Prejeto / received: 31. 1. 2019. Odobreno / accepted: 18. 3. 2019. CC BY-NC-ND 4.0, DOI: 10.3986/dmd16.1.04 KULTURTRANSFER DURCH BEARBEITUNG GALUPPIS IL MARCHESE VILLANO, EINE VENEZIANISCHE OPERA BUFFA AM WIENER KAISERHOF INGRID SCHRAFFL Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien Alban Berg Stiftung, Wien Izvleček: Razprava iz perspektive kulturnega transferja primerja prvo dunajsko verzijo opere II marchese villano (1767) Pietra Chiarija in Baldassarra Galuppija (Benetke 1762). Razlike med komercialnim gledališkim sistemom ob premieri v Beneški republiki in kontekstom dunajske izvedbe (dvorne slovesnosti ob zaroki avstrijske nadvojvodinje Marije Jožefe) se jasno zrcalijo v dunajski adaptaciji opere, ki v smislu povzdignjenega razvedrila opušča bufonistični slog prvotne glasbe. Ključne besede: kulturni transfer, opera buffa, 18. stoletje, Dunaj, Benetke, Baldassarre Galuppi Abstract: In this article the first Viennese version (1767) of the opera buffa II marchese villano by Pietro Chiari and Baldassarre Galuppi (Venice 1762) is examinedfrom the perspective of cultural transfer. The notable differences between the performance context of the Venetian premiere in the commercial theatre system of the Republic of Venice and the Viennese performance context - the betrothal festivities for Maria Josepha of Austria at the imperial court of Vienna - are mirrored in the radical Viennese adaptation, which generally tends to a more elevated kind of entertainment and a less buffo-style music. Keywords: cultural transfer, opera buffa, eighteenth century, Vienna, Venice, Baldassarre Galuppi Für eine Untersuchung der kulturellen Transferprozesse ist die italienische Opera buffa des 18. Jahrhunderts aufgrund ihrer enormen Verbreitung in ganz Europa und aufgrund des damaligen Usus, die Werke flexibel an den jeweiligen Aufführungskontext anzupassen, geradezu prädestiniert. Dieses Genre wurde zu einem ausgesprochen internationalen Phänomen, zu einer regelrechten Modeerscheinung. An vielen europäischen Höfen und Opernstätten waren italienische Sänger, Komponisten und Librettisten gefragt, ihre Werke wurden en masse exportiert und - nach damaliger Praxis - an die lokalen Bedingungen und an die Bedürfnisse der jeweiligen Aufführungsstätte und Operntruppe angepasst, so dass die Gestalt einer Oper sich unter Umständen beinahe bis zur Unkenntlichkeit verändern konnte. Je nach Erfolg eines Werks und je nach Anzahl der Neuaufführungen und Rekontextualisierungen, entstanden zahlreiche Versionen von ein und derselben Oper. Bei der Aufarbeitung solcher vielfältigen Transfers innerhalb des dichten Netzwerks an europäischen Opernstätten1 ist aufgrund der unüberschaubaren Anzahl an Einzelphänomenen 1 Dass sich das wissenschaftliche Interesse im Bereich der Opernforschung vom Rezeptionsgedanken 73 De música disserenda XVI/1 • 2020 bei jeder Untersuchung eine enge räumliche und zeitliche Begrenzung nötig, um im Detail auf die einzelnen Zielkulturen und ihre Beziehungen zum Ursprungsort des Importprodukts einzugehen sowie um über die Beschreibung der leicht objektivierbaren Elemente (beispielsweise die Netzwerke zwischen einzelnen Akteuren und zwischen Institutionen, die Wege von Akteuren und Artefakten, die praktischen Bedingungen des Transfers) hinauszugehen. Zur Erfassung der bei den oben beschriebenen Werkadaptationen stattfindenden „produktiven Rezeption", die fruchtbarste und interessanteste Form solcher Übertragungsprozesse, bietet sich eine Fallstudie zum Transfer der Opera buffa Il marchese villano von Pietro Chiari und Baldassarre Galuppi von ihrer Uraufführungsstätte Venedig nach Wien an, wobei die Untersuchung ihrer ersten Wiener Bearbeitung (1767) im Vergleich zur venezianischen Fassung (1762) als Ergebnis eines kulturellen Transfers im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen soll.2 Die Zielkultur Wien im historischen Kontext Im Wien des 18. Jahrhunderts war der Import von italienischen Opern eine durchaus übliche Praxis. Wie sehr Italien in diesem Bereich als Referenzkultur galt, geht u.a. aus der vielzitierten Aussage Maria Theresias hervor: „Pour le théâtre, j'avoue que je préfère le moindre Italien à tous nos compositeurs".3 Schon seit dem 17. Jahrhundert ließ der Wiener Kaiserhof italienische Werke, wie auch Sänger, Komponisten, Librettisten und Musiker aus Italien holen,4 aber auch nicht-italienische Komponisten und Interpreten waren an der Produktion italienischer Opern beteiligt. Ein großer Teil des Wiener Opernpublikums war der italienischen Sprache kundig und war in der Lage, die gedruckten Libretti mitzulesen. zum Transfer-Modell verlagert hat, zeigen viele der jüngsten Projekte und Publikationen u.a. das derzeit laufende DFG-Projekt „Die Opera buffa als europäisches Phänomen. Migration, Mapping und Transformation einer neuen Gattung" geleitet von Prof. Kordula Knaus (http:// gepris.dfg.de/gepris/projekt/362n4878), das bereits abgeschlossene FWF-Projekt „Opera buffa in Wien (1763-1782)" (https://www.univie.ac.at/muwidb/operabuffa/projekt.htm) geleitet von Prof. Michele Calella sowie dessen Aufsatz Migration, Transfer und Gattungswandel, das ÖAW-Forschungsprojekts „Oper im Wandel der Gesellschaft", aus dem u.a. die Publikation Die Oper im Wandel der Gesellschaft: Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheaters in Europa hervorgegangen ist, das FWF-Projekt „Transferprozesse in der Musikkultur Wiens" geleitet von Prof. Martin Eybl (https://www.mdw.ac.at/imi/transferprozesse-in-der-musikkultur-wiens), aus dem u.a. die Publikation Via Wien: Musik, Literatur und Aufklärungskultur im europäischen Austausch hervorgegangen ist, sowie zahlreiche Publikationen in Sammelbänden und Kongressberichten. 2 Dieser Aufsatz ist eine Erweiterung meines Vortrags „Venetian Opera in Vienna: The Case of Galuppi's II marchese villano" (16th Biennial International Conference on Baroque Music, Salzburg), der im Rahmen des bereits erwähnten FWF-Forschungsprojekts „Opera buffa in Wien (1763-1782)" entstanden ist. 3 Brief von Maria Theresia an Maria Beatrice d'Este vom 12. November 1772, vgl. Arneth, Briefe der Kaiserin, 149. 4 Vgl. Antonicek, „Österreich", 121-138. 74 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass die italienische Opern- und Musikkultur in Wien bereits damals weitgehend assimiliert war5 und keineswegs als fremd empfunden wurde. Was die Gattung der Opera buffa betrifft, wurden seit ihren Anfängen, abgesehen von einer längeren Aufführungsphase 1747-1748, in der eine Reihe von italienischen drammi giocosi und intermezzi gespielt wurden, zunächst nur vereinzelt Werke importiert. Erst ab dem Jahr 1763, nach dem Ende des Siebenjährigen Kriegs, begannen regelmäßige Aufführungen von Opere buffe, zunächst durch den Impresario Giacomo Maso mit seiner italienischen Sängertruppe initiiert, dann durch den aus Böhmen stammenden, in Venedig ausgebildeten und in Wien zum Opernkapellmeister ernannten Florian Leopold Gassmann zu einer Hochblüte gebracht. Die in und für Wien entstandenen Opere buffe waren in den 1760er Jahren noch weit in der Unterzahl, der Rest war vor allem aus Venedig und Rom importiert. Der venezianische Entstehungskontext von Galuppis II marchese villano Venedig - damals noch eine eigenständige Republik und noch nicht dem Habsburgerreich einverleibt - spielte eine ausschlaggebende Rolle für den Export der italienischen Oper ins Ausland. Die Hauptstadt der Repubblica della Serenissima war nicht nur einer der größten Opernzentren der italienischen Halbinsel, das mit seiner Fülle an Theater- und Opernhäusern wohl das zahlenmäßig umfangreichste Unterhaltungsprogramm bot,6 sondern fungierte auch in kommerzieller Hinsicht als Opernumschlagplatz,7 einerseits im Handel mit Musikhandschriften - im Umfeld der Opernhäuser waren zahlreiche Kopierbetriebe entstanden, deren Produkte in ganz Europa vermarktet wurden - andererseits als Rekrutierungsfundus für Impresari und Agenten.8 Vor diesem Hintergrund ist auch die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehende Opera buffa Il marchese villano zu betrachten, die als exemplarisches venezianisches Produkt gelten kann. Sie wurde von zwei venetischen und hauptsächlich in Venedig aktiven Autoren verfasst, dem Schriftsteller und Librettisten Pietro Chiari, einer von Carlo Goldonis feindseligsten Rivalen, und dem Komponisten Baldassarre Galuppi, der vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Goldoni und die gemeinsam geprägte Gattung der Opera buffa berühmt wurde, die Reinhard Strohm neben Goldonis Sprechtheater als „den letzten spezifisch venezianischen Beitrag zur europäischen Kultur" bezeichnet.9 5 Die Anzahl der in Wien lebenden Italiener war bereits im 17. Jahrhundert, also noch vor der österreichischen Herrschaft über Lombardei und Toskana, so beträchtlich, dass im Jahr 1625 eine (heute noch existierende) italienische Kongregation und im Jahr 1690 eine „Confraternita Italiana del Sovvegno" gegründet wurden (vgl. Brauneis, „Salieri und die italienische Congregation", 41-45). 6 Mehr zu Venedig als Opernzentrum und Vergnügungsstadt in Schraffl, Opera buffa und Spielkultur, 16-27. 7 Vgl. Bellina, „Dalla principessa ,Alcimena'", 228. 