Wo Berlin. .1 u Ii u f I m m e' s Verl a Eine Reise durch Bosnien, die Saveländer und Ungarn. Berlin. Julius Imme'a V e f 1 a g. I ii Ii a 11. Seit« Durch Sachsen and Oesterreich (Dresden, Prag, Wien, Marburg, Steinbruck)................. 1 Kroatien und die westliche Militairgrenz'e (Agram, Sissek, Petrfnia, Kostajnitza, Jassenowatz.........49 Bosnien (Dubitza, Prfedor, Bänjalüka, Skender-Wäkuf, Träwnik, Sarajewo).................178 Rückreise (Der Oaren, die Owa-Planinä, Olowo, Kladanj, die Konjii-Planina, die Spretscha-Polje, Dolnja-Tusla, Bertschka) 389 Die östliche Militairgrenze, Slavonieu und Ungarn (Rajewo- Ssello, Wukowär, Ofen-Pest)...........423 Verbesserungen. S. 7 Z. 7 V. U. geschildert statt geschilder. „ 13 „ 12 n 0, (setze hinter Stammesbrüder ein Komma). . 38 17 „ u. ich statt ch. B 53 n 8 u. Kroat statt roat. * 58 „ 1 u. Gostionja statt Gonstinja. „ 125 „ 4 „ 0. Kastanienhaum statt Ahorn. „ 130 12 „ 0. sboggom! statt s bogom! . 136 2 0. unsicher statt unsischer. n 139 „ 11 „ u. ßastell statt Kastell. h 147 „ 5 u. Derwisch-Aga statt Derwent-Aga. • 192 1 „ 0, Haselsträuchern, Rüster- und Eichengestrüpp be- deckt. • 240 „ 11 u. mit Eichen, Rüster- und Haselgestrüpp bedeckt. „ 270 17 „ 0. Kugel-Wurfspiel statt Kegel-Wurfspiel. n 270 n 18 0, Kugel statt Kegel. „ 291 » 11 » 0. zustopft (z. B. fällige etc., statt: zustopft) z. B. fällige etc. Nachträgliche Bemerkung: Die Worte „Lupo-glaw" (S. 408) und „Liwtschi" (S. 401) sprechen die Bosniaken fast so aus, als ob der erste Buchstabe wie das polnische durchstrichene 1 lautete; da aber ein solches im Kroato- Serbischen nicht vorhanden ist und Verfasser überdies die erwähnten Worte nicht zur Zufriedenheit der Leute nachsprach, ist es wohl möglich, dass ein G davor ausgesprochen wurde und sie demnach „Glupo-glaw" und „Gliwtschi" zu sprechen wären. Durch Sachsen und Oesterreich. Dresden. 3?rag. Wien, Marburg. Steinbruck. w cnn jemand eine Reise tlmt, dann kann er was erzählen, so lässt schon Matthias Claudius gesegneten Andenkens seinen Meister Brian sprechen und so denken die Meisten, die auf Reisen gehen, um »etwas zu schreiben.« So lange nun diese Herren nur beim Schreiben das erzählen, wras sie wirklich erlebt und mit eigenen Augen gesehen haben, kann man ihr Verfahren nur billigen und die liebe Lesewelt thut grosses Unrecht, wenn sie mit dem solchergestalt Gebotenen nicht vorlieb nehmen will, sondern mehr verlangt und zwar Prickelndes, Spannendes und andere schöne Sachen, welche der schriftstellernde Reisende nicht immer aus eigenem Vorrath zu bieten vermag, wenn er sich strenge an Wahrheit und Discretion halten will und den alten, aber leider berechtigten Ausspruch »mundus vult deeipi« für seine Person anzuwenden verwirft. Was mich betrifft, lieber Leser, so darf ich mir, aus Hochachtung vor Dir und meinen älteren Freunden und aus Achtung vor mir seihst, keinen Zwang anthun und muss Dir meine Reise so schildern, wie ich dieselbe gemacht habe, mit anderen Worten, ich bin gezwungen, darauf zu verzichten, auszuschmücken, pikant zu werden, Mchterlebtes zu erleben, Vertrauen zu brechen etc., blos um meinen Stoff interessanter zu machen; dafür gebe ich Dir aber die Bürgschaft, dass Du das, was ich Dir erzähle, unbedingt glauben und in gediegener Gesellschaft auch nacherzählen darfst, ohne Deinem wissenschaftlichen Urtheils-vermögen eine Blosse zu geben. Meinen guten Willen kannst 1 Du theilweise schon aus der trocknen, poesielosen Abfassung-des Titels dieses Buches errathen, denn derselbe enthält z. B. kein Wort von der Ueherschrift dieses Kapitels, und doch wäre er durch Hineinfügung derselben unbedingt länger, vielleicht auch ansprechender geworden. Der Titel ist aber seit langer Zeit die Hauptsache bei allen literarischen Erzeugnissen, darüber hat sich Jean Paul schon vergeblich geärgert, erinnere Dich nur, wie es seinen beiden genialen Brüdern mit ihrem Meisterwerke »Hoppelpoppel« beim Verleger ging, und wie er selber boshafter Weise seine schönsten Schöpfungen betitelte. Steckte daher in meinem Buche Dichtung (im modernen Sinne), dann hätte ich mir zunächst eine Verlagshandlung gesucht, die keine Rücksicht auf Namen zu nehmen hat, wie Rönne, Karl Friedrich Neumann, Mädler, de la Motte Fouqxie, Heine, Gaudy etc.;*) ich hätte ferner zu einem mehr zeitgemässen, poesievollen Büchertitel gegriffen, der die Menge anlockt, wie z. B. »Vom Kreuzberg nach dem Osren«, oder »Von der Pauke nach der Miljatschka«, vielleicht auch »Unter Kreuz und Halbmond«, oder wohl gar »Vom grossen Stern nach der Sarajevsko-Polje«, und statt obiger Kapitelüberschrift hätte ich die wohlklingendere »Im Fluge durch Feindesland« gesetzt, überhaupt den Abschnitten möglichst wenig entsprechende TJeberschriften gegeben und mich überall eines blumenreichen Stils sowie seichter Metaphern zur voluminösen Umwickelung kleiner Kerne und Vergoldung hohler Nüsse bedient. Die Form ersetzt ja dem grossen Publicum den mangelnden Gehalt, sie lässt sich auch vom Unbedeutendsten beherrschen und macht sich überdies am besten bezahlt, dies möge das kleinere Publicum, nach dessen Gunst und Achtung allein ich trachte, nicht übersehen und deshalb eine schmucklose, nüchterne Darstellung nicht mit dem *) Die von Bibliophilen sehr geschätzte Ausgabe der „Gedichte von H. Heine" erschien 1822 in der Maurer'schcn, später Carl Hey-mann'schen Verlagshandlung, ebenso erschienen dort Gaudy's Erato und Schildsagen. Maassstabe der jetzt üblichen Unterhaltungsleetüre messen, zu der mein Buch weder gehören soll noch darf, weil ich vor den Augen meiner alten Freunde nicht aus meiner Sphäre heraustreten kann, um mich im neuen Gewände des Tanzmeisters, des Commis voyageur oder gar des Clowns zu zeigen, worin ich zudem sehr ungeschickt auftreten würde, da ich dafür nicht geschaffen hin. Wenn ich Dich ausserdem, lieher Leser, auf meinen »Fahrten« mit Citaten aus alten Dichtern und anderen Denkern verschone, so nimm dies ebenfalls als einen Beweis meiner persönlichen Achtung vor Dir auf, denn ich bin der Ansicht, dass Du Dir anderer Männer Aussprüche selber und noch dazu nach eigener Auffassung auswählen und herbeirufen kannst, da ja die Ivenntniss der Literaturen unserer grossen Culturvölker vermöge guter Ueborsetzungen nicht blos die Wohnung der Ento-zoen Shakespeare's, Goethe's, Schillor's, Moliero's, Calderon's etc., sondern Gemeingut aller wirklich Gebildeten ist und sich hinter dem ostensiblen Citircn öfter nur eigne Urtheilslosigkeit und Mangel an Originalität versteckt. Lebte der herrliche Fielding noch, dann würde er seineu unsterblichen, wiewohl fast vergessenen »Tom Jones« gewiss in anderer Weise gegen Nachahmung durch blosse Schreiber geschützt haben; damals lagen die Verhältnisse freilich anders und die Ivenntniss der alten und der neuen Literaturen setzte umfassende Sprachstudien, mühsames Reisen und Forschen voraus, deshalb bestreute Fielding sein Werk überall mit den gewähltesten Citaten, die einerseits als Rattengift wirken, andererseits dem Publicum den Unterschied zeigen sollten, der zwischen der Schreibweise eines hochgebildeten Dichters und der eines dichtenden Schreibers bestände. Heutzutage lässt sich dieses Kunststück auch ohne eigenes Wissen mit Hülfe von Citatensammlungen, Geschichtstabellen, Polyglotten etc. nachahmen. Die wirklichen Genien unserer Zeit geben darum auch keine Citate, sondern nur sich selber, wie dies z. B. der Däne Frederik Paludan Müller in 1* seinem unvergleichlichen »Adam Homo« gethan hat, an dem sich meine Seele in der frischen Jünglingszeit berauschte und emporhob. Fände er doch einen ebenso poetischen Uebersetzer, der ihn bekannt und zum Gemeinschatz machte! Gern hätte ich Dich auch, lieber Leser, ehe ich Dich einlade, mir über Berg und Thal zu folgen, an das erinnert, was der geistreich boshafte Swift über schriftstellerische Bienenarbeit und über literarisches Spinnenwerk gesagt hat, doch fürchte ich, Du erklärst mir rundweg, das naturwissenschaftliche Gebiet eigne sich heute nicht mehr zu Gleichnissen, da solche meist hinkend oder unrichtig ausfielen, wie selbst der grosse Karl Vogt, der Dalai-Lama in den Geheimnissen der Natur, mehrfach in seinen Parallelen zwischen Menschen und Thieren bewiesen habe (wobei ihm, wie es scheint, Born's 1783 erschienene Naturgeschichte des Mönchthums als Vorbild diente), u. A. bei dem Vergleiche der Schaben mit Pfaffen und ähnlichen Schwarzröcken, welchen Vergleich er vielleicht nicht gemacht hätte, wenn zu der Zeit, da er noch seinen »braven Jaup« und die ihm jetzt so wertho Bourgeoisie chikanirte, ein Specialist wie Bischof in Augsburg seine vieljährigen Beobachtungen über die Schaben veröffentlicht gehabt hätte. Trotzdem hat Swifts Gleichniss von den Spinnen und Bienen auf literarischem Gebiete immer noch seine Berechtigung, denn mühsames Suchen nach Quellen der Belehrung und Benutzen des Gefundenen nach bestem Vermögen zur Förderung eines reinen Zweckes, unter Hinblick auf die Zukunft und die Erhaltung des Ganzen, kann immer noch mit dem emsigen Schaffen der Biene verglichen werden, die Honig aus Blumen saugt und Wachs zur Bewahrung desselben erzeugt, während das Schaffen unserer Bühnen-, Feuilleton- und Leihbibliotheken-Spinnen mutatis mutandis auf das Genaueste dem Thun und Treiben der achtbeinigen Arachnoiden gleicht, die sich durch Verschlingen von Insecten-Cadavern den Stoff verschaffen, aus dem sie alle 24 Stunden ein neues Werk, ein Spinnennetz erzeugen, welches wiederum nur den Zweck hat, »Fliegen« und andere Demi monde für sie zum Verspeisen zu fangen, worauf sie auch noch ihr eigenes Netz verschlingen und ein dem Verschlungenen in Stoff und Manier genau Aehn-liches zum seihen Zwecke wieder erzeugen und diesen nur vom Magen dictirton Kreislauf ihrer Thätigkeit so lange fortsetzen, als ihr Organismus und der Geschmack der Demi monde ihnen solches gestattet. Die »Fruchtbarkeit« der literarischen Arach-noiden zwingt leider manchen Autor, sich wegen Schaffung eines neuen Buches im Voraus gewissermassen beim Publicum zu entschuldigen und so auch mich. Als ich mich auf den Weg nach dem Oriente machte, erfüllte ich mir zunächst den lange und sehnlichst gehegten Wunsch, jenes mystische, so viel besprochene Gebiet mit eigenen Augen zu sehen, meine Kenntnisse zu bereichern und an Ort und Stelle die Regungen wieder erstehender Nationalitäten aus langem Todesschlafe zu beobachten. Da ich zu diesem kostspieligen Vorhaben von keiner Seite irgend welche Unterstützung erhielt noch nachsuchte, sondern alles auf eigene Rechnung und Gefahr ausführte, hatte ich die Freiheit, aufzutreten, wie es mir gefiel und habe das Recht, mit dem Erworbenen zu machen, was ich will, d. h. Avas mir meine Grundsätze erlauben. Wäre es mir nur darauf angekommen, die aufgewendeten Kosten »herauszuschlagen«, dann hätte ich zunächst die Blätter mit Aufsätzen über meine Reiseerlebnisse überschwemmt, was leichter ausführbar ist und mehr Honorar einträgt, als das Verfassen eines Buches über denselben Gegenstand, auch den Autor bekannter macht (wenn er hierauf aus geschäftlichen Rücksichten Gewicht legen muss!), aber ohne starke Entwicklung von Phantasie oder Plagiat an sich selber nicht wohl ausführbar ist. Hätte ich andererseits danach getrachtet, vermöge dieser Reise, und allenfalls noch einer folgenden, Ansprüche auf Versorgung an den Staat, z. B. als Consul des norddeutschen Bundes zu stellen, nach Art eines gewissen Berufs-Touristen, dann hätte ich dies gewiss so gut wie irgend einer vermocht, denn als Eingeweihter weiss ich sehr genau, wie dies gemacht wird, will es indessen aus Rücksicht auf die hierbei benutzte Presse nicht ausplaudern. Und doch wollte ich das, was ich auf der Reise erfahren und gelernt, anderen mittheilon, es ihnen überlassend, das herauszusuchen, was violleicht die Bezeichnung einer »Bereicherung der Wissenschaft um einige Körnchen« verdient — denn jeder giebt, was er hat, aber dies muss er auch geben, will er nicht im Gebiete der Wissenschaft so unnütz sein, wie ein Hamster im Kornfeldc. Darum schrieb ich das vorliegende Buch, für welches ich den geneigten Leser um Wohlwollen und Nachsicht bitte. Zur Erklärung sei noch gesagt, dass ich ursprünglich beabsichtigt und mich eifrig darauf vorbereitet hatte, Bulgarien aufzusuchen als Hauptziel meiner Reise, und zwar auf dem kürzesten Wege über Widdin, doch Boss ich mich kurz vor der Abreise durch einen allgemein bekannten Gelehrten und berühmten Kartographen bestimmen, den Weg durch Serbien einzuschlagen und nahm für diese Route wcrthvolles Material aus seiner Hand entgegen. In Wien angelangt, erhielt ich von dem augenblicklich für den besten Kenner Serbiens und Bulgariens gehaltenen Schriftsteller so viele Aufschlüsse, besonders über Bulgarien, dass ich den Rath, Bosnien zu bereisen, wohl als den besten anerkennen musste und die entsprechende Aenderung meines Reiseplancs in's Auge zu fassen genöthigt war, mir jedoch insofern die Hände froi zu halten gedachte, als ich nicht über Dalmatien, sondern durch Kroatien und die dortige Mili-tairgrenze an's Ziel zu gelangen beschloss, von wo aus ich eben so gut auf kürzestem Woge nach Serbien und Bulgarien hätte gelangen können, wrenn ich so wollte, doch erreichte mich in der Militairgrenze eine Nachricht, die mir volle Gewissheit gab, dass die Völker auf der östlichen Hälfte der Balkanhalbinsel den Todesschlaf noch eine Weile fortsetzen würden, denn die einzig solide Basis des Wiedererstehens war ihnen genommen worden — Fürst Michael von Serbien hatte unter Mörderhand sein Leben lassen müssen, das wohlgerüstete und nach Ausdehnung strebende Pürstenthum musste auf längere Zeit gelähmt und der Spielball in den Händen ehrgeiziger Männer werden, an Ausführung des von Michael so sorgsam Vorbereiteten konnte es nicht denken. Nunmehr war anzunehmen, dass die Politik der Cabinette nicht mehr von den Kleinen durchkreuzt werden würde und da hat Bosnien eher Aussicht, als Preis beim Würfelspiele der Grossen ausgesetzt zu werden, als Bulgarien oder Serbien. Deshalb war es für meine Belehrung als Publicist sehr ompfehlenswerth, erstere türkische Provinz aus eigener Anschauung kennen zu lernen, und wenn mir dies auch durch mangelnde Vorbereitung wesentlich erschwert wurde, so hatte ich dafür, was meine Person betrifft, den Vortheil, dass mir alles, was ich dort sah, neu sein musste, während der Leser wieder mehr Bürgschaften hat, dass ich genauer hinsah und eifriger selbst beobachtete, als dies sonst vielleicht der Fall gewesen wäre, da es ja in der menschlichen Natur liegt, sich gern auf Vorgänger zu verlassen, besonders wenn diese durchaus gediegene Leute waren, oder man wird von deren Schilderungen beeinflusst und verliert den originalen Eindruck oder auch, da Irren menschlich ist, man wird durch Irrthümer der Vorgänger verwirrt und übersieht dieselben mit offenen Augen. Und nun, lieber Leser, bitte ich Dich, mir zunächst durch Sachsen und Oesterreich, welche Länder zwar oft geschürter worden sind, aber wohl noch eine Schilderung aushalten werden, zu folgen. Der Eisenbahnverkehr schleift die Eigentümlichkeiten der verschiedenen Länder ab, trotzdem bleibt immer an denselben etwas haften, das dem beobachtenden Fremden sofort auffällig •erscheint. In Sachsen war es zunächst die grössere Freundlich- keit und Gemüthlichkeit der Bahnbeamten, durch welche Hervorhebung ich indessen ihren diesseitigen Leidensgefährten keinen Vorwurf machen will, am wenigsten den vielgeplagten Subalternen, mit denen ich immer gut fertig geworden bin und deren Weise mir ganz gut gefällt. Wenn einige unserer höheren Bahnbeamten sich jedoch das Wesen ihrer sächsischen Collegen beilegten, möchte dies wohl allseits sehr günstig aufgenommen worden. Freundlichkeit liegt im sächsischen Wesen und wird diesseits gern als Falschheit bezeichnet, grade so als oh hinter Hochmuth und biedermännischer Grobheit nur Ehrlichkeit und nicht vielmehr im Allgemeinen viel Lug und Trug steckte, wobei man die unangenehme Form des Sichgeltcndmachens noch ohenein mit in den Kauf nehmen muss. Die Sachsen haben bisher, wo es darauf ankam, sehr unumwunden ihre Ansichten und Meinungen bekundet, oft freimüthiger, als dies bei uns der Fall war, darum nehme man ihre Freundlichkeit immer entgegen, wo sich dieselbe bietet. Weiter ist dem Preussen die durchgehends bessere Erscheinung der Sachsen auffällig, und wenn hierbei auch die meist hübschen Gesichter eine grosso Rolle spielen mögen, so erklären dieselben doch nicht Alles. Ich glaube, die Sachsen halten mehr auf sich, sie legen grösseres Gewicht darauf, immer möglichst vortheilhaft zu erscheinen und dies kann nicht allein von der bei Kleinstädtern und Kleinstaatlern stärker entwickelten Eigenliehe herrühren, sondern muss im ganzen Volks-Naturell liegen. Der arbeitenden Klasse gereicht dies übrigens sehr zur Ehre, denn sie ist im Allgemeinen ungünstiger gestellt, als diejenige Breussens, was leider zur Folge hat, dass die grössere Bereitwilligkeit sächsischer Arbeiter zur Uebernahme von Leistungen für niedrigeren Lohn als dem gemein üblichen, zum grossen Theile mit die Ursache der nationalen Abneigung der unteren Stände unseres Landes gegen die sächsischen ist, denn bekanntlich suchen mehr Sachsen in Preussen, als preussische Staatsangehörige in Sachsen ihr Brod. Dresden macht den Eindruck einer Residenz im ausschliesslichen Sinne des Wortes, doch ist es schwer, diese Stadt mit einer anderen von derselben Bestimmung zu vergleichen. Sie ist ein Unicum, gewissermaassen ein versteinerter Hofrath oder Kammerherr. Wollte man sie Klein-Berlin nennen, dann würde man unserer Stadt ein schweres Unrecht zufügen, denn diese ist eine wirkliche Hauptstadt, der Brennpunkt des Lebens der thatkräftigen nation pritsstennc, und hat sehr wenig von einer Kesidenz an sich, im Gegentheile, in ihr scheint das (absolut gemessen) nicht Geringe, was ihr von einer solchen anhaftet, nur als werthvolle Decoration aufzugehen, die durch Anderes eben so wohl ersetzt werden, als auch ganz fehlen könnte, ohne ihr den Charakter einer Hauptstadt zu rauhen. Wrollte man hingegen Dresden als Gross-Potsdam bezeichnen, dann würde man wieder die sächsische Königsstadt beleidigen, denn Potsdam ist nur in seinen Schlössern und Parks eine Residenz, an sich selbst betrachtet indessen nichts weiter als eine dürftige Lakaienstadt, deren Bedienteuphysiognomie durch den Corporal einen Anstrich von würdiger Steifheit erhält; schade, dass mit ihrem Namen so grossartige historische Erinnerungen verknüpft werden, die Berlin vielleicht besser gestanden hätten, obwohl es mit ihnen wahrscheinlich einen mehr particular-dynastischen, als national-hauptstädtischen Charakter erhalten haben würde, der nur Paris nichts schadet. Dresden ist vornehm von der Thurmspitze bis zum Kellerfenster, von der äussorsten Vorstadt bis zum Mittelpunkte; es ist vornehm in einer angeborenen Weise, die nicht beleidigt, nicht lächerlich erscheint, sondern anzieht und über gewisse Attribute der Vornehmheit hinwegsehen lässt — mit dem hässlichen Zopfstil, übertrieben grossartiger Renaissance und karrikirter Antike versöhnt einen die solide Pracht der bürgerlichen Bauten, denen man ansieht, dass sie nicht prunken, aber doch schön aussehen sollen und dass ihre Eigner nicht beabsichtigen, dem Hofe oder historischen Magnaten einer glücklich überstandenen Zeit Concurrenz zu machen, sondern sich mit der Bolle des wohlsituirten Unter-thanen bescheiden, sehr im Gegensatze zu den Staatsbürgern Preussens, die sich mehr fühlen, selbst wenn die Mittel nur zu Stuck und Zink ausreichen. Dresden wird stets seine Bestimmung als Residenz behalten, gleichviel was die Dynasten über das Schicksal des sächsischen Landes beschlicsson mögen, denn was sollte man sonst aus ihr machen oder wie wollte man sie sonst anders gewinnen, da ihre Zerstörung — zu der Mac-chiavelli ehrwürdigen Andenkens Angesichts der deutschen Einheitsbestrebungen unbedingt rathen würde — doch nicht ganz zeitgomäss sein dürfte und sich auf schnellem Wege wohl nicht leicht bewirken licsse. Die Deutschen können sich über das Dasein von Elb-Florenz aufrichtig freuen, denn grade dieses wird der vollständigen Durchführung ihres Einhoitswerkes vielleicht am allerwenigsten Hindernisse in den Weg legen, auch glaube ich, dass das jetzt noch gut »sächsische« Volk mehr Anlage zum »Stockproussen« hat, als die Altpreussen selber, denn sein ganzer Patriotismus scheint mir blos Hyper-Loyalität gegen das herrschende Pürstenhaus zu sein, die sich sehr leicht auf eine andere Dynastie in Güte und auf ausdrücklichen Wunsch der Zurücktretenden übertragen liesse, und dass es zu einem solchen hauspolitisclien Arrangement im Interesse des gesammten deutschen Volkes noch einmal kommt, glaube ich ganz sicher, da der jetzige Zustand der Dinge — wie schonend er auch von Berlin aus gehandhabt, wie gutwillig er auch in Dresden ertragen werden mag — doch auf die Länge der Zeit für eine so hochstrebende und von den Grossmächton gehätschelte Dynastie, wie die königlich sächsische, unerträglich werden muss und zwar um so unerträglicher, als sich mit Gewalt oder bösem Willen nichts daran ändern lässt. Man verschmerzt nicht so leicht die Erinnerung an eine wenn auch nicht grosse, so doch blendende Vergangenheit und kann nicht auf grossartige Zukunftspläne verzichten, die so lange gehegt und um deren Verwirklichung so viel geopfert worden ist. Das Gerücht von einem Tauschgeschäfte, bei dem es sich um die noch nicht verfügbaren Ohjecte Böhmen oder Polen handelt, kann ich gar nicht für so grundlos und unausführbar halten, als dies von mancher Seite geschieht. Nur auf dem Wege gütlichen Thron - Tausches wird sich das sächsische Hinderniss beseitigen lassen. Wenn ich einen Wunsch hinsichtlich Dresdens aussprechen dürfte, so wäre es der, dass die citrouengelben Uniformen, welche sich dort besonders alffällig umherbewegen und in aufdringlicher Weise das Auge schon in grosser Entfernung fesseln, bald verschwinden möchten, denn sie machen einen gar zu komisch-kläglichen Eindruck und sind überdies im hohen Grade unschön. Freilich gehören sie zu dem, was Disraoli im Jahre 1848 noch als »antiken Grünspan« Deutschands bezeichnete und dringend der Conservirung im Interesse des Auslandes empfahl; doch hat Deutschland ja nunmehr entschieden aufgehört, eine Antike und Curiosität für Fremde zu sein, und derartige Zerrbilder, die Keminiscenzen kleinstaatlicher Souveränität, bei der jeder »Herr« etwas Apartes haben musste und deshalb zu den wunderlichsten Mustern zu greifen gezwungen war, müssen endlich gänzlich verschwinden. Noch muss ich mir die Bemerkung erlauben, dass in Dresden nicht alles, was öffentlich ist, auch gemein ist, wie leider in Berlin mit so ziemlich allen Dingen der Fall; wer diesen wesentlichen Unterschied sehen will, hat gar nicht nöthig, tief gehende Untersuchungen anzustellen, er bemerkt ihn schon, wenn er blos an eine Trinkhalle tritt. Diese Trinkhallen, eine so wohlthätige Institution, die in Berlin ihre Entstehung fand, waren Anfangs bei uns auch anders und nur von den anständigsten Mädchen der ehrenwerthesten Familien bedient; der Berliner kann aber an öffentlichen Orten nichts Anständiges ertragen, am wenigsten ist er im Stande, sich von anständigen Leuten bedienen zu lassen und so genügteu wonige Wochen, um die ursprüngliche Einrichtung der Berliner Trinkhallen zu dem zu machen, was sie jetzt ist. Es ist dies um so mehr zu beklagen, als diese Metamorphose nicht vom besitzlosen, sondern vom besitzenden oder doch viel und leicht verdienenden Pöbel, besonders aus dem Handelsstande, bewirkt worden ist. Das hat der Berliner mit dem niederen Italiener gemein, dass er das Hohe zu sich herabzuziehen versteht, wobei er jedoch nicht wie dieser von Naivetät, sondern von wirklicher Gemeinheit getrieben wird, denn wenn ein italienischer Bauer, wie uns Gaudy erzählt, seinen Esel an den Arm einer antiken Diana bindet oder grobe Bedürfnisse inmitten antiker und moderner Heilig-thümer verrichtet, so fehlt ihm dabei jede Ueberlegung und jedes Bewusstsein, etwas Ungehöriges gethan zu haben; nicht so dem Berliner, der bei ähnlichen Profanationen auf moralischem oder physischem Gebiete mit Bewusstsein und »Intelligenz« zu Werke geht. Zu den vorstehenden Bemerkungen veranlasste mich die immer und immer wiederkehrende Redensart erkünstelt geistreicher Männer vom »galanten Sachsen«, das auch jetzt noch in Dresden und anderen Orten des Landes nicht überwunden worden, sondern noch überall zu spüren sei. Ver-muthlich ziehen aus diesem Grunde so viele Familien reicher Fremder nach Dresden, um dort ihren Kindern die Kunst, das Leben in ungebundener Weise zu gemessen, gleich an der Quelle zu zeigen, möglich auch, dass aus demselben Grunde ungestüme Junggesellen lieber andere Oerter aufsuchen, in denen däl Familienleben mit seinen Klatschereien und seinem Beobachten der kleinsten Vorfälle nicht so überwiegend herrsch und der öffentliche Ton nicht so anständig ist, wie grade in Dresden. Zur Zeit, da Sachsen von der galanten Krankheit befallen war, stand es bei uns und im übrigen Europa nicht um ein Haar besser, nur dass bei uns ein König das versumpfte Volk mit dem Corporalstocke zur Zucht anzuhalten versuchte und es dabei zu der notionprussienne erzog. Die Seuche ist seitdem überall in Deutschland und anderen Ländern verschwunden, aber in Preussen ist der CoVporal geblieben — und ihm gehört die Zukunft, wie ein geistvoller Tondichter in Sachsen schon vor circa 40 Jahren aussprach und wie sich in unseren Tagen gezeigt hat. Oesterreich ist durch die Natur von Norddeutschland in auffälliger Weise geschieden und, wäre es nicht doctrinair, dann könnte man sagen, dass jenes Boich nur von Süddcutschland aus für den Norden und die gesammtc teutonische Welt erobert werden kann, denn die natürliche, die »Völker-Pforte« Oesterreichs, befindet sich für Deutschland im Donau-Thale und öffnet sich nur für die Franken und Baiern, nirgends für die Preussen. Diese Doctrin hätte auch insofern noch etwas für sich, als die Deutschen im Donauthale Oesterreichs auf ihre Stammesbrüder im Norden des Boich es aber, da wo schon die Natur ihrem Eindringen Hindernisse in den Weg gesetzt hat, auf ein fremdes, auf das tschechische Volk stossen und überdies die Norddeutsehen, welchen nun einmal die Initiative zugefallen ist, erst dann an ihre Brüder in Oesterreich denken können, wenn sie ihre völlige Vereinigung mit den Süddeutschen bewerkstelligt haben werden. Die österreichische Zollbehörde sorgt dafür, dass der aus dem Norden kommende Deutsche daran erinnert wird, er trete nicht nur in ein anderes Land, sondern auch in ein anderes Reich, doch geschieht diese Erinnerung in der denkbar mildesten Weise (welch letzteres auch bei der umgekehrten Reiserichtung der Fall ist) und man kann wahrlich in Bodenbach nicht über Zollplackoroion klagen, denn die beiderseitigen Beamten benehmen sich in der schonendsten und höflichsten Weise. Der einstündige Aufenthalt, den das Umsteigen uud die Zollabfertigung erfordern, ist überdies wohl allen Reisenden willkommen, denn man gewinnt dabei hinlängliche Zeit, um mit Behagligkeit Mittag zu speisen, wobei der Preusse gleich die Wahrnehmung machen muss, dass er sich in einem Lande befindet, in welchem man mehr Rücksicht auf die Befriedigung der irdischen Hälfte des Menschen nimmt, als im Lande der Intelligenz, woselbst nur zu oft ein hungriger Magen mit »geistiger« Speise gesättigt oder ein pauvercs Souper mit ästhetischem Thee gewürzt und maskirt wird. Ist schon in Sachsen die Gemüthlichkeit auf den Bahnen auffällig, so wird dieselbe in Oesterreich gradozu unerträglich, weil der »stramm gehaltene Preusse« sie nicht versteht und keinen Vortheil daraus zu ziehen weiss. Wenn es bei Ankunft an einer preussischen Bahnstation heisst »fünf Minuten Aufenthalt« dann weiss man, wie man sich einzurichten hat und was erfolgt wenn man nicht innerhalb dieser gegebenen Zeit wieder in den Waggon steigt. Werden hingegen auf einer österreichischen Station zwei Minuten Aufenthalt angekündigt, dann hält der Zug mindestens zehn und bei einer Ankündigung von fünf Minuten mindestens eine Viertelstunde und so fort, aber bei den kürzeren Pausen wird fast unmittelbar nach dem Anhalten schon wieder das Signal zum Einsteigen gegeben und auch bei längerem Aufenthalt erfolgt dasselbe immer lange vor Ablauf der bewilligten Frist. Dies hat für den mit den Verhältnissen Unbekannten zur Folge, dass er bei vermeintlich kurzen Pausen gar nicht auszusteigen wagt und bei den längeren sich den gebotenen Genuss verkümmert und Hals über Kopf nach dem Waggon eilt. Für die Oosterreicher, Beamte sowohl als Publicum, ist dies Benehmen des Fremden ganz unverständlich und sie finden es komisch, denn sie wissen nicht, dass der ungemüthlich behandelte Preusse daheim oft schon Erfahrungen im Sitzenbleiben gemacht hat und seinerseits wieder sehr ungemüthlich auftritt, wenn er einmal durch Verschulden der Beamten am Fortfahren verhindert wird. In Oesterreich denkt man beiderseits anders — die Beamten kennen die Natur des österreichischen Volkes und tragen ihr Rech- nung; da also jedermann die Bequemlichkeit liebt und sich besonders heim Essen und Trinken gern rocht lange aufhält, wird von vornherein eine kürzere Frist verkündet und an deren baldigen Ablauf durch zu frühes Läuten erinnert, dann, so calculirt man, kommen die Leute wenigstens nicht allzuspät, denn zu spät würde doch jeder kommen- Bei dieser Bummelei — so würde man es hei uns nennen — ist natürlich eine Billet-controlle vor Abgang des Zuges gar nicht möglich, doshalb steigen die Schaffner erst während der Fahrt in die Coupe's, um dies Geschäft zu besorgen. Die Gemuthlichke.it geht noch weiter, indem die Beamten mit der grössten Bereitwilligkeit gestatten, dass man seine Fahrt unterbricht und das gelöste Billet zu einem später abzulassenden Zuge benutzt, ja, die Leutchen sehen sogar darauf, dass das Publicum sich nicht aus Unkenntniss die Fahrt vertheuort, worüber ich, abgesehen von der Fahrfreiheit aller österreichischen Redacteure, folgendes anführen kann: In meinem Coupe fuhr ein Norddeutscher, der als Fähndrich in der österreichischen Armee diente; beider zweiten böhmischen Station angekommen fragte ihn der Schaffner, von wem er denn sein Billet erhalten habe; etwas ungeduldig erwiederte der Gefragte, dass er dasselbe da bekommen hätte, woselbst jeder andere ein solches löse. »Nun, der muss halt im Schlaf g'wesen sein, als er's Eine' gab, denn als Urlauber fahren 'S ja für d'Hälft!« sprach's und ging zur Billetur, um diesen abnormen Fall rückgängig zu machen, was ihm auch gelang, denn bald darauf wurde der Fähndrich zur Billetur gerufen — wohin zu gehen er nicht einmal Lust bezeigte — und erhielt dort die Hälfte des auf einer anderen Station eingezahlten Goldes zurück, »Dafür können 'S in Wien viel Bier trinken, was'S uns hier schenken möchten!« sagte gütlich zuredend der betreffende Beamte. »Bei uns hätte man ihn nicht erinnert und noch weniger ihm Geld hcrausgezahlt!« riefen einstimmig die im Coupe sitzenden Preussen. Dies ist richtig, aber auch ganz in der Ordnung, und ich danke für die Öfter- reichische Beamtengemüthlichkeit, die sich in allen Zweigen der Verwaltung mehr oder minder kund giebt, mir ist ein Zoll genau zugemessenes Recht lieber als eine ganze Pille Nachsicht oder Vergünstigung, denn mit ersterem kann man rechnen, mit letzterem nicht, da sie vom guten Willen und Glücke abhängen, welches anständige Männer selten haben. Was die Büreau-kratie betrifft, so soll sie keine Gefühle haben, eben so wenig wie Genie — wird die Staatsmaschinerie von tüchtigen Mittel-mässigkeiten bedient, die statt des Herzens nur ihr Eeglement haben, dann kann ein genialer Staatskünstler der höheren Kegionen sicherer experimentiren und der Staat geht in den Händen eines ungeschickten oder fahrlässigen Leiters nicht so leicht verloren. Darin liegt das Geheimniss des preussischen Staates und das ist der eigentliche »preussische Pfiff«, von dem man in Sachsen und Oesterreich so viel fabelt, ohne ihn begreifen zu können. Da ich grade bei den Eisenbahnen bin, darf ich doch eines anderweitigen Umstandes nicht verschweigen, der violleicht keinem Südländer, aber gewiss jedem anständigen Nordländer unangenehm in Oesterreich auffällt. Es ist dies die Ungezwungenheit, mit der männliche Reisende auf den dortigen Bahnstationen leichtere Bedürfnisse brevi manu Angesichts der aus Herren und Damen gemischten Insassen der Waggons abmachen, ja sogar unter Umständen von denen, welche so etwas verhindern sollten, dazu aufgefordert werden, wie mir wiederfuhr, als ich den Semmcring passirte und einen kurzen Halt benutzte, um auszusteigen, jedoch vergeblich nach einem geeigneten Orte suchte, worauf mir der Schaffner lachend und anscheinend sehr verwundert über meine Verschämtheit erneu Rath gab, den ich aus Anstandsrücksichteu nicht beachten wollte und dessen Befolgung mir in Preussen unbedingt zu einer Strafe wegen öffentlicher Verletzung des Anstandes verholten haben würde. Das hat man aber davon, wenn mau den Gensd'armen — den jeder Preusse im Busen trägt — auch üher die Grenze mitnimmt; man erschwert sich nicht hlos das Dasein, sondern macht sich unter den Fremden noch obenein lächerlich. Die Fahrt von Bodenbach bis Prag gehört zu den genussreichsten, was landschaftliche Schönheit betrifft, die Strecke von Prag nach Wien hingegen ist einförmig und man thut am besten, sie während der Nacht zu durchreisen und zu verseil lafen. Prag ist eine herrliche Stadt, eine Königin unter Ihresgleichen. Welche Erinnerungen sind mit ihr verknüpft, welche Bauwerke umschliesst sie und wie macht sie so recht den Eindruck alter Herrlichkeit, gepaart mit jugendlicher Kraft und Lebensfrische. Ich muss gestehen, ich habe wenig Städte gescheu, deren Anblick auf mich so überwältigend wirkte, wie der Prags. Hier hat man mit einer geborenen Hauptstadt zu thun, aber mit einer, die eine köstliche Mischung von hoher Aristokratie und stolzem Bürgerthum enthält. Ich muss darauf vorzichten, ihre Schönheiten und Eigeuthümlichkeiten zu schildern, da es mir nicht ansteht, Allegorien und poetische Gleichnisse zu machen, während trockene Beschreibung dessen, was man in's Technische zerlegt in unzähligen Büchern finden kann, für den Loser langweilig sein müsste. Doch aus der Feder meines dichterisch begabten, sinnigen und gelehrten Freundes Heinrich Pröhle möchte ich wohl eine Schilderung dieser Stadt lesen, und sehen, wie sie sich in solcher vorstellte. Einen Rath will ich indessen denjenigen meiner Leser geben, welche Prag noch nicht gesehen haben, aber dasselbe besuchen wollen — richten sie sich so ein, dass sie gegen Abend ihren Einzug halten und dann nach Eintritt der Dunkelheit ihren ersten Ausflug durch die Gassen der Stadt machen; wer an poetischer 2 Ader leidet, wird gut thun, sich auf solchen Weg eine fade Gesellschaft, womöglich witzig sein wollende Berliner, als Begleitung mitzunehmen, denn wenn ihm sonst noch das Glück wohl will und ein klarer Vollmond aus unbewölktem Himmel auf diesen Schauplatz einer heiligen und doch so fieberhaften Vergangenheit herabscheint, dann kann er seiner Gefühle kaum Herr werden, besonders wenn er die bei solcher Beleuchtung bald dämonisch, bald mystisch, bald verklärt erscheinende alte Moldau-Brücke betritt (die Ihresgleichen schwerlich haben dürfte) und ihr phantastisches Bild sowie das ihrer Umgebung völlig auf sich einwirken lässt. Wer da glaubt, poetische Begabung zu besitzen, kann sich auf dieser Stelle erproben, denn wenn er eine halbe Stunde lang den breiten, wie zitterndes Silber blinkenden und rauschenden Strom betrachtet hat, der sich thalauf- und thalabwärts in mystisch verhüllenden Nebel auflöst, während die phantastischen Stcingehildo der Brüstung magisch wechselnde Schatten werfen, gespenstische Bewegung zu gewinnen scheinen, und die alten gothischen Brückenthürme mit ihren burgartigen Nobenbauten düster drohend dreinschauen, aber die Dächer der Stadt zu beiden Seiten so fremdartig und doch traulich herüberblicken und die Inseln unten im geheimnissvollen Lichte schwimmen, — wer dies alles auf sich einwirken lassen kann und dann noch im Stande ist, die Nacht zu schlafen, statt von hervorbrausenden Versen wacli gehalten zu werden, der schlafe sich ruhig aus und hänge die Leyer getrost an den Nagel, ein Poet ist er nicht, kann er nicht sein. Selbst mich, dem die poetische Ader rechtzeitig unterbunden wurde, überfiel auf der Moldau-Brücke eine dichterische Anwandlung, etwas, das mir sonst nur einmal passirt ist, nämlich am Fusse der Stubbenkammer, wobei archäologische Träume, die am sogenannten Herthasee geweckt worden waren, stark mitwirkten. — Weiter will ich den Besuchern Prags rathen, sich nicht mit einem Anblick der Stadt vom Belvedere-aus zu begnügen, sondern mindestens ein halbes Dutzend hoho Punkte des Umkreises zu besteigen, denn diese Metropole bietet mit jedem wechselnden Standpunkte auch ein anderes, eigen-thümlich schönes Bild. Wie mag das Leben in dieser Stadt gewesen sein, da noch die böhmischen Magnaten in derselben wetteiferten, einander in Aufwand und feudaler Pracht zu überbieten. Ein theurer väterlicher Freund, der in der böhmischen Hauptstadt geboren worden , hat mir vieles darüber aus seiner Jugendzeit erzählt. Damals standen die, ganze Stadtviertel bedeckenden Paläste des Adels, nicht leer wie heute, sondern wimmelten von zahllosem Dienertross und Gästeschwarm; in den Strassen gab es wunderliche Aufzüge, denn wenn ein Magnat seine Wohnung verliess, folgte neben und hinter seiner Karosse und zog derselben voraus die ganze Diener- und Clientolschaff, während Läufer dahin-schossen und die Ankunft ihres Herrn laut rufend verkündeten. Die grösste Entfaltung feudaler und klerikaler Würde fand aber bei Gelegenheit der landständischon Versammlungen statt, bei denen jeder Magnat oder Grosswürdenträger alles, was nur in seinen Diensten stand oder sein Brod ass, auf die Beine brachte und zur Schau stellte. Blendend, trotz der primitiven Natur der aufgewendeten Mittel, müssen auch die Feste gewesen sein, welche einander zur Winterszeit der hohe Adel gab; da traten nämlich zu den damit verbundenen Aufzügen noch wundersame Lichteffecte hinzu, denn die Begleiter der Karossen trugen Fackeln und die dem kerzenstrahlendon Festorte zunächst gelegenen Strassen wurden mit Pechpfannen erleuchtet, welche auf den Bürgersteigen aufgestellt wurden, wogegen damals niemand etwas einwenden'konnte, noch wollte. — Diese Zeiten sind vorüber; die mittelalterliche Freigebigkeit des böhmischen Adels, der zu leben wusste und leben Hess, hat aufgehört, aber Prag ist dadurch nicht ärmer oder kleiner geworden, im Gegen-theile, es hat an Leben und Rcichthum zugenommen, nur vornehm ist es geblieben, etwas das es vor Wien, Berlin und Pesth, sowie vor den meisten grossen Städten Deutschlands 2* : voraus hat. Seine Zukunft muss noch eine grossartige werden und die Folgen seiner Auflassung als Festung werden sich bald nicht minder zeigen als die Rückwirkungen des Dualismus. Prag macht den Eindruck einer durchaus deutschen Stadt und ist dies im Grunde genommen auch, denn der Kern des Bürgerthums ist deutsch; dass sich jedoch das Tschechenthum so bemerkbar macht und immer weiter um sich greift, hat folgende Ursachen: Die Deutschen Prags sind ungemein ruhige und bescheidene Leute, die sich weder vordrängen, noch ärgern oder überhaupt aufregen mögen; sie gehen ihrem Broderwerbe nach, lieben gemüthlicho Geselligkeit und fühlen sich unter erklärten Feinden unbehaglich. Von der ihren Nachkommen drohenden Gefahr scheinen sie keinen rechten Begriff zu haben oder sie verlassen sich zu sehr auf die Regierung, die sie für deutsch halten, wras sie selten gewesen ist. Ehe sie sich nun dazu entschlössen, den tschechischen Leitern, Schwärmern und Trabanten entgegenzutreten, sich mit ihnen zu überwerfen, geben sie lieber nach und gehen darin so weit, sich sogar um des lieben Hausfriedens willen an tschechischen Demonstrationen zu bothoiligen, wenn keine Gefahr mit denselben verbunden ist. Hierzu kommt noch, dass die weiblichen und zum grossen Theil auch die männlichen Dienstboten Tschechen sind, die natürlicher Weise auf die Kinder des Hausos einen nicht zu unterschätzenden Ein-fluss üben und mit denen die Herrschaften doch in Frieden zu leben genöthigt sind. Bekämen die Präger Deutsch-Böhmen plötzlich den Charakter der Berliner, meiner lieben Landsleute, dann würde die tschechische Agitation in einem Nu verschwunden sein — sio würde todt geprügelt und todt gelästert (gewitzelt) werden, kein Mensch würde nach Verlauf von vier Wochen noch wagen, laut ein tschechisches Wort zu sprechen oder gar eine tschechische Firma auszuhängen. Unter Umständen können nämlich die Schattenseiten des Berliner Volkscharakters, die Händelsucht, Rücksichtslosigkeit und die leidige Einbildung, witzig sein zu müssen, ganz am Orte sein. Mau darf nicht glauben, dass es in Prag kein deutsches Proletariat gäbe, weil man von diesem öffentlich wenig bemerkt; es ist vorhanden und nicht gering an Zahl, es lässt sich aber nicht den tschechischen Pöbelhaufen entgegenstellen, weil es sich (meist Handwerker) für solche Verwendung zu anständig halt und den friedlichen Charakter der besser gestellten Klassen seiner Nationalität theilt. Auffällig war es mir, dass fast alle ausgehängten Miethszettel in deutscher Sprache abgefasst waren, dies ist gewiss ein Beweis dafür, dass der Häuserbesitz grösstenteils in deutschen Händen ist und dass die Wirthe hei der Wohnungsfrage sich mehr um das deutsche, als das tschechische Element kümmern. Auch die Spielerei mit tschechischen Firmen ist nicht so arg, als ich mir vorstellte; die überwiegende Mehrheit der Schilder ist in deutscher Sprache abgefasst und nur die geringere Zahl derselben, darunter besonders die weniger kostspieligen, hat eine tschechische Uehersetzung, der man in den meisten Fällen ansieht, dass sie erst nachträglich aufgemalt worden ist. Die Namen der Strassen und öffentlichen Gebäude hingegen sind zweisprachig abgefasst, wobei deutsch obenan steht. Ob es der tschechischen Nation gelingen wird, die Pläne ihrer Führer zu verwirklichen und einen ganz unabhängigen oder wenigstens einen besonderen Staat im Reiche zu bilden, ist schwer vorherzusagen; aus eigener Kraft wird ihnen ersteres nie und letzteres nur bedingterweise gelingen, doch ist es immerhin möglieh, dass die hohe Politik, die ausserhalb des Völker-Machtbereiches steht, die kühnsten tschechischen Träume in Erfüllung bringt. Denken wir uns, es würde auf solche Weise ein völlig selbstständiges Königreich Böhmen geschaffen, dann lässt sich indessen mit grosser Sicherheit vorhersagen, dass Selbiges keinen langen Bestand haben würde, dafür bürgte das ungünstige Zahlenverhältniss der beiden böhmischen Nationalitäten, der unvereinbare Gegensatz in ihrem Charakter und die rund umschliessende Nachbarschaft Deutschlands. Den Tschechen fehlen die nöthigsten Eigenschaften, welche zum Staatenhilden und Staatenerhalten unumgänglich erforderlich sind: Mässigung im Glucke, Würde in Wahl der Mittel, sowie Festigkeit und Aufopferungsfähigkeit im Unglücke. Um sich als Individuum geltend zu machon, hat der Tscheche unschätzbare Eigenschaften, er ist nicht hlos rührig, fleissig und erwerbssüchtig, sondern auch seines Vortheils wegen je nach Umständen geschmeidig, kriechend oder brutal übermüthig und nie in der Wahl der Mittel zur Erreichung eines Zweckes verlegen, er geht hierin bis zum Schlimmsten; dabei ist er in hohem Grade eitel, verschlagen und pfiffig. Der Deutsch-Böhme ist das genaue Gegentheil von seinem slavischen Landsmänner er ist zwar auch fleissig und erwerbssüchtig, aber grade und offenherzig, der Verstellung oder Kriecherei unfähig, dabei bescheiden, ruhig, in unwesentlichen Dingen nachgiebig, in wichtigen Sachen fest bis zum Starrsinn; Pfiffigkeit fohlt ihm, dafür besitzt er indess einen hohen Grad von Klugheit, der ihn zur Ausführung von Plänen befähigt, bei denen es auf logisches Denken, Erfindungstalent und Fernblick ankommt; die Früchte jener Pläne schnappt jedoch der zwar kurzsichtige, aber schnellblickende und pfiffige Tscheche gewöhnlich weg denn im Alltagsleben sind seine Eigenschaften besser zu verwerthon, als dio des Deutsch-Böhmen. Daher mag es auch kommen, dass die Tschechen das verhältnissmässig, zum Theil sogar absolut grösste Coutingent an Beamten, Kellnern, Dienern und Kleinkrämern im österreichischen Kaiserstaate stellen. Die Tschechen sind übrigens auch körperlich und nicht hlos geistig von den Deutsch-Böhmen verschieden, die letzteren daher nicht als germanisirte Slaven zu betrachten; gegen letzteres spricht nämlich ihr ganzer Gesichtsschnitt und besonders das so ehrlich und fast immer etwas naiv blickende Auge. Unter den slavischen Böhmen fallen besonders zwei Typen auf: das vierkantige Gesicht mit spitzem Kinn, dunklen, grossen Augen, die entweder einen träumerisch ruhigen oder einen bewusst jovialen Ausdruck zeigen, während die schmalen Lippen des etwas breiten Mundes, wenn sie lächeln, besonders Frauengesichtern einen überraschenden Ausdruck von plötzlich aufflammender Empfindung gehen, aber bei beiden Geschlechtern ist dies Lächeln zweideutig, wenn es nicht gar einen Anstrich von Wildheit hat. Der andere Typus zeigt ein ungewöhnlich schmales, langes Gesicht mit blauen, schlau blinzelnden Augen, schmalem Munde mit wenig geschwungenen Lippenlinien, die in den Mundwinkeln ziemlich so dick sind wie in der Mitte; das Lächeln dieses Mundes ist fastjmmer höhnisch. Die erstere Race ist gewöhnlich untersetzt, aber wohlproportionirt, die letztere häufiger hochgewachsen, doch steht die Breite der Schultern nicht im richtigen Verhältniss zur Breite der Hüften. Hier sei auch darauf hingewiesen, dass sich die slavischen Böhmen zwar selber Tschechen nennen, es jedoch übel nehmen, wenn der Deutsche sie so nennt; sie meinen, darin läge eine Nichtachtung, sowie in den Worten Pollak, Moskowit etc., deshalb verlangen sie von uns, dass wir sie »slavische Böhmen« nennen und diesen Gefallen kann man ihnen ja im Umgange erweisen. Denkt man sich, dass die Cabinete einen selbstständigen böhmischen Staat aufrichteten, dann würde es in demselben folgendermaassen hergehen. Die zweidrittel Majorität der Tscbechen würde die eindrittel Minorität der Deutschen in rücksichtslosester Weise unterdrücken, um sie zu slavisiren, sie würde ferner, wie es seiner Zeit die Dänen ausgesprochen und versucht haben, die Berührungen mit Deutschland zu unterbinden versuchen und darin bis zur Erschwerung des Verkehrs gehen; um die Herrschaft im Cabinete würde der alte, feudale und reichbegüterte Adel mit den besitzlosen, demokratischen Volksführern ringen und wahrscheinlich durch Adoptirung und Ueber-bietung des unduldsamsten Tschechenthums auf Kosten der Demokratie und der religiösen Aufklärung die Ueberhand gewinnen, da wohl nur aus seinen Angehörigen das königliche Hofgesinde, vulgo Camarilla, bestehen würde und gegen eine reiche Camarilla, besonders wenn sie die Fahne nationalen Wahnsinns aufpflanzt, die Demokratie selten zu siegen pflegt. Die Deutschen, welche wegen ihres ruhigen, kritisirenden Verstandes das einzige Aufklärungselement Böhmens bilden, würden in ihrer Bedrängniss, sobald sie einmal von Oesterreich getrennt wären, dem sie überloyal anhängen, zum energischsten passiven Widerstande greifen und, nützte ihnen dieser nichts, dann würden sie einen direct an Deutschland gerichteten Hülfeschrei erheben, um dessen Widerhall es keine Noth hätte: Zur Lösung der gemeingefährlichen schleswig-holsteinischen Frage bedurften wir eines Staatsmannes, wie wir solchen noch nie gehabt haben und auch wohl schwerlich jemals wieder erhalten werden, zur Lösung einer böhmischen Frage hingegen würde das einige mächtige Deutschland nur eines Staatsmannes vom gewöhnlichen Schlage bedürfen. Einmal unter den Fittichen Deutschlands, würde die Auflösung der tschechischen Nationalität binnen einem Durchschnitts-Menschenalter vollständig erfolgt sein vielleicht gegen den Willen der tonangebenden oder allein herrschenden preussischen Regierung, der man eine besondere Vorliebe für fremde, hauptsächlich slavische Nationalitäten, nicht absprechen kann, aber sie würde doch gezwungen sein, die Beamtenstellen statt mit Autochthonen, mit Deutschen aus anderen Provinzen zu besetzen und alle Garnisonen mit deutschen Truppen zu belegen, die böhmischen Regimenter jedoch anderweitig unterzubringen. Das deutsche Bürgerthum indessen würde dem Tschechenthum den Garaus machen, denn deutsches Capital und Proletariat, männliches sowohl als weibliches, würde die vorhandenen wichtigen Plätze aufsuchen und überschwemmen, im offenen Lande neue industrielle Siedelungen gründen, Querbahnen von Franken und Baiern nach Schlesien anlegen, die das Land durchschnitten und den deutschen Ver-kehrsstrom in alle Winkel ergössen; nach und nach würden auch wohl deutsche Landwirthe in verschiedenen Gegenden Fuss fassen, von den Garnison Struppen würden alljährlich eine ansehnliche Zahl Entlassener im Lande bleiben, abgesehen von den sonstigen Folgen, welche der beständige Aufenthalt einer fremdartigen Truppe immer hervorzurufen pflegt. Etwas Derartiges scheint den Tschechen auch zu ahnen, deshalb hegen sie für Preussen, trotz handgreiflicher Winke, das Gegenthcil von Sympathie, und die Aussicht, beim nächsten Zusammcn-stosse, wenn dieser unglücklich für Oesterreich ausfiele, einen blossen Kampfpreis zu bilden, verursacht ihnen einige Beklemmung; man hatte Anfangs in der Uebereilung diesen Punkt, nämlich das deutsche Bürgerthum, gänzlich übersehen und glaubte, nur mit der Regierung rechnen zu brauchen. Wenn die Tschechen es mit ihrer Agitation nicht gar zu würdelos und plump trieben, hätten sie von Oesterreich längst mehr erhalten, als sie erwarten durften, denn der Vortheil, der selbststäudige Bestand dieses Staates erheischt es, dass Böhmen mehr slavisch als deutsch ist, womöglich ersteres ausschliesslich, weil es ja überhaupt im Interesse Oesterreichs liegt, genau nur so viel Deutschthum zu conserviren, als es nöthig hat, um damit gelegentlich einen Sehmerzenssohrei der »deutschen Brüder« wegen des »Ausgeschlossenseins« in Scene setzen zu lassen. Germa-nisiren könnte Oesterreich auch gar nicht mehr, seihst wenn es dies gern wollte, denn nunmehr fehlt es ihm an Kräften, da die anderen Nationen sich der ihrigen bewusst geworden sind.. Doch genug von den Tschechen und nach Wien, der Kaiserstadt. Der Anblick der österreichischen Hauptstadt machte auf mich einen niederschlagenden Eindruck. Ich gehöre zu denjenigen, welche ihr preussisches Vaterland trotz seiner Schattenseiten aufrichtig lieben, weil sie nicht anders können, und die Einheit des grossen deutschen Volkes durch die Führerschaft Preussens herbeigeführt sehen möchten, d. h. mit anderen Worten, Berlin die Bolle der Hauptstadt und des Machtsitzes des früher oder später völlig geoinigten deutschen Reiches übertragen zu sehen wünschten. Abgesehen von sonstigen inneren und äusseren Hindernissen, welche der Verwirklichung dieses Planes entgogenstreben, sind es besonders die lokalen Interessen und die particulareu Anziehungskräfte der kleineren deutschen Residenzen oder Hauptstädte, welche sich als schlimmste Steine des Anstosses geltend machen, da sie nicht mit Gewalt beseitigt und durch Güte schwer gewonnen werden können — weil sie sich überhaupt nicht gewinnen lassen wollen. Ist die Beantwortung der Präge, was soll nach Ueberschreitung der Mainlinie aus München, Stuttgart und Karlsruhe werden, schon eine sehr schwere, so scheint mir die Frage noch gar nicht gestellt zu sein, was soll aus Wien werden, wenn der so oft angestimmte Ruf nach Wiedervereinigung mit den »Brüdern in Oesterreich« eines schönen Tages in Erfüllung ginge. Vielleicht hat mancher wie ich im Stillen calculirt, Berlin wird bald eine Million Einwohner zählen, Wien ist jetzt schon minder reich an Insassen, als unsere Hauptstadt und es kann nicht zunehmen, ja es wird bald zurückgehen, weil der Schwerpunkt des Reiches ohne unser Zuthun nach Pesth und Ofen verlegt werden wird und überdies Prag und andere Städte danach streben, selber Centraisonnen zu werden, statt nach Wien zu blicken wie bisher. Die Rechnung wäre ganz gut, wenn Wien blos eine Haupt- und Residenzstadt und nicht gleichzeitig auch eine Weltstadt wäre, wohin os Berlin erst bringen soll, abgesehen von anderen, noch näher zu erörternden Ursachen. Der Gedanke, dass die Wiener nach Berlin als ihrer Hauptstadt blicken sollten, ist unter jetzigen Umständen geradezu eine Lächerlichkeit und er wird noch lange, wenn nicht beständig, in das Reich der Ungereimtheiten gehören. Seihst angenommen, das Haus Habsburg würde gezwungen (freiwillig wird es sich nicht dazu entschliessen), den Schwerpunkt des Reiches nach Ungarn zu verlegen, so könnte dies nur die Folge haben, dass Pesth und Ofen in verhältnissmässig kurzer Zeit so viele Einwohner erhielte, wie Berlin augenblicklich hat, doch würde ein solcher Zuzug aus Elementen bestehen, die Wien überhaupt nicht anzuziehen vermochte, die nur dem nationalen Magnete folgten und also für letztere Stadt keinen thatsächlichen Abbruch darstellten. Besth wird durch seinen Getreidehandel aber so wie so in nicht zu ferner Zeit um das Doppelte seiner Grösse augewachsen sein; doch der Handel Wiens ist ein derartig solider, dass er, in Verbindung mit der Wiener Fabrication, durch den Pesther Handel keinen Abbruch erleiden wird. Der starke Zuzug aus Böhmen nach Wien würde durch eine Los-reissung dieses Landes auch nicht vermindert, sondern eher noch verstärkt werden, denn kämen die Böhmen erst mit unseren Geschäfts- und Arbeitsleuten in unmittelbaren Contact, dann würden sie sehr bald inne werden, dass für sie in Wien und überhaupt unter den Oesterreichern der Kampf um das Dasein leichter zu führen sei, als gegenüber Norddeutschen im eigenen Lande. Den guten Wienern ist bisher alles Glück nur so in den Schooss gefallen, doch glaube man deshalb ja nicht, dass sie nicht im Stande wären, um die Fortdauer der guten Zeit ernsthaft zu kämpfen, wenn Noth an den Mann kommen sollte. Der lokale Handel und Wandel Wiens ist solider als der Berlins, diese Wahrnehmung muss jeder machen, der mit freiem Blick zu sehen versteht und nicht schöne Rechnungen auf falschen Ansätzen ausführt. In Wien lassen sich die Geschäfte noch vom Publicum suchen und etabliren sich in Winkel-und Sackgassen oder in den äussersten Vorstädten — »wer uns braucht, wird uns schon linden,« denken die Leutchen. Und nun erst gar die Wiener und die Berliner Bauart! Bei uns mit verschwindend geringen Ausnahmen alles Schwindelbau hinter äusserem Butz, in den Vorstädten Bauten, die aussen mit Zierrathen fast überladen sind, innen aber sehr häufig keine Treppengeländer haben, weil diese von den Insassen, die kaum Tisch und Stuhl, geschweige Bett und Schrank besitzen, zum Kaffeekochen verbrannt sind; in den feinsten Gebäuden der reicheren Stadtviertel kaum eine Wohnung zu finden, die gerade Dielen öder gar einen getäfelten Fussboden hätte. Dahingegen betrachte man Wien! Dort ist alles solide und gleichzeitig schön, ohne aufdringlichen Putz, möge man nun die innere Stadt oder den äussersten Umkreis der sogenannten Vorstädte durchwandern. In den vierten Stockwerken habe ich denselben baulichen Luxus und Comfort gefunden, wie in den ersten und nirgends traf ich Spelunken wie in Berlin, solche dürften dort auch nicht zu linden sein. Wien ist in jedem Winkel so beschaffen, dass es ohne weitere Vorbereitung zu jeder Zeit eine internationale Weltausstellung in sich aufnehmen könnte, Berlin hingegen würde den Nimbus, mit dem die preussische Geschichte und die Tüchtigkeit des Landes es umgiebt, unwiederbringlich zerstören, wenn es sich jetzt zur Ausführung eines derartigen Unternehmens entschlösse, bevor Magistrat und Fiscus ein paar Millionen Thaler in aller Eile zum Wegwischen der ärgsten Blösien und Uebcrkleiden des Unfertigen opferten. Wien ist etwas Vollendetes, ein gesund entwickelter Organismus, der in völlig normaler Weise zunimmt und Allem, was er in sich aufnimmt, den Stempel seiner schönen Eigentümlichkeit aufdrückt. Berlin ist in jedem Theile unfertig, ein Parvenü, der gern etwas sein möchte, aber nicht die rechte Zeit abwarten und sich nicht nach der Decke strecken kann, etwa wie ein Stutzer mit schmutzigem Hemd, zerrissenen Stiefeln und geflicktem Beinkleide. Unsere öffentlichen Gebäude, welche diejenigen Wiens an Zahl und Pracht weitaus übertreffen, dienen nur dazu, den Gegensatz von Schön und Unschön, von Boich und Arm recht auffällig und unharmonisch zu machen. Indem sich Wiens Staatsbauten minder auffällig zeigen, sich so zu sagen unter den bürgerlichen Häusern verstecken oder doch unter ihrer Menge und imponirenden Erscheinung verschwinden, gewinnt diese Stadt einen noch entschiedener bürgerlich -selbstständigen Charakter als Berlin. Dass Berlin nicht die Annehmlichkeiten des Lebens (im anständigen Sinne) zu bieten vermag, welche Wien in Hülle und Fülle aufweist, ist zum Theil nicht unsere Schuld, denn Kunst kann nicht überall ersetzen, was die Natur versagt hat oder woran sie Jahrhunderte schaffen musste, wie z. B. an unserem unvergleichlich schönen Thiergarten. Die Donaustadt hat eine schönere Umgehung vor unserer Stadt voraus und dieser Umstand hat für uns wenigstens nichts Kränkendes. An einen Stillstand oder gar Rückgang Wiens ist nicht zu denken, auch dann nicht, wenn der Auseinanderfali des gewaltigen Reiches wirklich erfolgen sollte. Die Grundlage der Stadt ist zu gediegen und günstig, etwas, das bei Berlin nicht in dem Maasse der Fall ist. Auch das Leben und Treiben Wiens hat vor dem Berliner unendlich viel voraus. Man vermisst in Wien die hungrige Hast und kann dort, wo immer man Fröhliche findet, mit ihnen fröhlich sein, hat nicht nöthig, wie hier, ihnen weit aus dem Wege zu gehen. Die österreichische Hauptstadt hat keinen Pöbel, wenigstens können wir das, was man in Wien Pöbel nennt, nicht als solchen erkennen, da unser Maassstab hierfür ein zu grossartiger ist. Ich sah dort mehrere Vorfälle, die in Berlin in einem Nu einen gewaltigen Auflauf und Excesse veranlasst hätten, ganz ruhig und anständig verlaufen, ohne dass die Polizei sich nur sehen zu lassen brauchte, geschweige denn einzuschreiten gonöthigt gewesen wäre. Der Pöbel ist ein zu wichtiger Factor in der Entwickelung der modernen Staaten, er hat zu oft die grössten Momente ihrer Geschichte dictirt und wurde bisher von allen Parteiführern benutzt, um Bewegungen für die Republik, den starren Royalismus oder das finstere Pfaffonthum in's Rollen zu bringen, deshalb scheint es mir, als ob seine Entstellungsursachen lange nicht genug studirt und gewürdigt werden. Unwissenheit und Mangel an Aufklärung können diese schlimme Menschenklasse nicht allein erzeugen, denn sonst müsste dieselbe in Berlin gar nicht vorhanden sein, und doch ist sie dort gerade am bösartigsten nnd widerlichsten, wie wohl nur in New-York und ähnlichen amerikanischen Küstenstädten, während es in der gänzlich bildungslosen Türkei nirgends einen eingeborenen, sondern nur in einzelnen Städten einen aus civili-sirten Ländern eingewanderten Pöbel giebt. Der Volkscharakter und die socialen Zustände scheinen die Hauptursachen bei Erzeugung und Weiterentwickelung der in Kede stehenden Menschenklasse zu sein. Nun ist Gutmüthigkeit ein Hauptzug im Charakter aller österreichischen Völkerschaften, besonders der deutschredenden, daraus folgt wieder, dass sich die besseren Klassen dieses Reiches, welche den unseren an Bildung durchaus nicht nachstehen, ganz anders zu den niederen Ständen verhalten — sie sondern sich weder hochmüthig verletzend von denselben ab, noch drängen sie sich ihnen in beleidigend herablassender oder schulmeisterischer Weise auf, wie bei uns nur zu oft der Fall ist; dafür verhält sich der Arme oder Mindergebildete Oesterreichs respectvoller gegen jenen und erkennt freiwillig die zwischen ihnen bestehende Schranke an, die bei uns stets in frecher und auffällig gesuchter Weise durchbrochen wird, sobald eine freiwillige oder gezwungene Berührung stattfindet. Ausserdem kommt aber noch ein sehr wichtiges Moment hinzu: In den österreichischen Staaten, mit Ausnahme vielleicht einiger böhmischen Districte, hat jedermann, wenn er zur Arbeit greift, auch einen Lohn, der ihm erlaubt, sich zu sättigen und das Leben materiell zu gemessen; der gemeine Mann ist nicht genöthigt, auf die sinnlichen Genüsse des Lehens (und diese sind doch, was man auch behaupten möge, die Haupttriebfedern in unserem Dasein!) gänzlich zu verzichten, im Gegentheile, sie gehören zu den alltäglichen Bedingnissen des Daseins, ohne welche solches dort gar nicht denkbar ist. Hieraus ergiobt sich von selbst, dass der Aermere nicht jenen Wurm des Neides und des Unbehagens beständig in sich fühlt, der so leicht zur Bosheit, Schadenfreude und Frechheit führt, auch leider nur zu häufig in den besseren Stand mit hinübergenommen wird, wenn, wie bei uns, eine gewisse Giftigkeit und »Neigung zur Kritik« statt Gutmüthigkeit und Sorglosigkeit oder Denkträgheit im Volkscharakter liegt. Diese Harmonie und gegenseitige Kespectirung der Stände macht es, dass sich der gebildete Fremde in Oesterreich so behaglich fühlt, denn die vielen meist mit Unkosten oder Unbequemlichkeiten verknüpften Schranken, welche er hier stets ängstlich beachten muss, fallen dort für ihn im öffentlichen Leben weg. In Wien und in allen österreichischen Ortschaften, mit theil-weiser Ausnahme Pesths, wird z. B. in allen öffentlichen Loca-len, die nicht ersten Banges sind, doch Bücksicht auf den möglicherweise eintretenden Besuch der besseren Klasse genommen, indem sogenannte Extra-Zimmer eingerichtet sind, in welche nur derjenige tritt, der, ohne Ueberhebung, sich zu den Honoratioren rechnen darf; Wirthe und Kellner haben in letzterem Punkte ein so feines Unterscheidungsvermögen, dass sie von vornherein den feineren Mann in das Extra-Zimmer nöthigen, falls er aus localer Unkenntniss Miene macht, sich bei den gewöhnlichen Gästen niederzulassen. Diese Einrichtung kommt häufig mittellosen Subaltern-Offizieren zu statten, die bei der Bücksicht, welche sie ihrem Bocke schuldig sind, nicht immer die theuersten Locale aufsuchen können — wie sie solches bei uns müssen, um nicht in gemischte Gesellschaft zu gerathen. Dieser gegenseitige Respect, einer der schönsten Ausflüsse des liebenswürdigen österreichischen Volkscharakters, erlaubt es auch, dass man in dem weiten, grossen Wien in jeder beliebigen Strasse wohnen kann, ohne sich nach irgend einer Seite hin etwas zu vergeben; freilich, die Armuth ist dort noch nicht wie in Berlin und den meisten nordischen Städten, in besondere, vernachlässigte Viertel gedrängt, sondern wohnt über die ganze Stadt vertheilt bei den anderen Ständen. Eine fernere Eigenthümlichkeit Wiens ist der durchaus deutsche Charakter der Stadt, den man in der Metropole eines so vielsprachigen Reiches gewiss nicht zu finden glauben möchte, zumal die Sage geht, der dritte Theil der Einwohner bestände aus eingewanderte]! Böhmen oder deren Nachkommen. Und doch erscheint Wien in seinem Wesen viel deutscher als Berlin — nicht blos ist die Sprache viel reiner von welschen und anderen Fremdwörtern, auch in den Aufschriften macht sich der Romanismus viel weniger bemerkbar als hei uns. Von der slavischen und magyarischen Zusammensetzung des Reiche-, ist an Wien keine Spur zu bemerken, das einzig Fremdartige ist ein Theil der Garnison. Dieser scheinbar unbedeutende Umstand spricht gewiss für die gewaltige individuelle Lebenskraft und das Umwandlungsvermögen der Stadt, die Alles, was in den Bereich ihres Magnets geräth, ihrer Eigenart anzupassen versteht. Es ist dies ein wesentlicher Theil des weltstädtischen Charakters, der, wo einmal vorhanden, schwer zu vertilgen und wohl niemals durch einen Provinzial-Charakter zu ersetzen ist, wie am schlagendsten das Beispiel Moskaus und Roms beweist, welche die vom Willen der Fürsten zu Bcsidenzen und Hauptstädten gemachten Plätze ihrer beziehendlichen Reiche dennoch überstrahlen und trotz alledem die Brennpunkte des nationalen Lobens ihrer Völker geblieben sind und bleiben werden. Der geneigte Leser wird, als ich von Wien anfing, gewiss die Frage auf der Zunge gehabt haben, ob ich denn nichts von dem leichtsinnigen, flotten Leben der Wiener und von der sprüchwörtlich gewordenen Ungebundenheit der Wienerinnen bemerkt habe. Auf erstere Frage muss ich erwiedern, dass die Wiener und die Oesterreicher überhaupt sich nach der Decke ihres jeweiligen Standes strecken, die Handwerker leben handwerkerlich, die besseren Bürger Hassen, zu der auch der Dienstadel gehört, gut bürgerlich, die Magnaten leben fürstlich, und ruiniren sich dabei oftmals, sonst sucht kein Stand dem bessergestellten im Lebensaufwande gleichzukommen, wie leider meist hei uns der Fall, darum leben die Leute dort auch durch-g-ehends zufriedener und besser, als unter gleichen Verhältnissen bei uns, und dies führt bei oberflächlicher Beobachtung- oder Voreingenommenheit zu Trugschlüssen. Selbstverständlich giebt es Ausnahmen sowohl in der höheren Burcaukratie als auch unter den Grossherren der Geschäftswelt, unter welchen letzteren sich besonders die jüdischen Banquiers auffällig machen, die nicht blos aus Geschäftsrücksichten, sondern auch, wie die Mehrzahl der Juden in grossen Städten, aus übertriebenem Selbstgefühl sich durch Aufwand gern grösser und reicher machen als sie sind, sehr im Gegensatze zu dem anspruchslosen und soliden Leben ihrer Glaubensgenossen in kleineu Städten, die eher darauf bedacht sind, wirklichen Besitz zu verbergen, als mitunter gar nicht vorhandenen durch Prunken zu erheucheln, und zwar auf Kosten wirklicher Behaglichkeit. Was die Wienerinnen betrifft, deren geschlechtliche Ungebunden-heit sprüchwörtlich geworden ist, so habe ich selten eine grössere Gedankenlosigkeit gefunden, als diejenige, welche mit dem immer wiederholten Nachschreiben dieser gänzlich haltlosen Phrase bekundet wird. Zur Zeit, da der Wiener Congress das gekrönte und nicht gekrönte Laster von ganz Europa in den Mauern der Kaiserstadt vereinte, mag es dort allerdings wüst hergegangen sein, wenigstens trat die Sittcnlosigkeit mehr zu Tage, als an anderen minder öffentlich ausgestellten Orten, denn dass es an letzteren nicht um ein Haar besser stand, beweist z. B. der blutdürstige Hass, der die preussischen Männer gegen die Franzosen beseelte und zu Siegen führte, die weniger durch Feldherrnkunst als durch den Arm des wüthend erregten gemeinen Mannes errungen wurden, den bis zum Wahnsinn aufgestachelte und begründete Eifersucht, und nicht loyale Phrasen oder gar philosophische Vorträge (die er weder hörte noch verstanden hätte!) in den Kampf trieb und zu Ausbrüchen führte, die lebhaft an Episoden aus der sicilianischen und der Brüggelchen Vesper erinnerten, welche denselben Ursachen ihre Entstehung verdankten. Die heutigen Wienerinnen geben im Punkte der Sittlichkeit den Bewohnerinnen anderer deutschen 3 Städte zum Mindesten nichts nach, ihr ungezwungenes, aber sehr kleidsames Benehmen, besonders Fremden gegenüber, mag-freilich manchen, dem so etwas neu und ungewohnt ist, zu einer falschen Auffassung verführen, vielleicht auch zu Freiheiten verleiten, die dann wohl häufiger zurückgewiesen, als ermuntert werden dürften, was bei den Betreffenden natürlich Verstimmung hervorrufen muss und vielleicht manches ungünstige Urthoil erklärt, denn im Allgemeinen ist es doch, wenigstens unter Ehrenmännern, Gebrauch, Beweise für gezeigte Schwächen des weiblichen Geschlechtes zu verhüllen und nicht zur öffentlichen Herabsetzung desselben zu verwcrthen. Uebrigens kann es mit der Wiener Sittlichkeit auch zur Zeit des Congresses nicht durchgohends schlecht gestanden haben und es wird wohl nur die an die Oberfläche getriebene Hefe der verschiedenen Stände das bekannte trübe Bild erzeugt haben, wenigstens wagte der schwedische Dichter Atterhom wenige Jahro später (1817) das landläufige Urtheil nicht zu unterschreiben, warnte vielmehr davor, aus einzelnen Fällen auf die Gcsammt-heit zu schliesscn, und doch legt grade dieser Poet in seinen hintcrlassenen Aufzeichnungen*) eine mehr als ziemende Giftig- *) Ich habe versucht, meine Altersgenossen mit diesem bei uns vergessenen Dichter dadurch bekannt zu machen, dass ich seine Memoiren, soweit sie auf die Grössen damaliger Zeit Bezug nehmen, übersetzte und als Buch herausgab, für dessen Bekanntwerden ich mich bei allen anständigen Bedactionen hiermit bedanke. Selbstverständlich wurde dieses Buch auch durch Nachdruck oline Angabc der Quelle tüchtig geplündert und zeichnete sich hierbei unübertrefflich die im Keil'schen Verlage erscheinende, allerdings nur vom Nachdruck lebende „Europa" aus, was mich weiter nicht wunderte, schmerzlich indessen hat es mich berührt, dass in der Wiener „Neuen freien Presse" meine Uebersetzung zu einem Feuilleton benutzt worden ist, in welchem mit einer Kunst, die eines besseren Zweckes werth gewesen wäre, das Vorhandensein des Buches verschwiegen wurde — hier kann nicht schmutzige Gewinnsucht, sondern nur persönlicher Groll oder kleinliche Eifersucht des betreifenden Verfassers das Motiv gewesen sein. keit in der Beurtheilung der Menschen an den Tag und hatte hinsichtlich der Schwächen des schönen Geschlechts in anderen deutschen Orten viel praktische Erfahrung gesammelt, die er leider auch merken Hess. Der Umstand, dass es in Wien Skandalgeschichten gieht, lässt erst recht ein günstiges Urtheil über die sittlichen Zustände der Gesammtheit zu, andernfalls würde ja die Gemeinheit keinen Skandal mehr erregen. Man drehe einmal den Spiess um und ziehe aus dem Vorgange in der Preussengasse zu Glogau, den ein unvermuthetes Unglück entschleierte, einen Schluss auf den sittlichen Zustand unserer kleinstädtischen Bürgerklasse, zu welchen Verkehrtheiten würde der führen, denn grade die Frauen der in Bede stehenden Klasse sind nicht blos Muster einer bis zur Carricatur getriebenen Etiquette und Steifheit, sondern auch wirklicher Sittlichkeit, was zu behaupten ich mir erlaube, weil ich das mir unaussprechlich widerliche kleinstädtische Civil- und Garnisonleben aus eigener jahrelanger Theilnahme genau kenne. Nicht hlos die Wiener Frauen, sondern überhaupt das ganze österreichische Volk wird von den Fremden meist falsch und zu seinen Ungunsten beurtheilt, es ist dies eine Art Modesache, und doch müsste sich jeder denkende Kenner der österreichischen Geschichte sagen, dass das Boich längst in Atome zerfallen wäre, wenn nicht seinen Völkern, besonders den deutschen, eine so überaus grosse Tüchtigkeit innewohnte, da die Regierungen, auch die wohlwollendsten, bisher alles nur denkbare Verkehrte thaten, was ein Reich unter gewöhnlichen Umständen ruinirt haben müsste, um so mehr, wenn dasselbe nicht eine einzige Nation, sondern ein Vülkorconglomorat beherbergte und seine Maschinerie nicht aus bronzeharten, sondern gomüth-lichen Bureaukraten besteht. Oesterreich hat ausgezeichnete Techniker, Gelehrte und Forscher, doch sind die meisten derselben bei uns kaum dem Namen nach bekannt, es lässt sich auch leider nicht in Abrede stellen (dies haben mir achtungs-werthe Männer bewiesen), dass die Bestrebungen und Resultate 3* der österreichischen Gelehrtenwelt bei uns nicht die gebührende Beachtung finden, vieiraehr häufig gänzlich ignorirt werden, obgleich dieser Vorwurf in dem Munde des Mannes, der denselben in einer meine Person betreffenden Streitfrage zuerst erhob, eine Lächerlichkeit ist, wie ich in meiner Beantwortung des bezüglichen Angriffes*) genügend dargethan zu haben glaube und mir von vollwichtigen Männern auch bestätigt worden ist. Es giebt in Oesterreich so viele sogenannte Dilettanten, d. h. Männer, welche neben ihrem bürgerlichen Berufe und Broderwerbe irgend eine Wissenschaft aus Liebhaberei als Specialität treiben und es in derselben zu einer grossartigen Vollkommenheit, ja Berühmtheit gebracht haben, von der man gleichwohl bei uns kaum etwas weiss, dass ich mich auf Namenaufzählung gar nicht einlassen kann. Freilich hat diese Nichtbeachtung auch ihre Berechtigung, denn die officielle wissenschaftliche Thätigkeit und die Namen, welche sich mit Hülfe geschickter Beclame hervorgedrängt haben, sind im Allgemeinen nicht geeignet, Kespect bei competonten Leuten zu erwecken, doch sollte man nie vergessen, dass der richtige Maassstab beim Beurtlteilen des geistigen Werthes einer Nation nicht die officielle, sondern hauptsächlich die freiwillige, die private Betheiligung bei der geistigen Arbeit sein kann, denn letztere ist etwas Natürliches, von selbst Lebendes, erstero etwas Gemachtes und Unterstütztes. Die Zeit, da Verschwommenheit und damit harmonirender musikalischer Dilettantismus die Oesterreicher noch ausschliesslich beherrschte und vom scharfen, bestimmten Denken zurückhielt, ist längst vorüber und auch die Masse des gemeinen Volkes wird nunmehr, zunächst durch den Sozialismus, aus der Denkträgheit aufgestachelt und in selbstbewusste, heilsame Bahnen geleitet, wenn auch diese ersten Proben des Massen-Denkvermögens eine einseitige Beurtheilung erfahren haben und zum Theil verdienten. Uebrigens *) Nicobariana. Berlin, Carl Hoymann'a Verlag. 1868. glaube man ja nicht, dass die Oesterreicher dem officiellen Liberalismus unbedingt trauen, sie kennen sehr gut seine Beweggründe und die schwache Basis, welche er in maassgebenden Kreisen besitzt. Alle meine Beobachtungen, welche ich in Oesterreich machte, zeigten mir, dass dieses Boich noch weit von seinem Tode ist, dass es, im Gegentheile, uns noch viele schwere Stunden und Hindernisse bereiten wird, denn seine verschiedenen Völker fühlen sich Fremden gegenüber durchaus als Zusammengehörige, als Oester reicher, eben 'so wie sich die viersprachigen Schweizer als Eidgenossen und als eine einzige Nation fühlen. Was die Deutsch-Oesterreicher betrifft, so sind sie weit entfernt davon, die Hand bittend nach uns auszustrecken oder sich still in den Ausschluss aus Deutschland zu fügen, im Gegentheile, sie beanspruchen gebieterisch ihren Wiedereintritt oder, richtiger bezeichnet, ihren Wieder ei nzug, und zwar nicht als geduldete, sich unterordnende »Brüder«, sondern als die Tonangebenden im Reiche, die demselben einen Kaiser mitbringen. Hoffen wir, dass sie nicht eine zu schwere Schule durchzumachen haben, ehe sie sich zu einer anderen Auffassung bequemen und dass andererseits unsere eigenen jahrhundertelangen Leiden und Arbeiten nicht vergeblich gewesen sein mögen. Aber was auch kommen möge, die Deutschen Oesterreichs verdienen unsere Achtung und Liehe, ihre schöne Hauptstadt aber möge uns nicht blos Bewunderung entlocken, sondern zur Nachahmung anreizen. Der Schienenweg von Wien über den Semmering nach Steinbrück und weiter nach Triest ist von unvergleichlicher Schönheit und dürfte kaum Seinesgleichen finden; wollte ich lb-n beschreiben, dann müsste ich — um mich trivial auszu- drücken — »meinen Stift in flüssigen Purpur und Azur tauchen und auf silbernen und goldenen Platten schreiben«, was meine Aufgabe nicht ist, doch möchte ich wohl sehen, was ein Hippel mit seiner unübertrefflichen Feder aus diesen Landschaften für ein Bild zu schaffen vermöchte oder ein Fontane uns über die Burgruinen am Wege und die reizenden Städtchen nebst ihrer Umgebung zu singen und zu sagen wüsste. Schade, dass diese entzückend schönen Thälcr noch nicht ihren Robert Schweichel gefunden haben, einen Dichter der Gegenwart, der wie er, das Volksleben und die Natur, in der es sich bewegt, mit solcher Innigkeit und Wahrheit in der schönen Hülle poetischer Prosa zu schildern vermöchte und uns die Stoiernüirkcr in dieser Form so verständlich nahe rückte, wie die Bewohner der Thäler und Höhen der französischen Schweiz. Fast möchte icli den oben geäusserten Wunsch ausstreichen, denn ich fürchte, damit ganz andere Geister, als die gewünschten, zu rufen. — Als ich den Semmering passirtc, da glaubte ch schon das Schönste gesehen zu haben und allerdings ist dies grossartiger als das, was sich zwischen ihm und Gratz, besonders kurz vor joner Stadt, und dann wieder zwischen dieser und Marburg, näher bei der letzteren, und schliesslich zwischen Marburg und Steinbrück den trunkenen Blicken auf-thut, aber wenn dem Grossartigen das Finstere und Schauerliche fehlt, imponirt es nicht und man zieht das rein Idyllische vor. Auf dem Semmering wirkt überdies das staunenswerthe Menschenwerk, sowie der plötzliche Wechsel von Licht und Finsterniss aufregend zu grösserer Empfänglichkeit und Empfindlichkeit mit. Es sind dort auf dem allmälig ansteigenden Schlangenpfade Tunnel, in welchen der schnaubende Zug fast eine Viertelstunde lang verweilen muss, da er sich in ihnen und überhaupt auf der eigentlichen Bergfahrt nur sehr langsam fortbewegt. Um während solcher Pausen nicht in völlige Dunkelheit gehüllt zu sein, werden die Lampen der Waggons angezündet, verbreiten jedoch, begreiflicherweise, nur •ein mattes Dämmerlicht, welches kaum hinreicht, die Gesichter ■der Mitreisenden erkennen zu lassen. Diese jähen Ueborgänge aus sonnigen und lieblichen Landschaften in grabähnliche Schachte und aus diesen wieder in die blendende, lebende Welt frischen die vom Schauen ermattenden Sinne immer wieder zu neuer Empfänglichkeit und Bewunderung auf. Die langsame Fahrt hei ganz allmäliger Steigung auf dem beständig sich windenden Wege bietet überdies den Vortheil, jeden Gegenstand und Abschnitt der Landschaft von verschiedenen Seiten genau zu betrachten, indem man das betreffende Bild erst von vorn in der Höhe, dann unmittelbar neben sich links oder rechts, dann hinter sich, hierauf wieder seitwärts, aber tiefer, und schliesslich wieder vorn in grosser Tiefe sieht, ein Genuss, den mehr geradlinige Bahnen, auf denen man schnell vorüberhuscht, selten oder nie gewähren. Staunt man auf dem Semmering über das gewaltige Menschonwerk der Bahnanlage, so hat andererseits die Natur in ihrer majestätischen Grösse dafür gesorgt, dass wir uns nicht überheben, denn dieselbe wuchtige Felsenmasse, durch welche ein unendlich lang erscheinender Tunnel gesprengt ist und die in der Nähe betrachtet einen wahrhaft erdrückenden Eindruck hervorbringt, schrumpft wenige Minuten später neben clor Masse des Hochgebirges zu einem Maulwurfshügel zusammen, durch den ein Mäuseloch gebohrt erscheint — das kurz vorher angestaunte Biesenwerk der Menschenhand. Auch die Veränderung der Temperatur macht sich bei der Semmeringfahrt empfindlich fühlbar: Aus der heissen, fast schwülen Sommerluft Oesterreichs stiegen wir empor und fanden oben eine frische Frühlingsluft, die durch den Anblick der auf dem Hochgebirge lagernden Schrieemassen in der Einbildung noch kälter wurde, so dass jeder, der eine Hülle bei sich hatte, sich behaglich in dieselbe wickelte. Erst jenseits des Gebirgsstocks trat wieder sommerliche Wärme ein, die heim "tieferen Hinabsteigen in Schwüle überging, wie man sie in solchem südlichen Lande in der Mitte des Juni erwarten durfte. Von der unwiderstehlichen Kraft der Naturgewalten zeigten sich auf dem Semmering auch einige Prohen in Gestalt zertrümmerter Baulichkeiten, die vom Schnee zusammengedrückt waren. Freudig berührte die Wahrnehmung, dass das steirische Volk, das deutsche sowohl als das slavische, jeden benutzbaren Fleck Landes in Cultur genommen und sorgsam bestellt hatte. Fleiss, Sitte und Reinlichkeit, verbunden mit kirchlicher Frömmigkeit (die immer noch besser ist als gar keine), treten dem Blicke des Fremden in Steiermark überall entgegen und ringen ihm Achtung ab. Gleich hinter dem stattlichen Graz, auffällig durch seinen steilen, isolirten Schlossfclsen, beginnt das Volk der Slovenen in Ueberzahl aufzutreten und dominirt von da ab südwärts ausschliesslich, nur das Städtchen Marburg mit etwa 8000 Einwohnern scheint mehr deutsch als slavisch zu sein, ist aber eine Insel inmitten der Slavenwelt. Bei Graz leerte sich der Zug fast gänzlich und der Schaffner, derselbe, mit dem ich auf dem Semmering eine Unterhaltung hatte, fragto mich freundlich, ob ich denn ganz allein sitzen bleiben und mir nicht lieber das schöne Graz besehen wollte. Ich verneinte letzteres, da ich keine Zeit hätte und mein Billet auch bis Steinbrück lautete, mir sei die steirische Landschaft lieber, als eine Stadt, die von fern gewöhnlich besser aussähe, als innerhalb. »Dann müssen 'S in Marburg aussteigen, sonst fahren 'S das beste Stück im Finstern, Ihr Billet will ich schon in Ordnung bringen!« antwortete der gut-müthige Mensch, der sich dem Fremden, dessen Wesen er nicht verstanden, gefällig zeigen wollte. So fuhr ich bis Marburg und zwar ganz allein in dem grossen Wagen, eine Einsamkeit, die bei Eintritt der Dunkelheit meine Gedanken veranlasste, nach der Heimath zurückzufliegen, wo die Meinen der Gewohnheit gemäss den schönen Sonntagabend gewiss unter der grossen, noch von Wendenhand gepflanzten Linde genossen und meiner gedachten. Recht gelegen kam mir der Halt und nach schneller Ordnung der Billet- Angelegenheit schlug ich den Weg nach der Stadt ein, um mir ein Unterkommen zu suchen, das ich bald in der Nähe des Bahnhofes in dem, vcrmuthlich besten, Gasthofe der Stadt fand, dessen einladendes Aeussere mich anlockte und nicht betrog. Das Hotel war zugleich die Honoratioren-Kneipe und der kleine Garten desselben vereinigte in gemüthlicher Geselligkeit alles, was Marburg an durstiger Intelligenz oder Rang, vom Schulmanne und Beamten bis zum Offizier, besass. Die Leutchen, welche meistens ihre Damen mitgebracht hatten, unterhielten sich in ungezwungener, anständiger Weise und froren bei der Abendkälte, dass ihnen die Zähne im Munde klapperten, zum Betreten der erleuchteten Säle konnte sich kein einziger ent-schliessen, und so mochte ich keine Ausnahme machen, sondern fror mit; um so unangenehmer fiel mir die Langsamkeit der Bedienung auf, an welche man sich indessen, hat man Wien verlassen, gewöhnen muss. Ueber Politik sprachen die Gäste nicht, obwohl einige Damen über die Gewohnheiten der »windischen Leut« Bemerkungen machten, das Hauptthema der Unterhaltung bildete das Essen und Trinken, häufig unterbrochen durch das Bestellen eines Grusses an die Küche »und ob denn die Knödel nicht bald kämen«. Man glaube ja nicht, dass ich mit meiner wahrheitsgetreuen Darstellung die lieben Marburger Honoratioren lächerlich zu machen beabsichtigte, ich muss vielmehr gestehen, dass mir eine solche Unterhaltung viel lieber ist, als das Anhören von Kannegiessereien unzurechnungsfähiger Politiker oder der Streit über den Werth dieser oder jener mit Zoten und Cancan gespickten Posse. Trotzdem war ich froh, als es mir endlich glückte, meine Zeche zu bezahlen, dass ich die Gesellschaft dieser lieben, harmlosen Menschen verlassen konnte, um mich in einem behaglichen, frisch überzogenen Bette von der ausgestandenen Kälte aufzuthauen und meine Augen nach so fleissigem Gebrauche zu schliessen. Am andern Morgen war ich früh auf den Beinen, um mir llie Stadt anzusehen, die trotz der Abends zuvor empfundenen Kühle einen recht südländischen Eindruck macht, den die weissgetünchten Häuser mit ihren grünen Jalousien, der ganzen Einrichtung der Penstor und der Zimmer hervorrufen, und den man um so mehr fühlt, wenn einem die Sonne mit wahrhaft stechender Gluth auf den Kücken brennt, wie mir bei meinem Rundgange geschah. Die Strassen sind makadamisirt, was vielen Staub verursacht und bei warmer Luft ein Gefühl der Dürre erzeugt, das unangenehm ist. Auch das alte schmucklose Magnatenschloss hat vermöge seiner Galerien und Säulentreppen einen südländischen Anstrich. Läge die Umgehung der Stadt nicht in Steiermark, man wäre versucht, sie reizend zu finden, so indessen ist man verwöhnt und findet sie erträglich. Mein Hauptziel hei der Wanderung wrar, über das Thun und Treiben der Bewohner und das Verhältniss der beiden Nationalitäten zu einander Aufschluss zu erhalten, deshalb betrat ich verschiedene Geschäfte und mischte mich unter die Leute. Was ich da lernte, war nicht geeignet, die Freude eines Yollblutdeutschcn zu erregen, denn so viel wurde mir klar, dass, wenn die Dingo in Steiermark noch ein Jahrzehnt in der bisherigen Weise fortgehen, Marburg eben so slovenisch wird wie seine unmittelbare Umgebung. Das deutsche Element ist völlig gleichgültig gegenüber den rührigen Bestrebungen der Slovenenführcr und dazu wiederholt sich im Orte dieselbe Erscheinung mit der Abhängigkeit von den Dienstboten wie in Prag, nur mit der verschärften ' Verschlimmerung, dass die Leute in Marburg es gern sehen, »wenn die Kinder das Slovenische gleich mitlernen«. Die Geschäftsleute schienen mir sogar geneigt, ihre deutsche Nationalität je eher je lieber an den Nagel zu hängen, »wenn nur Alles erst slovenisch wäre«. Wie dominirend die Sprache der letzteren Nation schon war, ersah ich aus dem Umstände, dass man mich in fast allen Geschäften erst auf slovenisch anredete und so joden, der während meiner Anwesenheit in das Local trat; auch unter den fein gekleideten Kindern, die ich auf dem Wege zu der höheren Schule traf, hörte ich mehr sich in der fremden, als in unserer Sprache unterhalten. Heber die Unterrichts- und Kirchenverhältnisse sollte ich erst in Steinbruck völligen Auf-schluss bekommen, der meine Vcrmuthungen hinsichtlich der Entnationalisirung erst recht bestätigte. Einige Bauern, die ieli in Marburg und unterwegs auf Eisenbahn-Stationen mit gleichgültigen Fragen anredete, zuckten die Achseln und erklärten mir in ihrer Sprache, dass sie nicht deutsch könnten. Die Slovcnen sind ein schöner, begabter Menschenschlag, besonders die Männer halten ansprechende und ausdrucksvolle Gesichter, aus denen gewöhnlich Ernst, Muth und Schlauheit spricht, was die Weiber betrifft, so haben sie alle eine gewisse Familienähnlichkeit mit einander und ein äusserst mürrisches, schweigsames Wesen an sich, das sie keinesweges liebenswürdig macht, wohingegen den Männern ihr Ernst gut steht. Es hat mich cinigermaassen in Erstaunen gesetzt, in den Slovcnen, welche doch ein so freundliches, heiterblickondos Land bewohnen, ein ernstes Volk zu finden, die Theorie, dass der Mensch die Abspiegelang seines Landesbildes sei, stimmt mithin nicht immer, wo würden wir Brandenburger und Pommern auch da bleiben! Die Slovenen sind auch, wie ich schon oben bei Mittheilung über die Landbestellung andeutete, fleissig, sauber und sparsam, müssen auch sehr nüchtern sein, denn ich habe nur zwei Betrunkene auf meinem langen Wege durch Steiermark bemerkt und zwar vor dem Wirthshause zu Steinbrück. Nach letzterem Orte dampfte ich Morgens 9 Uhr ab, nachdem ich noch in dem Marburger Bahnhofsgebäude meine Freude über eine riesengrosse Städte- und Flusskarte Oesterreichs gehabt hatte, die als Decoration über eine ganze Wand des Wartesaals gemalt ist, einen Schmuck, den durch eine Karte Norddeutsch!ands in derselben W'eiso nachzuahmen ich allen unseren Bahnverwaltungen empfehlen möchte. Steinbruck ist einer der schönsten Punkte des überreichlich mit Naturschönheiten ausgestatteten Landes und dort ist ein Gasthof, in wel- chem man eine billige und angenehme Pension nebst Sann-Bädern haben kann. Ich kam um 12 Uhr dort an und musste bis 5 Uhr verweilen, ehe der nach Kroatien führende Zug anlangte, hatte also hinlänglich Zeit, den Ort sowohl als die Umgegend und die Menschen zu studiren, besonders wurde mir letzteres sehr leicht, da an diesem Bahnknotenpunkt ein ziemlich starker Personen-Verkehr stattfindet. In der Unterhaltung mit diesen Leuten bestärkte sich in mir die Ueberzeugung, dass das österreichische Volk, das ländliche sowohl als das städtische, einen ungemein gesunden Verstand besitzt und deshalb keinesweges in seinem Innern pfaffendienerisch oder abergläubisch ist. Mir, dem Fremden gegenüber, thauten die Leute sehr unbefangen auf und sogar Grossbauern, die sich vor ihren Landsleuten in vornehmes Schweigen hüllten, theilten mir unumwunden ihre Ansichten mit. Nur die gänzlich besitzlose Klasse, besonders der weibliche Theil derselben, dürfte ohne Nachdenken den Impulsen folgen, welche Autorität oder Agitation für ihre selbstischen Zwecke zu geben belieben. Ueber die Unterrichtsverhältnisse Steiermarks, Kärnthens und Krains erfuhr ich von den befragten Landleuten und Wander-Händlern Folgendes: In den vorgenannten drei Provinzen war bis vor einem Jahre und einigen Monaten die Unterrichtssprache sowohl als die Kirchensprache deutsch, obwohl die Umgangssprache der ländlichen und theilweise auch der städtischen Bevölkerung slovenisch oder krainisch war, seitdem ist aber das Deutsche in den gemischten Di Striefen und das dem Slovenischen nahe stehende Krai-nische dem Slovenischen derart geopfert worden, dass letzteres in allen Landschulen zur Unterrichtssprache erhoben, das Deutsche hingegen zum blossen Lehrgegenstande herabgedrückt worden ist. In den Stadtschulen (einschliesslich derer von Marburg) werden beide Sprachen als ebenbürtig behandelt, nur in den Stadtkirchen hat deutsch noch den Vorzug, aus den Landkirchen hingegen, soweit sie nicht rein deutschen Gemeinden gehören, ist unsere Sprache verbannt worden und Pfarrer wie Schullehrer sind gezwungen, eine ihnen nicht geläufige oder doch fremdartige Sprache jetzt erst bis zu einiger Vollkommenheit zu erlernen. Dass dabei der Unterricht oft sehr leidet, liegt auf der Hand, die Krämer ärgern sich überdies wegen der Bevorzugung des Slovenischen, das nicht besser sei als ihre krainische Sprache, und wegen der neuen Regierungsmaxime, nach welcher ihnen nunmehr amtliche Kundgebungen mit slovenischer Uebersetzung des deutschen Textes »herabgelangt« werden, statt sonst mit krainischer, die ihnen unver-verständliche deutsche Worte wenigstens verdeutlichen konnte, während das gedruckte Slovenisch dies nicht vormag, denn bekanntlich erstreckt sich die oftmals bedeutende Sprachkennt-niss nicht gelehrter Leute meistens nur auf Verstehen und Sprechen, nicht auf Lesen und Schreiben der ihnen fremden Sprachen. Es war für mich äusserst peinlich, in den Büchern und Heften der aus der Schule kommenden oder dahin gehenden Kinder Steinbrucks das Slovenischc als Grundtext und Hauptsache zu finden, während diese Kinderchen, auch die kleinsten unter ihnen, unsere Sprache mit solcher Fertigkeit handhabton, als ob sie nie eine andero gesprochen hätten. Diese Fertigkeit im Deutschen sollen die Kinder auf der ganzen Eisenbahnlinie, soweit sie durch slavisches Gebiet geht, besitzen, so wurde mir gesagt, und ich glaube dies auch, da die kleinen Händler an allen Haltepunkten ihre Erfrischungen in deutscher Sprache anboten.