Der gelungene russische Uebergang bei Svistov wirkte furchtbar im Palaste des Grossherrn. Die erste Aeusserung seines Zornes traf Harndi Bei, welcher den wichtigen Platz so schlecht vertheidigt hatte; er wurde vor ein Kriegsgericht nach Constantinopel berufen. Vier Wochen nach den ersten überraschend schnellen russischen Erfolgen änderte sich jedoch die Scene. Die am 1. August eingetroffene Nachricht von der am 31. Juli verlorenen Schlacht bei Plevna brachte eine wahre Panik in dem zum lustigen Feldlager verwandelten Svistov hervor. Man wähnte die verfolgenden Türken bereits vor der Stadt. Mit den eintreffenden versprengten Soldaten drängten Tausende flüchtender, die nioslimsche Rache fürchtender Bulgaren zur Brücke, es soll ein furchtbares Durcheinander gewesen sein und lange gedauert haben, bis sich der Allarm legte. Später wurde eine zweite Brücke unterhalb der ersten gebaut, mit dieser aber zugleich abgebrochen, als der Eisgang sich einzustellen begann; während dieser Zeit unterhielten nur einige Dampffähren nothdürftig den Verkehr zwischen beiden Ufern. X. UEBER SELVI UND GABROVO AUF DEN SIPKA-BALKAN. (IL Balkan-Passage). Misstrauen gegen die türkische Post. — Das moslimsche Mussafirlik und der christliche Han. — Statistische Enquete zu Carovec. — Kampf und Ende der Legion Hadzi Dimitri's. — Salpctergewinnung zu Ovca Mogila. — Hoher Tumulus. — Insurrection 1876. — Abend in einem Türken- und Bulgarendorf. — Osma Gradiste. — Archäologisches vom Catal tepe. — Römerreste. — Alte Strasse. — Thal von Vrbovka. — Römisches Relief. — Ein Bulgarenhof. — Rusicathal. — Intermezzo. — Nachtlager zu Sücündol. — 18 Seelen in einem Hause. — Schwiegermütter. — Antikes Dianabild. — Tracht._ Eine Braut. — Durch die Rusica bei Bara. — Pittoreske Landschaft. — Verlassene Strasse. — Kursovo als Orientirungspunkt. — Abstieg nach Selvi. — Häuserzahl. — Kreisamt jetzt und einst. — Römischer Votivstein. — Antike Stadt. — Neue Brücke und Kirche. — Preise moderner Schnitz- und Bildwerke._ Altes Kirchlein. — Neue Schule. — Bildungstrieb junger Bulgaren. — Aufstandsversuch 1876. — Russische Eroberuug 1877. — Nach Serbegli. — Späte Obstreife. — Weilerdörfer. — Organisation der Kolibi. — Charakter der Vorregion des Balkans. — Han zu Gabrovo. — Seine Mahle, Kirchen und Schulen. — Seig-Fabrikation. — Frauenkloster Blagovestenije. — Dessen Organisation. — Gabrovo's Industrie. — Kein Türke. — Denunciation ISTl. — Merkwürdiges Postamt. — Sperrung der Schulen. — Meine Enquete. — Gabrovo's Rivalität mit Travna beim Strassenbau. — Antikes Castell. — Gabrovo's Zerstörung 1798. — Russische Besetzung 1810. — Seine Schicksale 1829, 1854. — Sultan Machmud's und Abdul Medjit's Besuche; Brücken und Strassen. — Aufständische Bewegung 1876. — Ein bulgarischer Verräther. — Russische Besetzung 1877. — Besuch des Grossfürsten Nikolaus 1878. — Strasse zum Sipka-Passe. — Barth's Lisis köi. — Coban-Brücke. — Mineraltherme. — Orden für eine Brücke. — Seleno drvo's Holzindustrie. — Unwetter. — Kloster Sv. Sokol. — Ein Pasa, sein Protector. — Kirche und merkwürdige Fresken. — Mysteriöse Höhlen. — Zum Marko kralskigrad bair. — Seine Ruine. — Römerstrassc. — Kaiser Decius itnd der Gothenhäuptling Kniva. — Der Pass unter Bulgaren und Türken. — Seine Befestigung und Rolle im letzten Kriege. — Haiduk Pana-jot Hitov. — Weite Aussicht. — Geographisches. — Wichtigkeit des Sipka-Passes und seiner Strassen-zügo für Handel und Krieg. — Messungen der Passhöhe. — Erster Blick auf das thracische Schiras. In allen Städten an der unteren Donau empfängt und sendet man Briefe, Geld, Paquete u. s. w. durch die Postboote der Oesterr. Dampfschifffahrts-Gesell-schaft. Dies gilt eben so wohl von Privaten als Behörden, von Heimischen als Fremden. Wo sich diese oder eine andere sichere Gelegenheit darbot, misstraute selbst der Moslim der keinen Verlass gewährenden türkischen Post. Ich musste es leider persönlich erfahren, wie gerechtfertigt ihr schlimmer Ruf, und stimme aus objectivster Ueberzeugung mit jenen, welche sich gegen die Aufhebung der österreichischen tractatmässig bestehenden Postlinien im Sultansreiche erklären. Der äusserst gefällige Dainpfschifffahrts-Agent zu Svistov nahm meine abzusendende Correspondenz in Empfang und versprach mir die Uebermittlung einlaufender Briefe an bestimmte Orte und Personen im Innern. Nachdem dieser wichtige Punkt geordnet war, verabschiedete ich mich von meinem Reisegefährten Gavronjski, Hess sodann die Pferde nach dem Balkan wenden, den ich im J. 1864 auf dem Sv. Nikolapasse bei Belogradcik zum ersten Mal überstiegen hatte, und hielt in einer Stunde am Han zu Carovec. Ich möchte hier einen Punkt weiter ausführen, welchen ich bereits bei Bela flüchtig streifte. Ich meine das für den Reisenden wichtige Unterkommen abseits der Hauptrouten im illyrischen Dreiecke, dann die charakteristischen Unterschiede zwischen Mussafirliks in türkischen und Hanen in christlichen Ortschaften. Das türkische „Mussafirlik" (Haus für Gäste) wurzelt im schönen Korangebote der Gastfreundschaft gegen alle Menschen. In keinem nur etwas bedeutenderen mos-limschen Dorfe fehlt ein bescheidenes Häuschen, mit stets offen gehaltenem Räume für durchziehende Pilger, welche bei Sonnenbrand dort ausruhen, im Winter an der Feuerstelle sich wärmen, Kaffee nehmen und ohne Bezahlung durch drei Tage auf den ausgebreiteten Rohrmatten ihr Lager aufschlagen können. Das Gästehaus wird von der Gemeinde erbaut und erhalten, was allerdings nicht sehr kostspielig ist. Auf diese wohlthätige Einrichtung der Mussafirliks kann der Fremde also in moslimschen Orten immer und selbst in später Nacht rechnen, sobald ihm deren Auffindung gelingt; dies ist jedoch, z. B. in Dörfern mit zerstreuten Gehöften, nicht immer leicht, da nach Sonnenuntergang selten Jemand auf seinen Ruf erscheint, um ihm Ciceronedienste zu leisten. Reiset man mit mehreren Pferden, so tritt oft der andere Uebelstand ein, dass im Mussafirlik nur ein gemeinsamer Raum für Personen und Pferde vorhanden, manchmal für letztere aber eine Unterkunft gänzlich fehlt. Nehmen wir jedoch an, dass Menschen und Thiere glücklich im Mussafirlik untergebracht, so braucht der Reisende doch Nahrung für sich und Futter für seine müden Pferde. Obschon er auf Wein und Raki von vorn herein verzichten gelernt, bedarf es aber in vielen Fällen noch weitläufiger Unterhandlungen mit dem Orts-Muhtar und Consorten, welche meistens erst mit dem Hinweise auf ansehnliches Baksis zur Hebung aller Schwierigkeiten führen. Neben den Mussafirliks der Communen giebt es in den grösseren an der Strasse liegenden Orten häufig auch solche, welche in besseren Tagen von frommen, wohlhabenden Gläubigen gestiftet wurden und von deren Nachkommen er- halten werden. Sind die unumgänglich nothwendigen formalen Vorstellungen vorüber, so wird hier der Reisende mit einem gewissen Comfort an Waschbecken, Teppichen, Bettzeug — Bettstellen giebt es nirgends — dann mit häufiger Cre-denzung von Kaffee geehrt, er darf auch auf ein anständiges Mahl rechnen, zu dem sich der Hausherr und seine Söhne gewöhnlich einladen, dessen Reste aber der Begleitung bescheert werden. Das Baksis beim Abschiede wird nach dem Genossenen bemessen und nur selten abgelehnt. Ganz anders gestaltet sich das Unterkommen in den christlichen Ortschaften. Zieht man es nicht vor, von seinen amtlichen Empfehlungen Gebrauch zu machen und in einem der wohlhabenderen Bauerngehöfte durch den Zaptie als offieiellen Gast sich einquartieren zu lassen, was dieser gewöhnlich ohne viele Formalitäten besorgt, so findet man selbst im kleinsten Christendorfe einen von speculativen Bulgaren, Cincaren oder Griechen gehaltenen Han. Oft bietet dieser allerdings noch geringeren Comfort als das moslimsche Mussafirlik; doch gewährt er den grossen Vortheil raschen Proccsses. Ohne alles Parlamcntircn reitet man in den Hofraum, der Wirth ruft sein „dobro dosle" (Glückliche Ankunft), hilft dem Gaste aus dem Bügel, reicht ihm sofort ein Glas Wein und sorgt mit seinen Burschen für ihn, dessen Leute und Thiere. Der Han eines Bulgarendorfes vereinigt gewöhnlich auch Alles, was der Dörfler bei uns an verschiedenen Orten suchen muss. Freilich bedarf der Bulgare nicht viel. Der mit dem Wirthslocale engverbundenc Ladenraum birgt nur allerbescheidenste Waarenvorräthe und jedes höher fliegende Verlangen kann nur in der fernen Stadt bei einem gelegentlichen Holz- oder Cerealienverkaufe befriedigt werden. Diese Verbindung des Nützlichen mit dem Angenehmen sichert dem bulgarischen Dorfhan zu jeder Tageszeit eine gewisse Frequenz; einige Zecher, Gäste oder Käufer sind immer da zu finden und nur selten ist man allein. Im Gegentheil wird man oft über das „Woher", „Wohin" und den Zweck der Reise mit Fragen belästiget, was wohl wieder erwünschte Gelegenheit giebt solche zu stellen; manchmal zöge man es aber doch vor, in Ruhe gelassen zu werden, dann erfordert das Isoliren, will man nicht als Sonderling gelten, eine Routine, welche man erst allmälig erwirbt. Der Bulgare ist sehr neugierig und in jedem Fremden, der nicht als Kaufmann sich gerirt, wittert er gleich einen „Consol", der geheim grosse Dinge vorzubereiten kommt. Beginnt man es nun aber, wie ich beispielsweise im Han zu Carovec, und sendet den offieiellen Reisebegleiter, einen sehr stattlichen Zaptie-Caus, welcher die einfachsten Anordnungen mit einem gewissen Accent in Scene zu setzen liebt, nicht nur um den moslimschen und christlichen Geistlichen, sondern auch um den türkischen und bulgarischen Ortsvorstand, dann darf man sicher sein, durch solchen Ausserordentliches ankündenden Schritt in kürzester Frist Alles, was Beine im Dorfe besitzt, dem Ilane zuströmen zu sehen. Han und Mussafirlik bilden nämlich beide eine Art Forum, das jedem zugänglich, in dem alle privaten und öffentlichen Geschäfte berathen und abgeschlossen werden. Die herbei befohlenen Autoritäten waren nicht so rasch aufzutreiben, schnell aber wuchs die Zahl der