8 Zu den vielfältigen Beziehungen zwischen Wien und Venedig siehe u.a. Rice, „Operas ofAntonio Salieri", 211-213. 9 Strohm, Die italienische Oper, 251. 75 De música disserenda XVI/1 • 2020 Die Uraufführung von Il marchese villano fand in der Karnevalsaison 1762 statt, der letzten Zeit, in der Chiari vor seinem Rückzug in seine Heimatstadt Brescia, Goldoni vor seiner Abreise nach Paris, Gassmann vor seiner Berufung nach Wien und Galuppi vor den Verhandlungen für sein Engagement in Russland alle noch in Venedig verweilten. Den Titelseiten der venezianischen, an der Biblioteca da Ajuda in Lissabon aufbewahrten Partituren (P-La, 54-I-17 und 44-VII-41) ist zu entnehmen, dass dieses Werk als vierte Oper der Herbst- und Karnevalsaison 1762 - also als letzte Oper am Höhepunkt des Theaterjahres - aufgeführt wurde,10 vom 2. Februar 176211 bis Saisonende (Faschingsdienstag war der 23. Februar). Der Uraufführungsort, das kleine und anmutige Opernhaus Teatro Giustiniani di San Moise, war seit 1640, also seit den Anfängen des öffentlichen Theater- und Opernlebens Venedigs ein wichtiger Bestandteil der venezianischen „Unterhaltungsindustrie", in der die Marktregeln von Angebot und Nachfrage und nicht die Wünsche und Vorgaben eines Monarchen die Repertoire-Wahl bestimmten. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts war das S. Moise besonders auf das Buffo-Operngenre spezialisiert und erfreute sich großen Zulaufs.12 Die Gazzetta veneta berichtet, dass Il marchese villano bei der Uraufführung vom Publikum mit dem „üblichen Wohlgefallen aufgenommen wurde",13 im Gegensatz zur Opera seria,14 die einige Tage zuvor im Teatro San Benedetto uraufgeführt wurde. Obwohl der Redakteur der Gazzetta veneta Pietro Chiari selbst war, kann davon ausgegangen werden, dass der Bericht im Großen und Ganzen wahrheitsgetreu und Il marchese villano eine erfolgreiche Oper war, die den Geschmack des nicht rein venezianischen, sondern bunt gemischten Publikums dieses zentral und elegant zwischen San Marco und dem Canal Grande gelegenen Theaters traf. Ihr Erfolg kann auch an den über 20 Wiederaufnahmen gemessen werden: Unmittelbar nach der Uraufführung zirkulierte Il marchese villano unter verschiedenen Titeln in Norditalien (1762 Bologna, 1763 Turin, 1763 Rovigo, 1764 Mailand, 1764 Sinigaglia), gelangte daraufhin in einige europäische Opernzentren (1766 Dresden, Prag, Warschau und 1767 Wien), und später in viele weitere italienische und europäische Opernstätten (1768 Gubbio, 1768 Barcelona, 1770 Perugia, 1770 Stuttgart, 1770 Mailand, 1770 Turin, 1771 Korfu, 1771 Mantua, 1772 Lucca?, 1773 Bergamo, 1773 Pisa, 1776 Wien, 1776 Florenz, 1778 Graz).15 10 Das bestätigt auch das Einzelmanuskript der Arie „Supponiam che questa sia" in B-Bc, 3922, dessen Titelblatt folgende Angabe aufweist: „1762 In S. Moise Opera Quarta Del Sig. Baldassare Galuppi detto Buranello". 11 Gazzetta veneta 97, 6. Februar 1762, s.p. 12 Vgl. Mangini, „Sulla diffusione dell'opera comica", 181. 13 „Martedi a sera nel Teatro a San Moise fece la sua prima comparsa il Dramma giocoso intitolato: Il Marchese Villano, colla Musica del celebre Signor Maestro Baldassarre Galuppi, detto comu-nemente il Buranello. Anche questa Opera fu dal Pubblico accolta col usato suo gradimento. Tutto all'opposto dell'Opera a San Benedetto." (Gazzetta veneta 97, 6. Februar 1762, s.p.). 14 Metastasios Libretto Artaserse in der Vertonung von Ciccio di Muggio. 15 Vgl. Sartori, I libretti italiani, Nr. 14742-14764; und Bellina, „Dalla principessa ,Alcimena'", 233-234. 76 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung Der Transfer von Venedig nach Wien Auf welchem Wege diese Oper nach Wien kam, ist nicht belegt. Als Vermittler kommen vor allem der Impresario Giuseppe d'Afflisio in Frage, der Opernkapellmeister Gassmann, der Theaterpoet Marco Coltellini, die beteiligten Sänger sowie Graf Giacomo Durazzo, der ab 1764 als österreichischer Botschafter in Venedig lebte und den Wiener Staatskanzler und inoffiziellen Intendanten Wenzel Anton Fürst von Kaunitz-Rietberg über die Aktivitäten der venezianischen Theater informierte,16 und weitere mögliche Agenten, über die bisher keine Informationen vorliegen. Naheliegend wäre, dass der Vorschlag, Il marchese villano in Wien aufzuführen, vom Opernkapellmeister stammte, der sich zur Zeit der Uraufführung im Februar 1762 in Venedig aufhielt und höchstwahrscheinlich eine Aufführung dieser Opera buffa miterlebte. Alle seine ersten Opern von 1757 bis 1760 waren am Teatro S. Moise uraufgeführt worden und im Herbst 1762, also etwa ein halbes Jahr nach Il marchese villano, wurde dort noch seine letzte für Venedig komponierte Opera buffa Un pazzo ne fa cento uraufgeführt. Er stand also mit diesem Opernhaus in engem Kontakt, vermutlich auch mit den Haus-Kopisten, so dass sogar denkbar wäre, dass er bei seiner ersten Ankunft in Wien im Jahr 1763 Notenmaterial von beliebten Opern - quasi als „partiture di baule" - aus Venedig nach Wien mitbrachte, oder dass er bei seinem Venedig-Aufenthalt im Herbst 1765 bis Frühling 176617 im Auftrag des Wiener Hofs oder des Impresarios Partituren besorgte. Unter den beteiligten Sängern käme als Vermittlerin von Galuppis Oper am ehesten Clementina Baglioni in Frage, die bei der venezianischen Uraufführung mitgewirkt hatte, wahrscheinlicher aber war der Opernkapellmeister Gassmann aufgrund seiner Position und seiner Expertise im Bereich der Opera buffa18 mit solchen künstlerischen Entscheidungen betraut. Der Impresario Afflisio scheint erst im Frühling oder Sommer 1762 nach Venedig gefahren zu sein,19 Durazzo war 1762 noch in Wien und dass höher stehende Persönlichkeiten wie der Generalspektakeldirektor Johann Wenzel Graf Sporck, der Obersthofmeister Johann Joseph Fürst Khevenhüller-Metsch oder gar der „frankophile" Staatskanzler Kaunitz Galuppis Oper gesehen haben könnten und ein ästhetisches Urteil darüber haben abgeben können, ist zwar nicht ausgeschlossen, erscheint aber eher unwahrscheinlich. Letztere könnten allerdings, genauso wie die „allerhöchsten Herrschaften" selbst, bei der Auswahl des Komponisten beteiligt gewesen sein, denn Galuppi war in diesen Kreisen kein Unbekannter. Bereits bei der Eröffnung des Wiener Burgtheaters zum 16 Vgl. Mayer, „Amici delle arti", 22-23. 17 Wegen der Hoftrauer um Franz I. wurden ab 23. August 1765 die Theater für mehrere Monate geschlossen. Das von Hilverding neu gepachtete Käntnertortheater wurde am Ostermontag 31. März 1766 wieder eröffnet, das Burgtheater laut Zechmeister im Oktober 1766 (Zechmeister, Die Wiener Theater, 280, 500), laut Hadamowsky erst im Jahr 1767 (vgl. Hadamowsky, Wien: Theatergeschichte, 221), jedenfalls hatte Gassmann die Möglichkeit für längere Zeit nach Venedig zu reisen. 18 Gassmann hatte sich in der zweiten Hälfte der 1760er Jahre in Wien besonders als Buffa-Komponist und als Leiter des hochkarätigen damaligen Buffa-Sängerensembles einen Namen gemacht. 19 Vgl. Croll und Wagner, Vita di G. Afflisio, 46-47. 77 De música disserenda XVI/1 • 2020 Geburtstag der Kaiserin Maria Theresia im Mai 1748 war die Opera buffa Il protettore alla moda aufgeführt worden, die wenigstens teilweise aus Galuppis Feder stammte,20 im selben Theaterjahr kam er selbst nach Wien, um die Uraufführungen seiner Opere serie Demetrio (16. Oktober 1748) und Artaserse (27. Januar 1749) vorzubereiten. Besonders die beiden Serie verzeichneten außerordentliche Erfolge, wie unter anderem aus den Einnahmelisten des Burgtheaters ersichtlich wird.21 In den 1760er Jahren befand sich Galuppi am Höhepunkt seiner Karriere - von 1765 bis 1768 war er in St. Petersburg am Zarenhof angestellt - und einige seiner Opere buffe waren in Wien bereits bekannt.22 Der Opernkapellmeister Gassmann war mit der Komposition einer der beiden Festopern beauftragt, es ist also nicht verwunderlich, dass man bei der Wahl einer Buffa-Oper für die Hochzeitsfeierlichkeiten auf ein Werk Galuppis zurückgriff. Der Wiener Aufführungskontext Die Übernahme von Il marchese villano in den Wiener Spielplan ist einerseits eingebettet in einem regelrechten Transferstrom - ab 1763 wurden in der Regel vier bis sechs Opere buffe pro Jahr von Italien nach Wien importiert und Galuppi ist nach Piccinni der am häufigsten vertretene Komponist - und andererseits, aufgrund des besonderen Aufführungskontextes bei der Wiener Erstaufführung, auch ein Spezialfall. Galuppis Oper wurde nämlich in Wien erstmals am 12. September 1767 zur Verlobung Maria Josephas, Erzherzogin von Österreich, mit Ferdinand IV. von Bourbon, König beider Sizilien, im eigens zu diesem Anlass renovierten Schönbrunner Schlosstheater gespielt, wie aus dem detaillierten Bericht im Tagebuch des Obersthofmeisters Khevenhüller hervorgeht: Den 12. wurde auf den Schönbrunner Théâtre, welches die Kaiserin seithero mit nicht geringen und wie mann sagen wollen, gegen die 40.000 Gulden sich beloffenen Unkosten renoviren lassen, eine neue Opera buffa, il marchese Villano genannt, und zum Schlus ein ebenfahls neu componierter pantomimischer Ballet: Armida betitlt, produciret; der Hof gienge offentlich dahin und die Bottschafter hatten die zwei kleinen Loges nächst den Proscenio [...].23 20 Ilprotettore alla moda wurde als zweite Oper nach der Eröffnung des Burgtheaters im Mai und Juni 1748 aufgeführt. Die Autorschaft dieser Oper ist nicht restlos geklärt. An der venezianischen Uraufführungsfassung von 1747 hatte Galuppi mit Sicherheit mitgewirkt, in Wien wurde sie vermutlich von Georg Christoph Wagenseil bearbeitet, denn als Autoren gibt Zechmeister Galuppi, Wagenseil und den Textdichter Buini an (vgl. Zechmeister, Die Wiener Theater, 195-196). 