*) Die Politik der Regierung ist in diesem Theile der Nationalitätenfrage sehr durchsichtig: Man will sich im Süden des *) Hier sei darauf hingewiesen, dass auf allen Stationen südwärts von Prag „frisches Wasser" von Frauen und Kindern feilgeboten wird und zwar das Glas zum Preise von 1—2 Kreuzern, eine Einrichtung, die ich zur Nachahmung bei uns dringend empfehle (der Profit wäre ja für die Pächter derselbe wie beim Bierverkauf!) mdem nicht blos Damen, sondern auch sehr viele Herren gutes "asser dem Biere als Durststillungsmittel vorziehen. Erzherzogthums Oesterreich eine slavische Nation erziehen, die einerseits dem Deutschen nicht freundlich gegenübersteht, andererseits nicht durch »Kronen-Tradition« verdorben und schwierig lenkbar gemacht ist, wie die Tschechen und Kroaten. Die Slovenen sollen erforderlichen Falles den Kitt bilden, der das nach Deutschland neigende deutsche Element des unmittelbaren Donaugebictes für die Hauspolitik festhalten soll und schlimmsten Falles auch geeignet wäre, die Südslaven Ungarns gegen die Magyaren zu unterstützen, um letztere an völliger Trennung ihres Ländercomplexes von den weiland zum deutschen Bunde gehörigen Hausprovinzen zu verhindern, da hierzu Slaven besser geeignet sind, als Deutsche. Würden sich die Dingo in Deutschland dem Wunsche der Habsburgischen Politik entsprechend ändern, dann stände zu erwarten, dass wieder ein völliger Umschwung einträte und Krainer sowohl als Slovenen dem Deutschthum geopfert worden sollten. Letzteres würde jedoch sehr schwierig, wo nicht ganz unmöglich sein, wenn die gewünschte Katastrophe in Deutschland nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre einträte. Da nun aber, menschlicher Voraussicht nach, die neue Entwickelung der Dinge in Deutschland mehr Aussicht auf Bestand als Nichtbestand hat, so dürfen wir uns das schmerzliche Geständniss nicht ersparen, dass der grössere Theil Steiermarks und Kärnthens, sowie das ganze Kram, Götz, Gradiska und Istrien nebst dem Zugänge zur Adria für uns verloren ist. Was auch bei uns und in Ungarn geschehen möge, die kroato-serbische Nation ist lebensfähig und sie wird, unterstützt von allen europäischen Grossmächton, den Anlehnungs- und Krystallisationspunkt der illyrischen Slaven bilden, sobald die orientalische oder richtiger südslavi-sche Frage auf europäischem Boden einmal gelöst ist, ihre Lösung wird aber, aller Voraussicht nach, mit der Lösung der deutschen Frage Hand in Hand gehen, ein Umstand, den die Cabinette leider klarer erkannt zu haben scheinen, als die deutschen Publieisten und Volksführer. Selbst wenn sich das ganze Süddeutschland mit dem Norden verschmolzon haben wird und das deutsche Element Oesterreichs gezwungen oder freiwillig dem losgerissenen Böhmen und Mähren folgen möchte, würden wir weder die Macht noch das Eecht haben (auf welch letzteres es weniger ankäme) gewaltsam durch Illyrien nach der Adria durchzubrechen, obwohl unsere Träumerei, unsere Nichtbeachtung der vorhandenen Thatsachen sich bisher darin gefiel, auch Tricst und die in Bede stehenden weiland deutschen Bundesländer als unser Erbe zu betrachten, obgleich uns Nationalitätenkarton längst eines Besseron belehrt haben könnten. Von meinen in jenen Provinzen sonst noch gemachten Wahrnehmungen will ich hervorheben, dass die Krainer den Tschechen am ähnlichsten aussehen, jedoch nur demjenigen Typus der letzteren, welcher den vierkantigen Gesichtsschnitt hat; ihr Temperament gleicht auch dem der Tschechen mehr als dem slovenischen, sie sind nämlich eher heiter und howeglich als mürrisch und langsam wie diese; am auffallendsten tritt dieser Unterschied beim weiblichen Geschlcchto hervor, das deshalb auch im ganzen ungarischen Ländercomplcx gern gesehene Kellnerinnen und Mägde liefert, die sich von den da und dort vorhandenen slovenischen angenehm unterscheiden. Die auffälligste Erscheinung bilden jedoch die Obcrkärnthner, die sogar äusserlich den verkörperten Ernst, ja man möchte sagen die Trauer, ropräsontiren, während ihre szenischen, ebenso wie sie deutschen, Blutsverwandten in der Kleidung wenigstens ein heiteres Bild zur Schau tragen. An solch einem Ober-kärthner ist alles schwarz bis auf den umgeschlagenen Hemdkragen, — der breitkrämpigo, nicht zu niedrige Hut, die bis an den Hals zugeknöpfte Sammetweste, die kurzschössige Jacke, die sammtnen oder ledernen Hosen und selbstverständlich auch die über das Knie heraufgezogeneu Stiefel; auch bei der weiblichen Kleidung ist schwarz die vorherrschende Farbe. Aber miponirende Erscheinungen sind diese meist hoch gewachsenen Und kräftig gebauten oberkärnthnischen Männer, deren Bau und Gesichtsschnitt mich lebhaft an die niedersächsische Kace, wie sich dieselbe besonders in Mecklenburg1 zeigt, erinnerte. Die Gesichter drücken durchgehends ruhigen Verstand, feste Willenskraft und stark hervortretende Sinnlichkeit aus, letztere vornehmlich in dem kräftig entwickelten Kinn und der kleinen, fein geschnittenen Nase. Noch sei bemerkt, dass die Frauen unserer Blutsverwandten in jenen Provinzen meist schlank und hochgewachsen, die dortigen Slavinnen hingegen eher untersetzt und drall gebaut sind. Kroatien und die westliche Militairgrenze. Agram. Sissek. Fetrinia. Kostajnitza. Jassenowatz. I.)ic letzten köstlichen Bilder des Sann- und Savethals im herrlichen Steiermark waren im Fluge an meinem Auge vorübergezogen, die Station Rann wurde passirt. — Die Höhen und Felsen hatten schon bei dem reizend gelegenen Gurkfeld angefangen niedriger zu werden, nunmehr traten sie auch zu beiden Seiten der Bahn immer mehr zurück und plötzlich verflachte sich die Gegend zur völlig hügelloson Ebene. Dieser Wechsel der Scenerie von entschiedenster Gebirgs- zur ausgesprochensten Flachlandschaft ging auffällig schnell vor sich und so kam es mir, dem Niederunger, vor, als ob ich mit einem Zaubcr-sohlago zurück nach meiner einförmigen Heimathgegend versetzt worden wäre, denn was ich nunmehr vom Lande grade vor mir sah, glich völlig der norddeutschen Tiefebene und, um die Täuschung voll zu machen, drängte sich auch überall die Weide hervor, dieser Lieblingsbaum der Wenden, den sie uns nebst einem grossen Theil ihres slavischen Blutes hinterlassen haben. Auch die Dörfer glichen auffällig denjenigen märkischen, welche nicht in unmittelbarer Nähe grosser Städte oder wimmelnder Verkehrsstrassen belegen sind. Was mich jedoch beständig daran erinnerte, dass ich nicht in einem germanisir-ten und auch nicht in meinem Heimathlande dahin dampfte, das waren, abgesehen von den slavischen Inschriften der Bahnhöfe, die mir schon in Steiermark störend entgegengetreten — die überall längs der Bahn sichtbaren, weithin ausgedehnten Maisfeldcr mit ihrer Staffage; die letztere hätte mich auch, 4 wirksamer als Zuratheziehen der Karte und Fragen an alltägliche Mitreisende darüber belehrt, wo die Nationalitätengrenze zwischen Slovenen und Kroaten anfing, denn die Slovenen kleiden sich europäisch, wenn ich so sagen darf, das heisst die Bäuerinnen gleichen äusserlich so ziemlich ihren germanisirten Schwestern im Norden Deutschlands oder sie tragen wenigstens ein weites leinenes Gewand über dem Hemde, die Männer hingegen tragen Röcke wie unsere Bauern, niedrige Hüte, leinene Hosen, in denen das Hemd steckt, und Stiefel, der Kroat hingegen trägt keinen Rock, sondern statt dessen einen Halb-Mantel, er kennt auch den Luxus der Stiefel nicht, sondern bedient sich statt deren der Kopanken, seine an den Knöcheln ausgefranzten leinenen Hosen sind weit und erinnern dadurch an den Orient, überdies trägt er das Hemd nach Art einer Blouso über den Hosen. Bei rauher Witterung oder wenn der Kroat auf Reisen geht, z. B. von seinem Dorfe nach der Stadt» dann hängt er den erwähnten Halb-Mantel um, der nicht ganz bis zum Knie herabreicht, mit Aermeln und Stehkragen versehen und aussen gewöhnlich von dunkelbrauner oder weisser, innen aber von einer anderen Farbe, meistens roth ist; ausserdem ist dies Kleidungsstück immer durch farbige Borten, Litzen, Säume, Kreuz- und Kreisfiguren in Gestalt von Stickereien oder aufgenähten bunten Tuchstücken verziert, wobei die Wahl der Farben als eine sehr glückliche bezeichnet werden muss; aussen völlig rot he Mäntel sind sehr selten und bilden kein nationales Abzeichen, sondern das des militairischen Standes der Scrcssaner oder Grenzer - Gensd'armcn; man bezeichnet daher irrthümlich bei uns die Kroaten kurzweg als »Rothmäntel«. Die Kopfbedeckung der Kroaten bildet entweder ein breitkrempiger, dunkelgefärbter Filzhut oder eine rothe wollene Kappe; die Kopanken sind Schuhe aus rohem Leder oder Filz, welche sich die Träger, wie fast jedes Stück ihrer Kleidung, selber anfertigen. Noch auffallender als die Tracht der Männer ist diejenige der gewöhnlichen kroatischen Frauen, welche in der Hauptsache auch die der Slavonierinnen, der ländlichen Serhinnen diesseits und jenseits der Save, sowie die der ärmeren christlichen Bosnierinnen ist. Das kroatische Weib trägt gewöhnlich nichts als ein leinenes Hemd und zwei Schürzen, von denen die eine vorn, die andere hinten umgebunden wird, die aber so weit über einander greifen, dass man nur bei starkem Winde oder Aufschürzen im Stande ist, den Mangel eines Bockes zu erkennen; über den Kopf schlagen Frauen und Mädchen lose ein leinenes Tuch, dessen Falten und Zipfel bis auf den Busen und über den Nacken herabfallen; mitunter hat dieses Tuch rothe oder braune Säume und die Schürzen derartig gefärbte breite Querstreifen; die Füsse stecken in Kopanken und sind nur bei festlichen Gelegenheiten oder im Winter mit wollenen, weissen Zwickelstrümpfen bekleidet. Eine weibliche Gestalt in solcher Tracht gleicht von Ferne eher einem Stücke Holz von oben und unten gleicher Breite, als dem Meisterwerke der Schöpfung, und dieser Eindruck wird dadurch keinesweges gehoben, wenn eine solche Erscheinung bei schlechtem Wetter einen weissen, mit bunten Lappen benähten Tuch-mantel um die Schultern hängt, der mit Aermeln, Steh- und Fallkragen versehen und etwas länger ist als jener der Männer. Bei dem schwülen Juniwetter und unter der nicht leichten Arbeit des Maisbehackens glichen übrigens, von Ferne gesehen, Mann und Wreib einander bis zur Verwechselung, da beide Theile nur das Nöthigste an sich trugen und die Männer überdies oftmals ein weisses Tuch über den Kopf geschlagen hatten. Sie bildeten eine sonderbare Staffage ihror Felder, indem sie sich bei ihrer Beschäftigung in schnurgerade Beihen gestellt hatten und sich ängstlich in Acht nahmen, diese Ordnung durch unglcichmässige Anstrengung zu stören, weshalb auch, um eine Gleichmässigkeit der Kräfte herbeizuführen, Erwachsene und Kinder je für sich besondere Feldstreifen bearbeiteten. Von Weitem machen diese genauen Beihen gleich grosser, einförmig weisser und oben wie unten gleich breiter 4* Gestalten einon befremdlichen, oftmals komischen Eindruck, der dichtbei verliert. Kam der Zug in die Nähe solcher Gruppe, dann wandten sich alle Mitglieder derselben um und Hessen die Arbeit bis zu ^nserm völligen Vorübereilen ruhen, wobei die Männer uns oftmals Worte in ermunterndem Tone zuriefen und mit freundlicher Miene nach der Gegend von Agram deuteten, als wollten sie uns einladen, ihre prächtige Hauptstadt — in ihren Augen jedenfalls ein Wunderwork — zu besuchen oder als beneideten sie uns unser Glück und wollten den Wunsch nach Mitreise ausdrücken. Die auf den Feldern noch nicht beschäftigten, aber dort umhcrspielenden Kroatenkindlein zeigten freilich keine so liebevolle Zuneigung für die Insassen dos Zuges, denn sie warfen wiederholt mit Steinen und Holz-stücken nach den aus den Fenstern Sehenden und zwei solcher Kobolde nahmen mich heim Vorüberfahren zum besonderen Ziele ihrer ballistischen Uebung, jedoch erfolglos, da sie die schnelle Fortbewegung des Zieles nicht mit in Kechnung gebracht hatten, weshalb ihr Wurfgeschoss einem anderen Reisenden, der drei Fenster weiter hinaussah, an den Hut flog. Wenn ich vorhin sagte, dass mich die kroatische Landschaft an meine Heimath erinnerte, so muss ich doch befürworten, dass ich dabei nur die gesegnetsten Gegenden unserer Mark im Auge hatte, denn die kroatische Ebene zeigte überall ein saftiges Grün, nirgends Sand oder Sumpf, obwohl neben gut bebauten Feldern über Gebühr ausgedehnt gelassene Weideplätze, deren üppige Grasflächen in wohithuonder Abwechslung von Baumgruppen und Erlengebüschcn durchbrochen und von Weiden oder Eichen eingerahmt wurden. Auch Wähler waren nicht selten. — In duftiger Ferne, wie aus einem glatten Spiegel aufsteigend, thronten die nach Nord- und Süd-Kroatien hineingreifenden steilen Ausläufer des Karawanken-Gebirges und der julischen Alpen, welche auf ihren Zinken oft malerische Burgruinen trugen; besonders eins dieser mittelalterlichen Bauwerke war mir wegen seines massigen Gefüges von Wohn- gebäuden und gewaltigen Flankirthürmen auffällig; es schien auch, durch das Fernrohr betrachtet, noch im bewohnbaren Zustande zu sein und muss einst der Sitz eines Dynasten oder Feudalherrn gewesen sein, der sich mit einem Gefolge von 1000 Köpfen zu umgehen liebte, so kolossal war die Ausdehnung dieser Veste. Leider konnte ich ihren Namen nicht erfahren, was mir indessen die Freude über diese anmuthige Verbindung von mittelalterlicher Romantik, lebender fremdartiger Idylle mit decorativem Gebirgshintergrund keineswegs zu trüben vormochte. Oft, wenn ich das schöne Gesammtbild, die gut bestellten Felder und die traulichen Dörflein mit den sich so sonderbar zeigenden Menschen verglich, fragte ich mich, ob ich mich denn wirklich in Kroatien, in demselben verrufenen Lande befände, aus dem einstmals die Horden Tilly's, Trencks und Jellatschitj's gekommen waren und Deutschland verheerend überschwemmt hatten. Einmal, und zwar kurz vor der Hauptstadt des Landes, wurde ich allerdings etwas handgreiflich daran erinnert, dass ich mich in Kroatien befände, denn als wir uns der äussersten Weichbildsgrenze Agrams näherton und ich zum Waggon hinausblickte, gewahrte ich dicht am Schienenstrange eine zahlreiche Versammlung städtisch geputzter Herren und Damen untermischt mit Landleuten in ihrer eigentümlichen Tracht; ich glaubte erst, es handle sich um eine Landpartie oder ein Hochzeitsfest im Freien; wer beschreiht daher mein Erstaunen, als ich inmitten dieser anscheinend festlichen Versammlung einen roh gezimmerten Galgen erblickte, an welchem ein bäurischer roat leblos hing, während zu seinen Füssen ein Geistlicher und ein Militairposten Wache hielt. Her Gehenkte war der Anführer einer Räuberbande gewesen, wie ich in Agram erfuhr, und erst am Morgen standrechtlich hingerichtet worden; das Standrecht musste nämlich nach Beendigung des preussischen Krieges in Kroatien, Slavonien und der Militairgrenze proklamirt werden, um dem überhand nehmenden Räuberunwesen zu steuern. Auf Grund dieses Standrechts wird jeder gehenkt, dem nachgewiesen werden kann, dass er mehr als fünf Gulden an Werth geraubt hat; die nächste Folge der Herrschaft dieses harten Gesetzes war, dass in Kroatien allein etwa vierzig Menschen in wenigen Monaten als Räuber am Galgen starben, worauf die allgemeine Unsicherheit des Landes wesentlich nachliess, doch schien das Vertrauen in die Öffentliche Sicherheit noch nicht gänzlich zurükgekehrt zu sein. Um 63/4 Uhr erreichten wir den Agramer Hahnhof, der fast eine halbe Stunde weit vom Orte entfernt liegt; schnell hing ich mein Reisegepäck um, schob die Mütze in die Tasche und stülpte den broitkrämpigen Filzhut en couleur de Bismarck auf den Kopf. Draussen vor dem Bahnhofsgebäude harrten eine Menge Privatkutschen und Lohnfuhrwerke, deren Kutscher entweder deutsch- oder magyarisch-bürgerlich gekleidet waren; die Zurufe dieser Leute geschahen in deutscher, seltener in kroatischer Sprache. Ich drängte mich schnell durch das Wagen- und Menschengewirr und erreichte bald den chaussirten Weg, der nach der Stadt führt, die sich ungemein anniuthig in grosser Länge, aber verhältnissmässig geringer Breite am Fusse einer Hügelkette hinzieht und theilweiso auf derselben steht. Diese Hügel, welche meist im Rehonschmucke prangten, sind die letzten Seitenstufen der kroatischen Berge, die den Norden der Provinz zu einem der schönsten Länder Europa's machen, welches viele Aehnlichkeit mit den vorzüglichsten Partien unserer Weingegenden bei Guben, Crossen und Grüneberg hat, hinsichtlich der Höhe der Berge aber mehr den entsprechenden Gegenden Thüringens gleichkommt. Am Nordabhange dieser Höhen befindet sich auch die ethnographisch so merkwürdige Landschaft »Zagorja« (auf deutsch: »jenseits der Berge«), deren Bewohner sich sprachlich und in ihrer äusseren Erscheinung wesentlich von den anderen Kroaten unterscheiden und für Nachkommen der von den Slaven und Germanen zertrümmerten Avarenhorden oder gar jener 700 Bulgaren gehalten werden, die dem hinterlistig von Dagobert angelegten Gemetzel in Baiern entronnen waren und »bei den Venetern Zuflucht Fanden«. Ich muss darauf hinweisen, dass die alte Kroatenhauptstadt nördlich vom Bahnhofe und über eine Meile weit vom Saveflusse entfernt liegt, ein Umstand, der aus den gewöhnlichen Karton nicht immer ersichtlich ist und mir, der ich doch nach Süden strebte, etwas befremdlich, ja verwirrend vorkam, als ich, eiligen Schrittes auf der Chaussee einherwandelnd, einen flüchtigen Blick auf meinen Compass warf und sah, dass ich nach Norden ging. Yor der Stadt liegen ausgedehnte eingehegte Weideplätze, seltener Gemüsegärten, während Blumengärten garnicht zu bemerken waren, auch beginnt derlläuser-complex bei der Vorstadt — die nur eine Verlängerung der grossen Illitza oder Hauptstrasse ist — ganz plötzlich, nicht vereinzelt, wie dies sonst bei emporstrebenden, auf Vergrösserung hinarbeitenden Städten der Fall ist. Es fehlen Ägram auch jene schlanken, schwarzen Qualm ausstossenden Säulen, die sich bei uns zu Lande in der unmittelbaren Umgebung nachgrade fast jedes Nestchens befinden, das an der Bahn oder an einer anderen grossen Verkehrsstrasse liegt. Fehlte zwar der Bauch, so war dafür desto grösserer Ueberfluss an Staub, denn ehe es mir glückte, die Stadt zu erreichen, holten mich ganze Beihen der vom Bahnhofe kommenden Fuhrwerke ein, die bei ihrem schnellen Jagen wahre Wolken des weissen Strassenstaubes aufwirbelten, so dass ich mitunter völlig von denselben eingehüllt war und auf diese Weise wieder an meine liebe Heimath erinnert wurde; auch in der Stadt war es in dieser Hinsicht nicht "besser, denn die Hauptstrasse und fast alle Nebenstrassen der unteren Stadt sind macadamisirt, wie die Umschreibung für schlecht »chaussirt« lautet, und diese Einrichtung, welche in den österreichischen und »ungarischen« Ortschafton sehr häufig ist, veranlasst bei trockenem Wetter beständigen Staubwirbel, Kei nassem Wetter hingegen knöcheltiefen Schmutz. Gleichwohl bietet Agram oder »Zagreb« — wie es die Kroaten nennen und was vielleicht »jenseits des Felsens« bedeutet — I das Bild der Sauberkeit und behaglichen Nettheit. Es mag* dies wohl davon herrühren, dass die Gebäude meistens weiss getüncht sind, gegen welche Färbung dann wieder die durch-gehends vorhandenen Jalousien der Fenster frisch und traulich abstechen, auch sind die Häuser nie mehr als drei Stockwerkehoch und geräumig angelegt, wozu noch kommt, dass die Strassen meist eine ansehnliche Breite haben, doch bieten selbst die wenigen engen und gepflasterten Gassen der Altstadt, die auf den Hügeln liegt, kein unangenehmes Bild. Die ersten Gebäude der Vorstadt sahen freilich einigermaassen ärmlich aus, doch rührte dies wohl zum Theil von den Bewohnern her, die sich vor denselben zeigten und zwar in einer Kleidung,, die weder national, noch gut bürgerlich, sondern schäbig oder gar lumpig aussah. Mit jedem Schritte weiter verbesserte sich indessen das Aussehen der Baulichkeiten. Die Art und Weise, wie die Jalousien der Häuser benutzt wurden, verrieth. den südländischen Charakter dieses von 16,000 Einwohnern bevölkerten Platzes. Bei uns werden bekanntlich die Jalousien wie gewöhnliche Fensterladen geöffnet und geschlossen, wobei sie ihren Hauptzweck völlig verfehlen, in den Städten von Marburg an südwärts behandelt man den in Bede stehenden Fensterschutz jedoch nach Art der sogenannten Mar-quisen, indem man dieselben ohne Seitenangeln lässt, aber oben mit festen wagerechten Angeln und am unteren Rande mit langen Hakenstäben versieht, wodurch es möglich wird, jeden einzelnen Flügel so weit aufzuklappen, dass die Zimmerbewohner sich dahinter bequem aus dem Fenster lehnen und die Strasse nicht blos in der Richtung nach links und rechts, sondern auch durch die geöffneten Sprossenklappen gradeaus betrachten können, ohne dass sie selber sich einer beständigen Beobachtung aussetzen oder von einem Sonnenstrahl getroffen werden können. Bei derartiger Verwendung der Jalousien bleiben auch die Zimmer heller und luftiger, deshalb sei dieselbe meinen Landsleuten zur Nachahmung bestens empfohlen. Die erste Sorge, welche ein Wanderer beim Betreten eines fremden Ortes von sich abzuwälzen hat, ist diejenige wegen des Unterkommens — wegen einer Herberge, volksthümlich ausgedrückt. Deshalb sah ich mich nach einem Menschen um, der mir auf eine deutsche Anrede sicher eine deutsche Antwort würde ertheilen können und glaubte den Gesuchten in einem städtischen Polizoisoldaten zu erkennen, worin ich mich nicht irrte. Auf meine Frage, wo ist das beste und zugleich billigste Gasthaus oder Hotel, wies er mich nach Pruckner's Hotel, wobei er sich jedoch der Bemerkung nicht erwehren konnte, dass ich ja ziemlich viel beisammen verlangte. Um die Auskunft des Polizeisoldaten in ihrem Werthe zu prüfen, wandte ich mich dann noch an einen ältlichen, fein gekleideten Herrn, dessen offenes, schönes Gesicht mich fast betroffen machte, um so mehr, als mich derselbe beim Antworten so liebevoll und freundlich anblickte, wie wenn ich sein längst erwarteter Sohn wäre. »Das nennt die Wrelt Kroaten«, dachte ich bei mir und verglich mit diesen »Halbwilden« die tschechischen »Cultur-träger,« die sich entweder bettelhaft schmeichelnd an den Fremden drängen oder gegen ihn einen verlumpten Hochmuth zur Schau tragen, der freilich bei entschiedenem Auftreten zusammenbricht, wie eine Gläserpyramide unter einem wohlgezielten Fusstritte. Der geneigte Loser möge hier gleich die Bemerkung entgegennehmen, dass ich nirgends so viele schöne Männer beisammen gesehen habe, als unter den Kroaten und Serben, auch unter den Slovenen waren dieselben nicht selten, was jedoch die Frauen der ersteren betrifft, so passt auf sie in über wiegen der Mehrheit nicht die Bezeichnung »schönes Geschlecht«, nur diejenigen der besseren Stände machen (wohl in Folge vielfältiger Kreuzung) eine Ausnahme und weisen mitunter blendend schöne Erscheinungen auf, aber ob schön oder nicht schön, alle diese Leute sind gegen den Fremden freundlich und muthen ihm nicht zu, ihre auf ein enges Gebiet he- gränzte Sprache zu sprechen oder zu verstehen; wer des Deutschen mächtig- ist, bedient sich dessen so viel als er vermag, um Auskunft zu geben, wer dies nicht kann, zuckt verlegen die Achseln und bemüht sich, durch Zeichen zu antworten. Nie bin ich unter Kroaten und Serben auf jenen Bettelstolz gestossen, den die städtische Bevölkerung Böhmens und des eigentlichen Ungarns für Nationalstolz hält und durch welchen sie sich nicht blos lächerlich, sondern im höchsten Grade widerlich macht. Und doch sind die Südslaven als unduldsame Sprachfanatiker bei uns und anderweitig verschrieen! Da ich bei meiner Wanderung zum Gasthause auf den leidigen Sprachenstreit gerathen bin, muss ich nur gleich sagen, dass mir Agram vom ersten Betreten an wie eine völlig deutsche Stadt vorkam, deutscher noch wie das steirische Marburg und zum Mindesten ebenso deutsch wie — — Pesth und Ofen. Wohin ich hörte, klangen mir deutsche Worte aus den Häusern und auf der Strasse entgegen, Kinder, Männer, Frauen, Hoch und Niedrig sprachen deutsch, freilich auch mitunter kroatisch, so wie es auch unter der überwiegenden Zahl deutscher Firmenschilder slavische gab. Fast mit mir zugleich hielt ein ziemlich zahlreicher Trupp »Junker«, d. h. Offiziers-Aspiranten, in geschlossener Ordnung seinen Einzug; wahrscheinlich kamen die jungen Herren von einer Feldmess- oder Schiessübung, aber alle von ihnen, die da mit gedämpfter Stimme »plauschten«, bedienton sich zu diesem Zeitvortreibe der deutschen Sprache. Ihre engen ungarischen Hosen hätten darob vor nationaler Scham roth werden müssen, wenn sie eben nicht zu blau gewesen wären. Doch genug von diesen sprachlichen Beobachtungen und zum Wirthshause. Pruckner's Hotel in der Hauptstrasse, nicht weit vom grossen Jellatschitj's-Platze belegen, der nach Jellatschitj's Standbild so heisst, war von innen eben so nett und saubor, als es sich von aussen präsentirte und hatte zudem noch den Vorzug, dass es nicht wie ein schräg gegenüberliegendes ein »nationales« oder eine *Gostinja« und auch kein Hotel erster Klasse war, wie zwei andere, wirklich prächtige Etahlissements, die weiter nach dem Jellatschitj's-Platze zu lagen. Hier muss ich den geneigten Leser um Verzeihung bitten, dass ich ihn nöthige, mit mir ein Hotel zweiter Klasse zu betreten, statt des im Allgemeinen Hilter schreibenden Touristen üblichen ersten der ersten Klasse. Ich huldige nun einmal der Ansicht, dass jede Herberge, die ich betrete, so lange ein Hotel erster Klasse ist, als ich mich in derselben aufhalte und ich sorge stets dafür, dass ich, wo es auch sei, wie ein Gast erster Klasse behandelt werde. Dies ist unstreitig anmaassend, aber auf Keisen im höchsten Grade zweckmässig und jedenfalls besser, als das Bestreben, in einem wildfremden Orte eine und dieselbe Leistung entweder doppelt so theucr als nöthig zu bezahlen und dabei nur für schweres Geld die zweideutige Achtung von Kellnern und die Anrede »Herr Baron« zu erkaufen oder in einem Hotel der ersten Klasse wie ein Gast der »dritten« behandelt zu werden. Wer auf Reisen in fremde Länder geht, muss sein persönliches Selhstbewusstsein vervierfachen, aber sich wrohl hüten, seinen nationalen Stolz irgendwie zu zeigen, denn durch ersteres macht er sich gefürchtet oder doch geachtet und hat es, unter Schonung seines Geldbeutels, überall gut; durch Hervorkehren des letzteren macht er sich verhasst und, was noch schlimmer ist, lächerlich. Man wies mir erst in dem Hotel meiner Wahl ein Zimmer mit zwei Betten an, doch lehnte ich dies ab und Hess mir ein solches daneben mit nur einem Bett geben, obwohl man mir versicherte, dass beide einen und denselben Preis hätten und ich in dem andern Gemache mir ein vorhergehendes Abstauben gefallen lassen müsse. Her Staub ist wirklich eine Plage Agrams und für saubere Hausfrauen und Wirthinnen eine Quelle der Sisyphusarbeit, so lange wie Hitze und Trockenheit sich verbinden. Mich begünstigte das Glück, indem bald nach meinem Einzüge der lange erwartete Regen sich einstellte und mit kurzon Unterbrechungen anhielt, leider auch bis zu dem Tage, da ich die türkische Grenze überschritt. Am Abende meiner Ankunft konnte ich die Stadt noch nicht besehen, weil ich zunächst das Erlebte niederschreiben wollte, deshalb beschränkte ich meine Beobachtungen auf das, was ich vom Fenster aus sehen konnte und trat erst am folgenden Tage zu verschiedenen Zeiten meine Fusswanderungen an. Obwohl Agram sonst den Eindruck einer südländischen Stadt macht, ist es doch weit davon entfernt, nach Sonnenuntergang den Eindruck einer solchen hervorzubringen, es ist dann vielmehr so todt und still wie eine norddeutsche Kleinstadt, nicht einmal die dort unvermeidlichen schäkernden oder liebelnden Gruppen von Dienstboten bemerkte ich. Auch ein rechtes Wirthshausleben hat nicht Statt, obwohl die glänzenden Speise- und Caffeesäle der Hotels bis 10 und 11 Uhr im hellsten Lichte erglänzen; dafür scheint jedoch ein gemüth-liches Familienleben die Oberhand zu haben. An den Speisetischen meines Hotels fand ich an beiden Abenden dieselben ältlichen Herren, welche sich indessen nicht lange aufhielten, und ihre Unterhaltung mit dem Leeron ihres Seidels Wein abbrachen. Sie sprachen Anfangs kroatisch mit einander, von dem Augenblicke an jedoch, da ich eine Frage an sie richtete, deutsch, und diese Rücksicht übten sie sogar am folgenden Abende, und selbst diejenigen, welche an einem benachbarten Tische sassen, bedienten sich dieser Sprache. Die Herren waren offenherzig und mittheilsam; dass Agram mehr deutsch als kroatisch war, bestritten sie, gaben aber zu, dass die meisten Einwohner unserer Sprache mächtig seien und dass das häufige Gehörtwerden derselben von dem Umstände herrühre, dass die zahlreichen Beamten und kaiserlichen Offiziere nebst deren Familien und sonstigen Angehörigen unter sich meistens deutsch sprächen und bei ihrem grossen Einiluss in dieser nichtindustriellen Stadt bestimmend auf die Geschäftsleute und sonstige Bürgerschaft einwirkten. Uebrigens wäre die deutsche Sprache in Agram und dem ganzen Croatien stets geachtet gewesen und die sprachliche, sowie überhaupt nationale Abneigung der Kroaten nur gegen das Ungarische zu Tage getreten. Dass am Bronnpunkte kroatischen Lebens zwar Politik getrieben, aber nicht sonderlich gekannegiessert wird, wage ich darum zu behaupten, weil ich während meines Aufenthaltes in Agram nirgends über die hochwichtige »Ausgleichs-Angelegenheit« oder die anderen bronnenden politischen Tagesfragen streiten hörte, vielmehr die Unterhaltung sich hauptsächlich um Leben und Ende des von mir am Galgen gesehenen Eäuber-anführors drehte. Auch in Sissek, woselbst ich mit einigen dort oder in der Miliairgrenze ansässigen Bürgern politische Gespräche anzufangen versuchte, ging man darauf nicht lebhaft ein und nannte die Bestrebungen und Erfolge der Ungarn einen »Schniarrn«, welche Bezeichnung man auch dem ungarisch-kroatischen Ausgleichungs - Verfahren anhing, doch schien mir letztere Auffassung etwas einseitig. Verschweigen will ich indessen nicht, dass ich in Agram und anderen Orten hinlängliche Gelegenheit zu politischer Unterhaltung und Belehrung fand, doch blieben mir die betreffenden gelehrten oder hochgestellten Herren meist dem Namen und Berufe nach unbekannt, sowie ich ihnen. Vorzüglich danke ich einem bejahrten agramischen Herren, den ich auf der dortigen Promenade traf, viel Auskunft und eine höchst angenehm verlebte Stunde. Der bezeichnete Herr schien auch mehr von dem schliesslichen Erfolge der südslavischen Bestrehungen überzeugt zu sein, auch die ungarischen vorurthoilsloser aufzufassen. Er gab mir die gewünschte Auskunft über die kroatischen, besonders die Agramer Unterrichts-Verhältnisse und gestand offen ein, dass es mit ersteren trotz aller Anstrengungen noch sehr im Argen läge, was die letzteren jedoch beträfe, so stände es mit ihnen ganz gut und wenn der Schulzwang nur etwas strenger gehandhabt würde, müssten die Erfolge auch mehr in die Augen springen, denn geboten wird der Agramer Jugend wirklich alles, was billiger Weise nur verlangt werden kann. Ueber die kroatischen Cultur - Verhältnisse licss sich der erwähnte Herr (und auch mehrere andere seiner Nationsgenossen t) sehr vorurtheilslos aus, indem er es beklagte, dass Kroatien darin noch sehr weit zurück sei und dass ich bei meiner Weiterreise dies wohl selber gewahren würde, wie auch geschehen, doch ist es immerhin ein Zeichen wahrer politischer Reife, wenn die Eingeborenen selber die vorhandenen Verhältnisse derartig richtig auffassen, statt sich nach Art der Tschechen und Ungarn mit eitler Selbsthespiegelung zu täuschen, darum darf man auch annehmen, dass die österreichischen Südslaven mit der Zeit doch dem Drucke der geschlossenen ungarischen Aristokratie erfolgreich widerstehen werden und davon haben wir Deutsche ja keinen Schaden. Eingehend um Politik bekümmern sich in jenen Ländern nur die zunächst Betheiligton, nämlich die kaiserlichen Offiziere und Beamten, denen die politischen Veränderungen beziehendlich Umwälzungen gradezu an das Leben oder mit anderen Worten an die Bedingungen ihrer bisherigen Existenz gehen, doch betheiligen sich diese Herren begreiflicherweise nicht an Agitationen, welch1 letzteres indessen, wie allgemein bekannt, die Gelehrten und verschiedene höhere Würdenträger der Kirche thun. Nun will ich aber dem geneigten Leser noch Einiges über Agram und das dortige Lehen mitthoilen. Die Agramor sind früh auf den Beinen, überstürzen sich aber deswegen nicht in ihren Verrichtungen, was so weit geht, dass viele Ladengeschäfte während der Mittagsstunden sogar gänzlich geschlossen werden, es fehlt auch den Handeltreibenden die neidische Gier und die fieberhafte Hast gegenüber den Käufern, dies erfuhr ich bei Gelegenheit mehrerer Einkäufe, indem mir die Leutchen bereitwillig ihre Concurrenten nannten, bei denen ich die gesuchten Gegenstände nach Wunsch bekommen würde, nachdem ich ihnen erklärt, dass die mir von ihnen vorgelegten nicht genügten; auch wurde ich nirgends übervortheilt, bei den Banquiers freilich in unverschämter Weise geprellt, was ich nicht verhindern konnte, indem ich gezwungen war, mir einen 6e Theil meiner Ducaten und Napoleons in alte Silberzwanziger umzuwechseln, da diese in Bosnien die gangbarste und beim gewöhnlichen Verkehr überall wechsolbare Münzsorte bilden. Oesterreich ist an sich schon das gelobte Land der Geldwechsler, Ungarn und seine Grenzländer aber das Eldorado derselben. In den letzgenannten sind die Banquiers durchgohends Israeliten und man hat sonach nicht einmal die Freiheit, zwischen der Scylla und Charybdis zu wählen. Dafür ist aber auch das schönste oder richtiger gesagt, das einzig schöne und zugleich grossartige Gebäude Agrams die neue Synagoge, welche aus dem Häusermeere hervorragend schon von Ferne den Blick fesselt. Hinsichtlich der irdischen Genüsse geben die Agramer den Wienern nichts nach — man isst und trinkt vortrefflich und zwar reichlich und häufig; da die Leutchen ausserdem grossen Sinn für Reinlichkeit und Ordnung haben, so kann man sich nicht wundern, dass man in Agram fast durchgehends nur wohlgekleidete Menschen von angenehmem Aeussern und ge-rnüthlichem, gefälligem Wesen sieht, selbst die dienende oder Arbeiterklasse macht hierin kaum hinsichtlich der Kleidung eine Ausnahme und beträgt sich so anständig", dass ich wohl wünschte, ihr Beispiel fände in den betreffenden hiesigen Klassen Nachahmung. Die städtische Bovölkerug unterscheidet sich äusserlich natürlich sehr scharf von der ländlichen, die ihre Eigenthümlichkeiten höchst naiv zur Schau trägt und zähe fest hält, worin sich besonders der weibliche Theil hervorthut, weshalb es erklärlich ist, dass die Domestiken, vorzüglich die der Wirthshäusor, fast nur aus Kramern und Slovenen ergänzt werden, soweit Stadtkinder dio Nachfrage nicht decken. Ein kroatisches oder serbisches Bauermädchen scheint meines Erachtens zu unbeholfen zum städtischen Dienst, dessen Bedürfnisse und Eigenheiten ihm überdies gänzlich fremd sind, es würde sich auch schwer von seiner nationalen Tracht trennen und hat es auch gar nicht nöthig, sein Brod ausserhalb des Heimathsdorfes oder auch nur ausserhalb der eigenen Familie zu suchen. Die socialen Zustände in den kroato - serbischen Ländern sind eine Verwirklichung der kühnsten Träume unserer Socialisten, es giebt dort weder eingeborene Knechte, noch Mägde, noch Bettler. Der einzige der letzteren Kategorie, den ich dort (in Petrinia) sah, war ein Fremder. Agram hat, wie es in der Natur der Sache liegt, gar keinen Pöbel, deshalb können Aeusserungen des Volkslehens, die hier nicht geduldet werden dürften, dort ruhig vor sich gehen. So sah ich einmal in den Strassen Agrams vier kroatische Frauen in ihrer unschönen Tracht, begleitet von zwei Männern, in einer Beihc dahinwandeln und von Zeit zu Zeit einen traurig klingenden Gesang anstimmen, der stets wiederholt wurde. Es schien sich hierbei um Erfüllung eines Gelübdes zu handeln, denn die Sänger schlugen den Weg nach der alten Domkirche ein, doch können sie eben so gut unter dem Einflüsse des Weines gestanden haben, denn die dortigen Frauen des Landvolkes haben im angetrunkenen Zustande eine hartnäckige Neigung zum Singen. Weder die Alten noch die Jungen nahmen Notiz von ihnen, nur einige Obst-Höker spöttelten über den komischen Aufzug und die Polizeisoldaten lächelten. Letztere schreiten nur da ein, wo dies nöthig ist; so sah ich einen Mann dieses Amtes mohrere Hertzegowiner und Bosniaken, die in ihrer malerischen Tracht, den Gürtel voller Hieb- und Schusswaffen, durch Stehenbleiben vor einem Laden den Bürgersteig für die Damen sperrten, ohne Weiteres auf den Damm vorweisen oder das Weitergehen anbefehlen, ein Geheiss, dem sie in ihrer phlegmatischen Weise nachkamen. Der Orient kündet seine Nähe in Agram durch vereinzelte seiner Kinder schon an, doch war es mir beim Anblick dieser Boten auffällig, dass dieselben in den österreichischen Staaten bis an die Zähne bewaffnet einherstolzirten, während die Eingeborenen nur nach Ertheilung eines Waffenpasses sich auf Keisen bewaffnen dürfen. Man sagte mir auf Befragen über diesen Umstand, dass die Regierung Rücksicht nähme auf die religiösen Gefühle der muhamedanischen Nachbarn, zu deren Religionsvorschriften es bekanntlich gehört, stets Waffen zu tragen. Diese zarte Rücksichtnahme auf eine banditenmässige Gewohnheit ärgerte mich und ich wunderte mich nur, dass den in Geschäften nach Oesterreich kommenden Türken nicht auch gestattet wird, ihrer Religionsvorschrlft im Punkte des Maltrai-tirens anderer Religionsbekenner auf österreichischem Boden nachzuleben. Hätte die Regierung des Kaiserstaates nicht viel eher die Verpflichtung, den wilden Nachbarn bei jeder Gelegenheit zu zeigen, dass sie im Gebiete der Civilisation sich nach deren Vorschriften zu richten haben und nach Verlassen der Türkei nur geduldete Barbaren sind? Ein solches Verfahren würde nach und nach den Hochmuth und Trotz der türkischen Grenzer etwas gedämpft und heilsame Rückwirkung auf ihr Benehmen daheim geübt haben. Wenn ich Eingangs sagte, dass Agram mehr den Eindruck einer deutschen als slavischen Stadt hervorbringt, so muss ich doch bemerken, dass die Namen der Strassen und Plätze*) nur in slavischer Sprache abgefasst sind; dieser Umstand erinnert den Deutschen daran, dass er sich nicht mehr im »Reiche« befindet; das bronzene Standbild Jellatschitj's hingegen ruft ihm eine Periode in's Godächtniss, die für die Freiheit der Slaven nicht minder als für die der Deutschen und Ungarn verhängnissvoll war. Der nationale Held reitet in Husarentracht auf einem vorwärts strebenden Pferde und weist mit dem Degen nach Norden, nach Ungarn. Jellatschitj war ein edler Mensch, der aber mit allen hervorragenden Männern das Verhängniss theilt, dass die Unthaten ihrer Untergebenen auf sie zurückfallen und ihnen, so lange es eine Geschichte geben wird, *) Sämmtliche slavische Wörter werden in meinem Buche nach deutscher Schreibweise ausgedrückt und ist sh wie das französische j in jeu auszusprechen; die Betonung deutet ein Accent, an. 6,6 hartnäckig ankleben. Die kroatischen Freischaaren hausten damals schlimm in Ungarn und vor Wien, so dass die Erinnerung an ihr Auftreten während des dreissigjährigen Krieges lehhaft aufgefrischt wurde, aber ihre vielbewundorten Gegner, die »ritterlichen« Ungarn, hausten noch weit unmenschlicher unter den wider sie »rehellirenden« Kroaten, Slovaken, Serben, Rumänen und siebenbürgischen Sachsen, ihre Schauderthaten fanden aber selten ein Echo in der deutschen und westindischen Presse, die in den Magyaren Märtyrer der Freiheit erblickte, während ihr Kampfesmotiv nicht blos Trennung von Oesterreich, sondern » historisch - berechtigte « Unterdrückung anderer Nationalitäten in sich schloss. Der an sich sehr gut-müthigo, geduldige und folgsame Kroato-Serbe hat nun einmal einen schlechten historischen Ruf und wird denselben so bald nicht verlieren, obwohl sich zu seiner milderen Beurtheilung-sehr viel vorbringen lässt, z. B. die völlige Unwissenheit, in der er bisher gehalten worden und sein Verhängniss, von jeher schlechte und nicht minder uneivilisirte Nachbarn gehabt zu haben; auch seine erste Berührung mit unseren Vorfahren, den unter fränkischer Hoheit stehenden Deutschen, war nicht geeignet, ihn emporzuheben, denn dass die fränkischen Statthalter das besiegte Volk entsetzlich misshandelten und dass ihre Krieger kroatische Kinder den Hunden vorwarfen, ist leider historisch verbürgt und sehr wohl glaubhaft. Die Greuel-thaten der Kroaten im dreissigjährigen Kriege wurden mit Wissen und Willen deutscher Heerführer verübt (denen neuerdings marmorne Standbilder in der Ruhmcshalle des Wiener Arsenals errichtet worden sind, während wir Gustav Adolfs Namen an die Spitze eines deutschon Vereins stellen!) und übertrafen keinesweges das, was Deutsche und Schweden in unserem unglücklichen Lande damals leisteten, ja die Chroniken norddeutscher Städte belehren uns dahin, dass unsere Vorfahren noch vor der eben genannten Periode der Entfesselung menschlicher Wildheit bei adeligen oder kirchlichen Fehden Aergeres an den Besiegten verübten, als zur Zeit des dreissigjährigen Krieges, und ist das, was die Bai ern noch vor 60 Jahren unter ihrem »edlen« Wrede in Tyrol thaten, nicht das Entsetzlichste, was Menschen gegen Menschen verüben konnten? Wie führten sich überhaupt diese deutschen Brüder sammt Württembergern und Nassauern im Gefolge der französischen Horden Bonaparte's in Preussen und den mit ihm niedergeworfenen Ländern auf und wie grauenhaft hausten die »aufgeklärten, an der Spitze der Civilisation einherschreitenden« Franzosen in Lübeck, woselbst sie nicht blos ehrbare Frauen und Jungfrauen bis zum Tode schändeten, sondern in ihrer bestialischen Gier sich sogar an den unglücklichen Bewohnerinnen des Irrenhauses vergriffen! Es mag für gewisse Zwecke praktisch sein, nationale Vorurtheile zu erhalten, Sache des unabhängigen Schriftstellers ist es jedoch, dieselben zu durchbrechen und niederzureissen; ich wage daher auf Grund meiner nicht blos in der Stadt Agram gemachten Beobachtungen zu behaupten, dass die Kroato-Serbon, wenn ihnen erst europäische Bildung und Aufklärung allgemein zugänglich gemacht worden ist, sich im Kriege eben so human und anständig betragen werden, wie die deutschen Soldaten unserer Tage. Es ist eine geistig hochbegabte und nicht blos körperlich schöne Nation, die sich zu allem Guten und Schönen entwickeln wird, wenn sie erst in die rechten Hände kommt und ernstlich zum Guten geleitet wTerden soll, was bisher aus politischen Gründen nicht geschah, musste doch ihr Jellatschitj auch am gebrochenen Herzen sterben, weil das, was er im Namen Oesterreichs versprochen, nicht gehalten wurde. Dass im Charakter des in Bede stehenden Volkes mehr Anlage zum Edlen als zum Gemeinen liegt, kann schon aus dem Umstände erhellen, dass seine Angehörigen zwar häufig zur Bäuberei, aber nicht zum Diohstahl geneigt sind, der nur ausnahmsweise vorkommt und allgemeine Verachtung findet; mir ist unter den Slaven diesseits und jenseits der Save nicht eine Stecknadel weggekommen, obwohl sich zum Stehlen mehrfach Gelegenheit bot. Wie störend die Befangenheit in dem bekannton nationalen Vor-urtheile ist, fühlte ich am stärksten, wenn mir ein hochgebildeter Ehrenmann sagte, er sei ein Kroat, oder eine bildschöne, feine Frau sich als Kroatin »bekannte«. Ich hatte bei solchen Veranlassungen Mühe, eine Ueberraschung zu verbergen, deren Fühlenlassen doch den gesellschaftlichen Tact verletzt haben würde. Auch der in unserer Poesie verherrlichte Shrini, der in Schigeth den Leonidas-Tod mit den Seinen gegen die Türken starb, war ein Kroat, kein Ungar, wozu ihn unsere Poesie gemacht hat! — Der Kroat der besseren Stände entwickelt stets ein ernstes wissenschaftliches Streben und ist zum Nachdenken geneigt, leider wird die studirende Jugend im Kampfe um die Eigenheit ihres Volkes seit längerer Zeit in einen Strudel gerissen, der ernster Arbeit nicht günstig ist und sie oft zu dem Streben verlockt, auf bequemer politischer Laufbahn Früchte zu pflücken, die nur der Lohn lange vorhergehender ausdauernder und stiller Geistesarbeit sein sollten, doch wird sich auch dies vielleicht noch zum Bessern wenden. Der gemeine Kroato - Serbe ist zu sorglos zum Nachdenken, doch schützt ihn sein gesunder Verstand vor nahe liegenden Uebervortheilungen und hilft ihm meistens über die Klippen hinweg, die mangelnde Schulbildung erzeugt. Er ist so pfiffig, dass man ihm nur die Hälfte dessen zu sagen braucht, was man von ihm will, da er den Best schon erräth; dabei ist er dienstwillig und gegen Höherstehende bescheiden und sogar unterwürfig, wobei ihm soin Instinct mit merkwürdiger Sicherheit eine richtige Beurtheilung der Person, eine Unterscheidung des Mannes von dem Bocke lehrt, denn man darf nicht glauhon, dass er etwa jeden städtisch feingekleideton Mann, der ihm begegnet, für etwas Grosses ansieht. Einen schlimmen Fehler hat er insofern, als man ihm stets imponiren muss und er lieber einem Befohle als gütlichem Zureden gehorcht, welch letzteres er leicht für ein Bekenntniss der Schwäche hält. Wo ich unter den bosnischen Kroate- - Serben so auftrat, als ob ich jeden für meinen Diener hielt, wurde ich mit den Leuten immer gut fertig, vergass ich dies einmal, dann stiess ich sofort auf Schwierigkeiten oder Verdriesslichkeiten. Das Zusammenziehen der Kroaten und Serben in »Kroato - Serben« rechtfertigt sich durch die grosse, kaum von einander zu trennende Aehnlichkeit beider Stämme in Sprache und Charakter, doch lässt sich im Allgemeinen sagen, dass der Serbe leichter aufbraust, dafür aber in seinem Zorne mit Worten ausreicht, wohingegen der Kroat weniger leicht auflodert, jedoch eher zu Thätlichkeiten schreitet. Dass der Serbe, der mit unerschütterlicher Treue und Opferfähigkeit seinem orthodoxen (griechischen) Religionsbekenntnisse anhängt, toleranter ist als der Kroat, mag wohl von seiner Religion herrühren, eben so wie der stärkere Fanatismus und die mehr erkennbare Neigung zur Unduldsamkeit beim Kroaten vielleicht nur seiner katholischen Religion und dem klerikalen Einflüsse zuzuschreiben sein dürfte. Doch ist es damit auch noch lange nicht so schlimm, wie bei. anderen starr katholischen Völkern, z. B. in gewissen Gegenden Deutschlands. In Agram merkte ich wonig von der allein seeligmachenden Kirche, nur in einem versteckt gelegenen Durchgange in der Nähe der alten Domkirche sah ich etwas von dem uns Protestanten unverständlichen Marien- und Heiligen-Cultus, indem dort in einer vergitterten Nische ein Altar mit brennenden Lampen und unschönen Figuren in menschlicher Kleidung und Flitterputz zu sehen war; auf dem flachen Lande und in den kleinen Städtchen sah ich natürlich mehr von diesen nichtprotestantischen Glaubenssymbolen. Die Agramer Domkirche ist übrigens ein Beweis dafür, dass die gläubigen Kroaten für ihren Cultus nicht allzutief in den Beutel greifen mögen, denn dies alte, merkwürdige Bauwerk befindet sich in einem recht, verfallenen Zustande, der durch einzelne barbarische Benovations-Tersnche im kleinen Maassstabe nur noch auffälliger hervortritt. Das an Liegenschaften überreiche Domstift hat zwar sehr viele Mittel zur Unterhaltung der nationalen Agitation aufgewendet, aber nichts für das ihm näher liegende Ziel der würdigen Erhaltung seines Kirchengebäudes, und ich denke mir, dass es zu einer mit Ahlass verbundenen Kirchonbau-Collecte nur deshalb nicht schreitet, weil es sich von derselben nicht viel verspricht und das Nachdenken, beziehendlich Nachrechnen der zwar unwissenden aber pfiffigen Bauern durch solchen Schritt anzuregen fürchtet. Der Morgen, an welchem ich die freundliche Hauptstadt Kroatiens verliess, war unfreundlich und durch einen nebelartigen Bogen verdüstert, doch war meine Stimmung desto freudiger und klarer, denn ich sollte ja nunmehr meinem eigentlichen Beiseziole, der Türkei, näher rücken. Von Ungeduld getrieben verliess ich das gastliche Hotel viel zu früh, um mich auf den Weg nach dem entlegenen Bahnhofe zu machen, den ich fast eine Dreiviertel-Stunde vor Abgang des Sisscker Zuges erreichte und daher vollauf Zeit hatte, durch Betrachten der dort versammelten, sowie der ab- und zugebenden Personen den Unterschied von Cultur und Halbcultur zu studiren. Es macht wirklich einen höchst sonderbaren Eindruck, Herren und Damen, die genau so gekleidet sind, wie die wohlhabenden Leute bei uns, inmitten kroatischer Landleute und Dienstboten sich so unbefangen bewegen zu sehen, wie etwa wir uns unter unseren Bauern auf einem Wochenmarkte zu bewegen pflegen. Wie hei meiner Verwunderung das von Hause mitgebrachte Vorurtheil gegen die Kroaten die Hauptrolle spielte, brauche ich wohl nicht mehr zu betonen. Dass die slavischen Inschriften und Placate auf den Bahnhöfen eine unnütze Decoration sind, davon hatte ich Gelegenheit, mich auf Das ist ein Zigeunerlager !« rief mir mein kleiner Kutscher zu, indem er sich nach mir umwandte. Vergebens sah ich mich nun nach den Zigeunern um, denn ich hatte mir bisher immer vorgestellt, dass ein Zigeunerlager ohne eine krabbelnde und lärmende Kinderschaar, untermischt mit bellenden Hunden, gar nicht denkbar wäre. Nichts von dem war zu sehen, doch wies der Knabe, nachdem ich mein Befremden hierüber ausgesprochen, mit seiner Peitsche auf ein Menschenpaar hin, das vor uns am Wege hockte, indem er sagte, dass dies Zigeuner seien, die anderen aber in der Stadt und in den umliegenden Dörfern wären, um dem Bettel nachzugehen. Da ich so viel von der unverschämten Aufdringlichkeit österreichischer Zigeuner gehört hatte, legte ich mein Gesicht in Palten, wie der Corporal, der mich als Eecruten unter den Händen gehabt, zu thun pflegte, wenn er »still gestanden« commandirt hatte und sah das gelbe Paar dabei forschend an; es stand auf, grüsste uns, aber rührte sich nicht vom Flecke. »Das war wieder einmal zu scharf geurtheilt«, dachte ich. Meine Begleiterin drückte ihre Verwunderung darüber aus, dass die Grenzer eine Pferdeheerde so nahe bei dem Diebeslager weiden liesson, der Bursche belehrte sie indessen: »In der Grenz1, wissen die Zigeuner, müssen's sich in Acht nehmen, denn da herrscht's Standrecht, und die Grenzer geben auch zu sehr auf ihre Pferd' Obacht; kam' eins fort, dann würd1 die ganze Band angehalten und vor's Gericht gestellt!« Merkwürdig ist, dass diesen verachteten Zigeunern bei den Kroato - Serben der kindlichen Unbefangenheit zu Liebe die Rolle übertragen wird, welche man bei uns dem Klapperstorche zuschreibt, denn wenn unter den dortigen Leuten die Kinder durch die Ankunft eines neuen Geschwisterchens erfreut werden, wird ihnen auf Befragen nach der Herkunft des Ankömmlings der Bescheid: Die Mutter habe es von einer Zigeunerin gekauft. Rationoller ist diese interimistische Belehrung allerdings als die vom Klapperstorche, sie hat sogar einen versöhnenden, humanen Zug, doch gefällt sie mir nicht so gut wie unsere Storchsage, die unbedingt das Sinnigste und Poesievollste ist, was es auf der Welt giebt und unserer Nation sehr zur Zierde gereicht. Bald sahen wir das freundliche Petrinia einladend im Thale vor uns liegen und hurtig jagte unser Gespann hinab und hinein. Das Städtchen, welches 4000 Einwohner zählen kann, ist ziemlich weitläufig gebaut, doch keineswegs unregelmässig. Eine grosse von Osten nach Westen hindurchziehende Gasse, die Kanisha-Gasse genannt, macht sich besonders als Hauptador geltend und wird in der Mitte von einem sehr geräumigen Marktplatze, auf dem die grosse katholische Kirche steht, in zwei ungleiche Strecken getheilt; in der westlich von diesem Platze gelegenen Strecke wird sie von dem tief eingeschnittenen Bette des von Süden kommenden gewöhnlich seichten Petrinia-Bachos unterbrochen, über welches eine sehr feste Holzbrücke führt. Der Marktplatz und seine nächste Umgebung weist, als Wohnort der befehlenden und der wohlhabenden Klasse, ausschliesslich zweistöckige steinerne, recht hübsche Gebäude auf; theilweise thut dies auch eine nach Süden und eine nach Osten führende Gasse, vereinzelt kommen solche auch noch, theils als ärarische, theils als Krämerhäuser (sogenannte Gewölbe) unter den Grenzerhäusern vor. Die griechische, etwas minder stattliche Kirche, liegt nicht auf einem freien Platze wie ihre katholische Schwester, sondern auf einem engen Friedhofe in einer der östlichen Gassen. Die Hauptwache nebst Arrestlokal liegt ebenfalls unmittelbar am Marktplatze und unforn davon die kleine Stammkaserne, beide an der Nordseite, woselbst auch, und zwar an der Ecke der Kanisha, mit voller Aussicht auf den Platz und zwei Gassen, sich das Wirthshaus zum goldenen Löwen befindet, das Local des Offizierkasino's und mein Wohn- ort während meines Aufenthalts in der Stadt. Hervorzuheben ist noch, dass in Petrinia sowohl als in allen bedeutenderen Ortschaften der Militairgrenze die Namen der Strassen, öffentlichen Gebäude, Plätze und der Orte selbst in deutscher und in serbischer Sprache angeschlagen sind; an die prOussische Heimath erinnerten mich die Tafeln, welche dort in und bei jeder Ortschaft grade wie bei uns zu finden sind und über das mili-tairische Verhältniss der Einwohnerschaft Aufschlnss geben. Hie Bevölkerung Petrinia's sowie die aller Grenzerstädte und grösseren Dörfer zerfällt in zwei auffällig geschiedene Klassen — in Civilisten. und Soldaten, von denen die letzteren durchweg Grenzer genannt werden und, bis auf die Offiziere, wohl ohne Ausnahme Bauern sind, da sich Handwerk und Handel weder mit ihren Neigungen noch mit ihren kriegerischen Pflichten verträgt. Die Civilisten sind Finanz-, d. h. Zoll-Beamte, Geistliehe, Apotheker, Lehrer, Handwerker, Gastwirtho, Kaufleute, Pächter etc.; sie haben sich theils von selber eingefunden , theils wurden sie von der Begierung in das Land gerufen, was, selbstverständlich hinsichtlich der Beamten und sonstigen Angestellten, heute noch geschieht. Der geneigte Leser gestatte mir zum leichteren Verständniss meiner weiteren Mittheilungen hier gleich einige allgemeinere Bemerkungen: Die Militairgrenze ist 100 oder noch mehr Meilen lang und 2 — 10 Meilen breit, ihre Breite ist nämlich immer da am grösston, woselbst sie an localen oder sogenannten strategischen Schwächen leidet, d. h. entweder ohne Hinterland ist, wie im dalmatinischen Theile — der sich mit dem Bücken gegen das Meor kehrt und eine Winkelstellung zum Ganzen einnimmt — oder enfilirt werden kann, wie der banatische Theil, der ebenfalls eine Winkelstellung bildet und deshalb im westlichen Schenkel von der Walachei und im östlichen von Serbien aus flan-kirt wird. Die Errichtung des Militair-Instituts der »Grenze« datirt aus der Zeit der Türkenkriege und nahm ihren Anfang schon unter König Sigismund von Ungarn; sie hatte den Zweck, die österreichischen Länder gegen Einschleppen der Pest und gegen die räuberischen Einfälle der türkischen Nachbarn in Friedenszeit zu schützen und, im Falle eines Krieges, gleich eine schlagfertige Masse unmittelbar an der Grenze beisammen zu haben, die stark genug war, die ersten, schnell erfolgenden Anfälle des Feindes bis zum Eintreffen der aus dem Innern kommenden österreichischen Heere aufzuhalten. Um ihren Zweck im Frieden zu erfüllen, nmssten die Grenzer Wachtdienste in Wachthäuscrn thun, welche dicht an der türkischen Grenze in Signalschussweite von einander entfernt errichtet wurden; diese Einrichtung besteht heute noch und ist die schlimmste und einzige Plage der Grenzer, denn sie reisst den Mann immer auf acht Tage aus seinem bürgerlichen Verhältniss und dient zur Entschuldigung für Nichtsthun und Nichtvorwärtskommen, gab auch den Leuten, da ihnen bis vor Kurzem die Zollwache ebenfalls übertragen war, viele Veranlassung zum Treubruch durch Uebereinkommen mit Schmugglern. Der Sicherheits-Wacht-dienst ist überhaupt auf etwa 90 Meilen von den 100 der Grenze völlig überflüssig und gegenstandslos, nur auf der trockenen Strecke zwischen den bosnischen Orten Novi und Rihatsch in der Kräina hat noch eine beiderseitige Bewachung der Grenze Sinn, weil dort von diesseits und jenseits beständig Räuber übertreten, um im fremden Lande Ungesetzlichkeiten zu begehen oder sich der Verfolgung von Seiten der eigenen Landesjustiz zu entziehen. Dieser bosnische, in das österreichische Gebiet hineinragende Zipfel Landes hat für den Kaiserstaat eine ganz merkwürdige cultur- und staatsfeindliche Mission, so dass es unbegreiflich bleibt, wie Oesterreich es versäumen konnte, sich um jeden Preis in den Besitz dieses Keils zu setzen, der sein adriatisches Gebiet vom Ganzen abspaltet und letzteres selber schwächt; zu seiner Erwerbung auf friedlichem Wege dürfte noch in diesem Augenblicke Zeit sein, wenn Oesterreich das Narenta-Mündungsgebiet im Austausche an die Türkei geben wollte, worüber später noch Näheres. Die 14 Infanterie - Regimentsbezirke einschliesslich eines Tschajkisten - oder Flottillen-Bataillons der Grenze sind in zwei Haupttheile geschieden, in den Kroatisch - Slavonischen westlichen und den Serbisch-Banatischen östlichen, beido durch die Donau getrennt. In denjenigen Districten des Banats, welche an die Walachei grenzen, wohnen WTalachen, in allen übrigen von Osten nach Westen bis Petrinia und Novi sind Serben ausschliesslich oder überwiegend sesshaft; den Best des Westens nehmen kroatische Stämme ein, darunter Oguliner, Likaner und Morlaken. Die Mehrzahl der Vorfahren dieser Grenzer waren Flüchtlinge, grösstenteils serbischen Stammes, welche ihr Lehen und ihre Freiheit vor den Türkon dadurch retteten, dass sie sich nach Oesterreich wandten, dort gastliche Aufnahme fanden und dafür die neue Heimath im unablässigen Kampfe gegen Türken und andere Beichsfeinde aufopfernd vertheidigton. Sie sind im vollsten Sinne des Wortes Helden und Söhne von Helden, dabei von einer Treue und Hingebung für das Kaiserhaus erfüllt, wie solche kaum in den anderen Provinzen des weiten Reiches zu finden sein dürfte, es wäre daher ehier der unklugsten Schritte der gemeinsamen Regierung, wenn sie wirklich — wie von allen Seiten verlautet — diesen Wall von 100,000 tapferen und kriegsgeübten Männern auflösen wollte. Eine zeitgemässe Rcformirung des Grenzer-Instituts ist allerdings geboten und scheint zur Fhreichung grosser Resultate keinesweges so schwierig zu sein. Als besonderes Hommniss der materiellen Entwicklung der Grenzer wurde mir der unter ihnen herrschende Communismus bezeichnet, der allerdings ganz im serbischen Charakter liegt, aber bei Gründung des Instituts von der Staatsgewalt nicht blos sanctionirt, sondern in feste, durch Gesetz geheiligte Formen gebracht wurde, auf denen die Existenz der Grenze beruhte. Es herrscht nämlich unter den Grenzern ein für unsere Verhältnisse fast unbegreiflicher Familienverband, indem stets eine mehr oder minder grosse Zahl von Mäuneru nebst ihren Frauen und Kindern einen Haus- stand bilden, in den mitunter sogar nicht blutsverwandte Leute eintreten; dieser Hausstand wird von einem Hausvater und einer Hausmutter, als Oberhäuptern, regiert, doch ist Vater und Mutter nicht immer ein Ehepaar, da bei Uebertragung und Uebernahme der Würde nur Ansehen, Befähigung und Vertrauen entscheidet. Ein solcher Hausstand sitzt auf einer Parzelc (deren es circa 120,000 geben soll), die zum kleineren Theile aus unverkäuflichem, zum grösseren aus verkäuflichem Boden besteht, aber in jeder Hinsicht und mit allem, was zu derselben gehört, als Viehstand, Acker- und Hausrath, Gebäuden etc., gemeinsamer Besitz aller Mitglieder dos Hausstandes ist, so dass nichts ohne Einwilligung Aller verkauft oder vertauscht werden kann, auch der ganze daraus gezogene Erwerb ein gemeinsamer bleibt. Dass diese Einrichtung nicht blos ideale, sondern auch practische Vorzüge bietet, liegt auf der Hand, sie verhindert u. A. die Bildung eines ländlichen Proletariats, das Vorkommen von Knechten und Mägden etc., doch hat sie den schlimmen Fehler, Strebsamkeit des Einzelnen, überhaupt Entfaltung der Einzelkraft zu sehr zu hemmen. Trotz des Communismus ist der Wohlstand der Grenzer kein gleichmässigor mehr, da sich die Verschiedenartigkeit der Individualitäten schon seit langer Zeit innerhalb der Hausverhände geltend zu machen wusste, indem der eine »Bruder« seinen Gewinnantheil verthat, der andere davon ersparte, der eine sich ein wohlhabendes, der andere ein besitzloses Mädchen zur Frau nahm, von manchem Hausstande Ueberland verkauft und von Mitgliedern anderer Hausstände angekauft wurde, auch Parzelirungen innerhalb der Familien vorkamen und zu Abpachtungen unter einander führten, wobei dann natürlich der fleissigere Pächter den trägen Verpächter im Wohlstande überholte, abgesehen von anderen Ursachen. Der Communismus hatte den schönen Zweck, die ;luf der Kriegsfährte befindlichen Mitglieder der Gemeinschaft vor materiellen Einbusson zu schützen und, im Falle ihres Todes, ihren Hinterbliebenen den Verlust des Ernährers und Beschützers vollkommen zu ersetzen; letzteres hatte -wieder zur Folge, dass der in den Kampf ziehende Grenzer mit einer Aufopferung ohne Gleichen sein Lehen jeden Augenblick hinzugehen bereit war. Diese schönen Ziele lassen sich jetzt, da die Kriege zu den Ausnahmefällen und nicht zur Begel gehören, auch der Fricdenswachtdienst völlig überflüssig geworden ist, auf andere Weise erreichen, z. B. dadurch, dass man die Gemeindeverfassung noch weiter ausbildet und ihr grösseren Spielraum gewährt, gewisse Ländoreien aus dem gemeinsamen Steuerverbande ausscheidet oder in Erbpacht giebt, um Fonds zur Kriegsentschädigung, Pensionirung etc. der einzelnen Soldaten und ihrer Familien zu gewinnen. Schreitet die materielle Cultur und Ent-wickelung der Grenze erst weiter fort, dann wird auch die Stellung des Weihes dort eine andere werden und aufhören, die Kriegslast minder fühlbar zu machen, als in cultivirteu Ländern — so lange nämlich jetzt in der Grenze Mann und Weib beisammen sind, theilen sie sich in die Arbeit, sind aber die Männer fort, dann übernehmen die Weiber die ganze Land- und Hausbestellung allein, wobei ihnen allerdings der militairfreie Hausvater und der eine ihm dienstfrei gelassene männliche Gehülfe tüchtig beisteht; es ist nämlich nicht joder männliche Grenzer zwischen 20 und 40 Jahren Soldat, sondern nur durchschnittlich einer von dreien, was aber doch bei einer kornigen Bevölkerung von circa 1,200,000 Seelen ein anständiges Sümmchen Krieger ergiebt. Die Verwaltung der Grenze und alle ihre Institutionen stehen direct unter dem Kriegsministerium und befinden sich dem entsprechend in militairischen Händen. Auch die Leitung und Beaufsichtigung der Schulen (welche letzteren sich hierbei wenigstens nicht schlechter stehen, als wenn sie in den Händen von Geistlichen oder Gevatter Handschuhmacher und Schneider wären) gehört den Militairs. Unkundige Schreiher haben bei Erwähnung dieses Umstandes gewöhnlich nicht umhin gekonnt, ihrer Entrüstung durch eine billige Phrase oder durch ein Aus- rufungszeichen in Klammern (!) Luft zu machen; diese Herren wissen allerdings nicht, dass die betreffenden Stabsoffiziere und Generale, denen die Beaufsichtigung der höheren Schulen obliegt, gebildete, oft sogar gelehrte Leute sind, die ausserdem vor vielen den Verzug des militairischen Blickes voraus haben, der bekanntlich leicht und sicher ermittelt, wer der Feind ist, wo er steckt und wie ihm beizukommen ist — im vorliegenden Falle der Dummheit und Unwissenheit. Das Grenzer-Offizier-Corps wird überhaupt bei uns und selbst in Oestorreich wunderlich beurtheilt; ich für meinen Theil muss gestehen, dass die Unterhaltung mit diesen Herren mir die genussreichsten Stunden bereitet hat und habe ich nur selten flache oder gedankenlose Menschen unter ihnen gefunden, wrohl aber sehr viele gesellschaftlich fein gebildete und wissenschaftlich gediegene Ehrenmänner, die durchgohends ein offenes Auge für die Mängel des Landes hatten und ernstlich darüber nachdachton, wie denselben abzuhelfen sei; es ist nämlich zu beachten, dass die Grenzer-Offiziere alles nur Mögliche sein müssen — Befehlshaber, Lehrer, Erzieher, Kathgeher, Oekonomen otc. der Grenzer, und sie sind nicht hlos für die Ordnung, sondern ge-wissermaassen sogar für das Gedeihen ihrer Untergebenen und des Grenzgebietes haftbar und das will viel sagen gegenüber von Leuten, die im Allgemeinen sorglos in den Tag hinein leben, weil ihnen alles in den Mund wächst, denn die Fruchtbarkeit des Landes ist unglaublich, besonders im slavonischen und banatischeu Theile, doch wird auch im Kroatischen der Boden nur selten gedüngt, mit Ausnahme der kleinen eingehegten Parzelen mit Zwiebeln, Paprika etc., die man Gärten 21 nennen belieht, und der Maisfelder. Sorglos trinkt der Bauer seinen selbstgebauten kostbaren Wein (von dem jedes Dorf eine andere Sorte erzeugt), bis der reichliche Vorrath verbraucht ist, dann greift er eben so sorglos und ausschliesslich zum Sliwowitz oder Pflaumenbranntwein, den er ebenfalls selber und in kolossalen Massen erzeugt, aber nur bis zu 6 Procent Stärke bringt, da ihm die Quantität höher gilt als die Qualität; gedankenlos greift er in seinen Vorrath von Mais und Weizen, kocht sich schmackhaften Brei und bäckt sich leckere Kuchen daraus; die köstlichen Wasser- und Zuckermelonen, Gurken und Kürbisse, die er nur so nebonher in die Maisfelder pflanzt, verbraucht er gleichfalls, wenn ihre Zeit gekommen ist, ohne sich Sorge zu machen, woher neue kommen sollen; ist die Zeit des Viehschlachtens eingetreten, dann werden Schweine, Schafe und Binder geschlachtet, ein kleiner Theil des Fleisches gesalzen, der grössere geselcht (an der Luft getrocknet, wie auf den Färoern); langt es nicht aus, dann wird das erste das beste Stück abgestochen und verzehrt; Milch, Käse, Fett, junge Hähne und Fische nebenher verspeist, kurzum ein Schlaraffenleben geführt, wie es bei uns kaum der besser situirte Bürger, geschweige denn der zur Sparsamkeit gezwungene Landmann haben kann. Kommt dann einmal Misswachs, dann ist freilich guter Rath theuer, indem der sorglose Bauer auf solchen nicht eingerichtet ist, es ist ja genug, wenn sich seine Offiziere darüber vorher Kopfzerbrechen machen, wie z. B. zur Zeit meiner Anwesenheit über den vielen Regen. Das Leben der Grenzer-Offiziere wird von diesen selber sehr verschiedenartig beurtheilt, es hat auch einige Schattenseiten, doch glaube ich behaupten zu dürfen, dass seine Annehmlichkeiten die Unannehmlichkeiten weitaus überwiegen und dass diejenigen Herren, denen es nicht recht gefällt, den grössten Theil der Schuld selber tragen. Ich gebe nur einen wirklichen Uebolstand zu, nämlich denjenigen, dass die Erziehung von Offiziers-Töchtern oft mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist, da diese jungen Damen, wenn der Vater nicht den Rang eines Stabs-Offiziers erreicht hat, der ihm nur bedeutende Orte zur Garnison anweist, oft in den unbedeutenderen Flecken und Dörfern auf einen sehr kleinen Umgangskreis beschränkt sind und in solchem höhere Lehrkräfte für Damen schwierig zu beschaffen und etwas kostspielig zu sein pflegen, doch müssen die Herren Väter wohl immer Eath schaffen, denn dio Töchterchen sind nicht blos wohlerzogen, sondern auch hinreichend gebildet, was jedenfalls besser ist, als überbildet. Diejenigen Herren, welche keine ärarische Wohnung haben, wohnen mitunter nicht vom Besten, da die Zimmer in Miethshäusern meistens sehr niedrig und eng sind und Fenster von nur vier Scheiben haben, doch sind sie dafür auch nicht zu theuer und die Betreffenden sind in der Begel noch ledige Leute, die doch mehr im Wirthshause und bei anderen Familien verkehren, als sich in eigener Behausung aufhalten. Die Wohnungen in den ärarischen Häusern (d. h. den Staatsgebäuden) sind in jeder Hinsicht vortrefflich. Das Leben ist billig und in den Wirths-häusorn sind Taxen vorgeschrieben, nach denen auf Dienstreisen befindliche Offiziere und Militairbeamto für ihre Bowirthung zu zahlen haben. Dieso beständigen Dienstreisen sind allerdings lästig und besonders für die höheren Chargen und für Ver-heirathote kostspielig, trotz der hilligen Taxen, sie werden sich aber vermindern, wenn der Cordondienst erst aufgehört hat, was ja zu erwarten ist. Die Abgeschlossenheit von der grossen gebildeton Welt und deren Vergnügungen ist auch für manchen sehr drückend, doch können sich hierüber, nach meiner Meinung, auch nur diejenigen bitter beklagen, welche in einem kleinen Dorfe garnisoniren, woselbst sie freilich oftmals gar keinen einzigen Menschen zum passenden Umgang haben — solche Herren sollten aber die Leere, welche sie mit Jagd, Dienst- und Besuchs - Ausflügen nicht ausfüllen können, mit ernsten Studien vertreiben. In den grösseren Orten herrscht ein inniges Familienleben zwischen den Offizieren, deren Angehörigen und den besser gestellten Civilisten, welches um so behaglicher ist, als die Toilette-Anforderungen von keiner Seito zu hoch geschraubt werden, der Offizier also nicht nöthig hat (wie bei uns in dem kleinsten Neste), sich unnütze Ausgaben in dieser Hinsicht aufzulegen. Wo die Zahl der Offiziere und gebildeten Civilisten es irgend erlaubt, da werden Offizier- Gasinos gegründet, in denen ein heiterer, geselliger Ton herrscht, wie z. B. in Petrinia. Ich habe das Statut des dortigen Casino's eingesehen und bedaure nur, keine Copie von demselben zu haben, da ich dasselbe allen Exclusiven diesseits des Mains als Medicin vor Augen halten möchte. Als Hauptzweck desselben wurde geistige Erholung angegeben und die einzige Bevorzugung, welche sich der Militairstand vorbehalten hatte, war die Zusammensetzung des Vorstandes. Ich fand in seinen Bäumen (im goldenen Löwen) eine ansehnliche Zahl von freisinnigen politischen, technischen uud illustrirten Zeitungen auf den Lesetischen ausgebreitet, während die älteren Jahrgänge wohlgeordnet in und auf Schränken aufgesehichtot waren. In kleineren Plätzen, wie in Kostajnitza, müssen sich die Offiziere allerdings mit weniger begnügen und abonniren blos auf zwei oder drei politische Zeitungen, wozu gewöhnlich einige Beamte oder Bürger noch beitragen. Für Jagdliebhaber unter den Herren ist die Grenze das Paradies, und sie liegen dem Waidwerke oft so rücksichtslos ob, dass sie sich dabei das bösartige Sumpffieber holen. Hinsichtlich der Bedienung haben die Offiziere mitunter Schwierigkeiten, da in der Grenze kein Burschenzwang stattfindet wie bei uns, woselbst bekanntlich, wenn ein Offizier keinen freiwilligen Burschen findet, alle 24 Stunden der erste der beste Mann aus der Compagnie zum Stiefelputzen, Kleiderre inigen etc. heim Herrn Lieutenant com-mandirt werden kann. Die Grenzer-Offiziere müssen sich einen Burschen unter der nicht im Dienste befindlichen Mannschaft miethen, ihm Lohn, Kost und Wohnung geben und ausserdem bei guter Laune erhalten, damit er nicht nach wenigen Tagen den Dienst aufkündigt. Zwangsmittel werden niemals angewendet, weil dies Aergerniss anrichten würde und es den Herren immer darum zu thun ist, mit ihren Untergebenen und der Bevölkerung überhaupt im guten Einvernehmen zu leben. Das Miethen eines Burschen wird noch dadurch besonders erschwert, dass die jungen Männer fast immer verheirathot sind. Es bleibt mir noch übrig, ein Wort über die dortigen Offiziers-Ehen zu sagen. Bisher war es G-esetz, dass keiner, der nicht den Hauptmannsrang erreicht hatte, ohne Nachweis eines Besitzes von 6000 Gulden heirathen durfte; es sollte diese Beschränkung hauptsächlich dorn Staato eine Sicherheit gegen zu häufig werdende Wittwen - Pensionen gewähren. Sie soll jedoch, wie ich hörte, aufgehoben worden, da sie sich als nutzlos, ja schädlich erweist und mitunter dadurch umgangen ist, dass Männer in reiferen Jahren, die aus dem Untoroffiziers-stande zum Bange eines Lieutenants aufrückten (was dort häufig geschieht), schon geehelicht hatten; überdies waren diejenigen, welche durch ihren Bang Heirathsfroiheit hesassen, in ihrer Wahl mitunter etwas eigensinnig und sahen mehr auf Schönheit und sonstige weihliche Zierden, die dort leicht zu haben sind, als auf Geld, welches sich seltener vorfindet, so dass reiche Offiziers-Familien in der Grenze trotz aller Vorsorge nicht sehr häufig sind, ein Umstand, über den Leute, die nicht zum Offiziersstande gehören, bisweilen verstohlen Glossen machen; ich muss indessen gestehon, dass die Damen unbemittelter Subaltern-Offiziere auf mich einen äusserst günstigen Eindruck machten, denn nicht blos, dass sie in dem landesüblichen (obwohl feineren) Kopftuche, der leichten Jacke und dem einfachen dunklen Bocke sehr angenehm und, ich möchte sagen, luftig graziös aussahen, erhielten sie auch in meinen Augen durch diese einfache schlichte Tracht einen Ehrfurcht gebietenden Nimbus, den sie keinesweges durch ihr Benehmen zerstörten, da sie sich sehr würdevoll und natürlich vornehm zu geben wussten. Stehen nicht solche Frauen, die sich derartig nach der Decke zu strecken und auf ihres Mannes Einkommen Rücksicht zu nehmen wissen, unendlich höher, als so viele ihres Geschlechtes, die, unfähig auf Verzicht, den Mann in Schulden und Sorgen stürzen und schliesslich oftmals finanziell und moralisch ruiniren ? Was die Offiziere betrifft, die aus dem Unteroffiziersstande zu dieser Würde emporgestiegen sind, so fand ich in Beobachtung und Unterhaltung mit denselben, dass diese Herren sich vollkommen klar über ihre eigenthümliche Lage sind. Sie wissen, dass sie ihren Kameraden aus dem anderen Stande in gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Bildung nicht gleichstehen, deshalb vermeiden sie, so lange sie noch jung in ihrer Charge sind, so viel sie können, intime Berührungen mit diesen und ihren Familien und benehmen sich ihnen gegenüber abwehrend zurückhaltend oder steif, als ob sie im Dienste wären; dadurch schützen sie sich und ihren neuen Stand vor Blossen. Andererseits nehmen sie ihren Abstand von den früheren Gefährten und Kameraden, die sich ihnen überdies nicht aufdrängen, so dass die Trennung leicht wird. Am schlimmsten fahren die Frauen solcher Herren, die gewöhnlich dem dortigen Bauernstande entsprossen sind und natürlich den weiblichen Angehörigen der anderen Offiziere in Bildung und Lebens-Auffassung weit nachstehen, deshalb den Umgang mit jenen weder suchen können noch wollen und den alten Umgang wegen des Mannes Stellung abbrechen müssen. Mit der Zeit gleicht sich dies Missverhältniss natürlich aus, denn das unübertreffliche Nachahmungstalent und der gesunde Verstand der Saveslaven hilft leicht über die äusseren gesellschaftlichen Klippen hinweg, zudem ist die dortige Sprache frei von Fremdwörtern und der gemeine Mann spricht dieselbe so korrekt wie der grössie Grammatiker, es fällt also dort dasjenige, was bei uns ein Haupthinderniss des Anschlusses von Gelehrt und Nicht-Gelehrt ist, nämlich die Sprachschwicrigkeit, fort, und hierzu kommt noch, dass die dortigen, wie überhaupt die österreichischen Frauen und Mädchen im Allgemeinen nicht ver- und überbildet sind, vielmehr bei ihnen das Gefühl, der angeborene weiblicho Tact und weibliche Verstand noch vorherrscht, so dass sie nicht wie hei uns ein gesellschaftliches Hinderniss der Annäherung der verschiedenen Bildungsstände, sondern ein vermittelndes, ausgleichendes Element bilden, welche herrliche Mission ja dem weiblichen Geschlochte im Grossen und Ganzen von dem Schöpfungswillen übertragen worden ist, denn bestände hei demselben z. B. nicht jene eigenthümliche Vorliehe für Männer fremder Nationen, dann hätte der gegenseitige Bacen- und Stämmehass die vielsprachige Menschheit wenn auch nicht aufgerieben, so doch noch mehr zerfleischt, als geschehen. Von ihren Kameraden, höheren wie niederen, werden diese aus dem Unteroffiziersstande Avancirten sehr herzlich und entgegenkommend behandelt, ich habe sogar bemerkt, dass die jüngeren Lieutenants vor der Menschenkenntniss und grösseren Lebenserfahrung jener älteren, obwohl minder gelehrten Herren, grosse Achtung haben und sich dieselbe zu Nutzen machen — wie schlimm steht es dem gegenüber in einer gewissen anderen Armee! — Es wird übrigens auch anderweitig viel Rücksicht auf die in Rede stehenden Herren genommen, indem man ihnen Anfangs, wenn es irgend geht, ein Quartier anweist, in welchem sie häuslich ungenirt leben können, nämlich auf kleinen Dörfern oder isolirt zwischen zwei zusammengehörigen Ortschaften. Da können sie mit ihrer Familie ihren Garten, Weinberg und Acker nach Herzenslust bestellen und ihr materielles Wohl wahrnehmen, was ihnen später, wenn sie sich erst in ihre neue Stellung hineingelebt haben, sehr zu Gute kommt. Ueber die sittlichen Zustände in der Grenze hörte ich sehr abweichende Urtheile; nach den einen war die Sittlichkeit vortrefflich, da ja den frühzeitigen Eheschliessungen der unteren Stände nicht das geringste Hindcrniss in den Weg gelegt würde und die Leichtigkeit des Broderwerbs die mit dem Kinderzeugen hei uns verknüpften Sorgen nicht aufkommen lasse, — nach den anderen war die Verderbniss des gemeinen Volkes bodenlos, hauptsächlich wegen der türkischen Nachbarschaft. Vom besten können die Zustände nicht sein, dies liegt wohl auf der Hand, denn Leute, welche bei völlig mangelnder Bildung und üppigem Leben wenig nachdenken, geben sich gewiss sehr leicht 7 den augenblicklichen Anwandlungen der Sinnlichkeit hin, zumal ein Auseinanderhalten oder gar Beaufsichtigen der beiden Geschlechter nirgends statthaft. Ich glaube auch, dass das Gold und Silber der türkischen Nachbarn seine Wirkung auf die unbedachtsamen, aber das Metall sehr liebenden Grenzerinnen nicht vorfehlen wird. Auf letztere Weise wird auch wohl die Syphilis in das Land geschleppt worden sein, die mitunter ganze Hausstände, ja halbe Dörfer ergreifen soll und durch den Cordondionst entdeckt wird, dem jedesmal eine ärztliche Untersuchung vorhergeht. Leider können die Aerzte gegen diese entsetzliche Seuche nicht ankämpfen, denn sperrt man den davon Ergriffenen nicht in das Lazareth, dann kehrt sich derselbe an keinerlei ärztliche Vorschriften, benutzt auch die verschriebene Medizin nicht, sondern holt sich guten Bath heim Zigeuner. Trotzdem sind die Leute reich mit Kindern gesegnet und die Grenze müsste längst die vierfache Zahl Einwohner haben, wenn nicht Kinderkrankheiten, hervorgerufen durch unzweckmässige Nahrung und Vernachlässigung, besonders zur Winterszeit, schrecklich unter den Kleinen aufräumten: dieselben laufen Winter und Sommer barfuss, haben zur Bekleidung nur ein langes leinenes Hemd, über welches (wenn vorhanden!) zur kalten Jahreszeit höchstens eine Pelzweste gezogen wird, dabei essen und trinken sie mit, was die Alten gemessen und ausserdem noch manches, was diese nicht in den Mund nehmen, z. B. Wasser und unreife, beizend saure Weichselkirschen, die ich sie gierig pflücken und verzehren sali. Im Winter laufen sie aus den schwül geheizten Stuben ohne Weiteres hinaus in's Freie, beachten Bogen und knietiefen Schmutz in den übrigen Jahreszeiten gar nicht und leben überhaupt in den ersten Jahren wie die »Schweindel«, wie ein wohlwollender Herr sehr richtig sagte, indem sie mit Abwartung nicht behelligt werden. Kinder, welche diese Periode überdauern, erfreuen sich natürlich einer unzerstörbaren Gesundheit und Kraft, aber wie viele erliegen während derselben! Die Ursache des Nicht-Schritthaltens der Grenzer - Cultur mit derjenigen der West-Provinzen war oftmals Gegenstand interessanter Erörterungen, an denen ich mich botheiligte. Ein Theil der urtheilsfähigen Herren eines und desselben Standes war der Ansicht, dass die beständige Bevormundung den gemeinen Mann aufgehalten und unsolbstständig, sowie einsichtslos gemacht habe, ein anderer Theil sprach hingegen die Ueber-zeugung aus, dass in der Bevormundung noch lange nicht genug geschehen sei, indem dieselbe nicht mit der nöthigen Strenge und Rücksichtslosigkeit aufgetreten wäre; die Begie-rung hätte gethan und thäte, was in ihren Kräften steht, sie baut passable Wege, wo solche nöthig sind, sie hat die besten landwirtschaftlichen Maschinen nach der Grenze geschickt und viel Geld damit verausgabt, tüchtige landwirthschaftliche Lehrer sind engagirt und landwirthschaftliche Ausstellungen veranstaltet worden, jedoch alles ohne den geringsten Erfolg, weil sich der Grenzer gutwillig zu nichts bequemt, was gegen den alten Schlendrian ist, und sein gesegneter Boden ihn sorglos und im Allgemeinen träge macht, so dass nur das, was durchaus gethan werden müsse, von ihm gethan würde. Der Ansicht dieser letzteren Herren schloss ich mich aus folgenden unter vielen Gründen an: Unsere Nation, besonders der ländliche Theil derselben, war einstmals auch träge und ohne Nachdenken, obwohl ihm Eleiss und eigenes Denken auf seinen Sandschollen inmitten von Sümpfen nöthiger war, als den Saveslaven, doch wurde dieses Volk von aufgeklärten Despoten, die aus ihrem unbedeutenden Staate etwas zu machen beabsichtigten, mit rücksichtsloser Gewalt, ja sogar buchstäblich mit dem Stocke, vorwärts getrieben und durch die allgemeine Wehrpflicht schliesslich auf den durchgängigen Bildungsstand gebracht, den es jetzt vor allen grösseren Nationen einnimmt. Ohne Zwang kommt weder in Noth noch Glück ein Volk vorwärts, dies lehrt u. A. das Beispiel der freien Serben des i'ürstenthums, die wahrlich aus der bittersten Noth, welche 7* man sich denken kann, plötzlich zum grössten Glücke gelangten und freie Herren eines der herrlichsten Länder der Welt wurden. Wie es mit ihnen eigentlich steht, darüber findet man den besten Aufschluss in den zu Bautzen in deutscher Sprache erscheinenden slavischen Blättern, in denen ein nordischer WTende seine Reisebeobachtungen niedergelegt hat, wonach die Bodoncultur noch genau auf dem Blecke ist, wie zur Zeit der Türkenherrschaft, während die serbischen Männer ihre ganze Zeit nach Abzug weniger Wochen, die den Maisfeldern gewidmet werden, ausschliesslich in den Wirthshäusern verbringen, und zwar von Morgens früh bis Abends spät. Zum Unglück des prächtigen Volkes waren seine ersten nationalen Despoten ungebildete Barbaren von schmutzigem Charakter, die ihre wilde Energie nur zur Befriedigung niedriger Lüste und Bereicherung ihres Säckels benutzten, statt Thron und Leben für die Cultur des Landes aufs Spiel zu setzen. Wer weiss, ob sie gestürzt worden wären, wenn das Volk gesehen hätte, dass ihre Erpressungen ausschliesslich zu gemeinnützlichen Zwecken geschahen. Dem letzten unglücklichen Nachfolger dieser Barbaren fehlte die Energie der Väter und seine hohe Bildung war keine practische, wie z. B. die Peters des Grossen und verschiedener preussischer Regenten. Hätten die Serben statt des Milosch einen Mann bekommen, wie den Vater des modernen Russlands, dann wäre die orientalische Präge schon gelöst worden, denn das kleine Serbien würde längst zu den reichsten Culturstaaten gehören und seiner Anziehungskraft hätten die umliegenden Provinzen nicht widerstehen können. Man darf nämlich nicht vergessen, dass die Saveslaven die gehorsamsten Menschen sind, wenn man es versteht, ihnen zu imponiren und sie richtig anzupacken. Aus vorstehenden Gründen konnte ich auch nicht zugehen, dass das Grenzerweih alle Schuld an der Uncultur trüge, denn obschon es roher und unwissender ist, als sein Mann, der im Dienste des Kaisers andere Länder und die Culturprovinzen des Reiches gesehen hat, könnte es doch nur das erhalten, was der Mann geschaffen; es ist wahr, ich habe in den Grenzerhäusern selten mehr gesehen, als einen rollgezimmerten Tisch nebst dazu gehörigen entsprechenden Bänken, eine dürftige Bettstelle mit Maisstroh gefüllt, einen primitiven Wehstuhl, eine Lade und einiges Geschirr, aber wenn die Frau es wagen würde, für das Geld, welches ihr der Mann von jeder Wache, von jedem Feldzug als Er-sparniss*) mitbringt, einen Spiegel, ein Bild, einen Schrank, Stühle oder eine Kommode zu kaufen, dann würde der Mann sie wahrscheinlich tüchtig durchprügeln und diese Pönitenz so oft wiederholen, als er von seinen Kameraden und deren Frauen mit dem Hoch-muthe seines Weibes gehänselt und in Zorn versetzt würde. Die Frau würde auch — und mit Recht — schlecht ankommen, wenn sie erklärte, nicht mehr die Kleidung anfertigen zu wollen, welche die Familie braucht, und statt dessen ihre freigewordenen Hände mit einer Milchwirthschaft und Geflügelzucht beschäftigen zu wollen. Bisher war den Juden der Aufenthalt in der Grenze verboten, nunmehr soll er ihnen gestattet werden, weil man sich von ihrer Concurrenz und Betriebsamkeit grosses Heil für das Land verspricht. Die Meinungen über diese Maassrogel waren unter denen, welche in der Grenze bisher das Denken übernahmen, sehr getheilt, indem die Optimisten glaubten, die Ueberrcdungsgabe der Israeliten würde hinreichen, den Bauern zum grösseren Verbrauch und damit zu verstärkter Betriebsamkeit hinzuroissen, die Pessimisten hingegen fürchteten, dieser verstärkte Verbrauch würde Hand in Hand gehen mit einem Geldleihgeschäft, welches den bethörten Grenzer sehr bald und Anfangs unmerklich in die Hände der Wucherer liefern würde, so dass diese sich nach und nach zu *) Der Grenzer, nicht zu verwechseln mit den kroatisch-slavo-nischen Freischärlern des Jahres 1848, stiehlt nicht und darf nicht plündern; auf dem Marsche braucht er kein Geld, in Quartieren sucht er sich durch Dienste und auf andere Weise bei seinen Wirtheu beliebt zu machen, so dass er unentgeltlich zu essen bekommt; auf diese Weise spart er täglich seine paar Kreuzer. Herren des ganzen Bodens machten und statt des jetzigen immerhin glücklichen Zustandes Elend, verbunden mit Liederlichkeit und Verkommenheit statt Glückes und Ploisses einziehen würden. Es ist ganz richtig, eine blosse israelitische Einwanderung kann die Uebelstände nicht beseitigen, wenn nicht gleichzeitig dafür gesorgt wird, dass der Grenzer Gelegenheit hat, häufiger baares Gold zu verdienen und auf diese Weise zu dem Einsehen gelangt, dass er seine Wirthschaft verbessern muss und dass die Zeit, welche im Hanse mit Kleiderfabrikation geopfert wird, besser in einer Milchwirtschaft, Geflügelzucht, Stallfütterung und im Gartenhau zu verwenden ist. Angesichts der politischen Lage fürchte ich indessen, dass der Grenze niemals geholfen werden und dass auf den jetzigen paradiesischen Zustand der Uncultur viel Elend ohne Cultur folgen wird, denn nach meiner Ansicht giebt es nur einen Weg zur Hebung des Volkes, den aber wird die Begiorung weder einschlagen wollen noch können, nämlich eine ländliche und städtische Einwanderung aus Deutschland in's Land zu rufen, da es mit einer tschechischen nichts ist. Der Grenze fehlen Städte mit ausschliesslich industrieller Bevölkerung, die gezwungen ist, beständig vom Bauern zu kaufen; ihr fehlen intelligente Bauern, denen der Grenzer den rationellen Betrieb absehen könnte und aus Neid über ihr Gedeihen auch absehen würde, ebenso wie er aus Neid und Eitelkeit den Aufwand dieser ihm blos ebenbürtigen Leute nachahmen würde. Denken wir uns die Gesammtbevölkerung um 100,000 Städter vermehrt, in jedem slavischen Dorfe zwei bis drei deutsche Bauernfamilien ansässig gemacht und dazu einen hausirenden jüdischen Handelsstand, dann würde das Land bald ein anderes Bild bieten, denn der beständige Verkauf im Kleinen ermuthigt zum Kauf im selben Maassstabe, dies habe ich im östlichen Theile der Grenze gesellen, woselbst ein starker Schiffs- und Fremdenverkehr eine industrielle Stadtbevölkerung einiger-maassen ersetzt. Nun aber folge mir der geneigte Leser wieder nach Petrinia. Nachdem meine Reisegefährtin abgestiegen war, fuhr mich der kleine Kutscher auf Geheiss derselben nach dem Gasthause zum goldenen Löwen, als dem passenden Aufenthaltsorte für mich, obwohl ihr der Knabe die Versuchung nahe legte, mich bei ihrer Herrin, seiner Schwester, oinzuquartiren. Der goldene Löwe, der hiermit allen Reisenden empfohlen sei, nimmt sich recht stattlich aus und der Anblick seines Hofes mahnte mich im guten und bösen Sinne an den nahen Orient, besonders waren mir die auf Pfeilern ruhenden Bogengänge auffällig, welche sich als Galerien rund um alle Stockwerke herumzogen. Die Schaffnerin wies mir zuerst ein Zimmer an, in dem es etwas wüst aussah und dessen Wandschmuck — äusserst schlüpfrige französische Lithographien — keinen günstigen Schluss auf das in Petrinia herrschende Sittlichkeits - Verhältniss erlaubten. Merkwürdig, dass von den Franzosen überall nur das Schlechteste angenommen wird. Die vorsorgliche Jungfrau mochte wohl aus meinen Mienen und aus der Frage, wer vor mir hier logirt habe, auf die richtige Vermuthung gerathen, dass mir das Zimmer keinesweges gefiel, denn sie kam nach kurzer Abwesenheit zurück und fragte mich, oh ich vielleicht ein anderes Gemach lieber nähme, was ich freudig bejahte und nun wies sie mir das geräumige und schöne Eckzimmer an, von dem ich nach zwei Seiten ausschauen konnte und das jedenfalls das beste im ganzen Hause war. Unter meinem Fenster in der Seitengasse fand ein militairischer Appell statt und da mir die Kellnerin sagte, dass die Soldaten heute erst aus' Stadt und Umgegend einberufene Grenzer seien, eilte ich sofort hinab, um mir den Vorgang genauer anzusehen. Nachdem die Leute verlesen waren, formirten sie sich in Sectionen und Züge und nahmen bei der kleinen Kaserne allerlei Evolutionen vor, deren Zweck mir Anfangs völlig unverständlich war, bis ich schliesslich dahinter kam, dass es sich um die Vorübung zur militärischen Mitwirkung bei einer Prozession bandelte, nämlich der Frohn-leichnams-Prozession, die anderen Tages stattfinden sollte. Wunderbar war es mir, dass alle Commandos in deutscher Sprache erfolgten, aber sämmtliche Erläuterungen von dem kommandirenclen Offizier in slavischer Sprache ertheilt wurden, sobald er sich an die Mannschaft wandte, hingegen deutsch, wenn er zu den Unteroffizieren sprach. Soweit meine Beobachtungen reichen, habe ich bemerkt, dass die meisten Offiziere unter sich und im geselligen Verkehr slavisch sprechen, tritt aber ein Deutscher in die Unterhaltung oder nur hinzu, dann sprechen sie sofort deutsch und diesen schönen Zug des Auslandes beobachteten auf der Grenze auch alle Civilisten, mit denen ich in den Wirthshäusern oder sonstwie in Berührung kam, in Ungarn machen es die Leute umgekehrt — sie sprechen unter sich deutsch, aber sofort ungarisch, wenn ein Deutscher hinzutritt oder eine Frage an sie richtet, wobei sie oft mit wahrer Unverschämtheit ungarisch antworten. Die Haltung der Grenzersoldaten war wirklich vertrefflich, was übrigens nicht Wunder nehmen darf, da diese Leute sich nicht bei ihrem Broderwerbe steif und verrenkt arbeiten, wie unsere Bauern und Handwerker; was mir jedoch auffiel, das war die Anstelligkeit und Genauigkeit, mit der sie, die eben Einberufenen, ein ihnen erklärtes neues Manöver richtig ausführten. Das österreichische Militair gebraucht seine Glieder bei jeder Dienstverrichtung leicht und ohne Steifheit, was einen hübschen Eindruck hervorbringt, freilich denjenigen mit Entsetzen erfüllen könnte, der selbst bei »Augen links!« verlangt, dass dies mit hörbarem Bücke ausgeführt werde. Diese Abwesenheit unnöthiger Muskelspannung und Kraftvcrschwondung ist zum grossen Theile die Ursache, dass die Grenzersoldaten gegen die anderen Truppen nicht abstechen. Sie standen auch ganz gut »still« und ich bemerkte wenige, welche dabei den Kopf etwas bewegten. Immer wird dies wohl auch nicht so im österreichischen Heere gewesen sein, doch scheint der letzte Krieg vieles gemildert zu haben, was früher so war, wie bei uns jetzt noch. Man thut übrigens Unrecht, wenn man das Ertödten des eigenen Willens und des Bewusstseins im Soldaten durch beständiges Drillen und in Spannunghalten kurzweg als kleinliche und beschränkte Maxime bezeichnet; in manchen Staaten und unter manchen Regenten liegt der Sache ein tief-durchdachter, auf grosser Staatsmannskunst und Menschen-kcnntniss ruhender Blau zu Grunde, der eine weniger oft versagende Sicherheit des Erfolges bietet, als der Appell an Begeisterung und persönlichen Stolz ohne blinden, an Stumpfsinn grenzenden Gehorsam; es ist jedenfalls viel leichter, eine Masse verschiedenartig angelegter und ungleich entwickelter Männer, unter denen es jedoch mehr dumme als kluge giebt, bei Anlegung eines niedrigen individuellen Maassstahes unter das gemeinsame starre Joch unbedingten Gehorchens und mechanischer Dressur zu beugen, — als dieselbe Masse, unter Anlegung eines allgemein höheren Maassstabes an den Einzelnen, mit Humanität, Wecknng des Einzclhewusstseins und vertrauend auf das Edle und Kluge, das im Menschen stecken könnte, sich bedingungslos zu allem dienstbar zu machen und dabin zu bringen, Leben und Gesundheit für einen unbekannten oder gar verhassten Zweck in die Schanze zu schlagen, zumal die Jugend und zu ihr gehören die meisten Mitglieder der stehenden Heere — leichter den Zwang als die Freiheit und Gleichschätzung mit dem Alter verträgt. Ich sehe eine infernalische Klugheit in dieser straffen, gl eich massigen Abrichtungsmethode des Leibes zu Kriegs- und Paradezwecken, die für den beschränkten Geist gerade hinreicht, ihn zu beschäftigen, zu heben und seine Leere auszufüllen, den höher Begabten aber, will er nicht beständige Vcrdricsslichkeiten und Schlimmeres erfahren, derartig an den Leib fesselt, dass er den geistig minder begabten Kameraden nacheifern muss und ihnen doch im glücklichsten Falle hinsichtlich der Ablichtung nur gleich kommt, also auf ihr Niveau herabgedrückt wird, das Gefühl seiner TJeberlegenheit verliert und dadurch hülflos wird gegenüber der starren Formen-Autorität. Es erzeugt sieh durch die Methode auch ein gegenseitiger Hass mit offener Schadenfreude unter der Intelligenz und Nicht-Intelligenz des gemeinen Soldatenstandes, wodurch die Armee vor demokratischer Ansäuerung bewahrt wird, die bei der starken alljährlichen Zufuhr von Sauerteig sonst längst eingetreten wäre. Den alten Hörnern scheint übrigens bei der Dressur ihrer Legionen ein ähnliches Streben ebenfalls vorgeschwebt zu haben, wenigstens beschwerten und spannten sie den Soldaten im Frieden so an, dass ihm das Nachdenken verging und ihm der Krieg als eine Erleichterung und Erlösung erschien, grade wie bei uns, woselbst sich die Soldaten schon auf gewöhnliche Manöver und Friedensmärsche freuen, während das Gerücht vom herannahenden Kriege sie förmlich elektrisirt und die Beendigung des Krieges diejenigen, welche noch weiter dienen müssen, mit Beklommenheit erfüllt, weil sie an Kaserne und Exercirplatz denken. Und doch hat unser Soldat im Kriege gar nichts zu holen, als Tod, Krankheit und Einbusse seiner gesunden Glieder, da uns das Stimu-lationsmittel der französischen und österreichischen Armee — Beförderung des gemeinen Mannes zum Offizier — fehlt. Der Marschallsstab im Tornister der Soldaten jener Armeen ist freilich schliesslich immer vom Korporalsstab besiegt worden, ein Beweis mehr, dass eine Berechnung, die sich auf das Niedere und Schlechte im Menschen stützt, weit sicherer ist als eine solche, welche auf dem Edlen und Guten beruht. Das weiss der Absolutismus sehr wohl und man brauchte ihn als Cäsarismus gar nicht so sehr zu hassen, wenn er nur nicht Cancan und Zote auf Kosten des Edlen und der Tugend gar zu sehr privilegirto, um die Völker ihre politische Freiheit über der entfesselten Gemeinheit vergessen zu machen. Nachdem die Soldaten in ihre Quartiere entlassen waren, streifte ich in dem Städtchen umher, um mir die Grenzerhäuser genauer anzusehen. Mein erster Blick war nach den Schorn- steinen und da bemerkte ich sehr viele Häuser, denen dieses Attribut der Civilisation fehlte, indem die Spalten des.undicht und roh mit Brettern oder Scheiten geschlossenen Giebels dem Rauch Abzug gewähren mussten. Das Fundament war hei fast allen Häusern dasselbe und bestand aus einer Anzahl fussdicker, viereckiger Balken, die parallel in Abständen von 2 — 4 Fuss auf den Erdboden gelogt sind, auf welchem Rost dann ein Balkenrahmen, den Grundriss des Gebäudes darstellend, ruht. Dieses Fundament, auf welches Bohlen genagelt werden, sichert den Grenzern einen trockenen Fusshodon, muss aber doch mit manchen anderen ITnzuträglichkeiten verknüpft sein, die freilich von jenen Leuten nicht gefühlt werden. Die Wände der Gebäude bestanden meistens nur aus Balken, die verschränkt gelegt, in den Ritzen mit Lehm verschmiert und Aussen mit Kalk übertüncht waren; die Fensteröffnungen waren so enge, dass ein Mann kaum mit den Schultern hindurchkonnte, nie enthielten sie mehr als vier kleine Scheiben, oftmals nur eine einzige grosse; wenn sie nicht mit Glas geschlossen waren, dann hatten sie entsprechend kleine Klapp-Jalousien zur Deckung. Die Dächer waren durchgehends mit Holzziegeln (Schindeln, Spletten) gedeckt, die oftmals so gross waren wie kleine Bretter. Bei jedem Hause standen zwei sehr kleine Ställe für Schweine und anderes Vieh, das nicht im Freien campiren soll; Scheunen bemerkte ich selten, Heuböden nie. Der Grenzer befasst sich ■ wohl niemals mit Stallfütterung — das Vieh muss sich den Winter über durchhelfen so gut es kann, das wenige Heu, das er sammelt (fast nur für die Pferde), packt er gern nach serbischer Art auf die Zweige grosser Bäume, die er dann mit Stangen einigermaassen unterstützt; er drischt auch sein Getreide nicht mit Flegeln aus, sondern lässt es vom Vieh austreten. Wer gewohnt ist zu sehen, dass der ärmste Landmann zwar ein kleines Wohnhaus, aber einen grossen Stall und eine geräumige Scheune hat, der kann beim Anblick der Grenzergehöfte kaum glauben, dass er Ackerwirthschaftcn vor sich hat mit mehr als 100 Morgen Land, und könnte eher denken, die betreffenden Leute verfügten kaum über einen Morgen. Die meisten Häuser sind zwar einstöckig, doch sind auch zweistöckige häufig, dann aber steht oftmals das zweite Stockwerk so windschief auf dem ersten, dass man kaum begreift, wie es sich auf seiner Basis halten kann, doch erlaubt das Bauen mit Balken derartige Fahrlässigkeiten. Das zu den Baulichkeiten verwendete Holz kann der Grenzer sich, eben so wie sein Brennholz, aus den Staatsforsten unentgeltlich holen. Gewöhnlich besteht eine Grenzerwohnung nur aus Stube und Küche, sind zwei Stuben vorhanden, dann haben sie einen gemeinsamen Ofen, der sich in der Scheidewand befindet und aus ganz kleinen Kacheln besteht, die etwa wie Blumentopfnäpfchen oder coneave Flaschenböden aussehen und grün glasirt oder auch hlos getüncht sind. Ein solcher Ofen hat stets einen Unterbau von Backsteinen, dann einen Kamin aus demselben Material und auf diesem das eigentliche Töpferwerk, das Ganze selten mehr als mannshoch. In Bosnien sind genau dieselben Oefen in Gebrauch. Während ich die primitiven Gebäude von Aussen genau betrachtete, stieg in mir der Wunsch auf, dieselben auch von Innen zu besehen, doch war ich um einen triftigen Vorwand zum Eindringen in Verlegenheit, und so begrüssto ich es als einen glücklichen Zufall, dass mich plötzlich zwei Grenzersoldaten und ein weiss und roth gekleideter semmelblonder Sereschaner, der den Gürtel voll Pistolen trug, mit der Bitte ansprachen, ihnen doch die Hausnummer ihres Quartierbillets und das, was noch sonst auf demselben stände, vorzulesen — es war nämlich alles in deutscher Sprache abgefasst. Gern erfüllte ich ihnen diesen Wunsch und begleitete die Leute nach dem betreffenden Hause, in welches ich mit ihnen zugleich eintrat. Die Wirthin, eine alte runzelige Prau mit pfiffig blinzelnden Augen, wies die Einquartierung jedoch zurück, weil zwei pockenkranke Kinder im Hause seien und sie dieser Umstand von der Quartierlast befreie. Die Kleinen stimmten auch ein mörderisches Geschrei an, und es hlieb den Soldaten nichts übrig, als den Hinweis zum Nachbar zu befolgen. Dort ging es ihnen nicht besser, indem die Wirthe das Billet, als nicht auf ihre Hausnummer ausgestellt, zurückwiesen, und so wurden die gewiss hungrigen und müden Leute von einem zum ;indern geschickt, dabei wurden jedoch nur die beiden in Uniform gekleideten Soldaten ungeduldig, der Sereschaner hingegen blieb ruhig und liess sich die Mühe nicht verdriessen, mit gemüth-lichem Lächeln seinen Discours immer wieder von vorn anzufangen. Ich wollte mich, nachdem ich ein paar Wohnungen gesehen und somit meinen Zweck erreicht hatte, aus der Affaire ziehen, denn ich fühlte, dass ich in eine Angelegenheit ge-rathen war, um die mich zu kümmern ich gar kein Recht hatte, was mir bei uns von den Wirthen unbedingt in's Gesicht gesagt worden wäre, doch konnte ich von meinen Schützlingen nicht los kommen, besonders klammerte sich der Sereschaner bittend an mich. So gab ich den Rath, zum nächsten Offizier zu gehen, der jedenfalls wissen würde, wie den Abgewiesenen zu helfen sei. Die Wohnung eines solchen Herrn war bald gefunden und der Insasse herausgerufen. Er erschien in Begleitung noch eines Offiziers und liess sich von mir den Hergang der Sache erzählen, wobei ich gleich hinzufügte, dass ich sehr wohl wüsste, dass mich die Angelegenheit nichts kümmere. Die Herren bedankten sich jedoch für meine Freundlichkeit und es entspann sich zwischen uns ein kurzes Gespräch in welchem ich meine Verwunderung über die Geduld der abgewiesenen Soldaten und die entschieden bekundete Abneigung der zu Hause befindlichen Grenzer zur Aufnahme der eigenen Kameraden aussprach. Die Herren belehrten mich, dass letzteres zwar ungefällig war, aber nicht so schlimm gemeint gewesen sei, indem die Leute keine Entschädigung erhielten, wenn die Billets nicht auf ihr Haus lauteten — beim österreichischen Militair scheint demnach auch ein pedantisches Büreauwesen vorzuherrschen. Der eine der Herren erzählte jedoch, dass er in einer deutschen Brovinz während des Krieges einen reichen Bauern getroffen habe, der seinen Leuten eine Scheune deswegen nicht als Schlafstätte einräumen wollte, weil schon Getreide darin lag, er, der Offizier, hätte den Inhalt jedoch behutsam auf den Hof tragen lassen und dann seine Leute einquartiert mit dem Befehle, sich ruhig zu verhalten und keinen Tabak zu rauchen; im Uebrigen gaben sie zu, dass das Volk in Oesterreich Soldaten nur ungern bei sich in seinen Wohnungen aufnimmt. Ich entfernte mich, doch kam mir der Sereschaner in schnellen Sprüngen bald wieder nach, wobei er bittend »Gospodine! Gospodine!« (mein Herr!) rief und mich ersuchte, ihn zu der nachgewiesenen Autorität zu führen, was ich auch that, dann aber schleunigst meine Herberge aufsuchte, um von der Sache endlich loszukommen. Es hatte mitlerweile angefangen, stark zu dunkeln und der kurzen Dämmerung folgte schneller als bei uns die Nacht, mit deren Anbruch das Städtchen sogleich in Schlaf zu sinken schien, nur die benachbarte Hauptwache verrieth, dass es noch Leute gab, die wachten, damit unter ihrem Schutze die Uebrigen mit Sicherheit ruhen könnten. Es war mir befremdlich zu hören, dass die österreichischen Wachtposten alle Viertelstunde abgelöst wurden, gewiss eine gut gemeinte, aber höchst unpractische Einrichtung, bei der die Gesammtzahl der Wachehabenden un-nöthigerweise durch das ewige Herausrufen am Nicken und Buhen verhindert wird, während sie bei zweistündigem Schildern der Posten (wie bei uns) nicht für den andern Tag so marode werden kann, ein Umstand, der im Kriege und auf Märschen sehr in's Gewicht fällt. Uebrigens machte ich die freudige Wahrnehmung, dass mich das beständige Herausrufen nicht im Schlafe störte, wie ich Anfangs gefürchtet hatte. Am andern Morgen war ich früh auf den Beinen, denn der Tag sollte mir viel Sehenswerthes bringen und, um nicht durch die Forderungen des Magens am beabsichtigten Umher- streifen behelligt zu werden, verstärkte ich zum Staunen der Kellnerin die landesübliche Portion Kaffeebrödehen durch bedeutende Nachnahmen. Der Kaffee wurde mir übrigens in einem Glase vorgesetzt, wie dies in allen Wirtschaften Ungarns und der Savoländer Gebrauch ist. Die Tags zuvor eingezogenen Handelsleute waren schon vom frühesten Morgen an beschäftigt, ihre Buden aufzuschlagen und ihre Waaren auszulegen, denn der Jahrmarkt hatte begonnen und das Landvolk strömte von allen Seiten herbei. Der mit der Prohnleiclmams-Prozession verbundene Gottesdienst hatte auch bei Zeiten angefangen und bald marschirte die Compagnio Grenzer, welche ich Tags zuvor hatte üben sehen, in Parade-Uniform und vollständigem Gepäck nebst den Hautboisten vor der Kirche auf, woselbst sich auch die Träger der verschiedenen bannerartigen Marien- und Heiligenbilder aufstellten. Mit der Schilderung der Prozession will ich meine Leser nicht langweilen, da ich voraussetze, dass joder derselben schon eine solche gesehen hat, nur einige Bemerkungen möchte ich mir erlauben. Fast sämmt-liche Unteroffiziere, welche bei der Feierlichkeit assistirten, gehörten der griechischen Confession an und ebenso die Hälfte der Mannschaft, sowie sich auch unter den mitfolgenden Schulkindern eino grosse Anzahl der griechischen Kirche angehörige befanden. Es spricht dieser Umstand einerseits für die Schmieg-samkeit und Duldsamkeit der griechischen Kirche, andererseits war er mir ein Beweis mehr für die alte Wahrheit, dass die katholische Kirche (die es in der Türkei sehr gut versteht, sich den muhamedanischen Herrschern gefällig und dienstbar zu zeigen) unter anderen christlichen Confessionen nicht geduldet sein will, sondern nur herrschen oder sterben kann. Ueber unseren Staat ist die Phrase in Umlauf gesetzt worden, dass in ihm Parität herrsche; wer sich hierfür interessirt, der sehe das Vorzeichniss der Press-Straferkonntnisse nach, die erfolgten, weil die betreffenden Blätter durch Besprechen der Jesuiten und ihrer Thätigkeit oder Bemerkungen über sogenannte Reliquien »Einrichtungen der katholischen Kirche dem Hasse und der Verachtung ausgesetzt hatten« etc., er lese ferner das »unter geistlicher Approbation« redigirte märkische katholische Kirchenblatt, um den Unterschied zu würdigen und den Ton kennen zu lernen, welchen katholische Geistliche gegen die ihnen gleichberechtigten Protestanten anschlagen. Im Uebrigen kann man nicht behaupten — wenigstens nicht vor dem Staatsanwalt beweisen — dass in Preussen der Katholicismus auf Kosten des Protestantismus begünstigt würde, obwohl sich nicht in Abrede stellen lässt, dass die römische Kirche augenblicklich in der preussischen Politik eine grosse Rollo spielt, um die süddeutschen Ultramontanen zu versöhnen und die Bestrebungen Oesterreichs auf politischem Gebiete zu paralysiren, nur schade, dass sich die gerufenen Geister nicht werden abweisen lassen, wenn sie ihren Dienst gethan haben, vorausgesetzt, dass sie denselben überhaupt thun, was noch sehr zu bezweifeln ist, da die römische Kirche zum mindesten eben so weitsichtig und klug ist, wie der grösste Staatsmann unserer Zeit, und überdies in der Wahl der Mittel bisher entschiedene Ueberlegenheit gegenüber Weltkindern bewiesen hat, sich auch auf ein Heer stützt, das ich nicht beim rechten Namen nennen darf, das aber zahlreicher und stärker ist, als dasjenige, welches den Leitern des Staates der Intelligenz zur Verfügung steht. Ich meines Theils beurtheile jede Religion nur nach dem Werthe, den sie für den Staat hat — wobei ich indessen nicht den bekannten Ausspruch des Papstes Alexanders VI. als Maassstab nehme — und verkenne keineswegs die vielen Vorzüge der katholischen Religion, unter denen besonders der Grundsatz der Werkheiligkeit obenan steht, der freilich in der Praxis anders ausfällt als in der Theorie und sich nicht entfernt mit der jüdischen Werkheiligkeit messen kann, aber darum beklage ich es, dass der hochbegabte energische Stamm der Kroaten durch den Katholicismus von seinem Bruderstamm, den Serben, getrennt ist und nach Rom blickt, als der gemein- samen Hauptstadt, wie alle katholischen Nationen untergeordneter Bildungsstufe, während der griechische Katholicismus und der Protestantismus (theilweise auch das reformirte Judenthum) nur nach der Hauptstadt seines Landes schaut und neben oder gar über dem Staatsoberhaupte keinen Sterblichen anerkennt, also keinen Dairi (noch dazu einen im Auslande thronenden) über den Mikado stellt*). Die griechisch-orthodoxe Bevölkerung Petrinias und anderer Städte der südslavischen Länder, spöttisch Eaitzen genannt, hat von der Unduldsamkeit des Katholicismus, der die Herrscher Oesterreichs strenger beherrschte, als diese ihre Unterthanen, viel zu leiden gehabt, erst Joseph II. löste ihre Fesseln — dafür prangt sein Bildniss unter denen der Heiligen der griechischen Kirche — doch ist man noch sehr weit davon entfernt, die Griechen den Katholiken gleichzustellen und, wäre der gemeine Mann nicht dem Kaiserhause so blindlings treu ergeben, dann würden die Serben Oesterreichs gewiss noch mehr mit den Serben des freien Fürstenthums liebäugeln, — denn weiter als bis zum Liebäugeln erstreckt sich, so weit meine Beobachtungen reichen, nicht einmal die Sympathie der nationalen Führer. Oesterreich erkennt seine Aufgabe im Osten nicht, sonst würde es die so brauchbare griechische Beligion hätscheln, statt zurücksetzen. Die Frohnleichnams - Prozession gab mir eine günstige Gelegenheit, Kopfstudien zu machen, denn bisher hatte ich die Männer immer nur mit Kopfbedeckungen gesehen, die sie überhaupt nur während des Schlafens abzulegen scheinen. Ich *) Zur Sicherheit meines im „Staate der Parität" gedruckten Buches mache ich darauf aufmerksam, dass der Vergleich zwischen Papst und Kaiser mit japanischem Dairi und Mikado zuerst von den Jesuiten ausgegangen ist. Siehe u. A. Ostasiatische Geschichte von Karl Friedrich Neumann, p. 197. sah keine einzige hohe Stirn, aber sehr viele niedrige, doch waren die mittelhohen breiten, welche die Künstler besonders lieben, am zahlreichsten vorhanden und bestätigten phrenolo-gisch die bekannte Energie, den Muth, Nachahmungstrieb, Schönheitssinn und die leichte Fassungsgabe der Save-Slaven, die übrigens nicht zu den Kurz-, sondern zu den Langköpfen gehören, wenigstens in überwiegendem Maasse, und sich demnach auch in diesem Punkte von Russen, Polen und Wenden unterscheiden. Dass ich über den ungekämmten bärtigen Häuptern nicht die lieblichen Köpfchen übersah, welche die reizenden Theilnehmerinnon an der Prozession mit schelmischer Geschicklichkeit immer von der vortheilhaftesten Seite — manche im Profil, andere nur en face — zu zeigen wussten, brauche ich wohl kaum zu hetheuern und, Dank der Toleranz der römischen Kirche gegen die menschlichen Schwächen ihrer Angehörigen, sah ich die Gesichtchen alle belebt von dem Ausdrucke eifrig geführten Gespräches, denn bei einer solchen Prozession unterhält man sich so lebhaft und offen wie bei der Polonaise, nur dass man nicht paarweise antritt, sondern die Geschlechter getrennt einherwandeln, doch findet zwischen beiden dennoch ein gelegentlicher Austausch von Blicken und Worten statt, wenn die verschiedenen Wendungen des Zuges einen Contre-Marsch voranlassen. Für den an die kalten, man möchte sagen finsteren Formen des protestantischen Cultus Gewöhnten hat diese ballmässigo Auffassung einer heiligen Handlung etwas Unverständliches, ja Verletzendes. Das Aller-hoiligste wurde auch in die Wache und in die Kaserne getragen, um diese Baulichkeiten zu segnen; das Militair feuerte zum Danke fleissig Salven ah, die glatt wie aus einem Laufe kamen, und das einzige Geräusch während der Feierlichkeit verursachten, denn es war in dem Städtchen mäuschenstill, da jedes Fahren und Lärmvorursachon strenge verboten war. Bei griechischen Prozessionen soll diese strenge Sabbathruhe nicht befohlen werden, sondern der »freie Verkehr« ungestört bleiben, auch soll es der liehe Zufall immer mit sich bringen, dass beim Feste der Wasserweihe oder der heiligen drei Könige (dem höchsten der griechischen Kirche) ein Wagen mit Dünger die griechische Prozession von der Kirche bis zur Petrinia-Brücke respectvoll begleitet. — Obwohl ich aus Anstandsrücksichten unbedeckten Hauptes dem Schauspiel zusah, fühlte ich doch, dass meine Gegenwart bei Vielen, besonders aber beim gemeinen Volke Anstoss erregte, denn ich blieb beim Umherweisen des Allerheiligsten stehen, während Soldaten, Herren, Damen, Landleute, kurzum alle, die in der Nähe waren, niederknieten, die Damen mit einer ganz besonderen Grazie. Ich hätte nicht knien können, und wenn mein Leben auf dem Spiele gestanden hätte, deshalb ging ich lieber fort, ehe die Ceremonie zu Ende war, und zeichnete zunächst die auffälligsten der gesehenen Physiognomien auf Notizblätter. An diesem Festtage bemerkte ich auch wohlhabende Grenzerinnen, die sich geschmückt hatten, sie trugen nämlich 10 bis 15 Mal um den Hals gewundene Korallenschnüro mit einem daran befestigten goldenen Kreuze, ein Schmuck, der sich auf dem buntgestickten weissen Hemde gar nicht übel ausnahm; die den Bock vertretenden Schürzen und das Kopftuch waren auch dem festlichen Zwecke entsprechend reicher_ und frischer in Farben und überhaupt ansprechender, als die Alltagskleidung. Um das Prachtkleid gegen den Regen zu schützen, hatten sich manche dieser Grenzorfraueu in einen leinenen Regenmantel gehüllt, der nichts weiter war, als ein grosses, weisses Laken, das über die Schultern geschlagen bis unter die Knie herabfiel und nur die in Kopanken steckenden Füsse, einen Theil der weissen Zwickelstrümpfe und das Gesicht sehen liess. Einzelne Bauern prangten in weissen, schwarz verbrämten ärmellosen Pelzjacken, die hübsch gestickt und nach albanosischer Weise geknöpft waren, schräg von der linken Hüfte nach der rechten Schulter oder umgekehrt; einzelne, sehr fortgeschrittene Grenzer erschienen ohne Mantel, hatten das Hemd in die weiten, leinenen 8* Hosen gesteckt, trugen Stiefel und Westen, welche letzteren vorn und hinten aus demselben krapprothen Stoffe bestanden und nach unserer Weise geknöpft waren. Ich hatte auch Gelegenheit, die alte, nur noch im Handwerkerstande in Ehren gehaltene Tracht der Städter jenes Landstriches zu sehen, die sich recht hübsch ausnimmt; sie besteht aus dunkelblauer, eng-anschliessender Hose und eben so gefärbter Weste, schwarz gewichsten Stiefeln, welche bis zur Wade reichen, und einer Kappe aus schwarzem Wollfliess. Das Beinkleid ist mit schwarzen Längsstreifen und dunklen Schnüren auf dem Schenkel verziert, und hübsch verschlungene, aufgenähte Schnüre schmücken auch die Weste. Bock und Halstuch trugen die Herren nicht. Am Nachmittage des hohen Festtages hatte ich einen hasslichen Anblick, indem etwa ein Dutzend in Eisen geschlossene Männer unter zahlreicher Bedeckung auf Wagen bei dem Wachtgebäude anlangten, ausstiegen und dort etwa eine Stunde lang unter freiem Himmel verweilten, natürlich umschlossen von einem Kreise Wachen mit scharf geladenen Gewehren, die das allzu nahe Herandrängen des Publicums an die Gefangenen verhinderten. Die letzteren nahmen ihre Lage sehr leicht, plauderten, scherzten, lachten, erzählten im murmelnden Tone die Ursache ihrer Bestrafung, legten sich auf den Boden oder wandelten in dem engen Kreise auf und ab. Ein einziger unter ihnen war nicht gefesselt und dieser eine war so niedergeschlagen, dass er seine Thränen kaum zurückhalten konnte. Die Gefangenen kamen aus dem slavonischen Theile der Grenze und sollten zur Abbüssung ihrer Strafe nach der Festung Karlstadt gebracht werden, weil man sie nicht in der Nähe ihrer Gemeinden und Angehörigen lassen wollte, da man fürchtete, sie könnten mit diesen Fluchtcomplotte verabreden und nach geschehenem Entlaufen Räuberbanden bilden helfen. Ueber die Vergehen der Leute (von denen zwei schon Unteroffiziere waren) konnte ich nichts Zuverlässiges erfahren^ denn die Bürger sagten, es seien keine Diebe oder gar Räuber,. sondern Raufer oder Waldverwüster; von militairischer Seite hörte ich jedoch die Ansicht aussprechen, dass sie Schlimmeres begangen haben müssten. Einige der Leute hatten übrigens wahre Galgenphysiognomien. Mittlerweile langten die in Petrinia requirirten Wagen an, die Gefangenen stiegen zu zweien oder vieren auf, eine eben so starke Zahl Wachtmannschaften umgab jedes Fuhrwerk und der Zug verliess in ziemlich schneller Bewegung den Ort. Auffällig war mir der Anzug der Bedeckung, denn diese Leute hatten ausser Gewehr und Patrontasche, sowie geflicktem oder zerrissenem Mantel, gar nichts vom Militair an sich, da die meisten Kopanken, Filzhüte und leinene Hosen trugen; nur einige hatten die bekannte Soldatenmütze auf; hätten sie nicht die Waffen getragen, dann wären sie von den Gefangenen nicht zu unterscheiden gewesen. Wie man mir sagte, müssen die Grenzer-Regimenter noch von Ma-genta und Solferino her sparen, um die Einhusse und den Feldverbrauch an Montirungen wieder einzubringen. Ueber dieses Sparen könnte ich aus eigener trüber Erfahrung manches Interessante mittheilen, doch würde ich dadurch eine preussische Institution, die ich achte, der Lächerlichkeit preisgeben. In Petrinia stellte sich bald für mich Geldverlegenheit ein, trotz des embarras de richesse; meine Papiergulden und Zehnkreuzer-Scheine gingen mir nämlich aus und ich war ge-nöthigt, zu den theuer gekauften Silberzwanzigern zu greifen, die ich zum Ausgeben in Bosnien bestimmt hatte, doch wollten die spitzbübischen Kellner drei Zwanziger nur 105 Kreuzer rechnen, so dass ich bei jedem Gulden 15 Kreuzer verlieren musste; Kaiser-Ducaten, von denen ich eine Anzahl in Wien unter Einzahlung von Napoleons für 5 Gulden 59 Kreuzer Papier eingewechselt hatte, wollten sie höchstens zu 5 Gulden Schein annehmen und Napoleonsd'or, die in Wien 9 Gulden 28 Kreuzer standen, zu 8l/4 Gulden. Ueberhaupt war es mir auffällig, dass die Leute in Oesterreich überall lieber Papiergeld nahmen als Metall, während ich, nach dem was ich über die österreichischen Geldverhältnisse gehört hatte, glaubte, man risse sich dort förmlich um blankes Metall. Es ist allerdings richtig, dass ich die Summe harter Gulden, die ich aus Preussen mitgenommen und irrthümlicherweise zum Ausgehen in Oesterreich für hinreichend hielt, schon in Bodenbach mit einem Gewinn von 20 Kreuzern auf den Gulden in Papier umwechselte, doch ist dies eben nur ein Scheingewinn, denn auf jeder Bahn, an jeder kaiserlichen Kasse wird nur nach Metall gerechnet und wenn es da heisst, 5 Gulden sind zu bezahlen, dann hat man 6 Gulden Bapier zu entrichten. Für einen, der nicht über die österreichischen Länder hinauszureisen gedenkt, mag wohl ein kleiner Vortheil aus dem Umwechseln der Thaler entspringen, wer aber (wie ich gezwungen war) seine Finanzkräfte für Bereisung noch eines anderen Landes einrichten muss, der kommt zu Schaden. Leider hatte ich mich in Berlin bestimmen lassen, statt Kaiser-Ducaton, wie ich ursprünglich wollte, Napoleons einzuwechseln, die in Konstantinopel und anderen Hafenplätzen vortrefflich gehen mögen, in Bosnien aber die un-zweckmässigste Münze sind, denn dort ist der Kaiser-Ducaten am angenehmsten. Mit diesen Ducaten, die ich dann in Wien kaufte, hatte ich aber in Oesterreich wirklich mein Leiden, denn mit einziger Ausnahme der Bahnkassirer wollte mich jeder übervortheilen; bei der Kückreise widerfuhr es mir sogar in der Bahnhofs-Restauration zu Pardubitz, dass ich mir nicht eine Tasse Kaffee hätte kaufen können, wenn nicht ein in meinem Coupe mitfahrender russischer Herr die Gefälligkeit gehabt hätte, 25 Kreuzer für mich auszulegen und mir dann im Wagen einen Ducaten gegen 5 Gulden 50 Kreuzer einzuwechseln; ich hatte nämlich keinen Kreuzer mehr in der Tasche, sondern nur noch den Rest meiner Ducaten, und da ich meine Leute schon kannte, fragte ich vor Bestellung der Erfrischung erst den Zahlkellner*), wie hoch er den Ducaten rechne; der Mensch *) Man hat in Oesterreich in allen öffentlichen Localen nie mit den Wirthen, sondern immer nur mit den „Zahl-Kellnern" zu thun, hatte die Frechheit, mich vor Ertheilung der Antwort erst zu fragen, oh ich nach Wien oder nach Prag wolle! Als ich ihm, statt einer derben Zurechtweisung, die er wohl verdient hätte, die Auskunft gab, dass ich kein Neuling im Lande sei, sondern aus Oesterreich hinauswolle, bot er mir 4 Gulden 20 Kreuzer Schein für mein Goldstück! Hätte ich gesagt, ich wollte nach Wien reisen, dann hätte mir der Schlingel vielleicht noch einen Gulden weniger geboten. In Petrinia ging ich vergeblich durch sechs Läden, um einen Ducaten unter Abmachung kleiner Ankäufe loszuwerden — entweder wollten ihn die Leute gar nicht annehmen oder mutheten mir einen Verlust von einem Gulden zu; schliesslich nahm ihn eine jüdische Handelsfrau für 5 Gulden 40 Kreuzer Schein, wobei sie noch so ehrlich war, mir offen zu gestehen, dass sie doch bei diesem Agio wenigstens die Kosten ihres Frühstücks haben müsse, während mir die anderen Händler allerlei unsinniges Zeug von zu grossem Verlust, nicht Loswerden des Goldstücks etc. vorzureden versucht hatten. In den Grenzstädten unmittelbar an der Unna oder Save nehmen die Wirthe die Silberzwanziger zu ihrem wirklichen Wertho an, nämlich das Stück zu 40 Kreuzern Schein, bei Ducaten hat man aber selbst dort Verluste. Diese be- die auf den Ruf „zahlen!" erscheinen und von jedem einheimischen Gast dabei ein Trinkgeld von 2 Kreuzern erhalten; Fremde zahlen natürlich mehr, da der Zahl-Kellner gewöhnlich der Sicherheit halber sein Trinkgeld mit einzurechnen weiss und dasselbe dann noch einmal — verwundert dankend — entgegennimmt. In Wien verstehen sich diese Herren besonders auf die Differentialrechnung, etwa in folgender Weise: Kellner: „Was haben'S? ein Beefsteak 80, ein Brod 10, 90 Kreuzer". — — Gast: „Ich hatte kein Brod!" — Kellner: „Ah, kein Brod, 95 Kreuzer, ein Suppen 40, 1 Gulden 38 Kreuzer" u. s. w. — Viel Grobheit und das Fordern einer mit Bleistift geschriebenen Rechnung sind der einzige Schutz des Fremden gegen diese Art Prellerei, bei der die Kellner mit einer unglaublichen Schnelligkeit sprechen und rechnen. ständigen Prellereien im Kleinen sind das Aergerlichste beim Reisen in Oesterreich, besonders deswegen, weil man dabei trotz alles Wissens und ungeachtet aller Erfahrungen ohnmächtig ist gegenüber unwissenden und unbedeutenden Leuten, ausserdem ist der immer wiederholte Yerlust zusammengezählt gar nicht so unbedeutend und ziemlich empfindlich für einen Schriftsteller, der nicht aus allem Geld machen darf und mit seiner Reisekasse möglichst weit reichen will. In meinem Gasthofe befand sich auch das Postbureau und ich hatte von meinem Fenster aus Gelegenheit, dem Verkehr zwischen Beamten und Publicum zuzuschauen, wobei ich mir von der Sache keine hohe Meinung beibringen konnte. Die österreichischen Postbureaux machen nicht den Eindruck der Sicherheit, Pünktlichkeit und Schnelligkeit, wie die preussischen, obwohl man annehmen kann, dass sie ihren Zweck eben so gut wie diese erfüllen. Die Beamten tragen keine Uniform, sondern gehen in Civil, wie es grade ihre Mittel erlauben, sind äusserst gemüthlich, verrathen aber keinerlei Hast bei ihrer Arbeit. Die Bureaux gleichen in ihrer Einrichtung eher dürftigen und leeren Kaufläden als wohlfundirten und ziemlich strenge geordneten Bäumen, die im Dienste des Staates für das Publicum eingerichtet sind. In Petrinia versahen zwei junge Leute den Postdienst, die ich für alles andere, nur nicht für Postbeamten gehalten haben würde. Ich wollte einen Brief, der die bisher gewonnenen Zeichnungen enthielt, an meine eigene Adresse absenden; der eine der Beamten besah das Schreiben von allen Seiten, schüttelte den Kopf und sagte schliesslich nach langem Bedenken, ich müsste ein Siegel aufdrücken, da die drei aufgeklebten Papiersiegel nicht genügten. Das ganze Benehmen kam mir so sonderbar vor, dass ich meinen Brief, so wie er war, lieber in die Beisetasche steckte und ihn dort bis zu meiner Ankunft in Charlottenburg ruhig stecken liess, statt ihn der Post anzuvertrauen, die ihn gewiss richtig befördert haben würde, wie ich trotz alledem glaube, da mir auf der österreichischen Post bis jetzt keine Sendung verloren gegangen ist. Sonderbar kam es mir vor, dass die Grenzer es nicht wagten, das ärmliche, durchaus nicht amtsmässig aussehende Postbureau zu betreten, sondern mit ängstlicher Scheu an der Schwelle stehen blieben und durch die halbgeöffnete Thür mit den Beamten verhandelten. Sollten diese, dem Staate doppelt nützlichen Menschen etwa gar von der Büreaukratie in sklavischer Furcht gehalten werden? TJebrigens habe ich auch bemerkt, dass die Grenzer mit einer Art Scheu sich in den Läden der Krämer benahmen, ja ich war sogar Zeuge, dass ein dicker Bourgeois in Petrinia einen Grenzer, der in bescheidenster Weise um etwas handelte, kurzweg aus seinem Laden weisen liess, ein Verfahren, das mich empörte, mir aber einen Fingerzeig hinsichtlich der Geduld und der Behandlungsweise der schlichten Kroato - Serben gab, die jedenfalls nicht zur Hebung des Volkes geeignet ist. Der Jahrmarkt in Petrinia wurde nicht vom besten Wetter begünstigt, doch sah ich deshalb noch genug vom Treiben der mir fremdartigen Leute. Ich hatte geglaubt, es würden zu dieser ausserordentlichen Veranlassung Thierhuden, Quacksalber, Schaustücke von Mordthaten und Gaukler nach dem Städtchen kommen, wie dies bei ähnlichen Veranlassungen in den kleinen Städten Deutschlands der Brauch ist, doch liess sich nichts Derartiges sehen; die Grenzer und Grenzerinnen begnügten sich mit dem Ansehen der »Schätze« in den Läden und Buden, sprachen viel und kauften wenig, legten oder setzten sich auf den feuchten Boden und verzehrten ihren mitgebrachten Proviant, manche gingen auch in die niederen Wirthshäuser, um sich durch Vertrinken einer Flasche Sliwowitz die ■ Er-laubniss zum Speisen am Tisch zu erkaufen, andere sah ich kleine Bündel gekochter Forellen verzehren, die auf Ruthen steckten, aber weder abgeschuppt noch ausgenommen waren. Nirgends begegnete ich dem bei unseren Volksgedrängen oder Rauernzusammenkünften unvermeidlichen Lärm, alles verhielt sich ruhig, seihst an den dicht besetzten Tafeln der Wirths-häuser; mit Ausnahme einer angetrunkenen Frau und zweier Grenzer, die etwas taumelten, aber schwiegen, sah ich auch keinen Betrunkenen. Die Frau war in lyrischer Stimmung und machte derselben durch einen lauten, klagenden Gesang Luft; Anfangs ging sie unsicheren Schrittes auf dem Bürgersteig, als sie aber merkte, dass sie dort hinderlich war und die Begegnenden ihr höhnisch lachend die gesungenen Worte nachsprachen, lief sie auf den Fahr dämm, um hartnäckig singend und ungestört ihren Lauf fortsetzen zu können. Ich wollte das am Sonnabend erfolgende Ende des Marktes nicht abwarten, sondern schon am Freitag Vormittag abfahren, deshalb sah ich mich zu der angegebenen Zeit nach einem Fuhrwerk um, da keine Personenpost vorhanden war. Ein städtisch gekleideter Bursche, der weder wie ein Handwerker noch wie ein richtiger Commissionair aussah, bot mir für acht Gulden seine Kutsche an, gab auch zu verstehen, dass er es wohl für 7 Gulden thun würde; fast wäre ich darauf eingegangen, obschon mir der überreif und doch unreif scheinende Mensch gar nicht gefiel, als ich ihn nun fragte, ob die Fahrt sogleich vor sich gehen könne, wie er angeboten, machte er die Ausflucht, dass erst das Pferd von einer anderen Fahrt zurückkommen müsste und dergleichen mehr. Daraus schien mir zu folgen, dass der Mann entweder kein eigenes Gespann besass, sondern sich erst ein solches miethen wollte, oder aber er wollte Zeit gewinnen, um blinde Passagiere zu suchen, die ganz umsonst oder für eine Kleinigkeit mitfahren konnten. Solche Gesellschaft konnte gemischt ausfallen und die Zurückweisung hätte mir Aerger oder Reue verursacht; den Ausschlag zu meiner Ablehnung gab indessen die Anspielung des Mannes auf den drohenden Eegen, der mich zwingen würde, sein Fuhrwerk zu nehmen, da ich mit einem Bauern unter solchen Umständen nicht fahren könnte. Ich hatte übrigens Glück, denn nachdem ich einige auf ihren Wagen stehende oder sitzende Grenzerinnen nach einer Fahrgelegenheit befragt hatte — wobei mich oft die über Gebühr hoch aufgesteckten oder auseinandergeschlagenen Schürzen in schamhafte Verwirrung setzten — wurde mir ein junger Mann gezeigt, der mit einem Salzwagen nach Kostajnitza wollte. Der sauber und gut gekleidete Mensch im braunen Kapuzenmantel gefiel mir ausnehmend, er hatte eine anständige militairische Haltung und sprach auch etwas deutsch, war übrigens ein Slovene. Er verlangte fünf Gulden für meine Mitnahme und wollte weder einen halben noch einen ganzen Gulden ablassen, schlug jedoch vor, den »Herrn« deshalb zu fragen. Dieser Herr war jedoch nicht sein Brodherr, sondern der Krämer, der das Salz nach Kostajnitza schickte; derselbe riss wild das Fenster seines Ladens auf und schnob den Kutscher heftig an, dass er sich auf solche Geschäfte einlasse, mich fuhr er mit den Worten an: »Was denken Sie sich denn, wo wollen Sie denn auf solchem schweren Wagen hin?