Neugierigen, die, je weniger sie das Kommende zu errathen vermochten , sich umsomehr zuwinkten und zuflüsterten. Der Handzi hatte vollauf zu thun, die Frager achselzuckend mit vielen „bog znaje" (Gott weiss es), Raki und saurem Rothwein abzukühlen. Endlich waren die berufenen Würdenträger erschienen und bildeten mit mir das Centrum eines hockenden und stehenden Auditoriums, dessen oft versuchtes lästiges Naherücken zeitweilige Mahnungen von Ibrahim Caus abwehrten. Hatte mein Hantieren mit den Barometern früher schon einiges Aufsehen erregt, so erreichte nun Aller Spannung den Höhepunkt, als ich aus der zu Svistov erlangten Bevölkerungs-Tabelle des Kreises zuerst die Zahlen der moslimschen und christlichen Häuser, dann aber jene der männlichen Orts-Steuerholden durch an Hodza, Pope, Muhtar, Corbasi und Andere gerichtete Kreuz- und Querfragen zu contro-liren begann. Dieses von mir hier und an vielen anderen Orten zur Berichtigung der offieiellen Register eingeschlagene Verfahren setzte meine Ausdauer auf schwere Proben, da die guten Leute von statistischen Daten keine Ahnung be-sassen, weil fiscalische Zwecke witternd, nur ausweichend antworteten und nur nach vielem Erklären zu wahrheitstreuen Angaben sich entschlossen. Die erheblichen Unterschiede zwischen den offieiellen Daten und denen, welche ich zu Caro-vec erhielt, enthüllten mir sofort die geringe Vertrauenswürdigkeit türkischer Staats-Statistik, weitere Erfahrungen bestätigten aber in der Folge, dass ich es hier nicht mit einem vereinzelten Falle zu thun hatte. Von Carovcc folgte ich dem Wege, welchen die jungbulgarische Legion während des Insurrectionsvcrsuches im Frühling 1867 eingeschlagen hatte. Bei der alten Römerschanze zu Vardin war sie nahe bei Svistov, gedeckt durch die dortige Donauinsel, vom jenseitigen Avalachischcn Ufer aus gelandet. Das türkische Wachpiquet wurde niedergemacht und bei Carovec entfaltete Filip Totju das alt-bulgarische Banner mit dem Löwen. Bei den feurigen kriegerischen Serben wäre der Erfolg kaum ausgeblieben, der alle Verhältnisse kühl überlegende Bulgare verhielt sich jedoch während dem Verlaufe dieses unglücklichen Putsches vollkommen ruhig. Sein trauriges Ende entmuthigte nur kurz die jungbulgarischen Heisssporne, welche von Bukarest aus des Vaterlandes Befreiung mit eigener Kraft anstrebten. Die Emigration entbehrte aber jedes richtigen Maasses für die Actionslust und Fähigkeit der grossen Masse in der Heimath. Schon im nächsten Sommer 1868 landete bei Svistov abermals eine wohl ausgerüstete 150 Mann starke Insurgcnten-Cohortc, geführt von Hadzi Dimitri. Wieder zog das Löwen- banncr mit dem Kreuze Uber die Hügel von Carovec; doch auch diesmal herrschte mit der Begeisterung der jugendlichen Legionäre stark contrastirende Kuhe auf der bulgarischen Donauterrasse. Keine Hand rührte sich, kein Gewehr vermehrte die Reihen, deren Wahlspruch: Sloboda ili Smrt! (Freiheit oder Tod!) Wohl regte sich aber die erschreckte nioslimsche Bevölkerung und die rasch benachrichtigte türkische Autorität, das tollkühne Beginnen blutig zu rächen. Auch dieser besser gemeinte, als inscenirte Putsch, welcher durch Midhat's strenges Gericht viel Unheil über Bulgarien und namentlich über Svistov's Jugend brachte, endete unglücklich. Eine in Bulgarien geheim verbreitete Lithographie verewigte das traurige Schicksal der Legion am Waldgehänge zu Panu voinov. Da stehen Hadzi Dimitri und sein Adjutant Stefan Karadza, die Kreuzesfahne hoch haltend, die bedrängten Kampfgenossen durch ihre Todesverachtung aufrichtend. Nizams und Tscherkessen stürmen von allen Seiten an, die Legion feuert eine volle Salve auf deren dichte Massen, hier fällt ein Jusbasi, dort ein Tscherkessenhäuptling, andere ersetzen sie aber und das bulgarische Häuflein schmilzt unter den unausgesetzten Angriffen zusammen, von keiner Seite wird ihm Succurs, während die Reihen der Gegner durch neue Zuzüge sich stets verstärken. Fort und fort in harter Fühlung mit seinen Verfolgern erreichte es, im Rückzüge die Rusica überschreitend, todesmüde und erschöpft bis zum letzten Manne kämpfend die Engthäler der Jantra bei Gabrovo, welche seine Grabstätte werden sollten! Wer will den Bulgaren den Vorwurf der Feigheit nach solchen Beweisen opfermuthigen Todes entgegenschleudern? Drei Jahre waren ins Land gegangen, die Erinnerung an das Heldenthum der Legion blieb aber bei Jung und Alt, bei Christ und Türk in heller Erinnerung lebendig. Wo ich 1871 ihre Trace verfolgte, hörte ich die Legionäre rühmen, von den Moslims offen, von den Christen aber nur in vertraulicher Stunde, wenn der mich begleitende Öaus sich entfernt hatte. Auf ihren Führern lastet aber, trotz der rühmlichen Haltung, nach meiner Ansicht der schwere Vorwurf mangelnder Voraussicht. Schon die Wahl des Insurrections-Terrains war in jeder Richtung verfehlt. Nicht allein, dass die Hochebene, über welche wir von Carovec aus hinzogen, als Uberall offenes Land nur wenig zum Guerillakampfe sich eignet, fand ich die Dörfer ausschliesslich oder gemengt von moslimschen Leuten bewohnt; ein Umstand, welcher den unbemerkten Marsch in das reinbulgarische Balkangebiet von vorn herein problematisch machte. An einem dünnen Wasserfaden in tiefem Einschnitte näherten wir uns allmälig dem Osem, und 3V2 Meile von Svistov wurde ich zum ersten Male des Öatal tepe ansichtig, dessen Silhouette das Umland nach allen Richtungen beherrscht. In dem von Bulgaren, Türken und Tataren bewohnten Ovöa Mogila erregten hohe Wälle meine Aufmerksamkeit. Sie erwiesen sich als künstlich aufgeschüttete Lössmassen, welche zur Salpeterbereitung im Laufe vom Jahrzehnten allmälig ausgelaugt worden waren. Nach der Versicherung der Arbeiter wird hier und im kaum llj4 M. fernen Batak „seit Menschengedenken" Salpeter bereitet. Zwischen den Erdwällen stiess ich auf eine elende, aus Baumästen und Stroh errichtete Hütte, aus welcher heisse Dämpfe drangen, und traf hier in Mitte einer Menge sinnreicher, aber sehr primitiver Vorrichtungen einen Bulgaren, Vladi Volo aus Kaloica, der 20 Jahre lang zum h. Georgstag regelmässig mit einem Genossen nach Ovöa Mogila kommt. Letzterer hilft ihm beim Graben und ersten Aufbereiten der salpeterhaltigen Erde, welche zuerst in Bottiche von bedeutendem Umfange geschüttet und durch von Aussen eingeleitetes Wasser in einen dünnen Brei verwandelt wird. Die gewonnene Lauge wird sodann in einem flachen riesigen Kupferkessel mittelst unter demselben angebrachter starker Feuerung abgedampft. Das Resultat der sechsmonatlichen Campagne, welche am Demetriustag abläuft, wurde an die sultanliche Pulverfabrik bei Razgrad abgeliefert. Durchschnittlich wurden 150 Oka Salpeter (gorcele), also 175 Kilo jährlich gewonnen. Die genügsamen Producenten erhielten 6 Piaster pro Oka, wonach für jeden der von Früh bis Nacht fleissigen Arbeiter ein Gewinn von 00 Mark für 6 Monate resultirte, mit dem sie sehr zufrieden in ihre Heimath zurückkehrten, um im nächsten Frühjahre ihr altgewohntes chemisches Laboratorium wieder zu beziehen. Müsste es bei solcher Billigkeit der Arbeitskraft nicht lohnen, Bulgariens reiche Naturschätze, statt sie auszuführen, an Ort und Stelle zu verwerthen? Nächst der Salpeterfabrikation interessirte mich Ovöa Mogila's im J. 1864 erbautes Kirchlcin. Es macht mit seiner dreibogigen, offenen Vorhalle ganz den Eindruck eines italienischen Baues, und doch ist sein Architekt nie über die hei-mathlichen Berge gekommen. Meine Umfrage im Orte nach Resten aus alter Zeit b,lieb vergebens; doch dürfte das Glück meine Nachfolger vielleicht mehr begünstigen. Antike keramische Scherben, welche beim Ausheben der salpeterhaltigen Erde in Menge gefunden werden, rechtfertigen wenigstens diese Vermuthung. Ovca Mogila liegt in 96 M. Seellöhe. Weiterziehend stiess ich hart vor Varcna auf einen sehr hohen isolirten Tumulus. Er schien von Schatzgräbern durchwühlt worden zu sein, wobei die unregelmässigen Werksteine der Grabkammern durcheinandergeworfen und ihr Inhalt wahrscheinlich verstreuet wurde. Mir bot die Spitze einen höchst willkommenen Orientirungspunkt Uber das nahe Gebiet des Osem, dessen hell aufglänzender Wasscrlauf und von Tümpeln erfülltes Uferland das rothe Licht des scheidenden Sonnenballs prächtig färbte. Tief bewegt von dem herrlichen Landschaftsbilde, ahnte ich nicht, dass genau fünf Jahre später die Schrecken eines furchtbaren Bürgerkrieges es erfüllen würden. Als im Frühjahre 1876 die Insurrection (S. 163) auch die Donaukreise zu erfassen drohte, suchte der Vali Asiui Pasa sie im Keime durch blutige Gerichte zu ersticken, es war eine glänzende Epoche für die nach Mord und Beute gierigen Tscherkessen. Ibrahim Bei der Kaimakam von Svistov Hess sie ruhig gewähren. Ovca Mogila, Karamanovo und Islamir (Slomcr) wurden verwüstet, viele Bauern nach Svistov geschleppt und in die Kerker geworfen, bis Fuad Pasa mit regulären Truppen von Ruscuk dahin gesandt wurde und Ordnung machte, wobei jedoch die moslimschen Denuncianten und Räuber straflos ausgingen. Rasch eintretende empfindliche Abendkühlc mahnte zum Abstieg nach dem nahen Dorfe. Obwohl die Dämmerung kaum eingebrochen war, herrschte bereits Todesstille in dem ausschliesslich von Moslims bewohnten Orte. Auf wiederholten Anruf wies uns endlich ein alter gutmüthiger Türke nach dem Mussafirlik. Sein einziges Gemach hatte leider nur drei Wände und es entbehrte überdies jeder Umzäunung. Die Aussicht, gewissermassen auf der Strasse zu schlafen, war nicht ganz nach meinem Geschmackc, wir ritten also nach dem nur l/a St. fernen Osma Gradiste. Hier tönten heller Sang und Sviralaklänge uns entgegen. Die bulgarische Dorfjugend ergötzte sich an dem prächtigen Sommerabendc mit Hora-tanz und anderen Spielen. Da war Alles voll Leben und Freude. Unsere Ankunft brachte vielleicht eine nicht unerwünschte Pause. Alt und Jung eilte herbei, uns freundlich zu begrüssen, einige Bursche übernahmen es, uns nach dem Ortshan zu geleiten, und bald waren wir ziemlich gut