106 Inhaltsangabe Das Problematische am Kulturbegriff, mit einem Blickpunkt auf interkulturelle Beziehungen werde ich anhand Waldenfels, phänomenologischen Denkens untersuchen. Angefangen mit Husserls Diskurs der Fremderfahrung und der Beziehung zwischen Heimwelt und Fremdwelt prangert Waldenfels die egozentrische Position Husserls an und schlägt vor, die ursprüngliche Bedeutung des Fremden aufzuklären. Die verflochtene Beziehung zwischen Selbst und Fremden, Heimwelt und Fremdwelt, für die Waldenfels eintritt, werde ich in meinem Vortrag diskutieren. Des Weiteren gehe ich auf die verzerrte Form solch einer verwobenen Beziehung durch Aneignung und Enteignung des Fremden ein als auch auf die Konsequenzen. 1. Einleitung Die Spannungen der Globalisierung und der Ortsbestimmung sind in unserem Zeitalter nicht zu übersehen. Einerseits beobachten wir, dass die Eu-Länder bereitwillig in eine internationale Organisation zusammenwachsen, andererseits jedoch erleben wir die Trennung von ethnischen und kulturellen Grup- pierungen in Ex-Jugoslawien und der früheren Sowjetunion auf ihrem Höhepunkt. Hinsichtlich der Wirtschaft ist die Expansion internationaler Konzerne allgegenwärtig, doch zugleich auch die Proteste gegen die Globalisierung. Kultur betreffend, ist der Triumph des Universahsmus begleitet von Kontex-tualismus und Relativismus. Ein Blick in mein Land zeigt, dass die Kontroverse über Kultur seinen Höhepunkt erreicht hat. So werde ich gefragt: »Sind Sie Chinese? Sind Sie Taiwanese? Wie würden Sie sich einordnen?« Die Bedeutung dieser Frage geht weit über das akademische Interesse hinaus, denn mit diesen Fragen beschäftigen sich Durchschnittsbürger und diese Frage hatte bisher immer große Einwirkungen auf die Politik. Es ist zweifellos von Bedeutung, dieser Frage mit tiefer Besinnung nachzugehen. Wo liegt meine ethnische und kulturelle Identität? Muss ich mich für eine entscheiden, oder gibt es mehrere Möglichkeiten? Wie soll ich den Unterschied zwischen anderen und mir, anderen Gruppen und meiner Gruppe behandeln? Hat die ethnische und kulturelle Authentizität die wesentliche Herrschaft jenseits aller Fragen? Ist der selbstbezogenen Nationalismus die beste Lösung dieses Problems? Diese Fragen sind in der Phänomenologie nicht unbekannt. Schon Husserl hat sich diesen Fragen gestellt in dem er die Begriffe Heimwelt, Fremdwelt und die ^ Qy eine Welt"" einführte. Der folgende Vortrag befasst sich mich mit der kulturellen Problematik, in der der phänomenologische Gedanke des zeitgenössischen Phänomenologen Bernhard Waidenfels das Gerüst bildet. Beruhend auf dem Konzept der Heimwelt und Fremdwelt von Husserl, beschreibt Waidenfels das interkulturelle Phänomen als die verflochtene Beziehung zwischen kulturellen Gruppen. Zunächst werde ich seinen kulturellen Diskurs mit Hilfe der Analyse von Das Fremde untersuchen und mich danach seine Interkulturalität als ver-wobene Beziehung zwischen Heimwelt und Fremdwelt widmen. Die verzerrte Form dieser Beziehung durch Aneignung bzw. Enteignung des Fremden und die Konsequenzen dieser Verzerrung werde ich auch erläutern. 