J/ftyJTfy. mm*, rcf 7 Semilasso's Deltgang. Vom nemlichen Verfasser erscheint noch im Lauft dieses Jahres: vorletzter ^Veltgang von Traum und Wachen. Erster Theil. Un Gnropa. Dritte Abtheilung. Enthaltend des Verfassers fernere Reise in Süd-Frankreich bis zu seiner Einschifwng nach Afrika. Jugend? NManderungen. Aus meinen Tagebüchern; Für mich und Andere. Semilas««'« vorletzter Weltgang. i vorletzter Weltgang von H e m i I a O s o. Mraum und Wachen. Aus dcn Papicrcn des Verstorbenen. Erster Theil. 3n Guropa. Erste Abtheilung. Mit Künigl. Nürttemd. P iiv ileg tuM< Stuttgart. HaIlbcrger' sche Vcrlagshandlunq. t 8 3 5. Vorwort des Iiertassers. Wem der umstehende Titel nicht ganz deutlich erscheinen sollte, dem diene so viel zur Erklärung: Semilasso scheint ein aus dcm Lateinischen gcrmamsutcr Name zu seyn, wie vor hundert Jahren die Gelehrten ihre deutschen Namen lateimsirtcn; oder vielleicht ist cs auch eine Anspielung auf das Wort Lasso, welches in Südamerika die Schlinge bedeutet, mit der man Pferde IV und Nindvieh, auch Menschen und wilde Thiere zu fangen pflegt. Das ungewöhnliche Wort Weltgang ist aber nach Analogie der Worte: Kirchgang, Spazier-gang, Frohngang u. s. w. zu verstehen. Traum und Wachen erklärt sich von selbst, oder vielmehr gar nicht, was auf eins heraus kömmt. Algier den 1. Januar 1833. Nachschrift der Herausgeber. Obiges, mit einem Convolut Papiere, theils Brich-, theils Tagebücher, theils Aufsätze andrer Form enthaltend, die der Verfasser in scincr etwas eigenthümlichen Sprache, ftls Anschauungen, Bilder, Ucbergänge und Aufgefangenes bezeichnet — ist uns von demselben wohldurchstochcn und durchräuchert auf einem großen Umweg zugesandt VI worden, mit der kurzen Weisung: Alles nach Gutdünken zu ordnen, in ein zusammenhängendes Ganze zu verschmelzen und mit so wenig Druckfehlern als ,'n Deutschland möglich sey, drucken zu lassen. Der Verfasser, indem cr uns dieses Onus aufbürdet, versichert, sich entschuldigend, daß es ihm selbst zu cincr solchen Arbeit erstens ganzlich an Zeit fehle, cr aber auch zweitens, da die Blume der deutschen Critiker behauptet, daß cr kein Vuch zu machen im Stande sey, zu viel Höflichkeit besitze, um seinem Landsmann ein so formelles Dementi geben zu wollen. Vll Da wir nun sehr fürchten, in dieser schweren Kunst, ein Buch zu machen, eben so wcnig Gcschicklichkcit zu besitzen, als unser Correspondent, so bitten wir im Voraus ein geneigtes Publikum um doppelte Nachsicht, dcnn wir wissen es wohl: die beiden grosicn Leipziger Messen setzen zwar jahrlich eine Menge Wesen in die Welt, die man im gemeinen Leben Bücher nennt, wenn man sie aber bei Lichte betrachtet, sind es nur Buchgespenster. Einmal entlarvt, ist ihr Loos so schrecklich als das der Verdammten des Dante. Nn speian2ia! sie bleiben verurthcilt bis zum letzten Moment ihres Daseyns als Tüten und Maculatur unchcrzuspucken, und sich zu den gräßlichsten Dingen gebrauchen zu lassen. Einen großen Vorzug haben wir allerdings dadurch, daß wir auf starkes Velin gedruckt werden, worein sich ignoble Waare schlccht einwickelt, und so gleichsam von Geburt schon zu den aristokratischen Vüchcrn gehören. Sollte uns nun in fernen Zeiten auch wirklich einmal cin Unglück begegnen, so dürfen wir doch boffcn, daß es sich nicht weiter erstreckt, als zu Papilloten für die glänzenden Haare einer reizenden Brünette oder Blondine ver-braucht zu werden. Diesen lieblichen Wesen IX legen wir aber schon jetzt vertrauensvoll unser bescheidnes Werk zu Füßen, widmen es ihnen hiermit feierlichst und flehen eben so demüthig als feurig, uns ihren Schutz und ihre Gunst zu schenken. Um einige Ordnung in die uns anvertrauten Fragmente zu bringen, denen, wie wir vernehmen, noch mehrere folgen sollen, theilen wir sie in drei Rubriken ab, unter der Benennung: Chronik; Briefe; Reise-Journal; welche wir, wie sich eben der Stoff dazu paßt und darbietet, in chronologischer Folge mit einander abwechseln lassen. Fände sich Etwas, das X unter keine dieser Abtheilungen rangirt werden könnte, so werden wir es besonders als Episode bezeichnen. Dem Plane nach soll der erste Theil von Europa, der zweite von Afrika, der dritte von Asien und dcr vierte von Nußland (das man füglich als einen Wclttheil für sich betrachten kann) handeln. Es wird nur darauf ankommen, wie weit unser Ominis vn^NALur aushält. Norddcutschlaud im Jahre 1833. Die pribilegirte geheime Tilnlargeöellsrhakt ju Vll'breilulüi unschuldiger VürlM in M___«. C h r o n i k. Ein reicher hebräischer Sterndeuter sagte vor cincm Jahre im Morgcnblatt: cs sey, um unzähligen Weitläufigkeiten zu begegnen, auf Reisen stets am zweckmäßigsten, vier Postpferde vor seinen Wagen spannen zu lassen. Ohne Zweifel hatte der Reisende, welchen wir eben gegen Sonnenuntergang durch den weiten Fichtenwald zwischen Tharand und Freiberg fahren fth^li — cin Wald, welcher romantische Schönheit mit Cotta'schcr Mustcrwirthschaft vereinigt,— ohnc Zwcifcl, sage ich, hatte jener l2 Reisende die Maxime des Astrologen sich zu Nutze gemacht, denn vier Postgaule Zogen seinen eleganten Wagcn mit einer Schnelligkeit dahin, die vermuthen ließ, daß ein bedeutendes Trinkgeld dcs Postillons sächsisches Phlegma besiegt habcn müsse. Indem wir aber den Wagen näher betrachteten, schlössen wir, dasi der Herr desselben zn den Originellen gehören müsse. Es ist bekanntlich, seit Walter Scott uns diesen Kunstgriff gelehrt, unerläßlich geworden, dergleichen bis ins kleinste Detail zn beschreiben, doch wollen wir imsrc Schuldigkeit mit Maß vcrrichtcn. Besagter Wagen also war cin schmaler Vi« 3 v!^ nur Naum für zwei sich gegenübersitzende Personen gewahrend, schimmernd schwarz lackitt, nnd das Gestell einfach mit breiten goldgelben Streifen abgesetzt. Das Innere finden wir mit ungewöhnlich großcn, spiegelhellen Glasfenstern versehen, mit himmelblauer Seide ansgeschlagen und zierlich mit schmalen goldnen Schnnren nnd Quasten geschmückt. Noch entbehrt cs jedoch ganz des 13 Vi« 5 V15, zu dem cs bestimmt scheint, denn es isi völlig leer, bis auf eine grüne, Perrüsche, die in cmcm festgemachten Vaner in der Ecke sitzt, und cin kleiues Windspiel, das auf dem Tcppich schlaft. Dagegen sehen wir den vorderen und hinteren Bock besetzt. Den letzteren nimmt ein schöner, blondgelockter, junger Jäger cin; anf dem vorderen erblicken wir den Herrn des Wagens selbst/ Wir dürfen dem Leser nicht verbergen, wic cs leicht möglich seyn konnte, daß wir mit diesem Manne durch mehrere Bande hindnrch zu thun bckämcn, und wir glauben uns daher befugt, ihn wenigstens eben so gcnan als seinen Wagen abzumalen. Es war cin Mann von hoher Statur, dem Anschein nach reichlich bei der Halste seines Lebens angelangt, eine schlanke, wohlgeformte Gestalt, die jedoch physisch mehr Zartheit als Starke, mehr Lebhaftigkeit nnd Gewandtheit als Festigkeit verrieth. Eine nähere Betrachtung zeigte 1 l dabei auf dm ersten Blick, daß bei dcm vorliegenden Individuum das Ccrcbralsystcm besser als das Ganglieusystcm ausgebildet scy, und die, intellectuellen Eigenschaften die sogenannten thierischen überwogen. Ein Phrcnolog würde sogar bald daraus geschlossen haben, da st diesem Sterblichen vom Schöpfer etwas mehr Kopf als Herz, mehr Imagination als Gefühl, mehr Nationalismus als Schwärmerei zugetheilt, und er folglich nicht zum Glück bestimmt worden sey. — Jeder aber, dem einige Weltkenntuiß eigen, mußte erkennen, daß der Fremde in demjcuigcn Stande geboren und erzogen sey, den man übereingekommen ist, den vornehmen zu nennen. Seiuc Züge, ohne schon und noch weniger regelmäßig zu seyn, wareu dennoch fein, geistreich und auffallend, so daß mau sie, ciumal gesehen, nicht leicht wieder vergaß. Wcun sie einen Reiz ausübten, so lag dieser besonders in ihrer außerordentlichen Beweglichkeit. Bei wenig Menschen waren die Augcu ein treuerer Spiegel der jedes- 15 maligcn Seelenstimmung, und man konnte sic in Zeit weniger Secunden matt, abgestorben, farblos werden, und dann plötzlich wieder mit dem Glanz der Sterne fnnkeln sehen. Der permanenteste Ausdruck dieser Züge war jedoch eher leidend zu nennen, ein sonderbares Mittelding zwischen schwermüthigcm Nachdenken und sarkastischer Bitterkeit, das selbst dem Doctor Faust nicht übel angestanden haben wurdc. Doch glauben wir, daß unser Freund mit diesem nicht allzuviel Aehnlichkcit hatte, vielmehr ein großer Theil weiblichen Elements in ihm vorherrschte, daher er auch weichlich und eitel, und dennoch großer Selbstüberwindung und Ausdauer fähig war. Sein größtes Glück lag in den Freuden der Einbildungskraft, iu den Kleinigkeiten des Lebens. Der Weg, nicht das Ziel, war sein Genuß, und wenn er kindlich Bilder zusammensetzte nnd mit bunten Seifenblasen spielte, war er am liebenswürdigsten für Andere und am genußreichsten für sich selbst. 16 Wahrend wir den Gegenstand nnscrer Aufmerksamkeit, ohne dasi cr es ahnet, so scharf analysircn, hat cr sich ebcn rccht gracicus zurückgelegt nnd schaut mit seiner Lorgnette in den Wald, als wenn cr nns dort cntdccken wollte. Sein nicht mehr allzuvollcs schwarzes Haar (böse Zungen behaupten, es sey gefärbt) dringt unter einem rothen Tunesischen I^'e^ hervor, dessen lange blaue Quaste lustig im Winde flattert. Um den Hals ist nachläßig ein bunter Eafhcmirshawl geschlungen, und die hohe weiße Stirn, das blasse Gesicht, passen gut zu dieser halb-türkischen Kleidung. Ein schwarzer iniü!^ lro^co^t mit reicher Stickerei von gleicher Farbe besetzt, Pantalons von Nankin, und leichte Stiefeln, deren Lack wie polirtcr Marmor glänzt, vollenden die etwas pretenziösc Toilette — und nun ist cs wenigstens unsere Schuld nicht, wenn unsere reizenden Leserinnen sich nicht die deutlichste Vorstellung von dem Weltgangcr machen können, der anf ihre Begleitung hofft. 17 Sciu Bild eilt zwar jetzt schnell an uns dahin, doch finden wir in wenigen Tagcn das Original in Carlsbad wieder, wo dic Saison ein buntes Gewühl Gcsnnder nnd Kranker, Reicher und Armer, Hoher und Geringer ans allen Landern zusammen zn würfeln beginnt. Scmilasso sitzt am Schreibtisch, und wir bemächtigen uns cines der von ihm gcschricbncn Briefe. Er scheint für einen Jugendfreund bestimmt, und wird uns hinlänglich vom Anfang unterrichten, dem wichtigsten Gegenstand bei allen Dingen, dic cincn haben. Vemilasft. l. 2 18 Nrsler Vriet. A.N den Herrn Gbristcn von w... «Tarlsbad den 20'«» Mai »834. Es gehört mcin ercmplarischcs Pflichtgefühl, meine nicht zu erschütternde Gewissenhaftigkeit, gegebne Versprechungen zn erfüllen, dazu, lieber W.....— um die geistige und körperliche Ab-spannnng zu besiegen, die mich schon lange gefangen hält, und mir selbst den Brief an einen Freund zur schwersten Arbeit umwandelt. Es giebt solche fatale Stimmungen, doch, so wic ich 19 wich immcr ohne Hunger zu Tisch setzc, und dann dennoch cincm guten Koch alle Ehre mache, so geht es mir auch am Schreibtisch. I/appi^it viont ou mi>i,goiuil, nnd Alles, was ich wünsche, ist daher nur, daß Sie beim Lesen meines Briefes dasselbe von sich zu sagen Ursach finden mögcu. Viel kann ich Ihnen indeß, schon der Natur des Stoffcs nach, jetzt unmöglich vorsetze». Bis wir das Allbekannte im Nucken haben, müssen Sic sich mit dem Frugalsten begnügen. Doch will ich als guter Deutscher ul> ovo beginnen. Mcinc Abreist fing schon an, die Fabcl der ganzen Gegend zu werden, denn seit acht Monaten kündigte ich sic jede Wochc als definitiv au, mit dem festen Vorsatz sie zu bewerkstelligen, und fortwährend ward ich, wie durch einen neckenden Zauber, daran verhindert. Ich gestehe, cs war eine äuuoo violence, die man mir anthat, denn nie habe ich mich schwerer, ja melancholischer von der täglichen Gesellschaft meiner treuen 2* «ft Freundin, von dem Comfort meines Hauses, don meinen mit so ganzer Scclc geliebten Anlagen (die nie bcsncht zu haben ich Ihnen, beiläufig gesagt, kaum verzeihen kann) zn trennen vermocht. Und doch sollte und musite es einmal geschieden seyn. Zerstreuung, Veränderung, Neues bedars meine Natur in gewissen Intervallen, wie die Luft zum Leben. Ich weiß nicht, ob Andere auch so fühlen, aber für mich giebt es nichts in der Welt, selbst die Liebe nicht ausgenommen, dem nicht zuweilen Trennung, andere Verhältnisse und Gegenstände, zu einem frischer«, erneutern Daseyn heilsam waren. Von Trennung kann überhaupt auch nur eine schwache, stroh-feucrartige Neigung Gefahr leiden, eine geprüfte, in der Seele wirklich eingewurzelte wird dadurch nur noch inniger. Ucbrigens ist es sehr wahr: die Seele des Mannes will Veränderung, das Herz des Weibes will Beschäftigung. Zuletzt faßte ich also meinen Entschluß, wie man sich den Kopf voran ins kalte Flußbad stürzt. — und an cincm recht schwarze», Regentage, nach kurzem, schmerzlichen Abschied, warf ich mich in mcincn Wagen, zog die Stores herab, licß mcinc Nachtlampe anzünden, und brachte so zwischen Lesen, Schlafen nnd Phantasircn hundertfacher Art, in abgeschiedenster Einsamkeit immer fortrollend, bis znm folgenden Nachmittag zu, wo ich in Tharand zuerst wieder das Licht der Welt erblickte. Hier mußte ich auf Pferde warten. Unterdessen unterhielt mich der Postmeister, ein tapferer alter Cavallcrist, von den schlechten Zeiten nebst dcr sächsischen Revolution. Endlich kamen die Pferde,- die schöne Gegend nnd das aufgeklärte Wetter lockten mich auf mein Rcisc-Vcl-vcdcre, den hohen Wagcnbock, den ich nicht eher verließ als in Freiberg, um dem dasigcn Ober-berghanptmann einen Besuch zumachen—diesem liebenswürdigen Sohne unsres unsterblichen Her, der, dessen feine Bildung und gewinnende Herzens^ gute ganz des großen Vaters würdig ist. Geschäfte hielten mich hicr einige Tagc auf. 22 Ich fuhr auch in cinigc Schachten, was sehr angreifend und schmutzig ist, uud wozu man cinc Nachtmütze aufsetzen, so wie das gewisse Leder anschnallen muß, dessen Name in guter Gesellschaft nicht zu nennen ist. Ich irrte cinigc hundert Fusi tief in den Eingeweiden der Erde umher, aber kein ehrlicher Kobold oder Gnome wollte mir erscheinen. Ueber der Erde ist die Gegend um die Stadt hcr trostlos traurig. Im Amal-gamirwerk wird Einem sogar ganz unheimlich zu Muthe, giftige Dampfe schwängern die Atmosphäre, uud die dassclbst angestellten Leute tragen ganz adäquat cin abscheuliches braunes Gift-mischer-Cosiüme, grade so wic, nach einem alten Kupferstiche, den ich besitze, die Vrmvillicrs angezogen wurde, ehe mau sie räderte. Von andern Merkwürdigkeiten habe ich nichts gesehen, als die Cathedralc und das Rosinen-Häuschen. Das letztere ist das Tivoli der Frci-bergcr, eine halbe Stunde von der Stadt entfernt, wo dcr Wald anfängt und die Landschaft wieder 33 frischer wird. Die Benennung ist ächt sächsisch! In dcr Cathedrale befindet sich die schönste Stcinkanzcl, die ich kcnne, in Form ciucr Lilie, um dcrcn Stiel sich eine ätherische, transparente Treppe windet. Der Vamncisicr selbst, in alter Tracht, dicnt ihr als Stütze. Der Stein hat eine blendende Weiße, und nichts kann origineller und gracicuser seyn. Als mir nachher dcr Küster den Panzer des Churfürsten Moritz mit dcr dnrchgcdrnngnen Todcskugel zeigte, rieth ich ihm, zn dieser Rcli-qnic einer großen Zcit doch auch eine aus unsrcr noch größeren hiuznznfügcn — etwa den Schnurrbart und die weiße Binde cincs modernen sachsischen Commnnal-Gardistcn. Im Gasihof zurückgekehrt, ließ ich ein Buch ans dcr Lcsebibliothek holen, und lernte daraus viel Neues. Erstens aus dcr Naturgeschichte, daß die Blätter dcr Talypotpalmc auf Mauritius Zuwcilcn dreißig Fuß im Umfange mcsscu. Denken Sie sich! das könnte cin Feigenblatt für dreißig 24 Hofdamen der Königin von Otahaiti auf einmal abgeben. Das Zweite war das ächte Recept, wie man arabischen Mocca-Kaffee an Ort und Stelle zubereitet. Dies ist wichtig, uud da gewiß noch kein Reisender von Freiberg solche Kunde geholt, so scheue ich die Mühe nicht. Ihnen dies Recept einstweilen abzuschreiben, bis ich es aus Arabien nach eigner Erfahrung berichtigen kann. Ich hoffe, Sie machen in ihrer Pommerschen Garnison gleich eincn Versuch damit. Man uimmt für jede Person eine Handvoll sorgfältig gcles'ncr Kassccbohncn, von dcr llcincn blassen Vohnc, die nicht viel größer als cine Erbse ist. Sic werden schnell geröstet bis ihre Farbe etwas dunkelt, die Feuchtigkeit aber noch nicht verdampft ist. Noch m voller Nosthitze werden sie gemahlen. Untcrdeß wird cin Kasscc-topf mit so viel Tassen Wasser, als Personen da sind, angefüllt, zum Kochen gebracht. Kocht er, so nimmt man, bei vier Personen z. V. eine Tasse Wasser heraus, schüttet dafür drei Tassen mit Kasseepulvcr hinein und rührt alles mit einem Stabc um. Dcr Topf kömmt nun wieder auf das Feuer, uud so wie dcr Kaffee aufkochen will, nimmt man ihn ab, stoßt den Boden etwas auf den Tisch und setzt ihn dann wieder auf. Dies wird sechsmal wiederholt und während dem ein ganz kleines Stückchen Mnscatblüthc hinzu gethan. Dcr Kaffectopf must von Zinn oder Silber und ohne Deckel seyn, sonst kann dcr Kasse an der Oberfläche keinen Rahm bilden, wie cr thun muß. Wenn das Gefäß zum letztenmal vom Feuer gehoben wird, gießt man dic ausgeschöpfte Tasse Wasser wieder hinzu. Nun wird, ohne ihn umzurütteln, der Topf herein gebracht, und dcr Kaffee augenblicklich in die Tasse gegossen, wo er seine weiche Rahmdccke auf dcr Oberfläche bcibchält. So bereitet, erfüllt sein Duft das ganze Zimmer und ist entzückend für den Gaumen. Das Erzgcbürgc, obgleich, wie die Geologen behaupten, eins der ältesten dcr Erde, gehört nicht zu den schönsten, doch traf ich auf dem 26 Wege nach Carlsbad einige pittoreske Punkte an; so unter andern einen Ort, wo sich dcr ewige steife Fichtenwald plötzlich in Gold dnrchblitzte Vuchcn verwandelte, nnd auf dcr Höhe cin wcit-lauftigcr Kallofcn von barocker Bauart siand, dcr einer brennenden Ritterburg glich. Vci dcn Ufern dcr Flühe sahcu wir noch heftiger dampfende Holzmeilcr, mit schwarzen Köhlern siaffirt, welche (die Mciler nämlich) durch die Industrie des Obcrbcrghauptmauns, nach und nach so colossal geworden sind, daß man bereits bis zu 500 Klaftern in cincm zugleich verkohlt hat; was cinc große Ersparung gewährt, bisher aber für unmöglich gehalten wurdc. Nicht weit davon bemerkte ich einen schr freundlichen Herrensitz, altcrthümlich und von der Zeit grau gefärbt, ans einer dunklen Fichtcnschlncht hervorblickend, in dcr Nähe aber von cincm lieb> lich blühenden, altfranzbsischen Blumengarten umgeben, dcr noch wohl gcschnittne Hecken, Py. ramiden und Tarns-Thiere auszuweisen hatte. «7 Um die Aussicht eomplctt zu machen, lugten vom Söller zwci hübsche Mädchcu nach meinem Wagen herab. Ehrerbietig mich verbeugend schwenkte ich meine Neisemütze, und lächelnd erwiderten die aumnlhigen Huldinucn mcincu Gniß. Da es sthr langsam in den beschwerlichen Bergen vorwärts ging, mußte ich schon nach wenigen Meilen in einer ziemlich unansehnlichen Schenke Mittag machen. Doch fand ich die Vcwirthung über Erwartung gut. Ucbcrhaupt schcint mir, daß sich die Gasihofe der kleinen Orte in Deutschland in eben dem Grade zu verbessern, als die iu großen Städten zu verschlechtern anfangen. Der liers <5tat bekömmt überall das Uebcrgewicht, wie billig, dcnu es ist sein Zeitalter. Das unsere ist vorüber. Von hier wird das Land weit interessanter. Auf hohen Felsen an der Tschoppau liegt die imposante Ruine des Schlosses Wollenstem, schon in weiter Ferne sichtbar. Ehe man sie noch erreicht, bemerkt man iu der fruchtbaren Ebene vor 28 ihr cincn kleinen isolirten Gasthof zur Heinzelbank genannt. Als diese Fcldflurcn noch cin wcittr Forst und zum Theil undurchdringlicher Urwald waren, verirrte sich einst Herzog Heinrich hier anf der Jagd, und ward erst nach langem Suchen an der Stelle, wo jetzt der Gasihof sieht, von ftincm Gefolge wieder aufgefunden. Zum Andenken der übcrstandncn Gefahr ließ er nachher dm Platz räumen und cin Forsicrhaus darauf erbancn. Ein merkwürdiges altes Vild, das jetzt als Aushängeschild der Schenke dient und öfters resiaurirt wurde, stellt die Vcgcbcnhcit mit vieler Naivetät dar. Der Herzog sitzt in einer Allou-genperücke, einem fleischfarbnen Kleide und dem blauen Band über dem Nocke anf einem Vaum-stammc. Um ihn sichcn ein halbes Dutzend Hosicutc mit unbeschreiblich lächerlichen Physiognomiken, und zwischen ihnen, gleich dem Tcnfcl, der berußte Köhler, der ihnen den Wcg gewiesen hat. Unten liest man die Jahreszahl 1541. Annaberg enthalt allerlei Schcusrvcrthcs. Als «9 ich mcincn Abcndspaziergang in der Stadt begann, wurde in dem vcrschlossncn Dome die Orgel gespielt. Die unsichtbare Musik folgte mir wie Gcisterklang durch die einsame, mcnschcnlecrc Gasse, und lange lauschte ich uoch dcu vorschwebenden Tonen, als ich an den zertrümmerten Stadtmauern hinging, durch deren weit aufge-borstcnc Spalten die Abendsonne ihr rothglühcndcs Feuer gost. Zwei ehrwürdige Linden zogen bald nachher meine Blicke auf sich. Eine schwarze Tafel hing daran, auf welcher der Stadtpoct seinem Enthusiasmus in mehreren cbcn so gereimten als ungereimten Zeilen Raum gegeben hatte. Wahrend ich sie las, kam ein Mann hinzu und sagte: O das rechnen wir noch nicht zu unsern schönsten Bäumen! Sie sind ohne Zweifel ein Fremder, kommen Sie mit mir, ich will Ihnen unsre größte Merkwürdigkeit dieser Art zeigen. Ich folgte, und er führte mich auf den Hospital-Kirchhof, wo ich allerdings schr überrascht wurde. Das Erste, was mir auffiel, war: viele hundert 30 Naftngraber, alle wit frischen Blumen und Kränzen in großer Profusion, wie zn einem Feste geschmückt zu sehen. Dies Fest hatte auch gestern, ich weiß uicht mehr welcher Heiligen zu Ehren, statt gefunden. Von einer Kanzel, welche außerhalb an dic Bcgräbnißkirchc angebaut ist, wird an diesem Tage den zahlreichen Wallfahrern gepredigt, und der größte Theil des Auditoriums sitzt unter ciner der wunderbarsten Linden, dic cs auf dem Erdcnnmdc giebt. Die Legende crzählc von ihr Folgendes: Zwei Geistliche hatten lange über dic Wahrheit des Dogmas der Auferstehung gestritten. Endlich rief der Eine, wie von cincr Inspiration ergriffen: «Sich diese junge Linde, ich werde sic ausrcisien und verkehrt wieder einpflanzen, und so wahr sie dennoch von Ncncm Wurzel fassen und freudig durch Jahrhunderte zum größten Vaumc fortwachscn soll, so werden anch wir, trotz Tod und Fäulniß, auferstehen und uns cincs ewigen Lebens erfreuen." Und wie cr gesagt, so geschah cs. Es unterliegt in der That gar keinem Zweifel, daß der Baum, den wir vor uns sahen, auf die angegebne Weift gepflanzt seyn muß, denn sciuc Acste zeigen, ohugcachtct ihrer cuormcn Größe, noch immer zu deutlich die ganz von gcwöhuli-cheu Aesieu abweichende Wurzelform. Sie haben iu dem Laufe der Zeit, dicht ueben einander fort-wachsend, eine solche Lange erreicht, daß sie jetzt cm dichtes Dach von einige» hundert Fuß Umfang bilde«. Nur ein glatter Stamm ist, nicht in der Mitte sondern etwas seitwärts, aus diesem Wulzelgcflecht empor geschossen, der weiter oben sich in einer zweiten Krone ausbreitet. Der uralte Coloß lebt übrigens durchgängig in höchster Frische, und wir wollen daher gern die Folgerung seines frommen Pflanzers als durch ihu erwiesen annehmen. Doch auch ohuc den klassischen Vaum würde dieser schone Kirchhof immer noch viel Interesse gewähren. Er ist rings von Urcaden umgeben, die über den untcrirdischeu Grabgewölben der 32 angesehnsicn Familien dcr Stadt mit vielen be-mcrkenswcrthcn Schildcreien und seltsam angemalten Statuen in alter Tracht aus langst ver-schollncn Zeiten angefüllt sind. Auch hier war Alles noch, theils mit künstlichen, theils frischen Blumen in Töpfen, festlich ausgczicrt. Ich hatte am andern Morgen viele Mühe mir die Cathcdrale aufschließen zu lassen. Der bisherige Küster war abgesetzt und dcr neue noch nicht installirt worden, so daß ich von Pontius zu Pilatus laufen mußte, ehe meinen Wünschen endlich gewillfahrt wurde. Doch ward ich vollkommen entschädigt. Die Kirche ist neuerlich mit viel Geschmack und Vorsicht vcstaurirt worden, nur hat man unbcgrciflichcrwcise einen Theil dcr alten Fenster ihrer Stcinkrcuzc und runden Scheiben beraubt, um sie durch viereckige moderne Glastafeln und Holzsprosscu zu ersetzen. Dergleichen ist vandalisch, und ich konnte mich nicht enthalten, in der Sacristei ein Billet an den Superintendenten zurückzulassen, in welchem ich W ihn im Namen dcr Kunst und dcs Alterthums beschwor, dic noch übrigen siebzehn Fenster wenigstens zu schonen, und vor so grausamer Zer-siümmelung zu bewahren. 8^vavi Znimam mesm, mehr zu thun blieb mir nicht übrig. Viele der hier befindlichen Sculpture» in Stein und Holz verdienen Aufmerksamkeit. In dcr Mitte dcr Kirchhöhe läuft rund umher eine Galerie, deren Vrüsimlg mit einer langen Reihe gut gearbeiteter Hautrelicfs geschmückt ist. Auf dcr einen Seite ist das weibliche Leben', auf der andcru das männliche in seinen verschiedenen Gradationen, Leiden und Thaten dargestellt. Der alte Kirchvatcr, welcher mich herumführte, nannte seltsamerweise die dem schönen Geschlecht gewidmete Seite nie die weibliche, sondern statt dessen immer „die menschliche." Die auffallendste Darstellung auf dieser menschlichen Seite war ein ganz nacktes auf dcr Erde liegendes Weib, die cin Bischof in vollem Ornate — so eben accou- Srmilasso. I. ^ 34 chin hat. Man findet noch manches Naive dieser Art. So hatte z. B. dcr Malcr ciner Flncht nach Aegyptcn dem Esel Maria's so nngehcurc Ohren gegeben, daß sie, gleich zwei Fächern, dem Christnskindlcin die Sonnenstrahlen abhielten, und auf einem andern Vilde erreichte dcr weise Salomo die Corpulenz des dicksten englischen Bierbrauers. Die Alten waren, trotz ihrer Frömmigkeit, zuweilen lost Vogel. Einige dieser Gemälde haben bedeutenden Kunsiwcrth, und nicht ohne Rührung sieht man das Bild dcr schönen Freifrau von Lobkowitz, die «^ pa^ant ä« zg ^er-80NN6, Annaberg mnthig im Lager dcr unbarmherzigen Schweden losbat. Es war drückend HM, als ich die Stadt verließ; nach einigen Stunde« mußte ich mich dagegen durch Schneewehen durcharbeiten, und fror arger als im Winter, während ich auf dem höchsten Punct dcr Straße angelangt, das ganze Erzgcbürge neben mir, und Böhmens Fluren vor mir ausgebreitet sah. Carlsbad, das ich zum 35 erstenmal besuchte, erschien mir sehr freundlich mit seinen terrassenförmigen Häuserreihen, die alle Jahre den Berg etwas höher hinanklimmcn. Man ist vcrwnndcrt, hier in dem aristokratischen Oestreich dcn besten Gasihof von einem Grafen aus guter Familie gehalten zu finden, und leider ist cs weltkundig, daß der beste Gasihof in Carlsbad an jedem andern Ort für einen sehr mittelmäßigen passircn würde; namentlich liefert die Küche ganz fabelhafte Productioncn, die zwar dcn Kranken schr die strenge Diät erleichtern, cincn Gcsundcn abcr in die übelste Laune zu versetzen im Stande sind. Während nun die Gräfin Mnttcr mein älns, Gott weiß wie, kocht, die Gräfinnen Töchter mcinc Bettüberzüge herausgeben, und der Graf Vater sich im Garten unter meinem Fenster bei einem Schoppen Ocstrcichcr sonnt, sage ich Ihnen, theurer Freund, für diesmal Lebewohl. Aus welchem Winkel der Erde Sic mein nachstcr 3 " 36 Brief aufsuchen wird, bleibt problematisch, denn sobald wird Ihre Geduld nicht wieder in Anspruch genommen. Ich habe überdies zu viele Verbindlichkeiten zu lösen. Jedenfalls vergessen Sie mich nicht, Sie wissen, daß Niemand Sie aufrichtiger liebt und schätzt als Ihr alter Neisecamarad H. S. 27 Hlueiter Vriel, ^n den Herrn Grafen von S....... Carlsbad den l. Juni I8,ii. Lieber Mar! Während ich eben mit ernster und schwcrmü-thiger Miene den Kampf mit einem vertrockneten Lungenbratel und einigen felsenfesten Dampfnudeln beginnen wollte, erklangen in der Nebcnstnbe die Töne eines Fortepiano's, auf denen eine leichte Hand so lieblich und gewandt umherznhüpfcn schien, wie die Perlen eines Springbrunnens A8 anf dem Wasserspiegel unter sich, neckend und spielend, elastisch herabfallen. Schlüssellöcher sind cine gute Erfindung, und oft hat cine noch wenig gereifte Nachbarin versäumt, sic nnt Baumwolle oder Vrodkrumc z» verstopfen. Ich gestehe, daß «ch der Verführung wich — es isi leider mein Hauptfehler, dieser sehr schlecht zu widerstehen — und mein Auge in innige Berührung mit besagtem Schlüsselloch brachte. Himmel! welch reizendes Vild zeigte sich ganz in meiner Nähe! Ein Kind von sechszchn Jahren, -'blassem, süd, lichcm Madonnen-Antlitz , mit rabenschwarzen Locken und einem Lilien-Teint, saß mit tiefsinnigem Blick vor einem eleganten Wiener Flügel. Ihre Noscnsingcr, von glänzenden Ringen funkelnd, wühlten in den Tasten, denen sie Nossini's süßeste Mclodiccn, jetzt im Allegro und Crescendo stürmisch zn entreißen, dann, zu stiller Sehnsucht übergehend, im Adagio schmachtend zu entlocken schienen. Gott, welch ein Engel! rief ich ganz in dem Anblick verloren aus, und fuhr verwirrt 39 zurück, als die Thür aufging und der Kellner mit einer ncucu Vergiftungsspcise hcrcintrat. Schnell ciue gleichgültige Miene annehmend frug ich den Mann im grünen Iacklcin, wer hier nebenan in der Stube wohne, aus der ciue so schöne Tafelmusik ertöne. ..Eiue englische Familie, Ihr Gnaden, sehr vornehme und reiche Leute, der Name steht aber noch nicht auf der Liste." Ich mußte mich vor der Hand damit begnügen. Den ß « ' '. Wie Schade, lieber Mar, daß wir zwei Vrü-dcr uns nicht in Einen zu verschmelzen vermögen, wo dann jeder, wie in der Combdic sagen könnte: Ich bin mein Bruder. Du hättest dann meine Tugend, ich Deine Jugend, nebst Deinem Talent den Weibern zu gefallen, könnte auch vortrefflich 40 walzen und Gallop ranzen, was mir jetzt leider gänzlich abgeht, und eigentlich derjenige Umstand ist, der mir eben alle diese Betrachtungen einflößt. Unsere ganze Familie hat immer sehr schlecht getanzt, nur zwei liebenswürdige Kammcrhcrrcn in Berlin, und Du, mein Nachgcbornel, machen eine ehrenvolle Ausnahme von dieser beschämenden Regel. Du weißt aber nun schon, daß sich eine wunderschöne Engländerin hier befindet, die eine Spanierin zu seyn scheint, die mit gleicher Geläufigkeit sieben verschiedene Sprachen spricht, die Clavier spielt wie Moschclcs, von der Welt Landern so viel gesehen hat wie Lady Morgan, obgleich sie kaum siebzehn Jahre zählt, dichtet wie Lord Byron, schön ist wie ein Engel, und — ja also mit dieser möchte ich gern auf dem ersten Reunions? Ball tanzen, wenn ich soviel Ehre damit einzulegen hoffen dürfte, als Du. Jetzt mnß ich mich schon glücklich schätzen, wenn ich ihr nur einmal in Gesellschaft ihrer Ellcrn auf der Pro- 41 menade begegne, oder die liebenswürdige Familie Abends beim Thee zu Hause finde. Diese lebt hier noch ziemlich isolirt, sieht und besticht, einige Königinnen, Souvcraine und Prinzessinnen ausgenommen, wenig Leute, was mir um so angenehmer ist, da der kleine Cirtel desto mehr Raum zur Bewunderung der lieblichen Tochter bietet. Auch eine schöne und geistreiche Landsmännin, die sich mit der Familie früher in Italien liirt hat, dringt gewöhnlich mit ihrem kunsi-crfahrncn Gemahl, einem Sprößling unsres Herrscherhauses, ihre Abende hier zu. Musik spielt meistens die Hauptrolle, denn alle drei junge Damen, so wie Graf I.... m sind Virtuosen auf dem Fortepiano, eine wahrhaft seltne Vereinigung in einem so kleinen Cirkcl. Heute spielte jedoch dcr Bräutigam dcr ältesten Tochter mit dieser Patience, uud die Jüngere las uns aus ihren Gedichten vor. Ich schrieb die Ucbcrsetzung des einen, in schlichte Prosa verwandelt, schnell in meine Schreibtafcl. Hier ist sie, abermals 42 ins poetische Gewand gehüllt, denn die Gefühle cincs so schönen jungen Madchens sind immer interessant zu verfolgen. Dcr Gegenstand ist wahrlich oft genug besungen worden, und desto mehr Verdienst liegt darin, ihm eine neue Scite abgewonnen zu haben. — Da aber meine eignen Knittelverse so hölzern sind, dasi selbst dcr ehrliche, gute, leider nun auch scligc Neumann sie nicht vertragen konnte, so benutzte ich die Anwesenheit eines berühmten Dichters, um sie mir von ihm machen zu lassen. '") ')Nii bitten daher die Hellen Recensenten sehr, gehör,gcn Respect vor dieser hohen Autorität zu zeigen. Amnerk, b. geh. 2itul. Gesellschaft. 43 Phantasie an dcn Mond. Schau in dcn Mond, wie er so glänzend schifft Im blauen Himmelömecr, so frisch bcthaut; O sage mir. erweckt er Dir nicht laut — Lautredend wie im Traum: vergangner Tage Holdselig Flüstern und holdsel'ge Klage, So leise auch sein stilles Licht Dich trifft! Wringt er Dir zaubernd nicht zurück Die Geister all' der süßen Stunden, Wo froher Sinn und Iugendglück, Die Genien, segnend Dich umwunden; No Dich dcr treue Freund beglückte, Dir der Geliebt' am Herzen lag, Wo Freude lächelnd Dir den Tag Vom Morgen bis zum Abend schmückte — 44 Ach damals, da auch glänzte Dir Des Mondes heitres Angesicht, Doch sein Gestrahl nur that es nicht — Es war der Abglanz auch von Dir! Und bringt er Dir, und jetzt zum Glück, Nicht auch Gedanken klar zurück Aus Zeiten, die Dir längst verflossen, No Deine Seele — wie ein Sarg — Ein schwarzer Ttauerschleier barg, Wo heiße Thränen — eine Fluth! — Aus Deinen Augen sich ergossen, Vom lautlos Dir verzagten Muth . . . Von der Verzweiflung bittrem Schweigen, Vom tiefsten Schmerz die tiefsten Zeugen! Ach, dann, dann schien er Dir ein Freund, Der treu und redlich mit Dir weint' Und mitleidsvoll von Deinem Gram Auf sich die schwerste Hälfte nahm. Ja dieses Zaubers Heimlichkeit, Lirgt die Natur, halt ihn bereit: Den Glücklichen umglanzl sie froh. Und mit dem Bangen weint sie so! Und ob in Freude nun Dein Herz sich hülle, Ob sich die Welt für Dich mit Leiden fülle. 45 Gü zieht doch die Natur aus Deinen Schranken Dir immerbar den wechselnden Gedanken Zu sich empor in ihre höhern Sphären, Um ihn im reinsten Lichte zu verklären; Und bleibt Dir keine Freud' auf Erden mehr. Schau' in den Mond !—Schau' in der Sterne Heer! Sie zieh'n gen Himmel Dich mit Geisterhand Inö selige, in's stets Dir offne Land! Ist cs nicht zu bedauern, daß Vadcbckannt' schaftcn so flüchtig sind! In wenig Tagen geht die holde Dichterin mit den Ihrigen dahin, ich einsamer Wanderer dorthin, und nie vielleicht hören wir weiter etwas von einander. Dcmohn-gcachtet werde ich mich dieser interessanten und wahrhaft liebenswürdigen Engländer, (deren Zahl eben nicht allzu reichlich ist,) wahrscheinlich länger erinnern als sie sich meiner. Hier slnd sic wenig bekannt worden, und die naiven Böhmen 43 wissen sic nicht anders zu bezeichnen, als »der Lord und die Lady mit dm zwci gepuderten, rothen Lakaycn; von dcncn cincr immer so gravitätisch den Mops nachträgt." Aber welches kleine Wunder von Gentilessc uud hoher Herkunft ist auch dieser Mops! Er heißt Leo, nach niemand Geringerem als dem heiligen Vater, Chef der Christenheit n. s. w. so benannt, denn dieß war sein früherer Herr, der ihn von den Jesuiten erziehen ließ, weshalb cr nicht nur ein Muster von Folgsamkeit ist, sondern auch zu den bewundernswürdigsten Künsten aller Art abgerichtet wurde, ja oft mit mehr als Menschenverstand begabt zu seyn scheint. Dabei hat sein imposant ernstes, schon gerundetes Gesicht wirklich etwas Pabst-artiges, und wenn cr die Pfote hebt, wird man von Ehrfurcht durchdrungen. Kein lieblicheres Bild, als wenn er auf der jugendlichen Lady G . . . Schooß saß und mit dem Neeucillcmcut eines Präbcndarius würdevoll mit seiner schwarzen Schnauze Zucker fraß. 47 Doch ich muß Dich ctwaS weiter herumführen, Du hältst mich sonst am Eudc nach dcm Gelcsncn, und nach dcm Sprüchwort: l^ui «iino INcn-ün, aiinL »on cliien, gar für verliebt, ein Zustand, der mich glücklicher Wcist selten mchr befällt. Die Gesellschaft ist noch nicht sehr vereinigt, doch habe ich mich den hohen Häuptern vorstellen lassen. Die Herzogin von Angoulömc, Dauphinc, wie si< hier gcnanut wird, ist gewiß merkwürdig durch ihr langes, stets wiederkehrendes Leiden. Sie trägt cs mit ungcmcincm Muthe, und ich fand sie seit Paris durchaus nicht verändert. Wer ihr Schicksal nicht gekannt, würde sie für eben so glücklich und zufrieden als andere Fürstinnen gehalten haben; gewiß rührt ein solches Betragen sicherer als alle Klagen. Noch heiterer erschien die junge Prinzessin, Tochter dcr Herzogin von Vcrry, denn wo sahe die Jugend nicht froh ins Lcbcu! und sie wird mit ihrem Bruder das Glück desselben vielleicht besser vom Throne cnt- 4s fcrnt, als in seiner oft mehr sengenden als seg^ «enden Nahe finden. Die Erbprinzcssin von Sachsen - Altenburg, geborne Prinzessin von Wüttcmbcrg, entfaltet in ihrer Unterhaltung, gleich ihrer erlauchten Schwester, der Königin, alle Grazie nnd Gcistcslebhaf-tigkcit dieses in so vielen seiner Glieder ausgezeichneten deutschen Fürsienhauses, und beide Schwestern vereinigen mit den äußern Geschenken der Natur, den höchsten aller weiblichen Reize — Herzensgute. Ihro Majestät die Königin hatte die Gnade, mir gutes Glück zu meiner transatlantischen Reise zu wünschen, und ich nehme dies als cinc hcilvollc Vorbedeutung an. Seine Durchlaucht der Erbprinz von A..... plaisan-tirten ganz launig über Tutti Fnttti, und frugen mich mit liebenswürdiger Offenheit, ob ich vielleicht der Verfasser dieses Buches sty. Es versteht sich, daß ich eifrigst deprecirte. „Ich glaube es am Ende doch," sagte der Erbprinz, „nämlich nach der Vorrede zu urtheilen, die mir gar nicht gefallt." 49 ,, „Euer Durchlaucht sind zu gütig, es ist schon sehr verdienstlich, eine Vorrede nur zu lesen. Lastn sic auch noch mehr, wenn ich fragen darf?"" „Nein, ich erwarte erst das Urtheil eines Gewissen darüber, nach dem ich das mcinigc richten, und es dann lesen oder nicht lesen werde." „ „Ich rathe im Voraus unbedingt zum Letzteren"" erwiederte ich, schon mehr als geschmeichelt, cinc so hohe Aufmerksamkeit auch nur cinen Augenblick erregt zu haben. Die übrigen Präsentationen übergehe ich, um Dich nicht zu ermüden, und erwähne nur noch cincr alten Hofdame aus dem vorigen Jahrhundert, die, ihrem Ansehn nach, vor ihrer Menschwerdung cin chinesischer Porcellan - Götze gewesen seyn mußtc, und dic mich, als ich ihr meine Anf-wartnng macbcn wollte, und Niemand im Vor, zimmcr fiudcnd in ihre Stube trat, für Gott weiß wen ansah, denn sie radcbrcchte mir sogleich in Braudcnburgischcm Franzosisch die Klagc vor: Vemilasso. l. H 5tt daß die Medicin mir einmal gewirkt habe. Nicht ohne Vesorgnist znrücktrctend, erklärte ich, das andremal nicht abwarten zu wollen; da sie aber ihr^n Irrthum jetzt erkannte, sprang sie in grosier Verlegenheit anf und bat, mich doch nnr einige Minuten niederzulassen, ^lon Dieu^, n^on !)!««, rief sie, i'ai »l inauvaizo min«, ^uo io n« in« äislinguo ^i!u8 en rion, ^'e vou8 äl ton» ^an,' notre Hofarzt. Einige alte Bekannte habe ich-auch vorgefunden, unsern vortrefflichen Präsidenten, dcm die Cur, Gottlob I gut anschlagt, den Gcncral-Ministcr, der in unserm Lande den besten Kopf, wie seine Frau die schönsten Augen hat, den General V...., einen der angenehmsten Gesellschafter, und den besten Schauspieler in Europa, nebst Vielen mchr, unter Andern anch Deinen Schwager, dcr mir den tragischen Tod seines Vaters erzählte, wie bei seinem Besuch in dcm alten gothischen Grenzschlosse eine Treppe nnter ihm eingestürzt, und er von den Trümmern begraben elend mngekom- 5t men sty ^- in demselben Schlöffe und in demselben Alter, wo anch scin Großvater, von der Jagd znrückkehrcnd, einen ähnlichen gewaltsamen Tod gefunden. Das ist offenbar ein Schicksals-Schloß, lieber Mar, nnd ich hoffe, cr wird eilen es zu verkaufen. Am nnterhaltendstcn für mich war meine viel-jährige Göuncriu, die siebzigjährige Gräfin H.. mit cmcm Gcist, der 17 zähls. Ich darf zwar nicht in Abrede stellen, daß auch junges Fleisch und Bein, nnd sehr hübsches, in ihrer Nähe war, aber diese kleine mutin« war meine bitterste Feindin. Um also auf die gntc Gräfin zurückzukommen, die mir willig gestattete ihr die Cour machn, zu dürfen, so war sie unerschöpflich an interessanten Erinnerungen, die sie mit der pos-sirlichsteu Lauuc vortrug. Ich will nnr Einiges versuchen ihr nachzuerzählen. Als sic vor vielen Jahren das erstemal mit Ihrer Kaiserlichen Hoheit in Rußland war, wo 4 " 52 damals noch halb barbarische Sitten auf moderne Cultur gepfropft herrschten, hielt sie sich in der ersten Zeit, nach ihrem Ausdruck, für verrathen und verkauft. Mehrere Tagc wagte sie nie andcrs als im Gefolge der Großfürstin ihr Zimmer zu vcrlasscu, endlich faßte sie cin Herz und voller Vcgicrde, eine Spazierfahrt durch Petersburg zu machen, bestellte sie sich im Kaiserlichen Marstall cincn Wagcn mit zwei Pferden. Als er ankam uud sie einsteigen wollte, erklärte der ihr zugetheilte russlschc Bediente, der nur gebrochen deutsch sprach, zoruig, daß cr mcht mitfahren werde. »Mein Gott, warum nicht?" fn>H die Gräfin erschrocken. Bedienter. Was denkst? Grafin. Ich denke gar nichts, lieber Freund. Bedienter. Bist Kammerfrau? Gräfin. Nein, nicht im Geringsten. Vcdicuter. Was denkst? Ich mit Kaisers Livrcc hinter zwei Pfcrdc stecken! Vin zu gut dazu. 53 Gräfin. Aber, lieber Mann, ich bitt' Euch, ich habe große Eile, kommt nur diesmal mit; hier ist cin Fünfrubelstück, tröstet Euch. Bedienter. Na, weil Du gut Person bist, einmal, aber nie wieder! Gewitzigt, wie sie glaubte, befahl sie bel der nächsten Ercursion vier Pferde, fand aber ihren Bedienten immer noch <1e inauvni^e Inln^oui', und wie das erstemal begann er beim Einsteigen: „Was denkst?" „„Nicht mehr wie gestern, lieber Freund."" „Bist also nicht Kammerfrau, sondern Kam-merdamc? Na, steig nur cin!" Abends erzählte sie ihre Fata dem Obcrkam-mcrhcrrn, und crfnhr nun erst, daß sie fortwahrend gegen die Etikette verstoßen habe, und wenn sie ansfahren wolle, sechs Pferde verlangen und wcnigsicns zwei Diener mitnehmen müsse, um ihrem Range gcmasi zu erscheinen. Dies beruhigte denn auch am nächsten Morgen vollkommen ihrcn gewissenhaften Sarmaten. „Ah," 34 rief cr, ehrerbietig uud tief gebückt dcn Schlag öffnend, „jetzt seh' ich, bist Obristhofmcistcrin, verzeih', aber wie konnt glanbcn. Zwei Pferde und Kaisers Livree!" und unwillkürlich schüttelte er noch einmal verächtlich mit dem Haupte. Noch ergötzlicher waren die Grobheiten der Hofdamen. Eines Morgens schickt die Kaiserin Mutter zur Gräfin und laßt ihr sagen; sie möchte um zehn Uhr im Diamantenzimmcr ihrer warten. Gräfin H . . ., wohlgeputzt, macht sich auf den Weg, kann aber von Niemand erfahren, wo das Diamantcnzimmcr sey. Selbst der Hofmarfchall, dem sie begegnet, versichert, ^u'ii n'«n ^vmt I'icn clu tour. Sic wandert also in das ihr bekannte Vorzimmer der Kaiserin, worin zwei junge Kammerfrauen ausgestreckt auf zwei So-phas liegen. Nachdem sie diesen, die sich nicht rühren, weitläuftig ihre Noth auseinander gesetzt, sagt die Eine gähnend und ihre hübschen Glieder dehnend: N^äame, oola no ino i-e^m-äL pa» äu. 55 wul, und die Andere fügt lachend hinzu: 51»- tiaino, ii laut Vttug n^rozzoi' «illenrä, «'ü V0U8 ^lilit. Höchst aufgebracht verläßt die arme deutsche „Oberhofmeisterin in tausend Aengsten" die impertinenten Kammerfrauen und setzt ihre Irrfahrt fort. Nach einer Viertelstunde begegnet ihr endlich em deutscher Kammerlakai, der mit großer Diensifertigkeit sie Treppauf Treppab einen langcu Weg führt, nud glücklich im ersehnten Diamantenzimmcr mit ihr debarkirt. Wie erstaunt sie aber, als sie dnrch eine offen stehende Tapeten-thürc wieder die beiden liegenden Kammerfrauen gewahr wird, und zu ihrem schwersten Aerger sich überzeugt, daß es nur drei Schritte für sie bedurft hätte, aus der Kaiserin Vorzimmer in das der Diamauten zu gelangen, wenn die boshaften Geschöpfe sie nicht in den April geschickt halten. Mau ließ ihr alle Zeit sich diesem Aerger hinzugeben, denn sic wartete wohl eine Stunde einsam, ohnc einen Lant zu vernehmen, als das gelegentliche tiefe Athemholen der schlafenden Kammerfrauen. 56 Mit cincmmal gcht cine dritte Thüre auf, und herein tritt die Kaiserin Mutter mit dcr Großfürstin, beide im Pudermantcl. Verwundert sieht die Kaiserin sie an und sagt; »Mills mon Dieu, ma chere Comtesse, que 'yenez vous done faire ici?u „Madame, j'en ai rccu l'ordre, par Votre Bfajeste." „Mais non, ma chere, je n'y ai pas pense. C'est done une confusion, qu'on aura fail. Us sont si maladroitsl Allcz vous altemlre clans la salle des Dames du Palais." Und damit verschwanden sie. Die unglückliche Gräfin war nun wieder so weit wie vorher, und mit einem Stoßseufzer begann sie die neue Reise nach dem Zimmer dcr Staatsdamcn. Wen sie auch frug, Niemaud kannte cs, ein Kammcrherr versicherte, sie müsse falsch verstanden haben, nie habe er dicsc Benennung gehört. Um mich kurz zn fassen, nach langem vergeblichen Suchen trifft sic den Grafen 57 Orloff, dcr sie zurechtweist. Aber, als sty hcutc ein wahrer Vcrirtag, zeigt sich das Zimmer dcr Staatsdamcn abermals als den uumittclbaren Nachbar des Diamanlenzimmcrs. Waren aber vorher die Kammermädchen unhöflich gewesen, so machen es die Staatsdamcn noch zehnmal arger. Man mißt sie mit verächtlichen Blicken von Kopf zu Fuß, zischelt sich höhnisch in die Ohren, ficht sic an und bricht in ein ersticktes Gelächter aus, laßt ihre verlegne Verbeugung ganz ohne Erwiderung, und zuletzt tritt eine dcr Damen auf sie zu und indcm sie dcn russischen Ordcn der Grasin aufaßt, fragt sie: NlN8 ^our 1'innour' lio Diou, Nnlicimo, on Zve« v88Vo)>Ian6o? . . . Nur ein zitterndes Gcmurmcl laßt sich hdreu. Der Kaiser wüthend: N»is, I^onziour, <>to« vo„« Kl Gräfin 5)..., die hinter dem entsetzten K... stand, und begriff, daß Napoleon Wicland meine, aber zugleich einen patriotischen Zorn fühlte, daß er den alten dccontcnancirtcn Mann so anfuhr, erwiderte jetzt barsch, ihre Augen fest auf ihn heftend, und sie kann ihnen einen sehr imposanten Ausdruck geben, wenn sie will: „3iro, >Vo)'I»näo est okon wi." ^ui <:w8 V0U8? frug der Kaiscr verwundert. ^^, rief er abgebrochen und drehte ihr den Rückcn. In dcm Augenblick bemerkte sie aber zu ihrem nicht geringen Schreck, daß W^Ianclo selbst wirklich nichc drei Schritt vom Kaiser siehe. „Da ich nun wußte, setzte die Gräfin hinzu, wie grob der große Mann gegen Damen ftyn könne, verlor ich jetzt auch die Conragc vollständig, und mich rückwärts drängend, nahm ich, von einem panischen Schrecken ergriffen, förmlich die Flucht, ohne mich ihm sobald wieder vor die Augen zu bringen. «2 Oeftcr fand ich bei Gräfin H... auch interessante Fremde, z. V. Graf Ltr., der uns angenehm über den Orient unterhielt. Von Mahmnd erzählte er eine sil^ir« 60 )ll1ou«lL, wie er es nannte, d. h. als Morusi, der Pfortcndolmctscher, hingerichtet wurde, wollte der Sultan selbst dessen Blut fließen sehen, und hatte befohlen, erst wcnn cinc gewisse Jalousie im Serail aufgezogen werden würde, das Veil fallen zu lassen. In dieser schrecklichen Lage ließ cr den armen Morusi über cinc Stunde verharren, ehe cr das verabredete Zeichen geben licß. Graf Ltr. tadelte Pouquc-ville's Werk über die Türkei als höchst nnzuver-laßig. Er erzählte, wie er lange vor der Publi-cirung des Vuchs Pouquevillc selbst bewiesen habe, daß cr über viele Hauptpunctc ganz irre geführt worden sey. Wie Schade! rief Pouquc-ville, es ist zu spät, dic Aenderung ist jetzt unmöglich — ich werde sie für die zweite Ausgabe aufbewahren. Aber auch diese blieb dieselbe. „Es ist diesen Leuten nicht um Wahrheit zu N3 thun, sagte dcr Graf, wenn sic ein Buch gefüllt haben und es gut verkaufen, sind sie zufrieden." Du lieber Gott! dachte ich, wer uns alle freiwilligen und uufreiwilligen Lügen der Geschichte aufdecken könnte, würde uns gewiß eincu schlechten Dienst erweisen. Mancher käme dabei vielleicht um ftincu Lieblings Helden, uud Mancher gar nm sciue Religion. Iu dicscm Laudc dcr Täuschung, was ist am Ende au eiu bischen mehr oder weniger Wahrheit gelegen! Landpartien, Pistolenschießen, und einsame Promenaden füllen dcu Rest meiner Zeit aus; mit den Wasseru gebc ich mich gar uicht ab, war auch uie an einem Brunnen, weil ich, wie Dir sattsam bekannt ist, ohne Noth uicht gern vor 12 Uhr aufstehe. Die Gegeud um Carlsbad ist uicht übel, die Stadt selbst giebt ihr jedoch mehr Malerisches als die Natur. Die fernen Aussicht,, sind ohne Bedeutung, aber viel Tan-uendunkel uud Waldeinsamkeit, die ihr Verdienst . habeu. Neulich bcgcguctc ich dort am Hirsch- 64 sprung einer hübschen Wienerin, dic mit ihrcm klciucn Knaben sich verirrt hatte. Nach einiger Zeit fingen wir anch dcn Mann glücklich wieder auf. Dic ungezwungene Unterhaltung und drollige Sprache dieser Leute vertrieben mir die Zeit sehr gut uud zuletzt verstiegen wir uns sogar bis zum Theater. Der Mauthbcamte frug mich, wie ich das hiesige fände? Ich gestand, bloß einen weiß-seidnen Comödicnzcttel davon gesehen zn haben, der mich fünf Gulden gekostet, im Ucbrigcn sey es mir annoch unbekannt geblieben. „O, sagte cr. Sie müssen doch hingehen, ernsthafte Stücke geben sie freilich schlecht, aber sehr hübsche Zoten, nicht wahr, Manandc?" Mariandel bestätigte es mit einem süßen Blick, und ich versprach, ihr eben bei einer difficilen Passage hcrabhelfend, bei der nächsten Vorstellung der erwähnten Art sie ohnfehlbar in das Theater zu begleiten. Auf einem steilen Zelsbcrgc, ohnweit der Stadt, sieht ein Pavillon, in dem eine ^mei-a «dzcliia angebracht ist, ein artiges Spiel, von dem ich 65 mich wundcrc, daß man es nicht öfters in Parks und öffentlichen Promenaden benutzt. Ich riech dem Besitzer, noch eine Rutschbahn von hier nach der Stadt anzulegen, wozu sich das Terrain sehr eignet, und die gewiß vicl Liebhaber finden, und sich schnell bezahlt machen würde. Eben zog ein Transport Fuhrleute in der Tiefe mit ihren großen, böhmischen Hengsten vorüber, und ein zerlumpter kleiner Kerl, barfuß und iu Pantoffeln tanzte vor ihnen her, eine Diminutiv-Geige spielend, wahrscheinlich um beim Nachtlager von ihnen frei gehalten zu werden. Ich sah das kleine Genrebild, krabbelnd nnd wimmelnd, so deutlich als möglich vor mir auf dem Papier. Ware es reeiprocirlich gewesen, hätte ich dem armen Violinspicler hier oben gern einige Zwanzigkreuzcr in die Hand gedrückt. Welch trauriges Schicksal, so scin Brod zn ver-diencn! Als ich zu Haus kam, sand ich die Vadeliste Semilasso. l. ^ 66 auf meinem Tische. Es warcn nur zwei für mich interessante Leute angekommen: 1) Vinzcns Ilomnie in der ncucn Welt — was ich mir so übersetzte: dcr Mcnsch siegt in dcr neuen Welt. 2) Dcr Kaiserlich Ocsireichischc Concepts-Practikant, Freiherr von Schlau im altcn Scepter — was ich mir übersetzte: wu» les genres sont bons •— ä leur place, Et sur ce, Monsieur et tres clier frere, que Dieu vous ait dans sa sainte et bonne garde. Herrmann. 67 Dritter Vriet, Au die Frau Fürstin vou P. M. Eg er den 9«<» Juni l8N, Meine theure Lncie! Du hast meine lange Relation von Carlsbad, die ich der Post nicht anvertrauen wollte, hoffentlich durch S..... erhalten, und ohne Zweifel wirst Du einigemal herzlich dabei gelacht haben "). *) Vcm diesem Briefe sindct sich nichts in den uns zugeschickten Papieren. 5 " «8 Diesmal gicbt cs nichts dergleichen, nur die Natur und wenig bedeutende,schnell vorübcrgaukelndcMen-schengcstalten bieten mir den Stoff dieses Briefes. Vorgestern Mittags bei schönem Wcttcr verließ ich den bunten nomadischen Badeort, wohl auf meinem Bock ctablirt, der mir schon beim Abfahren den Vortheil brachte, die anmuthige Grafin I.... am Fenster zu erblicken, und einen freundlichen Abschicdsgruß von ihr mit auf den Weg nehmen zu können. Die Ocstrcichischcn Postillone auf dieser Route fahren schlecht, die hübsche Gegend jedoch entschädigt dafür. Das Schloß Ellenbogen unter andern hat eine herrliche Lage. Ocstrcichischc Jäger, gut angezogen und von militairischem I'll, belebten passend die kriegerischen alten Mauern und am Horizont, dicht unter der ticfrotheu Abcndröthe, glänzte wie verklärt Maria-Culm, einst der Sitz einer berüchtigten Räuberbaudc, jetzt friedlicher Mönche fromme Wohnung. Spät traf ich in Eger ein. 69 Das Blut eines großen Mannes ist eine fruchtbare Saat. Durch sie wird der Name Egcrs unvergeßlich bleiben, wenn auch vielleicht kein Stein mehr davon anf dem andern sieht. Man scheint indeß hicr nicht besonders empfindlich für diesen Rnhm gewesen zu seyn, denn man hat die geheiligten Orte gar sehr vcrnachläßigt. Im Nathhaus befindet sich ein gutes Portrait Wallensicins, ganz dem unsern in M. ahnlich. Lächerlich sind die daneben hängenden Bilder, welche seine Ermordung — in der Unterschrift „Erccntion" benannt — darstellen. Wallcnsicin, cinc schmähligc Carricatur, sicht ans, als wenn er im Hemde ein Entrechat zu machcn versuche, und wegen schlechten Tan-zcns mit dcm Stock in die Nippen gestoßen würdc. Man beschant in dieser Stube auch sein Schwerdt als Generalissimus, und die Hellebarde, mit dcr cr gctddtet wurde; es geht aber mit dicftn Reliquien wie mit allen übrigen, sie ensw 70 ren doppelt und dreifach. In Dur zeigt man genau das Nämliche. Die Stube in cinem Haust dcr Stadt, wo die „Execution" vor sich ging, jetzt das Boudoir dcr Frau Bürgermeisterin, ist leider mit Papicr-tapetcn verziert und gänzlich modcnusirt worden. Nur die niedrige Thür, durch welche mau die Mörder einließ, ist intact geblieben. Wer kann sie ohne Herzklopfen ansehen! Uebrigens schuldig oder unschuldig, den Kaiser mag dcr stolze Fricd-länder immer hart incommodirt und schwer gc-dcrnüthigt haben, was den Mord — ohne ihn zu entschuldigen — doch erklärt. Aber wie groß starb der kranke, leidende, geistig uud körperlich ermattete Mann, der, ohne einen Lant von sich Zu geben, nur sein Gewand öffnete und rcsignirt, wie Cäsar, die Brust dem Todessircicke darbot. Von dem Schlosse, wo Illo, Terzky, Neumauu und Kinsky überfallen wurden, stehen nur noch eingestürzte Nninen um einen mit Gras uud Nesseln bewachsenen Hof. Doch haben sich zwei 71 wcit ältere Gebäude, die eine» Theil davon ausmachten, besser erhalten. Das erste ist eine merkwürdige Doppelcapclle aus der Zeit Carl des Großen, im untern Theile mit massiven, drci-schaftigcn Granitsäulen, im vbcrn mit schlanken Marmorsäulen aus Italien geschmückt. Das Capital und Sockel einer jeden Säule im untern wie im obern Raume ist von verschiedenem Dessein. Noch älter und interessanter ist das zweite der erwähnten Ueberrcstc, ein aus Lavaquadern ausgemauerter römischer Thurm, der schwarz und eisern, wie ein unzerstörbarer Felsen, der Zeit getrotzt hat. Die Franzosen ließen, als sie im vorigen Jahrhundert Egcr einige Zeit innen hatten, den Thurm erhöhen und Kanonen hinauf bringen. Dieses Maucrwerk ist bereits ganzlich wieder eingefallen, wahrend es keinen einzigen Stein des alten Vaues mit sich zu nehmen vermocht hat. Das Ganze schien mir ein Bild von tiefer Bedeutung. Man sah die neuere Zeit schon fast 7S der Erde gleich, das Mittelalter beschädigt, aber noch aufrecht, das Antike in felsenfester Dauer Alles überragend. Was wird nun vollends das Loos unsrer heutigen Maculatnrperiodc seyn? Bücher, weiter bleibt gewiß nichts von ihr übrig. Aber ist das weniger? Als eine der unmittelbarsten , umfassendsten Formen des Geistes vielleicht mehr als alles Andere. Selbst der Lohnbcdicnte war über den römischen Thurm crtasi'rt. „Man sieht wohl," rief er aus, „daß sie ihn haben kanoncnfest machen wollen!" Und sonderbar ist cs in der That, daß die Römer, ohne die Gewalt des Geschützes zu ahnen, dennoch ans bloßem, practischen Kunstsinn ihre Festungswerke so gcbant haben, daß sie, wie hier der Augenschein zeigt, den Kngcln später besser widerstanden, als alles neuere auf sie absichtlich berechnete Maucrwcrk. Auch jenseits der Egcr stand ein Schloß, dic Residenz der Böhmen-Könige, das mit dem diesseitigen, wie man behauptet, durch eine Zug- 73 brücke verbunden war. Man sieht wirklich an beiden Seiten noch mehrere in den Felsen gehauene Stnfcn. Sonst ist nichts mehr davon übrig. Eine Baucrnfamilie grnb eben anf der Stelle mühsam ihr steiniges Feld nm. So geht cs fort und fort im ewigen Wechsel! Die Kirche des heiligen Niclas isi schenswcrth. Wenn nicht Kunstwerke, enthalt sic doch Curiosa. Der Lm'us dcr augcstrichncn Holzft'gurcn isi in Bohmcn zn Hause; in dieser Kirche erreicht cr fast das Unglaubliche. Das nan pw8 ultra war die Darstellung einer offenbar toll gemachten inaler üoloraza. Man hatte ihr einen Fcdcrbnsch mit Glocken, wie ihn die Manlcsel in Spanien tragen, anfgcsctzt, nnd ein paar steife Acrmcl von wenigstens acht Fuß Länge angeschnallt; kein Mensch aber konnte ohne Lachen ihr Gesicht auschen, das den grotcskcsien italiänischen Pnlcincllo beschämt hätte. Auch zwei heilige Leiber werden hier aufbewahrt. Es sind Gerippe — von Holz; jeder Knochen mit Schmuck umwunden, dcr — 74 falsch ist. Demohngcachtct ist dcr Anblick scheußlich genug, und cin gutcs Moment» moii. Niemand licbt den Bilderdienst mehr wic ich, Niemand ist eifriger dcr Meinung, daß aller Gottesdienst auch sinnlich zu uns sprechen müsse, aber nicht durch Fratzen, sondern durch Kunstwerke. Wird man denn diesen vielfach gräßlichen, katholischen sowohl wie schlecht rcformirten Sauerteig, nicht endlich mit Ehrlichkeit in den Kehricht werfen, wo er hingehört! Böhmen kommt nur dem Aeußeru nach weniger civilisirt als unser Vaterland vor (ich meine das Königreich Preußen); Armuth, Schmutz, Bettelei sind hier häufiger. Dagegen findet man, was man bei uns vermißt, eine gewisse treuherzige Höflichkeit aller Classen, und eine, keineswegs sclavischc, aber sich an ihren Platz stellende ä^leronoo der niedern und mittlern Stande für die vornchmcrn. Das Gegentheil bleibt in einer Monarchie immer eine gefährliche und folglich unverständige Anomalie. Werdet Menschen im 75 edleren Sinne, werdet ächte Christen! dann hören die Vornehmen, wie Krieg nnd Pest, von selbst auf — so lange Ihr aber dazu weder den Muth noch den Willen habt, so lange fügt Euch den Vorurtheilcn, und vorzugsweise denen, dic Euch am wenigsten schaden, und die am wenigsten unsinnig sind. So würde ich den Liberalen zurufen, wenn ich ein constituttoncller Minister wärc, als legitimer würdc ich sie erst gar nicht so weit kommen laffen. Deiner Empfehlung gemäß fuhr ich nach Franzcnsbrunnen, das freilich wenig Erwahuungs-werthes darbietet. Der Brunnen schmeckt jedoch vortrefflich nnd macht Appetit, was ich Beides sehr hoch schätze. Ueberdies giebt es in dieser Gegend eine große Menge hübscher Grisettcn, die nicht für gransam passireu, nnd deren originelle, Tracht, mit dem eoquett um den Kopf gcschlungncn schwarzen Tuche, doppelt anzieht — alles große Vortheile eines Badeortes. 