für die Nacht geborgen. Ich traf zu Osma Gradiste eine Moschee mit Minaret, doch weder eine Kirche noch Schule, ungeachtet hier gleich viel oder eigentlich mehr Bulgaren als Moslims wohnen. Der Ort zählte 1871: 60 bulgarische, 50 türkische und 6 tscher-kessische Häuser. Am nächsten Morgen zog ich weiter zum nördlichen Hange des Trojan-Balkans. Mein nächstes Ziel war sein nördlichster Ausläufer, das ganz isolirtc, vom Volke treffend „getheilter Hügel" benannte Catal tepe, das ich bereits am Vortage erblickt hatte. Wir hielten an seinem Fusse, wo die W.O. nehmende, von Plevna über Butva nach Tirnovo führende Strasse vorüberzieht. Das Tepe ist in seiner höheren Parthie vollkommen baumlos und bildet mit den nackten Kalk-schroffen zur fruchtbaren, gut bestellten Ebene einen melancholischen Contrast. Dem triangulirenden Ingenieur wird das Tepe einst unschätzbare Dienste leisten, und für Archäologen bewahrt es noch manches Geheimniss. An seinem südlichen Hange lagen unter Bäumen die colossalen Werkstücke eines, durch ihre Profile als römisch gekennzeichneten Monumentalbaues zerstreut umher, viele andere mochten in dem fetten Humusboden'stecken, die meisten zu fernen Bauten längst verschleppt worden sein. Künftigen en detail arbeitenden Archäologen empfehle ich diese Stätte ganz besonders zu Nachforschungen. Ich vermuthe, dass hier oder doch sehr nahe eine antike Ansiedlung gestanden habe und jener römische Strassenzug der Peut. Tafel vorüberging, welcher von Oescus (Gigen an der Donau) nach dem Provinzcentrum Nicopolis ad Istrum (Nikup an der Rusica) führte. Beim Öatal tepe kreuzen sich noch heute mehrere Wege. Einer ging SW. nach dem berüchtigten Tscherkessen-Raubneste Esais, ich Hess ihn rechts und stieg über den niederen Sattel nach Vrbovka. Die sein Thal umrandenden Höhen mögen bei hellem Sonnenschein einen freundlichen Anblick gewähren; das Firmament war jedoch stark umwölkt, düstere Tinten lagen auf den frisch gezogenen Ackerfurchen, die"Wiesen trugen gleich traurige Farben und weithin war keine Seele zu entdecken. Einige ihre langen Hebebäume gleich Ausrufungszeichen melancholisch in die Luft streckende Ziehbrunnen stimmten das Bild auch nicht freundlicher, und hart am Wege stand als Zeichen irdischer Vergänglichkeit der verwitterte Votivstein einer Römerin, welche ihr trauernder Gemahl die „(p) udentissim (ae c)onju(gi)" als die sittsamste Gattin rühmte. Leider ist ihr Name ebenso unentzifferbar, wie ihre Züge unkenntlich für die Nachwelt, auch die Opferscenen en relief im Frontispice des Steines haben im Laufe von mehr als einem Jahrtausend stark gelitten. Das nach meiner Messung 247 M. hoch gelegene Vrbovka musste eine der grössten Tscherkessen-Colonien aufnehmen, sie zählte 270 Häuser neben 120 türkischen und 70 bulgarischen Gehöften. Obschon letztere aber stark bevölkert, bildete hier und beinahe in allen Dörfern der Umgebung das moslimsche Element die Majorität. Es schien mir, als litte auch der redselige christliche Ortsvorstand von Vrbovka unter dieser Thatsache. Ueber das schlimme^Schicksal der Bulgarenlegion in der Nähe seines Dorfes (1868) äusserte er sich sehr vorsichtig, und einen kleinen Excurs in dieser Richtung schloss er zur Beseitigung jedes Zweifels an seiner Treue für den Sultan mit einem „da zive nase Car!" Viel freier, ja würdevoll war das Benehmen der Frauen. Mein türkischer Sergeant fühlte sich ein wenig gedrückt durch dasselbe und kehrte seine liebenswürdigste Seite hervor, um uns einen guten Imbiss zu erschmeicheln. Es gewährte mir Vergnügen, von der luftigen hohen Veranda aus die vier Frauen des Hauses in ihrem bienenartigen Treiben zu verfolgen. Des Geflügels Fütterung, das Hantiren um Herde und Versorgen der Kinder, das Brotbereiten und hundert andere Dinge wurden mit grösster Flinkheit durch und zwischen einander besorgt. Auf dem Hofe lebte in zwei Häusern ein Staresina mit seiner alten Mutter und Frau, zwei jung verheiratheten Söhnen, ihren Frauen und 3 Kindern, zusammen 10 Seelen, eine Zahl, die bei der grossen Fruchtbarkeit bulgarischer Frauen gewiss seitdem noch stieg. Vrbovka's Häuser, sowie die aller nahen Orte sind solid gebaut und mit dünnen Kalkplatten gedeckt, welche bei den 3 — 4 M. fernen Diskot und Lipnica gebrochen werden. Das Haus des Staresina besteht gewöhnlich aus einem über dem Vorrathskeller für Wein, Oel, Fett, u. s. w. erbauten hoben Geschoss, zu dem man auf Stufen über die vorliegende Veranda gelangt und das zwei durch einen Feuerraum getrennte Stuben in der Breite enthält, von welchen die als Pracht- und Fremdenzimmer dienende ganz besonders rein gehalten wird. Die grosse Sterblichkeit in Vrbovka's Tscherkessen-Colonie dehnte seinen moslimschen Leichenacker auffallend aus. Einen freundlicheren Eindruck machten Dimce's rebenbepflanzte Höhen, von welchen wir den ersten Blick in das schöne Thal der mittleren Rusica warfen. Seine fernsten Punkte erschienen von der Sonne so hell beleuchtet, dass ich die Lage von Pavlikan, Diskot, Umur-Bei köi, Lisöar, Murat-Bei köi auf dem linken, dann Mihalca, Hodnica, Jalar, Musina und Visograd auf dem rechten Flussufer in Karte bringen konnte. Die meisten Orte wurden durch ihre weissen Minarete erkennbar, und der vielge-schlängelte Rusicalauf war durch den auf ihm lagernden Lichtglanz leicht zu verfolgen. Bald näherten wir uns dem Defim, zwischen dessen Steilhängen er zur Ebene eilt. Das schwarze Gewölk, welches seit frühem Morgen bedrohlich über uns hing, setzte sich von einem heftigen Windstoss getrieben plötzlich in Bewegung, und bald begann sich unter rasch erfolgenden Detonationen ein furchtbares Gewitter zu entladen. Nirgends war ein schützendes Obdach zu erblicken, es blieb uns nichts übrig als zu eilen, und auch das arme Trainpferd that das Seine, um mit uns Schritt zu halten. Das Wetter tobte noch ungeschwächt fort, als wir glücklicherweise Sücündol's erste Häuser erreichten. Ohne jedes Besinnen öffnete Ibrahim Öaus das Pfahlthor des ersten nächsten, nicht ahnend, dass er einen Sturm anderer Art über uns heraufbeschwor. Eine halbblinde, so unverhofft überraschte unverhüllte Alte, welche in Abwesenheit der auf dem Felde beschäftigten Männer und Frauen das Haus hütete, schleuderte uns als Gruss tausend Verwünschungen entgegen. Ibrahim kümmerte sich aber wenig um dieselben und suchte eilends unsere Pferde unter schützendes Obdach zu bringen. Erst als das Unwetter sich gesänftigt, stiegen wir, von dem mittlerweile herbeigekommenen Subasi des Dorfes geleitet, zum christlichen Dorftheil empor, und um meines arg mitgenommenen Lastpferdes willen machte ich hier, gegen mein Programm, aber zur grossen Freude meiner Leute, bereits um 5 Uhr Konak. Die unfreiwillige Müsse zu Sücündol, das ich auch Sügündol, Ücündol und Suhundol nennen hörte, benützte ich zur Niederschreibung der* auf dem Wege empfangenen Eindrücke und Aufnahme des Seeleninventars des Gehöftes, dessen Staresina mir bereitwilligst ein ganz nettes Stübchen eingeräumt hatte. Das war ein echtes und rechtes-Bulgarenhaus, eine einzige grosse Familie. Ihr früheres Oberhaupt stand bereits im Greisenalter, seine Gefährtin zählte der Jahre nicht viel weniger, und beide hatten deshalb die Staresinawürde dem ältesten, mit Kindern reich gesegnetem Sohne übertragen, welcher selbst bereits Grossvater war. Ich traf in diesem gemeinsamen Familiengehöfte 4 Generationen mit 18 Köpfen friedlich neben einander wohnend, und ich zweifle nicht, dass sich diese Seelenzahl seit meiner Conscription noch um einige Köpfe vermehrt hat. Die ver-vvittwete Schwiegertochter war nicht zu ihren Eltern zurückgekehrt, sondern blieb mit ihren Kindern gleich betheiligt am Einkommen des Hauses. Ueberhaupt werden die von England bis Australien verbreiteten Sprichwörter, welche insgesammt die Furcht vor der „Schwiegermutter" illustriren, bei den Südslaven zu Schanden. Wenn der Albanese sagt: „Die Schwiegermutter nahe der Thür ist wie der Mantel beim Dornbusch", so fand ich bei den Bulgaren sehr oft Gelegenheit, das Gegentheil zu hören; womit nicht gesagt sein soll, dass der häusliche Friede nicht manchmal durch gewisse Rivalitäten zwischen den Frauen gestört wird. Der Staresina lässt aber tief wurzelnden Streit selten aufkommen. Streng regiert er im gemeinsamen Gehöfte, das gewöhnlich einen bedeutenden Umfang einnimmt. Mein Gastquartier zu Sücündol zählte 4 Wohnhäuser, alle so ziemlich nach dem zu Vrbovka geschilderten Plane (S. 204) erbaut, dann zahlreiche Fruchtspeicher, Viehhürden, kleine Ställe u. s. w. Von einem Punkte Hess sich der ausgedehnte Hof schwer übersehen. Meine Illustration zeigt nur die nebeneinander gruppirten Häuschen, in welchen die verheiratheten Paare ihre gesonderte Wirthschaft neben dem Allen gemeinsamen Stammhause führen. Diana-Relief von Sücündol. Hell und warm wie nur ein schöner Junimorgen nach reinigendem Gewitter es vermag, umspannte ein tiefblaues Aetherzelt unseren gastfreundlichen Hof. Alt und Jung war bereits im Sonntagsstaat seit dem ersten Hahnenruf in Bewegung. Auf dem weiten Hofraume gab es Lust und Freude. Vor meiner Thürschwelle tummelte sich die jüngste Generation voll Neugierde, auch die Männer unterhielt es, dass ich das Gehöfte und sie dazu abconterfeite. Sie brachten mir einige Münzen und ein schlecht conservirtes antikes Relief, welches eine jagende Diana mit Hirschen darstellte. Ich tauschte es für einige kleine Silberschmucksachen, und dies brachte bald die scheueren Frauen herbei. Sie kamen, die bulgarischen Evatöchter, in ihrer Mitte die bräutlich geschmückte Enkelin des Staresina, welche sich mit einem bcladenen Eselchen eben auf den Weg zu Verwandten begab. Durch allerlei Fragen hielt ich sie so lange fest, bis ich ihren merkwürdigen bräutlichen Kopfputz skizzirt hatte. Sie sollte ihn bald mit dem weissen, nach rückwärts hängenden langen Kopftuche der Frauen vertauschen, das mit gleich blendend weissem Hemde ganz hübsch vom ärmellosen blauen Leibchen und Rocke absticht. Die blaue Farbe