2, Die Analyse des Fremden Wenn wir uns des Problems des Fremden widmen, ist das Selbst unweigerlich beteiligt. Generell kann man sagen, dass das Fremde das ist, was ausgegrenzt ^ Autoren wie Klaus Held, Bernhard Waldenfels zusammen mit Anthony Steinbock haben dieses Konzept von Husserl aus ihrer Perspektive interpretiert. Siehe auch meine wissenschaftliche Arbeit »Lifeworld, Cultural Difference and the Idea of Grounding« (David Carr, Chan-Fai Cheung (ed.), Space, Time and Culture, Kluwer Academic Publishers, Dordrecht 2004.). ist vom Bereich des Selbst. Im weiteren Sinn ist das Selbst durch Zugehörigkeit, Vertrautheit und Verfügbarkeit charakterisiert. Konkret bezeichnet das Selbst dann meinen Körper, mein Bett, Wohnung, Freunde, Kinder, Generationen, Heimat und den Beruf etc. Ist dies wie die Hülle und das Kernstück? Oder eher wie vome und hinten, der Vorder- und Hinterteil? Waldenfels bedient sich an Husserls Diskurs zur Fremderfahrung, um dieses Problem zu diskutieren. Gemäß Waidenfels ist das wichtige an Husserls Diskurs über das Fremde wie sich das Fremde darstellt, und nicht die Frage »was das Fremde ist« oder »wie man Zugang zum Fremden bekommen kann«. Das bedeutet für Husserl gibt es nicht das unabhängige Fremde, das objektiv existiert, gleich von wem es erfahren wird. Er besteht darauf, dass die »Fremdheit durch ihre Art der Zugänglichkeit bestimmt ist (Waldenfels 1989: 48).« Dazu kommt, dass sich das Fremde nur auf eine paradoxe Weise darstellt: »The verifiable accessibility of what is not originally accessible (CM, 144).« 1 08 Waldenfels zeigt auf, dass Husserls Diskurs des Fremden auf den Postulaten der intersubjektiven Wechselwirkung, der Verständigung und des vorgegebenen Bodens der Gemeinsamkeit, doch am wichtigsten auf dem Gegensatzes des Selbst und des Fremden, beruht. (Waldenfels 1997: 24) Der Unterschied zwischen dem Selbst und dem Fremden ist sozusagen offensichtlich. Die paradoxe Gestaltung des Fremden, die »bewährbare Zugänglichkeit des original Unzugänlichen« interpretiert Waldenfels als leibhaftige Abwesenheit, wobei er durch die Idee des Fremden bei Merleau-Ponty inspiriert wurde. Merleau-Ponty versteht das Fremde als das andere selbst, anstatt das es in etwas anderem ist. »Das Fremde ist nicht einfach anderswo, es ist das Anderswo, und zwar eine 'originäre Form des Anderswo'.« (Waldenfels 1997: 26; Merleau-Ponty 1986: 320) Das Fremde kann nicht gänzlich negativ definiert werden, es ist nämlich nicht nur das »was übrig bleibt herauszufinden.« Das Fremde ist eng an die Gegenwart gebunden durch Entzug, ebenso wie Erinnerung, die nicht länger in der Gegenwart existiert. Nichtsdestotrotz behält es seine Auswirkungen auf die Gegenwart. Chung-Chi Yu: Heimwelt, Fremdwelt und die Zwischenwelten Waldenfels sagt: »Fremderfahrung besagt nicht, daß es etwas gibt, das unzugänglich ist, im Gegensatz zu anderem, das zugänghch ist, vielmehr legt Husserls paradoxe Kennzeichnug die Annahme nahe, daß etwas da ist, indem es nicht da ist und sich uns entzieht.« (Waidenfels 1997: 29) Ein hinreichendes Verständnis des Fremden setzt nicht die reine Eigenheitssphäre voraus, da wir das Fremde nicht nur in anderen Personen begegnen, sondern auch in uns selbst. Fremdheit existiert nämlich in uns selbst und in unserer Kultur, was jeweils mit der intersubjektive Fremdheit und interkulturelle Fremdheit zu tun hat. Die Fremdheit liegt nicht in dunkelsten Ecken in uns, stattdessen ist es eindringlich allgegenwärtig. Um dies zu veranschaulichen, benutzt Waidenfels folgende Beispiele: unsere Geburt und unser Namensgebung. Diese Ereignisse liegen in weiter ferne, und doch sind sie in jedem Moment unseres Lebens allgegenwärtig. Was, wenn mir nie Leben geschenkt wurde? Was, wenn ich keinen Namen hätte? Ich komme in die Welt durch meine Geburt und bin mit meinem Namen bekannt. Doch der Beginn meines Lebens und mein Dasein bekannt durch meinen Namen ist nicht Teil meiner Erinnerung »von mir selbst«, »von meinem Bewusstsein im engeren Sinne«. Ich bin ich selbst, aber dieses Selbst ist nicht klar wie ein Kristall. Waldenfels bezieht sich beim Versuch der Erklärung dieser Erfahrung auf Fotos, als ob man ein altes Foto ansehen würde. Er fragt sich: »Kann ich mich als mich selbst erkennen? Ist dies nicht mir ein Fremder, mit dem ich mich kaum identifizieren kann? (Waldenfels 1997:30) Daraus folgt, das s das Fremde nicht irgendwo vorher schon existiert, es entsteht nur »indem es eine Linie zieht.