7N Alexanderbad den 14"". Ich war hier — und Du wirst Mühe haben cs zu glauben — während meines ganzen Aufenthalts dcr liebenswürdigste, der jüngste, der schönste, dcr klügste, dcr gelehrteste, dcr tugendhafteste, dcr gclicbtestc, und dcr gefeierteste Badegast, weil ich — dcr einzige bin. Jeden Morgen, wenn ich den Inspector lachend frage, ob noch kein zweiter Einsiedler angekommen, erwidert er bittersüß lächelnd, die Saison beginne dieses Jahr sehr spät. Einmal — denke Dir seine Frcndc — kömmt bei einbrechender Dämmerung ein Wagen nnt vier Pferden davor und einem englischen Ehepaare darin, vor das Haus gerasselt. Er 77 cilt mit ticfcn Bücklingen herbei. „Sind Sic dcr Inspector Heut?" fragt dcr Fremde. ,Zu Befehl!" „O schön. Lord Erskinc, unser Gesandter in München, hat mir gesagt, ich müsse dnrchaus Hcrrn Inspector Hent in Alexanderbad besuchen, und dies thnc ich also hiermit." „Nun," erwidert Herr Hcut, »Sic werden es nicht bereuen, denn eine größere Natnrmcrkwür-digkeit, als »nsere berühmten Felsenpartiecn hat Deutschland kaum auszuweisen. Sobald sie morgen befehlen, wird dcr Führer zu Ihren Diensten stehen. Aber wollen Sie jetzt nicht ansstcigcn?" „Ja anssicigcn und essen, abcr nichts besehen. Lord Erskinc hat uns gesagt, Herrn Inspektor Heut zu besuchen, das habcn wir gethan. Wir werden essen und dann gleich müssen wir wieder fürt. Posipferde sind schon bestellt, keinen Au. genblick läugcr haben wir zu verlieren." Dcr arme Inspector machte noch einen schwachen Versuch ihn zurückzuhalten, indem cr versicherte, daß noch Niemand, bloß um scine 78 Bekanntschaft zu machen, nach Alcrandcrbad gekommen sey, sondern man entweder dcr Cnr oder dcr Wunder dcr Natnr wegen sich hier aufhalte, Lord Erskinc ohne Zweifel auch nur dies Letztere gemeint haben könne, dcr Engländer blieb bei seiner Phrase, aß ein halb Dutzend Forellen, trank mit seiner Frau einige Gläser Grog, und um Mitternacht war ich wieder dcr Alleinherrscher im Vadchausc. Uebrigcus bin ich hier vortrefflich aufgehoben. Dcr Inspector, dcr zwanzig Jahre in Napoleons Heeren gedient, ist von dcr angenehmsten Gesellschaft und Alles sehr anstandig. Meine Zimmer sind dieselben, die Dein seliger Vater bei seinem letzten Hierseyn bewohnte, und wie überall auch hier einen grosten Enthusiasmus für sein Andenken zurückgelassen hat. Gleich den Tag nach seiner Ankunft befahl cr, sämmtliche Badegäste zum üin6 einzuladen, und placirte einen Beamten aus Wunsiedcl, dcr ehemals Kammerdiener bei ihm gewesen war, neben sich, was man noch. 79 heute mit großer Anerkennung citirt. Der gute Vater! Wie heiter und einfach war er sicts auf der Rcisc, und wie gefällig! Doch diese Erinnerung ist jetzt betrübend. Laß uns lieber davon abbrechen. Mau lebt hier iu jeder Hinsicht für cincu Badeort comfortabel, das Essen ist schmackhaft und reinlich, die Bedienung prompt und gefällig. Der Tafcldecker, ruclchcr Sonntag heißt, ist sogar ein Onkel der Berühmten, und versichert, eine Cousine in Trier zu haben, die der schönen Hcn-ricttc vollkommncs Ebenbild sey, uur ctwas schlanker und größer, und schwarzes Haar siatt des blonden. Nai«, inn toi, cola tail venir Im Hofe ist ein Bassin mit reichlich zufließendem, crystallhcllcn Qucllwasscr, in dem die vortrefflichsten Forellen und Karpfen, den Augenblick ehe man sich zu Tisch gesetzt, erst gefangen werden, um iu sybaritischcr traioksur auf der Tafel zu erscheinen. Es sind in der That keine 80 andern Karpfen mit dcu hiesigen zu vergleichen, welches dem Umstände zugeschrieben wird, daß sie in so frischem Wasser leben, und sich mit jungen Forellen mästen, eine Notiz, die ich den Kennern zur weiteren Anwendung empfehle. Gcbürgsbuttcr und Rahm sind auch als vortrefflich hervorzuheben. Soviel für die Gastronomie der Gegend. Vcim Dessert erscheint jedesmal der gute Inspector, fragt, wie ich zufrieden bin, und erzählt eine Kriegs- oder Vadcbegcbcnhcit. Hbrc von i,cder Sortc cmc mit an. Einem Camaradcn und intimen Freunde des Inspectors ward bei Jena die ganze obcre Hirnschale abgeschossen, ohne daß er daran starb, noch den Dienst zu verlassen brauchte. Doch ward er uur unvollkommen curirt, trug eine silberne Platte und litt oft sehr schmerzlich an seiner Wunde. In der Schlacht von Nio «oca, die BcWrcs gcgcu Castannos und Blake gewann, trifft ihn wieder cinc Kanonenkugel, genau an 81 denselben Fleck, nimmt auch die silberne Hirn? schale und noch etwas mehr Gehirn da^u mit sich. Man bringt den Vlcssirten fast als hoss-nnngslos nach Madrid, wo cr jedoch, ohne alle weitcrn üblen Folgen, gänzlich und dancrnd hergestellt wird. Hierauf lebt cr einige Jahre, wie neu verjüngt, lustig und in Freuden, aber die Kanonenkugeln hatten cs einmal auf seinen Kopf abgeschn, und wollten, wie es scheint, durchaus das letzte Wort behalten. So kam denn eine wahrend der Bataillc von Dresden, und nahm, diesmal richtiger zielend, dcm armcn Teufel das so oft entannrtc Haupt über der Kinnlade weg, wobei cr sich diesmal für immer beruhigt hat. Die zweite Geschichte ist ein wenig «I I'l-e^c»; darnm lege ich sie Dir, mir unsichtbarer Dintc geschrieben bei.-------------Was ich aber nun an der Sache erst bewuudcrnswcrth finde, ist die edle Dreistigkeit der Sarmatcn, mit der sie nach ihrer öffentlichen Dcconsitürc noch acht Tage im Hause Semilasso. i. <> 82 blieben, und sich schr wenig daraus machten, ob man ihncn aus dcm Wege ging, wo sie sich blicken ließen, aufstand, wo sic sich hinsetzten, kurz ihncn alle Zeichen einer stillschweigenden Verachtung reichlich zu erkennen gab. Sie lachten die Leute aus nnd tranken viel Champagner, welches Letztere auch wahrschciulich das beste Mittel war, den mit dcm Inspector geschlossenen Frieden auf das Dauerhafteste zn consolidircn. Es scheint sogar, daß sich dieser Friede bis auf das Mädchen erstreckte, und die deutsche Tugend, welche so glänzend dcr Gewalt widerstanden, Geld uud sanften Worten keine gleiche Energie entgegen zu setzen hatte. Wer weiß, ob cs unsrer ganzen Nation nicht einmal so geht —und dann wird man sagen: Was die brntalc Gewalt nicht erobern konnte, gewann die Diplomatie. Zn dieser Letzten gehört aber hauptsächlich: Dreistigkeit, Schlauheit und Geduld. Dcn Deutschen fehlt in der Regel die erste dieser drei Eigenschaften, auch in der zweiten sind sic nicht allzustark, in 83 der letzten haben sie aber von jeher alle Volker der Welt übcrtroffen. Kennst Du die Luiscnburg, oder eigentlich Lnrbnrg, vielleicht das Stammschloß unsres originellen und geistreichen Gesandten in Berlin? Von der dnrch Menschen erbauten Ritterburg sind zwar nur noch einige Steine vorhanden, aber die Natur selbst hat dort, in der Mitte weiter Tauncmväldcr, mit umhcr geschleuderten Felsmassen, das seltsamste Gebäude aufgerichtet; ein Schloß, das Rübezahls würdig ware, mit seinen Treppen, Gemächern, Corridoren und Altanen, von so kühner Formation, daß mancher geräumige Saal nnr aus vier Steinen besieht, und manches platte Dach nur aus einem. Auch hat sie nicht bloß mit Kühnheit gebaut, sondern auch oft mit grazicuscr Lannc gespielt, hier ein kleines Gibraltar unzugänglich mit Wasser umschlossen, dort einen Felsen so auf cincn andern geworfen, daß er nur auf einem einzigen Puncte 84 sich aufstützt, und dennoch so fcst licgt, daß hundert franzosische Soldaten, mit Hebeln bewaffnet, sich im Kriege vergebens das Vergnügen zu machen suchten, ihn in das Thal hinabzustürzen; weiterhin, wie in Adcrsbach, den Fclsbildern menschliche und thierische Figuren verliehen, und endlich ein künstliches Labyrinth geformt, aus dem man, ohne die leitende Hand des Führers, schwer den Ausgang finden würde. Gleiche Bewunderung kann man nicht den kleinlichen Anlagen zollen, durch welche die Eigenthümer diese Geschenke der Natur noch zu erhöhen geglaubt, und selbst Fremden dergleichen auf ihre Kosten anzuklccksen erlaubt habcn. Unerträglich erscheint in dieser Hinsicht oft die Verunstaltung der schönsten Felsen durch endlose Inschriften, von denen sich überdies nicht eine über das Triviale erhebt, die meisten aber zu den albernsten gehören. Die grösitc Sottisc aber, die man gemacht hat, ist: einen schmalen, gradcn Flügel durch den Wald, vom Badchause bis au 8ä dic Lurburg, drci Viertelstunden weit schlagen zu lassen, dcr dcn Weg dahin höchst monoton macht, und dic schone Aussicht von odm auf cinc nnvcrautwortlichc Weise schändet. Dagegen ist cin hübscher Platz doppelt interessant durch cin den Deutschen theures Andenken geworden; denn hier pflegte Jean Paul sich von seinen langen Promenaden auszuruhen, seinen Spazicrtisch in die Erde zn stecken, cine Flasche Vier in dcm natürlichen Fclscnkellcr zur Seite abzukühlen, und von Walhalla's Göttertrank erfrischt, die Inspirationen seines Gcnins niederzuschreiben. Das nahe Städtchen Wunsiedel ist bekanntlich sein Geburtsort, so wie auch dcr des berüchtigten Sand. Ich werde auf Veidc noch einmal zurück» kommen. Von dcm alten Raubschloß, das, wie gesagt, nur noch einige Grundmauern ausweist, sieht mau in einen tiefen Abgrnnd hinab, und begreift nicht recht, wie die Ritter je haben zu Pferde heraufkommen können, da kcinc Spur eines sol- 86 chen Wcges vorhanden ist. Der Führer, den ich darüber befragte, meinte, daß vielleicht damals die Pferde selbst noch nicht erfunden gewesen waren. Ucbcrall hier umher wächst unter den schönsten Edeltannen eine Art Isländisches Moos, das die Landleutc Lnngcnthcc nennen, und von dem Hunderte von Ccntncrn jährlich ausgeführt werden. Eine andere Art Moos, das auf dcm feuchten Sandc nur unter Felsen im Dunkeln wächst, glänzt dort überraschend, gleich grüngoldncn Flammchcn hervor. An das Licht gebracht verschwindet es und ist nicht mehr vom Sande zn unterscheiden. Füglich könnte man dieses Gno-meulicht das Johanniswürmchen der Pflanzenwelt nennen. Ein andcresmal wanderte ich auf die Kisscin, und lcgtc alle diese fatignantcn Touren in weit kürzerer Zeit zu Fuß zurück, als sie gewöhnlich zu Pferde gemacht werden. Die Kissein ist eine Fclsenkanzel auf der Spitze eines hohen Berges, O7 von der man cine sehr umfassende und angenehm abgewechselte Anssicht hat. Man sieht Maria-Ku!m bei Carlsbad mit einem Theil des böhmischen Gcbürges, den Thüringer Wald, den Ochsenkopf, Schnccberg und fast das ganze Fichtclgcbürgc, das Schloß bei Nürnberg, Mariahilf bei Rcgcns-burg mit der weiten Eb'nc, die sich in jener Richtung ausbreitet, und in der Nähe ringsum schwarzen Wald, besät mit unzähligen Felsen-trümmcrn. So wird jeder Tag für mich durch einen angenehmen Spaziergang bezeichnet, ja vorgestern machte ich sogar einen Marsch von mehreren Stunden, bloß um eine chemische Fabrik zu besehen. Einen wahrhaft prachtvollen Anblick gewährten in dieser, große Haufen pulvcrisirtcn chinesischen Zinnobers. Nie habe ich einen Far-bcncssect solcher Art gesehen, man konnte ihn in Wahrheit brennend nennen (obgleich er, wie die Chemiker sagcn, anf nassem Wege gewonnen wird) und dic Abendrbthc, wie Kunkclsches Ru- 88 binglas gcgcn die Sonnc gehalten, sind beide nur matt dagegen. Er muß aber, um diesen Effect hervor zu bringen, in große Masseu vcr-cinigt seyn. Gestern machte ich mcine letzte Excursion nach der Catharincnburg und Wunsicdel. Auf dcr Ruine faud ich cine Dame aus der Stadt mit zwei artigen Töchtern. Indem wir den verfallenen Thurm betrachteten und die Mädchen wilde Rostn pflückten, die in großcr Mcngc an den Mauern wuchsen, sagte die Mutter zu mir: „Bemerken Sie wohl das Fenster da oben, wenigstens dreißig Fuß hoch übcr dcr Erde? Dics ist eine Merkwürdigkeit für uns. Als der unglückliche Sand noch ein zehnjähriger, damals äußerst lebhafter Knabe war, spielte er mit andern Knaben Soldaten nnd befehligte die eine Partei, welche dicNumc vertheidigte, während die andere sie angriff. Sand ward zurückgedrängt und flüchtete mit wenig ihm übrig gebliebenen Getreuen die verfallene Treppe des Thurmes hinauf. 69 An dem Fenster, das ich Ihnen cbcn zeigte, hörte sie auf — die Verfolger drangen näher. Gefangen gebe ich mich nicht! schrie der wilde Knabe und sprang die dreißig Fuß auf die Steine des Hofes herab, wo er, wie durch ein Wunder, unbeschädigt ankam. Jeder Andere, setzte sie nachdenkend hinzu, hätte gewiß den Hals gebrochen, aber dieser nicht, denn er mußte zum Köpfen aufbewahrt wcrdcn. Das Schicksal will sein Rccht!" Ich habe mich nicht nach dem Namen der Dame erkundigt, aber vielleicht gehörte sie dcm traurig berühmten Todten naher an, denn als sie noch stillschweigend vor sich hinblicktc, gab mir das jüngste Mädchen, eine Thräne im Auge, mit lieblich verschämtem Ausdruck cincn Rosenstrauß, indem sie leise flüsterte: „Zum Andenken an die Catharinenbnrg und den armen Sand." Darauf verneigten sich alle drei und stiegen langsam den Vcrg hinab. Ich fürchtete, cine Indiscretion zu bcgchcn, wenn ich ihnen folgte, obgleich 90 sic mich lebhaft intercssirtcn, und schlug nach kurzem Besinnen eincn andern Weg nach der Stadt cin. Ich habe nichts weiter von ihnen vernommen, doch den Rosensiraus besitze ich noch, der mir manchmal vorkommt, als sey cr mit Blut gefärbt. Ich pilgerte jetzt zu Jean Paul's Gcbnrts-sinbc. Diese schien mir seltsam bcziehungsrcich zu seiner spätern Lebcnsansbildung. Sie isi ans den Ruinen des Donjons einer alten Raudvcste erbaut. Daher kam dic Romantik. Gegenüber liegt dic Kirche. Von ihr dic Frömmigkeit. Das Hans war eine Schule und sein Vater Lehrer in derselben. Dieß entspricht seinem vielen Wissen und cincm kleinen pedantischen Anflug. Zum point äo vue seitwärts dient der Raths-tcller. Davon die Passion zum Baicrschcu Bier. Ich fand wieder einen Schullchrer in dem unansehnlichen Slüdchcn wohnen, es war aber kein Jean Paul, nnd leider von diesem anch nicht die geringste Reliquie übrig. Auf dcm 91 Rathhanse dagegen befindet sich ein vortreffliches Pastcllgcmalde von ihm, nach allem, was ich höre, sprechend ähnlich. Es ist sehr charakteristisch, cin offner, liebevoller Blick, ein schönes, geistreiches, sanftes, blanes Auge, eine hohe, poetische Stirn, sonderbar gepaart mit dem doppelten Kinn, dem nnscyoncn Mnnd nnd den schlappen Backen eines Schlemmers. Die Noscn müffcn hier besonders gut gcdci-hen, denn in einem Garten der Vorstadt, den ich anf dem Rückweg besuchte, zeigte man mir cincn weißen Rosenstrauch mit 213 Blumen. 92 Vaiieuth den »5w>. Oft isi man in einem Gasthof mit Allcm zufrieden gewesen, und gcht doch im letzten Moment, der üblen Viertelstunde Rabelais, unzufrieden von dannen. Ich muß meinem ehrlichen Inspector die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zn sagen, daß er sich auch hicr bewährte. Allen, die daher gern gut und billig leben, die Natur lieben nnd nur ciu angenehm schmeckendes, stärkendes Wasser für ihre Gesundhcitsumsiände bedürfen, rathe ich Alcrandcrbad zn bcsnchen; und wenn sie, wic ich, dic Einsamkeit nicht scheuen, mogcn sic 6c p^ln-onc« vor der Saison hingehen, 93 welche, glaube ich, im August crsi lebhaft zu wcrdcu beginnt. Das Fichtclgcbürge führt ftiucu Namen mit Recht, denn uichts als Fichten bedecken es weit uud breit. Acht Stuudcn vor Vaireuth tritt man auf eiucr bedeutenden Hohe plötzlich aus Gcbürgc und Wald hinaus, und der Aublick, der sich hier darbietet, ist cbcu so großartig als überraschend. Man hat ticf unter sich cin fruchtbares hügliges Land, was von dem hohen Stand-pnnctc aus, wie der unermeßliche Halbkreis einer wellenförmigen Eb'ne erscheint, an deren entfern? testen Ecken hie und da lichtblaue gezackte Spitzen ein neues Verggebict bezeichnen. C'iuc Menge Städte und Dörfer schimmern mit ihren Kirchen und Thürmen weiß und roth ans den Fluren und Gebüschen hervor; was aber dem großen Bilde seineu eigenthümlichsten Charakter giebt, uud, um mich einmal militairisch auszudrücken, der Schlüssel der romantischen Position dieser Gegend genannt zu werden verdient, isi ein im 94 Mittclpuntt des Ganzen freistehender dnnklcr Riese „dcr rauhe Kulm" betitelt, cm majestätischer, dicht mit Tannen bewachsener Berg, von einem kahlen Fclsenkcgcl gekrönt, den ganz an seiner Spitze wiederum eine kleine Calotte schwarzer Tannen deckt. Es isi bezaubernd schon, wie sich im allmähligcn Hcrabstcigen diese Aussicht immer mehr erst entfaltet, dctaillirt, dann verändert, endlich verschwindet. Immer kleiner werden bei jedem Schritt die gezackten Spitzen am Horizont, immer mehr schwellen der Erde Wogen, immcr hoher steigt der rauhe Kulm empor, bis man zuletzt unter grünen Wiesen und mit Laub-Holz bewachsenen Hügeln alle ferneren Aussichten verliert, und uns ein mit frischen Blumen geschmückter Heiliger am Wege in dem lieblichen Lande willkommen hcisit, wo, wie es scheint, nach alt heidnischem Brauch die Religion noch sinnlich mit dem Menschen lebt, von jedem Leid und jeder Frendc noch bildlich ihren Theil erhält. Wohl gefiel mir auch in der Mitte jedes Kirchhofs 95 das hochgestellte Vild dcs Gekreuzigten, wie eine Wacht für die Todten, eine hcrzcrhcbcndc Vcr^ kündigung für die Lebenden. In der Hermitage hielt ich mich einige Stunden anf. Der alte Concierge, welcher mich begleitete, war noch von Deinem Herrn Vater, als er diese Fürstcnthümcr adminisirirtc, angestellt worden, und Du kannst denken, dasi ich mir zuerst dic Stuben zcigcu licß, dic Du damals bewohntest. Aber wie verfallen ist hier aller alter Glanz! Der Park und die Gärten sind verwildert und mit Unkraut durchwachsen, dic neuen Anlagen geschmacklos, die schonen Wasserkünste fast zum Sumpf geworden, von den seltsamen Mosaiksaulen und Fa^adcn bröckeln sich die Steine los, im Innern der Zimmer riecht cs nach Moder, die Mcublcs sind wurmstichig, und verschossen die bunten Farben, die sic einst belebten. — Es hat etwas tief Trauriges! Gehörte cs mir, ich schldßc es zu und überließe cs ganz dem Zahuc der Zeit. Nach zwanzig Jahren 9tt ware es wicdcr schön und könnte in cincm Roman ä la NaäcUtt' dic prächtigste Nolle spielen. Einige Zimmer passen schon jctzt vortrefflich dazu, z. B. das mit einer Fontaine in der Mitte, die kcin Wasser mehr hat und um welche künstliche Orangenbäume und Blumen von gemaltem Blech stehen, auf deren Acsicn sich eben so gespenstische PapaZaicn schaukeln; oder noch besser das, wo die schauerliche „weiße Frau" hängt, jung, schön, in festlicher Iägcrkleiduug, und doch gräßlich, cadavercus anzusehen. Ihre, wie von cincm schwarzen Fcucr glimmenden Augen scheinen wahrlich, wenn man sie lange betrachtet, lebendig zu werden, wenigstens ist es gewiß, daß sie den Beschauer schärfer und durchdringender anblicken als die gewöhnlicher Portraits. Man hat wohl viele Legenden über die weiße Fran. Dic hiesige lautet: daß sie, nachdem sie noch jung mit zwei kleinen Kindern Wittwe geworden, sich einem Prinzen von Würtcmbcrg in leidenschaftlicher Liebe ergeben habe, ohnc ihu jedoch vermögen zu 97 können, sich mit ihr zu vermählen. Einst, als sie hcftigcr in ihn drang, soll dicstr in die Worte ausgcbrochcu seyn: „Ja, wenn vicr Augen nicht wären, würde ich mich auf der Stelle mit Dir verbinden." Und sie, wclchc die dunkle Ncdc auf ihre Kinder bezog, ließ sich vom Teufel verführen und benutzte die Abwesenheit ihres Geliebten, der eine Reist ins Vaterland angetreten, zu dem grausamen Mord ihres eignen Blutes. Als nun der Prinz wiederkam, warf sic sich an seinen Hals und sagte schmerzlich weinend: »Jetzt bist Du mein, ich habe Dich theuer erkauft und Dir das Liebsie geopfert. Die vier Augcu siud nicht mehr" — und sie erzählte, was sie gethan. Da entsetzte sich aber der Prinz vor ihr, wie vor einem Basilisken, und sie mit Abscheu von sich sioßend rief er: „O Du Ungeheuer! Nicht die unschuldigen Kleinen, sondern meine alten lebens-satten Elteru hatte ich gemeint, die im letzten Monat auch beide selig verstorben sind. Ich Scmllasso. I. 7 98 kam daher freudig herbei. Dich als mcin Ehgcmahl heim zu führen, doch jetzt sey verflucht, Rabenmutter, und fliehe auf ewig meinen An, blick!" So sprach der gestrenge Prinz, und den Tag darauf war die arme weiße Frau zwar eine Leiche, fand aber keine Ruhe im Grabe bis auf dcu heutigen Tag. Die Schlafstube Friedrichs des Großen, in der seitdem uichts verändert wurde, der Sonnen-lempcl von soliderer Pracht als das Uebrige, und ein Zimmer mit chinesischen Bildern on roliol, welche alle Jagden der Chinesen zu Pferde, uud zu Fuß darstellen, verdienen Aufmerksamkeit, so wie auch mehrere interessante Familien-Por, traits. Ich wunderte mich sehr, nirgends eins von Lady Craven zu finden. Vaireuth ist ein freundlicher Ort, etwas todt, wie alle diese ehemaligen Residenzen, mit schönen Gebäuden, die leer sieheu. Nicht ohne Erstaunen sah ich das Theater, welches sehr zweckmäßig 99 gebaut, im Geschmack Ludwig des Vierzehnten, im Innern ganz vergoldet und prachtvoll ausgeschmückt ist. Da die neuste Mode sich wieder diesem Genre zuwendet, so wäre dem grandiosen und magnisiken Saal nur zu wünschen, daß cr sich an einem Orte befände, wo cr mehr en oviäoneo gesetzt werden könnte. Wahrend der heutigen Vorstellung brannten nur sechs trübe Lampen und zwölf Wachslichter in cmcm grdßcrn Ranmc, als der des Berliner Schauspielhauses ist. In die saalartigc Hoflogc tretend, in der man mir gesagt, daß sich bereits sechzehn Damen befanden, mußte ich mit den Handen um mich tappen, um meinen Weg zwischen den Säulen zu finden. Meine Schuld war es daher nicht, wenn ich in der Finsterniß statt der kalten Wand einen warme« elastischen Körper berührte. Ein leiser Schrei benachrichtigte mich von meinem Irrthum, und ich schlug erschrocken ciue andere Richtung eiu. Unterdessen hatten sich 100 mciuc Augen schon so weit an die Dunkelheit gewöhnt, daß ich unterscheiden konnte, wie das A,-08 der Gesellschaft, unter dcr sich kein cinzigcr Hcrr befand, in langer Linie an dcr Brüstung saß, und dcr kleine Trainenr, mit dcm ich unwillkürlich carambolirt hatte, ganz alkin zwischen den Säulen umher ging. Ich fand die beste Gelegenheit, mich der jungen Damc durch cine Entschuldigung von Ncucm zu nähern, was ich auch uicht versäumte. Unterdessen war dcr Vorhang aufgegangen, und dcr zweite Act dcs Fidclio begauu. Daß diese schwere Musik hier abscheulich gemißhandelt werden mußte, war vorauszusehen; desto melodischer ertönte mir dic holde Stimme mcincr Nachbarin in dcr sauften Logenda'mmcrung. Nt voilä, wie meinc Mutter sagt. Am andern Tage giug ich ins Narrenhans, wo wir in manchen Augenblicken fast alle hingehören. Dcr juuge unterhaltende Arzt, dcr an der Spitze desselben stcht, sagte mir, daß, nur 10l drei ausgenommen, sämmtliche Narren aus Stolz oder Liebe dahin gekommen seyen. Er war sehr gegen alles gewaltsame Verfahren, nnd ließ selbst die Wuth-Rasenden mit großer Milde behandeln. Den Meisten sah man nichts von ihrem trauri-gen Zustande an, bis man den kitzlichen Punct berührte. Einige erschütterten mich tief durch ihre ausdrucksvollen Gcstaltcn, wie ihr cdlcs Benehmen, und doch hält dcr Arzt grade diese sür unheilbar. Einer, der ein berühmter Violinspielcr und ehemaliges Mitglied der Hoftapellc gewesen, jetzt schon cm Greis, war ans Liebe zu einer Prinzessin toll geworden, nnd hoffte immer noch, sie zu hcirathen. Er trug einen langen Zopf,, hatte ganz die zierliche Höflichkeit mit dem Anstand cines alten Hofmanncs, und spielte, wie Paganini, seit er hier war nur auf einer Saite, Ein Andrer empfing nns sehr artig, bot uns Stühle au und unterhielt uns mit allen Manieren cines Weltmannes. AIs wir gingen, sagtc er 102 schwcrmüthig und halb leise zum Doctor: „Es ist noch immcr keine Hoffnung da, daß er wiederkommt." Ich fnlg, wcn er meine? D.-r Doctor fing an zn lachen. „Denken Sie sich, sagte er, dieser Mann hat dic sonderbare Einbildung, daß er einen Theil seines Körpers verloren habe, der, wenn ihn Adam im Paradiese nicht gehabt, Eva's Schöpfung überfiüßig gemacht haben würde. Obgleich nun der arme Teufel ganz im Irrthnm ist, so bleibt er doch dabei und glaubt, wenn sich das Gegentheil zu offenbar bcmcrklich machr, cr träume." Das Hans, in dem die Irren sich befinden, war sonst das Sommcrpalais der Prinzessinnen, nnd der übrige Hof wohnte, glanbe ich, in dem angrenzenden Zuchthause. So andern sich dic Zeiten, ja ein ganzer See, der sich hier zum Vergnügen der hohen Herrschaften befand, ist mit ihnen ausgetrocknet. Noch sieht man auch das einem Zwerg gesetzte Monument, der dem Markgrafen bei Nacht 103 vorreitend, mit solcher Devotion stürzte, daß Pferd und Reiter zugleich dcn Hals brachen. Auf dem Monument theilen auch jetzt wieder Vcidc das gleiche Schicksal. Es fehlt ihnen nämlich gemeinschaftlich der Kopf. Das Straft haus ist vortrefflich gehalten nud cine grosie Mcngc Gegenstände, so wic Alles, was die Sträflinge selbst gebrauchen, wird darin verfertigt. Einträglich ist besonders dic Bearbeitung des inländischen Marmors, von dem viel, selbst ins Ausland, verkauft wird. Die hier eingeführte Art des Vrodbackens gefiel wir: das ekelhafte Kneten wird ganz dabei vermieden, und dasselbe Resultat durch bloßes schnelles Umdrehen der Mulde, hervorgebracht, in die man das Mehl hineinthut. Das ehemals berühmte Lustschloß Phantasie ist mit seinen Gärten ebenfalls gänzlich verfallen, soll aber jetzt durch dcn neuen Besitzer, den Prinzen Alerander von Würtemberg, wieder verjüngt werden. Sein Vater, der stcts in Ruß, 104 land lcblc, hatte sich so wenig darum gekümmert, dasi, als der Prinz cs jetzt übernehmen wollic, nicht uur das Schloß bis auf die Thürschlösser gänzlich aufgeräumt war, sondern sich in den Nebengebäuden sogar mehrere Familien cinlogirt hatten, die man nur mit großer Mühe los werden konnte, weil sie eine Art Verjährung behaupteten. Während ich in den kahlen Mauern des leeren Hauses umherging, wo cin Beamter des Prinzen, der die neuen Arbeiten inspicirtc, mir erzählte wie cs sonst gewesen und mich auf die schönsten Anssichtspunctc aufmerksam machte, umzog sich der Himmel ganz schwarz und einer der fürchtcrlichsicu Orkane überfiel uns, der völlig ciucm Tornado glich. Wir wußten uns in den halb Fenster-- und Thürlosen Stuben gar nicht mehr zu bcrgcu, uud glaubtcu nicht anders als nächstens mit dem ganzen Schloß davonzufliegen. Die größten Bäume im Garten bogen sich bis zur Erde, viele wurden vor unsern Angcn entwurzelt und dann den Abhang hinab geschleudert. 105 Regen und Hagel fiel dazu in Strömen. Dnrch alle Töne heulte und brauste der Sturm, es schicn ein Beginn der Sündstutl). Nach einer Stunde brannte die Sonne wieder, und ich betrachtete in ihrem Schein die älteste Linde Deutschlands, deren Stamm über fünfzig Fnß Umfang hat. Der Sturm hatte ihr einen Ast geraubt und die noch dichte Krone häßlich zerzaust. Doch was crzahlc ich Dir von Dingen, die Du so vicl besser kennst als ich, oder horst Du diese, als liebe Erinueruugcn einer frohen Jugendzeit, vielleicht grade am liebsten? Nun dann wenigstens noch soviel, daß der Dank, den die Emigranten Deinem Vater in Marmor graben licstcn, so gut erhalten ist, als wenn die Platte erst gestern fertig geworden wäre, und es ist ein hübscher Gedanke, sie einem Felsen an der Landstraße inernsiitt zu haben, denn es vereinigt dic Begriffe: Dauer und Ocffcntlich-kcit. Zu Beiden wollte auch der Kanzler dm Staat hinführen — dnrch dic letzte zur ersten. 106 Man hat ccncn andern Weg scitdcm gewählt, N Auch nach dem Kirchhofe führen sic alle, so wic mich heute dcr mciuigc. Es war, um Ican Pauls etwas prccicuscs und geschmackloses Grabmal zu sthcn. Was mich mchr frappirtc, war ") Es ist mir so oft, und namentlich von Dir, vorgeworfn, worden, Mtinen Styl durch französische und andre fremde Phrasen zu verunstalten, baß ich ein Nort darauf erwidern muß. Es thut mir nur lcid, nicht mehr Kenntniß fremder Sprachen zu besitzen, sonst würde ich in den gerügten Fehler absichtlich noch viel öfter verfallen. Wenn ich Nncfe schreibe, oder auch für das Publicum, so ist meine Absicht keineswegs, deutsche Stylübungen zu drechseln, sondern auszudrücken, was ich fühle und denke. Nenn dies nun sich im Geist eines fremden Idioms in nur entwickelt, so verliert oft ein Gedanke alle Grazie, seinen feinsten T>uft, so zu sagen, wenn er übersetzt wird. In solchem Fall laß ich ihn in seiner ursprünglichen Form. Gewisse Ausdrücke gehören auch einer Nation sprüchwörtlich an, :mb klingen immer fader in der Uebertragung. So z. W. der eben jetzt von mir oben gebrauchte. 107 die Utilisirung dcs Kirchhofes. Er enthielt nämlich zugleich cine Obstplantage, und cs ist sehr aufgeklart von dcn Vaircnthcrn, Pflaumen und Kirschen zu essen, die aus deu Leibern ihrer Aelleru hervorwachsen. Ich betrachtete die Bäume mit Ehrfurcht und dachte bei mir: das sind ächte und lebendige Stammbanmc! Als ich den Kirchhof verließ, begegnete mir ein Fiaker voller Blumenkränze. ,>Emc Braut?" frug ich. „Nein, eine Leiche." Wenn man hier nicht zu leben verstehen sollte, so versteht man wenigstens zu sterben. 108 Bam berg den l7t<». Sobald man Phantasie hinter sich hat, wird das Land von der Art, daß man nichts Besseres thun kann, als scine Vorhänge herabzuziehen und cincn Roman zu Icscn odcr zu schlafen. Doch mnß man sich vier Stunden vor Bamberg wicdcr wecken lassen, dcnn hier beginnt cine ganz andere Natur. Man fährt in einc dunkle Schlucht hinein, und die dürren Anger, wie die traurigen Fichten, die seit Vaircuth wicdcr dominirtcn, werden durch das üppigste Laubholz ersetzt. Fast bis zur Stadt bleiben dem Reisenden, der in cincm fruchtbaren Thalc schnell dahin rollt, die herrliche Ruinc Gich-Schloß, und die alte Kloster- 109 kirche Gügel, beide auf hohen bewaldeten Bergen liegend, fortwährend zur Seite, ihren Anblick und ihre Stellung znr Straße auf das Reizendste abwechselnd, und optisch verschiebend. Die Dorfer, durch die der Weg führt, siud freundlich und die Hanser meistens von barokem, altcrthüm-lichcn Holzban aufgeführt. Gasthäuser und Posi-wescn siud schlecht. In Hohlfeld mnßtc ich in einer schmuzigen und noch obendrein, trotz der hcißcu Witterung, wie eine wendische Vaucrn-hüttc geheizten Stube, drei Stuudcu auf Pferde wartcu. Als ich endlich dem PostHalter mcinc Indignation in den stärksten Worten ausdrückte und ihn frug, ob er mich zwiugcn wolle, die Nacht hier zu bleiben, antwortete er, bedächtig eine Prise nehmend: „Ja, Sie haben einen großen Fehler begangen." „«Was? rief ich, ich habe einen Fehler begangen? "" „Allerdings, Sie sollten einen Courier oder einen Laufzcttel haben voran gehen lassen." 110 „„Also ohne dies bleibt man gesetzlich beim Posihaltcr liegen, so lange cs ihm gefallt?"" „So ist cs." Außer mir wartete auch noch cin preußischer Postmeister mit seiner Familie auf Pferde. Dieser aber hatte cinc solche patriotische Freude über die schlechten baierschcn Postorganisationcn im Vergleich zu den preußischen, daß er mchr Genuß als Verdruß über dcu Aufenthalt empfand. Da ich nichts Besseres thun konnte, folgte ich seinem Beispiel, setzte mich ihm gegenüber und bildete mir cinc Wcilc cin, daß man in unserm Vatcrlandc in allen Stücken den Nagcl so gut auf den Kopf getroffen hätte — wie Nagler. Das Schloß Scehof, ein ehemaliges Lustschloß der Fürstbischössc, an einer weiten Wasserfläche und dcm Saum eines schon besiaudncn Kicfcr-waldcs gelegen, iu welchem colossale Stamme bis zu vierhundert Gulden das Stück nach Holland verkauft werden, bietet mehrmals vom Wege höchst malerische Puncte. Leider ist nachher Ill bis zur Stadt cm breiter grader Flügel durch den Wald gehauen. Unmittelbar au diesen schlic-ßeu sich schwarze Gemüsefelder an, deren Cultur in ganz Baieru berühmt ist. Eine halbe Stuudc davon erhebt sich Vambcrg mit seinen Domeu, Klöstern uud Vurgresieu, gelehnt au ciuigc eiu-zelue in der Ebene liegende Berge. Ich trat im D.'utschcu Hause ab, einem sehr gnteu Gasihofe, wo man mil- cin elegantes Äpar-tcment einräumte, das voriges Jahr, wie mau rühmte, die Königin dcwohut, dcreu Portrait mit dem des Königs von Griechenland daher auch noch meinen Salon ziert. Hier denke ich einige Wochen zu bleiben oder nach Kissingcn zu gehen, jedenfalls aber mehrere Excnrsionen in die Umgegend zu macheu. Es gefallt mir hier, crscheiut mir behaglich, und warnm sollte ich mich da übereilen? Geru lasse ich mich gehen, wo es der Lannc und des Schicksals Sturm, Wind oder Zephyr gefällt, mich hiuzublasen oder zurückzuhalten. Es ist Zeit, 11s von unnützer Sorge und rastloser Thätigkeit — die vielleicht eben so unnütz ist — ausznrnhen, so lange keine Noch mich zum Gegentheil zwingt. Adressirc also Briefe, Pakete, Alles nach diesem Hauptquartier, und schreibe mir, wie es, wahrend ich die Sicbcnmcilcnsiicfcln angezogen, in der Hcimath zugeht. Dein t r e u e i g n e r Herrmann. N3 Reise - Journal. Erste Abtheilung. (Obgleich in dieser Rubrik der Styl durchgängig unegal, oft vernachlaßigt, und noch weit weniger gefeilt/ als in den Briefen erscheint, so haben wir doch nicht ihn zu verbessern für gut befunden. Es wird eine hübsche Uebung des Lesers seyn, dies selbst zu thun. Wie er ist, zeigt er manchmal recht unterhaltend die Häuslichkeit und andere Schwächen des Verfassers. Clcheime Titul. Gesellüch.) Vamberg ?m 13>m Juni. Es habcn sich noch gute Dinge von den Zeiten des Krnmmsiabcs hicr aufbewahrt, untcr andern vortreffliche Rhein- und Würzburger Weine. Semilasso. I. c> Auch der dicke Koch, dcr dcs Morgens in seiner weißen Jacke und spitzen Mütze heraufkömmt und mir mit dcr heitern Mienc eines Ballettänzers seinen menu überreicht, ist üo I'aneienne rocke. Als cr mich frug, ob ich die grünen Erbsen ^u, »noi-e oder 2 i'an^iZise haben wollte, sah ich, daß cr Schule besaß. Die Gemüse spielen übrigens in Vambcrg eine große Rolle. Auf dem Markt sind die Pflastersteine sogar numerirt, auf dcncn die Verkäufer derselben sitzen und ein Freund der Naturschouhciten darf diesen pittoresken Anblick nichr versäumen. Gleich gegen über ist das Naturalicn-Cabinct. Nur, weil ich nichts Andres zu thun wujm, stieg ich hinauf, ward aber dort oben sehr überrascht, erfreut, ja gerührt. Hier sieht man nämlich, was ein Mann, der mit kindlich frommer Liebe einen gemeinnützigen Zweck unausgesetzt, ohne ein Opfcr zu scheuen, verfolgt, mit den geringsten Mitteln und trotz allen Schwierigkeiten, welche Schlendrian, Gleichgültigkeit und auch mitunter 115 übler Willc ihm entgegen setzen, dennoch zu erreichen vermag. Da das Lokal sehr beschränkt ist, und die Mittel es noch mehr sind, so können die Samm-Inngcn, die viel Naum einnehmen, also z. V. die der größcrn Thiere, nicht sehr umfassend seyn, die Answahl ist aber vortrefflich und in allen Fächern finden sich sogar große und kostbare Seltenheiten. Dic Iusccten und Conchylien werden an Vollständigkeit an wenig Orten ihres Gleichen finden, auch die Mineralien sind sehr zahlreich und überall die Anordnung höchst übersichtlich, mit dcr ökonomischesten Benutzung des Raumes. An Sorgfalt der Präparirung nnd Conservation, kunstreicher, oft das Leben täuschend nachahmender Aufstellung, Erhaltung der Lebendigkeit der Farben und musterhafter Reinlichkeit, habe ich das hiesige Cabinet noch nie übertroffen, ja in mehrerer Hinsicht nie erreicht gesehen. Unter andern herrscht in demselben auch nicht 8 n 116 dic geringste Spur eines unangenehmen Geruchs, weder nach Campfer noch Terpentin noch andern widerwärtigen Ingredienzen, die fast immer den Besuch solcher Sammlungen verleiden und den langcrn Aufenthalt darin penibel machen. Ein ziemlich geräumiger Saal mit einer obcn rund herum laufenden Galerie, freundlich weiß und blau decorirt, uud zwei kleinere Zimmer sind dermalen das ganze Local, über das der Dirigent verfügen kann und doch wäre cs so leicht ihm in dem weitläuftigcn Gebäude ein größeres anzuweisen, wenn man dem Etablissement überhaupt mehr Aufmerksamkeit schenken wollte. Es ist aber Zeit, von dem ehrwürdigen und vortrefflichen Mann zu sprechen, dem die Stadt ganz allein das Daseyn der Anstalt verdankt. Die Geschichte seines Jahre langen Wirkens und Strebcns ist in vieler Hinsicht merkwürdig, und ein Muster, an dem sich redliche Beamte stärken, unnütze Blutegel am Staat aber ein Beispiel nehmen mdgcn. 117 Ich beginne mit dcr Abschrift cincs ofsicicllen Berichts des Königlichen Lycenms-Dircttorats an die Königliche Regierung vom Jahr 1823, im Auszüge. „Dionysius Linder, dermalen Inspector des bei den Bambcrgcr Königlichen Studicnansialtcn befindlichen Natmalien-Cabinets, war in früheren Zeiten Conventual in dcr im Jahre 1802 aufgehobnen Vcncdictiner-Abtci zn Bauz. Schon als Klostcrmann von dem regsten Eifer für das Studium der Naturgeschichte beseelt, war er aus allen Kräften bemüht, eine sich über alle Zweige der Naturgeschichte verbreitete Sammlung ausgezeichneter Naturalien anzulegen und auszuführen. Auch gclaug es ihm durch fortgesetztes Bemühen während seines fünfundzwanzig jährigen Aufenthalts im Kloster aus eignen Mitteln ein Privat-Cabinet von natmhisiorischcn Gegenständen aller Art zusammen zu bringen, welches schon damals die Aufmerksamkeit des gebildeten Puvluums auf sich zog. Jeder, dcr in der N8 Abtei Vanz einkehrte, nahm mit dcm grositcn Vergnügen das Cabinet des Pater Dionysius in Augenschein, und sprach sich über die Reichhaltigkeit desselben, so wie über die großen Vc-mühnngcn, durch welche es zusammen gebracht wurde, mit der rühmlichsten Anerkennung aus." »Im Jahr 1802, bei Errichtung dcs dicsortigcn Lyceums, wurde die an der ehemaligen Universität dahicr befindliche, wcdcr durch Inhalt noch Ordnung zu empfehlende Naturalicu-Sammlung ") von der Königlichen Regierung den dicsortigcn Studicnanstaltcn überlassen, und Dionysius Linder als 6u5w5 derselben angestellt ^"). Das Erste war, daß Linder sein ihm eigenthümliches. ') Sie bestand aus siebcn, von den Würmern halbzerftefsnen Vögeln, etwas Mineralien, Petrefacten und Eonchylien. ") ?ili. mit 10» Gulden jährlichem Gehalt, freier Wohnung und !4 Gulden Holzgeld. Dabei blieb es 6 Jahre, dann erhii'lt Herr Linder von S. M. dein König Max Joseph 200 Gulden in Schreiber mehr zu crhaltcn. 119 schon sehr ansehnliches naturhistorisches Privat-Cabinet ohne alle Vergütung oder Ent, schädigung irgend einer Art, mit dieser Sammlung verband, und so den Grund zu dem Naturalien-Cabinct legte, wie es die hiesigen Schulanflatten jetzt besitzen. Von nun an war scin ganzes Thun und Treiben nur darauf gerichtet, dieses Naturalicn-Cabinet, sowohl seinem Inhalte als auch seiner äußcrn Form nach immer mehr in Aufnahme zu bringen. Er sammelte selbst mit der unermüdctsicn Unvcrdrossenheit, vertauschte entbehrliche Doubletten gegen andere, der Sammlung noch abgehende Exemplare, erhielt oft von hohen und höchsten Herrschaften sehr betrachtliche Geschenke uaturhisiorischcr Seltenheiten, die er stets dem dicsortigcn Cabinete znwieß. Er acquirirte von den bekanntesten Natnralienhändlcrn durch Kauf aus eignen Mitteln die meisten und merkwürdigsten Gegenstände aus allen Zweigen der Naturgeschichte. Was für bedeutende Summen Linder durch derlei 12tt Ankauft, so wie durch Auschassuug geschmackvoller Repositoricn uud Glasschranlc, wie anderer unentbehrlicher, jedoch sehr kostspieliger Mobiliar-schaftcu dem dicsortigcn Naturalien-Cabinctc vhnc Unterlaß zuwendete, ist der Königlichen Regierung aus den Rechnungen bekannt, welche derselben jährlich mit den erforderlichen Quittungen und Belagen zur Vorlage gebracht worden sind. Linder opferte nnt der rühmlichsten Uncigcnnützigkeit und hochherziger Resignation selbst dringende Lebensbedürfnisse, nicht nur alle von ihm gemachten Ersparnisse, die bei seiner höchst frugalen Lebensweise sehr ansehnlich ausfielen, sondern sein ganzes Privatvcrmö-gcn, welches durch einige Erbschaften ihm zufiel, dem Gedeihen und Glänze des Naturalien-Cabinets auf." „Linder begnügte sich indeß auch noch damit nicht, wahrend seines Lebens dem ihm anvertrauten Fache mit seltner Aufopferung und Hingebung alle seine Kräfte zu weihen, sondern cr IM traf auch die geeigneten Einleitungen, daß nach seinem Tode dem, wie cr sich ausdrückt, zärtlich von ihm geliebten Psiegckindc dic nöthige Nahrung nicht mangeln, und dasselbe durch gewissenhafte Benutzung der von ihm dargebotenen Hülfsmittel zu ciner immcr vollkommncw Entwickelung erstarken möge. Zu diesem Ende machte cr am 5ttu October 1822 eine Stiftung und dcponirte 2000 Gulden mit der Bestimmung, die daraus zu gewinnenden Zinsen wahrend seines Lebens sich accumulircn Zu lassen, um nach seinem Tode zur Erhaltung dcs Eabmcts verwendet wcrdm zu können. Für dieses patriotische Geschenk ertheilte S. M. Mar Joseph u. s. w. dem Linder die goldne Verdienst-Medaille und den Titel cincs Inspectors." „Ucbcrzcugt, daß auch für die Zukunft der Glanz des von ihm so sorgsam gepflegten Natura-lien-Cabinets, seine Erhaltung und Vermehrung nur durch Austeilung cincs eignen Cusios nach seinem Tode gesichert werden kdnnc, entschloß 122 sich Linder hierauf, dcn letzten Resi seines zeitlichen Vermögens auf dcn Altar des Vaterlandes niederzulegen. Er fügte daher unter dem 19ten November 182ft zu der bereits gemachten Stiftung noch 3000 Gulden hinzu u. s. w." Dieses Capital ist jetzt bereits über 8000 Gulden angewachsen. Man erstaunt, wenn man vernimmt, daß, um so große Resultate zu erreichen und ein Naturalicn-Cabinct zu Stande zu bringen, das mit den vorzüglichsten in Deutschland wetteifert, der angestrengte Eifer eines einzigen Mannes hinreichte, der, außer einem kleinen Vermögen von.5000 Gulden, nichts besessen hat, als dcn erwähnten jährlichen Gehalt von 300 Gulden und jahrlich 500 Gulden Entschädigung als Dominicaner zu Vanz! „Ost, sagte der liebenswürdige, jetzt drciundsicbzigjährigc, aber noch höchst rüstige Greis, oft habe ich meine Kleider verkauft, um nicht die Gelegenheit zu versäumen, eine dargcbotnc Seltenheit anzuschaffen, und lange 123 schon habe ich mir dcn Wein abgewöhnt, obgleich ich im Klosicr Bauz Kellermeister war und ciucm Glast gutcu WeinS keineswegs abgeneigt bin." Ein Bekannter Linder's, den ich nachher zufällig im Gasihofc kennen lernte, erzählte mir, daß dic Regierung mehrere Jahre lang ihm für das Naturalien-Cabinet einen Zuschuß von — t5, sage fünfzehn Gnldcn gab. Sie quälte aber den armen Mann so unerträglich mit nioniti«, verlangte z. V. ausführliche Quittungen über drei Kreuzer Giftsalbc (man sieht, c'eät w>.u comwo clie2 N0U8) oder ähnliche Diminutiva, welche kaum von dcn Verkäufern zu erlangen waren, da ihnen Papier und Tinte mehr kostete als der Gegenstand werth war — so daß Linder endlich bei folgender ergötzlichen Gelegenheit auf diese Hülfe des Staates gänzlich verzichtete. Er hatte cine ziemlich gewöhnliche Flcdermausart für 34 Krcuzcr gekauft, kurz darauf aber eine höchst seltne sich für cin Spottgcld von 48 Kreuzern zu verschaffe» gewußt, und bcidc Posten berechnet. 1s4 Wic groß war aber seine Verwunderung, als cr über die zweite Fledermaus ein sehr ungchaltnes inoliiwin erhielt, und man ihm unbedenklich 24 Kreuzer strich, aus dem höchst logischen Grunde: daß nicht abzusehen sey, wie die Fledermäuse in so kurzer Zeit um das Doppelte ihres Preises aufschlagen kdnntcu. Der ehrliche Alte soll hier dermaßen in Harnisch gerathen seyn, daß er mit einem arAuinsntmn ad, IiominLm die Frage gestellt: ob unter einer Hcerdc Esel nicht auch einer weniger oder mehr werth seyn könne als der andere, welches von Fledermäusen gleichfalls gelte. Nachdem nun, wie gesagt, Herr Linder auf den jährlichen Zuschuß resignirtc, schien die Behörde in sich zu gehen, belobte Herrn Linder und verordnete, daß er von nun an, wenn cr ctwas brauche, sich nur an die und dic Casse zu wenden habe. Der Märtyrer der Natur, erfreut, endlich, wie er glaubt, das Eis gebrochen zu haben, meldet sich bald darauf mit Vorzeigung 125 dicscs Schreibens bei der betreffenden Casscndircc-tiou, und erhält Folgendes zur Antwort: »Allerdings ist Ihnen ein Credit bei uns eröffnet, und zwar zum Betrage von fünfzehn Gulden jahrlich." Auf dicstn Vcschcid dankte Herr Linder zum zweiten und letztenmal, überzeugt, daß ihm fortan nur seine eignen Sterne leuchten würden. Dabei ist es denn auch verblieben. Jedoch hat ihn S. M. der König, als Anerkennung seiner Verdienste, mit dem Titel eines geistlichen Raths beschenkt. Seine beste Belohnung liegt in der Freude, die er an sich selbst haben muß, und in der Liebe zu seinem Fach. Wenn man den Mann in seinem Cabinet arbeiten und schassen sieht, so überzeugt man sich, daß er mit dem Cabinet gewiß zwanzig Jahre länger leben wird, als es ihm ohne dasselbe die Natur gestattet haben möchte. Wie hoch würde Gdthe diesen Mann geschätzt haben, wenn er ihn gekannt hätte, denn dieser irrcligicuse Heide wußte wenigstens so fromme Liebe zur Natur zu würdigen. 1W Zum Schluß will ich einige der Prachtstücke des Cubincts namentlich aufführen. Seltne Amphibien. Proteus anguinus Crotalus horridus Eine 40 Fnß lange, schön ausgestopfte Log. Ämphisbaena fuliginosa Qeoeo mit getheiltem Schwänze. Fische. Muraena helena Gymnatus clectricus Anabas scandens Raja torpedo Seranus 6pecie nova, etc. Insec ten. Coleoptera; Scarabaeus Hercules Cerambyx longimanus Buprestis gigantea 127 Hemiptera: Fulgora tateanaria Lepidoptera: Pap. Piiamus, Helena, Minos, Menelaus, Uijsses etc. (Urine Agrippina, gcnau ehten balcrschcn Schul) V2 Zoll lang mit ausgebreiteten Flügeln. (Das ist die Art Schmetterlinge, die der Prinz von Ncmvicd mit Flinten, in die man Wasser geladen, schoß.) Aptera: Aranea scorpio afer (?) specie nondum descripta, Testudo Coophanocephata Brachyuti: llorridus Maja Maculatus Astacus huinanus ,, testudo Macrouri: Monoculus Polyphemus, 138 W ü r m c r. Molusca: Holothurca scabra Bohadschia argus Crutacea: Sepia octopodta Echinus atratus „ reticularis Asterias » papposa, t>CVfd)tcbCttC airtcit* „ caput Medusae Testacea: Auris gigantum, 8 ^oH long Chama gigas, % <&d)U§ lctt1(J+ Mineralien. Besonders schone Vergcrystalle aus der v»n- Diopsidc, 1 V4 Schuh lang Chrysolithe, Thulithc, Rauchtopas von 1 Hü Schuh im Durchmesser, Rosenite u. s. w. 129 T h i c r r c i ch. Cynocephalus ßphynx Pteropus edulus 4 1/2 &d)i\§ laug Galeopitliccus volans Sorex pygmacus Ein außerordentlich großer und schöner Löwe nebst Löwin Ornitliorliinchus paradoxvis, fern. Mosclius pygmaca. V ö g c I. Trochilus pella Ciiculus auratus Buceros Rhinoceros Psittacus funereus Der schwarze Cacadu Rupecuia Lrasiliana Laphyrus coronatus Vultur papa Außerordentlich großer Casuar. Scmilasso. l. 9 130 Em Strauß von 12 Schuh Hdhc. Eine vortreffliche Sammlung Colibri's, von denen der kleinste, der noch nicht die Grösic einer Hornist erreicht, ein gntes Gegenstück zu dem Strauß-Niesen bildet, wic unter den Säuge-thiercn die fast eben so kleine sibirische Maus zu dem Elephanten. Den Saal schließt ganz artig eine Art Triumphbogen, den die Kinnlade eines Wallfisches bildet, und nntcr den Dendriten befinden sich zwei wahrhaft wunderbare Naturspiclc. Die Einbildungskraft hat nicht das Mindeste hinzu zu setzen, sondern deutlich und vortrefflich gezeichnet sieht man auf dem ersten einen Vauer, der sich auf seinen Stock stützt, auf dem andern eine Dame, deren Geliebter sich vor ihr auf die Kniee wirft. Doch genug für heute. 131 Den 19 » « «. Dcr Dom, von Heinrich dcm Zweiten im Romanischen Styl erbaut, trägt den ehrwürdigen Stempel dcs Alterthums, und impvnirt durch sein fremdartiges Aussehn wic durch seine Masse, obgleich er vielfach durch moderne Auhäugscl und Monumente im Innern, durch unsinniges Ueber-weißen. Auskratzen dcr schönsten Malereien u. s. w. verunstaltet worden ist. Dcr jetzige kunstliebende Konig hat Vielem rühmlichst wieder abzuhelfen gesucht. Bekanntlich liegt die heilige Kunigunde, welche die Feuerprobe so geschickt als der unvcr-brennbarc Spanier zu überstehen wußte, hicr neben ihrem gutmüthigen Gemahle begraben. 9'"' 132 Beider Schädel abcr find als Reliquien vor dem Altar aufgestellt. Sic warm ehemals sehr kostbar in Gold und Edelsteine eingefaßt, die jedoch in der Franzoscnzcit abhanden gekommen und jetzt dnrch Holz und Glas ersetzt worden sind. Bunte Fenster werden leider im Dome nicht mehr angetroffen. An einem Pfeiler sieht man den Un-garkonig Stephan zu Pferde, wie er zu seiner Tanfc in die Kirche geritten seyn soll. Er sieht barbarisch gcung aus, doch ist das Monument schwerlich sehr alt. Dcr an die Kirche stoßende Capitclsaal, mit vielen Adels- und hierarchischen Emblemen, athmete, so zu sagen, noch ganz das Mittelaltcr und besitzt bewundernswürdige Holzstulpturcn aus dem zehnten Jahrhundert, deren unverwüstliche Dancr so sehr unsere, Colifichct-Arbeiten beschämt. Als ich die Kirche verlassen wollte, machte man mich auf eine Gemäldesammlung aufmerksam, die dcr Viear besitzt, und die (d.-nn der Patriotismus scheint hier zu Hanse zn seyn) 133 ebenfalls schon der Stadt geschenkt worden ist. Sie enthält einige sehr gute Sachen, besonders zogen mich dic vier Evangelisten an, ausge< zeichnete, Bilder, deren Meister man nicht genau kennt, wahrscheinlich aus dcr spanischen Schule. In der alten Residenz, nahe dem Dom, zeigt man das Zimmer, in dem Philipp von Otto von Wittclsbach erstochen worden seyn soll, und in dem angrenzenden neuen Palais das Cabinet, aus dem sich Vcrthier, beim Anblick der in dcr Ferne anmarschircndcn russischen Armee, zum Fenster hinausgestürzt hat. Dcr schwere Mann fiel mit solcher Gewalt auf einc Stcineck'c, daß das Gehirn bis zum zweiten Stock hinauf spritzte nnd die Wand überall befleckte. Vei alle dem ist es immer noch sehr problematisch, ob dieser Tod absichtlich war. Dic Fenstevbrüstnng ist schr niedrig, der Marschall litt am Podagra und war schlecht auf den Füßen. Es ist daher gar nicht unmöglich, daß er den «nito i-norwlo, sich, um dic Russen besser zu sehen, weit hinaus- 134 biegend, ganz unwillkürlich gemacht hat. Das Appartement, was cr bewohnte, ist groß und traurig, und alle Wände mit cincr Unzahl erbärmlicher Gemälde bedeckt. Dcsto schöner isi dic Aussicht über die Stadt und die von Bergen begrenzte Ebne, durch welche der Mayn und die Regnitz sich in kühnen Windungen schlingen. Aus dem etwas höher liegenden Spiral des Michclbcrgcs umfaßt man noch eiucn weitcrn Horizont. Dcr beste Punct ist der ehemalige Villardsaal des Klosters, ein Nccreationsplatz, den die Mönche sonderbar sich warnend ausgeschmückt haben, denn das Hauptgcmaldc desselben stellt die Schiudung eines Heiligen dar. Die Execution ist mit furchtbar ekelhafter Wahrheit dargestellt. Der heilige Otto ist der Haupthcld dieses Gebäudes, und in der Kirche, die cr gebaut, befindet sich eine sehr interessante Galerie alter Bilder, welche seinen ganzen Lcbenscursus darstellen. Da jcdcs Bild gewöhnlich mehrere Thaten enthält, so sind sie numerirt, und sehr naive Unter- 135 schriftcn, auf die Numern hinweisend, geben die Erklärung. Z. V. ^. Der heilige Otto erhält vom Poleuherzog Voleslaus einen kosibareu Fifth zum Geschenk. V. Derselbe gibt ihn mildthätig cinem Armen. (ü. Heidnische Priester, die dcn hciligm Otto tddtcn wollcu, erstarren zu Bild-säulcn. 0. Dicsclbcn siichcn bestürzt davon u. s. n». Die meisten Handlungen sind von nicht viel größerer Wichtigkeit. Sehr unterhaltend und gnt gemalt ist ein großer Stammbaum dcs heiligen Otto, in dem sogar dcr Kaiser Lothar und dcr griechische Kaiser Comncnus mit figu-riren müssen. Unten liegt als Stammvater der Graf von Andechs. Die vcrschiedncu Trachten von mehr als hundert Personen aus vcrschicdnen Zelten sind ein gutes Toiletten-Studium, (i^ili. der Bibliothekar Iäck will so gütig ftyn, mir eine illuminirte Copie desselben zu besorgen). Die Kirche war heute iu eiueu Hain verwandelt, überall mit Tannenastcn, abgehauenen jungen Birkensiämmcn und vielen Blumen besteckt. Zwi, schcn ihncu hingen in großer Menge wächserne Vemchcn und andere Glieder (warum nicht auch wächserne Nasen?), welche die Gläubigen aufgehangen. Ich habc Unrecht darüber zu spotten, denn cs gefiel mir als Kinderspiel. Beim Nachhauscgchen bemerkte ich auf der hohen Mauer des Residenzgartens, von der vor Kurzem cin Stück einfiel und zwci spielende Kinder erschlug, eine lange Ncihe Stcinvasen mit schönen grünen Aloen. Dies finde ich in gehöriger Höhe keine üble architektonische Deception, denn die Aloen waren nur von Blech und grün angestrichen, sahen jedoch vollkommen ächt aus. Die Aloe ist aber auch eine Pflanze von solcher Beschaffenheit, daß man eben so gnt sagen könnte, der liebe Gott hätte damit eine aus Blech gemachte nachahmen wollen, und da sie, wie man sagt, bei uns nur alle hundert Jahre blüht, so wird man bei beiden Sorten gleich vergeblich diesen Moment erwarten müssen. Abends durchlief ich französische Romane. 137 ^tür (^uN von t'uZ^n« 6u«, l'ilno mort V0N 'limlll u. s. w. Sehr originell und dichterisch ist im Ersten die Idee, daß ein Mensch dahin kömmt, das wirtliche Lcbcn für einen bloßen Traum und die phantastische Eristenz, die er sich durch Opiumcssen verschafft, für das Wachen anzusehen "). So wird cr nnter andern während dcs letzten Zustandes gehangen und glanbt entzückt, daß seine Geliebte ihm nur im Moment dcs höchsten Genusses und wahnsinniger Ertase die Kehle mit ihrem scidncn Haare zuschnüre. ,>O, stammelt cr, laß los, Dn tödtesi mich!" Und es ist geschehen. Hatte cr abcr im wirklichen Leben sorglos und unbefangen die gräßlichsten, ') Es scheint, daß unftrm Autor bei dcm Titel dieses Buches, wenn auch in andrer Beziehung, etwas Aehnliches vorgeschwebt hat. Wie es natürliche (^lnrv^ant« giebt, ohne magnetisirt worden zu seyn, s» könnte man Scmilasso oft einen natürlichen Opiumesscr nenucn. Anmcrk. der geheim. Nitular-Gesellsck. 138 haarsträubendsten Handlungen begangen, ging dann am Abend hinab, sich in seine Kajüte zu verschließen, und ergriff seine Opiumbüchse, so rief cr, sich wic ein Erwachender die Augen reibend, schläfrig ans: „Pfui, welch ekelhafter, welch abscheulicher Traum!" Man mag über diese neue französische Literatur sagen was mau will, es isi Leben in ihr, mag cs ein verzerrtes uud convulstvisches seyn, es ist doch Leben, seiner Zeit gcmasi, und mit mehr Originalität ausgestattet, als sich in unsern deutschen Büchern entdecken lasit. Ganz unerträglich sind mir besonders die englischen Recensionen dieser Werke. Es ist den versteinerten Pedanten, die sich dort einmal den crttischen Scepter auge> niaßt haben, nicht möglich, aus ihrer engen Sphäre heraus zu treten. Man sieht, ivie albern sic Göthe loben! Eben so albern tadeln sic dic Franzosen. Immer darf nur der Maßstab ihrer einseitigen Moral, Religion uud kränklichen Sittlichkeit cincm Dichterwerke angelegt werden. 139 I'u der Natur isi aber Alles vorhanden, und was der Dichter davon zu ergreifen, treu abzuspiegeln, neu sich zu erschaffen wciß, das hat seinen individuellen Werth, es mag Gift oder Nektar, menschlich angesehen bös oder gnt seyn. Aber selbst cincn Augenblick angenommen, ein Roman müsse, wie eine Predigt, stets eine moralische Tendenz haben, wie kann mau I'anin's todtem Esel eine solche absprechen, und ihn ein unsittliches man5ti'mn nennen! Ich für meine Person finde ergreifende Lehren der Moral darin, und zehnmal mehr Ehrlichkeit als in sämmtlichen Marmontclschcu und andern Erzählungen, bei denen das Moralische nur auf dcm Titelblatt zu finden ist. Etwas anders möchte es sich allerdings mit einer noch poetischeren Natnr, mit l!>u^«n6 8uL verhalten. Hier könnte man vielleicht versucht werden. Zu glauben, daß er eine versteckte Tendenz habe, das, was man Tugend nennt, herabzuziehen nnd in denjenigen seiner Helden, die cr mit der größten Kunst nnd Liede gezeichnet. 140 sich zu zeigen bemühe, wie diese Tugend in der Praris weniger geeignet sey, Lcbcnsglück hervorzubringen, als der gefühlloseste Egoismus mit kluger Gewandtheit und Leichtsinn gepaart. Aber wer sicht hier nicht eine bittre, tieft Ironie im Grunde, die höhnend und ingrimmig eben diesen Egoismus, diesen Fluch unsrer Tage, als zierlich geschmücktes Idol der Menge, die es anbetet, hinstellt, obgleich cr oft genug den Schmuck verschiebt, um zu zeigen, daß nichts Lebendiges, sondern nur todtes Holz, sich hinter den Flittern verberge. Uebrigens mag Herr NuFöne 8n« wohl der Meinung mit vielen Andern Raum geben, daß auch unsere liebe Tugend verzweifelt einseitig sey, und daher ebenfalls nicht zum Glücke führe. Wie die Alten unter Tugend hauptsächlich nur Tapferkeit und Stärke verstanden, so ist der heutigen Tugend ein starkes Ingredienz des Gegentheils eigen, nämlich Schwache und Furcht. Wcrdcn wir auch hierin ein j«8w nnitou suchen !4l müssen, wcil wir das Ideal nicht erreichen tonnen? Denn dics würde im vollkommncn Gleichgewicht aller intcllcctucllcn und physischen Kräfte bestchen. Nnr ein solcher Mensch könnte wahrhaft tugendhaft, wahrhaft weise und wahrhaft glücklich seyn. Von diesem kerngesunden Zustande der Seele und des Körpers scheinen wir aber grade jetzt entfernter als je, und es ist daher Herrn k^ginl« 8n« gar nicht zu verdenken, wenn er solche schwindsüchtige Tugend etwas höhnt und uns zu zeigen sucht, daß sie sehr weit vom Ziele bleibt. Herbe ist allerdings der Gegensatz, wenn wir sehen, daß auf der andern Seite den indifferenten Egoisten alles Irdische gelingt, selbst nach dem Erschöpfen aller Lebensgenüsse, noch cm ruhiger und angenehmer Tod. Doch wer genau die meisterhafte Zeichnung ihrer Laufbahn verfolgt, wird wohl gewahr werden, daß der Autor ihuen nur die Ensicnz und das Glück eines Thieres zutheilt, daher für den geistigen Menschen ftlbst der Schmerz dessen, der Edleres 143 will, wie cr ihn schildert, dcm G c n n si Icner vorzuziehen ist. Ebcn so würde Jeder, der cine Seele hat, licbcr cine Straft von Gott, als eine Velohmmg vom Teufel empfangen. Daß es aber hier manchen Leuten, die eben ihr Gcnic melancholisch macht, zmvcilcn so vorkömmt, als riefc eine Stimme aus der Wüste: I'oitlnm non liatur — ist erklärlich, und konnte dics wohl auch dcr trübe Gedanke seyn, der jcncn Romanen zum Grunde liegt. 