ist auch im Männer-Co-stume des Rusicagebietes vorherrschend. Einer der jüngeren Hofgenossen zeigte uns den Weg durch den würzige Düfte ausathmenden Laubwald, welcher von mit nackten Kalkzinnen gekrönten, höhlenreichen Höhen des linken Rusicaufers herabzieht. Tief unten am Flusse Bulgarisches Gehöft zu Sücündol. lagen schöne Feld- und Öbstculturen. Unser Ritt glich einer sonntäglichen Par-thie im fernen Harze; der dichte Wald erstreckte sich gegen NW. bis Kramolin. Bei Bara macht die Rusica in 149 M. Seehöhe ihre westlichste Krümmung, dort ging es über einen weiten sumpfigen Wiesenplan und dann durch die Furth des stark angeschwollenen Flusses. Für das Trainpferd war die Passage nicht ohne Gefahr. Ein uns entgegenschwimmender junger Zigeuner brachte es glücklicher- weise heil ans Land. Wir selbst hatten, trotz aller angewendeten Vorsicht, ein unfreiwilliges Halbbad genommen, und sprachen im netten Türkendorfe ein, um uns an seines Mussatirlik's gastlicher Feuerstelle zu trocknen. Ein fahrender türkischer Hosskamm kochte sich dort eben Kaffee; nach einigen allgemeinen Redensarten schloss er sein Herz auf und schimpfte weidlich über des Sultans Beamte und die hohen Steuern, welche den Geschäftsgang vollkommen niederdrückten. Der bis Bara höchst anmuthige Charakter des mittleren Rusicathales änderte sich, sobald wir dessen nordöstlichere Höhen erklommen hatten. Eine Fülle romantischer Bilder erschloss sich, das Flussdefile wurde schmäler, die Hänge fielen steiler ab und zuletzt wuchsen die Wände, über deren plattig lichte Kalkschichten kleine Wasserfälle rieselten, zu einer prachtvollen Gebirgsschlucht von nahezu alpinem Charakter zusammen, durch welche die Rusica über zahllose in die Tiefe gestürzte Felsen schäumend hinschoss. Vor einigen Jahren noch führte an ihrem linken Ufer eine uralte Fahrstrasse nach Selvi. Nun ist sie grossentheils verschüttet und Niemand dachte daran, sie wieder herzustellen. Wie einst in Montenegro kletterte ich über nackt am Tage liegende, treppenartige Kalkplatten bald auf-, bald abwärts. Hier und da sandten einzelne Quer-schluchten dünne Wasserfaden der Rusica zu und auch die an ihren Mündungen liegenden, verfallenen kleinen Mühlwerke boten reizende Motive für den Landschafter. Ungern sagte ich der genussreichen Scenerie Lebewohl. Unser Pfad lenkte nach 1 St. im Zickzack zum tiefe Schluchten und schöne Weidesporne bergenden Hochplateau von Kursovo ab, dessen reiche Herden allerorts die prächtigste Staffage bildeten. Das wohlhabende, 110 türk. und 40 bulg. Häuser zählende Dorf liegt 394 M. hoch in reizendster Lage, die Minarete seiner beiden Moscheen blicken hinab in das breite Thal von Selvi, und über der Kreisstadt erscheinen die schneeigen Gipfel des Balkans von Gabrovo. Besonders entzückend ist die Aussicht von Kursovo's Friedhof, ich darf ihn hier als künftigen trefflichen Triangulirungspunkt empfehlen. Der Abend hielt nicht, was der Morgen versprach. Das Thermometer sank stetig und während des steil gehuschten Abstieges zur Stadt überfiel uns plötzlich dicht strömender Regen. Mit etwas gekühltem Enthusiasmus erreichten wir die Rusicabrücke; in Selvi's „Jeni Ivancu Stanciogluhan" stellte jedoch eine Tasse vorzüglichen Moka's das Gleichgewicht meiner guten Reiselaune bald wieder her. Die Kreisstadt Selvi (bulg. Sevlijevo) zählte 1871 nach officieller Quelle 551 türk. und 008 bulg. Häuser, doch glaube ich, dass letztere Ziffer zu niedrig ist. Selvi's reintürkischer Stadttheil bietet wenig anziehende Bilder. Sein Uhrthurm ist von abschreckender llässlichkeit, die Kusidieschule und seine Moscheen sind höchst ärmlich, die Gassen verödet. Es lag etwas von dem allem Leben feindlichen Wesen asiatischer Steppen auf dem Ganzen und ich sehnte mich weg aus Kunitz., I). 1 Julianen 11 ml dur Balkuii. 14 der dort herrschenden Grabesstille. Das neue Kreisamt ist das einzige nette Gebäude, der Bau erschien Midhat dringend geboten, denn früher amtirte Selvi's Kaimakam in einem verfallenen Gebäude, das einem Dorfstalle glich. Als ich diesen „Eski konak" besuchte, wurde mir ein römischer Stein gezeigt, dessen theilvveise erhaltene Inschrift Mommsen las: „Den Todtengöttern! Annius Verus (hat gelebt) Jahre XXXI. Aurelia Flavia dem theuersten Gatten gesetzt." Der Votivstein*) bietet, wie man sieht, kein besonderes Interesse; wäre er auf dem Platze selbst gefunden worden, gäbe ihm dies eine gewisse Bedeutung; anfangs hiess es auch so, eingehendere Umfragen stellten jedoch sicher, dass er aus Nicopolis ad Istrum (Cap. IX.) stamme und in der Stadt nichts von antiken Funden bekannt sei. Den römischen Strategen ist aber Selvi's günstige militärische Lage kaum entgangen und ich glaube, dass die Beweise sich dafür noch finden werden. Muthmaasslich dürfte das römische Castrum zur Beherrschung des Balkan - Strassenzuges auf dem Plateau gestanden haben, wo neben verfallenen Mauern der „Jeni konak" zur Rusica hinabblickt. In letzter Zeit machte Selvi lobenswerthe Anstrengungen, um ein europäischeres Ansehen zu gewinnen. Ausser seiner schönen Lage und Handels-thätigkeit sind es namentlich zwei Bauten, welche ihm einen gewissen Ruf im Lande verschafften, seine Rusicabrücke und neue Kirche. Erstere kann sich wohl nicht dem auf S. 147 geschilderten grossem Werke zu Bela an die Seite stellen, doch spricht schon der alleinige Umstand für ihre Solidität, dass sie wie nur wenige andere den verheerenden Hochwassern des Jahres 1871 Trotz geboten hat. Im hohen Grade originell ist Selvi's am Dimitrov-Tag 1870 geweihte Kirche. Ferne von strengen Stylgesetzen vereinigt sie byzantinische und occidentale Elemente zu wirkungsvollem Effecte. Ihre Construction zeigt ein längliches Rechteck mit Chorapside und kleiner Kuppel, ihre Stirnfronte eine Vorhalle mit drei weitgeöffneten Bogen, welche das nach der Länge dreigetheilte Stockwerk tragen. Die mittlere, durch ein flachbogiges Gesims abgeschlossene Facade-parthie theilte der Baumeister durch Säulchen und Rundbogen in drei Felder, deren Flächen Bildschmuck belebt. Als Hauptfigur erscheint die h. Jungfrau mit dem Kinde, rechts der h. Josef, links Ciril und Metodije, im Pendentif der h. Geist zwischen anbetenden geflügelten Seraphini auf blauem Grunde. Die beiden Fenster der Seitenfelder zieren sehr hübsch gearbeitete Gitter von Schmiedeeisen. Die Wirkung des Hauptfrieses wird durch vorspringende akroterienartige Rundziegel glücklich gehoben, unter dem Mittelfelde verewigt aber eine Inschrift die Gründung des Baues, zu dem die Bauern der Umgebung von Gabrovo unentgeltlich das prächtige Kalksteinmaterial herbeiführten. *) Abgedruckt im Corp. inscr. lat. III. Im Innern der bunt decorirten Kirche fallen constructiv ganz besonders die weniger schön als kühn vorspringenden Emporen auf. Wahrhaft bewunderns- Feler von Pluvnu'a Füll in der neuen Kitclio zu Solvl. Werth unter den Details der Ausschmückung sind einige „Marangos" (Schnitzwerke) der Ikonostasis von Pop Constantiu zu Travna, und an der Krönuugsthüre zeigte sich auch Nikolo Matijev von Novoselo als ebenbürtiger Meister. Er 14* empfing 400 Piaster, also etwa 80 Mark für eine Arbeit, die bei uns wohl das Fünfzehnfache gekostet hätte. Bestechend gemalt sind die im byzantinischen Charakter stylisirt gehaltenen Bilder der Ikonostasis von Cani Zahariev von Travna, der für eine Maria mit besonders jungfräulichem Ausdrucke und ein Pendant, Jesus darstellend, 900 Piaster, also 180 Mark für jede Halbfigur erhielt. Stanislav von Samakov empfing sogar 200 Mark für ein Bild. Nach bulgarischen Begriffen repräsentiren diese bescheidenen Honorare ganz enorme Summen, und mein Cicerone pries die Freigebigkeit der „Babudzi esnaf", der ehrsamen Schuhmachergilde, ebenso enthusiastisch, wie die Amerikaner jene des berühmten Mäcens Peabody. Verglichen mit dem alten, hall) im Erdboden vertieften Kirchlein Selvi's vom Jahre 1834 zeigt der stolz sich erhebende neue Kirchenbau am deutlichsten die veränderte günstige Stellung, welche das christliche Element seit 4 Decennien in Bulgariens Städten einnahm. Für den grossen intellectuellen Fortschritt der bulgarischen Commune sprach auch das hübsche Schulgebäude, in dem 5 Lehrer Unterricht ertheilten. Es verrieth den bildungsfreundlichen und zugleich praktischen Sinn des Bulgaren, der ohne religiöses Vorurtheil sich dahin wendet, wo er Kenntnisse zu erwerben hoffen darf. Er sucht zu diesem Zwecke gleich gern das türkische Staats-Lyceum zu Constantinopel, wie die Stipendien in Russland, Romanien, Serbien und Oesterreich auf, oder besucht auf eigene Kosten die Schulen Frankreichs, Belgiens u. s. w. Einer von Selvi's Lehrern, Dimitri Vi-tanov, wurde beispielsweise zuerst im „Protestant College" zu Malta auf englische Kosten erzogen und ging dann zur weiteren Ausbildung, durch freundliche Ver-mittelung des russischen Consuls zu Varna, auf l*/a Jahre nach Petersburg. Der junge Mann wusste Vieles, sprach englisch und russisch ganz vortrefflich und zeigte ein bescheidenes, man darf sagen, gentlemansches Benehmen. Er war zu Selvi mein angenehmster Gesellschafter und ich verdankte ihm interessante Einblicke in türkisch-russisch-bulgarisches Erziehungswesen. Selvi's christliche Bevölkerung war seit lange der freiheitlichen Strömung-ergeben und desshalb bei den Türken sehr verhasst. Die Regierung wusste, dass jeder Aufstandsversuch im Balkan stets von den Selvioten direet oder durch Geld unterstützt wurde, und als im April 1876 um Tirnovo eine allgemeine Erhebung ausbrach, stürzten sich die von der türkischen Autorität aufgebotenen Basibozuks sofort auf die übel beleumundete Stadt, als bekanntesten Stützpunkt der „Komiteti". Die schonungslose Weise, mit welcher Zapties und Irreguläre in den christlichen Vierteln nach „Silach" (Waffen, Munition u. s. w.) suchten, führte zum blutigen, auf beiden Seiten viele Opfer fordernden Waffenkampfe, und die Henkersdienste verrichtenden Zigeuner bekamen bald viel zu thun. Bei der tiefgehenden Verhasstheit des