^V'. HK. Erster Iahrganss. t» Qctober ROH^. Ein Dild aus Griechenland. Keifen Schritts durchwallt der Mittag Des Hymcttus Marmorklnfte; Auf den wildzcrriss'ncn Kuppen Lieacn brennend blau dic Lüfte. Weit und breit im Felscnkcsscl Brütet niärchenhaft Verstummen; Nur daß um dic Thymusbnschc Tausend Vicncn schwärmend summen. Lautlos durch's Geröll am Abhang Klettern lurzbevließte Schafe; Unter'm wilden Lorbcrbaumc Lie^t der Hirteubub' im Schlafe; Ihm zur Seite Stab und Tasche, lind die rohrgeschmtztc Flöte; Durch dic mandclbrauncn Wangen Schimmert sacht des VlutcS Ruthe. Schöner Knab', an deinen Zügen Weiß ich fcnim mich satt zu schauen; Um den Mund welch stiller Zauber, Welche Hoheit auf den Brauen! Traun, im alten Land der Götter Vist du selbst vcm Götterstamme; In ein irdisch Weib verkleidet Säugte dich dic Mus' als Amme, Was du träumst, sind eitel Lieder, Und cs tragen von den Klippen Dir die Bienen, wic dem Pindar Honig auf dic jungen Liftpcn. Die Atmosphäre. (Schluß.) ^Vollen wir endlich von dem Einfluß sprechen, den die Atmosphäre auf den Menschen ausübt, so würde cs wohl schwer halten, denselben nach allen Seiten hin vollkommen zu ergründen. Von seiner Wiege bis zum Grabe athmet der Mensch in dieser Atmosphäre und könnte ohne dieselbe gar nicht eristiren. Der Sauerstoff der Luft ist zur Unterhaltung des Athmungsprozcffes und dadurch zur Erzeugung der Körperwärme, somit zur Unterhaltung des Lebens unumgänglich nothwendig. Und ist aus dem Körper die Lebenskraft gewichen, hat der Geist seine sterbliche Hülle verlassen, so ist es wieder der Sauerstoff, der die Zerstörung dieser Hülle, die Auflösung in ihre Bestandtheile vollführt, sie in die Grundstoffe wieder zerlegt, aus denen sie bestand, der Erde wieder gibt, was von der Erde, und der Luft, was von der Luft herstammt. Besonders auffallend jedoch ist die Abhängigkeit des Menschen von den Wärmcvcrhältnifsen der Atmosphäre. An den eisigen Polen der Erde erstarrt, wie das Leben der Pftanze, so auch das des Menschen; ärmlich und verkrüppelt wie eine Virke ist auch sein Körper, und der Geist kann in einem unentwickelten Körper ebensowenig zur Entwickelung gelangen. Nicht weniger schädlich als ein Uebermaß von Kälte ist aber auch ein Uebermaß von Wärme. Dieß sehen wir deutlich an den Bewohnern der heißen Zone. Die trefflichen Worte Ritter's dürften hier ganz am rechten Orte sein, der da sagt: „Auf der Südseite, dem hellen Mittag zugekehrt, liegt Afrika, der Sudan der Erde, über welchem die Sonne gleichmäßig vom Anfange bis zum Ende des Jahres hinschwebt, ohne so vorherrschend mit jenen wechselnden Wundern des Abend-und Morgenlandes, ohne mit der überwiegend einander widerstreitenden Mannigfaltigkeit der Jahreswechsel vom Frühling zum Winter, ohnc das kontrastirende Steigen und Versinken aus Vergangenheit in die Zukunft weder die Natur zu erfüllen, noch die menschliche Phantasie auf diese Art durch Wirkung der Gegensätze in der Natur und im Menschen zur Ahnung einer Vergangenheit oder einer höhern Welt aufzuregen und zu erschüttern." — Sehr schön weist hier Ritter ans die mächtige Anregung zu Betrachtungen und Ahnung einer höhern Welt, hin, welche der menschliche Geist schon durch 162 den Wechsel der Jahreszeiten erhält, der sowohl in den , Regionen des ewigen Winters als auch in denen des ewigen Sommers entfällt. Abgesehen davon, daß zn große Kälte wie zn große Hitze den menschlichen Körper zur Thätigkeit untauglich macht, so liefert auch in den mittlern Theilen der