21 Die täglichen Einnahmen dieses Zeitraums sind abgedruckt in Zechmeister, Die Wiener Theater, 195-200. 22 Il filosofo di campagna (Uraufführung Venedig 1754, Wien 1763, Libretto von Goldoni), Le nozze (Uraufführung Bologna 1755, Wien 1764, Libretto von Goldoni), Li tre amanti ridicoli (Uraufführung Venedig 1761, Wien 1765, Libretto von Antonio Galuppi), Il vecchio geloso (Uraufführung Venedig 1760, Wien 1767, Libretto von Antonio Galuppi). 23 Khevenhüller-Metsch und Schlitter, Aus der Zeit Maria Theresias, 265-266. Zechmeisters Behauptung, dass Il marchese villano schon „am 9. September 1767 nächst dem Kärntnerthor" aufgeführt wurde (Zechmeister, Die Wiener Theater, 289), kann durch mehrere zeitgenössische 78 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung Erst nach der Schönbrunner Aufführung wanderte die Verlobungsfassung von Il marchese villano in das normale Repertoire der beiden öffentlichen Wiener teatri privile-giati, Burgtheater und Kärntnertortheater,24 wo sie mindestens bis Ende der Karneval- und Theatersaison auf dem Spielplan blieb.25 Die Aufführung im Schlosstheater Schönbrunn war nur einer von vielen Programmpunkten der ausgiebigen Verlobungsfeierlichkeiten, die am 8. September mit der Anwerbung der Braut durch den neapolitanischen Botschafter und einem „Bal paré" in Schönbrunn begannen, am „zweiten Gala-Tag" mit der Aufführung der bei Metastasio und Hasse eigens in Auftrag gegebenen Opera seria Partenope im Burgtheater und am 10. September „mit einer deutschen Comédie ebenfahls im Balhaus oder dem Théâtre nächst der Burg und einem neuen Machine und pantomimen Ballet, l'apothéose d'Hercule genannt, de la composition du fameux Sr. Noverri de Hougard"26 fortgesetzt wurden. An Freitagen waren Theater- und Opernaufführungen verboten, so gab es am 11. September in den kaiserlichen Appartements in Schönbrunn ein „Grand Concert de Voix & d'instruments",27 in dem unter anderem die Kaiserin Maria Theresia selbst musizierte. Am 12. wurde Galuppis „Opera comique Italien au Theatre du chateau de Schönbrunn"28 aufgeführt und am 13. wurden Bälle im „Redouten-Saal in der Burg" und im Kärntnertortheater veranstaltet.29 Darüber hinaus wurden mehrere Vorstellungen gratis „pour tout le monde"30 gegeben, und zwar am 9. und 12. September deutsche Komödien am Kärntnertortheater und am 13. September Metastasios und Hasses Partenope am Burgtheater.31 Nach dieser ersten Phase der Verlobungsfeierlichkeiten diente dann die von Gassmann und Coltellini eigens komponierte Oper Amore e Psiche als eigentlicher Höhepunkt, der allerdings durch die Blatternkrankheit und schließlich den Tod der Braut getrübt wurde. Laut Andrea Sommer Mathis tendierten die Habsburger im Laufe des 18. Jahrhunderts Quellen widerlegt werden, vor allem durch Khevenhüllers Bericht, der überdies belegt, dass am 9. September im Kärntnertortheater eine „deutsche Comédie gratis gegeben" wurde (Khevenhüller-Metsch und Schlitter, Aus der Zeit Maria Theresias, 264). 24 Aufführungsanlass und -ort sind dem Titelblatt des Wiener Libretto von 1767 zu entnehmen: „Il marchese villano, Dramma giocoso per musica da rappresentarsi ne Teatri privilegiati di Vienna in tempo delle feste per li felicissimi sponsali di Ferdinando II. di Borbone Re delle Due Sicilie e di Maria Giuseppa d'Austria l'anno MDCCLXV1L". Auch im Wiener Libretto zu Partenope wurde Ferdinand fälschlicherweise als „II." statt „IV." bezeichnet. Dieser Fehler wurde dann im Wiener Libretto zu Amore e Psiche korrigiert. 25 Josef von Sonnenfels belegt dies wenige Tage nach Ende der Karneval- und Theatersaison im Brief vom 19. Februar 1768: „Man gab diese Faßnacht durch: die Contadina in corte, il vechio [sic] geloso, la notte critica, il marchese villano; man wiederholte den Viaggiatore ridicolo und die Schiava" (Sonnenfels, Briefe, 143). 26 Khevenhüller-Metsch und Schlitter, Aus der Zeit Maria Theresias, 264. 27 Vgl. die Ankündigung im Supplement a la Gazette de Vienne 72, 9. September 1767, s.p. 28 Ebd. die Ankündigung im Wienerischen Diarium vom 12. September (Nr. 73, s.p.) lautet: „[...] heute wird daselbst [in Schönbrunn] ein neues italiänisches Singspiel auf dem dortigen Theater aufgeführet werden." 29 Khevenhüller-Metsch und Schlitter, Aus der Zeit Maria Theresias, 266. 30 Supplement a la Gazette de Vienne 72, 9. September 1767. 31 Vgl. Khevenhüller-Metsch und Schlitter, Aus der Zeit Maria Theresias, 264-266. 79 De música disserenda XVI/1 • 2020 dazu, anstelle einer einzigen prunkvollen Hochzeitsoper immer vielfältigere Feierlichkeiten zu veranstalten - wodurch überhaupt die Aufführung einer Opera buffa in einem solchen Rahmen möglich wurde - und „ihre Planung und Ausführung immer mehr in die theatralischen Aktivitäten des Berufstheaters" einzubeziehen.32 Unser Fall befindet sich in einer Zwischenphase dieser Entwicklung, denn im Gegensatz zu den darauffolgenden Hochzeiten wurden für Maria Josephas Verlobung und Hochzeit zwei ernste Festopern in Auftrag gegeben, für die vier Sänger eigens nach Wien bestellt wurden (die einzige Ausnahme bildete die in Wien fest angestellte Clementina Baglioni). Gleichzeitig waren diese Opern in einem mehrtägigen Festprogramm eingebettet, genauso wie Galuppis Oper, die hingegen von dem auf Opera buffa spezialisierten Sängerensemble der Wiener Theater-Impresa bestritten wurde.33 Der Aufführungskontext von Il marchese villano in Wien war offensichtlich ein völlig anderer als in Venedig. Konzipiert in Rahmen des kommerziellen Systems der miteinander konkurrierenden Theater der Republik Venedig für ein am Höhepunkt der Karnevalsaison Unterhaltung suchendes, gesellschaftlich gemischtes, maskiertes Publikum, wurde Galuppis Opera buffa in den höfischen Kontext der kaiserlichen Sommerresidenz der Habsburger „verpflanzt", um dort zur Feier der Verlobung einer 16jährigen Tochter der Kaiserin Maria Theresia zu dienen, vor einem Publikum, das aus der kaiserlichen Familie und geladenen Gästen aus dem Hochadel Wiens bestand. Es ist leicht vorstellbar, dass II marchese villano einer gründlichen Bearbeitung unterzogen werden musste, um an den feierlich-repräsentativen Kontext angepasst zu werden. Diese Annahme wird durch die untersuchten Quellen zu Galuppis Oper bestätigt. 32 Vgl. Sommer-Mathis, Tu felix Austria, 4-6. 33 Die Sänger sind im Wiener Libretto nicht namentlich erwähnt, so dass die genaue Besetzung nur teilweise rekonstruiert werden kann: Aus Sonnenfels' Briefen über die Wienerische Schaubühne geht hervor, dass der Tenor Gioacchino Caribaldi als Marchese Giorgino und der Bass Domenico Poggi als Dorfrichter Galerino auftraten, sowie dass Francesco Carattolis Rollen generell „die der Alten" waren und dass er zu „vortrefflichsten Karikaturen" imstande war (Sonnenfels, Briefe, 170), woraus man schließen kann, dass er höchstwahrscheinlich die buffo caricato Rolle des Marchese Tulipano (Giorginos Vater) interpretierte. Naheliegend wäre auch, dass die Sopranistin Clementina Baglioni, die bei der venezianischen Uraufführung die weibliche Hauptrolle (Vespina) gesungen hatte und ab 1766 im Wiener Opernensemble mitwirkte, auch in Wien diese Partie übernahm, denn für die Wiener Fassung wurde keine einzige ihrer Arien ersetzt. In derselben Besetzung traten diese vier Sänger übrigens in Mailand im Juli 1770 in La lavandara astuta auf, dem Libretto nach zu urteilen eine Überarbeitung der Wiener Fassung von Il marchese villano! Aus dem Alt-Register der Belisa kann man schließen, dass Teresa Eberardi, damals die einzige Altistin im Wiener Sängerensemble, diesen Part sang. Die Partie der Dorilla könnte in Wien wie in Mailand von Rosa Baglioni interpretiert worden sein, aber es bestehen dafür, genauso wie für die Besetzung der Nebenrolle des Palamede, keinerlei Hinweise. Dass die Sänger des Ensembles dieses Theaterjahres Buffa-Spezialisten waren, bestätigt auch Leopold Mozart in einem Brief vom 30. Januar 1768 an L. Hagenauer: „[...] für die operabuffa sind excellente leute da: sgr. Caribaldi, Sgr. Caratolj. Sgr. Poggi. Sgr. Laschi. Sgr. Polinj, die Sga: Bernasconj, Sgra. Eberhardi, Sgra. Baglionj." (Schiedermair, Die Briefe, 272-273). 