143 Den Wt - ,,. Auf einem alten Nappci«, unendlich lang, unendlich dürr lmd möglicherweise noch cm l^un-tem^or^in des letzten Fürstbischofs, (cin Pferd kann fünfzig Jahr alt wcrdcn) ritt ich hcutc bei glühender Sonnenhitze, bedächtigen Schrittes, scchs Stuudcn lang in dcr Gegend umhcr. Zuerst erklomm ich die Altcnlmrg, seit dem siebenten Jahrhundert erbaut und spater, als Vabcndcrg, so oft cinc Rotte, in dcr Geschichte spielend. Hier hauste dcr tapfcrc Adalbert, bis ftin Kopf durch Iesnitischcn Verrath (denn es hat immer Jesuiten gegeben) unter dem Hcnkerbcilc ficl. Hier starb der gcfanguc italische König Berengar, hicr residirten deutsche Kaiser und Fürstbischöfe bis in das sechzehnte Jahrhundert, und hicr beschloß vor wcnig Jahren cin andrer berühmter Adalbert (der jedoch, wenn cr Menschen gelobtet, sie nicht auf dem Schlachtfeldc, sondern ruhig im Bette absolvirt hat), dcr Doctor Marcus, als letzter Besitzer, sein thateuvolles Leben. So ging die alte hisiorienreichc, fast im Minclpuncte Deutschlands gelegne Bcstc aus Ritterhandcn durch geistliche in ärztliche über, bis sie ssenoii» coniuiulN8 ward, d. h. für einige tausend Gulden 8ud I,il«w dcr Stadtcommun Zufiel. Diese schätzt, wie ich höre, ihr neues Eigenthum, mit allem Recht, sehr hoch, ich kann jedoch nicht sagen, daß sowohl was sie daran gethan, als was sie unterlassen, sthr zu rühmen sey. Doch bleibt auch vom Alten, wenn auch nicht mehr vom Acltestcn, noch viel Anziehendes übrig. Ich sing damit an, die 114 Fuß hohe Warte zu besteigen, von dcm klarsten Wetter begünstigt. Kaum erinnere ich mich cincr panoramatischcn 145 Aussicht, dic reicher und anmuthigcr wäre. Die grosic Bewegung des Bodens, die vielen isolirt daraus hervorragenden höheren Berge, die Menge weiter, geschlossener Wälder, die mit unzähligen Obsibaumcn überall durchwirkten Fluren, der erfrischende Anblick zweier Flüsse, Weingärten am Abhänge, und das ganzc stattliche Vamdcrg mit seinen schlanken und zahlreichen Thürmen, seinen gothischen Kirchcn und Klöstern im Vor-gruudc — gcwist man kann nicht mehr günstwe Elemente unter einem tiefblauen Himmel vereinigen, an dem heute tausend weiße Wolkcnballen die Sonne umspielten. Man hat die Uebcrrestc einiger andern Thürme benutzt, um kleine Salons daraus zu machen, die man innerlich mit gothischen Schnörkeln stbr geschmacklos angemalt und auch zum Theil äußerlich mit dergleichen Holzwcrk versehen hat. In cincm dieser Cabinctc hatte Hofmann, als er hier lebte, einige Scenen aus der Geschichte der Burg »1 l»-«co gemalt. Gerade diese Malereien Semilasso. l. j.0 146 aber, welche durch die Person dcs Autors bci Jedermann Interesse crrcgt haben würden, sind nnversiandigcrweise übcrweisit worden. Sic sollcn übrigens etwas gespenstisch ausgesehen habcn, wic Hofmanns andere Phantasicbilder. Im Burgthore sind zwci Lcichenstciuc mit geharnischten Figuren in farbigem Marmor in die Wand eingelassen worden. Die Eine stellt ciuen Ritter von Schanmberg vor. Rüstung, Schwcrdt, Dolch und Streitart sind von rothem Marmor, nur das Antlitz schaut weiß ans dem geöffneten Visir hervor, was eine überraschende Wirknng hervorbringt. Dics ist cinc Verschönerung im Geist und Geschmack des Ganzen, und in diesem Sinne sollte man fortfahren. Auch zwci alte Oclgc-mälde, deren Acquisition man gemacht, verdienen lobende Erwähnung. Das Eine stellt einen Ritter vor mit einem gntmüthigen Antlitz, dessen Vart so lang ist, daß derselbe in zwei Zöpfen herabhängend noch eine halbe Elle auf der Erde schleift. Der Inhaber, welcher in Linz befehligte, 147 starb an diesem Lurus, denn eine Stcinttcppe hinabsteigend verwickelte cr sich in seine'Bartzöpfe und brach das Genick. Das Andre ist ciu sehr qut gemaltes Bild des Churfürsten Maximilian von Vaicrn, des kraftvollen und thätigen Antagonisten Gnsiav Adolphs und M Reformation. Die großen Eigenschaften dieses Fürsten sind vielleicht von der Geschichte nicht genug erkannt worden. Ohne ihn wärc cs um den Katholicismus, in Deutschland wenigstens, gethan gewesen. Der Ausdruck seiner Physiognomie zeigt Würde, Klugheit und Beharrlichkeit. Auch das schwarze spanische Costümc mit der schweren goldncn Kette um den Hals ist wohl anstehend. Um nicht denselben Weg wieder zurückzulegen, (denn ich hasse nichts mehr als das Zurückgehen in jeder Beziehung) führte ich meinen steifen Gaul durch Hopfen, und Weingärten in gerader Richtung hinab, bis ich wieder auf eine gebahnte Straße kam, und ritt dann durch eine fruchtbare Flur bis an die Regnitz. In einem Wirthshausc 10 " 148 erkundigte ich mich hicr, ob ich den Fußsteig, dcr sich am Flusse hiuschlängclte, verfolgen könne. „Wohin wollen Sic?" srug die Wirthin, indem sie mir auf meine Vittc einen Kroncnthaler wechselte. Das kleine Geld, was sie mir in die Haud drückte, hatte vor ihr auf einem Tisch im Freien in der Sonne gelegen, und brannte in dcr Hand wie Feuer. Vor hundert Jahren hätte man das Weib mit ihren tricsigcn Augen, ein paar hervorstehenden Zähnen und ihrem sengenden Gcldc füglich für eine Here ansehen können. „Wo ich hin will? sagte ich, überall und nirgends — das heißt, setzte ich hinzu, da ich sah, wie sie mich verwundert anstarrte, ich reite spazieren und jede Richtung ist mir recht, wo ich zu Pferde fortkommen kann und eine hübsche Gegend finde." „O, meinte die Alte, da müssen Sie umkehren und die große Chaussee einschlagen, dieser Fußsteig sührt nur durch Wald und Berg und Thal in der Nildniß mehrere Stunden hin...." Ich war schon fort, denn was konnte ich Besseres 149 wünschen. Die ehrliche Here hatte auch ganz richtig prophezeiht. Zuerst blumige Wiesen am Wasser, dann ein reizend gelegenes Dorf mit einer gigantischen Borflinde, unter dcrcu Schatten ich Milch trank, dann ein hoher Verg mit entzückenden Fcrndildern anf Gichburg und den Lauf des Flusses, zuletzt cin dichter goldncr Buch-wald, der mich unter seinen Laubgewolben nach anderthalb Stunden erfrischender Kühlc wieder an das Wasser brachte. Ich setzte hier auf der Fahre über, um mir auf der andern Seite einen, ganz ucuc Scenen vorführenden, Rückweg im Thal zu gewinnen, in dessen Verfolgung ich zuletzt den lieblichen Thcrcsicuhain erreichte, das Roscuthal der Vamberger, wo unter hohen Eichen Kaffeehäuser, Flußbäder, Promenaden, Tempel und Ruhesitze die Städter au jedem schoucu Tagc zum Geuussc läudlichcr Freuden einladen. 13tt Den ?> l> ° n. Mit Herrn Bibliothekar Jack stöberte ich heute einige Snmdcu in der Bibliothek umher. Es ist doch schön, dasi es 1834 noch Märtyrer, und Märtyrer der Wissenschaft giebt! Linder undKIack sind ein paar Solche. Auch dieser arbeitet im Schweiß seines Angesichts in seiner und für seine Bibliothek mit dem Gehalt cincs Copisieu, das oft in Vorschüssen aufgeht, die n machen muß, und giebt von dem Scinigcn noch her pi'o buno ilukllcio, was ihm nur zu entbehren möglich ist. Auch ihu siarkt die Leidenschaft für seine Vüchcr, wie Jenen für seine Natura- l5l lien. Glückliche Sterbliche bei Allem, was Ihr entbehren müßt, da Euch zur Entschädigung das Schicksal nicht nur erlanbt, sondern als Pflicht gebietet, fortwährend Eure Steckenpferde zn reiten. Es ist daher eine zwar harte, aber sehr richtig calculirte Politik, Euch selbst auch ihr Futter bezahlen zn laffen. Es ist hier eine merkwürdige Bibel, ein Manuscript auf Alcuius Befehl verfaßt und von ihm durchgesehen, in dem einige der Hauptdogmeu der christlichen Kirche n i ch t zu finden sind, z. B. die Dreieinigkeit. Die Bibliothek ist überhanpt merkwürdig reich au dcu kostbarsten Manuscriptcu, über welche Jack ein prachtvolles Werk hcraus-gicbt, der sehr geschickte Künstler für seine C^)> piceu hier gefunden hat. Der Bibliothekar meinte, er könne beweisen, daß die heilige Kunignndc ein Kind bekommen habe, und wird darüber wohl nächstens eine Notiz geben. Eiu von ihr der Stadt geschenktes Gebet« buch und zwei andere, die Heinrich dem Zweiten 132 zugehbrten, enthalten Miniaturen von vielem Interesse, obgleich geringem Kunsiwenh. Was diese Bibliothek sehr auszeichnet, ist ihre zweckmäßige und bequeme Anordnung, nnd der l^i^o^,^ r>. Man hatte mir so vicl von dcn ReiM dcr fränkischen Schweiz gesagt, dasi ich heute dicsc Ercnrfwn unternahm, wegen der Hitze mich jedoch crst spät auf dcn Weg machte. Dcr Lohnkntschcr, wclchcs mich fuhv, war so originell local, daß cr cinc Vcschrcibnng verdient. Dieser hcrculisch gestaltete Mann mit schwarzem Haar und Bart schien einige drcisiig Jahr alt zn seyn; an einem schon etwas verwischten Anstrich mili-tairischcn Anstandes sah man, daß er gedient hatte, nnd an dein fortwährenden Ansdrnck von Dusel in seinem Gesicht, daß er zu jenen einqc^ wurzelten Säufern gehörte, die nie mehr total, aber zu jeder Zeit halb besoffen sind. t56 Gravitätisch setzte cr sich auf den Bock seines ziemlich gut gehaltnen Fuhrwerks nieder, gab cineu halb pfeifenden, halb schnalzenden Ton zur Antrcibung ftiücr Pferde von sich, und legte majestätisch die Hand an eine rosenroth und grasgrün angestrichene Peitsche, die in einem langen, an der Vocklehnc befestigten Futteral, wie ein Schwerdt in der Scheide ruhte. Jedesmal, wcnn er im Verlauf der Reise die Absicht hatte, sie heranszuzichen, wandte cr sich vorher mit beredter Miene nach mir um, und sobald ich ihn fragend ansah, in der Meimmg er wolle mir etwas sagen, lächelte er wohlgefällig, drehte sich mit schnellem Tempo wieder um, zog die Peitsche heraus, hielt sie crsi wie beim Gewehr-Prasentiren cincn Augenblick gerade vor sich hin, und nachdem cr mit grosier Selbstgefälligkeit noch einige knnsivollc Wendungen in der Luft mit ihr ausgeführt, erhielt das dazu bestimmte Pferd zwei bis drei taktmäsiige Hiebe, worauf die Patsche wieder mit ä pwmi> in die Scheide l57 fuhr. Wir kamen ziemlich rasch vorwärts, abcr fast in jeden: nrch so kleinen Oertchen hielt er an, um scinc Pferde mit Wasser und sich nut Bier zu rcgaliren. In seiner Unterhaltung mit mir, die cr hausig anzuknüpfen suchte, denn cr war sehr gesprächig, nannte cr mich gewöhnlich Euer Gnaden; wcun ich das Vier für ihn bezahlte. Euer Durchlaucht; und wcnn cr ctwas von mir erbetteln wolltc, unabwcislich Königliche Hoheit, wobci seine süßlich freundliche und hingebende Micne wirtlich unnachahmlich war. Als ich jedoch bei der ersten Brücke, um zu sehen, wie cr das wohl aufnehmen würde, die Zahlung verweigerte, obgleich ich dazu durch unser Abkommen verpflichtet war, verfinsterte sich sein Angesicht, sein Ausdruck ward plötzlich gemein brutal, der Ton seiner Stimme dreimal lauter als vorher, und cr tractirte mich sehr cavalierc-mcnt per Sie schlechtweg. Kaum hatte ich darauf lachcud den Beutel gezogen, (dcnn mein Jäger war krank zn Hause geblieben und ich daher 158 mein eigener Zahlmeister), so war cr auch schon wieder der Alte und machte vergnügt stin Peit-schcnmanocuvrc. Diese Uebcrgängc, die ganz in meiner Gewalt standen, vergnügten mich den ganzen Weg über, und wenn ich ihn durch vcr-schicdnc Neckereien in so großen Zorn gesetzt hatte, dast er im Begriff war, mir die derbsten Grobheiten zu sagen, wandelte eine Flasche Freibier ihn augenblicklich in den ehrerbietigen Sol.-datcn mit der flachen Hand an der Mütze, und mich in eine Durchlaucht oder Königliche Hoheit um. Die Dämmerung dcgann bereits, als ich das romantische Wicsenthal erreichte, eine wahre goldne Aue an Fruchtbarkeit und Frische, von bcbuschtcn Hügeln, schroffen Felsen und zerstörten Burgen eingefaßt. Erst um 11 Uhr kamen wir in Strcit-berg an und fanden den ansehnlichsten Gasihof besetzt. Um zn dem nächsten zu gelangen, mußten wir noch einen beschwerlichen Vcrg hinauf fahren, und als wir endlich da waren, lag Alles in tiefem Schlaf. Etwas von Migraine geplagt. l59 hatte ich viele Noth, mich in einer elenden Ban-crnstubc einzurichten. Doch ward Alles durch die große Bereitwilligkeit und Gntmüthigkeit der Leute erleichtert, die mit stiller Verwunderung aus meinen Kästen und Nachtsacken cin ganzes Bett, unzählige Büchsen, Bürsten uud Flaschen, Estwaarcn, Wein, Vai886lle und Toiletten, Bücher und Schreibmaterialien, Lampen, Perspective, und der Himmel wcist was sonst noch alles, nach einander hervorkommen sahen, daß sie einen Ve-ripbeutel vor sich zu sehen glaubten, uud das eine Madchen zuletzt so herzlich darüber zu lachen anfing, als würdc in der Schenke cin Puppen? spiel aufgeführt. Auch plagte sie die Neugicrdc, nachdem die Andern gegangen, noch allein zurück zu bleiben, um sich über Dies und Jenes zu erkundigen, wozu es wohl gebraucht werden könnte. Als ich ihr aber sagte, daß ich gern die ganze Nacht aufbleiben würdc, um sie von Allem aufs Gcnauestc zn unterrichten, lief sie davon. 1W Muggcndorf den 2llt<>,, Da diese schönen Thaler sehr viel von Fremden besucht werden, so ist die Billigkeit der Preist wirklich bemerkenswert!). Für Abendessen, Nachtlager und Frühstück, nebst einer Menge frischer Wäsche nnd vielem omk^ivl», den ich im Hause gemacht, betrug die Rechnung noch nicht ganz drei Gulden. Ich schickte mcincn Wagen ins Nachtquartier, nahm einen Führer nnd mit ihm zu Fuß den Weg über die.hohlen. Zuerst bestiegen wir die Strcitbnrg, die vor zwanzig Jahren noch ganz im Stande gewesen jcyn nnd zu Korn-magazinen gedient haben soll. Ein spitzoübischer Beamte, der jetzt anf der Festung sitzt, ließ sie, 161 wie man mir sagte, unter verschiedenen Vorwan-dcn nach und nach abtragen und verkaufte das Material. Wie es aber der liebe Gott oft einrichtet, ist wohl anch hier aus dem Bösen Gutes entstanden, denn die mit hohen Dächern versehenen Gctraidcboden können unmöglich einen so malerischen Anblick gewährt haben, als jetzt die halb eingestürzten Mauern und Thürme. Auch ciuc ehrwürdige Meuscheuruine findet sich hicr oben — ein 83jährigcr Mann, mit noch feurigen Augen und einem fast glatten Gesicht. Nur die Beine, meinte er, wollten nicht mehr recht fort, aber Durst und Appetit wärm noch vortrefflich. Die wohlthätige Natur überlaßt gewöhnlich diese Genüsse Greisen und Kindern am reichlichsten, als wenn sie sie für andre abwesende dadurch einigermaßen entschädigen wollte. Der alte Mann war noch in andrer Hinsicht merkwürdig, denn er ist ein seltner Ucberrest jenes einst von unsern Souveraincn nach Amerika verkauften Mcnschenficisches. Jetzt ist das wohl S«»ulasso. I. H 102 nicht mchr erlaubt, höchstens Seelen, und die können vicl vertragen, besonders deutsche. Eiuc Stunde von hier entfernt liegt in einem Vuchcnwalde die Schöusieinhdhle, dcren labyrinthische Gänge noch nicht völlig bekannt sind, aber nichts Imposantes darbieten. Mein Führer schleppte mich durch so viel schlüpfrige, schmutzige und enge Löcher und Windungen, daß ich bald selbst zu Tropfstein zu werden glaubte, so rann der Schweiß stromwcisc von mir herab. Ehemals — und man erzählt sich hier noch viel davon — war der von der Regierung bestellte Hdhlenmcisier ein schöner junger Mann und dazu cin wahrer I^ovolaco dolc»v 8wn-8, scinc Schwester aber noch wilder und schöner als er. Vcide hatten artig das Führcrgcschäft getheilt. Der Bruder weihte seine Sorge den Damen, hie Schwester den Männern die ihrige, und die Erlangcr Studenten sollen damals die Naturgeschichte der Hohlen so eifrig siudirt haben, daß manche Individuen den Besuch wohl zwanzigmal wiederholten. Indessen 1tt3 raffte cm früher Tod beide geniale Geschwister hin, und seitdem geht Allcs hier wieder ganz prosaisch von statten, nntcr, wie übcr der Erde. Welt Msiartigcr al<6 die Schönsieincr ist die Rosenmüller-Hdhlc unweit Mnggeudorf, obgleich man 6üctj in ihr an m,cr Stelle wie cin Wurm und noch obendrein dnrch Waffcr kriechen muß, wenn man das Allerheiligsie erreichen will. Vin ich abcr einmal am Ort, so lasse ich nicht gern etwas ungesehen. Vor dem Eingang habcn die Felsen eine Art Cabinet gebildet, in dessen Mitte cin Vaum auf-gewachsen isi, dcn ein Stcintisch nmgiebt< Dies ist gar cin heimliches Plätzchen, anf drei Scitcn geschlossen, anf dcr vierten cin mehrere hundert Fnß ticfer Abgrund. Wenn man anf die Felsen heraus tritt, isi die Aussicht auf das Thal, mit bcm Dorfe Muggendorf, einigen verfallenen Nui-ncn und dem Lauf dcr reisicnden Wiescnt, ebenfalls hockst anziehend. Ich studirtc hier lange die Krümmungen des Flusses für mcinc Anlagen uud 164 zeichnete sie mir ab, dcnn selten wird man ein besseres und mannigfaltigeres Modell dafür finden. Die Hohle, m die man auf einer Leiter hinab-steigt, und die ich mit doppelter Lichtcrzahl illu-nuniren ließ, bietet kühne Gewölbe von herrlichem Effect und eine Menge barocker Tropfsteinfignrcn dar. Ist man bis zu dem erwähnten schwierigsten Theile gedrungen, so erfreut man sich an der Mondmilch und dem Tcufelsconfctt, ebenfalls Tropfsteinformationen, deren eine der Milch und die andere kleinen weichen Biscuits gleicht. Hier am äußersten Ende der Höhle schrieb ich meinen wirklichen Namen neben vielen andern ein, wor-Kuf ich jeden etwanigcn Leser dieses aufmerksam mache — in das Fremdenbuch im Gasthofe aber einen falschen, denn diese immer mehr übcrhand nehmenden polizeilich-inquisitorischen Quälereien sind mir ein Graucl und ich mache ihnen gern ein X für ein U. Der Wirth sagte mir, daß er schon dreimal wegen supponirter liberaler Umtriebe Haussuchung 165 habe erdulden müssen. „Alles Schuld dieser ver, zweifelten Studenten!" setzte er hinzu. Noch bitt« rcr aber klagte über diese der Wirth in Streit-berg, welcher behanptet, die Erlanger Musensöhnc schuldeten ihm armen Manne fünfzehnhundert Gulden: allerdings eine ansehnliche Summe für eine Dorfschenke, und noch obendrein eine so billige. 166 Den ^4 ' « »' Ich weiß nicht, warllm mau, wenn man von der hiesigen Gegend spricht, nur immer der Höhlen erwähnt, da doch diese mir weit weniger Rnf zu verdienen scheinen, als die weit und breit ihres Gleichen nicht findende, ganz eigenthümlich romantische Schönheit dieser Thäler, und besonders die, auf einem vcrhältnißmäßig geringen Raum fast unbegreiflich zusammengchänftc Menge theils noch crhaltner, theils zerstörter Schlösser und Burgen. Ein wahres Hornißncst von Raubrittern muß hier gehanst haben, und wehe den armen Handelsleuten, die damals hier im Thal vorbeiziehen mnsitcn. Heutzutage formircu 167 sich die Hornißuestcr anders; die schwacher« In, sectcn haben aber schwerlich etwas dabei gcwon» uen, nur dic Rollen sind hie und da getauscht. Ich hatte heute eine starke Tour vor mir, einen reichen Tag, weßhalb ich zeitig aufbrach. Die erste Burg, deren wir ansichtig wurden, war Gaylcnreuth, deren breiter und spitzer Hauptgiebel hoch aus dichten Tannen hervorschaute. Dann kamen wir an cine klappernde Mühle und erblickten auf steilem Verge das wcitläuftige Schloß'Gdßweinsiein. Es thront majestätisch über dem engen Fclsenthal, dessen Wände mit Buchen bewachsen sind, aus denen hie und da einzelne Stcinmassen hervorragen. Der steile Fußsteig war sehr ermüdend, und dennoch müssen die Einwohner des Marktfleckens ihr Wasser hier vom Flusse herausschaffen, da sic kein anderes besitzcu. Nur im Schloß ist eine Cistcrne. Dies ist noch vollkommen erhalten und bewohnt. Demungeachtet pochten und riefen wir wohl cine Viertelstunde am Thore vergebens, ehe man n„s 168 öffnete. Der Herr Rcntmeistcr hatte erst seit wenigen Tagen seinen Dienst angetreten, schien noch sehr ängstlich und meinte, cr müsse seinc Kassen schützen. Er zeigte mir indeß Alles nachher sehr verbindlich und fühlte mich nach cinem kleinen Söller, auf dem ich wie versteinert stehen blieb. Er hing wie ein Adlernest über einem schwindelnden Abgrund, in dessen Ticfc durch den Wald die Wicscnt rauschte. Rundum wogten Verge über Verge, und spitze Fclszackcn schössen wie Crystallisationen zwischen ihnen empor. Ohnc in seinen Dimensionen colossal zu seyn, wie die größern Gebirge, hatte dieser Anblick dennoch etwas uugcmcin Erhabenes, und da überhaupt die Größe nur durch Verglcichung wirkt, so erscheinen oft 100 Fuß in der Plaine hoher als 1000 am Fuße der Alpen. So hat der Fall deS Staubbachs immer auf mich keinen andern Effect gemacht, als daß cr thurmhoch sey, und doch stürzt er sich tausend Fusi, die zehnfache Höhe gewöhnlicher Thürme, herab. 169 Durch einen bedeckten Gang von 120 Stufen stiegen wir hieranf an der andern Seite nach dem Städtchen hinunter. Mit Verwunderung sah ich aus den Fenstern im Schloßgartcn, bei heftigem Regen, der leider eben begonnen hatte, mehrere Kraniche, Störche, Reiher und andre Vogel unbeweglich stehen. Einen Augenblick hielt ich sie für lebend, bald überzeugte ich mich jedoch, daß sie nur ausgestopft seyen. Ein solches Naturalien-Cabinet in freier Luft war mir uudcgrciflich. Der Rcntmcistcr loste mir das Räthsel. ..Mein Vorfahr," sagte er, „hatte eine sehr schöne Sammlung aller Thiere des Gebirges. Er uahm sie mit, und ließ nur mehrere schad-hafte Eremplarc zurück. Diese habe ich, um sie nicht ganz wegzuwerfen, derweilen hier im Garten vertheilt; ich fürchte aber, dieser Laudrcgen wird ihnen bald das Garaus macheu." In Gdßweiusicin befindet sich eine sehr rcnom-mirte Kirche, der Dreifaltigkeit geweiht, und grade heut war Wallfahvtstag. Kein Apfel konute zur 170 Erde fallen in dcm weiten Raum, der mit allen möglichen Arten von Flitterstaat ausgeschmückt war. Am unerklärlichsten däuchte mir ein gold-ncs Lamm über dcm Hochaltar, von dessen Vrnst vier bis fünf große Orden herabzuhängen schienen. So sah es wenigstens aus, und da in Portugal die Heiligen Militairgradc zur Belohnung ihrer Verdienste erhalten, so ist es nicht unmöglich, daß man in Baiczn dcm Opferlammc einige Orden erster Classe verliehen habe. Bei uns müßte dasselbe freilich mit der fünften anfangen, wenn es nämlich aus Eichenlaub bestünde, was zu snpponircn ist. Ich wartete einen geraumen Theil der Messe ab, die beim katholischen Cultus das Gute hat, daß sie, weil sie lateinisch abgelesen wird, die größte Anzahl der Zuhörer nicht versieht, was der Frömmigkeit nur zuträglich seyn kann. Leider aber unterstützte die Musik schlecht. Die falschen Töne nahmen zuletzt so übcrhand, daß sic mich hinausjagten. Der Regen goß ström- 171 weist nieder, ich ließ mich abcr nicht irrc machen und wanderte geruhig weiter dem Walde zu, bis ich nach anderthalb Stnndcn in dem höchst sclt-samcn Tüngersfelde ankam. Hier erheben sich in einem waldnmfchloßnen Thal ans dem grünen Rasen drei Felsen von einer Form, die ein Maler kanm nachzuahmen wagen würde, weil mau ihn der Unnatürlichkeit zeihen würde, und an ihnen hängen Häustr wie die Früchte an einem Christbaume, und andere stehen uutcn zwischen den Felsen im Schatten hoher Linden und das Ganze ist eine Dorfphantafie, wie sie der Traum nicht hübscher ausstaffircu könnte. In einer dieser Hütten nahm ich in einer stark eingeheizten Stube, in Gesellschaft einer Million Fliegen, mein Frühstück cin, das auch zu den originellen gehörte. Es ward im ganzen Dorfe znsammcngcsucht; vom Gcmeiudchirtcn erlangte man die Butter, aus der Mühle lieferte man den Nahm, den Zucker verkaufte mir ein hausivender Jude, den ein glücklicher Zufall zu 172 gleicher Zeit mit mir hergeführt hatte, und den Theo hatte ich selbst mit; frische Eier aber, kochendes Wasser und Salz producirtc die Wirthin. Nachdem ich einmal so weit war, fand ich Alles von bester Qualität, und der Hunger ließ mich kaum bemerken, daß die Löffel von Eisen, die Teller von Thon, und die Tasse nur ein Topf waren. Zugleich mit mir aß au einem ander», Tisch die Familie nebst Knecht und Magd, Alle aus derselben Schüssel, eine schreckliche Mode, die hier unter den gemeinen Leuten fast allgemein ist. Längs einem wilden, über Fclsbldcken tanzen, den Bachlciu wanderte ich hierauf weiter bis zum Schlosse Potcnstcin, ein Spaziergang voller Abwechselung, Wald, Wiesen und Fclstnpartieeu. Kurz vor dem Schlosse, dessen näherer Besuch wenig Interesse gewährt, wandte ich mich links durch ein cugcs Felsenthor und suchte mir, da dcr Führer hier nicht mehr Bescheid wußte, selbst querfeldein einen Weg nach — dem schauerli, 173 che„ Rabenstein. Obgleich ich mich auf dcr Karte im Allgemeinen gut genug zu oricntircn im Stande war, um die Hauptrichtung nicht zu verlieren, so fand ich sie doch in den Details zn ungenau, um damit ausreichen zu können. Wir verirrten uns oft, hatten den mühsamsten Marsch und brauchten mehrere Stunden, ehe wir das zuletzt sehr ungeduldig ersehnte Ziel erreichten. Endlich standen wir, doch vhuc Weg und Steg, am Abhang des wilden Thals, das wir suchten, und erblickten auf seiner andern Seite grade gegenüber den Rabeusiein, dich herrliche Ruine, die mit den ungeheuren Steinbldckcn, auf denen sie sieht, wie zusammengewachsen erscheint. Wir mnßtcn mit Schwierigkeit an den Felsen hinab« klettern, um auf den gebahnten Weg zu kommen, den dcr Besitzer mit Geschmack rund um das Thal geführt hat. Wir bedurften zwar noch cine lauge Zcit, ehe wir die Burg erreichen konnten, doch fehlte cs nicht an Entschädigung. Ihr Anblick von so verschiedncn Puncten, weiterhin eine 174 alte Capelle auf isolirter Spitze, gigantische Felsenthore, Hohlen, Banmcffecte, dcr Vach im tiefsten Grunde, Alles war schön und anziehend. Mitten in dieser wilden nnd erhabnen Natur traf ich plötzlich anf ein unscheinbares, kleines Tempel? chen, von Baumstämmen und Rinde über einer Quelle erbaut. Als Ruhesitz nicht übel, aber welche seltsame und mit den Haaren herbeigezogene Inschrift! Sie lautete im Auszüge: „Heil dem Maune, dcr jctzr verklärt unter den Sternen sieht, einst aber auch unter uns weilte. Heil dem Manne, der uns Liebe, Demnth nnd Tugend zur Religion gab, als er auf der Erde wallte!" Da ich das Wort Religion erst übersehen hatte, glaubte ich, es sey dies Häuschen irgend einem guten Pastor aus der Gegend, oder dem Vater des Herrn Grafen, oder sonst einem ehrlichen Sterblichen geweiht, bis ich erst beim zwei-i ten Lesen gewahr wurde, daß mit dem Manne Niemand anders als unser Herr Christus gemeint 175 scy. Für einen katholischen Grafen eine wirklich seltsam ausgedachtc Gartenanlagc! Ein Theil dcs Rabc!,steins ist zur Wohnung dcs Besitzers eingerichtet und in den Ruinen sind liebliche Noscngärtchcn abgelegt, die sich dort gar zierlich und herzig ausnehmcn. Es ist ein so rührendes Lebensbild: Blühende Rosen auf Gräbern und Trümmern! Glücklicherweise sieht keine Inschrift darüber. Es fehlt diesem Thale nichts, als oben, wo cs ganz kahl ist, an einem Kranz von Wald, statt dcr jetzigen Feldfluren. Es wäre nichts leichter ins Werk zu setzen, sobald man das Geld-opfer nicht scheut, und dann konnte die Besitzung in ihrer höchst originellen Art etwas Vollkommncs werden. Selbst thcilweisc würden große Pflanzungen am obern Saum schon einen außerordentlichen Vortheil gewähren, und cs ware wohl der Mühe werth, den Versuch zu machen. Wie ich erst am Abend erfuhr, hat man seit Kurzem in diesem Thal auch cinc Tropfsteinhöhle entdeckt. 176 die alle andern der Gegend übertreffen soll, und besonders merkwürdig durch die Menge der darin liegenden antcdiluvianischen Gebeine ist. Ich he-daure sie nicht gesehen zu haben. Der Weg von hier nach Burg Rabcneck war bequem, und da mein Führer heute früh, eine Tageszeit, wo ich immer abgespannt bin, gezweifelt hatte, daß ich nur im Stande seyn würde, die Hälfte des projcctirtcn Weges zurückzulegen, so belustigte es mich von nun an, meinen Schwci-zcrschritt anzunehmen, der ihn vermöge seiner kurzen Beine zwang, fortwährend im Trab neben mir herzulaufen. Auch erklärte er am Abend, ohne doppelte Bezahlung nicht mehr mit mir gehen zu wollen, was meiner Eitelkeit mehr schmeichelte, als wenn ich gleich dem Opferlamm in Gößweinstein vier Orden bekommen hatte. Bei einem Dorfe begegneten wir, da es Feiertag war, einer betenden und singenden Vaucrn-Cara< vanc. Ich machte meine Glossen darüber, daß noch immer, hier sowohl, wie in unsrem Wen- 177 deulandc, des Bauers Sonntagsstaat denselben Schnitt hat, als die Hofkleidnng der vornehmsten Herren zur Zeit Ludwigs des Fünfzehnten, der kleine dreieckige Hut, der Rock nach dem Schnitt eines Kabit Iialnil«;, die Westen mit den langen Schößen, die kurzen Hosen, die Schuhe mit großen Schnallen, Alles, mit einziger Abweichung der Grobheit dcs Stoffes, genau das Nämliche. In hundert Jahren werden sie vielleicht unser heutiges Costume angenommen haben, und wir dann hoffentlich ein geschmackvolleres, wenn es anders dann noch Bauern gibt, und wir nicht vielleicht Alle schon das St. Simonisiische tragen. Burg Rabencck liegt ebenfalls sehr schön, nnd in der Ferne entdeckt man von ihrem Söller noch mehrere andere. Sic ist thcilweist bewohnt, und wir stiegen eine elende Hühnerstcigc hinauf, nm uns bei dem hier rcsidircndcn Pächter ein wenig zu erfrischen. Ich bat um ein Glas Vier. Der Mann war aber so arm, daß er keins besaß, in Vaicru eine harte Entbehrung. Als ich nach- her, um einige unterwegs gekaufte Kirschen zn waschen, cincn Teller verlangte, konnte cr mir nur cincn hölzernen geben. Diese bittre Armuth, die man nur zu häufig antrifft, ist in einem so fruchtbaren Lande doch auffallend, und kann allerdings nur die Folge der zwei großen Uebel unsrer Zeit seyn: Uebcrvdlkcrung und zu theure Regie, rung. Hier war ein Geschenk gut angchracht, und ich ließ cs dem armen Mann daran nicht fehlen. Wir hatten nun sieben Landstundcn bei selten aufhörendem Rcgcn, meist auf schlechten Wegen, spitzen Steinen oder schwerem Lehmgrundc zurückgelegt, und cs blieben uns immer noch einige Stunden zu gehcu übrig. Ich spürte indessen wenig Müdigkeit. Nach kurzer Ruhe kletterten wir den steilen Felsen bis zu einer Mühle hinab, und gingen von nun an, wie auf Sammt, auf weichen Wiesen weiter, die von tausend Blumen glänzten. Ohne diesen Tcppich zu verlassen, gelangten wir an den Fuß der Ricscnburg, einer 179 Veste, deren Bau diesmal die Natur allein Übernommen, und zugleich in einem Tropfflcingcbilde den versteinerten Leichnam des Burgherren hinzugefügt hat. Der Führer behauptete steif und fest, es sey ein wirklicher Mensch gewesen, und der Teufel, dem er sich verschrieben, habe ihn nebst Thürmen und Mauern seiner Burg in Felsen verwandelt. Graf Schönborn kaufte dieses merkwürdige Naturspicl von großem Umfang von der Gemeinde des nahcu Dorfes für den Spottpreis von hundert Gulden, und hat nun den Zugang bequemer machen lasscn. Die armen Bewohner dieser Gegend sind ebenfalls genöthigt, alles Wasser, dessen sie bedürfen, aus der Wicscnt auf einem fast senkrecht steilen Wege Bergauf zu schaffen. Wir sahen einige dieser menschlichen Lastthicrc mit Tonnen auf dem Rücken sich jämmerlich hiuaufquälcn, folgten ihnen dann mit leichterer Mühe, und behielten grade noch Tag genug, um die letzte Station, den Adlcrstcin, zu erreichen, den man auf einer Leiter erklettern muß. 12 * 18U Ich übersah von hier gleichsam mein Tagewerk noch einmal zu guter Letzt, obgleich dcr Regen seine grauen Vorhänge vor manchen Gegenstand zog. Ich haite meinen Wagen hicrhcr bestellt, und wahrend tch mich behaglich darin abtühltc, genoß ich der Ruhe nach dcr Arbeit mit dem Vergnügen der Erinnerung. Mein Gasihof ist rccht gut, aber ganz in dcm Styl einer wohlgchaltnen Schenke, und cs ist unbegreiflich, daß bei dem während dcr Sommcr-mouate nicht abbrechenden Besuch dennoch so wenig für Comfort und Eleganz hicr gethan ist. Was am meisten vermißt wird, sind Matratzen und Esel, dcren Mangel am Tage die Fatigue vermehrt, weil man alle Ercursioncn zu Fuße machen muß, und in dcr Nacht die Ruhe erschwert, da die heißen Federbetten erstickend sind. Mein Wirth, den ich deßhalb sehr admonirt, hat mir für Beides künftiges Jahr zu sorgen versprochen, und hält er Wort, so wcrdc ich mich sthr um die fränkische Schweiz verdient gc- !8l macht haben. Ich überlasse es in diesem Fall einem Dankbaren, zn meinem Namen im Heiligsten der Roscnmüllcrhohle hinzuzusetzen: «Der Menschenfreund, welcher im Jahr 1834 die Esel nnd Matratzen in Muggcndorf einführte. Hcil ihm und seinem segensreichen Wirken'." Doch hat die hiesige Vcwirthuug auch ihre sehr lobenswcrthcn Seiten, welche die Gerechtigkeit des Historikers nicht übergehen darf. Forellen, Krebse und Kirschen sind nirgends besser. Nie aber kann man gcnng den Nektar Baicrns, das vortreffliche Vier, rühmen, was man überall, frisch vom Fasse im Fclsenkellcr abgezapft, kalt wie Eis erhalt, und dessen kräftige aromatische Bitterkeit dem Magen eben so sehr zusagt, als sein geringer Alkoholgehalt verhindert, daß es zu Kopfe steige. Nie wird es anders als in großen Gläsern mit Metalldeckeln servirt, die es frisch bleiben lassen und ihm den kräftigen Geruch bis auf den letzten Schluck erhalten. Das söge. nannte baicrschc Vier, was man im Auslande l82 in Flaschen theuer verkauft, ist diesem nicht mehr zu vergleichen und der Gesundheit eher nachtheilig als zuträglich. 183 D t N HÜ st c „, Wohl ausgeruht trat ich um 11 Uhr am nächsten Morgen die Rückfahrt an. Ich nahm meinen Weg über Hciligcnstadt durch ein herrliches Thal, sehr von den gestern gesehenen vcr-schieden und mehr dcr Idylle verwandt. Man möchte gleich ans dem Wagen steigen, um in diesen freundlichen Dörfern sich niederzulassen, und fern von dcr Welt vergoldeter Noth hier sein Lcbcn zu beschließen. Sie sind so reizend, so friedlich, alle in Massen von Obstdäumcn, ans dcncn hie uud da hohe Nußbäume hervor- 184 schauen, lockend eingebusi (man verzeihe mir das anglodcutsche Wort). Hundert muntere Büchlein ringeln sich durch die nahen Wiesen, die bcwal-deten Bergwände schützen vor den kalten Winden des Nordens, und die hohen reinlichen Häuser mit Galcricen und Erkern sind altcrthümlich ans mühsam geschnitztem Fachwerk erbaut, das auf der weißen gctlnchtcn Mauer in den mannigfaltigsten und aitigstcn Dcsseins sich durchkreuzt und durchschlil'gt. Oft sind auch die Füllungen bunt bemalt vtcr mit kernigen, altdeutschen Inschriften verziert. Die Vegetation ist üppig, Buchen und Fichten gemischt herrschen vor, an den Rändern reichlich mit wilden Rosen durchwirkt. Einmal bemerkte ich am Wege einen sonderbaren Essec'. Durch niedrigen jungen Schlehdorn waren längs der Straße eine große Menge hochrothcr Mohnblumen hinduräMwach-sen, Welches tauschcud einer blühenden Gra-nathcck'e glich, ein Naturwink, der benutzt zu werden verdient. 185 Hciligensiadt, obgleich tausend Jahr alt. trägt wenig Spuren davon, und ist nur ciu elendes Ocrtchcn. Nicht weit aber liegt auf einem bewaldeten Vcrgkcgel ein interessanterer Gegenstand, Burg Grcifcnstein, der alttn Familie von Stauffenberg zugehörig. Dies ist eine noch ganz erhaltene Vnrg, die nie aufgehört hat ihren Besitzern zur Wohnung zu dienen, und giebt daher uoch in viclcn Details cin lebendiges Bild, wie dic alten Ritter in ihrer Häuslichkeit lebten. Die Herrschaft war in diesem Augenblicke nicht gegenwärtig, und ich fand Alles im Schloß in unreinlichem und vernachlässigtem Zustande. Leider hatte man auch hier (es geht uns nicht besser) in neuster Zeit viel des ehrwürdigen Alten mühsam zerstört, um precaircs Neuere an seine Stelle zu sctz.cn, unter audcrn die schr eigenthümlichen Stukkaturen der meisten Decken abgebrochen und die Wände mit dcm unglücklichen Papier bedeckt, das einer Ritterburg so schlecht ansteht und überall als Tapctc cin ärmliches Material bleibt. 18« In der Rüstkammer ist ein Brunnen, der mit dem eine halbe Stunde entfernten Flusse comnm-nicircn soll, wohin auch einst ein jetzt verschütteter unterirdischer Gang führte. Oben sieht man elne kleine Sammlung Ahncnbildcr, die nicht ohne Interesse sind, obgleich man mehr Geistliche als Ritter darin antrifft, welche crsiern die Castcllanin nie anders als Dumherren (Domherren) nannte, eine Benennung, die wahrlich wcit besser auf die Ritter gepaßt hätte. Gleich darauf gab sie mir noch eine tolle Namenverdrchung zum Besten. Sie frug, wo ich her wäre, und da ich Berlin genannt, rief sic: ,»O da bin ich auch gewesen, das ist eine schöne Stadt, aber das Prächtigste, was ich dort gesehen, sind doch die herrlichen Gärten von Saucisson bei Potsdam!" Auch hier sind große Gartenanlagen, aber von der kläglichsten Art, mit der einzigen Ausnahme des von dem jetzigen Gärtner neuerlich angelegten Schießplatzes, der verständig behandelt ist. In einer modernen gothischen Eapcllc befinden sich 187 ausgezeichnet schöne Glasfensier, die der vorige Besitzer für geringes Geld einem französischen Kriegs-Commissair abkaufte, der sie am Rhein gestohlen hatte. Diese Bilder sind, die glänzendste Farbenpracht ungerechnet, von hohem Kunstwcrth, und verdienen für sich allein eine Ercursion nach Grcifcnsiein. Der Sturm, den ich im Schlosse rdantaki« abwartete, hatte hicr übel gehaust, unter andern den Stolz des Parks, eine achthundert Jahr zählende Buche, umgestürzt, deren riesige Ucbcrrcste noch traurig umher lagen und in meiner baum-licbcndcn Scele ein tiefes Mitleid erregten. Von hier an durchfahrt man mehrere Stunden lang ein ziemlich kahles, steiniges und unfruchtbares Bergland, wo auch viel Armuth zu herrschen scheint; denn ich mußte mit einem Rettig und Schwarzbrod im Dorfe Vurggrub zum Mittagessen fürlicb nehmen. So dauert es an, bis man einen isolirtcn Fclscnsicin erreicht, und nun plötzlich zwischen zwei Bergwände ein. 188 gerahmt, auf die Bambcrgcr Frucht-Ebne mit dcm schlanken Thurm ihrer Altenburg am Horizont, wie auf das goldene verheißene Land hinabschaut. Der Contrast ist schneidend und das weite Thal, welches man jetzt betritt, eins der üppigsten und fruchtbarsten in Franken, stundenlang der lormo arn^6 in einem Park zu vcr-gleichen, wo überall Gruppen der herrlichsten Baume und zierliche Gebäude die Monotonie des Feldbaus unterbrechen, und ein schön gehaltener Kiesweg ungezwungen zu den vorthcilhaftestcn Aussichtspunctcu führt. Ein Kicferwald schließt schroff dies liebliche Gartenland, und nach einer Stunde, die ich unter seinen Nadeln verschlafen, befand ich mich wieder im deutschen Hause, wo ich mit Bedauern meinen Jäger noch weit kränker antraf, als ich ihn verlassen hatte. 189 Den 29 st ° u. Ich habe, wic ich sehe, bei dem Schlaraffenleben, das ich führe, mein Journal cin wenig vcn'.achläsiigr. Dafür machte ich einige Bekanntschaften. Mein gütiger neuer Freund, Herr von Wamboldt, führte mich in die Harmonie' cin, und der amerikanische Consul, Herr Marks, überhäufte mich mit Artigkeiten. Da ich seiu Vaterland bald besuchen will, so studieren wir täglich dic Kartc der vereinigten Staaten, um mein Itii^rmro festzustellen, und er belehrt mich über huudcrt Partkularitäten, die gut zu wisscn sind. Den besten Unterricht genieße ich aber von scincr 190 liebenswürdigen Gemahlin, die ciner der angesehensten Familien Amerika's angehört, und ganz dazu gemacht ist, dem Wunsch, Amerika zu sehen, ein doppeltes Feuer zu geben, im Fall man sup-poniren darf, daß viele ihrer Landsmänninnen ihr gleichen. Wir sind zwar über religicuse Gegenstände nicht immer ganz einig, ich finde ihrc Principien in manchen Stücken zu streng, sie lacht mich manchmal aus, wenn ich einen Fehler im Englischen mache, aber im Ganzen genieße ich doch ihrer Nachsicht und Güte. Herr Marks, der lebendig und witzig ist, wie ein Franzose, belebt unsre Unterhaltung durch Scherze und Anekdoten und schmeichelt mir sehr angenehm, indem er mir versichert, meine Schilderung Englands habe mich in Amerika so populair gemacht, daß ich überall auf die emprcssirrcstc Aufnahme rechnen dürfe. Da ich nun selbst voller Enthusiasmus für die Amerikaner hingehe, so kann man in der That keine Reise unter bessern Auspickn unternehmen. Der Himmel gebe ihr Gedeihen! !9l Seitdem habe ich auch das Vergnügen gehabt, den Director der hiesigen Spirale, und als Arzt berühmten Herrn von Pfeusser nebst seiner liebenswürdigen Familie kennen zu lernen. Dieser gelehrte, joviale und gastfreie Mann, der allen guten Dingen des Lebens ihr Recht wicdcrfahrcn läßt, und nicht bloß der Chemie des Laboratoriums, sondern auch der der Küche ihr rcspcctivcs Verdienst gestattet, versammelt in seinem Hause einen der ungezwungensten und angenehmsten Cirkcl. Er war ein genauer Freund des durch seine geistreiche Originalität und seine Bonmots bekannten Ministers von Haak, dessen früher Tod als ein großer Verlust für Vamberg zu betrachten ist. Neben den ausgezeichneten Eigenschaften ernsterer Art liebte auch dieser die Freuden der Tafel und machte ein sehr gutes Haus. Alle Morgen war er es, der der Köchin ihre lange Audienz ertheilte, denn seine Frau, behauptete er, verstehe nichts von der Küche. Als sie einmal scherzend das Geschäft abnehmen wollte, denn 192 beide Ehcleute lebten in langer ungetrübter Ehe auf sehr hcitrc Weise miteinander, rief er scheinbar entrüstet: „Gch, dics ist nicht Dcin Departement, was würde ans den äin^ in Deinem Hanse werden, wenn Du mich nicht hättest! Auch versichere ich Dir, daß, wenn Du je Wittwe wirst, ich nie wieder bei Dir esse." Der drollige Spaß ward nnr zu bald zum bittern Ernst — denn wer darf es wagen in diesem Jammerthal zu lachen, daß es ihm nicht gleich cm höhnischer Geist zum Weinen verkehrt! Als ich gestern in der Stadt ä 1'avonmr« umherfchlcndertc, fand ich in einer engen entlegenen Gasse ein von Alter granes, nicht allzu-großes, aber prachtvoll dccorirtcs Palais, im italiänischen Geschmack. Ich tra5 in den mit Gras bewachsenen Hof, den gegenüber eine kein Wasser mehr enthaltende Fontaine mit einer mütilitten Statue zierte. Eine schone Treppe, voll der reichsten Senlpturen, zeigte sich seitwärts, nud als ich neugierig ihr zuschritt, begegnete mir 193 cine altmodisch gekleidete Dame, die ich bald als dic Besitzerin des Hauses erkannte, und die auf mciucu geäußerten Wunsch mit großer Gefälligkeit mich weiter führte. Sie äußerte währenddem, daß ihr Mann, ein Arzt, erst vor wenig Wochen dieses Hans erkauft habe und weil sich cin Proceß darüber entsponnen, noch keine der nöthigen Reparaturen habe vornehmen können. Da ich dcn außcrordcntlichcu Reichthum der Bauart bewunderte, denn vom Keller bis auf dcn Boden war Alles mit Bildhaucrarbeit und Stukkatur bedeckt, erzählte sie mir, daß vor zweihundert Jahren ein räthsclhaftcr Mann mit Namen Potting er, von dem man immer gesagt, er sey plötzlich durch einen gefundenen Schatz steinrcich-gcworden, seinen entfernten Anverwandten das große Erbe nicht habe gönnen wollen, und daher drei Hanser mit der größten Verschwendung aufführen lassen, von denen dies eines sey, und zwar dasjenige, setzte sie hinzu, das er selbst bewohnt habe. In der That waltet Semilasso. l. 13 194 in dicscr Wohnung etwas ganz Romanhaftes. Unter anderm ist dic Lagc am Berge so eigenthümlich benutzt, daß man ans jedcm der drei Stockwerke an verschiedenen Orten äo ^loin ^^ä in einen mit Grollen und Statncn verzierten Blumengarten italiänisch-französischer Art tritt, welche einzelne Garten wiederum durch Treppen mit einander, wic mit dem Haupthofc dcs Hanfes, in Verbindung stehen. Aber hohe Mauern, mit Ephcu berankt, gleichfalls durch Statuen und Galerien gekrönt, schließen alles hermetisch ein; nirgends eine weitere Aussicht; man lcbt wic cin abgeschiedener, einsiedlerischer Alchymist mitten in der Stadt. Ich könnte mich schon mit einem solchen Logis vertragen; cs bildet cinc kleine geschlossene Welt phantastischer Gedanken in sich sclbst, dic genügen mag; da aber höher am Berge hinan nnd angränzend noch ein altes Haus sieht, das einst Klostcrlcutcn gehörte, und von einem wunderbaren Mönchs-gattcn mit Terrassen, künstlichen Felsen, bcschnit- 195 tencn Bäumen und bunten Ungeheuern umgeben ist, aus dem mau zugleich die umfassendste, herrlichste Aussicht auf ferne Verge und Wälder hat — so müßte, wer sich hier niederlassen wollte, beide Häuser an sich bringen, und wenn er dann unsern genialen Schinkcl zu bewegen im Stande wäre, ihm an Ort und Stelle einen Plan für ^>ie Vereinigung beider zu machen, und Geld gcnug hätte diesen auszuführen, so kann er keck die Feen beim Mondscheine zum Tanze einladen, sie würden sich bei ihm noch immer in ihren Domainen glauben. Und cr braucht auch die Feen nicht allzuweit zu suchen — wenn er zur rechten Stunde mit den mystischen Zeichen anf dem Feld an der Negnitz, wo die geputzten Fischer kämpfen, leise und bittend: her! ruft — vielleicht erscheint ihm die schönste von allen — dann glücklicher Sterblicher, wahre dein Hcrz! In solchen Gcdaukcn verloren war ich meiner Führcrin dnrch mehrere Gemacher gefolgt, und als ich mich nun beurlauben wollte, vertraute 13 * 196 mir dic Damc des Hauses noch, daß, sobald nur der Proceß vorüber styu würde, ihr Mann die Absicht habe, Alles hicr zu erneuen, die alten zerbrochenen Statuen wegwerfen, die unmo-dischcn Schnorkel abschlagen und das Haus freundlich grün anstreichen zu lassen. Da lief cs mir kalt durch meine Gebeine, die alten Masken schienen mich höhnisch anzngrinzcn und die Statue am Brunnen drohend den ihr noch übrigen Arm gegen mich anfzuhebcn. Halb bewußtlos beugte ich mcinc Kniee uud stammelte: ODame, solchen Grauet wirst Du doch nicht zulassen! und als ich verstört wieder aufblickte, borte ich ein heiseres Lachen, und ein kleiner Mann in schwarzer Kleidung mit einer Gciernase und funkelnden Augen stand vor mir. Gott, cs war Hofmann. Wie ich fortgekommen, wie ich mich wieder in meiner Stube gefunden, ich weiß cs nicht — aber wenn in der nächsten Snic der zwölf Dnz-zcnd deutscher Neujahrs - Almanache sich cinc Geschichte vom Bambcrger Hanse vorfindet, die 197 so gut ist wie die weiland Hofmannischen waren, und zu der sich dennoch kcin Autor bekennt, so mögt Ihr darauf schworen, daß sie der Abgeschiedene geschrieben. NL. Ich melirtc diesen Abend Erdbeer-Crsme mit ausgekerntem Kirschcnkompotte, eine nicht nur für den Ganmcn, sondern, wenn sie mit Kunst behandelt wird, auch für das Auge wahrhaft Lukullische Speist. 198 Den 30 st < „. Es wäre Zeit, Vambcrg zu verlassen, abcr mein kranker Diener hindert mich, nnd ich kann den armen Tcnfcl doch nicht hier im Stich lassen. Seine Krankheit ist so sonderbarer Natur. Der starke, blühende Mensch sieht schon einer Leiche gleich, kann weder essen noch schlafen, klagt über kein bestimmtes Uebel, hat nur von Zeit zu Zeit cin leichtes Fieber und ist doch so matt, daß er kaum einen Augenblick sein Bett zu verlassen im Stande ist. Der Arzt des Wirths, den cr in meiner Abwesenheit angenommen, versucht alle Tage eine ncuc Arznei an ihm, doch es wird dabei nur immer schlimmer. Vald wird mich die Sache in 199 ernstliche Verlegenheiten setzen, denn da ich, ver, mogc cincs mir erst heut bekannt gewordenen cnriosm Zeitungsartikels, den ich schleunigst beantworten mußte, meine Abreise von hicr zum 12ten Juli angekündigt habe, so bin ich an diese Zeit gebunden. Doch ich will mir jetzt nicht, darüber den Kopf zerbrechen ; kommt Zeit, kommt Rath — ist eins der besten dcntschen Sprüch-wdrtcr. Was mich übrigens noch wcit mchr chipotirt, ist das Verschwinden meiner durch W. versandten Manuscripts Der Teufel weiß, wclchcr Dämon sic entführt hat; obgleich ich in der ganzen Welt und an allc Postämter umher-geschrieben habe. Niemand will etwas davon wissen. Diesen Verlust geduldig zn ertragen, dazu gehört ein gehöriger Grad Philosophie. Die Arbeit eines ganzen Winters! Es ist zwar vielleicht höchst wenig daran verloren, aber wer liebt nicht stinc Kinder, sie seyen wie sie wollen. Scdon einmal habe ich diesen Kelch leeren müssen, als ich in meiner Etourdcrie dcn pikantesten Auf- 200 satz den ich je gemacht, fünfzig enggeschricbcne Blätter lang, in dcr Meinung es scncn condcm-mrtc Concepte, ins Kamin warf, mich sehr au dcr hochaustodcrndcn Flamme ergötzte, uno crst als sie in bloße Gluth und Asche zurückgcsnnken war, mit Entsetzen gewahr ward, daß die alten Concepte noch ncbcn mir auf dcm Tische lagen, die Erzählung aber dahin war, eine Speise der höhnischen Fcucrgeisicr! — N'importe, es muß Alles getragen werden! Ml Den Tleu I u nk. Einigc Posten von Vambcrg hat ein Graf Schdnborn, chcmaligcr Fürstbischof, in ciner öden und unfruchtbaren Gegend eine traurige Sandstcppc, auf der nur kümmerlich verkrüppelte Bäume wachsen, mit Mauern umgeben und innerhalb dieses Bezirks einen enormen Pallast aus Quadern mit königlicher Pracht aufbauen lasscu. Obgleich der jetzige Besitzer ihn zu erhalten gezwungen ist, so hat er doch schon ein dclabrir, tcs und verlassenes Ansehen. Wie Schade, daß so viele Dinge in der Welt am unrechten Platze find, und Menschen auch! Dies Schloß und ich wir passen zusammen. 202 Es befindet sich hier cine Gemäldegalerie von nicht weniger als 666 Bildern, unter denen man viel vortreffliche Sachen, aber auch viel Mittelgut antrifft. Ich glaube, man würde den Werth derselben steigern, wenn man die cinc Hälfte nntcrdrücktc, und dagegen die andre besser placirte und in Stand setzen ließe. Die Mancrn sind aus einem Stein gebaut, der cinc den Gemälden so pernicicuse Feuchtigkeit bei sich führt, daß oft in einem Winter die besten Sachen zu Grunde gerichtet worden sind. Wir sahen davon gleich beim Hcreintretcn ein Bei-spiel an den Fragmenten eines schönen Wou-vennanns. Mit Künstlernamen ist man freigebig umgegangen. Ein halbes Dutzend große Michel Angclo'S, eben so viel Guido Rent's n. s. w. werden Eirem vorgeführt, und sind mitunter Sachen, die kaum von den Schülern jener Meister herrühren können. Doch dergleichen geschieht sonst überall, und es geht damit wie mit den feinen Weinen, von 203 dcncn fünfzigmal mehr getrunken wird, als gewachsen ist. Ein Vild, angeblich von Giorgionc, gesicl mir uugcmeiu. Es stellt einen schonen jungen Manu vor, zwischen zwei noch schönern Mädchen von sehr verschiedenem Charakterausdrnck. Die Eine besonders war entzückend, von großartiger ernster, ins tiefste Herz dringender Schönheit — diesem Auge Leben gegeben, und mau wärc sein auf ewig'. Als den grösiten Schatz der Galerie betrachtet man, vielleicht nicht mit Unrecht, eine Madonna mit dem Jesuskinde, die man Leonardo da Vinci zuschreibt. Die Madonna gefällt mir nicht, sie hat keine Seele und einen Wachsfiguren-ähnlichen Anstrich, aber das Kind ist eines jener seltnen unsterblichen Meisterstücke der Malerei, deren Wirkung sich nie erschöpft. Vielleicht ist auch unr dies von dem großen Meister gemalt und die Mutter durch einen Schüler vollendet. Ich glaube nicht, daß Christus als Kind je genialer, je inspirirtcr, aufgefaßt worden ist. Es liegt ein Ausdruck liebevollster Schwärmerei uud 204 Unschuld, eine himmlische Sanftmuth, und dennoch cinc Andeutung einstigen unerschütterlichen Willens in diesen unbeschreiblich schonen Zügen, die das ganze zukünftige Leben des Mcnschensohncs, der für die Erlösung seiner Brüder siarb, wie die vollblühcndc Rose in der noch uncntfaltetcn Knospe bergen. Wenn mich dies heilige Kind vollkommen befriedigte, so hat dieß dagegen nie eine Darstellung des zum Manne gereiften Christus, selbst von Raphael nicht, vermocht. Wir haben ihn dazu zu sehr idcalisirt und vergeistigt. Iupi, tcr und Apollo wohl, aber den Gott der Christen kann man nicht mehr malen. Das geharnischte Bild eines Ritters von Titian (mit dessen Namen auch viel Unverdiente hier dccorirt sind) ist ebenfalls eines jener Portraits, wie sie heutzutage nicht mehr gelingen wollen, ein Mensch mit Einem Wort, und nicht blos cinc bemalte Leinwand. Es ist zu bedauern, daß kein ordentlicher Catalog vorhanden ist, und auch nicht bei einein einzigen der 205 vielen interessanten historischen Portraits ist angegeben, wen cs darstellen soll. Da ich weder cm Maler noch ein Kenner bin, so zicht mich an dcn Gemälden hauptsächlich nnr Schönheit oder Wahrheit der Form, und vor Allem der geistige Ausdruck an. Daher gefiel mir „das Urtheil des Salomo," ein großes Gemälde von einem mir unbekannten Meister, Moses Valcntmi, angeblich cin Franzose, obgleich das Vild durchaus nichts von der Uebertreibung und Affectation der französischen Schule hat. Die Köpfe der beiden Weiber waven ticf gefühlt, und Salomo cin erhabener Richter. Man las hier deutlich in den Seelen. An niederländischen Bildern ist die Galerie am reichsten, manche seltsamer Art, ergötzlich durch alte Militairttachtcn, originelle Physiognomien und wunderbare fremdartige Landschaften. Einige Skizzen von Nnbens sind vortrefflich, seltsam ein Stndinm, das vier Mohrengcsichter in verschiedenen Asscctcn neben einander darstellt. 80S Von allen Phömr, die ich gcschcn, scheint mir hier sich der vorzüglichste zu befinden. Nicht nur, daß die darauf dargestellten Gegenstände die Natur selbst sind, dcr Tod in jeder Nüance so zu sagen sprechend ist, so sieht man ihn sogar hier veredelt; es liegt etwas Ideales in der Stellung dieser gestorbnen Vögel, ein An! lang des Geistigen, das anch durch die Thicrwelt geht. Unter einer Menge großer Bilder von Hont-horst ist die an einem Bauer crerzirte Operation des Zahnansnchmcns sehr possierlich. Dcr entsetzte Patient, dcr satanisch lächelnde Barbier und die charat'scrisiischc Verschiedenheit der vier Zuschauer, eines alten Weibes, cincs Soldaten, cincs andern Vancrn nnd cincs jungen Studenten, dcr die allgemeine Aufmerksamkeit benutzt, nm dcr Frau eine Ente aus ihrcm Korbe zu stehlen, sind aus< serordcntlich gut gelnngen. Das Schloß enthält einige schöne Säle, das Prachtstück desselben aber ist die Treppe mit gemalter Kuppel, welche an grandiosem Effect 207 wenig ihres Gleichen finden wird. Der Park ist im höchsten Grad erbärmlich. Einige magere Damhirsche suchten vergebens anf dem vertrockneten Anger ein Gräochcn, nnd würden ohne Stallfüttcrnng bald ausstcrbcn. Selbst dic Virkc schien auf diesem todten Voden nicht fortkommen zu w)llcn. Auf dem Rückwege bemerkte ich unfern der Stadt cincn gckrcuzign-n Christus von Stcin an der Straße, zu desscu Füßen ein hübsches Mädchen weinend und andächtig kniete, ein Vild einfacher herzlicher Frömmigkeit, das mich tief ergriff. Dic unter dem Kreuze cingcgrabcne alte Inschrift lautet sehr verständig: Führt Dich dor Weg vorüber hier, Verehre fromm und mit Gebühr Nicht etwa diesen todten Stein, Nur den, den es bedeut', allein. Dies hätte der Graf in der fränkischen Schweiz nachahmen sollen, wenn er cincn Christus in seinem Garten haben wollte. Wie weit übcrflü- 208 gcln diese Knittelverse in ihrer schlichten Naivetät den hölzernen Tempel und dic aufgeklärt seyn sollende Tirade, welche seine ganze Wand bedeckt. 209 D e n Hl««' Ich habc noch einige klcincrc Gemäldesammlungen in der Stadt bcsncht, wo man mitunter recht artige Sachen findet. Ein Liebhaber machte mich lachen, indem er mir cincn schlechten Hcili-gcnkopf zeigte und zngleich mit großer Freude den Vricf cincs berühmten Kenners vorwies, worin ihm dieser schrieb: „dies Bild sey ohne Zweifel von einem sehr wenig bekannten Maler, Varbari mit Namen, denn es crisiirtcn auch noch einige Kupferstiche von demselben Manne, dcrcn auffallende Fehler und Unrichtigkeiten der Zeichnung das vorliegende Bild unverkennbar auch alle an sich trüge." Welche seltsame S«nUlasft. l. l/4 810 Empfehlung — und wie leicht Knnsisammlcr zu beglücken sind! Eine ausgewählte, noch nickt ganz aufgestellte, aber mit grosicr Sorgfalt behandelte kleine Galerie besitzt Herr von Horncck, dessen Liebenswürdigkeit den Genusi derselben verdoppelt, wenn man sie in seiner Gesellschaft betrachten darf. Ich behalte mir vor, nach einem wiederholten Besuche ausführlicher davon zn sprechen, und erwähne heute nnr der Abbildung des St. Chri-siophfestcs in Gent im sechzehnten Jahrhundert, die schr unrerhaltend zu betrachten ist. Ich begab mich von hier ins Vad, cin schr wohlgchaltcnes und freundliches Etablissement, mitten in einem Garten gelegen, das die Stadt einem jungen Arzte verdankt. Die Menge ist aber in dieser Hinsicht noch sehr uncivilisirt. Der Entrepreneur klagte, kaum auf seine Kosten zu kommen, weil Niemand, dem die Acrztc es nicht als Cur empfohlen, der bloßen Reinlichkeit wegen Vädcr zu nehmen pflege. Die Alten vcr- 2l1 standen dies besser, und hierin sollten dic modcr-ncn Völker ihnen nachahmen. Gesundheit und Vergnügen würden dabei gewinnen. Da der Abend schön war, stieg tch noch ein, mal zur Altcnburg hinauf. Man kommt auf diesem Wcgc bci dem Nathhause vorbei, das Erwähnung verdient. Es ist nur aus Fachwerk erbaut, darauf bcrohrt, und dcmwch so solid im Putz, daß von dcn Wänden, die nach Ost und West von unten bis oben mit Fresken bemalt sind, seit 1724, wo es gebaut wurde, nicht das Mindeste abgefallen ist, und auch die Farben sich sehr gut erhalten haben; was beiläufig beweist, daß unser Clima recht gut Malereien im Freien gestattet, wcuu nur die Ausführung in jeder Hinsicht gut ist. Das Geheimniß des Putzes scheint aber wie das der Glasmalerei verloren gegangen zu seyu, denn würde man heute wagen dürfen, auf gcrohrtcs Fach werk solche Malereien zu setzen'. Statt hundertjähriger Dauer mochte kaum cine zehnjährige zu cm-anen seyn. Man sagte 2l2 mir, die altcn Baumeister hatten den Kalk, bereits gcloschl, viele Jahre in verschütteten Gruben liegen lassen, chc sie ihn vcrbrancht. Ich fand ans der Burg heitere und angenehme Gesellschaft, den Bibliothekar Jack, Herrn Heller, der über Vamberg geschrieben, den Forstmeister Herrn von Stengel, cincn feingebildcten und in seinem Fach sehr gründlich unterrichteten Mann, ncbst mehreren mir unbekannten Herren. Die Unterhaltung ward so lebhaft, daß wir noch beim Scheine des Mondes anf dem Platz an der Mauer saßen und bald diesen und bald jenen Gegenstand mit Fcncr abhandelten. Man findet hier schon mehr südliche Lebendigkeit als bei uns. Einer der Herren, der sehr gut sprach, obgleich zuweilen in Paradoxen, sprang häufig mit Leidenschaft auf uud hielt uns förmliche Ncdcn mit den Gcsticulatioucn eines Italicners. Der Unterschied eines hiesigen Deutschen und der des Nordens ist so groß als zwischen ganz verschiedenen Nationen, und mir gefallen die hiesigen 313 besser. Es ist mehr Natur, mehr Ursprüngliches in ihnen, nnd schon deshalb sind sie auch anspruchsloser, wahrhaft geselliger. Es ist cm reinerer Stamm, weniger mit fremdem Blute gemischt als der Norden, weniger durch eiu rauhes Clima nnd einen ärmliche» Vodcn versauert. 2l^ Den f> l « „. Die großern Städte in Vaicrn feiern bekanntlich zu bestimmt wiederkehrenden Epochen cm Volksfest, und suchen cs darin cinc der andern zuvorzuthun. Das von Vambcrg hat jetzt begonnen, und ich fnhr mit dcm übrigen Troß auf die sogenannte Thcrcsienwicsc, cincn todten Anger, in dem man bis über die Knöchel im Sande watete, wie in der Berliner Hasenhcidc. Obgleich man vor den Staubwolken, die den ganzen Raum bedeckten, Alles nur wie hinter einem Flor erblickte, so nahmen sich doch die vielen weiß «nd blauen Tribunen, Zelte und Fahnen «15 sehr festlich aus. Einc Mcngc Lauben waren außerdem von Tannenreisern dicht und kunstreich aufgerichtet worden, und strozten von Biergästen beiderlei Geschlechts, deren Lustigkeit gravitätischer war als ich erwartete, und heute eine auffallende Disette an hübschen Fvaucngesichtcru zeigte. Viele Glückshäfcu, Spiele und Lotterien waren in Buden zwischen den Lauben vertheilt, die mich am meisten anzogen, denn hicr, wo die leidenschaftliche Theilnahme an Gewinn und Verlust diese gemeinen Classen ansschlicstlich beseelt, sind ihre primitiven Charaktcrnüanccn am besten zu studircn, und am interessantesten zu beobachten. Die Pfiffigkeit der Betrüger, die stiere Begierde der Dupes, die Angst der Erwartung und die brutale Freude dcs Gelingens cut-faltete sich mit thierischer Unversielltheit, und selbst hier findet sich dennoch zuweilen neben dem Widrigen Grazie, mitten im Gemeinen ein cdlcrcr Ausdruck. Hier mögcn Maler und Schauspieler ein rcichcs Feld finden. 