türkischen Regiments wurden die im J. 1877 heranziehenden russischen Befreier wohl in wenigen bulgarischen Städten gleich enthusiastisch wie zu Selvi begrüsst. Nach Tirnovo's rascher Einnahme entsandte der Grossfürst seinen Adjutanten Oberst Serabkoff mit einigen Sotnien Infanterie, einer Schwadron Garde-Kosaken, einem Detachement Vladikavkaski-Kosaken und zwei Geschützen gegen Selvi ab, um die rechte Flanke des Centrums aufzuklären. Kurz vor der Stadt stiess Serabkoff auf eine bunt zusammengesetzte Abtheilung von einem Bataillon Nizam, einem Haufen Lovcaer Mustafiz und etwa 1000 tscherkessischen Reitern, welche auf Osman Pasa's Befehl von Lovec bis gegen Tirnovo streifen sollten, um die zum Sipkapasse führenden russischen Verbindungen zu unterbrechen. Für diese Aufgabe viel zu schwach, wurde das Detachement nach kurzem Widerstände auf Lovec zurückgeworfen und Selvi am 16. Juli von Serapkoff besetzt. Ende Juli, nach den Schlachten von Eski Sagra und Plevna, erschien die Lage der Russen am Sipka-Balkan sehr bedroht. Der 14. Division vom VIII. Armeecorps und der 4. Jägerbrigade fiel die schwierige Mission zu, Tirnovo's Verbindungen mit der russischen Balkanstellung gegen feindliche Angriffe von NW. her zu decken. Gleichzeitig als Suleyman seine ernsten Angriffe auf den Sipkapass am 19. Aug. eröffnete, langten die sehnlichst erwarteten Verstärkungen aus Russland an, welche vom Grossfürsten sofort grossentheils in der Richtung auf Selvi dirigirt wurden. Die oben genannten Truppen rückten nun südlich gegen Gabrovo ab, und gegen Ende August befanden sich bei Selvi 28 Bataillone und 2 Kosakenregimenter mit 8 Batterien unter General Fürst Imeretinski vereinigt. Um diese starke Keilstellung zu durchbrechen und hierauf das Sipka-Defile von Norden her zu öffnen dirigirte Osman Pasa abermals eine bedeutende Abtheilung von Lovec gegen Selvi. Zwölf Bataillone gingen ihr mit Artillerie und Cavallerie entgegen. Die Türken stürmten wiederholt mit grosser Bravour die russischen Linien, konnten sie jedoch nicht durchbrechen, und nachdem sie bedeutende Verluste erlitten, wurden sie auf die Lovecer Strasse zurück geworfen. Mehrere Hunderte Nizams und Tscherkessen bedeckten die Wahlstatt und sprachen für die eilige Flucht, da sonst die Türken ihre Todten mitzunehmen pflegten. Zu Selvi wurde der Sieg unter grossem Jubel gefeiert, wahrhaft frei athmeten seine Bewohner aber erst auf, als auch Lovec eingenommen war und die Nachricht von Plevna's Fall vom Portale seiner neuen Kirche herab verkündet wurde. Vom 9.— II. Jäner verweilte der Ober-Cominandant Grossfürst Nikolaus mit dem Hauptquartier zu Selvi. Am 14. Junimorgen durchritt ich Selvi's gegen S. von hohen Bergreihen begrenzte Ebene im raschen Tempo. Auf beiden Seiten der Strasse prangte das Hügelland im Rebcnschmuckc und erst bei dem 2 St. fernen Dorfe Serbegli, welches ein bedeutender Rusicazulluss durchschneidet, verlor die Landschaft ihren heiteren Charakter. Die Anwohner klagten, dass ihr Obst weit später als an der Donau reife, und wirklich traf ich einen wandernden Kirschcnhändler aus Svistov's Umgebung, welcher hier Mitte Juni seine süsse Waarc sehr gut ver-werthete. Je höher wir stiegen, desto schwächer wurde auf der trefflichen Fahrsfrasse der Verkehr, desto seltener erschienen geschlossene Ortschaften und um so häufiger lösten sich die Dorfgemeinden in kleine Weilergruppcn auf. Ich betrat den Kreis Gabrovo, wo Boden- und klimatische Verhältnisse den Ackerbau in zweite Linie drängen und Viehzucht zum Haupterwerbe wird. Hart an der Strasse stiess ich neben einer gutgebauten Brücke auf einen neuen Han. Er trägt den Namen des rechts auf den Höhen sich ausbreitenden grossen Dorfes Garvan (Rabe), dessen 8 Weiler: Garvan, Nikolcovci, Jankovci, Cucomanc, Gir-ginc, Racovci, Vujovci und Öclovci nahezu 300 Häuser zählen. Ueber das gegenüberliegende Gebiet von Salaman, mit über 200 Häusern, orientirte ich mich im nächsten Strassenhan. Seine 7 Weiler lagen am Hange einer langgestreckten Berglehne, durch ein SO. — NW. fliessendes Bächlein von der Strasse getrennt, beinahe in Frontlinie, auf Büchsenschussweite nebeneinander. Zunächst gelangte der Hauptweilcr Salaman mit 50 Häusern in Sicht, hierauf der 7 Minuten entfernte erste Filialweder Zlatovci (30 IL), sodann das von diesem 15 Minuten ferne Milkovci (23), und nun stets 5 Minuten von einander gelegen: Öevci (30 IL), Pecovci (20 H.), Mraori (25 IL), Popovci (30 H.). Das von der Natur und durch die vorwaltende Viehzucht, Holzindustrie u. s. w. bedingte Weilersystcm herrscht in der ganzen ausschliesslich von Bulgaren bewohnten nördlichen Zone des Central-Balkans vor, und zwar in den Bezirken und Kreisen: Teteven, Trojan, Sevlijevo, Gabrovo, Travna, Drenovo, Kilifar, Elena und Bebrovo. Türkische Weilerdörfcr giebt es im Balkan beinahe nur im Kreise Osmanpazar. Sio alle zählen selten weniger als 5, durchschnittlich aber 8 und manchmal sogar 10—12 Weiler; in den unwirthlicheren Waldgcbicten bestehen letztere allerdings oft nur aus 5—20 Häusern. Sämmtliche Weiler solcher Ortschaften stehen unter dem t'orbasi oder Muhtar des Bas mahle (Hauptweiler), das gewöhnlich, aber nicht immer dem Dorfe den Hauptnamen giebt. Diese Spaltung der Bergorte in unzählige Filialweiler verleiht dem Balkan bis in seine höchsten Thcile allenthalben Leben, für den Reisenden jedoch, der nicht in jedes einzelne Thalgebict (Dere) eindringen kann, ist es selbstverständlich nur möglich Lage und Namen der Gesammtdörfer, nicht aber jene der vielen Hunderte isolirter Weiler in Karte zu bringen. Dies bleibt künftigen Specialaufnahmen vorbehalten. Im Momente, wo der geehrte Leser mit mir die Hochgebirgsregion betritt, hielt ich vorstehende allgemeine Bemerkungen für dringend geboten, um ihn vor falschen Schlüssen über die Bevölkerungsdichtigkeit der nördlichen Balkanhänge zu bewahren, falls er dieselbe einzig nach den spärlichen Ortsnamen der Karten beurtheilen wollte. Abermals erschien an der Strasse links ein kleiner Han, welcher zum ansehnlichen Dorfe Dumnik, mit den 9 Weilern: Gledaci, Prahali, Diveci, Gaitani, Dumnik, Rusevci, Raskovci, Kiovci und Gencovci gehörte. Nach Ueberschrei-tung einer niederen Wasserscheide und nachdem sich das Defile zwischen Kalkschieferwänden auf eine kurze Strecke thorartig verengte, trat uns das Jantra-thal in ungeahnter Pracht entgegen. Nach abwärts begleiteten den Fluss mit jungem Laubwald bedecktes Hügelland und wohlbestellte Culturflächen, gegen Süden aber zeigten sich am Hange hoher Berge die Thürme seiner blühendsten Industriestadt, des durch ganz Bulgarien berühmten Gabrovo. Landschaft, Fluss und Stadt, letztere von nahezu italienischem Charakter, umhüllte ein vom Spectrum der Abendsonne durchglitzerter feiner Regen, dabei war die Luft wohlthuend mild. Dies und stattliche Gebäude, Kirchen, Brücken, mit buntem Treiben in den Strassen gewannen Gabrovo gleich beim Eintritte meine Sympathie. Dunkle Striche in diese Stimmung warf nur der traurige Han, in dem ich Quartier nehmen musste. Trotz der reizenden Aussicht von seiner Veranda hätte ich bei längerem Aufenthalte doch den schmutzigen Wänden des engen gefängnissartigen Raumes, welcher keine Spur von Mobiliar, hingegen sehr viel überflüssiges Ge-thier enthielt, den Rücken gekehrt. Frugales Abendbrot bringt guten Schlaf, dachte wahrscheinlich mein jovialer Wirth Kristo Nikolo, und es hätte sich gewiss auch an mir bewährt, wenn nicht die zahllosen miethfreien Vierfüssler seines Hotels diesen richtigen Satz und meine gute Anlage für gesunden Schlaf abscheulich durchquert hätten. So blickte ich verzweifelt durch die Ausluglöcher meines Verliesses dem Aufgange des erlösenden Taggestirnes entgegen, und kaum sandte es seine ersten Strahlen über den „Secen kamen" ins Thal, liess ich meinen Quälgeistern das eitle Nachsehen und stieg zum hochgelegenen Campanile Sv. Jo-van hinan. Es ist dies ein Thurm von massig quadratischem Unterbau, der sich nach oben in ein mit Fenstern durchbrochenes Octogon auflöst und mein frühes Beginnen mit prächtiger Aussicht auf das Städtchen lohnte. Meinem offieiellen Zaptie-Bcgleiter hatten sich bald viele andere angeschlossen, darunter einige braune Söhne des nahen, 16 Häuser zählenden Zigeunerviertels. An Cicerone's fehlte es also nicht und bald war ich in dem 1300 Häuser zählenden, nach Boue 610 Meter hoch liegenden Städtchen so gut wie ein Erbgesessener orientirt. Von Gabrovo's fünf Mahle, welche vier Brücken miteinander verbinden, bildet das Öumlek Mahle (Töpferviertel) als bedeutendstes das Centrum der Stadt. Gleich dem nördlicheren Novo M. (Neues Viertel) liegen noch an der Jantra das von einem zweiten Uhrthurme überragte Sahac-, das Sredno- und Kre-Mahle. Hart neben dem unsauberen Kristo Nikolo-IIan, wo der Fluss mit cascadenartigem Falle über weisse dichte Kalkstcinfelsen malerisch ilicsst, überspannt ihn eine alte Steinbrücke mit mächtigem Bogen, dann drei kleineren Rund-und Spitzöffnungen von verschiedenem Durchmesser; 40 Schritte lang, 6 Meter breit, trägt sie eine verwischte bulgarische Inschrift und gilt als vor der Türkenherrschaft erbaut. Jenseits der Brücke auf dem linken Jantraufcr liegt das ziemlich bedeutende Kreisamtsgebäude und etwas höher, die Stadt dominirend, die einstöckige Kaserne mit zehn Fenstern Fronte für etwa 100 Mann. Ausser Sv. Jovan besitzt Gabrovo im Sahac-M. eine Sv. Troica und im Cum-lck-M. eine der Sv. Bogorodica geweihte Kirche. Dieser letztere, vom tüchtigen Travnaer Baumeister Gencu im J. 1866 errichtete Neubau enthält sehr schöne Schnitzarbeiten aus Nussholz und ist für die Verhältnisse der Stadt nicht weniger grossartig als die neue Schule mit 19 Fenstern Fronte. Nicht mit Unrecht ge-nicsst Gabrovo durch ganz Bulgarien des Rufes, sehr viel auf die Hebung der Intelligenz durch gute Lehranstalten zu verwenden. Bis 1833 gab es in ganz Donau-Bulgarien nur Schulen mit griechischer Unterrichtssprache; die erste national-bulgarische Volksschule wurde durch die