Erdoberfläche, in der sogenannten gemäßigten Zone, die Natur selbst, vermöge der Mannigfaltigkeit ihrer Erzeugnisse, auch die meisten Objekte und somit auch die größte Anregung zur Thätigfeit für den Menschen. „Zwischeu dem 40. und 43. Breitengrade folgt die größte Mannigfaltigkeit in den Erzeugnissen des Pflanzenreiches und den Gegenständen des Ackerbaues aufeinander. Gs ist dieß der Punkt, wo die Regionen des Weinstockes an die des Citronen- und Olivenbaumes grenzen. Die große Verschiedenheit in den. Erzeugnissen der Grenz-länder dieses Erdgürtels belebt den Handel und vermehrt den Gewerbfleiß der ackerbautreibenden Völker." — Doch nicht bloß der wohlthätige, selbst der schädliche und zum Theil fürchterliche Einfluß der Atmosphäre und der in derselben eintretenden Umwälzungen ist für den Menschen segensreich geworden; er hat ihn frühzeitig gezwungen, anf Mittel zu ^ denken, sich demselben zu entziehen, und die Nothwendigkeit ist, wie überall, so auch hier eine wohlthätige Lehrmeisterin geworden. Erstaunlich in der That sind die Fortschritte, welche in dieser Beziehung der menschliche Erfindungsgcist gemacht hat. Dem Himmel entriß er seine Vlitze, die Winde zwang er, seine Mühlen und Schiffe zu treiben, und das HimmeMicht j der Sonne benützt er, um sich die schönsten Vilder zu erzeugen. ! Als der kühne Segler vor vierthalb hundert Jahren zum ersten Male seine Schiffe zn den Gestaden der neuen, unbekannten Hemisphäre leitete, erschütterte der fortwährend nach ! Westen hin wehende Wind seine Gefährten zu Zittern und ! Beben, so daß sie gewaltsam die Rückkehr forderten, von ^ der Besorg»iß gequält, daß ihnen jener Wind dic Rückkehr zur Heimat unmöglich »lachen würde. Denselben Wind begrüßen heut zu Tage die Seefahrer mic Jubel und wissen ihn wohl zu benutzen; denn er ist es, der ihre Segel bläht > und ihre Schiffe schnell und leicht dem fernen Strande zuführt. So gewaltig haben sich die Ansichten geändert, so große Fort- ^ schritte hat die Wissenschaft gemacht. l Bedenken wir endlich noch, wie vieler Annehmlichkeiten ! beraubt das Leben wäre, wenn uns die Atmosphäre nicht die ! erheiternden Strahlen des Lichtes zuführen würde, wie un- ^ endlich traurig das Leben der armen Lappen und Esquimaur verfließen müßte, wenn nicht die gütige Vorsehung ihre monatlangen Winternächte durch jene großartig prächtige Himmels- ! ampel, das Nordlicht, erhellen würde, so wird durch die,se ^ Betrachtung die Ueberzeugung von dein mächtigen (5'influsse , der Atmosphäre auf den Menschen und sein Leben nur noch mehr bekräftigt werden. Nnd enblich, welche mächtige Anregung zu erhabenen ! Gedanken, tiefen Empfindungen, liebliche» Träumereien schöpft nicht der menschliche Geist ans den ewig wechselnden, 'runder- ^ bar gcheimnißvollen Erscheinungen der Atmosphäre! Mögen ^ ihn Zephyre lieblich umsäuseln oder Stürme gewaltig lim-brausen, mögen die Sterne in ruhiger Klarheit ihr mildes Licht auf ihn niederstrahlen, oder furchtbare Blitze ihn dräuend umffammen, mögen die Perlen des Thaues von tausend Blüthen ihm entgegenglänzen und Iris farbiger Bogen schimmernd den Himmel umspannen, oder die duftige Nacht auf die müde Erde herab sich senken, immer werden die Saiten der Seele davon mächtig gerührt, daß sie entweder im begeisterten Liede erklingen, oder im heiligen Schauer vor des Ewigen, Allmächtigen Majestät erbeben. —tt—. Ein Traum am Canalgrande. (Fortsetzung.) Der Marchese Ventivoglio war den Damen vorgestellt und nach kurzer Zeit ihr steter