21« Am Ausgang dos großen Quarry's sang cin wohlgestalteter junger Mann mit schöner Vari-tonsiimme, trolZ der ungeheuren Hitze unermüdlich eine Mordgcschichte ab, die cine neben ihm aufgehängte Leinwand zugleich gräßlich a<1 ocu-Io« demonsmrtc. Die Heldinn war eine Hebamme, welche man, unter andern Exploits, einen Säugling bei den Beinen nehmen und wie einen Hadcrlappcn dergestalt von einander reißen sah, daß eine gleiche Halste des Acrmsien in jeder Hand zurückblicb. Folgender Vers ward dazu gesungen: «Ikr Freunde, hört di? Grausamkeit, Die ich mit Euch beweine, Ein Knabe in der Jugendzeit Mit Eltern im Vereine, Den man von grauser Mord'rm Hand Zerrissen in zwei Stücken fand." Folgende, Abbildung ist zu einem Melodram zu empfchlen. Zwei Rauber, Mann und Schwager der schrecklichen Hebamme, welche so eben dlirch eine W der Müllerin, die man berauben 217 will, eingesperrt wurdc, suchen ihr Zu Hülfe zu kommen, uud da keiuc Leiter bei der Hand ist, klettern sie auf dem Mühlrade nach dem Fenster hinauf, aus dem die Hebamme sie heranruft. Iu demselben Augenblick aber setzt die Müllerin, der cs, wie man sieht, nicht au ^r^Ll^e ä'68-I>rit Ms, hie (des Sonntags wegen und weil ihr Maun in der Kirche ist) gehemmte Mühle in Gang. Die attrapirten Vosewichtcr stürzen herab und werden so kunstreich zermalmt, daß ihre Glieder dutzcndwcis gleich ciucr Hccrde Enten auf den Fluthcn davon schwimmen. In einem nahen Kieferhain fand ich ein großes Theater im Freien mit lebendigen Coulissen errichtet, auf dem übermorgen gespielt werden soll. Man war schon jetzt beschäftigt die Wasserfasscr anzufahren, die eine Cascade in Tyrol zu speisen bestimmt sind. Die Offiziere der Garnison werden, wie ick) höre, unterstützt von einer Schauspielerin aus Nürnberg, ein großes historisches Nationalstück' aufführen, mit 318 Gefechten zu Fuß und zu Pferde, Kanonendonner und vielerlei Spcctakcl. Weiterhin sieht man den Vieh- nnd Pfcrdcmarkt, anf dcm eine nach-ahmungswcrthc Einrichtung herrscht. Jeder Kauf oder Tausch wird durch dazu angestellte magi^ stratische Beamte sogleich protocollirt, und cnt-dcckt sich spatcr an dcn Thicrcn cincr dcr vicr, vom Gcsctzc bczcichnctcn Hanptfthlcr, so ist dcr Handcl ungültig. Anf dicft Art wird allen StrcitigkciMl und grod.m Vcttug ganzlich vorgebeugt. Ganz Vambcrg ist mit Leib und Seclc bei dcm Feste. Ucberall begegnet man nur geputzten Lcntcn und fröhlichen Gesichtern. Die Mieth-wagcn bcrcnncn fortwährend das Pstaster und vor wehrercn Hänsern stehen magnisiqnc betreßte "orticrs mit großen Vandcliercn und l'lcincn Degen. Ich bin dadurch um meinen Lohnbe-dienten gekommen, dcr in weiß und schwarzer ^iv'^'c, ?uir Silber deftly, in seidncn Strümpfen und ^roß^l Schnallen, siinc Rolle als 6u>!>«u i.v Danf^^'li Hanse mit vielem Anstand spielt. 219 Der hcutigc Tag erweiterte meine Bekannt-schaftcn bedeutend. Ich crwahuc die mir sehr angenehme des Buchhändlers Kunz, eines lnti-mcn Freundes des jeligcn Hosmanns, dessen kürzlich gehabte Erscheinung ich ihm jedoch nicht mittheilte. Dagegen erzählte er mir eine, ihm selbst widerfahrne höchst sonderbare Begebenheit; ein Traum oder mehr—wer mag es bestimmen! der dcn Vorhang des Jenseits anziehender als die Seherin von Prevorst lüftet. Wenn ich mich enthalte mehr darüber zu sagen, so geschieht es aus Discretion, da ich vermuthe, daß Herr Kunz uns bald selbst interessante Erinnerungen aus seinem reichen Leben geben wird. Da er sich sehr enthusiastisch sür die Schriften meines Freundes Leopold Schefer äußerte, dem man überhaupt in Süddeutschlaud besonders zugethan ist, so gab dies bei gleichen Gesinnungen von meiner Seite noch ciucu Berührungspunkt mehr zwischen uns ab, und wie gern hörte ich ihn dann so manches mir Unbekannte von Hoswanu erzählen! 220 Herr Kunz zeigte mir ein Familicnbild von Hofmann gemalt, worin er sich selbst mit eingeführt und sehr ähnlich dargestellt hatte. Doch ist er mit der Feder seinem Vorbilde Callot naher gekommen, als mit dem Pinsel. 22l Den 8 ! «n. Mit dcm Volksfeste ist eine Kunst - und Gcwcrbcansstcllnng im großen Saale der Residenz verbunden. So gering diese in andern Gegenständen ausfällt, so einzig ist die Pracht, mit der sich die Gemüsewclt hier cutfaltet. Solche Colossc von Kraut, - Blumenkohl - und Salär-köpfen, solche Könige uutcr den Ncttigcn, solche viele Ellen lange Lanzen von Süßholzwurzcln, solche Uugerhüme von Artischokcn, Karden und Rüben aller Art, sahen meine Augen noch nie! Die Sämereien, aus denen diese Ricsenwelt erwächst, waren sinnig in zierlicher Ordnung daneben aufgestellt, und ich rathe allcu Gärtnern 222 hier ihre Einkauft, zu macden. Ebcn so sehr zeichneten sich die verschiedenen Gctreidcarten aus, und unter den Handarbeiten die schonen Weidcu-gcstechte, in denen man cs hi.r so weit gebracht hat, daß alle Damcn, die ihren Freiern Körbe zudenken, sic hicr bestellen sollten. Als ich nach Hanse kam und anf meinem mit Vlnmcn geschmückten Balkon Posio gefaßt hatte, begann bereits der große Fesizng der Bürgerschaft, der sich zum Wettrennen der Pferde und Wagen anf die Thcrcsicnwicse begab. Obgleich cr nicht zum Besten angeordnet war, und Altes und Neues sich zu consus nnter einander mischte, bot cr doch manches gcsälligc und gra-cicnse Bild dar. So nahm sich der mit Blumen ganz bedeckte, mit vergoldeten Hörnern und Hufen prangcude Stier, der der Flcischcrzunft majestätisch voranschritt, ganz monarchisch ans; und der kleine aus einem Baum - groficn Steift siiefel hervorlächclndc Amor, der die Schuster anführte, zeigte cincn Leisten an, bei dem sich 223 Jeder gcrn beguügeu kann. In einem Wagen mit schbncn Schnitterinnen, der mit vcrlorgcncn Rädern cinc frische Laube darstellte, welche hundert buute Bander umflatterten, ware man gcrn selbst mit eingestiegen, und cin Ritter in silberner Rüstung mit dcm Wappenvock aus Scharlach, von Hcrold und Knappen gefolgt, würde den bcsicn Effect gemacht haben, wenn nicht eine Magistratspcrson ,nit schwarzem Frack auf ciln'm Stutzschwanz neben ihm caracollirt hatte. Was aber bnvlcök wurde, waren die Nenn-pfcrdc, elende Noffinanten, von halb barfnsicn Straßenjungen geritten, denen man nur, wie den Affen, rothe und blaue Jacken übergezogen hattc. Etwas besser nahmen sich die Rennwagen in dcr antiken Form der olympischen Spiele aus, obgleich die als Hellenen verkleideten Lohnkutscher sich auch im Kostüme mehrere abweichende Bequemlichkeiten gestattet hatten. Sobald der Zug vorüber war, was über eine Stunde dauerte, folgte ich in Gesellschaft 224 eines fremden Barons und seiner Tochter, dcr die Güte hatte mir einen vacantcn Platz in seinem Wagen anzubieten. Ich selbst hatte die Zeit versäumt und konnte keinen mehr bekommen. Als wir aussiicgcn, gab ich dcr ältesten Tochter den Arm, der Vater folgte mit dcr andern und wir drängten uns durch ein großes Labyrinth von Wagen, Pferden und Menschen hindurch. Ich beschleunigte mcinc Anstrengungen, da mcinc Begleiterin sehr noch ctwas von dem Wettrennen, das schon großtenthcils vorüber war, zu schcn wünschte, uud es gelang mir anch, sie glücklich an Ort und Stelle zn bringcn und auf cincm Wagcutritt zu placircn, von wo sie das siegende Gerippe eines altcu Schimmels, der in kurzem Galopp vorbeiteuchtc, uoch in scincr vollen Glorie genießen konnte. Aber nachdem die Leidenschaft des Wettrennens gestillt war, wo war dcr Vater geblieben! Keine Möglichkeit ihn wieder zu finden, und ich habe ihn auch uic wieder gesehen. In dieser Noth uud um die 225 Besorgniß dcr jungen Dame bald möglichst zu beschwichtigen, führte ich sie — und wahrlich eS war keine Sinecure, durch das Gedränge dahin zu gclangen — auf die große Tribüne, welche, da kein Hof zugegen, von den Honoratioren dcr Stadt eingenommen worden war. Wir hofften von dcr Hohe den ängstlich ersehnten Erzeuger zn erblicken, abcr wir sahen nichts als Staubwolken und undeutlich hinter ihnen wogendes Volk. Glücklicherweise ward ich meinen Vetter P ..... gewahr, der von F . . . . hereingekommen mich diesen Morgen sehr angenehm überrascht hatte, und wollte weiner reizenden Cousine eben die Verlorne Tochter empfehlen, als auch diese ihrerseits einer Tante ansichtig wurde, die sofort ihre psiichtmaßige Chaperonnirung übernahm. Ich folgte nachher dcr Gesellschaft ins Theater. Ueber 6000 Zuschauer, die sich hier auf stufenwcis ansicigcnden Bänken so still und ruhig verhielten, als seyen es nicht mehr als sechs, gewährten einen schönern Anblick als bi«l Semilasso. I. 45 226 Scene selbst; doch war auch diese sehr artig dcco-nrt, und mein alter Bekannter, dcr Wasserfall, sprudelte mir wic Kühleborn entgegen. Des Stückes Titel hiesi: Arco's Opfertod für Churfürst Mar Emaiilicl, und war von einem Offizier verfaßt, dcr, wcmi ich rccht verstanden, auch selbst dic Hauptrolle spicltc. Man agirtc gar nicht übel, nur dic Schauspielerin von Nürnberg etwas affectirt, und das Ganzc war mit der Menge Figuranten, Pferde, Gefechte u. s. w. seinem Zwecke eines Volksschauspicls fthr entsprechend. Arco's Heldcnmuth ward übrigens, selbst noch nach dem Tode, auf eine h^n-tc Probe gestellt, die er wirklich mit bewundernswürdiger Fassung bestand. Als cr nämlich nach einen, sehr langcn und angreifenden Gespräch in seinen letzten Augenblicken endlich verschieden war und ausgestreckt dalag, ging, von einer zu spat entwischten Rakete erschreckt, das Pferd eines Soldaten im Hintergrunde durck nnd rannte direct auf den, keineswegs leblosen, Leichnam des großen Arco zu. 227 Doch cr zuckte nicht, und cs gelang dcn herbei-cilcndcn Generalen, das Thier zu einem Seitensprung zu bewegen, worauf es unter einigem Gelächter und mehreren Vravo's mit seinem Reiter hinter dcn Coulissen verschwand, nachdem cs jedoch vorher das Gerüste des, seit der erfolgten Katastrophe des Helden, ebenfalls ausgetrockneten Wasscrfalls, noch in bedeutende Gefahr gebracht hatte. Vom eigentlichen Inhalt des Stückes kaun ich nicht viel sagen, meine Gedanken waren ganz wo anders, und obgleich sie sich nicht über die 6NW Zuschauer hinaus erstreckten, so absorbirtcn sie mich dcmuugcachtet so sehr, als wenn sie im Himmel selbst an seinem schönsten Stern angcfcsselt gewesen waren. Ja in diesen Phanta-siecn verloren, wo ich die Kanonenschüsse nicht mehr hörte, vernahm ich doch dcn leisesten Hauch einer melodischen Stimme hinter mir .... aber ich träume schon wieder! Das Theater war aus. Niemand konntc 15 * 228 weder seiner Leute noch seiner Wagen habhaft werden. Emc klcme Gesellschaft Ungeduldiger, zu denen ich mich gesellte, beschloß in der aumuthi-gcn Dämmerung zu Fuß nach der Stadt zurück zu wandern. Eine höchst liebenswürdige, lebhafte, geistreiche und gesprächige Dame erbot sich uns als Wegweiser zu dienen, und führte, da wir es nicht besser verlangten, die Caravauc an. Aber Gott, der nicht leicht einem Sterblichen Alles gewahrt, hatte ihr den Ortssinn versagt! Zuerst dirigirtc sic uus auf eiue Sandscholle, die bald einen solchcu Triebsand-Charakter annahm, daß Einige die Vcsorgniß laut werden ließen, hier wohl stecken bleiben zu können. Dies vermochte sie einen Fußsteig über die Wiesen einzuschlagen, und ich muß sagen, wir folgten alle mit der größten Ergebung. Sie war mit meinem Vetter in ein lebhaftes Gesprach gerathen. Wir hörten deutlich ihr Lachen uud die verschiedenen Modu-latioueu ihrer Stimme leiteten uns wie Signale die Cavallcrie. Aber nach uud nach ward das 229 Gras immer hdhcr, verdächtige Sumpfblumcn liesien sich blickcn, Modcrduft verbreitete sich um uns, ja Einige wollen sogar Irrlichter gesehen haben. Schon crtdntcn leise Wehklagen in der Arriercgardc, welche von den älteren Damen gebildet worden war — da entstand auch vorne Unruhe und Tumult, das Erdreich gab nach, hie und da ward ein rebellischer Schuh seinem hübschen Füsicheu untren, kurz wir waren wirklich in Sumpf gerathen und standen nun vor einem breiten Graben. ,^ moi ^nver^no!" rief mein Vetter, und ich eilte hinzu. Wir sind Veidc groß. Gleich zwei Colosscn von Rhodus stellte» wir uns fest über den Graben, ein kräftiger Schwung der Arme, und einem Zephyr gleich schwebte unjere leichte Führerin hinüber"). Die ') Außer dem Coloß von Nhodus und lins in diesem wichtigen Augenblick, kenne ich nur »och eine berühmte Person in dieser Stellung, und das ist die Kaiserin Katharina dir Zweite. Von dieser besitze ich nämlich ein französisches Nlld in meiner Bibliothek, wo man sie mit dem einen Fuß auf Petersburg, mit dem andern auf Constantmopel stehend erblickt, wahrend ihl 230 nyrnphenschlank Gebauten folgten schnell, cine Corpulcntc aber jammerte und wollte umkehren. „Nnr niemals rückwärts, Madame," crmahntc ich, „drüben wird dic Wiese wieder trocken." Hier hatte ich aber schlecht prophczciht, denn cs ward immer nässer, ncnc Graben versperrten uns den Weg, ja Dornhccken selbst, bei deren Escaladi-rung man uns gewiß gezwungen haben würde die Augen zu verbinden, wcnn nicht bereits die Nacht uns in ihren dunkeln Schleier eingehüllt hatte. Vieles still getragene Ungemach ward in dieser Nacht erlebt. Endlich hatten wir wieder gebahnten Vodcn erreicht. Es war nunmehr ganz in der Ordnung, daß alle Vorwürfe uns arme Männer allein trafen, welche zu diesem adschcu- ^Ujiun ein prächtiges Zelt formirt, unter dem sämmtliche Sou-vcraine (Zuropa's versammelt sind/ und das ihnen von oben aus dem ju»to milieu herableucht.'nde Gestirn bewundern. ,..1ä«u«, ruft der heilige Water, liu^llL.-li^mv cle porcUtiun I" und der König von Polen: et mui, rt »ml au««i j'ai euu-tribue ^ 1'»^sHuc!ir etc. etc. 231 lichm Weg verleitet haben sollten. Aber ach! unsere große Schuld war noch nicht zu Ende; schon früher hatte dcr Himmel über uns gemurmelt, jcht öffnete er seine Schleusten und nun ward unsere Lage kritisch, denn so viel verheerte Toiltttcn zu verantworten zu haben, wäre keine Kleinigkeit gewcscn. Ich begreife noch jetzt nicht, wie es zugegangen ist, aber im Nn hatte sich alles iu Paarc, abgcthcilt, und jcdcs Paar hatte auch cincn großen Parapluic, von denen ich vorher durchaus nichts bemerkt hatte. Der Regenschauer, wie durch unsre gute Bewaffnung abgeschreckt, liest bald darauf nach, und bis auf das beschädigte Schuhwerk kam Alles noch leidlich unter Dach und Fach. Mein Vetter, der gleich mir gern wacht, leistete mir noch Gesellschaft, und erzählte mir bei einigen Cigarren von seinen Kriegsschicksalen iu dcs gwßeu Napoleons Dienst, seinem Duell mit dem Liebling dcs seligen Königs von Wür-tembcrg, seinem Schloßbau und jetzigem Friedens- 232 leben, und als auch hie und da cinc Klage mitunter lief, die bei mir selbst ein starkes Echo fand, sagte ich ihm gute Nacht mit eines alten Pappcnheims Sprüchwort: Lieber Freund, Freud pdcr Leid — in fünfzig Jahren ist alles cins. ^ 233 Den N > « «> Vci weitem der angenehmste Theil des Volksfestes war für mich aus mchr als einem Grunde die gestrige Ue^ala der Fischer auf der Rcgnitz, in der reizenden Gegend des Dorfes Buch. Die schön geschmückten Kahne mit flatternden Wimpeln, die geschmackvoll und elegant cosiümir-ten Fischer, meist schöne, junge Leute von militärischem Anstand, die Kraft und Grazie ihrer Evolutionen, der groteske, wasserspciende Wattfisch in der Mitte, und die mit bunten Volkes unzähliger Menge bedeckten Ufer und gegenüber 234 liegenden Anhöhen —cs war gewiß cin glänzendes Schauspiel. Nach der Wettfahrt bestanden die Kämpfer eine Art Tonrnier, und Wenige waren, die man nicht genöthigt hatte, ihre Schwimmkunst in Anspruch zu nehmen. Oft sanken, vom Lanzcnstoß getroffen, Vcidc zugleich tn die blaue Fluth. Zuletzt vereinigten sich Alle, einen Mast zn erklimmen, auf dem verschiedene Preist hingen. Anch ein Carricaturschiff machte sich bemerkbar, auf dem eine Bauernhochzeit ziemlich erotisch dargestellt wurde. Den andern Festlichkeiten musitc ich entsagen. Meine gezwungene Abreist ist vor der Thür, cs war noch viel zn ordnen, kaum blieb mir dic nöthige Zeit übrig. Ich habe Vambcrg lieb gewonnen und verlasse cs uügcrn — der Abschied an der Ncgnitz thut mir weh. Ich sagte ihr Lebewohl, als sey sie cin schönes Madchen, und eine Blume in ihres Busens Wellen sinken lassend, rief ich: Denke mein! Denselben Abend erfreute mich noch Hcrrn 235 von Pfenssers Besuch, der, als ich ihn wegen meincs Jägers, welcher dem Tode nahe schien, consultirte, mir das Räthsel mit Eincmmal lößtc, indem er erklärte, dieser Mensch habe den stärksten Anfall von Heimweh, und werde nur durch schnelle Rücksendung geheilt werden. Nie hatte ich vorher Gelegenheit gehabt, eine so sonderbare Krankheit zu beobachten, die in der Schnelligkeit und Hcfligkcit ihrer Wirkungen ctwas fast Wun, dcrdarcs zeigt. Kaum hatte ich dem Jäger angekündigt, daß er, sobald er sich stark genug dazu glaube, nach Hause reisen solle, um dort cincn Posten im Forst zu bekleiden, so verwandelte sich zusehends ftiu hippokratischcs Angesicht. In einer Stunde schon fühlte er Appetit, und am andern Morgen traute ich kaum meinen Augen, als ich ihn angezogen, noch sehr blaß zwar, aber ganz vergnügt, in meine Stube treten sah, mit der Vtttc, ihn doch noch heute mit der Diligence abgehen zu lassen, seine Sachen seyen schon gepackt. S3S In wcnigcn Stnnden war cr fort, nicht vicl nach mir fragend, und so schwach cr auch war, im Trab der Diligence zulaufend, dic ihn scincn Tannenzapfen wieder zuführen sollte. Ich bin überzeugt, hatte ich ihn in ein Paradies gebracht, nach vier Wochen hatte er auch darin den Geist aufgegeben. Das ist eine glückliche Disposition! mir Unruhigem, den das Fernweh plagt, kommt es wenigstens so vor. Bei der Unmöglichkeit meine Weiterreise länger aufzuschieben, ist mir diese Defection auch sehr empfindlich. Ich wollte hier einen jungen Menschen annehmen, vor Thorschluß läßt mir aber eben seine Mutter sagen, sie könne ihn so weit nicht von sich ziehen lassen. Es scheint, daß ich in dem Reiche der Dienenden hier auf lauter Sensitiven stoße, und werde mir daher wohl wieder einmal selbst und allein durch dic Welt helfen müssen. Ich bin ohne'oicß dieser wcitlauftigcn Art zu reisen, dieser Unbchülsiich-keit, dieser Menge unbequemer Bequemlichkeiten 337 überdrüssig — so sty es, morgen wollen wir die Gestalt verändern, und als leichter Schmetterling ans der schwerfälligen Pnppe fliegen. 238 C h r o n i K. Es ist cine tropische Hitze: zwischen 36 und 27 Grad im Schatten. Die goldncn Spitzen und Kreuze des Doms und des Klosters auf dem Michclsbcrge zu Bambcrg siimmcrn in der sengenden Sonne und spiegeln sich im Strom, der scinc lau gewärmten Fluthcn träge an den hohen Mauern vorübcrwälzt. Es schlägt 12, die Mittagsstunde, und Menschen und Thiere cilen dem Schatten, der Ruhe zu. Doch herrscht kcinc drückende Schwüle, die Luft ist nur glühend heiß, aber rein, der Himmel klar blau, und die Mit-tagsbclcuchtung verbreitet einen solchen Goldglanz über alle Gegenstände, dasi ihre strenge classische «39 Pracht sich wohl mit den bunten romantischen Tinten des Abends messen darf. Um dieselbe Zeit scheu wir drei Wanderer auf dn- großen Landstraße, die von Bamberg nach Schwcinfnrth führt, langsam cinhcrschreitcn. Sie tragen alle Drei ihre Röcke am Reiscstock hangend auf der Schulter, nnd scheinen eben nicht viel mehr als Handwcrksburschcn zu seyn. Vci näherer Vesichtic>ung finden wir jcdoch, daß dcr in dcr Mitte Gehende, welcher cincn halben Kopf üder die andern hervorragt, wahrscheinlich nicht zu ihnen gehört, sondern nur zufallig in ihre Gesellschaft gerathen ist. Seiner Kleidung nach, die etwas besser als die ihrige erscheint, kaun man ihn für einen fustrcisenden Künstler oder Studiosus halten. Er tragt starke Reise-schllhe mit Kamaschcn, dnnklc weite Pantalons, cinc bunte Weste, cincn leichten Uebcrrock, dcr anf dcr Schnltcr hängt, und eine graue Sommer-mutze auf dem Kopfe. In diesem Anfzug unterhält cr sich guter Dinge mit seinen Gefährten, 240 die, wie es scheint, ihn eben um cin Gcschcnk angesprochen haben. „Ob ich Ench ctwas schenke," sagt er, „wird sich später finden; vor der Hand wollen wir cin Stück Wegs gemeinschaftlich zurücklegen. Wie alt bist Dn links?" „Achtzehn Jahre und mein Kamerad zwanzig." „Ihr glücklichen Leute, was wollt Ihr noch mehr, da Ihr gesund scyd?" „Ja, was hilft nns das Jung - und Gcsund-seyn, wenn man nichts zu beißen und zu brechen hat. Der Hunger thut nur desto wchcr. Mit einem Kreuzer bin ich heut aus Vambcrg gezogen, mehr hab' ich in der Gottes-Welt nicht. Wie gern wären wir mit dem Marktschiffc gefahren, statt hier in dcr schrecklichen Sonnenhitze im Staube zu traben; aber wir konnten nntcr uns die zwanzig Kreuzer, die es bis Schweiufurth kostet, nicht aufbringen." „Warum verdient Ihr Euch denn nichts durch Arbeit?" »Ja,» siel der Aeltcsic cin, „wenn die nur immer 24t zn bekommen wäre. In Vambcrg gibt es, wie wir bcschicdcn worden sind, 126 Mcistcr unserer Zunft, und dazu nur 142 Gesellen. Wenn Ihr Arbeit haben wollt, sagten sie uns, müßt Ihr Euch selbst mitbringen. Ja, glauben Sie cs nur, lieber Herr, cs ist jctzt eine gar schlimme Zeit für uns, und vollends bei dem guten Wetter, wo Stiefeln und Schuhe ewig halten, — denn Wir sind Schuhmacher mit Verlaub." Dcr Mittlere lachte. „Nun," erwiederte er, „könnt Ihr hier keine Arbeit mehr finden, so machts wie ich und geht nach Amerika. Da verdient Ihr Euch einen Kronenthalcr täglich, eßt dreimal Fleisch von früh bis Abend, und' legt dennoch die Hälfte Eures Verdienstes dabei für andere.Bedürfnisse zurück." »Ja," mciutc dcr Geselle, »das wäre Alles recht schön und herrlich und wir thätcn's gar zu gern, aber wie denn hinkommen ohne Geld, und hat man doch jctzt schon seine größte Noth, nm nur von Vambcrg nach Würzburg zu kommen, qe- Smnlasso. >. 16 242 schweige denn bis in dic ncuc Welt. Das hat ja gar kein Ende mehr mit der Schererei von Paß-Abfragen und Visiren, und sind wir vier Wochen auf der Neist und können keine Mittel mchr ausweisen, schickt man uns gleich mit Gewalt nach Hause. Fechten dürfen wir beinahe gar nicht mehr, und die Bauern nehmen uns auch nicht mehr für cm bloßes: Gott vergelt's, auf die Streu. Vor drei Tagen mußten wir in einem Kornfclde schlafen, und waren früh Mor, gens so steif von Kälte und Thau, daß wir kaum die Glieder mehr rühren konnten." „Nun heute ist's dafür desto wärmer, lieben Freunde," sagte der Lange, „denn ein glühender Wind ging ebcn über sie her wie heißes Wasser. «Der kommt von Oestreich! meinte der Jüngste. „Ja, ö' ist cn verdammt arstokratscher Wind," siel der Andere ein. «Was Teufel wollt Ihr damit sagen?" „Nun weil er uns den letzten Schweißtropfen auspreßt, meine ich." H4H »Ihr Narren, habt Ihr nie das Sprüchwon gehört: Schuster, bleib bei deinem Leisten. TollcS Wesen heutzutage mit solcher leidigen Halbauf-klärnng! Habt keinen Kreuzer in der Tasche und könnt doch s'Naisonnircn und Politisircn nicht lassen. Wundert Ihr Ench noch", daß man Ench in jedem Dorfe den Paß abfragt und auch auf den Geringsten von Euch ein wachsames Auge hat. Glaubt mir, der schlimmste Wind für Euch ist der liberale, denn er verdreht Euch den schwachen Kopf." Der Gescllc lachte höhnisch: „Es ist noch nicht aller Tage Abend, lieber Herr, und wcr's erlebt, wird sehen, daß es anders in der Welt werden muß. So hundsfdttisch, wies jetzt ist, kann's nicht mehr lange gehen." Die Reisenden hatten bei diesen Worten cin Lohnfuhrwerk erreicht, das an einer Schenke hielt. „Lieben Leute," sagte der Lange, indem er in den Wagen sticg, „nehmt Euch in Acht, daß man Euch nicht einsperrt. In Erwartung Eurer bcsscrn 10 " «44 Zeit aber nehmt einstweilen dicft kleine Gabe, und vertrinkt sie auf Eures Königs Gcsnndhcit das wird Euch jedenfalls das beste Vlnt machen." Der Leser sicht wohl, daß er Scmilasso vor sich hat, der immer nach Vcrändcrnng begierig, den vornehmen Herren abgestreift, Wagen und Effecten dem Vambergcr Wirth übergeben, sich sogar von seinem Hnnd nnd Papagei getrennt hat, und sich jetzt seiner ungcnirtcn Freiheit wie ein Kind crfrent, bis er spater anch dieser wieder überdrüssig werden wird. Jeder hat seinen Grad Narrhcit in der Welt. Wenn sie unschuldig ist, warum ihr nicht folgen? Das Land, dnrch welches der Weg führte, war schön. Reizende Fcrnsichten auf Vambcrg und Vanz, in der Nähe ein Klostergarten mit altcrthümlichcn Gebäuden, und noch älteren Väu-mcn, unter denen jedoch lange schon keine Mönche mehr aus und eingehen, ergötzten den Wanderer. Statt der Klosicrhcrrcn ist das Grundstück jetzt einem Gasiwirth verfallen und dient zn einer 2^5 Sonntagstabagic für die Bürger. Demungcachtet ist dcr Zauber des Alten noch nicht ganz vcr, schwundcu, und cs ist überhaupt ein grosier Vorzug dieser Gauen vor unsrem Norden, wo solche Spuren fast gänzlich verwischt sind, daß Einem hicr fast auf jedem Schritte uoch dic phautasic-rcicheu Erinnerungen des Mittelaltcrs wic abge-schiednc Geister entgegen treten. Noch hübscher aber ist cs, wenn man unter so einer vom Berge herabdrohcudcn Nuinc zwei holde Mädchen ansichtig wird, wic cs Scmilasso auf dcr nächsten Station zu Thcil ward. Es waren dcs Wirths Töchter, 18 und 19 Sommer alt, ein guter Grund für Icmaud, der nichts zu versäumen hatte, hier Mittag zu machen. Semi-lasso meinte, wenn cr ein hübsches Mädchen in Baiern sähe, siele ihm immer unwillkürlich dic Statistik cm, in welcher cr gelesen, daß man in diesem Lande auf drei Kiuder immer nur eins von ehelicher Natur rechne. Die beiden Grazien dieses von Weinbergen umgebenen Oertchcns S4S konnte man fast regelmäßige Schönheiten nennen, besonders die älteste mit kastanienbraunem Haar, dunkeln, sich säst berührenden Augbrauncn, tieft blauen, feuchtglänzcnden Augen, Zähnen wie cin Mäuschen, Lippcn wie Purpur und einem Teint wie Milch und Blut. Als unser Freund sie scherzend frug, ob ihre Füßchcn unter den lichtblauen Strümpfen cbcn so weiß wären wie ihr Gesicht, antwortete sie mit allerliebster Gravität und halb pikirt: «Das will ich meinen, da ich ta glich Strümpfe trage." Die Jüngste war blond und frisch wie eine aufblühende Rose, die Augcn hellblau und klar, doch nicht weniger schalkhaft. Unser Freund mochte ganz froh seyn, hier keinen unbequemen Kammerdiener mehr ü 563 trou55L5 zu haben, der die Mädchen verhindert hatte, ihn wie ihres Gleichen anznschcn und sie danu zehnmal zurückhaltender, jedenfalls unnatürlicher gemacht haben würde. Es ist aber — auch in allen Ehren - immer «in wahrer Gennß, solche Madchcnseelen in ihrer 247 ganzen Natürlichkeit zu sehen; nur iu anderu Verhältnissen erlangt man vielleicht jede Gunst von ihnen, und hat doch immer nur ihre vvrge, nommene Maske kennen gelernt! Es war schon spat, als Scmilasso dieß lieb, liche Ocrtchcn verließ; die Hitze hatte sich etwas abgekühlt und gestattete so mit doppelter Annehme lichkcit das herrliche Thal zu genießen, in dem der Schmachtcnbcrg liegt, von deffcn Gipfcl die Aussicht für cinc der schönsten in Franken gehalten wird. Viel alte Gebäude und katholische Sinnbilder beleben den Weg, sehr dicht gepflanzter Wein wechselt an den Abhängen mit Vnckcngcbüschcn ab, und die im Grunde sich hinziehenden Wiesen und Felder zeigen die üppigste Fruchtbarkeit. Bei Hasifurth erreicht die Gegend ihren Culmi, nationspunkt; ein Amphitheater bewaldeter Verge Zieht sich um sie her, und der schon breit uud majestätisch strömende Flust wird von hohen Sil, berwcidcn, Schwarzpappeln und Linden auf das Anmnthigste bekränzt. DieStadtund einigeKldster, »48 die ihre Thürme am Wasscr erheben, tragen das Ihrige dazu bei,dic Landschaft malerischer zu machen. Ein Original von Gastwirth wollte dem Reisenden, wie wir aus seinen Noten ersehen (denn nnr einige zerstreute und leider sthr unleserliche Zettel dienen uns zur Aufcrtigung unscrcr Chroi uik) fast mit Gewalt in Haßfurth Zurückhalten, um ihm die drci Merkwürdigkeiten der Stadt zu zeigen: eine Mühle ohne Wasser, eine Kirche ohne Pfeiler und einen Garten ohne Gemüse. Scmilasso blieb jedoch unerbittlich, fuhr im Dunkeln fort, war nahe daran zur Straft von ciucm Berge hinabgckollcrt zu wcrdcn, und kam nach vielem Ungemach erst nach Mitternacht in Schwcinfurth au, wo ein freundliches Logis und gutes solide für ihn bestellt war. Als cr sich zu Vctte Icgtc und, wie cr häufig zu thun pflegt, ein kurzes Gebet an die heilige Lucia gerichtet hatte, recapitulate cr uochmals in Gedanken alle frohen Gefühle, alle lieblichen Bilder, die seit dem Morgen an ihm vorüber gegangen waren. «49 Der Lohnkutschcr, welcher Scmilasso, langsamer als cs ihm 1Kb war, von dcr Stelle brachte, war sehr von dem verschieden, den er uns früher beschrieben hat. Diese Handcrer, wie man sic hier nennt, bilden eine ganz besondere und ungcmcin zahlrciche Classe in Vaiern, weil fast alle Reisen innerhalb des Landes nnr mit ihnen gemacht werden. Die Menge derselben beim Volksfeste überstieg fast allen Glauben, und gewiß enthalt Vamberg allein, obgleich nur eine sehr zurückgekommene Provinzialstadt, deren mehr als Berlin. Deßhalb ist auch, bei großcr Wohlfeil-hcit aller übrigen Dinge, das Pferdefntter allein ein theurerer Artikel als bei uns. Besagter Handcrcr gehörte zn den pfiffigen Leuten, die mit guten Worten, dem Wesen eines Voussous, Geduld nud scheinbar nie ermüdender Bereitwilligkeit am meisten für sich zu erlangen wissen, und zu diesem Ende gewöhnlich anf den ersten Blick ihre Leute auch sehr richtig zu beurtheilen verstehen. Er war schon 65 Jahre alt 250 und burlesk gestaltet. Mit keinem einzigen Zahn im Mnnde stand seine Unterlippe gcwisi einen halben Zoll über die obere hervor, blieb aber dennoch sehr weit hinter der kartoffclartigcn Nase zurück, über welcher zwei ganz kleine Angcn schlau und munter umherblickten. Er war zu Allem zu gebrauchen, machte dcn sorgsamen Bedienten und den gewandten Figaro, unterhielt unterwegs mit scandalösen Geschichten, und kannte jede Parli-cularität der Gegend, über Menschen wie Dinge, die der Mühe werth zu wissen war. Dabei blieb er siets guten Humors, war aber auch immer mit einer Bettelei bei der Hand. Gefällig dirigirte er die Reift über Gaibach, um seinem dcrmaligm Gebieter dcn dasigcn Park des Grafen Schdnborn zu zeigen, den jedoch Semilaffo sehr unter seiner Erwartung fand. Er liegt zwar in einer vorthcilhaftcn Gegend, hat aber durchgängig einen der Vegetation contrairen, schweren, steinigen Lehmboden, und ist unbeholfen und ohne Geist gepflanzt, auch viel zu leer. 251 namentlich für so öde Flächen. A^f cinem ganz todten Kicshügcl, wo das darauf gesäte Gras nnr dann fortkommen würde, wcnn man den ganzen Platz mit cincm Fuß hoch guter Fcldcrde überfahren licße^ stcht die prachtvolle ConstitUt tionssäule, welche, wie man sagt, dem Grafen 80,000 Gulden gekostet hat, was sehr glaublich ist, denn nichts war daran gespart worden; Alles an ihr erschien in hohem Grade gediegen und würdig. Nnr ist der Constitution selbst, welche die Säule zu verewigen bestimmt ist, eine weniger sterile Grundlage zu wünschen, als dicse hat, und einc weniger glühende austrocknende Atmosphäre, als sie hcntc umgab. Die Aus stcht von ihrer Spitze ist eben nicht schon, aber viel, umfassend. Durch weite Luzern - Flächen, ein abschcu, lichcs Sm-rogat für grünen Rasen in einem Park, auf einem beschwerlichen losen Kieswege mit einzelnen hineingeworfenen Steinsiückcn, nnd bei halb verdorrten, auch technisch schlecht gemachten 252 Pflanzungen vorüber, ward Scmilasso nach dcn Schlosigärtcn geführt, wo sich ein ^lo»«^«? ^rounä nnd Blumengarten befindet. Man sieht, dasi dieser von Jemand herrührt, der englische Modelle dabei vor Augen hatte, und er übertrifft dcn Park bei Weitem, doch ist auch diese Anlage in vieler Hinsicht mangelhaft geblieben, und die Unterhaltung derselben keineswegs wie sie seyn sollte, vor Allem die des Rasens, der die sotgfaltigste verlangt. Ucbrigcns war der Moment allerdings ungünstig, da die große Dürre Alles verbrannt hatte, doch wird es dem Kenner leicht zu beurtheilen, was dieser zuzuschreiben ist, und was nicht. Schr zu loben waren dagegen die Glashauser und die für Ncuholländcr Pflanzen, welche im Sommer bis auf die Rückwand weggenommen werden. Diese find nicht nnr reichlich fournirt, sondern auch geschmackvoll ausgcdacht nud vortrefflich gehalten. Das Schloß, wclchcs von außen sich nicht 253 vorthcilhaft darstellt, und ciner großen Pachterwohnung mit Wirtschaftsgebäuden gleicht, überrascht dcsio mehr durch die noble und solide Ausstattung im Iuncrn. Hier sicht man kein Papier an die Wände geklebt, nur Stuck oder Seide nimmt seinc Stelle ein, kein Spiegel besieht aus kleinen an einander gehefteten Stücken, und keine schlechten oder nichtssagenden Bilder oder Kupfer« stiche verunstalten cin Zimmer. Was da ist, hat Kunfnvcrth oder cin anderes Interesse. Vic-lcs verdient besondere Aufmerksamkeit. Dahin gehört der schöne Marmorsalon mit vier vortrefflichen Basreliefs von Thorwaldsen, und dem Blick in annntthigc Gewächshäuser ans beiden Seiten, mit denen der Saal durch Spicgclglas-thüren commnnicirt; ferner eine äußerst zierliche leichte Treppe nach englischem Muster, die meisterhaft ausgeführt ist; endlich der Saal der Constitution (für die der Besitzer sehr enthusiastisch zu scyn scheint), welchem cs nicht an Originalität fehlt; doch bemerkt Scmilasso, daß er 254 die Inschriften etwas trivial, und einige sogar nicht recht verständlich gefunden habe. Hier die crwähnungswerthcsten in Abschrift: 1) Freiheit der Gewissen, Freiheit der Meinungen. (Dieß ist die beste). 2) Gleichheit dcr Gesetze (?) und vor dem Gesetze. 3) Gleichheit der Belegung und der Wichtigkeit ihrer Leistung. (Mehr als Lapidar-siyl!) 4) Gleiche Berufung zur Pflicht und znr Ehre der Waffen. 5) Gleiches Recht der Eingcborncn zn allen Graden des Staatsdienstes. (Beides noch nicht zu erzwingen. Ein jüdischer Fcldmarschall z. B. ist noch immer unmöglich unter den Christen.) Ein seltsamer Mann hatte sich Scmilasso angeschlossen. Er war, wie er selbst erzählte, zuerst Pfaff, dann Jurist, hierauf Handlungs- 255 diene»-, später Arzt gewesen, jetzt sey er Gast-Wirth, hauptsachlich ab« Weinhändler, weil er in Tokay das Geheimniß entdeckt, welches Ur-Princip allem Wein zum Grunde liege, und er nun mit Hülfe der Naturwissenschaft und Chc-mic im Stande sey, jeden Wein künstlich zn seinem non pw» ulna zu steigern. „In der Medizin," setzte cr hinzu, „ist cs dasselbe. DaS Mittel jcdc Krankheit zu erkennen und auf dic Grundursache aller zurückzuführen, ist einfach. Halten Sie mich nicht für toll," sagte cr sanft, indem cr Semilasso's Hand ergriff; »aber bald werden mcinc Entdeckungen reif genug scyn, um sie bekannt zu machen, und dann wird dic Welt staunen. Ja, ich behaupte nicht zuviel: cin neuer Christus in der Medizin sieht vor Ihnen.« Unser Freund, der sich hier eines gewissen Vu« ches und einer besonders darin angefochtenen Stelle erinnerte, glaubte jetzt, der Fremde kenne ihn und wolle ihn pcrsifiircn; cs fand sich jedoch bald, dast cr im eifrigsten Ernste sprach. In 356 dcr That hatte dieser Mann ctwas ganz Eigen, thümliches und Sehcrartigcs, mit dem Bench-men cincr sorgfältigen Erziehung verbunden, verrieth anch in dcr Untcrhaltnng gnte Schul-kenntnisse nnd reiche Erfahrungen. Scmilasso empfahl sich daher, im Fall er im Prophcten-thnme Glück machen solle, seinem Wohlwollen, nnd nahm einstweilen die Adresse seiner Wein-Handlung in Empfang, um gelegentlich den Urwein zn kosten. Im Garten des Grafen hatte sich in diesem Frühjahr, nach siebenjähriger Enthaltsamkeit, das zusammenlebende Paar ciucs schwarzen Schwanes und einer weißen Schwänin begattet. Schwarz auf weist blicb abcr dicßmal unfruchtbar, nnd als man die lang bcbrütcten Eier öffnete, waren sic nnr mit einer todten käseartigcn Masse angefüllt. Es gibt Lcnte hier, die dieses ^ncmont von übler Vorbedeutung erklären, und nach Art dcr Offenbarung Iohannis auslegen. Scmilaffo ncth cm Basrelief für die Constitutions-Säulc 257 daraus zu machen, auch könnte cs, meinte er, die cndlichc Vereinigung der Katholiken nnd Protestanten bedeuten, und ihre Niederkunft mit einem todten Kinde. Hierauf begab er sich von Müdigkeit und Hitze erschöpft in die Gaibacher Dorfschcnke (von recht guter ^paronco) und verlangte eine Kaltschale. Man brachte ihm, auf cincm Teller melirt, Schinken, Wurst und kalten Braten, welches hicr so gcnanut wird. Er lehrte alsobald die wißbegierigen Wirthslcute unsre Weise, und empfing ihren Dank wie der heilige Otto, als er die Christen bekehrte, in Pommern. Die Bauern in der hiesigen Gegend scheinen reich zu seyn, ihre Kleidung wenigstens ist es, und zugleich ganz von dem Gewöhnlichen abweichend. Sie tragen kurze blaue, rothe, grüuc, gelbe Westen, stark mit schmalen goldnen Tressen besetzt, dazu eine rnnde Jacke und weite Panta-lons aus Tuch von einer andern Farbe als dic Weste. Der sehr zweckmäßig geformte Hut mit Semilasso. 1 ^7 258 breiter Krämpe, nach Art der Tyrolcr, ist voll goldncr Schnüre und Knöpft. Auch die Kleidung der Weiber ist fremdartig. Fast alle gehen in hellblauen, einige in rothen Strümpfen, dic Rocke reichen nur bis auf die halbe Wade, und der Kopfpntz ist ein hohes, spitzes Dreieck. 259 Vierter Vriet, An dic Frau Grälin von T<... H... Würzburg den «4. Juli >834. Wic unglücklich fühle ich mich, schöne Bianca, meinen Dir so oft angekündigten Besuch abermals auf ungewisse Zeit verschieben zu müssen. Vaiern zu durchreisen, ohne Dich zu sehen, cs ist fast unverzeihlich! Materiell wäre cs auch möglich gewesen, aber cs giebt solche Fatalitäten im Leben, dic uns fast unbcmcrklich durch tausend kleine Unbcdcutendhcitcn von diesem Ortc abhalten 17 ^ 260 und auf jenen znstosien, dm crsehnlen Weg ein-zuschlagen von Tag zu Tag hindcrn und fast unwillkührlich in den führen, der oft eben so schr unsern Wünschen, wie unserem Interesse entgegen ist. So geht cs mir schon stit Jahren mit München und in diesem Augenblick auch mit dem Ort meiner jetzigen Bestimmung, den ich kaum noch kcnnc ")! Ucbrigcns gefällt mir Dciu schönes Vaicrn außerordentlich und wcnu ich von all dcn Wundern höre, die Euer knnstliebcndcr König, Deutschlands Pcriklcs, in München mit rastloftm Eifcr schasst, so trösic ich w.ich^ cs jctzt nicht gesehen zu haben, um spater einen noch desto hoher gesteigerten Vollgcunß dort zu finden, wcnn Alles beendigt seyn wird, was in diesem Augenblick erst begonnen ist. Aber Dich, meine theure Schwester, nach so ') Diese Worte war?n leider prophetisch, denn ich sollte die theure Schwester nie wiedersehen! 2«1 langer Trennung auch nicht einmal haben nn^ armen können, Deinen Mann, der mir dnrch Deine Briefe nnd Lucic's Erzählungen so licb geworden ist, immer noch nicht von Angesicht zu Angesicht sehen zu sollen, darüber kann ich mich kanm trösten. Wenigstens will ich Dir diesmal recht ausführlich schreiben, was ich vornehme, so lange ich mich in Deinem Adoptiv-Vatcrlandc ,ioch aufhalte, denn von Vambcrg glaubte ich nichts weiter nöthig zu habcn, als Dir meine baldige Ankunft zu melden, die ich damals unabänderlich gewiß glaubte. Vorgestern kam ich in Würzbnrg an, dessen Umgegend mir eben so kahl erschien als der Bergkcssel schön, in dem die Stadt selbst liegt. Noch an demselben Abend besuchte ich den Schlosigartcn, und dieser so wie die Pracht und Größe dcr Residenz versetzten mich in Staunen und in einen wahren Enthusiasmus, denn ich ahnctc gar nicht, etwas Aehnliches hier zn finden. Das 2ss Local dcs Gartens ist in hohcm Grade günstig, die Lage geschickt, die Fruchtbarkeit üppig, dic Behandlung durchaus großartig und die Erhaltung vortrefflich. Man sindct Mcs; die schönsten Ercmplarc alter und seltner Baume, Sträucher und Pflanzen, sinnig mit adäqnatcm Bauwerk, Fontaineu nnd Statncn gemischt, Vlumcnparter-res, schattige Verccaus, frische Rasenstücke, vortreffliche Kieswege — wahrlich ein königlicher Garten im vollen Sinne dcs Worts. Wäre es nöthig, mich hierüber zu belehren, hier hätte ich mich unwidersprcchlich überzeugen müssen, daß für grandiose, regelmäßige Paläste durchaus auch nur ciu architektonischer Gartcngcschmack paßt, und zugleich sieht man, daß ohngcachtct dieser sirengen Symmetrie es dcm genialen Künstler dennoch leicht wird, ihr eine große Mannigfaltigkeit zu geben, ja selbst dem Spiel und der barokcn Laune ihren Tummelplatz anzuweisen. Wir wissen in Deutschland zu wenig was wir haben. Daher gestehe ich mcinc Ucbcrraschung. 263 Ich habe in England in dicscm Styl nichts gesehen, was dieses Ensemble überträfe. Nimm Dir dies zur Lehre, Ucbc Bianca, und unternimm nächstens eine Reise hierher, vielleicht siehst Du Dir Etwas für Dein Zauberschloß ab, an des schönen Salzburgs Grenzen. Der Garten bildet einen Halbkreis und erhebt sich ßrÄ^atiin bis an die alten Festungswerke und ticfcn jenseitigen Stadtgräben. Dort führen herrliche Lindenalleen auf den Wällen entlang von einem Ende des Halbkreises bis zum andern, und während man im übrigen Garten nur ihn selbst und das Schloß sieht, hat man von hier oben die eigenthümlichsten, mit nichts Anderem zu vergleichenden Aussichten auf die Gegenstände außerhalb, deren origineller Charakter durch die besondere Lage der Stadt, ihrer Kirchen und Schlösser hervorgebracht wird. Was mich oft auf altdeutschen und italiänischen Bildern als wunderbar und phantastisch angezogen, ich aber für übertrieben und unnatürlich gehalten, hier 364 schien cs mir verwirklicht. Es ist so schwer, dergleichen mit Worten zu beschreiben. Nur so viel summarisch: Von dcm Fuß einer der alten Linden sah man nnter den Kronen mehrerer hohen, etwas seitwärts stehenden Väumc, tief unter sich in einen Blumengarten hinab, den ein Glashans begrenzte, hinter diesem wird man einen Theil der Stadt gewahr, bald hohe bald niedrige Häuser mit einem großen Palast an der Seite, neben welchem eine schmale aber weite Durchsicht auf den Main sich bssnct; den Mittelgrund nehmen mehrere hohe Thürme ein, und nahe hinter diesen erhebt sich anf einem mit Weingarten durchzog-ncn Felsen, der durch die Disposition der vordern Gegenstände von außerordentlicher Hohe erscheint, die von vier Thürmen fiankirte Citadelle. Diese von goldrothcn Abcndwdlkchcn umspielt, schien unmittelbar im Himmel selbst zu stehen, da der Rahmen der nahen und dichten Baumkronen hier schnell abschnitt und keinen Raum darüber mehr erblicken ließ, 265 Ich ciltc jetzt in das Schloß zurück, wo cs indeß zum Besehen der Zimmer schon zu spät geworden war, und ich uur dic überaus prächtige Einfahrt und Trcppc bewundern konnte. Ich fand hier einen Engländer mit seiner Gemahlin, die anch eben wieder umkehrten. Theils noch voll Enthusiasmus über meinen aufgefundenen Ausslchtspuntt, theils aus Muthwillcn, weil ich der Engländer seltsame unebnes» kenne, wenn cin Fremder sie anspricht, trat ich an sie heran und frug, ob sic sich nicht, da cs zu spät sey, das Schloß zu scheu, von mir in dcn Garten zu ciucm der herrlichsten Naturgcmäldc führen lassen wollten. Wider Erwarten antwortete mir der Herr sehr verbindlich, die Dame jG)ch verneinte, indem sie lakonisch auf englisch sagte: »Ich glaube, ich werde uicht mitgehen." Ich ließ mich jedoch nicht abschrecken, und da sich der Gemahl dceidirt auf meine Seite schlug, thaten wir endlich seiner Dame eine äouco violence an, und entkräfteten, immcr 266 langsam vorwärts schreitend, nach und nach ihre Opposition. Je wcitcr wir gingen, desto interessanter kamcu mir die Fremden vor und je mehr schien sich auch die ermüdete Dame mit meiner Zudringlichkeit auszusöhnen. Veide stimmten übrigens zu meiner Freude ganz mit meinem eignen Urtheil über das großartige Ganze über-ein; wie mm ein Wort das andre gab. Dies und Jenes erwähnt wurde, erriethen wir uns zuletzt gegenseitig, und obgleich Keiner den Andern je vorher gesehn noch sich nach ihm erkundigt hatte, erkannte ich den Lord und er mich. Errathe diese Fremden auch, liebe Bianca, denn Du kennst sie weit langer als ich, und vergiß dann niHt, sobald Du sic wicdcr siehst, ihnen von mir die verbindlichste Empfehlung auszurichten, denn ich brachte den ganzen Abend bei ihucu zu, und erinnere mich lange keiner angenehmeren Unterhaltung. München, Amerika, wohin ich reise, Washington, den der Lord gekannt, waren der Hauptgcgcnstand unsrer 267 Conversation, deren Resultate mir noch von der Gcsandtin zn meinem kleinen Scheffel Empfeh^ lungsbriefcn einen schr wcrthvollcn hinzufügte. Ein wenig Zudringlichkeit hat also auch manchmal ihr Gutcs, und cincm timidcn Deutschen besonders (zu dmcn ich so schr gehöre) kann man sic immcr unbedingt anrathcn, das Vermögen Mißbrauch damit zu treiben, geht ihm ganz ab. Am andern Tage besah ich das Innere des Palastes, welches seinem Aeußcrn ganz entspricht. Der Souverain, der cs erbaut, war auch ein Graf Schönborn, eine Familie, der man diesen, an so vielen Orten Raum gegebnen Sinn für Verschönerung nicht genug danken kann! Ich glanbe überhaupt, daß ein Monarch sich durch wenige Dinge, die immer in seiner Gewalt stehen (denn ein Genie, ein Gesetzgeber und Eroberer kann nicht Jeder seyn), mehr Verdienst um sein Land und einen länger dauernden Namen crwcrbcn kann, als durch erhabne Bauwerke. 268 Deshalb verehre und segne ich auch Dcincn König, obgleich kein Vaicr, dessen Genialität sich gerade in dicscm Feuereifer äußert, und den Dank der Mit- und Nachwelt sich sicher erringen muß. Gott erhalte ihn! Die vcrschicdncn Appartements in der Würzburger Residenz sind größtcntheils in dem prächtigen Styl Ludwig des Vierzehnten meublirt, der jetzt wieder und nicht mit Unrecht, wenn es nicht übertrieben wird, zur neusten Mode geworden ist. Bemcrkenswcrth ist in diesem Genre ein Spicgclzimmcr, in dem ein Theil der Spiegel auf originelle Weist mit bunten Figuren und Arabesken, die mit reichem Laubwerk von Gold abwechseln, bemalt ist. Die vergoldeten Zierrathen an Thüren und Fenstern sind nicht von Holz, sondern aus Blei gegossen, welches ^ihncn eine so große Dauer gegeben hat, daß Alles noch heute wie neu erscheint. Eben so wohl überlegt sind die Verhältnisse und Einthcilnngen der vcrschicdncn Picccn, und der coup 6'oeuil aus dem «69 Eckfenster der großen Gartcnfa^ade, wo man durch 16 Zimmer in den colossalen Saal der Mitte, und jenseits diesem durch noch 16 andere, die mit cincm großen Fenster schließen, wic dnrch einen endlosen Naum hindurchblickt, wird wenig seines Gleichen finden. In des Königs Wohnstuben, welche die einfachsten sind, fand ich eine Madonna von unserm Schadow, die mich frap-pirtc. Sie steht manchen berühmten Gemälden älterer Meister in keiner Art nach, am wenigsten in tief gefühltem, sinnigen Ausdruck. Auch eine vortreffliche Copic der Magdalene Correggio's von Füger befindet sich hier. Solche Copiccn großer Meisterstücke der Malerei sind meines Erachtcns gar vielen theuer bezahlten Originalen vorzuziehen, uud dieser Art würde ich eine Sammlung anlegen, wenn mein Vermögen gestattete, auch in dieser Region der Kunst meiucm Geschmacke zu folgen. Ich habe mich immer gewundert und es schon früher einmal geäußert, daß man bei der «70 großen Vollkommenheit, die man jetzt in Nachahmung der Edelsteine durch Glascompositioncn erreicht hat, dicsc nicht zum Amcnblcmcnt benutzt. Hier fand ich einige Kronleuchter von buntem Glase aus alter Zeit, doch sind sie nur cm roher und unvollkommncr Anklang von dem, was man in solchem Genre jetzt herstellen könnte, besonders wo etwas recht Phantasiercichcs, ganz aus dem Gewöhnlichen Heraustretendes bezweckt würde; denn man kann nicht gcnng variircn und die ärmliche Monotonie ist unser Hauptfehler in Bauwerken wie vei der innern Verzierungökunst. Man erfreut sich hier wahrhaft an der altcn gediegnen Pracht und Mannigfaltigkeit. Welcher Unterschied in der That zwischen dieser reichen Stukkatur, diesen schön lakirtcn Voiscricen von Grün und Gold, Vlau und Silber, den Schlachten Alexanders von Lebrün in Hautcliec, den mit Sculpture» untermischten Fresken Ticpolo's mit den widrigen Klecksen dcr Papierpinsclcicn und den oft abscheulicheren Pfuschereien schlechter Dccorationsmalcr ncurer Zeit. 271 Nicht übcl hat der Fürstbischof im Geiste seiner Zunft dm Gegenstand der Darstellungen im grosien Saal gewählt, denn während man auf der einen Seite zwar den Bischof Gcbhard vvr dem Kaiser kniccn sieht, als er von ihm mit dem Bisthnm belehnt wird, so erscheint doch auf der andern schon wieder dcr Kaiser zu Gcbhards Füsien, wie dieser ihn mit dcr Gräfin von Vra-bant vermahlt. In cincm andern Saal war ein Carronffel und eine Menge andrer Spiele angebracht, nnd in dcr angrenzenden Zimmerrcihc befanden sich Uebcrrcsie einer Gemäldegalerie, von denen jedoch das Beste nach München gewandert ist. Auf dem Rückwege nach meinem Gasthof nahm ich noch einige Kirchen in Augenschein. Zuerst den Dom, anch vom Grafen Schdnborn crbant. Er ist im modernen italiänischen Kirchengeschmack von Schnörkeln, Vergoldung, Zicrrathcn und Monumenten aller Art strotzend. So sehr dergleichen einen gothischen Dom verunziert, so 2?2 habe ich doch dicsc verworrene Ucberladuug von Farben und Gold in einer modernen Kirche nicht ungern. Sic paßt übrigens ganz gnr zu dem Cultus. Es ist wie, cin Rausch, wie ciu confuscr Traum, dem man sich eine Weile ganz behaglich hingicbt, und sich an der sonderbaren Mischung des Geistlichen nnd Weltlichen in hundert Car, ricaturcn ergötzt. Hier z. V. Adelswappen über dem heiligen Kreuze und dem Hochaltar, dort eine schwarze Heilige von zwei Vischössen im Ornat bcknicct, weiterhin eine riesengroße Maria mit einem Gesicht wie cin Türke, der cin Geistlicher drei enorme Goldstücke darreicht, die ihrer Taille ganz angemessen sind — cin gutes Beispiel für die Gläubigen —; daneben der würdige Laurentius, wie er jämmerlich auf dem Rost gebraten wird, und gegenüber der große Esel, der sich ans der Flucht nach Aegypten verwundert nach ihm umschaut; zn guter Lctzt endlich eine prächtige Capelle mit Marmorsäulen und Gold ohne Ende angefüllt, in Pracht alles Uebrige überstrahlend, abcr nur der Eitelkeit einer hohen Familie gewidmet, deren Wappen und Embleme rund um des Heilands Auferstehung, wie zur Derision seiner Lehre, einen Kranz bilden, den pour comdlo äo cl^monco oben — das Portrait des Stifters der Capclle in der Allongcnperrüke schließt! Dergleichen ist gcwist träumerisch und phantastisch genug, um sich die Augen zu reiben, nachdem man es gesehen hat. Doch bietet eine andere Kirche noch Sonderbareres. Hier hängen zwei große schon verschossene Gemälde von folgendem Inhalt: Auf dem einen ist das Nachtmahl abgebildet und darin eine Galerie der charakteristischesten Iudenphysiognomiccn als Carricatur auf das Possirlichste dargestellt. Sie verrathen ein langes Stndium der Eigenthümlichkeiten dieser Nation, sind aber sämmtlich, Christus nicht ausgenommen, nur in der gemeinsten Art dieser Eigenthümlichkeit aufgefaßt und absichtlich chargirt. Wie kaun man eine solche unanständige Satyre in einer Semiwsso. ». i8 274 Kirche lassen! Der Pendant zu diesem Vilde scheint auch eine Verspottung zu beabsichtigen. Christus als Knabe sitzt auf cincm hohen Kinder-stühlchcn bei Tisch, neben ihm Maria, welche ein bis über die Wade nacktes Vein und Fuß unter der Tafel hcrvorsircckt. Etwas weiter abwärts sitzt Joseph, der ans Respect mit abgewandtem Gesichte on cocker von stincm Teller ißt, den er in der Hand hält. Drei Engel mit ungeheuern Flügeln bedienen. Der Eine legt aus der Schüssel dem Heilande vor, der Andere bindet ihm die Serviette um, uud der Dritte trägt eben einen noch unberührten gespickten Fasan wieder hinaus. Im Winkel sitzt ein halbnackter, dem Silcn ähnlicher Kerl auf der Erde hingekauert, der heimlich etwas von einer Schüssel stiehlt und begierig hinunterfrißt. Außer diesen zwei famosen Darstellungen befinden sich in dicser Kirche anch wie verloren ein paar vortreffliche Albrecht Dürer. Nachmittags — denn cm Rasender muß 275 seine Zeit benutzen — fuhr ich zu Wasser nach Vcitshochhcim, einem Lustschloß des Königs. Der Kahn glitt sauft an den Bergen hin, die den Steinwein liefern, und binnen einer halben Stunde kamen wir bci drei Klöstern vorbei, die sämmtlich in Fabriken verwandelt worden sind, gewissermaßen schon cin stiller Sieg des St. Simonismus über den Katholicismus. Dem ersten Kloster, Himmclpfortc, gegenüber zcigtc mir das Schisscrmädchcn — cin junges Blut, die mcineu Kahn regierte uud fast im Hemde, mit einem breiten Strohhutc bedeckt, rüstig in der drückenden Hitze ruderte — cin rothes Kreuz an einer der Weinbcrgsmauern, und in der Ferne einen vcrfallnen Thurm. „Sehen Sie," sagte sie, „da unter dem rothen Kreuz liegt eine Nonne, die lebendig begraben wurde, weil sie von dem Ritter, dem die zerstörte Vurg dort gehörte, zwei Kinder bekommen hatte. Sie entwischte aus ihrem Gefängniß im Kloster uud schwamm durch den Main, aber drüben sing man sie wieder 48" 276 auf und scharrte sie sogleich lebendig an dcr Mauer ein." „Du lieber Himmel," sagte ich, „da kannst Du doch Gott danken, daß Du ein Fischcr-mädchen bist, passirte Dir so ein kleines Unglück ____" „Nun das wäre eine schöne Geschichte!" unterbrach sie mich entrüstet, «lassen Sie mich mit Ihren Spassen in Frieden, oder ich sage kein Wort mehr." «Ich bin mäuschenstill, erzähle weiter," «Nun also, kurz darauf ward auch eine Nonne verbrannt." „Das ist ja abscheulich, was hatte denn die verbrochen?" »Ja, das war 'ne Her." „Eine He«! glaubst Du denn auch noch an solch dnmmcs Zeug?" „Ich sage nicht, daß es jetzt noch welche gibt, aber damals hat's doch ihrer gegeben, denn sonst hatte man sie nicht verbrannt. Die war's halt 277 gewiß, und das halbe Kloster hatte sic schon angesteckt, als man crst dahinter kam. Und als man sie verbrannte, wollte sie der Teufel gar nicht sterben lassen. Nach cincr halben Stnnde hat sie noch so aus dem Scheiterhaufen herausgeschrieen, daß man cs bis in der Stadt hat hören können." Gräßliche Zeit! dachte ich, da ist cs doch besser, daß jetzt nur das Feuer aus der langen Essc raucht, und nur Kohlen statt Menschen darin verbrannt werden. Das zweite Kloster, einst den Dominicanern zugehörig, ist ein prächtiges Gebäude mit schönen Garten am Fluß und cincr weiten Aussicht vou seiner Terrasse, und nun schon halb zerstört durch cinen englischen Maschinenbauer und einen jüdischen Baron, die es, jeder seinen besondern Theil, von der Regierung erkauft haben. Der Letzte hat ein abominables, dreieckiges, mit hochrothen Ziegeln gedecktes Landhans an seiner Seite angehängt, nnd der altc ehrwürdige Steinbischof, «78 dcr unter ihm an der Ecke der hohen Terrassen, maucr pittoresk angebracht, kniccnd die Hände gen Himmel erhebt, scheint auszurufen: „So bin ich denn von meinem katholischen König den Juden geopfert, wie weiland von Pilatus mein Herr und Meister!" Vom dritten Kloster ist nichts zu bemerken, als daß viele Reiher an den stachen Ufern unter seinen Mauern spielten, und lange unser Schisslein begleiteten, sich bald zierlich in der Luft wiegend, bald gravitätisch im Schilf einher-schrcuend. Eine Zeitlang flog ein großer Falke ganz friedlich mit ihnen, ohnc daß sic ihn zu schcncn schienen. Also macht erst die Cultur die Falten zu Verfolgern, wie die Soldaten zn Mordern, Das Königliche Lustschloß bietet nicht viel Schcnswerthcs dar, obgleich es ein ganz angenehmer Aufenthalt seyn mag und recht gut erhalten ist. Das Merkwürdigsie ist eine Grotte, in der man grüne, rothe, blaue und weiße 279 Muschelfragmente zu Darstellung glänzender See-thierc geschickt benutzt hat. So trugen z. B< rothe Hummer die Decke, blaue Forellen schwammen an der Wand in grünen Wellen u. s. w. Die Wasserwerke nebst einem See sind unbedeutend. Ich hätte mich gern einer der wasser? speienden Nereiden in die Arme geworfen, denn cs war unerträglich heiß, und dieses Jahr muß 1811 Übertressen. Auch schwitzt in diesem Weinlande Jedermann mit Vergnügen in der Hoffnung anf die gesegnete Erndtc. Du wirst mich für unermüdlich haltcn, gute Bianca, wenn ich Dir sage, daß ich noch die letzte Stunde des Tages benutzte, um auf dic Citadelle hinanfznkltttern, hanptsächlich, um die Stadt, ehe ich sie verlasse, noch einmal von der Höhe zu übersehen. Es ist cin altcrthümliches Chaos von Gebäuden, diese Festung, mit einem enormen Wasscnsaale, von dem mir der gntc Major, der mich herumführte, keinen Winkel erließ. 280 Damit Du aber über meinen langen Brief nicht eine ähnliche Bemerkung machst, nehme ich hier oben von Dir Abschied. Morgen reift ich wcircr und mein erster Besuch, sobald ich von Amerika zurückkehre, ist bestimmt für Euch. Vergiß mich nicht. Dein treuer Bruder Herrmann. «81 C h r o n i k. Scnnlasso ist uns als ein zn großer Freund der Gastronomie bekannt, um nicht vorauszusetzen, daß er sich in Würzburg sehr genau von den dortigen berühmten Weinen unterrichtet habe. Er erfuhr, daß die feinsten Lcistcnwcinc, die dem Gouvernement gehören, und allein an dem Berge der Citadelle wachscu, kaum mehr unverfälscht zu erhalten sind, da ihre geringe Menge von den Wciuhändlcrn aufgekauft wird, die mehr Vortheil dann finden, geringere Weine damit gut zu 282 machen, als sic, ganz intact gelassen, einzeln wieder zu verkaufen. Was man dahcr dieser Art anbietet, soll keineswegs acht scyn. Die besten Stcinwcinc bekömmt man in den Spitälern, unser Freund lobt jedoch unr das Vürgerhospital in dieser Hinsicht, wo er selbst die Wcinc geringerer Preise sehr gut fand, dagcgcn mau ihm im Iuliushospital für dcn höchsten Preis nnr äusserst mittelmäßige Waare lieferte. Dieses sehr reiche Spital ist übrigens cinc merkwürdige und für ihr eigenes Interesse wenigstens vorzüglich gut gchaltnc Ansialt. Man kann es fast cine kleine Stadt für sich ncnncn, denn cs bat für nichts was im Vaterland erzeugt werden kann außer dcn Grenzen seiner Besitzungen sich umzuscheu; Alles ohne Ausnahme wird von eignen Administrationen geliefert, und eine bedeutende Revenue von den Weinbergen erzielt, die sich allerdings verdoppeln muff, wenn sie öfters ordinaircn Wein so theuer zu verkaufen im Stande sind, als sie, ihn Scmilasso anrechneten. 