zu Odessa lebenden Gabrovoer Kauflcute Aprilov und Palauzov im Verein mit anderen Patrioten am 2. Jäner 1835 in Gabrovo feierlich eröffnet. Seitdem hat das bulgarische Schulwesen einen ausserordentlich raschen Aufschwung genommen, und 1871 zählten Gabrovo's 6 Knaben- und 2 Mädchenschulen beiläufig 1500 Schüler, worunter viele aus dem Innern des Landes. Im Sredno-M. liegt das Frauenkloster „Blagovcstenije". Ich hatte bereits früher von seiner Seigfabrikation gehört und stieg zu ihm hinab, nachdem ich einen kleinen ä la vue Plan der Stadt vollendet hatte. Mein Zaptie war vorausgeeilt, um meinen Besuch der „Hegumenka" anzumelden. Als ich den netten Vorgarten des Klosters betrat, begrüsste mich Syniantromnusik, eine Artigkeit, welche Fremden erwiesen wird, von welchen grösseres Baksis zu hoffen oder welche man. besonders ehren will. Mehr erfreut war ich, dass Frau Oberin Eufrosinija frei von aller Prüderie mir nicht allein ihr Prunk-Gemach, sondern auch Arbeitsräume und einzelne Zellen der Nonnen zeigte. Trotzdem in bulgarischen Frauenklöstern die Sitte weit strenger als in jenen Rumäniens gewahrt wird, sind sie gleichfalls frei von der Ascetik und Abgeschlossenheit römisch-katholischer Klosterübung. Sie erscheinen als eine Art freiwilliger Vergesellschaftung jüngerer und älterer Personen, welche, unbeschränkt von allzuweit gehender Einengung der persönlichen Freiheit, ihr Leben getheilt zwischen Arbeit, Erholung und Gebet gemeinsam verbringen wollen, ohne den Zusammenhang mit ihren Angehörigen, Freunden und der Aussen weit gänzlich aufgeben zu müssen. Ich habe wiederholt meine Ansichten über orientalisches Klosterwesen und BALKANSTADT GABROVO. seine Schattenseiten für die Volksaufklärung auseinandergesetzt, fürchte also kaum missverstanden zu werden, wenn ich bekenne, dass ich mit dem Eindrucke, eine wahre Stätte des Friedens betreten zu haben, von dem kleinen Kloster schied. Die anspruchslosen Wohngebäude, das mit unzähligen Gaben der Liebe geschmückte Kirchlein lagen so lauschig einladend zwischen prächtigem Grün, alle Bäume waren so blank und nett gehalten, Blumen verschönten und ergänzten allerorts, was hie und da vielleicht fehlte, dass ich mich von diesem halb weltlichen, halb geistlichen Haushalte ganz anheimelnd berührt fühlte. Eine strenge Ordensregel fand ich nach keiner Richtung auftretend, Alles schien von dem Ermessen, der Einsicht der Oberin und einiger älteren Schwestern abzuhängen. Die Nonnen bewohnen bald allein, dann wieder zu mehreren kleinere und grössere Käume, empfangen ohne Zeugen Besuche ihrer Aeltern, Freunde u. s. w. Allen gemeinsam ist nur das Gebet und die Arbeit. Wie ich schon bemerkte, wird hier ganz vorzüglicher Seig gewebt und zwar, wie Mutter Eufrosinija erzählte, jährlich an 1000 Arsin (Ellen), zu welchen die Wolle im Kloster selbst gewaschen und gesponnen wird. Die industriellen Traditionen der Stadt werden also auch von ihren Nonnen in Ehren gehalten. Gabrovo ist sowohl Fabrik- als Handelsstadt. Sein Schwerpunkt liegt aber jedenfalls nach ersterer Seite. Man könnte es eine einzige grosse Werkstätte nennen und darf sagen, die Stadt lebt vom Wasser, denn da ist kein Haus, in dem nicht irgend ein industrieller Zweig gepflegt und nicht grösstentheils mit Wasserkraft betrieben wird. Männer, Frauen, Kinder bis zum zartesten Alter findet man allerorts beschäftigt, und wenn nichts anderes so wird doch gewiss „Seig" in jedem Hause producirt. Vom Kloster in die Stadt zurückgekehrt, trieb ich mich viel im Bazar und seinen Nebengässchcn herum. Wie in allen Städten des Orients sind auch zu Gabrovo grösstentheils Werkstätte und Verkaufsladcn mit einander vereinigt. Die Trennung des cn gros- und Detailhandels ist hier noch nicht gekannt, der Fabrikant ist meist zugleich Verkäufer. Ich trat in verschiedenen Läden ein, zuerst bei Gabrovo's berühmten Nosovi kovaci (Messerschmieden). Es scheint, dass die schwungvoll betriebene Fabrikation vom kleinsten Messer für 3 Para bis zum theueren Jatagan sich hier aus der elassischcn Epoche traditionell erhalten hat. Schon Thukydides erzählt, „dass die Hilfsvölker der Berge im Heere des Sitalkes einzig mit Messern bewaffnet waren", und ist ja noch heute der „llandsar" die Lieblingswaffe des Montenegriners, Albanesen u. s. w. Gabrovo's Messer wandern weit in die illyrischc Welt. Bei einigen Strugare (Drechsler), Gaitandzi (Schnurmacher), £umlckci (Töpfer), Babudzi (Schuster) vorsprechend, suchte ich gleichfalls Auskünfte Uber Erzeugung und Vertrieb ihrer Artikel zu gewinnen, allerdings manchmal nicht ohne Schwierigkeiten; erscheinen doch auch bei uns Fabrikanten und Kaufleute neugierigen Fragern und selbst der offieiellen Statistik gegenüber sehr zugeknöpft. Gabrovo war die erste bulgarische Stadt, in der ich keinen eingeborenen Moslim erblickte. Im ganzen 20 Gemeinden zählenden Kreise bekannten sich nur der Kaimakam (Kreis-Vorstand), seine wenigen Beamten und die temporäre Garnison zum Islam. Im Medjlis sassen nur Christen und diese wachten über ihr Selfgovernment so eifersüchtig, dass die Vertreter des Sultans sich kaum immer ganz wohl zwischen ihnen fühlen mochten. Die Stadt befand sich in nicht geringer Aufregung, als ich sie besuchte. Die Kevolutionsriecherei ging eben bei den Türken stark im Schwünge, und die kleine Garnison war desshalb kurz zuvor durch Redifs verstärkt worden. Beinahe alle bulgarischen Balkanputsche fanden wohl in dem freiheitlich gesinnten Gabrovo einen kräftigen Stützpunkt, so Panajot Hitov's Bewegung um 1862 und 1867; diesmal war es jedoch nur blinder Lärm, hervorgerufen durch einen harmlosen, durch gemeine Denunciation ver-grösserten Vorfall, welcher trotzdem aber in seinen Folgen schwer die städtische Jugend traf. Ursache und Verlauf der Affaire sind für das türkische Regiment, speciell für türkische Postzustände höchst charakteristisch. Zur Hebung des Verkehrs errichtete die türkische Regierung zu Gabrovo wie in den meisten Kreisstädten vor etwa zehn Jahren ein Postamt, gewiss ein anerkennenswerther Fortschritt, wäre er nicht durch den kleinen Umstand illusorisch gemacht worden, dass der fungirende Beamte überall, nur nicht auf seinem Bureau zu treffen war, und selbst auf wiederholte Klagen schien der Postadzi nicht gewillt seinen Kef zu kürzen. Ein in occidentalen Ansichten erzogener Lehrer Gabrovo's, welcher meinte, der Postbeamte sei des Publicums wegen da und Pünktlichkeit wäre die erste Pflicht eines solchen, machte dem Postadzi, als er ihn eines Tages wiederholt im Amte vergeblich gesucht und endlich in einer Kavana (Cafe) des dolce farniente pflegend traf, bittere Vorwürfe über dessen Nachlässigkeit, ja er vermass sich, durch den Widerspruch und Hohn des Beamten gereizt, zur Aeusserung gegen dessen Treiben die Pu-blicität der Zeitungen anrufen zu wollen. Diese Drohung, welcher andere Col-legen des jungen Lehrers secundirten, schlug nun den Boden im Geduldfässchen des Postadzi aus. Er brachte den schwachen Kaimakam zur Ansicht, dass in ihm die Würde der Regierung verletzt worden sei, dass Gabrovo's Lehrer der Jungbulgarenpartei angehörten, Hochverrath planten und dies streng gerügt werden müsste. Die wirkliche oder erheuchelte Aengstlichkeit des telegraphisch benachrichtigten Pasa's von Tirnovo, welcher sich wahrscheinlich auf billige Weise zu Stambul in den Geruch grosser Energie setzen wollte, befahl alsbald eine „strenge" Untersuchung über den versuchten Aufstand. Sie begann mit der Verhaftung der Lehrer, Sperrung der Schulen und dem Aufgebote des Redifs des Kazanliker Kreises. Natürlich erwiesen sich alle diese Schritte überflüssig. Der wirkliche Sachverhalt lag zu klar und von zu vielen Zeugen bestätigt vor, als dass er hätte gefälscht werden können. Die Lehrer wurden nach vicltägiger Haft frei, die Schulen geöffnet, ob jedoch der kefliebende Postadzi, die einzige Ursache so vielen Unheils, sein Amt verlor, ist mir nicht bekannt geworden. Kaum ist es anzunehmen, und solch sprechender Fälle ungeachtet, wundert sich die Pforte, dass die europäischen Mächte ihre vertragsmässigen Postlinien, welche dem Verkehr doch mindestens auf einigen Hauptrouten der Türkei Sicherheit gewähren, nicht vertrauensselig der türkischen Postverwaltung ausliefern wollen. Man gewinnt Gabrovo rasch lieb. Besonders fällt die ausserordentliche Intelligenz und Kührigkeit seiner Bewohner auf, von welchen viele ein gutes Stück Welt gesehen haben. Unverdrossen schwärmte ich eifrig von Laden zu Laden, bald hier bald dort einzelne Objecto erwerbend, Notizen niederschreibend oder zeichnend, so die bunten Striche sammelnd, welche in dem der bulgarischen Industrie gewidmeten Capitel zum geschlossenen Bilde sich vereinigen sollten. Ich fand Barth's und Lejean's Andenken noch bei Vielen lebendig, sie hatten sich wenig um sociale und mercantile Verhältnisse gekümmert-, ich fragte aber um so Vieles —„was wird er damit beginnen?" — flüsterte man sich zu, und oft erschwerte Misstrauen meine an und für sich nicht leichte Arbeit. Hoffentlich dürften die guten Gabrovoer seitdem gefunden haben, dass ich einzig das Ansehen ihrer mir lieb und achtungswerth gewordenen Stadt im Auslande verbreiten und kräftigen wollte. Ein gefürchteter Concurrcnt Gabrovo's ist das benachbarte Balkanstädtchen Travna. Obwohl bedeutend kleiner macht es Gabrovo auf allen Gebieten und namentlich in der Gaitan-Industrie Concurrenz. Die beiden Communen standen miteinander zur Zeit meines Besuches auf gespanntem Fusse. Jede suchte die Regierung durch alle denkbaren Mittel zu überzeugen, dass die neu zu erbauende Balkan -Fahrpoststrasse von Tirnovo nach Filipopcl den Weg durch ihr Weichbild nehmen müsse. Die beiden Städte bezahlten polnische Ingenieure, um durch Taoirungen die Regierung für ihre Wünsche zu gewinnen, wobei jede die kürzere und billigere Linie für sich in Anspruch nahm. In solchen Streiten giebt ein am richtigen Orte niedergelegtes Baksis in der Türkei stets den Ausschlag. Die reicheren Gabrovoer, mit welchen