« Daher ist das Fremde immer relativ. Wenn wir eine Linie zeichnen, müssen wir auf der einen oder anderen Seite stehen. Wenn wir den Unterschied der Geschlechter verdeutlichen wollen, müssen wir uns entweder für männlich oder weiblich entscheiden. Wir können also nicht annehmen, dass ein drittes Geschlecht die zweiteilige Geschlechterteilung unterscheidet. Das gleiche gilt für Kultur. Um Kulturen zu vergleichen können wir nie außerhalb einer Kultur stehen. (Waldenfels 1997: 19-21) Wir sind immer daran beteiligt, jedesmal wenn wir die Unterscheidung machen. Das Fremde kommt nicht einfach so; es gibt niemals »das Fremde in sich selbst«, welches darauf wartet mit uns in Kontakt zu treten. Das Fremde ist immer nur das Fremde, wenn wir eine Linie zwischen dem Selbst und dem Fremden ziehen und wir davon ausgehen, dass wir uns für eine Seite entscheiden müssen. 110 Waldenfels behandelt das Fremde auf der einen Seite als Relation, so wie links und rechts. So wie es die linke Seite nicht nur alleine gibt, gibt es auch nicht die rechte Seite alleine. Das Fremde wird immer durch eine Art von Ordnung begründet. So wie links und rechts nur eine Bedeutung haben, wenn man sie mit einem bestimmten Standpunkt vergleicht. Ist eine Ordnung erst einmal etabliert, bestimmt sie, was dazu gehört und was nicht; alles, was nicht dazu gehört, wird als das Äußeres, das Fremde, abgegrenzt. Auf der anderen Seite jedoch misst Waidenfels dem Fremden eine fundamentale Bedeutung zu. Das Fremde selbst ist der Ursprung dieser Ordnung. Das Fremde ist das, worauf wir reagieren, und das Erstellen einer bestimmen Ordnung kann als eine Art von Reaktion angesehen warden. Letzteres entscheidet, was drinnen und draußen ist, das bedeutet, das s es so zum allgemeinen Verständnis vom Fremden beiträgt, welches im Gegensatz zum Selbst steht. Das Fremde, kann also als das Fremde der zweiten Ordnung beschrieben werden, welches sich vom »ursprünglichen Fremden« unterscheidet. Wie wir jetzt gesehen haben, ist das Fremde das zweite Selbst, worauf sich der Begriff »alter ego« bezieht. Aber das »ursprüngliche Fremde« ist nie das zweite Selbst. Es ist das, was uns zu sprechen und handeln drängt. Es ist auch die ursprüngliche Macht, die das Fremde vom Selbst unterscheidet. Kurz gesagt, es kann keiner Ordnung zugeordnet werden. Das, was die Begründung der Ordnung anregt, kann nicht umgekehrt werden. Das Fremde erlaubt nicht, dass es etwas über das Fremde aussagt. Manchmal machen wir Fehler, wenn wir sprechen »Die Rede über das Ganze sei Ausdruck des Ganzen selbst.« (Waldenfels 1993: 62) Bedauerlicherweise wurde die Bedeutung des Fremden nicht völlig anerkannt, es wurde gelegentlich als zweites Selbst bezeichnet, es wird in einer bestimmten Ordnung eingeschrieben und seine Bedeutung wird ausgelassen. Es gerät in Vergessenheit, weil es nicht leicht zu erkennen ist, wir schenken ihm nicht genügend Aufmerksamkeit. Das Fremde zeigt sich nur in der Form eines Anspruchs Rufes, so dass Waidenfels erklärt; »Das Fremde ist kein Was, es ist worauf einer Antwort, und nichts weiter.« (Waldenfels 1997: 180) Das Fremde sucht nach Antwort, auch die Ignoranz ist eine Art von Antwort und das Selbst wird in diesem Kontext bestimmt als »Antwort des Anspruchs.