283 Die Hitze war noch immer afrikanisch, und da das Land zugleich sehr bcrgig ist, so ging die Reise mit den schwerfälligen Hauderer-Pferden ziemlich langsam von Stalten. Auch bot die Straße wenig Sehenswertes dar. Das Schloß des Fürsien Löwcnstcm von Krcnz-Wcrthcim, ehemals ein Kloster, liegt angenehm über dem Main, und ihm gegenüber wächst der beste Wert-heimcr Wein, Kaimuth genannt. Der Fürst hat cincn nahgclegneu Wald zn Anlagen benntzt, die Sennlasso, als ein Gärtner von Metier, nn-gccichtet der beschwerlichen Hitze nicht ungcsthcn lassen wollte, und mit Interesse besuchte. Ueber-raschend und artig erdacht fand er Folgendes. Man tritt durch eine, vollständig mit Moos und Steinen verborgene, Felsenthme in eine düstre und schmale Höhle, in der man eine Weile behutsam weiter schreitet. Plötzlich erblickt man cinc Schlucht vor sich, in der ein Bach strömt, und deren rothbraunc Abhänge nnd Felsen von hohen Buchen überschattet sind, durch welche die 284 Souuc nur sparsam hineinblickt. Dicß gicbt bei dem vielen rothen Erdreich dem Ganzen cinc ganz cigne Farbe, fast als wenn man cinc Landschaft durch ciu rdthlich gefärbtes Glas betrachtet, und paßt vortrefflich zu der Einsicdlerhüttc, die man bald darauf gewahr wird. In Essclbach, wo Semilasso übernachtete, fand er einen guten Gasthof und cinc Haushälterin, Fdrsicrstochtcr aus dcm Spcssart, dic sich in dem zarten Alter von 14 Jahren durch dic kühne Vertheidigung ihrer Eltern mit des Vaters Iagdstntz gegen plündernde Kosaken cinc Art Renommee in der Gegend erworben hat. Sie crlcbtc später viel Unglück, verlor ihren Bräutigam durch cincn tragischen Zufall am Hochzcittagc und hatte, durch Ungemach geläutert, cine Bildung übcr ihrcn Stand erlangt; ja dieses, weder durch Jugend noch Schöuhcit bestechende Mädchen, von geringem Stande und dem prosaischesten Vcruf, erschien unserm Frcuud, der so gern in jeder Sphäre Mcnschenkcnntuiß sammelt. «85 als cm rührendes Muster milder Resignation und wahrer Tugend. Er hatte sich dcmungc-achtet nur einige Stunden mit ihr unterhalten, aber seinen Ansichten nach erkennt man den Grundcharakter eines Menschen (dcr einen hat, denn viele sind bloße Comctcnschweifc, durchsichtig, ohne Kern) in den ersten Stunden oder nie. Scmilafso meinte, was ihm dieses gemeine Mädchen gesagt, habe mehr an scincr Vcsscrung gearbeitet als irgend binc Predigt, die er je gehört. Wir müssen aber anch gestehen, daß deren nicht viele sind. Aschasscnbnrg, in angenehmer Gegend, mit einem schönen Schloß, hätte einen längcrn Anf-cnthalt verdient, wenn die Zeit dem Reisenden weniger sparsam zugetheilt gewesen wäre. Er konnte daher nur flüchtig die lange Portraitrcihe geistlicher Fürsten, welche von Dalbcrg geschlossen wird, und die nicht nnbcdeutendc Gemäldegalerie durcheilen, bis er staunend vor einem altdeutschen großen Bilde stehen blieb, das ihm alle in der 286 Voisscr^'schcn Sammlung zu übertreffen schien. Die Figuren der Haupttafcl, wclchc fast über Lebensgröße sind, stellen eine Zusammenkunft des heiligen Erasmus mit dem heiligen Mauritius, einem Negcrfürsien im prachtvollen Harnisch, nebst ihrem beiderseitigen Gefolge dar; die Sei-» tentafcln, welche doppelt bemalt waren, und durchgesägt worden sind, zeigen vier einzelne männliche und weibliche Personen der Kirchcn-gcschichtc. Da Scmilasso in dieser nicht sehr bewandert ist, so wußte er nicht, wen sie vorstellen, auch nicht die Geschichte der Zusammenkunft, und ob damals Mauritius schon ein Heiliger war, oder erst von seinem Cohciligcn bei dieser Gelegenheit bekehrt wurde; aber dieß hinderte die Bewunderung dessen nicht, was er zu verstehen im Stande war. Nie war ihm vielleicht der Standpnntt deutscher Malcrkunst so hoch erschienen. Sie kam ihm, mit der italiänischen verglichen, gerade so vor, wie sich die deutsche Baukunst zur griechischen, der Stras- 287 burger Münster z. B. zur Akropolis verhält. Man kann Eins oder das Andere vorziehen, aber Beides hat in seiner Art eine geniale Vollendung erreicht, ohne sich doch im Geringsten zu gleichen. Auch darf man glauben, dasi, wenn es der Malerkuust bcschieden ist, noch eiumal eine große Periode zu crlebcu (was jedoch aus vielen Gründen unwahrscheinlich), sie in Deutschland ihre größten Triumphe feiern wird, denn unser Nationalcharaktcr scheint ganz besonders für sie geeignet. Was die vorliegenden Bilder betrifft, so kann man keck sagen, dasi nic etwas besser gemalt worden ist, aber sie sind auch frei von jenen häufigen Zeichnuugsfehlern, jenen magern ungra-cieustn Formen, jener Monotonie der Figuren, welche so oft als Mängel auf alldeutschen Gemälden erscheinen. Hier ist im Gegentheil nur die kunstreichste Verschmelzung treuer Naturwahr-hcit mit idealer Auffassung und dem größten Reichthum an Individualität der Gestalten zu 288 bewundern, Alles umstrahlt von einer Hoheit und Würde, in einen solchen Glanz und Frische dcr Farbe gehüllt, daß mau voll Ehrerbietung und Frendc dem Genie huldigt, das so Herrliches hervorgebracht! Und doch horte Semilasso den Namen dieses Meisters znm erstenmal, oder er war ihm früher entgangen. Der genicrciche Mann hieß Matthias Grüncwald und war cm Maler in Aschaffenbnrg. Dcr Charakter seiner Manier hat die meiste Achnlichkcit mit Van Eyk und wir finden auf unsres Freundes Tablette die Worte verzeichnet: „Ich habe nie ein Gemälde von Albrecht Dürer oder Lncas Cranach gesehen, das ich so gern wie dieses besitzen mochte." Von dcr Kunst (etwas abrupt, wir bekennen es) zum Handwerk übergehend, fand Scmilasso die Wageufabrik iu Offenbach seit fünfzehn Jahren, in denen er sie nicht gesehen, nngcmcin vorgeschritten. Der Mangel an Verkehr mit England hatte sie damals znr bloßen Eopic dcr Wiener 389 Wagen rcducirt. Heute übertreffen sie diese und stehen den englischen nicht allzu sehr mehr nach, aber auch die Preise sind in demselben Verhältniß gestiegen, obwohl nicht unbillig. Eine vollständige Rcisccalcschc mit all.cm Znbchdr, vaoko» u. s. w. kostet ohngcfähr 150 Karolin. Obgleich die hiesige Gegend bis Frankfntth cbcn nicht romantisch ist, so erweckt duch die große Fruchtbarkeit, der Anblick so vieler mit unzähligen Stangen gestützter ObsibanM, deren reicher Segcn überall die Acstc bis zur Erde herabdrückt, wie das Gepräge allgemeiner Wohlhabenheit, ein sehr angenehmes Gefühl. Frank-furth selbst schien EVmilasso immer mehr den Charakter einer Residenz anzunehmen, wozu das zahlreiche und recht elegante Vürgcrmilitair, das des Bnndcs und der Aufenthalt so vieler Gesandten nicht wenig beitragen. Auch fand er die Stadt von Fremden so überfüllt, daß er lange von Gasthof zu Gasthof fuhr ohne Unterkommen erlangen zu können. Endlich räumte Semilasso. 1. 19 230 391 wurde, da cr in ocn Zügen dieser pedantischen Physiognomie, dcr langen Nase und dem hervor-stehenden Kinne cinc große Aehnlichkeit mit sich selbst fand. Wie sehr aber Scmilasso sich selbst liebt, ja sogar Niemand lieber als sich selbst zu seinem Helden macht, ist gar Vielen bekannt! Am andern Morgen hatte er jedoch cinc Modification dieser Beschäftigung, die ihm wc-nigcr angenehm war; dcnn da cr im Trouble des Hauses keiner Art von Hülfe habhaft werden konnte, mußte cr cinc Zeit laug als sein cigncr Kammerdiener fnngiren, chc er wieder den Herrn spiclcn konnte. Dann besuchte cr den sehr liebenswürdigen jungen Baron von Nothschild, der ihm von Algier erzählte, war sehr betrübt, seinen hochverehrten Gönner, den Herrn von Naglcr verrcist zu finden, genoß cinc halbc Stunde die Gesellschaft der göttlichen Ariadne, wanderte, ohne ihrcs Fadens zu bedürfen, durch die blühenden Promenaden um die ganze Stadt, nahm spät cin excellentes Dine cin, das des Schwanes 19" 292 Köchen wic dessen Keller alle Ehre machte, und fuhr hierauf, eingeklemmt zwischen dcm Conduc-tcur und cincm Vraunschwcigcr Citizen — einer Art Lcntc, dic zum Ruhm ihres Vaterlandes stets eine Wurst bei sich führen — in einer gut vrganisittcu Diligence gen Mainz. Diese Fahrt durch die üppigen Weinfcldcr, zwischen dcm Taunus und Melibocus hin, bis wo der Rhein und Main ihre mächtigen Wasscrmasscn zum deutschen Hauptstrom vereinigen, ist schön. Doch war des neben Scmilasso sitzenden, dicken Bürgers Enthusiasmus noch ausgelassener als der seine. Fast hatte er Mainz Braunschweig vorgezogen, wenn der Patriotismus nicht gcwescn wäre, doch erklärte cr unbedenklich den hiesigen Wein für besser als das Vraunschwciger Bier, und trank, zu den Resten seiner Wurst, jedesmal einen Schoppen davon, wo sich nur eine Gelegenheit dazu darbot. Auch Scmilasso's Patriotismus regte sich, als er die preußischen Truppen wieder sah, und 293 wahr ist cs, an strengem Anstand und militant scher Aisancc thut cs ihnen gewiß kein anderes Hccr zuvor. Imposant ist dic ncue Caserne für die Bundcstruppcn, nabc an der herrlichen Mainbrücke erbaut, die von Militair und eleganten Frauen wimmelte. Scmilasio spürte etwas in sich, was eincm stolzen Gefühl als Unterthan des Bundes glich, dcr hier Napoleons Stelle eingenommen zu habcn schien — wir meinen an wohlorganisirter schlagfertiger Gewalt, nicht an Eroberungssucht. Man wechselte hier den Wagen und Semilasso fand sich jetzt bequemer in die Ecke des Coupe's versetzt, in Gesellschaft eines holländischen Geistlichen und eines sehr artigen und gebildeten jungen Mannes, von dem er später erfuhr, daß cr dcr Chef einer Buchhandlung sey, die in Nürnberg und Paris etablirt neuerlich den Zorn des preußischen Gouvernements auf sich geladen hat, worüber der junge Buchhändler um so bctrctncr uud bekümmerter war, als cr bei dcr 294 Ehre eines deutschen Mannes versicherte, ganz unschuldig an dem zu seyn, wessen man ihn bczüchtigtc, nämlich Herrn Vornc's Briefe gedruckt zu haben. Scmilasso riech ihm, gerade nach Berlin zu gehen, wo Humanität und Milde mchr wie irgendwo ibren Thron aufgeschlagen hatten, und eine freimüthige, der Wahrheit angemessene Erklärung gewiß ihre Wirkung nicht verfehlen würde. Mau unter-hiclr sich darauf noch über viel andere Gegenstände sehr gut, und schlief den Rest der Nacht noch besser. I'u eiucm Städtchen, wo Mittag gemacht wurde, siel allen Reisenden an der 5^1« ä'küto ein ausgezeichnet schönes Mädchen auf, ein wahrer Carlo Dolec, mit vcrweinttn Augen, lieblichen Zügen und einem unwiderstehlich süß-schmerzlichen Lächclu, das alle Herzen bewegte, ohne jedoch dem Appetit zu schaden. Den Contrast bildete ein englischer auf der grosien Tour begriffener Schneider in Trauer, mit Gemahlin 295 und Tochter, zwei Carricaturen, wie sie nur weiland von Poliers und Vrunnct in der ^.n-ßinilio ^oui' i-i^o entsprechend dargestellt worden sind. Semilasso enthält sich daher jeder Schilderung, als nothwcndigcrwcise zu sehr unter der sublimen Nationalität der Originale zurückbleibend. Wcr begegnete übrigens nicht solchen, wenn er in seinem Leben hnndcrt Meilen auf der Landsirastc zurückgelegt hat. An der Grenze ist das Merkwürdigste der Krieg der Schmuggler und Douanicrs, welche noch nicht, gleich ihren respective»! Gcbietcrn, Friede geschlossen haben. Dieser Krieg wird hier sehr menschenfreundlich von Sctten der Schmuggler, nnr durch grosie und starke Hunde geführt. Sie sind abgerichtet, mit Waaren bepackt auf hundert Umwegen durch die Wälder an gewisse heimliche Orte zu gelangen, wo die Sachen in Empfang gcnomwcn werden, und sobald dies geschehen, soglcich wieder umznlchrcn. Man hat Schmuggler geschcn, welche die Frcchhcit so weit 296 trieben, ihre Hunde vor dcn Augen der Douauicrs zu beladen und in dcn Wald zu lanciren, ohne daß diese ihrer habhaft werden konnten. Neulich ward indeß ein solches unglückliches Thier angeschossen und von dcn Donanicrs gefangm genommen. Einer von ihnen hatte die Grausamkeit, dcm Hunde die Gelenke aller vier Beine abzuschneiden und ihn dann so sich selbst zu überlassen. In diesem elenden Znstande schleppte sich das treue Geschöpf dennoch wimmernd bis zu seinem Herrn zurück, dcm es wahrlich nicht sehr zu vcrdcuken seyn wird, wenn er später eine Kugcl findet, die an dem Ungeheuer Rache nimmt, das eine so scheußliche Handlung bc-gchcn konnte. l In Saarbrück wechselte man abermals dcn Wagen und zwar gegen einen so niedrigen und engen, daß Scmilasso nebst seinen Gefährten in dieser Nacht einen schwachen 'Begriff von dcn Lcidcn der armen Schwarzen auf Sclavcnschiffcn bekamen. Dagegen fuhr man jetzt rascher als 297 vorher und um fünf Uhr früh befanden sich die Reisenden in Mctz. Sie hatten kanm Zeit dce Cathcdralc einen kurzen Besuch zu machen, die cinc der schönsten Frankreichs ist. Ludwig der Fünfzehnte hat sie durch ein modernes Portal entstellt, und ein Chor in demselben Geschmack verunziert das Innere, was man sehr bedauern muß. Sic besitzt noch schöne Überreste buntcr Fester, und die schlanke Proportion ihrer colossalen Pfeiler (in deren einem cinc Treppe hinaufführt), so wie der Ncichthnm und Geschmack ihrer Steinzicrrathm erregen die Bewunderung jedes Beschauers. Es gibt wenig Reiserouten, die langweiliger sind als die von Mctz nach Paris, und eine Serie ärmlicherer, delabrirtercr Flecken und Dörfer, wie traurigerer Städte darbieten. Nur das Thal von Epernay und Sillery ist lachend, nirgends trinkt man aber (in den Gasthofcn) schlechteren Champagner. Irgendwo — den Namen des Orts finden wi? nicht angegeben — 398 befindet sich an dieser Straße eine kleine Kirche, welche Scmilasso als ein wahres Vijou gothischer Architektur beschreibt. In einer der Scitcncapellcu sicht man ein seltsames Monument; ein Sarkophag mit dem darauf liegenden Todten, um den uoch übcr zwölf andere Figuren in Gruppen umhcrstchcu. Es war schon in der Dämmerung, als Scmilasso unvcrmuthct in diese Capcllc trat, und so viel weiße Gespenster vor sich zu sehen glaubte. Er behauptet, der Verfasser von Kodort Ie Niaklo müsse hier die Idee zu seiner Klosicraufersichungs-Scene geschöpft haben, so ähulich schien ihm die cbcn empfundene Wirkung. Unter den Bewohnern der Diligence, die häufig wechselten, blieben nur permanent ein alter Capitaiue von der Linie, der alle Feldzüge Napoleons mitgemacht hatte, und cin Bürger aus Paris, ein Natioualgardist. Die häufigen militairischcn Unterhaltungen Beider hatten etwas Komisches, da der Epiker, welcher, wie cr uns benachrichtigte, seit zwei Jahren die Theorie des Dienstes siudirtc, dem Offizier über 299 diesen Gegenstand unzählige Fragen vorlegte, welche dieser gewöhnlich damit beantwortete, daß er sagte: „Mein Freund, einige Tage Erfahrung im Felde würden Euch dies besser lehren, als ein Jahr Studium der Theorie zu Hause." Bei allcdcm war es unserm Beobachter merkwürdig zu scheu, wie dieser alte Familienvater, statt sich, wie wir Deutschen in ähnlichen Fällen, über Schererei und Abhaltung zu beklagen, die der beschwerliche Vürgcrmilirairdicnst verlange, im Gegentheil mit wahrer Leidenschaft immer mehr iu dem kriegerischen Fach zu unterrichten suchte. Es ist gut, daß der König von Preußen seinem Lande keine Ccmsiitutiou gegeben hat, deun wenn unsre Bürger soviel dadurch zu thun bekämen, als die französischen, sie wären schon längst aus der Haut gefahren. Der Norddeutsche raisonnirt wohl gern bei einem Glase Vier, wenn er aber selbst an der Regierung Theil nehmen, Reden halten, schriftlich arbeiten, kurz Dienst für die re« xudlica thun soll, bedankt er sich schönstens. 300 Konncn doch nicht einmal dic Friedensrichter bci uns zu Stande kommen und scheitern an dcr nationcllcn Faulheit und Timidität, und was zcigcn uuserc Landtage? einen Commissair dcr Regierung, dcr die Thätigkeit dcr Mitglieder sehr ungern sieht, und Landstände, die ihm auf mehr als halbem Wege darin entgegenkommen. Dic ^Norddeutschen sind contcmplativ, sic beschauen gern, handeln aber sehr ungern, besonders öffentlich, und sind daher ganz für die Monarchie geschaffen, welche iu England und Frankreich einen wcit schwerern Stand hat und i.m Grunde immer gehabt hat. Einige Lieucs vor Paris accroschirte dcr Postillon einen Karncrwagcn, und als dessen Führer hcrzuspringen wollte, ward er von einem seiner eignen Pferde umgeworfen und brach ein Bein. Da noch mchrcrc andere Kärner zugegen waren, so gab dies einen großen Tumult, Con-ducteur, Postillon und mehrere Passagiere sprangen herab, man gcsticulirtc, stritt und schrie in 301 großer Wuth, doch kam cs nie, wie in England augenblicklich bei solchen Gelegenheiten, zn Thätlichkeiten. Desto großer war der Aufenthalt, der Mairc mußte geholt werden, der nur einen Schreier mehr abgab. Die Straße wurde mehrmals in ihrer Breite abgemessen, so wie die beiden Wagen, welche an einander hangen geblieben waren, alle Zeugen wurden verHort und immer konnte der Mairc zu keiner Entschließung kommen. Endlich bewilligte er, was er gleich von Anfang hätte thun sollen, daß der Conductcur bei seiner Rückkunft für allen Sckadcn zn stehen habe, den das Geschäft ihn zn tragen verpflichte, daß aber jetzt ein öffentliches Fnhr-wcrk nicht länger unnütz zurückgehalten werden solle. Man hatte zwei Sttmdcn auf diese Weist verloren. Scmilasso, der Abergläubische, fand in diesem traurigen Zufall eine unangenehme Vorbedeutung, doch zerstreute ihn bald der erweckende Anblick von Paris, denn cs geht ihm mit diesem («an« 302 ooinpgraizan) wic Mephisiophelcs mit unserm licbcn Herr Gott: Von Zeit zu Zeit sieht cr die alte Weltstadt gern. 302 dunkler Vliet. An den Herrn Fürsten von C....... Paris, den 6. August l834- Während Du, lieber C., wic ich voraussetze. Deiner ehemaligen Ingendfrenndin und jetzigen königlichen Gönnerin von England in Mciningcn Deine Cour machst, und in der reinsten Tory-Atmosphäre lebst, habe ich hier ein Revolutions' fest mit angesehen, das mir sehr wohl gefallen hat. Wenn ich nicht irre, ist mir irgendwo, bei Vertheidigung des Princips der Aristokratie die 304 Phrase entschlüpft: „Wenn Frankreich sich keine erbliche und mächtige Pairskammcr, kcinc den Zcitnmständcu angemessene, wohlorganisirte Aristokratie bildet, so wird es über kurz odcr lang zur Republik übergehen, odcr von Neuem der Despotie eines Einzelnen verfallen. Der Mittel-zustand kann nicht von Dauer seyn." Dicstr Mciuung bin ich noch, uur habe ich mich hier überzeugt, daß so lange Ludwig Philipp lebt, sein Genie dem Nachtheil, welchen dieser Mangel einer wahrhaften Aristokratie in dem französischen Staatsgebäudc zurückläßt, ein Gegengewicht entgegen setzt, das ihn vorlaufig paralysirt und unschädlich macht. So lange also ein Souverain von gleich bewundernswürdigen Eigenschaften in Frankreich regiert, mag es sich trotz des Radicalfehlcrs seiner Constitution, wie es jetzt ist, erhalten, bei dem ersten schwachen, oder starken und übelgesinnten Monarchen wird aber wahrscheinlich meine Prophezeiung nur desto schneller eintreffen. 305 Dcr jetzige König, den wir so oft bci uns spöttisch dcn Vürgertduig nennen hbrtcn, ist wahrlich einer dcr scltncn Manner, welche so für cine critischc, bewegte Zcit geschaffen sind, daß sie allein darin auszndauern vermögen, wo jeder Andere fallen würde. Wie Mirabcan einst der Mann der Revolution war, so scheint mir Lonis Philipp dcr wahre Mann dcr Beschwichtigung, dic uns so Noth thut. Solche Männer müssen wahrend ihres Lebens, vielfach von Neid und Leidenschaft angegriffen, und mit Wuth vcr-läumdet werden, die Nachwelt aber stellt sie unter die Großen, und fühlt mit Enthusiasmus den Dank, dcn sie ihnen schuldig ist. Dieser Dank wird auch Lonis Philipp nicht entgehen, denn er allein hat mit nncrschütterlichcr Geduld und Selbstbeherrschung, mit einer die Schlausten übertreffenden Feinheit, die in seiner Lage zur Weisheit geworden ist, mit sanfter, aber unbica/ samer Festigkeit, und mit eiserner Energie, wo es Noth that, Frankreich vom Untergänge gc- Semiiasso. 1» <>H 306 rettet, es im gefährlichsten Augenblicke vom Abgrunde zurückgehalten, in den cs schon mit seinem alten Leichtsinn (und wenn nicht Frankreich, doch seine größte Schreier wenigstens, denen cs folgen mußte) sich zu stürzen bcreit war. Regiert er noch lange, um was jeder vernünftige Franzose Gott ans den Knieen bitten sollte, so gelingt cs ihm vielleicht, die Insiitntioncn dieses von so viel Revolutionen zerrissenen und verwirrten Landes dahin zu modificiren, daß durch ein besseres Gleichgewicht der nöthigsten Vasen eines Staats, wahre Freiheit des Volks sich mit Stabilität der Negierung vereinige, wenn anch die chimärische Gleichheit, das goldnc Kalb der Franzosen, dabei etwas weniger amerikanisch würde, als sie jctzt ist. Sie paßt ihnen ohnedicß schlecht genug, denn sie ist kein natürlicher Zustand für sie, und für keine Nation des alten Europa. Ich kam einige Tage vor dem Iulifcsic in Paris an, und glaubte mit meinen übcrzhcinischcn Gesinnungen eher Gelegenheit zum Spott als zu 307 ctwas Anderem zu finden. Ich täuschte mich aber, ich sah ctwas cbcn so Nencs, als Originelles und Imponircndcs. Mein alter Freund, der Baron Meklenburg, hatte die Güte gehabt, mir sein Logis, das an einem Ort liegt, wo die Boulevards einen Winkel bilden, so daß man von seinen Fenstern auf zwei Seiten gleich weit in sie hinab sehen kann, zur Benützung anzu° bieten. Die Truppen waren so aufgestellt, daß längs der ganzen Boulevards auf der einen Seite die Natioualgarde, auf dcr andern die Lmicn-truppen Spalier bildeten, was von hier oben in solcher Ausdehnung wirklich cincn prächtigen An? blick gewahrte. Ueberraschend war mir besonders das glänzende Aussehen und die militairiftdc Haltuug dcr Nationalgarde, die, fast gänzlich gekleidet wie die alte Garde Napoleons, und aus schönen alten uud vielen Militairs bestehend, diese meinem Gedächtniß lebhaft zurückrief. Am schönsten ist die Mnnicipalgarde zu Pferde, aus lauter alten Cavallensicn bestehend, die ich spater sah 20" 308 und die Napoleons formidablen Cüsassicren in majestätischem Ansehen und kriegerischem ?!i nichts nachgibt. Die Linicnttuppcn waren im Ganzen weniger stattlich, sowohl hinsichtlich der Leute als der Uniform, denn die neuen krapprothen Nationalboscn nehmen sich nicht elegant aus, obgleich sie der Wohlfeilhcit wcgcn zweckmäßig seyn mögen. Eine ungeheure Menge Volks füllte den Raum hinter den Truppen mit Ruhe und Ordnung. Endlich erschien der Konig, den ich hier zum erstenmal sah. Er war mit einer einfachen blauen Uniform dcr Nationalgarde bcklcidct, und trug einen Gcneralshut, Stern und Band der Ehrenlegion. Nur ein geringes Gefolge begleitete ihn. Der Ausdruck seiner ganzen Person war kräftig und seine Physiognomie zeigte eine heitre und offne Freundlichkeit. Er reichte auf eine väterliche Weise bald diesem, bald jenem Offizier die Hand, empfing mehrere Petitionen, und grüßte fortwährend mit großer Herzlichkeit. Der 309 Enthusiasmus der Truppen für ihn war offenbar cbcu so aufrichtig. Man sah cs ihren Mienen und hörte cs ihrem donnernden Hurrah an, daß cs nicht auf Commando erschallte, sondern von Herzen kam. Auch unter dem Volk war nicht das leiseste Merkmal von Opposition mehr bemerkbar, wie cs zum Theil bei den frühern Iulifcicrlichkcitcn siatt gefunden hatte. Uebel-gesinnte mochtcu wohl darunter scyn, abcr sie wagten nicht mehr laut zu werden. Im Anfang frappirtc mich die anstcrordcnt-lichc Höflichkeit und Condcscendcnz des Königs für dcn gemeinen Mann, da wir in den deutschen und nordischen Staaten, so innig wir unsre Souvcrainc licdcn und verehren, doch die Zeichen dieser Verehrung von ihnen immer nur wie von einem ganz über nnsre Sphäre erhabenen Halb-gottc, als schuldigen Tribut aufgenommen sehen, und damit auch ganz zufrieden sind. — Hier zeigte sich allcrdiugs der Unterschied eines Königs von Gottcs Gnaden und eines Vürgcrkönigs, 310 den die Nation gewählt, wo das Königthum etwas schwieriger, doch nicht würdeloser, so zu sagcn mehr menschlich geworden und weniger königlich geblieben ist. Das Einzige, was in dieser Hinsicht unwürdig genannt werden kann, ist die schamlose Art, mit der die Presse dieses Königthum angreift, was jedoch nicht ihm, sondern der Nation selbst zum höchsten Nachtheil gereicht. Diejenigen, welche diese räuberische Waffe führen, wissen nicht, welchen Nachtheil sie dadurch dem französischen Volke in der allgemeinen Meinung Europas zufügen, und wie sie gcradc durch das, womit sie dcm König und seiner Familie zu schaden wünschen, ein erhöhtes Interesse für ihn erregen, und mit dazu beitragen, ihm jene europäische Popularität zu geben, die seiner Stelluug im Anfang vielleicht schwer zu erlangen war. Auf diese Weist hat glücklicherweise das Gift scin Gegengift gleich bei sich geführt, wie der Stich einer Vipcr durch das Reiben der 311 Wunde mit ihrem zerquetschten Leichnam geheilt wird. Man hat Louis Philipp einen Usurpator genannt, und doch hat ihn — der früher das be-ncidenswerthcsic Loos des vom Glück in jeder Hinsicht begabtesten Sterblichen genoß, und der wahrlich seitdem nur die Nosen mit den Stacheln vertauschte — ohne sein Zuthun, ja, man sage was man wollc, ä 8«n ooi^« cl^l«u63nt, die Nation sclbst auf den Thron berufen, den cr mir keinem Tropfen ungerecht vergossenen Blutes erkauft hat! Einmal las ich iu einem mit vielem Geist, aber verblendeter Parteiwuth geschriebenen Aufsatz ciue lange Dissertation, worin der Verfasser des Königs Regierung durchgeht und zngibt, daß cr dnrch Klugheit und Festigkeit, ,dic er jedoch nur List und Gewalt nennt, trotz aller Schwierigkeiten ein festes Gouvernement gegründet habe, aber scht cr hinzu: DicS ist zwar vortrefflich für ihn und sciuc Dynastie, aber ein Unglück für Frankreich!!! So sey im 3l2 Gegentheil der 10. August ein Unglück für Ludwig den Sechzehnten gewesen, aber ein Glück für Frankreich! — Ich glanbe, dieses Glück wird keine andcrc Nation den Franzosen beneiden, um so weniger, wenn man als Gegensatz desselben sich dcukt, welches Frankreichs glänzendes Schicksal gewesen seyn würde, wenn ein Mann von der Weisheit nnd Kraft Louis Philipps sich damals an der Stelle Ludwigs des Sechzehnten befunden, und als Solcher selbst an die Spitze — nicht der Revolution — aber einer geregelten Reform gestellt hätte, die, wie jcdcr Vernünftige einsehen must, der französischen Nation cinc sicherere und gediegnere Freiheit, als sie jctzt noch haben kann, gegeben und ihr Ströme von Vlnt, wie Millarden von Schulden erspart haben würde. Wahrlich, wenn man nnr billig seyn will, muß man dann nicht sagcn: wo konnte, sclbst in einem idealen Reiche, ein König gefunden werden, dessen vergangenes Leben ihn besser zu einem solchen Posten qualisicirte? Anf den Stufen des 3l3 Throns geboren, hat cr diese hohe Geburt für sich, die aus viclcn Gründen immer cm hoher Vorzug bleibt, und dennoch lernte cr anch in den geringsten Verhältnissen das an Begebenheiten reichste Lcbcn kennen. Das Schicksal führte ihn dnrch alle Stnfcn menschlicher Gesellschaft hindurch, um jede stndircn zu können, lehrte ihn überall stinc eignen Kräfte üben, und gab ihm dazu von Haus aus eincn starken Körper und regen Geist mit vielen ausgezeichneten Talenten und Eigenschaften gepaart, nntcr denen es für einen Herrscher keine der geringsten ist, die Gabe der Rede und die Gabe Menschen zu durch-schauen im höchsten Grade zu besitzen. Und was ist das Charakteristische seiner Regierung, wodurch cr den cwigcn Dank Frankreichs uud des ganzen Europa's verdient?— Mit Kraft, Entschlossenheit nnd Mäßigung das Ungchcner der Anarchie zn bändigen und zn dem großen Zwecke des allgemeinen europäischen Frie-dcnrcichcs mit zu wirken, das fortan, nachdem 314 dcr letzte Eroberer gefallen, der erwachtcn Menschheit allcin würdig scheint. Mit welchem Eifer ergreift dabei dieser Monarch Alles, auch das Geringste, was den ächtcn Nuhm und die Prosperität seiner Nation berührt! So hat unter andern noch kcin Regent Frankreichs, selbst Napoleon nicht, in so kurzer und schwieriger Zeit, soviel für dic sinnvolle Wiederherstellung und bessere Erhaltung der National-Monumente gethan, als Louis Philipp. Nicht allcin in Paris uud Versailles, im ganzen Reiche findet man die, Spuren davon, und dics ist ein edk's und aufgeklartes Bestreben, für welches den in Frankreich jetzt fast gänzlich mangelnden allgemeinen Sinn zu wecken, eine wahre Wohlthat für die Nation seyn wird. Denn dcr blosic egoistische Nntzen, das eigne Interesse sind zu sehr der Abgott Aller in diesem Lande geworden, Ncligiou, Ritterlichkeit und Kunst zn sehr in den Hintergrund genesen, um daß nicht jeder Anklang heilsam wäre. 3153 der cine idealisirterc Richtung hervorzurufen im Stande ist. Wer also nicht Krieg, Umwälzung nnd Barbarei wünscht, sondern Frieden und Fortschritt des Lichts, muß, meines Erachtcns, dem Könige dcr Franzosen auf seinem wichtigen Weltpostcn Heil und Glück wünschen; und cs wird ihm daran auch nicht fehlen, weil er der Main, seiner Zeit, dcr Mann der Vorsehung isi, und ganz auf ihn paßt, was St. Evremont von einem andern großen Herrscher sagt, und als eine Garantie des Erfolges anführt: U ^aii, wu)'oui'5 lo pwg »cül' Vt 1o mc>i^8 ^nn^!. Doch laß uns zum I'nliscstc zurückkehren. Ich hätte mich melden lassen und dcm Gc-ncralsiab des Königs folgen können, doch zog ich cs absichtlich vor, mich unter das Volk zu mischen, dabei vielleicht etwas weniger zu sehen, aber desto mehr zu hören. Ich licsi mich also eine Weile mit dcr l'oulo fortdrängen, da ich aber bald mich von den ausgestellten Posten zu- 316 rückgchaltcn sah, weil der Menge nicht gestattet wurde, bis zum Vendümc-Platz vorzudringen, wo dic Truppen bei dcm König vorbeidcfitirtcn, so schloß ich mich an einen Zug der heran, marschircndcn Nationalgardc an, und lam so nach einigen Schwierigkeiten und durch dic Ge? falligkcct eines der commaudircndcn Offiziere glücklich auf dcm Platze an, wo ich, ohne vom Gedränge incommodirt zu werden, auf das Bequemste das ganze Schauspiel übersehen konnte. Ein junger Maun von der Nationalgarde,, der nicht im Dicnsi war, und sich ebenfalls unter den Zuschauern befand, suchte, sobald er mich als Fremden erkannt, mit französischer Artigkeit mir Alles zu erklären, die markantesten Personen zu nennen und die ihm nöthig scheinenden Notizen zu geben. Wenn ich nun auch znweilcn über seine naiven Aeußerungen uud sehr cercmonieloscn Redensarten unwillkürlich lächeln mußte, so erfreute mich doch der patriotische Sinn, der sie ihm eingab. Er fehlte, wenn cr vom König und 317 seiner Familie sprach, im Respect alle Augenblicke, ohne cs zu wissen, aber bei aller dicscr uuzicmlichcn Vertraulichkeit der Rcde war ihm sein König doch eigentlich mehr noch als das, cr war sein enthusiastisch vcrchrtts Idol. nVoyez notre Louis Philipp," fßgtc cr, jeben SfugcnMicf ttttel) a»ffO|5cut>, »voyez coinme il ute son chapeau pour la millieme fois devant notre garde nationale (dcr König nahm vor jcbem Zug den Hut ab, was allerdings bei 60,000 Mann vorbeidcfilirmbcr Truppen eine colossale Fatique gewesen scyn muß). mais il sait Lien ausai, combien nous l'aimons! Tenez, si ce . ♦ ♦ ♦ de Charles X. avait fait comme lui, s'il ayait conserve la garde nationale, il aurait pii ctre despote autant qu'il youlait, nous ne l'aurions jamais laisse tomber, il serait encore Roi au-jouvdhui. Louis Philipp sait micux nous ap-precier, Qu'il regne encore deux ans seule-ment, et vous verrez qu'il sera aussi populaire quo Henri IV.« „Qui sont ces Dames lä haut?" fragte id). »jMais Dame — e'est la semme de Louis Philipp, notie Reine, et lä ä droite, voyez vous bicn, e'est sa Demoiselle ainee, et l'autre-la Princesse Maria, Ah. cjuelle brave femrae aussi que noire Reine ! Je vous l'assurc Lien, et ccla vit comme des bourgeois, le Roi et la Reine et tous leurs enfans ensemble. II n'y a pas de famille qui soit plus unie entre ellc et plus heureux dans toutc France." M'nn ich ein Konig ware, würde ich das Volk gern so von mir sprechen hören, nnd was » dcr Mann sagte, ist wahr. Man kann in keinem Stande cin trencrcs und lieblicheres Vild häuslicher Glückseligkeit sehen als das dieser Familie, dic einen dcr ersten Throne dcr Welt einnimmt. Ich hatte jpättr das Glück, dies selbst mehrcrc-mal zn beobachten, und dock thun dicsc einfachen Sitten, dicsc freundliche, ungezwungene Natürlichkeit, diese gänzliche Abwesenheit aller Präten-siou dcr Hoheit des Königs bei Louis Philipp 3l9 gewiß nicht den mindesten Eintrag. Es kann kaum bci dcm Präsidenten der Vereinigten Staaten weniger Etikette herrschen, und doch glaube ich nicht, daß jetzt noch irgend Jemand den Respect vergcsscn würde, den er so hoher Stellung und so hoher Persönlichkeit schuldig ist. Im Anfang der Juli-Revolution mag es freilich anders gewesen seyn, aber damals war auch dcr ganze Zustand noch ziemlich anarchisch; Anstand und Ordnung konnten erst nach und nach wieder Raum gewinnen, das aufgewühlte Meer erst, nachdem der Schlamm sich wieder zn Vodcn gesetzt, von Neuem klar wcrdcn. Uebcrcilung hätte Alles verdorben, und die weise Geduld, mit der der König auch hierin verfahren, ist ein Zeichen mehr, daß er über den Verhältnissen sieht. Dies sty genug für Dich, den ernsten Philosophen; cincn etwas bunteren Stoss werde ich für Adelhad bearbeiten, die mir auch befohlen, ihr von Paris zn schreiben. Einstweilen empfiehl 320 mich der liebenswürdigen Fürstin auf das Herzlichste, küsse Deine holden Engel für mich und erhalte ein freundliches Andenken Deinem Dich innig verehrenden Freunde Herrmann S. ßnde der erstell Abthcillmg. Inhalts - licrzeichniss der ersten Abtheilung crsicn Bandes.' Vorwort des Verfassers lind Nachschrift der Herausgeber. Seite I Allerhand müde Menschen lind Lander. ?^o «pernnx»! Rußland ein neuer Weltthcil. Titular, Gesellschaft. Chronik No. 1. Selte I! Auftauchen des Verstorbenen ans Licht der Welt. Die schwarze Kutsche. Signalement. NcUlVethesda. Erster Brief. Seite >8 Douce violence. Freiberg. Herders Sohn. Besuch der Unterwelt. Das Nosinenhä'uschcn. Feigenblatt für Hofdamen. Mocca.Casse zumachen. Meiler von 500 Klaf» t«rn. Utbergewicht und Zeitalter des tiers etat. Kunz von Kauftuigens Denkmal. Annabcrger Veweis d«r Auferstehung. Der Bischof al6 «ccoucheur. II Große Eselsohren als Scmnenfächer für das Christus» tindlein. Weiblicher Muth der schönen Freifrau von Lobtowitz. Zweiter Brief. S ite 37 Carlsbad. Das Schlüsselloch '.als Operngucker. Das Ma« donnenantlitz. 1'utitüxo! ,,Schau' in den Mond—." Der Mops Leo. Erwartetes urtheil. Das Echicl. ftlsschloß. Petersl'lN'ger Än^st. „Was denkst?^ II saut v« adil'««!?!- ailloi,,«. — Viaiment? -^ 2Iufl>cht!ake!t Napoleons. I^i llnuc, ii»»t septum. Hffairo 6« jklnusie deS türtlschcn Kaisers. „Der Mcnsch siegt in der neuc» Wi'lt." Dritter Vricf. S.'ite 6 7 Eger, Mattenssems ^Creclitio,'." Vondoir. -»!,!g. Lavachlirm. Das nnn f>!i<« ult'n von einer u>»ter llululu.«!». h.ililil' üeivcr aas Hol,;. H,a»^e. an euren Platz? All'lant.'i'dad. Der ^ich!>>,!> lisclic Vesuch. Die lniermürliche Kanoi^nlnqel Dlo'ch NcU'lma mic Insten erscheinende Schrift. Nuyanwendun^ für die Freund»'. Die Llndurg. Jean P nilü Walhalla. Zinnober. Sand's heldenmNchiger Sprung. Wchmntb. I^an Pauls Gebu?t>s>ube. Sein schönes Velo. Hermitage. Die wciße Frau. Die tragische,, vier Äuge». Baireuth. m Narrenhaus. Palais der Prinzessinnen. Der nach» ahmungswürdige ?i>, Kruinmsi.U'. N.Nui-alie,«, Kadiiiel. Vll>t,g?l an, Staat. Dicmpstus Linder. Glück der preußischen Schreier. Dom. Die lmver, brennbare Kuingmide. Berchicr'ö Tod aus Neugicr. Flüidgrube für alte Toiletten. Tod dm'ch dn, langcn N.irt. Vibliothl'kar Iäcl, Sanct Tchn^ng^l. Nest ron «erkauftcm M^nschcnsicisck. G>»ial,r Höülexmeistcr lMd Mlistelili des öchönfteinhöhl^. Schöoh.it d^r 5h^r. Vurg Gaylsin'cutl,. Da-) ssol^ne Lamm («>,''t<>s mit dem menschlichen Oi'dm. ?'. Mehr als ^nsslische Pracht der Vainbcr.i^r Gart.nqcwachs!'. Das berühmte ^»z>!)!i der Kaiserin Katharina 1l. Chronik No. 2. Seite 258 Die lichtblauen Strümpfe. Naierischer Katechismus ohne IV Sechstes Gebot. «park von Gaibach. Ein neuer Christus — in der Medicin. Vierter Vricf. Seite 259 Würzburg. Wahrhaft königlicher Garten. Erkennung a>i der Passion. Palast. Verdienst der Familie Tchönborn. Edelsteine zum Ameublement. Kaiser und Vijchof ein» ander zu Füßen. Dom. Enorme Goldstücke. — Das Nachtmahl von Juden. Jesu Kiuderstühlchen. Serviette. Veitshstchheim. Sieg des St. Timonismus über den Katholicismus. Die lebendig begrabene und die verbrannte Nonne. Chronik No. 3. Seite 28» «Park des Fürsten Ll'wenfiein v. K. W. Die Esseldacher Fürsterstochter. A schassen dura,. Matthias Grünewald, der Fürst der deutschen Maler. Frantfurt. Mainz. Das herrliche preußische Militair. 2a>n-loms. Hunde« lrieg an der Grenze. Der bedauernswürdige Vlessirte. Idee zu Kukort le vin!,!?. Fünfter Vricf. Seite 305 Paris, die neue Weltstadt. Louis Philipp. Genie, ein Surrogat der Aristokratie. Imponirendes Iulisest. Hurrah! Menschliches Königthum. Der Zauberhut. Semilasao's vorletzter Weltgang. li. vorletzter Weltgang von K e m i l a s s o. Traum und Aachen. Aus den Papieren des Verstorbenen. Erster Theil. An Guropa. Zweite Abtheilung. Mit Königl. Nürttemb. Privilegium. Stuttgart. Hallberger'sche Verlagshandlung. 18 3 5. Sechster Vritt. An die Frau Fürstin von C....... Pützb den u»m August iZZä. Unbegreiflich ist cs mir, liebe Adelheid, daß cnn Damc, so für die Welt undElcganz geschaffen wie Dn, so begierig, Neues zu sehen und zu lernen, noch nicht in Paris war'. Wie viel besser würdest Du Dich hicr amüsircn, wie viel angenehmer leben als ich, der halb zum Eremiten reif (nur im Rciscwagen statt der Klause) in der Gesellschaft nichts mehr als ihre Gene und Unbequemlichkeit sieht, dessen Eitelkeit selbst für den Succcß 6 abgestumpft ist, und auf den doch das Gegentheil sehr unangenehm wirkt. Dic einzige Untcrhal, tung mit dcr Gesellschaft, bei der ich mich noch ganz behaglich, ganz ä mon ais«, lcbcndig und voll vom Wunsch zu gefallen finde, ist die am Schreibtisch. Es ist, als wären mir bei jeder andern mcin Körper so gut wie dic dcr Uebrigcu im Wcge. Am erträglichsten ist mir, was schnell wie cm Schatten vorübcrglcitct, und lieb immer, was ich seit lange liebe — was abcr in der Mitte dieser beiden Pole liegt, hat auch für mich, wic bei dcr Mutter Erde, das Drückende deS Acquators. Für diese Disposition iit die jetzige Jahreszeit günstig, in dcr Jedermann auf dem Lande ist, und es daher nur sehr wenig Gesellschaft in Paris gicbt. Doch würdest Du, wcnn Du den guten Einfall gehabt hattest, mit deinem Herrn Gemahl herzukommen, noch Gelegenheit genug finden, nachdem Du die Tage den Laden und Merkwürdigkeiten gewidmet, am Abend Deine 7 Liebenswürdigkeit an mehreren Orten bewundern zu lassen, besonders wenn Du die litcrarischen Cirkcl besuchen wolltest, welche die aufregendsten sind. Auch haben die Fremden gutes Spiel hier; in den höchsten Sphären der vornehmsten Gesellschaft ist man sehr einfach und natürlich, und in den belletristischen, wo etwas mehr n^pi^t a'cg^i-it herrscht, dennoch ungcmcin indulgent für Fremde. Sie müssen äußerst lccr scyn, um daß mau in ihnen uicht irgend eine Art von Verstand zu finden wußte, und weit entfernt, ihre Mangel bcmcrklich Zu macheu, hilft man ihnen im Gegentheil, sie mit dem Mantel der Artigkeit zu bedecken. Jedes Gute aber, was sie zu sagen wissen, wird gewiß doppelt hervorgehoben, dcun man sieht die Fremden gern und sie siud Mode. Ob diese Gesellschaft voller Nachsicht unter sich nicht nachher audcrs urtheilt, will ich dahin gestellt scyn lassen, ich glaube jedoch, daß ihr Betragen in dieser Hinsicht mcisicus aufrichtig und wahrhaft von Wohlwollen und Gefälligkeit 8 eingegeben ist, wäre cs aber auch nicht, so mas-kircn sie es wenigstens so gut, daß cs auf cins herauskömmt. Was mich betrifft, so bin ich fast in allen Cirkcln, die ich besucht, mit einer Zuvor, kommcnhcit, ja ich darf sagen mit einer Schmeichelei aufgenommen worden, die meine deutsche Bescheidenheit mehr in Verlegenheit gesetzt als erfreut hat; denn eben weil cs mir nicht ganz an Verstand fehlt, schc ich cin, wie gering mein literarischcs Verdienst ist uud wie wenig cs iu der Mitte 60 tout äe koaux ^önie» Aufmerksamkeit verdient. Demohngcachtct ist der ausgc-sprochnc Beifall einer so hoch gebildeten Gesellschaft und so ausgezeichneter Männer <— wenu anch Höflichkeit und die jetzige Neigung zu fremder Literatur einen großen Theil daran haben, höchst ehrenvoll für mich, und von der Art, um meine größte Dankbarkeit zu erregen, ohne nur deshalb irgend cinc lächerliche Illusion über mich einzuflößen. Vom diplomatischen Corps wohut jetzt fast 9 Niemand in der Stadt, als uuscr Gesandter, dcu wir Preußen uns?nicht zuvorkommender wünschen können, und der, außer daß er von der ganzen Welt geschätzt und geliebt wird, auch noch die sehr achtungswcrthc Eigenschaft besitzt, vortreffliche Diners zu gcbcn. Es ist in dieser Hinsicht cm wahres Glück, daß er den Posten eines Ministers des Auswärtigen ausgcschlagen hat, denn in Berlin wäre ihm dieses Verdienst gewiß abhanden gekommen. Es giebt Dinge, die nicht zu überwinden sind; so wic m England leine natürlichen Pflaumen und in der Mark Vran-dcnbnrg kcine Trüffeln wachsen wollen, ßo- stranbt sich das geistige Berlin gegen eine rcchcrchirtt Küche, seit Friedrich dcr Große gestorben ist. Der berühmte Diplomat Pozzo di Vorgo macht nur kurze Erscheinuugcn in dcr Stadt nnd bringt mehr Zeit bei seiner schönen Nichte ans dem Lande zu, von wo ich ebenfalls die Erinnerung eines sehr angenehmen Tages, den ich auf scinc gütige Einladung dort zugebracht, 10 mit mir nehme; die Grafin Appony, dieser mild schimmernde Stern am Himmel dcr Pariser Gesellschaft, empfängt in ihrer Villa nur einen Tag in dcr Woche; ebenso die heitere nnd anspruchslose Fran von Nothschild; dcr neapolitanische Gesandte Fürst Vutcra, ein Deutscher von sehr anziehenden Formen, hat sein Hans noch nicht eröffnet; dcr englische nnd belgische Botschafter waren ebenfalls verreist, und selbst der amerikanische Gesandte, den ich nm ein Empfehlungsschreiben für den Präsident Jackson bitten wollte, fand sich weit von scmcm Posten entfernt. Den französischen Ministern konnte man zwar an gewissen Tagen eine Art von Cour machen — wobei, trotz des halb republikanischen Austrichs und dcr so beliebten Gleichheit in Frankreich, zehnmal mehr Etikette und Wohnnngslurns herrscht als bei uns — aber sie luden mich weder zu 8uii-üo8 noch üinci-z ein. Ich machte indeß dort einige interessante, wenn anch nur vor dcr Hand sehr vorübergehende Bekanntschaften, als: den geistreichen Baron Pasquier, Sylvcsire de Sacy, Herrn von Salvandy, dcn braven General Erclmans u. s. w. Dcn Helden von Navarin, Herrn von Nigny sah ich mit Ncngicr. Er sagte mir, daß er vierzehn Tage lang alle Abend mit Mehemcd Ali soupirt habe, was ich ihm sehr beneidete. Mit Herrn Thiers und Herrn Duchatel hatte ich kaum Gelegenheit ein Wort zn wechseln; Hcrr Dupin dagegen unterhielt sich länger mit mir, und ließ mich hoffen, seine lehrreiche und ehrenvolle Bekanntschaft in Zukunft reichlicher zu cultivircu. Cbcn so artig war der Herr Guizot und der Marschall Gerard, welcher Letztere sich mit Antheil Deiner Fran Mutter erinnerte, die er in Deutschland gekannt hat. Bei allen Ministern riefen Hmssiers in schwarzer Kleidung mit goldncn Ketten um den Hals, mit einem Marktschrcicrton die Namen der Ankommenden aus, denen sie vorausgehen. Sie verrichten dies so mechanisch, daß man sich in Acht nehmen mnß, dcn Namen sehr deutlich 12 zu sagen, wenn mau nicht die lächerlichsten Qui-proquo's erleben will. Heute lief einer derselben vor »ms hcr und schrie m dcn Saal hinein: I/^in1)H58I fyinju, on dil, qu'elle me maltraite quelcjuefois, mais je me garde de le lire." So dachte auch Friedrich dcr Große, und wenn man bedenkt, wie schamlos Louis Philipp und seine Familie täglich von einem Theil dcr Presse wie von tollen Hunden angefallen worden sind, so erhält gewiß diese Aeußerung einen doppelten Werth. 24 Als spater mehrere Personen kamen, um ihre Cour zu machen, war der König noch so gnädig, mich mit Herrn Guizot, den ich erst vor wenig Tagen cine vortreffliche Rcdc in dcr Kammer hatte halten hdrcn, und mit Herrn Dnpin bekannt zu machen. Herr Guizot hat ein feines, aristokratisches Auschn und sehr viel Anstand in seinem Benehmen, Hcrr Dupm etwas Einfaches, Biederes, Geistreiches nnd Festes in seinem Wesen, das mich schr anzog. Es freute mich, von ihm Urtheile über England zu vernehmen, die ganz mit meinen eignen Ansichten übereinstimmten, unter andern, daß, nachdem der Herzog von Wellington, mehr um sich persönlich populair zu machen als aus Ueberzeugung, die Emancipation dcr Katholiken bewilligt habe, keine Gewalt mehr im Stande sey, den Strom aufzuhalten, jedoch dieser England nur heilsam seyn werde, wenn ein weises Ministerium ihn auf dem Wege allmähligcr Reform ruhig abfließen lasse, unverständiger Widerstand aber unfehlbar ciuc Revolution herbeiführen müsse. »5 Vielleicht würde er wcnigcr mit mir in der Ueberzeugung übereingestimmt haben, daß es dennoch das Dascyn der englischen mächtigen Arisio-kratie (nicht der fanatischen Tories, welches zwei ganz vcrschicdnc Dinge sind) allein isi, was eben England diesen Mg dcr Reform sichert, und -es vor einer Revolution bewahren wird. Doch lvic gcrathc ich mit Dir in die Politik, gute Adelheid, verzeih diese Distraction, denn Du hasi, Gott Lob! die ungraziense Mode noch nicht angenommen, welche heutzutage die Frauen oft zu heftigern Politikastern macht, als wir selbst nur seyn können. , Ich habe noch einige Vcsnchc in den Tuilcricen abgestattet und bin immer mit gleicher Artigkeit aufgenommen worden, ja, als ich die mir vom Küntg gegebne Erlaubniß, das Palais Royal und NeuiNy zu sehen benutzt hatte, und im Gespräch äußerte, wie schr ich gewünscht hatte, einen Plan der Ställe von Ncuilly zu besitzen, da ich nie zweckmäßiger gebaute gesehen, hatte der 3« König die ungemein grazieuse Attention, mir dcn andern Tag seinen Architekten, Hcrrn Fontaines, zu schicken, um sich mit mir über Alles zn besprechen, was mir hinsichtlich der erwähnten Gebäude zu erfahren angenehm seyn könnte. Ich war nicht zu Haust gewesen und eilte daher am Morgen darauf, Hcrrn Fontaines, dessen Name berühmt in Europa isi, selbst aufzusuchen. Ich fand cincn äußerst liebenswürdigen und mehrseitig gebildeten Mann an ihm, der dem König mit Leib und Seele ergeben ist, und nur viel höchst Interessantes als Augenzeuge über die noch nicht hinlänglich bekannten Particulari-tätcn der Juli-Revolution erzählte, mit denen ich mich jedoch hüttu werde. Dir die Zeit zu verderben. Nur ein paar Worte über Napoleon, mit dem Herr Fontaines so lange zu thun hatte, und dcsseu Geduld, genaues Eingehen in das Verständniß jeden Details und Leichtigkeit des Verkehrs er nicht genug loben konnte. Er sagtc, daß cr cs sich zu keinem geringen Glück anrechnen 27 wüsse, zum Dienste zweier Herren berufen worden zu seyn, die, Vcide außerordentliche Männer, dnrch ihre großen Eigenschaften, doch Einer wie der Andere clo »i I>c»nno c?c>n,^««iQon waren, um mit Vergnügen in Geschaftsabhangigkeit von ihnen Zu stehen. Drollig ist es, daß Napoleon, dcr gern baute, doch immcr aufschob, aus Furcht der zu großen Kosten, und dann siels zu sagen Psteatc: „Quand on me laissera Fairo In paix, mon chcr Fontaines, nous batirons., juscjue-lä il faut ajourticiV Ueber Ncuilly uud das Palais Royal muß ich Dir noch einige Notizen gcbcn. Neuilly ist ohne Zweifel das reizendste Landhaus, das in der Nahe von Paris gefundcu wird. Es gehörte früher dcr Prinzessin Borghcsc, ist aber vom König sehr verschönert, vergrößert und fast ganz umgeschaffen wcrdcn. Dcr erste Anblick versetzte mich nach. England, denn es gleicht ganz den Besitzungen dcr dortigen Großen, sowohl an geläutertem Geschmack als an Sorgfalt 28 der Unterhaltung. Besonders schon gepflanzt nnd verziert ist der Rasenplatz vor dcr Hauptfa^ade, von dem ich gelernt, daß Trauerweiden, dic ich bisher immer nur am Wasser benutzt gefunden, einen noch schöneren Effect freistehend auf dem Rasen machen. Einige Spielereien, dic man sich in ^«»«ureZi-onnll!; sehr wohl erlauben mag, fand ich ergötzlich, z. B. das genau nach den Regeln dcr Kunst von cincm Ingenieur solid ausgeführte Modell einer Fcstuug, das mich an weiland Graf Hodilz Garten dcr Lillipuls cril^ ncrte, ferner der Diminutivtcmpcl dcr Schildkröte, mit dessen Nachahmung ich dcr mcinigeu in M.....nächstens cin Geschenk zn machen dcnkc. Dic beduschtcn Inseln, welche man der Scinc abgewonnen, mit cincm eleganten Ruhesitz auf dcm großen, fclsenartigcn Eisbrecher, von dcm man cinc schöne Aussicht auf den Lauf des Flusses hat, sind originell, besonders da, wo der Wcg uutcr cincm dcr colossae len Bogen der Brücke von Ncuilly hindurchfüh.rt. 39 In dcii ncucn Anlagen vermisse ich, daß man gar keine großen Bäume gepflanzt hat, eine Procedur, die in Frankreich noch ganz unbekannt zu seyn schciut, wie sie auch selbst in England noch nicht häufig, und doch so wichtig ist, da sie dem Pflanzer ein Mcnschcnaltcr erspart! Auch finde ich in dcm Garten von Neuilly etwas zu viel Wege, und es macht keinen guten Effect, daß da, wo cm Wcg ans dcm andcrn sich abzweigt, dcr Nasen oft eine ungrazicusc Spitze bildet, und nicht gefällig abgerundet ist. Zu den hübschesten Partien gchbrt cinc kleine Mühle mit ciscrucn Rädern, welche das nöthige Wasser nach dcm Schlosse liefert, und dic Gewächshäuser mit'ein cm regelmäßigen Blumengarten. Eine Menge sehr zweckmäßiger und eleganter Modelle von Stühlen, Bänken und Blumenkästen, theils in Holz, Flccht-werk oder Eisen, kann der Liebhaber sich hier abnehmen. Das Innere des Schlosses ist einfach, abcr elegant und wohnlich, wie cs sich für ein Land- 30 haus schickt; besonders freundlich, und was wir heimlich ncnncn, fand ich das Appartement dcr Schwester des Königs. Eine Sammlung meist moderner Gemälde gicbt allen diesen Zimmern cin sehr mannigfaches Interesse. Unter dcn ältern Sachen bemerkte ich cin schönes Portrait Ludwig des Vierzehnten zu Pferde, cin anderes (Brustbild) des Negcntcn, das eine geistreiche feine Physiognomie darbietet, und cinc Darstellung des Salons des Prinzen von ^onl^ mit einer Menge historischer Portraits. Unter dcn neuern Bildern zogen wich die des Königs und seiner Familie am meisten au. Es hat etwas Rührendes, wenn man dcn Mann des Schicksals, dcr heute 30 Millionen Menschen regiert, hier in seinem eignen Palast abgebildet sieht, wie er in dcr Revolution als Obrist dcr Chevaurlegcrs mit eigner Gefahr des Lebens das eines Priesters rettet, dcn die wahnsinnige Menge eben. ermorden will; ihn dann in der Schweiz als Lehrer in einer Schule wiederfindet, wo er zn seinem Lebensunterhalt 31 Unterricht in der Geographie ertheilt; und endlich ihn in Norwegen soweit vom Unglück verfolgt erblickt, dasi er zn Fuß reisend vergebens um ein Obdach bittet, und in einem Stall übernachten muß! Wer wird hiernach nicht mit erhöhter Ehrfurcht das Bild betrachten, wo sich ihm derselbe Mann als König dcr Franzosen in allcm Glänze seiner Macht verkündet. Etwas Hauslichcs theilo ich Dir znr Nachahmung mit. In dcm Speisesaal fand ich cin Kamin zum Tellenvänucn bestimmt, von sehr zweckmäßiger Vorrichtung. In dcr Mitte seiner Höhe ist cin Rost, auf dcn die Teller gestellt werden, die Warme kommt dnrch oonänit« äo Huieur von unten. Thüren von Messing schließen das Kamin und an den Seiten sind elegante Riegel mit Fcdern angebracht, in welche diese Thüren, wenn man sie öffnet, einschlagen, so daß sic ftsi stehen bleiben und man nicht an sie anstoßen kann. Dies erinnert mich beiläufig an cine hübsche Pariser Mode, die Kamine im 32 Sommer durch genau passcude Vorsetzer von schwarz lackirtcm Blech zu decken, auf welches bunte Blumen gemalt sind. Ich gehc zum Palais Royal über. Dieses, aus dcm jetzt alles Unanständige entfernt wurde, und anßcrdcm dcr dcm Publikum und den Bu-tikcn gewidmete Theil von des Königs Palais durch eine prächtige Galerie, deren plattes Dach einen schon dccorirtcn Garten bildet, getrennt ist, war kaum vollendet, als der Konig es für die Tuileriecn verlassen mußte. Es ist mit vieler Pracht mcublirt, sieht aber jetzt ganz leer. Als ein Ucbclsiand, dcr indeß wohl leicht abzuändern seyn musi, siel es mir auf, dasi in einem dcr glänzendsten Theile desselben sich ein unangenehmer Grasgcruch bcmcrklich machte. In allen Wohnungen des Königs findet man dcr Kunst am meisten gehuldigt. So auch hier, und sehr angemessen sind die Kunstwerke, uicht in Galeriecn zusammcngehäuft, sondern zum Schmuck jedes einzelnen Zimmers verwandt. Der Reichthum 33 dcr hiesigen Sammlung ist zu groß, um in diesem Briefe in irgend ein erschöpfendes Detail einzu, gchcn. Ich folge meiner gewöhnlichen Wcisc, nur mit wenig Worten das zu berühren, was gerade in dcm Augenblick dcn meisten Eindruck auf mich machte. Zwei große Gemälde in voller Figur, die Cardinal«: Richelieu und Mazarin darstellend, hielten mich lange gefesselt. Man sindirt in ihrcm Anblick ihre Gcschichtc vou Ncucm. Das Gepräge ist deutlich. Talent und List bei dcm Einen, Genie und nicht mindere, aber erhabenere Feinheit (dcun mit dem gemeinen Namen Schlauheit möchte ich es nicht benennen) beim Andern. Nichts kann schöner seyn als Richclicus Hcnscherantlitz mit aller Größe, Ruhe nnd Sicherheit in Miene nnd Haltung, die des Erfolgs gewiß ist. Geringer ist dcr Anstand Mazanns, und eine gewisse unruhige Thätigkeit verbirgt sich hinter einem nicht ganz natürlichen Lächeln. Auch cin Bild Ludwig des Elften ist höchst charakteristisch. Gemeines nnd Hohes, Gemilasso, U. 3 34 Grausamkeit und Furcht, Unglück und Bigotterie, mischen sich cbcn so wunderbar in diesem Gesicht als einst in dem formidable« Original, das dennoch nicht ohne Größe ist, Psyche, die Amor, das nächtliche Lager verlassend, mit der Lampe beleuchtet, ein berühmtes neueres Gemälde, ich glaube von Girodct, hat zwar etwas von der Natur Eutfcrutcs, Phantas-tnagorischcs, aber der Lichtcssect, welcher dic Fignr Amors so gerundet hervortreten laßt, als sey es eine gemalte Statnc, war mir cbcn so auffallend, als die ideale Schönheit des Liebesgottes. Psyche sicht darin weit hinter ihm zurück. In der großen Galerie hat der König den glücklichen Einfall gehabt, in einer Scric Bilder, ausgeführt von dcn geschicktesten Malern der heutigen französischen Schule, die ganze Geschichte des Hauses Orleans dem Beschauer vorführen zu lassen. Das letzte Bild ist des Königs Krönung, gleichsam die Apotheose der Familie. Es ist kciu Platz mehr. Sein Nachfolger muß cinen 35 neuen Saal anfangen, und der Himmel gebe dem hoffnungsvollen jungcn Prinzen das schöne Loos, ihn so glorreich zu beginnen als der Vater den seinen beendet hat. Laß uns noch einige flüchtige Blicke auf die Gesellschaft der Stadt und einige wenige ihrer Sehenswürdigkeiten werfen. Neulich machte ich ein sehr angenehmes 6in6 bei Deiner Cousine, der Wittwe dcs großen viel zu früh verstorbenen Benjamin Constant, die mich mit Artigkeit und Freundschaft überhäuft. Ich sah hicr dcn liebenswürdigen Vcrcngcr wieder, den Patriarchen der c^änsonniers, dcffcn politische Meinungen ich zwar nicht theile, dessen ungemcinc Liebenswürdigkeit, eminentes Talent und tiefer Geist aber von Jedem bewundert werden müssen. Er hat dabei eine so ganz natürliche, gutmüthig heitere, acht französische Wcisc, mit der die don» inotz, wie aus unerschöpflicher Quelle bei ihm hervorsprudeln, daß, was er sagt, fast cbcn so anmuthig dadurch M wird, wie cr es sagt. Dcr zweite meilwürdige Gast war Balzac, dcr Dir so oft schon eben so innige Thränen als herzliches Lachen, doch jenes Lachen nur, das dic fcine Comik scharfer Beobachtung erregt — entlockt, und dann durch die seltsamsten Paradorcn Dein Gemüth bewildert hat. Ich weiß nicht, warum ich mir einbildete, daß er wenigstens vierzig Jahr alt seyn, cin graves, schwcrmüthigcs, ja lcbcnssattes Ausschn haben müsse, von dcn Täuschungen der Welt, von einem zu tiefen Blick in ihr Inneres verblüht. Wie wunderte ich mich, statt dessen cineu kleinen dicken Mann zu finden, mit dichten kohle schwarzen Haaren, so jugendlich und so ausgelassen kindisch lustig, als wcuu cr eben erst das College verlassen hätte. Aber so wie Lachen und Spaß aufhören, und cr ernst spricht, nimmt er einen eben so genialen als männlichen Ausdruck an, und besonders habe ich nie Augen von cincm größern Seeleufeuer belebt gesehen. Er wird sehr angenehm durch diese Contrasie, ist ebenfalls 37 höchst einfach und natürlich in seinem ganzen kräftigen Wesen, und hat cine Natur die, dächle ich, den Weibern vorzüglich gefallen muß. Das Leben dieser jungen Schöngeister in Paris ist übrigens ziemlich dissipirt, und schr von dcm der unsrigcu verschieden. In der jetzigen Saison ziehen sic sich aber allc, wie die Schnecke in ihr Haus, in irgend cinc entlegne Stadtwohnung oder auf das Land zurück, uud arbeiten dann mit großem Fleiß. Ihre Mühe wird auch reichlicher belohnt, der literairischc Succcß giebt ihnen unendlich mehr Mschn in der Gesellschaft, und sie tonnen ihr Leben angenehmer genießen, als es in der Negel ihren deutschen College» zu Theil wird, deren Viele dadurch gewiß eine bitterere Tendenz annehmen, als sie sonst gehabt haben würden. Herr Hcrminicr, der clcganlc 'Philosoph, den Du wahrscheinlich in Vcillli kennen lcrmcst, ein junger Neffe der Wirthin, und der Bildhauer Bra, dessen Talent schr geschätzt wird, complelirttn die Gäste. Es war 38 für mich ein großes Vergnügen, bem immer lebhafter werdenden Gcspräch dieser lebendigen und geistreichen Franzosen zu folgen, für welche die Conversation, fast gleichviel mit wem, ein wahres Vergnügen, eine der angenehmsten Rc-crcationen ist, wahrend sie uns nur zu oft als ein bloßes penibles Geschäft erscheint. Unsere erfahrne Gastgeberin wusite, indem sie dem Fcuer von Zeit zu Zeit eine ueuc Nahrung gab, cs immer lodernd zu erhalten, ohne auch der materiellen Nachhülfe des Champagners zu vergessen. Nach Tisch ward die Lustigkeit noch größer, und da die Ucbrigen behaupteten, dasi Vercnger Niemand zu Worte kommen ließe, wurde vor Jedem, so wie er zu sprechen aufmg, eine Nadel in das Wachslicht gesteckt mit der Weisung: bis hichcr und nicht weiter. Einmal sagte Vcrcngcr (vielleicht nicht genau mit deusclbcn Worten, aber ganz dem Sinne uach): ,,I^umi1u<5 e«t I» prcuve d'un jugement superieur, car ello proyient de la faculte de faire de Tastes 39 comparaisons, et avec cela on doit toujours se trouver petit, cjuelque grand quo soit «Tailleurs comparativement le rule , qu'on est destine" de joucr dans ce monde." ,,Non, vies S3rtf<$ac mit geuev, je ne veux pas de votre humililtj, j'aimc l'Hercule de la Halle, qui dans la conscience de sa force, ne doute de riein" Isi das nicht artig? cs sicllt mit wenig Worten zwci gwsic Gegensatze auf, bcidc schdn und Ul'sach gcnng vorhandcn, in dcr Wahl zu schwanken. Zuglcich, dachte ich, dictcn sie cin lcbcndigcs Bild dcntschcn nnd französischen Natio-nal-Charaktcrs dar. Dcr Neffe der Frau von Constant, welcher emc zn gütige. Meinung von mir gcfasit hatte, überraschte mich, indem er mit einemmal aufsprang, die Nadel vor nur ins Wachslicht steckte nnd mir zurief: „Votre wur, HIon8iour, ^L V0U5 en pi'io.