Cavaliere geworden. Dem Baron war diese Bekanntschaft sehr lieb, denn sie verschaffte ihm manche freie Stunde, die er, vor dem l^li' sitzend und rauchend, angenehmer als in Gallerten verbrachte. Der gute Baron, nachdem er vor drei Jahren bei der Werbung um die schöne, brillante Clemence Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, hätte gern nun sein Glück friedlich auf seinem schönen Gute genossen. Venedig, mit all' seinen Kunstschätzen, seinem bunten, reichen Leben stillte ihm, dem echten 6l>n-lMwmme ellMsiUFnni^, den Durst der Seele nicht — er^r/nre sich nach Brandts. Dazu kam, daß der Dottor Werner in der letzten Zeit immer seltener kam, er schützte viele Geschäfte vor. Heinrich Werner n»ar, wie man fürchtete, brustkrank vor einigen Jahren nach Venedig geschickt worden und hatte sich hier unter den Fremden eine bedeutende Vraris erworben, so daß er, allen Bitten seines Vaters entgegen, der ein höchst angesehener Arzt in der kleinen Residenz war, sich von Venedig noch immer nicht hatte trennen wollen und sich auch jetzt mit seiner großen Praris entschuldigte. Indeß war Achille Ventivoglio ein Cicerone, der nicht so leicht seines Gleichen finden mochte. Er kannte mehr von Venedig als seine Geschichte in Stein und Zahlen; er kannte auch jene geheime Geschichte voll Schmerz und Poesie, welche nur das Herz des Dichters den Mauern abliest, welche nur ihm die stummen Vilder in den Palästen ausgestorbener Fürstengeschlechter erzählen. Er war hinreißend schön in solchen Augenblicken, in seiner Trauer, in seinem Schmerz, mit dem von Melancholie umflorten Blick und seiner seltsam melodischen, sonoren Stimme. Die Frauen fühlten ihm nach, selbst wo sie seine Ansicht nicht theilten, sie waren bezaubert von der Poesie dieser Klagen) der Doctor widerlegte ihm einfach, kühl, viel trockener als er es gcthan haben würde, wäre Achille nicht so emphatisch gewesen« Vernünftige, klare Menschen sehen zu viele Spuren der wohlthätigen und energischen Hilfe, welche Venedig zu Theil geworden, vielleicht aber hatte Heinrich Unrecht, den Italiener etwas spöttisch daran zu erinnern, wie wenig dic Söhne ful ihre Mutter gethan, als sie, die Witwe ihrer Dogen, der österreichischen Monarchie noch nicht angetraut war. „Theurer Freund," sagte der Doctor spöttisch, „damals thaten ihre Söhne gar wenig für sie, und der zerfetzte, zersal- ! lendeHerzogsmantel hing ihr traurig genug um die Schultern. ! Zum Glück für sie war Oesterreich reich und großmüthig, so daß sie nun wieder eine stattliche, schöne Dame geworden ist, den Bildern wieder ähnlich, die einst Paolo Veronese von ihr gemalt." „„Aber können Sie den Söhnen verargen, wenn ihnen die. Mutter, als trauernde gebeugte Witwe, ehrwürdiger erschien, als im Glanz neuer Hochzeitsgewänder?"" Der Doctor zuckte die Achseln. „Und deßhalb verweigerten die Söhne wohl auch, dem Vaterlande zu dienen und vergeudeten lieber ihre Jugend im Müßiggang? Wahrhaftig, man hat hier den Stiefsöhnen mehr verziehen, ihnen mehr Liebe gezeigt, als anderwärts den Söhnen ! des Hauses." Der Italiener antwortete auf solche Wahrheiten immer sehr unbestimmt — „„die Liebe rechnet nicht, sie kann unklug, egoistisch selbst sein, aber eins versteht sie nicht — zu theilen; sie liebt, wo sie liebt, auch die Schwächen, nicht nur die Tugenden."" Der Doctor lachte dann und wandte sich zum Baron, ihm einfache Thatsachen erzählend, aber es entging ihm nicht, ! daßHcnriette sich von ihm entfernte und durch mildeste Freundlichkeit den