HZM^e GlüMN. Von Murad Ofendi. Türkische Fahrten. (Das Necht der Uebersetzuug o orb cha lte n.) Leipzig, Vcrlag dl^r Dürr'schcu Buchhandlung. 1877. Vorwort. Das Interesse, welches meinen seit Jahren in verschiedenen Zeitschriften veröffentlichten Aufsätzen über ottomanische Dinge zn Theil geworden ist, ermnthigt mich znr endlichen Sammlung derselben nnd zn ihrer Bearbeitung zu diesem Behufe. Eigenthümliche Verhältnisse haben den Oesterreicher, also den deutschen Orientalen in die Lage gesetzt, das Wesen des Ottomanen kennen Zn lernen, sein Leben zu leben, und in früher Jugend schon in seiner Denkart zu denken. Dabei ward es ihm gegeben, das Angeschaute, Erfahrene als Deutscher darzustellen. Ich will mich nicht vermessen, mit diesem Vnche Zwecke zu verfolgen, die meinem Können versagt sind, so lohnend die Lösung der Aufgabe erscheinen muh, das, wie ich mich überzeugt habe, in Deutschland — oder sagen ivir lieber gleich in Enrova, wenig und anch da nur unklar und unvollkommen gekannte Ottomanenthum der allgemeinen Kenntniß in richtigeren Umrissen nahe zu bringen. ^ IV — Diesen losen Blättern ist vor Allen: die bescheidenere Aufgabe gestellt, Eindrücken, Stimmungen, Beobachtungen die der längere Aufenthalt im Orient mir geboten oder aufgedrängt hat, einen möglichst treffenden Ausdruck zu geben, und hin und wieder die Schilderung von Dingen und Personen zu versuchen, mit denen ich nicht etwa blos in Berührung gekommen bin, nein, unter denen und mit denen ich gelebt habe. Wenn es mir gelang diesen Zweck annähernd zu erreichen und dabei natnrgemäß hie und da einen Irrthum zu berichtigen, und ein der Wahrheit entsprechenderes Bild von dem wenig gekannten, aber dafür gerne verkannten Osmaneu-Volke zu geben, so darf ich dieses Buch als keiu ganz unnützes betrachten. Hermann Hettner sagte einst, als wir über Italien sprachen: „Wer die Italiener nicht liebt, kennt sie nicht." — Ich werde, ohne in diesen Blättern irgend ein anderes Ziel anzustreben als durch Darstellung fremdartiger Gegenden, Völker uud Bräuche zu uuterhalten, also ohne eine Tendenz zu verfolgen, unwillkürlich zn dem Schlüsse kommen: Wer den Ottomanen kennt, wird ihn achten, wenn er sich auch uft über ihn ärgern mnß. Dresden, Juli 1876. Ter Verfasser. Inhalt des ersten Bandes. Mrkische Z-ayrten. Scitc Nach Syra.................. 1 In den Nardaneüen.............. 13 Im Goldenen Horn.............. 22 Wanderungen durch Mgnstantwopel......... 28 I. Stambul aus der Vogelschau......... 28 II. Stambuler Volkstypm........... 41 III. Ein altcs Viertel............. 54 IV. Türkisches Fahrzeug und türkisches Fuhrwerk . . . ^ 62 V. Pcra und die Perotcn........... 69 VI. Der Rhamadan in Stambul......... 80 VII. Das ottomanische Theater....... . . , 92 VIII. Schiller's „Räuber" auf dem Theater zu ttsäik I'asoka 10U IX. Der Schatz des Sultans.......... 108 X. Der türkische Salon............ 114 XI. Der Bazar von Stambul.......... 120 Erinnerungen aus der Herzegowina........ 128 I. Der Hafen vou Klet. Mostar........ 128 II. Stolacz. Trebinje............ 147 ÄuMaZe auf Cnpern.....,......... 161 Jus Vlcin Asien............., . . 170 I. Ein zufriedenes Städtchen.......... 170 > II, Ein Bey von ehedem und sem Haushalt..... 178 III. Noch Einiges zum ersten Kapitel....... 198 IV. Die Hochzeit eines Vornehmen........ 208 V. Verschiedenes vom Pontus uud von seinen Ufern. . 221 VI. Trapezunt............... 233 Hürkische Jährten. Mach Hyra. October 1873. Vom Molo herüber brüllt das Nebelhornzeichen über die Viaste UN Hafou und über die Giebel der Stadt Trieft, Ätahe dein stattlichen Dampfer, der im vollen, buutfarbigen Wimpelschmnck prangt, herrscht ein reges Leben, Halbnackte Matrosen si»d mit den letzte» Ladnngen beschäftigt, weisende langen an, die Triestiner von ihren Verwandten oder ssremi-dell begleitet: das Teck der Vesta füllt sich. Mnstrrn Wir die Neisrgenossen. Ein paar Dainen, ans verschiedenen Jahrgängen. Die dichten, ineinanderlanfenden Angeubranen, die Viegnng der fleischigen Nase beknnden die armenische Naee. Im Orient hat sich die Physiognomie der Voltsstämme rein erhalten. Die orientalische Gewandnng ist bei den Jüngeren bis ans den letzten Knopf pariser Toiletten gewichen. Nnr die Aelteste unter ihnen, Gemahlin eines reichen Wechslers, hatte ihre Diamantohrgehänge, ihre gestickte Weste nnd ihr Fachiol, ein mit Haarflechten nmwnndenes Kopftnch, beibehalten. Die Armenierin von ehedem hielt es für nnfchicklich selbst im vertranten Kreise ihr eigenes Haar zn zeigen: anßer Hause erschien sie verschleiert gleich der Ottoman in. Mniat «Kfcndi, Tiirlisckc Sti;;e» I, 1^ __ y __ Mehrere rothe Fez irrlichteliren mif dein Verdeck hin und her. Eine nenverniählte Engländerin mit einem nicht übel geschnittenem Wachslärvchen, das aber so theilnahm-los in die Welt hinausstarrt/ als ob Alt-England seinen ganzen Vorrath a:i Spleen darauf abgelagert hätte, sitzt steif nnd stumm neben ihrem Gatten, ^offenbar ein ^Iiuren-iucm). Er schielt sie zärtlich an nnd schweigt. Nicht weit Uon ihnen lümmeln zwei Amerikaner in halsbrecherischen Stellnngen nnd mit jenem nngezwnngenen ,,Sich gehen lassen/' das dieser freien Nation, eigen ist. Beim Gähnen enthüllen sie Gebisse, die jeden Haifisch zum Zweikampf herauszufordern scheinen. Um das Steuerrad grnppirt sich eine Triester Fanlilie, die zn den Fleischtöpfen am goldenen Horn znrnck-kehrt. Sie erfreut sich der besonderen Aufmerkfamkeiten des zweiten Capitano. Der Vater ist ein ,,Signore", da? heißt, er hat po/^i (Geld), nnd die älteste Tocbter mit dem schelmisch herausfordernden Flaum über der Oberlippe nnd mit dem masthohen Chignon ist heirM)sfähig. Die Pvst trifft ein, die letzte Negetnng der Schiffspapiere wird vorgenommen, das dnmpfe Tosen der mächtigen Maschine kündigt an, daß sie bereit sei, ihre Thätigkeit zu beginnen. Das letzte Nebelhornzeichen erdröhnt, die Riesenketten rasseln in die Flnth, das Schiff setzt sich majestätisch in Vewegnug, Vom Molo her Tncherschwenken, Händewiukeu, Nviv^ und Omi ^,Iutu! Wir stechen in die See, die unbewegt, ihre Siesta tränmend, nns nmfängt. Von Trieft scheidend, behielten wir die Küste von Istrim in Sicht. Im wnnderbaren Farbenspiel des Sonnenlichts, im blanen Duft der Entfernung schwimmend, gewährten die gelblichen Berge einen eigenthümlich reizvollen Anblick. Die __ H __ Nähr des Meeres verschönt selbst das Häßliche, erhebt das Unscheinbare, verklärt das Genieine. Vou der Küste her tauchen die altvenezianischen Manern nnd Thürme von Pirano auf, bald nachher Umago. Cit-tannnova, Parenzo nnd Novigno, Einst flatterte das Banner San Marcos von all diesen Zinnen. Die Heiligen sind nm den Credit gekommen': San Marco veriniethet jetzt in Venedig leere Paläste, die über Nacht einzustürzen drohen .nnd verdingt sich als Cicerone in der Stadt der Todten. Pola blinkt vom Ufer herüber nnd im ersten Sonnenstrahl des nächsten Morgens Lissa, wo der alte Doppelaar mit kräftigen Flügetschlägen die Wogen anfpeitschte. Die dalmatinische Küste mit ihren zahlreichen Riffen, Bnchten nnd Inseln blieb, dnrch Nebel verhüllt, nnseren Blicken entzogen. Uns znr Linken dämmerten die Steingebirge des Epirns anf und noch vor Mittag erreichten wir Corfu. Corfu, das