UDK 808.63-55:929 Ramovš F. Barbara Kunzmann-Müller Humboldtova univerza v Berlinu FRAN RAMOVŠ' MORFOLOGIJA SLOVENSKEGA JEZIKA -ANMERKUNGEN ZU EINER SPEZIES Prispevek je poskus oznake Morfologije slovenskega jezika kot diahronega slovničnega dela o slovenščini. Ozadje razpravljanja o znanstveni razvojni poti Frana Ramovša so merila jezikovnih danosti in njihova razlaga, pa tudi slovnična temeljna stališča. The paper is an attempt to classify the Morfologija slovenskega jezika as a diachronic grammatical work on Slovene. The background of the the scholary path of Fran Ramovš are informed by the parameters of linguistic facts and their interpretation as well as basic grammatical viewpoints. Darüber, daß die Grammatik für das Phänomen Sprache ein konstitutives Moment darstellt, gibt es vermutlich unter Sprachwissenschaftlern allgemeinen Konsens. Grammatik ist, kurz gesagt, eine Komponente des menschlichen Sprachvermögens, die andere und mit ihr interagierende Komponente ist das Lexikon. Die Leistung der Grammatik besteht bekanntlich darin, daß sie das Regelwerk darbietet, mit dem gewährleistet wird, daß der Sprecher einer Sprache grammatisch wohlgeformte Sätze hervorbringen und daß der Hörer einer Sprache andererseits Sätze und Texte verstehen und identifizieren kann. Das gilt für die synchronisch orientierte Grammatik, ebenso aber für die diachronisch ausgerichtete, wenn auch für letztere mit einer spezieseigenen Akzentuierung, die darin besteht, daß die Entwicklung und der Wandel dieses Regelsystems als wesentliches Moment in die Diskussion einbezogen wird. Die Erkenntnis vom Wesen der Grammatik ist selbstverständlich nicht neu, im Gegenteil, sie ist sogar relativ alt. Genau genommen reicht sie bis in die klassische Antike zurück, als die Beschäftigung mit dem Phänomen Sprache als solchem ihren Anfang nahm. Der Grund, weshalb an dieser Stelle daran erinnert wird, ist der: Die Tatsache, daß man sich mit der Grammatik einer Sprache beschäftigt, hat eine lange Tradition. Das Besondere, daher Hervorzuhebende dabei ist, daß sich faktisch jede Generation von Sprachwissenschaftlern die Frage nach der spezifischen Leistung der Grammatik neu gestellt hat, korrekter neu zu stellen hatte, und das zumeist und vor allem im Hinblick darauf, wie diese Leistung theoretisch angemessen erkundet und praktisch adäquat beschrieben werden kann. Das Anliegen ist m. E. legitim, und es legitimiert sich am effizientesten, wenn damit eine gute Grammatikschreibung befördert wird, unabhängig davon, ob sie synchronisch oder diachronisch ausgerichtet ist. Für die diachronische Grammatikschreibung gilt diese Fragestellung ebenfalls abgewandelt, d. h. dergestalt, daß nach dem Ob überhaupt und dem Wann einer historischen Grammatik für eine bestimmte Sprache gefragt wird. Soweit zunächst einige allgemeine Überlegungen zur Grammatik und zur Grammatikschreibung. Sie sollen im folgenden auf das Slowenische und speziell auf die genannte grammatische Arbeit von F. Ramovš bezogen werden. Das Slowenische hat, durchaus im Unterschied zu anderen slawischen und nichtslawischen Sprachen, eine weit zurückreichende Grammatikschreibung. Sie beginnt bekanntlich in der Zeit des slowenischen Protestantismus und ist mit dem Namen Adam Bohorič und seiner Grammatik Arcticae horulae aus dem Jahre 1584 hinreichend belegt. Die weitere Geschichte der Grammatikschreibung des Slowenischen bis in die Gegenwart ist wechselvoll und kompliziert. Sie soll und kann hier nicht im Detail abgehandelt werden. Als derzeitiger Endpunkt sei lediglich die umfängliche synchronische Grammatik des Slowenischen von J. Toporišič erwähnt. Ein zweiter Punkt, zu dem etwas gesagt werden muß, ist die Person und das wissenschaftliche Profil von F. Ramovš, um dessen Grammatik es geht, wenn über Aufgaben und Ziele der Spezies diachronische Grammatik nachgedacht wird. Aus dem Leben und Schaffen von F. Ramovš lassen sich einige Stationen benennen, von denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß sie sein wissenschaftliches Profil entscheidend