80 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung Die Quellen zu II marchese villano Die für diese Untersuchung relevanten Quellen34 können in zwei Gruppen eingeteilt werden: Die erste umfasst jene Quellen, die die Fassung35 der venezianischen Uraufführung wiedergeben, darunter das venezianische Libretto von 1762 und die bereits erwähnten Partituren P-La, 54-I-17 und 44-VII-41 sowie eine der beiden an der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrten Partituren (A-Wn, Mus. Hs. 18072). Die zweite Gruppe besteht aus den Quellen, die im Großen und Ganzen die Wiener Verlobungsversion von 1767 widerspiegeln, nämlich das Wiener Libretto von 1767 und drei Partituren, von denen in der Folge die Rede sein wird, sowie diverse, in der Österreichischen Nationalbibliothek und dem Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde aufbewahrte Einzelabschriften der Wiener Einlagenummern. Das Wiener Aufführungsmaterial ist - so wie bei den meisten Opere buffe der 1760er und 1770er Jahre - nicht erhalten, allerdings enthält sowohl die Sammlung der Erzherzogin Elisabeth36 als auch die der Königin Maria Carolina - jener Tochter von Maria Theresia, die 1768 anstelle von Maria Josepha schließlich Ferdinand IV. heiratete - jeweils eine Abschrift von II marchese villano (A-Wn, Mus. Hs. 10026 und I-Nc, Rari 6.5.22-23). Überdies ist in der Bibliothek des Brüsseler Konservatoriums eine kleinformatige Studienpartitur von Galuppis Oper aufbewahrt (B-Bc, 2096), eine Seltenheit für dieses Repertoire. Diese drei Abschriften - allesamt in Wiener Kopistenschrift - entsprechen im Großen und Ganzen dem Wiener Libretto von 1767, so dass man trotz einiger Abweichungen im zweiten und dritten Akt37 von einer besonders günstigen Quellenlage sprechen kann. 34 Zur sich in der heutigen Opernforschung natürlich ergebenden Verknüpfung von musikphilologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive am Beispiel von Galuppis Opere buffe siehe Kordula Knaus' Artikel „Musikphilologisches Arbeiten nach der performativen Wende", 234-254. 35 Im vorliegenden Aufsatz wird entsprechend des im Bereich der italienischen Oper des 18. Jahrhunderts nötigen flexiblen Werkbegriffs auch ein „lockerer" Fassungsbegriff vorausgesetzt, der kleine Varianten einschließen kann, wie sie bei den einzelnen Aufführungen derselben Oper im selben Theater innerhalb einer Saison stattfinden konnten. 36 Zur Sammlung der Erzherzogin Elisabeth siehe Eybl, „Die Opern- und Ariensammlung", 260-268. 37 In allen drei Partituren fehlen im Vergleich zum Wiener Libretto vereinzelte Nummern des 2. bzw. 3. Akts, so dass an diesen Stellen Zweifel darüber bestehen, welche Arie tatsächlich am 12. September 1767 erklungen ist. Es sieht danach aus, als seien es Änderungen, die nach dem Druck des Librettos durchgeführt worden sind. Es liegt also nahe, dass alle drei Partituren nach dem Librettodruck, aber vor der Wiener Wiederaufnahme dieser Oper im Jahr 1776 entstanden sind, denn keine der Partituren stimmt mit dem Wiener Libretto von 1776 überein. Die Partitur I-Nc wurde vermutlich von Maria Carolina nach Neapel mitgenommen, stammt also wohl aus der Zeit vor ihrer Abreise am 7. April 1768. In der Partitur der Erzherzogin Elisabeth sind alle Stimmen in Sopranschlüssel notiert und teilweise oktaviert, woraus man schließen kann, dass die Partitur zum Singen gedacht war. Laut Eybl liegt „das Herstellungsdatum der Partituren [aus der Sammlung der Erzherzogin Elisabeth] nahe an den Aufführungsdaten der Opern" (Eybl, „Die Opern- und Ariensammlung", 263). 81 De música disserenda XVI/1 • 2020 Die Wiener Bearbeitung von Il marchese villano Der Vergleich der beiden genannten Quellengruppen38 zeigt, dass Il marchese villano unter den aus Italien nach Wien importierten Opere buffe dieser Zeit zu den am radikalsten bearbeiteten Werken zählt. Beinahe zwei Drittel der musikalischen Nummern wurden für die Wiener Aufführung von 1767 geändert sowie etwa ein Drittel der Rezitative. Dabei wurden alle möglichen Bearbeitungsarten angewendet, von der einfachen Kürzung von Rezitativen und ersatzlosen Streichung einiger Arien zur teilweisen Veränderung von Arienabschnitten, von der Neukomposition ganzer Musiknummern bis hin zur Entlehnung verschiedener Nummern aus fremden Opern. Auch geht aus den Quellen hervor, dass mehrere Personen an dieser umfangreichen Bearbeitung beteiligt waren. Einige der neukomponierten Nummern, deren Texte höchstwahrscheinlich vom Hauspoeten Coltellini geliefert wurden, stammen von einem gewissen Antonio Ferradini, dem damaligen Vizekapellmeister an den Wiener Theatern.39 Der normalerweise für Opernbearbeitungen zuständige Gassmann war in der Zeit vor den Verlobungsfeierlichkeiten wohl mit der Komposition und den Proben seiner Hochzeitsoper Amore e Psiche beschäftigt und dürfte die Umarbeitung der weniger wichtigen Buffa seinem Stellvertreter überlassen haben, dessen Name auch in der Überschlagsrechnung bezüglich der Festivitätskosten aufgelistet ist.40 Trotzdem könnte die sonst unübliche, weil sehr aufwendige Substitution der gerüstbildenden Ensemblenummern (Introduzione, Finale I und II und Liebesduett als Teil des Finalkomplexes des dritten Akts) - ein „Markenzeichen" von Gassmanns Bearbeitungspraxis41 - auf dessen Supervision bei der Adaptierung von Il marchese villano hinweisen. Gassmann dürfte außerdem bei seinem Aufenthalt in Venedig (Herbst 1765 bis Frühling 1766) nicht nur einige Sänger für das Wiener Opernensemble 38 Ein vereinfachter tabellarischer Vergleich zwischen der venezianischen Fassung der Uraufführung und der Wiener Fassung von 1767 ist zu finden in Schraffl, „Historicity and Liberty", 107. 39 Dieser Name ist in den Quellen in verschiedenen Schreibweisen zu finden: Verradini, Ferradini, Feradini, Ferandini, Ferrandini. In einem Brief von 1769 erwähnt Antonio Salieri einen „vice-direttore d'orchestra Ferandini" als Substituten für den verreisten Gassmann (vgl. Mosel, Anton Salieri, 30). Der Autor der Einlagearie des Galerino „Se guardate all'antica propagine" (A-Wgm, VI 17004 / Q 2870) wird als „Ferrandini Milanese" bezeichnet. Es muss sich wohl um den neapolitanischen Antonio Ferradini handeln, der im mailändischen Libretto zu seinem Demofoonte im Jahr 1759 als „Antonio Ferradini Napoletano" erwähnt wird, und der möglicherweise von Mailand nach Wien kommend als Mailänder bezeichnet wurde. Als Anton Feradini scheint er auch in einer Theatralkassenrechnung des Jahres 1765, und zwar als „Instrument Meister wegen accompagnirung auf dem Cembalo bey Proben, und Musikalischen Vorstellungen" auf (vgl. A-OeStA FHKA SUS HZAB 385). 40 A-OeStA FHKA, Kamerale Österreich, rote Nr. 2186, Konvolut 1, Fasz. 67 (Theatralauslagen), Nr. 67. Der Name „Feradini" erscheint hier nach Hasses und Gassmanns Namen unter der Rubrik „Composition der zwey Opern und Orghestra [sic] nebst Comparsen". Der Vizekapellmeister erhielt 100 fl., Hasse und Gassmann hingegen jeweils 825 fl. Ob Ferradini für die Komposition der Rezitative der beiden Festopern oder für die Bearbeitung von Il marchese villano samt Komposition einiger Einlagenummern bezahlt wurde, ist nicht mehr zu eruieren. Sein Name taucht jedenfalls in der endgültigen Abrechnung im Gegensatz zu Hasse und Gassmann nicht mehr auf. 41 Vgl. Grempler, „Ensemblebearbeitungen", 127-145. 82 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung rekrutiert und den jungen Salieri nach Wien mitgenommen haben, sondern möglicherweise auch einige als Einlagen geeigneten Arien entdeckt haben, z.B. „Nel gran di degli sponsali" aus Giovanni Marco Rutinis L'amore industrioso42 (Uraufführung im Herbst 1765 am venezianischen Teatro di San Cassiano). Mehrere Nummern könnten von bestimmten Sängern vorgeschlagen worden sein, beispielsweise die Introduzione aus Rutinis Oper L'Olandese inItalia, bei deren Uraufführung 1765 in Florenz Clementina Baglioni mitge-wirkt hatte, oder die Arie „Gia la morte in manto nero", von Gioacchino Caribaldi bereits in Logroscinos La gelosia (Venedig Herbst 1765)43 während Gassmanns Aufenthalt in Venedig gesungen. Caribaldi könnte auch zwei weitere Nummern vorgeschlagen haben, die er bei der Uraufführung von Paisiellos Lefinte contesse (Rom 1766) interpretiert hatte und ihm vermutlich gut lagen, nämlich die Arie „Giuro a tutti i miei bisnonni" und das Liebesduett „Lenina mia perdono" (für denMarchese villano geändert auf „Vespina mia perdono"). Das Notenmaterial dieser Oper scheint aber nicht Caribaldi selbst, sondern der Kastrat und Komponist Venanzio Rauzzini beigesteuert zu haben,44 der sich gerade in Wien aufhielt, um in Hasses Partenope die Rolle des Filandro und in Gassmanns Amore e Psiche die Rolle des Amore zu singen. Die Wiener Verlobungsfassung von Il marchese villano scheint demnach das Ergebnis einer regelrechten Teamarbeit gewesen zu sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Wiener Einlagenummern - genauso wie die meisten der nach Wien importierten Opere buffe - aus Venedig und Rom kamen, und vor allem dass die meisten aus frisch uraufgeführten Opern (1765-1766) entnommen wurden. Wollte man die doch schon fünf Jahre alte Oper mit möglichst neuer und „moderner" Musik versehen? Die nachfolgende Tabelle bietet eine Übersicht über den Bearbeitungsgrad dieser Wiener Fassung, die angewendeten Bearbeitungsarten und die Komponisten der Einlagen sowie, im Falle der aus fremden Opern entlehnten Nummern, die Informationen zu ihrer Herkunft samt möglicher Vermittler. Jede Wiener Einlage ersetzt eine Nummer derselben Art (Arie, Duett, Introduzione, Finale) und derselben Person aus der venezianischen Vorlage, mit Ausnahme der Accompagnato-Rezitative, die Secco-Rezitative ersetzen, und der Arie des Marchese Tulipano „Questo e il di degli sponsali" (II,3), die an einer anderen Stelle als die dafür gestrichene Arie Tulipanos (II,4) steht. Trotz der radikalen Bearbeitung erfuhr die Opernhandlung in ihren Grundzügen keine Veränderung. Nach dem üblichen Buffa-Erfolgsrezept ist hier eine Wer-heiratet-wen-Geschichte mit dem klassischen Muster der Verlachkomödie kombiniert. In ihren Mittelpunkt steht der Buffa-Topos des lächerlichen, dummen Bauern, der durch Reichtum einen Adelstitel (Marchese) erlangt hat und sich damit brüstet, dennoch von allen aufgrund seiner tölpelhaften Manieren als Bauer (villano) angesehen und ausgelacht wird. 42 Vgl. P-La, 46-III-11, fols. 40v-48v. 43 Vgl. La gelosia, Venezia 1765, I,10, Aria Barone. 