alte Corcyra, dessen Namen die Ethnologen von dem keltischen Xorkur (Schiff) ableiten, wie sie Albanien von dein keltischen ^1t den (Hoher Berg) herstammen lassen, als neuerlichen Beweis für die Stammverwandt? schaft der Kelten mit den Pelasgern nnd für die Abtnnft der Albanesen von diesen Letzteren, dürfte nnter den sieben jonischen Inseln die üppigst bewaldete, die zum Aufenthalt einladendste sein. Orangen- und Olivenhaine mit Pyrami-dal-Cyftressen nntermengt, bedecken große Strecken der Uferabhänge. Rninen venezianischer Schlösser bezeichnen die Etappen des ,,geflügelten Löwen" anf seiner Wanderschaft nach der Levante. Die Beschaffenheit der Lnft nnd des Bodens lassen das alte Phäalenland zum klimatischen Cnr-ort vorzüglich geeignet erscheinen. Bis jetzt wird es hauptsächlich nnr vou Kaufleuten aus Alexaudnen anfgesncht, die __ ^ __ den egyptisclM Hochsommer fliehen ^ dor gute Schutz, dessen sich die Insel gegen die Nordwinde erfreut, macht sie aber auch zu einem besonders milden Winteraufenthalt. Wenn sie bisher nicht schou cine siegreiche Nebenbuhlerin Nizza's geworden ist und weun die Damen von der Newa ihre Vlutarmuth und Hysterie nicht auf Coreyra's grüne Gestade schleppeu, so mag das wol hauptsächlich au deu gegenwärtigen gesellschaftlicheu Verhältuisseu liegeu. Als ich Corfu zuletzt besuchte — es war im Jahre 1858 — schimmerten durch die Schießlöcher der nunmehr theilweise, abgetragenen Festungswerke uoch die Rothröcke Albious, wehte vou seiueu Wälleu noch das Leopardeu-bauucr. Damals beherrschte dieses noch ausschließlich die Meere, wie ehedem die. Flagge des geflügelte« Löwen. Seit jener Epoche hat sich der Zug unserer Zeit, d»r dein Emporragen, dem Ileberwiegeu des Individuums über die Gemeinschaft mißgünstig ist sund Staaten sind Individuen in der Völterfaniilie), immer deutlicher zum Allsdrucke empor-gerungeu uud das Leopardenbanner herrscht zwar immer noch auf dein Meere, aber uicht mehr allein und nur unter dem stillschweigendeu Zugestandn iß, seine Herrschaft uicht einseitig zur Geltung bringen zu wollen. In Gibraltar und Malta weht die englische Flagge noch immer, in Eorfu, dem Schlüssel der Adria, nicht »lehr. Corfn hat dadurch vorerst in mancher Beziehung Einbuße erlitten. Die reichlich in Umlauf gesetzten euglischeu Guiueen gabeil dem Eiland einen übernormaleu Wohlstand. Britischer Eomfort und cnro-päische Sitten erhöhten nach verschiedenen Richtungen hiu die Annehmlichkeit des Aufenthaltes; die Erscheinnng lieblicher Ladies uud stattlicher Geutlemeu lieh der südläudischeu Physiognomie der Stadt ein abendländisches Kulturgepräge. — 5 — Seit dem Abzüge der Engländer ist das Alles wegge-wischt: allch sunst soll ein starker 3ttickschlag eingetreten sein. Die Eiugebornen, verwöhnt durch den laichten Verdienst, sahen plötzlich die ergiebigen NrlverbsPlellen versiegen, und erst in jüngster Zeit sollen sie sich aufgerafft haben, nin durch eigene Arbeit den Verlust theilweise einzubringen. Als wir, in den Hafen lenkend, vor die Citadelle gelangten, die sich höchst pittoresk auf einem in das Meer hiuausspringeudeu Felsen erhebt, flog au uuserm Mast die berüchtigte gelbe Pestflagge auf. Der Dampfer wußte sich hierauf uach Vollzug der vorgeschriebenen Formalitäten zu dem Felsen hin begeben, auf dem sich das Lazareth befindet. Tort hatten die ausgeschifften Reisenden die Qnaran-taine zu bestehen. Das Lazarett) ist ein Magazin, in dessen nnwirthlichen Ränmen der Reisende außer den Unannehmlichkeiten einer elftägigen Haft vor sonstigen Häftlingen nichts voraus hat, als daß er für seine Haft uoch Taxen zahlen muß. Vou der Quarantaine wurdell uns Deckreisende an-geküudigt. Bald langten sie beim Dampfer an, in fünf große Boote zusammengepfercht. Es wareu Mahumedauer und Rajahs ans deu gegeuübergelcgeueu Gebirgsgegeudeu des Epirus, die auszogen, um am Goldnen Horu ihr Glück zu versucheu. In Lumpen gehüllt, Fetzeu ihre ganze Habe, zogen sie heran, wol an die hundert Köpfe, Greise, Männer, Kinder nnd Weiber. Albanesische Hammelschlächter, epiro-tifche Kleiuhälidler, Montenegriner, die sich als Gemüse gärtner zn verdingen gedenken, uud Audere, dereu höchster Ehrgeiz dahiu zielt, als Handlanger eiue Brodkrume zn verdienen, die ihnen der heimathliche Steiuboden verweigert. Die Bewaffneten wurdeu entwaffnet und die verwetterten Züge der Mehrzahl dieser Jünger der „Vendetta" ließen — 6 — diese Maßregel weder als unnütz noch als Chicane erscheinen. Die langen albanesischen Flinten mit den kurzen, geschweiften Kolben, die silberbeschlagenen Pistolen nnd die korallenbesetzten Handschare waren in ihrem Besitz die einzigen werthvollen Gegenstände, die einzigen, die nicht ill den Kehricht gehört hätten. Binnen Knrzem war der Schwärm mit einer gewissen Planmäßigkeit im Dnrcheinander ans dem mittlern Deck eingerichtet; ein durchlöcherter, abgeschabter Teppich znln Lager, der Sack mit den armseligen Habsclig-keiten zum Kissen, der halbvermoderte Schafspelz zur Decke — und das Nachtlager jedes Einzelnen war bestellt. In einem zweiten Sack waren die nöthigen Lebensmittel für einige Tage aufbewahrt, Brod, etwas Schafskäse, einige Oliven und Tabak. Was brauchtcu sie mehr, um guter Dinge zu sein? Und sie waren guter Dinge. Bis spät in die Nacht hörte ich sie ihre volksthnm-lichen Weisen dein goldenen Vollmond entgegensummen. Bei Tage rauchteu sie oder spielten Karten oder schliefen; Einige von ihnen schliefen immer, Gegen Abend verließen wir die Gestade der Insel, die iu den Tagen des Odysseus dreizehn Küuige, von keiner Großstaatereisucht angekränkelt, beherrschten und die jetzt ein ueuhellenischer Präfect verwaltet, den starren Blick sehnsüchtig nach dem weißen Creta gerichtet. Wir fuhren an den Iuseln Paxos uud Antipaxos nud mit sinkender Sonne an Lenkaoia vorbei. Purpurn glänzt der äußerste Fels-vorspruug dieses Eilauds, purpurne Feiler strahlt der Wasserspiegel wieder. — Der Fels heißt: „Sprung der Sappho!" Des Nachts bei hellem Vollmondlicht fuhren wir durch die schmale Wasserstraße zwischen Ithaka uud Kephaloma. Stumm nnd todt liegt die Berg-Insel, wo Odyssens ge- __ 7 __ herrscht, Penelope geharrt und die Heiner verewigt hat, für so lange Zeit verewigt, als unsere Kultur besteht. Das Mondlicht bleicht die Schatten der Klüfte, beglänzt geisterhaft die Steine, Grabsteine einer längst versunkenen Welt, Heiter sinnliche Welt, wo Götter als Menschen empfanden! Das gegenüber gelegene Kephalonia full sich eines Tages vor den Augen „des göttlichen Dnlders" Odyssens aus dem Schaum des Meeres erhoben haben. Das Wand, das Zeus dem Reich des Neptun entrissen, nm es seiner Tochter Gäa als Geschenk anzubieten, dürfte seine Entstehung, ähnlich der Insel St, Giorgio, die vor einigen Jahren bei San-toriu aus dem Meere erstand, einer vnleanischeu Bewegung verdanken. Im Goldlicht des Morgens grüßt uns das heitere ,,Arkadia" — bald hierauf erblicken wir die Mauern von Navarin. Welch unvermittelt jäher Uebergang! Kaum daß wir unsere Phantasie in die friedeathmende Schäferwelt der formreine,: Antike sich versenken ließen, kaum daß wir träumend in den rosigen Bildern schwelgten, die an diesen zauberhaft klingenden Namen ,,Arkadia" anknüpfen, in den Bildern, dk' wir unseren ideal