« Auch wenn es leicht entfallen kann, so ist das Fremde überall aufzuspüren, da »(d)as Fremde, das im eigenen Ursprung aufbricht, durchzieht unsere gesamte Erfahrung«. (Waidenfels 1997: 141) Das Fremde kann leicht mit dem Ditten verwechselt werden. Die so genannte dritte Person präsentiert sich normalerweise in der Form eines anonymen Richters. Die »neutrale« dritte Person beansprucht ihre Gültigkeit ihres Urteils bezüglich »Wahrheit«, »Gesetz«, »Bewusstsein« oder »beabsichtigte Bedeutung.« So lange das Fremde, mit dem ich kommuniziere, seine Absichten beansprucht universal gültig zu sein, ist es wahrscheinlich, dass es die Rolle der dritten Person annimmt. Die Konsequenz wäre das »Ich« und »das Fremde« sich ersetzten können, je nach Wechsel der Perspektive. So lange wir dies tun, wird der Dialog schnell in einen Monolog umgewandelt, woraus folgt, dass »Fremdheit« entschwindet und Platz für »Gemeinsamkeit« schafft. Man könnte sagen, dass es immer das Dritte gibt, was in der »Ich-das Fremde« Beziehung mit drin steckt. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Dritte von Anfang an in dieser Relation zu »Ich-das Fremde« steht. Das Dritte hat seinen Ursprung in einem bestimmten Diskurs; es kommt eher aus einer bestimmten Ecke als nirgendwo her. Dementsprechend, hat diese »Universalisierung« auch irgendwo ihren Ursprung. Waldenfels betont, dass der modeme Europäer den Gesichtpunkt der Universalien übernimmt, aber sie wandeln sie blind in einen »universalen Gesichtspunkt«. Der universale Gesichtspunkt führt zu »Univer-salisierungszwang«, welches das Selbst und das Fremde zwangsweise antreibt. Das so genannte universelle Menschenrecht und die Gerechtigkeit sind das Ergebnis einer Art von Ordnung, die Ungerechtigkeit zwangsläufig als Nebenprodukt hat. (Waldenfels 1997: 125) Wie wir gesehen haben, ist das Fremde vom Dritten grundsätzlich verschieden, es zeigt sich nur in der Form des Anspruches. Für Waldenfels ist der Anspruch des Fremden genauso unentbehrlich wie für Aristoteles die Suche nach Glückseligkeit, die Selbsterhaltung bei Spinoza, der Kategorische Imperativ bei Kant und die Absolute Freiheit bei Sartre. (Waldenfels 1997: 121) Wir haben sozusagen vor dem Fremden gar keine andere Möglichkeit als seinem Anspruch zu folgen. Es ist so ursprünglich, das wir keine anderen Möglichkeit haben als auf ihn zu reagieren. Das was uns zum sprechen und handeln anregt, kann im Gegenzug nicht in Sprache und Handlung umgewandelt werden. Es zeigt sich nur mittelbar. Die III 112 Anziehungskraft von fremden Kulturen und dem anderen Geschlecht ist ge~ nauso, wir können auf diese Anziehungskraft nur reagieren, wenn wir involviert sind oder vor ihre fliehen. Keineswegs können wir darüber sprechen, oder dies das Thema unsere Sprache machen. Waldenfels hält es für das Spiel der Wahrheit, welches nicht im Rahmen der Dualität von Wahrheit und Lüge oder Gut und Böse gesehen werden kann. Die Entzerrung des Selbst und des Fremden ist zu vergleichen mit der Entzerrung von Gegenwart und Vergangenheit, Leben und Tod. Das Fremde, nämlich, lässt sich in keinem Rahmen der Ordnung auflösen. 