« Dies ärgerte mich, deshalb fragte ich den ergrimmten Sohn Mercurs mit harscher Stimme, ob ihm der Wagen gehöre; dies verneinte er, bemerkte aber, dass er die Aufsicht über das Fuhrwerk habe; dann solle er, so verlangte ich, kurz erklären, ob er gestatte, dass ich für mein Geld mitführe oder nicht. Nun stimmte der gute Mann plötzlich um, versicherte, er hätte nichts dagegen, es hätte ihm jedoch geschienen, als ob ich auf solchen Wagen nicht passte, die Pferde dürften überdies nicht schnell laufen, die Fahrt würde also bis zum Dunkelwerden dauern und damit könne mir doch nicht gedient sein etc. Dann bat er mich, näher zu treten und als ich diesem Wunsch genügte, drückte er seine Freude darüber aus, dass ich einen so tüchtigen Kotzen hätte (er meinte meine wollene Reisedecke), die würde den Regen schon abhalten, während ich auf den dick mit Decken belegten Salzsäcken ganz weich sitzen würde. Das that ich auch und das nicht zu schnelle Fahren war mir doppelt lieb, denn es gestattete mir, die landschaftlichen Bilder mit Buhe in mich aufzunehmen, übrigens Slng es Anfangs noch immer so schnell, dass mir auf dem schlechten Wege alle Rippen knackten und ich schliesslich Seitenstiche bekam. Die Landschaft war ungemein schön, denn bald nach dem Verlassen der Stadt hörte die Ebene auf und von da ab bis Kostajnitza führte der Weg beständig durch ein grünes Hügelland, dessen Höhen sich 100 bis 400 Fuss relativ erhoben und anmuthigo friedlich stille Thäler umschlossen, in denen die vernachlässigten Häuser der Grenzer eine malerische Wirkung hervorbrachten, und so traulich aussahen, dass ich in jedes hätte eintreten mögen, zumal sich der feine Sprühregen, unter dem wir unsere Reise begonnen, in einen tüchtigen, anhaltenden Platzregen verwandelt hatte, so dass ich bald gründlich durchnässt wurde und nicht einmal den Trost hatte, eine Cigarre oder einen Tschibuk rauchen zu können. Meine Decke wollte ich nicht aufrollen, weil ich in derselben verschiedenerlei Sachen eingewickelt hatte und weil ich doch einmal nass geworden war. Uehrigens war mein Slovene mehr um meine Haut besorgt, als ich selber, und er bemühfe sich beständig, meine Beine in leere Säcke einzuhüllen und mein Gesäss mit Hülfe solcher Decken trocken zu erhalten. Der beständig wechselnde Anblick der schönen Landschaft liess mir keine Zeit, die Unbilden des Wetters zu beachten. Von Hochwald sah ich nirgends eine Spur, denn so weit die Hügel nicht von Weideland bedockt waren, zeigten sie nur niedriges Eichengestrüpp oder in Ueberfluss wuchernde Wachholdersträucher und nicht minder zahlreiche strauchartige Hollundcrbüsche, die jedoch nicht in Blüthe standen und wie Unkraut an allen Zäunen und Wegen emporschössen. Die Strasse war nicht schlecht im Stande und ich bemerkte ausserdem, dass für ihre Einfassung mit Weichselkirschbäumen Sorge getragen wurde, indem man junge Bäume nachgepflanzt und zum Schutze gegen das Vieh mit hohen Körben, die aus Dornen geflochten, umgeben hatte. Diese Kirschbäume sind eine wahre Zierde, denn sie wachsen bolzengrade empor, werden mannsdick im Stamm und treiben eine Krone, welche jene des Nussbaums fast noch an Grösse und Dichtheit übertrifft; von ferne gesehen hielt ich diese Kirschbäume auch für Nussbänme, denn sie haben so grosse Blätter wie diese, nur dass sie wie beim Ahorn hängen. Die Beobachtung machte ich übrigens, dass die menschlichen Wohnstätton je weiter nach Süden desto vernachlässigter wurden, doch kamen mittlerweile mehr Schornsteine zum Vorschein und zweistöckige Gebäude mit orientalischem Anstrich. Die Felder in den Thalsohlen sahen nicht schlecht aus und zeigten weniger Unkraut, als ich zu finden erwartet hatte. Ausserhalb der Dörfer Hessen sich wenig Menschen sehen, die, welche uns begegneten, grüssten mich höflich, die militärische Bedeckung des uns entgegenkommenden Briefpostwagens that dies sogar in einer so freudigen Weise, als ob wir alte Bekannte wären. Die Romantik fehlte auch nicht gänzlich, denn etwa auf halbem Wege zwischen Petrinia und dem Dorfe Knesowljana campirte ein Zigeunerpaar unter einem grossen Kirschbaume vor einem qualmenden Feuer, an dem die Leutchen in Töpfen ihr Mittagbrod kochton. Sie hatten sich am Stamme des Baumes aus Zweigen eine kleine Hütte errichtet, in der wahrscheinlich ihr Kind lag, während sie selber sich breit und behaglich am Feuer streckten. Die Scene erinnerte mich lebhaft an eine des englischen Zigeunerlebens, die Washington Irwing als auf dem Terrain von Brace-bridge-Hall beschreibt und mit tea-fire und drawing-room vergleicht. Gegen 1 Uhr hatten wir die grösste Höhe passirt, sowie die grössere Hälfte des Weges zurückgelegt und langten in dem ausgedehnten malerisch gelegenen Dorfe Knesowljana an, in welchem sich eine Briefpoststation befindet, bei der wir einkehrten, da sie mit einer Gasthalterei verbunden ist. Das Gebäude war aus Steinen aufgeführt und hatte ein Schauer, nnter welchem die Gespanne wohlgeschützt halten konnten. Der Wirth und die Wirthin kamen mir freundlich bis an die Schwelle entgegen — vom weiteren Vorrücken scheuchte sie wohl der strömende Regen zurück — und nöthigten mich, in ihrer Stube Platz zu nehmen, während der Kutscher in das allgemeine Zimmer ging. Es wurde mir gesagt, dass das Essen auf dem Feuer stände und ich in einer halben Stunde Suppe, Fleisch, Gemüse, Brod, Wein und auch einen Kaffee bekommen könne, was mir sehr angenehm zu hören war, doch wusste ich nicht, dass ich den lieben Leuten durch meine Mahlzeit den eigenen Mittagstisch verkürzte, was ich erst nach bestandener Leistung merkte, obwohl es mir hätte auffallen müssen, dass der Wirth, auf Befragen nach einer Atzung für meinen Kutscher, für diesen nur Brod und Wein zur Verfügung hatte; bei dieser Bestellung beging ich noch einen Fehler, der mir gegenüber einem deutschen Kutscher gewöhnlichen Schlages leicht Unannehmlichkeiten hätte zuziehen können; der Wirth fragte nämlich, ob er dem Manne »eine halbe« geben sollte, was mir neben trockenem Brode zu wenig schien, doshalb bestellte ich »eine ganze« für ihn, ohne zu wissen, welche Quantität dies ausmachte; der Wirth sah mich verwundert und zweifelnd an, that aber schweigend, wie ich gewünscht — die Folgen sollte ich merken, als ich weiterfuhr, denn der Grenzerwein ist nicht blos duftig und wohlschmeckend, sondern auch mannsstark. Meine Wirthsleute, bestehend aus Mann, Frau und Schwägerin, waren Serben griechischen Glaubens und allerliebste Menschen von ungemein sanftem und ruhigem Wesen; sie sprachen fliessend deutsch und waren alle drei bürgerlich gekleidet, auch ihre Wohnung- war behaglich bürgerlich eingerichtet. Wunderlich war es mir, wenn die Frauen, nachdem sie eben mit mir deutsch gesprochen hatten, sich gleich darauf in slavischer Sprache liebkosend an das kränkelnde Kindchen wandten, welches in einem der Betten sass und den fremden Mann mit seinen grossen blauen Augen verwundert anschaute, aber keine Furcht verrieth, wie doch hei uns die kleinen Bauer-kinder zu thun pflegen, wenn ein Fremder, noch dazu einer mit grossem Bart, mit ihnen anbindet. Der Wirth gab mir über alle G-renzer-Verhältnisse, nach denen ich ihn fragte, verständige und vorurtheilslose Auskunft, er war übrigens, wie alle seine Landsleute, ein entschieden österreichischer Patriot, so dass es mir leid that, ihm seinen Glauben zu benehmen, ich sei ein Sachse, wofür er mich nämlich hielt, weil ich ihm viel vom sächsischen Könige und seinen Soldaten erzählte. Ein Niedersachse wenigstens bin ich ja auch, obwohl hugenottischen Ursprungs, wenn ich's glauben muss. Ein Bote brachte Zeitungen an und mein Wirth gab mir eine derselben, ein Begierungsblatt, zu lesen, indem er schweigend mit dem Finger auf eine Depesche deutete — ich las und traute meinen Augen kaum, denn da stand gross und deutlich die eben stattgehabte Ermordung des Fürsten von Serbien zu lesen. »Wie wird es nun den Serben gehen?« fragte mein Wirth bedeutungsvoll. »Nicht vom Besten«, gab ich ihm zur Antwort, »und die unterdrückten slavischen Christen der Türkei werden die Bück Wirkung fühlen!« — Ich sprach die Ver-muthung aus, dass bei dem Morde fremde Interessen mit im Spiele gewesen sein müssten und dass vielleicht die montenegrinische Dynastie nunmehr auf den serbischen Thron gelangen wrürde. Der Ermordete hatte nämlich das Verdienst, dem Petersburger Cabinet nicht angenehm und der Hohen Pforte verhasst zu sein, während ihn das Unglück traf, den Heiss-spornen seines Landes nicht zu genügen. Er war ein vorsichtiger Mann gewesen und hatte den nationalen Strom wiederholt zurückgedämmt, aber schwerlich aus Mangel an Thatenlust, sondern wohl nur um die ihm nöthig scheinenden grossartigen Rüstungen erst zu vollenden. Die letzteren und überhaupt sein Bemühen um die sichere Hebung seines Landes konnten der Hohen Pforte natürlich nicht gefallen und sie musste sich vorhersagen, dass der nächste Zusammenstoss zwischen Serben und Türken für letztere minder günstig ausfalllen würde, als bisher zu geschehen pflegte, nunmehr hatte sie jedoch von den Serben so bald nichts zu besorgen. Was Russland betrifft, so konnte es diesem nach dem Orient hungrigen Koloss nicht gleichgültig sein, in Belgrad einen Fürsten zu sehen, der den Traum sei-bischer Weisen vom einem »gross-serbischen Kaiserreiche« der Verwirklichung näher führte und überhaupt seine eigenen nicht aber Eusslands Wege ging. Selbstverständlich liegt es auf der Hand, dass weder die russische noch die türkische Regierung so thöricht gewesen sein konnte, Mörder zu dingen oder sich auch nur mit solchen irgendwie einzulassen; Cabinete haben aber noch andere Mittel an der Hand, um den Fürsten eines kleinen Barbarenstaates zu stürzen und es darf ihnen nicht darauf ankommen, wenn bei solchem Experiment der zu Beseitigende gründlich, auf Nimmerwiederkehr beseitigt wird, zumal sie die Bewegungen des gegebenen Anstosses nicht in der Hand behalten können. Dass ich auf die Combination mit dem montenegiänischen Fürsten kam, worin ich mich sehr geirrt hatte, hing so zusammen: Einige Monate vor meiner Abreise kam durch Berlin ein Herr (Tscheche von Nationalität), der sich für den Sekretair des Fürsten von Montenegro ausgab oder wenigstens in den Gelehrtenkreisen, in denen er bei uns auftrat, für denselben gehalten wurde, um so mehr, als er zu verstehen gab, dass er mit einer Mission seines Fürsten nach St. Petersburg reise, welche Mittheilung dann — wohl nur gerüchtweise — dahin ergänzt wurde, dass er Instructionen von der Newa holen solle. Ueberdies war die Sache gar nicht so ungereimt, den kühnen Beherrscher der Löwen der schwarzen Berge an Stelle des sanften, hochcivilisirten, weitsehenden Michael auf den serbischen Thron zu setzen. Der Türkei würde er viele Ungelegenheiten gemacht, aber die gross-serbische Sache damit wohl nicht sonderlich gefördert haben. Meine Auseinandersetzungen nahm mein Wirth auf, ohne auch nur eine Miene zu verziehen oder mit einem Worte darauf zu antworten. Entweder hielt er das Ganze für Gallimathias oder war dem höher gebildeten Fremden gegenüber misstrauisch geworden, doch liess er sich in letzterer Hinsicht nichts merken. Uebrigens lernte ich die Anschauung der österreichischen Kroato-Serhcn über den Fürstenmord und die Geschicke des serbischen Fürstenthums noch in anderen Orten der Militairgrenze genau kennen; was jedoch den oben erwähnten Tschechen betrifft, so erfuhr ich über ihn in Bosnien aus sichersten Quellen, dass er allerdings eine kurze Zeit Secretair des Fürsten von Montenegro gewesen, dann aber als montenegrinischer Agent nach Scutari versetzt und dort, ebenfalls sehr bald, abgelöst wurde und zwar von dem montenegrinischen Capitain Pero Bejowitsch. Mit dem montenegrinischen Dienste hatte er dann weiter nichts zu thun und ging schliesslich nach St. Petersburg. Die Söhne der schwarzen Berge sind gegen Fremde sehr misstrauisch, von dem in Bede stehenden Herrn behaupteten sie, er sei von jeher ein Agent der russischen Regierung und dem Gedeihen ihrer Ziele daher nicht förderlich gewesen. Wohl möglich, doch war die Combination, welche auf seiner Sendung fusste, hinfällig und ich hätte die Sache verschweigen können, da ich aber obige Ansicht noch vor mehreren und competente-ren Leuten in der Militairgrenze aussprach und dieselbe von diesen keineswegs für unwahrscheinlich gehalten wurde, habe ich sie mitgetheilt, es liegt ja auch in ihrer dort gefundenen Aufnahrae etwas Charakteristisches für die orientalischen Wirren. Vor dem Aufbruch sah ich mir noch die Gäste an, die sich im Gastzimmer befanden und da machte ich zunächst die unangenehme Wahrnehmung, dass mein Slovene sich einen Rausch angetrunken hatte, obwohl er sich einen anderen Kutscher zum Beistande genommen, der übrigens auch schon einen kleinen Spitz zu haben schien. An dem gemeinsamen langen Tische sass noch ein Grenzer mit seiner Frau, emsig beschäftigt, eine enorme Masse Lindenbast für den Handel in Bänder zu rupfen und zu schneiden. Diese Bastschnüro müssen in einem VVeinlande, wie die Militairgrenze, unentbehrlich sein, doch dürfte 9 die Rastgewinnung, wie sie dort betrieben wird, den Lindenbäumen vielen Schaden zufügen. — Die Pferde waren mittlerweile abgefüttert und so konnte die Fahrt weiter gehen; ich wickelte mich nach Entrichtung der billig berechneten Zeche und Abschied von meinen Wirthen in meine wollene Decke und fühlte mich recht behaglich, trotz der nassen Kleider. Als die Fahrt losgehen sollte, zeigte sich, dass der Hemmschuh noch herabgelassen war, worauf der Zechkamerad die Sache in Ordnung brachte, um seinem »brat« (Bruder) das unter so bewandten Umständen etwas mühsame Herabklettern vom Wagen zu ersparen, worauf er das Thor öffnete und uns mit einem herzlichen »s bogom!« (mit Gott!) herausliess. Mein Slovene war aufgethaut und unter seiner Kapuze hervorgrinsend, fragte er mich: »Bist Du Schwöb1 oder Italiener?« Ich erwiderte ihm, dass ich keines von beiden, sondern ein »nemetz«, ein Deutscher sei; dann hielt ich ihm eine kurze Sitzrede über die Unterschiede, an denen er einen Herrn aus Deutschland von einem blossen Schwaben unterscheiden könne, worauf ich ihn zum Schlüsse darauf aufmerksam machte, dass es Zeit sei, den Hemmschuh wieder vorzulegen, da der Weg bergab ginge. Letzteren Eath befolgte der Mann sogleich und schwieg dann während der übrigen Fahrt, es sei denn, dass ich ihn nach etwas fragte, worauf er verständig antwortete. Für die »Reichs-sturmfahnenträger« südlich vom Main diene zur Entschuldigung des Vorstehenden, dass die Bezeichnung »Deutscher« in den ungarischen und deutschen Ländern wohl mitunter gehässig, aber niemals verächtlich gebraucht wird, wohingegen die Bezeichnung »Schwöb« nur geringschätzend, ja verächtlich angewandt zu werden pflegt. Sie verdankt ihre Entstehung den schwäbischen Ansiedlern, die zu einer Zeit in's Land kamen, da nicht bloss in Schwaben, sondern auch in anderen Gauen des heiligen römischen Reiches deutscher Nation das gemeine Volk auf einer so niedrigen moralischen und nationalen Stufe stand, dass nicht blos der hochmüthige Ungar, sondern auch der unterwürfige, aber in seiner Nationalität dennoch selbst-bewusste Slave mit Verachtung auf diese Repräsentanten der deutschen Nation herabsehen konnte, deren ganzes Dichten und Trachten nur auf Gelderwerb gerichtet war, wodurch sie sich überdies verhasst machten. Aus jener Zeit nationaler Verkommenheit rührt auch das im skandinavischen Norden übliche Sprüchwort her: »Für Geld thut der Deutsche Alles«, wobei wir uns nicht einmal damit trösten können, dass man in Dänemark und Norwegen mitunter den Zusatz macht: »und der Schwede thut Alles für einen Schnaps«, denn darin liegt für den Schweden eine Entschuldigung mit Lockung auf augenblicklichen Genuss. Würden heute die hoch über den »slavischen« Borussen stehenden Schwaben in das Banat einziehen, dann würden sie natürlich dem deutschen Namen Achtung verschaffen, zumal sie sich darauf berufen könnten, dass der Börross oder Bruss mit ihnen entfernt verwandt sei und einen Dialect ihrer Sprache rede. Doch nichts für ungut. Der häufiger abwärts als aufwärts gehende Weg führte uns noch durch mehrere Dörfer mit hübschen Kirchen, aber immer elender werdenden Häusern, auch sah ich auf dieser Strecke zum ersten Male ein kaiserliches Rüsthaus, dessen zahlreiche Luken halb geöffnet waren, doch stand keine Wache bei dem Gebäude. Den Feldern sah man an, dass mit dem Boden nicht gegeizt zu werden brauchte, und die häufig auftretende Weide heimelte mich lebhaft an. Stellenweise war übrigens der Weg nicht vom Besten. Es mochte etwa 5 Uhr sein, da gewahrte ich — wir waren grade auf dem nach Süden abfallenden Theil einer Hochebene angelangt — hinter den Bergen links zwei Thurmspitzen und rechts, weiter im Hintergrunde, zwei schnurgerade Reihen gleichmässig geformter Hütten, die den Eindruck einer Zeltreihe hervorriefen. Ich glaubte, sie bildeten die Vorstadt von Kostajnitza, dessen Thürme es sein mussten, die vor mir lagen; da wandte sich der Kutscher plötzlich zu mir um, wies mit der Peitsche auf die Hütten und 9* "sagte: »türtschka gränitza« (die türkische Grenze). Eine kurze Strecke weiter und ich sah den breiten Unnafluss, der hier die »wöjnitschka gränitza« oder Militairgrenze vom türkischen Gebiete scheidet; die Hütten lagen auf türkischem Boden. Es ist schon viel über die Wirkung geschrieben worden, welche das plötzliche »Ecce Borna« des Vetturins auf den Rompilger hervorbringt, doch glaube ich kaum, dass der Künstler oder Archäologe beim ersten Anblick der ewigen Stadt mehr ergriffen sein kann, als ich es war, da ich zum ersten Male den türkischen Boden sah. Die historischen Erinnerungen und Augenblicksbetrachtungen, welche mir beim Anblicke jenes Landes mit Blitzesschnelle durch den Kopf gingen, hatten indessen nichts mit jener freudigen, enthusiastischen Erregung zu thun, wie sie Bompilger befällt, wenn sie sich an der Schwelle ihres Zieles sehen; sie konnten nur ernster und düsterer Natur sein, aber vielleicht waren sie darum nicht minder weihevoll und grossartig. Ich will den Leser mit Wiedergabe derselben verschonen, zumal bei solcher Relation leicht nachträglich und erst am Schreibtisch gekommene Gedanken mit einschlüpfen könnten, wie geistreiche Redewendungen, die nicht vorgekommen sind, in die Berichte mancher Diplomaten, denn im Allgemeinen pflegen Leute, die grade nicht an Gedankenarmuth leiden, nicht jeden Gedanken beim Kommen sogleich mit dem Bleistifte zu verscheuchen, indem sie ihn auf dem Papiere festzuhalten suchen. Uebrigens hatte ich auch gar keine Zeit, meinen Betrachtungen lange ungestört nachzugehen, denn der abschüssige Weg, die bald beginnende Stadtstrasse, welche mit scharfer Wendung nach links in die eigentliche Stadt führte und den türkischen Boden meinen Blicken entzog, rüttelten mich zum Schlüsse noch derartig auf, dass mir alle Rippen im Leibe knackten und ich mich bei den unfreiwilligen Sitzsprüngen am Lünsstabe festhalten musste. Der Anblick der österreichischen Stadt gab mir einen Vorgeschmack vom Oriente, denn so etwas von Schmutz, Krummheit, Aermlichkeit und Vernachlässigung bei dichtestem Aufeinanderdrängen aller Baulichkeiten hatte ich bisher noch nicht gesehen. Bei einem »Gewölbe« hielt der Wagen still; ein Handlungsdiener erschien, nahm die Zahlung entgegen und rief einen dienstbaren Geist, der mich nach dem besten Gasthofe führen sollte. Verlegen, aber freundlich grinsend nahm der Slovene meinen cordialen Abschiedsgruss entgegen. Steif, erfroren und durchnässt, meine mantelartig umgeworfene Decke wie eine Schleppe tragend, stolperte ich auf dem erbärmlichen Pflaster hinter meinem Führer her, der rüstigen Schrittes mein Gepäck tragend voranging und mich schliesslich in dem Honoratioren-Wirthshaus gegenüber der griechischen Kirche, unweit der Brücke, absetzte, nachdem er der Wirthin zuvor mein Anliegen in der Landessprache mitgetheilt hatte. Dass er für seinen Liebesdienst ein Trinkgeld hätte fordern können, schien der Mann gar nicht zu wissen, denn mit einem »s bogorn!« wollte er sich kurz entfernen. Die Wirthin, eine gutwillige, aber — wie ich bald merkte — kränkliche Frau, nöthigte mich in das hinter dem »G'sindstühl« liegende »Herrenstübl«, wohin sie auch den Theil meines Gepäckes trug, den ich aus der Hand gelegt hatte. Scherzweise nennen die Offiziere und höheren Zollbeamten Kostäjnitza's dies Zimmer das »Kasino«. Während sie sich in demselben aufhalten, ist es dies auch in der Thai. Es war mir darum zu thun, recht bald aus meinen durchweichten Stiefeln zu kommen und es mir überhaupt so weit wie möglich bequem zu machen, deshalb berührte es mich unangenehm, dass weiter keine Notiz von mir genommen wurde und ich wohl zehn Minuten lang im Gastzimmer warten musste. Als ich mich aber mit der Bitte an die Wirthiu wandte, mir doch ein Zimmer anweisen zu lassen, wrurde mir der Bescheid, dass die Magd gleich kommen und dies besorgen würde. Die Gewünschte erschien denn auch schliesslich — eine flinke, freundliche Krainerin, die unter der wallenden weissen Leinc-Wand, welche sie einhüllte, nur einen Theil ihres lieben, kind- liehen Gesichtes zeigte. Sie nahm meine Sachen und eilte mir voraus die Treppe hinauf nach den Schlafgemächern, von denen sie mir eins mit zwei sauber bezogenen Betten anwies und meine durchnässte Beisedecke über eine der beiden Schlafstätten zum Trocknen ausbreitete, während sie meinen triefenden Hut in der Küche beim Feuer aufzuhängen versprach. Nachdem sie mir auf Befragen die Versicherung gegeben, dass ich unter allen Umständen mein Gemach allein behalten würde, verliess sie mich. Das Zimmerchen enthielt ausser den beiden Betten einen kleinen Ofen, zwei ungestrichene Stühle, von denen einer als Waschtisch diente, einen ungestrichenen, sauber gescheuerten Tisch, ein sonderbares Gestell zum Aufhängen der Sachen und einen kleinen Spiegel. Dass es keinen Baumüberfluss hatte, brauche ich nicht zu befürworten, ich vermisste denselben auch keines-weges, fand es vielmehr höchst traulich in einem so kleinen Kämmerchen zu logiron, dessen einziges Fensterchen aus vier Scheiben doch nicht den Luxus von Klapp-Jalousien entbehrte, durch welche ich in eine kaum acht Fuss breite Gasse blicken konnte. Mein Bequemmachen war bald besorgt, denn da ich keinen zweiten Anzug mitgenommen hatte (weil ich solchen in der Türkei nicht für nöthig, aber für sehr hinderlich hielt), blieb mir nichts übrig, als in den feuchten Kleidern stocken zu bleiben, doch zog ich trockene Strümpfe und ein Paar in Wien gekaufte leichte türkische Pantoffeln an, griff zu dem lieben Tschibuck, den ich den ganzen Tag über entbehrt hatte, und fühlte mich trotz des erbärmlichen Begietabaks, den ich in Marburg gekauft, im hohen Grade behaglich. In dem Kämmerchen blieb ich jedoch nicht, sondern stieg in das Gastzimmer hinab und bestellte mir ein Abendessen. Letzteres würde etwa in zwei Stunden aufgetragen werden, gab man mir zu verstehen, denn in jenem gesegneten Lande herrscht noch die alte ländliche Wirthsordnung mit gemeinsamen Mahlzeiten, die jeder Beisende inne zu halten oder auf Speise zu verzichten hat, ein Umstand, der schon dem vielgereisten Satyriker Erasmus von Rotterdam Anlass zum Spott gab, aber selbst beute noch nicht aus allen Gegenden Deutschlands verschwunden ist. Während ich da sass und mit Behagen schlechten Rauch von mir blies, auch ein wenig nachdachte, traten plötzlich vier in graue Mäntel gekleidete Herren in das Zimmer, grüssten mich und setzten sich an einen Tisch. Sie begannen sofort eine lebhafte Unterhaltung über den Inhalt zweier von ihnen mitgebrachten Zeitungen, doch entfernte sich der eine von ihnen, den sie »Herr Finanzrath« nannten, bald. Ich sah nunmehr, dass ich mich mit meinen Pantoffeln in der Gesellschaft kaiserlicher Offiziere befand und hielt es für geboten, meine nicht kasinomässige Fussbekleidung bei den Herren mit meiner Durchnässtheit und dem Umstände zu entschuldigen, dass ich in einem so bescheiden-ländlich aussehenden Gasthause nicht erwartet hätte, noch andere Leute als die landesüblichen Reisenden zu treffen. Die Herren nahmen meine Entschuldigung mit wohlwollender Heiterkeit entgegen, nöthigton mich, an ihrem Tische Platz zu nehmen und bald waren wir mit einander bekannt und in lebhafter Unterhaltung begriffen, die erst durch die Nöthigung zum Abendessen unterbrochen, aber nachher wieder so lange fortgesetzt wurde, als die Magd uns dies gestattete, d. h. bis nach 12 Uhr Nachts. Wie es mir schien, kannten mich die Herren schon einigermaassen, ehe wir uns einander vorstellten, und nachträglich habe ich erfahren, dass Kollegen in Wien meine Ankunft in der Militairgrenze schon im Voraus angesagt hatten, ohne dass ich davon wusste. Für den anderen Tag hatten wir einen Ausflug nach dem gegenüber liegenden türkischen Kostajnitza verabredet und es war mir ausserdem eine Reisegelegenheit in angenehmster Gesellschaft auf der Grenzstrecke von Jassenowatz bis Nowi angeboten worden. Gegen mein Bereisen Bosniens hatten die Herren viele Bedenken wegen des dort herrschenden Bäuherunwesens, besonders der Weg über türkisch Kostajnitza in's Innere wurde von ihnen als sehr gefährlich bezeichnet, weil zwischen diesem Orte und Stari-Mäjdan eine Räuberbande unter Anführung eines bosnischen Begs das Land zu beiden Seiten unsischer machte und von den Standesgenossen des Banditen Vorschub erhielte. Meinen Vorsatz, Bosnien ohne Bogleitung zu bereisen, erklärten sie als unmöglich ausführbar, denn ich würde erstens auf so viele Schwierigkeiten mit den Bewohnern stossen, dass ich nicht zwei Tagereisen weit gelangen würde und dann würden, zweitens, die türkischen Behörden mich gar nicht ohne Saptie (Gensd'arm) reisen lassen, indem sie mich eines Theils beobachten und anderen Theils für meine Sicherheit aufkommen müssten. Die Herren gaben mir viele gute Lehren, von denen aber die eine, statt des europäischen Hutes ein türkisches Fess aufzusetzen, nicht zutraf; am besten gefiel mir der Unterricht im rationellen Tschibukstopfen, nach Art der Türken, wTas sich nämlich nur mit echtem und nicht ausgedörrtem türkischen Tabak thun lässt, wozu also mein Rogiokraut nicht tauglich war und deshalb weggelegt wurde, um dem Vorrathe meiner liebenswürdigen Lehrer Platz zu machen. Zu Nutz und Frommen der Raucher will ich das Gelernte hier gleich mittheilen: Man greift aus dem Vorrathe mit den drei ersten Fingern der rechten Hand mit einem Griff genau so viel heraus, als der Pfeifenkopf zur Füllung bedarf, legt die Masse, an der ein etwa 1 Vfl Zoll langer Bart hängen muss, auf die Oeffnung des Kopfes und drückt dieselbe dann langsam mit dem Mittelfinger zusammen und hinab, bis dass ihre Oberfläche ein Wenig unter dem Rande des Kopfes liegt; zum Anzünden bedient man sich, wenn man es haben kann, nach türkischer Art einer glühenden Kohle, die aufgelegt wird; andernfalls muss man natürlich zum Fidibus greifen, wobei sich gefühlvolle Baucher gegenseitig unterstützen. Bei dieser Art des Füllens wird das Rohr nicht verstopft und der Tabak sondert wenig oder doch kaum merklich Feuchtigkeit ab. Da Essen und Trinken überhaupt und ganz besonders auf Reisen von hoher Wichtigkeit ist, will ich gleich hier mit- theilen, dass Kostajnitza, Dübitza und Jassenowatz für vielessende Feinschmecker als Glanzstellen dieses irdischen Jammerthaies gelten können. Ich meinestheils konnte das Gebotene nicht ausnutzen und niemals alle Gänge mit durchmachen. Dabei wurde die Zehrung fabelhaft billig angerechnet. Dieses lokale Wohlleben* der besseren Stände in jenem Theile der Grenze rührt von dem Mangel an Absatz der Landesproducte her; wo dieselben leicht weggehen, ist auch nicht mehr so flottes Leben. Am Vormittage des nächsten Tages durchwanderte ich das Städtchen und nahm alles genau in Augenschein, auch das Innere der Häuser und Gehöfte, so weit sich dies thun liess. Der Strassenschmutz war, wie schon angedeutet, bodenlos, aber nichtsdestoweniger fühlte ich mich nach Beendigung meiner bosnischen Beise zu dem Geständniss gezwungen, dass die schmutzigste und ärmlichste Grenzerstadt immer noch besser ist, als die prächtigste Türkenstadt, die ich gesehen habe, dass also der Vergleich mit dem Orient nicht so strenge genommen werden darf. Auf dem Boden Kostäjnitza's lief ich wenigstens nicht Gefahr, mir Hals oder Beine zu brechen, was einem, reitend oder gehend, in jeder bosnischen Stadt widerfahren kann, wenn man nicht vorsichtig ist. Ausser den beiden Kirchen hat Kostajnitza nur ein relativ hervorragendes Gebäude, nämlich das Stadthaus, das eben so wie die grosse Unna-Brücke seinen Ursprung den Franzosen unter Napoleon I. verdankt. Die Häuser sind natürlich klein und elend, viele zweistöckige hatten aber einen reizenden Schmuck in Gestalt von Wein-guirlanden, die sich um das zweite Stockwerk wanden und Scheinbar keinen Zusammenhang mit dem Erdboden hatten, indem die armdicken und in Mannshöhe blattlosen Beben hinter und neben den Häusern emporgewachsen waren und ihre Farbe von der des Gebäudes nicht zu unterscheiden war. Auf einigen Gehöften, deren Besitzer recht wohlhabend schienen, bemerkte ich Scheunen mit Dreschtennen, aber wunderlich an- gelegt, indem nämlich das Gebäude auf circa 8 Fuss hohen Pfählen stand und die darunter aus festgeschlagenem Lehm gebildete Tenne nach allen Seiten offen war, eine Einrichtung, die wahrscheinlich hei dem Austreten des Getreides durch Vieh sehr zweckmässig ist, uns Nordländern aber sonderbar vorkommt. Auch Weinkeltern der primitivsten Construction, jedoch von gewaltiger Grösse, sah ich auf einigen Höfen stehen. Der westliche Theil der Stadt ist enger und winkliger als der östliche, und seine vielen kleinen Läden geben ihm einen orientalischen Anstrich, zumal vor diesen Boutiken immer Bosniaken in ihrer türkischen Tracht zu finden sind, denn zwischen der österreichischen und der türkischen Seite findet ein reger Grenzverkehr statt, doch schien es mir, als ob mehr Bosniaken nach der österreichischen Stadt kamen, als Oesterreicher nach der türkischen. Freilich war mir damals noch jeder Türke eine auffallende Erscheinung. Die Bewohner Kostäjnitza's zerfallen der Religion nach zu ziemlich gleichen Hälften in Katholiken und Griechen, die einander gründlich hassen, sich gelegentlich in die Haare fahren und dann vom Bürgermeister mit den Panduren auseinandergetrieben werden müssen, worauf nach beiden Seiten Bestrafungen erfolgen. Die Leute wohnen sogar in der Hauptsache getrennt, indem die westliche oder alte Stadt von Katholiken, die östliche hingegen von Griechen eingenommen wird. Diese Trennung erfolgte indessen ursprünglich nicht aus religiöser Abneigung, sondern schon zur Franzosenzeit in Folge eines grossen Brandes, nach welchem beim Wiederaufbau griechisch-katholische Ansiedler herbeigezogen wurden, die sich natürlich dicht beisammen niederliessen, ob jedoch das im Orte befindliche katholische Kloster mit seinen vier Mönchen nicht grossen Antheil an der Aufrechterhaltung des religiösen Gegensatzes in der Bewohnerschaft hat, wage ich nicht zu entscheiden. Am Nachmittag wurde der Ausflug nach der türkischen Seite unternommen und hatte ich dabei zunächst einen Fehler auf Boschkjewitsch's Karte von Bosnien zu berichtigen. Der genannte kaiserliche Stabsoffizier hat nämlich das jenseits der Brücke auf einer ansehnlichen Unna-Insel gelegene österreichische Kastell zu einem türkischen gemacht und es auf das Festland verlegt. Dies alte Fort nimmt sich an der nach der Stadt gekehrten Seite wahrhaft romantisch aus auf seinem Unterbau von Kalkbruchsteinen, der zum Theil mit Epheu überwachsen ist, und drei alte niedrige Thürme, sowie einige neuere Häuser mit weissgetünchten Wänden trägt. Nach der türkischen Seite zu haben es die Franzosen mit runden gemauerten Bastionen versehen, deren Schiessscharten nunmehr ohne Feuerschlünde sind. Die Aussicht von diesen Bastionen war überraschend schön und zeigte zugleich, dass die Anlage dieses alten Bollwerkes mit grosser Ueberlegung hinsichtlich der Wahl des Platzes erfolgt war, denn obwohl das Thal zu beiden Seiten von hohen Bergen umgeben ist, wird die Feste eigentlich doch nur von einer einzigen rundligen Höhe im Osten auf türkischer Seite dominirt, denn nur dort Hessen sich nach Niederlegung des Holzes Batterien vortheilhaft aufstellen, indem die österreichischen Höhen zu steil und mit zu spitzen Bücken versehen, die übrigen bosnischen Berge aber zu fern und deshalb nicht hoch genug erschienen. Ausser dem Kastell trug die Insel noch die Zollgebäude in einem ummauerten Platze und ein sogenanntes Kastell, d. h. einen mit Mauern eingefassten Platz, auf welchem die Türken und die Oester reicher ihren Grenzhandelsverkehr an gewissen Tagen besorgen. Bei solchen Gelegenheiten werden die Eajahs oder »Ungläubigen« von den Muhamedanern weidlich gedrückt und übervortheilt, indem letztere sich in jeden Handel mischen und, hat ein Bajah etwas zu verkaufen, ohne Weiteres den Preis seiner Waare bestimmen, worauf sie ihm für das abgeschlossene Geschäft eine Provision abzwacken und eine solche von dem österreichischen Käufer zu erbetteln suchen. Früher hatten es die bosnischen Christen an dieser Stelle des Landes nicht ganz so schlimm, indem nur wenige Muhamedaner unter ihnen wohnten, aber seit der Räumung der serbischen Festungen wurde hier von der türkischen Regierung auf deren Kosten (d. h. mit Hülfe der Frohnden der Rajahs) eine muhamedauische Colonie angelegt, deren Bewohner bis dahin in Serbien gelebt hatten und von jenen muhamedanischen Alhaneson abstammen, die bei Eroberung Serbiens in das unterjochte Land verpflanzt worden waren, woselbst sie zwar ihre Nationalität verloren, aber ihre Eoh-heit, Grausamkeit, Faulheit und ihren wilden Hass gegen Andersgläubige wohl bewahrt hatten. Dieses Gesindel hatte in seinem neuen Wohnsitze schon scheussliche Dinge verübt, so hatte es u. A. wenige Wochen vor meiner Ankunft einen 14jährigen Bajah- Knaben mit Gewalt geschändet; die verzweifelten Eltern und sonstigen Angehörigen des gemisshandelten Kindes eilten nach der »Christenstadt«, um die Hülfe der dortigen Behörden anzuflehen, die ihnen doch nicht gewährt werden konnte, und so baten sie: »dann verkündet es wenigstens aller Welt, was man uns anthut!« aber auch dazu hatten die Angerufenen keine Befugniss, deren Stellung überhaupt den Nachbarn gegenüber eine sehr missliche ist, Angesichts der verkehrten Orientpolitik Oesterreichs. Diese und andere Dinge hatte ich erfahren und hasste die Türken so schon glühend, nicht wegen ihres Glaubens, aber wegen ihrer Gemeinschäd-lichkeit, ihrer Gewaltthaten gegen dns andere Geschlecht und ihrer vermeintlichen Unbildungsfähigkeit, man kann sich daher die Gefühle vorstellen, mit denen ich die schmale Brücke überschritt, welche vom Kastell nach der türkischen Stadt führte. Von allen Bildern, die aus dem Orient vor meinem inneren Auge schweben, haftet auch keins klarer und fester, als jenes von meiner ersten Berührung mit diesen serbo-schkypetarischon Mustertürken. Die Eindrücke schwächen sich in dem Maasse ab, als man tiefer in ein fremdes Land eindringt und bekannter mit demselben wird, deshalb war mir schliesslich gar nichts mehr neu oder auch nur auffällig, ich änderte sogar meinen Geschmack und fand manches erbärmliche Bauwerk prächtig, auch vergass ich mitunter die Ursache, warum die »lieben Christen« Bosniens durchgehends grössere Schelme sein mussten, als die bosnischen Muhamedaner, mit denen ich in Berührung kam. Jetzt stehe ich nicht an, offen zu erklären, dass ich mich hinsichtlich der meisten Dinge in der Türkei geirrt habe und in vielen Beziehungen einen anderen Standpunkt einnehme, als früher. Nach dem Ueberschreiten des österreichischen Terrains und Passiren des letzten Wachtpostens der Civilisation gelangt man zunächst in eine sehr breite ungepflasterte Strasse, die zu beiden Seiton nichts als Geschäftslokale zeigt. Ein solcher orientalischer Laden ist höchst einfach eingerichtet und ich will versuchen, eine allgemein passende Beschreibung davon zu geben. Man denke sich einen Scharm von Holz, dessen Vorderseite herausgenommen ist und dessen gedielter Boden •etwa zwei Fuss über der Strasse liegt; an der Verlängerung dieses Bodens springt ein horizentaler Vorbau von Brettern etwa drei Fuss weit in die Strasse vor und dient als Sitz der Käufer während des Handelns um einen Gegenstand; die Grenze des Ladens ist durch eine dicke aufgenagelte Latte und eine Anzahl ausgelegter Waaren markirt, so dass nur an einer Seite ein paar Fuss breit Baum zum Ein- und Ausgehen für den Ladenbesitzer bleibt. Hinter dieser Grenze ist ein freier Baum, der mit Teppichen belegt ist, auf denen der Händler entweder mit untergeschlagenen Beinen hockt und seinen Tschibuk raucht oder der Länge nach ausgestreckt liegt und der Dinge wartet, die da kommen sollen. Die drei Wrände des Scharms sind gewöhnlich mit offenen Fächern versehen, in denen die Vorrathswaaren liegen und durch ihre verschiedene Färbung und Beschaffenheit eine recht hübsche Decoration des »Gewölbes« bilden. In der Hinterwand befindet sich die Thür zu dem eigentlichen Magazin (doch ist ein solches nicht immer vorhanden), das gewöhnlich aus Luftsteinen gemauert ist und niemals ein Fenster oder eine Luke hat. Auf dem freigelassenen Platze, der zum Aufenthalte des Kaufmanns dient, ist oftmals ein kleiner Heerd angebracht, auf welchem in der Asche ein Kohlenfeuor glimmt, an dem der Besitzer für sich oder seine Besucher Schälchen Kaffee kocht oder von Zeit zu Zeit seine Pfeife anzündet, indem er mit einer Zange, die viele beständig im Gürtel tragen, eine glühende Kohle entnimmt. Das Schliessen des Ladens erfolgt durch Vorsetzen von Brettern gegen die Grenzleiste und Vorlegen von eisernen Sperrstangen und Hängeschlössern. Genau so wie die Verkaufslokale sind die Werkstätten eingerichtet, nur dass hei diesen statt der mar-kirenden Leiste mitunter eine zwei Fuss hohe Schranke zur Trennung vom Vorbau errichtet ist und statt der Waaren-Bopositorien Utensilien oder Fabrikate die Wände bedecken. Dieselbe eben beschriebene Einrichtung der Kauf- und Arbeits-Lokale, wie wir sie im Orient finden, war im Mittelalter in allen deutschen Städten vorhanden und Reste derselbeu finden sich sogar heute noch in Berlin und anderen Orten. Sie hat übrigens das eine Gute, dass sich alle Betriebsamkeit in gewissen Strassen oder Stadttheilen zusammengedrängt findet und so das Suchen und Auswählen des Käufers erleichtert wird, andererseits aber hat sie, besonders in unserem Klima, unzählige Nachtheile; der Orientale wird dieselbe jedoch so lange conserviren, als sein Haus ein verschlossenes Weibergefängniss bleibt, denn, wohl zu beachten, das Wohnhaus orientalischer Geschäftsleute liegt immer in einer anderen Strasse oder einem anderen Stadttheile, als sein Geschäftslokal. Im Hintergrunde der Geschäftsstrasse sah ich auf einem Hügel die türkische Karäula (Wachtha us), die ich schon von der österreichischen Seite gesehen hatte, nunmehr deutlich in ihrer düsteren Aermlichkeit liegen; rechts in etwa 10 Minuten Entfernung befand sich die lagerartig aussehende eigentliche Türkenstadt und links in einiger Entfernung lagen noch einige muhamodanische Wohnungen, darunter der Konäq oder »Palast« des Käimakäms (eine erbärmliche Bude), und in einem weiten Halbkreise auf den Hügeln oder am Fusse derselben zeigten sich zerstreut die Christenwohnungen, deren Insassen sich durch Isolirung zu schützen suchen. Alles in Allem mag dieser türkische Ort 1500 Einwohner zählen, der österreichische hingegen hat mindestens 2500. Bis dahin hatte ich Türken nur auf Bildern hocken sehen und glaubte, sie sässen wie die Schneider; dies ist jedoch nicht der Fall, denn sie halten die Schenkel so weit auseinander, wie ein Schneider dies nicht zu thun vermag, deshalb können sie im Hocken jede Beschäftigung vornehmen und den grössten Gegenstand dicht an den Leib bringen. In unserer Weise können sie wohl sitzen, es strengt sie diese Art Buhe jedoch bis zur Erschöpfung an und ist es deshalb eine der schwersten Aufgaben türkischer Beamten höheren Banges, die erst im gereiften Alter zu ihrer Würde und zum offiziellen Verkehr mit Europäern gelangt sind, die europäische Art des Sitzens auszuüben und es ist gewiss anerkennenswerth, dass sich viele dieser Männer selbst in abgelegenen, wenig beobachteten Amtsorten zwingen, inmitten ihrer Untergebenen stets die von Konstantinopel aus gewünschte oder befohlene Sitzweise durchzuführen. Wunderlich genug kamen mir übrigens die überall umber-hockenden oder liegenden Türken vor, denn wie gesagt, die Sache hatte den Reiz der Neuheit für mich. Wir machten zunächst vor einem Tahaksladcn Halt und ■einer meiner Begleiter sagte dem Kaufmann, er möge mir einmal die allerschönste Sorte seiner Wraare vorlegen, denn ich sei weit hergekommen, um die Türkei zu sehen und da müsse er mit seinem Tabak Ehre einlegen. Der Türke kramte ein Weilchen unter den in Papier geschlagenen Paketen umher, öffnete dann eins und zeigte mir ein Kraut, bei dessen Anblick mir allerdings der Mund wässerte und von dem ich mir sogleich das grösste von der Zollbehörde steuerfrei zugelassene Quantum abwägen liess, worauf ich mir einen Genuss ver- schaffte, wie ich solchen noch nie gehaht habe und gegen den das Rauchen von Havana- und echten Manila - Cigarren weit zurücktritt, denn der feine türkische Tabak hat neben seinem Aronia eine unvergleichliche Milde, so dass man den ganzen Tag die Pfeife nicht ausgehen zu lassen brauchte, wenn man weiter nichts zu thun hätte, als zu rauchen, wie die wohlhabenden Türken zu thun pflegen. Die Oka (21/* Pfund) von diesem Götterkraut kostete 7 Gulden, würde also in Berlin, wenn dort überhaupt zu haben, etwa doppelt so viel Thaler pfundweise kosten, denn einen Tabak, den ich in Bosnien für 2 Gulden die Oka kaufte (um meine Saptio's damit zu erquicken), bezahlte ich in Berlin Unter den Linden mit 3 Thalern das Pfund, ein Preis, der die dortigen Cigaretten-Baucher veranlasst, sich diesen Tabak in Dosen von 2 oder 3 Loth täglich zu kaufen. Uebrigens muss icli doch darauf hinweisen, dass ich nirgends in Bosnien wieder eine so feine Waare gesehen habe, selbst nicht in Sarajewo, der Hauptstadt; es scheint demnach, als ob die Türken Kostäjnitza's mit ihrem Tabak auf die Besucher von jenseits speculiren. Ich kaufte noch einen kleinen dickwandigen Pfeifenkopf für 10 Kreuzer und auch hierin machte ich die Erfahrung, dass die betreffende Sorte ebenfalls nur in Kostajnitza feilgehalten wurde, denn auf meiner weiteren Reise fragten mich oftmals die Türken, mit denen ich in Berührung kam, wo ich diesen vortrefflichen »Kamysch« gekauft habe und ob ich nicht noch einen übrig hätte. Ich liess mir dann noch von dem Kaufmann das Tabak-schneiden zeigen, wozu man sich einer auf dem Fussboden stehenden ganz kleinen Häckselmaschine bedient, deren Messer mit der Rechten gehandhabt wird, während die Linke die Lage Tabak festhält und unmerklich weiter schiebt. Statt der linken Hand benutzte der Türke übrigens auch den einen seiner nackten Füsse, was ich Cigarrettenrauchern zu bedenken geben will. Der Schnitt war so fein, dass die Fasern die Dünne des feinsten Postpapiers hatten und wie ein Miniatur-Wasserfall zusammenhängend herabsanken — leckerer Anblick für einen leidenschaftlichen Raucher! Beim Befühlendes dort ausgelegten oder eingepackten Tabaks fiel mir die angenehme Feuchtigkeit desselben auf und ich sprach die Vermuthung aus, dass diese mit Hülfe einer Sauce bewirkt werde. Darüber fand sich der Kaufmann jedoch so beleidigt, dass er mich nöthigte, in sein Magazin zu treten, woselbst er dann aus mehreren regellosen Haufen Blattlageu herausgriff, auseinanderbrach und mir zum Befühlen gab; da überzeugte ich mich nun allerdings, dass diese Feuchtigkeit nichts weiter war, als das eigene Fett der Blätter. Von den Orientalen könnten wir in Behandlung und Aufbewahrung des Tabaks noch Vieles lernen. — Meine Begleiter sprachen übrigens ihre Verwunderung darüber aus, dass der Mann so viele Umstände mit mir machte und sagten mir, dass ich noch sehr oft an türkische Kaufleute gerathen würde, die mir gar keine Antwort gehen oder mich unbeachtet stehen lassen würden; doch ist mir so etwas nie begegnet; im Gcgen-theil, die Leute erwiesen mir die grössten Höflichkeiten in ihrer Art und gaben sich Mühe, mir alle gewünschte Auskunft zu ertheilen. Beim Weiterwandeln machte man mich auf eine seltsame Erscheinung in einem der Scharrn aufmerksam, nämlich auf eine griechisch - katholische Bosniakin aus dem Kaufmannsstande. Habe ich je ein unangenehmeres Bild gesehen, als eine christliche Bosniakin der wohlhabenderen Stände in ihrem alltäglichen türkischen Kostüm, besonders wenn die Betreffende etwas beleibt und, wie meist immer der Fall, unschönen Gesichts war! Auch ein grosser Theil unserer Damen giebt sich viele Mühe, durch die Kleidung seine natürlichen Beize zu verunstalten, aber es geht doch nichts über die sackartigen türkischen Damenhosen aus schwarzem seidenen oder seidenartigen Stoffe, wie sie dort zum Anzüge wohlhabender Christinnen und Muhamedaner innen gehören. Man hat Angesichts derselben wirklich Mühe, sich zu vergegenwärtigen, dass man ein weih- 10 LtofeteS Wesen vor sieh sieht, zumal die Frauen noch den Kopf in einen Turban hüllen und die Mädchen denselben mit einem Fess bedecken. Verheirathete oder mannbare Muhamedanerinnen habe ich erst in Kosaratz zu sehen bekommen und in Kostajnitza sah ich auch nur zwei Christinnen im türkischen Kostüm, doch will ich, da ich grade hei der Damentoilette bin, die letztere gleich hier beschreiben. Mädchen wie Frauen (auch der muha-medanischen Religion) sind bemüht, den ganzen Busen zu zeigen, deshalb ist die rothe, gestickte Weste (Mieder?), welche sie über das fast durchsichtig gewehte Hemd schnüren, oben so weit ausgeschnitten, dass die Brüste völlig freiliogen und unterwärts wieder so ' kurz, dass ein handbreiter Streifen des Leibes oberhalb der Hüften nur von dem Hemd bedeckt ist; dann beginnen die widerlichen Hosen, die um die Hüften geschnürt sind und aus denen unten die nackten Knöchel und Füsse hervorsehen, welche in Pantoffeln oder weit ausgeschnittenen ledernen Schuhen stecken; Strümpfe werden nicht belieht. Den Brustschlitz dos Hemdes lassen manche Mädchen offen stehen; das Hemd ist am Halse mit einem niedrigen Stehkragen versehen, die Aermel weiten sich bei den Händen bis zur dreifachen Armweite aus und sind dort durchbrochen und mit Stickerei geschmückt. Zum vollständigen Anzüge gehört eine rothe, braune oder gelbe Jacke mit aufgeschlitzten oder sich nach der Hand zu weitenden Aermeln, auch ein bis an die Knöchel reichender Schlafrock, in welchem letztere]] die Damen erträglicher aussehen, weil er die Hosen vordeckt; aber Jacke wie Bock ist oben so weit ausgeschnitten, dass der Busen in seiner ganzen Modellirung frei bleibt. Um den Hals und um die Handgelenke werden Schnüre aus Glasperlen, Korallen oder Gold geschlungen, je nach dem Wohlstande der Trägerin; ein Shawl dient als Gürtel des Rockes, wenn ein solcher getragen wird, und fällt wrie lange Quasten nach vorn herab. Um das rothe Fess wickeln die Frauen einen Shawl, so dass man wenig oder gar nichts von ihrem Haar bemerken kann; die Mädchen verzieren das mit langer, bis in den Nacken fallender Quaste versehene Fess mit werthlosen Gold - Imitationen, aber auch mit mehreren Reihen echter Dukaten, wenn die Eltern reich sind. Die Farben der Kleidungsstücke und Shawls sind lebhaft, aber schön, und die überall angebrachten Verzierungen höchst geschmackvoll. Kleine Mädchen, muhamedanische sowohl als christliche, sehen, so lauge sie noch ein rein kindliches Gesicht zeigen, allerliebst in dieser Tracht aus, wobei das Rothkäppchen natürlich eine grosse Rolle spielt. Hinsichtlich der Haartracht habe ich bemerkt, dass manche Mädchen ihren natürlichen Kopfschmuck in zwei Flechten bringen, die dann über den Nacken herabfallen oder auch nach vorn über den Busen gelegt werden; andere scheeren das Haar des Vorderhauptes so kurz, dass es ungeflochton nach vorn bis an die Ohrzipfel herabfällt, während die Haare des Hinterhauptes in dünne Flechtchen gebracht auf Schultern und Nacken ruhen. Ueppigen Haarwuchs habe ich bei keiner Bosniakin bemerkt. Ueber den von muhamedanischen Frauen getriebenen Kleider-Luxus könnte ich gar nicht mitsprechen, wenn ich nicht zu Sarajewo auf dem grossen Besestän (Trödelmarkt) die von reichen Leuton ausrangirten oder wegen Abreise resp. Noth verkauften Frauenkleider gesehen hätte. Dieselben waren oftmals von einer unbeschreiblichen, märchenhaften Bracht und Schönheit, besonders die Schlafröcke. — Doch zurück nach Kostajnitza. Nach Verlassen des Tabakladens wünschten wir das Kaffeehaus zu besuchen, denn ein solches, sowie eine Barbierstube gehört ja zu den türkischen Sehenswürdigkeiten von eigen-thümlichem Charakter. Unterwegs begrüssten meine Begleiter einen ungemein stattlichen Mann mit der Anrede »Derwent-Aga« und Hessen sich in ein Gespräch mit ihm ein; da mau mir so viel Furchtbares von den Han-dshärs erzählt hatte, ersuchte ich diesen Aga — beiläufig gesagt einen Hertzegowiner — mir eine solche Waffe zu zeigen. Er hatte keine im Gürtel, 10* beauftragte aber sogleich einen der umherlungernden Burschen, dieselbe aus seiner Wohnung zu holen und nach dem Kaffeehause zu bringen, wohin wir uns in seiner Gesellschaft und der des Polizei-Aga's begaben. Der Letztere, ebenfalls ein Hertze-gowiner, bildete eine komische Erscheinung trotz seines männlich schönen Gesichtes und ansehnlichen Wuchses, denn er steckte in der europäischen Uniform wie ein Affe in der menschlichen Kleidang, dazu ging er barfuss in weiten Schuhen und hatte eine so geduckte Haltung, wie ein geprügelter Hund. Sein Säbel war Solinger Fabrikat, wie dies auch sämmtliche Säbel der regulären Cavallerie sind, die ich gesehen habe. Die Beobachtung, dass die Türken in europäischer Tracht entweder eine komische oder eine unglückliche Figur spielen, habe ich mehrfach gemacht und nur ein paar dieser Herren bemerkt, denen die Uniform so natürlich sass wie uns. Wie prächtig und stattlich zugleich nahmen sich dagegen die Leute in ihrer nationalen Tracht aus, besonders die Hertzegowincr (deren Tracht mit der montenegrinischen so ziemlich übereinstimmt), und wie selbstbewusst stolzirten die Muhamedaner unter ihnen umher, eine wahrhaft imponirende Buhe zur Schau tragend, die jedoch mehr in Trägheit, als kaltem Blute wurzeln mag. Wir betraten das Kaffeehaus. Es war ein niedriges, aus Fachwerk aufgeführtes Gebäude, dessen Hauptzimmer nach der Vorder- und der Hinterseite je zwei kleine Fenster mit hand-grossen Scheiben hatte und etwa 12 Fuss im Geviert messen mochte; links vom Eingang, in der Mitte der Wand, befand sich der Kamin, in welchem ein Feuer prasselte und rauchte, in der gegenüberliegenden Wand war die Ausgangsthür, die zunächst in das Vorgemach führte. Wo sich an den Wänden in etwa drei Fuss Höhe eine kleine wagerechte Pritsche anbringen liess, da war dies geschehen, und ausserdem waren derartige Sitzvorrichtungen, einen Gang zwischen sich lassend, noch in der Mitte des Zimmers errichtet. Decken oder Matten, die ich später überall in den elendesten Hans fand, waren nirgends gelegt, dafür hing jedoch ein Zeichen der Civilisation, das ich sonst in derartigen Localen nicht wieder gesehen habe, nämlich eine Schwarz walder Stubenuhr in einem Winkel, ging aber nach unserer Zeitrechnung falsch, indem die Türken dieselbe alle Tage stellten, wobei sie den Zeiger im Augenblick des Sonnenunterganges, der mit dem Ruf der Müezzim zum Nachtgehet zusammenfällt, immer auf 12 Uhr schieben, so dass also täglich die Stunden um einige Minuten in der Zeit vorgerückt werden und ausserdem im Allgemeinen den unsrigen in der Rechnung vier Stunden voraus sind, so dass 12 Uhr Mittags nach unserer Zeitrechnung schon 4 Uhr Nachmittags hei den Türken ist. Man kann sich denken, wie diese nach religiösen Vorschriften geregelte Stundenberechnung störend wirkt, wo der Orient mit dem Oxident in unmittelbaren Verkehr tritt, z. B. in Konstantinopel, Warna und Rustschuk, woselbst die Dampfer und Eisenhahnzüge ihren Abgang nach dieser verkehrten Weise fixiren müssen, wie man mir gesagt hat. Ich brauchte mich in dem Kaffeezimmer nicht lange nach einem Sitz zum Niederlassen umzusehen, denn ein alter Mann in weissem Turban nöthigte mich mit freundlicher Miene, neben ihm Platz zu nehmen, was ich auch that. Wir bestellten uns Kaffee und zwar süssen, da die Eingeborenen denselben meistens bitter trinken, doch wissen sie alle, dass wir Europäer den Zucker zu diesem Getränke nicht entbehren mögen, deshalb wurde mir bei meiner weiteren Reise entweder versüsster Kaffee ungefordert vorgesetzt, oder an meinen Saptie die Präge gerichtet, ob ich Zucker wünschte. Unser Kaffeewirth hatte eine wahre Galgenphysiognomie, sein Kaffee war jedoch gut, nur mussten wir das Schälefeen mit 10 Kreuzern bezahlen, während — wie wir alle wussten — die Türken nur 2 Kreuzer dafür gaben. Da ich so viel von der eigenthümlichen Art des türkischen Kaffeekochens in Effect - Feuilletons gelesen hatte, beobachtete ich natürlich mit gespannter Aufmerksamkeit den vermeintlich interessanten Vorgang und fand zu meiner Enttäuschung, dass die Sache genau so gemacht wurde, wie sie unsere Hausfrauen mit Hülfe der Kasserolo machen. Hier folge eine kurze Beschreibung des von mir unzählige Male gesehenen Vorganges. Eine kleine Blechkanne von 4 — 5 Zoll Höhe und 21h — 3 Zoll Durchmesser wird in die glühenden Kohlen geschoben und nach einigen Minuten, vor dem Eintritte des Kochens des Wassers, die nöthige Portion Kaffee-pulver (etwa 2 Theelöffel voll) hineingeworfen; dann beginnt die Masse aufzukochen, wobei sie den bekannten ätherischen Schaum emportreibt, den der Koch mit einem Löffelchen hin-und herstreicht; hierauf zieht er das Kännchen aus der Gluth und schenkt ein. Die Kaffeebohne wird gemahlen und wohl nur noch von den Arabern der W7üste im Mörser kleingestampft. In Bosnien und überhaupt in der europäischen Türkei bedient man sich zum Mahlen kleiner Mühlen (bosnisch: kaweni-mlin), die statt des Kastens und Trichters nur einen Blech -Cylinder von vielleicht sechs Zoll Länge und 2]/2 Zoll Durchmesser haben, den heim Mahlen die linke Hand umspannt, während die rechte die Kurbel dreht. Für jede Bestellung wird eigens die nöthige Portion gemahlen während das Wasser kocht, nur bei aussergewöhnlichem Zudrange von Kaffeetrinkern, z. B. bei festlichen (Telegenheiten, wird aus dem gemahlenen Vorrathe entnommen, der in einen ausgehöhlten Baumstumpf eingestampft ist. Diesem Einstampfen wohnte ich nur einmal und zwar in einem Han auf der Köbilja-Gläwa bei; der Baum war etwa 3 Fuss lang, 9 Zoll im Durchmesser und hatte eine Höhlung von 3 Zoll Weite; die eiserne Stampfkeule mass 4 Fuss und war lJ/2 Zoll dick; der Kaffee wurde mit grosser Kraftanstrengung festgeschlagen, was unbedingt eine Erhitzung des Pulvers zur Folge haben musste und in Folge dessen ein theil-weises Entweichen des Koffeins, ein Umstand, der den Schwärmern für das Kaffeestampfen entgangen zu sein scheint. Der Kaffee wurde uns in Porzcllan-Tässchen kredenzt, die kaum so viel Inhalt fassten, als etwa ein Hühnerei bergen könnte; der Trank ist unklar, doch setzt sich der zu Staub gemahlene Kaffee bald an den Boden, woselbst er dann zusammen mit dem Zucker wie Cichoriensatz liegen bleibt, denn die Kaffee-sieder und überhaupt gewöhnliche Leute bedienen sich keiner Theelöffel zum Umrühren, sondern für ihre eigene Person allenfalls des Pingers; ein intelligenter Saptie nahm hierzu, um mir eine Aufmerksamkeit zu erweisen, seinen Pistolenladestock, an dem noch Pulverschleim kleben musste, da er kurz zuvor geschossen und geladen hatte. Ich verbrannte mir fast die Finger an dem heissen Tässchen und stellte es deshalb neben mich auf die Pritsche, worauf der alte Mann, der mir zur Seite sass, dem Wirth darüber Vorstellungen machte, dass er mir das Schälchen ohne Untersatz gereicht habe; der aber antwortete kurz, dass er die Mode nicht einführen könne, auch der Käi-makäm müsse seine Tasse in die blosse Hand nehmen. Darin hatte der Mann Becht, wie ich noch sehen sollte, und überhaupt wurde mir das Kaffeetässchen auf einem Untersatz nur in den Häusern der Pascha's und Käimakäms dargereicht. Diese Untersätze gleichen in Form und Grösse unseren Eierhaltern, sind aber Filigranarbeit und oftmals wahre Kunstwerke, und doch werden sie von den Goldschmieden aus freier Hand gearbeitet. Die türkische Kaffeegesellschaft liess sich hinsichtlich meiner Person keinerlei Neugierde merken und bewegte sich überhaupt mit einer Ungezwungenheit, die fast vornehm erschien. Dass die Leute für kindische Possen Sinn hatten, ersah ich daraus, dass ein junger Mann mit einem Bündelchen spielte, als ob es eine Katze wäre, und dabei von Zeit zu Zeit das verschiedenartige Geschrei dieses Thieres täuschend nachahmte, worüber alle in lautes Gelächter ausbrachen. Eine Bajahfrau in der gewöhnlichen serbischen Tracht trat durch die Hinterpforte in das Zimmer und verlangte etwas, das ich nicht verstand, worauf einige der Männer unter scherzenden Reden zu suchen begannen und ihr dann das Gefundene, eine Axt, gaben. Angesichts der Vorstellungen, die ich mir von der wilden Gier der Türken machte, überraschte mich dieser an sich unbedeutende Vorfall und sein anständiger Verlauf. Mittlerweile kam auch der Bursche, der den Han-dshär des Aga's geholt hatte und ich hatte nun Gelegenheit, die Waffe zu untersuchen, von der mir so Furchtbares mitgetheilt worden war, ich muss aber gesteheu, dass ich dieselbe gegenüber einem Säbel oder Bayonnet in kundiger Fechterhand für sehr ungefährlich halte. Man denke sich eine Klinge von der Grösse und Form der Faschinenmesser unserer Pioniere oder Fuss-Artilleristen, nur noch breiter und dicker, und man hat eine Vorstellung von dieser Waffe, deren Name eigentlich »Dolch« bedeutet. Das Eigenthümliche daran ist der Griff und die Stellung der Klinge zu demselben. Die Handhabe, aus Elfenbein oder Knochen, ist nämlich noch heute eine geschmackvolle Nachahmung des Pferdeschenkelknochens, in den vor Tausenden von Jahren die Araber und andere Orientalen die Klinge zu stecken pflegten, um ihr einen Griff zu geben. Sieht man die Schneide des Han-dshärs, dann zeigt sich der Griff in der Breite, d. h. man sieht beide Seitenknäufe der Stange von vorn, betrachtet man hingegen die Breite der Klinge (auf der stets ein Spruch aus dem Koran eingravirt ist), dann sieht man nur den einen Knauf und zwar von der Seite. Mit dieser Waffe wird oft grosser Luxus getrieben, indem Klinge wie Griff mit Gold ausgelegt und letzterer mit edlen Steinen besetzt ist, aber ein kunstgerechter Fechthieb lässt sich mit derselben nicht führen und noch viel weniger auffangen, denn es fehlt ihr jeder Schutz der Hand und die dicken Knäufe hindern das Handgelenk in seinen Bewegungen. Die Han-dshärs sind nicht biegsam und müssen leicht brechen, denn da ich eine Biegeprobe machen wollte, sprang der Eigenthümer erschreckt hinzu, um mich daran zu verhindern. Er bot mir übrigens die Waffe für 25 Gulden zum Kauf an, und schien überhaupt jedes Stück feil zu haben, wie z. B. seine Cigarettenspitze aus Filigran und seine Cigarettendose aus Neusilber. Der »Derwent-Aga« war nämlich ein äusserst liederlicher Patron, der von seinen Verwandten zwar monatlich 25 Ducaten erhielt und ganz allein dastand, aber mit seinem Gelde nicht auskam, viele Schulden machte und täglich einige Quart Pflaumenbranntwein vertilgte. Er gehörte zum alten hertzegowinischen Adel, bei dem er etwa so viel war wie »Baron«. Als wir das Kaffeehaus verliessen, grüssten uns alle Anwesenden einzeln in der bekannten Weise, indem sie nämlich die rechte Hand an die Stirn, den Mund und das Herz legten und dabei jedesmal mit einem Wink so nach dem Boden deuteten, als wollten sie sagen: »Meinen Kopf, meinen Mund und mein Herz lege ich Dir zu Füssen!« es kann auch bedeuten: »Ich denke und spreche von Dir nur gut und fühle für Dich nur Gutes«. Wird der Gruss im Stehen oder Gehen vor einem Höhergestellton angebracht, dann ist er mit mehreren Kniebeugungen und auch wohl Handkuss verknüpft. Wir wollten gleich nach dem Heraustreten den Ort verlassen, doch hatte sich draussen ein grosser Mann eingefunden, nämlich kein Geringerer als der Käimakäm des Ortes und Districts, Achmed Bey oder Külanitj-Beg, wie der Familienname dieses bosnischen »Grafen« lautete. Er hatte wohl von unserem Besuche gehört und wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sich vor uns ein wenig gross zu thun und seine Neugierde zu befriedigen. Ich wurde ihm und er mir vorgestellt, worauf wir uns alle in europäischer Weise auf die Platforin des grossen laubenartigen Vorbaues der Kneipe nieder-liessen. Der Beg (spar, behg) bestellte alsobald für sich und jeden von uns ein Schälchen Kaifee, nach dessen Genuss wir natürlich dasselbe thaton, wobei wir gegenseitig unsere Pfeifen und Cigaretten in Brand setzten und uns in sehr lehrreicher Weise unterhielten. Külauitj war ein Manu von mittlerer Grösse, mit stechenden grauen Augen, kohlschwarz gefärbtem Haar und Bart und einer weichlichen, nichtssagenden Physiognomie, die eher madsharisch als slavisch zu nennen war. Er hatte die ganze türkische Höflichkeit aus Konstantinopel, dem Orte seiner Studien, mitgebracht und unterbrach alle Augenblicke sein Gespräch mit der an mich gerichteten Frage: »Wie geht es Dir jetzt?« oder: »Wie befindest Du Dich in diesem Augenblicke?« oder: »Bist Du auch vollkommen wohl?« »Hoffentlich wird es Dir immer gut gehen« etc., Fragen, die ich mit Dank und einer ebenso nichtssagenden Gegenfrage beantwortete. Beim Abschiede gab er mir noch den bekannten zierlichen Gruss mit auf den Wog: »Möge Dein Ende glücklich sein!« (ikbalynys chayr olsün!) Dieser Gruss bedeutet eigentlich: »Mögest Du Dich in der Todesstunde noch zum Islam bekehren«, doch ist er jetzt, gegen Europäer angewandt, nur eine Umschreibung des Wunsches: »Möge Dich bald der Teufel holen«. Man darf sich nämlich durch das Benehmen der Muhamedaner uns gegenüber nicht täuschen lassen und sich etwa Illusionen von Toleranz hingeben, denn diese Menschen hassen uns gründlich, nur ist ihre Furcht stärker als der Hass, und ganz besonders fanatisch sind die Bosniaken. Während unseres Gespräches kam einer der Kaffeegäste nach dem andern leise herangeschlichen und gab durch Niedersitzen bei mir, sowie durch starren Blick auf meinen Feldstecher den Wunsch zu erkennen, durch dieses Wunderding zu sehen, welches das Staunen des Käimakäms erregt hatte, der mich ersucht, ihn einmal durchblicken zu lassen, da er noch nie durch ein Fernrohr gesehen habe. Da die Leute alle vortreffliche Augen hatten, war es leicht für mich, das Glass passend zu reguliren, und sie prallten förmlich zurück, wenn ihnen die Gegenstände plötzlich scheinbar so nahe vor das Auge rückten. Auch eine dicke, ältliche Bajahfrau, nur mit Hemd, Hosen, Turban und Schuhen bekleidet, führte ihr Weg an unserem Sitze vorbei. Sie hatte kaum den einen meiner liebenswürdigen Begleiter bemerkt, als sie schnellen, obwohl unsicheren Schrittes (denn sie war angetrunken) auf ihn zueilte, seine Hand ergriff und dieselbe zu küssen versuchte; auch sein Knie stand in Gefahr, eine derartige Huldigung entgegennehmen zu müssen. Selbstverständlich wehrte der Bedrohte diese Erniedrigung eines Mitgliedes des schwächeren Geschlechtes mit Entrüstung ab und der Käiinakäm, bei dem die Frau dieselbe Art der Be-grüssung versuchte, musste wohl oder übel in unserer Gegenwart nach solchem Beispiele ein Gleiches thun. Mein Begleiter richtete nun scherzhafte Fragen an die »Frau Bäckermeister« (denn dies war sie) und sie antwortete scherzhaft unter dem Einflüsse des Sliwowitz darauf, bis ihr zu verstehen gegeben wurde, dass man einen Schluss der Unterhaltung wünschte, worauf sie, nach abermaligem Versuche der erwähnten Be-grüssungsweise sich entfernte. Für den einen meiner Begleiter zeigte sie eine so grosse Verehrung, weil er für sie der wichtigste Mann in Kostajnitza war und sie gegen den Betrug österreichischer Unterthanen in Schutz genommen hatte. Es kommt nämlich nicht selten vor, dass sich die Nachbarn gegenseitig zu betrügen versuchen, und davon haben die österreichischen Offiziere dann allemal viele Weiterungen. Dass mich die oben beschriebene Seene peinlich berührte, brauche ich wohl kaum zu versichern, denn ein Weib in solcher erniedrigten Stellung zu sehen, ist scheusslich, aber es schnitt mir gradezu durchs Herz, wenn ich den Begleiter dieser »achtbaren« Bajahfrau ansah — einen hübschen .Jüngling, der in demüthiger Haltung hinter seiner Mutter oder Herrin stand und mich sowie die anderen Herren mit Blicken betrachtete, aus denen knechtische Unterwürfigkeit und Furcht sprach und dabei doch eine rührende Gutmüthigkeit. Ich musste es in Bosnien noch häufig sehen, dass Frauen Männern die Hand küssten, und mir selber wäre dies in Folge eines Trinkgeldes beinahe wiederfahren, hätte ich nicht die Hand rechtzeitig zurückgerissen. Man findet es dort ganz in der Ordnung, dass die Schwester dem Bruder, die Nichte dem Oheim oder Vetter, und die Frau oder Magd dem Herrn die Hand küsst. Ich sah dies in Häusern und auf offener Strasse. Die Männer haben im Orient keinen Begriff von Ehre, wie viel weniger die Frauen, die dort so erniedrigt und demoralisirt sind, besonders die christlichen, dass ich an Gewaltthätigkeiten gegen sie abseiten muhamedanischer Männer in ruhigen Zeiten kaum glauben kann, da sie für Gewährung eines materiellen Vortheils gewiss zur Erfüllung jedes Wunsches der Machthaber gern bereit sind. Mir selbst wurde in einem gewissen Han die (wirklich hübsche) Tochter von den eigenen Eltern angeboten, und mein Nichtbeachten dieses Angebots veranlasste meinen Saptie zu der für dortige Sitten-zustände charakteristischen Entschuldigung vor dem Mädchen: »Der Herr wartet, bis er zur Stadt kommt, woselbst es »»Frcileins«« und auch Bier giebt«. Uebrigens hat man nicht nöthig, die bosnische Prostituirung des weiblichen Geschlechts den Türken allein in die Schuhe zu schieben —- in der Mark Brandenburg, in Pommern und besonders im Grossherzogthum Mecklenburg-Schwerin ist es auf und bei Bittergütern nicht um ein Haar besser, woran wieder nicht allein die Junker schuld sind, sondern in unseren Tagen hauptsächlich die jungen Herren aus der Bourgeoisie,, welche sich die Landwirtschaft zum Berufe gewählt und das feudale jus primae noctis nur modernisirt und allgemeiner gemacht haben. Aus der Unterhaltung mit dem Beg kann ich Folgendes mittheilen. Da ich so viel von dem religiösen und aristokratischen Hochmuthe der bosnischen Adeligen*) gehört hatte, *) Es ist wohl allgemein bekannt, dass Serbien und Bosnien einen sehr alten aus dem Volke hervorgegangenen Adel hatte. Der serbische schloss sein Dasein in der rühmlichsten Weise in dem mörderischen Kampfe auf dem Amselfelde gegen die Türken (15. Juni 1389); die Mehrzahl der wenigen Ueberlebenden wanderte aus, nur wenige traten zum Islam über; der bosnische Adel hingegen trat nach dem Sturze des bosnischen Königreiches (1463) in überwiegender Mehrzahl zum Islam über, wodurch er seine feudalen lenkte ich das Gespräch zunächst auf die Abstammung des Herrn Külanitj, und da hatte ich den Spass, diesen Anthropoiden mit dem grössten Ernste und Selbstbewusstsein von seinen Vorfahren, »den Fürsten« erzählen zu hören, die vor der Türkenzeit 100 Städte und Dörfer besessen hatten, was nicht unwahrscheinlich ist, denn ein Kulan war einstmals der mächtigste Mann im Lande nach dem Könige. »Graf« Külanitj hatte ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich, denn 1850 stand er an der Spitze einer Käuherbande und hatte das Unglück, dem in Bosnien aufräumenden Omer-Pascha in die Hände zu fallen, der Anfangs kurzen Prozess mit ihm machen wollte, aber in Rücksicht darauf, dass er »von den alten Fürston stammte«, ihn einige Jahre einsperrte und dann zur völligen Besserung nach Konstantinopel sandte, woselbst er sechs Jahre lang Koränstudien und andere nach türkischen Begriffen nützliche Dinge trieb und schliesslich mit dem Posten eines Käi-makäms, d. h. mit einem Gehalt von jährlich 3500 Gulden, begnadigt, nach Bosnien zurückgeschickt wurde. Er war ein Herr von Habenichts, nutzte aber seine Stellung in dem Maasse aus, dass er auf dem besten Wege war, wieder ein Herr von Habewas zu werden, doch wurde ihm bald nach meinem Dortsein das Handwerk gelegt und er seines Amtes enthoben, wie ich nachträglich erfuhr. Auf seine Studien that er sich viel zu Gute und rühmte sich vor mir, türkisch, arabisch und persisch sprechen zu können, jedenfalls das Beste aus der unvernünftigen Weisheit, die er von Konstantinopel mitgebracht hatte. Komisch war sein Verhältniss zum Kady, dem er, wie man mir erzählte, sein »geringeres Wissen« oftmals in burleskderber Weise vorwerfen sollte, wobei das Prädikat »Esel« nicht Privilegien rettete und vermehrte; ein kleiner Theil flüchtete nach Oesterreich (z. B. die Jankowitj) oder warf sich in die schwarzen Berge und gründete dort das unter dem Namen Montenegro bekannte Pürstenthum. ir>8 gespart wurde. Am Zeigefinger seiner rechten Hand trug er einen King mit schwarzem, weissgesprenkeltcm Steine, der meine Aufmerksamkeit erregte, weil ich wohl sah, dass er kein Edelstein war, aber ich doch nicht erkennen konnte, wozu er eigentlich gehörte. Diesen King, so erzählte er mir nun, habe er in Konstantinopel bei seiner Vorheirathung erhalten; derselbe rubre von einem Steine hör, der in einer Moschee sich befinde, aber weder an der Erde liege, noch an der Decke hänge (also in der Luft schwebe) und aus Jerusalem von heiliger Stätte geholt sei; er sei ein Talisman, den er nicht-für 50,000 Piaster weggehen würde, denn derselbe erhielte ihm seine Manneskraft ungeschwächt bis zum höchsten Alter, mit einem Wort, es sei ein lapis päiiär. So war die ganze Denkweise und Vorstellungs-gabc dieses »studirton« Viehes mit Habgier und schmutzigen Begriffen erfüllt und man hat an diesem »Grafen« einen Maassstab für den Werth türkischer hoher Studien in Bezug auf Hebung oder Veredelung des Individuums! Während ich diesen Mann betrachtete und seinen Reden zuhörte, dachte ich unwillkürlich an die Anforderungen, welche in wissenschaftlicher und sittlicher Beziehung in Preussen und Oesterreich an Männer gestellt werden, die ein Amt von annähernder Wichtigkeit, obwohl nicht so hohem Einkommen, wie das des Herrn Külanitj, innehaben. Nach dem Ziel meiner Beiso erkundigte sich der Genannte sehr angelegentlich und theilte ihm einer meiner österreichischen Gönner mit, dass ich wahrscheinlich über Brod nach Sarajewo gehen würde. Wir empfahlen uns in europäischer Weise unter gegenseitigen Vorneigungen und Händeschütteln. Noch muss ich erwähnen, dass die Türken Kostäjnitza's eine unverhohlene Schadenfreude über die Ermordung des Fürsten von Serbien zu erkennen gaben, weil der Ermordete derjenige gewesen, der ihre Austreibung aus Serbien veranlasst hatte. Auf der grossen Unnabrücke hatte ich bei der Rückkehr noch die Ehre, den Kady kennen zu lernen, der einen Spaziergang nach der österreichischen Stadt machte, um einen der dortigen Magnete zu besuchen , die für zahlungsfähige Türken so viel Anziehungskraft haben — »das bringt auch Geld in's Land«, wird mancher Nationalökonom von einer gewissen Sorte im Stillen denken. Dieser Kady war übrigens ein auffallend schöner Mann mit einem sehr klugen Gesichtsausdruck, auch ein echter Osmane, kein Bosniak; er trug auf dem Haupte einen schwarzen Fess, der mit einem schneeweissen Tuche als Turban umwickelt war; sonst war an ihm noch der lange weite Kock auffallend, den er über die landesübliche Tracht gezogen hatte. Diese letztere ist hei den Männern meistens sehr schön, oftmals prächtig, aber auch, besonders bei den ländlichen Bajahs, mitunter recht einfach und dürftig. Ich hatte geglaubt, dass nur Muhamedaner den Turban tragen dürften, doch sah ich, dass denselben in Bosnien jeder trägt, der Lust hat und er nur bei der Militair- und höheren Beamtentracht strenge ausgeschlossen ist, woselbst das Fess seine Stelle vertritt. Im Allgemeinen kleiden sich die Muhamedaner in glänzendere Farben, unter denen Both und Gelb vorwiegt, als die Christen und die Juden. Das Beinkleid ist weit wie eine Pluderhose und reicht nur bis an das Knie, über welches seine Falten ein wenig hinabfallen, das untere Bein ist in dicht anschliessende hamaschen gehüllt, welche den Spann des nackten Fusses ebenfalls bedecken, der in bequemen ledernen Schuhen steckt. lieber dem Hemd mit geweiteten Aermeln, die an den Handgelenken gestickt und durchbrochen sind wie bei einem Damenkleide, trägt man eine Unterjacke aus wollenem oder seidenem Stoffe, darüber eine Weste mit gradem Brnstschnitt und hierüber bisweilen eine nach den Hüften auseinanderstehende Jacke mit engen oder unten aufgeschlitzten Aermeln. Ein 6—8 Zoll breiter rother oder blauer Gürtel wird über Unterjacke und Hosen um die Hüften gewickelt und enthält bei den Muhamodanern 2—3 grosse Pistolen mit Steinschloss, ein Pulverhorn, einen Kugelbeutel, ein kleines Dolchmesser, einen Han-dshär, ein feines Seihtuch, ein Handtuch, eine dünne Feuerzange, einen Tabaksbeutel und eine Cigaretten-dose. Der Rajah trägt in seinem Gürtel nur Feuerzange und Tabaksbeutel; des Schreibens kundige Beamte tragen dort ihr Schreibzeug. Statt Pulverhorn und Kugelheutel wird auch wohl eine kleine Patronentasche an ledernem Kiemen um die Schultern gehängt. Die im Gürtel steckenden Waffen haben dort alle eine fast horizontale Lage, um den Träger nicht in seinen Bewegungen zu hindern. Fussgänger schleppen sich auf Reisen gern mit einer langen phantastisch geformten Flinte herum, die sie unter dem Arme tragen oder über den Rücken hängen. Ich habe auch wohlhabende Türken gesehen, welche wegen der Hitze lange und sehr weite, an den Knöcheln zugeschnürte Hosen aus weisser Leine wand tragen. Alte Männer ziehen gern einen weiten bis über die Knie reichenden Burnuss oder Bock über ihre sonstige Kleidung, während Kirchen- und gewisse Civilbeamte einen langen schwarzen Talar tragen. Die ackerbauenden Rajahs und dürftigen Muhamedaner haben im Hause oder hei ihrer Arbeit nichts weiter an als Hemd und weite, lange Hosen aus grober Leinewand, auf dem Kopfe ein Fess oder ein weisses, lose umgebundenes Tuch, und Kopanken an den Füssen, falls sie nicht ganz barfuss gehen. In der Hertzegowina, die jetzt wieder politisch zu Bosnien gerechnet wird, trägt man häufig weisse Unterjacken und auch weisse Röcke, deren gefältelte Schösse hinter den martialischen Inhalt des Gürtels zurückgeschlagen werden und bis an die Knickehlen reichen. Knöpfe finden bei der orientalischen Tracht keine Anwendung, wohl aber eine Unmasse von Knebeln, die oft vergoldet sind und sich prächtig ausnehmen, während verdeckte Häkchen und Oesen die Kleidung zuhalten. Selbstverständlich habe ich diese Kleiderstudien nicht allein in Kostajnitza gemacht, sondern auf der ganzen Reise, doch mache ich die Mittheilungen schon an dieser Stelle, um den Leser später nicht weiter damit aufzuhalten. Am anderen Tage, Morgens 8 Uhr, trat ich in der Gesellschaft eines hochgebildeten und liebenswürdigen Ehrenmannes die Reise nach Jassenowatz an. Der Weg war ungemein schön, denn dicht zu unserer Linken hatten wir eine Hügelkette von malerischen Formen, die zum Theil mit Eichengestrüpp und Wachholderbüschen bestanden war und von 400 Fuss Höhe allmälig immer niedriger wurde, bis sie bald hinter Dübitza völlig aufhörte, um einer Tiefebene Platz zu machen; rechts floss die Unna, die uns bald sichtbar war, bald vom vorliegenden Terrain verdeckt wurde; jenseits derselben thürmten sich die bosnischen Gebirge auf, zunächst die Pastirewo-Planinä, später die Kösaratz-Planinä (Ziegengebirge), ein imposanter, scharf von seiner niedrigeren Umgebung sich abhebender Gebirgsstock von circa 1800 Fuss Höhe, der in dem Maasse ilüster und dominirend aussah, als seine Vorherge, die Tzerewa-Bükowa-Kösa, welche zum Theil bis an die schäumende Unna herantraten, einen lieblichen Anblick gewährten, denn bei ihrer Nähe sahen die Gestrüpp-Wälder, die sie zum Theil bedeckten, noch grün aus, während dieser Schmuck in grösserer Ferne bekanntlich einen düsteren Farheneffect hervorbringt. Inmitten der Lichtungen dieser Berge erhoben sich öfter einzelne kleine Haine oder doch Baumgruppen und unter denselben sah ich zuweilen das Dach einer unscheinbaren Hütte hervorblicken — »dort wohnt immer ein Christ, woselbst Sie eine solche einsame Siedelung unter Bäumen bemerken«, sagte mein Begleiter. Diese Abgelegenheit ihrer Wohnungen ist der einzige Schutz der unglücklichen Rajahs, denen dichtes Znsammenwohnen nichts nützt, weil sie sich ja doch nicht der Gewalt und Willkür ihrer Unterdrücker widersetzen können, denn einmal haben sie keine Waffen und zum andern haben sie genugsam erfahren, dass bewaffneter Widerstand ihre Lage nur noch schlimmer macht; auf ihren abgelegenen, einsamen Gehöften in den Bergwildnissen hingegen haben sie wenigstens keinen anderen Be-such zu erwarten, als den der türkischen Steuer-Erheber und 11 der Pacht-Eintreiber ihrer adligen Grundherren, der Begs und Aga's; dort reizt der Anblick ihrer Heerden und ihrer Angehörigen nicht jeden Augenblick die muhamcdanische Habgier, wie dies bei dichtem Zusammenwohnen geschehen würde und es ist ihnen die Möglichkeit gegeben, manches zu verbergen und sich selbst durch die Flucht möglichenfalls zu retten. Der Vergleich zwischen den Zuständen diesseits und jenseits der Unna war wohl geeignet, in mir die heitere Stimmung zu unterdrücken, welche die lieblichen Landschaftsbilder zur Rechten und Linken hervorriefen — diesseits ein national- und religiös-selbstbewusstes Volk, welches in unbewusster, sorgloser Glückseligkeit dahin lebt, geadelt durch den Waffendienst für Haus und Hof und ein grosses Beich, und jenseits ein Volk desselben Blutes und zum Theil desselben Glaubens, welches entwürdigt und geknechtet sein Dasein unter abstumpfenden leiblichen und erniedrigenden geistigen Entbehrungen dahin schleppt, keinen Augenblick seiner geringen Habe und seiner Ehre sicher und ohne Hoffnung auf Erlösung! Wahrlich, es kann keine unglücklicheren Menschen geben, als die bosnischen Christen, denn nicht blos, dass auf ihnen der Druck des Islams und seiner rohen Bekenner lastot, auch die Last des Feudalismus in seiner schlimmsten Gestalt drückt sie zu Boden. Als wir die letzten Häuser von Dühitza passirt hatten, sah ich zum ersten Male das Wahrzeichen der Barbarei und Menschenentwürdigung — zwei Minarets der Moscheen des gegenüberliegenden türkischen Ortes. Ks waren elende Holzbauten, die kaum 25 Fuss hoch sein konnten, ihre Spitzen waren auch nicht mit Woissblech beschlagen, sondern mit Schindeln gedeckt. Unwillkürlich wandte ich den Kopf zurück nach dem griechischen und dem römischen Kreuz, die im Goldglanze strahlend die Spitzen zweier stattlichen Kirchen krönten und stumm zu verkündigen schienen, dass sie das Zeichen der Civilisation seien. Letzteres wird das Kreuz immer bleiben, trotz Pfaffentrug und Fanatismus unwissender Massen. Zwischen Kostajnitza und Diihitza liegen zwei grosse Dörfer, die wegen der hinge des Thaies ungemein lang gestreckt sind; die meisten Häuser derselben lagen rechts vom Wege und fiel mir bei jedem derselben eine sonderbare Einrichtung auf, die nämlich einer kleinen hölzernen Guillotine ähnelte; auf Befragen erfuhr ich, dass dies »Allarmbretter« wären, die zwar längst aufgehört haben, ihren Zweck zu erfüllen, aber dennoch von den Serben mit der ihnen eigenen Anhänglichkeit an das Alte und Ueberlieferte beibehalten werden und bei jedem Neubau wieder ihren Platz finden. Man denke sich zwei etwa 4—5 Fuss hohe Pfosten, die 3—4 Fuss von einander frei in der Erde stehen und zwischen denen oben ein mit zwei Zapfen eingelassenes, einen Fuss breites und den Zwischenraum ausfüllendes Brett schwebt, während in gleicher Höhe mit diesem ein hölzerner Hammer mit elastischem Stiele in den einen der Pfosten gesteckt ist. Traten Bäuberbanden oder Kriegs-schaaren aus dem Türkischen herüber, dann eilten die Frauen an das Allarmbrett, Hessen den Hammer dagegen schnellen, bis der weithin dröhnende dumpfe Klang einen Widerhall am Allarmbrette des Nachbars fand, so dass in kurzer Zeit alles gewarnt, auf den Beinen und unter den Waffen war. Die Männer machten sich nämlich während des Anschlagens gefechtsbereit und liefen dann nach dem gemeinsamen Sammelplatz oder, war hierzu keine Zeit mehr, gleich gegen die eingebrochenen Muhamedaner, wo sich dieselben zeigten, feuerten ein paar Mal ihre Flinten auf dieselben ab und stürzten sich dann, trotz der grössten Gefahr, auf die von den Schüssen Niedergestreckten, um den Inhalt ihrer Gürtel zu untersuchen nnd auszuleeren, welches Geschäft sie mit einem grimmig unter dem Schnauzbart hervorgezischten »Fürchte Dich nicht, Freundchen!