schaffenden Meistern danken — Na-vnrin! Ein ranchendes Bild aus der Geschichte unserer jüngsten Vergangenheit. Ganz Europa ist vou emem Taumel ergriffen, wie zur Zeit der Kreuzzüge — doch nicht allein die Religion predigt den Kreuzzng — soudern auch die Universität! Nicht blos die Menschlichkeit, sondern anch die Nilduug! Es gilt nicht allein im Namen des Kreuzes, ueiu es gilt auch im flammenden Namen Homer's, Sophokles' und Demosthenes, im Namen Athens nnd der Ther-mopylen Hellas von der Herrschaft des Halbmonds, Griechenland von den Schrecken des tartarischen Krummsäbels zu __ ^ __ erretten. Ganz Europa flammt auf in Enthnsiasmns uud Byron leiht Lyra und Schwert der heiligen Sacl>e der Griechen. Nauarin! Im Hafen eingeengt ficht die'türkisch-egyp-tifche Flotte deu fruchtlosen, Verzweifluugskaiupf. Hoch zum Himmel empor schlägt die Lohe Uou 20 Schiffeu — dort folgt ihr mit Dounergekrach die Eaftoudana — englische und französische Fcuerschlüude schleudcru Tod und Verderben auf die osmauischen Wracks — kein Entrinnen als in der Fluth, keiuc Rettung, als auf dem Grunde des Meeres. -^ Der Staatsmann an der Newa mochte sich lächelnd die Hände reiben, als der abeudläudische Enthusiasmus, der selbst die vorsichtigen Cabiuette im Taumel mitgerissen, ihm so gut; so gefügig zu dieucu sich hergab. Er wußte nichts von Enthusiasmus, aber er wußte gut, aus Welchem Holz die Nachkummen des Alcibiades geschnitzt wareu: ihm war bekaunt, was hinter der ,,heiligen Sache Griechenlands" zu sucheu sei; er sah mit scharfen Brillcu, die teiu Taumel trübte, daß Sultau Mahmud jetzt die letzte Handhabe verloren, die Verlassenschaft seines Oheims Selim III. unbehin-' dort fortzusetzen. Navarin hat den kühueu Reformator getödtet, sein Reich geschwächt uud gemindert ^ die Ausführuug feiner Entwürfe vertagt nnd erschwert und ein Königreich geschaffeu, au dem die abendländische Kultur bis jetzt unr wenig Freude erlebt hat. Uud doch! Wer wagte es, den jugendlichen Taumel des romantischen Europas zu verdammen? Europa hat im guten Glaubeu gehandelt, als es einem mächtigen, nnwiderstehlichen Zuge gefolgt war nnd das nicht erreichte Ziel kann die Reinheit des Strebeus nicht schwärzen, nicht anklagen. ' — 9 — Doch unser Dampfer eilt. Wir haben seither eine beträchtliche Strecke zurückgelegt. Die gelben Thürine von Mondono, gleichfalls venezianische Ruinen, schimmern goldig von der verbrannten, öden Küste Griechenlands herüber. Bald wechselt die Fluth ihre Türkisenfarbe für die dunkleren Iaspistöne, die Brise weht schärfer, eindringlicher, der klare Wasserspiegel wellt sich nnd leichte Wogeil werfen Ihre Krystallpcrlen flimmernd der heitern Sonne entgegen. Die Branduug bricht sich schänmend an einem kahlen Riff. Eine alte Möbe netzt im weiften bischt kreischend ihre Schwingen. Wir umschiffen das Cap Matapau, die südlichste Spitze des europäischen Festlandes, das Versteck ewiger Stürme. Wie ein blanker Silberschild, über den allmälig ein Gazeschleier gezogen wird, bleicht die Adria hinter uns? wir schwimmen im mittelländischen Meer. Für nnsere Geschichte ein zcichenvolles, namenreiches Meer. Das Meer der Meere der classischen Well, wie Nom die Stadt der Städte war! Wir hatten während der ganzen Fahrt eine ausnehmend günstige Witterung und ich erinnere mich nicht, die volle Schönheit der Meeresstille je so rein genossen zu haben wie diesmal. Ein Sonnenaufgang im Hochgebirge, namentlich in Gletschergegenden, sieht sich gewiß noch farbengesättigter, malerischer an, als in offener See. Den Sonnenuntergang aber. der auf weite Entfernungen Luft und Wasser mit den wärmsten Irisfarbentönen durchleuchtet oder den Vollmond, den man erst blutroth ails der dnntelnden Fluth empurtaucheu und dauu im Anfstcigen eine Niesenstrasie Uon zitternden Goldschein über die dunkelnde Wasserfläche breiten sieht, während im Westen das Violett der Nacht noch mit dem — 10 - Purpur des scheidenden Tagesgestirnes ringt, muß man ini weiten Ramn, wo die zwei Elemente Luft und Wasser dnvch keinerlei Contoureu eiilgeeilgt erscheinen, gesehen haben, nm die ganze Prachtentfaltuilg solcher Erscheinungen zn verstehen. — Da erscheint Alles grüß, mächtig, unendlich. Die Luft war heiß: eine wahre Sommertemperatur. Hätte uns nicht der Kalender eines Andern belehrt, wir konnten nns in Inlitage zurückversetzt wähnen. Die Reisegesellschaft snchte während der Tagesstunden Kühlung unter dem Leinwanddach des Hinterdecks. Nur die zwei Amerikaner ließen sich in freier Sonne rösten. Sie lagen in Wolldecken gehüllt auf der Staffel des hintern Steuerrades, die Fiiße zur grüßern Bequemlichkeit im rechten Winke! auf das Bordgelände gelegt. Die eine der jnngeu Armeinerinnen ließ ihre Stick-uadel über das erste Fünftel des vor vier Monaten in Franzensbad begonnenen Pantoffels gleiten; die Wechsler-fran saß in stummer Nuterhaltung mit den Bernsteinperleu ihres Rosenkranzes; der Engländer schleppte seine Bibliothek von poekot, dool« Treppe auf, Treppe ab und seine Lady schrieb jeden Tag mehrere Stunden hindurch au der ersten Zeile eines Briefes, der wahrscheinlich die Reise-Eindrücke des ersten Honigmonats wiederzngeoen bernfen war. Der Tricstiucr spielte Dame und der zweite Capitäli girrte, wo es nur immer anging, um dessen Töchterlem, deren Thnrm chignon seit der Abfahrt von Trieft mit jedem Tage eine sichtlich größere Anziehungskraft auf den wackern Istrianer zn übeu schieil. Wir umschiffen endlich das Cap Malea oder St. Angelo und streifen fo dicht daran vorbei, daß wir mit freiem Ange -^ den berühmten Eremiten ausnehnil'u können, der seit ^5 Jahren auf diesem Felsen hanst. Er saß anf — n — einem Steinbloä vor feiner Klause nnd starrte ill die Weite See hinaus. Unseres Danipfers IMte der Vertraute der Einsamkeit nicht acht. Kein Busch, kein Grashalm schattirte das ausgewetterte Gestein um die Klause, die durch die schroff abfallende Felswand dun jedem Verkehr mit dem Innern abgeschnitten erscheint. Segelschiffe, die am Cap vorübersegeln, lassen für den Manu Gattes und der Askese Lebensrnittel znrück, damit er Fürbitte thue für ihre glückliche Fahrt. Unser nächstes Ziel war Syra oder Hermopolis ans der gleichnamigen hellenischen Insel, der kahlsten nnter den Felsinseln des Archipels. Die Erde wird von anderwärts als Schiffsladnng nach Syra gebracht nnd dort verkauft. Die Hafenstadt erhebt sich amphitheatralisch. Augenverletzend weiße Stein massen anf einem gelben, verbrannten Hintergrund! Die kleine Stadt, bedeutend als griechischer Handelsplatz, hat sich in den letzten Jahren sehr entwickelt; ihre oberste Spitze nimmt das Katholikenviertel ein, das von den anderen Quartieren durch einen unbebauten Zwischen-räum streng gesondert ist. Die ,,orthodoxe Intoleranz" der Ncuhellenen steht keinem andern Fanatismus nach und die „kkilu tränkn^" (fränkischen Hnnde) wurden kanin besser be-haudelt, als je der Gianr in der benachbarten Türkei. Syra war znr Zeit des letzten kretensischen Aufstandes Mt Hauptquartier der hellenischen Freischärler. Die Quarautaine für Syra wird auf dem wüsten Felsen-Eiland Delos abgehalten. Die Ausgeschifften dürfen dort gegen Entrichtnng der Taxen unter dM schönen Himmel (Griechenlands campiren; da die Errichtung eines Lazareths l^eld kostet, fehlt es natürlich gänzlich und den Bemittelten unter den Ausgesetzten werden anf Verlangen nnd für - 12 — schweres Geld Zelte vcrmicthet. Im Uebrigen mögen sie sich abfinden, wie sie können. Vmi Syra bekamen wir gleichfalls Deckpassagiere an Bord. Darunter waren zwei Eiugeborne, die jeden: Maler-Atelier als werthvolle Modelle gedient hätten. Der wetterlenchtende Blick, die dunkelgefärbte Hant, die gcierschnabelartige Nase, der struppige Vollbart, die krallsen schwarze!