sich auch das in der Frage nahe betheiligte Scvlijevo alliirte, wussten ihre Kaimakams und den Mutessarif-Pasa von Tirnovo für ihre Wünsche freundlich zu stimmen und Travna unterlag. Sein bereits begonnener Strasscnbau wurde unterbrochen — ohne dass aber desshalb jener» von Gabrovo ausgeführt worden wäre! Als ich zum mindesten am lö. Juni 1871 der zukunftsreichen gewerb-thätigen Stadt Adieu sagte und den Weg zum Sipka-Balkan nahm, bemerkte ich wohl einige Richtzeichen, sonst aber nichts, was auf des Strassenhau.es baldige Aufnahme gedeutet hätte. Auch mein Gefährte für diese Balkantour, Herr Ingenieur Snegorski zweifelte, dass die von Gabrovo theuer erkaufte Begünstigung sobald verwirklicht werden dürfte, und doch wäre es höchst wünschenswerth gewesen, nicht nur im Interesse der Stadt, sondern auch des Handels- und Militärverkehrs von der Donau nach den transbalkanischen Gebieten, welche sich schon im Mittelalter und früher zur Römerzeit über Gabrovo bewegten, wie dies Ruinen eines Castells mit grossen, die Strasse sperrenden Mauern beweisen, von welchen Gf. Marsigli noch Reste traf. Heute geht mit Ausnahme der Brücke kaum eine Baute Gabrovo's dem Alter nach über den Beginn des Jahrhunderts zurück. Hussein Kapudan Pasa, welcher im J. 1798 mit einer aus allen Provinzen des Sultans zusammen gerafften Armen gegen den rebellischen Pasvan Oglu von Vidin zog (S. 5), legte auf seinem Marsche viele blühende christliche Städte, darunter auch Gabrovo in Asche, seine wohlhabendsten Bewohner flohen damals nach der Walachei, nach Odessa, Moskau und anderen russischen Städten, wo sie viele heute noch mit Ehren genannte Firmen begründeten. 1810 besetzte ein Detachement von Fürst Vjacemski's Corps die Stadt, 1829 litt sie durch die fortwährenden türkischen Truppendurchzüge, ebenso 1854, wo Tausende rume-lischer Nizams und Basibozuks zur Abwehr der russischen Invasion über den Sipka-Balkan nach der Donau zogen. 1837 und 1855 wurde Gabrovo von den Sultanen Abdul Machmud und Abdul Medjit besucht. Bei Gabrovo's, für den Industriebetrieb abgezweigtem Canalnetze passirte ich die fünfbogige Abdul Medjitbrücke, welche nach der türkischen Votivtafel des Sultans Reise von Adrianopel nach Varna verewigen soll. Diese monumentale Erinnerung erschien sehr zweckmässig, sonst wäre wohl das Andenken an das spurlos vorübergegangene Ereigniss gänzlich verschwunden. Auch hier trifft der Satz zu: wenn zwei das Gleiche thun, ist es nicht dasselbe. Die Reise des Vaters, des energischen Reformsultans Machmud lebte in vielen interessanten Einzelzügen bei Christen und Türken fort, von Abdul Medjit's viel jüngeren hörte ich kaum sprechen. Hart nebeneinander lagen, zum grössern Theile ins Erdreich eingesunken, die Reste beider Strassen, welche man eigens zur Ueber-schreitung des Balkans für die Sultane erbaute. In echt türkischer Weise, nur für wenige Stunden durch ein Massenaufgebot Tausender Bauern aufgeworfen, brachten sie letzteren nicht den geringsten Gewinn. Die für Sultan Machmud gebaute Strasse hatte nicht einmal bis 1855 gedauert, und jene für Abdul Medjit verschwand beinahe ebenso spurlos. Mit welchem Train übrigens Sultane zu reisen pflegen, schildert Moltke. sehr anschaulich. „Du kannst Dir denken" — äussert er im Reisebriefe vom 5. Mai 1837 — „was das für eine Wirthschaft ist; in Varna waren 600 Reit- und 200 Zugpferde versammelt. Die Wege sind eigens für diese Reise gebahnt worden, und das ist wenigstens ein Vortheil, der dem Lande bleiben wird. Das Gefolge des Grossherrn ist natürlich sehr zahlreich, keiner der Pascha's begleitet ihn, als nur die Gouverneure der Plätze, wo wir uns befinden. Aber ausser seinen Secretairs und Pagen hat er einen besonderen Beamten, der seine Pfeife, einen andern, der seinen Schirm trägt; der Wedel aus ktraussfedern, der Feldstuhl, das goldene Wasserbecken, das Schreibzeug, jedes hat seinen besonderen Träger zu Pferde; diese Pferde machen aber wieder einen Sei's oder Reitknecht nöthig. So reisen wir zwar ganz en petit 00111116, aber doch mit 800 Pferden." Trotz Sultan Machmud's Reformen und den verschiedenen Thaten seiner Nachfolger hatte sich mit dem immer lebendiger aufflammenden Nationalgefühl auch zu Gabrovo der Gegensatz zum türkischen Regiment so verschärft, dass die Pläne zu seiner Abstreifung in den letzten Jahren dort immer eifrigere Unterstützung fanden. Wohl genoss Gabrovo gleich den meisten rein christlichen Balkanstädten eine ziemlich weit gehende Autonomie, allein der vom Tirnovoer Mutessarif bestellte Kaimakam Jordanov, ein aus Elena gebürtiger Bulgare jener Sorte von Corbasi, welche gemeinsam mit den Pasa's die Rajah auszusaugen verstanden, wusste sie nach allen Richtungen illusorisch zu machen und leistete damit den aufständischen Bestrebungen grossen Vorschub. Die Öeta von Gabrovo, welche im April 1870 den Sipka-Balkan für die rings um Tirnovo geplante allgemeine Erhebung insurgiren sollte, zählte 000 Mann, darunter viele intelligente junge Leute, ihr Führer war der „Asa" und ehemalige türkische Finanzbeamte Canko Düstabanov. Wie ich schon auf S. 163 erzählte, vereitelten Verrath und mangelnde einheitliche Leitung das Gelingen des Aufstandes. Kaimakam Jordanov, welcher die beiden Unglücklichen in der berüchtigten Ruseuker „Germania-Affaire" an Midhat verrieth, hatte rechtzeitig den Tirnovoer Mutessarif gewarnt, und die Ceta von Gabrovo musste sich vor den rasch aufgebotenen Nizams und Basi-bozuks nach dem Kalofer-Balkan zurückziehen, von wo ihre Mitglieder nach blutigen Kämpfen aus sicheren Verstecken einzeln ihre Heiniatstätten aufsuchten. Nicht lange erfreute sich das gewerbthätige Gabrovo der Ruhe. Das nächste Frühjahr 1877 brachte ihm grosse Lasten, der Durchmarsch der zur Donauarmee bestimmten Truppen schien nicht enden zu wollen. Am 7. Juli erfolgte aber die überraschend schnelle Wegnahme Tirnovo's und schon am 11. Juli erschienen die ersten Kosaken vor Gabrovo, das sie ohne Kampf besetzten und das nun der nördliche Stützpunkt für die russischen Operationen gegen den Öipka-Pass sowie für dessen ruhmreiche Verteidigung bildete. Nach der Katastrophe, welche die türkische Armee bei Kazanlik am 9. Jäner 1878 traf, wurden am 10. bereits 10,000 Gefangene nach Gabrovo transportirt und am 11. langte von Selvi her der von der Bevölkerung enthusiastisch empfangene Grossfürst an. Er verweilte nur und von dort binab zu den bei Kazanlik stehenden tapferen Truppen, um ihnen des Caren Dank für den durch ihre Ausdauer erreichten Triumph auszusprechen. Die Strasse zum Sipka-Passe geht uahe bei der Stadt, über die alte „Ka-miuski köprü". Dort nimmt die von SO. herabkommende Jantra die Kozerica auf, deren helle Quelladern (SW. — NO.) vier nahen seitlichen Parallel-Thälern entfliessen. Dicht an ihrem vom liegen stark geschwellten Rinnsal hinziehend, wechselten wir dessen Ufer auf vier Brücken. Barth hielt irrthümlich das Koze-ricaflüsschen mit der eigentlichen Jantra für identisch. Letztere fliesst jedoch östlicher von den Balkanhöhen herab und zwar vorüber bei dem gleichnamigen Dorfe Jantra, das ich zum ersten Male in Karte brachte. Ich fand die Topographie dieses am häufigsten und von verschiedenen Reisenden überschrittenen Sipka-Balkanpasses noch 1871 überhaupt nur höchst oberflächlich behandelt. Die meisten Thäler an der Strasse, z. B. das Prizovski dol, das Turski dol u. s. w., dann ihre Wasseradern erschienen ebensowenig wie die an ihnen liegenden grossen Ortschaften eingetragen. Barth's Routier zeigt beispielsweise nur ein Yekhelädje, das ihm seine türkische Begleitung aufband, dann ein Lisis-Köi, das als selbständiges Köi (Dorf) nicht existirt. Lizica ist nur ein Kolibi der grossen Ortschaft Panicarka im gleichnamigen Thale, deren 9 Weiler: Lizica (20 Häuser), Nedovci (30), Lutak (10), Spaseto (6), Sisova (15), Panicarka (20), Toples (10), Deledzeci (20), Todorovci (30 H.), sich hoch in die Balkanschluchten hinaufziehen. Wohl das pittoreskeste Bild des nördlichen Aufstiegs zum Sipka-Balkan bietet der Punkt, an dem sich die Panicarka und Kozerica vereinigen. Die steilen Wände von weissem dichtmassigem Kalkstein rücken hier von allen Seiten mit ihren schmalen Spornen zusammen. Eine Kalkbrennerei und die hübsch geschwungene Coban köprü (Hirtenbrücke) heben die Romantik der prächtigen Scenerie, der es zu keiner Zeit an belebender Staffage von Hirten, Caravanen, Viehherden u. s. w. fehlt. Hier stiess ich auf eine Therme, deren lauwarmes Wasser schwefelig, gleich faulen Eiern schmeckt und von den Eingeborenen als sehr heilthätig gegen Fieber, Augenschmerzen u. s. w. gerühmt wird. An der neuen Djado Ilija-Brücke, welche wir bald darauf kreuzten, erzählte mir Herr Snegorski ein hübsches Beispiel, wie Midhat Pasa den Ehrgeiz einzelner reicher Leute zu stacheln und für das allgemeine Wohl auszunützen verstand. Djado Ilija, den ich persönlich zu Gabrovo kennen gelernt, galt als dessen vermögendster Mann, welcher gar sorgfältig Piaster zu Lira's häufte und diese eifersüchtig hütete. Als nun der sonst sparsame Ilija plötzlich der Commune erklärte, er wolle die sehr noth wendige Kozerica-Brücke auf eigene Kosten bauen lassen, war man nicht wenig erstaunt. Tout coinme chez nous — Midhat hatte ihn bei einem Besuche der Stadt mit Complimcnten und der Aussicht auf den Medschidieh-Orden dahin gebracht. Bei der vierten und letzten Brücke gelangten wir an einen schlechten Stras- senhan, wo eben eine Caravanc hielt, die aus dem seitlichen Seiono drvo dol herabgestiegen war. Die Leute steckten alle im braunen lodenartigen Tuchanzug der bulgarischen Balkandzi. Es waren kräftig gedrungene Gestalten, einzelne auch gross. Ihre Saumpferde trugen allerlei im Wege der Hausarbeit erzeugte Kader, Axtstiele, Messerhefte u. s. w. Die Holzindustrie ist hier bis zum westlichen Novoselo am Vidimo stark verbreitet. Von den ungemein aufgeweckten Gebirgssöhnen hörte ich über ihren auf unseren Karten frlihcr fehlenden Heimathsort Seleno drvo, dass er aus dem