geformt und geprägt haben. Impressionierend und wegweisend für sein Leben und Schaffen waren gewiß schon die Lehrer, bei denen er in Wien und Graz Philologie studiert hat. Hier sind Namen zu nennen wie Mayer-Lübke, Meringer, Kretschmer, Jagić, Vondrâk und Rešetar. Die Begegnungen mit diesen Wissenschaftlerpersönlichkeiten waren gleichbedeutend mit dem Eindringen in die historisch-vergleichende Sprachwissenschaft und in junggrammatisches Ideengut. Sie begründeten, disziplinar gesehen, den besonders intensiven Kontakt F. Ramovš' zu Domänen wie Phonetik und Dialektologie. Eine frühe Bestätigung dafür sind seine Dissertation und andere Arbeiten aus dieser Zeit; seine späteren einschlägigen Arbeiten liefern den zusätzlichen Beweis, daß er auf diesen Gebieten ein Leben lang philologisch kreativ gearbeitet hat. Ein anderer Aspekt, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist, ist die Hochschullehrertätigkeit von Fran Ramovš. Bekanntermaßen war Ramovš im Jahre 1919, als die Universität in Ljubljana gegründet wurde, unter den ersten ordentlichen Professoren. Seine Professur lautete auf slowenische Sprache und seine Lehrfächer waren, wie zu erwarten, allgemeine Phonetik und Akzentologie, dazu Urslavisch und vergleichende indogermanische Grammatik. Gleichzeitig werden Vorlesungen zur historischen Grammatik des Slowenischen vermeldet. Als dritter und letzter Punkt zur Person sei, in diesen Kontext eher am Rande, erwähnt, daß Ramovš sich auch für die Erforschung der modernen slowenischen Sprache interessierte und durch die Beförderung von Projekten wie dem Pravopis, dem Wörterbuch der slowenischen Schriftsprache, dem Slowenischen etymologischen Wörterbuch und einem historischen Wörterbuch des Slowenischen vor allem organisatorisch aktiv und engagiert tätig war. Das Fazit aus diesen wenigen charakterisierenden Sätzen zur Person könnte lauten: Ramovš war wissenschaftlich vielseitig und profiliert. Dessenungeachtet lassen sich Schwerpunkte deutlich erkennen: Er war Dialektologe, und er war Phonetiker und in diesem Sinne demzufolge auch Grammatiker. Daß allerdings Grammatik im engeren Sinne, d. h. Morphologie und Syntax, zu seiner bevorzugten Domäne gezählt hätte, dafür lassen sich, zumindest aus seiner wissenschaftlichen Biographie, keine Evidenzen erbringen. Die Frage, die anfänglich gestellt worden war und auf die nun eine Antwort zu finden sein wird, ist die Definition der Position der Morfologija slovenskega jezika in Ramovš' Gesamtschaffen und innerhalb der Spezies diachronische Grammatik. Dabei ist zunächst wiederum auf einen Tatbestand aufmerksam zu machen, der Barbara Kunzmann-Müller, Fran Ramovš' Morfologija slovenskega jezika 187 sich vielleicht als symptomatisch erweisen kann. Die Morfologija ist im eigentlichen Sinne kein originäres Werk von F. Ramovš. Das heißt, die Arbeit ist im Nachhinein aus der Überarbeitung der Vorlesungen zur Morphologie aus den Jahren 1947/48 und 1948/49 entstanden. Die Ausgabe von 1952 ist von einigen Philologiestudenten jener Jahre maßgeblich gestaltet, mit einem Literaturverzeichnis und einer weiterführenden Literaturliste sowie einem Wort- und Sachregister versehen und in eine Endfassung gebracht worden. Aufschluß über die Art der Entstehung dieses unkonventionellen Werks gibt auch das kurze Vorwort, das Ramovš der Ausgabe vorangestellt hat. Darin heißt es: »skripta sem sam pregledal in morem ugotoviti, daje gradivo v njih točno zabeleženo, kakor sem ga napisal na tablo. Spremna oblika in razlaga pa je bila precej površna in je potrebovala dokajšnjih korektur, ki sem jih sam opravil, čeprav so me meje teksta pri tem močno ovirale«. Damit sind einige für unser Anliegen wesentliche Elemente angesprochen: das Material sowie die Erläuterungen dazu, d. h. seine Interpretation, und, hinzuzufügen ist, die morphologischen Grundpositionen von Ramovš. Zu diesen Schlüsselwörtern seien im folgenden einige Anmerkungen gemacht. An den Anfang seien die Erläuterungen zum Material gestellt. Es ist bekannt, daß F. Ramovš sehr früh begonnen hat, slowenische