Marchese für die Niederlagen zu trösten suchte, welche ihn der Doctor durch klare Beweise und nicht wegzulä'ugncnde z Thatsachen erleiden ließ. CZ^ging dabei wie in allen ähnlichen z Fällen, Jeder übertrieb, weil er sich ärgerte, daß der Gegner zu weit ging. Indeß vermißte, außer dem Baron, auch Clemence den geistreichen und feinen Gesellschafter, und als sie den Doctor erst allein traf, machte sie ihm freundliche Vorwürfe für sein ! unfreundliches Ausbleiben. „Lieber Doctor, nach so viel Mondschein-Elegien, wie ich jetzt anhöre, sehnen wir uns nach Ihnen, wie ich mich nach Göthe'schen Versen sehne, nach Geibcl'schen Humus-Liedern, obgleich mir diese zu Zeiten auch gefallen." „„Wenn Sie mich wirklich vermißten, Baronin, so werden Sie meiln'n Entschuldigungsgrund gelten lassen. Ich bereite mich vor, meines Papa's Wunsch endlich nachzukommen und nach ^* zurückzugehen. In zwei bis drei Monaten hoffe ich, Ihr Gast in Vrandis sein zu können."" „Das freut mich, Doctor, aufrichtig, herzlich, aber Ihr schnellcr Entschluß überrascht mich doch; Sie haben mir zu oft davon gesprochen, sich hi^ zu firiren." ,/,/Ich fürchte, ein Anderer wird sich hier firircn und mir dann die Luft von Venedig nicht mehr so leicht vorkommen."" „Was meinen Sie?" fragte Clemence verwundert. „„Daß Henrictte als Marchesa Vcntivoglio hier bleiben wird,"" sagte er leise und ernst. „Und das treibt Sie fort?" fragte die junge Frau thcil-nehmend und herzlich, „also so ernst ist es Ihnen geworden?" „„Ja, Baronin,"" sagte er ernst, „„ich läugne es nicht — Ihnen nicht; ein Interesse, wie ich es für Henriette empfinde, hat mir noch keine Frau je eingeflößt. Wir Aerzte lernen die Menschennatur gar zu sehr im Neglia/e kennen, das desillusinirt. Ich habe oft.Frauen als Engel und Heilige preisen hören, die ich rücksichtslos, hart und egoistisch kennen gelernt hatte, andere schienen nur wie Schmetterlinge von» Vlüthenduft zu leben, und ich weiß, daß ihre Seele eine häßliche, gemeine Raupennatur hatte. Henriette aber, die ist wirklich, was sie scheint, fein und edel organisirt, geistig und körperlich. Nicht ihre Nerven, ihr Gefühl leidet von wüstem Lärm, Häßlichkeit und Niedrigkeit; ich habe sie auf der Straße, die Grazie und Schönheit, unter Lumpen erkennen und im Theater sich abwenden sehen, wo die Kunst nur Künste stück, das Pathos Groteske wurde. Nie habe ich eine Frau gekannt, deren sittliches und ästhetisches Gefühl so rein und stark war, wie bei ihr, nie das angeborene Schönheitsgefühl so fein entwickelt gefunden. Deßhalb sage ich auch, nur in diesem einzigen Falie, daß nicht oberflächliches, alltägliches Gefallen an dem schönen Mann sie zum Marchese ziehe, nein, ihr Interesse ist ein edles, der Zauber Venedigs, der Zauber einer so seltenen Schönheit, die Poesie, in welche er sich zu drapiren versteht, wie in einen Fürstenmantel, das liebt sie in diesem elegischen Arlequin, nicht den gewandten, feinen Rou«."" „Mein Gott, war ich denn blind," rief die junge Frau traurig, „wo hatte ich meine Augen! Aber wenn es so ist, wie Sie sagen, so ist Henriette von Venedig ebenso verzaubert als vom Marchese, und eine rasche Abreise würde den Zauber lösen." „„Nur befestigen, geehrte Frau! Und dann, wehe dem künftigen Gemal Henrietten's. Nein, diese Verklärung, welche Abschiedsweh und Entsagenmüssen dann um das Bild dieses prächtigen Trauerfalters weben würde, müßte den Mann, der Hcnricttc einst liebte, zur Verzweiflung bringen. Alle Liebe, Treue und Hingebung würde unbeachtet