« Haare, darüber das sackartig nach rückwärts hängende Fez vereinten sich ill jedem Einzelnen znm prachtvollsten Piratentypns: den Aelteren kleidete die orientalische Weste in stark verblichenem Roth, eine unbescheiden faltige Pluderhose und ein dein Schnitt nach allenfalls in einer italienischen Trödelbude gekaufter, aber wohlverstanden nicht von ihm selber gekaufter Ueberrock; der Andere hatte eine, Scemcmnsjacke ans gelblichem Lodenstoff über die Schultern hängen. Ans der Ueberrocktasche des Einen lugte der Hals einer großen Branntweinslasche, ans der Westentasche des Andern ein abgegriffenes Spiel Karten. Bei Jedem der Beiden hätte eine genane Untersuchung das verleugnete Messer entdecken lassen. Mit hereinbrechender Nacht konnte der Dampfer endlich die Anker lichten. Die bisher seit Trieft ununterbrochene Windstille war einein scharfen Windhauch gewichen, der durch die Nacu pfiff und den meisten Reisenden den Aufenthalt auf dem Verdeck verleidete. Den Majurdonw sah ich- dämonisch heiter lächeln. Er war bisher übler Laune, denn er hatte an nns schlechte (Geschäfte geinacht: der Tisch war bei den Mahlzeiten immer vollständig besetzt gewesen. Zn den Dardanellen. Bei der Ausfahrt aus dem Hafen von Syra Vlies der Wind conträr. Die Bewegllug der See jedoch stand iu keinein Verhältnis; zil seiner Heftigkeit! der Dampfer fchwantte unmerklich. .Mir find noch durch die Inseln geschützt; sobald wir in die offene See gelangen, werden wir tanzen/' lautet der weni^ tröstliche Oratelspruch des Schiffsarztes. Er bleibt nicht wirkungslos. Aei der Hauptmahlzeit stockt das Ruudssespräch iu bedeutsamer Weise. Die Damen werden, ohuc cs zu wollen, eillsiluiq und lauqeu bei jedem Gericht nach Citronen. Das Klirren der Fensterscheiben und der Toller unterbricht vordringlich die lantlosen Pausen und der Majordomo schaut immer vergnügter drein: er mag berechnen, wie uiele Gäste bei dem nächsten Mahle fehlen werden und nm wie viel geringer das Speisenansmaß zn seinem Vortheil zn bestimmen sei. Die Nmeritaner rüsten sich gegen l>ie drohende Seekrankheit durch starte Ladungen von Cognac. Die jüngste Armenierin flüstert ihrer Mutter beständig zu: ,,Wir werdeu untergehen." Wir dnrchfahren die enge Wasserstraße zwischen den beiden (5ytladen ,,Tinus" und „Andros" uud stecheu in offeue See. Der Wind bläst frisch uud uuvernnndert drauf lusi das Meer und der Dampfer aber verhalten sich wie - 14 — früher. Ich will hoffen, daft der Doctor besser in der Diagnose, als in Meteorologie bewandert ist, ,,Ein Landwind '. sein Pfeifen hat uns nichts an/' meint der Kapitän. ,,Wir werden dabei besser schlafen." Gm dankbarer Blick der Triestinerin nut dein Pagenschnurrbärtchen belohnt ihil für die beruhigende Versicherung. Die armenische Jungfrau aber raunt ihrer Mutter noch einigemalc, wenn auch mit festerer Stimme, zu: „Wir werden untergehen." Beim Abendthee fehlt Niemand als der eine Amerikaner mit dem Weißeu Flancllpaletot. Er lag trotz und sammt dem Prä-ventiv-Cognac iu seiner Cabinc — seekrank. Auf der Stirne des Majordomo lagerte wieder das frühere Wd'lkcheu. Der Capitän hatte Recht behalten; wir schliefen sammt und sonders den Schlaf des Gerechten, Ich wünsche dafür dem wackern Schiffslenker, daß der Schlaf der Triestinerin nicht so tief gewesen sei, um sie verhindert zu haben, Uou der bebordeteu Eaftitänsmütze mit dem Üloydzeicheu zu träumen. Alv ich mit nächstem Morgen das Deck betrat, glänzte mir im Strahl der Frühsmme „Tencdus" entgegen; zur Rechten blantc die Küste der „Troade". Tenedos, wohin sich die Griecheu nach frnchtloscn Stürmen anf Ilion zllrück-gezogen, das unheilvolle Pferdgebilde auf dem gegenüberliegenden Strande zurücklassend; ein letzter Trnmpf ihrer List. Wehe dir, dn bethörtes, dem Verderben geloeihtes Troja! Heil dir, von den Göttern geseguctes Iliou! Der Verrath und die Flammen haben dich in einer Nacht von der Erde vertilgt - doch du stehst herrlich vor unseren Blicken noch nach Iahrtansenden. Dn bist gefallen, Troja, um für immer zu bestehen. Anch Niniveh und Babel sind — 15 — gefallen und dor Pflug ist über sic hinweggegangen und hat nichts gelassen, als ihn- todten Namen. Dank dein Geuius Homo's, Troja, bist du begünstigter als sie. Wir sehen sie belebt, die Küste, wo der männermordende Kampf getobt- wir sehen die Riesentragödie, wo Städte als Handelnde auftreten nud Völker die Chöre bilden, vor nnsereu Augen sich entrollen. An der Hand Homer's richtet unsere Phantasie die Zinnen Ilions immer wieder vou Neue»» auf. Wir hören dic warnende Stimme der Seherin Cassandra unbeachtet verhallen, damals, wie so oft — ja fast immer seither. Vor uns tagt der Rath der griechischen Köuige. Wir sehen vor uns Nestor, Ulysses, Achilles, Patroklns erstehen und lauschen athemlos dem Waffengeklirr nud deu Hörnerrufcu vou jcucm bleichen Gestade und verfolgen bebend das verhängnisvolle Rollen der ehernen Würfel! — Aermste Hetnba! Beklagenswerther Priamos! Heil dir, Iliou! Mag die kühle Kritik immerhin die trojanischen uud griechischen Helden in das Neich der Mythe verweisen, für uns haben sie gelebt, für uns leben sie noch dnrch die Macht der Dichtung, wie Humer sie gebildet. Die Gebilde der ^unst haben ihre Wirklichkeit, eine besondere, unantastbare, geweihte Wirklichkeit, und die schärfste Beweisführnng der beschichte bleibt ohnmächtig vor der Schöpferkraft des Ge-uius Jene wendet sich an unsern Verstand, au unser Nüchterueö Urtheil, indeß diese nnser ganzes Wesen nber-zmgt, crfüllt. Wer von uns hat nicht mit Priamus gebangt, nut Hekuba nnd Andromache geweint und über Hrttor getrauert? Doch die Troade liegt hinter uns. — Blickcu Wir vor! Für uus ist die Fahrt längs dieseu Küsten ein beständiges — 10 — Blättern in der Vergangenheit, ein beständiges Erneuern unserer Iugendempfindnngen. Auf Teiledos erhebt sich das erste ottoinanische Be festigungswerk. Der migrenzende Ort ist ans Holz gebaut, Zwei weiße Minarete überragen die branne Hänserheerde-, wir fahren in ottomanischem Geluässer. So weit das Auge reicht, entdecken wir anf Tenedoc' keine Pflanzung, keinen Weinberg mit jenen Reben, an-s denen der qernhintc Wein gepreßt wird' All diese Inseln bergen ihre Oasen tief im Iuuern, hinter dein schlitzenden Steingürtel der Küste nauhöhcn. Wir sind iin Hellespont! Rechts lassen wir Ehersonncs, wo einst Miltiades, der Sieger von Marathon, geherrscht. Zn beiden Seiten der Meerenge folgen Schlüsser nnd Erdschanzen in kurzen Zwischenräumcn. Die Schlösser wurden zumeist nach den Entwürfen nnd Anordnnngen des bekannten Generals Baron Toth erbant. Die Erdbefestigungen, die gegenwärtig allein einen Werth für die Vertheidigung habe» mögen, sind nenesten Tatnms. Jin Hellespont nimmt die Vodenbeschaffenhcit