3. Die verwobene Beziehung zwischen Kulturen und die Verzerrung dieser Beziehung Bei der Auseinandersetzung um Heimwelt und Fremdwelt erklärt Husserl, dass die Heimwelt die normale Lebenswelt meiner Mitmenschen ist. Die Heimwelt ist gekennzeichnet durch kognitive Normen und Verhaltensnormen der Menschen, die zu dieser Gruppe gehören. Diese Normen haben sich über Generationen entwickelt, so dass für Husserl die Fremdwelt anders als die Heimwelt ist, weil jene keine gemeinsamen Vorfahren haben. Abgesehen davon, bilden alte Traditionen den spezifischen Charakter einer jeden Kultur, so dass wir daraus schließen können, dass es einen kulturellen Unterschied zwischen Fremdwelt und Heimwelt gibt. Husserl glaubt, dass die Abweichung der Kulturen durch »die eine Welt« überwunden werden kann, welches die gemeinsame Grundlage aller Heimwelten ist. Waidenfels zeigt auf, dass Husserls Diskurs über die Heimwelt und Fremdwelt zweideutig ist. Auf der einen Seite betont er den Unterschied zwischen Heimund Fremdwelt, auf der anderen Seite führt er die Idee »der einen Weit« ein, um die Unterscheidung aufzuheben. Nach Waidenfels ist die Konsequenz dieser Zweideutigkeit die Vergessenheit des Fremden der Fremdwelt. Waidenfels schlägt vor, diese Beziehung als Verschränkung umzudeuten. Er leugnet die Existenz einer unabhängigen Kultur, Er bestreitet weiterhin die egozentrische Art andere Kulturen zu behandeln. Von diesem Standpunkt aus gesehen, ist dies genau die Art und Weise, auf die Husserl die Beziehung zwischen europäischer Kultur und anderen Kulturen abhandelt. (Waidenfels 1997: 150) Im Gegensatz zu Husserl, ist bei Waidenfels das Fremde Hauptgedanke seines Diskurses über Heimwelt und Fremdwelt. Wie schon bereits erwähnt wird das Fremde traditionellerweise als das Nicht-Selbst behandelt, anders als das Selbst oder das, was nicht zum Selbst gehört, bezeichnet es ein undeutliches Gebiet, entgegengesetzt zum deutlichen »Ich«. Dieser undeutliche Bereich, wartet darauf erkannt, bewältigt und sogar erobert zu werden. (Waldenfels 1997: 59-60) Im modernen Europa, angefangen mit Descartes, ist das Subjekt Zentrum des philosophischen Diskurses. Im Hinblick auf das ethnische Problem, ist der Nationalismus ein zentrales Thema. Zudem, liegt der Eurozentrismus in Beziehung zwischen europäischer- und anderen Kulturen auf der Hand. Unter diesen Umständen, ist die Unterscheidung zwischen Selbst und dem Fremdem, Heimwelt und Fremdwelt als gegeben angenommen. Ich bin bloß ich, und das Fremde ist nur das Fremde. Doch die Beziehung zwischen dem Fremden und Ich ist nie symmetrisch. Das asymmetrische entsteht, da Menschen andere Kulturen und das Fremde immer von ihrem Standpunkt aus sehen. Daraus folgt, dass das Fremde dann als Nicht-Selbst wahrgenommen wird. Es wird somit nur im negativen Sinne aufgefasst. So ist also nach Waidenfels das Fremde auf all unseren Erfahrungen ausgedehnt. Die Erfahrung des Fremden, um es mit Husserl auszudrücken, ist nichts weiter als ein Beispiel. Die Beziehung zwischen Heim- und Fremdwelt kann als ein typisches Beispiel gesehen werden. Die Art, in der Waidenfels Husserls Diskurs über die Erfahrung des Fremden kritisiert, wird in seiner kritischen Haltung, gegenüber dem Diskurs der interkulturellen Beziehungen, offensichtlich. Er behauptet, dass es in uns voll von Fremden ist, das Selbst sei nicht durch dringlich klar. Wie wir bereits gesehen haben, ist eine Namensgebung, mit der ich mich identifiziere, ohne meine Teilnahme geschehen. Diese innere Fremde zeigt, dass es eine Kreuzung zwischen Selbst und dem fremden gibt, die die Interaktion zwischen mir und dem Fremden möglich macht. (Waldenfels 1997: 156) Waldenfels interpretiert Interkulturalität auf die Art und Weise auf die er Inter Subjektivität interpretiert. Die Fremdheit in Heimwelt und Fremdwelt ist Mitbegründer der Zwischenwelten, welche zur verwobenen Beziehung zwischen verschiedenen Welten beisteuern. Die Zwischenwelten machen es möglich, die Grundlage für ein gegenseitiges Verständnis der Kulturen. Anhand von Anspruch und Antwort, deutet Waldenfels auf eine Paradox in interkulturellen Beziehungen hin: eine jede Kultur muss dankbar für die Antwort auf das Fremde sein, gleich ob das Fremde von außen oder innen kommt. 