bleiben vor der leuchtenden Erinnerung dieses, zum Ideal verklärten Antinous."" „So zeigen wir ihr den Halbgott als Menschen," sagte die Baronin lächelnd. „„Das ist nicht leicht möglich, dazu gehört mehr Zeit als uns bleiben wird. Als Frau dieses Mannes wird fie sehr bald einsehen, daß er weniger als ein Mann, der echte Sohn dieses marklosen, überlebten Volkes ist. Ein eleganter Müßiggänger, ein geistreicher Dilettant, ein Schauspieler, der eine Rolle, aber eben eine nur, meisterhaft spielt, aber ein Mensch, der keines Aufschwunges, keines energischen Handelns fähig ist, dcm der Stahl im Blute, der Stolz in der Seele, die Ritterlichkeit im Charakter fehlt — dann aber, Baronin, nach dieser Probe ist mir Hcnriette verloren."" „Noch Eins, Doctor! Henriette ist sehr stolz und sehr streng in ihren Ansichten.' Dctleo nannte den Marchcse einst Don Giovanni. Ein Bcwcis dieser Art würde sie vollkommen heilen." > „,.Ich aber, Baronin, vermag diesen Beweis von allen Menschen zuletzt zu liefern. Henrictte würde den gefallenen Engel beweinen, seinen Ankläger aber verachten."" Die Baronin sah ihm traurig nach. Der arme Doctor I hat Neckt, wir scheitern öfter an unsern Tugenden als an unsern Fehlern, sagte sie traurig. Am Abend dieses Tages lenkte die Baronin das Gespräch ' ziemlich auffallend auf deutsche Sitte und Bildung, sprach weitläufig darüber, wie sie selbst sich schwer entschließen würde, für immer in Italien zu leben, wie unbefriedigend meist gemischte Ehen dieser Art seien, wie unvcr tilgbar das Heimweh — kurz, Henrictte verstand vollkommen den Sinn dieses Gesprächs. Auch der Marchese bemerkte die Veränderung im Benehmen der Baronin, manches hingeworfene Wort, und er begann zum ersten Male zu überlegen. Für ihn bestand die Mesalliance nicht in Henrictten's bürgerlicher, sondern in ihrer deutschen, das hieß für ihn, barbarischen Abkunft. Sie war reich, liebenswürdig, geistreich, pikant durch ihre keusche, zarte Märchenhaftigkeit, aber an eine Heirat mit ihr hatte er doch bisher noch gar nicht gedacht. Er ging drei Tage nicht zur Baronin, aber am Abend des dritten bezwäng ihn, die Sehnsucht, Henriette zu sehen. Zufällig war sie allein im Salon, es war zur Zeit der Dämmerung; aber er sah, daß sie blä'sfer als gewöhnlich war und geweint haite. Gewiß glaubte Achille in diesen Augenblicken selbst an Alles, was er sagte, an seine Verzweiflung, seinen Schmerz über ihre Kälte, über die Perfidie der Baronin; er sprach wie immer ,> voll leidenschaftlichen Schmerzes, wehmüthiger Innigkeit, edelsten Stolzes. (Schluß folgt.) ^ Verschiedenes. Der Nosenwein. Der Rosenwein stammt aus dem ^ Bremer Weinkeller, welcher der älteste von allen deutschen Kellern, und befindet sich unter dem dortigen Rathhause. Eine Abtheilung — die Nose — so genannt nach einem bronzenen Relief, welches Rosen darstellt, enthält den berühmten, sogenannten Rosenwein, der ein Alter von mehr als zwei Jahrhunderten hat. Im I. 1624 legte man nämlich hier sechs Stückfaß Iohannisbcrger und eben so viel Hoch-heimer ein. Gin anderes Gewölbe dicht daneben enthält denselben Wein, der ebenso kostbar, aber einige Jahre jünger ist; er ist in zwölf großen Fässern, deren jedes den Namen eines der zwölf Apostel führt, und der Wein des Judas wird, trotz des seinem Namen anhangenden Makels,' noch mehr geschätzt n!s die übrigen. In den sonnigen, Räumen des Kellers befinden sich verschiedene Wcine späterer Jahrgänge. Nie man nun einige Flaschen von der Rose abzapft, e>. setzt