44 Siehe die Eintragung „Del Sig:r Raozini" in A-Wn, Mus. Hs. 4232. Paisiellos Le finte contesse basiert auf Pietro Chiaris Libretto Il marchese villano. 83 Tabelle 1 Akt, Unverändert Bearbeitet / gekürzt Ersetzt und neu Ersetzt und aus einer anderen Oper Ersatzlos gestrichen Szene (= Venedig 1762) komponiert (Komponist) entnommen (Herkunft und mögliche Vermittler) Sinfonía (Galuppi, Demofoonte, Venedig 1759; Gassmann in Venedig) I,i Introduzione „La marina che placida freme" (Rutini L'olandese in Italia, I,i, Uraufführung Florenz 1765 mit Cl. Baglioni; Bologna 1766 mit Cl. Baglioni u. Carattoli) Rez. „Dove tenvai Dorilla" Arie Palamede „Se sapeste quanti imbrogli" 1,2 Rez. „Che fortuna Dorilla" Arie Galerino „Mia vaga Dorilla" (Salieri) 1.3 Rez. „Che bei matto" Cavatina Vespina „Se mi vedo alia fontana" Rez. „Donde vieni sorella" Arie Dorilla „C'é per aria un certo intrico" Rez. „Piü che non disse" 1.4 Cavatina Giorgino „Nina cara. Nina bella" Rez. „Stammi dietro tu bestia" Arie Tulipano „Guardami in volto" (G. Scarlatti)? x < 1.5 Rez. „Oh sonben imbrogliato" Arie Vespina „Se fedele a me sarete" Rez. „Venga mió padre adesso" 1,6 Rez. „Quomodocumque" Arie Belisa „Ii passo maestoso" (Rauzzini Autor oder Besitzer des Manuskripts?) Rez. „Mi parerebbe Ibra" 1.7 Rez. „AI márchese mio figlio" Arie Giorgino „Giuro a tutti i miei bisnonni" (Paisiello Lefintecontesse, 1,5, Uraufführung Rom 1766 mit Garibaldi als Giorgino; Rauzzini Besitzer des Manuskripts) 1.8 Rez. „Che bestia di figliuolo" 1.9 Rez. „Vien qua portati bene" Finale „Con permesso" (Ferradini) IIa Rez. „Son pur imbarazzato" Duett Tulipano Giorgino „Quando verrä la sposa" (Ferradini) 11,2 Rez. „Permettete vossustrissima" Arie Galerino „Se guardate all'antica propagine" (Ferradini) II.3 Rez. „Presto Dorilla presto" X Cr> Arie Tulipano „Questo é il di degli sponsali" (Rutini L'amore industrioso, 1,5, Uraufführung Venedig Herbst 1765, Gassmann in Venedig) Rez. „Cosa gli salta in testa" Arie Palamede „Oggidi nascon le femmine"* 11,4 Rez. „Qua presto voi staffieri" Marcia Rez. „Mi curvo" Acc. Rez. „Son colui che figliuolo" 11,5 Rez. „Alto signor padrone" Cavatina Dorilla „Paroncina benedetta" Rez. „A tanti complimenti" Arie Vespina „Che passo terribile" 11,6 Rez. „Sei tu contento adesso" Arie Belisa „Scomodarmi da palazzo" (?) 11,7 Rez. „E la la contessina" 11,8 Rez. „Che nuovo imbroglio é questo" Cavatina a due Vespina Dorilla „Un marito cosi buono" 11,9 Rez. „Cosa faceste voi" 11,10 Rez. „Che si vuole da me" X < Arie Giorgino „Giä la morte in manto nero" (Scolari, Einlage in Logroscino, Lagelosia, I,io, UrautFührung Venedig Herbst 1765 mit Garibaldi als Barone und Eberardi als D. Olimpia; Gassmann in Venedig) Rez. „Sino ad altro mio cenno" 11,11 Finale „Entra qua gente" (Piccinni, La lavan dara astuta?) 111,1 Rez. „Male mi consigliate" Arie Tulipano „Cospetto vo dire" 111,2 Rez. „Che vi dicea il márchese" Arie Beiisa „Preparatevi a servirmi" 111,3 Rez. „Sonben imbarazzato" Arie Palamede „Io questa regola" 111,4 Acc. Rez. „Caspita! Questa é brutta" (Ferradini) Duett Vespina Giorgino „Vespina mia perdono" (Paisiello Lefinte contesse, II, 10, UrautFührung Rom 1766 mit Garibaldi als Giorgino; Rauzzini Besitzer des Manuskripts) Seena ultima Rez. „Cosa centrate voi" Chor „Colla sposa sua novella" Im Libretto Wien 1767 vorhanden, aber in keiner Wiener Partitur zu finden, also möglicherweise im letzten Moment vor oder nach der Premiere gestrichen. De música disserenda XVI/1 • 2020 Der Dorfrichter (podesta), Dottor Galerino, will seine Tochter Belisa mit Giorgino, dem Sohn des Marchese Tulipano, verheiraten. Tulipano hat seinen Sohn allerdings schon einer gewissen Contessa Olimpia di Sarzana versprochen. Giorgino ist jedoch in die Wäscherin Vespina verliebt. Sowohl Belisa als auch Vespina verkleiden sich unabhängig voneinander als die erwartete Contessa, wodurch ein großes imbroglio entsteht. Zum Schluss schafft es die schlaue Vespina, Giorgino zu heiraten, wobei lächerlicherweise der Sohn des aufgeblasenen Marchese villano eine ebenbürtige villana zur Frau nimmt. Die Handlung weist, abgesehen vom obligatorischen Buffa-Thema der Hochzeit, im Vergleich zu den anderen beiden Festopern - Partenope, Neapels Gründungslegende, und die mythologische Liebesgeschichte Amore e Psiche - keinerlei Beziehung zum Anlass ihrer Aufführung auf. Einige Elemente der umfangreichen Wiener Bearbeitung können der spezifischen Neukontextualisierung dieses dramma giocoso zugeordnet werden, andere entsprechen dem üblichen Transfer von Opere buffe italienischer Herkunft in den Wiener Theaterkontext. Die in Wien verwendete Sinfonia stammt aus der 1759 von Galuppi selbst bearbeiteten Fassung seiner Opera seria Demofoonte.45 Der markanteste Unterschied zur Sinfonia der venezianischen Partituren besteht im Vorhandensein von zwei Trompeten, die in Venedig nur in Opere serie eingesetzt wurden, während die Standardbesetzung des Buffa-Orchesters aus Oboen, Hörnern, Streichern und gelegentlich Flöten bestand.46 Die Trompetenstimmen sind in der Sinfonia zwar lediglich in der Partitur der Erzherzogin Elisabeth notiert und tauchen in den übrigen beiden Wiener Partituren nur im zweiten Finale auf, es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass sie in der Verlobungsfassung von Il marchese villano in einigen Nummern mitspielten. Sie bieten nicht nur eine Anreicherung des musikalischen Satzes, sondern fügen klanglich ein festliches, majestätisches Element hinzu. Eine Änderung, die wahrscheinlich gezielt für den Wiener Aufführungsanlass gedacht war, ist der Ersatz von Galuppis Introduzione, ein Lobpreis des Frühlings („Benedetta primavera") im ländlich-frischen P-Takt, mit Rutinis feierlich-langsamer Introduzione aus L'Olandese in Italia. Mehrere Gründe sind für diese Substitution denkbar: Zum einen passte das Frühlingsthema nicht zur Jahreszeit der Verlobungsfeierlichkeiten (September). Die Änderung der Szenenanweisung von einer Landidylle (agnelle al pascolo, casa vil-lereccia) zu einer vista della marina - möglicherweise vom Hof erwünscht - zieht sich in mehreren Szenen des ersten und zweiten Akts durch und spielt vermutlich auf Neapel an. Die schöne Meeresszenerie sollte wohl der Braut ihre zukünftige Heimat schmackhaft machen, die ersten Verse der Oper weisen explizit darauf hin: La marina che placida freme Piu gradito ci rende il soggiorno, L'aura lieve, che spira d'intorno Un piacere piu grato ci fa. 45 Vgl. Galuppi, Demofoonte, P-La, 44-VII-15 bis 17 - für dessen Sichtung Fátima Gomes von der Biblioteca da Ajuda mein Dank gebührt - sowie die Sinfonia-Abschrift in I-Vlevi, CF.C.180. 46 Zur Wiener Tradition der Trompeten-Sinfonia siehe Brown, „Trumpet Overture", 13-69. 88 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung Die feierlich-heitere Ruhe von Rutinis maritimer Introduzione - von der Stimmung her entfernt verwandt mit Mozarts „Soave sia il vento" aus Cosi fan tutte - entsprach vielleicht auch eher der Vorstellung einer Repräsentationsoper an einem kaiserlichen Hof als Galuppis spritziges, volkstümliches P-Takt-Terzett. Rutinis imitatorischer Beginn könnte außerdem den Geschmack von Gassmann getroffen haben, der in seinen Opere buffe diese Technik gemäß der Wiener Tradition öfter als seine italienischen Kollegen verwendete, bzw. von Joseph II., der angeblich eine besondere Vorliebe für Fugen und Fugati von seinem Lehrer Wagenseil empfangen hatte.47 Ein weiterer Ersatz, der wohl mit dem Thema der Hochzeit an einem Küstenort zusammenhängt, ist die Neukomposition des ersten Finale. Hier wird der Auftritt der als Contessa verkleideten Vespina im Rahmen einer Burla aufwendig in Szene gesetzt, denn die vermeintliche erwartete Braut kommt an Bord eines Schiffs an und wird von zahlreichen Booten begleitet: Dorilla: Di Filucche, e Navicelli E [sie] ingombrata la marina, Credo sia la Contessina, Che si viene a maritar. Die Musik des neuen Finale stammt vom Vizekapellmeister Ferradini; entgegen den damaligen Buffa-Konventionen handelt es sich um ein auffällig kurzes, einsätziges Quartett, das durch die ständige Wiederkehr eines einzigen musikalischen Themas charakterisiert ist. Chiaris und Galuppis erstes Finale war hingegen ein mehrsätziges Sextett, ein typisches Kettenfinale, etwa doppelt so lang wie Ferradinis Stück, und beinhaltete einige besonders reizvolle Spiel-im-Spiel-Topoi: Auf die Aufforderung seine Fähigkeiten vorzuzeigen, um der vermeintlichen Contessa zu beweisen, dass er „eine gute Partie" sei, singt Giorgino eine arietta im charakteristischen Versmaß der endecasillabi villottistici mit einer Streicher-Begleitung, die den Gitarrenklang einer Serenade imitiert. Den Wunsch, er möge ein minué vortanzen, verweigert Giorgino, aber im Orchester ist nichtsdestotrotz Menuettmusik zu hören. Der Tutti-Schlusschor hat das ausgelassene gemeinsame Tanzen und Singen alla francese zum Thema und die zweite Hälfte des Chores wird tatsächlich auf Französisch gesungen („Vive l'aimable / Mode toujours, / Vive le noces / Vive l'amour"). Französische Modeelemente wurden in Wien genauso wie andere Frivolitäten in der Regel gestrichen.48 Die Zensur in Sachen Anstand war in Wien - vielleicht auf Wunsch der sehr auf Sittlichkeit achtenden Maria Theresia - wesentlich strenger als in der liberalen Republik Venedig, umso härter muss sie bei der Verlobung der 16jährigen Tochter der Kaiserin gewesen sein. Jede Erwähnung des cavalier servente wurde eliminiert - so könnte sich beispielsweise der Ersatz der Arie der Belisa „Che boria, che altura" (I,6) erklären, in der 47 Zur „Wiener Fugentradition" vgl. Croll, „Anmerkungen", 665. 