^ Ich rangirtc mich aber auf Seiten der Humilität, und zog mich leicht aus dcr Affaire, indem ich dic Gc- 40 sellschaft versicherte, daß mich meine Cousine heute nicht zum Sprechen, sondern zum Hören eingcladcu habe, gut vorauswissend, daß ich dabei nur gcwimicn würde und die Uebrigcn nichts verlieren konnten. Der junge Mann wollte dennoch mit Gewalt etwas von meiner Reise hdrcn, uud sing mich fast an zu importünircn, so gut es gemeint war. Herr Vcrcnger kam mir aber zu Hülfe: „Pardieu, Messieurs, rtcf cv, que dira-t-on de la politesse francaise, si nous mettons ä Monsieur le poing sur la gorge pour lui force» la parole/' ,.,Sans doute, Messieurs, fte( id) fin, il eerait trop dur pour moi, si yotre sup^riorite «pres m'avoir causee tant de plaisir, finissait par ra'ctrangler/' Yoila, ma cliere Adelaide, un dine* irau^nis, e'est plus gai quc les notres. Ich bchtze eine Freundin aus alter Zci/ hisl in Paris, Alllänin? 3op^ie O21, von deren Berühmtheit als Schriftstellerin ich nichtö sage, 41 wcil sic Dir, wic dcr ganzen Welt bekannt ist, dcrcn Verstand ich nicht lobe, wcil cr eben so allgemein zugestanden wird, dcrcn seltne Eigen-schaft ich aber rühmen muß, immcr dieselbe für ihre Freunde zu bleiben, immcr mit gleicher Gefälligkeit, gleicher Sclbsivcrläugnung und nie sich änderndem guten Humor, für ihren Dienst bereit zu seyn. Wenn man nun bedenkt, daß sie früher eine markante Schönheit war, und jetzt beim Alter angekommen ist, früher grostcn Reichthum besaß und jetzt fast arm genannt werden kaun, früher in dcr Zcit dcr Revolution und des empire cinc große Nollc in der Welt spielte und jetzt, obgleich von dcr Mehrzahl geistreicher Leute immcr rcchcrchirt, doch Verhältniß-rnäsiig zurückgezogen zu leben genöthigt ist — so zeigt diese sich immcr gleich bleibende Heiterkeit, dies nie geringer werdende Wohlwollen gewiß v:cl mucre Gediegenheit und cine ehrenvolle Charakterstärke an. Dicsc Frcundiu hat mir fortwährend, so z« 42 sagen die Imnnenr» von Paris gemacht, und nur dcr Abwesenheit so vieler dcr interessantesten ,,Iiuoi'3i')' c^Ii'^ctoiz" so wie mcincr Indolenz und schon gerügten Menschenscheu isi cs zuzuschreiben, wenn ich nicht mchr erinnerungsreichc Bekanntschaften gemacht habe. Einige unserer Coursen wcrde ich Dir jetzt beschreiben, denn Du mußt Dich schon resigniren, wenn dieser Brief uach und nach aus seinem Charakter tritt und eine Art von Nelatirn wird. Vor einigen Tagen sühttc sie mich auf einc zoii^o bei ihrer Tochter, dcr Frau von Girardin (gcbonic Delphine Gai). Es waren, ausicr dcr schonen Frau vom Hause, anch mehrere andere hübsche Weiber zugegen, untcr andcrn die heitere und liebenswürdige Gräfin Odonnel, eine Schwester dcr Frau vom Hause, und jene originelle Mademoiselle Isaurc, dercn ich, wie Dn Dich vielleicht erinnerst, in Tutti Frnlti als einer so achten Französin erwähnte, welche aber jetzt durch cinen langen Aufenthalt jenseits des Canals 43 zu einer vollkommncn Engländerin geworden ist, und dazu eine merkwürdige Aehnlichkcit mit der Dir bekannten ältesten unvcrhcirathetcn Tochter dcr Dowayer Lady Tandsdowne hat, M;. als dicsc noch hübsch war. Ich habe übrigens noch nie cine Fremde und am wcnigsicn cine Französin so gut englisch sprechen hören. Ferner befanden sich hicr mehrere Deputirte, verschiedene Elegants (man zeigte mir Einen, dcr Onkels zu beerben hat, dcr Glückliche'.) und einige Dichter. Nachdem sich die I'oulo vcrlanfen hatte, liest sich Fran von Girardin bewegen, einige ihrer allerliebsten Verse vorzutragen, worin sie eben so sehr Meisterin ist als in ihrer Composition. Sie setzte sich dazu anf einen kleinen Schemel in die Mitte der Stnbc, wo sie von allen Seiten gesehen werden konnte. Nach anhaltendem, wohlverdientem, enthusiastischem Beifall, nahm ein Anderer die Scllette ein, und nach und nach wohl fünf dis sechs, worunter Nr. Umile veel^i»^, Nr. ^.Itreä üe Hlu58ot und Hir. Io Nointo äo Ne«- 44 sc'Znioi-, deren Namen ich leicht behalten hab«, da ich sic schon früher mit Lob erwähnen hörte. Die meisten der mitgetheilten Sachen waren von vieler Feinheit, grazicus gewendet, voll essentiell französischen Verstandes. Oft applaudirte man an Stellen, die es mir weniger zu verdienen schienen, und liest andere, die mir hinsichtlich der Gedanken besser vorkamen, unberücksichtigt. Dies überzeugte mich von Ncucm, daß jcdc Sprache in der Poesie Geheimnisse hat, welche dem Fremden ewig unbekannt oder dnnkcl bleiben, Schönheiten des Ausdruckes, mit denen der Gedanke gar nichts zu thun hat, und die vielleicht eben deshalb die angenehmsten Gefühle erregen. Es ist dies die Musik dcr Sprache, welche, wie alle andcrc Musik, auch ohne Beihülfe des Verstandes, die größte Wirkling ans unsere Seele hervorbringt. Deswegen sind gewisse Dichter durchaus nicht zu übersetzen, als Gbthe in seinen Balladen und Romanzen, Lord Byron, Lafontaine, und mehrere Andere. 45 Graf Ressöguicr, von altadliger Abkunft, der noch sein Familienschloß in dcr Nahe von Paris besitzt, lnd mich mit Madame Gai und der Frau vom Hause ein, den nächsten Sonntag bei ihm auf dem Lande zuzubringen, was ich mit Vergnügen annahm. Da unser Weg uns dort vorüber führte, bb-sahcn wir vorher den Ballon, mit welchem einige Tage darauf zwanzig Personen anf einmal aufsteigen, und zugleich cine Direction diests d^ilon ln«n5tro versuchen wollten "°). Dcr ^ntre^re-neur war ein sehr disiinguirt aussehender, noch junger Mann von dcr besten Erziehung, ein Herr von Lcnor, früher Obrisi cincs Cavallcric-Ncgi-mcnls, wo er fast eine Reputation ä 1« 8<^cl!Ii2 erlangt hatte, spater aber sich in politische Ma- ') Es mißglückte. und als ich wie gewöhnlich etwas zu spät auf dem Platz ankam, verkauften nur noch die Straßenjungen mit französischer Industrie kleine Lappm des zcnissnen Nal!on5 für 5 Sous das Stück als Neliquien. 46 chinationcn einließ, in dcren Folge cr cm bcdcu-tcndcs Vermögen verlor unb langc gcfangcu saß. Es isi originell genug, daß er, zwischen vier Mauern eingesperrt, zuerst auf die Idee der Direction des Luftballons, dieses Bildes höchster Freiheit, verfiel. Er sprach mit vieler Bescheidenheit von seinen Versuchen, hoffle aber bestimmt, über kurz oder lang zu einem günstigen Resultat zu gelangen, um so mehr, da er sich überzeugt hielt, bei einer früheren Fahrt schon, durch Anwendung noch unvollkommner Mittel, über 500 Fuß aus der graden Richtung des Windes gewichen zu seyn. Gelänge aber auch die Direction nicht, so würde schon als blosies wohlfeiles Transportmittel mit günstigem Winde für kleinere Distanccn cine sehr lucrative Speculation zu erreichen seyn, da nach seiner Theorie 1000 Personen auf einmal fortgeschafft werden könnten, und je größer der Ballon, je geringer die Kosten, welche, mit einer chemischen Fabrik in Verbindung gesetzt, sich auf das Uubcdeutendsic rcducircn 47 müßten. Als Madame Gai zufällig meinen Namen nannte, sagte cr lächelnd, er frcnc sich doppelt mir diese Auskunft gegeben zu haben, da ihm bekannt sey, dasi er als Luftschiffcr in mir einen Collcgcn vor sich habe. Ich versicherte, daß aus diesem Grunde auch meine besten Wünsche ihm doppelt gewidmet wären, und in der That intcressirtc dieser Mann nns Alle nngcmein. Ucbrigens bin ich von jchcr dcr Meinung gewesen, daß die Direction des Luftballons einmal gefunden werden wird, wenigstens hat mir die Demonsirmmg der physischen Unmöglichkeit nie einleuchten wollen. Jede ganz neue Erfindung scheint fast immer unmöglich ehe sie gemacht ist. Wir fuhren jetzt über den Berg, auf welchen Napoleon das I'^I^i^ 8 mit dcm alten Louvre und Paris wie es damals war darstellt — durch seine vielen einzelnen über die Hütten emporsteigenden gothischen Schlosser, weit- malerischer als jetzt — gibt ein reizendes Mld. Dazu ist das Süjct bis zum letzten Augenblick vom lebhaftesten Iutcrcsse. I4 Um indeß noch einmal auf das ä propoä der Decoration zurückzukommen, so ist es gcwisi, daß Paris, als noch daselbst die gothische Baukunst vorherrschte, pittoresker gewesen seyn muß, als jetzt. Die Epoche von Ludwig dem Dreizehnten an, der es hauptsachlich sein heutiges Aussehen verdankt, und der Ludwig der Vierzehnte besonders seinen Stempel aufdrückte, hat, wenn auch geringere Schönheit, doch einen eigenthümlichen und bestimmten Charakter, der sich zuweilen bis zum Imposanten erhebt, wie in der Facade des Louvre und im Palais Royal. In neuerer Zeit gibt es keinen bestimmten Charaltcr mehr, nnd man hat das Antike hcrvorgesucht, aber nicht mit Glück. Einmal paßt es bei uns nirgends zur Umgebung, zweitens werden die Verhältnisse gewöhnlich verfehlt, wie es mir z. V. bei den Säulen der Madeleine der Fall zu seyn scheint, und andere Incongruitätcn begangen, wie an der Vörse die Fenster hinter den Sä^ len, oder der abscheuliche Triumphbogen Napo- S5 Kons und die Riesenstatuen auf der Brücke äe Lau^ XVI. Wir hätten im nördlichen Europa dcn gothischen Styl nie verlassen sollen. Einc andrc Oper vom Uuo clc! 1<'eltt'c, nach meinem Geschmack sehr gefällig componirt, ist für einen Dcutsch^'u zugleich sehr belustigend, wcil dcr Duc -m« ouklioi' la moueke, c^ui n'ezt ^38 cln lou^ coil« Dein lre« er^cbncr Herrmann Scmiiasso. 74 Kiedenter Vriet. A.n Herrn V ........ v. E . . . Paris den 20. September 1834. Verchrtesier Freund? Wenn Sic nach Paris kommen wollen, und nicht zum Gesandten an irgend einen Hof in Beschlag genommen werden, habe ich Ihnen schon ein sehr artiges Logis ausgesucht, in cinem Etablissement, das überall Nachahmung verdiente. Ein grofics Haus enti-o caur ot ^räin, ^ungefähr für zwanzig Familien eingerichtet, mit einem großen gemeinschaftlichen Salon und 75 Speiscsaal, durchaus mit conäu!t« äo clialeur geheizt, einer langen bedeckten und mit Blumen und Orangerie geschmückten Galerie, zwei zierlichen Garten und allen Arten von Badern, bis selbst auf ägyptische, die ich für meine Person ungcmcin zuträglich und höchst angenehm finde. Dabei ist die Lage gesund in der Chaussee d'An-tin, nicht weit von den Boulevards, und dennoch vom trouble dicscr bcfrcit. Wcnn cs Sic tentirt,,schicke ich Ihnen die Addrcsse. Ich selbst bin, da ich, wie Sie wiffcn, gezwungener Weise dic Zeit habe versäumen muffen, um mich nach Amerika einzuschiffen, wie ich früher beabsichtigte, noch unjchlüssig, wohin ich jetzt meine Schritte lenken soll. Wahrscheinlich nach Afrika, doch auf jeden Fall verlasse ich bald Paris, und will mich daher noch einmal vorher mit Ihnen ein wenig über dieses angenehme Ungeheuer moderner Civilisation unterhalte«, wenn Sie in Ihrer geduldigen Laune sind, mein Geschwätz anzuhören. Für's Ersie von Landölcutcn. Korcff ist 76 in London, und ich hade ihn lcidcr nicht gcse^ b>. 6 82 erkaufen soll! Nn Konno ju5tic6 musitc cr daher seine Memoiren cntwcdcr gar nicht angekündigt haben, odcr sich entschließen, nns jetzt schon wenigstens einen Theil davon zn schenken. Die Znkunft betreffend schien cr ziemlich trüben Aus-sichtcn Raum zu geben; und in der That, wer kann es sich bergen, die Revolution, die in dem ganzen Znstandc unsrer Civilisation begonnen hat, ist noch lange nicht vorüber; die jetzige Periode scheint kanm mehr als cin Stillstand des Ausruhcns nach den ersten Eruptionen zu siyn. Sie kennen Fran von Constant. Ich habe sie ganz verjüngt wiedergefunden, und sehr mit ihrem Auftnthalt in England zufrieden, von welchem Lande sie eben zurückkam. Ihr eigenes Verdienst und dcr große Name ihres verstorbenen Mannes öffneten ihr dort alle Thüren nnd verbürgten ihr die zuvorkommendste Aufnahme. Ich erzählte ihr, was Rahel von Constant so treffend, so geistreich erschöpfend wie immer sagt, 83 und frug sie nachher, was eigentlich ihres Mannc wahre Ansicht vom Christenthum gewesen scy? »Er glanbtc, sagte sie, daß die göttliche Offenbarung auf der Erde nic aufhöre, daß Chrisins zu seiner Zcit Eins der anscrwahltcn Organe für dieselbe gewesen sty, dasi jcdoch die Zeit abgelaufen schiene, wo diesc Erscheinung hinreiche." Herr Neumann wird ihm das nicht passiren lassen, ich halte aber die Ansicht um so wahrer, da Christus selbst keine andere gehabt zu habeu scheint, und die Erfahrung bestätigt sie auch, denn verändert sich die Auslegung des Christenthums nicht fortwährend sichtlich in sich selbst? Ich für meine Person vernahm mit Vergnügen eine so große Autorität für meinen eigenen Glauben. Von einer sehr unterhaltenden Landpartie muß ich Ihnen erzählen, die ich vor einigen Tagen mit Madame Gai gemacht. Wir waren bei einem der ausgezeichnetsten und gebildetsten Franzosen, die ich kenne, beim 6" 84 Marquis von Custine zu Tisch eingeladen. Niemand hat noch für mich das Bild eines praktischen Philosophen so vollständig rcalisnt, denn Alles, was er ist, nnd was ihn umgiebt, gab nur das wohlthuende Gefühl, daß ich hier cincu Glücklichen gefunden. Das Schicksal hat das Scinige hinzuthun müssen, denn aus sich selbst allein kann der Mensch nicht Alles nchmcu, halb bleibt cr immer ein Kind der äußern Umstände. Dieses Schicksal hat Herrn von Custinc also ein bedeutendes Vermögen, ein angenehmes Acußcrc, cine ansehnliche Geburt, und, als höchstes Geschcuk, ciuc der ausgezeichnetsten Frauen zur Mutter gegeben, der cr zugleich cinc analoge Erziehung schuldig isi. Sich selbst aber allein verdankt cr die mannigfachen Kenntnisse, die cr sich als Mann erworben, die vollendete Ausbildung schöner Aulagen, die, gewonnene philosophische Nnhc endlich, mit der cr das Leben z" beherrschen und dadurch nur vollständig 3« gc-niesten versteht. Seine Persönlichkeit wie seine M Umgebung an Menschen und Dingen legen fortwährend davon Zeugniß ab, und ich möchte sagen, nichts war in der reizenden Villa im Thal von Monmorcncy am See von Enghicn, wo cr uns empfing, so unbedeutend, daß es nicht die-sen freundlich liebenswürdigen Charakter an sich getragen hätte. Einfachheit, Eleganz, der feinste Geschmack, mannigfaltige Erinnerungen aus den verschiedenen Ländern Europas, die cr besucht, cine klcinc, aber ausgewählte Gesellschaft, der beste Ton der großen Welt ohnc ihre Lccrc ans Mangel höherer Bildung, dic man in dieser so oft vermißt, ohnc Iaciance, ohne Affectation, die gewinnendste Höflichkeit des Herzens wie der Sitten — alles Dies; vereinigt hat mir an diesem Tage das Vild ciner geselligen Vollem dung zurückgelassen, wie man sic selten, und vielleicht außer Frankreich nie in diescm Grade antrifft. Herr von Custiuc selbst ist übrigens so gut ein Deutscher wie ein Franzose, spricht unscre Sprache wie die scinigc, und kennt unsere 86 Literatur wcit besser als die meisten unserer Vornehmen. Denken Sie sich unter andern meine Genugthuung, als das erste Buch, das ich auf dem Tische im Salon vor mir liegend aufschlage, Rahcls Briefe sind, und welche feurige, interessante Schilderung wnsisc cr vou dem Geist, der hohen Originalität dieser seltnen Frau zu machen. «Stellen Sie sich," sagte cr Zu dcn französischen Damen, die vou ihr zu hören wünschten, »mit deutscher Tiefe und Gemüth verbundcu, an Geist eine Frau vou Stacl vor, die nie geschrieben hatte, und so die Quintessenz ihrer Schriften wie ihrer Unterhaltung allein in der lctztcrn con-ccntrirt. Dazu geben Sie ihr cm sanftes Acußcre, die vollkommenste Abwesenheit aller Prätcnsion und ein wcit größeres Bestreben, Andere geltend zu machen als sich selbst, und Sie werden eine Idee ihres seltenen Verdienstes haben." Man kann kein richtigeres und scharfsinnigeres Urtheil über Frau von Varnhagcn fällen, besonders um 87 Franzofen im Allgemeinen anschanlich zu wachen, was sic war, dcnn nm Dieß erschöpfend darzusicllcu, bedarf cs unendlicher Details. Ein anderes Urtheil, was übcr Victor Hugo ausgesprochen ward, würdc Rahcl selbst, die eine so innige Freude an allcu guten Einfällen Anderer hatte, ungcmcin crgotzt haben. Man sagte nämlich: ^u'il t!iait lauleur 1o ^>Iu8 vr«8 voir^ ma i!!Ie, ca^Iiox nil Nloinz voti« vizg^L! Es ist bekannt, wie ihr Napoleon, bei dcr einzigen öffentlichen Audienz, die sie von ihm in Italien erhielt, und in welcher zu glänzen sie sich den ganzen Tag vorbereitet hatte, blosi die Frage adressirtc, indem er ihre Büste mit Affco tation sinrtc: Ui,6ümo, avox vanz nouiii tau» V08 0N^N8? und sie dann, ohne ihre Replik abzuwarten stehen ließ. Ich weiß nicht, ob si'c dic hübsche Antwort kennen, die ihr Lord Vyron, dcr sie nicht leiden konnte, in London gab? Dcr famose Noman (^onarvon, durch den sich eine von Byron verlassene Dame an ihm rächen wolllc, war so eben erschienen, als Frau von Stacl den Lord in einer großen Gesellschaft antraf. Sogleich ging sie auf ihn zu und rief mit indiseretcr Lebhaftigkeit, vielleicht um ihn in Verlegenheit zu setzen: „^» 91 Caroline Lamb. Eli bicn, irouvcz tous votre portrait ressemblant ?" „Hlaäamo," erwiederte Lord Byron mit dcm verächtlichen Lächeln, das ihm so eigen war, ii le «oi-ait l!»vi»nt»^o^ 8i i'llvinä voulu llonnor ^Wg äo 8«!-3nc:c:5" — cinc dcr besten Ncpaltiecn, dic ich k.'nnc. Vor Tisch wurde ci>ie Wallfahrt nach dem nicht weit entfernten Schloß des Marschall Cati-nat unternon,mcn, das nur klein nnd von geringem Ansehen uoch immer die Bescheidenheit seines berühmten Besitzers ausspricht, der, als sich seine Verwandten bitter über cinc zn wenig seü ncs Namens nnd seiner Familie würdige Simplicität beschwerten, ihncn rnhig znr Antwort Qstb; Eh Lien, si je vous fais si peu d'hon-ncur, renicz moi, eftacez moi de la liste tie vos parcns ct cluussez moi tie yotre famillc^ je me coritenterai Lien du peu de gloire, que j'y ai apporu'e moi meine. 3Iiid) nad) t)Cm Tode bescheiden, zeigt in dcr chcnfen Dorflirä)« 92 nur cin einfacher im Boden eingelassener Stein seine Grabstätte, und doch schien dieß den Rcvo-lutionsmauncrn noch zu viel. Man zerschlug den Stein und mcisseltc alle Titel des Marschalls sorgfältig aus. In diesem dclabrirtcn Zustande ist das Grabmal uoch. Ich habe Zu erwähnen vergessen, daß auf dem Herwege wir cincn kleinen Aufenthalt in St. Denis machten, um die Restaurationen der Abtey iu Augenschein zu nehmen. Ich kann nicht sagen, daß sie mich sehr erbauten. Besonders die Art, wie die neuen bunten Fenster zusammengesetzt werden, enispricht cincm Kaffeehause besser als der Vegräbnißkirchc der Könige Frankreichs. Schon Napoleons Vcrbcsseruugcn, der alle uralten Monumente in der Gruft aufkratzen, reparircn und Neues hinzusetzen ließ, hat diesem Monument alle seine Würde genommen. Freilich war er wohl durch die Graucl der Revolution, die Alles hier verwüstete, zum Theil dazu gezwungen worden. Diese au Kunstwerken aus- 93 geübten Morde der Revolutionen sind anf die Dauer dic schlimmsten von allen, denn Menschen wachsen bald wie Pilze wieder nach, aber Kunstwerke oft nic mehr. Zuweilen bringe ich einige Stunden bci dem ehrwürdigen Veteranen Sir Sidney Smith zu, der trotz der Jahre und der Lorbeeren, die ihn drücken, noch immer voll ncncr Projekte und origineller Ideen ist. So glaubt er mit Segeln zu Lande so gut wie auf dem Wasser fahren zu können, projectirt eine eigene Vorrichtung durch aufgehangene Haute bci Festungen die Kraft der Kanonenkugeln zu amortisiren, ist der Mcinnng, daß Afrika in der Vorzeit dnrch ein Meer in zwei Hälften getheilt war, und dast die Phönizier oder Acgypter, die es einst schon nmschisst haben sollen, keineswegs um das Vorgebirge der guten Hoffnung, sondern durch dieses Meer den Weg gefunden hätten — uud eine Menge anderer vom Gewöhnlichen abweichenden Ansichten, die er sehr lebhaft zu vertheidigen weiß, und vielleicht ein- 94 mal genauer 'durch d^n Druck bekannt machcn wird. Eins der Hauptprojecte des alten Admi? rals ist cinc Wiederherstellung dcr Maltcscrritter in Amerika auf industriellem Fuß. Eines Morgens las ein französischer Marquis, d.'r viel Enthusiasmus für das Project zeigte, aber in Folge der von ihm bis jetzt ohne Erfolg gebrachten Opfer in ctwas genirtc Umstände gerathen zn seyn schien, den ganzen Plan ausführlich vor. So--viel ich mich erinnere, sollen, ganz dcr Intoleranz dcr alten Malteserritter entgegengesetzt, in dcr nencn Association alle Religionen vvllkom^ men gleiche Rechte haben, und dcr Orden zugleich, als specielle Concession von Seiten Europas, allein das Recht ausüben, Sclaven zn kaufen, welche zn civilisiren einer seiner Hauptzwecke seyn wird. Handel ist dcr zweite. Daher sollen die gezähmten Neger, sobald man sich auf sie verlassen kann, wiederum als Missionaire (aber wohlverstanden: dcr Industrie und nicht der Religion) von Ncucm in das Innere losge- 95 lassen werden, um ihrerseits dieses wiederum zu civilisi'ren und den dortigen Völkern die Vortheile und den Segen eines freien Handels begreiflich zu machen. Das Capital, welches man zum Erfolg der Unternehmung für nothig halt, beträgt stchszig Millionen. Sobald für diese Snmmc Acticn untergebracht sind, beginnt die Gesellschaft in Wirksamkeit zu treten, dcrcn Großmeister und Dignitairc bereits ernannt sind. Indcssen dieser so einfache Artikel der 60 Millionen scheint dennoch derjenige zn seyn, welcher bis jetzt der Ausführung des Projects nnübcr-sieigliche Hindernisse entgegengesetzt hat. Wenn sich nicht Herr von Rothschild der Sache annimmt, wird sic wohl an den besagten Millionen scheitern. Uedrigcns erscheint mir, allen Scherz bei Seite, die Idec wirtlich groß und edel, auch die Ausführung eben so denkbar als ein bcdciv tender, damit in der Folge der Zeit zu erzielen der Gewinn. Seit aber die Franzosen Algier erobert haben, werden sie wohl stlbst dic Func« 96 tivncn dcr neuen Maltcscrrittcr übernehmen, auch ist nicht zu vermuthen, dasi sic die Inquisition in Algier einzuführen und dort Ketzer zn vcr-brcnncn gesonnen sind. Dic Menge dcr Kenntnisse und Erfahrungen, welche Sir Sidney in seinem langen Lcbcn gesammelt Hat, machen scinc Unterhaltung interessant und lehrreich. Neulich sagte er mir, daß die verschiedenen l'unrun^ im Mittelmccr jetzt mit solcher Sicherheit bekannt seyen, wozu er selbst viel beigetragen, dasi man Briefe in einer Boutcillc wie auf dcr Post von gewissen Orten nach andern schicken, und die Dauer ihrer Reise bis auf wenige Stunden bestimmen könne, wenn sie nicht unterwegs gewaltsam aufgehalten würden. Die Geschichte von dcs furchtbaren Djczzar's Tod, mit dem Sir Sidney so viel zu thun gehabt, schien mir originell. Djczzar hatte unter seinen Staatsgefangenen einen jungen Mann von Talent und ausgezeichneten Eigenschaften, dcr. früher Pascha von Jerusalem gewesen war. 9? Als er auf dcm Todbettc lag und scin Ende herannahen fühlte, ließ cr dicftn Gefangenen holen. „Sclim," sagte er, „ich sterbe —Dich aber bestimme ich zu mcincm Nachfolger, w.'il Du dcr Einzige bist, dcr Kraft und Geschick dazu hat. Doch damit Du nicht gleich im Anfange Hindernisse findest, will ich vorher noch reinen Tisch machen. Deine Mitgefangenen sind ohne Ausnahme Vrouillous und Ruhestörer. Ohne Zweifel hast Du einigen von ihncn Dcin Vertrauen geschenkt, manche vielleicht lieb gewonnen, Du würdest ihnen die Freiheit schenken, sie an Dcine Seite stellen, und bald die traurigen Folgcn davon erleben. Das darf nicht seyn." Hiermit winkte er demjenigen seiin-r V^amtcn, der unserm Iustizminister entspricht, und befahl, allen Mitgefangenen Selims, den cr zuglcich vor den Umstehenden als seinen Nachfolger erklärte, augenblicklich die Köpfe abzuschlagen. Sobald man ihm gemeldet, daß ftiu Wille vollzogcu sey, lächelte cr zum letztenmal, und indcm cr Selim Semllasso. U. ^ w freundlich winkte, sagte er: „Nun sterbe ich beruhigt, bringt mich zu meinen Weibern." Eine Viertelstunde daranf verschied er. Das isi türkische Philosophie und nimmt sich immer noch besser ans, als die Klcinmüthig-keit, wclchc manchen unserer Philosophen ans Furcht vor dem Todc in scincm letzten Augenblick an nichts mchr, als an seine schleunige Bekehrung durch Pricsiers-Hülfe denken laßt. So zn sterben, wic man gelebt, zeigt den Mann, das Gegentheil ein altcs Weib. Ich verließ Sir Sidney mit seinem Neffen cincm artigen nnd ausgezeichnet hübschen jungen Engländer, um bei Fran von Dclmar zn Mittag zu speisen. Wir fanden dort cinc englische Dame, die cbcn aus Pcrsien kam, das sie als Amazone durchritten, und dann Rußland in einer Kibitta mit dcr Schnelligkeit eines Couriers dnrchfahrcn hatte. Nnr in Moskan und Petersburg hielt sie sich etwas langer ans, und war entzückt von ihrer Ncise. Sie hatte allerdings, 99 wenn ich rccht hbrte, dm glücklichen Zufall er, lebt, daß ihr alter Mann unterwegs gestorben war, und sie jetzt als hübsche junge Wittwe erschien, der die Trauer sehr gut ließ. Nach dem Essen gingen wir Allc in dic Oper, um die liebenswürdige Fanny Elsner bewundern zu helfen, die nut einem so großen Beifall hier aufgetreten ist, daß sie fast Mademoiselle Taglioui zu eklipfircn drohte. Sie tanzte bcsscr und hatte eine größere ll-aic^ilr, auch anßcr dem Theater, als ich je an ihr in Berlin gesehen. Auch machte ihr hübsches Aeußerc, ihr niedlicher Fuß, so selten bei einer Tänzerin, und ihr mervcillcuses Gehen auf den Fußspitzen das meiste lurore. In dem Ballet, worin sie tanzt, wird ein Sturm auf dem Meere mit einer Virtuosität dargestellt, wie es bis jetzt noch nie vorher gelungen ist. Vis auf den Schaum, der umhcrspritzt, ist Alles täuschend. DcmungcaäM ist noch eine Verbesserung nöthig, um die Vollkommenheit zu erreichen. Die Mccrcswogcn, obgleich vortrcss- , 75 100 lich nachgeahmt, hatten doch das Unnatürliche, daß sie sich'gleichmaßig in dcr ganzen Breite des Theaters bewegten. Es ist leicht, ihnen verschiedene uncgale Abtheilungen zu geben, wodurch das Wühlen des Sturms im Meere dann ganz naturgemäß erscheinen wird. Ich gehöre zu denen, die auf cinc wirklich die Wahrheit erreichende, also Kunst-Illusion machende Decoration einen grosicn Werth legen. Es ist, ftit die Knnsi der dramatischen Poesie weder mehr die Hauptsache, noch überhaupt oft nur auf dem Tkeatcr zugcgen ist. Alles, was uns übrig bleibt, und wir mögen daher wohl prätendircn, daß diesi wenigstens tadellos sey. Als ich nach dcr Oper mit meinem jungen Englander Zu '1'oi-wni fuhr, um dort, die Vorbeigehenden betrachtend, eine gute Havannal'ei-garrc zu rauchen, machte er mich mit dem Herzog von Braunschweig bekannt, von dem ich so vicl gehört hatte, ohne ihm bisher je begegnet zu sevu. Ich fand '»hu anders, als ich erwartete. 101 Sein Aeußcrcs ist angenehm und seine Physik gnomic hat etwas Decidirtcs und zugleich Schlaues, was sich zu einem (mir wenigstens) gefallenden Gan^ zcn vereinigt. Er sprach viel uud äußerst lebendig, so vicl in dcr That, daß er mich bis zwei Uhr in dcr Allcc zurückhielt, wahrend dem mir dcn> noch nicht cincn Augenblick die Zeit laug geworden ist, obgleich cr fortwährend allein sprach. Nachdem ich ihu gcschcn, halte ich mich für überzeugt, daß mau ihn in Deutschland in vieler Hinsicht verleumdet hat, und die Fehler, die cr begangen haben kann, weit mehr im Leichtsinn dcr Jugend und einer vicl zu früh crreichteu Allgewalt — die noch obendrein unmittelbar anf eine sehr vcrnachläsiigte Erziehung folgte—ihren Grund haben, als in ivgcud ciuer Bösartigkeit des Hcrzcns, die ich ihm nach meinem phreno, logischen, physiognomischcu und psychologischen üporou einer ersten Bekanntschaft durchaus nicht zuschreiben kann. Er erzählte mir besonders vicl von seinem Aufenthalt in Spanien, von welchem 102 Lande cr ein sehr unterhaltendes Bild entwarf. Hier eine Anekdote, die ich, Dichtung odcr Wahrheit, genau im Gedachtnist behalten habe. Er hatte, sagte cr, langst dcn Wnnsch genährt, sich zu überzeugen, ob die Geschichte der Hinrichtung des Don Carlos wahr sty, und zu dem Ende mit vicler Mühe den König dahin gebracht, ihm cinen Befehl von seiner eigenen Hand zu gcbcn, der ihn antorisirte, die Oaveaux in Aranjnez genau zu besichtigen. Der König, ungern sich dazu verstehend, ansiertc bei der Uebcrrcichnng, die Mönche würden es dennoch nicht zugeben, daß man ihm eincn Sarg öffne, und ihm sogar trotz seiner Erlaubniß wahrscheinlich gar uicht den Eintritt gestatten. Er ließ sich jedoch nicht irre machen, und sich für cincn Ocstreichcr ausgebend, denn cr behauptete, für diese herrsche eine große Vorliebe in Spanien, namentlich bei der Geistlichkeit, präftntirtc cr sich, schon beim Pförtner die Doudloncn nicht sparend, im Kloster. Man wies ihn an dcn 103 Prior, der kaum seineu Wunsch das Oavoau zu sehen gehört hatte, als cr sogleich erklärte, das sey ganz unmöglich und trotz allcr Vorstellungen auf seiner Weigerung bestand. Endlich, um das Harte der Abweisung einigermaßen zu mildem, setzte er hinzu, cr für seine Person würde es gcrn gestatten, abcr das Verbot des Königs sey zu bestimmt und streng, um nur an cine Modification desselben zu denkcn. „Also," sagte der Herzog, der darauf nur gewartet hatte, (cr ist nicht immer so diplomatisch gewesen) „wenn ich eine Erlaubniß des Königs mir verschaffen kann, werden Sie, Herr Prior, keine weitere Schwierigkeit mehr machen?" „Auf keinen Fall; aber geben Sie sich keine Mühe, Sie erhalten sie nicht." „Es ist auch nicht nöthig," erwiederte der Herzog unbefangen, „denn ich habe sie schon. Hier ist sie." Nun war kein Ausweg mehr übrig. Sichtlich contrariirt winkte der Prior einem feisten 104 Pfaffen und befahl ihm, dcn Fremden in das <'avl)au zu begleiten. Die Särgc stehen, fuhr der Herzog fort, ohne alle Zierde, wie Vüchcr ciner Bibliothek in Zcl-lcn rechts und links. Vald kamcn wir an dcn, welcher Don Carlos einschließt. Er ist mit rothem Sammt beschlagen, der ganz verschossen, und mürbe wie Zunder geworden war, während sich dcr ncbcn ihm stehende scincs Vaters von schwarzem Sammt weit besser erhalten hat. Mit Hülfe dcs Geldes bewog unser unternehmender Prinz, nach langem Weigern, dcn Pfaffen, ihm den Sarg zu offnen, was, wie sich zeigte, mit sehr geringer Mühe zu bewerkstelligen war. Doch das Resultat blieb ungcwisi. In dcr That zeigte sich am Gerippe der Kopf vom übrigen Körper getrennt, aber ob durch das Schwert oder die Zeit, wusitc der Herzog nickt zn ermitteln. Viel war auch von dcr Unsicherheit dcs Rci-sens in Spanien, dcr Frechheit dcr Räuber und den Escorttn die Rede, welche oft, statt zu hcl- 105 fcn, gemeinschaftliche Sache mit den crsiern machen. Einmal behauptete dcr Herzog, von einem vielleicht gransamen Tode, in seinem eigenen Landhausc an den Thoren von Madrid, nnr dnrch einen seiner Hunde gerettet worden zu seyn. Eine ganze Anzahl Räuber hatten sich in den Gatten, vermöge einer Art von Schacht, den sie unter den hohen Mauern, die das Grundstück umgeben, gegraben, geschlichen und im Gebüsche versteckt, bis eine spätere Stunde der Nacht ihrem Vorhaben grösicre Sicherheit gewahren würde. T>'r Hund entdeckte diese unterirdische Passage, und mit einem, diesen Thieren oft eigenen, bewundernswürdigen Instinct, lief er, statt dcr Spur dcr Fremden zn folgen, zum Gartner, der sich noch draußeu bcfaud, und zog ihn so lange bellend an seinen Kleidern, bis dcr alte Mann ihm folgte, und nun mit Schrecken die Gefahr inne ward, in dcr sie alle schwebten. Man untersuchte sogleich mit Fackeln uud bewaffnet den Garten, wo man glücklich zwei der Räuber einfiug, die auch, setzte der Herzog hinzu, am andcrn Tage gehangen wurden. Also scheint wenigstens die Justiz prompt in diesem Lande. Gestern fuhr ich mit unserm Gesandten nach St. Cloud, um mich bei der königlichen Familie zu beurlauben, und besuchte auf dem Rückweg Frau von Rothschild in ihrer eleganten Villa. Es war eine der angenehmsten Ueberraschungcn für mich, dort auch meinen alten Freund und Gönner, den großen Rothschild von London, denn er verdient meiner Ueberzeugung nach diesen Namen, mit seiner Gemahlin wieder zu finden, die ich hinlänglich in meinen Briefen geschildert habe, um daß Sie wissen, wie hoch ich sie achte. So wie er mich gewahr ward, hob er launig den Finger und sagtc: „Sie haben schöne Dinge von mir erzählt! Aber wir meincn's dennoch Alle gut mit Ihnen. Indeß," setzte er lächelnd hinzu, „da Sie so gute Geschäfte machen, daß man Ihnen für Ihre Briefe Tansende giebt, so werde ich mich mit Ihnen zur Hälfte associiren." 107 »Mit dem größten Vergnügen," erwiederte ich, doch a condition ä« rovlllioke, wir theilen Jeder mit dem Andern." Niemand macht besser dic Koimeur» ihics Hauses als Frau von James-Rothschild, und weiß die Conversation ans einem heiterern Fuß zn erhalten. Heute jedoch warf mich der Anblick ihrer Tuchnadel in die Philosophie. Es war eine Schlange, die einen Schmetterling festhält. Welch tiefsinniges Emblem! Gar vielfach, ernst und scherzend, laßt es sich auslegen. Mir be-deutet cs: die Ewigkeit, welche mit der Unbeständigkeit eins ist, denn was ist die Ewigkeit anders als Einheit im ewigen Wechsel? Man sprach von Versailles und wie weit bereits die schöne Intention des Königs, es, mit genauer Wiederherstellung seines Zustandes zu Ludwig des Vierzehnten Zeiten, zugleich durch die darin zu plackenden französischen Kunstwerke zu einem National-Museum umzuschassen — gediehen sey. Leider habe ich nichts davon sehen 108 können, weil vor der Beendigung durchaus keiue Erlaubniß dazu gegeben wird, und ich auch sclbsi mir den spätern Totalcindruck nicht schwachen will. Bei dieser Gelegenheit sagte Herr von M ...... daß man so glücklich gewesen sey, die Acquisition des Himmelbettes Ludwigs des Vierzehnten aus feiner Schlafstube in Versailles so cbcu jcl;t in Italien zu machen, und die Geschichte dicscs Bettes sey sonderbar. Die Vorhänge, fuhr er fort, sind aus einem schweren Goldstoss und von ziemlichem Wcrth, wcßhalb sie in der Revolution verkauft wurden, und nach Deutschland gelangten, ohne aufgetrennt, noch im Geringsten beschädigt zu wcrdcn. Bei der Restauration brachte sie dcr Eigenthümer zurück, um sie für einen nicht unbilligen Preis Ludwig dem Achtzehnten anzubieten, der indesi bekanntlich nicht viel auf Vourbonischc souvenir» gab, und den Kauf ablehnte. Als Carl der Zehnte auf den Thron kam, bot man ihm das M'tl abermals und zwar für einen etwas geringeren 309 Prcis an, der ncue Kdnig schien aber nicht mcbr Werth auf das Bcsitzthum seines Urgroßvaters zu setzen, als der vorige. Der Mann wnrdc also abgewiesen, und das Bett wanderte nnn, ich weiß nicht gcnan untcr welchen Umständen, nach Italien, wo wir nns sehr gratulircn, cs durch Zufall wieder aufgefunden zn haben. Es mußtc also die Revolution vom Juli 1830, und ein Orleans auf den Thron kommen, mn dem Andenken Ludwigs des Vierzehnten wieder Ehre genug wiederfahrcn zu lassen, ihm ein so kleines Opfer zu bringen. Heute habe ich noch, chc ich Paris verlasse, eine hübsche Entdeckung gemacht. Ich aß mit einigen Landslcuten in den vel,ll«„^e5 äo Llmr-F0FN6, einer sehr guten Restauration in der Vorstadt, und wir amüsirtcn uns vor Tisch, mit Pistolen nach Puppen zu schießen, wobei eine Dame aus unserer Gesellschaft uns Alle übertraf; als Jemand äußerte, man habe ihm gesagt, es befinde sich hier in der Nähe noch eine ziemlich N0 erhaltene chemalioe ^oUie maizon, die Beaumarchais zugehört habe. Wir eilten, fic uns zeigen zu lassen. Das kleine Haus war in Form ciucs Tempels anf cincn künstlichen Felsen gestellt, in dem noch die Neste einiger Scu'.pturen, einer Grotte mit Spiegeln und verschiedener Wasserleitungen sichtbar waren. Im Tempel, wo es jetzt häsilich nach Schimmel und Moder roch, und keine Meubles mehr vorhanden waren, bemerkte man zwei sehr zweckmäßige Vorrichtungen. Durch dcn Druck verschiedener Federn konnte man die Thüren verdreifachen, so daß eine Ueberraschlmg unmöglich wurde. Ucbcrdcm gab es, wie in dcn alten Ritterburgen, einen unterirdischen Gang nach der Grotte. Die zweite lobcnswcrthe Einrichtung bestand in cincr Art Doppcltische innerhalb der Wände. Anf diese ward das Essen, und überhaupt Alles, was man bedürfte, von ausien servirt, und gelangte auf den Zug cincr Schnur durch einen Dreher, wie von unsichtbaren Handen getragen, in die Stube. lit Dabei fällt mir ein, von einer noch raffinirtcrn Bequemlichkeit in der Bibliothek der Kaiserin Catharina von Rußland gelesen zu haben, die so disponirt war, dasi, wenn man ein Buch von irgend cincm Fach haben wollte, mau nur an einen Knopf mit derselben Nummer unten zu drücken brauchte, dic das Fach führte. Augenblicklich sprang dieses vor und senkte sich laugsam a Iiilntour ä'll^^ui herab. Heutzutage raffinirt man auf nichts dieser Art mehr in den Palästen, sondern nur in den Fabriken. Bei der Rückkunft freute ich mich sehr, zwei meiner Berliner Gönner in der Restauration anzutreffen, die Herren Tiefenbach nnd Osann. Man sagt, daß der Erste, dessen Genialität hicr die größte Ancrkcnnuug fiudct, sich ganz in Paris firiren will. Wahrlich, bald werden wir stolz daranf seyn können, Paris in allen Fächern die ersten Talente gegeben zu haben. War die Sonn«-tag nicht die erste Sängerin, welche diese Hauptstadt je gehabt? Ist nicht Mademoiselle Elsncr 112 mit Mademoiselle Taglioui (die, glaube ich, auch in Wien geboren ist) jetzt die, crsic Tänzerin? und nun wiederum Doctor Tiefcnbach als erster Operateur; es bedarf nur noch eines deutschen Koches, dcr den ersten Ranq einnimmt, und unsere Ueberlegcnheit wird unbestreitbar. Was aber meinen ^verehrten Freund, Doctor Tiefcnbach, anbetrifft, so hoffe ich, daß er mit der Stelle, die ich ihm angewiesen, nicht uuznfric-den seyn wird; denn welcher Freund des schonen Geschlechts könnte sich etwas Unmuthigeres wünschen, als zwischen Mamsell Sonntag und Els-ner placirt zu opcrirm? Iu spater Nacht erst ging ich zu Fusi nach Haus. Das nächtliche Paris hat etwas Schauderhaftes. Statt dem Gewimmel geschäftiger Meuschcn begegnet man nur noch dem zu Grunde gerichteten Lasier auf seiner letzten Stufe, oder dem furchtbaren Elend, das seine Nahrung im Straßen? kothc sucht, jenen bcklagcnswetthcn Menscheu, dle sorgsam allen Kehricht und Unrath durch< N3 suchen, um das Geringste, was nur noch clNt Möglichkeit der Verwerthung hat, bis auf weg-geworfene Salatblattcr hcrab, mühsam daraus hcrvorzuklaudcu. Statt der eleganten, cilig dahin rasselnden Equipagen, wälzcu sich jetzt nur lang° sam ungeheure Fäfsenvageu dröhnend über das Pflaster, hie und da einige Minuteu anhaltend, um durch schnell augclcgtc Röhren und Schläuche den Inhalt der Cloaken aus dcn Häusern herein: zupumpeu. Schon auf zwanzig Schritt davon ist der Gestank erstickend, aber auch andere mcphitischc Dünste jeder Art füllen um diese Zeit die Straßen, gleich der Ausdünstung teuflischer Gespenster. Wo tausend bunte Waaren, Kostbarkeiten für Millionen uoch vor wenig Stunden hinter geschlissenen Spiegelgläsern glänzten, da erblickt man nichts mehr als lange duukle Tafeln, von Riegeln querüber geschützt, als seyen cs so viel aufrecht stehende Sarge oder Eingänge zu dcn Grüften der Todten. Und statt der nn> zähligcn Lichter nnd Lampcn, die den Abend zu Vlmilasso. !l. 8 114 cincm neuen Tage wachten, glomm jctzt nur matt am Himmel cin Fleckchen falbes Mondlicht, über das schwarze Wolken, glcich Nabcnfittigcn, hinsiogcn. Da ward mir bange im innersten Herzen und unwillkürlich rief ich: Weiche von mir grausiges Vild und vcrdicrb mir die heilige Nachtruhe nicht! „O alterircuSie sich doch nicht so, Wctthgcschätztcr," sagte der Baron und lachte höhnisch, „Paris ist gestorben, weiter ist es nichts; bemerken Sie nicht, daß es sein Leichnam ist, den Sie sehen und riechen. Morgen wivd er schon so munter als jemals wieder auferstehen." Und er hatte richtig prophezciht. Ich aber, mein verehrter Freund, bleibe vor der Hand noch immer unverändert Ihr lebender Todter Herrmann Scmilaoso< N5 O P « s o d e. Sendschreiben des Fürsleu von P.... M.... an den Autor dieses Buches. (Wir hatten dieses Schreiben dem Datum nach am richtigsten zwischen die zwei vorhergehenden Vritfe placiren sollen; da wir aber nicht gern die ohnehin nur sehr flüchtige Schilderung des Pariser Aufenthalts unterbrechen wollten, so glaubten wir — stets die Convenienz des Lesers möglichst berücksichtigend ^ besser zu thun, wenn wir der Episode hier ihren Play anwiesen. G. T. G.) 8^ lis St. ^uentin. Abends den e. September 1824. Lieber Milchbrudcr! Ich muß Dir unverhohlen bekennen, daß ich nicht nur schr unzufrieden mit Dir bin, was unser gewöhnliches Verhältniß ist, sondern nachgerade zu finden anfange, daß Du meine Geduld auf zu harte Proben stellst, um es noch länger mit Dir auszuhalten. Hier sitze ich nun in St. Qucntin, an cincr abscheulichen Migraine leidend, mit zerbrochenem Wagen, ohne Paß: Alles Verdrießlichkeiten, die ich Dir allein verdanke! Wirklich, ich kann es nur unserer scli, gcn Amme zuschreiben, die eine sehr leichtsinnige Person war, daß so wenig ans Dir geworden ist, ja daß Du nur da zu seyn scheinst, um mir das Leben schwer zu machen. Besonders seit der Autorschwindel Dich ergriffen, ist meinem Elend kein Ende mehr, und ich werde es immer als ein beklagenswertes Unglück für mich ansehen. ,17 baß meine Liebe zu Dir, oder vielmehr meine Schwäche für Dich, cbcu so groß ist, als die traurige Gewißheit, daß bei Dir an keine Besserung zu denken ist. Verläßt TW einen Irrweg, so schlägst Du gleich darauf ciucu andern cin; bist Du einer Extravaganz überdrüssig, so geschieht es nur, um cinc noch ärgere zu begehen; uud bast Du ein? Thorheit eingcschm, kann man mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß Du Dich alsobald zehn andern in die Arme werfen wirst. O Scmilasso! danke Gott, daß ich Dcine Bücher nicht rcccnsirc, ich würde Dir bald so unbequem werden, daß es Dir vergehen sollte, ehrliche Leute in solche Verlegenheiten zu setzen, wie cbcn jetzt mich. Denn ich kenne Dich durch und durch, ich weiß Dich auswendig von A bis Z, uud so aufrichtig Du selbst bist, ja viel zu aufrichtig für das <^ro8 der Meuschcn — mit Deiner Leidenschaft, Alles kennen zu lernen, was möglich ist, alle menschliche Zustände selbst em-pfundcu und versucht zu haben, mit einem sol' 118 chen Lcbcn, das so zu sagen nur ein fortwährendes Experiment ist, braucht man wahrhaftig dicke Vorhänge!- Du willst dennoch einst dieses seltsame Leben, ohne irgend etwas daraus zn verschweigen, als kühne Confession der Welt übergeben; aber was im Zusammenhange vielleicht ertragen werden kann, wenn Du kcine Fcindc mchr hast, würde einzeln, von böswilliger oder ungeschickter Hand herausgerissen. Dir dcmun? geachtet jetzt hart zusetzen. Und rechne auch nicht zu viel anf ein gewonnenes Publikum, die Welt ist voller Laune wie ein sianddösts Pferd. Ehe man sich's versieht, bcißt cs selbst die Hand, die ihm Nahrung giebt. Ich sehe Dich hier spottend lächeln. Du meinst, cs sey nicht so leicht. Dir bcizukommcn, und wer Dich feindlich angreifen wolle, könne vielleicht nuhr dabei wagen als Du selbst, wie bci Jenem, den die giftige Viper biß, woran nicht er, sondern die Viper starb, weil er noch giftiger war als sie. Du hast Recht für eine Hälfte von Dir, aber auch 119 für die andere? Hier allein kenne ich Dich doch nicht genug. Denn jeder Mensch hat zwar, mehr oder weniger, zwei verschiedene Natnrcn in sich vereinigt, bei Dir sind sie aber zu heterogen, um verstanden werden zn können. Man sollte meinen, gntcr Freund, in Dir sey Mcphisiophe-les in die Seele eines sechzehnjährigen Mädchens gefahren! Ich wciß es ja recht wohl. Du machst Dir im ticfsien Hcrzcn aus nichts mehr viel, weder ans dem Leben noch aus dem Tode, weder aus Glück noch Unglück, weder aus Reichthum noch Armuth, ja ich glaube selbst, Gott verzeih mir's, weder aus Ruhm noch Schmach — Du siehst allein, Dn hast Dir isolirtc Grundsätze geschaffen, nach denen Du handelst, die Dein einziges unwandelbares Gesetz sind, und Dir einen festen Halt gcbcn, obgleich sie in einem allgemeinen Coder der Moral, der Religion und vollends der guten Sitten eine wunderbare Rolle spielen würden. In diesem etwas engen Kreis ncht Dein Gewissen. Wie sieht es abcr mit der <20 Erregbarkeit dcs Augenblicks? Mein Gott, Du bist cin Kind in dicscr Hinsicht, dcr imprcssiona, belste aller Menschen! Habe ich Dich nicht hundertmal erblassen sehen bei Anlässen, die der Schüchternste nicht begreifen kann, und cdcn so oft crrdthcn über Dinge, welche die junge Frau am Hochzcnmorgcn nicht anfechten würden? habe icd Dich nicht Tagc lang über den Tod eines Hundes weinen sehen, ohne von Mensche: zn sprechen. Dich opfern für einen Feind, bloß weil ihm Unrecht geschah, nnd einen Frcnnd mit grausamer Härte behandeln, bloß weil er Deine Eitelkeit gereizt? Spielst Du nicht von Morgen bis Abend mit Puppen, und siehst zu ihrem großen Aergcr die ernsthaftesten Leute dafür an; schreist Dn nicht, sobald Dir cin Spiclwcrk zerbrochen wird, und länfst gleich darauf einem andern nach? Wahrlich Du bist cin Kern von Eisen in Eidcrdun gehüllt, dcr sich bald dahin, bald dorthin verschiebt. Schlimme Natur! dcnn dtidc klmncn sich nicht durchdringen; man trifft 121 auf cius oder das andcrc, und trifft man's verkehrt, so leidest Du oder dcr Lindcrc. Doch was rcdc ich! Das isi allcs zu crust für Dich, dcnu Dein Eiderdun hat auch uoch zuweilen die Eigcuschaft dcr Ganscftdcrn, daß Allcs darauf abläuft, und nicht uur Wasser, sondcru wic vom Asbest sclbst Feucr. Ich will also uur vou Dcincr Thorheit sprcchcn, dcr wahren Atmosphäre Dcincr Lcbenskugcl, und hicr will ich mich nicht gcuireu. Sage mir um dcs Himmels willcu, was hattest Du nöthig in schlcsischen Ruinen, die gar nicht dcr Erwähuuug wcrth sind, herumzukriechen uud albcrnc Geschichten zu crfiudcn, die die Leute vcrdricßcu? Es ist freilich sehr bcqucm, mich das uachhcr ausbadcn uud hundcrt Mcilcn auf dem gottlosesten Pflaster in cincr gcmiethctcn Postchaisc, an dcr auf jcdcr Statiou ctwas zerbricht, Courier fahren zu lasscu, um für Dich eine Schießübung au dcr Gränze mit eincm ganz unbckauutcn Manne zu unternehmen, der, wenn 122 cr sich auch als noch so wenig auswiese, doch gewiß immcr noch zehnmal mehr werth seyn wird als Du. Indessen was hilft mir jcht alles Toben! Ich will also meinen Zorn, nachdem ich ihm wenigstens in etwas Luft gemacht, für dicßmal wieder bei Scitc setzen, um 130 sogleich nach, konntc sie aber nicht retten. Erst zwei Stunden nachher ward man der entseelten und nicht im Geringsten entstellten Körper habhaft. Man brachte sic auf cm Vctt in dem klci-ncn Thorhause, dessen Besitzer cin alter preußischer Soldat ist, und siclltc alle mögliche Versuche an, sie in's Leben zurückzurufen, doch blieben sie erfolglos. Nichts konntc den Vater bewegen, scin Kind Zu verlassen. Nicrundzwanzig Stunden brachte cr ohne Nahrung noch Nuhc an ihrem Lager hin, nnd man mußte den unglücklichen Mann zuletzt gewaltsam den Leichen cnlrcißcn. Wir aßen an der i'Mo ä'^to, welche die große Gesprächigkeit der Franzosen immer sehr unterhaltend macht. Ein alter Offizier erzählte interessante Details über den Geist der Armee. Er behauptete, daß dieser bei den oberen Offizieren nicht immer der beste wäre, theils weil sie schon zu alt geworden, theils weil der häufige Dynasiicn-wcchsel allen Patriotismus paralysirt und sie zu 131 reinen Egoisten gcsicmpclt hätte. Dagegen lobte er den Geist der jüngeren Subalternen und dcr Gemeinen, nnd führte an, daß, als sein Regiment znr Belagerung von Anvers mobil gemacht wurde, zwei Sergeanten, die am Fieber im La-zareth krank lagen, ai-f die Weigerung des Doctors, sie zn entlassen, sich ans dem zweiten Stock heimlich hinadliesi.cn, und ihre Flucht mit grosier Mühseligkeit bewerkstelligten, um noch zur rcch-tcn Zeit das Regiment cinznholen. Andere kamen auf ihre eigenen Kosten von Urlaub fünfzig I,iLu« weit mit der Diligence zurück, nr.d mehrere 'Soldaten, die, kürzlich zu Unteroffizieren avancirt, das Loos traf, im v^»t zu bleiben, verzichteten anf ihren nenen Rang, um als Gemeine mitmarschiren zn dürfen. Vald waren über Napoleon Händel entstanden, weil Jemand heftig gegen ihn dccla-mirtc, und behauptete, er habe selbst vom General G . . . . geHort, dasi dcr Kaiser diesem in übkr Laune einen Fusitritt gegeben, 9" 13s worüber sich die altcn Militairs indignirt, als über eine abgeschmackte Vcrlaumdung äußerten. Dcnuoch ist der Enthusiasmus für Napoleon in Frankreich so gut wie ganzlich erloschen. 133 Lüttich, den 5»-«, Ich fahrc in meinem Berichte fort. Sobald mein Paß angekommen und der Wagen gründlich reparirt worden war, den seitdem keine Schwäche mehr angewandelt hat, verließen wir St. Qncntin, ich für meine Person noch immer schr leidend. Indessen I'exce» liu mal ^»pul'ittit 1o i-emi-clo. Nachdem mich das Stoßen des Wagens halb ohnmächtig vor Schmerz gemacht hatte, half eine fieberhafte Crise. Ich schlief ein, und erwachte nach einigen Stnndcn wie neugeboren. Es war übrigens cinc langweilige Reise bis Aamui-. Das Land isi ohne In? 134 tercfsc, in allen Festungen, Manbeugc, Mons u. s. w., die wir in der Nacht passmen, wnrden wir unerträglich aufgehalten, und trotz der doppelten Trinkgelder fuhren die Postillone, besonders die belgischen, nur sehr mittelmaßig rasch. Von Namnr an, deffcn Post ha us ein Palais ist, fängt dic Gegend an, schon zu werden, und mit ihr auch das weibliche Geschlecht. Eine herrliche Straße führt längs den bergigen Ufcrn der Maas unter viclcr aber immer reizender Abwechselung bis Lüttich. Ich erinnerte mich, in früherer Zeit auf dieser Straße einmal dem Herzog von Wellington in einem Glaswagen, der cincr Laterne glich, begegnet Zu seyn, in dem er allein im Fond, die Adjutanten rückirärts, und sein Kammerdiener ohne Bock und dergleichen, auf der nackten Impcrialc saß. Der Herzog bercistc damals auf diese Weise die Festungen, deren Bau cr inspicirte. Wic hat sich dieß Alles seitdem schon wieder geändert! nnd wic wird es 15 Jahre später wieder seyn? Wir gehen cincn schnellen 135 Weg, und gleich dcm Rollen der Erde bcmcrkcn wir ihn kaum. Die belgischen Postillone sind mit cincm Dreieck von goldener Tresse immcdiat übcr cincm gewissen Theil ihres Korpers geschmückt, wie dic Meister vom Stuhle bei dem Freimaurerorden cs, glaub ich, vorn tragen. Dieses mystische Zeichen, so seltsam plaeirt, und wie ein Irrlicht auf dcm Pfcrdc vor uns hcrtanzeud, machte uns immer von Ncncm lachen. Cine Post von Li^gcs entfernt liegt auf cinem seukrccht abgesprengten Felsen malerisch das Schloß Chokier, welches, wic uns dcr Postillon berichtete, vor Kurzem cin jnnger Nüsse mit noä? einer Million Zugabe crhcirathct hat. Es war schon dunkel geworden, als uns die glaubenden Epiegelftnsier Lüttichs hcll erleuchtet entgegen schimmerten, und cm an-gcnchmcs Gefühl von Comfort in mir crwcckten, das auch in dcm eleganten Gastbof zum schwar-zcn Adler vollständig gerechtfertigt wurde. Auf übermorgen war mein Rendezvous mit dcm 136 Gegner bestimmt, ich bat daher den Obrisien, sich morgen früh nach Vei-vioi'» zu begeben, um den zweckmäßigsten Ort an der Gränze zn ermitteln und definitiv abzumachen, was bei solchen Gelegenheiten erforderlich ist, während ich mich ausruhen und nebenbei für einen Chirurgus sorgen wolle. Denn man muß alle Dinge, die zum Leben gehören, auch cin Duell, so viel wie möglich mit Bequemlichkeit uud ^8^"lLM abzuthun suchcu. Darm weiß ich, bekennen wir dieselben Grundsätze, und deßwegen hatte ich anch die Stunde der Zusammenkunft, siatt um fünf Uhr früh um fünf Uhr Nachmittags angesetzt. Während unseres Soupers erzählte mir der Obrisi, der lange Zeit Adjutant des Marschall Ncy gewesen war, mehrere pikante Anel'dolen vou diesem unglücklichen Krieger, welcher, cin Lbwc anf dem Echlachtfeldc, nur un Kon ^ommo im gewöhnlichen Leben war. Zweier Veispiclc seiner lallen Entschlossenheit und Kriegscrfahrung 137 muß ich erwähnen. Bei dcm Uedcrfall von Hay-nau gcnclh der Marschall mit einer ganz kleinen Suite mitten unter die Fcinde. Ein Adjutant rief ihm zu, sich durch die Flncht zn retten. ..Nicht im Geringsten, erwiederte er, Jeder bleibe ruhig hier halten. Wcr uns bemerkt, wird glau, ben, wir sind gefangen, und sich in diesem Augenblick, wenig um uns bekümmern; fliehen wir aber, verfolgt man uns, und es ist die Frage, ob wir entkommen. Erwarten wir gelafscn nn, serc Leute, die bald wieder erscheinen werden, um uns Luft zu machen." Und so sahen sie ein preußisches Eavalleric-Regimcnt zur Attaque bci sich vorbcijagen, als seyen sie bloße Zuschauer, welche die Nengicrdc hergeführt habc; die Voraussicht des Marschalls bewahrte sich jedoch schncll, und das wieder geworfene feindliche Regiment kam p5!o ini^Io zurück, von einem französischen gefolgt, dem sich der Marschall nun anschloß. Die berühmte Avcntürc Blüchers bei Liguy verlief cbcn so, und es war wahllich kein 138 kleines Glück für uns, dasi die attakircndeu und in dcm Augenblick siegreichen Franzosen weder von dcm gefallenen Marschall noch von dcm neben ihm stehenden Grafen Nostiz die mindeste Notiz nahmen. General Ercclmans, der cm großes Corps Cavallcrie bei Ligny führte, sagte mir in Paris, daß er wahrend dieser ganzen I^iaussom^ an der Spitze eines Regiments ä'^Iiw nicht hundert Schritt davon auf einem Hügcl gehalten, und Alles sehr deutlich mit an-gcschm, ja selbst eine Ordonnanz in derselben Zeit, wo Blücher hülflos dalag, hingeschickt habe, um das Zusammenhauen der Gefangenen und Gefallenen zn verhindern, und einer unnützen Massacre zu steuern; denn der General hatte den strengsten Befehl des Kaisers, in seiner Position, auf der Napoleon pivotirte, unverändert zn verbleiben. Es war also kein Gedanke, dem Scharmützel an der Brücke irgend eine Folge zu geben. Hätte er freilich ahnen tonnen, daß ihm so nahe die Entscheidung, vielleicht des Schicksals der 139 Welt, lag! Aber Kleinigkeiten regierten dicscs Schicksal von jeher, ob durch Zufall oder Absicht, ist ciuc audcrc Frage. — Doch um auf den Marschall Ney zurückzukommen, so höre noch folgenden charakteristischen Zug von ihm. Als er die Arncrcgarde auf der Rctraite in Rußland commandirte, kam sie eines Abends bei Krasnoi in ein Dorf, wo sic frisches Stroh und selbst noch Lebensrnittel fand. Man glaubte sich im Paradicft, sagte der Obrist, denn wie lange hatten wir schon solche Wollust nicht genossen! Die U^i-müo kam ans Feuer. Man machte dic Suppe wie in besseren Tagen, und dem Mahle folgte ein köstlicher Schlaf. Aber als der Morgen graute, wollte Niemand aufstehen. Alle Bemühungen des Marschalls und der Offiziere waren vergebens, der Gehorsam hatte aufgehört. Doch der Marschall wnsite sich schnell zu helfen. „Von wo kommt der Wind her?" frug er. 140 »Von Norden." „Gut, man zünde sogleich daS letzte Haus in jener Richtnng an." Der Vcfchl ward augenblicklich ausgeführt, und man sah, sagte der Obrist, wörtlich die Flammen die Soldaten aus ihren Strcubettcn heraustreiben, ohne daß er bestimmen könne, ob nicht Manche dennoch darin geblieben wären. Nachdem ich am andern Tage — da mich weder Feuer noch Wasser weckte — gut ausgc» schlafen, besuchte ich, in Erwartung der Rückkehr meines Sccundantcn, die Cathedrale und die Kirche des heiligen Jacob. In beiden fand ich etwas mir bci gothischen Kirchen ganz Ncucs: prachtvoll sich ausnehmende, auf maurische Weise bunt gemalte Plafonds, ohne Zweifel den Spa* nicrn, während ihrer Herrschaft hicr, zu danken. Die Iaeobskirchc, welche hinsichtlich der Delicatcfse und Eleganz ihrer mannigfachen Va«" zierden unübertrefflich ist, und auch noch cinigc schöne, colorirte Glasfenster besitzt, war früher !41 durchgängig, und bis auf dcn Fußboden herab, im Geschmack dcs Plafonds bemalt. Erst seit 10 Jahren haben verruchte Barbaren, besseren Lichtes wegen, die Pfeiler und Wände bis an die Dcckc mit weißem Kalk überstreichen lassen, wic der heilige Jakob so etwas in seinem eigenen Hause gestatten kann, ist unbegreiflich, nicht wahr? Ich an seiner Stelle hätte wenigstens laugst meinem Collcgcn, dem heiligen Lukas aufgetragen, die Malerei in der Kirche wieder herzustellen, dafür aber dcn geistlichen Herren das eigene Gesicht zu übcrwcißcn, und dcn Pinsel nicht allzusanft bei der Operation zu führen. O, lieber Milchbrudcr, ich habe mich schwer in dieser Kirche geärgert! Nach und nach beruhigte ich mich auf dem Platze vor ihr an einer Maria mit dem Jesuskinde in Bronze, von Delcour, einem Lütlichcr ausgeführt, die cincu Brunnen ziert. Die Gewander sind ziemlich schlecht, beide Köpfe aber ausgezeichnet schön, und einer idealen Vorsicllung von Beiden ganz entsprechend. 14s Auf dem Rückwege besichtigte ich die Univcr, sitatsgebaudc mit cincm schönen botanischen Garten. Die naturhisiorischcn, physikalischen und anatomischen Sammlungen sind unbedeutend. Eine alte Frau machte die Honneurs derselben, und nahm es sehr übel, daß ich sie frug, warum man dem getrockneten Kopf eines Neuseeländers eine schön gekräuselte Lüttichcr^ Perrücke aufgesetzt habe. »Wenn es eine Pcrrücke ist," erwiederte sie erbost, so ist sic in Neuseeland gemacht, denn zum Kopfe gehört sie, und hier verfälscht man keine Natmmcrkwürdigkciten." 443 Den 9!