der europäischen Küste einen andern Charakter an; die Anhöhen sind mit niederm Gebüsch bedeckt nnd der Grnnd ist Thonerde, Die bekannten Töpferarbeiten der Dardanellen werden ans diesem Thon gedreht. Bald gelangen wir zu den beiden „sogenannten" Dardanellenschlössern. Jene« anf dein enro-päischen Ufer wurde anf besondereil Wunsch eines Sultans in der Form seiner Thnra (kaiserlichen Namenszeichnuug) erbaut. W ist Kilioir sind der Gesellschaft wiedergegeben. Die Niedergeschlagenheit der Reisenden weicht vor diesem verheißungsvollen Zeiche», Der Amerikaner ist mit seinen gesammten Plaids auf das Bugspriet übergesiedelt uud liegt dort, die Füße hoch auf die Raen gestützt. Ein großer Strohhut, mit einem Turbau umwunden, schützt diesmal seiue Nase. Die Armeuieriu hat Pantoffel und Stickuadeln eingepackt und trägt sich auf dem Verdeck hin nnd her. Die Mllän.nn8o1Ig, läßt sich vom Capita» die SchiffM'standtheile erläutern, Mylady schließt den »»beendigten Brief in ihre Mappe und verflicht sich sogar in eiu Gespräch mit mir, natürlich über das Wetter. Ein allgemeines Lächelu verdrängt das allgemeine Gähnen. Der Anker ist gelichtet. Nir biegen um das Fort Nagara und setzen unsere Fahrt durch die Meerenge fort. Wenn wir bisher ans der ganzen Fahrt nnr felsige Klüften nnd kahle Berge zn Gesicht bekamen, so bietet uns das kleinasiatische Ufer hingegen nur bewaldete Höhen uud einen frnchtbaren, weuu auch gäuzlich brach liegeuden Boden. Wie viele Hände könnten bei ge-nnger Mühe in diesen Gegenden, wo die Nähe des Meeres drn Absatz erleichtert, reichlichen Unterhalt und Verdienst finden! Sie brauchten blos zu säen, um zu ernten. Vor Sonnenuntergang fahren wir an Gallipoli vorbei, "nst das Hanptqnartier des Capudan Pafcha nnd Stelldichein snr die otwmanische Flotte vor See-Unternehmnngen, Bei Gallipoli setzten die Ottomanen znerst von Asien nach Europa über. Gallipoli gegenüber auf dein asiatischen Ufer liegt - 22 — Lantsaki, wegen seines schon im Alterthnme geschätzten Weines bekannt. Mit einbrechender Dunkelheit fahren wir in das Marmara-Meer. den Propoutus der Alten, ein. Die Rei-senden suchen bald nach dem Thee ihre Cabinen auf: es gilt, morgen vor Tagesanbruch auf don Füßen zn sein. mn die Einfahrt in das Goldene Horn nicht zn versänloeii. Am Goldenen Korn. Der plötzliche Stillstand des Dampfers und ein heftiges Tosen des ausströmenden Dampfes scheuchen mich aus einem unvollendeten Traum empor und aus der Cabine auf's Ver deck. Wir waren am Reifeziel. Vorderhand mußte ich es mir freilich au dem Bewußtsein Genüssen lassen, denn ein dichter Frühnebel laqerte über Hafen und Stadt. Aiechts anf dein blaßguldenen Hintergrund zeichnen fich mälig die dunklen Umrisse der Selimie (Kaserne Selim des Dritten) mit ihren vier Thnrmeu, einige Minarete und Parasulpinien auf asiatischer Erde. Endlich tanchen links aus dem rosig durch hanchten Grau in grauen Liuicn die Thürme, Kuppeln nnd Pyramidal-Cypresseu der Serailspitze heruor. Bald glänzt der östliche Horizont in wärmeren Tinten, der Nebelvorhang lüftet sich hie uud da. das Bild entrollt sich stückweise por unseren Blicken, ein Bild, wie keines Dichters Phantasie es fchoner entwerfen, keines Künstlers Hand es farbenprächtiger ausführen könnte. — 23 — Ein eigenthümliches, überwältigendes Pauoraiila! Ilin das kolossale Hafenbecken erheben sich über Mastenwäldern anf drei Hanptanhöheu terrassenförmig, in alle Farbentöne der Palette getancht, nilabsehbare Hältsermassen. Die Kuppelform, uiitnnter in gewaltigen Bogen gewölbt, herrscht anf der einen Seile, das ist im eigentlichen Stambnl, vor. Hnn-dert nnd hundert Minarete nüldern ihre ernste Majestät, befreien ihre massige Gebundenheit. Diese Minarete sind die letzten charakteristischen Pinselstriche an dem herrlichen Vilde. Das schlanke, frei znm Himmel emporspringende Minaret ist ans dem eigensten Wesen des Islam hervorgegangen als ein in Stein geschriebenes Bekenntniß der Einheit Olittes, als Votschaft eines Glanbens, der keine inneren Nämpfe, keine Zweifel, keinen Rückhalt kennt. Der gothische Dom scheint ans dem qualvollen Ringen einer geängsteten Seele zn erstehen, die im Kampf mit den Dämonen der Erde, mit den Anfechtungen des Fleisches, nach der Harmonie des Jenseits strebt. Die islamitische Moschee ersteht ans der nnangefochtenen Harmonie einer blind gläubigen Seele, eines Geistes, dein in der Ergebung die Lösuug aller Widersprüche geworden ist, ohne daß er sie je versucht hat. Der Morgen flammt um die Spitzen der Riesenstadt; die Sonne des Orients küßt den Schlummer von der Stirne der Cäsaren-Wittwe — sie erwacht. Unser Dampfer ist sofort von einer Barkenflotte umschwärmt nnd sobald den Hafenfürmlichkeiten genug gethan ward, von dereu Führern erstürmt wie znm Schlnß des dritten Aetes in der .Mrikanerin" das Schiff von den dnnt'el-häutigen Wilden, Verdeck, Salon, lawmen, kurz jeder Ranm ist im Nn vun ihnen überfluthet. In einem Chorus, der alle — 24 — Sprachen in sich begreift, welche dein babylonischen Thurmbau ihren Ursprung verdanken, werden die Opfer beredet, betäubt — gefangen. ,,Und gehst du nicht willig, so brauch ich Gewalt." — Den Amerikaner mit dein Heftpflaster auf der Nase, sehe ich gegen einen Hänfen heißhnngriger (kriechen sich sträuben wie Dun Inan gegen die Rachefurien der Hölle. Vergeblich. Seine Plaids schwingt bereits ein siegreicher Arm aus der Rotte. An jeden Reisenden kommt die Reihe: deiner wird Übergängen. Ehe man znm Entschlüsse gelangt, hat sich ein Andränger der Koffer, ein anderer der Person bemächtigt. Man kommt erst znm Bewußtsein wieder iu der Barke mit den vom Schicksal begünstigten Reisenden-fängern, unter dein Kreuzfeuer ihrer Scheltworte. Mir war es durch deu ganzen Aufwand meiner List möglich geworden, vou Diesem nnd Jenem meiner Reisegefährten flüchtig Abschied zu nehmen. Das strahlende Gesicht des eapitÄno spiegelt das „a riveäeroi" wieder, das ihm die Triestineriu zugeflüstert haben mochte. Die Armenierinnen laden mich ein, sie zu besnchen; die Angabe der Adresse verhallt im Tumult, Nachdem ich Seereise, Quarantaiue, Landung und Zollamt glücklich überstanden hatte, tonnte ich daran denken, die Wohnung, die nur in einer Bospurvilla gastfreundlich ange boteu worden, aufzusuchen. Der Weg führte mich durch Galata (fränkisches Handelsqnartier) zur Brücke, wo die Bospordampfer landen. In Galata faud ich Alles beim Alten: In der Hauptgasfe dieselbeu engbrüstigen Steinbanten neuester Entstehung, die ihreu vorzeitigen Verfall an der Stirne tragen, während die zwingbnrgartigen massiven II-in« der Geuueseuzeit, die als mittelalterliche Naudeukmale jeder abendländischen Stadt zur Zierde gereichen wurde:,, iu den _^ ^> __ Seitengäßchen versteckt sind, dieselben vorhanglosen Fenster mit den spinnenbedeckten Gittern und den blinden Fensterscheiben, die als Zeichen nnwohnlicher Räume auf uns niederglotzeu. Uni mich wogte dasselbe Iahrmartttreibeu einer Menge, in welcher nur ein Verschwindelid kleiner Bruchtheil anständig gekleidet erscheint. Mich nmschwirrte derselbe sinn-bctänbende Lärin, der den Geschäftsvicrteln Konstautinopels eigen ist, wli jedes Verkallfsobject ausgernfen wird und wo jeder Ausrnfer den Ausruf wohl zehninal in einem