48 Gestrichen wurden in diesem Sinne sogar kürzeste Abschnitte, beispielsweise wurden im Rezitativ II,5 in Il marchese villano folgende Verse eliminiert: „Anzi non e ben nato / Chi non e nel parlare infrancesato". Ähnliches geschah übrigens auch am Esterhazy'schen Hoftheater (vgl. Siegert, „Opera buffa als spätabsolutistische Repräsentation", 81-84.). 89 De música disserenda XVI/1 • 2020 Flirts mit den cortigiani vorkommen - genauso wie jede erotische Anspielung, weswegen wohl das Liebesduett (III,4)49 ersetzt und etliche Rezitativabschnitte gestrichen wurden. Möglicherweise war die als unschicklich empfundene Frivolität, außer dem Anliegen, die Meeresszenerie in die Handlung einzubauen, ebenfalls ein Grund für den Ersatz des ersten Finale. Einen überdeutlichen Bezug zum Aufführungsanlass zeigt die bereits erwähnte Arie „Nel gran di degli sponsali" aus Rutinis L 'amore industrioso, eine festliche Buffa-Arie des Marchese Tulipano, deren Textbeginn in Wien in „Questo e il di degli sponsali" geändert wurde, vermutlich um noch eindeutiger auf das gerade stattfindende FestEreignis hinzuweisen. Tulipano: Questo e il di degli sponsali Vo' pensare a farmi onor. Dira ognun che nozze eguali Non si videro finor. Corte bandita Sei giorni, e piü Turba infinita Di servitü. Festini, e musica Con giuochi eccetera Tutto il palazzo Faran brillar. L'allegro strepito Delle Carrozze Fara uno spettacolo Particolar. Lacche, che corrono, Cocchier, che gridano Ehi d'avanti...largo qua. Basta dir che in si bel giorno Tutto il mondo godera. Eine direktere Spiegelung des Aufführungskontextes wäre kaum möglich gewesen, kein Wunder, dass diese Arie bei der Wiener Wiederaufnahme von Il marchese villano im Jahr 1776 wiederum ersetzt wurde. In der gesamten Arie wird ein Hochzeitstag beschrieben und verherrlicht; die Standesgleichheit des Brautpaares wird gepriesen sowie die konkreten Festelemente: das sechs Tage währende Bankett, der Dienerschwarm, die 49 Der Text dieses Duetts wurde offenbar im Laufe der venezianischen Aufführungen geändert, denn in der Abschrift P-La, 44-VII-41, die mit Sicherheit nach der Premiere entstanden ist, entspricht der Text dem gedruckten Libretto, in dem Giorgino und Vespina die Szene proben, wie sie dem Marchese Tulipano ihre heimlich vollzogene Hochzeit gestehen werden, während der Text in der Partitur P-La, 54-I-17 und in der nach Wien gelangten Fassung (A-Wn, Mus. Hs. 18072) ab dem zweiten Vers umgedichtet wurde und Amors Schule, das Küssen und die Liebe zum Thema hat. (Für den Vergleich der beiden Textstellen danke ich Fátima Gomes von der Biblioteca da Ajuda.) 90 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung Feste, Musik und Spiele, die Palastbeleuchtung, die lärmenden Wagen, laufenden Lakaien und rufenden Kutscher. Die freudige Stimmung wird in dieser dreiteiligen Arie durch ein schnelles, fröhliches Allegro (A-Teil), einen tänzerischen P-Abschnitt (B-Teil) und einen lärmenden C-Teil, in dem die verschiedenen akustischen Festelemente klangmalerisch vertont sind - das „fröhliche Lärmen der Wagen" (L'allegro strepito delle carrozze) wird beispielsweise durch ständig auf- und absteigende Läufe in den Geigen dargestellt. Die übrigen Ersatzarien weisen keine derart spezifischen Bezüge zum Aufführungskontext auf. Auffällig ist, dass sie mehrheitlich in einem langsamen Maestoso-Tempo und einem feierlichen Ton beginnen: I,4 Arie Tulipano: Andante maestoso 1.6 Arie Belisa: ohne Tempoangabe, aber der erste Vers „Il passo maestoso" dient als Vortragsanweisung 1.7 Arie Giorgino: Maestoso II,2 Arie Galerino: Maestoso comodo II,6 Arie Belisa: Maestoso staccato Die meisten dieser Arien entsprechen dem in der Buffa-Gattung immer wieder anzutreffenden zweisätzigen Arientyp, bei dem im B-Teil sprachlich wie musikalisch auf die Buffo-Stilebene gewechselt wird. In diesen Wiener Einlagearien ist die feierliche Stimmung im A-Teil häufig parodistisch gemeint. Hinweise dafür sind beispielsweise die sonst selten notierten Oboen-Triller in Belisas Arie „Il passo maestoso" (I,6), die den majestätischen Gestus von Galerinos hochnäsiger Tochter in Text und Musik ins Komische kippen lassen, oder die Triller in Oboen, Geigen und Singstimme in Galerinos Arie „Se guardate all'antica propagine" (II,2), die wie ein Augenzwinkern in der unverhältnismäßig langen und pompösen Beschreibungen der edlen Abstammung der vermeintlichen Braut samt Vergleichen mit antiken Göttinnen wirken. In sich ambivalent ist auch die Anweisung „Maestoso staccato" zu Beginn von Belisas Arie „Scomodarmi da palazzo" (II,6), die auf die Lächerlichkeit des pompösen und pathetischen Gesangs hindeutet. Die Häufigkeit des Einsatzes von Parodie und Hyperbel in Text und Musik erweckt den Eindruck, als seien sie lediglich als Mittel eingesetzt worden, um die Diskrepanz zwischen anspruchsvollerer bzw. ernsterer Musik und Buffo-Kontext zu rechtfertigen, ohne den Rahmen der Gattung und der Handlung zu sprengen. Diese Bestrebung mag vielleicht durch den besonderen Aufführungsanlass zusätzlich verstärkt worden sein, entspricht aber einer allgemeinen Tendenz in der Wiener Bearbeitungspraxis von italienischen Opere buffe dieser Zeit.50 Die ersetzten venezianischen Arien sind hier vom Sprach- und Musikstil her wesentlich einfacher und buffohafter gehalten und häufig nur von Streichern begleitet, beispielsweise wird in Tulipanos Arie „Sai che abbiamo un marchesato" (I,4) der Besitz der Familie Tulipano in einer schlichten, raschen und für die Buffa-Gattung typischen Katalogarie aufgelistet. In der Wiener Einlagearie „Guardami in volto e poi" von Giuseppe Scarlatti ist hingegen ein ähnlicher Inhalt mit großem, erhabenem Gestus und einer wesentlich 50 Zur Nobilitierungstendenz in den Wiener Buffa-Bearbeitungen siehe Schraffl und Niubo, „Paisiello's La frascatana"; und Schraffl, „Le pescatrici". 91 De música disserenda XVI/1 • 2020 umfangreicheren, in häufigen Tempowechseln und bedeutungsvollen Fermaten gegliederten Vertonung und mit dem selbstverständlichen Einsatz von Bläsern musikalisch gestaltet. Unklar ist, ob diese Arie eigens vom zu diesem Zeitpunkt in Wien ansässigen Giuseppe Scarlatti komponiert wurde oder aus einer älteren Oper stammt. Sicherer ist hingegen, dass der 17jährige Salieri als Schüler und Gehilfe von Gassmann mit der Komposition der Arie „Mia vaga Dorilla" (I,2 Galerino) zur Wiener Fassung von Il marchese villano beitragen durfte. Auch diese umfangreiche Arie in Moll - es handelt sich um Salieris erste belegte Arienkomposition!51 - ersetzte eine typisch buffohafte Katalogarie, Galerinos Protz-Arie „Che credi che sia". Die Wiener Abneigung gegen die einfachen Buffo-Nummern bzw. die Vorliebe für anspruchsvollere Musik geht auch mit einer allgemeinen Dramatisierungstendenz einher, die sich bei der Bearbeitung von Il marchese villano ab dem zweiten Akt einerseits durch mehrfaches Einfügen von Accompagnato-Rezitativen, andererseits durch einige inhaltlichen Änderungen äußert: Ferradinis Umarbeitung des Duetts in II,2 besteht hauptsächlich in der Umwandlung des Mittelteils in ein Accompagnato-Rezitativ und in der Einfügung eines imitatorischen Einsatzes zu Beginn des dritten Teils. Das lächerliche Kompliment der beiden Marchesi gegenüber der vermeintlichen Braut in II,4 wurde ebenfalls durch Änderung von Secco- auf Accompagnato-Rezitativ dramatisiert. Die Gerichtsverhandlung (II,10), die im venezianischen Libretto dem Buffa-Topos des Prozesses gegen einen dummen, sprachlich unbeholfenen Bauern entspricht, bei dem sich Missverständnisse und Streitereien mit dem Richter ergeben, wurde in Wien seines buffonesken Anteils weitgehend entledigt. Der befangene Richter (Galerino) droht Giorgino mit der Folter und stellt ihn vor die Wahl: entweder die Heirat mit der vermeintlich richtigen Contessa (seiner Tochter) oder die Todesstrafe, woraufhin Giorgino in der tragikomischen Arie „Gia la morte in manto nero" (laut Mus. Hs. 4462 von Giuseppe Scolari), die die venezianische Buffa-Arie „Supponiam che questa sia" ersetzt, sich auf den Tod vorbereitet. Dementsprechend wurde auch das darauffolgende zweite Finale geändert, möglicherweise um den für den Wiener Aufführungsanlass vielleicht als allzu dörflich-derb empfundenen Zank zwischen den beiden vermeintlichen Contesse (Vespina und Belisa), der im Zentrum des venezianischen Finale steht, in einen etwas gesitteteren Streit der Prozessparteien umzugestalten.52 Auch die gesamte Szene III,4 wurde für Wien umgearbeitet und dramatisiert: Während in der venezianischen Fassung Vespina und Giorgino bereits heimlich geheiratet haben, will Giorgino in Wien seine Geliebte verlassen, um dem Todesurteil zu entgehen. Nicht nur das Ersatz-Liebesduett „Vespina mia perdono" stammt aus Paisiellos Le finte 51 Mus. Hs. 4298 „Del Sig.r Antonio Salieri", in Biggi-Parodis Werke-Katalog nicht verzeichnet, vermutlich weil nicht autograph. Für die Wiederaufnahme von Il marchese villano im Jahr 1776 vertonte der in der Zwischenzeit zur Position des Opernkapellmeisters aufgestiegene Salieri diesen Text neu (Mus. Hs. 4505, datiert 1775). 