« und einem gleichzeitigen Dolchstoss in's Herz des Gegners einzuleiten pflegten. In Tapferkeit und Wildheit waren sich beide Theile ebenbürtig, doch entschied die bessere Organisation und grössere Wachsamkeit der Grenzer — wobei die 11* Allarmbretter eine wichtige Rolle spielten — meistens die Grenzkämpfe zu Gunsten der Oesterreicher und verleidete den bosnischen und serbischen Türken den Grundsatz des »ewigen Krieges gegen die Ungläubigen« schon lange vorher, ehe die Türkei zu Konstantinopel von der hohen Politik gebändigt worden war. Aus den noch heute so sorgsam beibehaltenen Allarmbrcttern spricht die ganze, wild bewegte Vergangenheit der Militairgrenze bis in die Neuzeit, und wer diese Dinge an Ort und Stelle gesehen hat, wird milder über den jetzigen Zustand der Grenzer denken und sich nur wundern, dass die Nation bei solchem Leben noch so weit entwickelt worden ist. Dasselbe gilt von den Serben des Fürstenthums und Montenegro^, bei denen die Grenzverhältnisse noch jetzt dieselben sind, wie auf dem österreichischen Territorium gleich nach der Einnahme Belgrads, worüber der Schwabe Karl Heinrich Lang in seinen Memoiren interessante Mittheilungen macht. Und doch hielt dies gedankenlose Literaten oder Soldschreiber im österreichisch-türkischen Dienste nicht ab, bei Gelegenheit der letzten bulgarischen Unruhen die in Rede stehenden Serben zu nichtswürdigen Bestien, die Türken hingegen zu sanften, liebreichen Engeln zu machen. Auf dem in Rede stehenden Wege sah ich auch zum ersten Male die österreichischen Grenz - Wachthäuser, die bald näher, bald weiter von einander abstehen, wie es das Terrain bedingt, aber immer so, dass die Besatzung des einen Hauses die beiden links und rechts zunächst liegenden Wachthäuser am Tage sehen und Nachts einen von ihnen abgegebenen Signalschuss bemerken kann. Die meisten dieser Cordonhäuser lagen innerhalb des Ueberschwemmungsgebietes der Unna und standen deshalb auf hölzernen oder gemauerten Pfeilern, hatten auch ein Boot bei sich. Man steigt zu ihnen auf einer innerhalb der Pfeiler angebrachten Treppe hinauf und gelangt zunächst auf eine rund herumlaufende Galerie, hinter welcher sich der Schlaf- und Kochraum der 6 — 12 Köpfe starken Mannschaft befindet; ein Schindeldach schützt diesen sowohl als die Galerie vor Eegen und Sonnenstrahlen. Oft erhebt sich der innere Bau auf massiven, weder Fenster noch Thür enthaltenden Grundmauern, die Galerie und das Dach wird aber immer von Pfählen oder Pfeilern getragen. Gegenüber auf der türkischen Seite zeigten sich dieselben Sicherheitsvorkehrungen — dort Karäulas genannt — noch häufiger als auf österreichischem Boden, und unterschieden sich von diesen' dadurch, dass statt der Pfähle das erste Stockwerk blockhausartig aus Balkenwänden bestand, welche nur eine Thür enthielten; Galerie und Dach fehlte auch ihnen nicht, doch hatte letzteres statt des Schornsteins eine schwebende Kappe, wie etwa unsere Ziegelöfen. So waren alle Karäulas, auch die, welche ich im Innern Bosniens sah. Die Grenzerhäuser waren in den Dörfern Släbinja und Bätschin durchgehends und in den Städten Dühitza und Jasse-nowatz sowie im Dorfe Uschtitza zum grossen Theile von orientalischem Aussehen, worunter man sich ja nichts Hübsches voi-stelle! Bei den zweistöckigen war nämlich das untere, gewöhnlich aus Balken aufgeführte Stockwerk nur zum Aufenthalte für das Vieh bestimmt, während der darauf stehende Oberhau zum Wohnorte der Menschen diente, aus Fachwerk bestand, wenig Fenster enthielt, aber über dem grossen Thorwege einen balkonartig vorspringenden oder auch mit der Wand abschneidenden Köschk zeigte, wie man den ganz offenen, nur mit einer hölzernen Brüstung versehenen und vom Dache nach oben geschützten Baum nennen muss. Auch die Aborte waren nach orientalischer Weise im zweiten Stockwerke in Gestalt Weiner ausspringender Hängebauten angebracht; an einstöckigen Hütten fehlten sie ebenfalls nicht, waren aber nur von innen zugänglich, was den Leuten gerade nicht zur Empfehlung dient. Die Treppen, welche nach dem zweiteu Stock führten, waren häufig aussen angebracht und mit Schutzdächern versehen, eine Einrichtung, die ich in Bosnien nur an Christenhäusern bemerkt habe. Fast alle Wohnungen hatten Schorn- steine und manche der letzteren waren mit Kappen versehen, welche Dächer mit Luken und Fenstern im Kleinen nachahmten. Das Land war übrigens nicht schlecht bestellt, doch bot das vom Regen umgedrückte Getreide einen beunruhigenden Anblick. Bei dem Dorfe Bätschin sah ich auch einen Kalkofen nach serbischer Art, der nämlich aus weiter nichts bestand, als aus dem zu brennenden Material, das man in grossen Stücken aus dem zu Tage tretenden Skelett der Hügel, unmittelbar am Orte, gebrochen hatte. Zunächst hatte man aus diesen Stücken einen cyclopenartigon Bau mit rundem Grund-riss und einer Menge Lücken (statt der Zuglöcher) aufgeführt, dann den innern Raum abwechselnd mit Schichten Brennholz und Kalksteinen bis oben angefüllt; das Holz wird dann angezündet und nach Verbrennen desselben der ganze Bau, wenn er abgekühlt ist, niedergerissen. Dass diese Art zu brennen nicht blos verschwenderisch, sondern im hohen Grade unzweckmässig ist, liegt auf der Hand. Die dortigen Töpfer haben übrigens auch keine oben geschlossene Oefen. Unterweges holten wir viele Likaner, italienische Dalmatiner und slavonische Glashändler ein. Die letzteren glichen in ihrer Tracht auffallend den bei uns hausirenden Slovakcn, mit denen man sie jedoch nicht verwechseln darf; gewöhnlich waren ihrer 4 — 6 bei dem Karren mit 2 hohen Rädern, der ihre in den slavonischen Wäldern erzeugte gebrechliche Waare enthielt, und sie hatten sich dann, joder mit einem besonderen Stricke, da vorgespannt, so dass sie eine schnurgerade Reihe bildeten. Die Likaner und die Dalmatiner suchten während des Sommers, d. h. so lange es auf den dortigen Feldern etwas au thun giebt, ein Unterkommen als Knechte, und die meisten solcher »Grenz - Gänger« sollen wie unsere niedersächsischen »Hollands-Gänger« immer eine Familie haben, bei der sie Jahr aus Jahr ein helfen oder einen Stellvertreter aus ihrem Hause schicken. Die welschen Dalmatiner trugen übrigens europäische rächt, nämlich lange Tuchhosen, Tuchjacke, Pudelmütze, gewöhnliche Weste, Schuhe oder Stiefel und Hemd nebst Halstuch. Sie sind besonders als Bauhandwerker hei den Grenzer-Offizieren sehr beliebt, da sie die Arbeit besser verstehen als die Serben und sich überdies mit ihnen viel hesser arbeiten lässt, als mit diesen, weil sie ruhig und schweigsam sind, während jene, gleich unseren Bauern, oft einen Heidenlärm machen und den Mund nicht still halten, auch nicht anhaltend bei der Arbeit bleiben mögen — weil sie die Notwendigkeit des Fleisses nicht kennen. Es begegneten uns viele Frauen und Kinder, auf dem Wege nach Kostajnitza begriffen, die in Töpfen Seiden-Cocons trugen, welche in ihren Hausständen gezüchtet worden waren. Auffallend waren mir die Beschädigungen an verschiedenen Kirchenthürmen, weil sie in Folge eines im Jahre zuvor stattgehabten Erdbebens bewirkt worden waren. Von Heiligenbildern sah ich in den Ortschaften und am Wege nirgends eine Spur, auch Marienbilder bemerkte ich nicht häutig, dafür aber desto mehr Abbildungen des Gekreuzigten. Sollte derselbe einen Heiland der Katholiken darstellen, dann war er ein wirkliches Schnitzwerk, als Erlöser der Griechen jedoch nur eine Schablone, auf welche der Leib gemalt worden; der griechische Christus hatte auch nicht die Füssc übereinander gekreuzt, sondern hielt dieselben neben einander. Dübitza ist grösser als Kostajnitza und hat mindestens 3000 Einwohner, enthält aber doch nicht so viel Ladengeschäfte, als orsterer Ort, der den grossen Vortheil einer festen Brücke voraus hat, welche den Nachharn den Eintritt erleichtert; seine unendlich lange und ziemlich gerade Strasse mit Nehengässchen kam mir auch noch schmutziger vor als die engen, winkligen fassen Kostäjnitza's, auch die Häuser sahen im Allgemeinen dürftiger aus als dort, selbst die ärarischen Gebäude, bis auf eines, glichen nicht denen, welche ich bisher gesehen hatte. Der Anblick der Ebene, in welche wir bald nach dem Verlassen Diihitza's traten, war kein angenehmer, nachdem das Auge so lange in den Reizen von Gebirgslandschaften geschwelgt hatte und dadurch verwöhnt worden war. Anfangs sah ich noch bestellte Felder und eingehegte grosse Weideplätze, aber je mehr wir uns Jassenowatz näherten, je seltener wurden solche Zeichen der Bodenkultur, und schliesslich sah ich auf der eintönig graubraunen Fläche des üppig fruchtbaren Erdreichs nichts weiter als Unkraut und Weidengestrüpp. Die Staffage dieser Landschaft bildeten grosse Schweineheerden, welche mit ihren Rüsseln die Erde aufwühlten und das Unkraut abweideten. Die Ursache solcher Vernachlässigung, so weit sie nicht vom Händemangel herrührt, lag klar zu Tage, denn das Land sah aus, als ob es eben erst aus den Wassern der Unna und Save aufgetaucht wäre, besonders in der Nähe von Uschtitza zeigte sich die Wirkung der lange andauernden Ueberschwemmungen recht deutlich und soll dort auch im Herbste und Frühling nur der Rücken der künstlich erhöhten Chaussee das Einzige sein, was dann aus der unübersehbaren Wasserfläche hervorragt. Im Gefolge dieser Ueberschwemmungen müssen bösartige Fieber sehr häufig sein, deshalb sollte die Regierung doch darauf bedacht sein, das Land durch Dämme zu schützen, wenn auch die dadurch gewonnenen paar Quadratmeilen Boden augenblicklich wenig Werth für den Kaisorstaat haben mögen. Das Dorf Uschtitza liegt auf der Landspitze, welche durch die Arereinigung von Unna und Save gebildet wird, und bis zu ihrem Endpunkte reichte unter Napoleon I. das französische Kaiserreich, so dass der Hahn, wenn er auf jenem Flecken Bodens krähte, in drei Kaisorreichen zugleich gehört wurde, nämlich im österreichischen, türkischen und französischen — wie man mir als Curiosum erzählte. Am Busse des tief und ziemlich steil abfallenden Save-Ufers liegt die Fähre, welche die Verbindung mit Jassenowatz vermittelt. Sie ist in sinnreicher Weise im Strome verankert, um von der Strömung nicht weitergetrieben zu werden; in der Mitte des Flusses liegt nämlich der Hauptanker, an dem sie mittelst eines gewaltigen Taues befestigt ist, das auf Pontons ruht, während die Hülfsanker mit ihrem Tau durch andere Pontons bezeichnet rospective getragen werden und zwei im Winkel stellende Linien nach beiden Ufern hin beschreiben. Wird die Fähre in Thätigkeit gesetzt, dann legt sie einen Halbkreis zurück, dessen Mittelpunkt der Hauptanker bildet. Als wir zu derselben gelangten, hatten sich auf ihr schon eine ziemliche Anzahl Grenzer und Frauenspersonen eingefunden; die letzteren nebst den Kindern setzten sich auf die Längsbalken des Bodens, die ersteren hingegen ergriffen die langen in Pflöcken arbeitenden Ruder und setzten das Fahrzeug in Bewegung, welches Anfangs, einen Viertelkreis stromabwärts gehend, sehr schnell und dann stromaufwärts etwas langsamer lief. Wir blieben während der Fahrt ruhig im Wagen sitzen. Das Städtchen Jassenowatz, welches mit seinen 1100 Einwohnern noch zum 2. Banal-Grenz-Begiment gehört, bot vom Flusse aus keineswegos einen anmuthigen Anblick dar, der sich heim Betreten der überaus schmutzigen Strassen auch nicht im Geringsten verbesserte, und ich war, ehe ich den ganzen Ort gesehen, schnell mit meinem Urthoile fortig, dass dies die elendeste Stadt der Grenze sei, aber zugleich die merkwürdigste, denn sie war eine — Pfahlbauniederlassung, obwohl keine solche, deren Rudera von industriellen Schweizern zu Golde gemacht werden, sondern eine lebende und wohlgedeihende. Zur Vermehrung des »Pfahlbau-Charakters« waren auch »Ein-häume« vorhanden, wie wir sie in archäologischen Museen aufbewahren, nur mit dem Unterschiede, dass die in Jassenowatz befindlichen noch im täglichen Gebrauch sind. Dieselben waren «-us Eichenstämmen, denen man die Rinde gelassen hatte, ausgehöhlt , und es gab solche zum Fahren und Fischen von 12 Fuss Länge und 2 Fuss Breite, und andere, welche als Pontons zum Tragen der Flussmühlen dienten, 12—20 Fuss lang und über 4 Fuss dick; oben hatten die letzteren nur einen schmalen Spalt, von dem aus die Aushöhlung des Ganzen bewirkt worden war. Ein solcher Ponton kostet circa 60 Gulden, hat eine ungeheure Tragkraft und erfordert keine Reparaturen, wie ein aus Planken gezimmerter. Zwei solcher »Einbäume« tragen eine Plussmühlo. Selbstverständlich bekam ich diese urtümlichen Herrlichkeiten erst zu sehen, nachdem ich eine Runde durch die Stadt gemacht hatte, die erst erfolgte, nachdem ich im Honoratioren-Wirthshause in bester und liebenswürdigster Gesellschaft ein gedeihliches, aber sehr billig berechnetes Mahl eingenommen hatte, das mit frischem Landbrod und frischer Butter eröffnet und geschlossen ward, zwei Dinge, die ich lange nicht genossen hatte und die auch von den an solche Producte der Civilisation gewöhnten Grenzer-Offizieren wie eine Leckerei genossen wurden, und zwar schon bei Beginn der Mahlzeit und am Ende derselben nochmals. Wenn die Grenze erst eine industrielle Stadtbevölkerung haben wird, dann wird auch frische Butter dort nicht mehr zu den Seltenheiten gehören, weil sich dann immer Abnehmer für dieselbe finden werden, die jetzt fehlen. Wie genügsam die Jassenowatzer Honoratioren hinsichtlich des Baumes beim Kneipen sein müssen, mag daraus erhellen, dass das Herrenstübchen des Gasthofes etwa 10 Puss breit und 15 Fuss lang war, einen Wandofen, zwei weiss-gescheuerte Tische, einige Bänke und Stühle, sonst aber nichts weiter enthielt. Die Bedienung und was auf den Tischen geboten wurde, war freilich geeignet, reichlichen Ersatz für die Einfachheit des Hauses zu bieten. Beim Gange durch die Stadt konnte ich mich der Wahrnehmung nicht verschliessen, dass dieser Ort einer der ungesundesten der Grenze sein musste und besonders die Fremden mit Fieber, Rheumatismus und Wassersucht bedrohen müsse, denn die mit Sinkstoffen gesättigten Wasser der Save überschwemmten den grössten Theil der Strassen bei hohem Steigen wenigstens einmal im Jahre und dann musste die brennende südländische Sonne die gefährlichsten Miasmen aus den Rückständen verdampfen. Gleichwohl sahen die Eingeborenen frisch und gesund ans. Diese beständigen Ueber schwemmungen haben die Leute veranlasst, ihre Wohnungen auf hohen Pfählen zu errichten, um wenigstens in der wässerigen Zeit im Trocknen sitzen zu können; diese Behausungen sahen aber entsetzlich vernachlässigt aus, nicht minder diejenigen, welche unmittelbar am Boden lagen, deren es auch gab, die aber doch wohl während der Ueber-schwemmungen verlassen werden mussten. Nach solchem Anblick war ich wirklich überrascht, auf dem etwas höher gelegenen Marktplatze, der zwei stattliche Kirchen der griechischen und der römischen Confcssion trug, eine Reihe hübscher und solide gebauter ärarischer und Privat-Häuser zu finden; dort lag auch ein Laden, in welchem ich mir ein türkisches Pess kaufte, doch hatte der Händler nur Muster, die nicht mehr modern sind, wie ich später erfuhr; die von mir gewählte Kopfbedeckung hatte die hohe, steile Form, wie sie nur noch von Soldaten getragen wird, auch bestand die Quaste aus ganz dünnen blauen Seidenfäden, statt aus dickgedrehten, wie sie jetzt blos gebräuchlich sind. Ich bezahlte 2 Gulden Papier für dieses Wiener Fabrikat, denn aus Wien kommen alle diese in der Türkei getragenen Kopfbedeckungen. Am Ende der Stadt, aber inmitten einer Strasse, lag das auf Pfählen stehende Wachthaus und gegenüber auf der türkischen Seite zeigte sich in völliger Vereinsamung eine Karäula. Jassenowatz reicht bis über die von der Unna und Save gebildete Landspitze hinaus, von welcher die Doppelströmung jährlich abnagt, ohne dass Schutzvorkehrungen dagegen getroffen würden. Dann setzt sich die Stadt noch als Dorf Kossutäritza fort. Das Dorf Uschtitza hat Roschkjewitsch auf seiner Karte gar nicht angegeben und die Stadt zu weit nach Westen gelegt. Ich wollte mich von Jassenowatz aus gleich nach der Karäula übersetzen lassen, um sofort meine bosnische Reise zu heginnen, doch setzten mir die dortigen Offiziere auseinander, dass das nicht anginge, indem die türkische Wachtmannschaft mir den Eintritt nötigenfalls mit Gewalt verwehren oder mich als Gefangenen entweder nach Ddhitza oder Berbir transportiren würde, denn der Eintritt in das Land sei auf dieser Strecke nur in Grädiska, Dühitza oder Kostajnitza gestattet. Hierin irrten sich die Herren noch insofern, als auch Dübitza nicht unbedingt offen ist. Unter solchen Umständen und da ich die schon vielfach betretene Route von Grädiska nach Banjalüka nicht einschlagen wollte, zog ich es vor, in der angenehmen Gesellschaft meines Gönners wieder nach Dübitza zurückzukehren, woselbst wir zwei Stunden vor dem Dunkelwerden eintrafen. Dort trennten wir uns und ich wäre am liebsten noch an demselben Tage über die Unna gefahren, um den Schritt endlich gethan zu haben, doch ging dies nicht so ohne Weiteres, auch hielt mich der Wunsch zurück, noch einmal wie ein civilisirter Mensch zu schlafen. Mein Gönner ordnete vor der Trennung, die mir aufrichtig schwer wurde, alles an, was mir die Wege ebenen konnte, besonders band er mich einem Arendator, dem Herrn Michael Baukowitsch, förmlich auf die Seele — derselbe sollte mich nämlich am andern Morgen nach dem .türkischen Orte bogleiten und dort alles, was nöthig wäre, vermitteln, was er auch in dankenswerthester Weise gethan hat. Das Wirthshaus, in welchem ich abstieg, lag an dem Markte oder richtiger gesagt, am Allarin-Blatze des Städtchens, gegenüber von dem stattlichsten Gebäude, dem Wohnsitze des Commandanten, dem ich meinen Pass zum Visiren zu übergeben hatte. Das Herrenzimmer und die Logirstübchen für Honoratioren befanden sich im zweiten Stockwerke, während im unteren sich die Grenzer und dazu gehörige Leutchen vergnügten. Auf dem Platze herrschte ein munteres, für mich neuartiges Leben. Es war Sonntag, und die gesammte Jugend des Ortes, die kleine sowohl als die grosse, tummelte sich auf dem weiten, freien Räume, dessen eine Seite an die Unna grenzte und einen Blick in das Land gestattete, in welchem die christlichen Serben und Kroaten den Sonntag nicht in heiterer Fröhlichkeit verbringen, sondern zur Feier des Tages sich höchstens ein träges Nichtsthun erlauben können! Die Burschen und die Mädchen führten je für sich gesondert einen Kolo- oder Rundtanz auf, bei dem sie die Arme derart verschlungen hatten dass die rechte Hand des einen die Linke des anderen Tänzers hielt, also Schulter an Schulter kam, wobei die Beine weiter kein Kunststück auszuführen hatten, als in kurzen, hohen Schritten zu laufen. Dieser jedenfalls sehr alte Nationaltanz wurde von den Tänzern selber mit einem monotonen, halb singenden, halb sprechenden Gesänge begleitet, dessen kurze Tacte von Zeit zu Zeit plötzlich gänzlich unterbrochen wurden, worauf alle stillstanden, im Kreise eine Lücke öffneten, durch die dann eins der draussen harrenden kleinen Kinder hineinschlüpfte; hatten sich von den letzteren so viele in dem von 15—20 Mädchen oder Burschen gebildeten Kreise angesammelt, dass dieser dadurch in seiner Drehung verhindert ward, dann löste sich die Gesellschaft auf und bildete eine neue. Ich konnte nicht erfahren, ob der Text des Gesanges ein alter vorhandener oder ein jedesmal improvisirter neuer war, wie ich anzunehmen einigen Grund hatte. Um 9 Uhr hatte die Freude übrigens ein Ende, indem ein Offizier Ruhe gebot, worauf der Gesang verstummte, der Tanz aufhörte und nur noch eine Weile das summende Geräusch der vielen Stimmen der nunmehr in Gruppen auf- und abwandelnden Tänzer gehört wurde, bis auch dieses mit dem Heimgehen derselben nach und nach erstarb und tiefe Stille auf dem kurz zuvor so belebten Platze eintrat. Noch muss ich erwähnen, dass die tanzenden Mädchen, sämmtlich noch im Backfisch - Alter stehend, rothe, am Busen weit ausgeschnittene Schnürleiber trugen, die Burschen hingegen rothe Westen, Hüte und meistens Stiefel statt der Kopanken. Die Unterhaltung während und nach der Abendtafel im Wirthshause drehte sich meistens um meine bevorstehende Reise und waren alle Herren darin einig, dass mich die Türken nicht allein reisen lassen, sowie dass Fussreisen, die ich hauptsächlich vorhatte, gleichfalls für mich nicht ausführbar sein würden; einige schlichte Bürger sprachen auch ihre Meinung unverhohlen dahin aus, dass ich besser thäte, ein so verrufenes Land wie Bosnien gar nicht zu betreten, denn es gäbe anderswo mehr zu sehen und weniger zu riskiron. Nachdem ich Bosnien kennen gelernt hatte, konnte ich doch die Bemerkung nicht zurückweisen, dass die österreichischen Grenzer über das Nachbarland sich in merkwürdiger Unkenntniss befinden. Am Montag, den 15. Juni, weckte mich ein köstlicher, klarer Sonnenschein, der mir die Verheissung gab, dass ich ein herrliches Beisewetter haben würde. Ich war kaum aufgestanden, als auch schon Herr Paukowitsch mit der Nachricht da war, dass eine Gesellschaft Priedorer Türken mich mitnehmen wolle und eins ihrer Pferde für mich bereit hielte; zu grosse Eile hätte ich nicht nöthig, da in Türkisch-Dübitza eine niuhamedanischo Hochzeit stattfände, bei der die Leute möglichst lange als Zuschauer verweilen möchten, ich sollte daher tüchtig und in Ruhe frühstücken und mich in aller Behaglichkeit zurechtmachen. Das that ich auch und liess mir überdies von meiner liebenswürdigen Wirthin einen Vorrath von Kringeln oder Hörnchen kaufen, um wenigstens am ersten Tage ein geniessbares Backwerk zu haben. Nun gestatte aber der geneigte Leser, dass ich ihm etwas über meine Reiserüstung mittheile, da ja vielleicht der eine oder der andere sich hiernach hei gleicher Veranlassung richten kann. Ich war mehr als einfach ausgestattet, denn ich wollte von keinem Gepäck, sondern nur von mir selber abhängen und im Stande sein, meine Reise über die unzugänglichsten Strecken, die weder Wagen noch Pferd passiren könnte, fortzusetzen, überhaupt ganz unabhängig von einem anderen Beförderungsmittel, als meinen eigenen Beinen, bleiben. Aus diesem Grunde hatte ich nur einen Anzug mit, den ich auf dem Leibe trug, ferner nur drei Oberhemden, ein Nachthemde und ein kurzes wollenes Unterziehhemde, von dem ich die Aermel hatte abtrennen lassen, einen leichten wollenen Shawl, zwei paar Strümpfe, drei paar Fusslappen aus dem weichsten und hosten Flanell, ein paar ganz leichte türkische Pantoffeln, einen weichen Filzhut und statt Decke und Mantel eine grosse wollene Reisedecke, die zusammengerollt an Riemen auf dem Rücken zu tragen war, während alles, was ich einzustecken hatte, in einer lackirten ledernen Tasche steckte, die, von geringem Umfange, ebenfalls an einem Bande über die Schulter gehängt wurde; ausser meiner Bewaffnung hatte ich noch einen tüchtigen Stock und leider auch eine an der Schnur zu tragende Reiseflasche, die ich mir auf den dringenden Rath eines Wiener Orientkenners angeschafft hatte und zur Strafe für meine Leichtgläubigkeit auch mit nach Berlin zurückbrachte. Fusslappen hatte ich gewählt, weil ich aus Erfahrung wusste, dass sie bei event. Wanderungen hesser sind als wollene Strümpfe, die sich leicht durchscheuern und nicht von jedem gewaschen werden können; so wurden mir hei der famosen Mobilmachung von 1859 drei paar neue Strümpfe in einem Marschquartier durch die Wäsche derartig verdorben, dass ich sie wegwerfen musste, indem sie bis über die Hälfte ihrer ursprünglichen Grösse zusammengeschrumpft waren; die mitgenommenen Strümpfe wollte ich nur nach Ablegung der Stiefel im Quartier tragen. An wissenschaftlichen Hülfsmitteln hatte ich ein Wörterbuch nebst Grammatik und Phraseologie der kroato-serhischon und dieselben Bücher in bulgarischer Sprache, sowie eine türkische Grammatik nebst kleinem Wörterbuche; zum Zeichnen von Bergprofilen hatte ich eine Rolle sogenanntes endloses Papier mitgenommen. Ich war von der Ansicht ausgegangen, dass •eh in der Türkei nur mit einem einzigen civilisirten Menschen m Berührung treten würde und mit diesem auch nur flüchtig, so weit ihn seine amtlichen Functionen und mich die Notwendigkeit seiner Vcrmittelung dazu uöthigten, nämlich mit unserm Oonsul Dr. Blau zu Sarajewo, denn ich machte mir damals eine falsche Vorstellung von unsern Consuln, die ich kurzweg zur preussischen Büreaukratie rechnete etc. Ausserdem glaubte ich — und darin bestärkten mich noch meine Freunde in Dübitza — dass ich jedes Stück Kleidung, das ich in der Türkei getragen, nach der Rückkehr ans gewissen Gründen wegwerfen müsste. Zu Nutz und Frommen derer, welche meine Reise ebenfalls machen werden, sei hier der Rath gegeben, nicht ohne zwei Anzüge und auch nicht ohne Regenmantel zu reisen; man nehme überdies zwei gleich grosse Reisetaschen mit, die dann zu beiden Seiten des Sattels angehängt werden, wodurch das Pferd vor ungleicher Belastung geschützt wird, und ausserdem einen englischen Mantolsack, in den man eine ansehnliche Masse verpacken kann, auch versehe man sich reichlich mit Visitenkarten, die mir schon in Petrinia ausgingen, die ich aber in Bosnien sehr gut hätte brauchen können. Um niemals ernstlichen Mangel an Lebensmitteln zu leiden, hatte ich mir in Wien einen eisernen Bestand von zwei Pfund Chokolade gekauft (wobei der Krämer nahe an 100 Procent vorschlug, da diese Waare dort nicht wie bei uns einen festen Preis hat!) und thörichter Weise auch ein Fläschchen Senf und eine Büchse Pfeffer, denn derselbe Herr, der mir den Rath gab, eine Reiseflasche zu kaufen, um immer einen Schluck Wein bei der Hand zu haben, rieth mir auch dringend zu jenen Ankäufen, da ich unterwegs nur das übelriechende »geselchte« Fleisch zu essen bekommen würde, das ohne Pfeffer und Senf ungeniess-bar wäre; dabei vergass ich ganz, dass ich überhaupt nicht im Stande bin, ausser Käse etwas schlecht oder auch nur zweideutig Riechendes in den Mund zu nehmen, ohne sofort von der schlimmsten Wirkung des Uebelseins befallen zu werden, selbst beim peinigendsten Heisshunger. Wozu auch unterweges Fleisch essen und Wein trinken, so lange Wasser, Kaffee und gekochte Eier nicht fehlen! Aber freilich, die Oesterreicher sind liehe, gute Leute, nur haben sie den Fehler, auch nicht vorübergehend dem liehen Magen das gewöhnte gute Tractament versagen zu können; man lese nur, mit welcher zärtlichen Vorsicht Roschkjewitsch für eine complette Ladung gefüllter Weinflaschen sorgte und Wein sowie Rum zu den in Bosnien »unentbehrlichen« Bedürfnissen rechnete (siehe pag. 91 seines Buches). Ein Bferd hatte ich mir an der Landesgrenze kaufen wollen, um nicht die beständige Prellerei und Schererei mit dem Miethen eines solchen Thieres zu haben, doch hatte ich mich in Wien — ebenfalls von einem dortigen Orientreisenden — davon abreden lassen und hörte dann zu meinem Aerger in Bosnien von Sachkennern und eminenten Orientkundigen, dass ich sehr klug gethan haben würde, einen solchen Kauf abzu-schliessen, der für 15 Ducaten realisirbar gewesen wäre, worauf ich dann beim Verlassen des Landes immer noch die Hälfte dieser Summe für den Wiederverkauf zurück erhalten haben würde, wenn nicht mehr. Bosnien. Dübitza. Prietior. Bärrjalüka. Slcender - Waku C l'rsVwiiilc. Saräiewo. IN ach herzlichem Abschiede von meinen Wirthsleuten ging ich mit Herrn Paukowitsch nach dem Ufer der Unna, woselbst schon einer meiner neuen Freunde, ein ehemaliger deutscher Burschenschafter, seinem am Abend zuvor gegebenen Versprechen gemäss harrte, um mir das letzte Lebewohl zuzuwinken, wenn ich die Grenze seines Vaterlandes verlassen hatte. Wir nahmen Abschied von einander, ich setzte das türkische Fess auf und stieg das steile Ufer hinab, um in den Nachen 'zu treten, der mich und meinen Begleiter über die rauschende Fluth tragen sollte. Solch' ein Einbanm ist ein unbequemes Fahrzeug, in welchem man sich nur mit der grössten Behutsamkeit Bewegungen gestatten darf, will man nicht kentern; ich musste deshalb auf meinem Platze bewegungslos mit ge-spreitzten Beinen stillstehen, wie dies auch Herr Paukowitsch that, während der Ruderer am hintern Ende des Fahrzeuges am Boden hockte. Der Nachen schoss schnell und leicht über die brausenden Wellen dahin und erreichte bald trotz der starken Strömung die Mitte des FTusses, die ich Anfangs für das jenseitige Ufer hielt, denn plötzlich stieg aus dem Wasser dichtes Weidengebüsch vor mir auf und hinter demselben hörte ich Laute, die genau so klangen wie diejenigen, welche ein Stier, als Haupt einer Rinderheorde, auszustosson pflegt, wenn ein Fremder oder eine vermeintliche Gefahr sich seinen Schützlingen nähert. Ein paar Ruderschläge mehr und ich sah, dass das, was ich für Land gehalten hatte, nichts weiter war, als eine schmale Sandanschwemmung des Flusses, die mit Weiden bewachsen war, und dahinter fand ich dann auf ihren grossen Einbäumen schwimmend ein halbes Dutzend Flussmühlen, deren langsam in Umdrehung gesetzte und schlecht geschmierte unterschlägige Kader die Töne hervorbrachten, weicht' mir wie Stiergebrumm klangen. Diese Mühlen sind nur klein, ihre Schaufelräder haben einen Durchmesser von 6—8 Fuss; dass ihr Getriebe nicht so complicirt ist, wie das unserer Mühlen, versteht sich von selbst, es wäre auch in dem beschränkten Baume des Mühlenhauses kein Platz für ein technisch vollkommen entwickeltes Mahlwerk. Im Winter werden diese Häuschen sammt ihren Einbäumen an's Land geschafft, um sie vor dem Eise zu sichern, und erst mit dem Verschwinden des Eises bringt man sie wieder hinaus auf den Fluss, woselbst sie an schweren Steinen mit Stricken verankert worden. Nach dem Passiren der Mühlen sah ich das türkische Ufer vor mir; dasselbe war so hoch und steil, wie das österreichische, welches ich eben verlassen hatte. Von der türkischen Stadt war vom Flusse aus wenig zu bemerken, indem die steilen, aus Bruchsteinen erbauten Mauern eines noch immer geschlossen gehaltenen umfangreichen Kastells (welches Boschkje witsch gar nicht angiebt) den Blick ausschliesslich fesselten und auch das Einzige schienen, was sich an der Flussseite von Menschenwerk zeigte. Wir legten an, stiegen behutsam aus dem Nachen und kletterten die steile Böschung hinauf. Oben angekommen (es war auf der westlichen Seite des Kastells) bemerkte ich dicht vor uns eine Anzahl elender Hütten, die zwar planlos angelegt waren, aber doch einigermaassen das bildeten, was man Gassen nennt. Aus dem Gewirre dieser jämmerlichen Behausungen drang ein wahrer Teufelslärm hervor, dessen Ursache ich sogleich kennen lernen sollte; als wir nämlich, durch knöcheltiefen Schmutz watend, mitten unter die Hütten gelangt waren, sah ich dort ein Zigeunerweib stehen, das mit der gesummten 12* weiblichen Bevölkerung dieses Christenviertels einen erbitterten Zungenkampf ausfocht. Wahrscheinlich hatten sich die Zigeuner eines Diebstahls oder sonst einer Rechtsverletzung schuldig gemacht, oder die armen Serbinnen ärgerten sich über den Putz des Weibes und seiner Kinder, genug, es wurden gegenseitig kräftige Schmeicheleien ausgetauscht und mit gellender Stimme ein Kampf geführt, der kein Ende nehmen zu wollen schien, da die Zigeunerin ihren vielen Gegnerinnen völlig gewachsen war. Sie musste wohl in ihrem Stamme etwas bedeuten, denn sie war völlig europäisch gekleidet, freilich in einer Weise, die verrieth, dass ihr Putz entweder zusammengestohlen oder in Trödelbuden erkauft war; doch hatte sie den Kopf mit einer Art Turban umwickelt. Sie war übrigens keine hässliche Erscheinung, musste sogar einstmals schön gewesen sein, denn ihr ovales Gesicht mit feiner Adlernase und den schwarzen, grossen Augen, aus denen ein wildes Feuer blitzte, machte noch Effect, zumal ihre Haut keinesweges unangenehm gelb, sondern nur gelblich angehaucht erschien und ihre hohe, schlanke Gestalt etwas Imponirendes an sich hatte. Der Ausdruck weiblicher Gemeinheit verwischte natürlich den Rest ehemaliger Schönheit, und es war mir ungemein widerlich, wie mich dieses Weib mitten in dem heftigsten Gesticuliren mit triumphirendem Lächeln anblickte, als erwartete es ein Zeichen der Bewunderung für seine einem Dutzend Serbinnen ebenbürtige Gemeinheit. Die geputzten Kinder der Zigeunerin umstanden schweigend ihre Mutter und lauschten mit dem Lächeln aufrichtiger Bewunderung und kindlichen Stolzes der Bcdegaho ihrer Erzeugerin. Wir beeilten uns, aus dem Christcnviertel fortzukommen, dessen schlechten Eindruck die eingeborenen Christen, mit denen ich später noch zusammenkam, nicht verwischt haben. An der südlichen Seite des Glacis der Festung lag ein zweistöckiges, völlig freistehendes Haus, welches das Regierungsgebäude der Stadt vorstellte und in seinem Innern den Müdir, den wichtigen Mann barg, den ich zunächst aufzusuchen hatte, um von ihm ein Visum meines Passes zu erhalten. Wir traten in das stallartige, fensterlose Erdgeschoss, erkletterten dann eine Stiege, die viele Aehnlichkeit mit einer Hülmertreppe hatte, und gelangten durch ein an einen Geffügelstall erinnerndes Vorgemach in das Allerheiligste, in die »Kanzelei«, welche etwa die Grösse einer massigen Kaminer und drei dicht am Erdboden angebrachte Fensterchen hatte. Eine Art Pritsche, etwa 8 Zoll hoch, die mit Schilfmatten belegt war und die ganze Länge dieses »Sessionszimmers« einnahm, diente als Hochsitz für Würdenträger und geehrte Gäste; sie wurde auch uns zum Sitze angewiesen, nachdem wir den Müdir begrüsst hatten. Dieser hockte mit untergeschlagenen Beinen vor dem Fensterchen an der schmalen Seite des Gemaches und hatte neben sich nichts als einen kleinen Kasten mit Schubladen, der gewisser -maasen das »Archiv« vorstellen sollte. Der Mann machte auf mich koineswegos einen günstigen Eindruck, und am wenigsten gehe! mir seine grunzend heisere Stimme, welche den stillen Säufer oder groben Wollüstling vorrieth, sowie seine eigenthümlichc Dickleibigkeit, von der man »en mal point« hätte sagen können. Er musste wohl ein echter Anatolier sein, denn sein weizengelbes Gesicht hatte eine wahre Bocksphysiognomie, auch deutete der Umstand, dass er trotz seines Amtes mit untergeschlagenen Beinen am Boden hockte, statt auf einem Stuhle zu sitzen, darauf hin, dass ihm alle europäische Tünche abging. Bekleidet war dieser Würdenträger mit einem weissen Eeinkleid nach europäischem Schnitt, das mittelst Stegen oder Sprungriemen an den Stiefeln festgehalten wurde, das Hemd war von keiner Weste bedeckt, stand offen und sein Kragen wurde von keinem Halstuche behelligt; ein dunkelblauer Frack mit vergoldeten Knöpfen bedeckte Kücken und Arme, doch nichts weiter, da er nicht zugeknöpft war, und das unvermeidliche Fess bekleidete den Kopf. Hätte der Mann statt des Fess's einen Hut getragen, dann wäre seine Erscheinung in diesem Aufzuge gewiss das vollständigste Bild anständiger Verlumpt-heit gewesen — das rothe Kapsel mit der schwarzen Quaste machte jedoch alles gut, denn es verrieth den verkleideten Orientalen im Gegensatze zum Europäer. Meinen Pass nahm der Würdige verkehrt in die Hand, obwohl ich ihm denselben in richtiger Lescstellnng überreicht hatte; er drehte denselben mehrere Male um und murmelte dabei bedeutungsvoll: Hm! Hm! Selbstverständlich war ihm nicht das Geringste von dem Schriftstück verständlich, und auch dasjenige in demselben, was er wohl hätte kennen können, nämlich das Siegel der türkischen Gesandtschaft zu Berlin, war von dem als Kanzler desselben fungirenden Franzosen so mangelhaft aufgedrückt und dann so dick mit buntem Saude bestreut worden, dass es nichts weiter als einen bläulichen Klecks darstellte, aus dessen Bedeutung selbst ein eingeweihter Türke nicht klug werden konnte. Nun wird der geneigte Leser wohl fragen, ob denn auf dem Passe nicht auch ein türkisches Visum stand, und da muss ich zur Erklärung der, mir gemachten Weiterungen und Unannehmlichkeiten gleich mittheilen, dass rechts neben dem Siegelklecks für einen gründlichen Kenner der französischen Sprache allenfalls entzifferbar die mit einem blauen Stempel hergestellten Worte zu lesen waren: »No 403:1 gratis Vu ä la Legatiou de la Sublime Porte Herlin, le 2f> Mai 18(58«, (das Wort Berlin war schlechterdings unleserlich!) ferner, deutlich geschrieben: »L.Thebaud Remplissant les fonetions de Chancelier de la Legation«. Als ich einem orientkundigen Freunde in Wien dies Visum zeigte, sagte er mir vorher, dass dasselbe von den türkischen Grenzbehörden nicht respectirt werden könnte, weil die Hauptsache unleserlich und weil es nicht türkisch abgefasst sei, er bat mich deshalb dringend, mit ihm zur Wiener türkischen Gesandtschaft zu gehen, auf der er mir ein Visum in türkischer Sprache verschaffen wollte. Es wollte mir jedoch damals S'hlechterdings nicht in den Kopf, von einem Türken oder Phartarioten eine Gefälligkeit zu beanspruchen, deshalb ging ich eigensinniger Weise nach dem türkischen General-Consnlat, welches Visa ertheilen muss, und beanspruchte dort gegen Erlegung von zwei Gulden ein solches, jedoch in türkischer Sprache. Der Beamte, welcher sich als Consul unterschrieb, hatte zwar viel Orientalisches an sich, ein Türke war er indessen nicht und türkisch lernte er erst aus einer auf seinem Pulte aufgeschlagen liegenden deutsch-türkischen Phraseologie untergeordneten Werthes, auch schien er von dem Lande, welches er vertreten half, gar nichts zu kennen, denn er versuchte es, mir weiss zu machen, dass die bosnischen Beamten der Grenzdistricte wohl mitunter türkisch sprächen, aber diese Sprache selten zu lesen verständen, französisch hingegen könnten sie alle sprechen und lesen. Ich erwiderte ihm, dass ich in der Sache anders unterrichtet wäre und wohl sähe, woran es läge, darum möge er nur immerhin in der Weltsprache schreiben, jedoch auf die Ausprägung des Siegels die grösste Sorgfalt verwenden. Dies that er denn auch, doch war seine Mühe und mein angewandtes Geld nutzlos weggeworfen: Die einzige Garantie, welche die türkischen Beamten dafür hatten, dass mein norddeutscher Pass kein werthloses Stück Papier sei, war das Visum und Siegel der österreichischen Grenzer-Offiziere nebst der gleichzeitigen mündlichen Versicherung dieser Herren oder ihrer Beauftragten (die ihnen persönlich bekannt sind), dass alles in Ordnung sei. Herr Baukowitsch gab dem Müdir von Dübitza die nöthige feierliche Versicherung und zugleich die Mittheilung, dass der österreichische Cordons-Commandant dringend ersuche, mir in allen erlaubten Dingen gefällig und förderlich zu sein. Das war alles recht gut, doch stellte der Müdir zunächst ein förmliches Kreuzverhör mit mir über Ziel und Zweck meiner fteise an und dann erklärte er trocken, dass er nicht in der t-age sei, mir ein Visum zum Eintritt in Bosnien zu ertheilen, ich müsste wegen eines solchen entweder nach Berbir oder Kostajnitza zum Käimakäm. Ich erwiderte ihm, dass ich dies nicht thun, sondern gleich nach Priedor reisen würde, sintemalen ich in Berbir nichts zu suchen hätte und in Kostajnitza zwei Tage zuvor gewesen sei, auch dort mit dem Käimakäm gesprochen und von ihm nichts über die Nothwendigkeit einer derartigen Schereroi vernommen habe. Mein Pass sei in Ordnung und damit wäre es gut. Der Müdir blieb jedoch bei seinem ausgesprochenen Entschlüsse, mir kein Visum zu ertheilen. Man setze sich nun in meine Gemüthsstimmung — ich hatte einen Pass, der im Namen des Schirmherrn des nord-. deutschen Bundes ausgestellt worden war, der über 800,000 Bayonnete verfügte und alle Behörden des Auslands ersuchte, mich zu schützen und mir bei meiner Beise behülflich zu sein, ausserdem hatte ich das erforderliche Gesandten-Visum in doppelter Gestalt und dazu noch dasjenige der österreichischen Grenz-Behörden, und nun wagte es ein untergeordneter Türke, ein Individuum, das in meinen und anderer gebildeter Menschen Augen nur als ein Anthropoide gelten konnte, mir ein Halt zuzurufen und den gesammten Inhalt dieses meines wichtigsten Documentes zu ignoriren, indem er mir das Betreten der Türkei verbieten wollte! Ich gerieth in die heftigste Wuth, fragte den Müdir, oh er mir die Weiterungen blos deshalb mache, um ein Bakschisch (Trinkgeld) zu erlangen, dann solle er es dreist sagen und ich würde ihm ein paar Gulden gehen, einmal solle es mir wenigstens nicht darauf ankommen. Mit dem grössteu Phlegma entgegnete der Beamte, dass er nichts von mir beanspruche*), aber ein Visum könne er nicht geben. Nun drohte ich, nach der österreichischen Stadt zurückzugehen und sogleich nach Berlin, Wien und Konstantinopel telegraphiren zu lassen, dass ein unbedeutender Grenzbeamter einen norddeutschen Pass *) Ein derartiges Anerbieten hat für einen türkischen Beamten gar nichts Verletzendes, im Gegentheil, diese Herren betrachten ihr Amt nur als eine Quelle für Geschenke, Unterschleife etc. und die auf demselben befindlichen Gesandten - Visa nicht respectiren wolle und da sollte er bald erfahren, dass solche Beleidigung eines mächtigen Staates zum Mindesten seine Absetzung zur Folge haben würde. Es half nichts, er blieb bei seiner Weigerung, gestand mir aber, dass er nur den Titel eines Müdirs führe, den Functionen nach sei er blos Cordons-Commandant. Ich gerioth ausser mir und erklärte ihm schliesslich, dass ich mich sogleich auf den Weg nach Priedor machen würde, nötigenfalls zu Fuss, wenn er es zu verhindern wisse, dass ich ein Pferd bekäme; er möge sich jedoch hüten, mir Gewalt entgegenzusetzen. Mir diesem Entschlüsse war es mir Ernst und das mochte der Müdir wohl einsehen, denn er erklärte, mir nichts in den Weg legen zu wollen, machte mich aber darauf aufmerksam, dass ich in jedem Orte, den ich orreichte, die grössten Unannehmlichkeiten und Weiterungen haben würde, er mache mir deshalb den Vorschlag, ihm meinen Pass anzuvertrauen, er würde denselben sofort nach Kostajnitza zum Käimakäm senden und mir den seilten mit erhaltenem Visum dann unverweilt nach Priedor nachschicken, ausserdem wolle er mir sogleich eineBescheinigung darüber geben, dass ich mich im Besitze eines völlig regelrechten Passes befände, ihm demselben aber anvertraut hätte; diese Bescheinigung sollte ich ihm erst zurückgeben, wenn ich mich wieder im Besitze meines Passes befände; mehr könne er nicht thun, ohne den Verlust seines Amtes zu befürchten. Herr Paukowitsch redete mir dringend zu, auf dieses Anerbieten einzugehen, doch kam mir dasselbe völlig ungereimt vor, denn wenn sich mein Pass auch augenblicklich den Türken gegenüber als ein ganz werthloses Stück Papier erwies, so war derselbe dennoch mein wichtigstes Document und die einzige Legitimation den europäischen Cousuln gegenüber. Wie leicht konnte das ganze Manöver nur darauf berechnet sein, mich dieses wichtigen Papiers zu berauben, indem der Saptie dasselbe unter- wegs angeblich verlor, um mir dann mit vollem Rechte zu erklären: »ein Reisender ohne Pass darf die türkischen Staaten nicht bereisen, der vom Dübitzaer Cordons-Commandanten ausgestellte Schein hat für uns keinen Werth, denn der Aussteller konnte selber nicht wissen, ob das ihm überlieferte Papier ein wirklicher Pass war«. Diese und ähnliche Gedanken durchkreuzten mit Blitzesschnelle mein Gehirn und ich theilte dieselben Herrn Paukowitsch mit, der jedoch anderer Ansicht war und mir auseinandersetzte, dass der Saptie das Papier nicht verlieren würde, denn erstens hätte ich die Leute viel zu sehr in Furcht gesetzt, zweitens hielten sie mich für einen intimen Freund der kaiserlichen Grenzer-Ofliziere, und mit diesen wagten sie es nicht zu verdorben, drittens könne man sich unter Umständen, wie die vorliegenden, sehr wohl auf das türkische Wort verlassen. Nun fiel mir ein, dass ich wahrscheinlich die Unkosten für diese Weiterungen würde tragen müssen und dieselben konnten ja recht erheblich hoch berechnet werden, doch versicherte mir der Müdir, dass ich nicht das Geringste dafür zu bezahlen hätte, es jedoch in meinem Belieben stände, dem Saptie, der mir den Pass nach Priedor brächte, ein Trinkgeld zu geben. Nach vielem Zureden abseifen des Herrn Paukowitsch und des Müdir entschloss ich mich mit schwerem Herzen, den Pass ausser Händen zu geben; ich dachte nämlich so: geht derselbe bei dieser Gelegenheit verloren, dann bist du schon im Innern des Landes und giebst dich für einen Boten an den Consul Dr. Blau aus, an den du Briefe zu bringen hast, die du wirklich vorzeigen kannst; die Türken werden es nicht wagen, den Boten eines Consuls zurückzuhalten, zumal keine Post existirt, höchstens würden sie dich bis Bänjalüka wie einen Gefangenen transportiren, dort indessen ist ein österreichischer Consular-Agent, ein Grenzer-Offizier, und der würde ihnen den Standpunkt wohl klar machen, so dass ich in anständiger Weise bis Sarajewo zu unserem Consul käme, worauf es weiter keine Noth hätte; das Schlimmste war nur, dass ich den Fluch der Lächerlichkeit auf mich zu laden fürchtete, denn jeder, der nicht alle Einzelheiten des Vorganges kannte, musste mich wegen meines Schrittes für einen leichtsinnigen Thoren halten. Die gemüthlich mit Tschihuk und Kaffee begonnene un-gemüthliche Unterhaltung mit dem Müdir hatte fast eine Stunde gedauert und durch den lauten Wortwechsel eine Menge muha-medanischer Lungerer herbeigelockt, von denen die Honoratioren sich in das Sessionszimmor begaben und dort schweigend Platz nahmen, während die kleineren Geistor in dem Vorgemache, auf der Stiege und in dem stallartigen Erdgeschoss oder auch vor der Hausthür sich versammelt hatten, doch hatte sich kein einziger von allen auch nur mit einem Laute eingemischt oder durch irgend welches Zeichen eine Parteinahme gegen mich verrathen. Den phlegmatischen Türken hatte ich dreimal so weit aus seiner Lethargie aufgetrieben, dass er aufstand und vor mich hintrat, um mir die Sache zu erklären, wobei er beständig mit dem rechten Daumen über die Schulter deutete, als ob hinter ihm der grosse (reist stände, vor dem er sich so fürchten müsse. Ich hatte bis zuletzt geglaubt, es läge seinen Weigerungen böser Wille oder die Instruction seiner Vorgesetzten zu Grunde, die da bezweckte, europäische Keisende vom Betreten des Landes durch alle möglichen Weiterungen abzuhalten, denn es sollte ja inmitten der Provinz, bei Teschanj, ein Aufstand toben, bei dem die christlichen und die muhame-danischen Bosniaken gemeinsam gegen die Osmanen kämpften — eine Allarmnachricht, die jeden Anhaltes entbehrte, wie die meisten Zeitungsberichte aus türkischen Provinzen. Nach Erledigung meiner Angelegenheit blieb ich noch ein Weilchen in der »Kanzelei« sitzen, um einer Gerichtsscene beizuwohnen. Es hatte nämlich ein Nachbar des andern Eigenthum beschädigt und war deshalb auf Schadenersatz verklagt worden, dessen Höhe zwei Vertrauensmänner abgeschätzt hatten, die sich nun mit den Parteien zum Müdir begaben. Die Ver- trauensmünner wurden zum Sitzen und demnächst zum Mittheilen ihrer Untersuchung genötigt, was sie in fliessender, verständiger Rede thaten, während Kläger und Verklagter hinter ihnen standen. Nach Anhörung des Berichtes forderte der Müdir die Streitenden auf, sich zu vergleichen, was denn auch geschah, jedoch erst nach einem grossen Wortschwall von beiden Seiten. Demnächst ging ich mit Herrn Paukowitsch zu einem muhamedanischen Kaufmann seiner Bekanntschaft, um in dessen Laden so lange zu verweilen, bis ein Pferd gemiethet worden. Der Mann setzte mir sogleich ein Schälchen Kaffee vor und brachte meinen Tschibuk in Brand, denn ich war ja sein Gast. Meine nächste Sorge war, einen Brief an einen mir befreundeten Offizier in Oesterreichisch-Kostajnitza zu schreiben, um ihn von dem Vorgefallenen in Kenntniss zu setzen und zu bitten, dem ihm bekannten Käimakäm einen Wink wegen schneller Erledigung meiner Passangelegenhcit zu gehen. Als ich nach einer Oblate zum Schliessen des mit Bleistift geschriebenen Briefes suchte, kam mir mein Wirth, der jede meiner Bewegungen beobachtet hatte, mit Darreichung einer solchen zuvor, obwohl ich nicht ein Wort gesagt hatte. Das Handelsviertel von Dübitza besteht aus sehr engen, graden Gässchen, die sich in rechten Winkeln schneiden und keine Wohnungen, sondern nur hölzerne Scharm enthalten. Es liegt südlich vom Kastell und hinter ihm, landeinwärts, dehnt sich die zerstreut gebaute und mit grossen Gärten unterbrochene Muhamedanerstadt aus; auch östlich, aber ziemlich weit von der Festung, befinden sich Wohnhäuser, die jedoch meist von Christen bewohnt schienen. Ich benutzte einen Vorwand, um ohne Begleitung die südliche, östliche und nördliche Seite des Kastells aus dichtester Nähe in Augenschein zu nehmen und fand, dass die Mauern dos alten Baues zwar ohne Brustwehren, aber circa 10 Fuss hoch und noch wohl erhalten waren; sie bilden im Grundriss ein längliches Viereck; der rund herum laufende Graben war nicht tief und seine Böschungen überdies sehr abgeflacht. Innerhalb des »grad«, wie man derartige Festungen in der Landessprache nennt, befinden sich die zwei Moscheen des Ortes, sowie die Wohnung des eingebor-nen Begs und des Müdirs; ihr Betreten ist Christen nicht gestattet. Die türkische Hochzeit hatte das Städtchen in Aufregung versetzt und nahm die öffentliche Aufmerksamkeit völlig in Anspruch. Ein wenig bekam ich von derselben auch zu sehen, indem eine Zigeunerbande vom Hause des Bräutigams nach dem der Braut zog und dabei eine Ohren zerreissende, gradezu wahnsinnige Musik ertönen liess. Uchrigens verdarb mir diese Hochzeit die gute Reisegelegenheit, denn die Türken, welche mir ein Pferd hatten leihen und mich mitnehmen wollen, erklärten, erst sich die Festlichkeit anzusehen und am Nachmittage zu reisen. Herr Paukowitsch hatte wegen des Pferdemi ethens grosse Mühe und kam von Zeit zu Zeit, um mich zur Geduld zu ermahnen; einmal brachte er einen griechischen Serben mit, der in Priedor wohnte, etwas deutsch sprach und sich erboten hatte, mich zu beherbergen, er wolle deshalb mit mir zusammenreisen. Der Mann hatte in Dübitza durch eine Klage Geld eingetrieben und so glaubte ich, er wolle seiner Sicherheit halber sich mir anschliessen; ich wusste freilich nicht, dass der Schuft, dessen Physiognomie mir durchaus nicht gefiel, nur darauf ausging, mich unterwegs tüchtig zu rupfen. Ein anderes Mal brachte mein freundlicher Fürsorger einen mit Han-dshär, Dolch, Pistolen und Flinte bewaffneten Muhamedaner, den er mir als den Saptie vorstellte, der mich auf Wunsch des Müdirs nach Priedor hegleiten sollte. Eine derartige Begleitung lag jedoch keineswegs in meinen Wünschen, deswegen lehnte ich. dieselbe entschieden ab, Herr Paukowitsch bat mich indessen so dringend, den Müdir nicht in Verlegenheit zu setzen und ihn dazu, dass ich mich wohl oder übel zur Annahme dieses obrigkeitlichen Begleiters bequemon musste, fest entschlösse», von Priedor an mir eine derartige Octroyirung nicht wieder gefallen zu lassen. Die Sache kam jedoch anders und das war sehr gut, denn ein anständiger Fremder kann in Bosnien ohne Saptie' gar nicht reisen; freilich muss man sich mit diesen Gensd'armen zu stellen wissen. — Es kamen auch noch andere Leute an mich heran, so u. A. ein Freigeist, der mir in deutscher Sprache zurief: »Schweinefleisch gut, Bindfleisch schlecht! Wein und Sliwowitz gut, Wasser schlecht!« Ueberhaupt benahmen sich die Menschen alle sehr gemüthlich. Mein Saptie lud sein Gewehr, wobei ich die Beobachtung machte, dass die Türken sich eines selbst erzeugten Pulvers bedienen, so grob wie Hirsekörner und ohne jede Begelmässigkeit der Form; ich hielt es erst für Schmutz, als ich es auf der Pfanne liegen sah. Endlich erschien Herr Paukowitsch mit dem lang ersehnten Pferde. Es war ein Thier von der gewöhnliehen bosnischen Kace, klein wie ein Pony, jedoch schlank gebaut und dabei stark und ausdauernd, nur hatte es den Fehler, dass es mit dem linken Vorderbeine ein wenig lahmte; letzterer Umstand veranlasste mich, Bedenken gegen die Brauchbarkeit des Thieres zu äussern, doch versicherte mir Herr Paukowitsch, dass ich auf demselben bis Sarajewo reiten könnte, auch würde es koi-nesweges Buhe haben, wenn ich es nicht miethete. Wirklich ergab sich, dass das Pferd ganz gut ging, nur auf einigen ganz kurzen Strecken steinigen Bodens vorrieth es Aengstlich-keit beim Auftreten. Leider muss man in der Türkei, will man sich nicht allen Bespect vergeben, auf Reisen beritten sein oder doch ein Pferd bei sich haben, auch wenn man dasselbe mehr am Zügel führt, als reitet, deshalb war ich gezwungen, das in Rede stehende Thier zu nehmen, da gewiss kein anderes im Orte aufzutreiben war, wenigstens wollte ich Herin Paukowitsch nicht noch mehr bemühen, als schon geschehen. Der Miethspreis war übrigens sehr gering, denn er betrug nur zwei Gulden Silber, d. h. sechs alte Zwanziger, freilich kam mir derselbe immer noch hoch genug vor, wenn ich bedachte, dass Rosehkjewitsch in seinem Buche zwei Gulden als die übliche Tagosmiethe eines guten Pferdes im Innern Bosniens angiebt, und ich glaubte, an der Grenze müsste der Preis noch geringer sein. Ich sollte hierüber noch empfindlich eines Besseren belehrt werden, denn die Bosniaken unterscheiden bei solchen Geschäften zwischen Fremden und Bekannten. Nach herzlichem Abschiede von dem gutwilligen Herrn Paukowitsch, dem ich noch den Brief zur, Bestellung übergab, ritt ich auf meinem Bosinante davon, während der Saptie mit dem Serbon vorausging. Bald hatte Ich das halsbrechende Pflaster des Handels vierteis hinter mir und ritt durch die ländlich erscheinende Muhamodanorstadt mitten durch fusstiefe Wasserpfützen und bodenlosen Koth, wobei ich die Spring- und Klettcrkünste bewunderte, die meine Begleiter ausübten, um trockenen Fussos aus diesem Stadttheil in's Freie zu gelangen. Die meist zweistöckigen Häuser waren von elender Beschaffenheit, nur mit kleinen Luken versehen und diese mit fingerdicken, kreuzweis ( )( ) aufeinandergenagelten Latten, welche fingerbreite Zwischenräume liessen, versperrt; dieselben konnten übrigens wie Fensterflügel geöffnet worden und ich bemerkte, dass mich eine muhamedanische, unverschleicrte Frau aus einer derartigen Oeffhung betrachtete, auch noch ein anderes weihliches Wesen herbeirief; als ich dicht heran war, wandte ich plötzlich das Gesicht nach den Schönen hin, um mir als Entgelt nun auch ihren Anblick zu verschallen, doch im Nu waren sie verschwunden und warfen das Gitter zu; ich konnte in der Eile nur bemerken, dass ich nicht die Neugierde einer Schönheit erweckt hatte. Unser Weg führte uns bald aus der da und dort behauten Fbene in die Hügelregion, die zu den Vorbergen der hohen Kdsaratz-lTaninä gehört. Theilweise zeigten diese Hügel Aecker oder Weiden, ohne dass man die dazu gehörigen Häuser bemerken konnte, theilweise waren sie mit 8 — 10 Fuss hohen Haselsträuchern und vereinzeltem Eichengestrüpp bedeckt. All-mälig wurden die Hügel höher und der Gestrüppwald dichter, während der Pfad so schmal wurde, dass kaum zwei Pussgänger neben einander Platz hatten, das Sonderbarste war jedoch, dass dieser Pfad häufig durch quer darüber geflochtene Zäune aus Baumzweigen und Dornenruthen gesperrt war und wir bei diesen Hindernissen, die für ein Pferd weder zu umgehen noch zu übersteigen waren, mitunter über 10 Minuten Zeit brauchten, um dieselben wegzuräumen und wieder aufzurichten, welch letzteres nämlich auf mein Geheiss erfolgte, da ich annahm, dass die das Hügelland bewohnenden Christen sich durch solche Sperrungsmittel unliebsamen berittenen türkischen Besuch vom Halse halten wollten. Hierbei machte ich die Wahrnehmung, dass der muhamedanische Saptie willig die Wiederherstellungsarbeit übernahm, der griechische Christ hingegen sich davon fern zu halten suchte und. erst nach geschehener Aufforderung seitens des Muhamedaners in träger Weise ein wenig dabei half. Fast zwei Stunden lang ritten wir durch diesen dichten-Unterholzwald, ohne auf einen Menschen oder ein Hausthier zu stossen, da gelangten wir plötzlich in dieser Wildniss an Aecker, die mit niedrigen, geflochtenen Zäunen eingehegt und mit Boggen bestellt waren, gleichzeitig verschwand der bisher noch immer kenntlich gewesene Pfad und weder Menschen noch deren Wohnungen waren zu sehen. Meine Begleiter geriethen in Verlegenheit und be-rathschlagton über die einzuschlagende Richtung, ohne zu einem Resultat kommen zu können. Ich mcinestheils sah nach dem Compass, betrachtete die Gegend aufmerksam und, mich auf meinen Ortssinn oder Instinct verlassend, bestimmte ich eine Richtung, die sich denn auch als die nächste und einzig richtige erwies, nämlich geradezu über einen Acker auf dem kürzesten Wege wieder hVs Dickicht führte. Meine Begleiter hatten sich nach rechts wenden wollen, weil sich alle Aecker dort hinzogen und die grosse Lichtung sie ein Dorf hinter den beackerten Hügeln vermuthen liess, während doch die Christendörfer sich immer zu verstecken pflegen. Um den von mir angedeuteten Weg einschlagen zu können, musste erst in den Ackerzaun eine kleine Bresche gelegt und wieder geschlossen werden, worauf ich dicht an der Schutzwehr auf einem zwei bis drei Fuss breiten unbestellten Rain entlang ritt und mir der Saptie genau hinter dem Pferde folgte, der Christ hingegen machte Miene, durch das Korn zu gehen, so dass ich ihn heftig anfahren und auf den Steg verweisen musste. Um in das Dickicht zu gelangen, musste erst wieder eine Barrikade durchbrochen und zehn Minuten weiter eine solche weggeräumt und wieder aufgebaut werden, was uns über eine Viertelstunde Zeit kostete. Zum Glück war es die letzte; bald wurde der Pfad breiter und zeigte Wagenspuren, das Unterholz verschwand und machte einem massigen Hochwald, sowie einzelnen Lichtungen Platz; ein halbes Dutzend Pferdchen kam angetrabt, näherte sich vertraulich, um mein Thier zu beschnüffeln, floh aber dann plötzlich davon, als erinnere es sich seiner Freiheit und der Unfreiheit seines Genossen. Noch ein wenig weiter und vor uns lag eine weite Lichtung, ans lauter Aeckern bestehend, die da und dort Gruppen hoher Bim-, Pflaumen- oder Kirschbäume trugen und wohl eingehegt waren, während auf den Kuppen der Hügel inmitten von Baumgruppen die Hütten der Eingeborenen lagen. Etajahs, männliche sowohl als weibliche, waren auf den Feldern mit ihrer Arbeit beschäftigt. Das Ganze bot einen ungemein lieblichen Anblick dar und ich wunderte mich im Stillen, dass ich in Bosnien solche Scenen stillen Glückes finden konnte, so wie ich mich vorher in dem Dickicht gewundert hatte, als ich den Lockruf liebender oder brütender Vögel vernahm, dass sich in diesem verrufenen Lande der Wildheit und Tyrannei noch andere Laute als die des duldenden Schmerzes und der grausamen Wuth hören lassen konnten. Freilich sollte ich auch in der abgeschlossenen, wohlversteckten Glückseligkeit der Dorfgemeinde von Läschkowatz an den Fluch 13 des Landes, an die religiöse Unterdrückung erinnert werden, denn als ich über einen Hügel ritt, dessen Kuppe amnuthig mit Birken bewachsen war, wandte sich der zunächst vor mir herschreitende Serbe um und rief lakonisch, mit dem Finger auf eine links liegende Baulichkeit deutend: »Tzerkwa!« Ich glaubte, nicht recht gehört zu haben und fragte deshalb, was das wäre, was dort lag. Und noch einmal wiederholte er das Wort, welches in der serbischen Sprache Kirche bedeutet. Ich hielt mein Pferd an und kämpfte mühsam die in mir aufwallenden Gefühle nieder. Lieher Leser, es leuchtete mir zwar durch eine düstere Kindheit eine schwärmerische, fest im kirchlichen Mythos stockende Frömmigkeit, die tief im Herzen wurzelte, doch machte sie in der Jünglingszeit einem oben so weit getriebenen Atheismus und sogenannten Pantheismus Platz, dessen Stelle nunmehr längst ein dogmenloser Deismus einnimmt, der in Christus nicht den Sohn, sondern den edelsten und bis jetzt einzig wahrhaftigen Verkünder Gottes sieht, ich bin also weit davon entfernt, ein orthodoxer Christ zu sein, aber in jenem Augenblicke, da ich das erste christliche Gotteshaus in Bosnien sah, bäumte sich in mir alles empor, was ich längst durch den Verstand aus dem Herzen vertrieben wähnte, und ich fühlte den Fanatismus des Christen in mir erwachen. Man denke sich einen bis zur Dachfirste etwa 8 Fuss hohen, 0 Fuss breiten und ungefähr 12 Fuss langen Stall aus hölzernen Sparren aufgeführt, die nur grob mit der Axt behauen waren und über handbreite Fugen zwischen sich licssen, durch welche man bequem in das Innere sehen konnte, welches einen ungedielten Boden und im Hintergründe einen aus zwei Pfosten und einem Brett bestehenden Tisch, den Altar, zeigte, sonst nichts. Dicht neben diesem Stalle, am Eingange, stand die schon beschriebene Vorkehrung, welche man in der Militairgrenze ein Allarmbrctt nennt, die aber hier als Kirchenglocke dient, welche die Frommen zum Gehet ruft, da den Christen dor Gebrauch von Glocken überall wo der Islam herrscht, auf das Strengste verboten ist. Ich empfand eine wahre Freude bei dem Gedanken, dass dor Schall der Allarmbretter auf österreichischem Hoden muhamedanischon Raubern so oft als Sterbe-glöcklein geläutet hatte. In unmittelbarer Umgebung dieser »Kirche« befand sich dor Friedhof, d. h. eine Anzahl Gräber, von denen jedes für sich mit einem den Grabhügel eng umspannenden Gitter eingefasst war, innerhalb dessen eine angepflanzte Birke wuchs und ein kaum 2 Fuss hohe* Kreuz sich erhob, denn nur in Städten, woselbst das Auge europäischer, besonders Österreichischer Consuln den Türken auf die Finger sieht, giebt es wirklich eingehegte christliche Friedhöfe, da die Muslimen das Verbrechen, im Leben Ungläubiger gewesen zu sein, noch am Todten durch schimpfliche Nichtachtung seiner Ruhestätte strafen — würdiges Seitenstück zum unduldsamen Fanatismus christlicher Pfaffen, welche so oft dem »Ungläubigen«, dem Lebensüberdrüssigen, dem Freigeist, ja dem Leibe eines unschuldigen Kindleins das Begräbniss in geweihter Erde verweigern. Ich ritt weiter und mein Saptie rief mit erschütternd lauter Stimme eine Gruppe Rajahs an, die sich einige hundert Schritte von uns entfernt mit ihrem Acker beschäftigten. Er bat um Auskunft wegen eines Han's oder Wirthshausos, in dem wir frühstücken könnten, denn es war 12 Uhr vorbei. Die Autwort, welche ihm zugeschrien wurde, fiel nicht befriedigend aus und ich vernahm bei der weiteren Verhandlung ganz deutlich die Worte, dass man sich mit dem Türken nicht einlassen könnte. Der Türke war nämlich ich selber, wegen des leidigen Fess nebst europäischer Tracht und wegen meiner Begleitung durch eitien Saptie', die wohl niemals einem eingebornen Christen bewilligt wird. Schliesslich wies man uns doch, wohl in Folge erhaltener Belehrung über meine Person, einen Hausstand nach, in welchem wir Bewirthung erhalten konnton, und nachdem wir uns durch mehrere Zäune, welche Obstgärten umfassten, hindurchgearbeitet hatten, gelangten wir an die gesuchte Bo- 13* hausung, bewillkommnet von vier Schäferhunden, die mit einer wahrhaft rasenden Wuth auf uns einzudringen suchten, so dass der Saptie seinen Han-dsbär vom Leder zog und ihnen entgegen hielt, während ich meinen Stock schwingen musste. Von dem Serben schienen sie keine Notiz zu nehmen. Diese zahlreichen und bösen Hunde (zur Eace unserer Schäferhunde gehörig) müssen sich die waffenlosen Rajahs zum Schutze ihrer Heerde» gegen die Tausende von Wölfen halten, welche die bosnischen Wälder bevölkern*), doch werden diese Hüter wohl nebenbei auch den Widerwillen ihrer Herren gegen die Türken theilen und gegenüber einzelnen derselben gewiss gelegentlich als Dämpfer des Uebormuthes dienen. Darum entschuldigte ich stets ihren mir bereiteten bösen Empfang. An der Pforte dos Zaunes empfing uns eine Frau, die mich mit pfiffig blinzelnden Augen betrachtete und zweideutig lächelnd anhörte, was ihr meine Begleiter sagten. Sie half das Heckenthor öffnen, ergriff einen langen Zacken und wehrte damit den Hunden, wie dies auch ihre herbeigerufenen Töchter thaten, zwei Mädchen, von denen das älteste etwa 15, das jüngere 8 Jahre alt sein mochte; auch ein kleiner Junge von vielleicht 6 Jahren betheiligte sich an der Hundeberuhigung, während ein anderer von 3—4 Jahren bei unserem Anblicke ein Geschrei ausstiess, als oh er am Spiesse steckte, so dass die Mutter zunächst an seine Beruhigung gehen musste; liess man ihn, was mehrere Male während unseres Verweilcns vorkam, von der Hand los, dann schrie er sich vor Angst förmlich blau im Gesicht — wer weiss, mit welchen Schreckbildern von türkischen Besuchern seine kleine Seele schon erfüllt worden war. Auch das älteste Mädchen schien von einer zitternden Angst beherrscht zu sein oder litt an irgend einer Krankheit (wie ich *) Eine jährliche Ausfahr von 600 Wolfsfellen aus dieser türkischen Provinz ist nichts Ungewöhnliches und wie viele Felle mögen ausserdem noch im Lande bleiben! nach genauerer Kenntniss der Bosniaken annahm), denn ihr grade nicht hässliches Gesicht zeigte beständig einen gefassfc schmerzlichen Ausdruck, wie man solchen etwa auf Bildern sieht, die eine junge zum Sterben für den Glauben verurtheilte Märtyrerin darstellen sollen, auch faltete sie mehrmals gesenkten Hauptes die Hände, als ob sie im Stillen betete. Ich hatte ja damals noch eine so irrige Anschauung von allem, was die bosnischen Menschen betraf, dass man wohl eine ideale Auffassung von einem Ohristenmädchen entschuldigen kann. Das Gehöft war mit einem Spriegel- oder Sprenkel-Zaun eingefasst, enthielt einige riesenhafte Birnbäume und vier aus hölzernen Sparren aufgeführte Baulichkeiten, von denen die grösste das Haus, die beiden nächstgrössten die Vorrathskam-mern und die kleinste einen leeren Schweine-Maststall vorstellten. Das Wohnhaus hatte ungefähr die Ausdehnungen der eben gesehenen Kirche, doch klafften die Bugen seiner Sparren nicht ganz so weit auseinander, wenigstens war das Dach etwas dichter; der Fussboden war aus festgeschlagenem Lehm gebildet und unmittelbar auf ihm schwelte in einem grossen Aschenhaufen ein Feuer, bei dem ein fusshoher hölzerner Galgen stand, welcher gelegentlich als Bratenhalter oder als Dörre dienen mochte. In dem einen Winkel des Gemaches lag ein Haufen Felle und wollener Decken oder Böcke, im andern ein Haufen ausgeraufter weisser Wolle; eine eiserne Pfanne, ein Krug und einige Töpfe, sowie Kaffeetässchen vollendeten den Inhalt dieser Wohnstätte, welche ich bald nach unserer Ankunft untersuchte. Im Winter müssen die Leute jedenfalls die klaffenden Fugen mit Gras zustopfen, dann aber mag der Bauch, der sonst durch die Oeffnungen abzog, den Aufenthalt nicht zum angenehmsten machen. Die Leutchen hatten auch für das Vergnügen ihrer Kinder gesorgt, indem sie an einem der stärksten Zweige des grössten Birnbaums eine Schaukel aufgehängt hatten, die aus einem über armdicken Zweig bestand, dessen einer im spitzen Winkel stehender Ast als Haken diente, während ein anderer mehr wagrechter den Sitz oder das Stehbrett des Schaukelnden vorstellte. Ich hielt das Ganze erst für einen primitiven Pflug, doch belehrte mich der Saptie lachend über den wahren Zweck, indem er sich sofort selber schaukelte, Rund um den Zaun lagen Gärton und wogende Kornfelder. Als wir das schattige Gehöft betreten hatten, brachte uns die Familie zunächst ganz kleine, 6 Zoll hohe dreibeinige Schemel mit einer kaum 5 Zoll breiten Sitzfläche und luden uns zum Sitzen ein. Ich versuchte es, auf diesem Gesäss Platz zu nehmen, konnte aber nicht lange darauf aushalten und ging umher, natürlich nur auf einem Räume von 10 Fuss im Geviert, denn kaum that ich den ersten Schritt, als auch gleich die vier Hunde wüthend auf mich losfuhren und erst nach einer wiederholten Züchtigung so weit beruhigt wurden, dass sie sich bei den verschiedenen Baulichkeiten niederlegten und mich unablässig im Auge behielten. Die jüngere Tochter brachte einen Krug Wasser, das sie uns zum Waschen über die Hände goss und zum Trinken gab; hierauf forderte der Serbe Sliwowitz, von dein die Frau eine grosse Weinflasche voll aus dem Vorrathshause herausholte. Der Serbe füllte sich ohne Weiteres einen kleinen gehenkelten Tassenkopf (den er bei sich führte) mit diesem Tranke und leerte ihn auf einen Zug, dann bot er mir ein Tasschen von dieser Flüssigkeit an, die ich der Wissbegierde halber kostete, aber kaum zu verschlucken vermochte, ein so nichtswürdiger Fusel war dieselbe; sie übertraf an Erbärmlichkeit das Zeug-, womit mich weiland in den elendesten Marschquartieren der Mark die ärmsten Wirthe mitunter zu erfreuen gedachten. Der Serbe leerte jedoch schmunzelnd die zurückgegebene Tasse, bot eine frischgefüllte dem Saptie, der dieselbe jedoch entschieden zurückwies, indem er sich auf religiöse Vorschriften berief, worauf sie den Weg der anderen ging und der Serbe die ganze Flasche in seinen Reisesack schob. Hier muss ich den geneigten Leser bitten, mir zu erlauben, ehe ich fortfahre, auf einige Vorfälle zurückzukommen, die sich auf der zurückgelegten Wegstrecke ereignet hatten. Ehe wir das waldige Hügelterrain erreichten, kam der Serbe an mich heran und versuchte, ohne mich zu fragen, seinen Reiseboutel, den er an einem Riemen über der Schulter trug, an meinem Sattelknopfe aufzuhängen. Abgesehen von der unschicklichen Art und Weise, in der er mein Pferd benutzen wollte, war ich schon wegen des armen Thieres, das an meiner Person genug zu tragen hatte, keineswegs gewillt, eine solche Mehrbelastung zu gestatten und verbot dieselbe, doch kehrte sich der Glaubensgenosse nicht daran, so dass ich den Sack herabriss und Miene machte, ihn auf die Erde zu werfen, worauf er von seinem Vorhaben abstand. Ehe wir an die erwähnten Aecker kamen, bei denen die Leute nicht wussten, welche Wogrichtung einzuschlagen war, hörte ich einem von ihnen geführten Gespräche zu, in welchem der Christ den Muhamedaner zu überreden suchte, mich, den fremden Christen, zu betrügen, indem er es so einrichten sollte, dass er (der Serbe) überall unterwegs auf meine Kosten mitzehre und ausserdem der Wirth den Preis so stelle, dass für sie beide noch etwas abfiele, er wollte in Priedor auch dafür sorgen, dass ich bei ihm eine solche Rechnung hätte, dass ein reichliches Trinkgeld für den Saptie dabei herauskäme. Her Muhamedaner machte gegen diese Vorschläge allerhand Einwendungen und sprach besonders die Befürchtung aus, der Müdir von Dübitza oder der Käimakäm von Priedor oder die österreichischen Grenzer-Offiziere möchten von dem Geschäfte erfahren, doch wusste der Christ die Bedenken des Saptie zu beschwichtigen 'ind ihn wirklich, wie ich noch sehen sollte, für seinen Plan zu gewinnen. Es ist übrigens ein alltägliches Vorkommniss u* der Türkei, dass der den Fremden begleitende Saptie mit dem jeweiligen Wirthe ein Abkommen trifft, die Rechnung so hoch zu stellen, dass für ihn ausser freier Zehrung noch ein Trinkgeld bleibt, das der Wirth dann herauszahlt; nur wenn die Vorgesetzten des Saptie diesem strenge einschärfen, derartige Prellereien zu unterlassen und man ihn selber in Re-spect zu halten weiss, unterbleiben dieselben. Es ist ausser mir auch schon anderen Herren widerfahren, dass nicht zu ihnen gehörige Leute mit in das Wirthshaus (Hau) traten und als ob sie zu ihnen gehörten, auf ihre Kosten zu zehren versuchten oder wirklich zehrten. Noch muss ich mittheilen, dass es mir zwar äusserst schwer fiel, mich in der serbischen Sprache auszudrücken, dass ich jedoch recht gut verstand, was gesprochen wurde, besonders wenn ich selber den Gegenstand der Unterhaltung bildete; es lag jedoch in meinem Interesse, mir dies Verständnis« unter Bosniaken nicht merken zu lassen und ich fiel nur einmal, auf der Kückreise, aus der Bolle; so kam es, dass die Leute sich in meiner Gegenwart stets so ungenirt unterhielten, als ob ich gar nicht vorhanden war, wobei ich manches hörte, was ich sonst wohl nicht erfahren haben würde. Mit dem Saptie hatte ich übrigens bald nach Verlassen der Stadt ein Miss Verständnisse das sich noch einmal wiederholen sollte und dessen Schlüssel mir erst viel später zu Theil wurde, dessen Vorkommen mir alter sehr nützlich gewesen zu sein scheint. Ich war nämlich ziemlich weit zurückgeblieben , um mein Pferd Anfangs nur langsam gehen zu lassen und dann machte ich auch verschiedene Notizen über die Gegend, ob-schon man mich in Wien auf das Dringendste vor solchem Thun gewarnt hatte, besonders vor Benutzen des Compasses. Plötzlich wandte sich der Saptie nach mir um und schrie: »rahsh! rahsh!« womit er das aufgeschnappte deutsche Wort »rasch« und den Wunsch ausdrücken wollte, ich sollte schneller reiten, ich aber verstand raj und glaubte den Vokativ von rajah zu hören, obwohl dieser, wie ich übersah, raju lautet. Nun bedenke man, dass ich den Kopf voll irrthümlicher Vorstellungen hatte, in Folge der Unterhaltung mit dem Müdir noch ziemlich erregt war und in Wien von einem Beisenden vernommen hatte, ich würde mir in der Türkei nicht blos in Worten, sondern auch in Handlungen vielerlei ruhig gefallen lassen müssen, was mir noch nicht vorgekommen wäre und was ich auch anderswo nicht dulden würde. Vor jenem Herrn wollte ich nicht renommiren mit »plutöt mourir quo etc.«, sondern schwieg still, nahm mir aber vor, es lieber auf das Aeusserste ankommen zu lassen, als jemals und auch nur einen Augenblick lang etwas zu dulden, was ich nicht ohne Beschämung vor meiner Frau und meinem zwar kleinen, aber doch heranwachsenden Jungen hätte wieder erzählen können. Man ermesse also, wie mir zu Muth wurde, da ich mich von einem untergeordneten Türken »Bajah« genannt glaubte, d. h. als einen bezeichnet wähnte, »der zur Heerde« (dor Unterworfenen) gehört. Ich schlug meinem Pferde die schuhartigen eisernen Steigbügel in die Weichen, dass es hurtig zu meinem vermeintlichen Begleiter hintrabte, der mich beim Herankommen erst jovial, dann aber höchst verwundert betrachtete. Ich schrie ihm zu: »Höre! Ich bin kein Bajah, ich hin ein Preusse und ein Kf'endy, heute Dein Herr!« Der Mann machte ein sehr verlegenes Gesicht, begann von der Länge des Weges zu reden und dass wir uns beeilen müssten etc., während der Serbe vor sich hinmurmolte: »je Pruss i Efondy« (er ist ein Preusse und ein Efendy). ich machte der Unterhaltung ein Ende, indem ich noch einmal rief: ich hin kein Bajah. Nun bitte ich den lieben Leser, mir wieder nach Läsch-knwatz und meinem dort genommenen Absteigequartier zu folgen. Nachdem der Serbe den Sliwowitz eingesackt hatte, sagte ich zu der Frau, sie solle dem Saptie zu essen gehen, ich würde es bezahlen, und zeigte ihr gleichzeitig einen Zwanziger. Das hätte ich nicht nöthig gehabt, denn die Vorkehrungen zur Mahlzeit waren schon getroffen, indem während ich noch sprach das älteste Mädchen ein lomenes Tuch über den Basen gebreitet hatte, doch wollte ich der Frau die Warnung geben, dass ich nur für den Saptie zu bezahlen gedächte, denn ich wusste ja, wie man mich zu betrügen vorhatte. Man lud mich ein, beim Tischtuche Platz zu nehmen, wie meine Begleiter gethan hatten, doch weigerte ich mich dessen, denn ich empfand wohl Durst, aber keinen Hunger, indessen der Saptie rief der Brau zu, sie möchte mir eine Decke bringen, worauf sie einen weissen Serhenmantol heraustrug und auf der Stelle ausbreitete, wo ich sitzen sollte. Nunmehr glaubte ich, dass ich die Leute beleidigen würde, wenn ich den Buheplatz noch ausschlüge, deshalb streckte ich mich der Länge nach auf dem Kleidungsstücke aus, konnte aber doch nicht umhin, während ich mich auf den Ellenbogen stützte, meine Augen forschend nach gewissen Thieren auf dasselbe zu heften. Das verstand der Saptie dahin, dass ich noch einen Polster zur Armlehne haben wollte, weshalb er die Wirthin davon in Kenntniss setzte, die alsobald noch einen Mantel zusammengewickelt herbeibrachte und mir unterschob. »Merkwürdige Menschen«, dachte ich bei mir, »so frech und betrügerisch und doch wieder so gut und dienstfertig«. Ich gab dem Saptie eins der mitgenommenen Hörnchen, weil ich selber ein anderes zu verzehren gedachte, was ich aber nur mit Hülfe von mehreren Bechern Wasser zu thun vermochte, derart hatte mir die Sonnenhitze, die in der That furchtbar war, und die Aufregung den Appetit verdorben. Die Frau brachte ein paar Hände voll Haselnüsse, die sie mit dor Einladung auf das Tuch legte, dieselben zu verzehren, wahrscheinlich um uns damit die Zeit bis zur Action zu verkürzen. Ich knackte ein paar, fand aber, dass sie etwas ledern schmeckten, der Saptie nahm ebenfalls einige, worauf der Serbe den Rest in seinen Beutel steckte. Nunmehr legte die Wirthin ein flaches, rundes, in der Asche gebackenes und noch dampfendes Brod (kuka oder chlebba) vor, welches der Saptie zerlegte und mich einlud davon zu essen; es war aus geschrotenem Roggen bereitet, stachelte auf der Zunge und war so locker gebacken, dass es kaum Zusammenhang hatte; man ass es zu frischem Käse (sir), der in einer hölzernen Schüssel aufgetragen wurde und lauter trockene Krümchen bildete, die mit Hülfe des Daumens und eines Stückchens dieses Kuchens genommen und in den Mund geführt wurden; dazwischen wurden Knoblauchzwiebeln (luka) nebst den Stengoln in Salz getaucht verzehrt. Diese Stengel sind so dick wie ein kleiner Finger und etwa einen Fuss lang, ihr Duft ist durchdringend und für den Bosniaken die wahre, nie entbehrte Würze der Mahlzeit. Jeder ass etwa 10 solcher Pflanzen vollständig auf, der Serbe liess sich ausserdem noch ein paar Bündel holen, die er in seinen Beutel stockte. Die Krone des Glänzen bildete jedoch die saure Milch (sirutka), welche in einer hölzernen Kanne aufbewahrt wird, aus niedergefallenem Käse nebst oben stehendem grünen Wasser besteht und so sauer ist, wie der schärfste Essig. Sie wurde in eine hölzerne Schüssel gegossen und dann der heisse Brodkuchen hineingehrockt, worauf sie mit plumpen, hölzernen Löffeln verzehrt wurde. Ich hatte an einem Löffel voll genug. Die Wirkung dieser Speise auf einen europäischen Magen ist schlimmer als die von Aloe, wie ich später, in Skender-Wakuf, erfahren sollte, als ich den inständigen Bitten eines lieben Saptie und eines christlichen Wirthes nachgab und etwa ein Dutzend Löffel dieses Gerichtes hinuntor-würgte. Nachdem moin Gensd'arm mit dem Essen aufgehört hatte, fragte ich ihn, ob er satt sei, was er bejahte; hierauf sagte ich zu der Wirthin, dass ich für mich und den Saptie zu bezahlen wünsche, worauf der Serbe dazwischen rief: »und für mich auch!« Ich gab ihm zu verstehen, dass ich mit ihm nichts zu schaffen hätte und, da er hierzu lachte, erhob ich den Stock, wodurch seine Heiterkeit zwar gedämpft, aber seine Esslust nicht im Mindesten gestört wurde, denn er nahm alles, was von Brod, Käse und saurer Milch noch vorhanden war, mischte es in einer Schüssel zusammen und vorzehrte es in grösster Seelenruhe. Ich gab der Wirthin einen Zwanziger, womit freilich für alle bezahlt war, sagte zum Saptie, dass ich wegreiten wollte und, da er auf den Serben deutend, keine Lust zum sofortigen Aufbruche verrieth, rief ich ihm mit Heftigkeit zu, dass ich vor Nacht in Priedor sein wolle und fügte die beiden bedeutungsvollen Worte Consul und Käimakäm hinzu, worauf er stracks emporschnellte, zu meinem grasenden Gaule lief und sich an die Aufzäumung desselben machte, dann bat er mich, an den Zaun zu treten, vor welchem ein Kornfeld üppig in Aehrcn stand, und rief, mit dem Arme nach allen vier Himmelsrichtungen deutend: »So ist Bosnien! so schön und fruchtbar ist es überall, bis Sarajewo, bis Nowibasar!« Als ich zu meinem Pferde trat, um aufzusitzen, war der Serbe schon bei demselben und beschäftigt, seine Jacke über den Sattel zu breiten. Dadurch hätte er das Thier zwar nicht belastet, mir jedoch den Sitz verdorben und ausserdem fürchtete ich die in dem Kleidungsstücke enthaltenen Insecten, deshalb nahm ich dasselbe beim Zipfel und warf es seinem hartgesottenen Eigenthümer wieder zu, empfahl mich der lächelnd dabei stehenden Wirthin und ritt durch das von dem älteren Knaben geöffnete Gartenthor ab. Unser Weg führte zunächst über ein baumloses Plateau von Brachäckern, die zu Weiden benutzt schienen, dann gelangten wir in ein von Norden nach Süden streichendes Thal mit wohleingehegten Aeckern und üppigen Weiden, die von einem nach Süden strömenden Bache, dem Mleschnitza-Wodda, bewässert wurden. Einige Bauern waren beschäftigt, mit ihren primitiven Pflügen, vor denen vier Ochsen gespannt waren, das Land umzupflügen, wobei sie ein gewaltiges Hailoh machten und neben jedem «loche einer zum Antreiben einher lief. Von uns nahmen sie gar keine Notiz, weder durcli Aufblicken noch Unterbrechen der Arbeit. Das Thal bot nach Norden und Osten einen reizenden Anblick, denn dort wurde es durch bewaldete Höhen begrenzt, aus deren dunklem Grün eine Menge weissgetünchter Häuser hervorschimmerten. Eins derselben sah fast stattlich aus und war die Wohnung eines Beg, des Herrn aller dieser Herrlichkeiten. Ganz in der Perne, hoch im Gebirge, sah ich mit Hülfe des Fernrohrs eine Karäula. Die Brücke über den Bach bestand nur aus einem hinübcrgelegten Baumstamme, den die Fussgänger benutzten, um nicht durch das Wasser zu waten; da in unmittelbarer Nähe oberhalb und unterhalb dieses Ueberganges sehr dichtes Weidengebüsch die Ufer bedeckte, deutete der Saptie nach Norden und rief mir zu, ich möchte mir dort einen Durchgang suchen. Ich ritt eine Strecke in jener Eichtling und freute mich der nun recht sichtbar werdenden Thal Schönheit, machte auch einige Notizen, da brüllte der Saptie von jenseits einen Wortschwall zu mir herüber, von dem ich nichts verstand, was er zu begreifen schien, denn nun winkte er und rief wieder die ominösen Worte »rahshl rahsh!« Das war mir zu viel. Ich jagte mein Pferd durch den Bach, wo es grade war, und eilte, die Hand am Inhalte meines Gürtels, auf den Uebelthäter los, der bei Seite sprang und meine heftige Rede über Rajah, Preusse, Efendy etc. mit einer Miene anhörte, als ob er der festen Ueberzeugung wäre, ich habe meine fünf Sinne nicht beisammen. Zu dem von mir gefürchteten ernsten Verlaufe der Unterhaltung kam es jedoch nicht, denn der Mann sprach im bescheidenen und begütigenden Tone von der Länge des Weges und dass ich doch gehen müsse, wohin er vorausginge, ich hätte aber nicht gehört etc. Den Anblick des schönen Thaies verlor ich bald aus den Augen, indem wir einen etwa 50 Fuss hohen Hügelrücken überschritten, worauf wir in ein anderes Parallelthal gelangten, das gleichfalls von einem nach Süden strömenden Bache bewässert war und im Ostrande einige Hütten zeigte. Beim Uebergange über den Bach lag eine verlassene Mühle, die aus Sparren gebaut, kaum die Grösse eines massigen Kämmerchens hatte; weiter aufwärts sah ich zum ersten Male mehrere der sogenannten Löffelmühlen (shlitschara, von shlitza, der Löffel), welche die Vorbilder unserer Turbinen gewesen sind, die wilden rohen Bosniaken verdanken. Die Löffelräder dieser Mühlen drohten sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, sie treiben indessen nur einen Stein von etwa einem Fuss Durchmesser. Dort sah ich ferner eine künstliche Bewässerung, indem die Eingeborenen das Wasser des Baches aus seinem oberhalb immer höher ansteigenden Bette in mehrere Böhren-leitungen geschickt nach der sanft geneigten Höhe geführt hatten, die mit Mais bepflanzt und mit unzähligen Bewässerungsrinnen durchzogen worden war. Die Pflänzchen waren kaum eine Hand lang und standen in Zwischenräumen von einem bis anderthalb Fuss von einander entfernt. Die Leute waren truppweise mit dem Behacken dieses ihres Lieblingsgewächses beschäftigt. Aus der Entfernung fing der Saptie eine Unterhaltung mit ihnen an, um den Weg zu erfahren, den wir einschlagen mussten, ohne die Maisfelder zu betreten. Sie muthe-ten uns einen grossen Umweg zu, weshalb der Saptie, nachdem wir einen nach Westen führenden Bain erreicht hatten, auf diesem durch die Felder zog. Darob erhoben die Leute ein furchtbares Geschrei und gewaltige Schimpfreden, doch ohne Ursache, denn wir nahmen uns sorgsam in Acht, auch nur.ein einziges Pflänzchen zu zertreten, gelangten auch bald auf Weideland und demnächst an ein Hürdenthor, welches uns in eine bewaldete, krause Hügellandschaft führte, in welcher Bindvieh weidete. Dieses Vieh ist von einer jämmerlichen Beschaffenheit, die Kühe sind etwa so gross wie bei uns die zum Schlachten bestimmten Kälber; mir reichten sie wenig über die Hüften; die Stiere sind etwas grösser und kräftiger, aber nicht muthig, wie bei uns und auch nicht entfernt so gross. Bei einer Quelle wurde Halt gemacht und der Serbe schöpfte mit seiner Tasse das klare Wasser, von dem er trank, dann gab er dem Saptie das Gefässchen, der es mit einem dünnen baumwollenen Tuche bedeckt an den Mund führte, da es nach dem Gesetze Muhameds den Gläubigen verboten ist, nach einem Ungläubigen (d. h. Unreinen) anders aus einem Gefässe zu trinken, als durch ein. Seihtuch, um sich vor Ver- unreinigung zu schützen. Ich wusste dies, doch hielt ich mich für verpflichtet, dem religiösen Vorurtheil eines homirten Türken den Hochmuth des gebildeten Europäers entgegen zu setzen, und als mir daher der Saptie mit grösster Unbefangenheit die Tasse hinhielt, aus der er so eben getrunken hatte, schob ich dieselbe barsch bei Seite und gab ihm meinen ledernen Becher zum Füllen. Ich habe — dies kann ich hier gleich berichton — auf der ganzen Reise mit grösster Consoquenz den Orientalen gegenüber die höhere Stellung und grössere Würde des Europäers stets zur Geltung gebracht, andererseits vor ihnen keine menschliche Schwäche gezeigt, sie gütig behandelt, so lange sie mir nichts in den Weg legten oder sieh nicht vor mir gehen Hessen, ihre Eifersucht nicht durch auffällig gezeigte Neugierde verletzt und auch ihren religiösen Fanatismus nicht durch Horvorkehrung des Christen gereizt. Roschkjewitsch sagt, dass sich die muhamedanischen Türken nicht dazu verstehen könnten, einem Europäer die Eigenschaft eines »Herrn« zuzuerkennen, ich habe indessen gefunden, dass sie vom ersten Tage an mich nie anders nannten, als gospodine oder efendim, d. h. »o Herr« und »mein Herr«; auch wenn sie von mir sprachen, vergassen sie nicht das Prädicat »Herr«, nur wenn sie um einen Betrug unterhandelten, brauchten sie bisweilen die Umschreibung Preusse, Franzose oder Fremder, damit ich weniger merken sollte, von wem die Bede war. Dass ich mit den Leuten nie aus einem Gefässe trank, nach dem ersten Tage nicht mehr mit ihnen aus einer Schüssel ass, den Griff meines Stockes und die Spitze meines Tschihuks abwusch, wenn ein Saptie oder Pferdeknecht dieselbe getragen hatte, meinen Abscheu vor ihrer Unreinlichkeit und ihrem Ungeziefer offen zeigte, hat Niemanden verletzt, wohl aber allen imponirt und hörte ich oftmals ihre Bewunderung darüber aussprechen, wenn ich den Gegenstand ihrer Unterhaltung bildete oder sie mich in meinem Thun beobachteten. Bald nach dem Verlassen der Quelle wurde die Gegend wieder einförmiger und unser Weg führte in nördlicher und westlicher Richtung üher ein sanft ansteigendes Plateau zum Theil durch eine Allee wilder Kirschbäume auf einen Rücken, der die Wasserscheide bildet, etwa 800 Fuss relativ hoch sein kann und im Gebiete des weit ausgedehnten, zerstreut angelegten Christendorfes Jellowatz liegt, das Roschkjcwitz auf seiner Karte zu weit nach Westen gerückt hat, auch den Weg nicht andeutet, den ich geritten bin, dafür aber viel weiter nördlich einen anderen, den er beim Jässinow-Pötok-Han münden lässt, jedoch den Pötok oder Bach nicht angiebt, nach welchem jener Hau den Namen haben muss. Auf dem Plateau von Jellowatz machten wir Halt, um mein Pferd grasen zu lassen und die Türken abzuwarten, die von Dübitza kommend ans nunmehr einholten, im Ganzen vier Reiter. Wir setzten uns in den kümmerlichen Basen; der Saptie schrie einem in der Ferne hütenden Jungen zu, mir Wasser zu bringen, da ich durstete, und der Knabe holte aus einer Quelle das erquickende Nass in einem blechernen Gofässe. Die Leutchen unterhielten sich natürlich nur über mich und besonders über meine Pass-Angelegenheit, die ihnen viel zu schaffen zu machen schien, wobei sie weidlich auf Herrn Paukowitsch schimpften, weil er mir gerathen, meinen Pass aus der Hand zu geben, sie machten mir auch Vorwürfe, dass ich auf den Genannten so viel gehört und ihn so viel hatte sprechen lassen, während ich dies doch selber hätte thun können, wenn ich nur das Buch mehr benutzt hätte. »Nur das Buch! nur das Buch!« riefen sie wiederholt aus*). War ich schon im Stillen wegen meines Passes besorgt gewesen, so wurde ich dies in Folge der Beden jener Leute noch mehr, doch sah ich wohl ein, dass ich mir *) Sie meinten damit das Wörterbuch und die Grammatik, welche ich unterwegs zum Staunen meiner Begleiter benutzt halte, die da glaubten, ich könnte mit Hülfe dieser Bücher alles sagen und verstehen. nichts von Besorgniss merken lassen durfte, wollte ich die Sache nicht von vornherein noch verschlimmern, im Falle ja mein Pass verloren ginge, d. h. unterschlagen würde. »Du inusst noch strammer auftreten, als bisher«, nahm ich mir vor, und zunächst rief ich mit unbefangenster Miene: »Paukowitsch ist gut, aber das Pferd ist schlecht, den Pass habe ich morgen wieder!« Sie lachten, doch lag darin kein Spott, sondern eher Bewunderung. Dass man mich jedoch bis auf Weiteres eher als einen Gefangenen, denn als einen »mächtigen Fremden« ansah, das sollte ich bald noch mehr an den Unterhaltungen merken, die mein Saptie mit jedem zerlumpten Muhamedaner, der an der Strasse sass oder unseres Weges kam, hinsichtlich meiner anknüpfte und wobei dann immer der von beiden Seiten wiederholte Befrain dahin lautete: »Ohne Pass! nein, ohne Pass darf er nicht in Bosnien reisen!« Es ist nämlich zu beachten, dass sich in der Türkei überhaupt und besonders in einer Provinz wie Bosnien jeder Muhamedaner dem Fremden gegenüber zum Wächter berufen fühlt, ihn beargwöhnt, beobachtet, für einen Kundschafter der Feinde hält etc. Klüglicherweise hatte Herr Paukowitsch den Leuten gesagt, ich sei ein Kaufmann (Trgowatz) und dafür liess ich mich an den beiden ersten Tagen, die ich im Lande war, auch halten, andernfalls würde mein Pass doch möglicherweise verloren gegangen sein. Nach dem Aufbruche von der Hochebene gelangten wir in wenigen Minuten an die schlimmste Strecke des Weges, dorthin, woselbst nach meiner Meinung die Vorberge Tzerewa-Bukowa-Kdsa aufhören und die eigentliche Kdsaratz-Planinä beginnt. Die Stelle wird durch zwei von Osten nach Westen streichende Thaler markirt, deren steile bewaldete Scheidehöheu aus aufgeweichtem Lehmboden kaum zu erklimmen oder herabzusteigen waren, denn der Weg war nichts weiter als die binnen, welche sich das Begenwasser gemacht hatte, während der aufgelöste Boden die Füsse festhielt und Einen beständig znrückrntschen liess; dazu musste ich noch mein Pferd am 14 21CL Zügel führen oder richtiger nachschleppen, bis der Saptie mit einer Küthe hinter dasselbe trat, worauf es so schnell ging wie ich. Nach Ueherwindung dieses Hindernisses gelangton wir auf festeren Boden und auf beständig ansteigendem Wege an einen neu gehauten, damals noch nicht ganz vollendeten Hau, der in einem engen Hochthale dicht vor der letzten Höhenstufe lag, die auf den höchsten Theil des Weges führte. Die Beiter, welche uns eingeholt hatten, waren bis auf einen mittelst ihrer flinken Pferdcheu, die sie tüchtig antrieben, vorausgeritten und meinen Blicken entschwunden, darum überraschte es mich einigormaassen angenehm, als mir aus dem Han, an dem ich eben vorbeireiten wollte, eine Stimme in deutscher Sprache entgegentönte und rief: »Guten Abend, mein Herr! wie geht's!« Ich antwortete lustig auf Deutsch, worauf sich dieselbe Stimme in Serbisch vernehmen liess: »Willst Du nicht absteigen und Kaffee trinken?« Denn weiter bis zur ersteren Frage ging des Fremden Sprachkenutniss nicht. Ich stieg ab und trat ein, obwohl ich lieber weiter geritten wäre, denn der Abend zog heran, doch ist das Ablehnen einer Tasse Kaffee oder einer Pfeife Tabak eine Beleidigung, die ich dem freundlichen Muhamedaner nicht anthun wollte, es war nämlich einer meiner neuen Bekannton. Der Handshy oder Wirth, ein Bajah, setzte erst dem Besteller, dann mir und zuletzt dem Saptie ein Tässchen vor; als ich demnächst für Alle, den mitlaufenden Serben einschliesslich, bestellte, erhielt ich das erste Schalchern, dann der Fremde und hierauf die übrigen; es ist nämlich der Brauch, dass der Bcwirthende zuerst erhält und dann in der Reihenfolge ihres scheinbaren Banges die von ihm Bewirtheten. Während wir tranken kam ein. serbisches Weib durch eine der Fachwerklücken hereingeschlichen, rückte uns behutsam näher wie ein scheues Hündchen und blieb schliesslich dicht zu meinen Füssen sitzen, jedoch von uns durch eine unausgcfüllte innere Fachwerkwand getrennt. Keiner der Anwesenden nahm von ihr Notiz und es schien mir, als hätte sie der Kaffeeduft angelockt; gern hätte ich dem Handshy aufgetragen, ihr eine Tasse voll des Trankes zu reichen, doch fürchtete ich dadurch ein schmutziges oder ein böses Missver-ständniss herbeizuführen, zumal ich nicht wusste, in welchem Verhältnisse die Trau zu dem Handshy stand und es in der Türkei immer misslich ist, mit Weihern in Berührung zu kommen. Für die vier Tassen Kaffee, wobei eine versüsste, forderte man 10 Ksouzer, später gab ich für dieselbe Leistung etwa halb so viel. Auf der Höhenstufe, die wir nun erstiegen und woselbst wir noch einen der neuen Bekannten einholten, hatte ich nach rechts eine weite Aussicht über das Plateau nach den bewaldeten Höhen der Pastirewo-Planinä; links, unfern von uns, erhoben sich die Gipfel der Kosaratz, etwa 8—400 Fuss hohe Hügel. Meine Begleiter fingen an zu singen, d. h. brüllende Töne auszustossen, denn je lauter, je schöner ist dem bosnischen Ohre der Gesang. Mir fiel ein, dass Blanqui bei seiner offiziellen Beise durch Bulgarien seine türkischen Wirthe durch Singen der Marseillaise fast bis zur Tollheit und ein benachbartes Harem bis zur Unbändigkoit erregt und entzückt zu haben vorgiebt, ich war daher neugierig, welche Wirkung die berauschende Melodie wohl auf Bosnier ausüben würde und sang ihnen das Lied vor, das ja selbst einen Philister zu elek-trisiren vermöchte, doch wirkte es auf die keinesweges zahmen bosnischen Türken nicht im Mindesten aufregend, weil ihnen diese Melodie und überhaupt unsere Musik gänzlich fremdartig ist und deshalb nicht zu ihrem Geinüthe spricht oder verstanden wird. Einzelne Strophen des Liedes waren ihnen sogar komisch oder widerlich, wie ich an ihren Mienen sah und aus ihren Bemerkungen entnahm. Das einzige Interesse erweckten ihnen einige Worte, die sie sehr richtig nachsprachen, worüber ich staunte. Wenn nur der Franzose Blanqui nicht von seinen pfiffigen, höflichen Wirthen getäuscht worden ist oder sich, was einem Franzosen leicht passirt, selber getäuscht hat! 11* Der Weg, welcher Zeuge unserer musikalischen Leistungen war, senkte sich bald, nachdem er einen von Nordwesten kommenden Pfad in sich aufgenommen, und gleichzeitig schnitt sich dicht rechts von mir ein tiefes, nach Süden offenes und direct nach Priedor führendes Thal in die Bergmasse ein. An den westlichen Abhängen desselben klebten die weissen von fern so reizend aussehenden orientalischen Häuschen, und die ganze ungemein liebliche Scenerie erinnerte mich lebhaft an gewisse steyrische Thäler, nur die bunten Türken in meiner Nähe verscheuchten die Täuschung. Wir gelangten an einen Gabelpunkt, zwischen dem sich das Gebirge noch einmal emporhob, die Aussicht nach Süden sperrend. Zwei prächtige Beiter kamen uns entgegen und trabten schnell vorbei. Ich wartete, bis meine Begleiter herankamen und einer derselben, den wir auf dem Plateau eingeholt, theilte mir mit, dass der Weg rechts der kürzere, aber für die Pferde schlimmere wäre, der andere sei länger, aber besser. Ich entschied mich für den letzteren und der freundliche Türke trabte rechts ab, der andere aber ritt mit mir auf die vorliegende Höhe, stieg vom Pferde und lud mich ein, dasselbe zu thun, dann deutete er mit der Hand auf die plötzlich vor uns aufgeschlossene Landschaft und rief: »Dort ist Priedor und das alles ist die grosse Ebene, das Omarski Lug!« Welch wunderbarer, schöner Anblick im Glänze der Abendsonne! Sanft nach Süden ansteigend breitete sich eine in duftiger Ferne von düsteren Höhen begrenzte, Anfangs ganz glatte und dann allmälig wellige Ebene aus, belebt durch weiss hervorschimmernde Dörfchen und drei glänzende Silberfäden, die in Schlangenwindungen einem gemeinsamen Vereinigungspunkte zustrebten — die Sanna mit der Gdmjonitza und noch einem Nebenflüsse. Rechts im Westen lag Priedor, reizend anzuschauen, wie alle orientalischen Städte von fern, mit Minarets und unter dunklen Dächern aus grünem Laube leuchtenden weissen Häusern, die, in anmuthiger Unordnung dahingestreut, von einer alten Burg beherrscht wurden, deren hohe Mauern und gewaltige Thürme aus hellen Kalksteinen mit rosigem Anfluge in der abendlichen Beleuchtung glänzten. Noch eine kleine Stunde Reiten und alle die Herrlichkeiten sollten sich vor meinem Auge in orientalischen Schmutz auflösen. Es ging nun stark abwärts und nicht lange, da wurde der Weg in den hier zum Glück ganz trockenen und steinharten Lehmbergen wieder so schlecht, dass ich alle Aufmerksamkeit und Comhination anwenden musste, um meinem Pferde Sprünge zu ersparen, indem die häufigen Gabelungen und Parallelsteige mit verschiedenem Niveau oft mit einem plötzlichen Abfall von 2—4 Fuss Tiefe endeten. Die Gegend wurde belebter, zunächst zeigten sich weidende Rinderhcerden, dann vereinzelte Häuschen, ein Bach mit einer Mühle, Menschen gingen oder sassen am Wege und »keinen Pass!« schallte es mir oft nach in Folge des Geschwätzes meines bald vorausgehenden, bald nachkommenden Saptie. Endlich war ich in der Ebene, auf einem Boden, so flach wie ein Teller, und sah vor mir ein Zeichen der Civilisation, nämlich eine Telegraphenleitung auf mastbaumartigen Stangen. Dem Drahte folgten wir und ich sah noch rechts eine Menge Häuser auf der Fläche zerstreut, darunter ein sehr stattliches, und auch eine europäisch eingerichtete Ziegelei. Ein Wagen jagte im heftigsten Trabe hinter uns her, holte uns ein und zeigte mir als Insassen vier bunt geputzte Türken, die bald darauf einen brüllenden Gesang anstimmten, den ich noch hörte, als sie schon hinter den ersten Häusern verschwunden waren. In meinen erwartungsvollen Betrachtungen störten mich massenhafte Schwärme von Junikäfern, die mir wie toll in's Gesicht flogen und besonders meine Ohrenhöhlen zum Logis ausersehen zu haben schienen, auch meinem Pferde setzten sie zu, so dass ich mit beiden Händen um mich fuchteln musste. Beim Erreichen der Strasse ver-liessen mich diese Plagegeistor und ich ritt zwischen den lückenhaften, erst weiten und dann immer enger werdenden Häuserreihen entlang an einer elenden, etwas tiefer als der Weg liegenden Moschee mit hölzernem Minaret vorbei. Grade im Augenblicke des Vorüberreitens stimmte der Gebetausrufer mit markerschütternder, durchdringender Stimme den Ruf an, welcher die Gläubigen zum Nachtgebete versammelt. Ich war wohl den ganzen Tag über etwas nervenerregt gewesen, deshalb kam mir das Allahgeschrei, welches so plötzlich in langgezogenen Tönen in mein Ohr gellte, wie das Geheul eines hungrigen Wolfes vor und erfüllte mich mit einer Art Grausen, zumal die Stimme kaum 20 Fuss von mir entfernt fast in gleicher Höhe mit meinem Ohre aus dem Thürmchen hervorheulte. Die Kindrücke schwächen sich erschrecklich schnell ab und bald beachtete ich den Ruf der Muezzim gar nicht mehr, wenn er ertönte. Der Serbe und der Saptie gingen einige Schritte vor mir her in eifrigem Gespräche begriffen, dem ich schnell ein Ende machte, denn sobald ich rechts durch eine enge kurze Querstrasse eine stattliche hölzerne Drücke und dahinter das alte Schloss gewahrte, rief ich: »Halt! zum Käimakäm!« Der Serbe machte, wie ich sah, noch einen verzweifelten Ueberredungsversuch, um den Saptie anders zu bestimmen; als ich jedoch mein Pferd herumlenkte und nochmals, aber mit drohender Geberde, meinen Willen wiederholte, liess er mit verlegener Miene den Schelm stehen, eilte zu mir und ging voraus. Den höchsten Mann im Orte wollte ich sofort sprechen, damit er von meiner Ankunft wusste, was mir den Eingeborenen gegenüber ein verstärktes Ansehen geben sollte, indem die bessere Kenntniss eines hochgestellten Türken von der Bedeutung eines reisenden Europäers ihren mangelnden Begriffen nachzuhelfen pflegt, d. h. gezwungener Weise nachhilft. Von dem Augenblicke an, da der Käimakäm von meiner Ankunft wusste, war er für mich haftbar ohne alle Entschuldigung. Ich hatte Glück, denn trotzdem »dass die Sonne schon untergegangen« (nach welchem Augenblicke sich bekanntlich Türken nicht gern stören lassen), traf ich den Gesuchten und zwar mitten auf der Brücke, umgeben von berittenen Offizieren und einem Schwann anderer Leute, mit denen wegen irgend einer Sache so eben verhandelt worden war. Mein Saptie drängte sich durch die Umgebung an den grossen Herrn und ich versuchte dasselbe, doch schob ein Gensd'armcn-Offizier mit malitiös-freundlicher Miene sein Pferd mir in den Weg, so dass ich nicht vorbeikonnte. Mein Begleiter machte seine Meldung, der Käimakäm sprach ein paar Worte und gleich darauf begann die Versammlung eine lärmende Unterhaltung, aus der ich wieder den Refrain heraushörte: »Kein Pass! nein, das geht nicht!« und ehe ich noch recht wusste, was nun werden würde, setzte sich die Cavalcade in Bewegung und ritt von der Brücke nach dem Kastell. Dort glaubte ich, sollte ich Audienz haben und trieb mein Pferd an, um nachzureiten, doch war dies nicht beabsichtigt, überhaupt schien die Annäherung an die Festung während der Nachtzeit verboten, denn keiner folgte den Keitern und alle riefen mir ein warnendes »jok! jok!« (nicht doch!) zu. So blieb mir nichts übrig, als umzukehren, umringt von dem ganzen Tross. Als ich von der Brücke wieder in die Strasse gelangte, bemerkte ich zunächst den spitzbübischen Serben, der mich noch nicht aufgegeben hatte und deshalb dem Saptie winkte; dieser schickte sich an, ihm zu folgen, nun aber warfen sich die Muhamedaner dazwischen und fragten meinen Begleiter barsch, ob ich nicht ein Franke wäre und, da er dies bejahte, riefen mehrere zugleich, dass ich dann bei dem Serben nichts zu suchen hätte, sondern in den Hau gehörte; zweie fassten auch gleich mein Pferd beim Zügel, indem sie mir beschwichtigend zuwinkten und einer aus der Menge rief mit freundlicher Stimme: »Wirthshaus!« — »Han?« fragte ich und »Hau« jubelte die ganze Gesellschaft, worauf sie mich in eine enge Gasse führten, während der Serbe mit einem Gesicht so voller verdriesslicher Enttäuschung davon schlich, dass ich unwillkürlich lachen musste und darüber das strenge genommen ärgerliche, wenn auch gut gemeinte und mir höchst willkommene Octroyiren eines Nachtquartiers vergass. Gleich vorn in der Gasse wurde Halt gemacht und die Leute riefen laut nach Hassan, dem Handshy. Er kam die Treppe heruntorgopoltert, hörte, um was es sich handelte und gleich verzog sich sein markirte* Gesicht zu einem gutmüthigen Lächeln, indem er mich grüsste und sofort Hand anlegte, um mir aus dem Sattel zu helfen. Sein Bruder Abdallah kam mit Licht und führte mich durch den Stall des Erdgeschosses die Treppe hinauf in das »Gastzimmer«, in welches gleich darauf der Saptie mit meinen Sachen trat; ihm folgte Hassan, der einen europäischen Binsenstuhl hereinbrachte und mich mit dem Selhstbewusstseiu eines Mannes, »der da weiss, was sich gehört«, zum Sitzen nöthigte. Hierauf zogen mir die Leute die Stiefel aus, ein Knäblein brachte noch eine Talgkerze, die auf den Ofen gestellt wurde, Hassan stopfte mir eine Pfeife und zündete sie an, das eine der kleinen dicht am Boden befindlichen Fenster wurde auf meinen Wink herausgehoben und so war mir für den Augenblick ganz wohl; ehe Luft gemacht wurde, war es nämlich in dem Gemache zum Ersticken, denn dasselbe mass etwa 9 Fuss in der Länge, 6 Fuss in der Breite und etwa eben so viel in der Höhe; heim Fintritte so vieler Zwiebel-Esser erfüllte es sich von dem Athem derselben mit einem gradezu entsetzlichen Knoblauchsgeruehe, eine Plage, die ich fast immer beim Betreten eines Hans zu überstehen hatte. Nachdem mir ein Schälchen Kaffee goreicht worden, begann Hassan, ein Mann in den Vierzigern, sogleich den Sprachunterricht mit mir und zwar mit solchem Eifer, dass die serbischen Weiber der Nachbarschaft, die sich von meiner Ankunft bis zur Abreise hinsichtlich meiner ungemein neugierig zeigten, in lautes Gelächter ausbrachen und dem ehrsamen Manne allerlei lustige Bemerkungen und Bathschläge zuriefen, darob sein melancholisches Gesicht von dem flüchtigen Blitze eines Lächelns erhellt wurde; auch der Saptie und ein im Han schon vorgefundener Beisender konnten sich schmunzelnd des geflüsterten Käthes nicht enthalten, Hassan möchte mir nun auch Alles sagen, da er mir nämlich lauter nahe liegende Details benamsete, ich aber schnitt dem Lehrer, als er mich fragend anblickte, ein härbeissiges Gesicht und so unterblieb die Belehrung, durch deren Annahme ich fürchtete, mir den Bespect zu vergeben. Ks ist übrigens erstaunlich, welche Erkenntniss diese ungebildeten Menschen von der Grammatik ihrer Sprache haben und wie grammatikalisch richtig jeder dieselbe spricht; so erklärte mir Hassan u. A. bei der Redensart »gieh mir eine Kohle!« (daj mi wätre!), dass ich »watre« sagen müsste, wenn ich eine Kohle verlangte, aber »waträ«, wenn ich bloss sagen wollte »die Kohle«, er wusste also sehr wohl den Unterschied von Accusativ und Nominativ herauszufühlen. Zur Erklärung für Raucher sei hier bemerkt, dass man in Bosnien immer eine Kohle zum Bfeifenanzünden fordert, auch wenn man Zünd-schwamm oder Streichholz meint, man verlangt auch nicht Kener (dhun), wie ich es Anfangs that. Das Abendessen für mich und den Saptie wurde auf einem runden Bräsentirbrett von 2 Fuss Durchmesser aufgetragen und auf den Fussboden gestellt; mir blieb daher nichts übrig, als nach türkischer Art zu hocken, während ich ass. Wir erhielten Pilaw oder gequollenen Reis mit Kohlwasser - Sauce; gehacktes Schaffleisch in einer Knoblauchbrühe, dwtsche meso i süganiänje genannt; gepfeffertes Schaffleisch in Gestalt wall-nussgrosser Klösschen (tschüvvte meso); Salat von Knoblauchszwiebeln; in Oel gebratene Eier (jaje) und Brod, worunter hier ein Gebäck zu verstehen ist, welches einem europäischen Magen nicht zusagt; den Scbluss bildete ein Schalchern Kattee. Ich ass von allein, nur nicht vom Zwiebclsalat, denn ich wollte die Landesgerichte kennen lernen. Uehrigens vermuthe ich, dass sich unter dem gehackten Schaffleisch »baniä« befand, eine Pflanze, der die Bosniaken eine stimulirende Wirkung zuschreiben, obwohl mit Unrecht, wie mir später ein Europäer sagte, der mich auf das, was ich ass, aufmerksam machte. Der Saptie verschaffte mir den Anblick muhamedanischcr Andacht, indem er dieselbe in meiner Gegenwart verrichtete, wobei er sich in Ermangelung eines Teppichs auf seine Jacke legte. Später fand ich in verschiedenen Hans eine trockene Kuhhaut, die den Zweck hatte, den Gläubigen als Unterlage beim Gebete zu dienen, das sie übrigens vor mir nicht sehen liessen. Die ganze Sache ist nur eine leere Form, die möglichst schnell abgemacht wird; bald liegt der Betende auf Knien und Ellenbogen, schlägt den Boden mit der Stirn, bald liegt er nur auf den Knien und hält die Handflächen auf, als wollte er eine Gabe empfangen; dabei schnattert er mit gedämpfter Stimme die vorgeschriebenen Gebete mit einer Schnelligkeit ab, als wäre ihm die Zeit kostbar, was sicherlich nicht der Fall ist. Am anderen Morgen, gleich nach Sonnenaufgang, verrichtete der Saptie wieder seine Andacht in der vorbeschriebenen hurtigen Weise und dann legte er sich nochmals schlafen. Vor dem Beten waschen sich die Gläubigen Hände und Gesicht und spülen sich den Mund aus, wie sie dies auch vor und nach dem Essen jedesmal thun, die Christen übrigens bei der Gelegenheit auch. Das AVasser giessen sie sich hierbei gegenseitig aus einer maurisch geformten zinnernen Kanne mit langer Tülle (etwa wie an einer Theekanne) in die Hände und lassen es in eine untergestellte Schüssel abfliesson, die innen in halber Bandhöhe einen durchlöcherten, hochgewölbten Deckel enthält, der das benutzte AVasser den Blicken entzieht. Es giebt auch eiserne Schüsseln mit einem Stiel wie eine Pfanne, und gedrechselte hölzerne, bei denen innen auf dem Boden ein Knopf statt Griff ausgespart worden ist, doch verrnuthe ich, dass diese letzteren Gefässe nur zum Waschen nach unreinen Verrichtungen benutzt werden. Uehrigens fand ich in den meisten Hans des offenen Landes, dass man dem AVaschenden gar keine Schüssel untersetzt, sondern das Wasser ohne Umstände durch die weiten Fugen der Dielen in das Erdgeschoss abfliessen lässt, woselbst es den Pferden oder durchgehenden Menschen auf den Kücken träufeln kann, wie noch manches andere. Seife sah ich die Leute bei ihren Waschungen niemals anwenden. Ich wusch mich natürlich ebenfalls vor und nach dem Essen. Als es mir Zeit schien zum Schlafen, gab ich meinem Wirth zu verstehen, dass ich mich niederlegen wollte, worauf er hinausging, ich aber streckte mich auf die Schilfmatte aus, welche den grössten Theil des Fussbodens des winzigen Gemaches bedeckte, wie nun auch mein Saptie und der andere Mann thaten; die geladenen Pistolen legte ich wie jene unter den Kopf, nach Landesbrauch. Eben hatte ich mich in meine Keisedeckc gehüllt, da kam Hassan mit einer grossen Matratze herein und nöthigte mich, aufzustehen, und mich dann auf diese weiche Unterlage zu legen , der er einen Kopfpfühl und eine Steppdecke hinzufügte. Das Fenster liess ich schliessen, denn ich fürchtete Fieberluft, da der Fluss unmittelbar am Hause vorbeirauschte und sein schmales Ufer, das sich bis an die Grundpfähle des Gebäudes erstreckte, aus feuchtem Schlamm bestand, wie ich bemerkt hatte, da ich zur Orientirung über meinen Aufenthalt hinausgetreten war. Eine halbe Stunde lang hielt ich es in der wahrhaft scheusslichen Luft des engen geschlossenen Kaunies aus, dann stand ich auf, um die Thür zu öffnen, doch waren bei meiner ersten Bewegung die Gefährten wach und riefen nach Hassan, der sofort aus seinem Harem mit einer brennenden Talgkerze hereinkam und fragte, wras ich wünschte. Ich sagte es ihm und der Saptie hat ihn ausserdem, die Kerze zurückzulassen, was auch geschah. Hierauf verbrachte ich eine schlaflose Nacht, gepeinigt von Insecten aller Art, vorzüglich Wanzen, während meine beiden Genossen ruhig schliefen und schnarchten, dass das Kämmerchen dröhnte. Die Insectenplage ist das einzig Schreckliche in Bosnien, sie ist aber so entsetzlich, dass sie geeignet ist, einem die AViederkehr nach dem paradiesischen Lande zu verleiden. Geschlafen habe ich während meines Aufenthaltes in Bosnien nur in Banjalüka und Sarajewo und zwar in europäisch eingerichteten Zimmern und Betten, ausserdem in Träwnik auf einer eiserneu Bettstelle, und in DoTnja-Tüsla sowie in ßertschka auf den erhöhten Polstern in den dortigen Kanzleien als Gast der türkischen Behörden. In den Hans an den Landstrassen hingegen habe ich selten mehr als eine halbe Stunde wirklich geschlummert, oftmals indessen kaum fünf Minuten in zwei auf ein-andorfolgenden Nächten. Ueberau waren Wanzen (wläschi) in unglaublicher Menge, ebenso Plöhe (blühi) und ausserdem zwei Arten pediculus vestimenti, von denen die eine, welche ich zum Glücke nur ein paar Mal auf meinem Bock antraf und rechtzeitig entfernte, in zoologischen Werken noch gar nicht beschrieben ist, zwar einen milbenartigen Leib, aber doch sechs Füsse hatte und reichlich eine Linie lang war, worauf ich Naturforscher von Fach aufmerksam machen will und für sie den Namen »Bosniake« vorschlage. Von der ersteren Sorte wimmelte indessen meine Wäsche bald nach dem Verlassen Banjaluka's der Art, dass ich mich täglich dreimal entkleiden musste, was ich mitunter im Walde that, um ihrer Herr zu werden. Diese seheusslichste Plage (die ich unumwunden schildere, weil ich nicht für derai monde schreibe, die zwar Schlüpfrigkeiten begierig liest, aber naturalia mit komischer Prüderie verabscheut!) wird keinem erlassen, der Bosnien nicht als grand seigneur bereisen kann, d. h. europäische Diener und auf Packpferden ein Zelt, eiserne Bettstellen nebst Feldstühlen und Tisch mit sich zu führen vermag. Die Bosniaken (und die Serben sowie Bulgaren nicht minder!) sind entsetzlich unreinlich und schlafen beständig in den Kleidern; Bettstellen und Betten in unserem Sinne sind ihnen unbekannt; vor dem Ungeziefer haben sie keinerlei Grauen und in den Hans sowie auf offener Strasse sah ich sie oftmals ganz ungenirt in dio Brust greifen und die gefangenen Thierchen dann behutsam von sich streuen, damit nur ja keins getödtet würde. Die Leute, welche dort zu den besseren Ständen gezählt werden, machen hierin keine Ausnahme. Ich wage dreist zu behaupten, dass die wirkliehe Civilisation erst da anfängt, woselbst Bettstelle und Bett zu den unentbehrlichsten Bedürfnissen gerechnet werden, auf die selbst der Aennste und Blondeste nicht verzichtet, deshalb gehört Bussland nicht zu den civilisirten Ländern, denn von den Bussen kann nur ein verschwindend kleiner Theil der Bevölkerung der grössten Städte nicht auf das Bett verzichten, während die Masse des Volkes und mancher Cavalier in voller Kleidung auf Bänken, Oefen und Teppichen zu schlafen pflegt; die Russen sind aber in so fern den Orientalen um einen Schritt voraus, als sie wenigstens Tische, Stühle und Bänke allgemein zum Unentbehrlichen rechnen und auch beim Geniessen der Speisen sich mehr der llülfswerkzcuge als der blossen Finger bedienen. Der erste Morgen in Priedor fand mich abgespannt und niedergedrückt, letzteres wegen meines Passes. Ich überlegte hei mir, dass ich den Dienstag schlimmsten Falles noch in dem Orte verweilen würde, wenn das Papier nicht ankäme, am Mittwoch aber unter allen Umständen weiter reisen würde. Etwa um Uhr liess ich mein Bett wegnohmen und hierauf fegte ein Knäblein mit einem kleinen Besen die Kammer aus. Da ich so früh bei dem Käimakäm nichts zu suchen hatte und überhaupt nicht recht wusste, was zunächst zu thun, legte ich mich auf die Matte und versuchte zu schlafen, worauf die Anwesenden, die sich lebhaft unterhielten, sofort schwiegen, leise hinausgingen und die Thür schlössen. Ich musste wirklich ein paar Minuten völlig geschlummert haben, denn ich träumte und zwar von meinem Passe, den mir jemand überreichte. In demselben Augenblicke hörte ich meinen Saptie eintreten und laut mit einem Fremden sprechen, der auf seine Fragen dahin antwortete, dass er für ihn ein Papier mitgebracht habe, ausserdem noch mehrere andere und auch den Pass des Fremden. Nun schlug ich die Augen auf, richtete mich empor und wandte mich mit der Frage an den schon vor mir hockenden fremden Saptie: »Du kommst vom Käimakäm von Kostajnitza?« — » Ja! « — » Du hast meinen Pass ? « — » Ja!« — > Gieb her!