Athem wiederholt und mit Trillern nnd Vocalschnörkeln ausschinnckt. Ich glitt, wie sonst, ans dem schülntzigen Pflaster ans, das mir feucht entgegenschimmerte, obgleich es seit drei Wochen nicht geregnet hatt?. Ich lief wie ehedem Gefahr, über die scmmelfarben meist, schäbigen Hnnde zn stolpern, die ihr Standquartier um die Fleischbänke, Klewkrämerladen nnd Garküche» anffchlagen: Uon Lasteselheerden, die nut Doppel-törbrn besattelt, mit Mehlsäcken oder mit blntigen Hammelfellen belade», dnrch die enge Gasse drängen, niedergetreten "der oon den Hamals trotz ihrem ohrenzcrrcißenden Katsch! (Flieh!) oder: Guarda! »iedergerannt zn werden. Ich fand dasselbe Incinanderweben aller Gestanksarten, die eine en^ pfindliche Nase träumen, in einer bangen Stunde des Alpdrückens tränmen kann. Eines war nen hinzugekommen: die tönenden Kindertrompeten der Tramwaykntscher, die in unaufhörlichen Fanfaren über die Köpfe des Menschen-lnänels schmettern. Anf der Brücke, die den Znstand des vollkommensten Provisoriums zur Schau trägt, weil die nene in Eisen auszuführende trotz Proceß nnd Protest von den Unternehmern uoch immer nicht herbeigeschafft worden ist, fand ich die-1^'lbe nnqehenre Bewegung, dasselbe Incincmderwogen von - 26 — Meuschenmassen, dieselbe lebhafte Geschäftigkeit, aber auch dieselbe Hecke von zerlumpten Bettlern wieder, die in allen Idiomen, welche in den Strecken zwischen der Mauer des Reiches der Mitte und der Donau gesprochen werden, ihre Ansprüche an die Börse der Vorübergeheudeu geltend machen, dieselbe nervenerschütternde Ausstellung von verkrüppelten Gliedmaßen und Körverfragmenten, deneu wan sonst nur in den düstersten Nachtbilderu eines Breughel begegnet. Wehmüthig gedachte ich der obrigkeitlichen Anschlage-tafeln in den Ortschaften des Salzkammergutes mit der Verwarnung ,,der Bettel ist bei Straffe verboten." Man ersieht bereit« aus der Orthographie, daß es sich hier um eiue verdoppelte Strafe handelt.) Im freien Orient ist die Bettelei ein freies Gewerbe und man kau« füglich behanpten, daft in Konstautiuopel, wo die eine Hälfte der Bevölkerung vom Staate zehrt, zwei Fünftel der andern Hälfte vom Bettel, zwei Fünftel von namenlosen Speculatiouen und unr eiu Fünftel von eigener selbständiger Arbeit lebt. In gewissen Stadttheilen wird man hier alle zwei Minnten an gebettelt, das heißt angebettelt eigentlich nur von Christen, denn der Muselman bettelt nicht, sondern fordert, wie er empfängt, ohne zn danken. Seine anständigste Art, den „Tribut" eiuzusordern, ist, dem Betreffenden einen Zahnstocher, ein Ohrlöffelchen oder ein geheimnisivoll beschriebenes Stückchen Papier anfzndringen. Nur der eiugeborene Jude — es ist dies sehr be-zeichueud — bettelt überhaupt uicht. Kurz, Galata hat sich wenig oder gar uicht verändert. Erst am Bosporus, an den bezaubernd schönen Gestaden des Bosporus, konnte ich mich von den entmuthigendeu ersten Eindrücken der Anknnft erholen, (ir ist anch derselbe __ 27 __ gebliebeu, diese Wonne der Ottomanen, diese Zierde der Welt. Nud wie freundlich, sommerlich lachte er nlir entgegen! Hatte ich nicht bereits Uor vier Wochen ain Traun-see meine Willtergarderobe gemilstert? Jetzt spähe ich unter meinen Effecten nach den sommerlichsten Kleidungsstücken. Hinter mir ließ ich den frostigen Spätherbst des Nordens und über mir blaut der wolkenlose Himmel des Orients, Iin Spätherbst zeigt sich der Bosporns in seiner ganzen, vollen Schöne, der October ist für ihn ein stetiger Festtag. Iu dieser Jahreszeit lernt man an seinen Nferu die Eigenthümlichkeit dev Stanibulcr Wesens ganz erfassen, ganz verstehen. Hier predigt Alles mit schmeichelnder Stimme Ergebung und verführt zu einem gewissen Sichgehenlasse»; hier zwingt Nlles Seele und Körper zu träumerischer Nu-thätigkeit. hier nmweben die Eindrücke der Außenwelt beide uud lulleu sie in eine Art Dämmerleben, iu eiueu Znstand wic Halbschlummer ein. — Die Denkkraft erlahmt, die Nerveu erschlaffen. Ich, der ruhelos Hastige, immer Bc-wegungsbedürftige, kauu hier Stuuden hindurch auf einer Veranda ruheu und hinausstarren ans den hochgewölbten, azurblauen Himmel, auf die piuiengekrönten Hügel mit den farbigen, freundlichen lIali) Villen uud auf die leicht gewellte Äuth, die Dampfer uud Segel uud Kähne durchfurchen, über welche Möveu auf- und uiederflatteru uud Schwärme jener Vögel lKusch), welche die Seelen der Verstorbeueu zum Paradiese hinübertragen, dahingleiten. Ich kaun mich hier Stunden hindurch im Unbestimmten mit Behagen verlieren, ohne inir eines Gegeustaudeö oder meiner selbst mit eindringlicher Schärfe bewußt zu werden. Der energischen Arbeit des (^edanten^, der Vertiefung, ja selbst dem Spiel der Phantasie ist diese Lnft, dieser Fleck Erde nicht hold. Wanderungen durch Aonstantinopcl. I. Stambul anS der Vosselschan. Mein uächster Allsflug galt Stainbul. Wir habe,l dasMst den Feuerthilrin im Seraskicrat (Kriegsmiuisterium) bestiege», Huudertueunultdsiebzig Stufen im Schueckengang. Von diese»! Thurm verkündet gar oft, zll Zeiten täglich, das Älarinstgual nicht eiueu Haus- ueiu, eiueu Strcißeulnalid, jn die l'esuuiieiide Eiuäscheruug eiueö gauzen Stadttheils. Trotz dieser sich oft wiederholeudeu Verheerungen, siud die Orientaleu bis jetzt bei deu Hlilz-bauteu verbliebeu. Diese Vorliebe ist leicht erklärlich: Jeder muselmanische Familienvater, selbst der unbemitteltste, muß ein Hails für sich bewohnen nnd folglich, da Jeder nur für fich bant, besitzen. Holz ist das billigste Material, darum wird in Holz gebaut und darum zählt Stambul f» viele und fo viel hüttenähnliche Bauteu. Die meisten Vor-nehmeu haben keiu anderos Veriuögeu alc' ihr Amt^ ihre Bedürfuisse übersteigen fast immer ihre Einkünfte. Der Brauch, Standesrücksichten und die Lebensart zwiugeu sie, räumliche Häuser zll bewohneu uud zwar iu Koustailtinopel deren zluei: ein Winterhotel iu Stambul, ein Landhaus in gleichen (NrüsieiwerlMtnissen am Bosporus, und so banen — 29 — sie ebenfalls in Holz. Ueberdies stiminte dir Fnrcht Cor den friiher häufigen Erdbeben eben so sehr für dir Holz-banten, als dir Fnrcht vor den Frurrsbrnnstrn grgrn dir^ srlbrn. Nntrr nns dehnt sich dir Riesenstadt ans, ans zwei Welttheileu ruhend, von zwei 3)ieeren ltlnspiUt, dir Hrrr-lichc, Eiuzigr! Dir Stadt drr Grirchrn, dir Stadt dcr Krruzfahrrr, dir Stadt drr Otwmanrn. Erobrrt, zurück erobert, oft zerstört und cdrn so oft aus drr Aschr liru rr standen. Mruschrugrschlrchtrr allf drr Rrisr trrtrn sir uirdrr. besitzen sie, plündern sir untrr deut Vorwand, sie zn be-schinnru — nnd verschwinden. Drr Rrichthnnl, dir Schu»l>rit. die Vrdeutnn^ dir ihr dir Natur gegeben, sind 'geblieben, die Zeit hat Alles andere iu einer Falte ihrrs Mantels mitgenommen, lassen wir den Vlick in raschem Flug über Meer niid Golf, nl'er Thal und Hügel kreisen. Vor uns, knapp am Gestade der Marmara, liegt das berüchtigte Schloß der sieben Thürme, bis noch vor einem Menschenalter der unfreiwillige Anfenthalt manches nnver letzlichen Gesandten, heute ein harmloses, zeitmüdrs Gr mäuer. Drr Fall der Bastille hat auf viele huudert Mei' len hin anch dir düsteren sieben Thürme zn Falle gebracht. Denn nachdem da5 „oar WI 68t mau Mi8ir" des Einzigen in dem hundrrttansendstiinmigen „oar