Texte aus der Zeit vom 16. Jh. bis zur Mitte des 19. Jh. umfassend und systematisch zu sammeln und zu exzerpieren. Damit aber nicht genug, er sammelte überdies mit Intensität Material in slowenischen Dialekten. Das primäre Ziel, was er damit verfolgte, war sicherlich, sprachliche Daten für seine phonetischen Untersuchungen zu gewinnen. Ob er damals auch bereits grammatische Arbeiten im Auge hatte, läßt sich lediglich vermuten. Alles in allem, diese Seite der Arbeit F. Ramovš' stellt eine beachtliche philologische Leistung im klassischen Sinne des Wortes dar, die zunächst als solche schlechthin zu würdigen ist. Mit dieser soliden Datenlage schuf er Voraussetzungen, um auch für die slowenische historische Morphologie verläßliche Fakten und Befunde zu gewinnen. Das Verfahren, um aus sprachlichen Daten sprachliche Befunde abzuleiten, ist bekanntlich ihre gerichtete Interpretation. Was ergibt sich in diesem Punkt aus der Morfologija? Ramovš leistet auch hier, in einem Satz gesagt, philologisch gute Detailarbeit, und zwar in einem doppelten Sinne. Einmal deutet er das Material bezogen auf die Prinzipien der strukturellen Organisiertheit der slowenischen Sprache und zum anderen bettet er die Befunde zum slowenischen Material in größere, d. h. slawistische und indogermanistische, Zusammenhänge ein. Jeder Blick in die genannte Arbeit bestätigt diese Feststellung. In diesem Kontext ist prominent an das zu erinnern, was eingangs zum wissenschaftlichen Werdegang von Ramovš gesagt worden war. Dort liegen die Wurzeln für diesen Umgang mit Erscheinungen des historischen Phänomens Sprache, einem Umgang, der für historische Forschungen notwendig, ja geradezu die Voraussetzung dafür ist, zunächst unabhängig davon, nach welcher Systematik sie anschließend geordnet werden. Zu erörtern sind schließlich die grammatischen Grundpositionen, nach denen in der Morfologija gearbeitet ist. Hier liegen die Dinge weniger klar auf der Hand. Der Grund dafür ist nach Ramovš' eigenen Worten Mangel an Raum, aber das ist wohl nicht die alleinige Begründung. Eine gewichtige Rolle spielen zweifellos auch die Eigenart des Objektbereichs und Ramovš' bisheriger Umgang damit und sein Interesse für die sich abzeichnenden Entwicklungstrends. Seine Auffassung von historischer Morphologie ist zunächst verhältnismäßig gut erschließbar aus den Abschnitten, in denen die einzelnen Wortklassen im Detail abgehandelt werden. Mit anderen Worten, in allen den Teilen, wo es darum geht, das eigentliche sprachliche Material angemessen zu beurteilen und zu präsentieren. Als Beispiel sei gennant, daß das Substantiv gemäß den morphologischen Kategorien Genus, Numerus und Kasus erörtert wird. Umfassend werden Probleme der Zugehörigkeit der Substantive zu den drei Genera und der Genusneutralisierung erörtert. Bei der Erläuterung der Numeri wird selbstverständlich auf den slowenischen Dual eingegangen, und bei den Ausführungen zu den Kasus ist die Entwicklung des slowenischen Kasussystems aus dem Indogermanischen erläutert. Ganz ähnlich verfährt Ramovš bei der Darstellung der morphologischen Kategorien des Adjektivs, der Pronomen und des Verbs. Für einen anderen möglichen Gegenstandsbereich der Grammatik, die Wortbildung, bei Ramovš Tematologija genannt, ist dieses Urteil in ähnlicher Weise zutreffend. Die Tatsache, daß es, isoliert gesehen, außerhalb des direkten Beschreibungsgegenstandes liegt, erklärt vielleicht auch, daß die Ausführungen dazu sehr kurz gehalten sind. Soweit das erste verallgemeinerte Fazit daraus, wie sich Ramovš mit dem Gegenstand Morphologie praktisch, d. h. am empirischen Material, auseinandersetzt. Daß sein Umgang mit Morphologie auf einem bestimmten grammatischen Konzept beruht, ist erkennbar und vorauszusetzen. Die Erwartung wäre deshalb, daß er sich dazu an einer Stelle der Arbeit explizit und deutlich äußert. Der Ort, wo man das am ehesten erwarten könnte, ist die Einleitung. Dort verweist Ramovš zunächst auf die Tatsache, daß das traditionelle Feld der historischen Forschungen bislang die Phonetik