« — Zwischen Lippe und Bechers Band schwebt der finsteren Mächte Hand, sagt der Dichter, und dieser Spruch schwebt mir, seit ich ihn als Knabe zum ersten Male las, beständig vor, wenn es sich darum handelt, dass ich etwas erlangen oder gewinnen soll, so auch hier und man kann sieh daher meine Spannung denken, als der Saptie in die Brust griff, ein Packet hervorzog, dasselbe gemächlich aufwickelte und ein Papier herausnahm, das ich sofort als meinen Pass erkannte. Er trug das Visum des Käimakäms. Ich steckte ihn ein und alle Müdigkeit, alle Niedergeschlagenheit war verschwunden. Dem fremden Saptie gab ich ein paar Hände voll feinen Tabak, von dem ich in Dübitza eine halbe Oka gekauft hatte und bestellte für ihn Kaffee; ich selbst machte »Toilette«, was ziemlich schnell ging, während Hassan meine Stiefel reinigte. Als ich mich wusch, schmerzte mir die Nase und fühlte sich so rauh an wie ein Beibeisen, auch fühlte ich an der Stirn einen Schmerz und etwas, was jedenfalls nicht dahin gehörte. Ich blickte in den Miniaturspiegel meiner Taschen-Haarbürste und sah nun, dass die Haut meiner Nase sich förmlich abgeblättert hatte, während über meinen Augenbrauen fingerdicke Wülste — Blasen — lagen, die mir die liehe bosnische Sonne, Dank dem Fess, Tags zuvor gezogen hatte; meine Ohren waren überall aufgeborsten und mit geronnenem Blute bedeckt. Das war weiter nicht schlimm, aber wüst sah ich aus und roth wie ein kupferner Kessel. Die Haut im Gesicht löste sich mir während der Beise mehrere Male völlig ab und sogar an den Händen häutete ich mich; auf der linken Hand, da wo die Zügelschicife lag (man hat nur Trensen, nicht Kandaren), blieb ein hellerer Pieck stehen. Als ich fertig war, ging ich nach dem Kastell, um mir das Visum des Käimakäms zu holen und es begleiteten mich auf diesem Gange mein Saptie und Hassan. Priedor muss mit allen dazu gehörigen Häusern über 2000 Einwohner zählen und hat fünf Moscheen, aber keine Kirche, sondern nur ein griechisches und ein katholisches Bethaus. Die Strassen breiten sich von der Brücke strahlenförmig aus, indem sie beim Vereinigungspunkte sehr eng und theilweise gepflastert sind, nach aussen breiter werden, •ungepflastert und lückenhaft bebaut sind. In der Nähe des Knotenpunktes drängen sich die Häuser förmlich in den Fluss hinein und selbst die 70 Schritt lange und 15 Schritt breite hölzerne Brücke ist auf der einen Seite mit Barbierbuden und Garküchen bedeckt. In der Mitte der Brücke, auf ihrer Längenaxe, liegt ein fussdicker Balken als Schranke für Fuhrwerk und Seiter. Das sehr grosse Kastell ist noch gut erhalten, hat 20 Fuss hohe Mauern, ein festes Thurmthor grade vor der Brücke, mehrere Mauerthürme und einige circa 40 Fuss hohe, freistehende Vor-thürme an der Flussseite. Es liegt nicht dicht am Wasser und war von meiner Kammer aus sichtbar. In der Burg befinden sich Magazine und der Konäk des Käimakäms, sowie die Kanzlei, letztere links von der Brücke, zu der ich mit Rechtsum von meinem Han aus gelangte. Am Wasser trafen wir einen Finanzbeamten im langen pelzgefütterten Talar, der mit Verzollung von Waaren beschäftigt war, die auf Schiffe verladen werden sollten, welche stromabwärts zu fahren bestimmt waren. Er hörte zu, was ihm mein Saptie mittheilte, nahm schweigend meinen Pass entgegen und schrieb das Visum darauf, neben welches er sein Siegel setzte, das er in einem Beutel im Gürtel trug, woselbst er auch das Schreibzeug aufbewahrte. Die Türken schreiben mit einem fein gespitzten Rohrstifte (kalem) und bedienen sich dazu einer blauen oder schwarzen Tinte, die sie auf einen Pflock Baumwolle giessen, der das Tiutenfass ausfüllt, wodurch sie ein Verschütten der umhergetragenen Flüssigkeit verhindern. Nachdem ich mein Visum erhalten, glaubte ich aller weiteren Scherereien ledig zu sein, doch flüsterte der Saptie dem Schreiber ein paar Worte zu, worauf dieser mich ersuchte, ihm meinen Pass nochmals zu gehen, was ich auch that, worauf der Herr ihn ruhig in die Brust steckte. Auf mein Befragen, was dies zu bedeuten habe, erklärte er mir trocken, der KYii_ makäm müsse erst das Papier sehen und mich sprechen, was erst in einigen Stunden geschehen könne, da er noch nicht bei Wege sei. Ich beruhigte mich dabei, weil ich mir zunächst die Stadt ansehen wollte. Als ich beim Thore der Burg anlangte, wollte ich hineingehen und Hassan schien dies ganz in der Ordnung zu finden, doch waren einige Bummler auf der Brücke, vermuthlich Wachen, die sich dort, statt unter dem Thor die Zeit mit Schwatzen vertrieben, anderer Meinung, kamen uns eilends nach und verboten uns das Betreten. Ein Becht hincinzudringen hatte ich nicht und da ich ausserdem vermuthete, im Innern osmanische Harems-Damen bei ihrer Krühpromenade zu überraschen, stand ich ruhig von dem Vorhaben ab. Auf der Brücke sah ich zum ersten Male eine Arabä, d. h. einen einheimischen Wagen. Derselbe war mit Eisenstangen beladen und wurde von Ochsen geschleift, hatte statt der Bäder 2 Fuss im Durchmesser haltende hölzerne Scheiben, war schmal und kurz, ungeschmiert und hatte nicht ein Loth Eisen an sich; das Gekreisch eines solchen Fuhrwerks hört man eine halbe Stunde weit und die Ochsen oder Büffel, welche die Arabä schleppen, müssen beim Kopf geführt und mit beständigem Zurufen oder Ruthenstreichen angetrieben werden. Man kann sich denken, wie schnell eine solche Fahrt geht und wie die Zugthiere bei derselben angestrengt werden, da die ungeschmierten Achslöcher nicht rund, sondern oval ausgeschliffen sind. in Priedor herrscht, Dank der Schiffbarkeit der Sanna und dem Schiffbau, ein recht ansehnlicher Handelsverkehr, dor sich in der Nähe der Brücke vereinigt findet, woselbst Laden bei Laden liegt und auch manche Werkstätte zu sehen ist, z. B. Büchsenmachereien und Schmieden. Ich erregte bei den Leuten viel Aufsehen und musste das Stadtgespräch um einen Stoff bereichert haben, denn ich hörte häufig an meinen Wirth die Frage richten: »Hat er seinen Pass?« worauf dieser mit sichtlicher Befriedigung antwortete: »Er hat ihn!« Die Leute waren alle recht freundlich zu mir und erwiderten immer meinen Gruss. Bei dieser Gelegenheit, wie auch fernerhin, fand ich die Aussage Boschkjewitsch's bestätigt, dass die Bosniaken sich bei Annäherung eines Mannes, von dem sie annehmen, dass er über ihnen stehe, von ihrem Sitze erheben (bezüglich im Gehen stillstehen,) den Betreffenden ansehen, bis er sie grüsst und dann diesen Gruss in ihrer Weise erwidern, doch ist es mir unterwegs auch widerfahren/ dass mich Bajahs zuerst grüssten; so riefen mir diese Leute von den Felsen im oberen Ugatz-thale herzliche Willkommen zu und ein Beiter an der Spitze einer Karawane von Packpferden auf dem Wege kurz vor Trawnik begriisste mich mit den laut gerufenen Worten: »Einen guten Tag und eine glückliche Beiso wünscheich dem Herrn!« Dabei überzog sein Gesicht ein schadenfrohes Lächeln des Einverständnisses, denn der gute Mann hatte gesehen, dass ich eine Notiz in mein Buch schrieb und es ist zu beachten, dass die Bajahs (trotz ihres mitunter nicht »christlichen« Benehmens gegen die Brüder aus der Fremde!) sich instinetmässig über die Anwesenheit der Fremden freuen, besonders wenn solche von einem Saptie hegleitet sind, also was bedeuten müssen, da sie wissen, dass die Türken derartige Besucher nicht lieben, auch sollen sie der Meinung sein, dass dieselben die Kundschafter und Vorläufer christlicher Armeen sind, »denn was wollten sie sonst im Lande und wozu machten sie die Aufzeichnungen?« In mein Quartier zurückgekehrt, empfing ich mehrere Besuche von angesehenen Einwohnern der Stadt, die sich prächtig angekleidet hatten und mit der üblichen Handbewegung nach Stirn, Mund und Herz in mein enges Kämmerchen traten, worauf ich sie zum Sitzen nöthigte, ihnen Tabak bot und Kaffee 15 vorsetzen liess. Lange blieb keiner, denn nachdem sie ein Weilchen vor oder neben mir gehockt, geraucht und mich angesehen hatten, gingen sie freundlich grüssend davon. Auf Befragen theilten sie und mein Wirth mir mit, dass noch kein Fremder meiner Art im Orte gewesen sei. Hassan nöthigte mich bald nach der Heimkehr, mit ihm vor die Stadt nach der Ziegelei zu gehen, denn dort wären Deutsche, mit denen er wünschte, dass ich sprechen sollte. Diese Mittheilung kam mir sehr gelegen, denn einmal wollte ich mir die Landsleute ansehen und dann hoffte ich von ihnen manches zu erfahren, was ich auf der Grenze nicht hatte erfahren können, oder worüber ich falsch berichtet worden zu sein fürchtete. Wir gingen also alle drei, denn Abdallah folgte, nach der fast eine halbe Stunde entfernten Ziegelei, die ich Tags zuvor passirt hatte. Auf diesem Wege begegneten uns Büffel (hiwoli), die in Bosnien hauptsächlich als Zugthiore vorwendet werden, aber einer sorgsameren Abwartung bedürfen als die gewöhnlichen Binder, denn sie lieben zwar ein heisses Clima, bedürfen aber zu ihrer Erholung häufiger Waschungen und Schatten, scheuen jedoch Kälte. Auch diese Thiere und alle ihrer Art, die ich noch sah, waren verkommen und unverhältnissmässig klein, nicht grösser als die Kühe des dortigen Bindes, aber stärker gebaut, wiewohl scheinbar eben so sanft. Mehr als diese Thiere interressirte mich die Gegend, die ich nun, im Thale stehend, im grellen Sonnenscheine betrachten konnte, während ich sie am Abend zuvor von luftiger Höhe aus in abendlicher Beleuchtung überschaut hatte. Welch wunderliches Bild gieht Boschkjewitsch von dieser Gegend auf seiner Karte! Priedor liegt nach ihm noch auf dem Südabhange der Pastire'wo-Planina und nördlich von der Sauna, während es auf spiegelglatter Ebene östlich vom Flusse liegt; die bedeutende Burg auf dem jenseitigen Ufer hat er gar nicht angegeben und das grosse Omarski Lug ist von ihm mit Bergen bis dicht an die Stadt heran erfüllt, die Gdmjonitza macht er zu einem Schlund- flusse, der keine Mündung hat, sondern sich irgendwo in die Erde stürzt und sich einen unterirdischen Ahfluss sucht, wie die häufigen Schlundflüsse der Hertzegowina dies thun, die aber nur in völlig geschlossenen Kesselthälern vorhanden sind, während das Omarski Lug im Nordwesten eine breite Oeffnung und ein Gefall von Süden nach Norden hat; auch die letzte halbe Stunde des Weges, auf dem ich gekommen war, liegt bei ihm auf der ersten hohen Vorstufe der Kdsaratz, obgleich sie sich in der flachsten Ebene befindet. Auf der Sohle des Thaies stehend konnte ich im Umkreise von mehreren Meilen nach Südosten, Süden und Südwesten keine nonnenswertho Höhe wahrnehmen, erst in verschwindender Ferne wurde der Horizont nach Süden hin durch Höhenzüge abgeschlossen, welche zwischen Bänjalüka und Stäri-Mäjdan liegen, während sich im Westen bei der dalmatinischen Grenze die Görmetz - Planinä (Donnergebirge) aufthürmte und im Osten mit der Eichtling nach Südost sich die Kdsaratz, scharf markirt wie ein steil gehuschter Wall, aus der flachen Umgehung erhob. Zwei Dörfer, Timar und Cica, sind auf dor Karte in dem kolossalen Winkel der Sanna und Gdmjonitza verzeichnet und doch ist dieser Abschnitt einer der fruchtbarsten und bestbevölkörten. Ich will Niemandes Leistungen herabsetzen, denn ich weiss sehr wohl, dass auch die beste nach blossen Skizzen und Tagobuchsnotitzen gezeichnete Karte eines wilden Landes immer nur ein Zerrbild dessen sein kann, was sich ergeben wird, wenn das betreffende Land erst vermessen worden sein wird, aber eine solche Skizzirung, wie diejenige, welche uns Koschkjewitsch's mit grossen Kosten vom österreichischen Genoralstabe hergestellte Karte Hosniens bietet, dürfte doch alles übertreffen, was eine Regierung in kartographischer Beziehung der Welt geboten hat, denn auf der ganzen Länge meines Pfades habe ich nur wenige Punkte gefunden, deren Kartenbild annähernd mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Und doch ist der vom Staate grossartig ausgerüstet gewesene Major Boschkjewitsch 15 Monate lang in Bosnien 15* gewesen, wovon er freilich nur 60 Tage recognoscirend im Lande umhergesprengt ist. Leider brachte ich hinsichtlich der Leistungen des genannten Stabsoffiziers einen viel zu grossen Respect mit, hielt es auch Anfangs für vermessen, mit meiner knapp bemessenen Zeit und meinen geringen Privatmitteln gegenüber dem genannten Herrn noch irgend etwas Erwähnens-werthes leisten zu können, andernfalls hätte ich von vornherein jeden Strich und Punkt seiner Karte angezweifelt und mich überall vielmehr auf meine eigenen Augen verlassen und dem entsprechend der bosnischen Kartographie grössere Aufmerksamkeit zugewendet, als geschehen. Nachfolgern möchte ich den Rath geben, einmal Probe halber unter Benutzung von Uhr und Compass irgend eine der nach Roschkjcwitsch gezeichneten Wegstrecken abzureiten und zu sehen, wohin sie dabei kommen würden. Doch vorläufig genug hiervon. In der Ziegelei fand ich zwar keine Deutsche, wohl aber mehrere Italiener und italienische Dalmatiner, von denen einer, der Werkmeister, deutsch sprach. Die Leute waren mit ihrer Situation ziemlich zufrieden, klagten nur über die bosnische Lebensweise, jedoch nicht über die bosnischen Menschen, meinen Wirthen gaben sie ein gutes Zeugniss. Der Miothsprcis von 6 Gulden für ein Pferd nach Bänjalüka, den Hassan forderte, fanden sie enorm theuer und riethen mir, zu Fuss nach dem zwei Stunden entfernten Kdsaratz zu gehen, woselbst ich jedenfalls billigere Beförderung finden würde, der Weg bis dahin wäre gut und durch den Telegraphen markirt. Hassan liess sich von ihnen nicht zu einer Herablassung seiner Forderung bestimmen und nach einigen weiteren Fragen über den Weg und die Höhe der Zeche, wie sie landesüblich in den Hans berechnet würde, gingen wir wieder zur Stadt. Unterwegs nannte mir Hassan bereitwillig die im Gesichtskreis befindlichen Gebirge und forderte mich auf, alles hübsch in mein Notizbuch zu schreiben; er machte mich besonders auf den Kämen (den Stein) aufmerksam, der sich gleich hinter der Stadt Kdsaratz in Gestalt einer Felsenpyramide auf dem Grath der gleichnamigen Planina erhebt, gewissermaassen das Wahrzeichen des Gebirges bildend, aber von Roschkjewitsch nicht benannt, obwohl Platz genug vorhanden war. Die beiden Brüder unterrichteten mich ausserdem noch fleissig im bosnischen Kroatisch ihrer Gegend, das stark mit türkischen Wörtern vermischt ist, wie überhaupt die bosnische Sprache, und auch sonst noch Abweichungen zeigt. Hierbei fiel mir auf, dass Abdallah immer vom »Kroatischen« sprach, Hassan hingegen dies stets in »Bosnisch« corrigirte. Die Leutchen zeigten auch grosse Begierde, deutsche Worte und Redensarten zu lernen, die sie auch ganz gut nachsprachen, indem ihnen nur der Laut »ü« unaussprechlich war. Wir kehrten noch hei einem Schuhmacher ein, den die Priedorer »Meister« nannten, so dass ich schon glaubte, nun einen wirklichen Landsmann m finden; der junge Mann war jedoch ein slavischer Dalmatiner, der nur gehrochen deutsch sprach, es jedoch, wie er mir bewies, lesen konnte. — An den Häuschen der Vorstadt (wenn ich von einer solchen sprechen kann) fielen mir kleine Bauwerke auf, die wie Bienenschauer aussahen, denn sie standen auf Pfosten, hatten ein Begendach, waren aber rund herum mit Latten geschlossen, welche dem Winde und Sonnenlichte freien Durchzug gestatteten. Dies waren Trockenhäuser für Mais (kükurutz) und andere schöne Dinge, die man in solcher Weise vor dem Vieh schützt und dörrt. Da ich nach bosnischer Weise am Vormittage nichts weiter genossen hatte, als ein paar Schälchen Kaffee, empfand ich mittlerweile einen quälenden Hunger, der in dem erhebenden Gefühle, einen Bass zu besitzen, noch durch Verscheuchung aller Grillen verstärkt wurde, doch bezwang ich mich und verlangte zunächst nach dem Käimakäm zu gehen, um diese Angel egenhe t in Ordnung zu bringen. Hassan nahm hierauf meinen Tschibuk, Abdallah meinen Stock und der Saptie mein Wörterbuch, alles dies ohne mein Geheiss, und so gingen wir selbander über die Brücke nach dem Konak in der alten Feste,, stiegen eine Treppe hinauf und befanden uns in dem grossen Vorgemache der Amtsstuben, zu denen mit Decken verhangene Thüren führten. Man brachte gleich nach meinem Eintreten einen guten Bohrstuhl, den man an eines der vielen Fenster stellte und mich zum Sitzen nöthigte. Ich betrachtete eine Weile das malerische Bild vor mir, die alten Festungsthürme, den mit Schiffen belebten Fluss und die im Abstände so reizend aussehende Stadt, auch die alten Kanonen, die unter einem Schuppen standen, und zum Theil zerbrochene Bäder oder beschädigte Laffeten hatten; der zahlreiche Tross der im Zimmer befindlichen Türken, Diener, Beamte und Lungerer detachirte beständig eine ansehnliche Zahl der Seinen, die sich einige Schritte vor mir aufstellten oder niederhockten und mich schweigend anblickten oder auch gar nicht ansahen — ihre unmittelbare Nähe sollte eine Ehrenbezeugung sein, denn die Orientalen, welche keine Neugier haben oder dieselbe doch geschickt zu verbergen wissen, ehren jemand, indem sie ihn umdrängen und sich so gewissermaassen zu seiner Verfügung stellen. Mir wurde jedoch die Zeit lang, daher fragte ich nach dem Effendy, der meinen Pass habe; mehrere der Leute suchten nach ihm und brachten ihn herbei. Er langte schweigend eine Anzahl Papiere aus seiner Brust und suchte nach meinem Document; ich erkannte es sofort, nahm es ihm mit den mein Besitzrecht vorstärkenden Worten »benim fermanym« aus der Hand und steckte es zu mir. Verblüfft sah mich der Osmane an, denn mit dieser bündigen Wiederbesitznahme schien er gar nicht einverstanden, meinte, der Käimakäm müsse ihn noch sehen, dann bedeutete er den Bosniaken, die über die von mir gesprochenen Worte verwunderte Bemerkungen machten, dass ich auf türkisch ganz richtig gesagt habe, es sei mein Pass, ich aber gab ihm zu verstehen, dass ich ja seine Schrift nunmehr habe und gehen würde. Letzteres that ich auch, doch eilte mir an der Treppe ein ganzer Schwann nach und rief mich mit den Worten »Gospodine! der Käimakäm will Dich sehen!« zurück, worauf ich mich unwirsch wieder auf meinen Stuhl setzte, des Rufes des Gewaltigen gewärtig. Dieser erfolgte nicht und konnte auch nicht erfolgen, denn er wäre eine Herabsetzung für mich gewesen, da nach türkischen sehr richtigen Begriffen nur der Höhere den Niederen und der Vorgesetzte den Untergebenen vor sich rufen darf, eine alles über einen Kamm scheerende Büreaukratie hat man eben nicht! Dies übersah ich und meine stolze Literatenseele (»Lieutenantsseele« sagt Corvin in seinen Denkmalen des christlichen Fanatismus) empörte sich hei dem Gedanken, dass mich ein Türk anticham-briren lassen wollte. Aergerlich stand ich auf, schlug den Vorhang zurück und trat unter die Thür, welche zu dem Gemache des Käimakäms führte. f Da sass eine bunte, prächtige Gesellschaft auf Polsterbänken längs der Wände und ein halbes Dutzend Hände winkten mir einzutreten, aber sie winkten in türkischer Manier, die so aussieht, als wenn wir einen lästigen Menschen fortwinken. »Die Heiligkeit der Schwelle darfst du nicht verletzen«, dachte ich bei mir, »und in ein Zimmer dringen, woselbst man dich nicht haben will, aber jetzt hat's ein Ende!« Und linksum Kehrt machte ich und ging hastig nach der Treppe, die mir nachschallenden Kufe nicht beachtend, doch kam ich nicht weit, denn der Tross kam mir freundlich nach und forderte mich auf, einzutreten, worauf ich mit Entrüstung erwiderte, dass man mir ja so gewinkt habe, wobei ich die erwähnte Pantomime nachahmte. »Ja, darum eben sollst Du eintreten!« entgegneten die Türken. Wohl ärgerte ich mich über meine Unkenntniss, doch musste ich unwillkürlich lachen und so thaten nun auch die Leute. Ich ging bis mitten in das Zimmer, erspähte mir den buntesten der grade vor mir sitzenden Versammlung und machte vor ihm eine tiefe Verneigung zugleich mit den orientalischen Handbewegnngen. Als ich dies gethan hatte, trat ein Diener mit unterdrücktem Lächeln an mich heran und sagte, nach links deutend, »dort sitzt der Käimakäm.« Da sass er, aber in einfacher türkischer Offiziersuniform, nahm meinen nochmals wiederholten Gruss und meine Entschuldigung- huldvoll entgegen und nöthigte mich, zu seiner Rechten auf einem Polsterstuhle Platz zu nehmen. Ich muss befürworten, dass ich gehört und geglaubt hatte, fast alle höheren Verwaltungsposten seien in Händen eingeborner Hege, doch ist grade das Umgekehrte der Fall, da man den Bogen nicht traut und meist nur echte Osmanen mit solchen Stellen bekleidet; oft können diese Herren nicht einmal bosnisch sprechen. Hassan, Abdallah, mein Saptie und noch ein phantastisch gekleideter Türke waren mit mir eingetreten und stellten sich zu meiner Rechten in einer Reihe auf, als wollten sie damit sagen, dass sie zu mir gehörten. Hassan gab mir also-bald meinen Tschibuk, den mir der Käimakäm aus der Hand nahm und ihn einem Diener zum Stopfen und Anzünden übergab, auch erschien ein Tässchen Kaffee auf dein schon beschriebenen Tassenhalter. Ich zeigte hier wieder eine Unkonnt-niss, indem ich das Schälchen in die blosse Hand nahm, statt es in dem Untersatz entgegen zu nehmen und so an den Mund zu führen. Die Leute machten dazu verwunderte Gesichter, aber keine Bemerkung, denn die Osmanen sowohl als die slavischen Türken sind ausgezeichnete Muster der Höflichkeit in Worten und Benehmen, nur will ihre Artigkeit verstanden sein, da sie einen von dem unseren sehr verschiedenen, obwohl völlig logischen Entwicklungsgang eingeschlagen hat. Was die auf den Polsterbänken sitzenden Boge und Aga's betraf, so be-grüsste mich jeder der Reihe nach sitzend von seinem Platze aus mit den üblichen Vernoigungen und Handbewegungen, was ich in derselben Weise erwiderte. Der Käimakäm fragte mich zunächst, wie es mir ginge, wie mir das Land gefiele und ob ich eine Beschwerde hätte. Ich konnte ihm natürlich nur Gutes sagen und überreichte ihm meinen Pass, indem ich ihm die Siegel der verschiedenen türkischen Gesandtschaften zeigte und den Ort ihres Ursprungs nannte. Er gab denselben weiter an die anwesenden Herren, die ihn von Hand zu Hand gelten Hessen, natürlich immer verkehrt und jeder einzelne ein bedeutsames »Hm! Hm!« ausstossend, bis das Papier wieder zu mir zurückgelangte. Die Scene erinnerte mich lebhaft an das Examen des Candidaten Jobst, nur dass die Rollen vertauscht waren. Mein Saptie überreichte dem Käimakäm auch das Wörterbuch, das dieser verwundert aufschlug und fragte, was damit sei. Die ihm gegebene Erklärung, dass ich mit Hülfe dieses Buches alles sagen könne, was ich wolle, schien ihn zu überraschen, übrigens hielt er das Wunderding verkehrt in der Hand. Dann winkte er dem in der Beihe meiner »Angehörigen« stehenden mir unbekannten Türken und stellte mir denselben als den Saptie vor, der mich bis Bänjalüka begleiten solle. Es war ein muhamedanischer Albanese, Namens Alv, der sich höflich mit freundlichem Gesicht verneigte und dann wieder in die Reihe zurücktrat. Diese Octroyirung geschah in einer so liebenswürdigen W^eise, dass ich es nicht über's Herz bringen konnte, sie abzulehnen, obwohl sie mir im höchsten Grade unerwünscht kam, deshalb verneigte ich mich mit dem üblichen »fäla« (danke). Ich gab nunmehr das Papier des Müdirs von Dübitza mit dem Bemerken zurück, es meinem ersten Saptie zu geben, was auch geschah, worauf ich mich in der bekannten umständlichen Weise empfahl und gefolgt von meinen vier Genossen in's Wirthshaus eilte, um mich an einer Mahlzeit zu stärken, denn es war fast 1 Uhr geworden und ich immer noch nüchtern. Hassan ging in sein Harem, das die Küche enthielt und mit einem dicken, lohmbeschmiorten Weidengeflecht von den übrigen Räumlichkeiten und dem Flur getrennt war, und holte das schon zubereitete Essen auf dem riesigen Präsentirbrett heraus — ein komischer Anblick, wenn man dabei auf seinen von Pistolen starrenden Gürtel blickte. Ich ass, wie Tags zuvor, an der Erde hockend, so anstrengend dies auch war, denn es ging nun einmal nicht anders, und zwar hatte ich so ziem- lieh dieselben Gerichte, wie schon einmal. Hassan hockte mir gegenüber und nahm als höflicher Wirth die zinnernen Schüsseln, denen Genüge gethan, fort und deckte die anderen den Reihe nach auf. Dass ich nicht vom Knoblauchzwiebel - Salat essen wollte, nahm er übel, denn dies Gericht war seiner Meinung nach das Beste von allen, deshalb liess er sich meinen Löffel geben und fiel darüber her, wie einer, der dem andern durch sein gutes Beispiel Vertrauen in die Schmackhaftigkeit der Speise geben will, dann reichte er mir unbefangen den Löffel zurück. Ich blickte ihn verwundert an und Abdallah, der wie die ganze Gesellschaft daneben hockte, schnob ihn ob solcher Unkenntniss meiner werthen Person an, worauf Hassan mit einer Geberde, als wollte er sagen: »Ach, ist ja wahr!« mehrmals in den Löffel spie, ihn mit seinen schmutzigen Daumen auswischte, zum Ueberfluss noch an einer Palte seines weiten Beinkleides abtrocknete und mir das solchergestalt gereinigte Esswerkzeug dann mit der Miene eines feinen Weltmannes übergehen wollte. Obwohl auf vieles gefasst, war mir dies doch zu viel und ich fuhr ihn mit den Worten an: »Einen anderen Löffel!« Der Dübitzaer Saptie brach in ein lautes Gelächter aus, in welches die anderen miteinstimmten, Hassan jedoch lächelte gutmüthig, brummte etwas in den Bart und that, wie ich ihm gesagt, d. h. er trug wohl nur den zurückgewiesenen Löffel nach dem Harem und von da wieder zurück zu mir. Mein Heisshunger war vergangen. Nun sollte es an's Bezahlen der Zeche und an das Miethen eines Pferdes gehen. Abdallah sank in einen tiefen Schlaf und den beiden Dübitzaer Sapties gingen die Augen wie lauernden Luchsen. Das ganze war eine Komödie, darauf berechnet, mich nicht blos für meine eigene Zehrung und Herberge, sondern auch für die der beiden Dübitzaer Saptie's bezahlen zu lassen und dazu noch ein Bakschisch für die Rückreise derselben einzurechnen, obwohl mein Begleiter schon ein Trinkgeld für seine Person empfangen hatte. Hassan forderte sechs Gulden Miethe für das Pferd zu einem Ritte von 9 türkischen Reitstunden und 4 Gulden Silber für Zehrung, d. h. beinahe doppelt so viel als ich in Kostajnitza bezahlt hatte, woselbst ich zwei Nächte in reinlichen Betten geschlafen und die besten Gerichte und Getränke wie ein Mensch unter Menschen genossen hatte. Handeln half nicht, ich musste die 4 Gulden zahlen und sagte dies zu, verlangte aber Erlass von wenigstens einem Gulden bei der Pferdemiethe; die beiden Dübitzaer warfen sich nun einen schnellen Blick freudigen Einverständnisses zu, der Albanese lächelte pfiffig und Abdallah, der vorher von seinem Bruder, um ein Wort mitzureden, vergeblich gerufen worden, fuhr plötzlich aus dem Schlafe auf und rief: »Gieb fünf Gulden für das Pferd, da Du vier für Essen und Schlafen gegeben hast!« Hassan stellte sich, als wolle er noch Einwendungen machen, es blieb aber dabei. Ich zählte ihm 27 alte Zwanziger in die Hand, packte meine Sachen zusammen, gab sie ihm zum Aufschnallen und machte mich reisefertig; Aly eilte fort, um sein Pferd zu holen, das meines Wirches versprach er von Bänjalüka mit zurückzubringen und unterwegs auf Hassans Kosten zu verpflegen, was höchstens einen halben Zwanziger (2 Piaster oder Gruseln) kosten konnte, da man nur Grünfutter verabfolgt. Aly kehrte bald wieder, mein Pferd wurde behutsam durch den schmalen, sehr schmutzigen und mit starker Neigung nach dem Flusse abfallenden Zwischenraum, welcher den Han vom Nachbarhause trennte, auf die enge Strasse geführt und ich stieg auf, umringt von meinen »Angehörigen« und einem Schwärm Leute, von denen mir einer den Hut, ein anderer den rechten Steigbügel und ein dritter den Stock hielt; die serbischen Weiber in ihren Turbanen und unschönen Hosen standen auf den Treppen und in den Thüren ihrer Häuser und blickten mich verwundert an; ich staunte über ihren kolossalen Körperbau und Mangel an Schönheit, grüsste und ritt davon, begleitet von Nachrufen einer glücklichen Keise abseifen der Männer und geführt von Aly, der vorausritt und die Richtung durch eine andere Strasse, als ich gekommen, mehr südöstlich, einschlug. Am Ende derselben angelangt kaufte er sich von einem Spirituosenhändler eine grosse Weinflasche voll Sliwowitz, die er behutsam in seine Satteltasche versenkte und mit der Schabrake zudeckte; er war nämlich ein flotter Trinker und ausgelassener, wilder Gesell, aber durch die Notwendigkeit ehrlich, wenigstens mir gegenüber, wie ich noch sehen sollte. Hier gestatte mir der Leser einige Bemerkungen vor dem Weiterreiten. Als ich die Stadt hinter mir hatte, dachte ich zuerst über die letzte Erleichterung meiner Kasse nach und sagte mir, dass es in dieser Weise nicht fortgehen könnte, dass ich, um meinen Keisevorsatz auszuführen, mir nötigenfalls die grössten Entbehrungen auferlegen und dahinter kommen müsse, wie theuer das Wirthshausleben in Bosnien eigentlich bei bescheidenen Leistungen sei, wonach ich mich dann einzurichten hätte. Man glaube übrigens nicht, dass ich die theure Zeche in Priedor hätte zahlen müssen; ich hätte nur nöthig gehabt, zum Käimakäm oder Kady zu gehen und an beiden Orten das bedeutungsvolle Wort »Consul« fallen zu lassen. Das wollte ich jedoch nicht, weil es mir widerstrebte, türkischen Schutz anzurufen (das Octroyiren desselben konnte ich mir schon gefallen lassen!) und weil Premde, die sich zu geben wissen und auf mächtigen Schutz pochen können, meist den Eingehor-nen gegenüber Recht bekommen, auch wenn sie, wie oft der Fall, Unrecht haben, denn den Fremden fürchtet man, den Eingeborenen hingegen nicht. Ausserdem war ich Schuld an der Sache, denn als einer, der nicht zum ersten Male fremde Länder bereist, hätte ich mich vor empfangener Leistung über den Kostenpunkt belehren lassen sollen und nicht wie ein grand seigneur oder ein Mitglied der männlichen demi monde erst nach dem Genüsse wegen der Kosten anfragen. Das sollte nicht wieder vorkommen und ausserdem nahm ich mir vor, den Leuten nicht wieder ein freundliches Gesicht zu zeigen, da sie dies — worauf ich alle Nachfolger ganz besonders aufmerksam mache — nicht ertragen können. Früher theilten schreibende Reisende — und wahrlich keine unbedeutende Männer — ihren Lesern umständlich die Reisekosten mit und daraus konnte man wirklich Belehrung zur Nachahmung schöpfen, Gaudy, Thümmel und andere unserer witzigsten Dichter schilderten auch in der unterhaltendsten, spasshaftesten Weise ihren Kampf gegen die versuchten Brellereien und unsere bedeutendsten Künstler, deren einem ich vor 12 Jahren im Aquarellmalen verfehlt durch die Lehre lief, erzählten uns jungen Leuten oft in der belehrendsten Weise ihre vielfachen, mitunter sehr komischen Erfahrungen auf diesem Gebiete, doch ist diese schöne Sitte in der Literatur sowohl als in der gesellschaftlichen Unterhaltung fast aus der Mode gekommen, so weit reicht der Einfluss der alles beherrschenden demi monde — man schämt sich eben zu gestehen, dass man haushälterisch und so kleinlich oder so unbemittelt war, um auf ein so niedriges Ding, wie der Kostenpunkt, Böcksicht genommen zu haben, deshalb schweigt man über diesen Punkt oder giebt auf Befragen ausweichende Antworten, wenn man nicht mit grossen Summen um sich werfen kann. Ich meinestheils bin jedoch stolz darauf, durch Bosnien so billig gereist zu sein, wie vor mir noch kein Mann der besseren Stände und mir trotzdem nach keiner beachtenswerthen Seite hin als Gentleman etwas vergeben zu haben, darum werde ich dem geneigten Leser über jeden Piaster meines Verbrauches Rechnung legen und hoffe dadurch der Wissenschaft und dem unglücklichen bosnischen Volke in gleicher Weise nützlich zu sein, denn dem letzteren und seinem Lande fehlt der Besuch von Reisenden, d. h. von solchen Reisenden, welche wissenschaftlichen Aufgaben gewachsen sind und von hohen, humanen Ideen getragen werden, nicht von selbstsüchtigen Zwecken, und solche rindet man leider fast nur im Stande der wirklichen Gelehrten, denen jedoch meistens die Mittel fehlen, um kostspielige Forschungsreisen unternehmen zu können — eine Eeise nach Bosnien, wie ich dieselbe gemacht habe, kommt indessen billiger zu stehen, als eine gewöhnliche Badereise, bei der man einen gewissen Aufwand machen muss. Schwärmt erst Bosnien von Beisenden, wie ich sie im Auge habe, dann wird es überall besser im Lande werden, dies sagte ich mir selbst und dies sagten mir die europäischen Consuln in Sarajewo, welche mich freudig als den Vorläufer eines anständigen Touristenschwarms begrüssten. Special-Gelehrte aller Art, einschliesslich der Alterthumsforscher, Bibliophilen und Historiker linden in Bosnien noch ein unendlich grosses Feld lohnender Thätigkeit, denn was von demselben bis jetzt zu Tage gekommen ist, das sind alles nur Bruchstücke, darin stimmen sämmtliche Kenner überein. — Wenn erst mehr anständige Fremde nach Bosnien kommen werden, dann wird auch die Noth hinsichtlich europäischer Herbergen aufhören, indem alsdann zunächst in den verschiedenen Städten der Provinz intelligente Eingeborene und österreichische Schutzgenossen in ihren Wohnungen Zimmer zur Aufnahme reisender Europäer einrichten werden, wie dies jetzt schon an mehreren Plätzen der Fall ist, später würden' dann sicherlich Hotels folgen. Hinsichtlich der schon vorhandenen Chambres garnies hoffe ich übrigens durch die gütige Vermittelung unseres rastlos thätigen Consuls Dr. Blau noch Specielles zu erfahren und durch die Zeitungen veröffentlichen zu können. — Vor den Bosniaken braucht sich kein Europäer zu fürchten, denn sie sind im Grunde genommen gute Leute, so lange man ihnen impo-nirt, was nicht schwer ist; man muss sie trotz ihrer vielen echt männlichen Eigenschafton als grosse Kinder betrachten, denn als solche wollen sie behandelt sein und werden sie behandelt Meine Erlebnisse unter ihnen werden hoffentlich den Vortheil haben, dass Nachfolger hesser mit ihnen auskommen und ich bitte, nicht ausser Acht zu lassen, dass ich über Land und Leute fast durchgehends falsch unterrichtet war, ausserdem von den Verhältnissen gezwungen wurde, von vornherein mit der Thür in1s Haus zu fallen; ferner war ich gleich zu Anfang Prellereien verschiedener Art ausgesetzt gewesen, hatte von den Christen, meinen Glaubensgenossen, gleich eine ungünstige Meinung erhalten, indem sich eines der miserabelsten, bei den Muhamedanern aber gut angesehenen Exemplare derselben an meine Fersen geheftet hatte; freilich zeigten sich auch die anderen Bajahs, mit denen ich noch in Berührung kam, meistens nicht von einer günstigen Seite, so dass, wenn nur auf Grund meiner wirklichen Erlebnisse ein Urtheil über die Bosniaken gefällt werden sollte, dies sehr ungünstig ausfallen müsste, besonders für die Christen und Juden. Indessen es ist in Bosnien wie bei uns: das Gasthofspublikum und überhaupt die Leute, welche sich an den Fremden drängen, um von ihm zu gewinnen, bilden nicht die Norm bei Beurtheilung eines ganzen Volkes. Das muss ich freilich bekennen, dass die Schaffner (gewissermaasson Oberkellner), welche in manchen vielbesuchten Hans gehalten werden, wenn sie Christen sind, an Naseweisheit, Faulheit, Prellsucht und Neugier die Muhamedaner in gleicher Stellung übertreffen, doch vergesse man nicht, dass derjenige Sclave, auf welchem stets der grösste Druck lastet, auch immer der nichtswürdigste sein muss. — Nun bitte ich, mir wieder auf der Eeise folgen zu wollen. Es war 2 Uhr, als wir Priedor hinter uns hatten. Der Weg ging etwa eine halbe Stunde lang über die Ebene, wobei einige niedrige Torrassen und ein von Norden kommender Bach überschritten wurde, dann stieg er plötzlich in die Hügelregion hinauf und zwar mit einer Wendung nach Nordost, die mir die Stadt den Blicken entzog. Ich machte Halt, um sie noch einmal zu betrachten. Dies mochte wohl Aly zu lange dauern, der ein russisches Pferdchen ritt, das ungemein schnellen Bass ging. Er rief mir daher die deutschen Worte: »Komm her! komm her!« zu, die er vermuthlich für weniger aufreizend hielt, nals das Wort »rasch«, welches, wie er wusste, schon Missverständnisse herbeigeführt hatte, denn es ist zu beachten, dass in Bosnien das gesprochen Wort die Stelle des Gedruckten ersetzt, was ich daran merkte, dass die türkischen Behörden überall ganz genau alles wussten, was ich gethan und erlebt hatte; auch die Sapties, welche mich zum Lande hinausbegleiteten, erzählten den Leuten die Vorfälle, welche nur die Sapties kennen konnten, welche mich beim Eintritte begleitet hatten; sogar meine Zeche auf der Strecke von Sarajewo bis Ddlnja-Tüsla wurde Gegenstand offizieller Controle, was ich dadurch erfuhr, dass sich der mir beigegebene Saptie Mehchmed unter dem Einflüsse einer Flasche Rum beim Verlassen des Städtchens Klädanj durch eine Frage verschnappte und ich hörte, wie er hinter mir reitend meine bisherigen Auslagen calculirte und repetirte. Die bunt durcheinander wie die Wellen eines erregten Meeres gesäeten Hügel waren etwa 4 — 500 Fuss relativ hoch, von rundlichen Kuppen und mit Eichen- sowie Hasolgestrüpp bedeckt ; der Weg zog sich durch ihre Zwischenräume in beständigen Schlangenwindungen von Ost nach Süd und wieder Ost hindurch, bald auf- bald abwärts, aber allmälig immer höhen gehend; der Telegraph folgte diesen Windungen und überhaupt der ganzen Route bis Sarajewo. Es begegneten uns einige Ziegenheerden mit ihren Treibern und auch ein bunter Türke zu Pferde, der im wunderlichen Gegensatze zu seinem Gürtelarsenal einen grossen rothen Regenschirm aufgespannt hatte, denn er sollte in den Gewitterschauer hineinreiten, der sich hinter uns ergoss und uns nur mit einigen Tropfen bedacht hatte. Es war unerträglich heiss und ich setzte nunmehr meinen Hut auf statt des Fess. Das Städtchen Kdsaratz und mit ihm das Plateau der Vorstufe des Gebirges erreichten wir nach zweistündigem Kitte. Der Ort machte auf mich den Eindruck eines Dorfes, so weitläufig und dorfartig ist er angelegt, indem jedes Häuschen inmitten weiter Gärten liegt. Ich zählte fünf Moscheen, elende Baracken mit je einem hölzernen, schindelgedeckten Minare, auch sah ich rechts vom Wege eine alte verfallene Burg, dem Beg gehörig. Sie bestand aus einem zweistöckigen, viereckigen Thurm mit Satteldach und Nase, daneben lagen zwei kleine Häuser ohne Dach, alles aus Kalkbruchsteinen erbaut. In einem der Gärten sah ich zum ersten Male muhamedanische Frauen; sie hockten am Boden und kehrten uns den Bücken zu, weshalb ich kein richtiges Bild von ihrer Tracht erhalten konnte. Einen mir begegnenden Rajah fragte ich, ob eine Kirche im Orte wäre, doch beantwortete er meine Frage nur mit der beständig wiederholten Bitte um duhähna (Tabak), ohne mir Auskunft zu ertheilen. Links (östlich) von mir erhob sich der 6 — 800 Fuss relativ hohe Grath des Gebirges, dort den zackigen nackten Kalkfelsen zeigend, der sonst nicht wieder zu Tage trat. Die Lage des Ortes, der 1500 Einwohner haben mag, ist bezaubernd schön und nach seinem Durchreiten, was eine halbe Stunde erforderte, sah ich den Kamen unmittelbar neben mir. Er besteht aus einer grossen und zwei kleinen völlig nackten Felspyramiden und liegt in der Verlängerung einer Linie von Priedor über Kdsaratz. Ich zeichnete ihn und den übrigen Theil des Gebirges bis zu den quer in seiner Verlängerung liegenden Kernjo-Bergen ab, ebenso die von dort aus noch immer sichtbare Germetz-Planinä; die grosse Ebene konnte ich immer noch sehen, doch begann sie nunmehr schon wellig zu werden, besonders nach Süden hin. Der Saplie musste während meines Zeichnens halten, wie ich dies fortan bei ähnlichen Veranlassungen immer bestimmte. Hinter Kösaratz beginnt eine mehrfach von Bächen 16 durchschnittene Hochebene, die nach einstündigem Bitte und Passiren eines Dorfes wieder in krause Hügellandschaft übergeht. Dort sah ich ein Haus, woraus ich auf die Nähe eines Dorfes schloss, und unfern von dem Gebäude wurde mir der Auge und Nase entsetzlich beleidigende Anblick eines hoch an einem Baume hängenden abgelederten Hammels zu Theil, der dort zum Selchen oder Dörren hing. Man hüte sich, wie ich hier gleich beifügen will, in einen bosnischen Fleischerladen zu blicken, wenn man sich den Genuss von Fleisch nicht auf lange hinaus verleiden will. Ein Gewitter zog vor uns herauf und verkündete endlich Kühlung, überraschte uns aber so schnell, dass wir vor demselben kaum rechtzeitig in einem Hau in dem Hügel -Thale, das von einem Bache durchströmt wird, Schutz suchen konnten. Dieser Han gehörte einem Muhamedaner, der jedoch abwesend war. Wir üüchteten in den Kjöschk, wie sich ein solcher fast bei jedem Han befindet, und stellten die Pferde unter das überspringende Dach desselben. Zunächst vereitelte ich eine Feuersbrunst, indem ich einen an der Schwelle liegenden armlangen Feuerbrand und noch einige andere auf dem ungedielten Boden liegende in den Ofen in der Mitte des Gemaches legte. Ein paar Bajahfrauen suchten unter dem Dache des Wohnhauses Zuflucht und wir erhielten Gesellschaft in der Person eines Saptie zu Fuss, der sich mit Aly eiu Kännchen Kaffee bestellte, natürlich, ohne das in Abwesenheit des Mannes geheiligte Haus zu betreten, da ein Zuwiderhandeln gegen die gute Sitte verstösst und mit hoher Strafe geahndet wird, wie ich aus der mir zur Einsicht gegebenen Criminalstatistik einiger Districte Bosniens noch sehen sollte. Ein kleines Mädchen brachte den bestellten Trank, dessen Bezahlung mir aufzulegen der fremde Saptie vorschlug, doch erklärte ihm Aly, dass dies nicht ginge, sintemalen ich ein Freund des Consuls wäre, der davon erfahren und die Sache vor den Käimakäm bringen könnte; er litt auch wirklich nicht, dass ich beim Wegreiten die Kleinigkeit bezahlte, obwohl ich ihm Geld dazu anbot. Er musste die Familie des Handshy kennen, denn er unterhielt sich in geziemendem Abstände mit der hinter dem Fenstorgitter unsichtbaren Frau unter beiderseitigem Lachen. Mir fiel bei dieser Gelegenheit die Scene ein, welche Eoschkjewitsch provocirte und pag. 165 seines Buches beschreibt; ich wunderte mich höchlich, wie ein gebildeter Mann, der überdies ein Jahr lang im Lande gelebt hatte, so unbekannt mit den Landessitten und dem überall geltenden Bcchte bleiben konnte, dass er in Abwesenheit der Männer und Angesichts der ihre Häuser fest verschlossen haltenden Frauen des muhamedanisehen Dorfes Palesch gewaltsam ein Vorrathshaus erbrochen lassen konnte und sich dann wundert, dass plötzlich einige der Weiber aus ihren Häusern auf einen Hügel eilen und unter Verwünschungen und Schimpfworten die Männer gegen die »Plünderer« zu Hülfe rufen, auch durch Geldangebot, Bitten und seihst Drohungen (!) nicht, zum Schweigen zu bringen waren. Aber »glücklicherweise«, so fährt er fort, »waren die Männer zu entfernt und auf dem Felde oder im Walde beschäftigt; die nächsten Ortschaften waren aus dem Bereiche der Stimme, sonst hätten diese Sirenen die ganze männliche Bevölkerung der Umgebung uns an den Hals geworfen, welche, fanatisch wie sie ist, wenig nach der Ursache gefragt und ohne Weiteres rasch zu den Waffen gegriffen hätte«. Das ist zu glauben, besonders wenn man sich den Folgen seiner Handlungsweise durch die Flucht entzieht, statt lieher den Männern auf jede Gefahr hin entgegen zu eilen, um sie über die Unkenntniss und nicht böse gemeinte Rechtsverletzung aufzuklären und um Entschuldigung zu bitten oder es auf das Aeusserste ankommen zu lassen. In Preussen wäre Herr Boschkjewitsch sammt seinem angeblichen Eawassen wegen dieses Vorfalles unter die Anklage des Einbruches und widerrechtlicher Aneignung fremden Eigen thnms gestellt worden und auch in Oesterreich würde es ihm wohl nicht so ganz unbeachtet hingegangen sein, glaube ich. Er hatte jedoch die 16* »Genugthuung« (p. 166), dass der betreffende Hauseigentbümer in Palesch vom Müdir nach Srebernitza gerufen werden sollte, »um geziemende Belehrung zu erhalten«. Was sich wohl bei Mittheilung dieses Abenteuers der Müdir von uns Europäern gedacht haben mag! Das krause Hügelland machte nach etwa halbstündigem Bitte einer langen, schmalen Hochebene Platz, zu der wir all-mälig, bergauf bergab reitend, emporstiegen. Der immer links bleibende Rücken des Gebirges zeigte von nun an nicht mehr den Charakter eines Graths, sondern mehr den einer Bergkette, welcher die von Norden kommenden Regenwetter ungehindert durchliess, wie meine Haut noch mehrmals auf der Strecke erfahren sollte. Diese Ebene war gut bestellt und hatte sehr fruchtbaren Woizenboden, doch waren Häuser nur sehr selten da und dort in den Bergen sichtbar, ein Zeichen, dass die Dörfer nur von Christen bewohnt waren. Etwas Auffallendes war mir ein Bretterzaun, den ich links auf einer Höhe wahrnahm, denn eine so vollkommene Schutzwehr hatte ich nicht erwartet, in Bosnien zu sehen. Bisher bestanden nämlich die meisten Zäune nur aus 2—3 Euss hohen Pfosten, deren Zwischenräume mit wagerecht gelegtem Reisig oder Dornen ausgefüllt waren; hinter Iwäinska, meinem Nachtquartier, traten fast ausschliesslich Sprenkelzäune auf, das sind Reihen kreuzweis ()() in den Boden getriebener 4 Fuss langer und 2 Zoll dicker Stecken, die so dicht stehen, dass keine Henne durchschlüpfen kann; hinter Träwnik begannen die Hürdenzäune, bestehend aus 4 Fuss hohen Doppelpfosten, die vom nächsten Paare der Reihe 6—8 Fuss abstehen und deren Zwischenräume mit 2—4 auf Zapfen liegenden Sparren ausgefüllt sind; ihr Vorhandensein deutet schon auf sorgfältige Bodenkultur und auf grösseren Wohlstand, wobei die Höhe der Doppelpfosten und die Zahl der Sparren, ob 2, 3 oder 4, als Maassstab der erhöhten Cul-tur dienen kann, die sich, je näher an Sarajewo, je häufiger zeigte, wie auch schliesslich die Stacket-Zäune. Leider muss ich hier einräumen, dass Einhegung und Bestellung der Felder Bosniens Anfangs denen der Militairgrenze gleichkamen, aber schon von Bänjalüka an dieselben übertrafen und zwar in dem Maasse, als man näher an Sarajewo anlangt. Der Zustand des Weges und der Tclegraphenleitungen war jedoch überall echt türkisch; ersterer war von Priedor bis zu der in Bede stehenden Hochebene ganz gut gewesen, beinahe wie eine Sommer-Chaussee bei uns, aber nun nagte das in den Chausseegräben strömende Eegenwasser von beiden Seiten an demselben und drohte, ihn binnen Kurzem gänzlich wogzuwaschen; in der Nähe des Dorfes Kapetän hörte er sogar gänzlich auf und machte Schluchten Platz, die sich das Regenwasser gewählt hatte; entweder war er dort schon weggenagt worden, denn es ging stark abwärts, oder gar nicht angelegt gewesen. Der Telegraphendraht lag häufig auf dem nackten Eisen, indem das Glas des Isolators fehlte, oder er war gar um den blossen Pfahl gewickelt worden. Die Spannungen waren bedeutend, aber noch lange nicht das, was ich später im eigentlichen Hochlande sehen sollte, denn dort hatte man Schluchten von 4—600 Fuss Breite ohne Zwischonstützen überspannt. Der Weg war sehr einsam, denn uns begegneten nur einige Ziegen-, Schweine- und Schafheerden mit ihren Treibern, drei bewaffnete Fussgängor und ein Israelit zu Bierde, der in sonderbarer Weise auf seinem Thiere hockte, mich ängstlich und missgünstig zugleich betrachtete und von einem bewaffneten Türken zu Fuss begleitet wurde. Mit meinem Pferde hatte ich mein Leiden, da es dem des Aly nicht im Passgange gleichkam, weshalb ich, zumal ich noch häufig wegen des Notirens Halt machte, ohne ihm zuzurufen, oftmals weit zurückblieb und so beständig Trab reiten musste, wras ungemein anstrengend war, denn die Steigbügel waren mir viel zu kurz und alle Augenblicke ging es bergab, überhaupt traben die Passgänger ungemein hart. Beim Passgange heben die Pferde gleichzeitig das rechte Vorder- und das rechte Hinterbein, so dass der Reiter in eine seitwärts wackelnde, mir äusserst lästige Bewegung geräth; ich sass nach europäischer Weise, woran die Thiere nicht gewöhnt sind und kam erst viel später dahinter, dass man auf ihnen breitbeinig, die Hacken ziemlich unter den Bauch geschlagen, sitzen muss, dann geht es im Pass und Traben wunderschön. Zum Bass werden die Thiere künstlich abgerichtet, was der berühmte, obwohl wenig genannte Beisendo Freiherr von Maltzan*) sehr ausführlich unter Beigahe von Abbildungen in seinem kostbaren und interessant ab-gefassten Buche über Sardinien schon beschrieben hat und ich nachschreiben müsste, da ich nicht Gvelegoheit hatte, die Ab-richtung selber zu sehen. Mein Saptie hatte augenscheinlich die Absicht, sich vor mir recht wichtig zu thun und mich in den (Hauben zu versetzen, er sei mein Beschützer. Als er seines Pferdes wegen einen Halt machte und abstieg, ritt ich unbekümmert voraus und war ihm bald in einer Terrainfalto, die ein Bach durch-floss, aus den Augen. Ich stieg ab, liess mein Pferd trinken und war eben im Aufsitzen begriffen, als er im vollen Trabe ankam und mir zurief, ob ich denn ganz vergessen hätte, dass das Land voller Räuber (hajdutschi) wäre? Ich lachte ihn aus und schlug an meine Pistolen, zeigte ihm meinen Stock, sagte, dass ich noch ein Messer hätte und auch ein Herz, doch begann er nunmehr gewaltig aufzuschneiden, sagte, dass er Alles, was ich besässe, auch habe und noch einen Säbel dazu, trotzdem aber sei er schon dreimal in Bosnien von Räubern angefallen worden und nun zeigte er mir eine Streifschussnarbe an der Stirn und ein paar Löcher in seiner Weste nahe der Schulter und in der Seite, die von bosnischen Kugeln herrühren sollten, *) Es geht ihm hierin so wie Bastian, Blau. Wallis, Schweinfurt und noch vielen anderen wirklich hochverdienten Keisendei), die es verschmähen, zur Selbstreclame zu greifen und ein gewisses Bepcschenbüreau in beständige Thätigkcit zu setzen. die sein Blut vergossen. Kr wiederholte mir auch dieselbe Predigt mit allen Einzelnheiten noch ein paar Mal, als ich zurückgeblieben war. Etwa eine Stunde von Iwäinska beginnt der Weg sich zu senken und wir erreichten um 8 Uhr den genannten Ort auf völlig aufgeweichtem, zuletzt kaum passirbarem Hohlwege, nachdem wir noch einmal vom Regen durchnässt worden waren. Das Dorf liegt im Thale, ist ausgedehnt und scheint von eben so viel Christen wie Muhamedanern bowohnt zu sein. Von den beiden Hans ist der mehr nach Banjalüka zu gelegene der ansehnlichere, doch kehrtenfwir in ihm nicht ein, sondern wandten uns zurück nach dein kleineren, einstöckigen. Anfangs glaubte ich, es handle sich um Kaffeetrinken, weil es noch hell war, als mir indessen Aly sagte, hier solle übernachtet werden, gab ich ihm zu verstehen, dass ich hierzu keine Lust hätte, denn ich verlangte sehnsüchtig nach einer europäischen Schlafstelle in Banjalüka, da ich noch mit Grausen an die letzte Herberge dachte. Davon wollte der Saptie jedoch nichts wissen, denn es würde gleich dunkel sein, Banjalüka wäre noch drei Stunden entfernt und der Weg halsbrechend. Ich deutete auf den Telegraphen, der uns als Pührer dienen könne, doch war er rasch mit der Antwort da, dass er den Draht im Pinstern nicht sehen könne, die Pferde auch zu müde seien. Letzterer Umstand in Verbindung mit dem Wunsche, das zu durchreisende Land wirklich zu sehen, hewog mich zum Nachgehen, sonst hätte ich trotz meiner Müdigkeit auf meinem Willen bestanden, denn es ist zu beachten, dass die meisten Beisenden darüber geklagt haben, dass die Saptie's sich gern zu ihren Herren inachen und eigenmächtig die Halteplätze und Herbergen bestimmen. Dem wollte ich für mein Theil entgegentreten und fortan hat es auch kein Saptie wieder versucht, mir in dieser Hinsicht im Geringsten vorzugreifen. Der Wirth war während des Wortwechsels herausgetreten und lud mich zum Absteigen ein; ich fragte ihn indessen erst, was ich für die Herberge zu bezahlen hätte, eingedenk der Lection, die ich erhalten; er wollte mir dies nicht sagen, da ich erst schlafen, sowie essen und trinken sollte, dann würde ich es morgen erfahren. Aly lachte und meinte, ich sei hier unter Türken und da wäre solche Frage nicht Sitte, worauf ich ihm erwiderte, dass ihn dies nichts anginge und ich weiter reiten würde, wenn ich keine Auskunft erhielte. Nun erst theilte mir der Wirth mit, dass er für das Schlafen 2 Piaster zu bekommen hätte; darauf stieg ich ab und betrat das Zimmer, in welchem ich drei Türken und einen Rajahburschen, den Kellner, vorfand; einer der ersteren wandte sich sofort mit der Frage an mich, woher ich sei, doch hatte ich mir vorgenommen, keinerlei Aufdringlichkeit oder Vertrax-lichkeit der Eingeborenen wieder zu dulden, deshalb fertigte ich ihn kurz mit den deutsch gesprochenen Worten ab, dass ihn dies nichts kümmere, und legte mich in den linken Winkel des Zimmers, der unbesetzt war. Dem Frager mussten deutsche Laute bekannt gewesen sein, denn er sagte zu den anderen, ich sei ein Deutscher (nemetz), worüber ich mich im Stillen freute; später hielten mich untergeordnete Leute meist für einen Franzosen und auch in meinem Bujuruldü oder türkischen Passe, den ich in Sarajewo vom Waly erhielt, nannte man mich »Fransys Mawro (den Franzosen Mawro) aus Preussen«, was wohl von meinem unrichtig verstandenen Vornamen herrührte. Obwohl ich hungrig und durstig war, lehnte ich das Anerbieten von Kaffee und Nachtmahl ab, denn ich wollte an anderen sehen, wie die bosnischen Preise waren, erfuhr dies auch am anderen Morgen, indem ich sah, dass Aly für Herberge, Pferdefutter und ein Nachtmahl, das dem mir in Priedor gebotenen gleichkam, 5 Piaster zahlte; 4 Piaster gab ich dann dem Wirtli für mein Obdach und 2 Schälehen Morgenkaffee. Die Leute assen alles, was aufgetragen wurde, gemeinsam, wie dies im Allgemeinen Landesbrauch ist, ich hingegen verzehrte den Rest meiner österreichischen Backwaare nebst einem halben Täfelchen Chokolade, legte mich auf den Bauch, schrieb meine Notizen mit Tinte nach und zeichnete die gemachten Skizzen und Bergprofile »in's Beine«, alles beim Scheine einer mit-geführten Stearinkerze, die ich auf die Schilfmatte stellte. Mein Thun erregte natürlich die Neugierde der Türken, zumal ihnen Aly schon über mein beständiges Notiren Mittheilungen gemacht hatte; sie drängten sich deshalb heran, um mir zuzusehen, zogen sich aber zurück, als ich ihnen ein »schto gle-däsch!« (was siehst Du!) zurief. Ihre Unterhaltung drehte sich selbstverständlich nur um meine Person und Aly erzählte ihnen, häufig unterbrochen von einem beifälligen präwo! präwo! (recht! recht so!) wie und warum ich in Priedor so wacker geschröpft worden war. Er glaubte auch, dass ich mich darüber noch beim Consul beschweren werde und das machte den Handshy stutzig, wegen des geforderten Schlafgeldes, worüber ihn jedoch die anderen Türken beruhigton, indem sie sagten, dass er 2 Piaster fordern dürfe, auch wohl 4, wenn er Polster und Decke gäbe. In dem Hau von Rätschatseh, dies will ich hier gleich mittheilen, forderte mich der Wirth zum Schiedsrichter auf, indem er mir ein 25-Kopekenstück mit der Frage vorhielt, ob dies 5 Piaster seien und, da ich dies (unrichtigerweise) verneinte, warf er es dem G-ast, der es ihm gegeben, vor die Füsse, mit der Forderung um richtige Bezahlung. Der Mann hatte mit den anderen Gästen ein Nachtmahl aus Pilaw, Brod, Milch, gebratenen Eiern, Fleisch und Luka verzehrt, 2 Mal Kaffee erhalten und in üblicher Weise genächtigt. Nachdem ich meine Arbeit beendigt hatte, wickelte ich rnich in der feuchten Kleidung in nieine Decke, legte die Pistolen unter den Kopf und versuchte zu schlafen. Aly zog seine schworen Filz-Stiefel aus, die lange Stulpen hatten, welche auf der Aussenseite mit bunten Arabesken geschmückt waren, entledigte sich seiner dicken braunen Jacke, legte den Gürtel mit seinem Inhalte unter den Kopf und wickelte diesen sowie den ganzen Leib in seinen langen Kapuzenmantel. Die Talgkerze wurde ausgelöscht und alle streckten sich zum Schlafen aus, während im Ofen ein helles Feuer einen recht traulichen Schimmer verbreitete. Sechs Mann und ein grosser Hund, der sich hereingeschlichen, lagen in dem kleinen niedrigen Zimmer, man kann sich daher die Atmosphäre vorstellen. Ich schlief wenig, aber doch etwas, obwohl ich diesmal von Insecten nicht so geplagt wurde, wie in der Nacht zuvor. Der frische, kühle Morgen kam mir wie ein Erlöser und mit wahrer Freude ritt ich davon, als endlich alles zum Aufbruche bereit war, etwas vor 6 Uhr. Die Gegend hinter Iwäinska war schöner als die letzte Strecke des vorhergehenden Weges und zeigte nach allen Seiten eine bunte Masse stattlicher Hügel von 4—600 Fuss Höhe, alle mit Wald bedeckt, und dazwischen wohl bebaute Thäler; ein Bajah war schon zu dieser frühen Stunde beschäftigt, sein Maisfeld mit einem Spriegelzaun einzuhegen, wobei er sich nur eines Beiles bediente. Er wandte nicht einmal den Kopf nach uns um. Ein Schäferhund folgte uns und wurde von Aly mit Schmeichelworten gelockt, auch rief er ihn bei allen möglichen Namen, u. A. Caro, was mir auffiel. Nach einstündigcm Kitte gelangten wir an das Dorf Pod-Iwäinska (Unter-Iwäinska), von dem ich zwar viele Aecker, aber nur einige elende Hütten sah. Schon vorher war mir — Anfangs grade in der Front, später links liegend, eine imposante, wohl 800 Fuss hohe Berggruppe aufgefallen, die Kornjo - Berge genannt, und gleich hinter Iwäinska, links liegend, eine andere, die Witos-Blaninä, welche von Osten nach Westen streicht und ihren höchsten Punkt gleich unterhalb vom genannten Orte hat. Ich zeichnete sie ab. Was Aly betrifft, so hatte er wegen des am Abend zuvor verweigerten Weiterreitens ein böses Gewissen und bemühte sich, mich gut zu stimmen, wobei er der mitgenommenen und jetzt erst entkorkten Flasche Sliwowitz in gewaltigen Zügen zusprach. Zunächst versuchte er den Weg schlechter zu machen, als er wirklich war, um mir zu beweisen, dass ein Reiten auf demselben bei Nacht lebensgefährlich gewesen wäre. Als ich nämlich an einer gewissen Stelle nicht in seiner Fährte blieb, sondern mir daneben eine Bahn suchen wollte, stellte er sich im höchsten Grade erschreckt und warnte mich dringend, dort zu reiten, denn mein Pferd würde bis an den Hals hineinfallen und das sei es gewesen, was ihn gestern vom Wciterroiten abgehalten habe. Dann erzählte er mir, der Käimakäm habe zu ihm gesagt: »Aly! hier ist ein Herr, den sollst Du heute nach Banjalüka bringen!« Da habe er geantwortet: »Ja, Herr! wenn nur das Pferd will!« Hierauf bot er mir seine Flasche an und, da ich ablehnte, leerte er dieselbe auf einen Zug. Als ich ihn nach dem Namen der vorerwähnten Berge fragte, rief er: »Das sind keine Berge! wenn Du Berge sehen willst, musst Du nach Albanien gehen! Bosnien ist flach!« Dann begann er auf die Bosniaken zu schimpfen, die blosse Bäuber wären und nur verständen, aus dem Busch zu feuern, er aber sei ein Soldat und ginge mit dem Säbel drauf los! Er sei auch ein Arnaut! Als ich hierauf verwundert fragend das Wort Schkypetär aussprach, rief er stolz: »Ja! Schkypetär! Arnaut! Albaneso! Soldat bin ich und Du bist auch Soldat! ein Preusse!« Und nun begann er unter dem doppelten Einflüsse des Branntweins und nationaler Begeisterung albanosische Kriegslieder zu heulen, feuerte seine Pistolen ab, zog blank, umklammerte den Hals seines Pferdes und schrie dem Thiere eine Art Kriegsgeheul in's Ohr, dass es wild gemacht mit ihm davonjagte, mein Gaul, angesteckt von dem Beispiele, hinterher. Dabei machte er Keiter-kunststücke der tollsten Art — packte im vollen Jagen einen Telegraphenpfahl und schwang sich sammt seinem Pferde daran im Kreise herum, wobei er nicht blos geschickt lenkte, sondern sich mit den Beinen wie mit einer Zange an den Bauch des Thieres klammerte, setzte auf eine 6 Fuss hohe, steil abfallende Plateauschollo und jagte durch deren Haselgestrüpp, dass die Zweige krachten, sprang wieder herab und riss dann sein Pferd in Kreuz- und Querwendungen auf kleinem Räume herum, dass es den feuchten Rasen mit seinen Hufen aufschnitt, worauf er mir triumphirend die Spur zeigte und rief: »Ja, Aly (so hiess sein Pferd) steht fest auf seinen Füssen, er ist auch ein Mos-kow, er versteht deutsch, commandire einmal!« Ich glauhte erst, der Mann sei toll geworden, wie gross war daher mein Erstaunen, als das Pferd hei dem lang gezogenen Avertisse-ment »Eskadron« stutzte und dann wirklich alles ausführte, was ich commandirte, nämlich Trab, Galopp, rechts und links schwenken, Kehrt, Halt etc. Entweder war der Mann oder das Pferd preussischen Instructoren durch die Finger gegangen, anders ist dies nicht zu erklären. Aly zeigte mir auch, dass er nach preussischer Art fechten könne und machte eine Schule durch, dann gab er mir seinen Säbel zum Bewundern und ich sah, dass es ein schöner Solinger Eisenhauer war, der laut Stempel durch eine Wiener Handlung »am Graben« bezogen worden. Er behauptete, die Waffe für 3 Dukaten bei dem Abgänge aus dem stehenden Heere erworben zu haben, sonst führen nämlich die Saptie's plumpe, krumme Türkensäbel, die in Ungarn fabricirt werden sollen. Dass Aly noch gewaltig aufschnitt, versteht sich von seihst, u. A. behauptete er, am Krimkrieg Theil genommen zu haben, von Omer Pascha wogen bewiesener Tapferkeit bei Dubitza mit 5 Dukaten belohnt worden zu sein, alles Dinge, die nicht mit seinem Alter stimmen konnten. Mittlerweile waren wir aus dem Gebirge heraus auf eine völlig glatte Ebene getreten, die rechts in der Nähe des besser gewordenen Weges von 80—100 Fuss hohen bewaldeten Hügeln eingefasst wurde, während links (nördlich) grössere Höhen dieselbe in der Ferne umsäumton. Vor uns erhob sich aus der Ebene ein völlig alleinstehender zweistöckiger Han, in den wir einkehrten. Ich hatte, nach türkischer Sitte, noch nichts gegessen, war daher nach dem 1 '^stündigem Ritte sehr hungrig und hätte gern ein Stückchen Brod gehabt, doch war im Han nur Kaffee zu haben. Aly tröstete mich übrigens mit den Worten: »Wir sind Soldaten nnd ein Soldat hat nie Hunger!« Her Handshy und seine Krau waren schmächtig gebaut und hatten südländische, fein geschnittene Gesichter mit dunklen Augen, so dass ich glaubte, sie wären keine Slaven, sondern Tzintzären (Kutzo-Wlachen oder Romanen), doch verneinten sie dies, scheinbar unangenehm berührt, denn wie ich später hörte, ist dies Wort von amtswegen als beleidigend verboten. Ihre blauäugige Tochter hatte keine Aehnlichkeit mit ihnen, sondern sah slavisch aus, gehörte auch zur griechischen Religion, während die beiden Eltern sich zur katholischen bekannten, was ich erfuhr, als ich den Leuten Heiligenbilder schenken wollte, zur Belohnung dafür, dass sie sich hatten abzeichnen lassen. Die Bilder küssten sie inbrünstig, zum grossen Ergötzen Aly's, der mich übrigens bat, ihn ebenfalls abzuzeichnen, was ich auch that. Als die Jungfer mein Thun merkte, kreischte sie laut auf, wie eine Bauerdirne, wenn man sie kitzelt, weshalb ich das Buch schnell einsteckte, doch sagte Aly, so sei das nicht gemeint, das Mädchen (wtschürra) wolle sich nur erst anputzen, was auch geschah, indem sie hurtig an mir vorbeieilte, in eine Kammer schlüpfte, wohin ihr Aly folgte, und gleich darauf in neuen Hosen, rothem Spenzer, geschmücktem Eess etc. zurückkehrte. Hinsichtlich der Heiligenbilder muss ich noch erwähnen, dass ich keine mit cyrillischen Unterschriften in Oesterreich hatte auftreiben können und deshalb genöthigt war, die für Griechen bestimmten mühsam mit solchen zu versehen und die lateinischen Zeichen auf ihnen sorgsam zu verdecken, denn der Katholik hält die cyrillische Schrift für Teufels Blendwerk und der Grieche umgekehrt jene, obwohl von beiden Theilen nur wenige zu lesen vermögen. Die Scheidung geht so weit, dass die bosnischen Katholiken den Erlöser Krst (kerss) und sich danach Krschtjani nennen, die Griechen hingegen nennen den Christus Hrist (das h ist Kehllaut) und sich selber Hrischtjani oder Rischtjani, gewöhnlich aber Serben (auch wenn sie Kroaten sind), und die ersteren verachtlieb. Latinski, statt Katholiki, als welche sich jene gewöhnlich bezeichnen. Die muhamedanischen Bosnier nennen sich Türtzi (Einheit Türtschin) oder Türken, etwas, das ausserhalb Bosniens im ganzen Bei che nicht vorkommen soll, indem Türke so viel bedeutet wie ungeschliffener Bauer, worauf in jeder Sprachlehre aufmerksam gemacht wird, und das Volk, welches wir das türkische nennen, sich selbst als Osmanen bezeichnet, nach Osman, dem Gründer des Reiches. Wenn ich daher von Osmanen spreche, so meine ich damit Leute des letzteren Volkes, deren Muttersprache die türkische ist, unter Türken aber sind muhamedanische Bosnier gemeint, trotzdem Boschkjewitsch pag. 258 den Rath gieht, sie nicht in dieser beleidigenden Weise zu nennen, was mir unerklärlich bleibt, denn dio Frage »müslimän oder musulmän?« war ihnen kaum verständlich und wurde nach gegebener Aufklärung stets mit »Türke« beantwortet , selbst von Knaben; Serben nannten sie sich nie und »Boshiak« nur im Gegensatze zu »Osmanly«. Vom Hau bis zur Stadt hatten wir noch anderthalb Stunden zu reiten, indem der Weg im weiten Bogen nach Süden über die Ebene führte (nicht wie bei Boschkjewitsch auf den Hügelabhängen) und sich schliesslich im spitzen Winkel mit der vortrefflichen von Berbir kommenden Chaussee vereinte. Nördlich von diesem Voroini-gungspunkte lag das Zeltlager der regulären bosnischen Truppen, welches einen hübschon Anblick gewährte und von mir am andern Tage besucht wurde. Banjalüka (Lukas-Bad) gehört zu den ansehnlichsten Städten des Landes und hat nach des Hauptmann Dragantschitj von Drachenfeld mir gemachten mündlichen Mittheilungen 18,000 Einwohner, 1500 Häuser, 40 Medschids oder kleine Moscheen, 4 Dshämien. oder grosse Moscheen, 1 römisches und 1 griechisches Bethaus, 5 — 6 muhamedanische Giehetschulen, 1 serbische Schule mit 4 Normalklassen und 2jährigem Cursus der Theologie, 450 offene Läden und 200 Branntweinschenken, 2 Militair-Apotheken und 2 von jüdischen Droguisten gehaltene Arzneiläden; ferner einen stattlichen Konäk des Pascha's und einen minder stattlichen des Bin-Bey's der Saptie nebst deren Pferdestall, ein altes Kastell, die Wohnung des österreichischen Consular - Agenten, mehrere muhamedanische Heiligen- oder Pilgergräber (Türbe), einen alten Uhrthurm, Mühlen und Bäder, sowie eine Kaserne für die Truppen, die nunmehr vollendet sein wkd, und 3 hölzerne Brücken, wobei eine minder und zwei ganz schlechte. Unter den Dshämion ist die im Mittelpunkte der Stadt gelegene von auffallender Grösse, hat eine Haupt- und 4 Nebenkuppeln, sowie 2 Miliares, während eine andere in der Hauptstrasse, im nördlichen Theile der Stadt befindliche sich durch geschmackvollen Stil und anmnthig verzierten Vorbau auszeichnet. Das Kastell am linken Ufer des Werbäss (Weidon-fluss, von Wrba, Weide) ist noch geschlossen, d. h. von Mili-tairposten innen und aussen bewacht, seine Gräben und Mauern sind noch ziemlich und seine inneren Gebäude sehr gut im Stande; eine hölzerne Brücke führt von der westlichen Stadt über den Graben in dasselbe hinein, und eine andere, mehrere hundert Schritt lange und etwa 10 Schritt breite führt vom Kastell über den Pluss nach der östlichen Stadt. Vor diesem »Grad« liegt eine wohlgepflogte, mit Kosenstöcken und Bäumchen geschmückte Promenade, die sich bis zu dem südlich daran befindlichen Konäk des Pascha's erstreckt und lobhaft an ähnliche Einrichtungen in europäischen Städten erinnert, zumal die kleinen Häuschen an derselben meist recht hübsch sind. Die beiden zweistöckigen Konäks haben weiter keinen Schmuck, als ihre blendend weisse Kalktünche und die bunten Gitter ihrer Haremsfonster. Diese hölzernen Gitter sind näm- lieh mit den verschiedenartigsten Farben in Gestalt von gefüllten Rauten bemalt, ein Schmuck, der sich recht hübsch ausnimmt und in allen grossen südwärts belegenen Städten häufig auftritt, auch an Privathäusern. Das Consulargebäude ist nicht Eigenthum der Österreichischen Regierung, wie ich ver-muthete, sondern gehörte meinem Wirthe, dem Serben Nicolas Baslatsch, und Herr Dragantschitj von Drachenfeld hat aus seiner eigenen Tasche 200 Gulden zum Bewohnbarmachen desselben bestreiten müssen, denn die beste bosnische Baulichkeit ist schlechterdings für Europäer ungeeignet. Das einstöckige Gebäude bildet die Ecke zweier im Norden vom Felde hereinführenden Strassen und fällt dem von dorther kommenden Fremden sofort fiürch das österreichische Wappen und die roth-weisse Flaggenstange auf (die österreichischen Consulate führen nämlich nicht die schwarz-gelbe, sondern die roth-weisse Seeflagge des Kaiserstaates). Die Front des Hauses ist nach Süden gekehrt und hinter demselben ist ein kleines Gärtchen, sowie eine Meierai, denn in Bosnien müssen die Damen der europäischen Cojisjiln ohne eine einzige Ausnahme selber für -die Erzeugung von Butter, Milch und Fleisch sorgen, andernfalls würde ihr Tifßll sehr häufig ohne diese unentbehrlichen Speisen bleiben müssen; die matrimoniale Aufgabe der betreffenden Damen ist /barhaupt in jenem verwilderten Lande keine leichte, denn sie;"müssen im eminentesten Sinne des Wortes die Hausfrau und gleichzeitig die Repräsentantin des Hauses vorstellen und haben dabei mit gesellschaftlichen und, gradezu gesagt, materiellen Entbehrungen zu kämpfen, denen sich hier schwerlich eine Frau der besseren Stände unterziehen würde, da in Bosnien für Geld sehr vieles nicht zu haben ist. Banjalüka ist ungemein weitläufig gebaut und misst längs des Werbäss von einem Ende bis zum andern fast anderthalb Wegstunden; die Hauptmasse der Häuser liegt auf dem linken Flussufer. Ganz im Norden, zwischen der Chaussee und dem Werbäss befindet sich ein ausschliesslich von Christen und Prostituirten aller Confessionen bewohntes Viertel, das aus elenden Hütten besteht, die in regellosen, ungepflasterten Gassen liegen; dann gelangt man in ein gemischtes, weitläufig gebautes Viertel, in welchem sich auch das Consulargebäude, der Uhrthurm und mehrere stattliche Moscheen nehst kleineren muhamedanischen Friedhöfen befinden; hierauf folgt der Kern der Stadt, das Festungs- oder Handels - Viertel; dies enthält ausser der grössten Moschee nur Läden in einem Gewirr enger und schlecht gepflasterter Strassen, wird von einem überbrückten Bache (dem Tzerkwen-Potok) durchschnitten und ist der interessanteste Theil der ganzen Stadt. Hort kann man alles haben, seihst europäischen Putz und Uhrschlüssol; dort sind auch die beiden jüdischen Arzneiläden und ein Uhrmachergeschäft, das ein Bosniak betreibt. Das ausschliesslich muhamedanische Viertel liegt zum Theil westlich hinter diesem Läden-Conglomerat, vornehmlich aber südlich davon, hinter der kiesbestreuten Promenade. Der letzgenannto Theil wird von zwei unbedeutenden, im Sommer meistens trockenen Bächen durchschnitten, bildet Anfangs zwei, später eine einzige Strasse mit einer Reihe Häuser, die nach dem Flusse sehen, aber zwischen diesem und sich den ungepflasterten Weg lassen. Diese lange ungepflasterte Strasse, eine Fortsetzung der die ganze Stadt durchziehenden Hauptstrasse, ist von sehr grossen, aber ungemein vernachlässigten muhamedanischen Friedhöfen unterbrochen, deren Grabsteine rücksichtslos bei Seite oder herabgeworfen sind, wo sie den Telegraphenfählen im Wege standen. Die Leitung geht nämlich durch die ganze Stadt und ist in der eben beschriebenen Strasse oftmals an den Häusern und sogar an den Fenstern derselben befestigt. Ein mehr ländliches Türkenviertel verläuft sich vom Konäk aus in den Hügeln nach Westen. Auf dem linken Flussufer hat die Stadt eine Länge von einer Stunde und endet im Süden bei der dritten Brücke, die an der jähen Wendung des Flusses nach Osten liegt, jenseits setzt sie sich indessen noch eine halbe 17 Stunde lang fort in Gestalt einer einzigen Reihe, deren in kleinen Gärten liegende Hütten sich zwischen dem Flusse und dem überaus elenden Wege befinden, neben welchem links nichts als muhamedanische Friedhöfe auf der dünnen Erddecke einer Felsstufe liegen, die von 50—100 Fuss hohen steilen Hügeln und nackten Felsen begrenzt wird. Die rechte oder östliche Hälfte der Stadt ist die längste, denn sie beginnt so hoch im Norden wie die linke, Anfangs mit dünn gesäeton Häusern unmittelbar am Flussufer, dann dichter werdend und beim Grath Strassen bildend, woselbst sie auch in der Verlängerung der Brücke eine Ladenstrasse enthält, hierauf wieder sehr lückenhaft bis zur südlichsten Brücke und dann in der schon beschriebenen Weise sich verlängernd. Diese wunderlich gestreckte, aber höchst malerische Lage der Stadt wird durch die Enge des Thaies bedingt, das im Westen von 100 —150 hohen mit Acckern und Obstgärten bedeckten Hügeln, im Osten hingegen von den bewaldeten Ponir-Bergcn eingefasst ist, die im Norden über die Stadt hinaus 3 — 500 Fuss hoch sind, dann bei der Stadt 2—300 und schliesslich ganz im Süden nur 100—150 Fuss hoch, aber immer steiler werden und theilweise unmittelbar in den Fluss abfallen. Der 2 — 300 Schritte breite Werbäss hat einen brausenden Lauf, ist aber seicht und durch mehrfache Wehre unterbrochen, die wegen der vielen an seinen Ufern befindlichen Mühlen angelegt sind. Man kann sich kaum ein lieblicheres Bild vorstellen, als dasjenige, welches man von einer der Brücken aus hat, besonders wenn die Sonne so klar scheint, wie glücklicherweise während meines Aufenthaltes, andernfalls muss Banjalüka einen keinosweges schönen Anblick bieten. Meine Erlebnisse in der Stadt waren durchgehends angenehmer Art. Zunächst nach dem Betreten derselben ritt Aly an den Eiskeller der Brauerei eines Oesterreichers heran und machte Miene, hinabzureiten, um sich ein Glas Bier heraufzuholen, nach welchem er ausnehmend lüstern war, doch scheuchte ihn eine Stimme aus der Tiefe zurück, die ihm mittheilte, dass »piwo« nur im Gehäude verabreicht würde. Absteigen wollten wir jedoch nicht, deshalb ritten wir weiter und passirten bald das Consulargebäude. In der Nähe desselben sah ich vor den unscheinbaren Häuschen der hier eigentlich erst beginnenden Hauptstrasso in der Verlängerung der Chaussee mehrere Männer in europäischer Tracht stehen, anscheinend Handwerker. Ich rief ihnen einen herzlichen »guten Morgen« zu und hatte die Freude, dass sie in deutscher Sprache meinen Gruss erwiderten und voll Ueberraschung fragten: »Ein Landsmann? Woher denn lieber Landsmann?« — »Aus Preussen! Aus Berlin!« rief ich, ohne dass dies Bekenntniss die Wirkung eines Sturzbados auf sie zu haben schien, sie wünschten vielmehr zu wissen, wohin ich augenblicklich zu reiten gedächte und ob ich nicht absteigen wollte. Ich theilte ihnen mit, dass ich zunächst zum Pascha wollte und dann zurückkehren würde, um dem Consul meine Aufwartung zu machen. Beim Konäk angelangt, brachte Aly die Pferde in den gegenüber liegenden Stall des Bin-Bey, mich hingegen nöthigte man, in die Offiziers-wachtstube der Saptie's zu treten, woselbst zugleich vier der Herren erschienen und mich fragten, ob ich etwa aus dem Balkan käme und was es dort Neues gäbe. Als ich meine Uhr herauszog, um dieselbe aufzuziehen, holten sie die Ihrigen hervor, um sie mit der Meinigen zu vergleichen und ich sah, dass sie sämmtlich gute silberne Ankeruliren mit Sekundenweisern hatten. Sie licssen sich von mir die fränkische Schrift auf ihren Zeitmessern erklären, baten sich mein Fernrohr aus, boten mir Tabak und Kaffee und benahmen sich überhaupt recht liebenswürdig. Der höchste Mann im Orte und Sandschak, Aly-Kysa-Pascha, war noch nicht zu sprechen oder wollte sich nicht sprechen lassen, doch wurde ein Polizei-Aga beauftragt, mit mir zum österreichischen Consular - Agenten zu gehen und mir beim Suchen nach einem Unterkommen behülfiich zu sein. Ich musste nun den langen Weg durch die Stadt wieder zurück- 17* legen, wobei mein Begleiter einen langsamen Schritt beobachtete, der mich fast zur Verzweiflung brachte. Bort angelangt, wo ich die Landsleute begriisst hatte, fand ich einen alten Mann, einen österreichischen Israeliten Namens Ignaz Beitasch, der sich erbot, mir Herberge und Kost zu geben. Für das Zimmerchen, eine kleine Kammer mit zwei hochaufgemachten Betten, verlangte er einen Gulden täglich, was mir unter den gegebenen Verhältnissen nicht zu viel schien, aber, wie ich sofort belehrt wurde, für die örtlichen Verhältnisse zu viel war, gleichwohl sei der alte Beitasch allen Beisenden empfohlen, denn für die Reinlichkeit seiner Betten garantirten alle Fremden, weil er gar keine Eingeborenen beherbergt, und sein Tisch bietet gute Wiener Kost zu massigen Preisen, fast noch billiger, als in den österreichischen Gasthäusern kleiner Städte, wie ich wenigstens einmal selber erprobte. Der österreichische Hauptmann und Consular-Agent Herr Dragantschitj von Drachenfeld nahm mich äusserst zuvorkommend auf und erklärte mir, als ich ihm unter Vorweisung meines Passes sagte, dass ich sehr wohl wüsste, ich hätte als Preusse kein Becht auf seinen Schutz, dass dies gar nichts ausmache, indem sich die österreichischen Consulate jedes aus Deutschland Kommenden annähmen, wenn er dies wünschte und er keinen eigenen Consul im Orte hätte. Hinsichtlich des Unterkommens wies er mich an den schon genannten Serben Baslatsch, lud mich zum Abendbrod ein und rieth mir, mich um 2 Uhr beim Pascha einzufinden, woselbst er um dieselbe Zeit sein würde, um dann in seiner Gegenwart meine Angelegenheit mit dem Visum in Ordnung bringen zu lassen. Baslatsch hat eine grossartig eingerichtete Herberge, auf welche die Bezeichnung »Han« nicht passt und wohl eher das Wort Mejchano angewendet werden könnte, da er wirklich Bier und Spirituosen ausschänkt. Er kann 20 Orientalen auf den Polsterbänken seiner grossen Räumlichkeiten zu gleicher Zeit beherbergen und 2 anständige Europäer in den Betten eines geräumigen, europäisch eingerichteten Zimmers, welches früher die Amtsstube der Consular-Agentie war; schaffte er sich noch ein paar eiserne Bettstellen an, dann könnte er gleichzeitig 4 Europäern Obdach gewähren, da er Platz genug hat. Ich miethete das Zimmer, mit der ausdrücklichen Bedingung, dasselbe allein zu behalten, doch versuchte er zweimal, die Verabredung zu brechen, denn schon am Nachmittage meines Einzuges fand ich bei meiner Bückkohr von einem Gange einen jungen Mann vor, einen österreichischen Israeliten, der für ein ungarisches Haus mit Spirituosen handelte und den er sammt Gepäck ohne Weiteres in meinem Zimmer untergebracht hatte. Der junge Mann war vernünftig und zog auf meinen Einspruch sofort zum alten Beitasch. Am andern Abend, als ich in Gegenwart meines Landsmannes, des Dr. Hormell, thörichter Weise alles bezahlt hatte, was ich vorbraucht oder erst am andern Morgen zu erhalten beanspruchte, kam mir der äusserst naseweise Schaffner nach und verlangte meinen Zimmerschlüssel, indem ein Fremder, ein Türke, da wäre, der mit mir in demselben Zimmer zu schlafen wünschte. Der alte Beitasch und seine Frau gaben dem Burschen aber solchen derben Bescheid, dass er kleinlaut abzog. Uebrigens fiel die Rechnung bei Baslatsch fabelhaft billig aus, denn ich bezahlte für einen Pilaw nebst gebratenen Eiern und deutschem Brod 6 Piaster, für Logis und Bett 10, für Kaffee nach europäischer Art nebst gerösteten Brodschnitten 6, für 7 Glas Bier 7, zusammen 32 Piaster. Noch muss ich erwähnen, dass ich die Zimmergeineinschaft mit einem Fremden nicht zurückgewiesen haben würde, wenn der Betreffende, wie ich, zu seiner Belehrung, statt in Geschäften gereist hätte, denn in solchem Lande müssen die Gleichgestellten einander aushelfen. Nachdem ich Aly mit 2 Zwanzigern Bakschisch (das landesübliche Wort für Trinkgeld) und 3 Gläsern Piwo abgefertigt, ging ich in das Bad, welches unter der Festung am linken Werbäss-Ufor liegt. Es ist dies ein mittelgrosses Gebäude mit Kuppeldach und wenigen Fenstern; dicht dabei im Flusse steht ein gewaltiges Schöpfrad, welches das zum Baden nöthige Wasser emporhebt und mittels einer Rinne in's Haus schafft. Hinter der Festung kamen mir drei Türkinnen entgegen und ich war fast betroffen von ihrem leichenhaften Ausputze, der bei allen ein und derselbe ist und deshalb nur einmal beschrieben zu werden braucht. In der Hertzegowina giebt os einige Dorfschaften, in denen man die muhamedanischen Frauen mitunter unverschleiert ausser dem Hause trifft, aber Bosnien dürfte diejenige türkische Provinz sein, in welcher das Verschleiern am allerstrengsten durchgeführt wird. Alle Türkinnen, die ich gesehen habe, hatten den Kopf derartig in zwei dicke, weisse Tücher dicht eingewickelt, dass derselbe wie ein Kürbis in weisser Emballage aussah. Nur für die Augen bleibt ein fingerbreiter unbedeckter Streif übrig und auch dieser wird durch das obere Tuch schirmartig so verdeckt, dass man weder Haut noch Augen bemerken kann und das arme Wesen nur drei Schritte vor sich zu sehen vermag; wollte die Frau weiter sehen, dann müsste sie den Kopf ganz in den Nacken werfen, was zu thun verboten scheint, ebenso wie das Umdrehen. Ausser der Kopfumwickclung, die ein Ausspeien vor neugierigen Gjaurs, von dem Boschkjewitsch spricht, doch unmöglich machen dürfte, ist der ganze Körper durch Verhüllung in folgender Weise verunstaltet: Uober die eigentliche Kleidung ist ein dunkelgefärbter, meistens dunkelgrüner Paletot aus Camelot gezogen, welcher den Leib vom Nacken bis unter die Waden und die Arme bis an die Finger bedeckt, nicht zugeknöpft wird, weil er ja sonst die Modellirung der Büste verrathen könnte, während die behosten Beine nebst Schlafrock in eigends zu diesem Zwecke gemachten unförmlichen Hosen stecken und die Füsse sammt ihren Pantoffeln in plumpe, weite Stiefel von gelbem oder rothem Leder geschoben werden, die bis an die Wade reichen. Doch dies genügt noch nicht der türkischen Eifersucht resp. Wohlanständigkeit, denn die Wölbung des Busens und die Knie möchten sich beim Gehen verrathen, deshalb wird um Schultern und Hals ein weisses Tuch gewickelt und ein weisses Laken fällt vorn vom Halse bis ziemlich zu den Füssen herab, so dass die Ähnlichkeit mit einer wandelnden Leiche auf das Genaueste hergestellt ist, wenigstens wenn man die Person von vorn betrachtet. Hie Hände darf eine Verhüllte nicht zeigen, deshalb steckt sie dieselben in die Taschen ihres Paletots und hängt das Bündel (wenn sie ein solches trägt) an den Arm. Hinsichtlich dieses Punktes sind sie so ängstlich, dass sie sich nach der Wand umdrohen, wollen sie an dem Bündel etwas in Ordnung bringen, wie ich einst ungesehen hinter den Vorhängen meines Fensters in Sarajewo dicht vor mir beobachtete, wobei der die Frau begleitende Mann oder Bruder wie ein Cerberus nach allen Seiten stierte. Auf Beisen sitzen die Türkinnen nach Männerart wie ein unförmlicher Kleider-Klumpen im Sattel und haben eine schwarze, mitunter Gold gestickte Maske aus Pferdehaaren vor dem Gesicht; seltener fahren sie in einer käfigartigen Arabä, weil diese nicht überall transportirhar und auch kostspielig ist. Es gilt für höcht unanständig, eine verhüllte Frau auffällig anzusehen, was um so weniger Wunder nehmen darf, als ja auch hei uns ein solches Verfahren zu den Ungeschliffenheiten gerechnet wird, obwohl unsere Damen sich keinesweges durch Verhüllung der Bewunderung zu entziehen versuchen, ja es ist bei uns schon vorgekommen, dass ein unschicklich Neugieriger sich die unangenehmsten Verwickelungen zugezogen, wenn die betreffende Dame einen Begleiter hatte, der eifersüchtiger oder jähzorniger Natur war; in Bosnien soll man mit einem barschen »schto gledäsch« davonkommen, worüber ich aus eigener Erfahrung nichts sagen kann und deshalb auf Boschkjewitsch pag. 242 verweise. 1 Heber die türkischen Bäder ist von Fouilletonisten schon so Vieles und Wunderbares geschrieben worden, dass ich fürchte, durch meine Mittheilungen die ganze dabei entwickelte Poesie zu zerstören, zumal ich an einige, hei den überschwenglichen Schilderungen vergessene, recht prosaische Dinge erinnern muss. Zunächst mache ich darauf aufmerksam, dass man ein solches Bad nicht zu jeder Tageszeit hahen kann und wohl niemals »beim sanften Schimmer des silbernen Mondes«; am besten ist die Zeit von 11 Uhr Vormittags bis 5 Uhr Nachmittags; um 7 Uhr Abends wurde mir in Träwnik nur nach vielem Beden eins der schon sämmtlich geschlossenen Bäder geöffnet und ich musste für 8 Piaster mit einer lauwarmen Abwaschung vorlieb nehmen. Dann muss ich daran erinnern, dass man mit grösster Sicherheit auf die Mitnahme von Ungeziefer aus solchem Bade rechnen kann, und zwar um so mehr, je besser und deshalb besuchter das betreffende Etablissement ist. Aus diesem Grunde gehen Consuln und andere mit der Sache vertraute Europäer selten oder nie in ein türkisches Bad. Der Hergang in demselben ist sehr primitiv und nicht im Entferntesten mit dem zu vergleichen, was in den römisch - irischen oder russischen Dampfbädern deutscher Städte geboten wird. Man tritt in einen mehr oder minder grossen Vorraum, der an den Wänden eine Anzahl Verschlage enthält, in welchen man sich entkleidet und sein Zeug lässt, sich auch abkühlt; ausserdem. giebt es wohl überall noch einen besonderen Baum für diesen Zweck, den jedoch nur distinguirte Personen benutzen dürfen. In dem von mir benutzten Bänjalükaer Bade lag derselbe oben, eine Stiege höher als die anderen und war erkerartig gebaut, d. h. er hatte nach drei Seiten Fenster. Nachdem ich mich dort entkleidet, kam ein etwa löjährigor Bursche, band meine Sachen in ein baumwollenes Laken zusammen, umgürtete mich mit einem Tuche von den Hüften bis zu den Knöcheln, schlang mir einen Turban um den Kopf, gab mir hölzernen Pantoffeln und führte mich hinab. Ich trat in einen hohen gewölbten Baum, in welchem etwa ein Dutzend Personen anwesend waren, von denen viele ohne Turban. Die Fliesen dieses Zimmers waren erhitzt und in der Mitte stand eine 3 Fuss hohe Pritsche, auf der schon 6 Männer sasson. Mir wurde eine dünne Matratze untergelegt und die feucht-heisse Luft brachte mich schnell in Transpiration. Dann nahm man mir Turban und Decke ab, hiess micli platt auf ein Brett am Boden zwischen zwei Steinbecken niedersetzen, in welche heisses resp. lauwarmes Wasser von aussen floss und deren etwa ein Dutzend vorhanden sein mochten, seifte und spülte mich gründlich ab, knetete ein Wenig die Muskeln, schlang mir wieder Turban und Decke um und führte mich hinauf nach dem Kjöschk. Dort lag beim offnen Fenster eine Matratze und ich legte mich auf dieselbe, nachdem mir zuvor ein ganz dünngewebtes baumwollenes Laken umgehangen worden war. Vom Entkleiden bis zum Wiederankleiden war ungefähr eine Stunde verstrichen; bei dem letzteren Geschäft überraschte mich wieder der Junge, ein Bajah, so unangenehm mir seine Zeugenschaft war, liess sich auch nicht abweisen, wenigstens nicht eher, als bis ich ihm meine Uhr, die er zu sehen wünschte, innen und aussen gezeigt hatte. Interessant waren mir in dem Bade die bis zum Scheitel kahlgeschorenen Vorderköpfe der Mitbadenden, ihr schwach entwickelter Muskelbau und der Umstand, dass sich einige gegenseitig beim Basiron dos Körpers halfen, wobei sie grosse Geschicklichkeit entwickelten. Einigcrmaasson starke Muskulatur habe ich nur bei den schwer arbeitenden ländlichen Bajahs bemerkt, die Städter und die gesammton Muhamedaner glichen hingegen entblöst den Männern unserer besseren Stände und auch die ersteren zeigen nicht den prallen, zuckenden Muskelbau unserer körperlich arbeitenden Stände, überhaupt habe ich »Enakskindcr«, wie solche in unseren Garden und vielen Pro-vinzial-Eegimentern durchgehends zu finden sind, in Bosnien nicht gesehen, aber im Allgemeinen auch nicht so häufig kleine Männer wie bei uns, da die Bosniaken eine hübsche Durch-schnittsgrösse von 5—6 Zoll (über 5 Fuss rheinländisch) zeigen. Beleibte Leute sind sehr selten und wohl nur unter den gemächlicher lebenden Muhamedanern zu finden. Uehrigons war es der Badegesellschaft sehr wohl, denn das Singen nahm kein Ende uud die meisten »prawo« erhielten diejenigen Sänger, welche so laut brüllten, dass das Gewölbe erdröhnte. Was ich zu bezahlen hatte, wollte mir der Badebesitzer nicht sagen, deshalb gab ich ihm 8 Piaster, genau so viel wie der Bader in Träwnik forderte und erhielt, also nach unserem Gelde etwa lS1^ Sgr., ein unverhältnissmässig hoher Preis, denn in dem luxuriösesten römisch-irischen Bade Berlins, in den »Freundlichen Bädern«, kostet ein Bad erster Klasse incl. eines anständigen Trinkgeldes nur 20 Sgr., doch muss ich befürworten, dass in den bosnischen Bädern nicht die Leistung, sondern die Person des Badenden als Anhalt bei der Taxe des Bades dient und da fürchte ich, nach bosnischen Begriffen mich zu gering taxirt zu haben, denn nach Boschkjewitsch steigt die Taxe je nach der Person von einem halben Piaster bis zu 48 und mehr. Ich sehe indessen nicht ein, warum ein Beisender im Punkte der Bezahlung mit Consuln und Pascha's wetteifern soll; eine moralische Verpflichtung hierzu existirt für ihn jedenfalls nicht. Vom Bade begab ich mich zunächst nach meinem Quartier und von da zu Aly -Kysa-Pascha. Unterwegs hatte ich Gelegenheit, zum ersten Male die primitive Sack- und Bandwirkerei der Eingeborenen zu sehen. Man webt ohne Schiffchen aus freier Hand, indem der Einschlagsfadon mittelst einer langen hölzernen Nadel (nach Art der Netzstricknadeln) durch die parallel aufgespannten Haltefäden (das sogenannte Geschirr) hindurchgeführt und dann mit einem durchgezogenen Stocke festgedrückt wird. Diese Weberei geht natürlich sehr langsam, doch immer noch schneller, als ich dachte. Dieselbe Art zu weben mag noch heute auf den Färöern heimisch sein, wenigstens war sie dies noch vor circa 40 Jahren, wie Graba genau beschreibt und worauf ich die Conservatoren des Museums für nordische Alterthümer zu Kopenhagen aufmerksam machte, als sie mir einen derartigen primitiven färöischen Webstuhl unter den dortigen Alterthümern zeigten. Ich sah in Banjalüka auch häufiger, was ich schon in Priedor gesehen hatte, nämlich das Reinigen des Getreides zum Schroten und Backen. Es ist dies eine Verrichtung, die gleichfalls auf grosser Handfertigkeit beruht, denn der Worfler hockt am Boden und hat ein kaum merklich concaves Brett von 4 Fuss Länge und Vfi Fuss Breite in den'fHänden, auf dem die Getreidekörner liegen. Dies Brett schaukelt er beständig, so dass die Körner hoch fliegen und das Kaff vom Luftzuge weggeführt wird. Zur Nachhülfe bedient er sich eines Flederwisches und dies alles so geschickt, dass kein Körnchen zur Erde fällt. Das gesichtote und das ungesichtete Getreide steht in Körben und Säckchen neben ihm am Boden. Der Pascha nahm mich sehr freundlich auf und ich fand bei ihm schon meinen liebenswürdigen Gönner, den Herrn Dra-gantschitj vor. Seinem Einflüsse verdankte ich die Ertheilung eines Visums bis Sarajewo, ;so dass ich auf diese Weise einer Schererei überhoben ward, wie solche hei uns bis zum Verscheiden des deutschen Bundes auf wandernden Handwerks-burschen lastete. Kaffee und Cigaretton fehlten natürlich nicht, wie sie bei keinem Besuche fehlen dürfen, den man einem türkischen Würdenträger macht oder von ihm empfängt. Aly-Rysa-Pascha war ein Mann in den besten Jahren, ein sogenannter Alt-Türke, wie sämmtliche höhere Würdenträger Bosniens, trotz ihres gelegentliches Nachahmens europäischer Sitten und Liebe zum Weine. Er sprach nur türkisch, nannte mich seinen liehen Freund, schenkte mir zum Andenken seine Photographie, die er nebst anderen Kostbarkeiten, Papieren etc. in einer Reisetasche bei sich hatte, grade so als oh er wie ein Nomade immer bereit sein müsste zum Aufsatteln und Davonjagen. Er fragte mich, oh ich die prachtvolle Chaussee von Berbir nach Banjalüka bereist hätte und dann wünschte er zu wissen, was denn eigentlich Berlin wäre — — durch welche Frage er mich ein wenig ausser Fassung brachte, wiewohl mit Unrecht, denn sie wurde von anderen noch höheren Würdenträgern ebenfalls an mich gerichtet und, wie man europäischer Seits behauptete, nicht aus Unkonntniss. Nachdem ich die gewünschte Auskunft ertheilt hatte, bat mich der Pascha, Rundschau in seinem Zimmer zu halten, um zu sehen, ob sich Berlin unter den lithographirten Städtebildern befände, welche in schlechten Rahmen die Wände schmückten. Unsere Hauptstadt war nicht dabei, obwohl sich unter dieser ohne Auswahl zusammengestellten Sammlung ganz unbedeutende Orte befanden. Sollte nach mir ein Europäer dem Herrn Pascha einen Besuch altstatten, dann bitte ich, nicht über die in türkischer Sprache abgefassten Erklärungen zu lächeln, welche er unter einem nunmehr vorhandenen Bilde Berlins finden wird, denn ich habe dieselben in Bücksicht der mir gestellten Fragen auf den Band geschrieben, während mein dort ebenfalls befindlicher Name »Franzys Mawro Burusyadan« (der.Franzose Mawro aus Preussen) der mir von den Osmanen octroyirte ist. — Noch muss ich erwähnen, dass ich Anfangs bei Aly - Rysa bedockten Hauptes war, doch machte mich Herr Dragantschitj darauf aufmerksam, dass ich besser thäto, der türkischen Sitte in diesem Punkte nicht zu folgen, überhaupt das Fess gar nicht zu tragen, indem mich dasselbe in den Augen der Leute zum türkischen Unter-thanen mache, eine Annahme, die dem Fremden nicht crspriess-lich ist. Gegen Abend besuchte ich das Lager der Truppen und kam auf diesem Wege an den Friedhöfen der Bajahs vorbei, die sich in der Nähe des Lagers befinden. Die Serben und die Katholiken haben dort zwei grosse und ausnahmsweise eingehegte Gottesäcker; auf dem serbischen zeigte man mir als ein Wunder von Pracht das Grab des verstorbenen österreichischen Goneral-Consuls Milenkowitj, doch muss ich gestehen, dass mir dasselbe auf einem deutschen ländlichen Friedhofe ärmlich vorgekommen sein würde; für die Eingeborenen war freilich das grosse hölzerne Kreuz schon etwas Ausserordentliches, doch dürfte es für den Kaiserstaat vielleicht geziemender gewesen sein, wenn er die Gelegenheit benutzt hätte, den Türkon zu zeigen, wie ein in seinem Berufe gestorbener »Ungläubiger« im Grabe geehrt werden muss, indem er demselben ein prachtvolles Monument aus Eisen und Stein mit einem 10 Fuss hohen von Vergoldung strahlenden Kreuze errichtet hätte, dies hätte sich für tausend Gulden herstellen lassen und würde allen imponirt haben. Der jüdische Friedhof befand sich unfern der christlichen, derselbe war jedoch nicht eingezäunt wie diese, glich überhaupt eher einem wüsten Trümmerfeldo als einer geweihten Stätte, denn die Juden haben erst in neuester Zeit in Bosnien das Becht erhalten, die drei unbehauenen Feldsteine, welche sie auf die Ruhestätte eines ihrer Todten (der Länge nach) legen durften, mit Mörtel zu verbinden, deshalb lagen die alten Steine regellos umhergestrout, indem Menschen und Vieh den Acker rücksichtslos betreten; zur Zeit meines Verweilens auf demselben weideten Schafe auf und bei ihm, es hätten aber eben so gut Schweine sein können. Dass die in allen civilisirten Staaten fast despotisch die jüdischen Interessen wahrnehmende semitische Liga (alliance israelite universelle) eine solche Erniedrigung der Juden in einem Barharenstaate duldet, setzte mich einigermaassen in Verwunderung- und ich kann mir die Sache nur durch zweierlei erklären, entweder sieht die Liga ein, dass ein mit Hülfe der von ihr beherrschten Presse, Telegraphie, Börse und Bednerbank im civilisirten Europa erregter Allarm machtlos an der Seelenruhe und Unwissenheit der Hohen Bforte abprallen würde, wie sich ja aus ziemlich denselben Gründen jeder derartige Versuch Russland gegenüber ebenfalls als verfehlt erwiesen hat, oder, und dies ist das Wahrscheinlichere, die Liga soll gar nicht einschreiten, weil die kleine Clique der Dolmetscher, Saräws, Wucherer und Handelsgauner, die vorzüglich in Sarajewo ihren Sitz hat, es in ihrem Interesse findet, der Pforte wegen der bosnischen Juden keinerlei Schwierigkeiten zu machen, weil sie fürchtet, dadurch in ihren materiellen Interessen geschädigt zu werden. Diese reichen Juden, so behauptet man, schicken ihre Todten nach Jerusalem, um ihnen dort in der geweihten Erde der Vorväter ein Grab zu geben, ja viele alte Herren sollen, wenn sie Todesahnungen bekommen, dorthin gehen, um daselbst zu sterben, das arme Pack mag sich in Bosnien verscharren und Schweine über sein Grab laufen lassen, es hat ja vor den Zigeunern immerhin noch den Vorzug, drei Steine auf sein Grab legen zu dürfen, während jene ohne irgend welches Merkmal verscharrt werden müssen. Nordwestlich von Banjalüka soll die Begräbnissstätte dieser am tiefsten erniedrigten Menschen liegen. Vielleicht dass diese Zeilen dazu beitragen, die bosnisch-jüdische Begräbnissfrage in Europa anzuregen, denn es gieht wohl kaum etwas Nichtswürdigeres, als Beschimpfung der Todten wegen des Glaubens der Lebenden. Möge daher die Liga ihre Kraft an der Türkei versuchen, dabei hat sie gewiss die Sympathien Europa's. In der Nähe der Friedhöfe hatte ich auch Gelegenheit, einem Spiele der Eingeborenen zuzusehen, welches so ziemlich dasselbe ist, wie das in Italien so sehr beliebte Kegel-Wurfspiel, nur dass die Bosniaken keine Kegel, sondern zwei aufeinandergelegte Feldsteine als Ziel benutzten und danach mit zwei Fäuste grossen Steinen, die mit beiden Händen gepackt wurden, im Bogenwurf warfen. Etwa 12 Zuschauer standen in 2 Beihen aufgepflanzt und durch diese Gasse hindurch warf der jeweilige Spieler nach dem ungefähr 10 Schritte entfernten Ziel. Die Leute waren so aufgeregt von ihrer Beschäftigung, dass viele ihre Kopfbedeckungen abgelegt und ihre weiten Hemdärmel bis an die Achsel zurückgeschlagen hatten, was ihnen ein ungemein wildes Aussehen gab, wozu besonders das lange im Winde flatternde Haar des Hinterhauptes und die kahlgeschorenen Vorderköpfe beitrugen. Laute Ausrufe des Beifalles oder der Enttäuschung begleiteten jeden Wurf der gespannten Mitspieler. Das Lager der Truppen darf nur durch das Thor (kapu) betreten oder verlasssn werden, man glaube jedoch nicht, dass dieses Thor die Oeffnung eines Zaunes oder irgend welcher sichtbaren Einfassung bilde, es ist vielmehr nur eine durch zwei Schildwachen markirte Pforte einer gedachten, so zu sagen »idealen« Enceinte, und der Umstand, dass diese von den wilden muhamedanischen Soldaten mit blindem Gehorsam respectirt wird, spricht gewiss sehr beredt für die grosse Fügsamkeit der Muslimen, so dass die gelegentliche Berufung auf deren religiösen Fanatismus eitel Schwindel ist und nur zur Verdeckung des bösen Willens der türkischen Machthaber gegen die Durchführung der vom Sultan befohlenen Gleichberechtigung der Confessionen vorgeschützt wird. Das Campement enthielt Caval-lerie, Infanterie und Artillerie; die Kanonen, glatte 4-Pfünder, standen unter einer Baracke aus Beisig und waren in der Hauptsache gut im Stande, nur die Zündlochdocken und Bohrpfropfen waren alt und schlecht; 2 Posten mit gezogenen Seitengewehren bewachten dieselben. Die Pferde, kleine, aber ungemein kräftige und muntere Bosniaken, lauter Schimmel, standen mit Halftern und gefesselten Vorderfüssen in zwei Beihen sich gegenüber an einer improvisirten Krippenreihe ohne Bedachung. Die kegelförmigen Zelte dor Leute bildeten lange regelmässige Beihen, zeigten innen eine musterhafte Ordnung sowie zweckmässige Aufhängung der Waffen und Monturstücke; der Boden war mit Decken belegt und wies dicht an der Zeltwand eine rund herum laufende Beihe niedriger Bolster, die zum Schlafen und Sitzen dienten. Die Soldaten nöthigten mich stets in freundlicher Weise zum Eintreten und Niedersitzen, was ich indessen aus nahe liegenden Gründen ablehnte. Mein grösstos Erstaunen erregten die kleinen niedlichen, wirklich geschmackvoll angelegten Blumenbeete, die nicht blos alle Offizierszelte umgaben, sondern sich auch bei den Zelten der Gemeinen sehr häufig fanden. Was Besse sich aus diesen hochbegabten und im Grunde genommen guten Menschen machen, wenn sie in die rechten Hände kämen! Es war grade Appell und die Leute waren compagnie- resp. schwadronsweise angetreten und zum Kreise geschwenkt. Wir standen inzwischsen vor dem Zelte des Lagercommandanten, dessen Bursche uns sogleich Kaffee und Cigaretten bot. Es wurden die Befehle für den anderen Tag, den türkischen Sonntag, mitgetheilt und andere Sachen von den Offizieren mit lauter Stimme vorgetragen, dann öffneten sich die Kreise und das tüchtig geschulte Musikcorps begann zu spielen. Die türkische Musik ist eigenartig, aber ungemein schön und leicht verständlich. Als die stolz und feierlich klingende Sultanshymne gespielt wurde (zum Anfang und zum Schluss), stimmten sämmtliche Soldaten a tempo in den dreimal wiederholten Kuf ein: »Padischahym tschoq jascha!« (mein Kaiser möge viele Jahre leben!) Als der Appell vorbei war, stoben sie auseinander wie eine Heerde Hammel und liefen im stärksten Trabe nach ihren Zelten. Dies war mir als Musterpreussen, der an »CorporalSchäften for-mirt!« und »abmarschirt!