113 114 So sagt Waldenfels: »Antworten schließt ein Hören auf die Stimmen des Fremden ein, jedoch keine Hörigkeit, denn Antworten, die wir geben, sind zu erfinden, nicht wiederzufinden.« (Waldenfels 1993: 64) »Doch das, woruaf wir antworten und zu antworten haben, liegt nicht in unserer Hand und entstammt nicht unserer freien Erfindung ... Eine reine Eigenkultur wäre eine Kultur, die keine Antworten mehr gibt, siondem nur noch vorhandene Antworten repetiert oder variiert.« (Waldenfels 1993: 63-64) Generell können wir sagen, dass wir den kulturellen Unterschied zwischen Selbst und Fremden (meiner eigenen Gruppe oder der Fremdgruppe) durch Aneignung oder Enteignung untergraben. Daraus folgt die Opferung anderer Kulturen. Waldenfels ist der Meinung, dass die verwobene Beziehung der Heimwelt und Fremdwelt weder für eine »angemaßte Monokultur« geopfert werden sollte noch sollte es durch die entgegengesetzte Bewegung geopfert werden. Im strengen Sinne, bedeutet die Aneignung, dass man an Grenzen verschiedener Kulturen festhält, während Enteignung die Grenzen aufhebt. Beide versuchen nach Waldenfels diesem »Schwindel erregenden Grenzspiel« zu entfliehen. Solch ein Grenzspiel ist der wahre Ursprung der Intersubjektiviät und Inter-kulturalität. Daraus folgen diskursive Muster und Normen, die Kommunikation und Interaktion zwischen den Kulturen möglich machen. (Waldenfels 1990: 68) In diesem Zusammenhang kann das ursprüngliche Verständnis von Sprache als Beispiel genutzt werden. Waldenfels behauptet, dass das gegenseitige Verständnis zwischen Kulturen durch Sprache von Anfang an aufgrund des pho-nologischen Symbolismus möglich ist, den man von Kultur zu Kultur begegnet. Zum Bespiel deutet die Laute »mal« etwas Großes, »mil« etwas IGeines an. Ohne solch ein Verständnis von Sprache könnten wir gar nicht erklären, wie wir aus völlig verschiedenen Kulturen uns miteinander verständigen können, warum Kinder immer Zugang zur Sprache der Erwachsenen finden und warum normale Bürger mit psychotischen Patienten kommunizieren können. (Waldenfels 1990: 69) Waldenfels betont, dass die Debatten um Relativismus und Uni vers ahsmus etwas gemeinsam haben. Beide vergleichen ihre eigene Kultur mit anderen Kulturen. Waidenfels hebt hervor, dass es keinen bedeutungsvollen Unterschied zwischen Kulturen und Lebensart geben kann so lange wir unseren Stanpunkt für gegeben erachten. Die asymmetrische Haltung ist, wenn wir vergleichen, eigentlich unumgänglich, da wir kaum außerhalb unserer Kultur stehen können. Husserls Diskurs über interkulturelle Beziehungen ist dafür ein typisches Beispiel, In was für einer Beziehung stehen Heimwelt und Fremdwelt bei Husserl? Auf der einen Seite erkennt er die grundlegende Differenz zwischen ihnen an. Es ist daher denkbar, dass wir durch andere Gruppen geschockt oder verwundert sind. Auf der anderen Seite jedoch führt Husserl die fundamentale Grundschicht ein um diesen Unterschied, den Schock und die Erstaunung zu untergraben. Husserls Auffassung »der einzigen Welt« ist das Resultat der Ausbreitung der Heimwelt. Solch eine egozentrische Idee vernachlässigt die ineinander ver-wobenen Phänomene zwischen Kulturen und die Überschneidungen der Zwischenwelten. Husserls Diskurs baut auf der Idee auf, dass das Fremde nur zweitrangig ist, und die Kommunikation zwischen Selbst und Fremden vermutet, dass das Selbst Priorität über das Fremde hat. Weiterhin wird diese Priorität durch Gemeinsamkeiten an uns aufgestellt gestärkt. Die Idee »der einen