tel 68t nutre äruit" des französischen Voltes einen l'rdentnngsuollrn Grgrnhall gefnnden hatte, spielten auch bald darauf die rrstanntrn ^üfte der Marinara nm dir entriegelten Thore des osma Nischen Tower. Auf der Serailspitze, dem mchrrsten Vorsprnng Stam-buls g^l>u dj^ Marmara hin, finden wir den noch von — 30 — Sultan Mahmud bewohnten kaiserlichen Palast, Der alte Palast mit seinen Thürmen, Kiosken nnd weitlänfigen Galerien bildet eine Stadt für sich. Tappelte Ringmauern umschließen die dnrch Gartenanlageu getrennten Gebäude, die zu verschiedenen Epochen, in unterschiedlichen Slilarten ansgeführr wurden. Die Serailspitze zählt zn den interessantesten Punkten Konstantinupels, zn den schönsten der Welt, Die Sinne nnd die Betrachtung werden im wonnigen Dnnkel ihrer Lanbdächer, im Schatten ihrer Mauern gleichmäßig angeregt. Heute« ist der ehrwürdige Palast vereinsamt und verwaist. Nur die. Huldigung bei der Thronbesteigung nnd anläßlich der Bairamfeste wird noch an der innern Eingangspforte nach altem Branch unter freiem Himmel begangen nnd gibt ihm anf Stunden den verblaßten Schein seiner einstigen Herrlichkeit wieder. Der alte Palast hat seine Tage des Glanzes hinter sich, ganz so wie seine nnnmehr einzigen Bewohnerinnen. Die Gebäude der inneren Höfe nämlich, die den obern Theil des Hügels einnehmen, werden dazn verwendet, den kaiserlichen Franen anßer Dienst nnd den Wittwen kaiserlicher Vorgänger eine beschauliche Znrnckgezogenheit zu gewähren. Aber die unfreiwilligen Bewohnerinnen dieser Räume sind nicht aus dem Hulze der La Valliüre geschnitzt. Wie sie die Dinge nehmen, haben sie nichts zn berenen, hingegen Alles zu bedauern, nnd sie bedauern es tief uud glühend, uicht mehr von dem Mächtigsten begehrt, von den Rivalinnen beneidet, von den Sklaven gefürchtet zu werden. In der Leere, die sie umgibt, stehen ihuen nicht Nunst, nicht Religion als tröstende Engel znr Seite- der Islam begünstigt keine Gefühlsschwärmerei. Sie haben leinen andern Trost als den, die Herrinnen des Tages bald als Genossinnen zu erblicken; das Gefühl der — 31 — erbleichenden Schönheit, der schwindeudeu Jugend nagt quälend an ihrem Herzen. Sie träumen nicht über der welkenden Rose, sie zerreißen sie' sie trüben den tückischen Handspiegel nicht »lit Thränen, sie zertreten ihn. Die Lage dieser Frauengemächer gewährt einen unbeschreiblich schönen Ausblick auf die. Uun den Bergen begrenzte Marmara. Die Höhen, der Olymp bei Brussa in ihrer Mitte und die von freundlichen Inseln getheilte Fluth wechselu zauberhaft in rosig durchhauchtem Schinnner nnd azurnem Duft. In diesen schmachtenden Linien ersteht nns eine ideale Harmonie. Wir fürchten, das Bild werde plötzlich nnsern Blicken entrückt werden und im Himmel eut-schwiuden. Der Blick schwingt sich so frei. so fesselledig, so ahuuugsbeflügclt über Flulhen und Vergfirste, über die Welt der Erscheinungen - freilich nicht der Blick der iu diese Räumlichkeiten Verbannten, sie blicken nicht hinaus, sie blickeu uicht vor sich, nein, einzig um uud hinter sich. Eie sehen deu Schwarzen, der nicht mehr scheu nach ihrer Wimper schielt, sie sehen in ihren pruukendeu Gemächern das ewig Gestrige, das ihre Launen jetzt beschränkt, statt wie eiust ihr Spielzeug zu sein. Der au die Aja Sofia grenzende obere Tract des Palastes wird als Finanzministerium, der uutere, dein Thor »n die Hohe Pforte zuuächst gelegeue, als Münzamt benützt. Auf diesem Thore wurde'u die Köpfe der dem Sei-deustrange verfallenen Würdenträger ausgestellt, um ihren Nachfolgern im Amte, weuu sie au diesen blutigeu Mahu-zeicheu vorbei zu ihrer Installation ritten, zur Warnung, dem ^ilke aber als sichtbares Zeichen der stets wacheil Gc-^'chtigteit des unsichtbaren Padischah zu dienen. Jedoch die Nachfolger dachten für sich: Wir sind klüger als diese, und __ IH __ die Alton im Volke brnttuuten: Wie die Einen gethan, so werden die Anderen thun, wie's den Einen geschehen, so wirds den Anderen geschehen. Allah weiß, was er thnt. Allah ist groß! nnd die Inngen frenteu sich an der Grimasse der Köpfe ans den Silbertellern nnd an den Ehrenpelzen und Stickereien der Neuernannten, au den schimmernden Waffen ihrer Diener nnd an den funkelnden Geschirren ihrer Pferde. Nächst dein Thore auf de'm höchstgelegenen Pnnkte des Serails, wo das Finanzministerinm, Mischen Vorrath nnd Bedarf dalancirend, seine desieitmehrenden Tage fristet, be-gegnen luir eineni mächtigen Knppelbail, »ach welchem die Wiederherstellnngsjünger der byzanti»ischen Gräilelwirth schaft vun der einen Seite, der nwswvitische Raubvogel von der andern, jahranv jahrein sehnsüchtig begehrliche Vlicke richten^ es ist die Aja Sl'fia, von Anften durch keinerlei architektonischen Zierrath, sundern »nr dnrch ihre gewaltigen Dimensionen nnd eine den Knnstsiun tief verletzende gelbe Tünche bemerkbar, von Innen aber dnrch eine wnnderbar gelungene Kuppelwöllmug ausgezeichnet. Son derbarerweise habrn die Mahomedaner die griechische Benennung Aja, das ist heilige Sofia, dieser nach der Ero berung zur Moschee umgewandelten Basilika, beibehalten. Tiefer gelegen, dem früher erwähnten Schreckensthor gegen über, tritt uns aus dem Dächergemenge ein langgestrecktes, tasernenförmigeS Steingebände entgegen, dem nnter feiner gleichfalls gelben Tünche kein Fremder die Bedeutung abmerken würde- es ist die ,,Hohe Pforte", auch ,,kaiserliches Thor" genannt, der Sitz des Divans und der )1iegiernng. Schmucklos nüchtern wie das Aeußere ist die innere Ans stattuug dieses Gebäudes. Corridore, deren Fußboden mit — 33 — Strohmatten überspannt ist, laufen durch alle Flügel; sic können durch eiserne Thüren versperrt werden, indeß die zahlreichen Eingänge in die Vnreanx dnrch die landesüblichen Teppichvorhänge geschlossen sind. Das einfache Haus hat in seinen Mauern verwickelte Schicksale und Ereignisse sich knüpfen und lösen gcfchen. Zu Zeiten zur bloßen Dependenz des nahen Kaiscrpalastes verkleinert, beherbergte es zu anderen wieder die Seele der Staatsgewalt in ihrem vollsten Machtbewußtsein, je nachdem der Eunuche oder der Vezier, die Odaliste oder die Staatsraisou die Oberhand zu erhäschen und zu behaupten verstand, Zn Zeiten sah es die Vertreter der mächtigsten Potentaten in seinen Corridoren als Werbende anticham-briren, zu andere» ward es wieder von dein Spinngewebe der fremden Diplomatie nmsponnen, je nachdem der Roß-schweif oder das von einem der Adler geschwungene Kreuz Oberwasser gewann. Nicht weit entfernt von Aja Sofia sehen wir noch eine staatliche Moschee mit ^ausnahmsweise» sechs Minareten: c« ist die Sultan Achmet's ans dein At-Meidan (dem Hippodrom der Byzantiner). Auf diesem Platz gaben vor Zeiten die Padischah große Feste- aber auch die Ianitscharcn hielten daselbst ihre Zusammenkünfte und gaben von hier, durch das Umstürzen ihrer Suppenkessel, das Zeichen zur Erhebuug und znm Massaere der ihnen jeweilig mißliebigen Machthaber und Persönlichkeiten, bis sie ans eben diesem sclben Platz vou den Kartätschen Sultan Mahmnd's, dem Mcher seines Oheims Selim III., niedergestreckt wurden, Ferner liegen zu unsern Füßen die beideu Moscheen „Sultan Bajazid" und „Sultan Soliman". Nächst Bajazid er-hebt sich die ihr ebenbürtige ,,Schachzade", Zwischen der