ist, während die Disziplinen der Grammatik im engeren Sinne, Morphologie und Syntax, vorwiegend synchronisch betrieben worden sind. Dabei akzeptiert er nicht nur die Berechtigung, sondern unterstreicht geradezu die Notwendigkeit, die historisch-vergleichende Methode auch in der Grammatik anzuwenden. Schließlich erklärt er sich, wenn auch nur in wenigen Sätzen, zum Inhalt seines Gegenstandes und zur Art seiner Behandlung. Als Untersuchungsgegenstand nennt er primär die Flexion, obwohl er, wie wir gesehen haben, in der Arbeit selbst auch auf bestimmte Erscheinungen der Wortbildung eingeht. Das bedeutet andersherum gesagt, daß Wörter, die wie Präpositionen, Konjunktionen und Partikeln keine Flexion haben, prinzipiell aus der Morphologie in die Syntax verwiesen werden. Bei ihnen sei, so Ramovš, lediglich die Funktion erkun-denswert, nicht die Form. Dabei wird die Frage unbeachtet gelassen, ob nicht gerade auch die formale Seite, d. h. die Entwicklung und Entstehung von Wortklassen aus anderen Wortarten und Wortformen, ein zentrales Anliegen historisch-morphologischer Studien darstellt. Im Anschluß an die Ausführung zum Inhalt historischer morphologischer Forschungen benennt Ramovš das Instrumentarium, mit dem er seinen Gegenstand beschreibt. Erwähnt werden Grundbegriffe wie Wurzel, Stamm, Endung, Formans Barbara Kun/.mann-Müller, Fran Ramovš' Morfologija slovenskega jezika 189 und Affix, die am Beispiel illustriert werden. Hier zeigt sich besonders deutlich, daß die junggrammatische Schule ihren Einfluß und ihre Spuren hinterlassen hat. Oder anders ausgedrückt, das offensichtliche Fehlen von Arbeitstermini wie Allomorph und Morphem, Wortart und Wortartwechsel, morphologische Kategorie, morphologisch-semantische Opposition etc. und ihrer Anwendung für die Ordnung der sprachlichen Fakten verweist darauf, daß aktuelle linguistische Richtungen wie die Prager Schule oder der gerade im Entstehen begriffene Strukturalismus für Ramovš' morphologische Untersuchungen, zumindest explizit, nicht relevant geworden sind. Am Schluß meiner Ausführungen steht das Fazit. Die Morfologija slovenskega jezika ist eine am profunden Material realisierte historisch orientierte philologische Arbeit traditionellen Zuschnitts. Sie ist zugleich die erste unkompliziert zugängliche und umfängliche Morphologie der slowenischen Sprache, obwohl dies, nebenbei bemerkt, aus dem Titel selbst nicht erkennbar ist. Darin besteht ihr Wert für die Slowenistik und für die Slawistik insgesamt. Es ist aber gleichzeitig darauf hinzuweisen gewesen, daß nicht alle Bereiche, die für die historische Morphologie von Bedeutung sind, erfaßt werden und daß der theoretische und methodologische Zugang traditionell bleibt und nicht von den Möglichkeiten aktueller Entwicklungen Gebrauch macht. Povzetek Svoja oblikoslovna dela je Ramovš povzel v Morfologijo slovenskega jezika. Prispevek jo poskuša eksaktneje zajeti v njeni vrstnosti kot diahrono usmerjeni raziskavi, in sicer glede na razvojno pot in celotno znanstveno ustvarjanje Frana Ramovša. Bistvene postavke, o katerih se tu razglablja, so podano gradivo in njegova (Ramovševa) razlaga, pa načela pojmovanja slovnice, ki se pri tem kažejo. Morfologija je na obsežnem jezikovnem gradivu temelječe filološko delo, ki pa ne obravnava vseh področij zgodovinskega oblikoslovja; tudi ni v teoretično-metodološkem pogledu inovativna, ampak ostaja tradicionalna. Literatura H. ARENŠ, 1969: Sprachwissenschaft: Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart. Freiburg; München. M. H. JELLINEK, 1914: Geschichte der neuhochdeutschen Grammatik von den Anfängen bis auf Adelung, I, II. Heidelberg. F. RAMOVŠ, 1936: Kratka zgodovina slovenskega jezika, I. Ljubljana. --1952: Morfologija slovenskega jezika. Ljubljana. --1971 : Zbrano delo, 1. Ljubljana: SAZU, Razred za filološke in literarne vede, 23/1, Inštitut za slovenski jezik 1 l/I. J. TOPORIŠIČ, 1973: Slovenski knjižni jezik, 4. Maribor. R. TRAUTMANN, 1948: Die slavischen Völker und Sprachen: Eine Einführung in die Slawistik. Leipzig.