Welt« als erstes Terrain und letzter Horizont pas st perfekt, um die Rolle der Gemeinsamkeit zu erfüllen. An diesem Punkt nimmt Waldenfels einen entgegengesetzten Stanpunkt von Husserl ein, da er denkt, dass Husserl typischerweise das zeigt, was Waidenfels den Stanpunkt der Aneignung nennt. Aneignung bedeutet für Waidenfels, Vernunft als Instrument zu benutzen, um das Fremde zu erobern und besitzen. Waidenfels denkt, dass dies der Europäer sei, der diese Haltung gegenüber anderen Kulturen angenommen hat. Diese Haltung basiert nicht nur auf Ethnozentrismus, welcher normalerweise unter allen Kulturen festgestellt werden kann, sie basiert auch auf dem Logozentrismus, dessen Schwerpunkt der Vernunft ist. Vernunft innewohnend ist das Potential alles abzugleichen und die gemeinsamen Aspekte zu befürworten. Daraus folgt, dass nichts unbekannt bleibt. Obgleich die Europäer anderen Kulturen begegnen und sich mit jenen auseinandersetzten, lassen sie sie doch 115 selten sich selbst äußern.^ Das ist die typische Position, die die Europäer haben. Solange wir die Haltung von Aneignung verstehen, fällt es uns nicht schwer zu verstehen warum der moderne Europäer so Begeistert ist, ethnisch und kulturell andere Gruppen zu kolonialisieren. Sie sahen sich selbst als Vertreter der universellen Vernunft und es war ihre Aufgabe fremdes Land zu erobern, gleich wie, ob durch militärische Macht oder zivile Maßnahmen. (Waidenfels 1990: 63) Husserls Diskurs über interkulturelle Beziehungen macht deutlich, dass er an westlichen Traditionen festhält. Für ihn ist Europa nicht nur ein geographischer Name, sondern die Verkörperung von Vernunft. Die »ideale Lebensweise und Lebensart« (Hua XI: 320) kommt auf diesem Kontinent zum Tageslicht. Diese Art von Eurozentrismus vereingt den Ethnozentrismus und den Logozentrismus. (Waidenfels 1997: 49) Waidenfels interpretiert diesen Eurozentrismus auch als philosophischen Eurozentrismus, welchem das Wunder anhaftet: »Mit dem Eigenen zu beginnen, durch das Fremde hindurchzugehen, um schließlich beim Ganzen zu enden.« (Waldenfels 1993: 61) Der moderne Europäer benutzt Vernunft als Instrument um das Fremde zu erobern und besitzen. Als emst-i 16 haftes Thema ist die Bedeutung des Fremden dennoch nicht im eurozentrischen Denken aufgenommen worden. Laut Husserl haben die Europäer den Geist des alten Griechenlands geerbt, das die Welt seines machen will, und in umgekehrter Form ihr Zuhause als die Welt ansieht. Jeder nicht Europäer, der wie ein Europäer sein will, kann einfach nur von Europäern lernen. Europäische Kultur hat eine transkulturelle und transethnische Haltung eingenommen und wurde die Wache der »Gemeinwelt«. (Hua VI 320, 336) Alle anderen Kulturen können einen Platz in der Hierarchie oder im System der Ordnung, das von Europäern gemacht worden ist, finden. Mit der europäischen Kultur verglichen, sind diese Kulturen mehr oder weniger irrational, und es sollte niemanden überraschen, wenn wir den ^ Der amerikanische Politikwissenschaftler Fred Dallmayr schilderte eins folgendermaßen wie die Europäer mit den einheimischen Amerikanern umgingen, nach dem Columbus den neuen Kontinent entdeckt hatte: »The Spanish authors speak well of the Indians, but with very few exceptions they do not speak to the Indians.« (Dallmayr 1996: 7) und »According to Todorov, the Spanish-Indian confrontadon was a failed encounter from the start, because it was predicated on two alternative strategies; either complete assimilation or complete rejection and subjugation. These two alternatives, he muses, are not confined to the Spanish conquest but are the prototype of the behavior of zevery colonist in his relation to the colonized' down to our own days.