52 Das in Wien verwendete zweite Finale ist Niccolo Piccinni zugeschrieben (siehe dazu die Eintragung „Del Sig:r Piccini" in Mus. Hs. 4225). Der Text entspricht dem zweiten Finale in Piccinnis Oper La lavandara astuta, von der allerdings nur ein Libretto aus Lucca 1772 erhalten ist. Sowohl die MGG als auch das New Grove bezeichnen Piccinnis Autorschaft für dieses Werk als zweifelhaft. 92 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung contesse, sondern wahrscheinlich auch die Idee, dem Duett ein Accompagnato-Rezitativ mit Giorginos Entscheidung zu einem Abschiedsbrief an Vespina voranzustellen, dessen ersten Sätze mit dem Beginn des Duetts übereinstimmen. Während in der venezianischen Fassung schon zu Beginn der Szene der dramatische Knoten durch die heimliche Hochzeit aufgelöst wird und das Liebespaar sich darüber freut - die Szene beginnt mit dem Vers „E fatta, e fatta, allegramente" - wird in der Wiener Version durch die unumgänglich erscheinende Trennung eine weitere dramatische Zuspitzung eingefügt, die sich erst im Laufe des Duetts entspannt, als Giorgino und Vespina wieder zueinander finden. Schlussbetrachtungen: Komplexe Übertragungsprozesse und Veredelung des Buffagenres Im Vergleich zu anderen Wiener Bearbeitungen von Opere buffe italienischer Herkunft, bei denen die Motivationen zu bestimmten Änderungen oft kaum nachvollziehbar sind, ergibt sich im Fall der Verlobungsversion von Il marchese villano ein relativ klares und einheitliches Bild. Die gemeinsamen Bestrebungen aller an der Bearbeitung beteiligten Personen scheinen auf eine Hebung des musikalischen und dramaturgischen Niveaus der Oper hinausgelaufen zu sein, um dem feierlichen Aufführungsanlass am Wiener Kaiserhof zu entsprechen. Die Berücksichtigung der besonderen Fähigkeiten der Sänger war wohl bei der Auswahl bzw. Neukomposition der einzelnen Einlagearien eine Selbstverständlichkeit, aber solche pragmatischen Gründe, die häufig zur Erklärung der Bearbeitungspraxis der italienischen Oper des 18. Jahrhunderts herangezogen werden, scheinen nicht im Vordergrund dieser umfangreichen Adaptierungsarbeiten gestanden zu sein. Vielmehr zeigt die Untersuchung des Wiener Marchese villano als Ergebnis eines kulturellen Transfers, dass hier mehrere Übertragungsprozesse zusammengeflossen sind: Einerseits der gewöhnliche Operntransfer von Venedig nach Wien, andererseits der Übergang von den öffentlichen Theatern der venezianischen Republik, in denen die Oper hauptsächlich zur Unterhaltung diente, zum spezifischen Kontext der Verlobungsfeierlichkeiten einer Kaisertochter mit einem neapolitanischen König am Habsburger Hof, wo dieselbe Oper zusätzlich eine repräsentative Funktion hatte. Viele der eingesetzten Mittel, die strenge Zensur von moralisch zweifelhaften Inhalten oder Ausdrücken, die Dämpfung der allzu buffonesken Szenen und die Tendenz zu größerer Ernsthaftigkeit scheinen einem allgemeinen Wiener oder sogar im deutschsprachigen Raum verbreiteten Usus53 bzw. einer vom Hof vorgegebenen Linie zu entsprechen, wie 53 Vgl. auch Grempler, „Unter den Augen Metastasios", 203. Saskia Woyke bemerkt die Tendenz zu größerer Ernsthaftigkeit und zur Entfrivolisierung auch in den späteren Bearbeitungen und deutschen Übersetzungen von Paisiellos L'amor contrastato und bezeichnet sie als charakteristisch für den deutschsprachigen Raum, denn „[...] dies paßt zu über Jahrhunderte hinweg tradierten, noch heute existenten Vorurteilen sowohl von italienischer als auch deutscher Seite, wonach dem Norden Tiefgründigkeit, dem Süden aber Fröhlichkeit attestiert wird." (Woyke, „,Nel cor piu non mi sento'", 321). 93 De música disserenda XVI/1 • 2020 auch indirekt aus einer Bemerkung von Joseph II. bezüglich der 1771 nach Wien importierten Opera buffa Don Chisciotte von Giovanni Paisiello hervorgeht: Don chichotte a enfin paru hier pour la premiere fois, la musique est assés jolie, et il y a une quantité de boufoneriess, si entossés les unes sur les autres, qui a la fin enuyent. Gasman y a du mettre plusieurs airs.54 Dass bei den Wiener Opere buffe „die ausgelassene Lustigkeit der Italiener nur selten erreicht" wird, hatte schon Hermann Abert im Zusammenhang mit Gassmanns Werken bemerkt.55 Auch der Vorzug für eine anspruchsvollere, teilweise feierliche Musik ist nicht allein auf den festlichen Anlass, sondern wohl auch auf eine allgemeine Geschmacksrichtung zurückzuführen. Jedoch sind die Eliminierung vieler Buffa-Topoi, die Erhöhung der Dramatik durch den ungerechten Prozess, das Todesurteil und die Verzögerung des dénouement und vor allem die Tatsache, dass sich diese Art von Änderungen durch die gesamte Oper durchziehen, doch eher untypisch für die damaligen Wiener Buffa-Bearbeitungen, was darauf hindeutet, dass - auch unabhängig von den spezifischen Anspielungen und Bezügen zum Aufführungskontext - eine für den höfischen Kontext bestimmte Oper eine besondere Behandlung erfuhr. Eine vergleichbare Wiener Hochzeitsfassung ist die von Martina Grempler untersuchte Bearbeitung von Sacchinis L'isola d'amore, einer Opera buffa, die 1769 zur Hochzeitsfeier der Erzherzogin Maria Amalia aufgeführt wurde.56 Auch hier scheinen die Wiener Einlagen - in diesem Fall allesamt von Gassmann komponiert - einem übergeordneten Konzept zu folgen, auch hier wird das inhaltliche Motiv der Hochzeit betont, auch hier finden sich Anspielungen auf den realen Aufführungskontext, auch hier werden Trompeten eingesetzt. In L'isola d 'amore fügte Gassmann allerdings entgegen jeder Buffa-Konvention mehrere Chöre und Tänze ein, deren Anwesenheit und deren sprachlicher Duktus an die Gattung der Festa teatrale erinnern. Diese regelrechte Hybridisierung zwischen Opera buffa und Festa teatrale ist damit zu erklären, dass 1769 keine eigene Hochzeitsoper in Auftrag gegeben wurde, so dass L'isola d'amore die Funktion einer Festoper übernehmen musste. Im Falle von Il marchese villano war eine solche Hybridisierung nicht nötig, denn Galuppis Buffa wurde zwischen zwei eigens in Auftrag gegebenen Festopern - Partenope und Amore e Psiche - aufgeführt und diente möglicherweise nicht nur zur Abwechslung sondern auch zur „Auflockerung" des Festprogramms. Obwohl die Grenzen der Gattung hier grundsätzlich gewahrt wurden und die Bearbeitung keine Verschiebungen der allesamt 54 Brief von Joseph II an seinen Bruder Leopold, 1. August 1771, A-Whh, Familienarchiv, Sammelbände, Kart. 7. 55 Abert, Mozart, 457. 56 Vgl. Grempler, „Courtly Representation Play". Übrigens konnte ich in einem Bericht in der Gazette françoise litteraire de Vienne den endgültigen Beweis finden, dass es sich bei der „petit Opera Italien" tatsächlich um L'isola d'amore handelte: „La Cour a fait donner gratis les Spectacles de cette ville à l'occasion du prochain mariage de Madame l'Archiduchesse Amélie avec l'Infant Duc de Parme. [...] On a donné à l'autre Théatre pour la premiere fois l'Isola d Amore, petit opera Italien en deux Actes, orné de son Spectacle & de décorations fraîches & galantes [...]." (Gazette françoise litteraire de Vienne 25, 23. Juni 1769, 398-399). 94 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung im Buffo-Bereich bleibenden Rollentypen bewirkte, wurden die Gattungscharakteristika durch die radikalen Eingriffe in das Werk teilweise verwischt. Bezeichnenderweise wurde auf der Titelseite von Maria Carolinas Partitur in Neapel - vermutlich von ihrem maestro di musica Pasquale Cafaro - die Gattungsbezeichnung „opera semiseria" nachgetragen.57 Obwohl im Vergleich zur venezianischen Fassung weder echte mezzo-carattere-Arien noch Rollentypen dieses Fachs noch sonstige sentimentale Elemente eingefügt wurden, muss aus neapolitanischer Perspektive offensichtlich insgesamt der Eindruck eines „mittleren" Genres oder einer Mischgattung entstanden sein.58 Diese Bezeichnung trifft zwar nicht zu, da die Wiener Bearbeitung streng genommen weder formal noch inhaltlich eine Verschiebung hin zu einem dramma semiserio bzw. keine wirkliche Hybridisierung mit der ernsten Gattung zur Folge hatte. Höchstens der potentiell tragische Ausgang der Handlung könnte als semiserio -Element und der Einsatz von feierlicher Musik im Buffo-Kontext als Genremischung verstanden werden, allerdings stehen beide Elemente im Zeichen der Parodie. Denkbar wäre, dass der Komponist und Musiker Pasquale Cafaro diese Klassifizierung nur aufgrund des musikalischen Stils unabhängig von Text und Handlung vornahm. Jedenfalls ist nachvollziehbar, dass durch das Wegfallen vieler genuiner Buffa-Elemente, durch die Einfügung einer Sinfonia aus einer Seria-Oper, durch die Hebung des Sprachstils, durch die Streichung typischer