«» Abends. Aus dcm Datum, licbcr Freund, und aus mcincr Handschrift kannst Du abnehmen, daß ich lebe und gesund biu, das wenige Uebrigc in dcr Folgercihc. Obrist C . . . . war gcstcrn Abend zurückgekehrt, mit dcr Nachricht, daß Alles in Ordnung sey, und die Gegner uns scchs Meilen von hicr in einem kleinen Gasthofc an dcr preußischen Gränze erwarten N'ürdcn. Er hatte sich hierauf heut früh abermals voraus begeben, um in Vcr-vicrs Pferde und unser Frühstück zu bestellen, und mich, der mit dcm Doctor nachkam, dort zu erwarten. Da sechs Meilen zurückzulegen l44 rva«n, mußte ich dennoch, ungeachtet aller meiner Pracautioncn, ziemlich früh aufstehen. Du wcißt, wie sehr wir Beide dieß verabscheuen, heute ward cs mir jedoch nicht schwer, da ich mit dem heftigsten Zahnweh erwachte. Diescr Umstand hatte etwas Besonderes. Du mußt nämlich wissen, daß ich in meinem Leben nie mehr als zwei sogenannte Weishcitszähne (An-dcre haben deren vier) bekommen habe. Dcn Einen hatte ich bald nach seiner Entstehung wieder auenehmen lassen müssen, der Andere war nach und nach säst verschwunden, so daß kaum mehr als die Wurzeln davon übrig blieben, was um so auffallender war, da alle meine andern Zähne zu den gesundesten gehören. Also nur dic der Weisheit wollten bei mir durchaus kein Glück machen, und heute schien dcrUedcrrcst des letzten, gewaltsam und sehr schmerzhaft pochend, ungestüm ebenfalls den Ausgang zu verlangen. Dein Wille soll geschehen, sagte ich, ließ auf der Stelle dcn Zahnarzt holen, und nach cinem 145 zweimaligen Ansatz, mit dcm Verlust eines ganz kleinen Splittcrchcns der Kinnlade, war ich glücklich von der letzten Weisheitsspur in meinem Munde befreit. Dieß giebt mir ein Privi-leginm, und machte austcrdcm das einzige BInt stießen, das ich heute vv'i meinem eigenen vergossen habe. Willst Dl« nnn meine Gcmüihssiimmüng wissen? Die will ich Dir ganz aufrichtig mittheilen. Bisher hatte ich absichtlich an die ganze Sachc nicht mehr gedacht, als gcradc nothig, wenn ich gezwungen war, mich mit ihr zu beschäftigen. Jetzt betrachtete ich sie scharf, denn ich bin kein Jüngling mehr, dem der Leichtsinn am besten ansteht, und wenn ich ihn anch noch schätze und gebrauche, so geschieht es doch nun, mehro mit Absicht und Neflerion. Du weißt, ans meinem Lcden mache ich mir nicht viel. Dieß kommt thcils aus einem tiefen, natürlich religicusen Gefühl, das mir den festen Glauben 146 giebt: wir seyen ewig in Gott, und cs folglich ganz gleich, wo und wi^ wir cbcn in scincrWelt in die Erscheinung trctcn, dcr Tod also nur etwas für dic Erde Wichtiges, aber in unserm ganzen Seyn höchst Unbedeutendes — theils aus meiner individuellen Stimmnng. Ich befinde mich in der Lagc eines Mannes, dcr auf einem Valle gerade so viel getanzt hat, um, ohne cr-nchdct zu seyn, recht gern den Cotillon auch noch mitzutanzen, aber anch eben so gern, wenn ein Freund ihn abrnft, nach Hanse zu gehen. Es kommt aber noch ein Aberglaube hinzn. Ich werde nämlich unwillkürlich von dem Gedanken beherrscht, daß ich in der nächsten Eristcnz zu einer hohen Stellung, zu etwas Großem bestimmt bin, und daß mein jetziges Leben nur dazu dienen soll, mir die Eigenschaften zu erwerben, die mir zu dem künftigen noch fehlen. Dieß Gefühl ist manchmal so stark in mir, daß ich kaum die neue höhere Bestimmung erwarten kann, und daher dic Gelegenheiten, die sie herbeiführen 147 könnten, nichts Furchtbares für mich habcn. Auf dcr andern Seite sühlc ich mich aber auch noch nicht reif, und weiß daher im Voraus, daß mcin Ziel jetzt noch nicht gesteckt ist. Von dieser Scite, d. h. mich selbst betreffend, empfand ich also nichts als etwa jene Schüchternheit, die ich wohl habc besiegen, aber nie entfernen tonnen, bci jeder Gelegenheit, wo ich mich en 8^ootHc)Ill geben muß, cs sey nun, um cinc Arie zn singen, oder eine Rede zu halten, Comodic zu spielen cder in einem Duell anfzu-treten. Der Grund derselben ist ein zu reizbares Nervensystem, cinc etwas krankhafte Eitelkeit, die sich vielleicht einbildet. Anderer Aufmerksamkeit mchr zu erregen, als cs der Fall ist, und ein unglücklicher Scharssinn, den leisesten Tadel in jeder fremden Miene augenblicklich z„ errathen, und was das Schlimmsie lst, trotz allen Lehren dcr Philosophie, sehr wund und empfänglich dafür zu ftyn. Du siehsi. Liebster, dasi, wenn 10" 148 ich gern an mir selbst studire, ich mich wenigstens ziemlich gut kennen gelernt habe. Was mich bewegte, war nicht mcinc Seele, sondern cinc andere, von dcr ich weiß, daß sie die cinzigc in dcr Welt isi, die meinen Tod schwer überstehen würde, die ohne mich nicht mehr vollständig leben kann — da ich aber Allcs niedergeschrieben und Allcs mit Liebe besorgt, was in dieser Hinsicht möglich war, ich cs aber immer für eine unverzeihliche Thorheit gehalten habe, sich anch m>r einen Augenblick über Dinge zu grämen, die nicht mehr zu umgehen, oder nicht mehr zu ändern sind, so schlug ich mir auch dieß aus dem Sinn, und wenn ich dcr trcucsten Freundin dennoch gedachte, wie ich denn nicht umhin konnte, geschah cs nicht als Leidtragende, sondern als Schutzgcist. Nun blieb mein Gegner noch übrig. Hicr hatte ich ein sehr gutes Gewissen. Ich konnte incht die mindeste Animosität gegen ihn haben, den a er war mir gänzlich unbekannt. Das Ein- 149 zige, was ich von ihm wußte, war: daß er übel- Dich und Deine Absicht vollständig im Irrthum gewesen; und da ich aus Rücksicht und aus Scheu vor dcr Abneigung, die unser König vor Dncllcn hat, alles Mögliche, waS die Ehre nur gestattete, gcthan hatte, um die Sache gütlich beizulegen, mein Gegner aber incyt geglaubt, nachgeben zu dürfen, so konnte von nuu an kein möglicher Abgang mir mehr wesentlich nachthcilig seyn. Weit entfernt, ihn tragisch zu wünschen, war ich doch nach der gehabten Mühe, obgleich ich nicht pvovocnt hatte, entschlossen, ohne Resultat nicht zurückzukehren. Das Einzige, was nur einige Bitterkeit hatte geben können, war: durch diesen Handel an meiner mit Dir nach Amerika projcttirtcn Reise gehindert worden zu seyn, weil die letzte Periode dcr dazu favoradlen Jahreszeit nnn vorüber ist; da ich aber mit meiner glücklichen Beweglichkeit schon seitdem wieder einen neuen Plan gefaßt, und dcr neuste mir immcr der liebste ist, so 150 blieb ich im Grund des Herzens eigentlich ganz zufrieden mit Allcm, wie cs gekommen. Aus dcn verschiedenen Motiven, die ich Dir hier aufgeführt, entstand nun in «ummn cinc sehr bestimmte, heitere und etwas ironische Gci-sicsdisposition, mit der ich mich mit dem liebenswürdigsten aller Doctorcn, der dcn seltsamsten Namen führt, in d.'n Wagen sttztc. Ich bin nichts weniger als cin Handclmachcr, und doch war (ich weiß wirklich nicht, wic ich dazu komme) dieß das achte statt gehabte Duell in meinem Leben; aber sollte ich noch eben so viele bestehen müssen, jcdcsmal wünschte ich mir einen so unterrichteten Wundarzt und einen so angenehmen Gesellschafter als Herrn I^vaekoris dabei. Ich habe wenig angenehmere Spazierfahrten gemacht als die hcntigc von hier bis Vervicrs. Vortreffliches Wetter mit kühler angenehmer Temperatur, die reizendste, üppigste Gegend, ein rasches Fuhrwerk, cinc Unterhaltung, die nicht einen Angcnblick abbrach, und cinc 151 leidliche Gesundheit — denn dicscr Punkt ist nicht mehr der glänzendste bei mir — nebst einer noch interessanter« Scene in poNo — was kann ein Lcbcuskünstler mehr wünschen? Unsir Frühstück in Vcrviers rcssentirte sich von dieser guten Laune, aber das Wetter hielt nicht aus. Es fing an zu regnen, und als wir an der Granzschenke ankamen, wo uns der Se-cnndant des Gegners entgegentrat, dccktc ein Landregen den Himmel uud Keth nnd Pfützen die Erde. Es war nicht ganz angenehm, auf cinem grundlosen Lchmwegc zwischen hohen Dornhccken den freien Rasenplatz zn erreichen, den sich die Herren ausgesucht, nnd wo ich meinen Gegner, der uns dort erwartete, zum erstenmal erblicken sollte. Ich kann nicht leugnen, daß ich sehr neugierig war, ihn zu sehcn, da ich, um mir das ganzc Vergnügen der Uebcrraschnng zu lassen, mich nie vorher nach ihm erkundigt, noch irgend Jemand Gelegenheit gegeben hatte, mir 152 über ihn eine speciellere Auskunft zu geben. Die Originalität dcr Sache hätte dadurch zu sehr gelitten. Sobald wir uns von fern ansichtig wurden, grüßte cr und zog den Hut mit einer chcvalcres-ken Manier, dic ihm gut anstand. Ich erwiederte den Gruß, und näherte mich, ihn genau beobachtend. Es war ein starker Mann, nahe den Fünfzigcn, von militamschcm Ansehen, und einem Ausdruck von Redlichkeit und Heiterkeit in sei< ncn offenen Zügcn, dcr mir außerordentlich wohl gefiel. Ich ging also auf ihn zu (denn hätte cr mir mißfallen, so wäre mein Betragen ganz anders gcwcscn, weil, mich feindlich oder frcnnd-lich zu stimmen, so leicht ist!) und sagte: „Mein Herr, es würde vielleicht unpassend seyn, wenn ich behauptete, es freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, aber Sie sehen wenigstens, dasi ich mich nicht geweigert habe, zn diesem Behuf Ihnen hundert Licucs entgegen zu kommen.'*)" *) Die Zusammenkunft sollte ftühcr in Paris statt sindcn. 153 Mein Gegner verbeugte sich und erwiederte: »Ich bcdaurc, Ihncn die Mühe gemacht zu ha» den, aber es giebt Fälle, wo der Mann vou Ehre nur von seinem Gefühl Gesetze annehmen kann." „Nicht mchr als billig," bejahte ich, „und so können wir anfangen." Die Sccundanttn maßen die Schritte ab, man lud die Pistolen, und wir nahmen unsirc Plätze ein. Es regnete dabei fortwährend, und das hohe Gras, in dem wir gingen, war so abscheulich naß, daß ich sehr bedauerte, leine MatLi^rool« an den Füßm zu haben. Auf das gegebene Zeichen avancirten wir gegen einander, ich, wie man in England nnd Frankreich Zu thun pst.'gt, seitwärts vorrückend da jedoch dem Gegnor stiue militanisch^n Verhältnisse mcht gestatteten, diese Zleift zu miti".'n?l)!nl688iour8," sagte er sthr ruhig und knöpfte scinc Wcsie auf. Dcr Jäger lief nach dem Arzt, und wir eilten herbei. Wir sahen das Hemde blutig, die Kugel hatte den Hals getroffen, und war dann in den Kleidern herabgefallen, so daß sie sich nachher im Stiefel vorfand. Herr I^vILkerie erklärte, daß die Wunde nicht gefährlich sey, aber zwei Linien tiefer unmittelbar tddtlich g" wcscn wäre. 155 Meinem deutschen Herzen that dieser Alisspruch schr wohl. Das heftige Anschwellen dcs Halses und cinigc Zufalle von einer Art Stick-krampf, die dcr Gegner bekam, machten uns zwar cincn Augenblick' wieder besorgt, doch der Arzt, nachdem er die nöthige Hülfe geleistet, versicherte, daß wir nns ganz beruhigen könnten, Gefahr sey nicht vorhanden. Ungeachtet dicscs, man kann wohl sagen, glücklichen Resultates würde ich jedoch die Sache noch nicht für beendet haben ansehen können, wenn mein Gegner nicht jetzt auf die Frage meines Sccundantcn erklärt hatte, daß er sich für befriedigt halte, nnd anch consentirc: den gegenseitigen Widerruf, wie, als Mittel die Sache beizulegen, von Paris aus ihm früher von uns vorgeschlagen worden sey, in den öffentlichen Blättern pnblieircn zn lassen. «Hätte ich es früher bewilligt," setzte er hinzu, „so könnte man es leicht falsch ausgelegt haben. Jetzt ist das nicht mehr möglich. 156 und ich weigere mich dahcr nicht Ihrem Wunsche und meiner gewonnenen Ueberzeugung zu willfahren." Ich fand dieses ganze Benehmen dcs Herrn Gegners von Anfang bis zu Ende so ritterlich, besonnen und freimüthig, daß ich die aufrichtigste Hochachtung für ihn fühlte, und wenn auch dic Umstände und die Schicklichkcit noch keine große Annäherung erlaubten, so schied ich dennoch von ihm mit einem herzlichen Handedruck und der vorteilhaftesten Meinung von seinem Charakter. Bei alledcm wird cs wohl das erste und das lctztcmal seyn, daß wir uns von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. IÄ7 E«mpiegne, den l^" Veptnub«r. Wir blieben einige Tage in Lüttich, während deren ich mehrere solitaire Ausflüge in die Umgegend machte. Auf einer dicscr Touren kam ich an ein Wcgezollhaus, hier Barriere genannt, und wurde von dcr Schönheit nnd eigen thümA-chcn Tracht des Mädchens ftappirt, welche mir das Wegegeld abforderte. Sie hatte den braunen spanischen Teint, den man hier äußerst häufig antrifft, und der offenbar auch von maurisch spanischem Blute sich bcrschrcibt. Ihr rabenschwarzes Haar, das siV ganz frei trug, hing in 158 langen Locken um Stirn und Hals. Ein Micdcr von Ponccaufarbc, nur 5cm gefalteten Hemde darunttr, schloß fcsi um die schlanke Taille, cin kurzer Nock dccktc kanm dic Wade hinlänglich, die Contour dcs schön geformten Bcincs zcigcnd, und nette Schnürstiefeln umschlossen Zierlich dic kleinen Füße. Ich ließ mich mil ihr in cin wcitlanftigcres Gespräch cin, nnd crfnhr nach uud nach, daß sie 26 Jahr alt scy, nnd schon seit ihrem sechszchntcn Jahre Barricrcn anf ihrc cigcnc Rechnung halte. Seit cincm Jahre habe sic ticsc gemiethet, wosür sie 5Wl) Frankcn Pacht gcbc, und ungcfähr 1W0 jährlich daran gewinne. Ihre Eltern lebten, sagte sic, in cincm Dorfe bei Lüttich, und ans ihrcn Wunsch habc sic einmal versucht, zu ihnen znrück'zul'ehrcn, aber an Unabhängigkeit gewohnt, hätte sie dics Lcbcn nicht aushalten können, und jctzt scy sie entschlossen, auf der Barriere zn lcbcn und zn sicrben. „Dn wohnst also ganz allein in diesem Häuschen?" frng ich. HHs „Allerdings," antwortete sie lachend, „es ist gerade groß gcnng für mich." Ich war ncngieng, eine solche Junggesellen-wirthschaft cincs Mädchens zu betrachten, und fand Alles mit ihrem hübschen Aussehen und originellen Costume anf das Artigste übereinstimmend. Als ich nach der Stadt zurückkam, holte' ich den Obristcn ab, um auf die Citadelle zu fahren. Mein Fuhrwerk bestaub aus einem leichten Tilbury mit einem sthr guten englischen Pferde bespannt, und rasch damit durch die Stadt fahrend schlug ich aus Irrthum cinc nur für Fußgänger bestimmte Sttaßc ein, die, wie wir nachher horten, noch nie cm Reiter oder ein Wagen vor uns passtrt hatte. Wir machten jedoch diese Bemerkung erst, als der Weg immer steiler, das Vordringen immer gefährlicher und zuktzt fast unmöglich ward. Umkehren konnten wir indcß eben so wenig, es büe!) uns also nichts übrig als die Hülfe einiger Soldaren anzusprechen, von 560 denen einer das Pferd, welches auf jedem Schritt dem Wagen nachzugeben drohte, am Zügel nahm, und drei andere unsern Tilbury von hinten Berg an schieben halfen. So erreichten wir in einer halben Stunde glücklich den Gipfel, von einer großen Menge Zuschauer begleitet, die noch immer nicht begreifen konnten, wie sich cin Wagen hieher verstiegen habe. Obgleich wir schon früh bei dem Commandanten um die Erlaubniß nachgesucht und sie erhalten hatten, die Citadelle zu besuchen, schien man doch eben so wenig davon avcrtirt zu seyn, daß wir kaum den Einlaß erlangten, und als wir uns bei dem Major, der das Fort commandirt, melden ließen, sandte man uns die Autwort: er sey krank, und nahm weiter keine Notiz von uns. Ein preußischer General und cin französischer Obrist hatten allerdings, sollte man glauben, cin wenig mehr camcradschaftlichc Attention erwarten dürfen. Das Militair, welches wir hier oben sah<«. 16l war von guter Halnmg, und an dm beschädigten Werken wurde fleißig gearbeitet. Die Aussicht von dcr Citadelle auf die Stadt bot uns sehr schöne Puncte dar, auch erschien uns der Rückweg auf gebahnter Straße angenehmer als die halsbrcchcnde Fahrt hinauf. Er führte uns an dem bischöflichen Palast vorbei, dcr gleich den Kirchen von halb maurischer Bauart ist und viel merkwürdige Details darbietet. Dcr Hof ist mit, von Sänlcn getragenen Arcaden umgeben, und jede Säule, wie jedes Capital sind ver-schieden. Das Theater, ein recht hübsches Haus, fanden wir Abends so voll, daß wir keinen Platz bekommen haben würden, wenn nicht die Besitzer einer Privatloge so artig gewesen wären, uns dicsc anzubieten. Ich lernte hier Madame Coc-qucrill kennen, n>id erhielt in Abwesenheit ihres Mannes von ihr die Erlaubniß, am nächsten Morgen das große Etablissement seiner Eisen-gießcrcicn besuchen zn dürfen. Scmilasso. u. ii. 162 Man war so artig, uns Herrn Major Richard zu senden, um uns znm Führer zu die-neu, und bei günsiigcm Welter machten wir uns gegen Mittag auf den Weg. Ls isi cin ehemaliges LnsiscNofi dcr Fnisibisel/ofe (denn alle Paläsic g^h^n nach und nach dicftn Wcg), wclckcs zu dicftr r.ngchcmcn Enlrcpris^ cingcrich-tct ist. Ich babc ausicr dcn l^i.xniei'g zu Portsmouth nichts Iny o'anttrcs im Ncichc dcr Maschinen nnd d>,r Indastiic gcschcn. Ucbcr zweitausend Menschen und zehn Dampfmaschinen arbeiten hier, von denen die gr^ßre, zu fünf-hnndcrt Pferde Kra't, wenn sie in Arbeit ist, wirklich etwas Furchtbares hat, nnd vom Industriellen in das Mährchcnhaftc und Romanlische übergeht. Wie eine Pyramide erhebt sich übcr das Ganze der colossale hohe Ofen, zu dessen ewiger Hcllengluth mau fortwährend 20 bis 3 s)I:><^ > oixl^ino aus gegossenen Kanoucu, ein Lowe von Waterloo ans Eisen müssen dann zu chetifen Monnmcnten hcrabsin, kcn, und ich hoffe, man wird sie durch cm noch weit großercs Kalb aus purem Golde ersetzen, dessen Fell wir bis jetzt nnr folgten. Mau muß sich in die Zeiten schicken, und um frei zu bleiben, sich bald philosophisch eitv richten: zu wollen, was man muß. Den Tag darauf traten wir unsere Rückreise an. 167 Zu Abend aßen wir ln Hug, dessen Umgegend äußerst malerisch isi. Ziemlich hohe Verge umgeben es, vor denen auf einem isolirtcn Fel-scn ein kugelfestes Casemattenschloß erbaut ist, das die Strasie beherrscht. Am Fuß des Felsens sieht cinc ansehnliche gothische Kirche. Dcr Balkon vor unserm eleganten Speisezimmer bot uns dicsc schone Aussicht, sich im Wasser der Maas spicgclxd, die hier eine bedeutende Breite hat, bei dem hellsten Mondscheine dar. Eine altcrchümlichc steinerne Brücke üoer dieselbe, und hinter ihr dicht mit Wein bewachsene Hügel vervollständigten auf der andern Seite das schöne nachtruhige Vild. Wir hielten nns von nun an nirgends mehr auf, konnten weder mir gnten Worten noch Geld die belgischen Postillone um schnellen Fahren bewegen, freuten uns dagegen au dem bessern Erfolg dieser Mittel bei den französischen, verschliefen zwei Nächte im Wagen, zerbrachen die, scn noch einmal, und langten endlich müde und 168 nüchtern früh in Compicgnc an. Hier fanden wir allcs cn 6e55U8 l10UV0N8 ^ni:i'0 «ul'siro Ü ccia. Ich glaubte gut zu thun, wenn ich mich auch an diese Suite anschlösse, uud fing von Neuem au: „Mais ^laclnint:, vou8 no coniini5»c2 p26 man emslioi, i'o 8uis le Noi e^^emcul." ,,^Ii V0U5 l>^5 au88i UI1 Ilui, sagte sie leicht verwundert, ^'on «uiz ü^oi«», 8ire, INM8 lian» au Iloi äe I'ranoo. II in'cgt im^08»id1o ä'^ocow-inoäer Votro Ni^'e5t6 av^nt tlomain matin." 170 Man musi die Fran gesehen haben, wie unbefangen sic sich in ihrem lächerlichen Mißvcr-ständniß des doppelsinnigen Wortes j« «nl» be-nahm, und wie vollkommen gleichgültig cs ihr war, ob ich wirtlich cin incognito reisender König oder ein Schuhputzer sey. Eine dentsche Postmeisterin würde nach dcm Riechfläschchcn haben greifen müssen, wenn plötzlich ihrcr Meinung nach cin fremder König in Person bei ihr Pferde bestellt hatte, ohnc daß sic ihn zn befriedigen im Stande gewesen wäre. Hier isi das Wort König nur ein Name wie jeder andere geworden, nnd uur durch materielle Gewalt, oder die seiner Persönlichkeit, dnrch keinen Nimbus mehr kann cr imponircn. Als ich der gnten Fran nnn untcr schwerveihaltenem Lachen erklärt, daß ich nur habe sagen wollen, ich folge dcm König, aber nicht, dasi ich selbst einer sey, schien ihr Irrthum ihr eben so wenig der Beachtung werth, und sie verlor keiu anderes Wort darüber, als daß sie die 51^V>8l!> fallen lkß, und sorglos 17l sagtc: «I'lircion, ^lonzieur, i« vou« Zvaiz mal com^i'iz." Hier kam der Gemahl hcrein, und bestätigte hinsichtlich des Pfcrdcmangels Allcs, was seine Frau mir bereits mitgetheilt. „O," fttztc er hinzu, „Sie sind nicht der Einzige. Gc-sicrn Abend kam ein N^iorä »n^I^iz, der mit drei Wagen, zwei Töchtern, cincr Gouvernante, fünf Hlmden und sechs Bedienten reistc. Er war sehr zornig, kcinc Pfcrdc zu finden; da man ihm aber nicht helfen konnte, befahl er seinem Courier, ein Logis für ihn in einem Gasthofi zu suchen. Nach langem Warten kam dieser mit der Nachricht z'nück, daß auch kein Logis zu bekommen fty. Der ^lor^ lm^!^ verschloß sich hierauf fluchend nnd schimpfend in seinen Wagen, und schlief darin sechs Stunden, bis endlich vier Pferde angeschafft worden waren. »Nun habe/ fuhr der Postmeister fort, „z^Ioi-ll seine Töchter und zwei Bedienten mitgenommen, und sey mit diesen abgefahren, dic Gouvernante, Hunde, und übrige Dienerschaft aber fty genö- 172 thigt gewesen, sechs Stunden länger auf Abfertigung zu warten." „Es wäre wohl Quartier für die Leute zu finden gewesen," meinte die Frau, „aber Niemand will die vornehmen Engländer aufnehmen, wenn sic nüt so großer Suite reisen, denn nachdem sie das ganze Haus in Verwirrung und Allarm gebracht, verlangen sie vor dem Zubcttegchcn nur mehrere Dutzend Handtücher, und verzehren am Morgen nichts als Brod, Milch und Butter. Alles Uebrigc führen sie selbst bei sich." Ich glaube wohl, daß dieß den spitzbübischen französischen Wirthen sehr unangenehm seyn mag, weil es ihnen ihr Licblingsgcschäft, Apothckcr-rcchmmgcn zu machen, etwas erschwert. Ich habe auch nicht einen Gasthof auf dieser Reise gefunden, wo man mir nicht wenigstens das Doppelte des Werthes unserer Zeche angerechnet hätte. Um diesem zu entgehen, gibt es in Frankreich kein Mittel, als in jedem Gast-Hof, wie in Italien, schon beim Hcrcintrctcn 173 zu accordircn, oder mit einem öffentlichen Fuhrwerk zu reisen, wo die Preise bereits sinrt sind. Da ich mm gezwungen einen Tag hier zu? bringen mußte, so habe ich ihn benutzt, um Dir das Vorliegende zu schreiben, und da ich Dich bald einzuholen hoffe, isi dieß mein letzter Brief. Am Fuße der Pyrenäen, lieber Milchbrndrr, sehen wir uns wieder. Suche bis dahin wenigstens vernünftig zu bleiben, und mir keinen wcitcrn Verdruß zu machen. Ucbrigcns halte Dich von meiner treuen Liebe überzeugt, ^uanä nil>mo .... c, P. 174 Kleunter Vrict. An den Hcrrn Srasm Carl von K Tours, den I'«»' October 1834. Endlich, lieber K ...... habe ich das colossale, nach einiger Zeit mir immer ein wenig unheimlich werdende Paris wieder hinter mir, und Dn wirst mich verstehen, wenn ich Dir sage, daß in dieser, dem Glänzenden nnd Geräuschvollen abgewandten Stimmung, die den ruhigen und einfachen Gennß aufsucht, ich Deiner gedachte, den ich immer als einen wahren Adepten in der Knnst betrachtet habe, des Lebens Schatze 175 da zu suchen, wo sic allein dauernd gefunden werden können. Zu dieser Kunst gehört auch, mit Wenigem zufrieden zn seyn, und dieß gibt mir die Zuversicht, dasi mein schlichter Brief von Dir so gut, ja freudig aufgenommcu werden wird, als — etwa eine Schachtel neuer Pariser Putzsachen von Deiner Frau, odcr — eine Jagdflinte von I^pnge für Dich selbst. Ich hatte in Paris wieder so sybaritischc Neigungen angenommen, dasi ich im Begriffe, war, cine Pritschka zu lauf.n, obgleich ein Nei-scwagcn von mir schon in Vamderg sieht, und ich diesen wiederum hätte iu Marseille zurücklasse» müssen, um mich nach Afrika einzuschiffen. Da ich jedoch keine finden konnte, dic mir ganz conveuirte, und die Zeit nnr immer kostbarer ward, so entschloß ich mich wicder w i-mi«1i n, wie die Engländer sagen, und fuhr am 8^" October Abends wieder mit der Diligence von Paris ab, wic ich dort angekommen war, mich trosicnd, daß ich an Unterhaltung gewinnen 1W würde, was ich an Bequemlichkeit verlor. Als ich einstieg, waren eine Menge Menschen um den Wagen versammelt, und ich hörte mit Verwunderung von Einigen mcincn Namen nennen. Eine Dame und ihr Mann empfahlen mir sogar ihren Sohn, einen zwölfjährigen Knaben, der nebst mir den ^oup<> einnahm und in seine Erziehungsanstalt zurückkehrte. Ich versprach lächelnd cin wachsames Auge auf ihn zu haben, und die schwere Maschine rasselte ziemlich rasch auf dem schlechten Pflaster davon. Oft wurden sogar die Pferde in Galopp gesetzt, und immer mit ganz losen Zügeln, die vom Vock wie Guirlanden herabhingen. Ich gestehe, daß es mir, bei mcincn englischen Kutschcrgrundsähen, ganz unbegreiflich bleibt, wie, bei dieser Art zu fahren, ein solches Fuhrwerk in den dunkeln Nächten nicht zwanzigmal verunglückt. Aber die dicken viereckigen Pferde sind so vernünftig, und kennen ihren Dienst so gut, daß die Zügel dabei nur cin Lurusartikcl schienen, und mau zur Noth, 177 wie in Spanien die Maulesel, sic anch mit einer Tasche voll Kieselsteine führen könnte. Um Mitternacht begegneten wir, gleich einer Geister-crschciuung, einige Stunden von Paris, einem Bataillon Nationalgardcn, Sappcurs voran, und alle Soldaten mit brennenden Lichtern anf den Vajonncttcn. Erinnerst Dn Dich des hübschen Gedichts: die große Parade betitelt, das Victor Hugo ans dem Deutschen übersetzt hat, wo alle, auf so vielen Schlachtfeldern gebliebenen Krieger bei Napoleon vorbcidcsilirm? Dieß sah ganz wie eins jener Todtcnbataillone ans, die zn der Parade um Mitternacht marschircn. Ich konnte übrigens den wahren Gruud der Illumination nicht erfahren. Der anbrechende Tag zeigte uns bis Orleans eine unermeßliche, fruchtbare, aber höchst monotone Plaine, die auch nicht die kleinste Welle des Terrains unterbricht. Ich belebte sie in der Einbildung mit Attila's unzählbaren Horden, denen Aetius hier ihr blutiges Ziel steckte, und ließ dann Englands und Carl des Siebenten Semilasso. U. '12 178 Schaaren an mir vorüberziehen, bis ich das Monument der Iungftau, auf Orleans Marktplätze, in Wirklichkeit vor mir stehen sah. Es ist während dcr Restauration errichtet worden, und dic Bronze - Stalnc nicht ohne Poesie gedacht — jedoch eine wahre Schillcr'schc, d. h. cine etwas theatralische ^i,»no ä'.X^c:. Die Cathcdrale, von den Engländern wunderbar herrlich angefangen, ist crsi von Ludwig dcm Vierzehnten grotesk und geschmacklos beendigt worden. Sie erinnert mit ihrem Wald von Spitzen nnd ihrem kunstreichen Mittclthurm ctwas an den Dom von Mailand. Die Faoade scheint aus points ä'/^cn^on gewebt, und die Engel auf den beiden Thürmen ersetzen votthcilhaftcr das gewöhnliche Kreuz. , Schöne Promenaden umgeben einen großen Theil der Stadt bis an die imposante Brücke über die Loire. Die ungewöhnliche Hitze dieses Herbstes hatte den Flusi so ausgetrocknet, daß er kaum zur Hälfte seine gewöhnlichen Ufer cr- 179 reichte, und stlbst den Grund dcr alten Brücke, auf dcr dic Jungfrau so tapfer gefochten, sichtbar werden ließ. Wir setzten nach kurzem Aufenthalt unftrn Weg uachVlois fort, dcr, immer noch ohne viel Abwechselung, durch ebene Wcinfelder am Flusse hinführt, welchen letzteren man jedoch nur selten gewahr wird. Eine bei Weitem zu große Menge lombardischcr Pappeln verunzieren die Landschaft. Nicht weit von dcr ersten Station erblickt man eine hohe Kirche jenseits des Stroms, merkwürdig dadurch, daß Ludwig dcr Eilftc darin begraben liegt, und eine Stunde vor Vloio kommt man bei dem Schlost 60 ^lon^ä vorbei, welches für Madame clo I^om^äour erbaut wurde. Vci Blois wird endlich die Gegend etwas bewegter und malerischer. Wir stiegen in cincm guten Gasihof, dem Ilütoi ä'^n^iotoi-re, ab, wo wir an dcr 'I'ublo ä'Ilüw ziemlich große Gesellschaft und eine sehr freie politische Unterhaltung fanden. Ich machte 12" 180 dort einige Bekanntschaften, mit denen ich für den nächsten Tag eine Partie nach dem Schlosse Chambord verabredete, und eine dieser Personen, ein Oommis V0)'azeur, der in seinem Cabriolet reiste, bot uns dieses gefällig zu unserer Ercur-sion au. Für heute war nichts mehr zu beginnen; ich snchtc daher einen Buchhändler auf, um bei ihm etwas zum Einschlafen zu fiudcn. Das Ersic, was er mir zu diesem Vchuf präscn-tirtc, waren die sogenannten Memoiren des Fürsten Pücklcr-Muökau, in deren fünftem Theil ich nnt eben so viel Ucbcrraschung als Vergnügen die Uebcrstlzung von Herrn Doctor Försters Reise nach Italien fand. Man sieht hieraus nun mit unumstößlicher Gewißheit, daß dieses viel angegriffene Buch wirklich mehr als Einen Verfasser hat. Nur ware zn wünschen, daß alle eine so vortreffliche Feder führten, als der eben genannte geistreiche Schriftsteller. Am andern Morgen besuchte ich das Schloß/ das zum Theil von Ludwig dem Zwölften, Franz 181 dem Ersten, und der neuste Flügel von l^azton ä' 0r1«llnz erbaut worden ist. Uuvcrmuthct traf ich dort vor dem Kamin, in welchem die Körper des ermordeten Valafr« und seines Bruders, des Cardinals, verbrannt wnrdcn, auf einige altere Bekannte aus London, die schöne, fashionable und kluge Tochter des großen Cannings, Lady Clanricardc, und die anmuthigc Mistreß Dawson mit ihrem Mann, in deren Hause ich in England mit vieler Freundlichkeit aufgenommen worden bin. Es war auch noch ein, jetzt schon etwas veralteter, Dandy in der Gesellschaft, den ich mich duukcl erinnerte, früher gesehen zu haben. Meinem Grundsatz getreu, nie einen Engländer zuerst zu grüßen, nahm ich keine Notiz von ihm, eben so wenig als er von mir, und ich bedauerte nur, daß seine Ungeduld die Damen, bei Besichtigung so interessanter historischer Denkwürdigkeiten mehr übereilte, als ihnen lieb zu seyn schicu. Das Schloß mit seinen drei Zeitaltern, die 182 cs rcprascntirr, ist jetzt im vierten cine Caserne geworden, und rothhostge Soldaten lagen auf Stühlcn und Betten im Vorsaal Heinrichs des Dritten umher, alte Wäsche war aufgehangen im Cabinet des Königs, wie in dem schmalen Durchgang, in welchem der !>«i^ üe l^ui^c? ermordet wnrdc, wo dcr König, ihn mit dcm Fuße anstoßend, bloß sagtc: >, l^t ii ^il!n moi^ ? il Man zeigte uns nachher das dunkle Loch, in Welches man den Cardinal eingesperrt hatte, ehe ihm ein gleichcö Schicksal wie seinem Vrn-dcr zu Theil ward; ferner dic Onbliettcn, ein schauderhaftes Gcf.nlgnisi; das Haus, in dcm der König seine Nignons zu lrgircn pflegte, nebst einigen hieraus anspielenden obfcömn Sculpture« (dic letztercu beiden Gegenstände wurdeu natürlich nicht vor d.n Damen genannt) uud zuletzt den reitbahnahnlichen Saal, in dem die samen-scn i't^lz <^u .Mm« gehalten wurden — Gilles 183 in hohcm Grade dclabrirt, schmutzig und vcr-fallcn. Man wundert sich nbcrhanpt, dic Gcmachcr derKdnigc und Fnrsicn jcucrZcit so ciufach und mcsqnin zu schcu, dic Wände rohc Maucrn, die Deckcn fast immcr cn clün^^ntc!, und dcr Voden grobc Diclcn. Wcnn man adcr b^dcnkt, daß zu ihrcr Zcit di>: l'lllli'poltt« dcr Dcck^ rcic!) vergolde und gcmalt, dic Wand«: mit Drapc-rk'cn von Samms, nnd dic Diclcn mit kostbaren oncntalischcu Icppich^n bcdeckt warcu, Allcs von cincm tlcincn Schcilcrhaufcn in dcm nngc-hcurcn Kamine magisch cvlcnchtct, so mag doch dcr Effect vicllcicht vcichcr nnd mal^ischcr gcwe^ sen scyn, als d.r unscrcr hcutigcn Prnnkzimmcr, um so mchr, da anßcrdcm »och der hohc Standpunkt dcr Kunst damals in j.dcm Fach dic cdlcrc Ausschmückung vicl mchr crlcichtcitc. Catharincns von Mcdicis Observatorium, in dcm sic mit Rnggicn dic Orakcl dcr Stcrnc bc-fragtc, konntcn wir lcid.r ni.ht bcstcigcu, wcil 184 cs in diesem Augenblick zu einem Pulvermagazin benutzt wird. Nachdem ich mich den Damen empfohlen, dic ihren Weg nach Valcnxay fortsetzten, um Herrn von Talleyrand einen Besuch zu machen, begab ich mich nach dem «vöck«, von dessen Tcrrasscn-gärtcn man cincr lachenden Aussicht auf das Thal der Loire genießt. Auch Übersicht man cinen großen Theil der Sradt, die in hohem Grade den Typus des Mittclaltcrs beibehalten hat. Ich glaubte, cin Vild aus meiner Chronik Froissard's vor mir zu sehen, nur ohne schwarze Pricsicr und Ritter in goldenen und silbernen Harnischen. Als ich in den Gasihof zurückkehrte, wartete bereits der Cabriolct-Commis, nebst noch einem Andern seines Fachs auf mich, und nach einem kurzen Aufenthalte fuhren wir nach Chambord. Der Weg durch das fruchtbare Thal ist nicht unangenehm, das Schloß selbst aber übertraf alle Meine Erwartung. Es ist in der That cin l85 wunderbarer Van, wie ihn vielleicht nur das an der Gränze der alten und neuen Zeit stehende Jahrhundert Franz des Ersten hervorbringen konnte, und scheint zugleich, sonderbarerweise, das Werk cincs ganz unbekannt gebliebenen Mannes zu seyn, man glanbt cincs Vaulünsilers anä Vlois. Demi längst ist cs erwiesen, daß weder Prima-ticcio noch Mansard, denen man früher die Ehre davon gab, die Erbauer des Schlosses gewesen seyn können. Ich kenne nichts, mit dem ich diese Phantasie in Stein vergleichen konnte. Symmetrie in den Hauptzügcu, vielleicht glücklich dadurch unterbrochen, daß das Gebäude nicht ganz vollendet wurde, Unregelmäßigkeit in den baroten nnd doch immer reizenden Verzierungen der verschiedensten Art; eine unzählige Mcnqe von Kuppeln und thnrmartigen Feueressen aller Formen, zum Theil von Mosaik mit verschiedenfarbigen Steinen ausgelegt; colossale Lilien, Genien und gewappnete Krieger auf dcn höchsten Spitzen 186 siehend, und überall dazwischen dcs Königs feuerspeiender Salamander mit dcm gothischen I" angebracht, das dcr Strick dcs heiligen Fran? ziskns in mystischen Schlingungcn umgibt — es ist wic cm wirrcr Traum! Noch überraschter wird man bei näherer Besichtigung aller Details. Die grosie doppelte Wendeltreppe, ein Meisterstück der Technik, welche in dcr Mitte vier ungeheurer Säle, die ein griechisches Kreuz bilden, und früher durch alle Etagen durchgingen, bis in dicRiestnlilie, welche das ganzc Gebäude krönt, hinaufführt, ist in Kühnheit dcr Erfindung, Schwierigkeit dcr Con-siruction und Vollendung dcr Ausführung vielleicht einzig ihrer Art in der Well. Sie ist so dispo-nilt, dasi zu gleicher Zeit eine Gesellschaft hinauf, die andere herabsieigen kann, ohne dasi bcidc sich eher als am Ausgang ansichtig werden. Eine kostbare, durchbrochene Kuppel schließt diese, merkwürdige Trcppc, deren Wange so accurat gewunden ist, daß sie, von oben gesehen, nur 187 cincn schmalen Cylinder von cinigcn Zollen Durchmesser zu bilden scheint, in dem man, wie durch ein Fernrohr, bis auf den Boden hinabsieht. Man belustigt sich gewöhnlich damit, von hier Kastanien hinab zn werfen, die nur selten, nämlich wenn man gcnau die Mitte trifft, unten anlangen, sondern aus dcn hundert Oessunngen bald auf die Stufen der Treppe hinausrollen. Ludwig der Vierzehnte hat barbarischcrwe'sc den Hauptessect der Treppe wie der Sale, die sie umschließen, gestört, indem cr diese letzter» durch eine in der Mitte ihrer Hohe gezogene Dccke trennte, so dast nun aus dcn vier Sälen acht geworden sind, was das Ganze verkleinert, und verunstaltet, so wie die Totalansicht der Treppe verhindert. Doch wäre cs leicht, das Alte wieder herzustellen. Je höher man in dem Gebäude steigt, jc reicher werden die Verzierungen, und auf dem Dache erst, der Pwtcform, sieht man unter einem Chaos labyrinthischcr Galerien, Treppen, 188 Säulen, Pfeilern, gothischen Spitzen und Sta-tücn, die höchste Pracht und Zierlichkeit ihren Culminationspnnkt erreichen. Eo enthalt unter andern das ganzc Schlost nur an Säulen und Pilasicrn mit reichen Capitalen über 800. Eine Unzahl von Namcu aller Nationen und Stände findet man von 1533 bis 1834 an allen Wänden cingegrabcn, manche au sehr gefährlichen Stellen, denn überall ist hier oben das Gebäude latcruen-artig durchsichtig. Man ermüdet nicht, in dem wunderbaren Zauberpalast umherzuirren, jeden Augenblick von einem neuen Anblick übcrrascht. Noch phantastischer aber ward Alles, als der Mond am Horizont heraufstieg, und iu seinem zitternden Dämmerlichte alle Proportionen sich zu vergrößern, die Masken zu grinsen, die Statuen sich zu regen, und die bestrahlten Spitzen in weiße Gespenster sich zn verwandeln schienen. Ich träumte jetzt wirklich mit offenen Augen, und die vergangene Zeit ging noch einmal, in Bildern, wie sie dem Grafen St. Germain und 189 Cagliosiro vorgeschwebt haben mögen, lebendig an meinem Geiste vorüber. Man findet im Schlosse noch viele der alten eichenen Thüren mit dem I? und Salamandern geschmückt, aber in allen 440 Zimmern des Schlosses kein einziges Mcublc mehr, nicht einmal aus neuerer Zeit, mit einziger Ausnahme eines großen Tisches, auf dcm der Varcdial äo 8ax6 cinbalsamirt worden ist. Denn in beiden Revolutionen Frankreichs ward Chambord brutal beschädigt und geplündert. 1793 ward in Blois der Verkauf des ganzen Amcublcmcnts des Schlosses dckretirt, und was zehn Regierungen dort aufgehäuft hatten, in wenig Tagen zersplittert. Man riß selbst die Lambricen ad, die Fcnsicrsiocke, Parkcts und Kamincinfassuugcn, und heizte dazu mit den Nahmen der Gemälde, welche großenthcils noch vor dem Kauf zerrissen wurden, um andere Sachen darin einzupacken. Untcr diesen befand sich eine sehr merkwürdige Sammlung Portraits sämmtlicher griechischen 190 Gelehrten und Künstler, dic sich nach der Einnahme Constantinopcls durch die Türken nach, Italien geflüchtet hatten. Einen Monat nach dcr erwähnten Expedition kam ein Mitglied des Dircctorinms an, nm auch sämmtliche Lilien und königliche Embleme, welche noch nicht zerstört wären, nachträglich abnehmen zu lassen. Der Architekt dcr Provinz hatte jedoch das Glück, dieß zu verhindern, indem er einen Kostenanschlag von 60,000 Franken einreichte, die nöthig seyn würden, um den anbefohlenen Vandalismns m Erfüllung zn bringen. Da man es nicht der Mühe werth fand, soviel darauf zu verwenden, gab man den saubern Plan wieder auf. Zn jedem Appartement führt eine besondere Treppe, und mau zahlt deren, mehrere kleine und die bereits beschriebene größte ungerechnet, dreizehn Haupttreppen, die bis unter's Dach führen. Zwei davon, die eine von Heinrich dem Zweiten erbaut, sind « jour, sehr reich verziert und von großer Schönheit. 191 Die Zimmer können in ihrer Leere nicht mehr viel darbieten; man bewuudcrt nur dic ungeheuren Kamine, in dencu ein kleines Himmelbett Platz finden würde. Die Capcllc mit schöner Sculpturarbcit, dic Plafonds einiger Säle, und eine andere hübsche Picce zeichnen sich uoch aus, auf deren Fenster Franz der Ersie in Gegenwart seiner Schwester, und vielleicht zugleich Geliebten, die bekannten Worte schrieb: Souvcut so in me varic Et sol est qui s'y sic. Die Inschrift ist langst verschwunden, wie die bunten Fenster, die herrlichen Kunstschatzc, die Fresken italiänischer Meister, die reichen Teppiche, die Draperiecn von Sammt und Gold, die die Wände dcckcn, und aller Glanz, der hier herrschte, als Carl der Fünfte den ritterlichen Franz in Chambord besuchte, und über den Reichthum und die Pracht des französischen Königs erstaunte. Und dennoch hat, wie man behauptet, nach vorhandenen alten Rechnungen, dieser uncr- 192 mcßlichc Bau damals nicht mehr als 600,000 Franken gekostet, während wan jetzt die Kosten der bloßen Wiederherstellung des Acußcrn und Innern auf zwanzig Millionen anschlägt. Und wie wünschcnswcrth wäre diese doch, denn das herrliche Denkmal verfällt leider mit Macht! Seit so lange schon ist es verlassen und verwaist. Der Nnr^^'I l!e 85>xo bewohnte cs kaum zwei Jahre, als er an den Folgen früherer Sünden, oder wie Einige wollen, im Duell mit dem Prinzen Conty von einem vergifteten Degen verwundet, nach kurzem Krankenlager starb. Er that nichts für Chambord, außer daß er vor seinen Fenstern einige häßliche Caserne« aufbauen ließ, um seine zwei Regimenter dort unterzubringen, die er täglich in den großen Sälen des Schlosses cxcrzircn ließ. Sie sind jetzt bereits zu modernen Ruinen geworden. Nachher rcsidirtc cinc Zeitlang der König von Polen hier, und ließ ungeschicktenvcist die tiefen Wassergräben 193 zufallen, wodurch das Schloß bedeutend an Lciä -tigkcit und Hohe verloren hat. Ludwig dcr Sechzehnte machte ein Gestüt aus den» Park, der einen Umfang von acht Stunden hat, und mit Mauern umschlossen isi. Der Chef des Gestüts wohnte im Schlosi, und ließ einen grosicu Theil des Innern demoliren, um ihn modern einzurichten. Später schenkte cs bekanntlich Napoleon dem Prinzen VcNhiri-, der jedoch nur zwei Tage in seinem Leben hicr zubrachte, dafür aber jährlich für 2WM0 Franken alte Eichen im Park schlagen ließ, was diesen gänzlich verliert und kahl gemacht hat, obgleich der Kaiser ihm 5WMM Franken Revenue« jährlich crtra hatte anweisen lassen, mit dcr Bedingung, sie znr Wiederinsiand-setznng des Schlosses anznwcndcn. Die hierzu ergriffenen Maßregeln haben sich jedoch darauf beschränkt, daß der Prinz sein rotüricrcs Wappen dem Franz des Ersten beifügen, nnd sialt der abgehauenen Eichwälder einige Alleen lom- Semilasso. U. ^^ 194 bardischer Pappeln pflanzen ließ, die noch cincn erbärmlicheren Anblick als dic eingefallenen Caser-nen dcs Hl!lr^cl^ll äo 8»xo gewahren. Nach der Restauration war das Schloß cinigc Zeit an einen Engländer vcrmiethct. Als es nachher von der Nation dem Herzog von Vordeaur geschenkt wnrdc, hat cs dic Herzogin vonVeny einigemal besucht, nnd den Anfang mit seiner Restauration gemacht, was in der Juli-Revolution wieder nebst manchem bisher erhaltenen Alten zerstört wurde. Der Hcrzoq von Vordeaur ist bis jetzt noch Eigenthümer geblieben, aber bekanntlich eben so wenig im Stande, etwas darauf zu vcr-wenden, als es zu bewohnen. Der wahre Besitzer in dieser langen Zcit isi eigentlich der (>on0^1-^0 gewesen, welcher nun schon seit mehr als fünfzig Jahren hier sein Amt versieht, cm munterer noch ziemlich corpnlentcr Greis, der mit Philosophic, wenn gleich nicht ohne einigen Anfing von Kummer, scin altes Zauberschloß nach und nach in Trümmer zusammenstürzen sicht. 1V Es kommt bei allen Dingen für den spatern Eindruck sehr ^iel darauf an, nnter welchen Beziehungen wir einen Gegenstand znersi erblicken. Anch bierin ward ich heute begünstigt, dcnn nichts konnte eindringlicher seyn, als der Moment, in welchcm wir, .'»hon in etwas später Tageszeit, in dcn Schlosihof traten. Ein Gewitter schwebte schwarz über dcn Gebäuden, deren hundert wcisie Kalksteinspitzen, grell wie gebleichtes Gebein, gegen dcn dlmkcln Himmel abstachen. Dumpfer Donner ohne Blitze rollte majestätisch darüber hin. Sonst war kein Laut zn vernehmen und kein lebendiges Wesen zu sehen. Plötzlich öffnete sich die morsche Hanptpfortc und ein Dutzend zerlumpter Gestalten mit kurzen Hirschfängern und Flinten bewaffnet, wie aus einem Vildc Salvator Rosa's gestohlen, drangen p^o möle daraus hervor, von mehr als zwanzig Hunden aller Naccn begleitet. Es waren die (^i^oek3«805 dcs Herzogs von Vordeaur, die heute eine I^uu« vorhatten, und uns im An- 196 fang Ziemlich unwirsch anblickten. Als ich mich ihnen aber näherte nnd sagte, daß ich kürzlich ihren Herrn gesehen, versammelten sie sich schnell um nnck, und wünschten zu hören, wic cs ihm ginge. Es sprach eine Art kindlicher und rcspccivol-ler Anhänglichkeitansdie'cn wilden Gesichtern, wic man sie bei dem gemeine Manne hcntzntagc nicht mehr häufig antrifft. Auch diese Gefühle schienen hier, wic alles Ucbrige, noch aus der chevalcrcskcn Zeit'"). Als wir nun nach mehreren Stunden der genausten Besichtigung und froh des gehabten Genusses bei dem schönen und glänzenden Mondschein das Schloß, wicdcr verliessen, entlockte der ') Ein Diener dirs« Art ftgt« mir einmal: „Wir thun Alles für unsere Herrschaft, lvil lieben sie noch, wie es jetzt nicht mehr Mode ist. Aber/' fügte er hinzu, ,,die Herrschaften lieben auch ihre Dicner nicht mehr l^ie sonst." Tie Wahrheit dieser schlichten Aeußerung frappirte mich. Es ist sehr richtig: das dienende Verhältniß hat für beide Theile seine schöne Seite verloren, und dem zvoisch^'n Mtern und Kind.'Ni wird cs vielleicht bald nicht besser ergchen und eintreffen, w^s der üuill» <^> Hlnl'.tdln'r^ sagte: 8 lie ^mrllu!«, W7 Enthusiasmus selbst cincm meiner prosaischen Commis cin tiefes Wort: „ Versailles möino," Vtcf er, „ne m'a pas aulant irappe* II y a quelque chose d'infini dims cc style, qui fail, quo vous ne pouvcz jamais en t:tre rassasie!" Die Phrase ist eben nicht elegant, aber man kann das acht Romantische, meiner Meinung nach, kaum bcfftr dcfinircn. Nachdem wir in der Dorsschenkc, in dcr seit vier Wochen cin englischer Porik als Einsiedler wohnte, und die durch den seit einiger Zeit immer stärker werdenden Zufluß von Reisenden zu einem ganz anständigen Gasihof sich umzuwandeln beginnt, sehr guten Wein von Bangcncy getrunken hatten, der dem Burgunder ähnelt, und unser 0!^ mit einer Art Nationalkuchcn geschlossen, der gleichfalls zu den Merkwürdigkeiten von Chawbord gchbrt, fuhr uns, g^aco au vin 6c- LanZLnc^, der Postillon die vier Licucs nach Vlois fast im fortwährcudcn Galopp zurück. Während dieser Zcit polilisirten, philosophirtcn 198 und dcraisonirten wir vicl, und heute bedürfte ich keines Buches um einzuschlafen. Der Commis dcs Cabriolets (nach seinem Namen habe ich nie gch'agl) hatte eine solche Neigung zu mir gefaßt, daß er mich inständig bat, mora/u wicder in seiner Equipage mit ihm nach Tours zu reiscu, dcuu, sagte er, bisher habe ich nie daran gedacht, auf meinem Wege Merkwürdigkeiten aufzusuchen, Ihnen habe ich das in Chambord empfundene Vergnügen zu danken, und gewiß sindcn wir morgen in Ihrer Gesellschaft noch mehr dergleichen. Diese freundliche Naivetät rührte mich, ich erfüllte seinen Wunsch und das Schicksal in günstiger Laune anch seine Erwartung. Um 7 Uhr früh fuhren wir ad, und ich befahl meinem Bedienten, mir mit meinen Sachen auf der Diligen« zu folgen, und wenn er früher in Tours ankäme, dort Quartier für mich z" nehmen. Ich darf Vlois nicht verlassen, ohne einer 199 gastronomischen Qualität dieser Stadt zu gedcu? kcn, wclche in Frankreich zu den größten Seltenheiten gehört. Die Landleute bnngcn nämlich jeden Morgen in kleinen, zierlich mit Weinblät-tcrn umwundenen Tdpfchcn vortreffliche süße Schaumsahnc (3^ahm) zu Markte, welche mir seit lange wieder einmal den 'Gennß untadclhaf-tcn Kaffees und Thees gestattete. Der hier aus-gesprochene Dank für einen so wichtigen Dienst ist nicht mehr als billig. Die Ufer der Loire werden von hier an interessanter, doch bleibt es immer ein sandiges und dürres Land, mit wenig Bewegung und fast keinen andern Bäumen, als meinen bekannten Feinden, den lombardischen Pappeln, die man hier in solcher Menge nur anpflanzt, um 8^ot« daraus zu machen, weil sie sich von diesem Holz weit angenehmer tragen sollen. Himmel, wo dringt die Weichlichkeit nicht überall hin, selbst bis auf dic Holzschuhc erstreckt sie sich nun schon! Auch der Fluß bietet in seinem breiten Bette 200 mehr Sand als Wasser. Von Weitem sahen wir das Schloß Chaumont liegen, ehemals cin Licblingssltz Catharinc.ns von Mcdicis, dic auch hier ihren astrologischen Thurm hatte. Obgleich wir nichts weniger a!s rasch fuhren, denn das Pferd dcsCommis zog uns hcutt siatt der flüchtigen Postpferdc, kgtcn wir doch die acht Licucs bis Amboise in drei Stunden zurück, dcnn die französischen Heues äe ^ost« rioalisirrn in unnatürlicher Kürze mit unftrn preußischen Posimcilcn. Die alte Residenz von Amboise, welche leider von einem hungrigen Senator Napoleons halb cingerissen worden ist, um die Materialien zn verkaufen, trägt vrn Auscn immer noch das Ge, präge einer Hofburg französischer Könige. Das Innere dagegen, mit Papier, Kattun und lakir-tcm Vlcch ausgeschmückt, gleicht der Wohnung eines modernen klail-o cle ^etito vill«. Glücks lichcrweise ist das Schlosi jetzt wieder an den König gekommen, dessen Walten man schon vielfach gewahr wird. Eine kostbar verzierte, aber 301 fast zerstörte gothische Capclle ist bereits zum größten Thcil wieder hergestellt, eben so der imposante, lange, gewölbte Eingang zum Schloß, und man darf hoffen, daß später Alles in diesem Sinne sich wieder umgestalten wird. Nie hat gewiß ein Regent Frankreichs mehr für die Erhaltung und Wiederherstellung ehrwürdiger Denkmäler des Alterthums gethan, was hohes Lob verdient. Der Egoismus Napoleons glänzt hierin nicht. Er liebte keine andern Denkmäler als die, welche an ihn selbst erinnerten. Es schwebt mir noch immer, in einem Gesprach mit dem König, seine Aeußerung über diesen Gegenstand vor. „Ich wünschte," sagte er, „daß die Franzosen dem Alten und der Ii^it-ciil^ anch seinen Werth ließen, uichr bloß immer dic Znkunft, sondern auch die Vergangenheit in's Ange faßten, und dann recht lebhaft innc würden, dast nicht bloß die Zeit Napoleons gwß für Frankreich war, sondern daß fast zn jcdcr Zeit der Monarchie Großes in unserm Lande geleistet worden ist." 202 „Gewiß, Sin'," erwiederte ich, „und was mich betrifft, so finde ich, dasi keine Nation eine schönere Aussicht haben kann, wenn sie sich nach der Vergangenheit wendet, als die französische, und daß ihre Zukunft eben so schön beginnen wird, weun sic sic Eurer Majcsiät überläßt." Im Bereich des Schlosses befindet sich ein Thurm, in dem man bequem zu Wagen hundert Fuß hoch hinauf und herab fahren kann, genau so eonstruirt, wie der des berühmten Tunnels in London. Es gibt nichts Neues uutcr der Sonne. Nicht weit von Amboise befindet sich eine andere moderne historische Merkwürdigkeit, die Pagode von Chantcloup, ein Gebäude in chinesischem Geschmack, das einzige, welches von dem prächtigen Vcsitzthnm des Herzogs von Choiscul übrig geblieben ist. Das Schloß ward zncrst durch Chaptal in eine Nuukclrübenzuckerfabrik umgcschaffen, uud nachher von der sogenannten b^näo noiro eingerissen, eine Gesellschaft, dic eigens dazu gestiftet worden ist, alte Schlösser 203 zu dcmolircn, um einen Gewinn an dcm Verkauf dcr Materialien zu machen. Eine Räuberbande würde dcm Landc weniger unersetzlichen Schaden zugefügt haben. „Wollen Sic nicht Chcnonceaur sehen?" frng mich dcr Wirth. »Was isi das?" „Mein Gott, eine dcr interessantesten Sachen in Frankreich, das Schloß, welches Franz dcr Erste für Diane von Poitiers erbauen licß, und das noch von Innen und Ausien großtcntheils so erhalten worden ist, wic sie es verlassen hat." Dieß war eine erfreuliche Nachricht. Ich bestellte sogleich Postpferdc, nnd nngcachtet es heftig regnete, und dcr Weg sehr schlecht war, erreichten wir in zwei Stunden das Parkthor von Chenonceaur, nach dcm eine Avenue alter Rüstern führt. Ich werde mich dem ehrlichen Wirth immer verpflichtet fühlen, mich anf diese Perle am Wege aufmerksam gemacht zu haben, von der mein stupides Itin^rinro äo Granes nicht 204 cm Wort sagt. Und besonders heute genosi ich diese I»onn« tu, nino doppelt, weil es mir gewissermaßen Chambord compltttirtc, indem ich hier noch, wcnn auch im kleinern Maßstabe, erhalten sah, was dort im größten längst zerstört wurde. Das Schlosi, in reizender Unregelmäßigkeit, höchst malerisch aufgeführt, besteht aus zwei, durch eine Mauer und Brücke vcrbundnen Gebäuden. Das Erstc, dessen Haupttheil durch einen vier-" eckigen weiten Thurm gebildet wird, der mit einem schonen gothischen Portal und der Devise Diancns von Poitiers geziert ist, dient als Thorhaus uud Wohnnug dcs Concierge mit seiner Familie. Ueber die erwähnte Zugbrücke gclangt man nun von hier in das Hauptgebäude, welches im Geschmack jener Zeit mit vielen Vorsprüngen uud Thürmen versehen, uud auf höchst seltsame Weise auf ciue breite Steindrucke von sechs Bogen quer über den Fluß Cher erbaut ist. Man sieht zuerst, in das Innere tretend, cine schmale mit alten Waffen bchangcuc Halle. Aus 205 dieser führte man uns in den Salon der jetzigen Besitzer, des Grafen Villcneuve und seiner Gemahlin, die mit der größten Artigkeit den fremden Besuchern alles der Aufmerksamkeit Werthe im Schlosse zu besichtigen erlauben nnd sich selbst heute zurückzogen, um uns nirgends zn hindern. Obgleich dieses Zimmer nicht Zn denen geHort, welchen man ihr ganzes früheres Gewand gelassen, so ist doch ein ähnlicher Charakter glücklich nachgeahmt worden. Die Mcnbles ans massivem Edenholz sind aus alter Zeit, nnd ein großer Schrank mit Scnlptnrcn gehört zn den kostbarsten Reliquien dieser Art. Die Wände sind mit den interessantesten Portraits geschmückt. Hier sehen wir znerst Christine von Schweden, knrz vor ihrem Tode in geistlicher Kleidung, in Rom gemalt, ein höchst ausdrucksvolles, von Leiden? schaft dnrchfnrchtcs nnd dennoch seltsam, ich möchte fast sagcn wie mit Schlangcnblick, anziehendes, leichcnblasses Gesicht. Die großen dunkeln Augen haben etwas Gcisicrartigcs. Noch 203 glüht aus ihucn in fieberhafter Eraltation die Liebe wie der Mord. Ein vortrefflich gemaltes großes Vild von der Hand cincs unbekannten Meisters stellt Chrisiiern den Zweiten dar; ein nordischer Held wie ans einem Roman Foucpu's, riesig, wild und furchtbar. Weiterhin erblickt man Frau von Scvign^, schon etwas corpulent in reifern Jahren, die das Vild ihrer schonen abcr ausdruckslosen Tochter dcm Beschauer vorhält. Ihre feinen Augen und eine gewisse Jovialität l!e lionn« eom^a^nio entsprechen genau der Vorsiellnng, die man sich nach ihrcu Briefen von ihr macht. Madame Dcshouli^rcs und Frau von Maintenon gaben mir keinen Stoss zu einer Bemerkung; die erste hatte etwas sehr Ovdiuaires, und die zweite war in der Bctschwesierpcriode gemalt, wo sie ganz hcbctirt erscheint. Der edlen, feinen und großen Physiognomie dcs l^aräinai clo I^l^lilm begegne ich nie, ohne lebhaft davon erregt zu werden. Wahrlich in 207 Lumpen würde dieser Mann noch imponirm, und als einer von denen erscheinen, wclchcn dcr licbc Gott selbst die vornehme Natur auf die Stirne geschrieben. Sehr anziehend war mir das bisher noch nic gesehene Portrait eines meiner Liebüngshelden aus dcr Zeit Ludwig des Vierzehnten (denn ich gcstche, daß ich dk'se Periode für eine grosie halte) des Herzogs von Vendume. Man sicht auf den ersten Blick in der ^i^üoo dieser kriegerischen Gestalt, in den freundlichen abcr bestimmten Zügen, dem stolzen und zugleich sybaritischcn Ansdruck des Mundes, und besonders in den kühnen, clwas zn freien braunen Augen, den Mann mit allen seinen Tugenden und Fehlern — den Mann des Entschlusses nnd der Indolenz, den 6,1'lmä sm^neui- s,Ät' exo<;llt:nco am Hofe und dcn pvpulairsien Helden der Armee, den gutmüthigsten Herrn seiner Diener, und das Schrecken dcr Feinde, den Mann voller Edel-mnth nnd dcn grobsinnlichcn Non^ von den rcla- 208 schirtcstcn Sitten. Es gibt viclc Leute, in dcncn auf solche Weise zwei ganz cutgegcugcsetztc Na-tnrcn Platz finden, nur habcn sic nicht immer Gelegenheit, mit demselben I^c^t im Guten wie im Schlimmen aufzutreten. Dem eben beschriebenen Salon gegenüber gelangt man min in den ganz historischen Theil des Schlosses. Die erste Piece ist dic Lilile «lo» ^ai-äcs Franz des Ersten, gleich der folgenden, sorgsam erhalten, wie sie zu seiner Zeit war. Man glaubt, in ein altes Bild hineinzusehen. Vor den Thüren hängen verschossene, gewirkte Teppiche. Eiue reich vergoldete Lcdcnapcte deckt die Wände, an denen vier Gemälde im mittel-alterigcn Styl hänge», welche kriegerische Scenen darstellen. Der Holz-Plafond ist in Himmelblau und Gold gemalt, ans dem Kamin, das fast bis an die Decke reicht, sieht eine vergoldete Büsie F anz dcs Ersten, und an mehreren Orten entdeckten wir wieder dm Salamander und das go< thisci'c I' mit der Königskrone und dem Strick «09 des heiligen Franziökns; und da, wo sich die beiden Enden dcs Strickes in einer Schleift vereinigen, sitzt hier cin nicdlicycr Liebesgott darauf. Bänke und einige wurmstichige Tische sind die einzigen Meudles. Das zweite Zimmer ist der Audicnzsaal. Hier ist der Plafond ungleich reicher und kunstvoll geschnitzt, der Voden Parket, die Tapete vou einem leinenen Stoff mit großen roth vcloutirten Blumen, und die Zwischcnraumc vergoldet, die Mcublcn gleichfalls aus vergoldetem Holz, theils mit Cramoisi-Seide, theils mit gleichfarbigem Sammt oder Tuche beschlagen, die Lehnen der Fautcuils abermals mit dem gestickten I' geziert, und in der Mitte des Zimmers sieht ein hoher Baldachin. Neben dicftm Saal ist eine Art Boudoir mit Voiscrie bekleidet, hellblauer Grund und gelbes Gatterwcrk darüber, die Mcubcl aus Ebenholz mit schwarzem Sammt und verschossenen goldenen Tressen. Hier sieht cin Trinkglas Franz des Ersten aus vcuetianischcm buntem Semilasso. II. 1H 310 Sternglast von großer Schönheit. Man hat auch cincn Stuhl und Toilettenspiegel in kostbarem Nahmen ans Schildkröte nnd getriebener Arbeit in Metall hier aufgestellt, die beide der unglücklichen Maria Stnart gchörtcn. Dnrch eine kleine Bibliothek, in der nur der äußerst kunstreiche Plafond alt ist, tritt man in Dianen von Poitiers Zimmer. Ihr ausgezeichnet schönes Bild in voller Figur hängt üder dem Kamin; ein reizendes Geschöpf, dic Taille einer Nymphe, freudig in kräftiger Fülle, wie die Göttin der Jugend, um sich blickend. Ihr gra-zicuscs Iagdcostümc ist hcutc fast wieder modern geworden. Höchst geschmackvoll sind besonders die Haare in Locken gescheitelt nnd aufgebunden, Vnstn und Schultern fast bloß, der Gürtel wie man ihn jetzt trägt, und die lieblichen Füßchcn in so nette Schuhe gehüllt, als sie der beste Pariser Schuhmacher vom Jahr 1834 nnr liefern könnte. Der schönen Diane gegenüber hängt wie bil? 211 kg dcr König, und außer dicscm sind noch mehr Portraits, zum Theil auch aus spaterer Zeit, hier vereinigt, ein Heinrich dcr Achte von Holbein, Ludwig dcr Eilftc, sehr charakteristisch, Heinrich dcr Vierte und Andere. Am auffallendsten war mir das lachende Satyrgcsicht des berühmten Rabelais, und der herrliche jugendliche Kopf des tapfer^ Gasion dc Foir, ein idcalisches französisches Nittcrantlitz. Ziemlich bürgerlich erschien mir dagegen dcr famose Ritter «»nz^eur et »an» roprollii«, auf seinem schwerfälligen Strcithcugsi. Die Mcubcl in diesem Zimmer sind von Nußbaumholz mit einzelner Vergoldung, Wände uud Stühle mit blauem Tuch beschlagen, uud Salamander uud I'', die der Konig uugc? mein geliebt haben muß, fehlen auch hier nicht. In eiucm kleinen Oratoirc darneben, dessen sich Heinrich dcr Vierte mit Gabricllc d'Estr^cs oft bedient haben soll, (denn das Schloß scheint von einer Maitressc auf die andere übergegangen zu seyn) befindet sich der Lctztcrn Bild, eine auf si« dem Leichnam des Königs genommene Gyps-maske, und cin eigenhändiger, in Nahmen gefaßter Brief desselben an einen gewissen Le Vatz, dcr unterschrieben ist: >,V.'cs sieht wie eine iranckn Oo^uino aus, wie sic I'glleinsnt 6« N^aux auch schildert, dcr behauptet, sie^habe dem König so viel Hörner aufgesetzt, als es Tage im Jahr gebe. Der gute König wußte es, schloß aber die Augen. Einmal erbot sich, ich erinnere mich nicht mehr, welcher seiner Hoflcute, ihn in der Nacht an ihr Vctt zu führen, wenn Bcllcgarde mit ihr schlafen würde. Dcr gute König nimmt es an, wie sie abcr an dcr Thür dcr Schlafstube angekommen sind, drcht er um und sagt: ,,^«n, Wenn Du diese Memoiren, die mir einen großen Charakter dcr Wahrheit an sich zu tragen scheinen, noch nicht gclcjcn hast, so empfehle ich sie Dir sehr. Vieles erscheint dort in einem 213 ganz neuen Lichte, namentlich Heinrich der Vierte. An einer Stelle sagt Tallemant von ihm: „,4u- cun Roi n'a eu plus de maitresses et ne les a plus mal scryies, car il n'etait pas grand abattcur dc bois, Aussi," fcljt cr fttllju, „čtait il toujours cociu Madame de Vcrneuil l'ap-pela un jour Capitaine Bonvouloir, ct une autrc fois: que lui prenait d'etre Roi, que sans cela on ne pourrait le soufTWr, et qu'il puait comrae charogne, Elle disait vrai, il avait les pieds et le gousset sin," feljtc cr fjin^U. Slber merfwjucbtger uod) ijl golgenbcS: Quelquc brave qu'il fut, quand on lui yenait dire ino-pinement: Voila les ennemis, il lui prenait toujours un espece de devounent, et tournant cela en plaisanterie, il disait: Jc m'en vais me faire propre pour cux. II ttait larron naturellement, et ne pouvait s'empucher de prendre ce qu'il trouyait, mais le renvoyait, II disait lui meme, que s'il n'eut ete Roi, il eut ete pendu, II ayait beaucoup moins de 214 dignite que Henri III* Vollä pourquoi Madame de Simier dit, quand elle le vit pour la premiere fois: J'ai vuc 1c Roi, mais je n'ai pas vue Sa Majestc, Ich glaube, die Geschichte ist oft ebcn so cine wächserne Nase als die Justiz. Auch ciue Büste der sanften Agnes Sorcl sieht hier, nnd lächelt wie ein holder Engel mit niedergeschlagenen Angcn. Auf einer ziemlich engen Stcintrcppc mit bunten Glasfenstern steigt man in den zweiten Stock hinanf, wo sich znerst dic «aNo «le^ ^ai--äe« cltl <^iUll«i'in« cls Nollici« darbietet, wclchc der untern fast gleich ist. Ucdcrall hängen Teppiche, deren Farben mitunter noch ziemlich frisch sind, vor den Thüren, eine sehr zweckmäßige Mode jener Zeit. Catharincns Schlafzimmer mit prächtigem Plafond, braun und silberner Tapete, einem sei? denen Himmelbett nnd kostbaren Mcublcn ist das reichste dieser alten Zimmer. Ich bemerkte 215 cinc vergoldete ollniso lonxus, die mir bequemer wie unsere heutigen vorkam. Ucbrigens hat man die unglückselige Idee gehabt, in diesem 8ano-tuiiiro des Alterthums mehrere Familien-Portraits der Madame Dupin, früheren Besitzerin dieses Schlosses, aufzuhängen. Vci dem zahmen Papagai, der dieser Dame aus der Hand frisit, beschwöre ich die jetzigen Eigenthümer, diesen Familicnschätzen einen andern Platz anzuweisen l Man zeigt noch ein Schlafzimmer Diancns, das aber anster ihrem seidenen Originalbctt, bei dem man seinen Gedanken Audienz geben kann, nicht viel Vemcrkenswcrthcs enthält. In einer langen Galerie, welche sie später dem Schlosse anbauen ließ, befinden sich noch viele historische Portraits, doch mcistens ohne Werth. Ludwig der Fünfzehnte hat cincn Theil dieser Galerie zu einem kleinen sehr mcsquinen Theater umformen lassen, wclchcs jedoch zu einer gewissen Cclcbrität gelangt ist, da hicr der clovin lw vM.