gleichnamigen Weiler mit 40 und drei anderen: Bajovci (50), Stomanevci (20) und Grk Mahle (8" Häusern) bestehe. Ich erwähne hier und später die Namen jener Balkanweiler, welche mir bekannt geworden, weil ich glaube, dass sie neben vielen von Personen abgeleiteten, auch andere rein erhaltene bulgarische Ortsnamen aufweisen, die als nicht unwichtiges Material der vergleichenden slavischen Sprachforschung dienen können. Die Ortschaft Seleno drvo (Grüner Baum) trägt mit Recht ihren Namen, sie liegt versteckt zwischen dichtem Waldesgrün; Lärchen, Eichen, Buchen u. s. w. hüllen sie auf allen Seiten ein und kaum ist etwas von ihr zu entdecken. Da wo wir aufwärts stiegen, war aber Alles roth, die Strasse zog über den Öeryeni breg (rother Hügel) hinan. Sein rother Thon wechselte mit gelbbraunem Kalk bis wir höher in die Region des Schiefers gelangten. Das eingebrochene Regenwetter erschwerte den Marsch, der Boden war aufgeweicht und die armen Pferde glitten bei jedem Schritte. Hier bedarf die Strassentrace einer bedeutenden Cor-rectur; denn trotz grosser Umwege erreichten wir stellenweise sehr steil ansteigend das erste, und nach Ueberwindung mehrerer Curven das zweite hochliegende Blockhaus Bas Beklemeh, den ausgezeichnetsten Orientirungs - und Peilungspunkt für die mittlere Jantraquellregion. Missmuthig über den strömenden Regen und dichten schwarzen Wolkenschleier, der sich über Berge und Thäler gelegt, traten wir unter das schützende Karauldach. Es gehört wohl mit zur grossen Kunst des Reisens, keine Minute müssig zu verlieren, jede unabwendbare Störung des Programms ruhig als Schicksalsfügung hinzunehmen und sie mit raschem Blicke für Forschungszwecke noch überdies möglichst nützlich auszubeuten. Der von Wind und Regen stossweise in den niederen Raum gedrängte Rauch schien die Anwendung dieses Princips sehr in Frage zu stellen, doch gelang es mir, meine durchaus unbeneidenswerthe Situation zur Orientirung über die nahen Balkanortschaften östlich der Strasse mit Hülfe der viel umher gekletterten Mannschaft zu verwerthen. Am eigentlichen Jantraquellbache liegen, wie ich erfuhr, nur die beiden Dörfer Jantra und Gencovci, deren zahlreichen Weilern alles Thal- und Bergland bis hoch zum Balkankamme gehört. Jantra selbst zählt nach offieiellen Daten 371 Häuser, und nach Angabe der Karaulgensdarmen 10 Mahle, darunter: Jantra (50 H.), Jeni Mahle (60), Gazunice (30), Vaöovci (20), Trepeskovci (15), Sraska (8), dann Sumovce, Negensovce, Jolsovce und Barilovci mit unbekannter Häuserzahl. Gen-eovci zählte nach officieller Quelle: 187 Häuser; nach Aussage derZapties bestand es aus den Weilern: Buökicta (8), Krakovski (25), Ilivci (20), Theodorovci (20), Bog-dancovci (16), Balaniti (20), Kostadinte (25), Josovci (30) und Gencovci 40 H. Es war 5 Uhr geworden, noch wetterte es unausgesetzt fort, der Abend rückte heran und die Aussicht, meine kartographische Aufgabe auf dem Passe lösen und das jenseitige Nachtquartier Sipka erreichen zu können, schwand immer mehr. Mein Bivouak im kleinen Blockhause aufzuschlagen, war aber schon desshalb unmöglich, weil es dort an jeglicher Unterkunft und Nahrung für die Pferde mangelte; meine geographischen Zwecke aber gänzlich im Stiche zu lassen und direet nach Sipka hinabzusteigen, ging auch nicht an. So wählte ich das Auskunftsmittel, nach dem tief unten in einem östlichen Seitenthale liegenden Kloster Sv. Sokol zu wandern und am nächsten Morgen nochmals meine Aufgabe auf der Passhöhe mit besserem Glücke zu versuchen. Ingenieur Snegorski schied hier, eine dringende Arbeit rief ihn nach Gabrovo zurück. Beim Abstiege sanken wir oft weit über die Knöchel in den aufgeweichten röthlichen Waldboden. Der uns geleitende Karaulzaptie suchte eine Quellriese auf und nun marschirten wir, unsere Pferde nachziehend, mit dem Wasser um die Wette über die Schutthalde, obwohl oft Barricaden von gestürzten Bäumen den Weg verlegten. Bei gutem Wetter wäre die Parthie durch den herrlichen Buchenwald gewiss höchst erquickend gewesen, in dieser Weise hätte sie aber selbst dem grössten Naturfex wenig Keiz geboten. Endlich gelangten wir an eine Lichtung, dann kam Ackerland, das zu einem bald darauf erscheinenden Weiler gehörte, und nun war auch das Kloster nahe. Die Zapties schössen ihre Gewehre ab, Hunde hinter den hohen Klostermauern antworteten mit furchtbarem Heulen, beschwichtigende Stimmen wehrten sie bald ab, das riesige Thor knarrte in den Angeln und in durchaus nicht salonfähigem, mit dem ceremoniellen Empfang der Mönche lebhaft eontrastirendem Aussehen hielt ich meinen Einzug in die gastlichen Hallen. Sobald ich mich des wassertriefenden Ueberzuges entledigt und meine Pferde gut versorgt sah, fühlte ich mich wohler, die beginnende Aufhellung des Firmaments stellte meine gute Laune gänzlich her und nach üblicher Fermanvorzeigung, uuerlässlichem Coinpliinentwechsel mit Hegumen und Mönchen suchte ich das für türkische Verhältnisse ziemlich grossartige Kloster näher kennen zu lernen. Sein freundlich mich geleitender Vorstand Josif trug zufällig denselben Namen wie jener Gabrovoer Archimandrit, welcher das Sokolski Manastir 1833 nach langem Verfalle zu Ehren der „Uspenije Bogorodica" aus den Kuinen neu erbaute. Canitz* Donuu-Bulgiulon und dur Bulkuu. 15 Als besonderer Gönner des der Commune Jantra gehörenden Klosters wird Galub Pasa von Tirnovo genannt. Er verlebte hier viele Mussetage in stiller Beschaulichkeit und begünstigte das reizend gelegene Asyl mit seinen Mönchen in jeder Weise; ich weiss nicht, wie weit des Hegumens merkwürdige Mittheilung richtig war, jedenfalls aber erfreute sich das Kloster stets einer trefflichen Verwaltung, sonst wäre seine grosse Wohlhabenheit schwer zu erklären. Jene Wohngebäude, welche an der vom Sraskabache umspülten Umfassungsmauer lehnten, enthielten hübsch getäfelte, in orientalischer Weise reich mit Teppichen, Estraden u. s. w. ausgestattete Fremdengemächer. Bescheidener Comfort und Reinlichkeit herrschten hier und für das sonstige materielle Wohlsein war durch reiche Herden, einen trefflichen Geflügelhof, Fischteich, prächtige Obst- und Gemüsegärten sowie guten Keller gesorgt. Im Osten des von profanen Klosterbauten umschlossenen grossen Vierecks erhob sich im Mittelpunkte eines tiefer liegenden kleineren Quadrats des Klosterkirchleins Centraibau. Mit offener dreibogiger Vorhalle, halbkreisförmigen Chor-und Seitenapsiden, bunten Fresken und von einer Kuppel überragt, machte er einen anmuthigen Eindruck. Decoration, Bautechnik und Inneres zeigten aber nichts, was von der Ausstattung orientalischer Kirchen abwich. In der Vorhalle fielen mir zwei sehr originelle Fresken auf. Eine zeigt den Gekreuzigten, nach dem seine Peiniger Pfeile abschiessen, ein christlicher Reiter sprengt zum Tröste herbei, während die personificirte Gottheit ihm den Lorbeer und ein reiches Messkleid aus den Wolken reicht. Tieferen Eindruck muss wohl das rechtsseitige Bild auf die Gläubigen machen, welches das Kirchlein des Klosters darstellt, dessen heilige Väter auf einer an Wolken gelehnten Leiter von den Händen des himmlischen Allvaters mit einem Kranze belohnt werden, und zwar zum sichtbaren Aerger einiger gehörnten und geschwänzten Teufel, welche sie vergebens mit langen Schürhaken in die qualmende Hölle zu zerren suchen. Nördlich von der Kirche befindet sich ein kleinerer, malerischer Capellenbau, gleichfalls mit offener Vorhalle, den man leicht für das reizende Werk eines italienischen Baumeisters halten könnte. Des Klosters mysteriöseste Anziehungspunkte bilden aber einstige Eremitenwohnungen im schiefrigen Sandstein und dünnplattigen Mergel, sowie eine glitzernde Tropfsteinhöhle, in welcher einst der fromme erste Gründer des Sokolski-Klosters hauste. Natürlich werden Bilder und Höhlen den Gläubigen in richtiger Beleuchtung von den Mönchen gezeigt. Das Kloster steht weit und breit im Gerüche grosser Wunderthätigkeit. Viele von den 3000 Pilgern, welche am Patrons - Sabortage aus Donau - Bulgarien und Thracien dahin-wandern, verbringen eine Nacht in den Höhlen, sichere Gesundung von allerlei Schmerzen getrost erwartend. Die Heilkräftigkeit des Klosters, welche sich auch an mir durch ein treff- liebes mit Forellen gewürztes Abendbrot und gutes Lager bewährte, suchte ich am nächsten Morgen mit einem auf das Ikon der Kirche niedergelegten reichlichen Baksis zu vergelten. Ich schied, nahm des Hegumens Gruss an den Pasa von Tirnovo mit und zog um 6 Uhr früh denselben Weg aufwärts, den wir vor 12 Stunden herabgekommen waren, durch den feuchten Wald, der nun, von der Sonne wann durchleuchtet, mit seinem von tausenden Diamanttropfen geschmückten Astwerk, von schönen Klosterherden, Hirtenpfeifenklang und Vogelsang belebt, einen gar wunderprächtigen Eindruck machte. Nachdem wir beiläufig 300 Meter aufgestiegen, schlugen wir einen südlicheren Fusspfad ein. Im fortwährenden Kampfe mit dem nassen, beim Durchwinden kalte Douchen niedersendenden Gezweige, erreichten wir endlich die um 200 Meter höhere Passstiasse beim „Marko kralskigradwelche Passsperre . . '................ 394 Sevlijevo, Jeni Stanöioglukan............... 213 Sv. Sokol Manastir, bei Gabrovo............. 699 Marko kralski bair.................. 1208 Sipka, Penohan..................... 548 Kazanlik, Mihalhan .................. 339 Maglis, Klosterhof................... 478 Selci, im Dorfe..................... 772 Travna, Pop Nikolo-Haus................ 774(?) Drenovo, Han..................... 746(?) Druck von C. Grumbach in Leipzig-. ? 0 b; Raa» VI" t 1 . Esrtiinhinrt-r Pf £ / *n.ito»;>tr. ■ U^AMit/iiwätty--'' imesdttt *C Vt«(ltfc»TU — ^ ,JktCj tiostisdili .v« issowa. ,V—^1 uro Krwan tchiaä See _„t___n-i liuMii.rleni Ära 4 Goqaschßri T 0 1 \%'ir/,A' änl'iirtliir rsd^lmiittniiir. Hain,... rJürinardh IrlarOnl (ri/il/wrsrti HB ÜBERSICHT VON F.K ANITZ'REIS EN IN BULCrAJIEN 1870-1874. KöWjtp ---- j»«rnn Von A. Pfftermara». Mnnissuii) ij atoonoo. niDarun GOTHA: JUSTUS PERTHES IK76 idia I