Buffa-Arien und den Ersatz des ersten Finale mit einem für die Gattung untypischen, kurzen und klein besetzten Ensemble sowie durch die erhöhte Anzahl von Accompagnato-Rezitativen die Erkennbarkeit der Buffa-Gattung gewissermaßen abgeschwächt wurde. Möglicherweise wurde das Werk an die Vorstellung, die man in Wien bzw. am Wiener Kaiserhof von einer Opera buffa hatte, angepasst. Der „Wiener Erzkritiker Sonnenfels"59 hatte jedenfalls in seiner Anklage gegen „den Geschmack der Nation"60 keine Schwierigkeiten, Il marchese villano in der Wiener Verlobungsfassung als eine typische Opera buffa zu erkennen, denn in seiner scharfen Kritik gegen das „wälsche Singspiel" wählt er ausgerechnet dieses Werk als Beispiel für „so eine Aftergeburt des Witzes und der Thorheit"61 - vielleicht um dadurch die Aufmerksamkeit der Herrscher zu erregen und ihre Repertoire-Wahl zu beeinflussen. Sonnenfels' abfällige Beurteilung ist hauptsächlich auf das Libretto bezogen, das aus seiner aufklärerischen Perspektive lauter „Narrheit" und „Unsinn" enthält, während der Stoff potentiell für eine „bessernde Satire" sehr geeignet gewesen wäre.62 Indirekt kritisiert er aber auch die Interpretation der italienischen Sänger, wenn er schreibt, dass Domenico Poggi als Galerino „[...] der einzige [war], der aus den Schranken des Scherzhaften nicht in das Possenhafte übertrat".63 Dass das Ziel der italienischen Librettisten Lachen und Unterhaltung ist, entspricht nicht 57 Vgl. I-Nc, Rari 6.5.22-23, fol.lr. 58 Zur heiklen Gattungsdefinition der Opera semiseria siehe Jacobshagen, Opera semiseria, 12-35. 59 Hadamowsky, Wien: Theatergeschichte, 286. 60 Sonnenfels, Briefe, 151. 61 Ibid., 143. 62 Ibid., 144: „Es liegt sogar unendlicher Anlaß zu bessernder Satire darin, auf die lächerliche Titelsucht, auf ungleiche Heurathen, auf den Stolz des Adels selbst. An alles das denkt der Wälsche nicht - Lehren? Satire? Ganzes? Possen! Er will lachen machen [...]." 63 Sonnenfels, Briefe, 174. 95 De música disserenda XVI/1 • 2020 Sonnenfels' Vorstellung von Musiktheater, das seiner Meinung nach eine Bildungsfunktion haben sollte. In der Musik der Opera buffa - als Komponisten nennt er Galuppi, Piccinni und Gassmann - entdeckt er hingegen viel Schönheit.64 Interessanterweise ist im Wiener Libretto als Komponist nur Galuppi angegeben, obwohl in der Wiener Fassung etwa zwei Drittel der musikalischen Nummern von anderen Komponisten stammten, d.h. Sonnenfels musste wohl Galuppi für den Autor der gesamten Musik gehalten haben. Ob ihm Galuppis Originalmusik gefallen hätte? Die eigens für den Wiener Aufführungskontext durchgeführte Bearbeitung dürfte jedenfalls seinen musikalischen Geschmack getroffen haben. Sonnenfels pedantische Meinung wurde von weiten Teilen des Wiener Publikums offenbar nicht geteilt, die italienische Opera buffa war in Wien sehr beliebt, das bestätigt zu Beginn des Jahres 1768 nicht nur Sonnenfels65 selbst, sondern beispielsweise auch Leopold Mozart.66 Die Buffa-Modewelle hatte auch Wien erfasst, aber offensichtlich herrschte in der Hauptstadt des Habsburger Kaiserreichs eine andere Erwartungshaltung gegenüber einer Opera buffa vor als in der Republik Venedig. Aus den massiven Bearbeitungen von Il marchese villano kann man schließen, dass am Wiener Kaiserhof vielleicht nicht gerade Sonnenfels' strenger Bildungsanspruch, aber doch der Wunsch nach Unterhaltung auf einem gehobeneren Niveau vorherrschte. So bestand der Transfer dieser Oper von ihrer Ausgangskultur in den Zielkulturraum Wien nicht in einer einfachen Übertragung, sondern in einem komplexen Integrierungsprozess. Das kreative Ergebnis dieser produktiven Rezeption war selbst wiederum Gegenstand weiterer Transferprozesse, denn die Wiener Verlobungsversion wurde nicht nur in Wien 1776 (beinahe unverändert) wiederaufgenommen, sondern diente auch in Mailand 1770, Turin 1770, Stuttgart 1770 und Florenz 1776 als Basis für weitere Bearbeitungen und Aufführungen, woraus hervorgeht, wie vielfältig verzweigt die Wege und Wechselbeziehungen im Operntransfer des 18. Jahrhunderts waren. Anhang Libretti zu Il marchese villano 1762 Venedig, I-Rsc, 13458 64 Ibid., 163-164: „Der Frazendreher thut weiter nichts, als den Pult halten, wo ein Gualuppi [sic], Piccini, oder Gasmann ihre Musikalien auflegen: oder ohne Gleichniß weniger witzig, aber von allen Seiten vielleicht richtiger gesprochen: der Dichter der Buffa, legt nur die verschiedenen Anlässe an, nach welchen der Verfasser der Musik unserem Gehöre Vergnügen verschaffen soll. [...] Der Tonkünstler wird Dichter für das Ohr, und legt Schönheiten hinein, von denen sein vorbereitender Handlager nie eine Ahndung gehabt; und oft, weis er selbst die handgreiflichsten Ungereimtheiten des Schriftstellers sich zu Nutz machen, und in Schönheiten zu verwandeln, so, daß man es der Unschicklichkeit des Dichters einigermassen Dank weis, weil wir ohne dieselbe diese Schönheiten hätten entbehren müssen." 65 Sonnenfels, Briefe, 159: „[...] die wälschen Singspiele [...], welche, so beliebt sie bey jedermann sind [...]." 66 In bereits zitierten Brief vom 30. Januar 1768 an L. Hagenauer berichtet Leopold Mozart, dass Wolfgang eine Oper für die Wiener Theater schreiben soll und präzisiert: „Es ist aber keine opera seria, den es wird keine opera seria mehr Itzt; und man liebt sie auch nicht, sondern eine opera buffa" (Schiedermair, Die Briefe, 272). 96 Ingrid Schraffl: Kulturtransfer durch Bearbeitung 1762 Bologna, I-Bc, Lo.1895 1764 Mailand, I-Mb, Racc.dramm.6065/03 1766 Prag, CZ-Pu, 002030455 1767 Wien, A-Wn, 641432-A.13,9, A-Wst, A-15114 1770 Mailand, I-Rn, 35. 5.K.17.2 1770 Turin, I-Bc, Lo.6672 1770 Stuttgart, D-Sl, Fr.D.oct.K.232 1772 Lucca, I-Baf 1776 Wien, F-Pn, YD-5497 1776 Florenz, I-Rsc Partituren zu Il márchese villano A-Wn, Mus. Hs. 10026 (Wiener Abschrift) A-Wn, Mus. Hs. 18072 (Wiener Abschrift mit venezianischen Einlagen) B-Bc, 2096 (Wiener Abschrift) I-Nc, Rari 6.5.22-23 (Wiener Abschrift) P-La, 44-VII-41 (venezianische Abschrift, Kopist: Giuseppe Baldan) P-La, 54-I-17 (venezianische Abschrift, Kopist: Giuseppe Baldan) Einzelpartituren der Wiener Einlagearien A-Wgm, VI 17004 / Q 2870: Ferrandini, Se guardate all'anticapropagine A-Wn, Mus. Hs. 4209: Paisiello, Vespina mia perdono A-Wn, Mus. Hs. 4225: Piccini, Entra qua gente A-Wn, Mus. Hs. 4232: Raozini, Il passo maestoso, Giuro a tutti i miei bisnonni A-Wn, Mus. Hs. 4252: Rodini, La marina che placida freme, Questo é il dl degli sponsali A-Wn, Mus. Hs. 4298: Salieri, Mia vaga Dorilla A-Wn, Mus. Hs. 4328: Scarlati, Guardami in volto epoi A-Wn, Mus. Hs. 4342: Verradini, Con permesso A-Wn, Mus. Hs. 4343: Verradini, Quando verra la sposa A-Wn, Mus. Hs. 4344: Verradini, Caspita! Questa é brutta; Paisiello, Vespina mia perdono A-Wn, Mus. Hs. 4462: Scolari, Giá la morte in manto nero Vergleichslibretti La gelosia, Venezia 1765, I-Vcg, CORRER S. SAMUELE 173 L'amore industrioso, Venezia 1765, I-Mb, Racc.dramm.4413 L'olandese in Italia, Firenze 1765, I-Bc, Lo.4870 Le finte contesse, Roma 1766, I-Rsc Vergleichspartituren Galuppi: Demofoonte, P-La, 44-VII-15-17 Galuppi: Sinfonia, I-Vlevi, CF.C.180 Galuppi: Aria Supponiam che questa sia, B-Bc, 3922 Paisiello: Le finte contesse, I-Nc, 32.2.5-6 Rutini: L 'amore industrioso, P-La, 46-III-11 97 De música disserenda XVI/1 • 2020 Rutini: L'olandese in Italia, D-Dl, 3329 F 501 Zeitungen Gazzetta veneta 97, 6. Februar 1762. Supplement a la Gazette de Vienne 72, 9. September 1767. Gazette françoise litteraire de Vienne 25, 23. Juni 1769. Literatu rverzeichnis Abert, Hermann. W. A. Mozart. Neubearbeitete und erweiterte Ausgabe von Otto Jahns Mozart. 6. Aufl. Tl. 1. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1923. Antonicek, Theophil. „Österreich: Ein gelobtes Land der italienischen Musik". 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Ozadje nastanka in prve izvedbe, pogojen s komercialnim sistemom javnih gledališč v Beneški republiki, se od okoliščin ciljne kulture precej razlikuje, saj je bila opera na Dunaju izvedena ob praznovanju zaroke avstrijske nadvojvodinje Marije Jožefe s kraljem Ferdinandom IV. Bourbonskim. Vprašanja, kdo je za dunajsko izvedbo izbral prav Gallupijevo opero, do zdaj ni bilo mogoče jasno odgovoriti. Nepojasnjene ostajajo tudi poti, po katerih je delo prispelo na Dunaj. Po pregledu ohranjenih virov sledi primerjava glasbeno-dramatičnih vidikov beneške praizvedbe z radikalno predelano dunajsko verzijo opere II marchese villano. Slednja se izkaže za rezultat kreativnih procesov kulturnega transferja. Čeprav se v nekaterih elementih predelave kot vsesplošna tendenca dunajskih predelav opere buffe zrcali stroga cenzura moralno dvomljivih vsebin in blažitev vse preveč bufonističnih scen, je druge značilnosti mogoče razložiti z okoliščinami izvedbe ob dvornih slovesnostih: uvedba resne in slovesne glasbe, uporaba simfonije iz opere serie, izločitev številnih komičnih elementov, povišano število accompagnato recitativov ter tudi splošna okrepitev dramatičnega momenta. Opera je bila na Dunaju v želji po razvedrilu v dvornih okvirjih deležna prav posebnega pristopa. Iz značilno beneške opere buffe je po celovitem procesu predelave nastalo delo za slovesno in reprezentativno izvedbo na dunajskem cesarskem dvoru. 101