-^o zuerst, und von Ronsscan selbst, aufgeführt wurde. 216 Ein großer etwas vcmachlaßigtcr Park, in dem sich cm Gestüt befindet, umgibt das Schloß; der Regen verhinderte uns, ihn mehr als flüchtig zu betrachten, einige seiner Waldparticcn bieten aber für die Aussicht von den Zimmern sehr hübsche Pnnktc. Als wir wieder in Amboise ankamen, fanden wir das Pferd meines Gefährten nicht hinlänglich gefüttert und besorgt, so daß wir noch zn cincr halben Stunde Aufenthalt daselbst genöthigt wurden. Wahrend dieser Zeit war ich zufälliger Zeuge cincr Unterredung des Schcnkwirthcs mit einem Handwerker, der dem Ersten die bescheidene Equipage, dic ihn hergebracht, verkaufen wollte. Die diplomatische Artigkeit und Gewandtheit, mit der diese beiden gemeinen Leute in ihren Blousen verhandelten, die Schlauheit, mit der sie zu Werke gingen, um sich gegenseitig den Vortheil abzugewinnen, und dcr sichere Aplomb, mit dem Mr ohne Zögern wußte, was er zu sagen hatte. 217 waren mir so merkwürdig, daß ich ihnen vom Anfang bis zu Ende mit dc:n größten Interesse zuhört. Zwei deutsche Gesandte, die um den Kauf einer Provinz, oder einiger hundert Seelen gehandelt hatten, würden es nicht besser und kaum mit so gewinnenden Redensarten bewerkstelligt haben — und dennoch wäre eine Wette einzugehen gewesen, daß. meine beiden Negocmtcnrs nur sehr unvollkommen schreiben und lesen können. Aber so ist es hier. In der allgemeinen Verbreitung wissenschaftlicher Bildung sieht in den niedrigen Standen der Franzose dem Deutschen un-gcmcin nach; in gesellschaftlicher dagegcu, in Lcbcns-Erzichnng ist er ihm so überlegen, daß er darin oft selbst unsere höheren Stände erreicht, wo nicht gar übertrifft. Erst spät in der Nacht kamen wir in Tours an, wo ich im Fasan zn meinem Schaden erfuhr, daß mein Bedienter keinen Platz auf der Diligence habe finden können, und erst übcrmor- 218 gen hier ankommen werde. Da ich nun nicht das Mindeste mit mir hatte, als was ich auf meinem Lcibc trug, und nur in Romanen — wo cm rüstiger Held, wenn cr etwas anders zn thun hat, sich weder wäscht, noch schläft, noch ißt — allc LebensbequcmUchkcttcn entbehrt wer-den können, so befand ich mich die ganze Zeit dicscs gezwungenen Naturzustandes übcr sehr mal In meiner üblen Laune blieb ich fast den ganzen Tag im Bett liegen und las Zeitungen nebst den ^»rolc« ä'un cio^nnt vom Abbä La Mennais. U<^bcr dicscs Buch ärgerte ich mich noch mehr. Nie ist wohl ein heterogeneres Ragout von Philosophie uud Mysticismus, von rcvolutionaircm und monarchischem Unsinn, von St. Simonismus und Odscurantismus — Alles in eine Sauce prophetischer Insolenz getunkt, und mit einigen Brocken unseres Herrn Christus assaisouirt, zufammcngckocht worden. Daß ein so albernes Machwerk sechs Editionen hat erle- 219 bcn können, isi cin wahrhaft trauriges Ercigniß. Arme Zeit! dic an einem solchcn Strohhalm sich vor dcm Ertrinken zu retten hoffr. Abcr, um mit La Mennais zu reden: Blickt um Euch! Seht wie dic Zeiten dcs Thurmbaucs zu Vabel wicdcrgckchrt sind. Schon hat dic Verwirrung dcr Sprachen, wie dic dcr Köpfe begonnen, und was wir während dcs Tages bauen, fällt über Nacht wieder ciu. Wahrlich, ich sage Euch, die zwcitc Sündfluth isi wiedcr n^he, und der crsie Donner dcs letzten Tages wird am Firmamente zu rollen beginnen, wenn kein Mensch mehr den andern versieht! Ich eilte, mir dcn vom Pfaffen verdorbenen Magen durch Walter Scotts gesunde Hansmannskost für Kranke wieder herzustellen und wählte dcn Qucntin Durward, der hier classischen Vodcn findet; denn Ludwigs Schloß I'Ie««^ I«5 toni'» liegt nur cinc halbe Stunde von dcr Stadt entfernt im flachen Felde. Dcn Tag darauf bcsuchtc ich cs. Auch dic« 220 scs Monument französischer Geschichte hat erst dcr Vandalismus neuerer Zeit zerstört, und ein großer Thcil dcr alten Mauern wurdc nicht später als in diesem letzten Winter niedergerissen. Nur wenig isi übrig, aber das Wenige so fest noch dcr Zeit trotzend, als wäre cs crsi gcsicrn fertig geworden. Dic tiefen Graben sind sämmt? lich zugcfüllt, und das Ganzc isi längsi in eine Meierei von ziemlich dürftiger ^ppnion^o um? geschaffen worden. In einer der Hütten, die auf dem alten Grnndwcrk aus den abgebrochenen Steinen wieder aufgeführt worden sind, leben jetzt zwei bejahrte Englander, von denen der Eine, tand und kein Wort französisch verstehend, dcr besondere Gegenstand dcr Pflegc des Andern zu seyn scheint. Sie sind schon seit einigen Jähren hier, haben keine Bekanntschaften, sehen Niemand bei sich, sprechen nur das Unumgängliche, und lcbcn meist hinter verschlossenen Thüren. Welch sonderbares Schicksal mag cs wohl seyn, das dicse Sonderlinge hichcr verschlagen hat! 221 Auf dem Rückweg bcsah ich die Carhc'oralc, deren Facade cine große Mannigfaltigkeit darbietet, obgleich sie nicht ganz aus der besten Zeit ist, und namentlich die Kuppeln der Thürme schon die Spur des cinreißcndcn schlechten Geschmackes tragen. Das Innere ist imposant, und schimmernd von einer großen Anzahl, theils altconservirtcr, theils neu, mit verschiedenem Glücke, nachgeahmter Glasmalereien. Von dem Alten sind die beiden großen Rosetten des Kreuzes,'die in dem hellen Sonnenschein, in prismatischer Farbcnharmomc, gleich tanscnd Edelsteinen funkelten, das Schönste; von dem Neueren war eine Snpcrportc mit großen Blumen auf schwarzem Grunde von wunderbarem Effect und origineller Erfindung. Ich sollte in Tours einige Personen aufsuchen, an die ich von Paris aus empfohlen war, bin aber durch meine nomadische Neiseart jetzt so in die 8miv^"'o hineingcratlM, daß ich mit der Gesellschaft nichts zu thun haben will. Ich zog 322 dahcr vor, ein Pferd zu miethen, um damit einen Tag lang in der Gegend umhcrzureiten, und nahm mcincn Weg über die berühmte grosie Brücke, welche allerdings sehr lang, fthr hoch und sehr breit isi, eine schone Aussicht hat, und also ihren Ruf vollkommen verdient. Doch isi es sehr Schade, daß man das ihr gegenüberliegende mit Landhäusern bedeckte Cotcan mit großen Kosten zu Anlegung einer Straße durchschnitten hat, die sich in der Richtung der Brücke verlängert, und als point 60 vuo ein kleines Tclegraphcnhaus präsentirt. Hicdurch hat man das Malerische der Landschaft nach dieser Haupt-scitc gänzlich vernichtet, und ihr das Ansehen einer schlechten Theatcrpcrspcctive gegeben. Ich wandte mich nun rechts, stromaufwärts an der Loire hin. Dieser Weg isi anmuthig. Nach der Landseite erheben sich steile Kalkfelsen, in denen man mit Ucbcrraschnng überall Fenster erblickt, aus welchen, gleich Erdgeistern, zerlumpte Figuren herausschauen. Es sind arme 223 Leute, die, cine nenc Arc Troglodytcn, hier in Steinhöhlcn leben, welche von den Eigenthümern für 5 bis 10 Franken jährlich vcrmicthct wcr-dcn. Oben entdeckt man die Schornsteine, wie sie, mitten aus den Dornen und dem Genisic, das die Felsen bedeckt, lustig ihre Nauchsanlen gen Himmel wirbeln. Dichte Weinfclder, mit Nußbänmcn eingefaßt, dehnen sich am Fuß dieser Kalkwände hin, und hie und da zeigt sich eine kleine gothische Kirche, ein modernes Chateau, die Ruine einer Avtei odcr eine alterthümliche Meierei hinter dcn Reben. Die Loire bildet hier verschiedene Inseln, oft mit Schwarzpappeln und Weiden dicht bewachsen, oft aber auch nur aus kahlem Sand bestehend, welches keinen angenehmen Eindruck macht. In einer üppigen und frischen Gegend schadet ein solcher Contrast nicht, aber die hiesige hat dnrchaus nicht diesen Charakter. Es ist etwas Düsteres, Mageres, ich möchte sagen Greisenhaftes darüber gebreitet, wie über einen großen Theil von Frankreich, was 224 mir einen langer« Aufenthalt hier sehr unangenehm machen würde. Die freundliche, reinliche Nettigkeit Süddcntschlands, die elegante Sauberkeit Englands vermißt man überall, und kein Himmel Italiens oder der Provence mit seiner klaren Atmosphäre und seinen violetten Bergen entschädigt noch dafür. Vci allcdem sieht man es diesem Lande jederzeit an, daß es eine gar alte Geschichte hat, und viel in der Jahrhunderte Lauf erlebt! Frankreich kommt mir, wenn ich seine waldcntblößten Fluren, seine unabsehbaren Felder, seine zerstörten Schldsscr, ftine vcrnachlaßigtcn und schmutzigen Dörfer und Städte betrachte (besonders bci der jetzigen Dürre und dem grauen Himmel), wic ein zurückgekommener alter Edelmann vor, der gcrn wieder jnng werden mochte, und wenig Werth mehr auf das Vergangene legt. Deutschland ist nur ein Parvcnüe dagegen, und cm Jüngling dazn, weil es, vielleicht mit größerer Lebenskraft begabt, dennoch nicht halb so schnell gelebt hat. 225 Es ist daher wahrscheinlich, daß cs auch noch mehr Zukunft zu erwarten haben wird. Obgleich ich eben geäußert, daß noch kein italiänischer Himmel hier glänzt, so ist doch das Clima schon bedeutend milder. Monatrosen blühen den Winter hindnrch, die Cypressc erfriert nicht, und bci cincr Villa bemerkte ich cinc schone Allee hoher Catapla's, die bci uns nur große Sträuche? bleiben. Man hatte mir einen, drei Licucs von Tours entfernten, Park in dem Dorfe Vcrnour sehr gerühmt, den ich neugierig zu sehen war. Das Locale fand ich vorthcilhaft, an Materialien fehlte cs nicht; Felsen, Wald, Wasser, Hügel, Wiesen, Alles war vorhanden — aber nur der Geist hatte gefehlt, ein Ganzes daraus zu machen, und ich bin überzeugt, die einzelnen Pfuschereien haben die Natur hier mehr verdorben, als sie verschönert. Noch sah ich in Frankreich cine ähnliche Aufgabe im Großen nirgends mit Glück gelöst. Ich wollte in dem Wirthshaus des anschnli- Scmilasso. >l. 15 32« chcn Dorfes zu Mittag essen, fand aber daselbst nichts vor. als ranzige Butter, schwarzes Salz, schlechten Wein und nur gutes Brod, das überall gut isi. Der Landmann lcdt fthr clend in Frankreich, und sein trüber, saurer Wein ist wahrlich keiu Vorzug vor den Ländern, wo man gutes Vier trinkt, gescdwcige denn Nhciu-, Mosel- und selbst Ncckarwcin; denn so vortrefflich die feinen französischen Weine sind, sv erbärmlich sind die Landwciuc, so weit meinc Erfahrung wenigstens reicht. In eben solchem Elend als diese Wirthslcutc fand ich auch auf meinem Rückweg die Bewohnerinnen eines alten, von der Herrschaft nie besuchten Schlosses, dessen Felsen terra ssc mich hinauf lockte. Es waren drei Weiber, die zugleich drei Generationen rcpräsentirtcn, Großmutter, Mutter und Tochter. Ich scherzte mit ihnen, und versicherte, es liege ein Schatz in den Kellern des alten Raubncstes vergraben, den wir heben könnten, wenn sie Muth hätten. Im Anfang lach- 227 ten sie und antworteten mit Späßen. Zuletzr aber, als ich crnsi blieb, nnd eifrig sie zu der Sache bereden zu wollen schien, wurde der Glaube in ihncn mächtig. Beharrlichkeit besiegt Alles. Ich versprach zur genaueren Feststellung unseres Planes wieder zu kommen, und nahm Abschied. Als ich nun aufs Pfad stieg, bat mich die Mutter um ein kleines Trinkgeld. „Sehr gern, Kinder," sagte ich, und hiclt ihnen ein Vierzig-soussiück hin, „aber nehmt Ihr jetzt dies Geld von mir, so könnt Ihr nimmermehr den Schatz heben." Von dem Augenblick an mochte Kciuc mehr die Hand darnach ansstrecken. Eben so, dachte ich bei mir, ist Jahrhunderte lang cinc halbe Welt betrogen worden. Sie hat das irdische Glück ausgeschlagcn, um einen imaginaircn Schatz im Himmel zu finden, und am schlimmsten ist sie jetzt daran, wo sie weder das Eine hat, noch mehr an dus Andere glaubt. Du, lieber K., gehörst nicht in diese Katc- 15'" 228 goric. Du hast Dein Glück im rcin Menschlichen gesucht und gefunden, und kannst ruhig erwarten, wie es mit dem Schatze jenseits beschaffen seyn mag. Der Himmel erhalte Dich, wie Du bist, und schenke uns Vcidcn seinen Frieden. Dein aufrichtiger Freund H. S. 229 Zehnter Rriet. A.n den Herrn Graten von S Vordeaur, dm lyx« October l83^. Lieber Mar! Als ich Euch verliest, gab ich das Versprechen: bald diesem, bald jcncm meiner Verwandten nnd Freunde cin Fragment meiner Begebenheiten in der Fremde mitzutheilen, so daß, thätet Ihr einmal meine Briefe znsammcn, eine förmliche Rciftbeschreibung daraus hervorging!.'. Da ich nun, vcrchrtcstcr Bruder, Niemanden kcnnc, dcr, 230 nach mir, guten Vor'oeaur-Wein hdhcr zu schätzen, noch frömmer zu genießen wüsite, als Du, so 'soll auch der einzige Brief, dcn ich aus Bor-dcaur schreibe, nur Dir allein gewidmet seyn; und um im Voraus mich zu versichern, daß er Dir nicht Zu trocken vorkomme, lasse ich ihn durch zwei Dutzend Vouleillen verschied ncr eckantlilon« des erwähnten Nektars begleiten, das Vesic, was ich mir hier zu verschaffen im Stande war, und was Dich mit Nccht cut-zücken wird. Vor drei Tagen verließ ich Tours bei einbrechender Nacht, ganz gut im Foud der Diligence posiirt. Fünf bis sechs l'omi^i« vo^^eur, und ein hübsches Mädchen, nebst einem In«^oc-teur anx äil^encc!«, füllten außer mir, meinem Diener und einigen alten Weibern in der Notondc so ziemlich die geräumige Arche. Der Eine der Commis (diese fahrenden Ritter und Wegelagerer unserer Zeit, in Frankreich besonders eine ganz eigenthümliche, originelle, im 33! Uebrigcn abcr, wcnn man nicht zu ihren Kunden gehört, ziemlich inoffensive Race) war sieben Jahr in Indien gewesen, und genoß dcmun-geachtet einer sehr blühenden Gesnndheit, was er dem einzigen Umstände zuschrieb: nie andere Spirituosa als Wein mit Wasser gemischt getrunken zu haben. Denn weder in der Liebe, noch in den Vergnügungen der Tafel, versicherte cr, sich das Geringsie versagt zu haben. Er erzählte manche nicht uninteressante Details seiner dortigen Liebschaften und Saujagden, beide sehr verschieden von den nnserigen — und die letzteren, nach ihm, weit gefährlicher als selbst die Jagd des Tigers. Man verfolgt nämlich den Eber zu Pferde, mit feinen, sehr spitzen Spießen bewaffnet, mit welchen man ihn im Laufe zu durchstoßen und förmlich an die Erde zu nageln trachtet. Im Augenblick des Stoßes mnß man abcr auch bedacht seyn, sein Pferd zn wenden, um im Fall des Nichtgclingcns dem Eber, der äußerst schnell ist, zu entfliehen. Fast immer 332 werden, wenn dics Manöver mißlingt, mehrere Pferde und oft auch ihre Rcittr verwundet, ja gctddtet. Die Nacht hatte ihre Fittige über uns ausgebreitet, als wir 1^.05 Oi-moz passirtcn, wo Descartes zuerst das Licht der Wclt erblickte, dem er selbst nachher eine Leuchte zu wcrdcn bestimmt war. In Chatellcranlt, das mit Recht wegen seiner Messer und noch mehr wegen der unverschämten Zudringlichkeit der Weiber berühmt ist, die sie vcrkanfcn — weckte mich ein solches Ungcthüm mehrmals aus dem sanftesten Schlafe, und zwang mich am Ende, indcm sie mir fast Gewalt anthat, ein Dolchmefser, wofür sie zwölf Franken forderte, für fünf, die ich ihr unvorsichtig geboten, zu behalten. In Poitiers, dem Geburtsort der schönen Diane, das übcrdcm einige römische Alterthümer, und in geringer Entfernung einen großen Drui-dcnsicin als Merkwürdigkeiten ausweist, der jedoch denen von Stonchcugc nicht gleichkommt, hat 233 man im vorigen Jahrhundert auf dcn alten, auf Quadern erbauten und schön vcrzicrtcn gothischen Festungswerken, eine prachtvolle Promenade angelegt. Unbegreisiicherwcise aber siud sämmtliche Lindenalleen, die sie zieren, um sie jeden Schattens künstlich zu berauben, schmal en ^ven-wil verschnitten. Wenu cs gute Patrioten in Poitiers gibt, die sich, siatt um die Politik Europa's, um dcn Nutzen ihrer Stadr bekümmern, so sollten sie doch dem Prafecten eine Supplik einreichen, solchem Unsinn zu steuern. Dicht hinter Poitiers begegneten wir einer Hcerde Schweine, die von sechs Lenten zn Pferd getrieben wurde. Sie hielten cbcn 'au einer Schenke an, wo das Mädchen dem Einen, der mit ihr scherzte, ein Glas Branntwein einschenkte. Das altcrthümlichc Cosiüme dieser Leute im 5li8^n. ««rp«, Mantel und ungeheuren Stiefeln, ihr ganzer ungewöhnlicher Iiadiw», das Ansehen und Harnaschcmcnt ihrer Pferde, dic Beleuchtung mit der charakteristischen Grnppc an der Schenke, 234 gaben cincn so vollkommenen Nnysdael ab, daß man hicr die Wirklichkeit der Nachahmung hättc zeihen mögen. Es war das crsic lebende Tableau, das ich in meinem Leben gesehen habe. Angouli)me, auf der carlo ^i,8tr0,l0mi<^uL c!6 franco mit einer Pastete bezciä)net, liegt malerisch an cincn Hügel gelehnt, und es ist beinahe der crsie, den man seit Paris ersteigt. Sonst bietet die ganze Tour bis Bordeaux wenig Anziehendes, und die Gasthbfc fand ich dnrchgchcnds eben so schmutzig als schlecht. Sobald man indessen die Dordognc, breit wie der Nhein bei Mainz, auf cincr immensen Fähre pasfirt hat, die gleich den Diligcncen mit einer mö^üiiljno versehen ist, betritt man ein üppigeres Land. Der erste Anblick von Vordeanr ist wahrhaft grandios, und geHort mir denen von Neapel und Dublin zu den schönsten Städte-ansichten, die ich lcnne. Auf einer vortrefflichen Chanssee den Berg hinabrollcnd sieht man unerwartet ein uncrmesi- 335 lichcs Thal vor sich, sanft gegen den Horizont ansteigend, und dicht mit Wcinfcldcrn, schönen Vaumgruppcn und Landhäusern bedeckt, ohne dasi dnrch dcn kleinsten kahlcn Fleck diese blühende Ländschaft gestört würde. Link's und rechts der Chaussee zieht sich cinc bewaldete Hügelkette hin, die verschiedene Schlösser uud Capellm kronen, und ungcfalsi' cinc Viertelstunde von ihrem Fuß entfernt, strömt mitten durch das Thal majestätisch die Garonne, an deren jenseitigem Ufer sich nnn der prachtvolle, wohl eine deutsche Meile lange Halbkreis der belebten Handelsstadt ausbreitet. Der größte Theil ihrer Gebäude ist alt, in einfachem und edlem Styl mit flachen, italiänischen Dächern erbaut, und die hie und da dazwischen sich zeigenden Paläste sind weislich in ähnlichem Charakter gehalten. Ueber sic aber erheben sich, im ncblichen, von Kohlendampf geschwängerten, Hintergründe die ehrwürdigen Monumente ältester Zeit, welche Vordcaur noch reichlich auszuweisen hat: das sogenannte Chateau 836 kallsi,, ein ehemaliges römisches Amphitheater, der vom Blitz geköpfte Thurm von St. Michel, der sonst den Schiffern als Signal diente, auf dem jetzt aber der gehcimnißvollc Telegraph seine magischen Spinncnfüße ausstreckt ( seit Monden von Spanien in steter Arbeit erhalten), dic zierlichen beiden I'iLcKe» der Cathcdralc, deren gothische Zierrathcn in der Ferne wie Hieroglyphen auf Obelisken erscheinen, die nraltc Kirche «I« 8t. Oroix, und der halb zerstörte Thurm von St.Andrö. Tausend Schiffe mit bunten Wimpeln im Winde flatternd, und eine der herrlichsten Brücken, die, von Napoleon erbaut, in 17 Bogen über den Fluß führt, wo sie durch eine An Triumphbogen geschlossen wird — vollenden das glänzende Gemälde. So liebe ich Wcmlandcr! die Ebne wie ein reichgcwirkter Tcppich mit Blattern und Trauben durchwcbt, die colossale Stadt von ihnen rings umfaßt, der breite Silberstrom hindurch sich windend, und die Hügel mit Wald und Schlds- 237 strn bcdcckt. Ist cs umgekehrt, ich meine der Wald im Thal und der Wcin an dcn Hügeln, so wird eine Gegend immer ihren Hanptschmuck, Ueppigkeit und Frische verlieren; denn Weinberge, die nicht vielfach mit Gcbüschmassen abwechseln, bleiben immer öde und unmalerisch. Auch das Innere der Stadt ist voll interessanter Details, schöner Plätze und Straßen, doch ctwas schmntzig gleich allen Städten Frankreichs. Im Küwi äo ünuon fand ich cincn guten Gasihof und so vortrefflichen Wcin, daß ich ihm zu Ehren fast Lnst hatte, unsern deutschen Landsman» in Moutcsiascouc nachzuahmen. Obgleich ich zwei Nächte in dcr Diligence zugebracht hatte, fühlte ich mich nicht im Geringsten ermüdet, und begann daher sogleich nach dem Frühstück meine wurn^o. Die erste und größte Merkwürdigkeit dcr Stadt war für mich das Cavcau im Thnrmc St. Michel, wo einige achtzig Leichname rund an dcn Wänden aufgestellt sind, welche die un- 238 gemeine Trockenheit und Wärme dieses Gewölbes am Vcrwcstn gehindert und ausgetrocknet hat. Es sind also mit Haut überzogene Skelette. Das höchst Seltsame an ihnen aber ist der lebendige Allsdruck, der sich in diesen bloß noch bc, häuteten Todtentöpfcn und Gerippen auf eine wundersame Weise so sprechend erhalten hat, daß man fast bei jedem noch deutlich die Empfindungen, welche ihn im Sterben bewegt, in allen Nuancen zu erkennen glaubt. Nie habe ich z. V. ein Bild furchtbarerer Verzweiflung gesehcn, uud Maler wie Bildhauer sollten es eifrig siudircn, als das Ekelet eines jungen Mannes, dcr lebendig begraben wurde. Es ist cinc gräßliche Erscheinung! alle Züge in schauderhaftem Wahnsinn verzerrt, Finger und Zehen theils wie im Krampfc zusammengeballt, theils wie Krallen gekrümmt, um in rasender Wuth die eigenen Glieder zu zerfleischen. Gleich neben diesem Unseligen schläft cin holder Knabe, so ruhig wie cin Engel im Himmel, der von 239 der Erde Leiden ausruht. Er ist an die Brust sciucr Mutter gesunken, die sich noch heute wie vor mehr als hundert Jahren, wo beide hier an einer Art Pest starben, liebend und ergeben, mit der zärtlichsten Sorge über ihn beugt, uud sci? neu Schlaf ängstlich zu bclanschcn scheint. Weiterhin sieht, aufrecht au der Wand, noch stolz und fest wie im Leben, ein tapferer General, einst a» se moquer des viellards, et je vous assure, que dans ma jcuncsse je maniais une verge, qui vous aurait fait peur." Das Vestc war ein großer diplomatischer Streit, in den er über seine Gemahlin verwickelt wurde, wclche man, wenn ich mich recht cmmcre. 247 nicht bei Hofe sehen wollte, weil sie von gemeiner Herkunft und früher die Maitrcssc des princip« äeNa pnoe gewesen war, (welchem Umstand übrigens, wie dic böscn Zungen behaupteten, der Chevalier hauptsächlich seinen Posten verdankte). Er schrieb darüber eine Note, worin er erklärte: qu'il ne pouvait pas subir cet affront, car, disait il, ma femme, comme la femme d'un Ministre d'Espagne est une femme publiqut*, et doit par consequent etre consideree au-tant quo moi U. f. \x>t Meiner Spanierin vom Thurme folgend, dic, wic es schien, gleich mir die Merkwürdigkeiten der Stadt abzuthun beflissen war, gelangte ich in das Palais royal, wo sich eine Bildergalerie dcsindct. Sie besitzt einige gmc Sachen, unter andern zwei schone Gemälde von Titian und eine reizende, schlafende Venus vou Corrcggio. Die Letztere hat leider sehr durch ungeschickte Restauration gelitten. Unmöglich kann man den ad«n-sau des Schlafes in jedem Glied des Körpers 24s besser ausgedrückt und in lieblicherer Form dargestellt sehen. Die tiefste Erschöpfung muß diesem Schlaf vorhergegangen seyn, denn selbst kein Traum findet hier wehr Raum, und man möchte ihr einen Kuß rauben, sicher, daß sic nicht davon erwachen würde. Die modernen Gemälde, deren es eine große Anzahl gibt, sind meistens horribcl, und gemeine Wachsfiguren Kunstwerke dagegen. Ich beschloß mciuc wui^o nach flüchtiger Besichtigung der markantesten Plätze und Promenaden, die zum Theil mit Statuen im Kadit Iiakill^ und Haarbcutel geziert sind, mit einem dcr Stadt große Ehre machenden Monument, dem Hospital. Ich glaube, daß es wenige gibt, die ihm gleich kommen. Schon dcr Plan des Gebäudes ist eben so großartig als im höchsten Grade zweckmäßig. Die Mitte bildet ein weites Quarr«, ringsum mit bedeckten Arcaden durch zwei Etagen umgeben, die den Kranken bei jedem Wetter als die luftigsten und bequemsten Promenaden dienen. Von diesem O.uarr<5 laufen 249 nach außen sirahlenwcise die Krankensalc aus, von dcucn jeder cin einzelnes Gebäude formirt. Der Raum zwischen ihnen ist theils zu Höfen, thcils zu freundlichen Garten benutzt, mit Vcr-«anr, Weinlanbcn, Vlumcnpartcrrcs u. s. w. Das Ganze faßt über vierhundert eiserne Betten, und der Dienst wird, außcr den Aerzten, von cincr großen Anzahl der in Frankreich so verdienten »0t:ur8 cls clial-ll« verrichtet. Das Vcwundcruswcrthcstc war mir die Reinlichkeit und Frische, die durchgängig hier in einem Grade herrschte, der fast übersteigt, was ich unter solchen Umstanden sür möglich zn erreichen gehalten hatte, und doppelt auffallend mit dem Schmutz und den vielfachen üblen Gerüchen con-trasiin, die in den meisten Piivathansern und auf allen Straßen angetroffen werden. Besonders ist dies in der Gegend des Hafens der Fall, wo die Luft oft wahrhaft verpestet erscheint. In der Küche konnte man sich in jeder Casserole spiegeln, die Apotheke, das Laboratorium 250 waren mit englischer Eleganz aufgeputzt, und selbst das Waschhaus machte einen angenehmen Eindruck von Ordnung und Nettigkeit. Dic Schwestern schienen atle in ihrem Sonntagsstaat zu seyn, und in den Krankcnsalcu, obgleich sie stark besetzt waren (jeder am Ende mit ciucm geschmückten Altar versehen), kam mir auch nicht der leiseste ekelerregende Gegenstand vor. Wo dergleichen vorhanden seyn mochte, waren sicts die Vorhänge dicht vorgezogen, und überall die Luft so rein wie unter freiem Himmel. Gleiche Vollkommenheit erreichen unsre deutschen Etablissements dieser Art bci Weitem noch nicht. Den Abend brachte ich im liiere äe» va-riöt^» zu, wo ein Elephant dic Hauptrolle, und zwar zum Erstaunen gut spielte. Ohne Führer kam und ging er mit dem Stichwort, setzte sich im Pallast des grausamen Fürsten, der ihn geraubt, zu Tisch, um seiner Hoheit Mittagsmahl zu verzehren, gab sehr zierlich die Teller ab, wenn er sie geleert, klingelte ungeduldig, wcun 251 die neue Schüssel zu kommen zögerte, entführte einc Damc, baute ihr in der Wüste cine Laube, kurz agirte so menschlich als möglich. Desto schlechter spielten die Andern, und die Albernheit des Stückes P3553it 1a ^i'nilLLion. In dcn folgenden Tagen besuchte ich anch das große Theater zweimal, und will, um nicht wieder darauf zurück zu kommen, hier gleich meinen Bericht darüber abstatten. Das Haus ist eines der schönsten in Frankreich; besonders die Treppe, in dcn meisten Theatern so vernachlässigt, ist wahrhaft prächtig zu nennen, und der Eingang zu dcn Logen überall frei und geräumig. Die innere Decoration, welche eine ringsnm laufende Colonnade bildet, hat etwas Originelles; was sich aber bei Licht übcl und fade ausnimmt, ist die blaßblaue Grundfarbe aller Logen. Ein andrer Mißstand ist, daß man nicht gut hört. Man gab dcu Barbiere von Rossini nicht sehr gut, aber immer wcit besser, als ich erwartete; Dccorationcn und Costumes standen 252 denen der komischen Opcr in Paris wenig nach. Sonderbar war cs, dasi, obgleich alle Mitspielende in alter spanischer Tracht erschienen, in der Scene, wo Graf Almaviva als Soldat verkleidet erscheint, er cinc moderne französische Dragoner-Uniform trug. Dies wird überall ohne Sinn Paris sclavisch nachgeahmt. Lobcnswcrth fand ich es dagegen, daß hier in den Zwischcnactcn wenigstens ein Diener in Livree die Vühnc außerhalb des Vorhangs kehrte, was in den meisten Pariser Theatern gewöhnlich ein Commissionaire in Hemdärmeln verrichtet. Dem Ganzen hangt indeß doch einiger Charakter des Kleinstädtischen an, wie denn überhaupt das Provinzielle in jedcr, auch der größten Stadt dieses Landes so ansgc-pragt ist, daß wohl noch lange Zeit Paris das eigentliche Frankreich bleiben wird. Als ich um 11 Uhr nach Hanse ging, waren die Straßen bereits öde und still wie auf einem Kirchhofe. Vci meinem zweiten Vesnch dieses Theaters begann das Schauspiel mit einer kleinen Operette, 253 in welcher der Vassist bei jeder etwas schwierigen Musil'sicllc dcn Mund schief bis an das eine Ohr verzog, eine Grimasse, die unglaublich lächerlich wirkte. Man sicht daraus, wie schr man sich beim Singcnlcrncn vor dergleichen Unarten in Acht nehmen muß, dcnn es ist in der That nöthig, nicht blos für die Ohren, sondern anch für die Augen zu singen. Nach der Operette gab man ein historisches Spcctakclstück in zwölf Tableaux, die Kämpfe zwischen dcn Armagnacs und Burgundern unter Carl dem Sechsten dar, stellend. Der Autor hatte sein Möglichstes gethan. Es ward auf dem Theater gefoltert, hingerichtet, gemordet, vom Profos geprügelt, was nur das Herz verlangen mochte. Dabei waren indeß einige Dccorationcn schr hübsch, und viele Costume wundervoll, ja das ganze Bild jener wilden Zeiten manchmal crrcgsam genng vorgeführt. Wie viel zahmer ist doch unser liebes Jahrhundert dagegen! Damals vergiftete man die Hostie und mcuchclmordctc am Altar, heute 234 hat cs (wie ich erst gestern in dcr Zeitung las) die Aufklärung und Tugend schon so weit gebracht, daß cm Mäßigkcitsvcrcin in Amerika scinc Mitglieder vermochte, das Abendmahl, siatt nut Wein, mit Buttcrmilch und Limonade zu sich zu nehmen. Jetzt begleite mich aufs Land. Ich hattc mir ciuen Tilbnry gemiethet, um nach dcm, vier Licues entfernten, Schlöffe des Herrn Varon von Montesquieu zu fahren. Die elende ro85o "), die man nur gegeben, und dic fortwährend angetrieben werden musite, um nicht ganz stehen zu bleiben, machte die Fahrt etwas langweilig, welche üdcrdcm fast ununterbrochen zwischen Mauern durch Weingärten führte, ohne eine andere Abwechselung zu gewähren als später cincn Kicferwald. ') Ä^oher kömmt die Benennung rn»»!?? Ich glaube, die Franzosen dehnten ihre ehemalige Verachtung aller Fremden, und namentlich dcr Deutschen, auch auf deutsche 2,hicre aus und nannten daher ein elendes Pfcrd: r«8»o cRoß). 255 Obgleich dicse Kiefern in Wuchs und Stamm den unsern sehr nahe kommen, sind sie doch hell-grüner und haben wcit feinere längere Nadeln, dic Scidcnhaarcn gleichen, während die unsern eher an Schweinsborsten erinnern. Statt Wach-holder und Hasenkrant deckt hier gelb blühender Ginster den Sand, auf dem sie wachsen. In dem Dorfe Labrainc angekommen, siicg ich in einer Schenke ab, auf deren weißer Wand mit Riesenbuchstabcn angeschrieben stand: ^u ^ranä HIonte«huiout Wider Erwarten fand ich in dem chctifen Innern Alles äußerst reinlich, einen wohlpolirtcn Tisch von Nußbaumholz, schneeweiße Servietten, guten Landwein, vortreffliche Butter, frisch gelegte Eier und daS beste Brod, das ich je gegcssm habe, obgleich es dic Größe eines Mühlsteines hatte nnd gewiß 24 Menschen zu sättigen im Stande gewesen wäre. Eine halbe Stnndc von dieser Schenke liegt, an einen dunkeln Eichwald gelehnt, von Wiesen 256 begrenzt, auf dcncn jnngc Pferde weideten, und von einem liefen Graben umschlossen, über den zwei Zugbrücken führen, ein zwdlfcckigcs altes Schlößlcin mit spitzen Schieferdächern und zwei Thürmen von ungleicher Höhe. Es hat sein Ansehn seit dem Tode des großen Mannes, dcfscu Stammschloß uud Licblingsauf« enthalt es war, nur wenig geändert. Ein paar Bulldogs, von ächter Race, machten mir im Anfang den Eingang etwas streitig, bis ein braunes, hübsches Mädchen erschien, die sie beschwichtigte und sich mir als Führcrin anbot. Die Bcsilzcr habcu den guten Sinn gehabt, nicht nur an dem Acußern dieses romantischen Wohnsitzes nichts zu modermsircn, sondern auch die von ihrem berühmten Ahnherrn im Gebrauch gehabten Zimmer, Vorsaal, Salon, Schlafstube und Bibliothek ganz intakt zu lassen. Cs hat schon viel Anziehendes, ja Rührendes, eine alte Zeit so ganz in nawra wieder vor sich aufleben zu sehen, wie viel mehr aber noch, wcun dieses 257 Bild an eincn so hohcn und theuren Mann sich anknüpft, einer von den Wcnigcn, die in reiner Würde glänzen, und einen Mann bezeichnen, an dessen Wirken sich das Vcstc, was wir seitdem crrnngcn, noch immer unmittelbar anschließt. Mit welchem Vergnügen betrachtete ich ihn hier, so zn sagen, in seiner Häuslichkeit; die wohnlichen, obgleich uns jctzt etwas seltsam vorkommenden, gleichsam noch mit dem Dnft jener Zeiten geschwängerten Zimmer, diese verblichncn, gewirkten Tapeten mit grotesken mythologischen Vorstellungen, die barok verdrehten alten Sophas und Stühle, die schweren colossalen Schranke, das morsche Himmelbett, noch mit derselben Decke versehen, unter der er geschlafen — und mit welchem Gefühl ehrfurchtsvoller Scheu ergriff ich erst die Bücher, die er benutzt, manche Note seiner Hand darin zurücklassend, als er seine unsterblichen Werke schrieb! Gewiß, solche Erinnerungen thun uns wohl, ein solcher Enthusiasmus lst schön, hätte cr auch Semilasso. ll. 17 358 für dcn kalten Spötter seine komische Seite, weil cr uur das Edlcrc in unsrer Natur berührt, und keine Beimischung gröberer Sinne, kcine Regung des Egoismus dcn Keim des Verderbens in ihn legt. Es wechselt aber im Leben sicts das Gute mit dem Uebeln, das Erhabene mit dem Trivialen, und so bereitete auch mir das Schicksal ohne Zögern eine ziemlich burleske Scene, mich selbst zum Helden derselben wählend. Als ich noch voll crnsihcitcrcr Gedanken über die Wiesen dahinschritt, holte ich einen Knaben ein, der zwei Pferde von der Weide nach Labraine zurückbrachte. Da es sehr warm und ich müde war, frug ich ihn, ob cr mir wohl für ein Trinkgeld gestatten wolle das lecrgehcndc Pferd zu besteigen. Er machte keine Schwierigkeit, kaum hatte ich mich indessen auf das junge Thier hinaufgeschwungen und sogleich dcn Sitz auf seinem spitzen Rückgrat ohne Sattel noch Decke eben so undcqncm als unsicher gefunden, als auch schon 359 die Mahre sich zu bäumen und zu bocken anfing. Wie auf einem Messerrücken sitzend, statt des Zaumes nur einen Halftcrsirick in der Hand, und durchaus nicht im Stande, in dieser ungewohnten Position einen festen Halt zn fassen, kämpfte ich zwar noch einige Zeit gegen mein Schicksal, wie ein Schiff im Sturme; ehe indeß eine halbe Mimttc verging, lag ich znm großen Gandium meines Begleiters der Lange nach im Sande. Der muthwillige Knabe, vor Lachen fast selbst vom Pferde fallend, frug mich in seinem pawis, ob ich es nicht noch einmal versuchen wollte; ich aber schüttelte verdrießlich (denn erst nachher fand ich die Sache spaßhaft) den Staub von meinen Kleidern, rief sthr energisch: Ronn^ noim^, ?tt1i8son, und eilte mit weiten Schritten der Schenke des großen Montesquieu wieder zu, deren weiße Wand mir bereits von Ferne dnrch die Büsche leuchtete. Du wirst, lieber Mar, dies als den zweiten Theil jener berühmten Aventurc in Deinem Guts- 1?'"' 260 Hofe taufen, wo Josephine in Fischcrsticfeln mich vom Ertrinken rettete, und ich erlaube Dcincr Schadcufrcnde (von dcr ihr Vcide ciu gutes Theil besitzt) freien Spielraum, w^'uui-» ä oon-äition tie r^vaneiis une auti-oioiz. Man bemerkt in Vordcaur schon cinigc Hin? ncigung zu spanischen Sitten, denn gestern fand ich an zwei verschiedenen Orten Sticrgefcchte und Thicrkämpfc angekündigt. Ich liest mich zn einer dieser Vorstellungen hinfahren, fand sie aber höchst erbärmlich. Grausam genug war zwar dcr Kampf cincs armen Esels mit spitzen Eisen beschlagen, gcgcn zwei starke Doggen, dcn man nicht eher aufhören ließ, bis dcr gemarterte Esel halb zerrissen war, und auch die Hunde von Blut trieften; gegen den Stier setzte sich aber Niemand einer Gefahr aus, und man begnügte sich, ebenfalls einige Hunde auf ihn zu hetzen, dic eben so wenig Muth zeigten. Mehr Vergnügen gewahrte mir, als nach einigen Regentagen dic Sonne wieder zum Vur- 261 schein kam, cin Spazierritt auf die der Stadt gegenüber liegenden Anhöhen. Es war so heiß wie im Juli und gewiß zwanzig Grade im Schatten. Das erste Interessante, was mir anf-siicß, waren zwei große und schöne Pinien, welche den Fcrnsichtcn eine so große Zierde verleihen. Hatte man hier mehr Sinn für Natur-schönhcit, man würde längst diesen Baum fleißiger cnltivirt haben, da er das Clima verträgt. Hätten wir doch ein solches! Mit vieler Mühe, mich zurccht zn finden, auf sehr schlechten, durch dichte Hecken und Wcinfcldcr führenden Lchmwegcn, die der Regen aufgeweicht hatte, und in deren trocknen Grabcnaufwürfen Hundertc von Eidcrcn heute in der Sonne spielten, erreichte ich endlich den gesuchten höchsten Punct. Hier ist cin Telegraph errichtet, und cin elegantes Landhaus neben ihm auf sehr gut gewählter Stelle erbaut, wo die Hügelkette einen schroffen Vorsprung nach dem Thale zu bildet. Man verfolgt daher, auf der Platform dieses Hauses 2Ss stehend, von hier aus beide Enden dcs mit Schiffen bedeckten Stroms, und erblickt darüber hin nach allen Seiten, bis wo der Horizont sich auf die Erde niederläßt, cm unermeßliches Panorama, belebt durch unzählige Dörfer und Städte, gleich dem gelobten Lande, in dessen Vordergrund Vordcanr, als stolze Königin der reichen Gegend, auf ihrem wcinumkränztcn Throne ruht, um den dcs Südens mildere Lüfte schon ihren Zaubcrduft zu wehen beginnen. Nachdem ich mir das seltene Gemälde hin-iänglich im Allgemeinen eingeprägt, bot mir der sich an der andern Seite des Berges hinab-schlängelndc Fußpfad, indem er das große Vild durch vorgeschobne Baumgruppcn und Felsen, in hundert interessante Einzclnhcitcn trennte, noch malerischere Ansichten, in dcncn bald dieser bald jener, vorher vielleicht übcrsehcnc, Gegenstand jetzt als Hauptzng hervortrat — das beste Studium für den Gartcnkünstler. Früher zurückgekehrt, als ich erwartete, durch- 363 ritt ich die ganze Stadt, um auf der andern Scite derselben die (^rtrou5o zn besehen, ciue an sich unbedeutende Kirche, an die sich aber dcr höchst sehcnswcrthc Gcmcinkirchhof anschließt; eine wahre Todtcnsiadt, die viele Grabmäler-siraßcn, von herrlichen Platanen eingefaßt, recht, wiuklich durchkreuzen. Die dazwischen liegenden Plätze enthalten anf frischem Rascugrmrdc cben^ falls eine große Anzahl Monumente, unregelmäßig von Cyprcsscngrnppcn umgeben und mit Marmor und Gold reich geschmückt. Mir ga>b dieser Kirchhof schon einen Vorgeschmack dcr türkischen, von denen Freund Schcfcr uns so oft erzählt, und die, seiner Beschreibung nach, viel Nchnliches mit dem hiesigen haben müssen, mit einziger Ausnahme dcr gulcn Christen unten und dcr Turbane oben. Es ist wahr, daß diese Letzteren in Zukuuft dort nun auch aufhören müssen, und wer weiß, was später geschieht. Der jetzige Besitzer von Consiantinopcl nimmt vielleicht, gleich seinem Vorgänger, dem weit 264 großem Heiden und Sünder Constantin, das Christenthum auch noch unter die cmpfchlungs-wcrthcn Neuerungen auf, die cr seinem Volke octroyirt — wenn anders die übrigen christlichen Souvcrainc dies zulassen und nicht eine Illegitimität gegen Muhamcd darin finden, deren Duldung bedenklich werden könnte. Mein Freund, was soll ich Dir, da wir einmal mit einander bis auf den Kirchhof gerathen sind, noch weiter sagen. Schon kräht der Hahn, ich wittre Morgenluft. Leb wohl! Dein treuversiorbener Bruder Herrmann. «65 Neise-)ournal. «Fortsetzung.) A gen den 21. October 1834. c Mit einbrechender Dämmerung verließ ich Bordcaur, mein Gepäck, (sür dessen Uebergewicht ich gerade eben so viel als für meinen Bedienten zahlen muß — so daß ich mil der Diligence kaum mchr wohlfeiler, aber immer unterhaltender reise als mit Ertrapoft) noch dnrch einen gwßcn Korb mit ausgesuchten Proben des »mi äe I'kamme vermehrt. Die bunte Gesellschaft zahlte diesmal im Innern unr zwei ^ummiä vo^t^ur«, 366 außerdem einen Priester, und zwei Creolinncn, von denen die eine alt mid häßlich, dic andere dagegen, angcnchmcrwcisc meine Nachbarin, jung, braun nnd hübsch war. Ich sing diesmal die Unterhaltung mit Aeußerung guter katholischer Grundsätze an, weil meine Lauuc mich stimmte, den Priester zu gewinnen, der anch bald mit aller Naivhcit des gedankenlosesten Köhlerglaubens mir dic gewünschte Co-modic aufführte. Er fand einen eifrigen Gehülfen an dem ältesten Vo^^cur, einem wohl schon sechszig Jahre zählenden IlMeur, ächten Gas-cogncr, und dazu eingefleischten Carlistcn. Leider kann man in Frankreich keine Conversation mehr beginnen, die nicht sogleich in die langweilige Politik überschlüge, nnd so ließ denn auch die christliche Licbc sich sehr bald in Verwünschungen der Iulirevolution und den leidenschaftlichsten Schmähungen gegen Louis Philipp vernehmen, den der alte Carlist sich nicht schentc einen mi-8l!>r^I)lt5 8ä1t!m1)Äii<^uo und inl^rizukle t^rannenu 267 zu nennen. Lieber Freund, sagtc ich, darin thun Sie Louis Philipp doch jedenfalls Unrecht, denn ware er, was Sie sagen, wie würden Sie es wohl wagen dürfen, von Ihrem Rcgcnrcn so an einem öffentlichen Orte zu sprechen. Ich kenne freilich die hiesigen Sitten wenig, aber untcrficngc sich Einer in meinem Vatcrlandc von dem Monarchen des Landes zu reden wie Sie, er brauchte nicht erst auf die Polizei oder Justiz zu warten, schon die Reisegesellschaft würde ihn zum Wagen hinauswerfen. „Da thät sie anch ganz recht daran," brüllte hier der andere Vo^gour, ein junger, athletisch gebauter Mann, der, gleich mir gut königlich gesinnt, schon früher brummende Zeichen seines Mißfallens von sich gegeben hatte. Diese Worte, und diese Stentorstimme imponirtcn dem alten Narren so gewaltig, daß er schnell in den sanftesten Ton überging, und inständig bat, doch nicht leidenschaftlich zu werden, da Jeder seine eignen prin^ie» habe, und wenn er die seinigen etwas zu eifrig geäußert, er doch gewiß Niemand 268 von uns damit habe beleidigen wollen. Das Gewäsch war keiner weitem Antwort werth, und ich wandte mich an dic Damm, die uns von Wesiindien und ihrer Seereise erzählten, und eine recht interessante Beschreibung von den Schrecken eines ausgchaltncn Sturmes machten. So kam dic Dunkelheit heran. Man zog die Stores herab, bald horte man Einige schnarchen. Einige wachten vielleicht noch, aber Niemand sprach mehr — und so fand uns der Morgen zwischen Marmande und Agcn, in einem paradiesischen Lande, wo der Garonnc Silberwcllcn cinc dcr fruchtbarsten Auen Europa's bewässern, nnd dcr Voden so ergiebig ist, daß dcr gr^«m Ackerland hier nicht selten für 5'bc umfaßten, war der Zweck und dcr Genuß ihres ganzen Lebens. Anno 1529 ward dieser Chor vollendet. ") 'i In !>^n »ttcn Chroniken wird das Holz, aus dem Arbeiten 278 Außer dem Geuanntcn enthalt die Kirche noch manche mindere Merkwürdigkeiten, unter andern ein wie Filigranarbeit durchbrochncs Gewölbe von bedeutender Spannung, dessen Steine so kunstreich zusammengesetzt sind, daß man keine Fuge bemerken kann, und daher lange glaubte, es bestehe aus einem einzigen Stem. Ferner cine Wendeltreppe aus Granit von 2tttt Stufen, deren Wange, gleich der in Chambord, von oben oder unten gesehen einen langen lu^nu, nicht dicker als ein Mörser, bildet. Ich war hier Zeuge eines seltsamen Experiments. Der eilfjährigc Sohn des Glöckners ließ sich au dieser Wange von obcn hinabrntschen, was mit einer solchen Rapi-dität vor sich ging, daß cr mit einer zugleich dieser Art gefertigt wurden, oft unter dem Namen „irländisches Holz«" aufgeführt. Sollt? es wirklich jenes unverwüstliche irisch« Holz seyn? Die eiftrne Dauer lccht es vermuthen, und vielleicht sind auch die ähnlich?» Kunstwerke in Deutschland/ di? ich z. B. in Vnmblrg bewunderte, aus dcmstlben Etoss g«" schnitzt, der damals wohl ein mchrverbreiteter Handelsartikel gewesen seyn kann. 279 hcrabgcworfncn Kastanie fast zu derselben Zeit unten ankam, und obglcich cs so aussah, als muffe cr sich allc Glieder zerquetschen, indem cr in dcr scheinbaren Röhre hinabsiog, doch nicht den geringsten Schadcn litt. Die Gründung dicscr Cathcdrale wird Clovis zugeschrieben, doch isi nur ein Theil des ganz Alten noch vorhanden, wie z. B. die beiden unvollendeten Seiteuporlalc von außerordentlich schöner Arbeit; Vieles dagegen und leider dic Hanptfa^adc, ist fast modern nnd nichts weniger als schön, ^ucli war schon seit dem 3tcn Jahrhundert ein bischöflicher Sitz, dcr verschiedene Märtyrer auszuweisen hat. Einmal wurde die Kirche durch aufrührerische — Mönche zerstört, und der Bischof von ihnen mit Pfeilen am Altar erschossen, wie die Chronik erzählt. Außer neunundzwanzig geistlichen l^^noine« hatte das hiesige Capitel anch fünf weltliche, zu denen dcr jedesmalige Kbnig von Frankreich gehörte, der auch Theil am Gehalt nahm, wenn cr dem 280 Chor beiwohnte. In späterer Zcit schmückte die Erzbischdfe von H,uck gewöhnlich auch der Purpur, und sic hatten von ihrer Didccs über 200,000 Franken Einkünfte, die jetzt bis auf 15,000 geschmolzen sind: eine unangenehme Perspective für die einzigen Kirchcnfürstcu, dk noch ihren alten Reichthum bis jetzt zu erhalten wußten, ich meine die englischen, dcncn cs über lurz oder lang wohl nicht vicl besser ergehen wird. Doch finde ich cs jedenfalls höchst ungerecht, nicht wenigstens den Lebenden das einmal Genossene bis an ihr Ende ungeschmälert zn lassen. In den Archiven der Cathcdralc sollen mehrere sehr interessante Manuscripts anfbewahrt werden. Ein französischer Reisender erwähnt einer daftlbst gesehenen alten O0580 <üo Kois, bei welcher Gc-Icgcnhcit er folgendes, dem heiligen Bonifaz sclbst zugeschriebenes <^ua!i-3m citirt: Au temps jadis, au sičclc d7or Crosses de bois, eveque iVor; 281 Maintcnant out change les lois, Crosses (For, evcquc dc bois. Auch dies hat gewechselt, et 1e« crt)58e3 comme ^e» <->v6c^ie8 «ont 1'lln ot 1'auti« ^Anleinont lie uoi«, höchstens hie und da noch vergoldet. Als icy zum Frühstück in dcn Gasthof zurückkehrte, hatten sich die Reisegefährten schr vermehrt, und ich erhielt zn Nachbarn im ^oup« den Obrisicn nnd den Major des hicr garnisoni-rendcn Husaren regiments, zwei schr gebildete Offiziere, die in Spanien, Nußland und Deutschland gefochten hatten, des großen Kaisers zwar noch immer mit Enthusiasmns gedachten, aber mit nicht weniger Treue und Erkennung seiner hohen Regententugcndeu ihrem jetzigen Herrscher anhingen, dem überhaupt die Armcc allgemein Gerechtigkeit widerfahren zu lassen scheint. Einer der Offiziere erzählte eine sonderbare Begebenheit, die sich vor Kurzem hicr zugetragen. Die Dame 6., eine junge und hübsche Wittwe nnt zwei kleinen Kindern und einem geringen 282 Vermögen, reiste nach Paris, um dort, hauptsächlich zum Vortheil ihrer eignen Töchter eine Erziehungsanstalt zu ctablircn. Unterwegs, und in derselben Diligence, mit der wir fuhren, macht sie die Bekanntschaft eines sicbcuziqjahrigcu Engländers, der ihr viel Aufmerksamkeit beweist, sich genau nach ihren Umstanden erkundigt und ihr am zweiten Tage seine Hand anbietet, indem er ihr zugleich eine Dotatiou von 1WM0 Franken überreicht. Die Wittwe laßt sich überreden, gibt ihre Pariser Pläne auf, und folgt ihm nach England. Dort, auf einem eleganten Landhansc angekommen, geht die Hcirath vor sich, und zugleich weiß der liebenswürdige Greis durch die Vorstellung, daß nur unter dieser Vcdingnng sie und ihre Kinder ihn beerben könnten, die junge Frau dazu zu bewegen, ihre Religion zu verändern. Nachdem dies geschehen, beurlaubt er sich auf einige Tage, um ein wichtiges Geschäft in London abzuthun, soll aber heute noch wiederkommen. Nach einem Monat vergeblichen War- 283 tcns fängt sic an Erkundigungen einzuziehen, und erfährt mit Schrecken, daß Niemand hi« ihren Gemahl kcnnc, das Landhaus anch nnr auf sechs Wochen gemiethet sey. Sie eilt nach London der ihr gegebenen Adresse nachforschend. Kein Mensch kennt eine solche. Sie producirt, bereits ohnc fernere Snbsisienzmittcl, die ihr gemachte Schenkung, und man gibt sie ihr als ein ungültiges Papier zurück. Sie cilt Schntz bei der franzosischen Gesandtschaft zn suchen, doch man kann ihr nicht helfen, und sic must sich glücklich schätzen, wenigstens die nöthige Unter-siütznng zu finden, um nach ihrem Vatcrlande zurückkehren zu können. Was soll man nun annehmen, ist der Zweck dieses alten Sünders gewesen? Sinnliche Begierde scheint bei seinem Alter außer der Betrachtung zu liegen, auch versichert die Wittwe, daß er nie andere als väterliche Gesinnungen gezeigt und geäußert. Merkwürdig wäre es, wenn er vlos der englischen Kirche eine Prosclytin 284 hätte zuführen wollen. Man muß indeß wohl jedenfalls annehmen, daß er toll war; gleich jenem Andern seiner Landslcutc, von dem die Zeitungen erzählten, daß er, in Irland reisend, sich für die Königin Elisabeth hielt, und mehrere Lentc, die er für Leicester oder Esser ansah, durch seine Liebkosungen in keine geringe Verlegenheit fetzte. Erst spat Abends kamen wir, unter immer lebhafter Unterhaltung, in Tarbes an, wo wir im Kotoi lie Trance abstiegen. 285 D « n 23 c)«iwm abgibt. Dabei habcu sie fast durchgängig schöne, feurige Angcn, Z91 schwarzes Haar, cm angenehm klingendes pawi« und ciuc grazicnsc Tracht. Das große rothc Tuch mit schwarzem Rand wird nur im Freien umgenommen, im Hanse tragen sic entweder den Kopf blosi, oder sehr bunte, dem Vcarn eigenthümliche Tücher mit vieler Coquetterie tnrban-artig um das Haupt geschlungen. Um aufrichtig zu seyn, gestehe ich, daß die Reinlichkeit etwas zu wünschen übrig läßt, namentlich die Bekleidung der Füße darf selten zu nahe betrachtet werden, denn schmutzige Strümpfe und schadhafte Pantoffelschuhe wird man selbst bei Damen im Hausklcidc früh antreffen. Viele haben außer den buschigen Augbrannen auch ciucn kleinen Anfing von Schnurrbart, von jeher meine Passion, nne die Studenten sagen. Im Allgemeinen sind sie znthnlich und schwatzen gern. Nichts hübscher, als wenn sie auf cinc etwas leichtfertige Frage, die Hände anf dic Vrust zusammengefaltet, ausrufen: Non visu! cUet« 292 Ich werde hier Zeit haben, mich mit ihnen abzugeben, dcnn das bisher noch halb ungewisse Wetter scheint sich nuu in den decidirtcstcn Landregen zu verwandeln, und wohl oder übel muß ich hicr verweilen, bis cs dem Barometer zu steigen beliebt. »Wird sich dies abscheuliche Wetter nicht bald ändern, mein Kind?" frug ich die kleine Marie, welche eben mit dem Frühstück eintrat. „Ach, da müßte ich ja der liebe Gott, oder wenigstens die »ailiw vi»'r^ selbst seyn, um darüber Auskunft geben Zu können," erwiederte sie lachend; „aber seyn Sie ruhig, das schöne Wetter kömmt auch wieder, denn wenn cs lange regnet, cnuuyirt uns das sehr, und dann wird's anders." „In dcr Thal! nun und cnnuyirt cs Euch nicht schon jetzt?" ,,O Gott bewahre! der Regen ist sehr gut für die Felder und muß noch lange andauern. Vlci-den Sie also nur ganz geduldig bei uns, und 293 wir werden schon für Ihren Zeitvertreib sorgen. Was schreiben Sic dcun immer so viel?" „Jetzt eben von Dir," sagte ich. „Von mir? Ach Sie haben mich zum Besten." »Nicht im Geringsten, denn siehst Du, ich mache hier ein Vuch über Euer Land, das viele viele schöne Damen nnd Herren lesen werden, und da beschreibe ich denn natürlich die hübschen Mädchen zncrst. Also hier stehts: die schalkhafte, schwarzäugige Marie von Tarbes mit ihrem angehenden Schnuvrbärtchcn. . . ." „O was soll das heißen? ich hatte cincn Schnnrrbart — und damit besah sie sich im Spiegel — o das ist wohl nicht wahr! Streichen Sie das gleich aus, ich bin auch nicht von Tarbcs, sondern von ^n^i, wo die Mädchen viel hübscher sind als hier. ^ro^oz haben Sie dort auch unsere Cathcdralc und die schonen Fenster gesehen? Nicht wahr, das ist etwas Anderes als die elende kleine Kirche hier in Tarbcs ? Davon 294 müssen Sic schreiben, wcnn's wahr isi, dasi Sie ein Buch machen. Aber ich Alande cs nicht, denn das können nur die Herren Englander! Aber wenn Sic so capable sind — dcsio besser! Vlcidcn Sie den Winter in Tarbcs! Da lebt sich's herrlich — sehen Sie mich an! — und wahrend dem können Sie unser ^»lois lernen, was Ihnen, wie Sie sagen, so gut gefällt." «Willst Du mich's lehren?" „Warum nicht?" »Vortrefflich, ich miethe sogleich cinc Woh^ mmg in der Stadt nnd nehme Dich als Kam-mcrjungfer au." „O da würden Sic gewiß sehr zufrieden mit mir seyn, ich habe schon Kranke gewartet, und so viel Geduld wic mit denen brauchte man doch nicht mit Ihnen zu haben, nicht wahr? l^or- tainomen qu'aven la man miss doucos que les homes (Ccrtes nous avons la main plus douce que les homines)", fcijtc ftc tyinju, tnbcm jtc mir leise auf die Schulter klopfte, und mich 295 spottend anlachend, mir ihre weißen M)ne so nahe als möglich zeigte. Es war unmöglich, von dieser Gelegenheit nicht cm wcnig zu prosiriren. „0 vie«, rief sic, cliet« un Uiulile!" «ud re-tirirtc bis zum Kamin. Hicr nicdcrkniccnd agi-tirte sie heftig den Blasebalg, bis die Flamme lustig emporloderte. „Ach, was für cm schlechtes Feuer hat Ihr Bedienter da gemacht," sagte sie zu mir aufblickend, der ihr stillschweigend zugesehen hatte und sich jetzt an der grazieusen Gc-sialt weidete, die eine natürliche Coqncttcrie dem hübschen Gascogncrkindc eingab. Sie bemerkte cs nicht ohne Wohlgefallen und mit einem langnissantcn Abandon sich langsam erhebend, flüsterte sie, indem sic ihre schwarzen Angcn durchdringend anf mich heftete: „Nicht wahr, wir verstehen besser Feuer anznmachen, als die Männer?" In der That, ich ward cs lebhaft gewahr, als ein paar Pistolenschüsse auf der Straße fielen. „Was ist das?" frug ich verwundert. S96 „O nichts, cine Hochzeit dcr Laudlcutc, die hier vorbeizieht." „Und dazu erlaubt mau ihnen mitten in dcr Stadt zu schießen?" >,O nur mit Pulver." Cine neue hochzeitliche Dccharge erfolgte, bald darauf erschallte auch Musik mit jubelndem Gesang, und in diesem Lärm verklang unsre weitere Uuterrcdung. 297 Abends. Trotz Regcn und Sturm habc ich cinen Spazierritt in dcr Umgegend gemacht, die mir sehr üppig vorkam, und manchmal auch wieder einen Vcrg auf Sekunden aus dcm Ncbcl treten schcn. Die Pyrenäen haben cincn Vortheil vor den Alpen voraus, weil sie sich unmittelbar aus einer lachenden Fläche, die von Wiesen und Feldern, die mit unzähligen kleinen Canälcn, Bächen und Hecken durchschnitten und so eben wie mit 298 dcm Lincal planirt ist, plötzlich zu ihrer Ricsen-hbhc erheben, ohne daß irgend eine Abstufung dazwischen liegt. »Ist das der ^ic 6u miäi?" frnq ich einen Landmann, als eben eine Spitze am Himmel sichtbar ward. »Nein," erwiederte er, den Hut ziehend (denn hier scheint noch alte höfliche Sittc Zu herrschen) nous I'g^peilons." Ich glaube wirklich, die Leute haben sich ihre ganze Sonnenuhr am Gebirge cingcrichttl. Die Landschaft war reich belaubt, und überall wie in England Baume zwischen dic Hecken gepflanzt, welche die Grundstücke trennen. Weiden, Schwarzpappeln, Erlen und Nußbaumc herrschten vor, sparsamer wechselten Eichen, Platanen und Kastanien mit ihnen ad. Ost sieht wan auch, statt der Hecken, reich mit Ephcu und Wein berankte Mauern, welche einen eigenthümlichen Anblick gewahren. Sie sind sämmtlich aus vom ^.äour gerundeten Grauitsiciucn von kleinen Dimensionen, 299 die mit Ziegelplatten abwechseln, mosaikartig aufgeführt, was diesem rohen, und nur nut Lehm gcmaucrtcn Stcinwerk ein sehr elegantes Anschcn gibt. Römische Uebcrrcste in dicstn Gegenden bieten zuweilen cine ähnliche Bauart dar. Oft sieht man auch schon die Fenster der Pachthöfc mit Marmor eingefaßt, die flachen italienischen Dächer aber hören nach und nach auf, und Schiefer nimmt mcisicns die Stelle der hohlen Ziegel cin. Ende der zweiten Abtheilung. Vom nemltchcn Vcrfajscr wird noch im Laufe dieses Jahres erscheinen! vorletzter ^VettganZ von KcmilaZso. Traum und Wachen. Erster Theil. In Europa. Dritte Abtheilung. Jugend - Wanderungen. Aus meinen Tagebüchern. Für mich und Andere. Früher erschienen in unserem Verlag: Orieke eines verstorbenen. Ein fragmcnrarischcs Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, geschrieben in den Jahren i,82li bis 182 . 4 Theile. Zweite Auflage. Rthlr. 9. — fl. 15. Tutti Frutti. In 5 Banden, (ir u. 2r Vd. 2tc Auflage.) THIr. in. — fl. 17. 20 kr. I n h a! t s - h e r z e i c h n i s s der zweiten Abtheilung ersten Vaudcs. Sechster Brief. Elite ö lXath für schLne Damen nach Paris ju rcism. Woh.-nilngslurus. Die alll'clicbte Gleichheit. Der Hcl» »on Navarin. I.'^,mda88»l1c'iir cl<>^ . . . . ^n> tKi-up<>p!>2^<>5 ou 6e ^aponie. (iigcusch^lt, gute Il Diners zu arben. Ohne Geld ist man nicht die Nede werth. Die hohe Gesellschaft. Gutes Spiel der Fremden. Herr und Fraiffvon Dclmar. Rossini hat die Stimme verloren. Vorstellung in den Tuilcrieen. Kein Hof. Keine Nede von Etiquette. Allgemeine Civiltlcidung. Tie Königin und die Prinzessinnen. ?livlltlm. Vnrger - königliches Diner. Da«, Palladium der Staaten die fr>!ie Presse. Dupin. Guizot. Unverständiger Widerstand gegm den Etrom des Neuen. Fontaines. Neuillp. Der Obrist der Revolution, als Lcdcns« retter. Umgekehrter Dionpsius. I'lllni« ro^al. Bcrnünftige Galerie als Schmuck der einzelnen Zimmer. Nichclim. Mazarin. Bildliche Ge« schichte des Hauses Orleans. Wittwe von Ven, jamin Constant. Gastmahl der Pariser schönen Ill Geister. Vorenger. Balzac. Sophie Gai. Frau von Girardin. Acht Oncles zu beerben! Emilic Deschamps. Alfred dc Müsset. Graf Ncsscgliier. 1^« Ballon nian^ti« von Lenoi'. Die befohlene Cour. Louvre. Arbeit am Schlafzimmer von Heinrich II. Museum der Marine. Schlacht von Austerlitz. lülikries Nucli«!-. Die Theater. Frömmigkeit, das Genie zu verehren. Arnal. lütt! ljnanti. Siebenter Vricf. Seite 74 Der moderne kichtenbcrg. Die Prinzessin Volahese. Nliis c'e«t uoul! Musterhaftes Hospital. Schloß von Montesquieu, ^enn^ Nellie, ?u1i88on! Die Stadt der Todten. VIll Rcisc-Journal. (Fortsetzung.) Seit« 265 VHeunol- des Priesters. Vg<>n. Wieder ein Schloß cin? Wollensvilmerci. Die Stadt alü Ppcamidl. ktttourc. Cathedra^ uori ^no!,. Prachtvolle Fen« ster von ^VrncluIll i-tu>'a». Der 7ojl'f>rige C'iiglänter als s