« gewöhnt war, sehr auffällig. Einige der vorbeistürmenden Leute, deren Physiognomien mir wegen der dicken Stumpfnasen auffielen, fasste ich mit der Frage ab, ob sie Osmanen seien, was sie bejahten (sie glaubten, ich meinte Türken) und darauf hin hätte ich mir nun ein Urtheil über die geringere Schönheit der Osmanen zurechtlegen können, wenn ich nicht am selben Abend noch erfahren hätte, dass in der ganzen bosnischen Armee-Abtheilung nur die Offfziere sogenannte Osmanen aus allen Theilen des Eeiches waren, der Lagercommandant z. B. war aus Kreta. Genaueros über den jetzigen osmanischen Kacentypus festzustellen, dürfte überhaupt sehr schwer und vielleicht nur in Anatolien ausführbar sein, das ich nicht betreten habe, denn die Osmanen sind mit allen möglichen kaukasischen Bacon versetzt, sogar ein Zusatz von deutschem Blut rollt in ihren Adern und grade ihre geschichtlich berühmtesten Familien sind väterlicher und mütterlicher Seits Slaven, Griechen oder andere Kaukasier, worüber sich der beste Aufschluss in Hammer-Purgstall's berühmtem Geschichtswerke findet. Ich hatte den Wunsch geäussert, das Detailexerciren der Infanterie zu sehen und der Candiote rief sogleich einen Sergeanten, dem er auf Bosnisch befahl, mit einer »guten Flinte, aber mit einer recht guten«, nach dem Zelte zu kommen, um Griffe und Chargirung auszuführen. Der Betreffende brachte eine gezogene Muskete, zu der ein Hau-Bayonnet gehörte, das er, wie alle anderen, gleich einem Säbel in der Scheide trug. Diese sehr gute Flinte erwies sich jedoch als ziemlich »klappernd«, das Schloss versagte sogar die Mittelruhe. Die Griffe wurden nach angeblich französischem Reglement ausgeführt und fiel mir dabei nur auf, dass das Zündhütchen gleich nach dem ersten Schusse, vor Ladung des folgenden, aufgesetzt wurde, was ebensowohl unpractisch als gefährlich ist; man stellte auch den Kolben auf den Boden, was wir, da wir noch Musketen führten, nicht thaten, um uns mit dem Kolbenblech nicht die Schulter beim Anschlagen zu beschmutzen. Vom Fechten, wozu nicht einmal das Bayonnet aufgesteckt wrurde, kannte man nur einen horizontalen Stoss und Wechseln der Stellung nach vorwärts, links und rechts; die Leutchen, welche das Zelt massenhaft umdrängten, waren daher einigermaassen erstaunt, als ich ihnen nach der alten Schule unterschiedliche Kunststücke zeigte, wie Wurfstoss, Kolbenschlag von der Backe links, Pariren der Lanze, Sprung rechts und links etc., womit man uns weiland gedrillt hatte; das Gewehr lag mir dabei allerdings zu leicht in der Hand, weil das Bayonnet fehlte, doch wagte ich es nicht, dasselbe aufzustecken, da ich fürchtete, es möchte bei den heftigen Bewegungen abfliegen und jemand verletzen. Als der Sergeant das Gewehr zurückerhielt, streckte er mechanisch die geöffnete Hand nach dem Candioten aus und nahm eine Hand voll Tabak entgegen, welche dieser aus der Tasche zog. Wir blieben noch ein Weilchen in dem comfor-tabel mit Polsterbänken ausgestatteten Zelte, dann traten wir den Bückweg durch das »Thor« an, bei dessen Passiren nunmehr der Dopppelposten präsentirte, was ihm wohl befohlen worden sein 18 mag. Von sonstigen im Lager gemachten Beobachtungen ist noch mitzutheilen, dass dasselbe einen Brunnen mit vortrefflichem Wasser hatte und wahrscheinlich auf dem früheren Bette des Werbäss liegt, denn in der Nähe der Friedhöfe fällt das spiegelglatte Terrain plötzlich 6 Fuss tief ziemlich steil ab, um dann wieder ganz eben zu werden. Diese Configuration des steinlosen, lehmigen Bodens kann ich mir nur dadurch erklären, dass der Fluss früher mehr gradeaus nach Norden floss, dann allmälig den Fuss dor östlich befindlichen Hügel abnagte und gleichzeitig sein Bett durch Ablagerungen nach Westen erhöhte, bis er zuletzt im starken Bogen nach Osten sein jetziges Bett unmittelbar am Fusse der Berge erreichte. Auf jenen Höhen befindet sich, drei bis vier Stunden vom Lager, ein altes Mineralbad aus der Römerzeit, das ich leider nicht besuchen konnte, da mir der Besuch einen vollen Tag Zeit geraubt haben würde. Hinter dem Lager fabricirten die Soldaten Luftsteine (Backsteine, die nicht gebrannt, sondern nur an der Sonne getrocknet werden), welche zum Bau der vor dein Campement, aber in der Terrainsenkung, angelegten Kaserne dienten. Die Leute sahen gut genährt und auch recht stattlich aus; alle bosnischen Soldaten tragen das rothe Fess mit blauer Quaste und metallenem Blättchon zum Quastenhalten und als Kleidung die bequeme und praktische Zuaven-Uniform, die Infanterie in Blau, die Artillerie in Bronzegelb und die Cavallerie in Roth-gelb; das Lederzeig ist bei der Infanterie schwarz, bei den Reitern hingegen weiss und bei den Artilleristen golblich-uatur-farbcn; bei schlechtem Wetter ziehen alle graue Kapuzenmäntel aus bosnischem Fabrikat an. Die Offiziere haben blaue Röcke und krapprotho Hosen nach europäischem Schnitt. Die Soldaten dürfen während ihrer Dienstzeit das Haupt nicht scheeren auch keinen Kinn- oder Backenbart stehen lassen, da Vollbarte, besonders von einiger Länge nur das Vorrecht hochgestellter Beamten und Greise sind. Selbstverständlich befördern die Garnisonen die Unsittlichkeit in hohem Grade in den betreffenden Städten. Die angenehmsten Stunden meines Aufenthaltes in Bän-jaliika waren diejenigen, welche ich unter dem gastlichen Dache des Herrn Drägantschitj in seiner Gesellschaft und derjenigen seiner liebenswürdigen, fein gebildeten Trau Gemahlin zubrachte. Dieselben werden mir immer unvergesslich bleiben, denn einmal thaten die biedern, lieben Leute alles, was in ihren Kräften stand, um mir an den beiden Tagen, da ich. ihr beständiger Tischgast war, das Leben angenehm zu machen und dann hatte ihre Gesellschaft, ihr Hausstand und alles, selbst das Unbedeutendste, was damit in Verbindung stund, für mich den frischen Reiz des Wiedereintritts in die Civilisation, die man bekanntlich am schmerzlichsten vermisst, wenn man erst einige Tage von derselben getrennt war. Die Frau von Drachenfeld sorgte auch wahrhaft schwesterlich für mich, selbst hinsichtlich meiner Weiterreise, denn als ich mich am Donnerstag Abends um 10 Uhr empfohlen hatte und in mein Quartier zurückgekehrt war, kam mir der kleine »Kawass« dahin nach und brachte mir ein grosse Schachtel voll frischem weissen Käse, feiner Mehlspeisen und Confitüren, in deren Herstellung die österreichischen Frauen ja excolliren, damit ich wenigstens am folgenden Tage etwas europäische Kost haben sollte. Der kleine Kawass und sein Druder, Knaben von 10—14 Jahren, waren bosnische Waisen, deren sich Herr Drägantschitj wie ein Vater angenommen hat; sie sprachen und schrieben deutsch, verstanden auch schon französisch und waren überhaupt von ihrem väterlichen Gönner gut unterrichtet. Für meine vorurtheils-vollen Landsleute muss ich doch noch hinzufügen, dass meine Gastfreunde echte Kroaten waren und ihr deutscher Name »von Dracheufeld« nur die offizielle Uebersetzung des kroatischen »Drägantschitj« ist. Der Dr. med. Hormel aus Felsberg in Westphalen, der mich gleich am Tage meiner Ankunft aufgesucht hatte, war ein höchst unglücklicher Manu, der im Jahre 1833 als Arzt nach Griechenland gegangen, 1804 bei der Austreibung der 18* Deutschen aus ihren amtlichen Stellangen nach der Türkei ging und dort bald sein Brod als Oberarzt beim Militair fand, dasselbe jedoch in Folge der Beschuldigung eines armenischen Apothekers Namens Antonius verlor, weil er angeblich den Kranken zu starke Dosen verschrieben haben sollte. Seine deutsche Nationalität und Staatsangehörigkeit hatte er verloren, was eben nur einem Deutschen widerfahren kann, und nun lebte der bejahrte Mann getrennt von seiner Familie im gröss-ten Elende. Vielleicht lenken diese Zeilen die Aufmerksamkeit seiner deutschen Angehörigen oder eines Studiengenossen auf ihn — er hat in Marburg, Bonn und Göttingen studirt. Der für mich bis Träwnik bestimmte Saptie hatte sich schon am Donnerstage vorgestellt; er hiess Ibro und war der sanfteste, gutmütigste und ehrlichste Mensch, den ich in ganz Bosnien unter den Eingebornon und Osmanen gefunden habe; die Trennung von ihm fiel mir aufrichtig schwer. Seine Benennung veranlasst mich zu folgenden Bemerkungen: Die gewöhnlichen Leute in Bosnien haben keine Familiennamen und sie ersetzen dieselben bei amtlichen und anderen wichtigen Veranlassungen gern durch Bezugnahme auf den Ort, zu dem sie gehören, z. B. Mehchmed Trawnikly, der Adel hingegen bedient sich neben seiner muhamedanischen (arabischen) Vornamen mit Vorliebe seiner alten slavischen Familiennamen, ja einige sollen sogar die christlichen Vornamen berühmter Vorfahren aus der Zeit vor ihrem Uebertritte zum Islam annehmen, so wenigstens sagte man mir in der Grenze. Von alt-adligen Familiennamen führt Gustav Thoemmel, ein gelehrter österreichischer Offizier, in seinem vortrefflichen Buche über Bosnien folgende an: Räjkowitj (Dshenetitj, Firdüsowitj), Bähitj, Bösnitj, Bakärowitj, Philippowitj, Ljübowitj, Ljübuntschitj, Köptschitj, Kreschöe-witj, Kulinowitj, Skörbowitj, Widaitj, Ssokollowitj, Twertko-witj, Slätarowitj, Shdrällowitj, Tschcngitj. Im Kloster zu Krisch ewo wird ein Foliant mit den Wappen der vornehmsten bosnischen Adelsfamilien, angeblich Copien des alten Wappen- buches aus der Zeit des bosnischen Königreichs, verwahrt. Omer Pascha soll bei seinem Aufräumen in Bosnien eine Menge alter Adelsdiplome und andere auf die bosnische Aristokratie Bezug nehmender Urkunden zerstört haben, doch befinden sich jedenfalls noch viele historisch und bibliologisch werthvolle Pergamente im Besitze der adligen und christlichen Körperschaften, worauf ich Fachmänner aufmerksam machen will, obwohl man ihnen beim Suchen mit dem grössten Misstrauen begegnen wird. Wie weit das Verheimlichen geht, mag daraus erhellen, dass die Mönche eines gewissen katholischen Klosters ein Lager ausgezeichneten bosnischen Marmors wissen sollen, diese Kenntniss jedoch nicht benutzen, um die Türken nicht auf die Fährte ihres Schatzes zu führen, sondern die Ausbeutung auf die doch einmal eintretende Befreiung des Landes verschieben — die Kirche verglast nicht und kann warten. Am Freitag Morgen miethete ich mit Hülfe des Buchbinders Jöwan Wükowitj, eines Belgraders, der in Deutschland fliessend deutsch gelernt, ein Pferd, wobei ich Gelegenheit hatte, in den Hausstand eines Türken einzudringen. Der alte hübsche Bursche war so strenggläubig, dass er nicht einmal Bier trinken wollte, und obwohl er mehr watschelte als ging, noch so eifersüchtig, dass er alles aufbot, mich von seinem Hause fernzuhalten. Ich bestand aber darauf, das Pferd, welches ich miethen wollte, erst zu sehen, und gab ihm 1000 Schritte vor, damit er Zeit behielte, alle weiblichen Wesen seines Harems vor mir und mich vor ihnen in Sicherheit zu bringen, was er mit solcher Gründlichkeit that, dass ich nur ein paar niedliche Mädchen, seine jüngsten Kinder, vorfand, die im Hofraum und Garten spielten. Der Alto beschäftigte sich mit Salpeterkochen, was sehr einfach ging, indem er die salpeterhaltige Erde, deren Fundort er mir nicht sagen wollte, der jedoch nicht fern sein konnte, in einen grossen Kessel mit Wasser warf, der auf einem Feuer brodelte; der Salpeter steigt dann hoch und schwimmt nach Erkalten des Wassers als weisse Decke auf demsel- bcn. Er betheuerte mir übrigens, nie zwei Frauen zu gleicher Zeit gehabt zu haben, doch hätte er nunmehr die zweite Gattin. Eigamie dürfte überhaupt unter den Bosniaken gar nicht vorkommen, auch nicht unter den Adligen, denn diese haben »Familie«, die sonst den Türken fehlt. Für sein Pferd liess er sich 78 Piaster Miethe zahlen und musste ich mich ausserdem verpflichten, dem Thiere vor dem Abreiten für zwei Piaster Hafer geben zu lassen, machte 80 Piastor, und da ich ausserdem an Jowan Wükowitj 12 Piaster für seine Bemühungen gab, kostote mir dieses Beförderungsmittel 92 Piaster, also 32 mehr als das von Priedor nach Banjalüka, doch war dasselbe auch besser als jenes und der Sattel erträglicher, wenigstens waren die Steighügelriemen keine Stricke und Hessen sich länger schnallen, obwohl nicht so lang, wie ich wohl gewünscht hätte. Der alte Beitasch hatte mir für 2 Piaster ein rundes deutsches Boggenbrod besorgt, das ich zerschnitten und in Papier gewickelt in meine Docke einrollte, die als Mantelsack diente; es hatte wohl einen Fuss Durchmesser und drei Zoll Dicke. Nachdem alles besorgt war, verabschiedete ich mich von meinen neuen Bekannten und ritt, vom schönsten Wetter begünstigt, davon, diesmal den Kopf mit meinem Hute geschützt. Beim Pascha musste ich noch einmal vorsprechen, um mir von ihm die Vergünstigung zu erbitten, dass mich Ibro bis Träwnik begleite, andernfalls hätte ich in Skender-Wäkuf einen anderen Saptie bekommen, was nicht in meinem Interesse lag, da diese begabten Naturkinder sehnoll die Mucken und Eigenheiten des Fremdem ausstudiren, und man deshalb mit möglichst wenigen von ihnen, aber mit diesen recht lange in Verbindung1 bleiben muss, um etwas behaglicher zu reisen und nicht selber zu wiederholten Charakterstudien gezwungen zu sein. Ausserdem spart man dadurch viel Geld, indem der Saptie' das gemiethete Pferd nach Abkommen mit dem Vermiether wieder zurückbringt, was er nicht könnte, wenn er sich schon vor Erreichung des Zieles empfehlen müsste, in welchem Falle man, wie bei der Post, noch ein zweites Pferd und einen Begleiter dazu miethen müsste. Meine Bitte wurde in der zuvorkommendsten Weise gewährt, weil ich dem Herrn Aly Rysa Pascha ein so lieber Freund wäre, sonst sei eine so weite Abkommandirung der Saptie's nicht gebräuchlich. Die Strecke von Banjalüka über Ske'nder - Wäkuf nach Träwnik ist eine der beschwerlichsten aber schönsten dieses wunderbar schönen Landes und wurde von mir gewählt, weil sie von neueren Beisenden nicht besucht worden ist. Die Beschwerden begannen gleich nach dem Ueberschreiten der Wer-bäss-Brücke, woselbst der Fluss die von Roschkjewitsch nicht angegebene scharfe Biegung nach Osten macht und unmittelbar dabei ein zum Theil abgesprengter F'elsen das liebliche Stadtbild nach Norden abschliesst. Von dort an zog sich wohl eine Stunde weit ein sogenanntes Kälderma hin (vom türkischen Kaldyrym), das ist ein 4—5 Fuss breites, ein wenig gewölbtes Strassenpflaster aus älterer Zeit, aber wohl schwerlich römischen Ursprungs, denn die benutzten Feldsteine sind niemals behauen, sondern in ihrer natürlichen Gestalt an einander gepaust, die ganze Anlage ist auch selbst da, wo sie noch gut erhalten ist, das schlimmste Reisohindemiss, was man sich denken kann und wird von den Pferden nur mit grösster Aengst-lichkeit betreten, wenn man sie dazu zwingt, lässt man ihnen jedoch freien Willen, dann betreten sie es nicht und klettern lieher in der gleichfalls halsbrechenden schmalen Rinne entlang, die zu beiden Seiten das Regenwasser ausgewaschen hat und woselbst faulende Baumstämme, abgebrochene Zweige, lose liegende Steine und tiefe Löcher abwechseln; Rinne oder Kälderma muss man wählen, denn wo sich letzteres findet, ist der Weg" immer ganz eng und von steilen Wänden oder jähen Abhängen begrenzt, die kein Ausweichen gestatten. Das, von der Bänjalükaer Brücke an gerechnet, 2 Reitoder \r\2 Weg-Stunden lange Werbässthal ist von einer lieblichen Schönheit, links erheben sich die Höhen des Ponir, rechts diejenigen der Kükawitza und zwischen beiden braust der 2—300 Schritte breite, aber seichte Werbäss dahin, nur einen schmalen Pfad zu beiden Seiten zwischen sich und den Bergen lassend, indem er in beständigen Windungen ost- und südwärts (oder west- und nordwärts, wenn man seinem Laufe folgte) strömt, wie ihm die Höhen dies vorschreiben. Die letzteren tragen einen dichten grünen Schmuck von Gestrüppholz aus Haseln, Rüstern, wilden Rosen, Maulbeeren, Judaskirschen, wilden Birnen und wilden Kirschen. Beide sind 3—400 Fuss relativ hoch und diejenigen des Ponir streichen fächerförmig von West nach Ost oder Südost, die der Kükawitza hingegen von Süd nach Nord oder Nordost, unmittelbar beim Flusse hängen sie jedoch wandartig zusammen und lassen keinen Einschnitt oder Wasserlauf sehen; ihre Thälerhildung verräth sich bei der Kükawitza schon bei Banjalüka und beim Ponir erst im Kärandwa-Thalc, in dessen Nähe sich der Ponir um einige hundert Fuss senkt, die Kükawitza hingegen um ebensoviel steigt, während die Felsen von beiden dichter an den Fluss heran, dann aber beiderseits zurücktreten und das eine Viertelmeile breite Thal sichtbar werden lassen. In demselben liegt links und zum Theil nach rückwärts das zerstreut gehaute Christendorf Kärandwa, von dem man einige Hütten und Aecker sieht, welche letzteren bei meinem Passiren grade von den Leuten unter lautem Antreiben der Ochsen gepflügt wurden. Einige der Pflüge lagen am Wege und ich sah, dass nicht ein Stückchen Eisen an ihnen war; während ich sie betrachtete, sahen mir drei Bajahs unter dem Laube hockend zu — die ersten Menschen, welche ich seit dem Passiren der Bänjalükaer Brücke gesehen — und fragten mich schliesslich, was ich sähe. Sie mögen innerlich über den Franken gelacht haben, 'der noch nicht einmal einen Pflug kannte. — Der Werbäss beschreibt in dem Thale unter scharfen Wendungen drei Seiten eines Rechtecks und nimmt zwei von Osten kommende überbrückte Bäche in sich auf, von denen der kleinere nördliche Babin-Pdtok hoisst. Den Namen des bedeutenderen südlichen erfuhr ich nicht, weil ich denselben vom Han aus nicht bemerkt hatte, indem sein Bett in einer 7—10 Fuss tiefen Terrainfalte strömte und ich beim Passiren meine Aufmerksamkeit zu anderen Dingen höchst nöthig brauchte, ein nachträgliches Fragen auch zu keinem Resultat führte. Etwa in der Mitte zwischen beiden Bächen liegt eine Mühle mit Schaufelrad und mehr vom Flusse ab ein stattlicher Han mit davor befindlichem Kjöschk, in den wir einkehrten, um Kaffee zu trinken und einen Theil meines Proviants zu verzehren. Zigeuner hatten unfern von uns ihr Zelt aufgeschlagen und eine junge Frau mit einem Kinde auf dem Arm, beide eher weiss als gebräunt, kam näher und betrachtete mich eine Weile zweideutig lächelnd, dann ging sie langsam fort. Auf dem jenseitigen Ufer, vom Flusse an drei Seiten umspannt, lag die Düwi-Pölje. (Pdlje oder Feld nennen die Bosniaken jode Ebene und auch jede sanft, wenn auch zu grosser Höhe emporsteigende Bergseite, wenn sie beackerbar ist.) Der Werbäss hat sich im Südwesten des Thaies gewaltsam einen Durchbruch machen müssen, der, zwischen fast senkrechten Kalkfolsen, nur einen ganz schmalen Pfad zu beiden Seiten lassend, von West nach Ost streicht und einen imposanten Anblick gewährt. Von der Jahrtausende langen Arbeit des Wassers sah ich auch Spuren auf der ersten Strecke meines Weges noch im Bereiche der Vorstadthäuser Bänjalüka's; dort hatte das nagende Element die Felsplatto, auf der Friedhöfe °der Aecker lagen, oft bis acht Fuss in horizontaler Richtung unterwühlt und ausgewaschen, wahrscheinlich zu einer Zeit, da der Fluss durch Vertiefung seines Bettes eben von der Felsplatte herabgesunken war (die er früher augenscheinlich eben- falls überströmt haben muss) und sein jetziges Bett noch nicht erreicht hatte. Um 6 Uhr türkischer Zeit, nach der ich nunmehr immer rechnete, brachen wir vom Han auf, erreichten nach 5 Minuten den südlichen Bach, tränkten unsere Pferde und ritten neben der aus Balken und Sparren gebildeten Brücke durch das Wasser, wobei ich einen heftigen Kampf mit aufdringlichen Viehfliegen zu bestehen hatte, deren Erscheinen übrigens dem Wanderer stets die Nähe eines Ortes oder einer Heerde ver-räth, wenn er sich in der Wildniss befindet. Drei wandernde Türken traten wie hervorgezaubert hinter dem Felsen hervor und ich glaubte erst, auch ich müsste ihren Pfad einschlagen (der jedoch nach Jäitze führt), der vorausreitende Ibro kletterte indessen den Felsen schon auf einer Stelle hinan, die mir gar nicht wie ein Weg geschienen hatte. Derselbe muss — vielleicht schon zur Bömerzcit — künstlich durch den Stein gebrochen worden sein und erschien mir als das Schlimmste, was ich bisher hinsichtlich der Strassen in Bosnien erlebt hatte, bildete aber nur einen Vorgeschmack dessen, was noch kommen sollte, und schliesslich von mir kaum mehr beachtet wurde, so sehr gewöhnt man sich an alles. Er hatte auf den ersten hundert Fuss Steigung über 50 Grad Böschung, später weniger, und die Kalkfelsschichten lagen überall wie die Seiten eines aufgeblätterten Buches zu Tage, bildeten durch die Verwitterung alle möglichen Formen, besonders die von spitzen Kegeln und zwangen das Pferd buchstäblich zu klettern, wobei mir oft seine Hinterbeine gegen die Steigbügel schlugen, dazu beschrieb der Weg fortwährend enge und scharfe Windungen. Die Aussicht war entzückend, denn bald sah ich unter mir den Werbäss, bald den zuletzt passirten Bach, die spitzig emporstrebenden Hügel waren bis oben heran mit Laubholz bewachsen, dessen verschiedene Färbung und Kronenbildung ein wundervolles Farbenspiel erzeugte, häufig unterbrochen durch den blendend weiss hervorschimmernden Felsen; steile Abgründe von mehreren hundert Fuss Tiefe hafte ich anfangs abwechselnd zur Rechten und zur Linken, weiter aufwärts nur links; stattliche Euchen, die ersten grossen Bäume, die ich in Bosnien sah, bedeckten die Gipfel und Abhänge, soweit nicht der marmorartige Kalk hervortrat oder die Steilheit der Wände den Pflanzenwuchs verhinderte; die Felsgebilde des Pfades hatten die abenteuerlichsten Formen, die sich eine kühne Phantasie nur denken kann. Bald hätte ich den Genuas all dieser Herrlichkeiten mit einem mehr oder minder schlimmen Unglück bezahlt, denn als wir etwa 500 Fuss hoch emporgeklettert waren und eben einen tiefen Abgrund passirt hatten, fühlte ich plötzlich, dass ich auf meinem Pferde keinen Halt mehr hatte und wie ich auch die Knie andrückte, ich musste herunter, ehe ich Zeit gewann, abzusteigen; der Sattelgurt hatte sich nämlich gelöst und der Sattel rutschte mit mir herab. Hätte ich nicht in der einen Hand den Tschibuk und in der andern das Fernrohr gehalten, dann wäre ich wohl auf die Beine gekommen, so indessen blieb ich mit einem Fusse in dem schuhartigen Steigbügel hängen, fiel indessen glücklich. Ibro, dem ich zurief, sprang- ab und kam eilends zurück, befreite mich aus meiner Fussschlinge und schnallte den Sattel wieder auf, worauf wir weiter klimmten. Nach etwa einstündigem Klettern erreichton wir das Plateau Ljübat-schewwo-Pölje, welches rechts (westlich) von einem 600—800 Fuss hohen Grath, der Ljübatsche'wwo-Planinä, begränzt wurde, die auf ihrem steilen Abhänge das gleichnamige Dorf trug, durch dessen Aecker wir theilweise ritten, wVücü wir auch einen kleinen Friedhof passirten. Links (östlich) schien die Polje sich in ein Thal zu senken, aus dem dann die Höhen der Lipowatz-Planinä emporstiegen, die erst hinter Käranowa beginnt. Etwas schräg zu ihr, weiter südlich, thürmten sich die Massen der Gömeritza - Planinä auf, deren Umrisse ich jedoch wegen des Gewitterschauers, der auf ihnen tobte, nicht mit der Genauigkeit, die zum Zeichnen nöthig ist, erkennen konnte. Die Ljübatschewwo war mit Buchen bewachsen, unter deren den Grata bedockenden Kronen der blaue Himmel durchschien, woraus folgte, dass der jenseitige Abhang ungemein steil und kahl zum Werbäss abfallen muss. Auf der Pdlje wehte eine frischere Luft, auch war das Getreide noch weiter zurück, wie im Tieflandc. Merkwürdig sind die trichterförmigen Einsonkun-gen des Felsbodens, welche ich auf ihr in der Nähe des Aufsteiges bemerkte; dieselben sind 30—100 Fuss tief, oft bis zum tiefsten Punkte völlig kahl, oft vollständig mit Buchen bewachsen; nie enthielten sie eine Wasseransammlung. Her Kalk ist auf der Pdlje zu einem lehmigen Erdreich verwittert, das aber nicht besonders mächtig zu sein scheint, wenigstens nicht überall. Nach Süden senkte sich die Pdlje und der Weg stieg dann nach etwa| einstündigem Bitte in die krause Hügellandschaft der Ossewo-Planinä empor, auf der ich sehr häufig stattliche Exemplare der Weichselkirsche, Küster, Buche, wilden Birne und Wallnuss vereinzelt oder in kleinen Gruppen wahrnahm; der Haselstrauch fehlte natürlich nirgends. Das Erdreich der Ossewo (ossewo) ist schwerer, mächtiger Lehmboden, Fels war nicht sichtbar und der Weg auf den Hügeln war durch die Arbeit des Regenwassers und den Tritt der Packpferde zu lauter Stufen ausgearbeitet, die man beim Reiten nothgedrungen beachten muss. Diese Erscheinung ist übrigens nicht selten in Bosnien. Die Ossewo, welche quer vor mir lag, hat ihre grössten Höhen ebenfalls im Westen und senkt sich nach Osten all-mälig zur Gomeritza; sie ist sehr fruchtbar. Etwa ein Dutzend Packpfordchon mit ihren Treibern begegneten uns auf ihr und ein roth beturbanter Türke holte uns ein, verschwand aber bald wieder. Um 8 Uhr gewahrte ich südlich ein dominirendes Gebirge, die Tissowatz-Planinä, die ich zweimal abzeichnete. Um 8*Uhr erreichten wir das Plateau der Ossewo und um 9 Uhr den im Bau begriffenen Han von Jawdra, im Hügellande malerisch auf einer Höhe gelegen. Aecker hatte ich häufig gesehen, aber seit Ljubatschewwo kein Haus, auch beim Han gewahrte ich nichts von einem Dorfe. Dieser Han hat eine herr- liehe Lage und er verspricht einer der prächtigsten des Landes zu werden, denn schon sein erstes Stockwerk besteht aus Bruchsteinen und zählte 9 bei 4 Fenster. Wohlbewaffnete Türken mauerten daran und Rajahs trieben mit lautem Geschrei ihre Büffel und Ochsen an, die auf den kreischenden Arabä's Wasser, Balken und Bohlen herbeischleppten. Für etwas Tabak und viele gute Worte erhielten wir von den Kalklöschern ein wenig Trinkwasser zur Löschung unseres Durstes, denn wir hatten seit Käranöwa keine Quelle gesehen und sahen auch keine bis zur Erreichung des Nachtquartiers, doch müssen solche abseits vom Wege wohl vorhanden gewesen sein. Der Jawöra-Han liegt 10 Minuten vom Fusse der herrlichen Tissowatz, von ihr nur durch ein tiefes, schmales Thal getrennt, das von Ost nach West streicht. Unter der wohl 1200 Fuss relativ hohen Kuppe dieses nach Süden streichenden Gebirges lagerten leichte Wolken ; der ziemlich steil emporsteigende Pass liegt an ihrem östlichen Abfall in einem Sattel und führte durch einen förmlichen Wald von weisshlühendenHollunderhüschen, deren köstlichen Duft ich schon eine halbe Stunde weit gerochen hatte; stattliche Buchen krönten das Gebirge und stiegen bis an den Weg herab. Um V2IO Uhr erreichte ich das Plateau und hatte die erste Fernsicht nach Süden, ein liebliches Bild friedlicher Stille, denn keine Hütte, kein Stück Vieh war zu sehen und seihst die Wälder zur Rechten schwiegen, als ob nicht einmal ein Vögelchen in ihnen vorhanden. Die Pdlje der Tissowatz hat einen alpenartigen Charakter, ist mit niedrigem schlechten Grase bewachsen und zeigte wie die der Ljübatschewwo viele Einsenkungen, nur waren dieselben nicht so tief wie dort, auch sämmtlich kahl, eine war jedoch mit lehmigem Wasser gefüllt. Zur Linken hatte ich in einiger Entfernung 1—200 Fuss hohe sanft ansteigende Hügel, zur Rechten lagerten die dunklen Massen des Gebirges, nunmehr etwa 4—500 Fuss relativ hoch erscheinend. Um 101\% Uhr unterschied ich rechts von mir einen nach Nordwest streichenden Seitenzweig des Gebirges und 28G es scliien mir, als ob bei seinem Knoten- oder Ursprungspunkt ein Dorf liegen müsse, obwohl ich keine Hütten sah, doch mussten einzelne Flächen, nach ihrer Schattirung zu schliessen, Aecker sein; es erschienen auch bald darauf zerstreut weidende Kinder- und geschlossen grasende Schafherden; eine Leiter stand an einen der Telegraphenpfühle gelehnt, in solcher Einsamkeit eine auffällige Erscheinung. Um 11 Uhr Überritten wir eine kleine Terrainsteigung und gleich darauf sah ich dicht vor mir einen Hau, der nach Aussago des Wirthes zur Gemeinde Ratschatsch gehört, deren Dorf ich erst am andern Tage sehen sollte. Eine Anzahl Packpferdchen weidete in einer Umzäunung bei dem zweistöckigen Gebäude, das noch einige Schuppen, ein Zeichen des Wohlstandes des Besitzers, neben sich hatte. Wir stiegen ab und Ibro ging in das Haus, während ich mich auf den Rasen legte, mit dem A^orsatze, den Hau nicht zu betreten, sondern im Freien zu übernachten, um Schlaf zu bekommen. Ein Diener brachte mir Katfee und während ich denselben trank, gewahrte ich auf dem kjöschkartigen Vrorhau des Hans eine europäische Mütze hinter der Balustrade und gleich darauf kam Ibro mit der Meldung, dass oben Leute seien wie ich. Es war mir zwar sehr befremdend, dass die Betreffenden gar keine Notiz von mir genommen und sich nicht einmal gezeigt hatten, doch nahm ich an, dass sie Engländer sein müssten, denen man bekanntlich eine derartige Steifheit verbunden mit vollständigem Mangel an Neugier verzeiht, ich genirte mich auch meinerseits vor den Türken, von jenen Europäern gar keine Notiz zu nehmen, deshalb stand ich auf, um mir die Leute anzusehen. Als ich mich von innen dem Kjöschk näherte, um hineinzusteigen (denn derselbe war von dem Gastzimmer durch eine Schranke und aufgeschlagene Klappen getrennt), warfen sich mir ein halbes Dutzend Türken entgegen, um mich daran zu verhindern, doch schob ich sie mit den Ellenbogen bei Seite und Ibro rief ihnen gebieterisch zu, mir Platz zu machen: eine Stimme aus dem Kjöschk sprach denselben Wunsch aus und nun sah ich vor mir zwei Gestalten, von denen die eine, welche das Haupt mit einem Fess bedeckt hatte, auf einer Matratze lag, während die andere, welche mir die europäische Mütze gezeigt, auf einem Koffer sass; jeder hatte eine geladene Hoppelbüchse und Kevolver neben sich und keiner von beiden grüsste in europäischer oder türkisch anständiger Weise, doch lud mich der Fessträger mit einigen türkischen Worten ein, naher zu treten. Dass ich hier weder mit Engländern noch mit Türken zu thun hatte, sah ich sofort, deshalb fragte ich den Einladenden schlichtweg auf deutsch, was er denn eigentlich für ein Landsmann sei. Er erwiderte in derselben Sprache, er wäre ein Türke. Ich erlaubte mir, dies zu bezweifeln, da nur ein Deutscher in einer Weise wie er deutsch sprechen könne, seine Manieren auch den Nicht-türken verriethen, ich könne daher nur glauben, dass er ein türkischer Unterthan, von Geburt aber ein Deutscher wäre. Er blieb jedoch dabei, er wäre ein Türke und verschwieg' hartnäckig seine Nationalität; übrigens fragte er mich sofort nach meinem Berufe, ohne mir den seinigen genannt zu halten, deshalb antwortete ich scherzend, ich sei eigentlich gar nichts, doch könne er mich für einen Schriftsteller halten, der zu seiner Belehrung reise. Obwohl das Zusammentreffen mit diesem Herrn und seinem Factotum, einem steirischen Bergmanne, für mich höchst interessant und belehrend war, will ich doch den Leser mit der vollständigen Wiedergabe unserer Unterhaltung verschonen und nur in möglichster Kürze einiges darüber berichten, weil ich glaube, dass dieses wieder die alte Wahrheit bestätigt, man muss im fremden Lande am allervorsichtigsten und zurückhaltendsten denen gegenüber sein, welche uns scheinbar oder wirklich als Landes- und Standesgeuossen am allernächsten stehen. Ich fühlte bald heraus, dass ich mit keinem Gentleman zu thun hatte, trotz der eleganten Sprache, weshalb ich zunächst seine wiederholt und dringend gestellte Aufforderung, an seinem bald nach meinem Eintreffen vorgesetzten splendiden Nachtmahle theil zunehmen, ablehnte, was. ich, um ihn nicht zu beleidigen, damit motivirte, dass ich mich noch nicht an die bosnischen Fleischspeisen gewöhnt hätte,, weshalb ich gekochte Eier bestellte, die ich nebst mitgebrachtem Brod und dem Beste dessen verzehrte, was ich der gütigen Fürsorge der Frau meines Bänjalükaer Gastfreundes verdankte. Dem Saptie liess ich ein landesübliches Abendbrod verabfolgen. Ich zog auch meinen erst ausgesprochenen Wunsch zurück, mit ihm auf dem Boden des Kjöschk zu logiren, den er hoch mit frischem Farrnkraut als Mittel gegen das Ungeziefer hatte bestreuen lassen, und verbrachte lieher eine schlaflose und qualvolle Nacht auf einer Bank innerhalb des Hans.. Am andern Morgen, vor dem beiderseitigen Aufbruche, wünschte er meinen Namen zu wissen, doch lehnte ich dessen Nennung unter dem Vorwande ab, keine Karte zu besitzen; dies schreckte ihn jedoch nicht zurück, denn er wollte sich meinen Namen aufschreiben; darauf erklärte ich unumwunden, dass ich einen türkischen Han an der Landstrasse nicht für den geeigneten Ort zur gegenseitigen Vorstellung hielte, was er so ruhig aufnahm, dass ich fast betroffen darüber wurde. Ich sprach übrigens die Hoffnung aus, dass wir uns bald an passenderem Orte, begegnen würden. Der gute Mann schimpfte weidlich auf alle Consuln und besonders auf den meinigon, als ich jedoch, dadurch provozirt, für die Herren eintrat, lenkte er behutsam ein. Er gab sich für einen Arzt aus und liess sich von den Türken »Doctor« nennen, erklärte aber, nur noch Armen Kath und Medizin unentgeltlich zu verabfolgen, jetzt beschäftige er sich ausschliesslich und zwar aus Liebhaberei mit der Steinkunde, doch hätte er nur diejenige Bosniens im Kopfe, die der anderen Länder wäre ihm fremd. Letzteres erregte natürlich meine grösste Verwunderung, doch ersah ich aus dem weiteren Gespräche, dass er auf dem Gebiete der Sternkunde ein vollkommener Ignorant und nicht einmal im Stande war, mir ein Stück Kalkstein zu klassificiren, das ich an der Stelle meines Sattelfalles abgeschlagen hatte, um es Dr. Blau zu zeigen, denn ich glaubte in jener Gegend weissen Marmor gesehen zu haben. Mich ärgert nur, dass ich dem Herrn »Doctor« von der Eisperiode, von Findlingsblöcken, dinarischem und graubündner Kalk, vulkanischer und neptunischer Thätigkeit erzählt habe, alles Dinge, die ihm nicht einmal dem Namen nach bekannt waren, wie er trotz seines Dreheus und Wendens verrieth, und doch bekleidete dieser Mann — unglaublich zu hören — die Stelle eines Directors sämmtlicher bosnischen Minen! Letzteres hatte er mir wohlweislich verschwiegen, doch erfuhr ich dies und noch mehr in Sarajewo, woselbst ich meine Begegnung mittheilte und allgemeines Lob dafür erntete, dass ich den Mann nicht hlos richtig erkannt, sondern auch entsprechend behandelt hatte, denn beiläufig gesagt, würdigt ihn keiner der dortigen Europäer seines Umgangs. Seine Carriere kann übrigens als der Typus derjenigen der meisten Fremden seiner Art im türkischen Dienste gelten und dürfte für diejenigen lehrreich sein, welche entweder das Heil des osmanischen Reiches im Heranziehen von Europäern sehen oder sich darüber wundern, dass trotz des häufigen Eintritts derselben in den türkischen Dienst das Reich doch nicht auf einen grünen Zweig zu kommen vermag, ja eher noch zurückkommt und die deshalb alle Hoffnung auf Regeneration desselben aufgeben. Die Sache liegt aber ganz einfach so: Mit theilweiser Ausnahme des türkischen Heerwesens glückt es gediegenen Europäern nur sehr selten, überhaupt in den osmanischen Dienst zu gelangen oder sich in demselben zu behaupten, denn die türkische Politik und Regierungsmaxime, ja das Lehen der Beamten und aller ünterthanen selbst ist weiter nichts als das Leben von einem Tage zum andern; nie und nirgends wird auf die Zukunft Bedacht genommen, es kann auch nicht darauf Bedacht genommen werden, weil zu allen Verbesserungen Geld oder Verzichten auf momentanen Gewinn gehört. Ersteres ist selten 19 vorhanden und zu Letzterem kann man sich nicht entschliossen. Kommt nun ein gediegener Mann aus der Fremde und sagt den Türken, ich will eurem Staate, z. B. durch Anlegung eines Bergwerks, eine jährliche Einnahmequelle von 100,000 Piastern scharten, doch müsst ihr zum Erschliessen derselben eine Million hineinstecken, dann stellt man ihn entweder gar nicht an oder horcht ihn im günstigsten Falle aus, schiebt ihn bei Seite und stellt einen unwissenden Charlatan an, dor es auch ohne die Million zu thun verspricht, aber in der Sache gar nichts weiter thut, sondern nur sein Gehalt einstreicht, Geschenke davon giebt, Spionendienste leistet, den Machthabern schmeichelt, untergeordneten Leuten gegen tüchtige Geschenke Anstellungen in anderen Zweigen verspricht oder verschafft, im Uebrigen aber sich wohl hütet, in der Sache, für welche er Gehalt bezieht, das Geringste zu thun oder gar seinen Oberen mit Geldanliegen wegen Ausführung derselben zu kommen und der vor allen Dingen die Landessprache zu handhaben versteht. So geht es selbst in solchen Dingen, bei denen von einem Gewinn überhaupt oder von einer directen Einnahme nie die Bede ist, z. B. bei Häuser-, Brücken- und Wegebauten. Zu erstoren werden oft wirkliche Techniker engagirt, sie machen ihren Anschlag, beginnen den Bau, gehen dann freiwillig ab oder werden entlassen, weil sie mit den Arbeitern nicht fertig werden, ihre Bauweise denselben schlechterdings nicht einleuchtet, die nöthigen Zahlungen und Materialien ausbleiben und irgend ein der Verhältnisse und Sprache kundiger, aber untergeordneter Mensch den Türken weiss macht, die Sache für den vierten Theil des Kostenanschlages herzustellen und dann wirklich herstellt, wie die grosse Kaserne zu Sarajewo, welche, kaum vollendet, schon den Einsturz droht, oder wie den neuen Konäk des Wäly, dessen Rohbau ich für solide hielt, weil er wenigstens mit gebrannten Steinen statt aus blossen Luftziegeln aufgeführt war, dessen Gewölbe jedoch wenige Wochen nach meiner Abreise einstürzten. Die neuen Chausse'en sind schon wieder in. der Auflösung begriffen, eben vollendete Brücken waren so unsicher, dass wir neben denselben lieber durch das Wasser ritten oder fuhren, als uns denselben anzuvertrauen. — Statt selber Bergwerke anzulegen, verpachtet man lieber das Becht zu der Ausbeutung sämmtlicher mineralischen Schätze einer ganzen Provinz auf 99 Jahre an fremde Gesellschaften gegen eine geringfügige jährliche Pacht und verkauft sofort die letztere auf den ganzen Zeitraum hinaus an einheimische Wucher-banquiers gegen einmalige Erlegung einer unverhältnissmässig kleinen Summe, mit der man dann irgend ein dräuendes Loch in den Finanzen zustopft) z. B. fällige Zinszahlung für andere Schulden) oder unnütze Ausgaben bestreitet. Wenn nicht ein auf den künftigen Besitz der betreffenden Provinz speculirender Staat hinter der pachtenden Gesellschaft steht (was meist der Pall sein dürfte), macht diese schlechte oder gar keine Geschäfte, denn die eingeborenen Kräfte sind zwar scheinbar spottwohlfeil, aber zu rationellem Bergbau kaum verwendbar, überdies können die zu fordernden Producte nicht mit den in Culturländern gewonnenen im Preise concurriren, weil es an den nöthigen Verkehrsmitteln fehlt, die, im Interesse fremder Gesellschaften herzustellen, die Türken weder Lust noch Mittel haben. Eins der schlimmsten Hindernisse tüchtiger Fremder, die sich in der Türkei einen ihnen sowohl als den Türken vor-theilhaften Wirkungskreis suchen, ist ihr Mangel an Sprach -kenntniss, der sie vollständig in die Hände untergeordneter und dabei gewöhnlich höchst gemeiner Individuen treibt, welche sich ihm als Dolmetscher vermiethen, ihn dabei betrügen, belügen und verleumden, wo sie nur können, und wegen ihrer mangelnden Bildung gar nicht einmal im Stande sind, seine auf das Geschäft Bezug habenden Worte und Ideen den Eingeborenen zu verdolmetschen — man stelle sich doch vor, ein deutscher Professor oder Ingenieur, der des Französischen unkundig, wollte in Paris Vorträge halten und sich dazu als Dolmetsch eines Bedienten oder Kellners bedienen, der bei uns 19* deutsch gelernt hätte! Die Herren sind zu entschuldigen, denn welcher studirte Techniker oder Fachgelehrte kann wohl auf gut Glück hin sein viel angestrengtes Gehirn und seine knapp bemessene Zeit noch zum Erlernen des Türkischen, Hosnischen, Bulgarischen etc. verwenden — Sprachen, die ihm beim Fehlschlagen der Speculation gar nichts nützen! Uebrigens mögen sich auch gebildete Beisende vor den in der Türkei zu habenden Dolmetschern hüten. Was nun den in Bede stehenden »Doctor« betrifft, so war derselbe mit der ungarischen Emigration als Feldscheer in's Land gekommen und practizirte Anfangs als Arzt; seinen eigentlichen Namen hat noch Niemand erfahren, man vermuthet nur, dass er sich jetzt nach einem Esterhazy'schen Dorfe nennt; anscheinend bekennt er sich zur katholischen Beligion; wenigstens nimmt er an den jüdischen Bitualen keinen Antheil. Als die Türken vor einigen Jahren zur Ermittelung und angeblich auch zur Hebung der mineralischen Schätze Bosniens einen ausgezeichneten deutschen Geognosten und practischen Bergmann anstellten, der aber der Landessprache leider nicht hinreichend mächtig war, wurde er der Dolmetsch desselben und in dieser seiner Eigenschaft wusste er die türkischen Behörden, ja sogar die muhamedanische Bevölkerung derartig gegen un-sern arglosen Landsmann zu stimmen, dass derselbe seines Amtes enthoben ward und er, der in der Sache unwissende Dolmetsch, dasselbe erhielt und behauptete! So geht es in der Türkei zu und mit dergleichen Leuten kann man unterwegs zusammentreffen, ohne dass man genau weiss, wen man vor sich hat. Von meinen sonstigen Wirthshauserlebnissen im Bätsohatsch-Han ist noch zu melden, dass die ganze Nacht hindurch Fremde einzeln ankamen, sich nicht gleich zur Buhe begaben, sondern erst eine Stunde und länger mit dem Wirthe vor dem Ofen und dicht zu meinen Füssen schwatzten; das laute Sprechen unterliessen sie übrigens, nachdem ich ihnen angedeutet, dass mich dies störte, doch konnte ich ihnen das Rauchen eines erstickenden Kanasters nicht verwehren. Unter den Gästen befand sich auch der Inhaber der Leiter, die ich an einein Pfahle gesehen, ein bildschöner, geputzter Bengel, der das Amt eines spazieren gehenden Aufsehers der Telegraphenleitung bekleidete und entzückt war, als ich ihn »Telegraphist« nannte; er wiederholte das Wort mehrere Male und wird sich wohl fortan stets als Telegraphist bezeichnet haben. Grosses Interesse erweckte bei allen Anwesenden der werthlose Stein, den ich dem »Doctor« zum Klassificiren übergeben, und begierig nahm ihn jeder in die Hand, um ihn von allen Seiten zu besehen; als er wieder zu mir gelangte, warf ich ihn fort, um die Leute nicht in den Wahn zu setzen, er sei eine Kostbarkeit und ich spüre nach Schätzen im Lande umher. Spasshaft war mir das veränderte Benehmen der Leute, nachdem ich ein Weilchen im Han gewesen. Keiner derselben gehörte zu dem Minen-Director, der ohne Saptie reiste, aber alle gerirten sich als seine Diener, wie es Türkenart ist, wenn sie mit einem vermeintlich grossen Thier in Berührung kommen, und für ein solches nmssten sie den Director wohl in Folge seines scheinbar vornehmen Auftretens und des Entgegenkommens des Wirthes gehalten haben, der ihm angeblich 1100 Piaster schuldete. Wahrscheinlich hatte ihnen Ibro über mich Mittheilungen gemacht, die sie auf die Vermuthung brachten, ich hätte als Freund von Consuln und Pascha's doch etwas mehr zu bedeuten wie jener, denn dieselben Leute, welche sich unberufener Wreise gedrungen gefühlt hütten mich von der Annäherung an jene Herren zurückzuhalten, ignorirten diese bald gänzlich und wandten alle Aufmerksamkeit mir zu. — Für Ibro's Abendessen, 8 gekochte Eier, 8 Schälchen Kaffee, unser Nachtlager und Futter für die Pferde hatte ich 8 Piaster zu erlegen. Um ftJ/4 Uhr türkisch (5^4 Uhr) brachen wir am Morgen dos Sonnabend auf und gelangten sogleich in eine schöne Waldlandschaft aus hohen Buchen, unter denen sich viel Wach- holdersträuchcr und schüchtern einzelne junge Tannen zeigten; Quellen und Rinnsale rieselten überall, doch war der Weg ungemein schwierig, wenn man überhaupt von einem Wege sprechen kann. Aus diesem lichten Walde gelangten wir bald auf herrliche Almen, rings umsäumt von stattlichen Buchen und schmächtigen Tannen, auch wurde nunmehr der Weg besser. Tannen hatte ich übrigens schon am vorhergehenden Abend kurz vor dem Han auf den Kämmen der hohen Hügel rechts bemerkt, die ersten in Bosnien, doch wurde die Freude, welche ich über den Anblick der alten Bekannten empfand, etwas durch den Zweifel gedämpft, ob ich auch richtig gesehen habe; im Wirthshause jedoch wurde die Richtigkeit meiner Beobachtung bestätigt und mir zugleich erklärt, dass das ganze Gebirge nach einem Nadelgewächs, nämlich nach dem Eibenbaum (tissowina), den Namen habe. Nach etwa 3/4stündigem Bitte langten wir bei einem nach Westen strömenden Bache an und jenseits desselben befanden wir uns im Dorfe Rätschatsch. Dasselbe scheint nur von Christen bewohnt zu sein und ist so gross und weitläufig, dass seine inmitten der Aecker theils auf Hügeln, theils in der Ebene zerstreut liegenden elenden Hütten mir über eine Stunde lang sichtbar blieben, indem, je weiter ich vordrang, immer neue Wohnstätten vor mir auftauchten oder seitwärts enthüllt wurden. Wüthende Schäferhunde nahmen uns gleich beim Bache in Empfang und verfolgten uns mit wahrer Tollheit so lange, bis ein Bajah, der einzige Mensch, der uns bis Skender-Wäkuf aufstiess, auf Ibro's Geheiss sie abrief. Auf den Feldern des Dorfes hatte ich ein interessantes, noch nie zuvor gesehenes Schauspiel, nämlich eine Versammlung von mehr als 30 Stück Geiern. Es waren riesige, dunkelbraune Vögel, wohl 4 Fuss hoch und 9 Fuss beim Fliegen klafternd; einige sahen wahrhaft gespenstisch aus, indem sie ihre gewaltigen Flügel beim Sitzen ausgebreitet hatten, doch so, dass die Spitzen derselben sich auf den Boden stützten; wahrscheinlich wollten sie sich in dieser Weise sonnen, denn sie kehrten sich der noch nicht lange aufgegangenen Sonne zu und der Morgen war kühl, wie es auch die Abende und noch empfindlicher die Nächte in diesem südlichen Lande sind. Elstern spazierten ganz unbefangen in dieser Versammlung gefiederter Riesen umher, oft so dicht hei denselben vorbeihüpfend, dass sie innerhalb des Bereiches ihres gewaltigen Schnabels waren, ja eine Lerche, die ein Weilchen bei ihnen gesessen haben musste, stieg jubilirend aus dem Haufen in die Lüfte empor, auch bemerkte ich, dass eine Elster dicht unter einem herbcifliegenden Geier hinflatterte, ohne ihre eingeschlagene Richtung zu ändern. Hie Gruppen der Riesenvögel waren kaum 100 Schritte von uns entfernt, nahmen jedoch nicht die geringste Notiz von uns, diejenigen der Vögel, welche uns den Rücken kehrten, wandten nicht einmal das Haupt nach uns um. Einige Geier, welche entfernter von der allgemeinen Versammlung auf den mit keimendem Roggen bestandenen Feldern hockten, wurden von den wüthenden Hunden angefallen, setzten sich jedoch nicht zur Wehr, sondern . schwangen sich, sobald die Vierfüssler dicht heran waren, grade so hoch empor, dass sie von diesen nicht erschnappt werden konnten und flogen dann mit trägem Flügelschlage, unter dem die Luft zischte, dicht über uns hin zu den anderen. Hass ich diese Versammlung fand, war kein Wunder, denn in dem Orte, damit stimmte Beschreibung und Histance überein, war dem Minen-Director am Abende zuvor ein Packpferd gefallen; wunderbar war es indessen und vielleicht mit dem bis jetzt unerklärten lnstincte dieser Aasfresser zusammenhängend, dass der genannte Herr diese Vögel, welche er für Adler gehalten, schon dicht bei dem Orte vorfand, an welchem ihm das Unglück begegnete. Sein Diener hatte eine Büchse auf sie abgefeuert, doch hatten sie von dem Schusse gar keine Notiz genommen, deshalb unterliess ich es, eine Bistole abzufeuern, um die Wirkung des Schusses auf diese trägen, sicherheitsbewussten Thiere zu erproben. Gleich nach dem Verlassen des tlan's war der Weg, wie schon angedeutet, sehr beschwerlich gewesen, weil er sich zum Theil durch die Vorhügol der Tissowatz hinwand, auf der grossen Pdlje war er jedoch ziemlich gut. Die letztere war westlich und südlich von den Hohen des genannten Gebirges eingefasst, nach Osten zeigten sich in grösserer Perne unbedeutender scheinende Höhenz-üge. Mit Wehmuth erfüllten mich ein paar kleine Christenfriedhöfe in ihrer verwahrlosten Erscheinung, deren kleine Kreuze meist umgefallen waren, oder denen man durch eine Art Dach die öffentlich verbotene Kreuzesgestalt so viel wie möglich genommen hatte. Nicht lange sollte meine Freude über den erträglichen Weg dauern, denn bald gelangten wir in die Hügelregion, die im Süden vor uns lag, und nun ging es plötzlich steil bergan auf unbeschreiblich schlechtem, aufgeweichtem, da und dort mit tiefen Pfützen bedecktem Wege immer längs dos Telegraphen hin. Die Buche wurde seltener und machte mehr und mehr der Tanne Platz, die schliesslich dominirte. Um die Drahtleitung vor umstürzenden Bäumen zu schützen, hatte man den Wald in einer breiton Balm verwüstet, so dass die Stämme massenhaft am Boden lagen und faulten, auch hatte die Waldverwüstung an Stellen stattgefunden, die von der Leitung ziemlich entfernt lagen. Es war der erste Nadelholz-Urwald, den ich betreten und wunderbar war sein Kindruck, doch erreichten die Tannen noch nicht jene Grösse und Kraft, die ich sie später in höheren Beginnen erreichen sah und sie zeigten bisweilen abenteuerliche Formen von Missbildung. Endlich, etwa nach 11 Uhr, war der Kamm des Gebirges, immer noch Tissowatz-Planinä. erreicht und es ging abwärts, was noch viel halsbrechender war, als aufwärts. Es schnitt mir durch's Herz, dass mein Pferdchen von der Anstrengung so hungrig geworden war, dass es nicht blos nach Farrnkräutern, sondern selbst nach jungen Tannenschösslingen schnappte und doch war ich oft abgestiegen, um es über die schlimmsten Strecken, am Zügel zu führen. Um 12 Uhr hörte der Wald auf und das elende Städtchen Skender-Wäkuf lag plötzlich vor und unter uns auf einer Berglehne. Es ist dorfartig gebaut, hat ungefähr 00 Häuser und 3 Moscheen. Das erste, was mir auffiel, war eine Schaukel, wie ich solche in Läschkowatz schon gesehen, auf der sich muhamedanische Kinder lustig schaukelten; vor einem Hause süssen Männer und liessen sich die Köpfe rasiren, Kinder spielten in ihrer Nähe und ein tüchtiger Stein flog mir nach, wahrscheinlich von ihnen geworfen. Ich sah nicht zurück, um die Sache nicht untersuchen und zum Austrage bringen lassen zu müssen, denn dies hätte mich unnütz aufgehalten; die Bevölkerung in den abgelegenen muhamedanischen Nestern ist meistens noch sehr ühermüthig fanatisch, doch wird sie hoffentlich bald den häufigeren Anblick von fränkischen Gjaurs haben. Geputzte Tagediebe sassen tschibukrauchend überall bei den Häusern umher und glotzten mich verwundert an. Ibro machte beim Han Halt, doch entsprach die auf seine Fragen ertheilte Auskunft nicht den gehegten Erwartungen, deshalb ritt er weiter und bald waren wir am letzten Hause angelangt, das an einem nach Westen rieselnden Bächlein lag, gleich dahinter stieg ein Berg empor, an dessen Abhängen mir reife Erdbeeren winkten, die auf dem hohen Gdstil erst in Blüthe standen. Mir wurde wegen der Pferde hange, deshalb fragte ich den Ibro, wie es denn mit dem Einkehren wäre; er beruhigte mich indessen mit der Verheissung, dass »oben« etwas Passendes sei, und als wir den Höhenrücken erklommen hatten, sah ich wirklich etwas, nämlich ein Zelt aus Binde erbaut, mit einem kleinen Kuhstalle daneben. Das sah grade nicht viel versprechend aus, erwies sich aber als ganz gut, nachdem wir eingekehrt waren. Der Wirth, ein bejahrter Kajah, schickte sogleich einen seiner Jungen nach dem Städtchen hinunter, um Hafer (shito) holen zu lassen, und bald hatten unsere Pferde 3 kleine Oka des nöthigen, obwohl ihnen selten gereichten Futters in ihren Futterbeuteln und dann liessen wir sie auf der Höhe grasen. Die Türken geben ihren Pferden auf Reisen wohl niemals Hafer, sondern lassen dieselben von Zeit zu Zeit eine Stunde grasen, während sie selber rauchend am Boden hocken und zuschauen; überhaupt werden die Thiere sehr kärglich gehalten. Ibro that sich an der Landeskost gütlich: der Handshy holte aus der Asche einen grossen, heissen Brod-knchen hervor, spülte ihn ab, hielt ihn wieder über die Flamme, um ihn nachzuwärmen, dann wurde er in grünlich schillernde" Molken gebrockt, von denen ich auf inständiges Bitten Ibro's und des Wirths ein paar Löffel zu meinem Schaden genoss; ausserdem wurde süsse Milch, Kaimäk (das ist ganz dicke Sahne) und Luka vorgesetzt, sowie zweimal Kaffee. Für diese Bewirthung und das Pferdefutter bezahlte ich zusammen sechs Piaster, und doch hatte ich den Speisen ebenfalls tüchtig zugesprochen, wiewohl ich nicht mehr nüchtern war, denn ich hatte am Morgen Brod und Eier verzehrt, die ich vom Abende zuvor aufgehoben hatte, eine Vorsorge, die ich nunmehr unterwegs meistens immer beobachtete, da ich mich an die türkische Lebensweise, welche nur zwei Mahlzeiten kennt, von denen die erste in die Mittagszeit fällt, nicht gewöhnen konnte. — Her Wirth breitete für mich Decken aus und ich versuchte zu schlafen, was mir jedoch nicht gelang, denn eine schlaflose Nacht erzeugt eine gewisse Nervenüberreiztheit, die nicht sogleich dem Schlafe Zutritt gestattet, ausserdem kamen eine Menge Leute aus dem Städtchen herauf, arme oder gesindel-artig aussehende Menschen, traten in die Hütte, um mich zu sehen und unterhielten sich mit Ibro über mich, doch gab er ihnen wenig Auskunft, denn er war nicht geschwätzig, wie sonst alle Bosniaken, die ich kennen gelernt habe, und erzählte er wirklich einmal etwas von mir, dann war es zu meinem Lobe, besonders wenn er voll Bewunderung von meiner Reinlichkeit sprach, wodurch die Türken jedenfalls die Ueber-zeugung gewonnen haben, dass die Franken, obwohl Ungläubige, doch keine »Schweine« sind, trotzdem sonst die Begriffe Schwein und Christ bei ihnen identisch sind. — Einer dieser Gäste — von denen keiner etwas verzehrte — pries den Stand des Saptie, der ihm erlaube, mit grossen Herren im Lande umherzureisen und überall in den Han's sich zu pflegen, wozu Ibro nur schmunzelte. Einige von den Leuten zogen übrigens des Weges voraus, den wir noch einschlagen sollten. Um 1 Uhr brachen wir auf und gelangten sogleich an ein wunderbar schönes Engthal, das von Osten nach Westen streicht und auf seiner schmalen Sohle ein in derselben Richtung strömendes Bächlein enthielt. Hie beiden Wände dieses Thaies waren mit Tannen, Haseln und Buchen bewachsen und die nördliche glich theilweise, besonders in der Nähe des Weges, einer riesigen Candisschicht, so vielfältig waren die Zacken und Vorsprünge des Felsens, und auf und zwischen ihnen wurzelton in chaotischer Verwirrung die Bäume, viele halb entwurzelt über die Tiefe hinausgelehnt, andere waren schon hinabgestürzt und lagen quer über das Bächlein hin. Hie Sohle des Thaies schien, von oben gesehen, ganz spitz eingeschnitten, unten angelangt zeigte sie sich jedoch etwa 50 Schritte breit und die beiden Thalränder (oben) waren vielleicht 400 — 600 Schritte von einander entfernt. Die fast senkrechten Strahlen der Sonne beleuchteten dieses herrliche Landschaftsbild, eine wundervolle Abwechselung von Licht- und Schattentönen, von Klarheit und Nebelduft erzeugend. Der Weg hinab war über alle Beschreibung mühsam, denn er ging steil im beständigen Zickzack auf dem blossliegcnden Kalkfelsen dahin, der seine blätterartigen Blatten gegen uns emporstreckte, während losgelöste Bruchstücke darüber und dazwischen lagen. Dicht an den Abhängen resp. Abgründen zog sich der im Laufe von Jahrtausenden einigcrmaassen kenntlich ausgetretene, einen Fuss breite Pfad hin, den wir einhalten mussten, weil er dem Fusse einige Sicherheit bot, denn so oft ich es versuchte, den Winkel abzuschneiden, indem ich mein Pferd über die Grundlinie der Dreiecke führte, büsste ich mein Bestreben durch Stolpern des Thieres und eigenes Ausgleiten. Endlich, nach etwa 20 Minuten, langten wir unten an, tränkten unsere Pferde, stiegen auf und klommen die andere Seite hinan, Anfangs eben so mühsam, als das Herabklimmen, dann einigermaassen besser, aber ohne Unterbrechung schlecht, wie der ganze Weg auf dieser und theilweise der nächsten Tagereise. Es ging noch ein paar Mal in der schon beschriebenen halsbrechenden Weise auf und ab, dann gelangten wir an eine Art Plateau, aus sanft gerundeten Hügeln bestehend, deren Seiten mit Aeckern oder Viehweiden bedeckt waren, hierauf ging es wieder vorwiegend abwärts auf dem schrecklichsten Wege in eins der herrlichsten Thäler hinein, in das des Ugatzflusses. Die Pferde waren mittlerweile so müde und hungrig geworden, dass wir noth-gedrungen in den Han des Dorfes Ugar einkehren mussten, um 31/.* Uhr. Die Feder versagt mir den Dienst, die Schönheiten dieses Thaies zu beschreiben, und Ibro, ein zwar guter, aber doch nur roher und unwissender Mensch, war so ergriffen von derselben, dass er, während wir im Han sassen, ausrief: »Sieh! wie schön dies alles hier ist!« man kann sich daher eine Vorstellung machen, wenn die Natursehönheit seihst auf ein so rohes Naturkind einen tiefen Eindruck macht. Das Dorf Ugar liegt hauptsächlich an den nördlichen und westlichen dicht bewaldeten Thalwänden weitläufig zerstreut und ich sah nur wenige Häuser desselben aus dem Grün hervorragen; der Han liegt auf der nördlichen Wand, etwa in halber Höhe derselben und gehört einem Muhamedaner. Wir liessen uns Kaffee geben und den Pferden für 2 Piaster Hafer. Nach einer halben Stunde brachen wir auf und stolperten nach dem Ugatz hinunter, der in einem felsigen, seichton Bette brausend und schäumend dahinstürzt und eine sehr verschiedene Breite von 12—20 und 30 Schritten zeigt, je nachdem ihm die Thalwände die Ausdehnung erlauben oder verbieten. Ich verfolgte seinen Lauf bis zu seinem Ursprünge, Jonen Lauf nämlich, der auf Koschkjewitsch's Karte als Kositza-Strma bezeichnet ist, mir aber als Ugatz bezeichnet wurde, während das Gebirge links von seinem oberen Laufe bis zur Quelle Kositz-Planinä genannt wurde, wenigstens von meinem Saptie. Es ist freilich eine schlimme Sache mit der Namenermittelung und Namengebung und man ist nie sicher, dass man nicht getäuscht wird, denn der Saptie, den man bei sich hat, kann unmöglich jeden Namen wissen, besonders wenn der Gegenstand, z. B. ein Bach, sehr unbedeutend ist, und die Leute, welche einem mitunter begegnen (was selten genug vorkommt), können in diesem Punkte auch nicht besser unterrichtet sein, denn gewöhnlich kommen sie aus entfernteren Gegenden und kümmern sich überdies wenig oder gar nicht um Dinge, die für sie kein Interesse haben, auch trifft man sie selten dort, wo man eine Frage auf der Zunge hat, das Schlimmste aber ist, dass sie sowohl als die Saptie's unbedingt sehr oft Namen willkürlich erfinden, wenn man sie nach Dingen fragt, nach denen man selbst in unserer Heimath nicht den ersten den besten fragen würde; so heisst z. B. im nördlichen Deutschland fast jeder Bach »Bähk« oder »Au«, d. h. Bach, und im Spreewalde bezeichneten mir die Wenden unsere Spree als »reka«, d. h. Fluss; würde man nun einen auf dem Felde arbeitenden oder gar nur des Weges kommenden Bauern nach einer näheren Bezeichnung fragen, dann könnte man sicher sein, einen unrichtigen Beinamen zu hören. Als ich durch den wenige Fuss breiten Bach dos vorher beschriebenen Engthaies ging, fragte ich meinen Saptie nicht erst nach dem Namen, Ami Boue hingegen, der einzige, der vor mir diese Gegend bereist hat, muss dies gethan haben, denn er hat einen Ugersitj verzeichnet (fehlerhafte Verkleinerung von Ugar), dann hat er ein grosses und ein kleines Ugar-Gebirge angegeben, jenes Plateau, auf dem ich Aecker und Weiden fand, die wahrscheinlich alle zur Gemeinde Ugar gehören, hierauf kommt ein Ugorsitz (wieder eine Verkleinerung von Ugar), dann ein Nadjak-Brdo und ein Nadjak-Wrch, d. h. beide Male ein Nadjak-Berg, demnächst ein überbrückte» unbenanntes Rinnsal (in welchem ich badete) und nun der Kositza-Strom, der in einen >Grossen Ugra« mündet, dem gegenüber aber kein »Kleiner Ugra« angegeben ist. Sollte die Bezeichnung Kositza-Strom richtig sein, dann muss es noch einen anderen »Strom« geben, der vielleicht den Namen Orna-witza-Strma hat, denn einen solchen sah ich in den erstgenannten (als rechten Nebenlauf) münden und zwar ziemlich eine halbe Stunde oberhalb des noch in Bede stehenden zerklüfteten Ugatzthales. Ich glaubte Anfangs, es sei eine blosse Stromgabelung, welche eine Borginsel umschlösse, auch war Ibro sehr weit voraus, deshalb unterliess ich eine Frage, wartete aber vergeblich auf den Beginn des vermeintlichen oberen Gabelpunktes jenes Laufes, der sich so breit gezeigt hatte wie der Ugatz selber. Mir wurde wiederholt nur ein Ugatz genannt, und um dieses unbedeutenden Flusses ganzes Gebiet auch nur annähernd richtig zu skizziren und mit richtigen Namen zu versehen, hätte ich mindestens eine Woche Zeit nöthig gehabt und müsste Leute aus der Ugar-Gemeinde zu Führern genommen haben. Das Dorf Ugar, welches mindestens anderthalb Stunden lang ist, liegt mit dem gewöhnlichen Kreiszeichen dargestellt auf Koschkjewitsch's Karte an einer Stelle, woselbst ich in Wirklichkeit ein Haus und einen ganz kleinen muhamedanischen Friedhof auf einer Felsstufe am Wege fand; jedenfalls gehörton beide noch zu Ugar. Mit dem Benennen der Dörfer hat es in Bosnien auch seine Schwierigkeiten, denn gewöhnlich sieht man von denselben nur wenige Häuser, oft gar keines und nur Aecker, fast nie Menschen; angenommen nun, der begleitende Saptie wäre so genau unterrichtet, dass er aus diesen wenigen Anzeichen den richtigen Namen einer Ortschaft anzugeben im Stande wäre, was doch sehr zu bezweifeln ist, dann läuft man Gefahr, mit Hinsetzung des gewöhnlichen Dorfzeichens dort, woselbst man den Acker oder ein einzelnes Haus sah, die Gesammtlage des betreffenden Dorfes durchaus falsch wiederzugeben, denn das letztere kann Stunden entfernter beginnen oder sein Hauptkomplex kann eine Stunde weiter liegen; man sollte sich daher überall mit dem blossen Hinschreiben des Namens begnügen oder bei compacteren Häusermassen eine Anzahl Punkte [.".*.] setzen. Hoch zurück zu dem Ugatzthaie. Dasselbe bildet in seiner Sohle annähernd ein verschobenes Kreuz, indem die steilen Waldberge von allen Seiten dicht an einander herantreten und nur dem Flusse und mehreren Nebenbächen desselben beengten Lauf verstatten. Fünf Minuten nach Abritt vom Han kamen wir an einen westwärts herabrieselnden Bach, der einen Miniaturwasserfall bildete, in welchem ich mich zu baden entschloss. Ibro, den ich einlud, ein Gleiches zu thun, schauderte förmlich zurück und lehnte mit den Worten »zu kalt« ab; die Bosniaken sind nämlich geschworne Feinde des kalten Badens. Ich gab ihm meine Uhr und Geldtasche, legte die Pistolen auf einen Stein dicht am Wasserfall und setzte mich unter diesen; kaum sass ich, da kam eine Karawane Packpferdchen aus der Eichtling, die wir gekommen, watete wenige Schritte von mir durch den Bach, und ihre Treiber, vier Männer und ein Knabe, betrachteten mich im Vorübergehen sehr neugierig; damit noch nicht zufrieden, machten sie 15 Schritte weiter bei Ibro Halt und lagerten sich, mir zusehend, was mir äusserst unangenehm war. Mein Thun muss ihnen höchst curios erschienen sein, doch nicht ihnen allein, sondern auch den Hirten, welche ungesehen von uns auf den dichtbewaldeten Bergen ihr Vieh weideten, denn bald erscholl ein förmliches Peletonfeuer von den Höhen, welches bis zu meinem Abreiten dauerte, wromit die Leute ihrer ausgelassenen Freude Ausdruck geben oder sich mir bemerklich machen wollten. Wie von Neuem geboren, ritt ich weiter und verdanke der kurzen Erfrischung wahrscheinlich mein Verschontbleiben vom Hitzschlag, denn was ich von Hitze an jenem Nachmittage noch kennen lernte, übertraf Alles, was ich bisher in dieser Beziehung — in Bosnien wenigstens — erlebt hatte, denn das enge Ugatzthal, oben kaum 2—400 Schritte von Rand zu Rand breit, glich der spitzen Furche eines riesigen Pfluges, die Sonnenstrahlen prallten überall von den biossliegenden Kalkfelsen ab, kein Lüftchen regte sich und dabei wurde der Pfad schliesslich so entsetzlich schlecht, dass wir von 6lJ2 Uhr an bis 83/4 Uhr die Pferde ununterbrochen am Zügel nachziehen mussten und zwar bergauf, von Stein zu Stein springend, immer in Gefahr, mitsammt den müden Thieren zu straucheln; Ibro's Pferd verlor ein Eisen und das meinige stand still, sobald ich aufhörte zu ziehen; der Stirnschweiss rannte mir in förmlichen Strömen durch Brauen und Wimpern grade in die Augen, so dass ich, geblendet, die eine Hand automatenartig beständig in Thätigkoit halten musste, um mir die Augen auszuwischen; ein Ahnehmen des Hutes hätte sofortigen Sonnenstich herbeigeführt, und Ibro, der dies wohl wissen musste, schützte seinen fessbedeckten Kopf noch mit einem weissen Tuche; ein paar Mal fühlte ich eine unwiderstehliche Neigung, hinzufallen und gerieth gegen meinen Willen in ein Taumeln, doch raffte ich mich gewaltsam zusammen, denn mir durfte nichts widerfahren und der feste Wille, nicht krank oder hinfällig zu werden, wirkt wahrlich erstaunlich auf den Körper, wie ich während dieser Reise noch mehrfach erfahren sollte. Als wir endlich aus dem Thale heraus und auf dem Plateau der Kostiz-Planinä angelangt waren, sprudelte vor uns ein eisiger Quell aus dem Felsboden, von frommen Muselmännern durch ein Rohr geleitet und mit einer Viehtränke versehen; wir liessen unsere Pferde trinken, wobei wir Mühe hatten, die armen Geschöpfe vom Zuviel abzuhalten, was mich hingegen betrifft, so trank ich sofort einen vollen Becher, obwohl ich von Jugend auf gehört hatte, dass solche Erfrischung, wenn man von Hitze förmlich aufgelöst ist, tödtlich wirke, ich merkte jedoch gar keine Veränderung, denn es war, als ob ein Tropfen Wasser auf einen glühenden Stein fiel; nach dem zweiten Becher war es mir allerdings, als oh ich ein Stück Eis im Magen hatte, doch kam mir dies sehr behaglich vor, ebenso der frische Wind, der dort oben wehte. Ich glaube, dass nur das hastige Trinken schadet, besonders wenn man des (Juten zu viel thut oder sich dabei verschluckt, d. h. üb erschluckt, und den Athem zu lange anhält. Nim will ich aber dieses mir so warm gemachte Thal beschreiben und kann dabei gleich versichern, dass sein Entree nicht 7A\ theuer erkauft war, denn es bot den Superlativ vom Schönsten. Um 4 Uhr ritt ich von dem Bache, in welchem ich gebadet, fort und gleich über eine hölzerne Brücke nach dem linken oder westlichen Ufer des Ugatz hinüber. Dort zog sich, ziemlich eine Stunde weit, ein etwa 0 Fuss breiter Weg hin, den rechts senkrechte Felsen einfassten, deren Höhe von 100—300 Fuss variirt; links liegt ein 30—80 Fuss tiefer und steiler Abhang, der meist mit Gesträuch oder Basen bewachsen, oft ganz kahl und so steil ist, dass man streckenweise eine Art hölzernes Geländer angebracht hat, um Unglücksfällen vorzubeugen, doch war nur noch ein einziges Geländer vollständig auf 10 Schritt Länge vorhanden; einmal war der Weg auch mit morschen Balken überbrückt, um den Durchbruch eines Baches von sehr kurzem Laufe zu überwölben. Die jenseitige Thalwand glich der diesseitigen, nur waren dort auf den Abhängen der Felsen selten Felder zu sehen, während solche diesseits oberhalb der senkrechten 10—80 Fuss hohen Felsenvorstufe ziemlich häufig waren, wenigstens auf der ersten Stunde hinter der erwähnten Brücke. Drüben war das spärliche Erdreich meist mit Buchen und schliesslich nur mit Tannen bedeckt. Zwischen beiden Abhängen brauste unten der Fluss dahin, immer schmaler und seichter werdend. Anfangs standen an seinen Ufern Mühlen mit unterschlägigen Schaufelrädern, dann folgten je weiter aufwärts Turbinen, die mitten über seinem Laufe standen; mehrere derselben waren im Betriebe, andere standen still und schienen verlassen. Der Weg war auf der ersten Stunde für bosnische Verhältnisse ausnehmend gut, jedoch oft so schmal, dass man das Pferd nicht 20 hätte umwenden können, die Felsen waren augenscheinlich, mehrmals, z, B. gleich am Eingange, weggesprengt worden, mitunter traten sie dann einige hundert Schritte zurück und dann wieder senkrecht dicht vor, bei einer Höhe von 2—300 Fuss, von unten bis oben nichts als den glänzend weissen, marmorartigen Kalk zeigend. Thaleinschnitte waren weder links noch rechts vorhanden, obwohl Quellen und Rinnsale überall hervorbrachen. Auf der guten Strecke zog sich der Pfad, wie in Bosnien immer der Fall, dicht am Abhänge resp. Abgrunde entlang, so dass ein Fehltritt um eine Handbreite einen zerschmetternden Sturz zur Folge haben müsste — die schwindelfreien Pferde suchen sich nämlich immer diese Stelle aus, weil sie auf derselben mit ihrem Eeiter oder ihrer breit gepackten Last nicht anstossen können und ich machte die erfreuliche Beobachtung, dass auch ich nicht mehr schwindlig war, obwohl ich in der Stadt nicht ohne ein Gefühl von Schwindel aus dem Fenster eines sehr hohen Hauses zu sehen vormochte; vermuthlich wirkt die seitliche Anziehungskraft der Felsmasseu paralysirend auf die Neigung zum Schwindligwerden und Hinabstürzen. Das Thal zieht sich in allmäligen Windungen süd-ostwärts, um 6% Uhr führte der Weg über eine orbärmliche, zerbrochene hölzerne Brücke vom linken auf das rechte Ufer über und dann wieder um 7 Uhr auf das linke Ufer zurück, nachdem man eine Brücke passirt hat, die wohl das Abenteuerlichste ist, was man sich im Brückenbau denken kann, sie besteht nämlich aus einer Menge zerbrochener oder verfaulter Balken und Baumstämme, die regellos über einander in das Flussbett geworfen sind, das hier kaum noch Wasser sehen lässt. Eine verfallene Turbine stand dicht oberhalb unter umgesunkenen oder überhängenden Bäumen, ein kostbares Motiv für einen Maler. Gleich darauf beginnt das Thal in scharfen Zickzacklinien in mehr westlicher Eichtling steil aufzusteigen bis zu dem Plateau der Kositz. Ist die erste Strecke dieses langen, engen Thaies von idyllischer Schönheit, so bietet hingegen die andere, besonders die allerletzte Strecke, einen wildromantischen, oft schauerlich schönen Anblick, letzteren vornehmlich durch die Leichenfeldcr abgestorbener Bäume, von denen nämlich mitunter Tausende, besonders Tannen, leblos dastehen und einen gespenstischen Eindruck in ihrer Todesruhe hervorbringen inmitten des herrlichen Chaos von belebtem und todtem Gestein, Trümmern und rauschendem Wasser unter dem südländischen lachenden Himmel. Wenn doch ein Biermann, Bape oder ein anderer Meister der Landschaftsmalerei diese Scenerien aufsuchte und mit seinem Pinsel entführte! Begegnisse hatte ich auf meinem Wege nicht, nur einige Bajahs, die oben auf den Felsen ihre kümmerlichen Felder bestellten, liessen sich sehen und riefen mir herzliche Grüsse zu; während der letzten Viertelstunde bis zur Ersteigung des Plateaus folgton mir zwei Männer dieser Art mit auffallender Neugier — indem sie vermöge ihrer Terrainkenntniss den Weg abschnitten, hatte ich sie bald vor, bald neben mir, bis ich den weit vorausgeschrittenen Ibro, der laut nach mir gerufen, eingeholt hatte, wrorauf sie sich seitwärts entfernten. Ich war gewiss der einzige Franke, den sie je in ihrem Leben gesehen. Sie strickten Wolle zu irgend einem Kleidungsstück zusammen, trugen lange weisse Böcke und hätten genau wie unsere Schäfer ausgesehen, wäre nicht der weisse, turbanartige Kopfbund gewesen; sie hüteten Schafe, die zwischen den Gesteinmassen weideten, von denen ich jedoch nur 8 Stück sehen konnte. Es geschieht wohl hauptsächlich wegen der Wölfe, dass so unver-hältnissmässig kleine Hecrden von erwachsenen Männern gehütet werden. Auch auf dem Plateau fand ich eine ganze Familie aus Mann, Frau und mehreren grossen Kindern mit dem Hüten von etwa 12 Stück Bindvieh beschäftigt. Ich hatte mich während des Klottorns im Thale beständig darauf gefreut, oben eine unbeschreiblich schöne Aussicht zu finden, wurde aber sehr enttäuscht, denn ich sah nach Norden nichts als eine zum Theil kahle Hochebene, die sich in's TJn- 20* endliche zu verlieren schien und aus der nur wenige unscheinbare Hügel und Kuppen hervorragten; nach Süden schloss ein Hochwald die Aussicht ab und durch ihn führte eine breite Trift in einer Viertelstunde zum Han und Dorfe von Witöwlje, woselbst wir um 9 Uhr nothgedrungen wegen Ermüdung der Pferde einkehren mussten. Das weitläufig zerstreute Christendorf, das mein Saptie übrigens Witoj nannte, liegt östlicher, als auf der Karte angegeben ist, in einer etwa 50 Fuss tiefen Einsenkung der Süha-Planinä, die dort beginnt und die Wasserscheide nach Süden bildet; über die verfallene Brücke eines nach Westen stömenden Baches mit etwas sumpfigen Bändern gelangten wir zum Han und weiter südlich fliesst noch ein anderes, aber ganz unbedeutendes Bächlein in derselben Eichtling. Die wohl eine Stunde lange und etwa eben so breite Witdwlje-Polje hat zum Theil einen alm- und wiesenartigen Charakter, wird im Westen nahe dem nach Süden führenden Wege von 4—600 Fuss hohen steilen bewaldeten Hügeln ein-gefasst und läuft im Osten allmälig ansteigend in wohl eben so hohe Kuppen aus, die jedoch wegen der allmäligen Steigung nicht so bedeutend erscheinen, auch mehr mit Acker- und Weideland als Wäldern bedeckt sind; im Süden erheben sich in der Ferne die dominirenden Massen des Grdstil-G-ebirgstocks, den ich anderen Tages zu überschreiten hatte. Ueber meine Wirthshauserlebnisse zu Witöwlje ist wenig zu sagen. Man wies mir im zweiten Stock ein besonderes Zimmer an, das wahrscheinlich in den Augen der Eingeborenen ein Prachtstück war; der Boden desselben war mit wollenen Decken belegt, die von Ungeziefer aller Art wimmelten, und zwei walzenförmige .Polster lagen als Kopfkissen auf denselben, während ein dreieckiges, mit Latten umnageltes Loch im Boden die Stelle des Aborts vertrat, eine ekelerregende Einrichtung, die ich nunmehr fast immer in dem von mir benutzten Zimmer der Han's finden sollte; kleine Fenster an zweien Seiten angebracht liessen eine so frische Zugluft durchstreichen, dass ich in wenigen Augenblicken völlig abgekühlt war, und als ich verlangte, dass die Fenster auf einer Seite geschlossen würden, erregte dies die grösste Verwunderung der Leute, denn eben so scheu als sie vor kaltem Wasser sind, eben so unempfindlich sind sie selbst im erhitztesten Zustande gegen Zugluft und — schlechte Gerüche. Wir wurden mit Eeissuppe, bosnischem Brod, Molkon, Lauch, Käse, gebratenen und gekochten Eiern bewirthet, letztere hauptsächlich für mich bestimmt, da die Bosniaken zu ihnen nur im höchsten Nothfalle greifen; übrigens müssen die Eier in blosser Asche oder in einer Pfanne ohne Hinzuthun von Wasser gekocht werden, denn die Schaale war an einer Stelle immer verbrannt. Aus einer benachbarten Hütte hörte ich bald nach unserer Ankunft den Schmiedehammer ertönen und wusste somit, dass für Ibro's Pferd ein Hufeisen geschmiedet wurde. Die Bosniaken verstehen fast alle so viel von der Schmiedekunst, um sich die nöthigsten Bedürfnisse in Eisen selber herstellen oder wenigstens rcpariren zu können. Die Hufeisen der bosnischen Pferde sind übrigens von den bei uns gebräuchlichen sehr verschieden, indem sie nicht offen, sondern geschlossen sind und nur in der Mitte (und auch da nicht immer) ein Loch haben; die Haken fehlen ganz oder bilden nur unbedeutende Höcker. Diese Art Hufeisen sind für die örtlichen Verhältnisse, Felswege etc. sehr zweckmässig. Die Nacht, welche ich im Witöwlje - Han verlebte, war schrecklich und schlaflos. Fielen mir ein paar Augenblicke die Augen zu, dann schreckte ich gleich wieder durch Fieberträume der närrischsten Art empor -— es war immer, als oh meine einzelnen Glieder selbstständige Individuen geworden wären, die sich gegenseitig von einer schmerzhaften Plage zu befreien suchten, aber vergeblich. Ein böses Leiden hatte mich nämlich befallen: Schon am Abend vorher war es mir aufgefallen, dass mir das Sitzen einen örtlichen Schmerz verursachte, doch konnte ich die Sache im Han nicht untersuchen und glaubte, der Schmerz rühre von dem Drucke des unebenen Sattels her, im Han von Witöwlje hingegen, woselbst ich ein paar Stunden in einem von innen verriegolbaren Zimmer ganz allein sein konnte, sah ich was es war. Es hatten sich an den Körper-theilen, welche mit dem Sattel in Berührung kamen, besonders an dem heim Keiten wichtigsten, wohl ein Dutzend Blutgeschwüre gebildet, gegen welche ich weder ein Pflaster noch sonst ein Linderungs- resp. Heilmittel besass, ja die ich theilweise nicht einmal sehen konnte. Ich hatte von nun an rasende Schmerzen auszuhärten, besonders die erste Zeit nach dem jeweiligen Aufzitzon und bei dem so häufigen Traben; war ich einmal im Beiten, dann biss ich die Zähne aufeinander und hielt aus, ohne eine Miene zu verziehen, aber in Sarajewo, woselbst ich in dor Gesellschaft von Europäern oder hochgestellten Türken auf Stühlen oder (und dies war das Schlimmste!) auf Polsterbänken sitzen musste, hätte ich vor Schmerz toll werden können und werde wohl oft trotz des besten Willens im Gesichte gezuckt haben; das Aergerlichste war, dass die scharf beobachtenden Türken merkten, dass es mit mir nicht richtig war und zum Dr. Blau ihre Verwunderung darüber aussprachen, wie ein so stark gebauter Mann von einer derartigen Reise so angegriffen werden könne, Avorauf ihnen mein liebenswürdiger Beschützer nur erwidern konnte, dass mein Leiden von den ungewohnten bosnischen Sätteln herrühre, denn er mochte glauben, dass ich mich nach Art ungeschickter Reiter durchgeritten hatte, da weder er noch sonst jemand erfahren hat, was mir eigentlich fohlte, indem ich fürchtete, durch eine dahin gehende Mittheilung Gegenstand des Ekels zu werden. Hie Plage hat mir nicht blos die schöne Beise verbittert, sondern mich um eine ansehnliche Bereicherung meiner Kenntniss des Landes gebracht, denn ich hätte während meines Aufenthaltes in Sarajewo alle Vormittage in der lehrreichen Gesellschaft des Dr. Blau und in seinem weichgepolsterten Wagen einen Ausflug in die höchst sehenswerthe Umgegend dieser Hauptstadt machen können, musste dies freundliche Anerbieten jedoch ablehnen und statt dessen meistens die Vormittage in einem warmen Sitzbade oder auf dem Sopha liegend verbringen, um mich einigermaassen auf die Sitz-Strapazen des Nachmittags und Abends vorzubereiten. Bei der Bückreise, nachdem die Sache durch den Bitt von Sarajewo bis zur Österreichischen Grenze wieder sehr verschlimmert worden, war ich gezwungen, in der zweiten Klasse des Donaudampfers zu fahren, weil ich nur dort hoffen durfte, der Länge nach zu liegen, was ich in der Gesellschaft von Damen und Herren der besseren Stände, welche die erste Cajüte zu benutzen pflegen, begreiflicherweise weder thun wollte noch konnte, und auch auf 'ler Eisenbahn war ich gezwungen, so oft es sich thun liess, mir ein Coupe zu verschaffen, in welchem ich ungenirt auf einer Bank ausgestreckt liegen konnte. Monate lang nach meiner Bückkehr hatte ich noch mit den Nachwehen des Hebels zu kämpfen, indem dasselbe nicht gleich mit dem Beginne der ruhigen, regelmässigen Lebensweise verschwinden wollte, da die Haut zu sehr überreizt worden war und ich vorher gar nichts Badicales dagegen hatte thun können. Um andere Eeise-lustige nicht zurückzuschrecken und um sie vor ähnlichem Schaden zu bewahren, will ich hier Folgendes bemerken. Nur vollblütige oder besonders kräftige Männer mit sehr reizbarer Haut und reizbarem Nervensystem können unter heissem Clima von Furunkeln befallen werden und diese auch wohl nur durch eigenes Verschulden; solche dürfen daher nicht auf einem knotigen und faltigen Sattel reiten, wie dieselben überall in der Türkei im Gebrauche sind, sondern sie müssen sich auf der Grenze einen glatten europäischen Sattel kaufen und nur diesen benutzen, ausserdem müssen sie sich reitermässig ausrüsten, d. h. eng anliegende Tri cot- Unterhosen tragen und darüber andere, die wegen der Hitze aus leichtem Stoffe, am besten starkem Drillich bestehen müssen, anziehen. Unzweckmässige Sättel und Beinkleider sind nach meiner Ansicht die Hauptursachen des Uobels, zu dessen Ausbruche Schlaflosigkeit, Strapazen, Aufregung-, Hitze und unzweckmässige Nahrung nur indirect beitragen. Ich würde mein überstandenes Leiden übrigens ganz verschwiegen haben, wenn es nicht eine so wichtige und störende Eolle bei meiner Eeise gespielt hätte und ich nicht fürchtete, dass es anderen Reisenden eben so gehen könnte. Am Sonntag, den 21. Juni, Morgens 10 Uhr 25 Minuten türkischer Zeit, brachen wir von Witöwlje auf und ritten über die grosse Pdlje mühsam auf schlüpfrigen und unebenen Wegen dahin, ohne einen Menschen oder ein Hausthier zu sehen. Das Wetter war schön und die Morgensoune brachte wundervolle Farbeneffectc auf den Bergen rechts hervor, besonders schöne Töne in Purpur und Violett zeigten die kolossalen Flächen todter Tannen von ferne gesehen, in der Nähe machten sie jedoch einen traurigen Eindruck. Die kleinere Vegetation des Bodens, über welchen wir dahin ritten, glich auffallend derjenigen unserer nördlichsten Provinzen und hatte theilweise einen wiesen-artigon Charakter, wozu vornehmlich der in Blüthe stehende Sauerklee beitrug. Es ging stufenweise bergan und um ll3/4 Uhr notirte ich »Höhe erreicht«; es wird dieser Punkt der von Ami Boue mit 3400 Fuss Höhe markirte sein, südlich dicht bei einem Dorfe Melina, von welchem ich freilich keine Spur bemerkt habe. Auch ich hatte ihn für den höchsten Punkt der Gegend gehalten, denn ein dicht vor mir liegender Felsen verdeckte mir noch die Aussicht auf den 6—800 Fuss höheren Göstil. Es ging zunächst links am Fusse des Felsens in ein wunderbar geformtes Sattelthal von 2—800 Schritt Breite hinein und hinauf; die Sohle desselben zeigte muldenartige Querrinnen, deren Ränder als nackter Fels zum Theil zu Tage traten, spärliche Grasflecke und schwächliche Birken wuchsen zerstreut in demselben; die Wände zu beiden Seiten waren steil und 100—150 Fuss hoch; der Pfad war sehr eng und gut, gehörte aber zu den gefährlichen, wegen des rechts befindlichen zum Theil senkrechten Abhanges von 50 — 70 Fuss Tiefe; an einer Stelle war ein Warnungsgeländer angebracht. Nachdem wir etwa 600 Schritte geritten waren, machten wir halb linksum und betraten nun einen über alle Maassen schlechten, versumpften Weg, der uns jedoch den Blick auf den majestätischen, mit Wolken gekrönten Gdstil freimachte; es ging zunächst ein wenig abwärts. Das Sattelthal zog sich mehr rechts in eine anscheinend versumpfte Tiefe hinab, in welcher die Birken kräftiger emporschössen; der Durchblick ging mir bald verloren. Auf dem eingeschlagenen Wege sah ich zum ersten Male eine in Bosnien häufiger vorkommende »Wege-Verbesserung'«, indem man auf etwa 200 Schritt Länge und 10 Schritt Breite gewaltige Tannen flossartig neben- und hintereinander gelegt hatte, um auf ihnen die morastige Strecke zu passiren, doch waren die Bäume von Bäulniss und Feuer angefressen, zum Theil zerbrochen, zum Theil mit einem Ende in den Morast gesunken oder anderweitig aus ihrer Lage gebracht, so dass diese weiland Verkehrserleichterung ein unüberwindliches Verkehrs-hinderniss geworden war. Wir ritten so weit wie möglich links haltend daran vorüber und gelangten glücklicherweise bald auf festeren und gleichmässigeren aufsteigenden Weg. Um 121/4 Uhr erreichten wir die erste, als solche auffallende Vorstufe des Gdstil, und um 1 Uhr die letzte und zugleich den Göstil-Han, woselbst wir abstiegen, um Kaffee zu trinken. Von der ersten bis zur letzten Göstilstufe waren wir durch einen majestätischen Urwald geritten, der aus gewaltigen Buchen und riesenhaften Tannen bestand; der Eindruck, den diese sich selbst überlassene Waldwildniss auf mich hervorbrachte, war ein eigentümlicher, melancholischer. Es war mir nämlich häufig, als ob ich so zu sagen durch eine Ahnengruft von Biesen ritt. Da standen die Kämpen, die Tannenriesen, Stamm bei Stamm todt mit entrindeten gespenstisch weissen Stämmen, geröthe-ten Nadeln und mehrere Ellen langen Flechten von allen Zweigen wie Trauerflore herabhängend; dazwischen oder in besonderen Gruppen trotzten Buchenriesen noch im Tode dem Sturme, feststehend wie todte Helden in einem zusammengopressteu Viereck, während ihre blattlosen zackigen Zweige sich wie im Tode erstarrte Arme verwünschend oder verzweifelt über den vergeblichen Kampf in die Höhe reckten und ein Leichentuch graubrauner Flechten die weisglich schimmernde Kinde von Zweigen und Stämmen zu verhüllen suchte — Lehen auf dem Tode, während unter den todten Kiesen schon wieder neues Leben um Licht und Luft miteinander rang. Was die Ursache des in Bosnien so häufig gesehenen Massensterhens der Bäume ist, konnte ich nicht ermitteln, möglich, dass Vielerlei dazu beiträgt und der »Kampf um's Dasein«, den die Grossen gegen die Kleinen, und die verschiedenen Baumarten gegen einander führen, die Hauptsache dabei ist, vielleicht auch, dass Insecten die eigentlichen Verderber sind. Ein interessantes und augenscheinliches Bild vom Kampfe um's Dasein bot übrigens die Göstil-Kuppe, deren oberes Drittel mit Tannen, der Rest mit Buchen bedeckt war, welche Bäume in der That um den Platz rangen, wie zwei in antiker Weise gegen einander fechtende Heerschaaren, wobei die Tannen den Kürzeren zu ziehen schienen. Auffallend ist in der bosnischen Landschaft, in den Wäldern sowohl als den Pöljen, der Mangel an kleineren Singvögeln, und hingegen das ungemein häufige, ja scheinbar alleinige Vorkommen der Elstern und der wilden Ringeltauben; Störche, Krähen, Dohlen und Schwalben scheinen ebenfalls gänzlich zu fehlen, letztere vermuthlich weil Mücken und Stubenfliegen zu den Seltenheiten gehören; in Wäldern und Feldern hört man daher fast keinen andern Laut als das beständige Schreien der Elstern und den angenehm klingenden Lockton der grossen und der kleinen wilden Taube und, im Juni und Juli, den Ruf des Kukuks. Vierfüssiges Wild sah ich niemals. Ich benutzte den kurzen Halt beim Gdstil-Han, um ein wenig in der kleineren Vegetation umherzustöhern und fand, dass dieselbe dort oben einen alpinen Charakter hat. Rechts (westlich) stiegen mehrere gewaltige Kuppen aus einem entfernteren Bergrücken empor und Ibro behauptete, sie gehörten zur Howärrika-Planinä; was den Gdstil betrifft, so wird er wohl nicht mehr zur Suha-Planinä gehören, sondern eher den Anfang der Wläschitj-Planinä bilden, falls er nicht der gemeinsame Knotenpunkt der genannten, sowie der Karaula- und noch einiger anderer Ketten ist. Hätte ich die dominirende Kuppe besteigen und auf ihrem mit hohen Tannen bedeckten Grath eine Lichtung finden oder herstellen lassen können, dann würde ich vermuthlich das Gebirgssystem eines Raumes von circa 30 Quadratmcilon kartographisch haben feststellen können, zu solchem Unternehmen fehlten mir jedoch Zeit und Mittel, deshalb brachen wir etwas nach 1/.i2 auf, passirten zunächst links einen kleinen muhamedanischen Friedhof und begannen nach Uhr das Hinabsteigen in das grosse Läschwa - Thal auf einem halsbrechenden, oft durch Geländer geschützten Zickzackwege links am Abhänge des Gdstil. Um 2 Uhr lag der obere Theil des Thaies vor uns, ein herrlicher Anblick, und um 3 Uhr waren wir an dem gewaltigen Gnstil vorbei und die zackige Kette der Wläschitj begann. Dies Thal, welches bis Träwnik einen ganz eigenthümlichen Charakter hat, verdient eine besondere Beschreibung, zumal es auf Roschkjewitsch's Karte entschieden unrichtig charakterisirt worden ist. Das Thal beschreibt einen sanften Bogen von Norden nach Südosten und ist bis Träwnik etwa 4 Wegstunden lang. An seinem Ursprünge, da wo Wläschitj- und Karäula-Planinä zusammenstossen, sieht es wildromantisch aus, indem die auf einander drängenden Ge-birgsmassen die Erde und Felsen fast wie abgerundete Strebepfeiler oder riesige Krystalle aus der Masse so zu sagen hervorquellen machten, dann nimmt die Karäula allmälig eine Forin an wie das unterhalb eines Kataraktes brodelnde Wasser, aus dem riesige Blasen emporsteigen und unzählige kleinere mit emportroiben. Der Charakter der Wläschitj ist von dem der Karäula-Planinä in merkwürdiger Weise verschieden; der Kamm der ersteren ist doppelt gezähnt und der Grundriss der Bänder ihres Busses durch die Stellung der Berge zu einander spitz gesägt; die relative Höhe derselben ist Anfangs 5 - bis 600 Fuss und nimmt allmälig zu 3—400 Fuss ab; den 6. bis 3. Theil dieser Höhe nehmen die senkrechten, nackten Felsen des Grathes ein, den übrigen sehr steil geböschten Theil bedeckt Erdreich, welches mitunter roth ist wie Pfeifenthon, oft gänzlich kahl da liegt, häufiger nur mit spärlichem Grase oder ausschliesslich mit Farrnkraut, seltener mit Bäumen, Gesträuch oder gar Ackerpflanzen bewachsen ist; die Steilheit des Bodens und seine Unfruchtbarkeit mag die Ursache sein, dass er nur theilweise bis zu einem Drittel der Borghöhen bestellt ist. Diese, das Thal im Westen einfassende Wläschitjkette ist nicht die Vorstufe, wie Boschkjewitsch annimmt, sondern der wirkliche Grath des Gebirges, wie ich beim Herabsteigen vom Gdstil bemerkte, unten im Thale konnte ich natürlich nicht sehen, was sich im Osten befand, indem der Weg zu dicht am Fusso der Felsberge hinlief. Die Karäula, welche ich wegen der Lage des Weges mehrere Meilen weit nach Westen übersehen konnte, ist stumpf gekerbt in ihren Grundrissrändern, hat gar keinen felsigen oder markirton Charakter und ihr sehr entfernt liegender Bücken bildet eine kaum merklich wellige Linie, von der bewaldete Seitenzweige mit abgerundeten Bücken in mehreren gewölbten Stufen allmälig in senkrechter Richtung gegen die Wläschitj immer niedriger und flacher werdend, vordringen und sich schliesslich in unbedeutende flache Hügel auflösen, die alle mit Aeckcrn bedeckt sind. Zwischen diesen und dem steilen Fusse der Wläschitj, dicht hei letzterem, braust die Läschwa dahin, erst ein unscheinbarer Bach mit vielen Zuflüssen, schliesslich eine Breite von 10- bT) Schritt annehmend, aber immer seicht auf einem mit Geröllsteinen erfüllten Bette. Etwa eine Stunde von Träwnik beginnen dadurch mehrfache Verengerungen dieses eine Meile breiten Thaies, dass einige Seitenzweige der Karäula dichter an die Läschwa herantreten und schliesslich das ganze Gebirge unmittelbar heim Flusse bleibt. Diese eigentümliche Bodenbildung des Thaies mag die Einwohner veranlasst haben, ihre Häuser in der Mehrzahl auf dem linken, höher gelegenen Ufer der Läschwa zu erbauen, während sich ihre Felder auf dem rechten Ufer befinden, woselbst die Erde fruchtbar scheint und bequemer zugänglich ist. Has Thal dürfte übrigens zu den bevölkortsten des Landes gehören, denn die Hörfer fliessen völlig ineinander, so dass ich leider nicht im Stande bin, ihre Reihenfolge anzugeben, denn da eine Horfgrenze nicht zu unterscheiden war, fragte ich nicht erst meinen Ibro, sondern wollte Mio Erkundigung im Angesichte von Träwnik abmachen, doch da stellte sich heraus, dass mein lieber Gefährte zwar alle Dörfer, etwa ein Dutzend, aufzählen konnte, aber ihre Reihenfolge nicht wusste. So kann ich nur mit Sicherheit angeben, dass der Göstil-Han zum Dorfe Hoch- oder Wissdka-Karäula gehört, von dem ich jedoch nichts gesehen habe; in gleicher Höhe mit diesem aber mehr im Karäula- und Göstilknotenpunkt mag Engpass- oder Derwend-Karäula liegen; abwärts kommt dann zunächst Pod-Kräij, hierauf Knjes-Sello und jenseits der Läschwa Wäroschluk. In Knjes-Sello (Fürstendorf) kehrte ich ein und die Männer des Han's herathschlagten erst darüber, zu welchem Dorfe sie gehörten, ob zu Pod-Kräij oder den anderen, als ich sie um Auskunft fragte; so gehen diese Ortschaften in einander über. Das letzte Dorf vor Träwnik heisst Turbe-Sello, nach einem muhamedanischen Heiligengrabe, bei welchem eine schöne steinerne Dschämie, eine vielbesuchte Kneipe und eine Riesenpappel von 24 Fuss Stamm um fang, welche aus 6 Pappeln zusammengewachsen erschien und fast viereckig im Durchschnitte war. (Nähere Untersuchungen mochte ich nicht anstellen, weil ich dazu heiligen Hoden hätte betreten müssen und eine zahlreiche bunte Gesellschaft von Türken durch Andachtsübungen und Sliwowitz % schon aufgeregt genug erschien.) Zwischen dem letzteren Dorfe und den vorgenannten liegen, ohne Gewähr für Reihenfolge: Sher-rilotz, Shellinowatz, Sheschitj, Rünitj und Ssasspissu-Sello. Noch muss ich erwähnen, dass in dem Thale keine Mühlen, aber sehr viele Turbinen vorhanden sind und zwar wird das zu den letzteren nöthige Wasser mit Röhrenleitungen aus Quellen am Fusse der Wläschitj derartig unter geschickter Benutzung des Gefälles abgeleitet, dass ein Quell hintereinander 3—4 Turbinen treibt. Da die Landlcute keine Brunnenbohrer wie wir haben, so waren sie gezwungen, die zu den Röhren benutzten Stämme aufzuschlitzen und in solcher Weise auszuhöhlen, worauf sie den Schlitz durch Hineinpressen einer Latte schlössen, aber so undicht, dass aus jedem Rohr "förmliche Fontainen seitwärts sprangen. Ueber den Baumwuchs des Thaies habe ich noch zu bemerken, dass die wilde Birne neben Ahorn, Wallnuss, Hasel, Erle, Roth- und Weissbuche, Eiche, Bach- und Höhen-Weide, Maulbeere, Weissdorn, Buche und Hollunder auftritt, welch letzterer auf der ganzen Suha-Planinä von mir nicht bemerkt worden ist. Die Birke verschwand an den Vorstufen des Gdstil und die Tanne fehlt im Li äschwa-Thalo. Ueber die Einkehr im Han von Knjes-Sello ist nicht viel zu berichten, doch will ich wegen der Rechnungslegung erwähnen, dass wir mit süsser Milch, Molken, Kuka, Lauch, Eiern und Käimak nebst Honig, sowie 2 Mal mit Kaffee bewirthet wurden, wofür ich 8 Piaster erlegte. Her Wirth, ein wohlbeleibter ältlicher Muhamedaner, hiess Achmed und verrichtete sein Tagewerk durch Rauchen eines Nargileh, wobei er so entsetzlich stöhnte, als oh er die schwersten Lasten bergauf trüge. Ich wunderte mich darüber und glaubte erst, er litte an einem Pohler der Athmungsorgane, doch war dies nicht der Fall, das Nargileh-Rauchcn ist vielmehr so anstrengend an sich selber und dient den wohlhabenderen nichtsthuenden Muhamedanern statt der Arbeit. Um über diese Sache genau berichten zu können, liess ich mich zwei Tage vor Verlassen des Landes in dem Han von Dshürdshewitj darin unterrichten und will das Ergehniss hier gleich mittheilen. Das Nargile'h ist eine Wasserpfeife, bestehend aus einem enghalsigen milchglasigen Kruge, der zur Hälfte mit Wasser gefüllt wird, in welches ein metallenes Rohr aus dem brennenden Tabak hineinragt, welcher letztere oben auf dem Krughalse liegt und zwar auf einer abschraubbaren metallenen Vorrichtung, die ein Drahtsiel) hat. Der ganz grob geschnittene Tabak wird vor dem Rauchen in Wasser getaucht, massig ausgedrückt, auf das Sieh gelegt und nun hoch mit glühenden Kohlen bepackt, worauf das »Ziehen« beginnt, welches mittelst eines seitwärts angeschraubten, bis 6 Fuss langen Schlauches mit Bernsteinspitze erfolgt und ebenso grosso Uebung als Kraftanspannung der Lungen erfordert, um den Bauch mit widerlich gurgelndem Geräusch in das Wasser hineinzuziehen, aus dem er dann, seiner Kohlentheilchen gröss-tentheils beraubt, in den Schlauch empor steigt und in Mund und Lungen des Rauchers gelangt, der ihn stöhnend wieder ausstösst. Jeder Zug erfordert etwa eine halbe Minute Zeit, d. h. während seiner Dauer kann man nur einmal Luft holen. Mir glückte es nicht, einen einzigen Mund voll Rauch durchzuziehen. Der dicke Achmed war ein gutmütiger, verständiger alter Knabe, der einem vorbeigehenden Trupp Rajahwoiber scherzhafte Bemerkungen zurief, welche diese mit lautem Lachen in einer Weise beantworteten, dass Achmed und die ihn umgebenden Männer darüber in Lachen ausbrachen. Es schien mir überhaupt, als ob die Christen und Muhamedaner dieses Thaies verträglich neben einander lebten, die Anlage dor Dörfer sprach wenigstens hierfür. — Ich zeichnete Bergprofile und Kartenskizzen sowie Blätter und Blüthen ab, die ich gepflückt oder im Vorbeireiten abgerissen hatte, und als ich bei dieser Beschäftigung den Achmed plötzlich fragte wie er hiesse, neckten ihn die anderen Männer scherzhaft mit der Bemerkung: »Siehst Du, jetzt hat er Dich abgezeichnet und nun musst Du ohne Seele umherlaufen!« er erwiederte mit gutlauniger Resignation etwas, das ich nicht verstand, worüber aber die anderen Muhamedaner lachten. Die bosnischen Türkon scheinen vor dem Abbilden lebender Wesen nicht mehr das gehörige Entsetzen zu haben, doch vor dem Trinken mit Christen aus einem und demselben Gefäss, selbst wenn es sich um Sliwowitz handelt, haben sie noch immer und ohne Ausnahme einen unüberwindlichen Abscheu, wie ich mehrfach zu sehen Gelegenheit hatte; sonderbar ist es dem gegenüber, dass sie die Pfeifen spitze, welche eben ein Christ benutzt hat, mit der grössten Unbefangenheit an den Mund bringen, ohne sie vorher abzuwischen. Um 5 Uhr ritten wir aus Achmeds Han fort und um 9 Uhr langten wir vor Träwnik an. Hiese Stadt bietet von dem letzten Hügel aus, über den der Weg führt, einen reizenden Anblick, ist auch nach meiner Meinung die schönste Bosniens und selbst schöner als Sarajewo, für dessen Verschönerung erst seit etwa 8 Jahren, unter dem jetzigen Waly, Neri-nenswerthes geschehen ist, wohingegen Träwnik sieh seit mehreren Jahrhunderten der Pflege bosnischer Grossen erfreut, die in ihrer Art diese Stadt verschönerten, welche bis 1850 die eigentliche Hauptstadt des Landes war und erst seit Omer Pascha's Auftreten Sarajewo den Vorrang in jeder Beziehung einräumen musste. Träwnik liegt unten in dem hier bis auf etwa 2000 Schritt verengerten Läschwathale und klettert rechts amphitheatralisch in einer Schlucht die Karäulahöhen hinan, Kuppeln, Minare's und stattliche Gebäude ragen überall aus dem Gewirre von Dächern und Laub hervor; links erhebt sich auf einem schroffen Felsen der Wläschitj eine alterthümliche graue Burg mit wohlerhaltenen Mauern und Thürmon, auch liegen auf jenen steilen Höhen eine Menge von ferne reizend aussehende blendend weisse Kjöschke und Landhäuser malerisch umhergestreut, während vor der Stadt unten im Thale wahrhaft imposante Kasernenbauten den Blick des ankommenden Fremdlings zunächst fesseln; einen wirklich wunderschönen Anblick gewähren überdies die seit Passiren von Turbe'-Sello steil gewordenen Karäulahöhen rechts, denn sie sind oben und an den Abhängen mit weissschimmernden Lust- und Landhäusern, je näher der Stadt je dichter, wie übersäet; auch die schroffen Felsen links tragen durch ihren düsteren Gegensatz zu der Lieblichkeit dieses Thal- und Stadthildes wesentlich bei. Freilich verliert das Bild an Schönheit, sobald man die engen, krummen und schlecht gepflasterten Gassen der Stadt betritt, die nur 12,000 Einwohner haben soll, doch wird man durch den Anblick ihrer Arkaden, Moscheen, Basare, Heiligengräber und vieler anderer schönen Bauwerke in der Nähe wieder entschädigt. — Träwnik hat 20 Bshamien, 5—0 muhamedanische Gebetschulen und eine Kushdje oder Gesetzschule, in welcher Verwaltung und ein wenig Geographie gelehrt wird, ausserdem ein serbisches Bethaus und desgleichen ein jüdisches. Hie Katholiken haben in der Stadt kein Bethaus, wohl aber in dem kaum eine halbe Stunde (südlich) entfernten Dorfe Bdiatz eine Kirche nebst einer von etwa 80 Kindern besuchten Schule; zwei Franziskaner leiten den dortigen Kirchen- und Schuldienst. Die Träwniker Juden sind meistens spanischer Zunge, nur ein paar aus Ungarn eingewanderte Israeliten sprechen Deutsch als Muttersprache, leben aber in Dürftigkeit, obwohl sie — horribile dictu — die jüdische Intelligenz gegenüber den eingeborenen Juden vertreten. Wir kehrten in einen Han ein, der grade gegenüber von einem Arkadenbau in der Nähe eines von hohen Pappeln umgebenen schönen Turbe und vor einem Saptie'-Pferdestalle lag. Auf dem Hofe trat mir gleich ein Arabädschy mit dem Anerbieten entgegen, mich für 2 Ducaten nach Sarajewo fahren zu wollen und kam mir bis an das Zimmer nach, das Ibro für mich anweisen liess. Ich wies ihn damals zurück, denn ich war noch nicht entschlossen zu fahren, auch schien mir der Preis viel zu hoch, am andern Tage ging ich jedoch gezwungener Weise auf sein Anerbieten ein. Der Kutscher hatte übrigens die für einen Orientalen wunderliche Mode, das Fess vor mir abzunehmen, ein Zeichen, dass er schon viel mit Europäern zu thun gehabt haben musste und ihnen gegenüber europäische Sitten nachahmte. Er war ein Diener der Kombeni, d. h. der Compagnie wohlhabender Serben, welche mit Hülfe 21 von 16 Wagen einen beständigen Personen- und Gepäekver-kehr zwischen Träwnik und Sarajewo unterhalten. Von meinem guten Ibro musste ich nunmehr mit schwerem Herzen Abschied nehmen, denn er wollte, da es noch früh war, an jenem Tage noch einen weiten Ritt zurück machen. Er kündigte mir seinen Entschluss mit den naiven Worten an: »Der Saptie' will nach Hause und bittet um Eakschisch !« Es war mir so wehmüthig, als ob ein alter Freund von mir ginge. In dem Zimmer stand eine eiserne Bettstelle, die wohl einem der fremden »Ingenieure« gehören mochte, welche beim Chaussee- und Brückenbau beschäftigt gewesen und nun weiter gezogen waren; der Inhalt dieses Lagers war von einer Beschaffenheit, dass ich jetzt Bedenken tragen würde, meinen Stiefel darauf zu stellen, damals aber war ich überglücklich, in demselben vollständig angekleidet eine Nacht hindurch liegen zu können; der Vorsorge halber wusch ich mir freilich am andern Morgen Hände und Gesicht mit einer starken Chlorkai kauflösung, was ich noch öfter in Bosnien that, um mich vor Hautkrankheiten zu schützen. Her Vorgänger schien übrigens ein Beutscher gewesen zu sein, denn unter seinem Nach-lass befand sich auch eine Bibel und ein deutsch-französisches Wörterbuch. Bald bekam ich Besuch; zunächst erschien ein bosnischer Jude, der sich wie ein türkischer Beamter gekleidet hatte und italienisch sprach, welches ich nicht konnte, wobei ich mir jedoch damit half, dass ich lateinische und französische Worte so gut ich vermochte, italianisirte, so dass wir uns doch verständigten, und so ersuchte ich ihn, dem Schelm von Kellner in korrektem Serbisch zu sagen, was ich ihm selber schon in gebrochenem Serbisch gesagt hatte, nämlich mir einen Kübel heisses Wasser zu besorgen, den ich zur Waschung haben wollte. Nunmehr erwiderte der Taugenichts, der sich vorher gestellt hatte, als ob er mich nicht verstanden hätte, dass er sich darauf nicht einlassen könne, ich möchte in's Bad gehen, was ich wegen der in Banjalüka gemachten Erfahrungen und erhaltenen Warnungen eben vermeiden wollte. Der dolmetschende Hebräer fragte mich nach meiner Heimath und sehr angelegentlich nach meiner Religion; als ich ihm nun mittheilte, dass ich Protestant wäre, zog ein Lächeln aufflackernden Wohlwollens über sein Gesicht, das aber einem melancholischen Ausdrucke Platz machte, als er mir auf meine Präge, ob er Christ oder Muhamedaner, mit dumpfer Stimme den Bescheid gab, er sei Jude. An seinem Gesicht war dies nicht zu erkennen, worüber noch Näheres an anderer Stelle, und ausserdem wusste ich damals noch nicht, dass kein bosnischer Christ eine türkisch-europäische Kleidung (gewisser-maassen türkische Uniform) anlegt. Nachdem mich dieser bosnische Hebräer verlassen hatte, stellte sich ein ungarischer ein, den ich Moses nennen will, obwohl er nicht so hiess, und an ihn wandte ich mich zunächst um Nachweis eines Bades; da ich jedoch nicht mit den über und über beschmutzten Stiefeln durch die Stadt laufen wollte, ersuchte ich den Kellner, meine Fussbekleidung zu reinigen, was derselbe jedoch mit den Worten ablehnte, dass es Sonntag sei und da dürfe er nicht arbeiten. Mit dem Betrügen nahm es der Schelm trotz des Sonntages nicht so genau, wie ich bei meiner Bückkehr vom Bade erfahren sollte; das mir überwiesene Zimmer lag nämlich nach dem Pferdestall der Saptie gekehrt und alle 5 Minuten ertönte dicht unter meinem Fenster ein schmetterndes Trompetensignal zum Tränken und Futterempfang für die Pferde; als ich Moses fragte, ob diese Musik lange zu dauern pflege, belehrte er mich dahin, dass die Signale bis tief in die Nacht hinein gegeben würden und schon mit Tagesgrauen wieder begönnen — was sich als Unwahrheit herausstellte — doch glaubte ich unter so bewandten Umständen nicht zu, dem mir so nöthigen Schlaf gelangen zu können, deshalb wünschte ich das Zimmer gegen ein anderes nach der Strasse zu belegenes umzutauschen. Der Kellner zeigte mir die Thür eines solchen, wollte jedoch angeblieh den Schlüssel desselben nicht bei sich haben, doch 21* erklärte er ausdrücklich, dass es nicht mehr kosten solle, wie das andere, nämlich 4 Piaster, welche landesübliche Miethe Ibro in meiner Gegenwart ausbedungen hatte. Die Bäder waren leider schon sämmtlich geschlossen und ich war froh, dass mir noch eins geöffnet wurde, in welchem ich doch nichts weiter erhielt, als eine lauwarme Abwaschung, verbunden mit tüchtiger Knetung und Beihung. Schon heim Verweilen in Knjes-Sello hatte ich die unangenehme Wahrnehmung gemacht, dass ich krank sei, denn während ich dort vor dem Hause in den glühenden Strahlen der Mittagssonne sass, brannte mir zwar die Haut wie glühende Kohlen, blieb aber trocken wie Bimsstein und nach dem Bade packte mich ein solcher Pieberfrost, dass ich mich kaum ankleiden konnte; der Bader, dem ich mein Leid klagte, klopfte mir gutmüthig auf den Bücken und sagte: »Geh in den Han, iss tüchtig und trinke eine Flasche Sliwowitz, schlafe aus und du wirst morgen gesund sein!« Auf dem Bückwege betrachtete mich eine muhamedanische unverschleierte Frau durch das geöffnete Guckloch eines Fenstergitters; als ich sie ansah, warf sie schnell die kleine Gitterklappe zu und war verschwunden, doch hatte ich so viel gesehen, dass sie nicht schön war. Im Han angelangt, sah ich, dass eben zwei Türken im Begriff waren, das beim Weggehen für mich angewiesene Zimmer zu beziehen; auf meine Frage, was dies zu bedeuten habe, erklärte der Kellner, die Leute gäben mehr wie ich, wenn ich 16 Piaster zahlen wolle, könne ich dasselbe erhalten. Ich sagte ihm, dass ich zum Kady oder Pascha gehen und jetzt den Han gänzlich verlassen würde und berieth sogleich mit Moses, wo ein anderes Unterkommen zu finden wäre, da aber erklärten die beiden Türken, dass sie das von mir verlassene Zimmer rocht gern beziehen und mir das streitige überlassen wollten, worauf sie sogleich Hand an die eiserne Bettstelle legten und hinüber trugen, während Moses auf meinen Wunsch die Matten, welche am Boden lagen, hinauswarf. Er holte dann eine Quartflasche Sliwowitz herauf und die heiden Türken kamen als meine G-äste herein, liessen sich auf den Boden nieder und wir leerten gemeinsam den entsetzlichen Fusel, doch trank ich selbstverständlich nur wenig davon. Die Leutchen besuchten mich an demselben Abend in zutraulicher Weise noch einmal und auch am andern Morgen kamen sie an meine Thür, um Abschied zu nehmen, da sie aber durch das Fenster von der Galerie aus sahen, dass ich noch schlief, bestellten sie bei Moses, der schon da war, einen Gruss an mich und reisten fort. Da ich schlechterdings nicht mehr reiten konnte, wollte ich am anderen Tage die Post benutzen, welche zwischen Träwnik und Sarajewo fährt, doch rodete mir Moses davon ab und rieth mir, ohne Saptie' mit einem Wagen der Kompagnie zu fahren, denn auf einem solchen könnte ich wenigstens auf einem Bündel Gras oder Heu liegen, während der harte Sitz eines ebenfalls nicht in Federn hängenden Postwagens mein Leiden nur verschlimmern müsste. Er erbot sich gegen freie Fahrt und eine Entschädigung von 16 Piastern mitzufahren und unterwegs mein Diener zu sein, denn er habe in Sarajewo zu schaffen, auch wollte er noch einige Personen suchen, welche ebenfalls nach Sarajewo zu reisen wünschten, so dass ich den Wagen nicht allein zu bezahlen brauchte und mit höchstens 2 Gulden Fuhrlohn wegkäme. Dieses Anerbieten schien mir sehr vorteilhaft und überdies musste ich mich ja so wie so mit Moses wegen der schon erwiesenen Dienstleistungen abfinden, deshalb ging ich darauf ein, doch kam die Sache freilich ganz anders und der vermeintliche Vertrauensmann erwies sich als ein Schelm, der nicht einmal ein Hehl daraus machte, dass seine einzige Absicht mit mir dahin ging, mich im Verein und mit Hülfe der Eingeborenen tüchtig zu rupfen, was ihm freilich nicht gelang, auch war er unreinlich und äusserst verlogen, wodurch er mich einmal sogar in Verlegenheit brachte, denn in Kisseljak erfuhr ich z. B., dass er mich für den Bruder des österreichischen Generalkonsuls ausgegeben hatte. Dies hätte ich mir alles vorhersagen können, denn völlig unwissende und untergeordnete Menschen sind selbst bei uns falsch, unzuverlässig und unredlich, wenn auch nicht immer unreinlich, was schon der unsterbliche Dichter und Menschenkenner Cervantes durch den Mund Don Quixote's ausgesprochen hat; in einem halbwilden Lande steigern sich jedoch die Untugenden dieser Leute bis zur Unerträglichkeit, gleichviel ob sie Juden, Christon oder Muhamedaner sind, deshalb warne ich jeden davor, einen der bosnischen Leute, auch wenn er ein Eingewanderter ist, als Diener oder Dolmetsch anzunehmen — geht's nicht ohne einen solchen, dann nehme man stets einen Saptie, denn diesen zügelt das Eisico der Strafe für verletzte Pflicht. Schlaf und Transspiration während der Nacht retteten mich vor einer ernstlichen Krankheit, doch fühlte ich mich am andern Morgen so matt, dass ich kaum aufzustehen vermochte und immer wieder einschlief, wenn ich geweckt wurde. Man darf übrigens nicht glauben, dass ich in jenem Han eine ungestörte Nachtruhe genoss, denn wiederholt zwangen mich schnellfüssige Insecten zu einer ergiebigen Jagd und einmal weckten mich die wilden Hunde mit einem Concert, wie ich solches zuvor nie gehört und nun zum ersten Male hören musste. Man kann sich kaum einen Begriff von dem höllischen Lärm machen, den die Thiere bei solcher Gelegenheit veranlassen; einer beginnt mit einem lauten Wehegehoul, vielleicht weil ihn ein anderer gebissen, dies Geheul beantworten einige Vettern oder Basen in der Nachbarschaft und nun stimmen in wenigen Minuten nach und nach alle Mitglieder der werthen Sippschaft, die sich in der Stadt befinden, ausdrucksvoll ein, so dass man schliesslich nicht mehr einzelne Töne, sondern nur noch einen einzigen Ton hört, der gewissermaassen in der Luft schwebt und die Nerven des Hörers durch seine Schallwellen erschüttert, schliesslich dringt wieder ein markirter Laut von irgend einer Seite her durch, eine Sekunden - Pause entsteht, als ob die Thiere einen Augenblick lauschten und dies genügt, um klatschende Hiebe vernehmbar zu machen, die ein in der Haremsruhe gestörter Hausherr auf die ihm zunächst befindlichen Concertgeber als Tactschläge und zugleich Honorar aus-theilt, wodurch der Höllenlärm zwar einige Minuten lang wo möglich noch grösser wird, aber in Pausen, die dann immer länger werden, worauf zuletzt gänzliche Stille eintritt. In Sarajewo wurde ich fast in jeder Nacht durch ein solches Con-cert geweckt und in Bertschka, der letzten bosnischen Stadt, die mich beherbergte, regalirten mich die Hunde - Virtuosen zweimal, gleichsam zum Abschiede, mit einem Monstreconcert, das alles bisher Gehörte übertraf. Bei dem Han befand sich eine Garküche, die ich in Augenschein nahm. Das Local sah reinlich aus, in einem grossen Kamin prasselte ein Feuer, über welchem ein Kessel hing, ausserdem war längs der Fensterwand eine gemauerte Kinne angebracht, deren Boden mit brennenden Holzkohlen bedeckt war, über denen dicht zugedeckte Kochtöpfe von etwa 3 Quart Inhalt hingen, indem sie in den oberen Band der Binne geklemmt waren. Der Koch hob einige Deckel auf und ich sah, dass klein geschnittene Fleischbrocken nebst ihrer Brühe in verschiedenen Stadien des Garseins in den Töpfen brodelten und recht angenehm rochen. Kam ein Gast, dann nahm der Koch aus diesen Töpfen die verlangte Portion und stellte sie in einem Teller auf den hohen Tisch bei der Hinterwand, woselbst sich eine Bank befand, auf welcher die Speisenden hockten. Brod brachten sich die Leute mit und Waschwasser goss ihnen ein Bursche in die Hände. Einen Brod Verkäufer sah ich vorbeigehen und seine Waare, die er mittelst eines Brettes auf dem Kopfe trug, ausrufen, was mit gedämpfter Stimme geschah; übrigens habe ich nie ein lautes Ausrufen oder gar Ausschreien von verkäuflichen Sachen gehört, und es ist in den Strassen der bosnischen Städte überhaupt ruhiger als bei uns, obwohl im Allgemeinen auf denselben mehr Leben herrscht, da alle Geschäfte auf offener Strasse abgemacht werden, jedoch stets i ohne Lärm, gewissermaassen mit Würde. Moses kam wiederholt mit der Nachricht, dass er keinen Mitreisenden auftreiben könne und der Kutscher beharrte nach seiner Aussage auf der Forderung von 2 Ducaten, wollte mich überdies selber sprechen, um des Zwischenhändlers ledig zu sein. Um der Sache ein Ende zu machen, schloss ich mit ihm ab und zwar miethetc ich den Wagen bis zum norddeutschen Consulargebäude in Sarajewo für 85 Piaster ohne irgend welche Nebenverpflichtung. Der Wirth mischte sich in den Handel und behauptete, er könne den Arabadschy nicht ziehen lassen, ehe er von demselben nicht 2 Ducaten erhalten habe, denn so viel schuldeten ihm augenblicklich die Wagen der Compagnio. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich, wenn die Sachen so ständen, einen Wagen der Post miethen müsste; nun lenkte er schnell ein und erklärte sich befriedigt, wenn er die 85 Piaster erhielte; auch darauf liess ich mich nicht ein, sondern verlangte, 8 Piaster zurückzubehalten, um sie dem Kutscher nach Zurücklegung der halben Wegstrecke geben zu können, damit ich nicht etwa unterwegs wohl oder übel gezwungen würde, das Fuhrwerk auszulösen; der Wirth machte zwar den Einwand, der Kutscher hätte überall Credit, was auch der Fall sein konnte, obwohl das eigene Auftreten jenes Mannes nicht dafür sprach, und so blieb es bei meiner Bestimmung. Nun ging es an den Abschluss meiner eigenen Rechnung, wobei der Handshy runde 40 Piastar forderte, aber nur 13 Piaster erhielt, nämlich 4 für das Zimmer, wie ausbedungen, 5 für eine Schüssel Pilaw und einen Teller Schaffleisch, 1 für eine Flasche Sliwowitz, 1 für Kaffee und 2 für den Mann, der meine Stiefel am Morgen gereinigt hatte. Er musste mir die einzelnen Posten vorrechnen und da verlangte er u. A. 16 Piaster für das Zimmer, »weil er von anderen Leuten so viel dafür hätte bekommen können« und so ging es fort; schliesslich, als ich schon auf dem Wagen sass, kam er noch mit einer Forderung wegen meines Saptie', der eine Mahlzeit gehalten haben sollte, während er unseren beiden Pferden Futter gegeben haben wollte; wegen der dabei stehenden Leute war ich genöthigt, dem Lügner auseinanderzusetzen, was er so gut wusste wie ich, dass nämlich Ibro mein Anerbieten, erst zu speisen, abgelohnt, weil er es mit der Rückreise eilig hatte, und ferner, dass er unsere Pferde während der Viertelstunde, die er in Träwnik verweilte, im Kaiserlichen Stall untergebracht, der an den Hau stiess; es war auch von dort gleich ein Lieutenant oder Aga bei uns erschienen, der ihm die Quittung über meine »richtige Einlieferung« und eine Marschroute erthoilto. Der liebe Gefährte, dessen Wegritt ich zusah, hatte nur ein Schlichen Kaffee genossen, für welches bezahlt worden, denn mir selber hatte Moses zum Frühstück eine Portion Kaffee, nach europäischer Weise servirt, gebracht (ein reicherer Glaubensgenosse mochte ihm das Geschirr geliehen haben), wofür ich ihm 4 Piaster bezahlt hatte und ausserdem 3 für das Waschen, d. h. blosse Ausspülen eines Honides und einiger Taschentücher, sowie 2 für eine Flasche feinen Sliwowitz »aus dem Gewölb«, den er mir unaufgefordert zum Schlaftrunk gebracht und der auch als solcher Verwendung gefunden hatte, weil es in der That nöthig war. Der Handshy hatte übrigens ein schlechtes Gewissen,, denn als ich nach Erledigung der Rechnungen wegging, um wegen Wechseln eines Ducatens Tabak zu kaufen, schlich er mir nach und kehrte nicht eher zurück, als bis er sah, dass auch ich mich auf den Heimweg machte. Um 7 Uhr Nachmittags türkischer Zeit fuhren wir ab, gefolgt von einigen munteren Knaben, die sich mit lustigem Geschrei an den Wagen hingen; am Ausgange der Stadt stieg ein von Haupt bis zu Fuss scharlachroth, aber zerlumpt gekleideter Türke auf, der eine lange Flinte ausser seinen sonstigen Waffen trug; diese Vormehrung der Reisegesellschaft um eine so zweideutig aussehende Persönlichkeit und dadurch her- beigeführte Verengerung des ohnehin knappen Raumes war mir Anfangs nicht recht und ich fragte Moses, wie er dazu käme, mir einen solchen Reisegefährten zu octroyiren, während er angeblich keinen zahlungsfähigen Mitreisenden hätte finden können. Der Schlaukopf appellirte jedoch an mein Mitleiden mit einem armen Schlacker, der sich kümmerlich durch die Welt schlagen müsste, und ich sagte deshalb dem Türken, dass er mitfahren könne; letzteres that ich besonders deswegen, damit er nicht etwa dem Moses eine Entschädignng zahlte, die derselbe nicht zu beanspruchen hatte; dies schien er zu verstehen und suchte sich während der ganzen Fahrt durch allerlei kleine Aufmerksamkeiten wieder gefällig zu zeigen, indem er mir bald Cigaretten wickelte, bald fragte, ob ich auch bequem läge und den Moses erinnerte, auf meine Sachen zu achten oder den Futterbeute], mein Polster, hesser zu legen etc. Er war ein echter Osmane, hatte den montenegrinischen Krieg mitgemacht und die türkische Medaille dafür erhalten, welche so gross ist wie ein Zweithalcrstück und einen Berg zeigt, auf dessen Spitze die osmanische Fahne gepflanzt ist, während am Fusse eine Kanone steht. Er schlug- sich jetzt als Bote und Briefträger durch, als welcher er u. A. auch vom französischen Consul beschäftigt wurde; bei der Saräjewoer Garnison schien er eine allgemein bekannte und beliebte Persönlichkeit zu sein, denn die Soldaten begrüssten ihn bei der Einfahrt mit lautem Zuruf und Tücher-schwenken; vielleicht richtete er öfter ihre mündlichen Mittheilungen an ihre Angehörigen aus. Träwnik bietet auch von Südosten gesehen einen reizenden Anblick und besonders nimmt sich von dort die alte Burg sehr schön aus. Der Weg steigt ziemlich steil empor und das Thal wird eng, zu beiden Seiten mit steilen, obwohl nicht hohen Felsen eingefasst. Gleich nach dem Verlassen der Stadt begegnete uns eine ganze Schaar verhüllter Frauen, von denen mehrere Säuglinge trugen, und unverschleierter, aber schon ziemlich erwachsener Mädchen. Die letzteren betrachteten uns mit naiver Neugier und zeigten uns so ihre wirklich hübschen Gesichter (deren Schönheit im Haremslehen als Frau bald zu schwinden scheint!), während die Frauen, obwohl verschleiert, uns den Rücken kehrten und sich mit dem Gesicht gegen die Felswand stellten, bis wir vorbei waren. Auf dem Wege bis Sarajewo habe ich keine Skizze angefertigt und nur sehr wenige Notizen gemacht, denn ich musste annehmen, dass diese chaussirte Strasse von Roschkjewitsch und Anderen auf das Allergenaueste abgezeichnet und beschrieben worden sei, was leider nicht der Fall, und dann war ich wirklich nicht in der Lage, zu arbeiten, obwohl ich Anfangs bis gegen Dunkelwerden alle Brücken, Han's und Ortschaften nach der zurückgelegten Zeit notirte, ein Unternohmen, das dem Fortkommen äusserst hinderlich und für mich beschwerlich war, denn ich musste wegen jeder Notiz den eilig dahinjagen-den und unbarmherzig stossenden Wagen halten lassen, mich mühsam von den Flllonbogen aufrichten und eine schmerzhafte Sitzstellung' einnehmen, um schreiben zu können, so beschränkte ich mich schliesslich darauf, nur da eine Aufzeichnung zu machen, wo der Wagen bei einem Han vom Kutscher angehalten wurde und selbst da hatte ich Schwierigkeiten beim Erkundigen nach naheliegenden Dingen, wenn ich nicht die Eingeborenen selber fragte, denn Moses erwies sich einerseits nicht blos als höchst unwissend, sondern gradezu boshaft verlogen; so behauptete er mit grösster Frechheit, das Dorf Jehowatz sei 3 Stunden von Bjellällowatz entfernt und redete den Handshy im letzteren Orte vor meinen Augen auf, dieselbe Aussage zu machen, um mich zum Bleiben zu bestimmen, während er anderen Tages dem Türken, als wir nach anderthalbstündiger Fahrt den Ort erreichten, darüber Vorwürfe machte, dass er meine Frage, oh dies Jehowatz sei, ehrlich mit Ja beantwortet hatte. Fragte ich ihn nach der Bedeutung gewisser serbischer Wörter oder ersuchte ihn, mir eine Bedens-art in's Serbische zu übersetzen, so schützte er entweder Un-kenntniss vor oder berichtete mich falsch, wie ich mit Hülfe meines Wörterbuchs erforschte. Trotz der vorerwähnten Hemmnisse glaube ich doch ein allgemeines Bild von der Strecke entwerfen zu können. Der Weg von Träwnik bis zur bosnischen Hauptstadt zerfällt in 3 Thälcr, in das der Läschwa mit der Kössarna bis Bjellällowatz, in das der Mläwwa und Le'penitza bis zur Kbb-bilja-Gläwwa (Stutenkopf) und in die grosse Saräjewsko-Bölje. Has vielfach gewundene Läschwathal ist eng und felsig, letzteres besonders auf der linken Flussseite, und die Läschwa arbeitet sich 23/d Fahrstunden von Träwnik unterhalb Wites durch ein förmliches Felsenthor hindurch, um sich dann nördlich zu wenden; ich sah dort vom rechten Ufer aus jenseits eine tiefe Höhle in dem etwa 80 Fuss hohen Kalkfelsen; von da an wird das Thal offener und links und rechts zeigen sich nur massig hohe Hügel, parallel mit dem Wege streichend und mit Eichen- sowie Erlengestrüpp bedeckt; Nadelholz findet sich nirgends, aber die Birke kommt einzeln und in Wäldern zwischen Büssowatz und Bjellällowatz sowie bis 4 Stunden von Sarajewo vor. Gegen Bjellällowatz wird das Thal etwas enger und der Weg geht einigermaassen steil über die schon erwähnte etwa 200 Fuss relativ hohe Scheidewand wenig auffällig in das nächste Thal über, das sich schnell bis auf 2—3000 Schritt verbreitert und zu beiden Seiten mit 1—300 Fuss hohen Hügeln eingefasst ist, die ebenfalls parallel zum Wege streichen, fast nie gegen denselben und nur einige enge Seiten-thäler offen lassen. Die Köbhilja-Gläwwa kann 400 Fuss relativ hoch sein und zieht sich als ein über eine Stunde breiter Höhenzug von Westen nach Osten quer vorbei. Auf ihr hat man noch über 3 Stunden von Sarajewo entfernt zum ersten Male einen Anblick der Stadt, hinter welcher sich kolossale Hochgebirge in der Ferne emporthürmen und mir mit Schnee bedeckt schienen. Das Bild geht durch die Senkung des Weges und die Steigung der dann folgenden Igman - Hügel schnell verloren. Die Auffahrt zum Stutenkopf ist so steil, dass man vom Wagen steigen muss. Die Saräjewsko-Bölje ist eine völlig flache Ebene von reichlich 2 Stunden Länge und eben so viel Breite, im Süden und Norden von Hügeln, im Osten von Hochgebirgen, an deren Busse die Stadt liegt, umsäumt. Auf dem ganzen Wege von Träwnik bis Sarajewo ist man fast beständig im Angesichte von brausenden seichten Flüssen oder eilig dahinrieselnden Bächen, über welche häufig ganz neue Brücken aus Holz führen, auch sind von Jehowatz an zahlreiche, grosse, und nach orientalischen Begriffen prächtige Han's sowie mehrere Schnappsschänken am Wege vorhanden. Die Miljätschka, welche durch Sarajewo strömt, ist etwa eine halbe Stunde von der Stadt (und ziemlich eine Stunde vom deutschen Consulat) mit einer prachtvollen steinernen Brücke in 9 Bogen überspannt, die aus dor Zeit des grössten Glanzes der Osmanenherr-schaft herrührt. Auf der Kdbbilja-Gläwwa ist der Wald zu beiden Seiten des Weges geschwendet, d. h. mit Feuer ausgerodet, weil er ein Schlupfwinkel von Räubern war, die den Beisenden aufzulauern pflegten. Die todtgesengten Bäume standen noch zum Theil und Bajahs waren unter denselben eifrig beschäftigt, Aecker anzulegen. Die ganze Strecke zwischen der alten und der neuen Hauptstadt ist von lieblicher, idyllischer Schönheit, die Felder sind sorgsam bestellt und vortrefflich mit Hürden- und schliesslich sogar mit Staketzäunen eingehegt; man sieht auch Wiesen. Meine Erlebnisse auf der Fahrt waren Folgende: In dem ansehnlichen Flecken Büssowatz, den wir um 10 Uhr erreichten, machten wir Halt, um Kaffee zu trinken und zwar hei einem in der ganzen Gegend als reich bekannten Serben, der sich einen neuen, grossen Han baute. Als ich ihn fragte, was ein solcher Bau kostete, gab er mir zur Antwort, dass er nicht schreiben könne und deshalb nicht aufschriebe, was er dafür ausgegeben, andererseits könne er dies auch nicht behalten, denn dies würde ihm Kopfweh verursachen, er begnüge sich deshalb damit, den Arbeitern ihren Lohn auszuzahlen, so oft es Zeit sei, und zu bezahlen was sonst noch bezahlt werden müsse. Als ich zu Moses bemerkte, dass mir ein derartiger Leichtsinn unglaublich seidene und der Mann wohl misstrauisch gegen mich sei, gab er zur Antwort, dass die Leute in Bosnien so seien, übrigens schätze er die Baukosten auf 200 Gulden Silber. Als ich dies bezweifelte, rechnete er mir vor, dass das Material nichts weiter koste, als das darauf zu verwendende Arbeitslohn, ein Bauhandwerker täglich 4 — 5 Piaster und ein Tagelöhner 2—2v-> Piaster täglich erhielte. Als ich diese Angelegenheit in Sarajewo vor Europäern zur Sprache brachte, schlug man die Baukosten doppelt so hoch an und sagte, dass Tagelöhner 4—5 und Handwerksmeister 8—12 Piaster täglich verdienten. Dies mag in dem theuren Sarajewo der Pall sein, ich glaube aber dennoch, dass Moses, der in Geschäften wenigstens gründlich bewandert war, Kocht hatte, soweit das offene Land' und die kleineren Städte in Betracht kommen, die Lebensart'der Leute, ihre Armuth und die Bedürfnisspreiso standen damit auch in Einklang, verdienen doch die Likaner in ihrer österreichischen Heimath auch täglich nur 4 Piaster (Gruseln). Büssowatz hat zwei hölzerne Moscheen und ein serbisches Bethaus, die Katholiken des Ortes haben das ihrige in Wites, woselbst ich eine Moschee dicht am Wege bemerkte, deren Bauart etwas kirchlich aussah. In dem zweistöckigen Han von Bjellällowatz wurde übernachtet und ich hatte dabei Gelegenheit, die empfindliche Kühle der bosnischen Nächte kennen zu lernen. Als wir beim Han anlangten, iii den ich mit Widerstrehen und nur deshalb aus Bücksicht auf die Mitfahrenden ging, weil die Sonne schon gesunken war, fuhr eben ein anderer Wagen mit einer Familie ab; ich wollte nicht eher vom Einkehren wissen, als bis mir der Handshy den Miethspreis für das mir einzuräumende Zimmer gesagt hatte, wozu er sich jedoch erst verstehen wollte, als ich Miene machte, weiter zu fahren, dann fordorte er vier Piaster. Moses hatte nämlich dazwischen geredet und entblödete sich nicht, mir zu sagen, dass es sich für einen Fremden nicht gezieme, nach den Preisen zu fragen, wohl aber zu bezahlen, was gefordert würde; er redete auch den Mann auf, dass er am andern Morgen 10 Piaster forderte, obwohl ich zum Frühstück nichts genossen, als ein winziges Känneheu warmer Milch, sonst gar nichts. Der Mann redete sich damit aus, dass er das Zimmer theurer hätte vermiethen können, war aber, als ich ihm das G-egentheil bewies, trotz Moses' Einspruch mit 6 Piastern zufrieden und so musste mein »Vertrauensmann« wohl oder übel seine Zeche selber bezahlen, wie beim Eingehen auf sein Dienstangehot ausdrücklich verabredet worden war. Mein Zimmer wimmelte so von Wanzen, dass mir dieselben, als ich schreibend am Boden lag, in die Kerze fielen, deshalb wollte ich auf dem Käsen im Freien übernachten, doch wies Moses, dor sich für die Abwesenheit von Ungeziefer mit alttestamentalischen Schwüren vorbürgt hatte, darauf hin, dass noch ein Balkon oder Kjöschk im Hause vorhanden sei, nämlich vor dem mit Papier verklebten Haremsfenster des Wirth.es. Man gelangte zu demselben durch einen kaum mannsbreiten Gang und os wurde nun dorthin das frischgemähte, feuchte Gras geschafft, auf dem ich liegen wollte. Auf diesem nach. 3 Seiten offenen und nur oben durch ein Dach geschützten Balkon lag ich dann, nichts destoweniger von Insecten aller Art geplagt, schlaflos und frierend, denn die Nacht war so kühl, dass mein Hauch wie dicker Nebel erschien und milden Bart nässte; kurz vor Tagesanbruch stand ich auf, urn der Sache ein Ende zu machen und mir etwas Warmes zu verschaffen. Unten kamen die Pferdchen und beschnoberten mich zutraulich; ich rief nach dem Wirth, und da Niemand ant- wortete, öffnete ich eine Thür, um hinauszutreten, doch führte dieselbe in ein Zimmer, woselbst ein Ehepaar nebst einem kleinen Kinde schlief. Ehe ich noch Zeit hatte, umzukehren, rief mir der Mann zu, was ich wolle. Ich sagte es ihm, worauf er mich dahin belehrte, dass ich alles draussen in dem Kjöschk finden würde und mir die in's Ereie führende Thür zeigte. Die Leute lagen völlig angekleidet auf ihrer mit Matten bedeckten Pritsche, nur den Gürtel hatte der Mann abgelegt; das Kindchen schlief in einer ganz kleinen, kastenartigen Wiege, die in einer Welle hing und mit einem Tuche dicht verhangen war; es wimmerte und die Mutter setzte deshalb die Schaukel in Bewegung. In dem etwa 50 Schritt entfernten Kjöschk, der nach allen 4 Seiten offen stand, fand ich einen wahren Scheiterhaufen rauchen und prasseln, dessen Flammen ich beim Aufstehen während der Nacht schon bemerkt hatte, ohne mir seine Localität erklären zu können; meine Reisegesellschaft, bis auf den Kutscher, der Handshy und ein von Sarajewo gekommener Saptie lagen in Mäntel oder Decken gewickelt, dass man nicht ihre Nasenspitzen sehen konnte, schlafend auf den Bänken; Stuten mit Fohlen, an den Vorderfüssen gefesselt, hüpften mühsam am Fusse des Hügels im Grase umher, und Neheimassen schwankten in dem Thale. Ich weckte Moses, der mir einen Sauerquell, deren es dort mehrere gieht, am Wege zeigte, um mich waschen zu können und zu trinken; der Handshy kochte mir indessen Milch; wir gingen zum Wagen und weckten den in demselben schlafenden Kutscher und nach etwa einer Stunde waren wir zum Aufbruche bereit. Am Wege bemerkte ich vor den Häusern mehrere kleine Backöfen, wie ich solche von da an noch öfter sah; ich hielt dieselben Anfangs für Spielerei, doch sind sie zum Kuchenbacken bei mehrfachen Veranlassungen bestimmt. Sie gleichen umgestülpten Waschkesseln, haben Vlß—4 Fuss Durchmesser und 1—2 Fuss Höhe, stehen auf einer dick mit Lehm überzogenen Holzplatte, die auf vier etwa 1 Fuss hohen Pfählen ruht. In Kisseljak, welches wegen der Brunnengäste mehrere stattliche Han's besitzt, machte ich interessante Beobachtungen. Der Ort war nämlich von reichen Saräjewocr Judenfamilien erfüllt, welche dort die »Saison« und den Sommerbrunnen genossen. Die bosnischen Juden sind aus Spanien über Konstantinopel eingewandert und wohnen hauptsächlich, angeblich 1000 Köpfe stark, in Sarajewo. Sie sprechen unter sich nur spanisch, im geschäftlichen Verkehr jedoch die Sprache der Eingeborenen und zwar accentfrei. Das Wunderbarste an ihnen ist jedenfalls die Physiognomie, welche nur ausnahmsweise orientalisches Gepräge zeigt. Sie haben mehr runde als ovale Gesichter, breiten Mund mit schmalen Lippen, grosse Stumpf-nasen, die oft eingedrückt sind und sich in solchem Falle fast birnenförmig nach unten verbreitern; Augen und Haar sind meist dunkel, doch kommen auch blauäugige Blond- und Both-köpfe vor. Die Männer waren meist hübsch von Gesicht. Auffällig war mir bei den Frauen, besonders bei den alten, die starke Entwickclung der Kinn- und Backenknochen. Die sehr seltenen sogenannten semitischen Physiognomien zeigten sich häufiger bei Weibern als Männern und gehörten dann zu einem Langschädel, während ich bei den anderen nur entschiedene Kurzschädcl bemerkte. Diese bosnischen Juden spanischer Zunge schwärmen noch beute für Spanien und ihr Chacham-baschy oder Oberrabbiner soll sogar immer sogenanntes spanisches Brod (ein Gebäck aus Eiweiss und Zucker) bei sich führen, was er Leuten, mit denen er sich unterhält, zu kosten giebt, um ihnen damit zu beweisen, wie schön es seine Vorfahren in dem herrlichen Spanien hatten. Sie bleiben bei den Heirathen unter sich, sind fanatisch orthodox und stehen moralisch sowie hinsichtlich der Bildung noch unter den niederen ungarischen Juden, die bekanntlich tiefer stehen als dio polnischen und russischen, gleichwohl sind sie entschieden praktisch und, obwohl allen Neuerungen todtfeind, sind die ärmeren unter ihnen die einzigen Bosniaken, welche den Werth des europäischen 22 Handwerksbetriebes erkannt haben und ihre Söhne bei österreichischen Handwerkern in Sarajewo in die Lehre geben, während die anderen bosnischen Handwerker mit bedauernswerter Hartnäckigkeit bei dem primitiven Herkommen bleiben. Was die reiche (übrigens nicht zahlreiche) Klasse betrifft, so hat diese dem Fortschritt in einer minder ehrenhaften Weise gehuldigt, indem sie das sonst auf der solidesten Grundlage des Ein- und Verkaufs gegen baar beruhende bosnische Handelsgeschäft zum schändlichsten Schwindelgeschäft gemacht hat, und zwar auf Kosten österreichischer und deutscher Häuser, welche im Laufe weniger Jahre enorme Summen, wohl kaum weniger als eine Million Gulden an diese Gauner verloren haben, denn bei den üblichen Concurson mit 1 lfa Procent Herauszahlung binnen drei Jahren erhielten die Betrogenen nicht einen Pfennig zurück, und die Betrüger, welche gemeinsam operirten, machten noch vor Erledigung des betreffenden Fallissements 2—3 neue! Der erste, welcher diesem schändlichen Treiben entgegentrat, und wenigstens Concurse bis 50 Procent Auszahlung zu Stande brachte, war unser Consul Dr. Blau, und er wurde von allen europäischen Consuln in anerkennenswerthester Weise unterstützt, nur nicht vom österreichischen Generalkonsul Herzfeld, ausserdem half ihm ein jüdischer Ehrenmann, der Herr Eduarde Baruch, welcher der Banquicr aller europäischen Consulate ist, mit Ausnahme des österreichischen. Der letzgenannte Herr, dessen Gemahlin ich auch in Kisseljak gesehen, war übrigens wegen Uebertrotung des mosaischen Gesetzes in den Bann gethan worden, denn er hatte seine Frau veranlasst oder ihr gestattet, das Haupthaar wachsen zu lassen und nach europäischer Frauenart zu tragen, und sich ausserdem europäisch zu kleiden — schlimme Verbrechen in den Augen jener Fanatiker. Sonst lässt sich über die reichen Saräjewocr Juden noch mittheilen, dass sie als Dolmetscher und Saräws (Kassirer) der türkische» Obrigkeiten eine sehr cinflussreiche Stellung im Lande einnehmen, die sie nach Kräften zu materiellem Vortheile ausbeuten; eins ihrer Hauptgeschäfte ist das Ausleihen von Kapitalien gegen hohe Zinsen unter Verschreihung von Grundstücken, die ihnen zufallen, sobald Kapital und Zinsen eine gewisse vorgeschriebene Höhe erreicht haben, was bei dem Leichtsinn der Gläubiger sehr häufig vorkommt, so dass sich die Darleiher auf diese Weise in den Besitz gewaltiger Gütercomplexe und der schönsten Grundstücke gesetzt haben. Bei diesem gewinnreichen Geschäfte dürfen ihnen die Muhamedaner keine Concurrenz machen, weil dies gegen den Glauben verstiesse, und die Christen können es nicht wagen, weil sie sich fürchten müssen, ihren Reichthum zu verrathen, sonst würden dies beide Theile gewiss recht gern thun, so wie ja auch bei uns die Christen den Juden im Wuchern längst den Rang abgelaufen haben, wobei sie noch weniger placahel sind als diese, und ja auch die serbischen Bosniaken den von ihren jüdischen Landsleuten gezeigten Weg der Handelsgaunerei neuerdings mit grossartigem Erfolge auf Kosten deutscher Häuser betreten haben. Die ärmeren bosnischen Juden nähren sich als Handwerker, Tagelöhner, Gemüsegärtner, Diener und in anderer mühsam ehrlicher Weise, wobei sie sich durch grössere Bührigkeit vorteilhaft vor Christen und Muhamedanern auszeichnen, die bei jeder Verrichtung ein aussergewöhnliches Phlegma an den Tag legen. Unter den in Kisseljak anwesenden Juden fiel mir besonders der greise Chacham - baschy auf, eine wahrhaft biblische Erscheinung in seinem orientalischen Anzüge und dem prächtig schönen Kopfe. Mit der Physiognomik ist es ein eigen Ding und sie lässt uns häufig, besonders im Orient, im Stich, denn dort sah ich bisweilen die herrlichsten Köpfe zur Herberge des gemeinsten und schlechtesten Geistes erniedrigt. Die Historienmaler müssen dieser jungen Wissenschaft leider einen ungebührlich grossen Platz einräumen oder thun dies wenigstens mehr wie zu oft auf Kosten der Wahrheit, und so hat uns auch Kaulbach auf seinem berühmten Bilde von der Zerstörung 22* Jerusalems einen Hohenpriester vorgeführt, dessen aufgetriebene Schläfe und keineswoges vorteilhaft idealisirten semitischen Gesichtszüge den eigenen Mord und den von Frau und Kindern motiviren sollen (so behaupten wenigstens schreibende sogenannte Kunstkritiker — die schlimmsten Feinde wahrer Kunst!). Nun ich meine, dass in solchem Augenblicke auch jemand ohne dicke Schläfe, die ausser »Zerstörungssinn« auch Gehässigkeit, Habgier und Betrugssinn verrathen, zu solcher That geschritten wäre, wenn ihm nur ein hoher Sinn innewohnte, der sich bei dem Gedanken empörte, die Seinen der Schändung und Sklaverei, sich selbst aber dem Henkersschwerte ausgeliefert zu sehen. Ein Kopf wie der des bosnischen Chacham-baschy hätte jedenfalls den Blatz auf Kaulbachs Bilde richtiger und schöner ausgefüllt. Weiter erregten mein Interesse die jüdischen Frauen und Mädchen nicht hlos wegen der orientalischen Tracht und der dreifachen Schnüre dicker aufgereihter Ducaten, die sie um den Hals trugen, selbst solche von ihnen, die vor Alter schon kindisch geworden schienen, als vielmehr wegen des Ausdrucks der Gesichter, der bei den meisten solchen Stumpfsinn verrieth, dass mir wahrhaft graueto, zumal ich einen Vergleich dieser weiblichen Wesen mit jenen anstellte, die mir durch innige Befreundung mit hochherzigen und hochgebildeten jüdischen Familien der Heimath nahe stehen. Bei den. bosnischen Juden scheint das Weib, obwohl unverschloiert, doch den muhamedanischen hinsichtlich gänzlich mangelnder Bildung und fehlender nützlicher Verwendung völlig gleich, aber insofern noch tiefer wie dieses zu stehen, als ihm der religiöse Hochmuth, das Bewusstsein des »Verbotenseins« und der Angehörigkeit zur herrschenden Kaste fehlt, dafür aber das demoralisirende Bewusstsein innewohnt, zu der Kajahkaste zu gehören, welche in den Augen der Herrschenden noch niedriger steht, als die christliche, und in der Türkei nie, wie so oft jene, Männer erzeugt hat, welche mit Flinte und Handshär in der Faust den Tod als Helden und Rebellen fanden. Die Stellung des jüdischen Weibes in der Türkei wird sich erst mit dem siegreichen Wiedereinzuge des Christenthums zum Besseren ändern, was man auch sagen möge, und dann dürfte auch der jüdische Mann daselbst moralisch gehoben werden. Ausser dem Zusammentreffen mit den reichen Juden in Kisseljak und mit ärmeren beim Han von Stüh, an der grossen Miljätschka-Brücke, erlebte ich weiter nichts Nennenswerthes auf der Fahrt, doch will ich erwähnen, dass wir auf der Kd-hilja-Gläwa einen blödsinnigen jungen Menschen am Wege sitzend fanden, der sich durch Betteln ernähren musste. Mit erweichend kläglicher Stimme rief er uns zu: »Däj mi chlebba!« (gieb mir Brod!), wrorauf unser Kutscher sogleich anhielt und der Türke, obwohl selbst ein armer Schlucker, zu meiner Freude in die Tasche griff, um dem Unglücklichen ein Almosen zu gehen. Der Mensch war so stumpfsinnig, dass er die ihm von uns beiden gereichte Gabe kaum beachtete, sondern mit seinem Ruf nach Brod fortfuhr, wobei der Kutscher die schlechte Bemerkung machte, dass die Bitte um Wasser bei der Hitze besser sein würde. Sarajewo dürfte trotz des kolossalen Baumes, den es bedeckt, doch nicht mehr als 40,000 Einwohner haben, von denen, nach Thocmmels Angaben, etwa 0000 Serben, 200 Katholiken, 1600 Juden, 1000 Zigeuner, die übrigen Muhamedaner sind. Hinsichtlich der Juden hört man verschiedene Schätzungen, sogar bis zu 2500 Köpfen. Die Stadt hat über 200 Moscheen, wovon 180 steinerne, eine serbische und eine katholische Kirche, ausserdem eine serbische Kathedrale, die jedoch im Bau noch nicht vollendet ist, eino Synagoge, 50 muhamedanische Gohot-schulen, eine Rushdje, eine Modresse oder theologische sowie Rechtsschule; feruer eine serbische, eine katholische und eine jüdische Trivial schule, ein serbisches Progymnasium, wenn man. so sagen darf, und die Anfänge einer serbischen Volksbibliothek. Von sonstigen Gebäuden sind zu nennen: die grosse Kaserne für Infanterie, Cavallerie und Artillerie, der alte Konäk des Waly (General-Gouverneur), der neue im Bau begriffene Konäk, die sechs europäischen Consulargebäude, der Konäk des serbischen Metropoliten, die beiden steinernen Markthallen, nämlich der grosse und der kleine (oder Brussa-) Besestän, die Usrew-Beg- und die Kaiser - Moschee, mehrere Bäder und das auf einem Felsen liegende Fort. Die über 100 Schritte breite, aber sehr seichte Miljatschka, welche von Osten aus einer Bergschlucht kommt und die Stadt durchströmt, ist von vier steinernen etwa 8 Fuss breiten und drei hölzernen Brücken überspannt. Die Lage der Stadt ist reizend und ihr Anblick, besonders von dem Felsen des Forts und von der alten Festungsstadt aus, entzückend schön — das weisse Häusergewirr mit lebendem Grün vermischt liegt wie hingegossen an den Abhängen der Hügel und Berge, Kuppeln und zahllose Minares ragen überall hervor und der stattlich erscheinende Fluss zieht sich wie ein breites Silberhand durch das liebliche Chaos hindurch, um im Westen in der weiten Ebene zu verschwinden. Die umgebenden Bergoshänge sind, wo sie nicht nackten Fels zeigen, überall mit frischem Grün bekleidet. Die Strassen Saräjewo's sind sehr eng und krumm, oft nähern sich die weit überspringenden Dächer der beiden Seiten bis auf zwei Fuss, wodurch allerdings angenehmer Schatten, aber auch die grösste Gefahr bei entstehenden Bränden erzeugt wird. Strassenpflaster ist überall vorhanden, jedoch von einer entsetzlich schlechten Beschaffenheit und mit tiefen Schmutzlachen abwechselnd. Die Strassen sind mit Namen in türkischer Schrift versehen, die da und dort — wie eine müssige Bemerkung — an die Häuser geschrieben sind; auch einige Strassen!ampen habe ich bemerkt. Man darf nicht zu hohe Ansprüche an eine türkische Provinzialstadt machen, deshalb wird jeder Kenner des Orients einräumen, dass Sarajewo schon etwas Ausserordentliches ist und es würde noch viel mehr sein, wenn der Waly Osman - Pascha nicht die einzige antreibende Kraft der Stadt wäre und sich bei den vielen Verbesserungen auf die Türken stützen könnte. Er muss nach Ordnung sehen, wie er es eben kann; so wurde z. B. während meiner Anwesenheit bei einem Gewitterregen der hübsche Garten des englischen Consiils durch einen Bach überschwemmt, den die Trümmer einer Hütte stauten; als der Waly hiervon Kunde erhielt, setzte er sofort den Polizeimeister der Stadt ab, weil er es verabsäumt hatte, den Bach von den Trümmern zu reinigen. In einer der Brückenstrassen stiess ich auf ein beinahe 5 Fuss tiefes und 1 Fuss breites Loch mitten im Wege, welches durch Einsturz des Bodens in den darunter messenden Abzugskanal entstanden war — hätte ich davon zu Bäuf-Pascha, dem Sohne des Waly, bei unseren Unterhaltungen über seines Vaters Reformen ein Wort fallen lassen, dann hätte sicherlich der Polizeimeister und einige Unterbeamte aus ihren Stellungen springen müssen und das Gleiche wäre wohl geschehen, wenn ich eine spitze Bemerkung über die grosse Pfütze gemacht hätte, die das Haus meines Nachbars, des liebenswürdigen und klugen Raschid-Effendy, bespülte und die Gegend parfümirto; dies hätte wahrscheinlich noch meinem Nachbar eine derbe Nase zugezogen, dafür, dass er dem Franken nicht zuvorgekommen. — In der Nähe des Flusses bilden die Strassen zusammenhängende Häuserreihen, je weiter von demselben entfernt, desto unregelmässiger und lückenhafter werden sie und lösen sich schliesslich in Gruppen und einzelne Gehöfte auf, um welche herum man sich einen Weg suchen muss. Lebt man längere Zeit im Orient, dann stumpft sich der Blick nicht blos gegen Schönheiten, sondern auch gegen Un-schönheiten ab; letzteres merkt man am auffälligsten, wenn man die in Sarajewo wohnenden Europäer über Pracht und Schönheit der dortigen Gehäude sprechen hört. Ausser einigen der grössten Moscheon und mehreren Hans von ausserordentlichem Umfange gieht es in Sarajewo kein einziges Gebäude, welches nicht, an sich betrachtet, den architektonischen Schönheitssinn auf das Empfindlichste beleidigte. Am meisten ist dies mit dem auffälligsten Gebäude der ganzen Stadt, mit der serbischen Kathedrale der Fall, welche in barbarischer Geschmacklosigkeit alles nur Mögliche leistet. Man denke sich eine Kirche mit hohen, schmalen Bündbogenfenstern, die fast in das Dach hineinragen und auf der Mitte des letzteren quer neben einander drei Thürmchen mit flachen Kuppeln und ähnlichen Bogenfenstern im Kleinen, hierzu am Eingangsgicbel einen viereckigen Thurm, der niedriger ist als die drei Kuppel-thürmchen, und das Ganze hübsch weiss getüncht. Damit ich indessen nicht den serbischen Baumeistern und Bauherren Unrecht thue, will ich hinsichtlich des Thurmes doch darauf aufmerksam machen, dass derselbe höher gebaut worden sollte, dies jedoch vom Waly verboten wurde, so dass der Bau nun schon seit Jahren unfertig daliegt, ein schneidender Hohn auf die freisinnigen, toleranten Chatti-Scherifs und Fermane des Sultans in Konstantinopel, ja sogar in den Augen der eingeborenen Christen ein Vorwurf und Insult für die europäischen Consulate, deren Ansehen gewaltig durch ihre Ungeneigthcit zur Einmischung oder Ohnmacht dieser Sache gegenüber leidet, wie ich aus dem Mundo mehrerer angesehener Christen Saräjewo's erfahren habe. Der Grund des Bauverbotes liegt in den alten muhamedanischen Vorschriften zur Unterdrückung des christlichen Cultus, wonach der Thurm einer Kirche nicht über 15 Fuss hoch und die Kirche nie das höchste Gebäude eines Ortes sein soll, auch der Gebrauch der Glocken verboten ist. Dass die Christen Saräjewo's, sobald der Thurm ihrer Kathedrale vollendet wäre, gestützt auf die grossherrlichen Erlasse, auch eine Glocke aufzuhängen beantragen würden, soll man in türkischen Kreisen befürchten und deshalb sehr erfreut sein, die Vollendung1 des Thurmes aufhalten zu können. So weit ich die Sache zu beurtheilen vermag, werden Glocken im jetzigen türkischen Gebiete erst ertönen, wenn der kranke Mann beerdigt worden ist. Bin anderes architektonisches Äergerniss bildet die kolossale Kaserne, die aussen mit allerlei militairischen Emblemen bemalt oder richtiger angestrichen ist, nämlich mit Kanonen, Gewehren, Säbeln etc., grade so als oh ein Knabe hier seinem Geschmack und seinen Ideen hätte folgen dürfen. Vor der Front steht ein hoher Altan auf viereckigen Pfeilern, denen der einheimische Baukunstler tulpenartig geschweifte Capitälo gegeben und dieselbe Schablone, nur umgekehrt, auch zum Fuss dor Pfeiler verwendet hat. In den Seitenflügeln fand ich im dritten Stockwerke Pferdeställe, die aber doch zur ebenen Erde ihren Eingang hatten, indem das Gebinde in einem hufeisenförmigen Thalo steht, dessen Wände mau nicht dem Bau, sondern letzteren den Wänden aecomodirt hat. Die Besestäns und mehrere der Bäder machen mit ihren vielen Stoinkuppeln einen fremdartigen, massigen Eindruck, sehen aber doch unschön und ärmlich aus. Der Konäk dos Metropoliten ist oin leicht und kjöschkartig gebautes Haus, an dem die Lage auf einer Hügelspitze das Beste ist. Der alte Könak des Waly ist drei Stockwerke hoch, er enthält aber nur wenige Zimmer, die annähernd europäisch gebaut sind, die Fenster sind wahrhaft ärmlich, indem sich bei Anfertigung derselben der Tischler nach der Grösse der vorhandenen Scheiben richten musste, so dass sich Scheiben von verschiedener Grösse in einem und demselben Rahmen neben und übereinander befinden. Die Eingänge, Treppen und grossen Vorgemächer, mit roh hehauenen Balken gestützt, gleichen vollständig Pferdeställen. Unter den Moscheon ist die grösste die von Usrew-Beg erbaute, welche ich in Gesellschaft unseres Hragomans und begleitet vom preussischeu Kawass besuchte. Man tritt zunächst in einen ummauerten mit Bäumen geschmückten Vorhof, in welchem sich der Brunnen zum »GhuseT« oder zur religiösen Waschung befindet. Derselbe ist in Stein gefasst, mit einem Drahtnetz überspannt, damit niemand in das Bassin greifen kann und mit einem auf Säulen ruhenden Dache überwölbt; aus Böhrchen fliesst das Wasser zum Waschen ab und grosse Steinwürfel liegen vor denselben, damit die Gläubigen die Füsse darauf setzen können, während sie dieselben abwaschen. (Bekanntlich dürfen die Muhamedaner nur mit gewaschenen und nackton Füssen das Heiligthum betreten; ihre Schuhe oder Pantoffeln lassen sie draussen.) Die Moschee hat aussen eine Vorhalle, deren braune Marmorsäulen, von denen zwei Monolithen, aus christlichen Kirchen geraubt sind. Der zurückgeschlagene Vorhang der Pforte und einige dicht am Boden befindliche Fenster gestatten den Einblick in das Heiligthum schon von der Halle aus. Vor diesen Fenstern sieht man daher auch häufig Türken auf den Knien und Ellenbogen liegend ihre Andacht in der Vorhalle verrichten. Das Innere des Gebäudes ist bis auf die Koränsprüche, welche die Wände zum Theil bedecken, völlig schmucklos; über dein Eingange ruht auf Säulen und Pfeilern eine Art Emporkirche und genau gegenüber von demselben deutet ein in die Wand gelassener Stein, Kiblä genannt, die Richtung des Heiiigthums in Mekka an; links von derselben erhebt sich die zu den gewöhnlichen Lesungen und Predigten bestimmte Kanzel, rechts die höhere, Minber genannte, von der herab an den Freitagen das Gebet für den Sultan gesprochen wird (ein Minbe'r ist nur den ausgezeichneteren Moscheen erlaubt). Der Fussboden ist mit Decken belegt und es scheint, als ob man durch die Verschiedenartigkeit derselben das Heiligste vom Heiligen abgrenzen will, wenigstens ersuchte man mich, das letzte, anders als die übrigen gefärbten Drittel der Teppiche nicht zu betreten, und die anwesenden Muhamedaner vermieden dies ebenfalls. Das Licht fällt gedämpft durch die Kränze der Haupt- und ihrer vier Nebenkuppeln herein und bewirkt auf diese Weise einen feierlichen Eindruck. Von den Decken hängen aus Eisenstangen und Draht geformte Kronleuchter herab, elende, roh gearbeitete Vorkehrungen, in deren Kinge gläserne Nachtlämpchen gesteckt werden. Dass ich mit eigentümlich erregten Gefühlen diese Stätte so vielen Unheils betrat, lag wohl in der Natur der Sache, und ich glaube, es wird jedem cinigermaasson denkfähigen Menschen christlicher Confession in solchem Räume eben so gehen und daher mag es wohl kommen, dass man so häufig von dem gewaltigen Eindrucke liest, den das Betreten dieser oder jener Moschee auf den betreffenden Europäer hervorgebracht hat, ich fürchte jedoch, dass hieran nicht das Bauwerk an sich, sondern nur die Gedanken des Beschauers Schuld haben; was wenigstens Usrew-Beg's prächtige Moschee betrifft, so würde dieselbe in einer Stadt der Cultur höchstens als alter Waarenspeicher erträglich sein. — Auffällig war es mir, dass wähend der Dauer meines Besuches ein muhamedanischer Junge immer dicht bei meiner Person blieb und beständig eine halb-kugelförmige porzellanene Schüssel mit Wasser in der Hand hielt, auch kein Auge von mir verwandte. Vielleicht sollte er durch das reine Nass meine »unreine« Gegenwart etwas erträglicher machen oder falls ich ausspiee, diese Verunreinigung sofort vertilgen. Er verliess mich erst, als ich aus dem Vorhof schritt. In dem letzteren steht auch die Kapelle, welche die Gebeine des Stifters und seiner Frau in zwei getrennten Gemächern birgt. Der Sarg des Mannes ist kolossal und über und über mit kostbaren Shawls und Tüchern umwunden und belegt, jener der Prau ist kleiner und minder verschwenderisch von den Frommen geschmückt; als ich durch das vergitterte Fenster in seine Kammer blickte, gewahrte ich vor demselben am Boden hockend die gespenstisch verhüllte Gestalt einer Frau, welche dort zu ihrer Andacht oder Erbauung weilte. Der Klang der fremden Sprache machte sie einen Augenblick umsehen, dann aher sass sie regungslos, uns den Rücken zukehrend, bis wir fortgingen. Die Strassen Saräjewo's wimmeln von wilden Hunden jeder Grösse und Farbe, die meisten sind jedoch gelb und gleichen schmächtigen Schäferhunden. Diese Thiere benehmen sich ausserhalb der Gebäude und Umzäunungen in grösster Ungezwungenheit, gehen Niemandem aus dem Wege und legen sich mitten auf den Strassendamm, um zu schlafen, wobei dann Menschen und Pferde behutsam über sie wegschreiten müssen, denn ersteren schnappen sie andernfalls in die Beine und wenn einer der letzteren sie tritt, erheben sie ein solches Geschrei, dass der Treter der Gegenstand eines peinlichen Aufsehens aller in der Nähe befindlichen Eingeborenen wird. Erwischt man einen wilden Hund in einer Behausung, dann ist er das Gegentheil von frech und nie werde ich den Schuld und Verzweiflung ver-rathenden Schrei vergessen, mit dem mich ein solcher Köter einst empfing, als ich in den Hofraum meiner Wohnung zu Sarajewo trat und ihn dort vorfand; er erwartete jedenfalls eine furchtbare Tracht Prügel von mir und der durch seinen Schrei herbeigerufenen Wirthin, doch liess ich ihn unbehelligt abziehen, da sein Benehmen viel zu erheiternd auf mich wirkte. Das Treiben in den Strassen Saräjewo's ist bunt und mannigfaltig, echt orientalisch; unvergesslich bleibt mir der Eindruck, den ein Wochenmarkt auf mich hervorbrachte, der während meiner Anwesenheit abgehalten wurde. Man denke sich einen sanft-emporsteigenden Platz mit seinen in der Verlängerung sichtbaren Strassen und den ganzen Baum erfüllt mit bunt gekleideten Menschen in Turbanen, deren schillerndes Roth und Weiss angenehm mit einander wechselt und die einzelnen Individuen trotz ihrer Menge und zunehmenden Entfernung immer noch erkennen lässt — während Ansammlungen von Menschen in europäischen Kopfbedeckungen nur eine dunkele verschwommene Masse bilden — und über dieser bunten, ruhig durch einander wogenden Menge schwehte ein summendes Geräusch, dem sanften Murmeln eines Bächleins vergleichbar, hervorgerufen durch die Hunderte von gedämpften Stimmen, die mit einander verhandelten. Wir tauchten in das farbige Gewühl, um die Auflösung des Gcsammthildes in seine Einzelheiten zu sehen und ich staunte nun noch mehr über die orientalische Farbenpracht, das Malerische des Kloiderschnittes, die überall sichtbare martialische Würde und — die Abwesenheit sowie üeherflüssigkoit jeglicher obrigkeitlichen Aufsicht. Hort sah ich auch zum ersten Male reich gekleidete ländliche Rajahfrauen in ärmellosen schön gestickton Pelzjacken, bunten Turbanen und verzierten Schürzen und Hemden, doch habe ich weder dort noch anderswo jene wilden Gestalten gesehen, die ich in Banjalüka beobachtete, nämlich Männer, denen ein langer Zopf ungeflochten über den Bücken herabhing, während er bei den Weibern mit Münzen und allerlei Metallstücken durchflochten war und Mann wie Weib ein Schaffell, das Bauhe nach Aussen gekehrt, umgehangen hatten. Dafür sah ich jedoch zum ersten Male Albanesen in weisser Fustanella, d. h. vielgefältetem Weiberrocke, der bis an's Knie reicht, weissen Kamaschen und ebenso gefärbtem Unterkleide, während Weste und Fess roth war. Diese Albanesen sind durchgehonds schöne und stattliche Leute. Zigeuner, welche 1000 Köpfe stark in Sarajewo wohnen sollen, sieht man sehr häufig in den Strassen umherlungern. Sie haben sonnenverbrannte, fast schwarze Haut, und, den Ausdruck der Gemeinheit abgerechnet, schöne Gesichter. Ihre Kinder gehen mitunter fast ganz nackt und tragen nur einige Fetzen um die Hüften gewickelt. Man unterscheidet mit Leichtigkeit zwei Kaccn unter ihnen, eine starkknochige, mit eher groben, und eine zarter gebaute mit feingeschnittenen Zügen, sogenannte Adlerphysiognomien. Wutzer hat dieselbe Beobachtung hinsichtlich der bulgarischen und rumänischen Zigeuner gemacht. Die Leute fristen ihr Dasein als Diebe, Bettler, Schmiede, Heilkünstler und auch Ackerbauer. Besonders sehenswerth ist auch das Treiben auf dem rechten Miljätscbka-Ufor im kleinen oder Brussa-Besestan und im grossen Besestän oder Trödelmarkt, sowie überhaupt in dem sehr ausgedehnten Handels- und Industrie-Viertel. Im letzteren hat man Gelegenheit, alle orientalischen Gewerbe in ihrem primitiven Betriebe, der doch so Schönes erzeugt, verrichten zu sehen und man muss vornehmlich über die fabelhafte Fertigkeit der Gold- und Silberschmiedc staunen, welche aus freier Hand die kostbarsten Filigran- und anderen Arbeiten anfertigen. Wer eine Frau zu Hause hat, sehe sich mit seiner Beisekassc so vor, dass ihm noch die Mittel bleiben, hier — gowisser-maasson als Sühnegeld für eine so »wüste Eeise« — einen Silberschmuck in Filigran zu kaufen, wozu 5—10 Hukaten genügen, dessen Transport, bei der unnachahmlichen Zartheit der Gegenstände aber seine Schwierigkeiten hat; ich musste dazu die Frau Consul Dr. Blau um ein kleines Holzkästchen berauben und dasselbe mit Hülfe eines Messers für den Zweck zustutzen. — Beim kleinen Besestän befindet sich das Judenviertel, welches in seiner Bauart nicht von den übrigen unterschieden ist. Uneingehegte Friedhöfe, grosse und kleine, sind auch hier wie in jeder bosnischen Stadt, mitten unter die Häuser gestreut, oft liegen sie unmittelbar hei einer Moschee, oft weit davon entfernt, gehören aber immer zu einer solchen. Diese Buhoplätze muhamedanischer Todten sind fast immer ohne jeden Baumschmuck und zeigen meistens nichts als niedrige Grabhügel, die bei älteren Anlagen mitunter auch noch fehlen, und unbedeutende Säulchen von 2— 3 Fuss Höhe, oben mit einem gemoisselten Turban oder Fess versehen, wenn der Todte ein Mann gewesen ist, während der Gedenkstein einer Frau oben nur spitz und dor eines Mädchens nur flach zugehauen ist. Es gieht auch Grabhügel, welche derartig mit Steinen eingefasst sind, dass das Ganze einem kleinen Häuschen gleicht, zwischen dessen Giebelwänden jedoch das Dach fehlt, damit man Blumen auf den Hügel pflanzen kann, doch sind diese G-rabzierden selten und noch seltener sind die kolossalen sargförmigen Steine (mit steil abgeschnittenen Giebelseiten), welche ich nur einige Male und zwar im offenen Lande zwischen Sarajewo und Bertschka gesehen habe und denen die Eingeborenen ein hohes Alter zusprechen, den darunter liegenden Todten auch gewöhnlich zu einem Kady machen, was nicht richtig sein kann. Selbstverständlich verleihen die vielen weissen Säulchen den muhamedanischen Friedhöfen einen ganz eigen-thümlichen und für uns fremdartigen Charakter und will ich noch darauf hinweisen, dass das Betreten derselben durch Ungläubige nicht gern gesehen wird und dem Dawidorhandelnden leicht Unannehmlichkeiten zuziehen kann. Hoffentlich wird eine genaue Beschreibung Saräjewo's nebst einem Stadtplane bald in Bädekers Reisehandbüchern zu finden sein, für meine Leser möge die vorstehende Skizzirung des malerischen und etwas schmutzigen Chaos genügen. Am Dienstag, den 23. Juni, Nachmittags 8 Uhr türkischer Zeit, fuhren wir im vollsten Trabe in die engen winkligen (bissen Saräjewo's hinein und direkt nach dem am Ostende der Stadt auf dem linken Miljätschka-Ufer gelegenen norddeutschen Consulat, welches sich dort am Anfange einer sehr schmalen nach dorn Flusse mündenden Gasse befindet, aber durch den hohen Flaggenmast schon in ansehnlicher Entfernung sichtbar wird. Meine Furcht, der Wagen möchte auf dieser Fahrt Unheil anrichten, erwies sich als unbegründet, denn die Türken traten schweigend und rechtzeitig bei Seite unter die Scharm oder dicht an die Häuser, aber meine Glieder fühlte ich und die liegende Stellung war mir überdies peinlich, zumal mich verschiedene Mädchen, Jüdinnen sowohl als Christinnen, die zu den gefälligen gehören sollten, recht schelmisch herausfordernd ansahen. Plötzlich hielt der Wagen an und sogleich langte ein grimmig aussehender, aber doch freundlich grinsender Türke von aussen in den Wagen hinein und griff nach meiner Reise- tasche. »Das ist der preussische Kawass!« rief Moses, »und hier ist Ihr Consulat!« Ich hiess die Leute warton und liess mich von Mustafa, so hiess der Kawass, zum Consul hinaufführen. Durch einen kleinen, ummauerten Vorhof, der eine Fförtnerwohnung enthielt, gelangte ich in einen freundlichen Garten, an dem das zweistöckige, recht einladend aussehende Hauptgebäude lag, welches ich mit dem behaglichen Bewusstsein betrat, hier zu Hause zu sein, denn jeder Quadratzoll dieses Grundstückes ist so lange ein Stück Preussen und zugleich eine heimathliche Festung, als die norddeutsche Bundos-flaggo auf demselben weht, und der mächtigste Mann in der Türkei wäre nicht im Stande gewesen, mich aus demselben herauszuholen, so lange der Consul seine Zustimmung verweigerte, denn dieser ist auf dem Boden des Consulats mächtiger, als alle Pascha's zusammengenommen und kann auf demselben jeden verhaften lassen, sogar den sonst völlig unantastbaren Consul einer anderen Macht, wenn er sich für berechtigt dazu hält. unser Consul nahm mich in der zuvorkommendsten und herzlichsten Weise auf und verwischte durch sein Entgegenkommen die — gradezu gesagt — etwas unangenehme Uebcr-raschung, die mir dadurch zu Theil wurde, dass ich einen Altersgenossen in ihm fand, der nur einige Jahre älter sein konnte als ich. Dr. Blau ist, wie männiglich bekannt, ein Gelehrtor von europäischem Kufe und besonders ein Orientkenner, wie es wenige giebt, ausserdem hat er sich als ein kluger und energischer Anwalt des Staates, den er nun schon so lange vertritt, in diplomatischen Kreisen ein wohlverdientes Ansehen erworben. So viele Verdienste und hervorragende Eigenschafton sucht man jedoch — dies liegt wohl in der menschlichen Natur — lieber in einem alten, wo möglich greisen Manne vereinigt, als in einem von jüngeren Jahren, mit dem man sich noch dazu von gleichem Alter schätzen muss, denn man fühlt sich in letzterem Falle ihm gegenüber so unbedeutend. Doch, wie gesagt, das Benehmen des Dr. Blau war viel zu liebenswürdig und anspruchslos, um in seinem belehrenden Umgange auch nur einen Schatten von neidischem Unbehagen aufkommen zu lassen und ich wünschte manchem unserer Magister und solchen Herren, die letzteres nicht einmal sind, eine gleiche Liebenswürdigkeit der Person, dann möchten sie in vielen Fällen mehr nützen und jedenfalls nie schaden, denn man verwechselt doch gar zu leicht Person und Sache hei näherer Berührung. Meine nächste Sorge war die wegen eines Unterkommens, und da ich des Consuls freundliches Anerbieten, mir in seinen beschränkten Räumlichkeiten ein Obdach zu gewähren, entschieden ablehnte, berathschlagte er mit seinem Dragoman, dem Herrn Boshitj, wo ein solches zu finden wäre. Man kam ühor-ein, hei Herrn Samänja, einem Dalmatiner, anzufragen, und Herr Boshitj war so gut, sich gleich mit mir auf den Weg zu machen; den Wagen entliess ich nun und übergab Moses meine Sachen zum Tragen. Bald waren wir bei dem gesuchten Hause (auf dem linken Ufer der Miljatschka, unfern der Kaserne) und die Frau, eine Agramerin, glaubte in Abwesenheit des Hausherrn auf Grund der consularischen Empfehlung mir wohl die Zusage dor Aufnahme in ihre Pension machen zu können. Ich hatte Glück, denn wäre der bosnische Forst - Inspektor, ein Franzose, welcher immer bei Herrn Samänja zu logiren pflegt, am Orte gewesen, dann hätte ich dies in jeder Beziehung vortreffliche Unterkommen nicht erhalten können und es würde einige Schwierigkeiten gehabt haben, ein anderes zu finden. Hinsichtlich der Bezahlung wurde nichts abgemacht, weil mir Herr Boshitj sagte, dass die Leute hei monatlicher Pension für den Tag 2 Gulden Silber, bei kürzerer Zeit hingegen 21/s Gulden für den Tag berechneten. Hafür sollte ich alles, was zur Leibes Nahrung und Notlidurft gehört, einschliesslich der Wäsche und Aufwartung, erhalten, wobei die gute österreichische Kost und Mostar-Wein. Dennoch nahmen die Leut- . 23 dien, als ich abreiste, für die 6 Tage, die ich bei ihnen gelebt, nur 12 Gulden, weil, wie sie sagten, ich so häufig ausser Hause zu Mittag gespeist habe — nämlich an dem gastlichen, für Gaumen und Herz wie Geist gleichermaassen gedeihlichen Tische des Hr. Blau, dessen liebenswürdige Gemahlin nicht blos eine Dame, sondern auch im vollsten Sinne des Wortes eine Frau ist, und der ich hiermit öffentlich meinen Dank für das in ihrem Hause genossene Gute und die vielen ihr verursachten Umstände abstatte. Ich muss zu meiner Beschämung gestehen, dass mein Behagen, mich wieder unter einem civilisirten Dache zu befinden, ausserordentlich gross war. Die Vorderfenster meines Zimmers boten wenig Aussicht, doch die Hintorfenster desto mehr, nämlich so ziemlich den Anblick aller hervorragenden Gebäude der Stadt — genau nördlich lag die serbische Kathedrale, nordöstlich die neue Citadelle, Östlich unser Consulat, und zwischen ihnen ein Wald von Minare's und Kuppeln. Dor Kjöschk des Hausos befand sich über dem Flusse und gestattete mir den Anblick mehrerer Brücken. Mit wahrem Behagen setzte ich mich ein paar Stunden nach meiner Ankunft zum Abendessen nieder, nicht hlos, weil ich sehr hungrig war, sondern weil ich in civilisirter Weise essen konnte und Speisen genoss, die reinlich zubereitet worden waren. Ich hatte den Tag über nur von gekochter Milch, etwas Brod und Chokolado gelebt, auch keinen Kaffee genossen, weil ich denselben bei meinem Zustande für schädlich hielt (für mehrere Portionen Milch hatte ich 4 Piaster bezahlt). Ehe ich das reinliche europäische Bett benutzte, nahm ich erst eine gründliche Abwaschung etc. vor und schlief dann ungestört mit dem Bewusstsein ein, wieder ein reinlicher Mensch zu sein. Am andern Tage Nachmittags machte ich, eingeführt von Herrn Blau, sämmtlichen Consuln, dem Dr. Koetschet und dem General - Gouverneur Osman Pascha meine Aufwartung und möchte jedem gebildeten Reisenden rathen, dies ebenfalls zu thun, wenn er in Sarajewo ist. Es dürfte kaum ein interessanteres Consular-Corps als das der eben genannten Stadt geben, und es ist dasselbe, mehr als man im Allgemeinen weiss, die eigentliche Triebkraft bei den materiellen Verbesserungen Bosniens, denn der Entwurf sehr vieler Wege und Brücken rührt meistens von unserm Consul oder dem Herrn Holms, dem Consul Englands, und seinem Kanzler her; die letzteren beiden Herren haben sogar das Verschreiben der eisernen Narentabrücke aus England selber bewirkt und geleitet; das Verdienst, Bosnien und die Herzegowina im Dienste der angewandten Wissenschaft zu erschliessen, bleibt freilich allein unserm Blau, der unermüdlich den mineralischen Schätzen des Bodens nachspürt und dieselben sammelt, auch ein umfassendes Herbarium angelegt hat, ausserdem beständig im Lande umherreist und Kartenskizzen sowie genaue Beschreibungen desselben anfertigt, auch der Archäologie und Ethnographie des Landes eingehend, wie vor ihm noch keiner pflegt und dieselbe durch seine Forschungen bereichert. In Wien sagte mir ein österreichischer Orientkenner: »Auf eure Consuln in der Türkei könnt ihr Preussen stolz sein, wir haben nur einen, der ihnen gleichkommt, den Dr. Hahn, und der ist leider auch kein Oesterreicher!« Was den politischen Einfluss unseres Consuls bei den türkischen Machthahern betrifft, so hält man ihn allgemein für den grössten, und selbst die untergeordneten Leute, mit denen ich von Träwnik nach Sarajewo reiste, erzählten mir, dass Hr. Blau, »obwohl der zuletzt Angekommene«, hei den Türken das Meiste zu bedeuten habe. Ich erkläre mir Letzteres nicht durch das allen überlegene Wissen des genannten Herrn und auch nicht aus unserer Machtstellung, sondern vornehmlich durch den Umstand, dass Dr. Blau der Sprachen, mit denen man im Orient — ausser durch Kanonen — allein sich geltend machen kann, nämlich des Türkischen, Bersischen und : Arabischen mit einer den Türken imponirenden Vollkommenheit spricht, deshalb im Verkehr mit ihnen keines Dragomans be- darf und auch nicht nöthig hat, das den bosnischen Türken nicht sonderlich geläufige Französisch zu sprechen. Er kann sich also einer Kunst bedienen, welche in der Diplomatie die Hauptsache, aber allen anderen bosnischen Consuln verschlossen ist, nämlich der Rodekunst oder der Ueberredung, mit der man nicht blos dort, sondern überall am Weitesten kommt. Dazu kommt, dass er seine Kenntnis von dem, was im Lande vorgeht, nicht hlos aus türkischen Quellen, sondern aus eigener Anschauung und wacker unterstützt von seinem slavischen Dragoman, schöpft. Sonst hat nur noch das österreichische General - Consulat einen slavischen Dragoman, doch sind seine Consular-Agenten sämmtlich Slawen. Der österreichische Dragoman Dr. Plechatschek, ein Tscheche, der nebst vielen anderen Sprachen auch der türkischen mächtig ist, war zur Zeit meiner Anwesenheit im Begriff, Bosnien zu verlassen und ist mittlerweile fortgereist, so dass die Sprache der Osmanen augenblicklich nur vom preussischen Consulat gehandhabt werden kann. Sollten englische oder französische Interessen einmal irgend wie in Bosnien gefährdet werden, dann würde sich natürlich dor Einfluss dieser beiden mächtigen Staaten sehr fühlbar machen, aber wohl nur von Konstantinopel aus und auf Grund von Winken, die aus Paris und London erfolgton, im Uebrigen fehlt gegenwärtig jedes Motiv zu einer bohrenden englischen oder französischen Consularthätigkeit in Sarajewo und besonders die Funktionen des französischen Consuls, des liebenswürdigen Herrn Moulin, beschränken sich wohl nur auf Beobachten und Berichton des Wahrgenommenen; mit bosnischen Cultivirungs-versuchen giebt er sich nicht ab. Der locale Einfluss des italienischen Consuls, des Herrn Durando, ist ziemlich bedeutend, Italien ist auch neben Oestorreich derjenige Staat, welcher am meisten die unmittelbaren Interessen von Schutzangehörigen wahrzunehmen hat, indem das Land von italienischen und österreichischen Unterthancn, welche in Bosnien und der Herzegowina ihr Brod suchen, förmlich wimmelt. Erstaunt war ich, zu erfahren, dass der russische Einfluss in Bosnien bei den türkischen Machthabern gleich Null ist, doch ist derselbe und das russische Ansehen dem gegenüber am höchsten bei der christlichen, aber nur der serbischen Bevölkerung, die nunmehr ihre Hoffnung nur noch auf Russland setzt. Von Oesterreich haben sich die Rajahs sämmtlich abgewendet, während die Türken andererseits Oesterreich nicht fürchten — Dank der verkehrten Orientpolitik des Kaiserstaates, die nur darauf auszugehen scheint, die Dinge in Bosnien und der Herzegowina in ihrem versumpften, scheintodten Zustande zu lassen und vor allen Dingen zu verhindern, dass sich in diesen Provinzen ein serbisches Nationalbewusstsein bilde, deshalb scheint es der Wiener Politik in den Kram zu passen, wenn der Eajah vor materieller Noth und Unkultur gar nicht dazu gelangen kann, den Blick zu Höherem zu erheben und man unterbindet die materielle Entwickelung des Landes durch Schädigung und Vernachlässigung der eigenen Provinzen Dalmatien und der westlichen Militairgrenze, wobei man so weit geht, den Anschluss österreichischer Landstrassen an türkische, die bis an die Grenze gehen, zu verweigern und durch Unvollendetlassen der letzten Wegstrecke zu unterbrechen und nutzlos zu machen, so dass die Türken, um nach Westen wenigstens einen Abzugskanal für Bosniens Producte zu gewinnen, mit allen Kräften danach trachten, aus Kleck einen Hafen zu machen und in ihn die bosnisch - hcrtzegowiuischen Landstrassen münden zu lassen. Wäre Oesterreich nicht consequent darauf bedacht, die schöne Nachbarprovinz — wenn auch zum eigenen Schaden — materiell zurückzuhalten, dann Besse sich wohl ein Tauschgeschäft zu beiderseitigem Vortheile denken, dass nämlich die Türkei die Suttorina und den gemeinschädlichen westlichsten Winkel ihres Landes jenseits der Unna (dessen schon S. 87 Erwähnung geschehen) an Oesterreich abträte und dafür das Naronta- Mündungsgebiet erhielte. Wie die Sachen jedoch liegen, hält es der Kaiserstaat für erspriesslicher, die Narentamündung völlig versumpfen zu lassen , versumpft damit doch gleichzeitig ein grosser Theil der Herzegowina und der Flnss darf nicht zur Schiffbarkeit regulirt werden, es kann auch an seinem Ausflüsse keine fremde Concurrentin gegen Frame oder gar Triest entstehen. Zur Zeit meines Aufenthaltes in Sarajewo liess sich Oesterreich dort durch den Herrn Herzfeld vertreten, eine höchst interessante Persönlichkeit, früher Linienschiffskapitain, Seekriegsschriftsteller und -Lehrer, sowie Vertrauter des Kaisers Maximilian von Mexiko und derselbe Mann, welcher die geheimen Schriftstücke dieses unglücklichen Opfers Napoleonischer Politik glücklich vor den französischen Spähern und Häschern nach Europa rettete. Sollte er jemals Memoiren hinterlassen, dann dürften diese die interessantesten werden, welche unser Jahrhundert aufweist und es wäre nur zu wünschen, dass er in denselben auch seiner Mission auf der italienischen Marine vor Ausbruch des Krieges von 1866 recht eingehend gedächte. Vom Ohacham-Baschy, den ich in Kisseljak traf, war ich beehrt worden, einen besonderen Gruss an den Gonoral-Consul zu bestellen und ich wunderte mich bei Entgegennahme dieses Auftrages nur, dass nicht auch meines Consuls in dieser ehrenden Weise gedacht wurde, obwohl ich meine Zugehörigkeit zu ihm bekannt und mein Fernstehen vom österreichischen Vertreter ausdrücklich betont hatte, aber Dr. Blau hat das Wohlwollen der vornehmen Saräjewocr Judenschaft gründlich durch sein Auftreten gegen ihre schon erwähnten Schwindeleien verscherzt, was ich damals noch nicht wusste. Der Besuch beim Waly oder General - Gouverneur Osman-Pascha war wohl der wichtigste, den ich abstattete. Der alte Herr empfing uns sehr zuvorkommend in Gegenwart seines Sohnes Bäuf-Pascha, des Paschas von Tusla. Es wurden sogleich Kaffee und zwei Staats-Tschibuke von mindestens 5 Fuss Länge für uns gebracht und es war der dem Consul überreichte mit einem Brillantringe unter der Spitze verziert, denn eine solche Auszeichnung erforderte sein Rang nach türkischem Herkommen. Wir sprachen viel über Politik, Wegebau etc., der Waly fragte mich auch, ob ich nicht mit Räubern zu thun gehabt hätte, was ich verneinen konnte, doch machte ich ihn auf den Heg aufmerksam, der in der Gegend von Kostajnitza raubte, worauf mir der alte Herr die Versicherung gab, dass es mit diesem bald zu Ende gehen würde , denn er habe einen Preis von 5000 Piastern auf seinen Kopf gesetzt; er klagte dann noch über die christlichen Räuber und Spitzbuben der Knjes-pdlje, die ihm so viel zu schaffen machten, deren Gebiet ich jedoch beim Betreten des Landes ohne Misshelligkeiten durchzogen hatte. Hierauf erkundigte er sich, ob ich in meiner Heimath Heg oder Aga wäre, was ich natürlich verneinte und ihm mittheilte, dass ich Efendy sei, welche Bezeichnung ich für die entsprechendste Benennung meiner schriftstellerischen und überhaupt socialen Stellung hielt, die ich in der Heimath einnahm, denn Efendy ist in der Türkei nicht nur ein Beamter von der Feder, sondern überhaupt jeder gebildete Mann der besseren Gesellschaftsklasse. Her Waly wollte nunmehr wissen, ob ich mich in Preussen »Doktor« nenne, denn Werth und Ansehen eines Menschen ist nicht blos bei uns, sondern auch hei den Türken von einem Titel unzertrennlich. Da ich den Doktortitel nicht errungen habe und ebensowenig zu jener zahlreichen Klasse verächtlicher Stümper gehöre, welche denselben für 50 Thlr. kauft oder sich kurzweg ohne alle Unkosten »zulogt«, wohl aber gegen die mir häufig widerfahrende Octroyirung desselben stets protestire, so konnte ich auch diese Frage des Waly nur verneinen und setzte dadurch den alten Herrn in nicht geringe Verlegenheit, denn er wusste nicht, wie er mich klassificiren sollte, zumal ich absichtlich verschwieg, dass ich Schriftsteller und Redacteur sei, doch wusste er sich als Mann von Welt zu helfen, indem er mich höher taxirte als einen gewöhnlichen Rangmenschen, mir seine Photographie schenkte, seine Visitenkarte mit der Bitte überreichte, dieselbe als den abgestatteten 3G0 Gegenbesuch anzusehen, und mich zu dem andern Tags stattfindenden Galadiner zu Ehren der Thronbesteigung des Sultans offiziell einlud. Er zeigte mir auch einige Bücher aus seiner aus ein paar Dutzend Bänden bestehenden Bibliothek, darunter ein Prachtexemplar der 280 Jahre alten -Gedichtsammlung Mesnewi mit herrlichen bunten Initialen und einen prächtigen Koran, den ich als Ungläubiger nicht einmal hätte berühren dürfen. Aber so haben sich die Zeiten geändert: Osman-Pascha und sein intelligenter, in Paris gebildeter Sohn Kauf-Pascha sind Boformtürken, die man beileibe nicht mit »Jungtürken« vorwechseln darf, denn die letzteren sind das Gegen theil von Reformern und vielmehr die fanatischsten Feinde aller Nicht-Muhamedaner und ausserdem noch aller Nicht-Osmanen, selbst wenn dieselben Muhamedaner sind. An ihrer Spitze steht der durch seine Pamphlete bekannt gewordene Zia-Bey, welcher im Exil lebt. Man darf übrigens an einen Reform-Türken auch nicht europäischen Maassstab legen, denn Türke bleibt Türke und kann nichts anderes sein, sobald er in der Türkei aufgewachsen ist und die verkehrte Bildung und Weltanschauung arabisch-persisch-türkischer Schöngeisterei oder sogenannter »Gelehrsamkeit« in sich aufgenommen hat, doch redet man dem Osman-Pascha nach, dass er ein wohlwollender und, für einen Türken, ungewöhnlich gerechter und rechtlich denkender Mann ist. Die Slawophilen hassen ihn wüthend, denn bei seiner Schlauheit, Energie und Würdigung europäischer Dinge ist er ihren Bestrebungen der furchtbarste Gegner, den sie bisher in Bosnien hatten und die buchstäbliche Osmanisirung der Provinz macht unter ihm sichtbare Fortschritte. Ein Pröbchen seiner Politik und zugleich der eigentümlichen dortigen Verhältnisse sollte ich mit eigenen Augen während meines Besuches sehen. Draussen im Vorsaale hockte eine Deputation von serbischen Christen aus den an Montenegro grenzenden Gemeinden von Piwa, Scharantzi, Drobnjak, Wassöjewitsch und Jesero, die gekommen war, die freiwillige Unterwerfung dieser bisher streitigen Gebiete unter die Türkenherrschaft anzubieten und um Aufnahme in den türkischen Unterthanenverband zu bitten, mit anderen Worten, die Türkei sollte thatsächlich einen Zuwachs von etwa 17 Quadratmeilen Land mit 10,000 christlichen Bewohnern erhalten, welche beide bisher nur dem Namen nach zu ihr gehört hatten, denn die Leute hatten seit dem Frieden von Cettinje (1862) keine Steuern an die Türkei entrichtet, angeblich weil die Montenegriner dieselben immer schon vorher erhoben hatten, d. h. zwangsweise durch Wegtreiben von Vieh, da sie die betreffenden hertzegowinischen Gebiete immer noch als zu ihrem Staate gehörig betrachteten, weil die Türken bisher nicht die damals im Frinzipe anerkannte Herauszahlung einer Entschädigung an Montenegro geleistet hatten und zur Abschätzung derselben in Gemeinschaft mit den Tzer-nagortzcn keine Anstalten trafen. Osman-Pascha wollte die Angelegenheit im Sommer des Jahres 1867 einseitig durch Besetzung und Annectirung der streitigen Gebiete abmachen, wäre dabei aber sammt seinem Militair und Boamtentross beinahe zusammengehauen worden, denn kaum bemerkten die Drohnjaki, Scharantzi etc., dass die Türken Schanzen und Blockhäuser auf ihrem Boden anlegen wollten, da ergriffen 1000 Mann ihre Flinten und stellten sich dem Waly entgegen und che man sich dessen versah, eilten 2000 bis an die Zähne bewaffnete Tzor-nagortzen unter Anführung von Pero Pejowitsch über die Grenze und umringten die Türken. Dass die Letzteren mit dem Leben davon kamen, verdankten sie hauptsächlich dem Pero Pejowitsch, der zu dor neuerdings in dem Berglande an's Ruder gekommenen Partei gehört, welche mit den Türken freundnachbarlich leben will. Er liess den Waly unter der Bedingung abziehen, dass so lange alles beim Alton bliebe, bis eine türkisch-moir; tenegrinische Grenzkommission die Höhe der an Montenegro zu zahlenden Entschädigung festgesetzt und die Türkei dieselbe bezahlt habe. Und nun waren dieselben Leute, um derenwillcn es damals beinahe zu einem Kriege gekommen, beim Waly in Sarajewo, um wegen Auflegung des Türkenjoches zu bitten, während der ritterliche Tzemagortze, der damals als Krieger den Krieg verhinderte, gleichfalls zugegen war, um diesmal als blosser Diplomat eine einseitige Abmachung des Unterwerfungsgeschäftes zu verhindern und seinem Staate eine Entschädigung von 11J2 Millionen Piastern zu retten — seine Anwesenheit vermehrte jedoch nur den Triumph der Türken und man war allgemein der Ansicht, dass er sich eine schlimme Blosse gegeben, indem er sich von Skutari (seinem Sitze als montenegrinischer Geschäftsträger) nach Sarajewo hatte locken lassen, denn die Türken hielten ihn durch Ueberhäufung mit Aufmerksamkeiten aller Art, durch beständige Gegenwart eines der Ihrigen und Einquartirung beim klugen Raschid-Efendy wie einen Gefangenen, während er andererseits durch sein öffentliches Erscheinen und seine Betheiligung an türkischen Festlichkeiten wider Willen die Bolle des gezähmten Löwen spielen musste. Das Gespräch mit dem Waly lenkte sich natürlich auch auf diese Angelegenheit und er liess das Haupt der christlichen Deputation, den Oberpriester Sawa Schäwola, hereinrufen. Derselbe war ein hochgewachsener, kräftig gebauter Mann mit hübschem, kühneu Gesicht und genau so gekleidet wie seine halbwilden Landsleute, er trug auch den Gürtel voller Dolche und Pistolen und machte überhaupt eher den Eindruck eines kampfbereiten Bergbewohners als eines Priesters, zumal er sich den priesterlichen Vollbart bis auf den Schnurrbart hatte ab-rasiren lassen, weil er nunmehr zum militairischen Wojwoden der unterwürfigen Districte ernannt worden war. Er erklärte uns lächelnd seine unpriesterliche Erscheinung damit, dass er und die anderen Priester seiner Gegend mit dem Volke so völlig gleich seien, dass äusserlich kein Standesabzeichen bemerkbar wäre; so wie wir ihn vor uns sähen, erschiene er in der Kirche und auch auf dem Felde. Dann versicherte er auf Befragen des Waly, dass die türkische Herrschaft besser sei, als die montenegrinische und dass er sowie seine Landsleute dringend Aufnahme in die Türkei verlangten. Hierauf erbat er sich vom Waly die Gnade, ihm seinen Neffen vorstellen zu dürfen, etwas das jener in unserer Gegenwart nicht gut abschlagen durfte, deshalb trat denn auch gleich ein klein gewachsener, höchst unansehnlicher Jüngling in hertzegowinischer Tracht herein und näherte sich unter tiefen Verneigungen, verbunden mit halben Kniebeugungen dem General - Gouverneur, dem er Hand und Knie küsste; nach Beantwortung einiger gleichgültiger Fragen trat er dann zurück zu seinem martialischen Oheim, der bei der Thür stand. Während unserer Anwesenheit blieben auch zwei Hiener im Zimmer und blickten uns unverwandt an, um jeden von uns geäusserten Wunsch sofort erfüllen zu können. Bei dem phanariotischen Metropoliten Dionysos, den ich in Gesellschaft des Herrn Boshitj besuchte, fand ich eine ganze Versammlung von serbischen Priestern in ihrer düstern Amtstracht — den ganzen Körper verhüllender schwarzer Talar und schwarzer Hut ohne Krempe, der oben etwas wulstig verbreitert ist und mit einem schwarzen auf die Schultern fallenden Schleier behangen wird. Der Grosswürdenträger der Kirche hatte einen gewaltigen Rosenkranz und erklärte mir, dass derselbe zum Zeitvertreibe diene; auch hier wurde Tabak vorgesetzt und ausserdem »sslätka«, d. h. Süsses, welches uns ein Ganymed auf silbernem Präsentirbrett in silbernem Becher kredenzte; ein Dutzend Theelöffel und einige Gläser mit Wasser gehörten zu der Darreichung. Diese Art Bewirthung war mir neu und ich wusste erst nicht, was ich ihr gegenüber thun sollte, deshalb sei für Nachfolger hier mitgetheilt, dass man einen der unbenutzten Theelöffel nimmt, ihn in den mit Zucker eingekochten Fruchtsaft taucht und leert, worauf man ihn in das mit Wasser gefüllte Glas stellt; der nächstdein an die Reihe kommende Gast nimmt sich, selbstverständlich, einen der noch nicht benutzten Löffel und macht es eben so. Mit diesem »Süssen« treiben die Orientalen, Christen wie Türken, grossen Luxus und greifen bei der Zubereitung mitunter zu eigenthüm-lichen Stoffen, so bewirthete mich Herr Boshitj einmal mit Süssem aus Rosenblättern, das übrigens wunderbar wohl-schmecktc und den Duft der Rosen beibehalten hatte. Ueber die Phanarioten, d. h. Konstantinopolitaner Griechen, lässt sich nur sagen, dass das Schlechteste, was man ihnen nachredet, noch lange nicht ihre Schlechtigkeit genugsam schildert — sie sind der Abschaum der Menschheit und waren dies schon, noch ehe Muhameds II. eiserne Faust auf sie herabliel. Und aus dieser verworfenen Nation recrutiron sich ausschliesslich die höheren und höchsten Würdenträger der griechischen Kirche der Christen der Türkei, nicht blos derjenigen neugriechischer, sondern auch der sämmtlichen slavischor Zunge. Schon als Knaben beginnen diese Würdenträger dor Kirche (und auch diejenigen, welche sich der politischen Laufbahn widmen) ihre Carriere und zwar gewöhnlich als »Lieblinge« eines hochgestellton Phanarioten oder Pascha's, als Jünglinge oder Männer kaufen sie dann ihr Amt um einen enormen Preis und halten sich in demselben durch beständige Absendung von Geschenken an ihre Stambuler Vorgesetzte, den Patriarchen und seine nächst hohem Collegen resp. Günstlinge sowie die Pascha -Minister. Diese Gelder werden nun von der ihnen überlieferten Heerde schonungslos erpresst, indem der höhere Priester immer auf die niederen drückt und ihnen Tribut und Geschenke abpresst, welche diese wieder direct aus der allgemeinen Ue-rciclicrungsquello, vom armen christlichen Volke, saugen. Alle Pfarrstellen, überhaupt jedes kirchliche Amt wird von den Blutsaugern verkauft, wobei oft ein Ueberbieten im Preise stattfindet und ein Pfarrer aus seiner schon erkauften Stelle durch höheres Angebot herausgekauft wird, wenn er nicht im Stande ist, eine Nachzahlung zu leisten. Der Kaufpreis einer Pfarre beträgt 20 —200 Dukaten. Gustav Thoommol hat in seinem vortrefflichen Buche Ausführliches über das schändliche Treiben der dortigen Priesterschaft veröffentlicht, welches hauptsächlich auf der schrankenlosen Willkür bei Ansetzung der kirchlichen Gebühren beruht — der Pope schreibt die verschiedenen Leistungen nach dem vermeintlichen Vermögen der Botreffenden vor; hier ist es ein Lamm, ein paar Hühner oder etwas Getreide, dort ein Ochse oder eine Kuh; es giebt Fälle, dass erwachsene Individuen noch ungetauft sind, Aveil ihre Eltern die im Voraus geforderten Taufgebühren nicht zu leisten vermochten; heim Sterbefalle eines Hausvaters pflegt der Pope den besten Ochsen oder sonst ein Stück Vieh für sich zu nehmen, beim Tode der Hausfrau nimmt er eine Kuh etc. Der Metropolit von Sarajewo soll nicht mehr (!) als 12,000 Gulden, die andern Wladika's (Bischöfe) etwa 7000 Gulden beziehen, aber sie erpressen das 5—8fache dieser Summe! Der Vorgänger des Dionysos, ein wüster Trunkenbold, hat nachweislich mehr an Geschenken jährlich nach Stambul gesandt als sein Gehalt betrug, und in seinem kolossalen hinterlassenen Vermögen fand sich allein für 8000 Gulden Luxuspelzwerk, und dennoch versicherten mir Serbon, dass er nicht so schlimm war, wie sein Nachfolger, der es überdies noch weit mehr wie jener mit den Türkon hält und jede geistige bez. nationale Begung des unglücklichen bosnischen Volkes mit schonungsloser Härte unterdrückt. Die niedere Geistlichkeit ist im höchsten Grade unwissend, viele ihrer Mitglieder können nicht einmal lesen, sondern haben die alt - slavische beim Gottesdienste gebräuchliche Litanei auswendig gelernt und beten sie ab, indem sie so thun als ob sie lesen. Das Wissen der höheren Mitglieder beschränkt sich meistens auch nur auf Lesen und Schreiben sowie Kenntniss einiger der Landessprachen. Die Kirchcnspracho sämmtlicher dem griechischen Cultus unterworfenen Slaven (einschliesslich der Russen) ist die alt-bulgarische, wie solche unter dem bulgarischen Kaiser Simeon etwa um das Jahr 910 gesprochen wurde, und dem Volke unverständlich. Die phana-riotischen Pfaffen bleiben sich überall gleich; so hat einer der- selben, der Metropolit Keopliit zu Tornow Ende der fünfziger Jahre bulgarische Männer und Frauen vor den Pflug spannen lassen und, um das Erwachen nationaler bulgarischer Regungen zu unterdrücken, liess er die alten slavischen Inschriften der Kathedrale Tornows abschleifen und verbrannte eine in derselben Kirche entdeckte unschätzbar werthvolle Sammlung alt-slavischer Handschriften; dies berichtot uns ein so überaus glaubwürdiger Zeuge, wie unser Landsmann Wutzer, der um jene Zeit Bulgarion bereiste. Dabei sind diese Phanarioten von einer widernatürlichen, gradezu scheusslichen Lasterhaftigkeit, und wollte ich die Geschichten nacherzählen, die mir hinterbracht worden, dann würde mein Buch für die demi-mondo sehr interessant werden. Gleichsam um die Einwirkung der Atmosphäre, der ich mich ausgesetzt, zu verwischen, hat ich Herrn Boshitj, mich zu dem Professor des Progymnasiums zu führen, das unten an dem Abhänge dos Hügels klebte, auf dessen Spitze der Metropolit residirt. In der Person des Herrn Bbguljub Petränowitj aus Druitj in Dalmatien traf ich einen Mann, der allerdings geeignet war, die Achtung vor den Saveslaven zu erwecken, und wir sprachen lange mit einander über die wissenschaftlichen Bestrebungen der bosnischen Christen. Der genannte Lehrer ist auch ein tüchtiger Literat und hat u. A. ein umfangreiches, den Stoff völlig erschöpfendes Werk über bosnisch-serbische Volksgebräuche im Manuscript vollendet, ausserdem zwei starke Bände bosnisch-hortzogowinischer Heldenlieder zum Drucke fertig, die sich an den schon 1867 von ihm herausgegebenen Band anschliessen werden (Srpske narodne pjesme iz Bosne i Hertzogowine), ferner hat er 1867 einen Band lyrischer Volksgesängo Bosniens herausgegeben (Srpske narodne pjesme iz Bosne. Shenske) und einen zweiten derartigen Band ziemlich im Manuscript fertig. Die im Druck vollendeten Bücher hatte er die Güte, mir zum Andenken zu verehren. Die von ihm geleitete Schule hat zwei Abteilungen, von denen die erste vier Klassen enthält, in denen Kinder vom sechsten bis zum zwölften Jahre unterrichtet werden; in der ersten oder untersten Klasse lernen sie serbisch lesen und schreiben, in der folgenden wird das Vorgenannte weiter geübt und dazu Rechnen und Kirchengeschichte gelehrt; in der dritten Klasse wird mit der serbischen Grammatik begonnen, sowie mit den Anfangsgründen der Erdbeschreibung; Kirchengeschichte wird fortgesetzt und dazu Religion, d. h. der Katechismus gelehrt; in der vierten Klasse werden alle die vorgenannten Wissenszweige nochmals, aber ausgebreiteter und gründlicher durchgenommen. Die zweite Abtheilung wird die kaufmännische genannt und der Kursus in ihr dauert zwei Jahre und kommt in seinen Erfolgen etwa denen gleich, welche auf einem deutschen Real-Gym-nasium mit einem Schüler erreicht werden, der die Unter-Tertia durchgemacht hat; es kommt hierbei viel auf Begabung und Wissensdurst des Schülers an, der, wenn er viel fragt, auch mehr Auskunft erhält, als einer, der sich mit dem Vorgetragenen begnügt. Gelehrt wird italienische Sprache, mit der man in Bosnien und der ganzen europäischen Türkei weiter kommt, als mit irgend einer anderen europäischen und die in jenen Ländern als europäische Handels- und Verkehrssprache wichtiger ist als französisch und englisch; ferner Geographie, Mathematik und Geschichte, letztere unter Anwendung synchronistischer und ethnographischer Themata. Hie Schulstuben sind ungefähr so eingerichtet wie die unserer Dorfschulen, cl. h. die Kinder sitzen in derselben nach europäischer Art auf Bänken vor Tischen mit Tintenfässern, die Kopfbedeckung (Fess) nehmen sie beim Betreten der Räume ab und lassen dieselbe an der Thür, die Schuhe behalten sie jedoch an den Füssen, statt umgekehrt nach Landessitte harfüssig und bedeckten Hauptes auf Schaffellen oder Teppichen zu hocken, wie in den muhamedanischen Schulen, wobei das Knie als Pult dient, während der muhamedanische Lehrer gleichfalls auf einem Teppiche hockt und, um sich das Aufstehen bei Vornahme einer körper- liehen Züchtigung zu sparen, eine Gerte von mehreren Ellen Länge hat, mit deren Spitze er geschickt Kopf und Schultern der jungen Sünder zu treffen weiss. Das »Hauptpost - Amt« besuchte ich ebenfalls und fand, dass es einem vernachlässigton Pferdestalle auf ein Haar gleicht; im zweiten Stockwerke hockte in einem erbärmlichen Zimmer auf einem Teppiche ein Türke und rings an den Wänden hingen lederne Briefmappen mit türkischen Inschriften; die angekommeneu Briefe und Zeitungen lagen in flachen Körben, welche da und dort im Zimmer standen, und es blieb jedem, der das Eintreffen einer Sendung erwartete, überlassen, sich das ihm Gehörige oder nicht Gehörige nach eigenem Beliehen herauszusuchen und mitzunehmen, denn der Türke con-trolirte weder die Adressen noch konnte er dieses, sintemalen er keiner einzigen europäischen Sprache mächtig und nur im Stande war, türkisch zu lesen. Die europäischen Organe der türkischen Regierung, nämlich die »Indcpendance beige« und die »Neue freie Presse« lagen unter Adresse des Gouvernements ebenfalls in einem Korbe. Ich kaufte einige türkische Postmarken und machte dabei die Beobachtung, dass das, was man am häufigsten in einer Postanstalt zu finden erwarten dürfte, nämlich verfügbares Papier, ein seltener Artikel im Saräjewocr Hauptpost-Amt war, denn der türkische Director, welcher übrigens keinen Augenblick seine würdevolle Buhe verlor, musste lange unter den Zipfeln seines Teppiches herumsuchon, ehe er ein Schnitzelchen Papier fand, um mir die Marken einwickeln zu können. Es giebt deren, die für das ganze Reich gelten, und solche, welche blos im Bezirke Konstantinopols Gültigkeit haben; sie sind im Preise und in der Farbe vorschieden. Die Briefbeförderung liegt, wie schon angedeutet, sehr im Argen, denn Briefträger giebt es nicht, wer eine Sendung innerhalb der Provinz zu besorgen hat, muss dies durch einen privaten oder einen von der Post für schweres Geld zu miethenden besonderen Boten thun lassen; die Regierung hat für ihre Correspondenz Saptie's oder andere Angestellte. Die aus Europa kommenden oder dahin gehenden Sendungen vermittelt die österreichische Post, doch hörte ich viele Klagen über deren Unsicherheit und ich darf es nicht verschweigen, dass ich Zeuge eines die österreichische Post sehr gravirenden Vorfalles war — als nämlich das für das preussische Consulat bestimmte Postpacket am 26. Juni anlangte, war ich grade in der Kanzelei des Herrn Blau anwesend und nebst diesem und unserem Dragoman der erste Augenzeuge davon, dass die österreichische Post ein Dienstpacket unseres Consuls, das als solches bezeichnet und mit den Amtssiegeln des Norddeutschen Hundes geschlossen war, erbrochen und dann wieder mit ihrem Siegel geschlossen hatte. Angesichts dieses schreienden Vertrauensbruches der österreichischen Post hielt ich es für gerathener, die Briefe und Bücher, welche ich nach Hause oder an andere Adressen senden wollte, wieder mit fort zu nehmen, denn nun durfte ich auch nicht den leisesten Zweifel mehr darüber hegen, dass das gänzliche Verschwinden von Sendungen, worüber mir warnende Mittheilungen gemacht worden, nicht dem Zufalle, sondern dem absichtlichen Vcrtraucnsbruche der österreichischen Post zuzuschreiben war. Unser Consul zeigte übrigens das Corpus delicti allen seinen Collegen und suchte dieselben zu einem gemeinsamen Schritte hei dem österreichischen General-Consul zu bewegen, nämlich demselben mitzutheilen, dass er moralisch verpflichtet wäre, seinen Einfluss bei seiner Regierung dahin geltend zu machen, dass seine Saräjewoer Collegen vor dem Wiedervorkommen ähnlicher insultirender Vertrauensbrüche geschützt werden mussten. Leider haben wohl alle Regierungen ohne Ausnahme ihr »schwarzes Cabinet«, das darf aber keinen Ehrenmann abhalten, den Staat, welchen er in flagranti ertappt sieht, öffentlich an den Pranger zu stellen, vielleicht tragen vereinte Bemühungen dazu bei, dass endlich eine internationale Conferenz zusammentritt, um die ehrloseste aller Handlungen, die Verletzung des Briefgeheimnisses, auch für Staaten als 24 das hinzustellen, was sie für den P ri va t nia n n längst ist, und als völkerrechtswidrige Handlung allen Staaten zu verbieten. »Rompre la foi c'est chose honteuso« las ich einst auf dem Siegel eines Briefes, den ich aus Frankreich erhielt. — Ob die siegelbrechenden Beamten dies gar nicht fühlen? Das Telegraphen-Amt Saräjewo's besuchte ich gleichfalls und kann über dasselbe nur sagen, dass seine Einrichtung nicht einmal einem schlechten Pferdestalle glich, sondern etwa einer verfallenen aufgegebenen Hütte. Mein Besuch schien den osmanischen Hirector in Verlegenheit zu setzen, denn er sagte zu mir in französischer Sprache: »Sie dürfen nicht erwarten, hier die Ausstattung- zu finden, wie solche in Ihrem Lande vorhanden ist; die Apparate sind jedoch, wie Sie sehen und wissen werden, auch hier dieselben wie bei Ihnen!« Die letztere Wendung enthielt einen leisen Vorwurf wegen meines Kommens und die Sache wurde mir um so peinlicher, als die Telegraphen-Gehülfen, sämmtlich Dalmatiner oder Bajahs, sich an der Blosse der Türken weideten, so dass ihnen die Schelmtcufelchen in Augen und Mundwinkeln zwickertcn. Als ich mich empfahl, fragte mich einer der jungen Herren pathetisch mit kaum verhehltem Lächeln: »Pourquoi si vite, Monsieur?« und als ich ihm erwiderte, ich wollte nicht länger stören, hatte er schon wieder die Frage bereit: »N'est-ce-pas joli ici?« worauf er dann, noch ehe ich Zeit hatte, dies zu bestätigen, die Bemerkung »comme dans une ecuric, n'est-ce-pas?« hinterher schleuderte. Mein Begleiter kicherte vor Schadenfreude, ich aber zog ernst von dannen. Hinsichtlich der Consulargebäude muss ich. noch bemerken, dass dieselben zwar sehr verbaut, aber doch durchgehends recht wohnlich sind; freilich sind sie dies nicht von jeher gewesen, sondern aus unbewohnbaren türkischen Wohnstätton erst unter ansehnlichem Kostenaufwand in europäische Behausungen umgewandelt worden. An das jetzt so behagliche norddeutsche Consulargebäude musste Dr. Blau 500 Thaler wenden und war es vor der Umwandlung ein so schauerliche! Asyl, dass das Wasser überall von den Wänden troff und der Diener des Dr. Blau den Dienst kündigte, weil er in einem so elenden Hnndeloche nicht zu schlafen vermöchte, und doch war ihm das beste Gemach eingeräumt worden, während sich dor Consul und seine Familie mit noch schlechteren Gemächern behalf. Würde das Consulat verlegt werden und wäre kein europäischer Miether zu linden, dann müsste der Hausbesitzer wahrscheinlich mit 500 Thalern entschädigt werden, um das Haus wieder nach türkischem Geschmacke umbauen zu können. Zu jedem Consulat gehört ein Kawass, das österreichische General-Consulat hat deren sogar zwei. Hiese Kawässen sind eingeborene Muhamedaner und bilden die Schutz- und Ehrenwache sowie die executive Gewalt der Consuln; ihre Person ist so heilig wie die der anderen Mitglieder clor Consulate, sie kleiden sich türkisch, winden ein weisses Tuch um das Fess, tragen Pistolen, Dolch und Handshar im Gürtel und führen, gewissermaassen als Abzeichen ihrer Würde, einen Stock mit vergoldetem Knopf. Mustafa, der proussische Kawass, ist der prächtigste von allen, denn er ist nicht blos ein stattlicher Mann in reicher hertzegowinischor Tracht, sondern trägt in seinem Gürtel ein paar Pistolen und ein Handshar, wie solche in gleicher Pracht in ganz Bosnien nicht zu finden sind —-man sieht an ihnen vor Gold und Silber kaum das Eisen; Aly-Pascha hat ihm für die Pistolen schon 60 Ducaten geboten, doch will sich Mustafa von seinem Schatz nicht trennen, den er mit Lebensgefahr von einem sterbenden montenegrinischen Seiden erobert hat und der seinen ganzen Stolz ausmacht. Von den Begebenheiten der bosnischen Hauptstadt, deren Zeuge ich war, sind mir zwei besonders interessant gewesen — das Pest der Thronbesteigung und die Entlassung ausgedienter bosnischer Soldaten. Das erstere wird am 25. Juni im ganzen türkischen Reiche von allen Behörden durch Festlichkeiten und von der Bevölkerung, natürlich auf Befehl, durch 24* Illumination gefeiert. Schon früh Morgens weckten mich Kanonenschüsse, die auf dem neuen Fort abgefeuert wurden und Nachmittags um 4 Uhr gingen wir zum Konak des Waly, um an dem Galadiner teilzunehmen. Vor dem Gebäude standen die Musiker der Garnison im Faradeanzuge und vom Thorwege bis zum Vorzimmer bildeten Soldaten auf den Gängen und Treppenabsätzen Spalier und präsentirten auf Commando ihrer Offiziere das Gewehr, während wir hindurchschritten; die grosse Aussentreppe war mit einem frischen Laubdache versehen und überall waren Guirlanden angebracht worden. Wegen meines Reiseanzuges hatte ich mich schon hei Entgegennahme der Einladung vor dem Waly entschuldigt und that dies noch einmal, als ich mich in seinem Empfangszimmer einfand. Er nahm die Entschuldigung sehr gütig auf, doch fürchte ich, dass dies nicht von Herzen kam, denn im Punkte der Etiquette sind die Türken sehr empfindlich; die Herren starrten ihrerseits auch förmlich von Gold Stickerei, während die Consuln und ihre Dolmetscher im europäischen Ballanzuge und die Spitzen der verschiedenen geistlichen sowie der Communalbehörden in ihrer düsteren Amtstracht erschienen waren. Trotz des beschränkten Raumes hatten wir doch alle, etwa 30 Personen, hinreichenden Platz an der hufeisenförmigen Tafel gefunden und die Stimmung wurde in Foge des edlen Ungar-, Champagner- und schweren duftigen Mostar-Weines sowie Bieres, das in Sarajewo von einem Oesterreicher gebraut wird, eine recht belebte. Die Anrich-tung war durchaus europäisch, ein Werk des Dr. Koetschet, des Privatsecretairs des Waly, doch wurden auch türkische Speisen herumgereicht, z. B. Börek oder längliche mit Fleisch gefüllte Teigröllchen, die wir Pasteten nennen würden, Ttscha-tschik oder gestampftes Hühnerfleisch, Muhallebi oder süsser Griesbrei, Ekme'k-kadaif oder süsse Mehlspeise, Galandshi-dolmä oder gequollener Reis in Weinblattröllchen etc., der unvermeidliche Pilaw oder gequollene Reis fehlte natürlich nicht, nur war er so vortrefflich, wie ich denselben sonst nirgends gekostet, denn nur die feineren Osmanen verstehen seine leckere Zubereitung aus dem Grunde. Wer sich für türkische Kochkunst interessirt, die wirklich nicht schlecht ist, der lese das hierüber erschienene Buch des Dr. Prelock. Uebrigens bedienten sich die Türken, einschliesslich der Stabsoffiziere, Kady's und Priester der Messer und Gabeln in so geschickter, anmuthiger Weise, dass ich staunte, um so mehr als diese Leute unter sich stets mit den blossen Fingern essen. Die Unterhaltung fand in deutscher, französischer, italienischer, neugriechischer, türkischer und slavischer Sprache statt, den Toast auf den Sultan brachte der Waly in türkischer Sprache aus, wozu draussen die Kanonen donnerten und die vor dem Hause stehende Kapelle einen Tusch blies. Der Phanariot Dionysos liess sich die Gelegenheit nicht entgehen, dem Türkischen oder der Sprache der herrschenden Bace gegenüber sich in neugriechischer Sprache vernehmen zu lassen und brauchte als Vorwand das nochmalige Ausbringen eines Toastes auf den Sultan im Namen der bosnischen Christenheit, die zu vertreten er vorgab, was doch nur hinsichtlich der Sorben zutraf, denn die Katholiken vertrat der anwesende Pfarrer Fra Gregorius Martitsch*), doch besass dieser gelehrte Mann zu viel Tact, um durch Ausbringen eines Toastes in lateinischer oder slavischer Sprache gegen die phanariotische Anmaassung zu protestiren und den Zwiespalt der bosnischen Christen auch bei dieser Gelegenheit vor den Türken blosszulegen. Dem Phanarioten war es jedenfalls nur darum zu thun, ein neu-byzantinisches Lebenszeichen auch an diesem Orte von sich zu gehen, denn ihr minirender Kampf *) In Bosnien wohnen zufolge Schätzung 360,000 Serben, 122,000 Katholiken, 300,000 Türken, 5000 Juden und 9000 Zigeuner-, in der Herzegowina wohnen 130,000 Serben, 42,000 Katholiken, 55,000 Türken, 500 Juden und 2500 Zigeuner; in Raschjen (Novi-Basär) von letzteren 1800 und 200 Juden, sowie 23,000 Türken und 100,000 Serben. gegen die Osmanen ist unermüdlich und der Traum einer Wiederäufrichtung des byzantinischen Reiches beherrscht sie als eine fixe Idee, darum hassen und verfolgen sie die slavische Nationalität, damit diese nicht auflebe und das Erbe der Neugriechen schmälere. Den Türken sind diese Schergendienste ganz genehm, obwohl sie den Grund derselben sehr wohl durchschauen, doch verlassen sie sich auf ihre eigene Schlauheit und, als letzte Instanz, auf den Säbel, deshalb fürchten sie ihrerseits diese Jung-Byzantiner sehr wonig, weit mehr hingegen die tapferen Slaven. Da die Türken im Punkte der Etiquette sehr peinlich sind, war es mir interessant zu sehen, wie sie mit der Anordnung der Sitze fertig geworden waren. Den Ehrenplatz in der Mitte an der Aussonseite der Tafel, von wo aus sich alles übersehen liess, hatte natürlich unser Wirth, der Waly; zu seiner Linken sass unser Consul, neben diesem der italienische und dann, alle überragend, in stolzer, selbstbewusster Haltung, der Montenegriner; zur Beeilten des Waly, also auf dem uächsthöchsten Ehrenplätze, sass der Generalconsul Oesterreichs und neben ihm die Consuln Frankreichs und Russlands; dor englische war nicht erschienen. Ich fragte meinen Nachbar zur Rechten, Raschid-Efendy, ob die Vertreter Oesterreichs und Preussens abwechselnd bei derartigen Veranlassungen den höchsten Platz neben dem Waly einnähmen, worauf er mir mit feinem Lächeln er-wiederte, dass es hierbei nach dem Alter ginge, der Vertreter Oesterreichs, als einziger Generalconsul, aber stets den höchsten Platz haben müsste. Diese Belehrung berührte mich etwas unangenehm, denn ich sah, dass mein vorzüglich vertretener Staat um eines blossen Titels willen doch nicht bei jeder Gelegenheit den Vortritt hat, ein Ziel, an dessen Erstrebung wir uns doch nachgerade gewöhnen sollten, statt uns deutsch-bescheiden damit zu begnügen, dass er überhaupt nicht der letzte ist, weshalb z. B. unser Vertreter in Belgrad den Titel General-Consul ad personam erhielt, damit er nicht der einzige »blosse« Con- sul unter lauter General-Consuln wäre. — Die Placirung meiner Person muss den Türken viel Kopfzerbrechen verursacht haben, denn trotzdem ich erklärt hatte, ich sei weder Tschinow-nik noch Doctor, weder Beg noch Aga, schienen sie mich doch hartnäckig für etwas Derartiges zu halten, wofür ich wohl hauptsächlich dem österreichischen Generalkonsulat zu danken habe, denn Angehörige desselben interpellirten selbst beim Feste nnsem Dragoman, ob ich in offizieller oder nur offiziöser Mission meines Staates anwesend wäre, auch machten mich die Herren zum »Baron«, was ich durch den russischen Consul direct erfuhr, der mich mit diesem Titel anredete und auf meinen Protest doch erst imsern Consul ungläubig fragte, ob sich die Sache so verhielte. Nun wusste ich wenigstens, wer mit dein Baron gemeint war, von dem ich mehrmals während des Festes hatte sprechen hören. Ks geht nichts über die abergläubischen Vorstellungen vom preussischen Pfiff! llobrigens sass ich sehr gut, an der inneren Seite der Tafel, in unmittelbarer Nachbarschaft Omer Pascha's, des Marschalls vom dritten Armeecorps, und hatte rechts den sprachkundigen Easchid-Efendy, und links, am Flügel der Tafel, die Dolmetscher der Consulate zu Nachbarn, so dass ich eine deutsche Unterhaltung genoss. Mir zu Gefallen sprachen die Herren nämlich deutsch. Nach Aufhebug der Tafel verfügten wir uns in die anderen Zimmer und Zimmerchen des Stockwerkes oder auch in die luftige Vorhalle, um zu rauchen und Caffee zu trinken. Ich liess mich zunächst dem montenegrinischen Häuptling vorstellen und drückte ihm meine Freude darüber aus, einmal einen Sohn der Helden der schwarzen Berge kennen zu lernen, und der »Halbwilde« (so ist es gewissen Herren in Wien ja wohl recht?) gab mir das Compliment mit den Worten zurück, dass ich als Preusse ja auch der Sohn von Helden sein müsse, was ich keineswegs bestritt, sondern als zutreffend ruhig einsteckte, denn wenn man sich auch keine Semmel dafür kaufen kann, wie icli als Frühverwaister sehr oft erfahren, warum soll sich der Sohn braver Soldaten nichts darauf zu flute thun, dass seine Väter der Reihe nach für preussischo Ehre bluteten und nicht immer die Zeit fanden, den »Strohtod« zu sterben, wie die nordischen Skalden den Tod ohne Blutverlust zu nennen pflegten. TJebrigens sorgten die höflichen Türken dafür, dass ich mich mit dem Montenegriner nicht zu tief in eine Unterhaltung einlassen konnte. Eine allgemeine Ueberraschung bereitete die Ankunft einer Depesche aus Serbien an den Waly, welche dio Erwählung eines unmündigen Knaben zum serbischen Fürsten meldete. Die Türken riehen sich die Hände, dio Slavo-philen wollten die Richtigkeit dor Nachricht erst bezweifeln, dann aber trösteten sie sich mit den Worten: »es ist schon gut, dass die Serben wenigstens keine neue Hynastie in's Land gerufen haben.« Schlimmer Trost! Eine weitere Ueberraschung bildete das Erscheinen eines Hofnarren, eines muhamedanischen Hertzegowiners, der aber eine tscherkessische Pelzmütze trug, auf einem bosnischen Schimmel die Treppen herauf- und auf seinem Pferde auch durch das Hauptzimmer ritt, ohne auf die vielen auf dem Teppich stehenden Aschonschülehon zu treten oder an dio Armleuchter zu Stessen, welche am Boden standen; er ritt auch unter vielen Capriolen die Treppe wieder hinab, was einigermaassen halsbrochend war. Der durchtriebene und wohlhabende Schelm führte den Namen »Esel« (eschek) und hatte sich diesen auch in sein Siegel stechen lassen, die Türken rühmten jedoch seine Schlauheit, seinen Muth und seine ausserordentliche Körporstärke; sie erzählten mir, dass er einst vom Padischah, als er bei demselben gastirte, gefragt worden sei: »sage, Esel, wer ist der klügste Mann in Bosnien?« worauf er erwiderte: »Nach reiflicher Ueberlogung, mein Padischah, kann ich nur sagen, dass ich der klügste Mann in Bosnien bin!« Gewiss eine feine Antwort. Uebrigens rühmte sich der Narr, dass er so eben aus Agram gekommen und dort vom Marschall v. d. Gabelenz sehr freundlich aufgenommen worden sei, wozu die Turcophagen bemerkten, dass sich »der Esel« sehr gut zu Spionen- und ähnlichen Diensten benutzen lasse. Er machte sich mit jedem zu schaffen, auch mit mir, und fragte, ob ich ein entlaufener griechischer Mönch wäre oder ein Soldat, der den Mönchsbart statt Verkleidung trüge, oder ob ich violleicht gar der frühere russische Consul wäre (mit dem ich einige Aehnlichkeit haben sollte) und nach dem schönen Sarajewo zurückgekehrt sei, weil ich hier manches vergessen habe. Dio letztere Bemerkung rief auf vielen Gesichtern ein schadenfrohes Lächeln hervor und setzte den russischen Consul etwas in Verlegenheit, denn sein Vorgänger, dies hatten mir schon meine letzten Beisogefährton mitgetheilt, hatte sich in einer Weise aufgeführt, die nicht blos seinen Staat, sondern alle europäischen Consulate im Ansehen herabsetzte und schliesslich zu seiner Abberufung führto, wobei er eine gewaltige Schuldenlast ungetilgt zurücklicss. Der »cschek« würzte seine Spässe durch Abschiessen eines Knabenspielzeugs, einer sogenannten Ballerbüchse, die er uns dicht vor das Gesicht hielt, so dass uns der Pfropfen getroffen hätte, wenn wir bei dem Knall nicht den Kopf zurückgezogen hätten. Dio Brust hatte er sieh mit türkischen und christlichen Orden aller Art behängen, dabei auch einen montenegrinischen, wie mir Pero Pejowitj zeigte. Wer dio Kehrseite des Ordenswesons, gowissermaasseu dio Carricatur desselben, in Augenschein nehmen will, der gehe nach der Türkei. Von europäischer Seite wurden mir viele Spässe hei dieser Gelegenheit mitgetheilt; so hatte u. A. ein Pascha einen noch höheren Würdenträger einstmals um leihweise Uoherlassung seiner vielen Orden ersucht, damit er sich mit jenen bei Gelegenheit eines gewissen Bestes schmücken könne; ein anderer, der auf Reisen gehen wollto, erbat sich von einem Consul und einem Grosswürdenträger des türkischen Reiches eine Anzahl Orden, »damit er dieselben als Trinkgelder vertheilen könne, denn er hätte gehört, dies sei in Europa so Mode und käme viel billiger zu stehen, als die Hingabe von Geld«; viele reiche Türkon kaufen sieb europäische Ordens- zeichen und behängen sich mit denselben, während ärmere sich minder allgemein bekannte europäische Gold- und Silbermünzen zu diesem lobenswertheu Zwecke verschaffen und damit para-diren. Diese possirliche Aeusserung des orientalischen Nachahmungstriebes reicht freilich nicht an dio naive Auffassung heran, welche ein Irokesenhäuptling hethätigte, der das ihm von Louis XIV. verliehene St. Ludwigskreuz nach indianischer Stutzerweiso an seiner eigenen Nase aufhing. — Was mich bei dem Auftreten des Hofnarrn nur wunderte, war das Benehmen der Europäer, die mit ihm scherzten und auf seine Witze eingingen. Man fragte mich auch, was ich von der Sache hielte und als ich hierauf freiniiithig erwiedcrte, ich sähe in der Anwesenheit und überhaupt in dem Vorhandensein von »dem Esel« eine Beminiscenz aus der früheren Barbarei, kam ich mit dieser Aeusserung- schlecht an, und man entgegnete mir, dass ich dann ja auch sie (die Europäer) dor Barbarei beschuldige, da sie sich ja alle mit »cschek« in spasshafter Weise zu schaffen machten, Meine Antwort, dass ich der Ansicht wäre, die Herren Europäer thäten dies nur aus Gefälligkeit für den liebenswürdigen Wirth, der den Narren in bona fiele zu ihrem Vergnügen eingelassen habe, fand keinen Anklang, denn man versicherte mir, dass der witzige, närrische Kauz wirklich um seiner selbst willen Beachtung verdiene. Als sich derselbe entfernen wollte, stellte sich heraus, dass die Diener sein Pferd in einem der vielen Gemächer versteckt hatten und das Suchen nach demselben vergnügte nicht blos die Domestiken, sondern auch andere Herren, llebrigens steht sich »eschek« hei seinem Geschäft nicht schlecht, denn alle grossen Herren beschenken ihn reichlich und er ist an sich schon wohlhabend, da er in der Herzegowina ein hübsches Bauerngut besitzt. Mittlerweile nahm endlich das Feuerwerk seinen Anfang und ich bemühte mich nach Kräften, demselben zuzuschauen und es ausgezeichnet zu finden, obwohl es kläglich genug ausfiel, wenigstens im Vergleiche zu dem, was ich in dieser Art schon gesehen hatte. Boshafte »Stimmen gaben mir übrigens die Versicherung, diese pyrotechnische Leistung und das lange Aufschieben ihrer Ausführung hätte weiter keinen Zweck gehabt, als uns vom Besuche der Stadt abzuhalten, die illuminirt worden, aber so dürftig, dass sich der Waly dessen schäme. Es ist nämlich zu beachten, dass die christliche Bevölkerung bei Gelegenheit solcher Feste, wie das in Bede stehende, keines-weges freudig oder begeistert gestimmt ist und die Christen von Sarajewo gewiss am wenigsten, während ihre muhamedanischen Mitbürger fast noch weniger Liebe zum Sultan und Freude über seine Thronbesteigung haben, als die Christen, ja ich glaube nicht zu irren, wenn ich sage, sie hassen ihn und seine Reformtürken, welche den Koran verletzen, alle gleich-massig- bedrücken, auch den Muselmann aussaugen und überdies dem bosnischen Selbstgefühl oder Uehermuthe den Garaus gemacht haben. Darum war die Beleuchtung spärlich und auch die Moscheen hatten sich so viel wie möglich eingeschränkt — übrigens machte trotzdem die Illuminirung der Minares auf mich einen überraschenden Eindruck. Nach Mitternacht endete das Feuerwerk und nunmehr konnten wir Europäer uns, ohne Anstoss zu erregen, bei unserm Wirthe empfehlen. Vorher hatte derselbe uns noch »vertraulich« mittheilen lassen, dass am Sonnabend die feierliche Entlassung der bosnischen Reservisten, die erste in ihrer Art, stattfinden würde, zu der wir »vertraulich«, nicht offiziell, eingeladen seien. — In der Stadt war es grade nicht todt, vielmehr wogte in einigen Strassen noch ein recht lebhaftes Gedränge, in anderen hingegen war es schon sehr einsam geworden, aber der Gipfelpunkt der Illumination war längst vorüber und die meisten der vorher erleuchteten »Gewölbe« finster und verschlossen. Gleichwohl bot mir der Best noch ein recht hübsches Bild einer orientalischen Stadtbeleuchtung und ich muss gestehen, dass die ausgehängten bunten Bapier-Laternen, die engen da und dort grell beleuchteten Strassen, die fremd- artigen, malerischen Trachten und die markigen, oft wilden Physiognomien ihrer Träger auf mich einen lebhaften Eindruck machten, der noch einen besonderen Beiz durch die cigen-thümliche Ruhe und Gemessenheit erhielt, mit der sich die Bosniaken bewegten. Ich befand mich in der Gesellschaft zweier Consuln und ihrer laternentragenden Kawässen, die vor uns hergingen und im Gedränge Platz machten, oft mit wenig Aufwand von Ceremonie, wenn ihr Zuruf nicht Beachtung fand, indem sie alsdann die unserem Vorwärtsschreiten hinderlichen Männer beim Kragen nahmen und beiseite zogen. Wir hatten uns nach der Gegend des Besostäns begeben, weil wir hörton, dort sei noch am meisten Leben zu finden und in der That fanden dort die Kawässen in der vorerwähnten Weise vollauf zu thun, uns einen Weg zu bahnen. Lichterglanz drang aus der Pforte der Kaufhalle hervor und über den Köpfen der zusammengedrängten Zuschauermasse sah ich menschliche Gestalten sich in einer solchen Höhe bewegen, als ständen sie auf dem Rücken von Pferden; hierzu ertönte ein gellender, keineswegs schöner Gesang, so dass ich im Augenblick nicht anders dachte, als eine Akrobatenbande vor mir zu sehen und, hätten sich meine Begleiter nicht vorwärts gedrängt, würde ich dem gleichgültigen, wo nicht widerlichen Schauspiel aus dem Wege gegangen sein. Mein Erstaunen war daher kein geringes, als ich nach Durchbrechen der ehrenwerthen Versammlung keine Pferde und Akrobaten, sondern ein paar jüdische Knaben auf den Schultern ihrer Kameraden stehen und in solcher Weise eine kunstreiterliche Leistung vollführen sah. Sie waren es, welche den gellenden Gesang ausstiessen, in welchen von Zeit die nächststehenden Zuschauer — meist Juden der ärmeren Klasse — einstimmten. Die jungen »Künstler« hatten sich übrigens nach Art zünftiger Akrobaten die Hosen und Aermol bis zur äussersten Höhe hinaufgekrempt, um auch äusserlich den gewiss bewunderten Vorbildern zu gleichen. Das grosse Interesse, welches die Menge an der Leistung dieser Knaben nahm, sprach sehr für ihre Genügsamkeit und ihren Geschmack an derartigen Schauspielen. »Sie sehen«, sagten meine Begleiter, »Alles ist still, nur die Juden sind die einzigen, welche an diesem Abend Lärm machen!