inan cs durch den Wein aus den Aposteln, diesen wieder dnrch jüngern und so fort, so daß umgekehrt, wie das Faß der Danaiden, die Stückfässer nie leer werden. Ein großes Stückfaß Wein von 6 Orhoft ä 204 Flaschen kosttte im I. 1624 600 Neichsthaler. Rechnet man die Kosten, den Keller in Stand zu halten, die Nachfnllungen, die Zinsen, so wie davon wieder die Zinsen, so kostete ein Orhoft heut zu Tage 886,667.640 Neichsthaler — folglich kostet eine Flasche 2,723.810 ReMthaler, ein Glas aber, der achte Theil einer Flasche, 640.476 Neichsthaler, und endlich rechnet man 1000 Tropfen auf ein Glas, ein Tropfen 640 Neichsthaler. Ein Bremer Bürger hat anf eine Flasche Anrecht, wenn er einen berühmten Fremden, dessen Name in Deutschland oder Europa berühmt ist, bei sich Hai. Einige Male schickte die Stadt ein Paar Flaschen dieses Weines an Göthe zu seinem Geburtstage. Zur Zeit der französischen Okkupation tranken einige Generäle des Kaiserreiches eine beträchtliche Masse von diesem kostbaren Stoffe, und so behaupten die Bremer Bürger, daß ihre Stadt auf solche Weise eine größere Kontribution an Frankreich gezahlt habe, als alle Städte Deutschlands zusammen. — Bei der Zusammenkunft der beiden Kaiser in Stuttgart wurde unter Andenn auch Rosenwein scrvirt. Göthe's wilde Wochen. We»n wir den Mittheilungen des Engländers Lew es glauben dürfen, der ein Buch über Göthe geschrieben, so trieb es Göthe in den ersten Wochen seiner Uebersiedlung nach Weimar toll genug. In vollem Glänze der Jugend, der Schönheit und des Ruhmes trat er dort auf und eroberte im Sturme alle Herzen, selbst die, welche er, wie z. B. Wieland und die Herzogin Amalia, früher beleidigt hatte. Vei den lebenslustigen, leichten Damen der genialen Periode, voil denen Schiller schreibt' „Da ist beinahe keine, die nicht eine Geschichte hätte oder gehabt hätte, erobern nicht sie gern alle," war er bald der erklärte Liebling, der wie ein Schmetterling von einer Blume zur andern flatterte und von Allen süßen Honig der Liebe sog. Er führte unter den Damen uud den höhern Ständen das Schlittschuhlaufen ein — eine Kunst, die in der Residenz bisher als eine plcbeje betrachtet worden — und arrangirte auf dem Schwanenteiche Nachtschlittenpartien mit Fackeln und Feuerwerk, bei denen die Herzogin und alle Damen maökirt erschienen. Dann wieder zum Entsetzen von ganz Weimar brutalisirte er, wie Wieland sugt, die bestialische Natur, stellt sich mit dem Herzoge Karl Augnst auf den Markt, und beide knallten da stundenlaug mit großen Hetzpeitschen um die Wette. Ein Herzog und ein Dichter auf offenem Markt! Das Verhältniß dieser beiden genialen Menschen ward hald ein brüderliches. Sie nannten sich „Du," schliefen zusammen in einem Zlinmer, entliehen gegenseitig ! Tücher und Westen, ohne au's Wiedergeben zu denkcu, und tranken bei ihren Wcingclagen den Sekt aus Schädeln, wie es Byron in seiner wildesten Zeit gethan. Das Lieblings- ! wort des Tages war „unendlich." Aber so wilde Orgien und Nächte die beiden frühreifen Jünglinge auch durchbrachten i — und daß sie es arg getrieben haben, beweist der scharf er- ! mahnende Brief Klopstock's, den Göthe so patzig beantwortete > — so hatten Beide doch so große Zwecke und chon der Anfang einer ruhigern > Periode, die, wenn auch nicht frei von Anfechtungen genialer ! Art, doch Ertravaganzcu, wie die frühern, nicht mehr so oft ! anfkommen ließ. Druck und Verlag von IgN. V. Kleinmayr K? F. Vambevg in ^'aibach. — Verantwortliche!,' Nrdaetcur: ^ Nattlderg>