« (Dallmayr 1996: 6) Zusammenbruch einer bestimmten Kultur beobachten, weil sie zu viele irrationale Merkmale hat. (Waidenfels 1993: 61) Ehrlich gesagt, ist die so genannte Gemeinwelt nichts weiter als die Ausweitung der Eigenwelt. Der Rahmen dieser Welt, obwohl vergrößert, bleibt trotz alledem innerhalb seines eigenen Horizontes. Die Misere an dieser Denkweise ist, dass die Europäer ihre Kultur als Kultur der Kulturen betrachten und keinen Platz für Abweichungen lassen. (Waldenfels 1993: 61-62) Im Gegensatz dazu, sind die Zwischenwelten nach Waldenfels völlig anders, da sie die grundlegenden Merkmale der Eigenwelt und Fremdwelt bewahren. Interkulturalität sollte von keiner Kultur abgetan werden, alleine schon nicht durch den Blickwinkel der Heimwelt. Die Idee der Lebenswelt wird in diesem Zusammenhang von Waldenfels neu interpretiert als der verwobene Bereich der Heimwelt und Fremdwelt, anstatt dass die Lebenswelt nur Horizont einer bestimmten Heimwelt ist. (Waldenfels 1993: 61-62) 4. Schlussbemerkung Husserl sagte eines sehr deutlich und zwar: »Es liegt darin etwas Einzigartiges, das als etwas, das abgesehen von allen Erwägungen der Nützlichkeit, ein Motiv für sie wird, sich im ungebrochenen Willen zu geistiger Selbsterhaltung doch immer zu europäisieren, während wir, wenn wir uns recht verstehen, uns zum Beispiel nie indianisieren werden.« (Hua VI, 320) Diese Aussage enthüllt die offensichtlich eurozentrische Haltung Husserls und zeigt nebenbei eindeutig Waldenfels Begriff der Aneignung. Dass das moderne Europa Kolonialismus und Imperialismus im letzten Jahrhundert im Namen der Vernunft durchgeführt hat ist eine historische Tatsache, die niemand leugnen kann. Heutzutage mag Europa bedauern, was seine Vorfahren der Welt angetan haben, besonders das Verschwinden von vielen »primitiven Kulturen«. Die Europäer haben die Welt verändert, und diese Veränderung ist bis dato überreicht worden, mit all den guten wie auch schlechten Aspekten. Die Vergangenheit allerdings ist noch nicht zu Ende, wir beobachten die Reaktionen auf die vergangene Geschichte durch Krieg, Terrorismus und sonstigem. Der Nicht-Europäer und Nicht-Westliche muss sich selbst fragen: was kommt als nächstes? Sollte das Bedauern des Entschwindens ihrer ursprünglichen Kultur weiter ihre Haltung zum Westen und sie selbst beeinflussen? Sollten sie vom Westen die kaiserliche Haltung gegenüber anderen Kulturen und Ländern übernehmen? Meiner Meinung 117 nach liegt die Lösung in der Haltung gegenüber dem Fremden und diese Haltung sollte reflektiert und ernsthaft betrachtet werden. Um noch einmal zur Ausgangsfrage der Globalisierung und Lokalisierung zurückzukommen. Wir müssen uns fragen, ob beide notwendigerweise in einem Konflikt stehen. So lautet also die Frage zu meinem Heimatland: bedeutet chinesisch oder tai-wanesisch immer einen Widerspruch? Basierend auf der Idee der Interkul-turalität vorgeschlagen von Waldenfels können wir vermutlich bessere Alternativen finden, als bisher gehabte. LITERATUR: Dallmayr, Fred (1996) Beyond Orientalism: Essays on Cross-Cultural Encounter. Albany: State University of New York Press. (1998) Alternative Visions: Paths in the Global Village. Lanham/Boulder/New York/Oxford: Rowman & Littlefield Publishers, Inc. Drechsel, Paul/Bettina Schmidt/Bernhard Gölz (2000) Kultur im Zeitalter der Globalisierung: von Identität zu dijferenzen. Frankfurt/M.: IKO-Verlag. Held, Klaus (1991) »Heimwelt, Fremdwelt, die eine Welt«. 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