«: Beim Weitergehen begegneten uns zwei europäisch gekleidete Damen, eine seltsame Erscheinung in dieser Umgehung. Meine Begleiter kannten sie nicht, vermuthcten aber, dass die Beiden »deutsche Putzmacherinnen« wären, von deren Ankunft sie gerüchtweise vernommen, aus dem Umstände jedoch, dass sich dieselben noch auf keinem Consulate gemeldet hatten, schloss man, dass es mit ihrem angeblichen Berufe nicht ganz geheuer sein möchte und sie vielleicht »Freileins« wären, die trotz aller Wachsamkeit der Consular - Agenten der Grenzbezirke fortwährend eingeschmuggelt werden. Sind solche Damen einmal mitten im Lande, dann ist es den Consulaton nicht möglich, diesen Schimpf für ihre beziehendliche Nation über die Grenze zu bringen, denn die höher und besser gestellten Türken nehmen sich der »Freileins« mit solcher Vorliebe an, dass man ihrer nicht habhaft zu werden vermag. Die Herren begleiteten mich bis zu meiner Wohnung, woselbst meine freundlichen Wirthsleute schon vor der Thür meiner Zurückkunft harrten. Ich empfahl mich und wünschte den Herren eine ungefährdete Nachhausekunft, ein Wunsch, der zwar lächelnd aufgenommen wurde, aber doch nicht ganz unberechtigt war, denn am anderen Morgen vornahm ich, dass der französische Consul unterwegs von einem türkischen Soldaten insultirt worden sei. Herr Moulin war zu Pferde und sein Kawass ging voraus; als er in einer besonders engen Gasse angelangt war, bemerkte er plötzlich grade vor sich auf dem Damme einen türkischen Soldaten, der weder dem Kufe des Kawässen noch dem des Konsuls, aus dem Wege zu gehen, Folge leistete, vielmehr das Fferd des letzteren beim Zügel nahm und gewaltsam zurückdrängte. Herr Moulin, welcher alle sichtbaren Abzeichen eines Consuls an und um sich hatte, war gezwungen, den Menschen verhaften zu lassen, wollte er nicht dem Ansehen seiner eigenen Regierung sowie dem der anderen Europäer unheilbar schaden. So bricht der Hass und die Wildheit der Muselmanen immer gelegentlich wieder hervor, trotz inneren und äusseren Druckes, der* auf dieselben geübt wird, selbst da, wo die europäische Macht sich am fühlbarsten und sichtbarsten Geltung verschafft. Man darf sich daher über Vorgänge an Plätzen, die nicht Hochsitze der türkischen Regierung sind, gar nicht wundern, wie z. B. über das, was ich aus Mostar erfuhr, und zwar aus dem Munde von Con-suln. Dort wurde der englische Consul und seine Frau heim Ausreiten von türkischen Soldaten gröblich insultirt, wobei die Dame einen Bayonnetstich durch den Hut erhielt; der russische Consul, Herr Koudriavzeff, wurde von denselben Leuten bei jedem Ausgange mit Drohungen und Schimpfreden der gemeinsten Art förmlich überschüttet; seine Frau wagte er schliesslich gar nicht mehr mit auf die Promenade zu nehmen, denn wenn sie auch die Sprache dor Eingeborenen nicht verstand, so war es ihm, dem Gatten, doch zu peinlich, die Gemeinheiten zu hören, welche ihr von den Leuten, meistens Soldaten, zugerufen wurden. Derartige Mittheilungen stechen allerdings groll ah gegen das, wras man über das gesittete und »duldsame« Botragen der Muhamedaner gegenüber Europäern aus den anderen Provinzen des türkischen Reiches hört, doch bleiben sie darum leider wahr, denn die bosnischen und hertzegowinischon Muhamedaner müssen erst von den Osmanen gebändigt werden, eine Aufgabe, deren Lösung noch viel Arbeit und Despotismus erfordern wird — dies waren meine Gedanken, als ich noch einmal die Bilder des Festes, dessen civilisirte Theilnehmer kaum durch eine Wand von Barbaren und der gröbsten Barbarei getrennt gewesen waren, vor meinen Augen vorüberziehen liess. Die Entlassung der Beserven wurde mit grosser Feierlichkeit in's Werk gesetzt und der Actus Tags zuvor vom Militair eingeübt, bei welcher Gelegenheit ich die Beobachtung machte, dass die Alltags uniform der Sarajewoer Garnison in hohem Grade abgetragen und bunt geflickt war, bei der wirklichen Parade hingegen trugen dio Soldaten die beste Garnitur und sahen in der That prächtig aus. Die Entlassung fand vor dem Platze der grossen Kaserne statt und es waren zu derselben alle höheren Beamten und die Spitzen der muhamedanischen, serbischen und katholischen Geistlichkeit, sowie diejenigen der Gemeindebehörden entboten worden. Da das Schauspiel jedoch für die Saräjewocr Türken ein moderner Gräuel und für die Christen eine Drohung und Demüthigung war, erschienen die Geistlichen sowohl als Gemeindevertreter möglichst spät zum Beste und am spätesten kam der Metropolit; die Volksmenge, welche sich eingefunden hatte und schweigend zusah, war zwar an sich ziemlich bedeutend, doch nicht so gross, dass sie der Zahl der Einwohnerschaft entsprochen hätte, doch sah ich einige Türkinnen und Christinnen unter derselben und einige verschleierte Weiber hockten zwischen den Dächern der Häuser, um zuzusehen. Unter den versammelten höchsten Beamten fiel mir besonders ein Osmane auf, Teffik-Bdy, wegen des ausserordentlich intelligenten Ausdrucks seines Gesichts; ich glaubte erst, einen Europäer vor mir zu haben, zumal er blonde Haare und blaue Augen hatte, und war daher bei der Vorstellung nicht wenig betroffen, von ihm zu hören, dass er keine einzige europäische Sprache verstand. In Konstantinopel, so hörte ich,- habe er einer Art Freimaurer - Orden zur Aufklärung des Volkes angehört. Einen durchaus komischen Eindruck machte hingegen der Saptie'-Oberst Emim-Bey, ein beleibter und ungemein krummbeiniger Mann, der in seiner europäischen schlechtsitzenden Uniform umherwatschelte wie ein Enterich, den man zum Pfau ausgeputzt hat. Her Narr Eschek fand sich auch ein. Die Truppen der 3 Waffen hatten sich in 2 Gliedern als Viereck aufgestellt, wobei die Front der Kaserne die vierte Seite bildete. Ehe dio Boservisten erschienen, wurde uns Europäern angedeutet, in den Salon hinaufzugehen, um von dort aus zuzuschauen, man wollte uns nämlich aus dem Bereich der vor sich gehenden religiösen Feierlichkeit herausbringen, nur den Montenegriner behielt man unten. Kanonendonner vom Fort und rauschende Musik verkündete bald darauf die Ankunft der Ausgedienten; die blutrothe Osmanenfalme mit dem goldenen Halbmond und fünfstrahligen Stern wurde ihnen vorausgetragen und neben dem Flügelmann humpelte »ausser Tritt« der Alaj-Imäm oder Eegimentsprediger einher, hei der vorstehenden Feierlichkeit die Hauptperson. Die Reservisten marschirten nach, der linken Seite ab, die Fahne blieb mit einer Ehrenwache auf der Mitte des Platzes unweit einer kleinen, frisch geschaufelten Grube und hei letzterer stellte sich der Imäm in seinem schwarzen Kaftän und weiss umwickelten schwarzen Fess auf. Drei gefesselte Hammel wurden herbeigetragen und zu seinen Füssen hingelegt; er sprach einige arabische Worte, zog aus dem Gürtel ein Messer und schnitt den drei Thieren die Kehlen durch, dass ihr Blut in die Grube sprudelte, dann wischte er pein Messer sorgsam an dem Fell der Opfer ab, steckte es ein und stellte sich, dem Gebäude den Rücken kehrend, der Fahne gegenüber auf. Tiefes Schweigen herrschte und der Priester zog nun aus dem Gürtel eine Rolle Pergament hervor, eine auf die Feierlichkeit anwendbare Sure des Korans, die er hierauf mit näselnder Stimme laut ablas, wobei sämmtliche Muhamedaner die Hände wie zum Empfangen einer Gabe hielten, der Montenegriner die seinigen jedoch auf den Rücken legte und, die Hünengestalt stolz emporgerichtet, mit dem ruhigen Lächeln des Muthcs und der Verachtung auf die Sklaven des Padischah herabblickte, die seinen Stahl schon mehrfach gekostet hatten — ein entzückender Anblick für die von ferne schauenden Christen, wie ich nachher aus manchem Munde erfuhr. Bald näselte der Imäm nicht mehr allein, denn ein grosser Theil der Anwesenden sprach mit gedämpfter Stimme die ihnen anscheinend bekannten arabischen Worte nach und dazu röchelten und zappelten die schlecht geschlachteten Thiere in ihrem Blute, als wollten sie durch ihr Blut und ihre Todesqual augenscheinlich zeigen, worauf das Wesen des Islams auch heute noch hinausläuft — Zerstörung und ewigen Krieg gegen die ungläubigen. Um das Widerliche des Schauspiels voll zu machen, streckte der Hofnarr seine Fratze Schulter hei Schulter von uns aus dem Fenster. Endlich war die Sure abgelesen und nach mehrmaligem Präsentiren der Waffen traten die Reservisten, denen man die Urlaubspässe übergab, einen Gänsemarsch nach der Fahne hin an, grüssten dieselbe, küssten sie, grüssten sie wieder und gingen ruhig vorbei, wenn sie nicht weiter dienen wollten, wohingegen diejenigen, welche letzteres beabsichtigten, ihren zusammengerollten Pass dem bei der Fahne stehenden Imam zurückgaben und dann in einer besonderen Reihe antraten, im Ganzen 12 von 120 Entlassenen. Die Standrede, welche Omer Pascha diesen Leuten hielt, und die weiteren Ceremonien übergehe ich und bekenne nur, dass der ganze Vorgang meine theilweise schon gefasste günstige Meinung von dem Geiste des türkischen Gouvernements völlig über den Haufen warf, denn er zeigte mir sonnenklar, dass der starre, culturfeindliche Geist des Islams sogar diejenige Institution des Reiches immer noch wie früher beherrscht, von der man annahm, dass sie durch Sultan Machmuds reformirende Faust dem Islam entrissen worden sei — das türkische Heer ist nicht blos innerlich, sondern auch ausser lieh ein Heer des »Glaubens«, nicht das des Sultans oder des osmanischen Staates, und dem gegenüber sind die von Zeit zu Zeit durch das Wiener und das Stambuler Pressbureau aufgetischten Nachrichten, »von dem nunmehr ernstlichen Willen der hohen Pforte, die christliche Bevölkerung zum Hienste im stehenden Heere und in der Miliz heranzuziehen«, nichts weiter als freche Lügen, darauf berechnet, die öffentliche Meinung Europa's zu täuschen. Man komme doch nur und sehe sich die Sache selber an! So war auch die Bede davon gewesen, ein katholisches Bataillon in Bosnien zu bilden, und der Hass der Katholiken 25 gegen die Serben war geeignet, diesem angeblichen Vorhaben einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit zu geben, doch ist längst nicht mehr die Bede davon und als ich Fra Gregorius Martitj im Salon, wo sich alle Festtheilnehmer bei Kaffee und Tabak versammelten, fragte, wie es damit stände, sah er mich mit der grössten Verwunderung an und schüttelte den Kopf in einer Weise, als wollte er sagen, so etwas hat nie in der Absicht der Osmanen gelegen. Auch alle die vielen freisinnigen Erlasse des Sultans haben weiter keinen Zweck als Europa Sand in die Augen zu streuen, um ihm Geld abzuborgen etc., denn in den Provinzen werden sie entweder gar nicht bekannt, oder so entstellt in das Slavische, Griechische etc. übersetzt, dass sie nichts oder das Gegentheil von dem sagen, was sie sagen sollen; an Ausführung derselben ist gar nicht zu denken. Oesterreichische Grenzeroffiziero, so ist mir mitgetheilt wrorden, haben den sie besuchenden türkischen Beamten die Erlasse des Sultans vorgelesen, doch erklärten ihnen diese Türken rundweg, das seien Lügen, denn ihr Padischah könne so Schändliches nicht sprechen, worauf sie entrüstet weggingen. Uebri-gens darf nicht verschwiegen werden, dass die Christen nicht die geringste Neigung zum Eintritt in das türkische Heer haben, im Gegentheile die Maassregol, selbst wenn sie durchgeführt werden sollte, auf ihren Widerstand stossen würde (was freilich nicht viel zu bedeuten hätte), da die Leute viel zu dumm und entwürdigt sind, um den Nutzen des Heeresdienstes für sie einsehen zu können. Als Merkwürdigkeiten Saräjewo's muss ich noch vor dem Scheiden der Buchdruckerei und der nach deutschem Muster eingerichteten Apotheke erwähnen. Die letztere gehört dem Arzt Dr. Koetschet, der mit derselben jedoch kein glänzendes Geschäft macht, weil ihm zwei jüdische Droguisten Abbruch thun, die vom Volke ebenfalls für Aerzte gehalten werden, gerade wie ihre schon erwähnten Collegen in Banjalüka. Die Buchdruckerei gehört, so viel ich weiss, einem Serben, und ist so vortrefflich eingerichtet, dass aus ihr schon verschiedene mit römischen, cyrillischen oder türkischen Lettern gedruckte Werke hervorgehen konnten, auch ein täglich erscheinendes offiziöses Journal im grossen Zeitungsformat gedruckt wird, das »Bosna« betitelt ist und in türkischer und serbischer Sprache herauskommt. Ich fand dasselbe in allen Begierungskanzcleien. Am Sonntag machte ich Abschiedsbesuche und empfing solche, darunter den von Bero Pejowitj, der ebenfalls reisefertig war und bald nach Skutari zurückkehren wollte. Er kam übrigens nur von einem Kawässen begleitet, der im Vorzimmer zurückblieb. Ich bestellte mir Bostpferde zum Reiten, da ich es einmal mit solchen versuchen wollte, obwohl sie viel theurer wie andere, aber auch besser sind; ihre Sättel sind jedoch meistens eben so schlecht, wie die von Privatpferden. Was die Sache vertheuert, ist der Emstand, dass man ausser dem Pferde, welches man selber reitet, noch eins für den Postknecht oder Sürüdschü miethen muss, denn dieser Mann begleitet den Reisenden bis zur nächsten Station, um nach den Pferden zu sehen und dieselben wieder mit zurückzunehmen; weder ihm noch den Thieren ist man verpflichtet etwas zu reichen, da alles in die Miethe eingerechnet ist, welche für jedes Pferd 3 Piaster für die türkische Wegstunde (a/3 Meile) beträgt, gleichviel welche Zeit man zur Zurücklegung derselben braucht. Ein Uebelstand ist ferner, dass die Posthalter gern eine oder zwei Wegstunden bei den Strecken mehr rechnen, als wirklich zurückzulegen sind und dass sie den Kaiscrducaton nicht zum üblichen Course annehmen; in Sarajewo z. B. rechnete man denselben nur zu 51, und an den anderen Stationen zu 54 statt 61 — 62 Piastern, wie sonst gebräuchlich. Dies rührt daher, dass die Begierungskassen den Ducaten nur zu 51 Piastern annehmen, eine Maassregel, die weiter keinen Zweck hat, als ihnen schlechtes Geld zuzuführen und die Saräws zu bereichern. Die Strecke von Sarajewo bis zum Post- oder Monsil-Han des Dorfes Gäine 25* wurde mit 7 Stunden berechnet und kostete 42 Piaster, die von Mensil-Han bisKlädanj, zu 7 Stunden gerechnet, kostete ebenfalls 42 Piaster und von da bis nach Dolnja-Tusla musste ich 54 Piaster bezahlen, doch hatte ich bei letzterer Zahlung einige Weitläufigkeiten, indem der Sürüdschü 63 Piaster verlangte, obwohl er zugab, dass die Stunde 6 Piaster koste und nur 9 Stunden zu berechnen seien; ich konnte dem unwissenden Manne die Multiplicatiun nicht klar machen, obwohl ich zur Strichrechnung griff und ebenso wenig verstand mich der Saptie, so dass beide schliesslich zu mehreren Kaufleuten der Stadt (Dolnja-Tusla) gingen und diese fragten, wie viel 9 mal 6 wäre, doch auch von diesen wurden sie mit dem ^Achselzucken der Unwissenheit entlassen, bis sie endlich einen Osmanen fanden, der sich die Zahlen in's Türkische übersetzte und dann halblaut multiplicirte, worauf er meine Kechnung bestätigte. An der Verwirrung wird der Wirth in Klädanj Schuld gewesen sein, der wahrscheinlich dem Sürüdschü aufgetragen hatte, sich (unberechtigterweise) 63 Piaster von mir gehen zu lassen. Der Osren. Die Owa -1? laninti. Olowo. Klädanj. Die Könjii-Planiriä. Die Spretscha-lPolie. Dolnia-Tusla. Bertsolnlca. TJm 12 Uhr Morgens türkischer Zeit am Montag, den 29. Juni, war ich zum Wegreiten fertig, schnell wurde ein herzlicher Abschied von meinen Wirthsleuten genommen, dann bestieg ich das vor dem Hause harrende Pferd, begab mich zum Hr. Blau, dessen Familie ich mich empfahl, sagte dem Herrn Boshitj Lebewohl und ritt in der Gesellschaft meines liebenswürdigen Gönners und Beschützers, der mich bis zur Osronspitze begleiten wollte, ab. Wir bildeten eine kleine Cavalcade, denn ausser meinem Saptie Mechmed und dem Postknecht folgte auch Mustafa, der Kawass; Hr. Blau ritt einen feurigen deutschen Schimmel und ich hatte ein ausgezeichnetes bosnisches Pferd, für welches zwar dio Post Bezahlung erhalten hatte, das aber, wie ich später erfuhr, nebst dem guten Sattel dem Waly gehörte und von diesem mir ohne unser Wissen geliehen worden war, weil der gute alte Herr gehört hatte, dass ich über dio bosnischen Mieth-Pferde und Sättel geklagt. Ihm sei für seine tactvolle Freundlichkeit nochmals gedankt. Wir ritten zunächst auf die nördliche Höhe der Stadt hinauf, machten dort innerhalb des alten schön verzierten Thores Halt und blickten noch einmal auf die unter uns liegende Stadt herab, die ich nun zum letzton Male sehen sollte; dann ging es nordwärts zum Thore hinaus auf einem nicht sehr breiten Pfade an dem alten wilden Birnbäume vorbei, an dem man in früheren, aber noch nicht lange entschwundenen Zeiten Christen aufzuhängen pflegte, wie solches an noch zwei anderen Birnbäumen ausserhalb der Stadt gleichfalls geschah. Der geneigte Leser wird sich wohl die Gefühle vergegenwärtigen können, mit denen ich jenen Baum im Vorbeireiten betrachtete, deshalb will ich ihn mit der Wiedergabe derselben verschonen. Bechts von diesem in luftiger Höhe laufenden Wege lag ein tiefes enges Thal und dicht an demselben hatte man eine Bad-Mühle angelegt, die von einem Bächlein getrieben wurde. Ihr Triebwerk documentirte schon einen materiellen Portschritt. Links sahen wir bald die dominirende Kuppe des Panin, scheinbar 800 Fuss, absolut jedoch 2500 Fuss nach Ami Boues Schätzung hoch. Mit der Aussicht auf die wunderschöne Scenerie hatte es schon beim Verlassen der Stadt ein Ende und, für den Tag, auch mit meinem Beiseglück, denn der feine Regen, der mich seit dem Aufsatteln sanft, aber nachhaltig dnrchnässt hatte, war mittlerweile in ein strömendes Unwetter umgeschlagen, so dass die nächsten Höhen nur als dunkle verschwommene Massen sichtbar blieben. Das Wasser stürzte förmlich wie in zusammenhängenden Fäden vom Himmel, so dass Dr. Blau mir gestand, niemals auf seinen vielen Keisen im Orient, auch nicht im asiatischen, ein derartiges Unwetter erlebt zu haben. Das Leder seiner Wasserstiefel zog schliesslich so an, dass er nasse Beine bekam und auch sein Filzhut schützte bald nicht mehr den Kopf, doch deckte ein wasserdichter Regenmantel wenigstens seinen Körper; was mich hingegen betraf, so blieb ausser meinem Uhrgehäuse und dem Innern meines Compasses nichts an mir trocken und das von meinem Körper herabströmende Wasser füllte mir die Stiefel, so dass ich dasselbe an diesem Tage dreimal ausgiesscn musste. Die Zähne klapperten mir vor Frost schliesslich gegen meinen Willen und Dr. Blau (der selbst bei diesem Ausfluge das Botanisiren nicht ausser Acht liess) beschwor mich, mit ihm wieder nach Sarajewo zurückzukehren, denn er fürchtete, ich würde durch Erkältung ernstlich krank werden und dann unterwegs in irgend einem Han hülflos liegen bleiben; er ver- mnthete auch, dass das Regenwetter während der ganzen Woche fortwähren würde, ich thäte daher am hesten, in Sarajewo einen bedeckten Postwagen zu miethen und auf der Chaussee nach der Grenze zu fahren, wobei ich freilich nichts Neues sehen würde, also zur Kenntniss des Landes keinen Beitrag liefern könnte. Doch wollte es mir schlechterdings nicht in den Kopf, wegen eines Regens umzukehren und einen unlohnenden Weg einzuschlagen, deshalb blieb ich bei meinem Entschlüsse und die Sache lief auch glücklich ab. Im Derljewatz-Han machten wir um 2 Uhr nothgedrungen Halt und verweilten l1^ Stunden, um aus Hr. BlaiPs Vorräthen zu frühstücken und die Kleider einigermaassen am Eeuer zu trocknen. Es war die höchste Zeit. Nunmehr hing ich mir aber vor dem Weiterreiten meine Decke mantelartig um, damit an derselben wenigstens die Gewalt des Regens gehrochen und ich ein wenig erwärmt würde, denn durchnässt wurde ich nach wie vor; freilich machte mir das anderweitige Unterbringen der in die Decke gewickelten Gegenstände, z. B. einer Schachtel mit Brod, viel Mühe. Eine Stunde nach dem Aufbruche passirten wir den Euschjaluka-Han, eine halbe Stunde später den von Toplitza und um 5% Uhr erreichten wir den Osren-Han, der 4l/2 Stunden von Sarajewo entfernt liegt. Die bis dahin zurückgelegte Strecke kann ich in allgemeinen Umrissen folgendermaassen schildern: Der Weg windet sich in weiten Zickzacklinien um schluchtenartige Thäler allmälig aufwärts und der nackte Fels tritt auf den unteren Partien sehr häufig, auf den oberen seltener zu Tage; unten zeigt der etwas schieferige Boden nur Gebüsch oder Gestrüpp, indem die Wälder abgeholzt worden sind, und dies geht so fort bis zum Derljewatz-Han, der ungefähr 2500 Fuss hoch über dem Meere liegt. Von da an beginnt ein lichter Tannenwald anderthalb Stunden weit das sanft aufsteigende Plateau zu bedecken, das von höheren bewaldeten Kuppen umgeben ist und einige Bergwiesen, sowie Aecker aufweist, Dörfer sind freilich nicht zu sehen. Auf diesem Plateau liegt bei einem Weiher der Han Jesero (See) und dort kommt, nach Blau, schon die »Arnica montana« vor. Nunmehr beginnt ein steiler Aufsteig zur Hochebene der Wutschja - Luka, über die der lange, äusserst beschwerliche Pfiasterweg Duga-Kal-derma führt und quer durch eine tiefe Schlucht geht, welche die Wutschja-Luka vom Osren trennt und in die von Norden kommend zu beiden Seiten des Weges zwei Bäche herabstürzen, die am Tage meines Bittes stark angeschwollen waren und ungestüm dahcrbrausten. Am Uebergange dieser Schlucht liegt der Toplitza-Han. Der Nordabhang- der Wutschja-Luka ist mit hochstämmigen Tannen bestanden, unter denen vereinzelte Kiefern, tiefer unten mit schönen Buchen. Nach einer Stunde Steigen vom Toplitza-Han aus gelangten wir auf dem vielfach gewundenen Wege von Norden herauf an den Osren-Han, der 4000 Fuss hoch liegen mag und von dem eine Viertelstunde westlich sich die höchste, etwa um 500 Fuss höhere Kuppe des Osren erhebt. Der ganze Berg wird von Blau auf 4800, die Wutschja -Luka hingegen auf 4000 Fuss Höhe geschätzt, wenngleich es uns beim Hinab- und Hinaufsteigen der Schluchtwände, in der Fernsicht behindert, so schien, als ob beide gleich hoch wären. Unfern vom Osren-Hau öffnet sich nach Nordost ein tiefes und ungemein schönes Alpenthal, in welchem das Dorf Bakowanbga, liegt, das ich im Laufe des Tages noch sehen sollte. Auf dem Plateau oder Grath des Osren herrscht die Kiefer vor und war es dort zum ersten Male in Bosnien, dass ich diesen nordischen Baum in grösseren Massen beisammen sah. Der Osren-Hau ist ein grosses, aus Balken gezimmertes einstöckiges Gebäude mit mehreren kleineren Nebenbauten und es mag sich in ihm recht gut nächtigen lassen, mir wenigstens kam er, wie an jenem Tage alle Hans, mit seinem riesigen Scheiterhaufen wie ein wohnliches Heim vor; die Wirthe sind betriebsame Serben, deren Wehstuhl fleissig geht und das Geräusch desselben, welches ich aus dem Wohngemache (gewissermaassen Harem) hervorschallen hörte, glich dem Arbeiten einer Häcksellade, so dass ich erst glaubte, eine solche sei in Thätigkeit, doch belehrte mich Herr Blau, dass die Cultur noch nicht bis zu einer solchen Maschine vorgeschritten sei und rieth mir gleichzeitig davon ab, den Wunsch nach Besichtigung des Webstuhls zu erkennen zu geben. Unsere erste Sorge war übrigens die, uns über die Himmelsgegenden zu orientiren und da fanden wir, dass wir uns beide durch die eigentümlichen Windungen des Weges und den mangelnden Anblick der Sonne über die Richtung getäuscht und Nord mit Süd verwechselt hatten, erst mein Compass gab Aufschluss. Es schlug nunmehr die für mich schwere Trennungsstunde und nachdem Herr Blau mich noch mit einem Theil seines Reiseproviants versorgt und dem Saptie eingeschärft hatte, mich wie seinen Bin-Bey zu halten, nahmen wir kurzen und herzlichen Abschied von einander, vielleicht auf Nimmerwiedersehen. Bald darauf, um 7 Uhr, brach auch ich auf und fand zu meiner Freude, dass der Platzregen einem sanften Sprühregen auf den Nordabhängen Platz gemacht hatte. Dicht beim Hau sah ich einen riesigen hehauenen Grabstein, der von dem Stamm einer Eiche überschattet war. Der Weg führte zunächst abwärts und wir gelangten nach etwa einer halben Stunde au eine Schmiede, bei der ein. kleines Blockhaus stand, welches wohl mitunter als Han dienen mag; ich liess die Leute, einen Mann und einen Burschen, herausrufen und fragte sie nach dem Namen der hohen Kuppen, die nordöstlich vom Wege aus dem Tannen-Hochwalde hervorragten; sie blickten sich freudig überrascht an und sagten, dass jene Höhen die Rakowanöga- Berge wären und ihr Haus der Sirowina-Han genannt würde. Mcchmed schien von diesen Rajahs und denen der ganzen Umgegend keine sonderlich hohe Meinung zu haben, denn als wir weiter ritten, blickte er sich mehrere Male um und als er dabei meinen Compass aus dem Gürtel hängen sah, rief er mir mit besorgter Miene zu, denselben einzustecken; er mochte das blanke Messing für Gold halten, auch hatte ich bemerkt, dass er mich unruhig he-: trachtete, als ich meine Uhr in Gegenwart der Leute hervorzog. Wir hatten beim Eeiten alle Aufmerksamkeit nöthig, denn der Weg war über alle Maassen schlecht und aufgeweicht, ausserdem waren abgestorbene Tannen über denselben hingestürzt und langten mit ihren zackigen Zweigen nach unseren Köpfen und Kleidern herab. Um 8 Uhr erreichte ich eine Brandstätte und einen neuen Hau bei derselben, Wutschitj-Han genannt; dort sah ich auch zum ersten Male weissen, d. h. gelblich blühenden, Fingerhut in grosser Zahl. Nunmehr ging es häufiger auf- als abwärts durch den herrlichsten Urwald aus 80—00 Fuss hohen Tannen und Buchen den Lipnik-Berdd hinan, bis wir um 8x/2 Uhr eine Karäula erreichten, deren wohlbewaffnete Insassen, 6 Mann, sämmtlich herausgeeilt kamen und uns betrachteten. Der Weg ging nun allmälig abwärts, erst nordwestlich, dann meist nördlich und auch nordöstlich; um 9 Uhr 10 Minuten wandte er sich plötzlich ans Nordwest nach Nord und ich sah vor mir rechts oder östlich das tiefe, schöne Thal von Rakowanöga mit dem gleichnamigen Dorfe in reizender Lage auf den jenseitigen Höhen, scheinbar ganz nahe, aber doch wohl eine halbe Stunde entfernt. Es ging nun schärfer abwärts und um 9 Uhr lag das Lipnik-Thal vor mir, gewissermaassen der Schluss des Rakowanöga - Thaies. Um 91/* Uhr erreichten wir den herrlich gelegenen Lipnik-Han, bei dem wir eine Viertelstunde hielten, um Kaffee zu trinken, dann ging es weiter. Das Lipnik - Thal ist zwar ungemein schön, aber unfruchtbar, denn überall tritt der weisse Kalkboden zu Tage, soweit nicht karger Graswuchs, Birken und kümmerliche Tannen denselben bedecken. Zwei Bäche durchströmen dasselbe, von denen der grössere Werbä heisst und nach Westen fliesst; er nimmt einen kleineren, von den nördlichen Höhen herabstürzenden in sich auf. Jetzt ging es nordwärts und beständig steil emporsteigend zwischen Tannen und Birken zu Fuss auf die Stübtschanitza-Planinä hinauf, deren Abhang ein wahres Trümmerfeld von Rollsteinen bildet, die entweder im Laufe der Jahrtausende von den Höhen herabgeschwemmt sind oder die Muränen ehemaliger Gletscher bilden. Nach Osten sah ich noch höhere Kuppen, deren Namen ich jedoch nicht erfragen konnte, doch gehören sie muthmaasslich auch zur Stiibtschanitza-Planinä. Um 11 Uhr erreichten wir das Plateau der Owa oder Prgowa-Planinä (Owa bedeutet auf türkisch Polje) und das Dorf Gäine-Selo, gleichzeitig begann aber ein so wüthendes Unwetter, dass ich in wenigen Minuten trotz der Decke bis auf die Haut nass wurde und sich meine Stiefel wieder mit Wssser füllten; mein Pferd wurde vom Regen scheu und wollte mit Gewalt unter einem riesigen wilden Kirschbaume Zuflucht suchen, der schon einer Schafhecrde Obdach gewährte; ich musste es jedoch weiter treiben und Mechmed berathschlagte einen Augenblick mit dem alten Sürüdschü, worauf er mir erklärte, es seien noch 2 Stunden nach Olowo und die Nacht würde gleich anbrechen, deshalb wollten wir in dem wenige Minuten entfernten Mensil-Han einkehren. Ich gab meine Zustimmung, es wurde links abgebogen, ein Heckenthor geöffnet und ein massiger Hügel, der mit üppigem Gras-wuchse bedeckt war, erstiegen, dann ging es im Trabe an den Häuschen vorbei und der Sürüdschü stimmte dabei einen brüllenden Gesang an, theils um dio Pferde zu ermuntern, theils um unsere Ankunft zu melden. Bald waren wir bei dem Blockhause, welches den Han vorstellte, wir stiegen ab, Mechmed wog seinen wassergetränkten Kapuzenmantel in der Hand und rief mir zu: »jetzt wiegt er 10 Oka und sonst kaum zwei!« Dann führte er sein Pferd zur Abkühlung umher und dasselbe that mit dem meinigen und dem andern der Sürüdschü, wobei er doch die Zeit gewann, mir das Wort »Hajduk« (Räuber, Spitzbube) zuzuflüstern und mit dem Daumen über die Achsel weg nach dem heraustretenden Handshy zu deuten, um mich vor Prellerei zu warnen. Dass diese Warnung nicht ohne Grund war, sollte ich zu meinem Ergötzen sehr bald erfahren, denn nachdem wir uns auf den Pritschen vor dem qualmenden Scheiterhaufen im Blockhause niedergelassen hatten und ich meinen Proviant hervorholte, wünschte Mechmed zu wissen, was seine Zehrung und unser Nachtlager kosten würde, wrorauf der Handshyihm nicht hlos vorschlug, alles, auch die Bewirthung des Sürüdschü, auf meine Kosten zu stellen und ausserdem ein gemeinsames Geschäftchen zu machen; dies lehnte jedoch der Saptie mit einem entschiedenen »neschto« ab und auf die Verwunderung des Handshy ob solcher Neuerung, flüsterte er ihm die beiden Wörtchen Consul und Waly zu, womit sich der Wirth beruhigte und mich nunmehr verwundert betrachtete; am andern Morgen behauptete er, ich sei ihm nichts schuldig, denn ich hätte nichts verzehrt und geschlafen eben so wenig, Mechmed hingegen hätte 4 Piaster zu bezahlen, worauf ich ihm 6 gab und dem Postknecht 2, denn mehr hatte dieser nicht zu bezahlen, da er auf dem blossen Boden vor dem Feuer geschlafen hatte. Die Nacht verbrachte ich in der nur schlecht auf dem Körper getrockneten Kleidung schlaflos, auf der einen Seite halb gebraten, auf der anderen frierend, denn durch die klaffenden Balken wehte die sehr kühle Nachtluft herein und die Thür musste ich fast immer wieder öffnen, wollte ich nicht vom Bauch ersticken. Meine Gefährten sowie dor Wirth und sein Bruder schliefen und brüllten oder stöhnten vor Behagen wie Bären; am lautesten war der alte Sürüdschü, der überdies so oft er aufwachte, nach Scheiten suchte und diese polternd in\s Feuer warf. Am Morgen, nachdem ich schon die Rechnung erledigt, die Postpferde bezahlt und meine Sachen gepackt hatte, schlief ich unbedeckt trotz der Morgenkühle etwa eine Viertelstunde lang ein, ohne dass mir dies irgendwie geschadet hätte und wurde von einer lauten Unterhaltung geweckt, die sich um das Aufbringen eines Pferdes drehte, indem das von dem Sürüdschü Tags zuvor gerittene Thier nicht auf der Weide zu finden und ausserdem kein passender Sattel für mich aufzutreiben war; ich musste daher das Saräjewoer Pferd wieder besteigen und ritt dasselbe bis hinter Olowo, woselbst uns ein Briefbote entgegen- kam, der sich bereit erklärte, mit dem uns begleitenden Bruder des Wirthes die Rolle und das Pferd zu wechseln, worauf ich sein gewöhnliches bosnisches Thier und seinen spottschlechten Sattel bekam, während mein Pferd zurückgeführt wurde. Um 11 Uhr türkischer Zeit ritten wir ab, nachdem ich zuvor die Kuppen, welche sich in etwa einer Stunde Entfernung nordwestlich vom Han zeigten, als zur Buschka-Planinä gehörig, notirt hatte. Hie Owa oder Prg-Owa ist eine Hochebene (doch darf man es mit der Bezeichnung »eben« nicht strenge nehmen) die nicht niedriger sein kann als der Osren, denn die Kiefer, und zwar in gesunden, stattlichen Exemplaren, ist auf ihr vorherrschend, doch kommen auch Tannen, Birken und Ulmen vor und auf den Grasflächen sah ich Wolfsmilch, Schafgarbe und Gänseblümchen wie bei uns. Nach Westen war die Aussicht durch 50 —100 Fuss hohe "kiefernbestandene Hügel behindert, im Süden und Osten zog sich im weiten Bogen die Kurjctscha-Planinä herum, die ich beim Kurjotscha-Han, den wir um II3/* Uhr erreichton, abzeichnete. In dem Han war reger Fremdenverkehr und meine Begleiter unterhandelten erfolglos wegen Ueborlassung eines Bferdes. Nachdem wir uns mit Kaffee erfrischt, ritten wir nach halbstündigem Aufenthalte weiter und gelangton pach einer Viertelstunde in die engen Thälor der Kurjctscha-Planinä, dio sich mit ihrem Kiefern-, Eichen- und Tannenschmuck zwar reizend ausnahmen, aber über alle Maassen beschwerlich zu passiren waren, so dass wir beständig zu Fuss über den schlüpfrigen Boden mit zerstörtem Kalderma klettern und die Pferde am Zügel nachziehen mussten. Ein paar kleine Ziegenheerclen, von mehreren bewaffneten Treibern begleitet, begegneten uns, und ein paar Hirtenknäblein stiegen von den Bergen herab, um mir einen Bindensack voll köstlicher Erdbeeren für 1 Piaster zu verkaufen; ich zehrte von dieser duftigen Frucht den ganzen Tag. Hie Berge, zwischen denen wir, in der Hauptrichtung nach Nordost, hindurch-kletterten, erschienen mir 4—500 Fuss relativ hoch, das Ge- birgo muss aber doch so hoch sein wie der Osren. Um 1 Uhr befanden wir uns vor der Brücke von Olowo (sprich dllowo); dieselbe ist aus Stein in drei kühnen Bogen über die von Osten herabbrausende seichte Olowonjetza gespannt, deren Wasser Blei führt und von vielen , wie mir Mechmed erzählte, als Arznei benutzt wird; ihm selber sollte es gut bekommen sein. Jenseits hockten drei Türkinnen in ihrer gespenstischen Tracht, die einzigen Menschen, welche wir bei der Stadt sahen, und schienen in ihrer Weise den Vormittag zu gemessen. Der Fluss stürzt durch ein sehr enges Felsenthal mit hohen Wänden und die Stadt auf seinem linken oder westlichen Ufer wird erst fünf Minuten nach Passiren der Brücke sichtbar, um gleich darauf bei der rechtwinkligen Wendung des Weges nach Nordost um eine Felsenecke zu verschwinden. Sie liegt höchst an-muthig in einem Felsensattel 100 Fuss hoch über dem Flusse, liess aber nur eine Moschee und etwa 50 dicht beisammen liegende Häuser sehen, doch gehören zu ihrer Gemeinde mehrere Hundert Hausstätten im einmeiligen Umkreise. Ihr Name bedeutet »Blei«, und sie hat denselben von diesem in der ganzen Gegend gefundenen Mineral. Bei dem Wendepunkte des Weges kam mir die ebenfalls ungestüm rauschende Kriwaja, »die Krumme«, entgegen, die dort die Olowonjetza in sich aufnimmt und mit ihr vereint durch eines der schönsten Felsen-thore dicht bei der Stadt weiter nach Westen stürmt. Sie erschien mir 50—80 Schritte breit und die steilen Felsen des Theres kamen mir über 200 Fuss hoch vor. Der Weg an ihrem linken Ufer ist äusserst beschwerlich und von dem scheinbar 100 Fuss hohen steilen Thalrand eingeengt, in dessen Schatten weisser Fingerhut in grosser Zahl blühte. Die jenseitige Landschaft zeigte sich im lachenden Sonnenscheine, ein fruchtbares wohlbebautes Uferland mit Häuschen besäet und üppige eingehegte Weiden dazwischen, während die von 200 Fuss bis allmälig (je weiter nordwärts) auf 600 Fuss ansteigenden grünen Höhen der Päklanik-Planinä den denkbar schönsten Hintergrund bildeten; sie traten nach und nach buchtig immer weiter vom Flusse zurück. Ein berittener Bajah kam uns entgegen und mit ihm wurde das schon erwähnte Pferdetauschgeschäft gemacht, wobei ich erst von der bewiesenen Freundlichkeit des liebenswürdigen Waly Kenntniss erhielt. Um 2 Uhr ritten wir über eine hölzerne, geländerlose Brücke, auf das jenseitige (rechte) Ufer hinüber und gelangten eine Viertelstunde später an die ersten Häuser des Borfes Oldwo-Luka-Ssello und nach einer weiteren Viertelstunde an den zweistöckigen Han des Ortes, woselbst wir einkehrten. Oben fand ich ein kleines, von Bauch erfülltes Zimmer, in dem schlechterdings nicht auszuhalten war, obwohl man mir ein seltenes Möbel, nämlich einen roh gezimmerten Lehnstuhl mit ganz niedrigen Füssen zum Sitzen gab. Ich ging in den schattenlosen Garten hinab und liess mir dorthin süsse Milch und Kaimak bringen, um selbige zu meinen Erdbeeren zu verzehren, doch kam ich nicht dazu, denn kaum hatte ich mich in's Gras gelegt, da hörte ich Mechmed mit dem Handshy (einem Bajah) im heftigsten Wortwechsel und gleich darauf kam der erstere mit meinem Pferde heraus und ersuchte mich, aufzusteigen, denn in einem solchen Rauchneste könnten wir doch unmöglich bleiben. Obwohl mir sein Wunsch sehr ungelegen kam, wollte ich ihn doch nicht durch Weigerung vor den Leuten blossstellen, da er sich ja anscheinend meinetwegen so ereifert hatte; ich gab also der Wirthin 2 Piaster für die angerührte Schale Milch, die nun sofort von dem Sürüdschü geleert wurde. Diese Postknechte sind unglückliche, ehrliche Menschen, die nur kärglichen Lohn und, wie es mir scheint, niemals von den Reisenden ein Trinkgeld oder sonst welche Darreichung erhalten, vermuthlich. weil die Benutzung der Postpferde so theuer ist; wenn ich ihnen etwas geben liess, nahmen sie dasselbe mit der Miene grösster Ueberraschung entgegen und die paar Piaster, die ich ihnen schenkte, steckten sie nicht eher ein, als bis sie den Saptie oder Handshy gefragt hatten, für wen das Geld bestimmt war. Der Wirth in Kladanj hielt hei dieser Gelegenheit dem armen, in Bede stehenden Burschen eine Standrede üher das Ungewöhnliche solches Vorkommnisses und forderte ihn auf, mir die Hand zu küssen, was ich natürlich nicht duldete. Die Aussicht vom Luka-Ssello-Han war sehr schön und zeigte mir den geschlängelten Lauf der Kriwaja, der noch zweimal überbrückt war, sowie ein schönes Thal, das etwa, eine Stunde nach Südosten lang schien und sich dahin allmälig verengerte. Wir blieben auf dem rechten Ufer des Flusses, kamen noch an mehreren Wohnstätten vorbei und gelangten nach etwa einer Stunde an den Einfluss der Stübtschanitza, woselbst das Gebirge hervorspringt und wir mehr nach Norden wenden mussten. Am FTusse lagen mehrere Mühlen, darunter eine solche zum Bretterschnciden. Nach etwa einer Viertelstunde verlicssen wir die Stübtschanitza, bogen links ab und folgten dem linken Ufer eines immer seichter werdenden und zuletzt verschwindenden Baches die Päklanik-Planinä hinauf. An diesem Bache waren unterhalb und ganz oben zwei Plattformen aus Holz zum Buhen errichtet und die Scenerie über alle Beschreibung schön, indem das schluchtenreiche Gebirge oft nackt und zerrissen hervortrat, im Uebrigen jedoch mit den herrlichsten Kiefern, Tannen, Linden, Erlen, Buchen und Eichen bedeckt war. Um 4 Uhr erreichten wir den Päklanik-Han, in einem reizenden Thale, und machten daselbst eine Stunde Halt, um das verfohlte Frühstück nachzuholen und hatte ich für unsere Bewirthung mit Landeskost, incl. einer Flasche Sliwowitz für meine Leute, 6 Piaster zu bezahlen. Nunmehr begann die Karäula-Planinä, in welcher der Weg von S1^ — 0 Uhr ungemein steil emporging und wir durch den schönsten Urwald aus Tannen, Linden, Buchen, Eschen und Ahorn ritten, den ich je in Bosnien gesehen hatte. Hie Kiefer verschwand hei dem letztgenannten Han und die Eiche war von da an auch seltener; die Buche herrschte vor. Um 6'/2 Uhr hatten wir den höchsten Punkt des Gebirges erreicht und gleich darauf den etwas tiefer liegenden stattlichen Han von Nasto-bojo, hei dessen Kjöschk wir ziemlich eine halhe Stunde in munterer Gesellschaft hielten. Die Aussicht von dort aus war grossartig und bereichernd wie an wenigen anderen Stellen. Vor mir (nördlich) lag ein grosses Thal, dessen jenseitige Wände die Bjello-Polje genannt werden und sich Anfangs sanft, dann immer steiler erheben und schliesslich in drei kegelförmigen Kuppen gipfeln, die wohl 4000 Fuss hoch sein können; genau in NNO. von meinem Standpunkte lag das Dorf Böpartzi-Sse'llo am Fusse derPolje; nordöstlich vom Han und scheinbar noch hoher als dessen Standpunkt erhohen sich die Brätilo-oder Brüderberge, noch mehr östlich, aber südlich von jenen, die nicht minder hohen Kuppen der Rädotschitscha-Planinä, und ganz im Osten, wieder südlich von diesen, dio scheinbar höchste Liwtschi-Planinä in ihrem nördlichen Auslaufe. Es war wirklich ein imposantes Panorama von Kiesen, welches sich meinen Blicken darbot. Nach Westen war die Aussicht durch meine nächste Umgebung mehr gehindert; da war zunächst die Nis-knritscha-Planinä, über welche ich vor mir zu steigen hatte, hinter ihr parallel die Majdan- und hierauf die Stobörja-Planum als letzte Kette vor Kladänj, wie mir gesagt wurde; ausserdem wurde mir mitgetheilt, dass die Reihenfolge der Hans hinter Kladänj folgendermaassen wäre: Mäloitschitj-, Brloschti- und Notschäewitj-Han, doch fand ich, dass noch ein Han zwischen diesen lag. Vom Drinjatz-Flusse konnte ich in dem Thale nichts bemerken. — Um 7 Uhr 5 Minuten ritten wir von dem Nastoboje- oder Karäula-Han fort und zwar gleich stark abwärts, welche Richtung vorwiegend beibehalten wurde, trotz gelegentlicher Steigungen; es ging fast immer durch einen Hohlweg ähnlichen im Zickzack laufenden Pass und sehr häutig über zerstörtes Kalderma, ausserdem war der Pfad überall versumpft oder doch aufgeweicht durch Quellen, an denen üeberfluss; ferner lagen faulende Baumstämme, Zacken und Steine im Wege, so dass ich wohl sagen kann, er war der 26 Schlimmste, den ich je in Bosnien gefunden, und bisweilen wussten wir in der That nicht aus noch ein, abgesehen davon, dass wir joden Augenblick einen gliederbrechenden Sturz ris-kirten. Auf der letzten Strecke ritt ich voran, um die Leute wegen meiner ausser Sorge zu setzen. Das Schlimmste war übrigens die nunmehr sich stark geltend machende Ermüdung unserer Thiere und ihre dadurch wachsende Aengst-lichkeit. Von Notizenmachen konnte hei solcher Passage keine Bede sein, zumal die Richtung so oft geändert wurde und keinerlei Anhalt zu finden war, auch machte sich die Scheidung der 3 Gebirge ganz unmerklich, obwohl ich auf dieselbe Achtung gab. Punkt 8 Uhr öffnete sich plötzlich dio halsbrechendste Strecke des Hohlweges und das liebliche Kladänj lag amphi-theatralisch vor uns, beleuchtet von der Nachmittagssonne, doch mussten wir noch eine Viertelstunde auf dem abschüssigsten Wege aus Sandstein, Lehm und Kalkfelsen herabklettern, ehe wir die ersten Häuser erreichten und dann noch 10 Minuten über das miserabelste Pflaster steigen, bis wir an den Mensil-oder Post-Han kamen, in welchem wir uns bis lO1^ Uhr aufhielten. Kladänj liegt an dem Dr inj atz, dessen Bett dort 100 Schritte breit ist, aber nur theilweise vom Wasser bedeckt war, etwa eine Stunde unterhalb nimmt er den Bach Chladna-Treschtinja auf. Nördlich vom Orte erhebt sich, erst sanft, dann steiler ansteigend, die Standwi-Polje, etwa 500 Fuss relativ hoch, die Aussicht begrenzend. Die Stadt zählt 140 Häuser, 5 Moscheen, aber keine Kirche, und mag 900 Einwohner haben; sie ist sehr unregelmässig und mehr dorfartig gebaut, was ihr, von weitem gesehen, einen reizenden Anblick giebt, der nahebei natürlich sehr einbüsst, zumal man auf ihrem Pflaster mehr auf die Beine des Pferdes, als auf die Umgebung Acht haben muss. In dem Han war lustige Gesellschaft und Mechmed bestellte sich, ohne mich zu fragen, ein Nachtmahl, obwohl es dazu noch lange nicht Zeit war, auch eine Flasche Rum, zu welchem doppelten Genuss er mich wiederholt dringend einlud, jedoch vergeblich. Es schien mir, als wollte man mich zur Nacht festhalten, denn man warnte mich dringlich vor Räubern, die in der Stanowi-Poljo hausen sollten, wozu ich jedoch lachte, doch kann sich die Sache auch so verhalten haben, denn als wir den letzton Han der Stadt passirten, rief man uns auch aus diesem nach: »In der Polje sind Räuber!« Ich musste mit meiner Zeit knausern, denn am 9. Juli, so hatte ich versprochen, wollte ich wieder in Berlin sein und war es auch, deshalb brach ich in der Hoffnung auf, noch vor Mitternacht den viel gerühmten Dshurdshewitj - Hau zu erreichen, woraus indessen nichts wurde. Für Me'chmeds Verbrauch und 3 Portionen Kaffee hatte ich 5 Piaster zu bezahlen, wobei der Rum das theuerste schien. Das mir verabfolgte Pferd war ein feuriges Thier, welches mit mir über das Kalderma nur so hintänzelte, und was Mechmeds Pferd an Feuer abging, hatte er selber durch den Rum gewonnen, der ihn so begeisterte, dass er noch innerhalb der Stadt seine Pistolen abfeuerte, doch fragte er mich zuvor um Erlaubniss; wegen der erhaltenen Warnung hielt ich ihn an, seine Waffen vor dem Betreten der Polje wieder zu laden, was er unter vielen Prahlereien that. Nach einem Zusammentreffen mit Stegreifrittern empfand ich einen gewissen Kitzel, denn zu einer rechten Reise gehört auch ein Räuberüberfall, das wissen unsere Berufstouristen sehr genau, deshalb lassen sie gern eine derartige Affaire durch den Telegraphen besorgen, der die Sache nachher zwar widerrufen muss (ebenso wie das Todtsagen kurz vor der glücklichen Zurückkunft), was aber der gewünschten Erregung von Sensation keinen Abbruch thut, da es wenigstens die durchreiste Gegend »unsicher macht«, wie man sich militairisch ausdrückt, und das giebt dem »muthigen Reisenden« immerhin ein gewisses Relief. Der Telegraph macht auch wohl, in Ermangelung von etwas Besserem, die Mittheilung, dass dieser oder jener in dem betreffenden Lande schon überfallen worden sei, 26* man bedenke also, welch1 Wagniss! Uebrigens werden ganz harmlose Eingeborene wohl mitunter zu Räubern, wenn sie an dem Betragen des Fremden sehen, dass er sich vorkommenden Falles widerstandslos ausplündern lassen wird. Das Reisen ist eben keine Kunst, weil nur Geld dabei die Hauptsache ist, aber durch das Reisen etwas aus sich zu machen, das verstehen nur gewisse nach Aemtem Reisende aus dem Grunde! Die Polje, in welche wir eine Viertelstunde nach dem Aufbruche gelangten, erwies sich als ein sehr krauses Hügelland, obwohl sie von weitem sich keinesweges als ein solches gezeigt hatte; hohe Eichen und Buchen hüllten uns gleich nach ihrem Betreten in Halbdunkel, das schnell zunahm; die Nadelhölzer waren mit der Stobörja-Planina verschwunden; der Weg war sehr schlecht, uneben und durch starke Wurzeln zum Stolpern geeignet; einige Schluchten waren mit elenden, verfaulten und geländerlosen Brücken überdeckt; die der Chladna-Treschtinja passirten wir schon um 103/-i Uhr und den mitten im Walde gelegenen Ustanowma-Han um 103,4. Bald darauf hatten wir die Stanöwi überschritten und traten in das links von der Jälla-Planinä begrenzte Thal, das rechts, weiter nördlich, von der Rastitsch-Planinä abgeschlossen wird. Gleich beim Beginne dieses Thaies liegt links der Malo'itschitj - Han am Fusse der Berge. Wir trabten weiter und bald nahm uns ein immer dichter werdender Laubwald auf, in welchem die Dunkelheit mit jedem Schritte zunahm und schliesslich völlige Nacht eintrat, die jedoch ungemein schön war, denn der Mond brach von Zeit zu Zeit aus dem Gewölk hervor und zeigte mir die gegenüberliegenden Höhen rechts von dem zu unseren Füssen leuchtenden Flusse, während unzählige Leuchtkäferchen über unseren Weg schwirrten. Das Aufregende eines solchen nächtlichen Rittes ist unbeschreiblich und stimmt poetisch; wir trabten fast immer, aber dicht hintereinander; verweigerten bei besonders schwierigen Stellen die Pferde das Hinabrennen, dann wurden sie durch einen Pistolenschuss ermuntert, worauf sie mit uns davon stoben, dass uns die Zweige um den Kopf schlugen; nur ein Mal wurde mir hei einer solchen Veranlassung der Hut herabgestreift, aber sogleich wieder gefunden. Angesichts der Beschaffenheit dor Wege war ich bisher der Meinung gewesen,* dass ein nächtliches Eeiten in Bosnien zu den Unmöglichkeiten gehöre, indessen auf bosnischen Pferden und in Gesellschaft von Bosniaken lässt es sich doch thun. Beim Leuchten der Cigarette notirte ich um 11 l/a Uhr das Dorf Rastitsch-Sseilo, aus dem ein Licht hervorschimmerte und von dem sich einige Häuschen aus dem Dunkol des umgehenden Waldes der gleichnamigen Planinä abhoben. Eine Viertelstunde später tränkten wir unsere Pferde in der etwa 15 Schritte breiten Ssüha - Wödda und ritten dicht bei der anscheinend neuen hölzernen Brücke vorbei durch den Fluss, um mit dem jenseitigen Ufer zugleich die Krüschik- oder Birnen-Planinä zu betreten, deren fruchtbarer Lehmboden theils mit Wald, theils mit Aeckeru bedeckt war, wie ich bei dem klaren Mondscheine bemerkte; die Steigung bis zur Owa mochte 500 Fuss betragen. Mechmed klagte über das nächtliche Reiten und da ich mittlerweile auch Verdruss darüber empfand, eine noch unbeschriebene Gegend zur Nachtzeit zu passiren, sagte ich ihm, dass ich im nächsten Hau schlafen wollte. Nun stimmte er und der Sürüdschü ein lautes Hailoh und brüllenden Gesang an, um dem Wirth von Notschäcwitj - Hau unsere Ankunft zu melden und um 12x/2 (S1^) Uhr hielten wir vor dem verschlossenen Gebäude, aus dem nach mehrmaligem Rufen der Handshy und sein Bursche heraustraten, wobei sie mit Kiohnfackeln leuchteton. Mechmed schnob ihn gutmüthig polternd mit den Worten an: »Was bist Du für ein Handshy? hörst uns so lange singen und zeigst kein Licht 1« Die Herberge war von elender Beschaffenheit und der Wirth ein Hansnarr, wie ich solchen in Bosnien noch nicht angetroffen hatte. Ich merkte bald, dass ihn meine Leute auf meine Kosten erheiterten, um sich dadurch, ebenfalls auf meine Kosten, etwas zu verschaffen; sie flüsterten leise mit- einander und erzählten dann in schnellster Sprechweise Schnurren von mir, worüber der Handshy unbändig lachte; aus seinen imbefangenen Aeusserungen entnahm ich, dass man ihm erzählte, ich lebte anders und thäte alles anders als die Bosniaken. Irgendwie musste ich mir den Bespect vergeben haben, doch kann dies nur in Folge einer gezeigten unzeitigen Gutmüthigkeit geschehen sein, da ich auf mich mit der grüssten Strenge achtete. Hassan, der Sürüdschü, nahm sich heraus, in meiner Gegenwart sein Beinkleid zu öffnen und eine Inscctenjagd anzustellen, was er erst unter] iess, nachdem ich ihm dasselbe verbot. Ich verzehrte den Best meiner Erdbeeren nebst einem Stücke Brod und einem Täfelchen Chokolade, trank Kaffee und liess den Leuten ebenfalls eine Portion geben. Gleich darauf wurde für dieselben ein reichliches Nachtmahl aufgetragen, das sie auf eigene Faust bestellt hatten. Als ich mir eine Cigarette wickelte und anzündete, lachte der Handshy wieder hell auf und machte die Bemerkung: »Nun, er raucht doch wenigstens wie andere Menschen!« Ich musste, schon aus Bücksicht auf die Europäer, die nach mir kommen konnten, etwas thun, um den Kespect vor dem Fremden wieder herzustellen, deshalb schnallte ich meinen Gürtel wieder um und schnob den Mann mit den Worten an: »Lache nicht über alles, Hu Thor!« und wies ihm die Thür. Mechmed rief ihm zu, nicht wieder hereinzukommen, und nachdem die Leute ibro Mahlzeit beendet hatten, führten sie eine Komödie vor mir auf, um sich rein zu waschen und den Wirth anzuschwärzen, indem sie weidlich auf ihn schimpften, sein Lachen nachahmten und ihn wiederholt einen »bes-ürari« (Thoren) nannten. Schliesslich gingen sie hinaus, doch kehrte Mechmed bald darauf zurück, um, trotz meines Protestes, seine eigenen und sämmtliche im Hause befindlichen Waffen zu meinen Füssen niederzulegen, worauf er mir andeutete, dass er in dem Kjöschk vor meiner Thür schlafen würde — damit wollte er sagen: »Wir sind alle in Deiner Hand und Du hast für uns und Dich aufzukommen!« — Die Nacht gelierte zu den entsetzlichsten, welche ich erlebt, denn nicht blos peinigten mich Insecten und der Gestank des Zimmers, sondern auch wieder Schmerzen, so dass ich nicht eine Secnnde schlief, aber auch nichts thun konnte, obwohl ich schliesslich die Kerze neben mir beständig brennen liess. Mit dem Morgengrauen erhob ich mich und trat in den Kjöschk hinaus. Dort lagen meine Gefährten schnarchend in Decken gewickelt und die von meiner Erscheinung erschreckten Hühner sprangen auf ihren Köpfen umher, ohne die Schläfer zu stören. Ich trat an die grosse Fensteröffnung und hatte nun ein Panorama vor mir, das mich trotz meiner Abgespanntheit elektrisirte. Jenseits des lieblichen, vom Gostelja-Potok bewässerten Thaies erhob sich die imposante Masse der Kdnju-Planinä in ihrer vollen Ausdehnung dem Blicke freigelegt und frostig vergoldet von der Morgensonne. Dies Gebirge ist zwar auch bewaldet, starrt aber, besonders im oberen Theile, von nackten Felsmassen. Wenn es sich auf der anderen Seite ebenso steil und isolirt erhebt, muss sein Anblick dort unter der gesättigten Gluth der Abendsonne ein überwältigend schöner sein. Ich zeichnete dasselbe ab, dann ging ich hinaus, um die Krüschik-Planinä zu betrachten, welche indessen nur den Anblick eines fruchtbaren Hügellandes bietet. Nachdem wir Kaffee getrunken, brachen wir um 9l/a Uhr auf; zuvor liess ich den Wirth rufen, gab ihm 5 Piaster und bedeutete ihm, dass mich Hassan nichts anginge, dass dieser für sich und die Pferde und der Saptie für das zu bezahlen habe, was er eigenmächtig bestellt, hierauf rief ich beiden ein harsches »Bezahlt!« zu und ritt langsam nach Norden davon. Bald holten mich meine Leute wieder ein, sahen aber sehr geduckt aus, denn der beiderseitige Standpunkt war ihnen nunmehr klar gemacht. Der Weg ging über fruchtbare Hügel aufwärts und führte uns um IG12 Uhr auf die Kuppe der mit herrlichen Eichen bewachsenen Gäije-Planinä oder Owa, woselbst ich einen schönen Bundblick hatte; östlich erhob sich die Ssükitscha-Planinä und jenseits westlich wurde um 103/i Uhr die domiuirendo Kuppe Lupo-glaw in gleicher Höhe mit uns sichtbar, dort wo ein riesiger Grabstein von einem Eichbaum halb überwachsen ist; um II1/* Uhr war das Hinabsteigen beendet; es war sehr mühsam gewesen und hatte zu Fuss bewerkstelligt werden niüsseu, denn der trockene Lehmboden war abschüssig, voller Löcher und von Wurzeln wie mit Fussangeln überzogen; Anfangs ging es durch Eichen, dann durch Buchen hinab, auf der Kuppe der Gäije-Owa sah ich auch vereinzelte Birken und grosse Erlen. Am Fusse der nunmehr beginnenden Pod-Gäijo-Planinä liegt in dem Sattelthale das Dorf Pod-Gäije-Ssello an dem dort schon 60 Schritte breiton Göstelja-Pötok. Wir kehrten in den kleinen, aber freundlichen Han ein, um uns mit Kaffee zu erfrischen und ritten nach einer Viertelstunde, um 11 "Vi Uhr, weiter. Unfern vom Dorfe hielt ein Kirschenverkäufer unter einer Buche und verkaufte nach Gewicht den Vorüberziehenden seine Früchte. Das Land ist sehr fruchtbar und auf den Bergen zeigten sich Anfangs viele Birken und Hasel. Das gegenüberliegende Waldgebirge, etwa 400 Fuss hoch, tritt dicht und steil an den Fluss heran und auch unser Weg lief, eingeengt von den Bergabhängen, dicht an demselben entlaug. Um 12Uhr zeigte sich jenseits auf den Höhen das Dorf Wer-nöewitj-Sseilo und gleich darauf bemerkte ich an dem Flusse eine wunderbare Veränderung, er schien nämlich förmlich gestaltet zu sein, während er bis dahin nach Art der Ge-birgsflüsse brausend dahingeströmt war. Wir waren gerade auf einem etwa 3 Fuss breiten Saumpfade, neben dem links ein circa 30 Fuss tiefer, steiler Abhang sich senkte und rechts die steil-schräge Hügclwand sich erhob, als uns eine Karawane von Packpferden begegnete. Die Thiere glichen wandelnden Ballen von Fellen, so bepackt waren sie mit denselben; wir drängten uns rechts an die Wand, doch kaum war mein Pferd dem ersten Lastthier auf einige Schritte nahe gekommen, da that es jählings einen Sprung nach rechts die Wand hinauf, dass ich fast aus dem Sattel flog, und gleich darauf einen zweiten, worauf es noch einen dritten thun musste, da ich ihm für die vermeintliche Unart einen Kantschuhicb versetzte. »Bleib oben! er scheut vor dem Geruch der Felle!« schrie mir Mechmed zu, der in Folge des plötzlichen Getrampels auf dein felsigen Boden sich zurückwandte und sah, was geschehen. Ich theile den an sich unbedeutenden Vorfall deswegen mit, um daran die Warnung zu knüpfen, sich bei Begegnungen nie an den Abhang drängen zu lassen, auch wenn man deshalb links ausbiegen müsste, ob-schon dies gegen das Herkommen verstiesse. Um 121/2 Uhr ritten wir durch den Fluss auf das linke Ufer hinüber, unweit der Stelle, woselbst 5 riesige Grabsteine einen Friedhof für sich bilden, der sich wunderbar in seiner Isolirung ausnimmt. Hier hat die grosse üppig fruchtbare Spretscha-Polje ihren südlichen Anfang; sie erstreckt sich wohl 3 Stunden weit nach Norden und scheinbar eben so weit von Osten nach Westen, was aus RoschkJGwitschs Karte nicht ersichtlich ist. In ihrem Grundriss gleicht sie einem Dreieck, dessen östliche und westliche Seite nach Innen, dessen nördliche hingegen nach Aussen geschweift ist. Der Uebergang zur Ebene macht sich ziemlich schnell; wohl hatten sich die hohen Berge zu beiden Seiten allmälig gesenkt, aber sie traten plötzlich links und rechts zurück; jenseits, auf dem rechten Ufer der Gostelja, sah ich das grosse Christendorf Me'doewitj-Ssello an ihren etwa 100 Fuss hohen Abhängen liegen, und weiter nach Norden Dshurdshewitj; wir selber ritten dicht am Fusse 50—100 Fuss hoher Hügel dahin, zwischen Hecken, die malerisch mit Wein überrankt waren; die Esche und die Weide traten häufig auf; Kajahfrauen waren auf den Feldern beschäftigt und Hassan scherzte im Vorbeireiten mit ihnen; Mechmed machte die Entdeckung, dass er sein Seihtuch verloren habe, weshalb er zurückritt und uns zu warten empfahl; das Warten wurde mir jedoch zu langweilig und ich hiess Hassan fortzureiten; als uns nun Me'chmod wieder einholte, machte er dem Sürüdschü die heftigsten Vorwürfe darüber, dass er mit mir allein vorausgeritten, da doch die Polje voll von Käuhern sei, und auf meine lachende Bemerkung, dass ich für solche Leute ja Pistolen habe, erwiederte er, dass diese Räuber keinen anfielen, aber dem Reisenden im Vorbeigehen ein Stück seiner Sachen entrissen und damit in den Wald entsprängen. Um l1/*- Uhr durchwateten wir wieder den Pluss nach rechts hinüber und befanden uns gleich darauf bei dem viel gerühmten Han des Dorfes Dshurdshowitj, der recht idyllisch inmitten hoher Erlen und alter Weiden liegt; ein Exemplar der letzteren hatte circa 15 Fuss Umfang im Stamm. Der Han wird von einem ehemaligen Saptie gehalten, den sein jüngerer Bruder unterstützt, und er verdient wirklich seinen guten Ruf, denn er ist prächtig eingerichtet, doch hat er die allen gemeinsame Plage ebenfalls. An der Wand hing, ein Zeichen des Fortschritts, ein Henkelglas, und nachdem man dasselbe sorgfältig ausgewaschen hatte, gab man mir mit einer Art behäbigen Stolzes daraus zu trinken; als ich späterhin zum zweiten Male nach Wasser verlangte, schalt der Handshy seinen Bruder aus, dass er mir das Glas unausgespült füllte, gewiss ein Zeichen von Sauberkeit und Lebensart. Ich bestellte ein Essen aus Kaimak,Milch, Roggenhrod, gebratenen Eiern und Pilaw für 3 Mann hinreichend, gab, der Landessitte gemäss, die Schüsseln an den Saptie weiter und liess diesem noch die unvermeidliche saure Milch nebst Luka and bosnischem Käse geben, wofür ich nebst 8 Schlichen Kaffee zusammen nur 8 Piaster zu zahlen hatte. Als ich das Essen bestellte, konnte Mechmed die Bemerkung nicht unterdrücken, dass ich seit Sarajewo nichts gegessen hätte, wozu der Wirth lächelte; unterwegs hatte ich ihn zum Sürüdschü jedoch klagen hören: »ich habe gewaltigen Hunger und der Herr bezahlt nicht mehr, wie wird das werden?« — ich schlief etwa eine halbe Stunde in dem Hau, dann brachen wir, unter scheinbar herzlichem Glückwunsch der Wirthe, um 31/* Uhr auf und erreichten um 4 Uhr*) das ungemein weitläufig gebaute Christendorf, welches angeblich Spretseha-Ssello heisst, und um 4*/2 Uhr die über dem Spretscha-Fluss führende neue Brücke, vor welcher ein improvisirter Kjöschk lag, bei dem Kaffee gereicht wird. Die Spretscha hat in der Polje einen sehr gewundenen Lauf und fliesst so träge, dass eine Strömung des Wassers nur durch ein hineingeworfenes Blatt bemerkbar wird, dabei ist sie sehr tief. Um 5 Uhr begann der Boden uneben zu werden und wir stiegen die etwa 500 Fuss relativ hohe Eäwna-Treschnja (glatte Kirsche) empor, die ich schon seit mehreren Stunden wie einen niedrigen Wall vor mir gesehen hatte. Sie ist an ihrer Südseite ausschliesslich mit Eichengestrüpp bewachsen und ein sauber in den Lehmboden geschaufelter Weg führt hinauf zu dem Hau auf ihrem Rücken, den wir um 5]/2 Uhr erreichten; jenseits des Han's hört der gute Weg gerade da auf, wo er am höthigsten wäre, nämlich in der Nähe der Stadt Dolnja-Tusla, woselbst er in dem steilen, zerklüfteten Nordabhang so unpassierbar wurde, dass wir absitzen und joden Schritt erst berechnen mussten, ehe wir ihn thaten, doch kamen wir ohne Unfall unten an und erreichten damit gleichzeitig, um 6J/2 Uhr, die ersten Häuser der Stadt. Die buche ist auf dem Nord-abhange der Räwna-Treschnja nicht so häufig, hingegen wiegen Ahorn, Linde, Buche und andere Laubhölzer vor. Die Aussicht von dem Han auf dem Rücken des Gebirges ist eine der grossartigsten, die ich in Bosnien genossen habe und zeigte mir im Süden die weite, eben durchrittene Ebene und dahinter die ganze zusammenhängende Masse der Hochgebirge, aus denen *) Da es in Bosnien keine Meilensteine giebt und die üistaiicen vieler Strecken nicht genau bekannt sind, muss der beschreibende Reisende stets genau die Zeit des Abritts und des Ankommens sowie des Verweilens an einer Oertlichkeit angeben, um so ein kartographisches Wegemaass zu liefern. ich herausgetreten war. Ich zeichnete dieselbe ab, konnte jedoch nicht alle Namen mit Sicherheit erfahren, doch hörte ich, dass von jenem Standpunkte aus der Osren nicht mehr sichtbar sei. Genau östlich von dem Hau liegt Ober- oder Gornja-Tusla in dem Gebirge versteckt und im Norden, 2 l/s Stunde weiter, befindet sich der Kamm der von NNO. nach Südwest streichenden Mäjewitza-Planinä, die sich im Osten mit der Kachwa-Lipa, der östlichen Fortsetzung der Räwna-Treschnja, vereinigt und mir schon in der Ebene als Hintergrund der Einsenkungen der letzteren auffiel; mir wurde gesagt, dass die Mäjewitza nicht die Spretscha-Polje berührt. Unter- oder Holnja-Tusla ist die Hauptstadt der Kaimaka-mie und sowohl Sitz eines Pascha's, als eines sorbischen Bischofs, hat 1500 Häuser und dem entsprechend circa 7000 Einwohner, 20 Moscheen, ein serbisches und ein katholisches Bethaus, sowie eine Privat - Synagoge, ein verfallendes, aus behauenen Steinen erbautes Castell und den Best einer Stadtmauer an der Flussseite; zwei hölzerne Bockbrücken führen über den Jalla-fluss, an dessen nördlichem oder rechtem Ufer die Stadt liegt. Den türkischen Namen »Tusla« verdankt sie ihren Salzbrunnen, welche in sehr primitiver Weise mittelst Siedereien ausgeboutet werden, ebenso wie die in dem 2 Stunden östlich davon entfernten Ober-Tusla. Beide Städte sollen nach Thoemmel jährlich 7000 Centner Salz erzeugen. Das neue Regierungsgebäude ist geräumig und hübsch gebaut, auch sind die Zimmer schön eingerichtet, einige derselben sogar mit gesuchtem türkisch-europäischem Luxus ausgestattet. Die Lage Tusla's an dem 60 Schritte breiton Flusse zwischen den beiden Gebirgszügen ist reizend und der Anblick gewinnt noch dadurch an Schönheit, dass die weissgetünchten Häuser der Stadt ungemein weitläufig um den Kern derselben zerstreut liegen, so dass es der Landschaft nirgends an diesen belebenden Marksteinen fehlt, so weit das Auge nach Osten, Westen und Norden die Polje zu über- selicn vermag — noch eine Stunde weit nördlich vom Orte gehören alle Häuser zur Gemeinde Tusla. Wir ritten zunächst durch eine Art Vorstadt, in der ich auch eine Mesdshid bemerkte, bis wir an eine passende Stelle des Flusses gelangten, woselbst wir, unweit der Brücke, hindurchritten und uns sogleich nach dem von Mechmed als vortrefflich bezeichneten Han begaben, in welchem mir eine von Insecten buchstäblich wimmelnde Zelle angewiesen wurde. Mit der Aussicht auf eine dritte schlaflose Nacht legte ich mich auf die Matten nieder, um vor Eintritt der Dunkelheit das Einschlafen zu versuchen; vorher hatte ich Mechmed mit 8 Piastern Bakschisch verabschiedet und ihm auf seinen Wunsch mit Bleistift eine Art Quittung darüber ausgestellt, dass er sich unterwegs gut betragen und mich in geziemender Weise wohlbehalten nach Dolnja-Tusla begleitet habe; dieses Schriftstück wollte er unserm Consul geben und an ihn adressirte ich dasselbe deswegen. Ich hatte kaum eine halbe Stunde gelegen, da kam Mechmed, den ich längst abgereist wähnte, zurück und theilte mir mit, dass er für 30 Piaster Miethe ein gutes Pferd aufgetrieben habe und fragte mich, oh ich dasselbe zur Reise nach Bertschka nehmen wolle. Ich sagte zu und begab mich deshalb sogleich mit ihm nach dem Regierungsgebäude, um einen Saptie zu verlangen. Dort erhielt ich von den Beamten die freudige Nachricht, dass Käuf-Pascha meine Ankunft mit dem Befehle telegraphirt habe, mir das beste Zimmer in dem Gebäude zur Verfügung zu stellen und zugleich lud mich der Muhassebedshi oder Steuer - Direktor zum Abendbrod ein. Ich nahm auch dies Anerbieten mit Freuden an, denn es ersparte mir Weitläufigkeiten, obwohl ich im Uebrigen mit einem Stücke Brod und einigen gekochten Eiern eben so gern vorlieb genommen hätte, als mit dem splendiden Mahl ä la turcia, nebst Mostarwein, welches mir der Muhassebedshi auf das Zimmer bringen liess, da ich es schicklicherweise ablehnte, ihn in seinem Konäk zu belästigen. Dem Handshy gab ich 8 Piaster Abstandsgeld und Mechmed, der zu meiner Bedienung angewiesen wurde, erhielt noch 12 Piaster für seine neue Leistung, während ich Osnian, dem Hausdiener, 8 Piaster Trinkgeld gab, so dass ich bei der erwiesenen Gastfreundschaft wenigstens nichts sparte. Hie türkischen Beamten überboten sich in Aufmerksamkeiten gegen mich, was nicht hlos von dem gemessenen Befehle des Herrn Bauf- Pascha herrühren konnte, denn dem Muhassebedshi z. B. hatte er nichts zu befehlen, sondern von der türkischen Höflichkeit, die Gästen gegenüber unübertroffen dasteht und sich besonders darin äussert, den Gast nicht ohne Gesellschaft zu lassen; so hatte ich denn bis Nachts 10 Uhr Besuch und gleich am Morgen, nachdem ich aufgestanden war, fanden sich die Türken wieder ein und blieben bis zu meinem Wegritte. Um die Unterhaltung (liessend zu machen, holte man einen Österreichischen Israeliten herbei, den Herrn Ludwig Roth, einen recht intelligenten Mann, der mir die Mittheilung machte, dass er ein fein eingerichtetes Zimmer habe, welches er europäischen Herren während ihres Aufenthaltes in Tusla gern vermiethen würde, worauf ich Reisende hiermit aufmerksam machen will; er sagte mir auch, dass mich Mechmed bei dem Miethen des Pferdes im Einverständnisse mit dem Vermiether unverschämt betrogen habe, denn die Hälfte von 30 Piastern wäre genug gewesen; übrigens stutzten selbst die Türken, als ich ihnen auf Befragen den Miethspreis nannte. Am andern Morgen theilte mir der Muhassebedshi mit, dass er nach Bertschka den Befehl ausgefertigt habe, mich dort in der Kanzlei als Gast so aufzunehmen wie in Tusla, wofür ich verbindlichst dankte, und er fügte hinzu, dass mich zwei Saptie1s begleiten würden, damit ich den Best meiner Eeise in völliger Sicherheit zurücklegen könne. Letzteres war mir freilich nicht ganz angenehm, indem es unnöthigerweise die Kosten vermehrte, denn vor Räubern hatte ich. keine Besorgniss, doch sagte mir Herr Both, dass entlassene Soldaten umherstreiften und man fürchte, ich könnte mit diesen Menschen Händel bekommen. In Bartschka erfuhr ich jedoch, dass nicht entlassene, sondern 18 desortirte Soldaten, noch, dazu Albanesen, in der Gegend paar- und truppweise raubten, und dass sie desertirt seien, weil man ihnen seit sechs Monaten keinen Sold gezahlt habe. Meinen nunmehr entbehrlichen Vorrath an Chokolade bot ich dem Muhassebedshi an, nachdem ich erfahren, dass er dieses Stärkungsmittel noch nicht kenne. Er erwies mir die Ehre, dasselbe anzunehmen, und liess sich genau über die Zubereitung desselben unterrichten. Um 2'/4 Uhr türk. Zeit ritten wir fort und zwar gleich über eine Terrainstufe, welche mir den Anblick der Stadt entzog. Wir betraten das nach Süden geöffnete Solina-Thal, das Anfangs eine gute Viertelstunde breit ist, sich alter allmälig nach Norden verengt, denn es wird von zwei Süd-Ausläufern der Mäjewitza eingefasst, die von 50 zu 200 Fuss Höhe ansteigen; der unbedeutende Solina-Bach durchfliesst dieses Thal und seine Quelle stillte meinen Durst, ehe wir das Gebirge hinaufstiegen. Das letztere wird von vier parallel streichenden, wellenartigen Terrassen gebildet, die sich über einander thürmen und deren höchste etwa 800 Fuss relativ hoch sein kann; auf ihr befindet sich eine Karäula, die wir um 41/2 Uhr erreichten; zwischen ihr und Tusla liegt auf der zweiten Terrasse, aber seitwärts, links von dem zurückgelegten Wege, genau auf der Mitte der Strecke, das Dorf Dokanj. Bis zu der Karäula (in der ausnahmsweise Kaffee verabreicht wird) sieht man nur Eichen auf dem Lehmboden des Gebirges, jenseits, auf dem Nordabhange hingegen haben die Felsarten ein anderes Verwitterungsproduct erzeugt und dieses trägt vorwiegend Buchen, Ahorn, Linden, Ulmen und andere Laubbäume. Dor Abstieg dauerte 3 Viertelstunden, war sehr, mühsam und musste zu Fuss zurückgelegt werden, dafür war die Scencrie um so lohnender für das Auge und wahrhaft entzückend schön bei der Quelle der Schibosch-tschitza im Knotenpunkte der Mäjewitza und ihrer beiden Ausläufer nach Norden, die das Schiboschtschitza-Thal im Osten und Westen einlassen. Dort sah ich u. A. eine thurmhohe senkrechte Schieferwand von mehreren hundert Schritten Breite in der eigentümlichen Verwitterungsfarhe dieses Gesteins schimmern; zwei wagerechte Bisse theilten sie, dem Auge Buhe-punkte bietend, in drei gleiche Felder. Das Thal erweitert sich allmälig bis auf 1000 Schritt Breite und gehört mit zu den schönsten Bosniens, obwohl nicht zu den fruchtbarsten; eine Unmasse Bollsteine bedecken seinen Boden im oberen Theile und verlassene Hütten sind dort häufig zu sehen. Das seichte, aber breite Bette des Baches mussten wir so oft durchreiten, dass ich schliesslich das Notiren des jedesmaligen Uebertritts aufgab. Um 6 Uhr erreichten wir den Lipnik-Han, in welchem wir bis 10 Minuten nach 7 Uhr Halt machten und alle drei frühstückten, wofür ich 4 Piaster zu zahlen hatte; beiläufig gesagt hatte ich das Brod dazu gegeben, von dem ich für einen einzigen Piaster 4 Laibe in Tusla gekauft hatte. Etwa 10 Minuten nördlich vom Han erhohen sich zwei, mindestens 400 Fuss relativ hohe Berge, die man fast für den Kern der Schiboschtschitza-Planinä halten könnte; sie heissen die Wfssere-Berge; von da an sah ich häufiger nackten Fels aus dem Grath der beiden bis oben hinauf bewaldeten Thalwände hervorragen. Um 83/4 Uhr erreichten wir den Petschnik-Hau, bei dem wir bis 91ji Uhr lagerten und Kaffee tranken. Dieser Han liegt in einer höchst interessanten, ja merkwürdigen Umgehung, die wohl einen Tag Aufenthalt lohnte; bei ihm endet das ungemein schöne enge Felsenthal, welches sich wie eine Seitenschlucht in der Richtung von Nord-West nach Süd-Ost zu dem Schiboschtschitza-thal herabzieht und den nächsten "Weg nach Bertschka aufnimmt, den wir nun einschlugen. Es ging ziemlich steil 4—500 Fuss hoch empor bei einem muhamedanischen Friedhof unter herrlichen Linden vorbei, welche Bäume dort überhaupt häufig waren; jenseits der Schlucht gewahrte ich hoch oben in der Felswand drei merkwürdige, anscheinend sehr tiefe Höhlenbildungen, doch hatte ich leider nicht mehr die 2 Stunden Zeit übrig, die zum Untersuchen nöthig gewesen wären, sondern musste weiter reiten. Nach einer kleinen halben Stunde erreichten wir den Grath, der nach Westen viel weniger hoch und sanft geneigt abfällt. Dort hatte ich die erste Aussicht über die weite Ebene im Westen, die südlich von Bergen eingefasst ist. Von nun an ritten wir über ein welliges Hügelland durch Weiden, fruchtbare Aecker und Eichenhaine nach Norden. Zimmerleute mit Arabas begegneten uns und Schaf-heerden weideten da und dort. Wir ritten jetzt häufig Trab, denn ich wollte vor Sonnenuntergang die Stadt erreichen, um nicht lästig zu werden. Um 10l/g Uhr kamen wir durch das muhamedanische Horf Kipino-Brdo, hinter welchem sieb die letzte, etwa 100 — 150 Fuss hohe Hügelsenkung befindet und eine Wendung des Berkaflusses von uns berührt und zum Pferde-tranken benutzt wurde. Hier beginnt die über zwei Stunden breite, fruchtbare Berka-Sawe-Ebene, welche Anfangs noch ein paar niedrige Stufen zeigt, aber bald so flach wird wie ein Teller und mich lebhaft an ehemals wendische Gegenden in der Nähe unseres Spreewaldes erinnerte. Bas Rindvieh war stärker als das gewöhnliche bosnische und meistens weiss von Farbe, die Aecker waren sorgsam bestellt. Um 11 Uhr wurde Bdde-rischta-Ssello erreicht und hier warf ich zum Abschiede noch einen Blick auf die Gebirge hinter mir, deren Höhe mir jetzt ziemlich bedeutend, circa 12 — 1500 Fuss hoch, erschien. Hinter dem Dorfe begann der Saptie Saly mit dem Quartierbriefe vorauszusagen und nachdem wir um II3/* Uhr Omar-begowatscha-Ssello erreicht hatten, setzte auch ich mich mit Omar, dem andern Saptie, in einen beständigen Trab, bis wir in Bertschka um 12 V2 Uhr vor dem elenden Kanzleigebäude anlangten. Ein illuminirtes Minare — es war am Vorabend des muhamedanischen Sonntags — hatte uns während der letzten halben Stunde wie ein Leuchtthurm geleuchtet. Die Kanzlei war in türkischer Weise recht behaglich ausgestattet und ich wurde vortrefflich aufgenommen; der Käimakäm 27 war verreist, deshalb machte sein Bruder und der alte Kady des Ortes die Honneurs. Einige Oesterreicher besuchten mich, darunter ein intelligenter Israelit Namens Ignaz, der ein Wirthshaus hält, welches ich am anderen Tage in Augenschein nahm und von dem ich sagen kann, dass es allen Anforderungen, die ein Europäer billigerweise stellen kann, zu genügen im Stande ist. Hätte ich dies vorher gewusst, dann hätte ich die türkische Grastfreundschaft in Bertschka abgelehnt. Am andern Morgen (Freitag, den 3. Juli) besah ich die Stadt, welche von allen bosnischen Städten, die ich gesehen, den günstigsten Eindruck hervorbringt und am meisten einem europäischen Platze ähnelt, da sie sehr viele in unserer Weise gebaute Häuser aufweist. Sie hat 500 Häuser, 3 Moscheen, 1 serbische und 1 katholische steinerne Kapelle, 1 Privat-Synagoge für die 20 Judenfamilien, und etwa 3000 Einwohner. Ihr Handel und Verkehr ist ein ungemein reger, wofür sie hauptsächlich der österreichischen Dampfer-Compagnie zu danken hat, die dort eine Agentie besitzt und ihre Schiffe anlegen lässt. Ich besuchte den österreichischen Consular - Agenten Major Omtschikusch, einen biedern, erfahrenen Mann, der mich in herzlichster Weise aufnahm und mich bis zum Augenblicke des Einschiffens mit seiner lehrreichen Gesellschaft beehrte, auch den Einbaum für 8 Piaster miethete, der mich nach Bä-jewo-Ssello tragen sollte. In seiner Gegenwart zahlte ich dem Saptie Saly 30 Piaster für das in Tusla gemiethete Pferd auf die Hand und gab ihm noch ein Trinkgeld, so dass er und Omar mit dem Abends zuvor empfangenen zusammen 20 Piaster erhalten hatten; dem Hausdiener gab ich 8 Piaster und einige kleine türkische Münzen, die mir nun nichts mehr nützen konnten. Nach einein vortrefflichen Frühstück, aus mancherlei türkischen Gerichten, darunter in Oel gesottene Karpfen, verabschiedete ich mich von meinen Wirthen und dem Major, setzte mich in den Einbaum und fuhr stromaufwärts nach dem etwa p/ä Stunden entfernten Räjewo-Sse'llo, dessen Kirchthürme mir schon seit dem Morgen wie zwei alte Freunde gewinkt hatten und deren Läuten mein Herz mit wirklicher Rührung erfüllte. Es war mir grade so, als ob Christenthum und Cultur ihrem Sohne ein Willkommen zuriefen und doch war ich erst so kurze Zeit von ihnen fort. Welche Zukunft müsste Bosnien haben, wenn es in die rechten Hände käme! Welche unterirdischen und welche oberirdischen Schätze bietet sein gesegneter Boden, welcher Ueber-fluss an Wasserkraft geht dort täglich unbenutzt verloren und welches Clima wäre schöner und gesünder als das bosnische! — Wer sind aber die rechten Hände? Hie bosnischen sind es nicht, denn weder die verkommenen und entwürdigten Bajahs sind fähig, aus sich selbst heraus das Land zu heben, noch können die dünkelhaften, blutsaugenden muhamedanischen Aristokraten dies vollbringen, die letzteren müsston vielmehr als erstes und Haupthinderniss alles Gedeihens gründlich beseitigt werden, indem man ihnen nicht blos den gesammten Grundbesitz abnähme, sondern sie überhaupt aus dein Lande jagte — sie würden deshalb nicht verhungern, sondern bald durch Verschwägerung mit europäischer Bourgeoisie ihre Finanzen und ihre gesellschaftliche Stellung verbessern; die Bourgeoisie angelt ja so begierig nach adligen, besonders alten Namen, und deren weist die bosnische Aristokratie durchgehends auf, darunter solche von wahrhaft höllischer Berühmtheit, z. B. die der Sokollis. Am bosnischen Boden hat diese Aristokratie kein Becht, weder das der Eroberung, noch der Belehnung, noch des Kaufes, denn der Bauer war zur christlichen Zeit frei und Eigenthümer des Bodens, den er bebaute, er leistete allerdings Folgeschaft und zahlte Abgaben, doch nur in massiger Höhe; erst unter der Türkenherrschaft wurde er unfrei und besitzlos, ja der Renegaten-Adel masste sich sogar das Königsgut an, die Wälder und alle unbebauten Strecken. Diese nahm ihm Omer 27* Pascha vollständig ah und den anderen Besitz reducirte er theilweise auf die Hälfte, wobei er sich des nahe liegenden Kunstgriffes bediente, Besitzurkunden oder sonstigen Rechtsnachweis zu fordern, der natürlich nicht erbracht werden konnte, worauf er den Keducirten den gelassenen Rest ihres Grundbesitzes durch türkische Urkunden bestätigen liess. Würde Oesterreich diese Provinz unmittelbar aus türkischen Händen nehmen, dann stände zu fürchten, es bliebe mit dem bosnischen Adel nicht blos beim Alten, sondern derselbe gelangte durch rechtzeitigen Rücktritt zum Christenthum und unterstützt von den ungarischen Magnaten zu einer noch weit einflussreicheren Stellung im Reiche, schon um die kroato - serbische Demokratie vernichton zu helfen, deshalb ist es wünschenswerth, dass dem Ueborgange in österreichischen resp. ungarischen Besitz erst eine bosnische Revolution, verbunden mit einem montenegrinischen und fürstlich serbischen Eroberungskriege vorausginge — diese Begebenheiten werden aber erfolgreich, ja überhaupt erst eintreten, wenn das Osmanenreich durch anderweitige Aufstände, z, B. der Bulgaren, Griechen, Mirditen, des Vicekönigs von Aegypten, und auswärtigen Krieg in allen Fugen zum Wanken gebracht würde, und auch dann müsste ein bosnischer Christenaufstand erst durch einen serbisch - montenegrinischen Einfall geweckt werden, diese Einsicht habe ich aus Bosnien mitgenommen. Dass weder die Serben des Fürstenthums noch die Montenegriner im Stande sind, Bosnien materiell zu entwickeln, dafür brauche ich keine Beweisführung anzutreten, aber auf der Hand liegt es, dass Oesterreich dies kann, wenn es will, und es wird wollen, denn wenn Bosnien, Serbien und Montenegro nicht österreichisch wird, dann müssen Dalmatien, Kroatien, Slavonien und die Militairgrenze grossserbisch werden; letzteres wird aber voraussichtlich nicht geschehen, denn nicht blos in Wien, sondern auch in Best strebt man nach dem Besitz der genannten türkischen Provinzen, wiewohl aus ganz verschiedenen Ursachen: Die Ungarn wollen dadurch so erstarken, dass sie den Dualismus auf die Spitze treiben und mit seiner Hülfe das Reich auseinanderreissen können, das Wiener Cabinet hingegen will durch Gewinnung der Save-Slaven (auch Südslaven genannt) dem Dualismus mit Hülfe des Föderalismus die Spitze bieten, da jetzt nur noch der Letztere das alte Reich vor gänzlicher Auflösung in seine Atome retten kann, sintemalen die Dinge in Deutschland trotz aller Gegenhebel den seit Nikols-burg eingeschlagenen Gang gehen werden. Zum Föderalismus gelangt Oesterreich aber nur, wenn es die vereinten Save-Slaven den Ungarn an die Flügel hängt. Und dies wird ihm wahrscheinlich gelängen. Nun wird man wohl fragen, ob ich denn gar nicht an die Türken gedacht habe und ob ich eine Wiedergeburt ihres Reiches und ihrer Provinzen zu den Unmöglichkeiten rechne. Darauf habe ich zunächst entgegen meinen früheren Ansichten zu erwidern: Ich halte nicht blos die türkischen Slaven, Griechen, Armenier, Kurden, die Albanesen etc., sondern auch die eigentlichen Osmanen für die begabtesten und bildungsfähigsten Nationen, die gedacht werden können und die Culturkeime in sich tragen, um welche wir alternden Culturvölker sie beneiden können; zur Weckung derselben ist es aber andererseits nöthig, dass zuvor die folgenden Wunder geschehen: 1) Der Sultan und alle Würdenträger des Reiches sammt den angesehensten muhamedanischen Bürgern schwören, dass Muhamed ein falscher Prophet und sein Koran ein Lügenwerk sei, dass aber Christus, wenn auch nicht Gottes Sohn, so doch der einzige wahre Verkünder Gottes gewesen ist und man an Gott und Christi Prophetenthum allein glauben müsse. 2) Muss die arabische Schrift und Schreibweise für alle Angehörige des Beicbes zu profanen Zwecken verboten und durch Einführung der römischen, serbisch accentuirten Schriftzeichen ersetzt werden; das Arabische darf den im muhamedanischen Glauben Verharrenden nur als heilige oder Koränsehrift gestattet werden. 3) Die Vielweiberei ist auch für die im Muhamedanismus Verharrenden strafbar und aus ihrem Koran muss alles gestrichen werden, was gegen Andersgläubige aufreizt, diese herabsetzt und überhaupt das friedfertige Zusammenleben mit ihnen stört. 4) Die Thronfolgeordnung muss dahin umgeändert werden, dass nicht der älteste Mann der Familie Osmans, sondern immer nur der älteste Sohn des Herrschers zur Thronfolge kommt und für diesen Zweck erzogen wird, aber auch den andern Prinzen muss das ihnen jetzt fehlende Recht auf Ausbildung verliehen werden. 5) Hie jetzigen Beamten sind durch wissenschaftlich gebildete, unbestechliche und ehrliche Leute mit Pensionsberechtigung zu ersetzen. 6) Hie unaufhaltsam zum Buin führende tolle Finanzwirthschaft und das wahnsinnige Steuersystem muss einer vernünftigen, geordneten und wohlcontrollirten Verwaltung Platz machen. 7) Alle auswärtigen Mächte, besonders Bussland, Oesterreich und Frankreich, geben jeglichen Gedanken auf Erwerbung' türkischen Gebietes auf und unterstützen diesen Staat nach besten Kräften, damit er nach innen und aussen so erstarken möge, dass er bald wieder zu der Macht gelangt, wie er solche unter Sultan Suleiman dem Prächtigen besass. 8) — — Hoch ich glaube, der geneigte Leser erlässt mir die weitere Aufzählung der nöthigen Wunder und sagt mit mir der Türkei Lebewohl. Oestliche Militairgrenze. Siavonien. Ungarn. Räjewo-Ssello. Wukowär. Ofen-I?e*st.. So war ich wieder auf österreichischem Boden, aber freudig überrascht durch das, was ich sah. Es war gut, dass mich Mangel an Zeit zum Einschlagen dieser Richtung gezwungen, sonst hätte ich ein durchaus falsches Bild von den östlichen und südöstlichen Ländern des Kaiserstaates erhalten. — Räjewo-Ssello, welches auf den Karten als unbedeutendes Grrenzerdorf verzeichnet steht, hat mindestens 1000 Einwohner und gleicht einer Stadt, aber einer wohlhabenden und schönen; es hat nicht blos Marien- und Heiligen-, sondern auch nationale Helden-Denkmäler. »Unsere Granzer sind grosse Herren«, sagte mir die Wirthin, als ich ihr meine Verwunderung darüber aussprach, dass mich kein Bauer für weniger als 6 Gulden nach Wukowär fahren wollte. Und nun erst die Landschaft binnenwärts! Ich hatte geglaubt, Bäjewo-Ssello bilde als Landungspunkt der Hampfschiffe eine Ausnahme, wie staunte ich daher, als ich bei der Fahrt nach Wukowär durch lauter Hörfer kam, mit 000 — 1000 und mehr Einwohnern, von denen eins immer schöner, reicher und grösser schien als das andere, und inmitten üppiger und wohlbestellter Felder lag, deren Pflanzenwuchs viel weiter entwickelt war als der in den zuletzt gesehenen Theilen Bosniens. Hie Bauern begnügten sich schliesslich nicht mehr damit, ihre Häuser sauber zu weissen, sondern verzierten die Giebel und Dachfirsten mit geschnitzten Spletten, ja einige hatten ihr Gebäude von oben bis unten mit bunter Blumen- und Figurenmalerei geschmückt, die in meinen Augen gerade nicht schön war, aber doch Schönheitstrieb verrieth. Die Chausseen waren breit, fest und im vortrefflichen Zustande, auch die Richtwege, die mein Bauer vornehmlich einschlug, waren gut. Moräste oder Sümpfe sali ich gar nicht, obwohl die Fahrt auf der Hälfte der Strecke (bis Bosehnjake) immer längs der Save und dem stagnirenden Boschutflusse entlang ging. Herrliche Eichenwälder lagen mir dabei zur Beeilten und oft fuhren wir durch Haine aus riesenhaften, tadellosen Eschen und Eichen; eichene Fassdauben waren wallartig au den Flussufern zur Verschiffung aufgespeichert. Das Volk sah freilich genau so aus, wie in der westlichen Militairgrenze und es schien mir unter ihm das Verständniss des Deutschen seltener. Man muss die Aufzeichnungen des Bitters K. H. v. Lang gelesen haben, um ermessen zu können, welch riesenhafter Aufschwung mit dem Volke und welche unglaubliche Verbesserung mit dem Boden Syrmiens seit 1789 vor sich gegangen ist, da Lang sich in dieser selbigen Gegend aufgehalten hat, die ich nunmehr durchreiste. Und doch soll das benachbarte Banat in Beziehung auf" Cultur und Reichthum noch mehr aufweisen! Die Stadt Wukowär an der Donau erreichten wir am Sonnabend, den 4. Juli, Nachmittags um 2 Uhr, und hatten also einschliesslich eines zweistündigen Aufenthaltes in Komletintze 8 Stunden zur Fahrt über die glatte Ebene gebraucht, wobei allerdings immer im Trabe gefahren worden war. Ich. stieg in dem schonen Gasthofe ab, hinter dessen Garten sich der Landungsplatz der Donaudampfschiffe befindet, so dass ich am nächsten Morgen kurz vor 5 Uhr unmittelbar aus meinem Zimmer in die Billetur und in das Schiff treten konnte. Wukowär besteht aus einein altertümlichen Kerne mit verschiedeneu Arkadenbauten und einem neuereu Theile, für den man durch Ausschaufeln des etwa 60 Fuss hohen Flussgestades binnenwärts erst Platz machen musste; die ungefähr 40 Schritte breite Wuka fliesst an der Altstadt vorbei und eine sehr alte steinerne Brücke mit verwittertem Marienbilde führt hinüber nach, einer Art »Westend«, woselbst sich die besten Gasthöfe, darunter der von mir benutzte, und die modernsteu Gebäude befinden. Die Stadt hat gegenwärtig 7000 Einwohner, nimmt aber augenscheinlich mit jedem Tage zu und kann noch ein sehr bedeutender Platz werden, denn ihre Lage an dem grossen Donauwinkel zwischen der üppigen Bätschka und dem nicht minder gesegneten slavonischen Hinterlande bietet alle nur denkbaren Vortheile für Handel und Verkehr. Es wird in der Stadt mindestens eben so viel deutsch wie slavisch gesprochen. Die Fahrt auf der Donau entsprach nicht den Erwartungen, welche ich gehegt hatte, denn man sieht vom Lande fast nichts als die Weiden-, Erlen- und Eichengebüsche, welche die niedrigen Ufer besäumen; die Dampfer sind zu niedrig, um einen Blick auf die Pussten zu gestatten und selbst wenn sie höher wären, würde man von ihnen aus doch nicht das richtige Bild jener eigentümlichen Landschaft erhalten, ein solches bietet wohl eher die Fahrt auf der Eisenbahn oder, noch besser, ein Ritt durch das Land. Der Strom an sich ist selten imposant, da die Dampfer meistens die schmalen, aber tieferen Seiteuarme aufsuchen; die Hunderte von Schiffsmühleu, welche mau bei verschiedenen Orten sieht, bieten allerdings durch ihre Menge ein fremdartiges Bild, waren aber für mich nicht mehr auffällig, da ich solche Baulichkeiten unter interessanteren Verhältnissen schon gesehen hatte. Was die Donaustädte betrifft, so lagen diese meistens eine Viertel- oder halbe Stunde vom Ufer entfernt und boten wenig zur Ansicht, aber das Wenige schien sauber, wohnlich und nett. Von den Bewohnern Ungarns sieht man indessen zur Genüge bei der Fahrt, denn an allen Landungsbrücken drängt sich das Volk aus den verschiedensten Ständen zusammen und macht sich dort zu schaffen, das Ein- und Aussteigen nimmt auch kein Ende, sogar Räuber in Ketten wurden von Gensd'armen mit geladenen Gewehren an Bord gebracht und liessen sich in stolzer Haltung von den mitfahrenden Ungarn »bewundern«. In Ungarn soll so ziemlich in jedem Bauern ein Bäuber stecken, der hervorbricht, sobald sich eine passende Gelegenheit, resp. die Versuchung findet, dies sagten mir sogar Vollblut-Madsharen. Die Tracht der ungarischen Bauern ist auffällig, besonders wenn ihr der Mantel fehlt, der dem slavischen ähnelt; ein weisses,' vielgefälteltes Hemd, das aber nur bis an den Gurt reicht, bedeckt den Oberleib, und daran schliessen sich ebenso gefärbte Beinkleiderj welche wegen ihrer Unmasse von Balten genau einem Weiherrocke gleichen, derart, dass sie auch beim weitesten Schritte nicht auseinanderschlagen; sie stecken in schwarzgewichsten Stiefeln, deren Schäfte bis nahe an das Knie reichen; der bekannte ungarische Hut vollendet diesen fremdartigen Anzug, in welchem sich kleine Knaben wie das reizendste Spielzeug ausnehmen. Wenn die Leute eine rothe oder schwarze Weste über diese Tracht ziehen und einen Mantel darüber hängen, büsst sie sehr viel von ihrer Eigenthümlichkeit ein, weil sie alsdann der slavischen zu sehr ähnelt. Die Tracht der ungarischen Brauen ist verzierter als die der südslavischen und weicht in vielen kleinen Einzelheiten von jener ab, so fehlt z. B. das Kopftuch beim Staatskleide und wird durch ein kleines Käpp-chen ersetzt. Unter den Slaven Ungarns waren mir die sonderbarsten Erscheinungen die an die Zeit der Völkerwanderung erinnernden Männer, welche ich da und dort sah, die statt des unvermeidlichen Mantels einen schwarzen, bis über das Knie reichenden Schafpelz, das Kauhe nach Aussen gekehrt, trugen. Die echte madsharische Physiognomie (wenn von Echtheit überhaupt die Bede sein kann) ist nicht leicht zu beschreiben, denn sie ist gewissermaassen verschwommen, da alle Einzelheiten derselben eine sonderbare Geschwollenheit zeigen, was besonders bei den Lippen und Nasen auffällig, aber keinesweges schön ist, wie überhaupt die Madsharen hinsichtlich der Schönheit sich mit den Save-Slaven gar nicht vergleichen lassen und man nur dort, wo beide Raeen sich häufiger gekreuzt haben, z. B. in der Gegend von Mohatsch, schöne ungarische Männer sieht, doch schimmert auch bei ihnen der von den tatarischen Vorfahren ererbte gelbe Ton der Haut immernoch vor; dunkles Haar und schwarze Augen unterscheidet sie überdies wesentlich von den Kroato - Serben. Hie Weiber sind entschieden hässlich von Gesicht, haben aber einen stattlichen Wuchs, der auch den Männern nicht fehlt. Hie stark gewichsten, aufwärts gedrehten Schnurrbarte der Ungarn sind weltbekannt und scheinen mir das einzige Markirte im madsharischen Gesichte zu sein; was man sonst von »markirten ungarischen Physiognomien« im Lande sieht (und man hört ja so häufig von solchen!) verräth deutsche oder slavische Mischung des Ursprunges. — Hie auffällige Tracht der Städter ist in der Hauptsache altdeutsch mit türkischen Zuthaten; zu den letzteren gehören z. B. die Federn, welche die Herren mit so grossem Selbstgefallen auf den Hüten tragen und die nicht etwa mit den deutschen Rauffedern zu thun haben, sondern eine Erinnerung an die türkischen Reiherstutze sind, welche als Sklaven des Padischahs zu tragen die ungarischen Edlen zur Zeit der Türkeiiherrschaft stolz wraren. Es macht einen komischen Eindruck, Pfeffer-küchler und andere sanfte Leute in so herausfordernder Tracht einherstolziren zu sehen. In Mohatsch hatte ich Zeit, einige Stunden zu verweilen und den hübschen, ländlich aussehenden Ort, der von sonntäglich geputztem Landvolke wimmelte, in Augenschein zu nehmen. Seine historischen Erinnerungen sind das einzig Merkwürdige an ihm, aber diese sind auch so grossartig, dass sie den an sich unbedeutenden Ort zu einem der berühmtesten der Welt machen. Er ist doppelt geadelt und dreifach geschändet — ersteres durch die vernichtende Niederlage der Ungarn 1526 gegen die Türken und die Niederlage der letzteren 1687 vor den Waffen der als Befreier fechtenden Kaiserlichen. Gebrand-markt ist Mohatsch — und die Ungarn für ewige Zeiten mit ihm — durch die schmachvollen Unterwerfungs- und Huldi-gungsacte der »stolzen« Madsharen gegenüber ihren türkischen Herreu. Worin der ungarische »historische« Hoehmuth wurzelt, ist mir heute noch ein Räthsel, Oesterreich gegenüber ist er wenigstens ohne jede Berechtigung, denn dieses Reich hat mit Hülfe der Deutschen, Polen und anderer Helfer Ungarn aus der entwürdigendsten und unmenschlichsten Sklaverei hofreit, aber die Ungarn fochten damals nicht für ihre Befreier, sondern für die mit ihnen blutsverwandten türkischen Tyrannen. Die Ueberlegenheit der Ungarn über die ihnen unterworfenen Slaven Hegt auch nicht im ungarischen Volke — hei dem mau von Stolz oder besonderen individuellen Vorzügen nichts siebt — sondern einzig und allein in der Aristokratie, welche über grosse Mittel verfügt und in Verteidigung von Kasten-Interessen zähe zusammenhält, es auch verstand, sich in der Umgebung des Kaiserthrones rechtzeitig einflussreich zu machen. Was diese Aristokratie an sich betrifft, so kann sie zwar auf den beim Geburtsadel unerlässlichen fremden und barbarischen Ursprung pochen, aber der echte »aristocratical flavour«, der u. A. dem alten Adel der romanischen Länder eigen ist, fehlt ihr doch, denn sie hat keinen einzigen »edlen« Namen aufzuweisen, der sich z. B. mit dem der Montmorency vergleichen Besse, und so unverstanden in unserer Zeit auch der Blutstolz ist, es gehört doch eine Clownsnatur dazu, über ihn zu spotten, denn eine Devise, wie »im Montmorency ne courbe sa tete quo devant le bourreau« macht den Geburtshochmuth mindestens verzeihlich und enthält überdies mehr Programm, als das längste unserer Berufsdemokraten, wenigstens nennt jene den Einsatz, der bei der »Opposition« aufs Spiel gesetzt wurde. Ein Adel des Blutes ist überhaupt nur bei indogermanischen und semitischen Racen denkbar, weil nur diesen jener göttliche Funke innewohnte, der ihnen selbst im Zustande völliger Barbarei einen Anstrich von Hoheit verlieh und sie befähigte, Edles nicht blos zu schaffen, sondern das Vorgefundene auch zu erhalten und überlebte Culturen zu verjüngen, wohingegen ein Blutsadel unter Mongolen und Tataren gerade so absurd ist, wie ein solcher unter Negern. Die Ungarn gehören im vollsten Sinne des Wortes zu den negativen Kacen, die zu keiner historischen, unabhängigen Rolle mehr taugen, sobald man ihnen den Säbel des erobernden und verwüstenden Soldaten und die Feder des Diplomaten genommen hat. Ihr Vorhandensein scheint bisher auch nur den negativen Zweck gehabt zu haben, die geschlossene Masse der Slaven auseinander zu reissen und die zum Haupte derselben geeigneten Balkan-Slaven von ihren minder verschwenderisch ausgestatteten nordischen Brüdern sowie von der Germanenwelt zu trennen, damit dort im Süden noch in unseren Tagen eine neue, eigen geartete Oultur aufleben und sich geltend machen könne. Die muhamedanischen Ungarn oder Türken hatten die Aufgabe, die in Rede stehenden Nationen bis zu dem kommenden Tage der Wiedererweckung im Todesschlafe der Barbarei und Knechtschaft zu halten, blos damit sie nicht die Weiterträger der unseligen byzantinischen Cultur wurden (wie zum Theil die Hussen), sich mit dieser nicht überlebten und Schaden stifteten, sondern in unseren Tagen zu ihrem Jünglingsalter aufleben und vielleicht die Culturrichtung unserer Zeit in edlere Bahnen lenken können, als sie im Begriff ist einzuschlagen. Die Hauptstadt der Ungarn erinnerte mich lebhaft an Berlin — dasselbe orientalisch - germanische Treiben in den Strassen, derselbe Staub, derselbe Schmutz und dieselbe Un-fertigkeit und Vernachlässigung der Aussentheile; mitunter musste ich mir vergegenwärtigen, dass ich nicht in der norddeutschen Hauptstadt war, so z. B. als ich vor der prächtigen, der unseren gleichenden Synagoge stand oder durch die innerlich pauveren Vorstadtstrassen wanderte. Will man von Pest einen günstigen Eindruck mitnehmen, dann betrachte man die Stadt nur vom Ofener Schlossberge und wage sich nicht aus dem Bereiche ihres herrlichen und grossartigen Donaupanorama's hinaus. Ofen hingegen ist trotz seiner Unregelmässigkeit lieblich und gleicht einer ausschliesslich von Winzern und Ackerbürgern bewohnten Stadt, hat auch auf seinen Bergen an dem dort majestätischen Strome eine reizende Lage. Als ich die steilen alten Mauern seines Schlosses umschritt, dachte ich an die Brandenburger, welche bei der Befreiung desselben vom Halbmonde den Heldentod starben, und anHentzi, den tapferen, pflichttreuen Kroaten, der, verrathen von seinen welschen Soldaten, dort einen ehrenvolleren Tod fand als je vor oder nach ihm ein »edler« Madshar an derselben historisch geweihten Stätte. Durch den Schlossberg ist ein kolossaler Eisenbahntunnel getrieben worden, der, in Verbindung mit der riesigen Kettenbrücke, zeigt, dass deutscher Geist in Ungarn gewaltet hat. Gegen den Vorwurf der Gasthofstheuerung resp. Unreinlichkeit muss ich Pest in Schutz nehmen, denn von beiden Dingen habe ich dort nichts gespürt, obwohl ich in der Bel-Etage eines dor besten Hotels (dicht am Waitzener Bahnhof) logirte und wegen Speise und Trank nur die feinsten Lokale aufsuchte, wobei man in Pest, wie es scheint, am billigsten fährt. Seitdem ich den österreichischen Boden wieder betreten, war ich überhaupt nicht mehr ängstlich hinsichtlich der Ausgaben, denn in einem civilisirten Lande lassen sich dieselben im Voraus berechnen, besonders bei der Bückreise, und unerwartete Vorkommnisse, wie Krankheit etc., verlieren dort ihre Schrecken, überdies kann man sich hei unverschuldet eintretender Geldverlegenheit durch den Telegraphen oder Entnahme von Postvorschuss aus der Verlegenheit retten; in der Türkei hingegen und besonders in Bosnien (darauf will ich zum Schlüsse noch alle Beiselustigen auf das Dringendste aufmerksam machen) heisst es mit seinen Mitteln reichen, denn dort ist nichts aufzutreiben, auch nicht gegen die feinsten Wechsel, seitdem vor einigen Jahren die beiden Gebrüder Appel (ein paar Thüringer mit englischem Passe) vom Banquier Eduardo Baruch in Sarajewo 70 Dukaten entliehen, aber bis heute noch nicht zurückgestellt haben, obwohl der englische Consul sie als Schutzgenossen und ein thüringischer Gelehrter ersten Ranges sie als Gelehrte und Gentlemen empfohlen hatte. Die Donaufahrt von Pest bis Wien bietet viele landschaftliche Schönheiten, besonders auf der Strecke von Pest bis in die Nähe Komorns, woselbst man hei der Bergfahrt zur Linken die Höhen des Bakonjer Waldes und zur Rechten diejenigen des ungarischen Erzgebirges hat; auch die Strecke in der Umgegend von Pressburg, und diese Stadt mit ihrem alten Felsenschlosse selber ist von grosser Schönheit. Bei Komorn hemmte eine Sandbank unsere Fahrt, so dass wir auf ein kleineres Schiff steigen mussten, welches uns zu einem grösseren brachte, das uns von Wien entgegengekommen war und dann nach der schönen Kaiserstadt trug, in der angekommen ich noch einmal die Mauth passiren musste, dann in einen Fiaker sprang und noch rechtzeitig den Nordbahnhof erreichte, um mit dem Nachtzuge der Heimath zuzudampfen. Druck von Alb. Snyffaorth (vorm. 0. Schröder) in Berlin, PriBBMlstrass« 27. ^J.ISXClIOWtll/. Maßstab >•'■" über dan näefuten Thalhoden in ( - ) Absolut" B&toti ohne ( -) FRANZ MAURER s ROUTEN in BOSNIEN 1868, nach dessen Skizzen uml Reiseta<»ebueh zusammengestellt von ösiei-r. Brod.« h. kiepert. M I L^\t T A [Llal Flardna f Gebirq&J B. •< Han (Herlcrge.) K. » Kartiitla (Wiii-tdluntJ t Carl Hi-ynianu's Verlag (Julius Imme) 1K70. Geogv. litli. liust. v JSuher, Berli In JliiliiiM Verlage in Berlin, Luckauer Str. 10, sind ferner erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: Aufzeichnungen des schwedischen Dichters P. D. A. Atter- bom über berühmte deutsche Männer uml Frauen, nebst Beisoerinnernngen aus Deutschland und Italien aus den Jahren 1817—1819. Aus dem Schwedischen ubersetzt von Franz Maurer. 8. Broch. Preis: Vfa Thlr, Aus dem Oesterreichischen Klosterleben. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Von Dr. A. E. Wagner, gr. 8. 1. Band. Zweite Auflage. Broch. Preis: l'/a Thlr. 2. Band. Zweite Auflage. Broch. Preis: V/t Thlr. Das Gesanimtwerk. 2 Bände, Brochirt. Preis: Thlr, Der Führer auf dem Lebens-Wege. Eine Sammlung klassischer Aussprüche für jedes Alter und Geschlecht von Dr. Fr. Reiche. Achte Auflage. Prachtband mit Goldschnitt, reicher Deckel- und Rückenpressung en relief, nebst zwei in prachtvollem Gold- und Karbendruck ausgeführten Titel-und VVidmungsblättern. gr. 8. Preis: 2 Thlr. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika von der Gründung der Kolonien bis auf unsere Tage. Von Karl Friedrich Neumann, vorm. Professor au der Universität zu München. 3 starke Hände, gr. 8. Broch. Preis: 0 Thlr. Grundriss der Physik nach ihrem gegenwärtigen Standpunkte für Gymnasien, Realschulen, polytechnische und Militär-Anstalten, sowie zu Eepetitorien und zum Selbststudium von Professor Philipp Spillor. Vierte erweiterte und verbesserte Auflage. Mit 275 in den Toxi gedrückten Figuren, gr. 8. Broch. Preis: 2 Thlr., eleg. gehd. Preis: 2J/a Thlr. Druck von AM>. Sayffitortli (vorm. O Sr.iiWUitr) in tterlin, I'rin/^ii.-fr