Ätur.id üsexbi. Tlivli'chc Ltizzen I, g — 34 — „Hohen Pforte" mid dem unlängst in Stein nen nnd prächtig erbailten Sl'raskierat läuft cine lange Neihe ver-bnndener Knppeln, die sich loieder mehrfach nach rechts nnd links anszwcigen; es ist der grüße Bazar von Stambnl. Die Abtheilnngen iin Bazar find nach Zünften nnd Handwerken geordnet^ eine Viutheilnng die Vieles für sich hat. Wer einen Gegenstand erstehen will, findet die volle Ans-wahl des Gesuchten an einein nnd demselben Pnntt. Der in massivem Stein gewölbte Nazar ist der belebteste Sammelplatz Stambnls nnd zwar nicht blos in Folge des Znsprnchs der Känfer nnd Sucher, fond er n auch des Besuches aller Zeittodtschläger, Stnher nild galanten Damen der Stadt. Wer das Straßenleden Stambnls stndiren »uill, findet hier den geeignetsten Beubachtnngspnnkt, Natürlich fehlt es im Bazar nicht an Garküchen, Kaffeebnden, Barbierstllben, Bädern nnd Brnnnen, nicht an a>nbntanten Pasteten-, C^nfect-nnd Sorvetverkäufern, Der Spezereien-Bazar ist von dem grüßen Bazar getrennt. Zunächst seinen Hallen, die sich in tiefer Dämmerimg gefallen nnd einen Dnfl von veranfchen-den Gewürzen anshanchen, ragt die schöne Moschee ,,Mii Tschainessi" einpor. Wir hätten noch Manches zu betrachten nud zn bemerken i wir möchten in mancher der Straßen, die zu deu Dependenzen des Vazars gehören, anhalten ilild hier bei der ernsten Bnde des öffentlichen Schreibers verweilen, dort an dem frisch duftenden appetitlich mit Blnmen und Früchten geschmückten Laden des Geiniiseverknnfers, wir möchten dem innern Leben lauschend, dnrch manches stumme Nebengäßchen streifen, dessen beschauliche Stille nnr selten das Poche» des Hammers am Hansthor nnterbricht, wir möchten — wenn wir nicht Eile hätten. Es liegt aber noch viel Weg vor uns, denn Konstantinopel ist so ansge- — 85 — dehnt wie eine abendländische Großstadt mit der dreifachen Bcvölkerungszaht, Wie so das kommt, haben wir vorher bei Besprechung der Holzbauten erwähnt. Also, vorwärts im Fluge über das bunte Gewirr von großen nnd kleinen Dächern, vorwärts über die Menge vou Moschee-, Hau-, Bibliothek- nnd Nadehansl'nppeln, die massive Steinmanern bedachen und Inseln gleich im hölzernen Hünsermeere lagern, vorl'ei an den hnudert nnd hnndert schlanken Minareten, Bei dem schwarzen CyPressenhain, der sich dort im Bogen hinzieht, wollen wir einen Angenblick Halt machen. Es ist der mnselmanische Friedhof von Eyonb. Der Fromiue der sich nicht au das heimathliche Gestade Anatolicus, in die Erde von Skntari zur letzten Rnhe betten läßt, erwartet gerne nnler den Cypressen von Eyunb die Posanne der Auferstehung. Dreimal heilig ist die Moschee, gesegnet der Umkreis um das Grab Eyoub's, des Freundes des Propheten! Unter jeder Cypresse stehen bnntbemalte Steine aufrecht, mit Inschriften und Versen in vergoldeter, blumen-haft verschlungener Schrift- die meisten Steine find mit steinernen Turbaueu gekrönt. Der Turban bezeichnet die Ruhestätten der Männer, je nach der Forin, Streiter mit dem Schwerte oder mit der Feder. Gin tiefer, wohlthuender Friede waltet über diesen Wipfeln, eine fesselnde Trauer m diefer grüuen Nacht. Der Tod gibt sich hier in seinem Vollen Ernst nnd dabei dennoch in unbeschreiblicher Milde. Tod nnd Leben scheinen sich hier näher zn stehen, vertrauter zn sein. Hier schreckt uns nichts znrück — wir fühlen uns gefangen — wir mochten weilen. Vorwärts! — Einen Blick auf das angrenzende Viertel, wo die Laken für die Leichm gewebt werden. Wie ist es hier still, wie verlassen! 3« — 36 — Man vernimmt keinen auderil 2aut, als das monotone Klappern des Handwerks. Die Laken sind ans durchsichtigen Baum-wullstoffeu von Seidenstreifen durchzogen. Unser Blick streift eine wüste Kieselstcppe nüt langen, weißen Steinen besäet! das Begräbnißfeld der Inden. Vorwärts! Zu den alten Ringmauern, die seit byzantinischen Tagen keine andere, als eilte historische Bedeutung haben, darüber hiuans, bi5 an die runu'lischen „süßen Wässer", dein Endpunkt des Meereinschnittes, welcher das Goldene Horn, den Hafen bildet. Diese süße,: Wässer siud die Winterpromenade 6n vo^us der eleganten Stanibuler Welt. Von dort wenden wir und kehren anf der andern Seite des Hafens an den Bospor zurück. Wir streifen über den Ot Mewan «Platz der Pfeile), einer freien Gegend, wo die Inschriften mafsenhaftcr Mar-moreolonnen uns belehren, wie weit diefes oder nmes Sultans Arnl den Pfeil geschleudert habe, lafseu den dielgenannten Fanar, den Sitz dec- griechischen Patriarchen, das Nest der längst flügge gewordenen Fanarioten, einst Dolmetsche, Unterhändler, Hospodare der Moldau und der Wallachei im Dienste der Pfurte, auf der Anhöhe und betreten das IudeuUiertel. Der Parteiische Vorzug, den wir diesen», Stadttheil einräumen, wird, so seltsam das klingen mag, dnrch seine abnorme Widerlichkeit begründet. Das Iudciwiertel gibt uns ein anschauliches Bild eiues mittelalterlichen Ghetto in seiner armseligsten, verwahrlosesten Anffassnng, Der polnische Inde im fettglänzenden Kaftan mit Baises uud Pelzmütze nimmt sich neben deu Stambuler Iudeu als revolutionärer Fortschrittsstürmer aus. Die Juden Stambnls haben in nichts, weder in der Erscheinnng, noch in der Lebensweise, noch auch in der Lebensanschammg der Neuzeit irgend ein Zugeständniß gemacht. Sie sind nnd __ I"? __ erscheinen ganz so wie ihre Väter, als diese vor der ängstlich«! Fürsorge der Hermandad Portugal nnd Spanien den Rücken kehrten i ihre scheue Abgeschlosseuheit dürste dieselbe geblieben sein, wie die ihrer Ahnen, al5 sir es vorzogen, ihre Nückeu unter den Stock der Ianitscharru zu beugen, anstatt ihre Leiber llä m^jorsln I)«i Floriam ans den alleinseligmachenden Scheiterhaufen der heiligen Glaubeusgerichtc braten zn lassen, es vorzogen, den Samen Jacob's unter der Herrschaft ranher, aber menschlich fühlend und groß Nliithig denkender Soldaten zn vermehren, als Glauben nnd Leben an sich nnd den Ihren von den Priestern der Liebe und Demuth martern nnd würgen zn lassen.> Das jüdische Viertel ist der ärmste nnd schmntzigste Theil Konstantinopels. Ich bin mir wohl bewnßt. daß ich mit dieser Behauptung nicht wenig sagen will, nichts Ge ringrs zu sageu scheine. Freilich muß ich hier, auf die Gefahr einer Abschweifung hin, erwähnen, daß der stereotype Porwurf des Schmutzes, insoferne er die mnsel manischen Quartiere Stambnls betrifft, nicht unbedingt stichhaltig ist, Die Straßen Stambnls sind viel mel,r vernachlässigt als uufläthig. ubschon sich um die Reinigung derselben vornehmlich nur die zahlreichen Straßenköter nnd der Negen verdient macheu. Denn der Türke säubert die Straßen zwar wenig, aber er vernnreiuigt sie auch nie. Das Innere des türkischen Hanfes hingegen, nnd mag es noch so verfallen sein, ist rein, fehr rein, wie es die Bewohner persönlich sind und wären ihre Neider anch nichts Besseres als Lnmpeu. Nirgeuds ist bei den Türken der ekelerregende Schmutz auzutresfeu. wie man ihn in manchem christlichen Qnartier Konstantinopels vorfindet und Wie er im dortigen Iudenviertel seinen grau lichen Stammsitz aufgeschlagen zu habeu scheint. Wie über — ^8 ^ dem Eingang Zn Dante's Hölle das 1a8ciato a^ni »por^nxQ, voi on'outrate fla>»mt, müssen wir hier uusereu Begleiteru zurufen: ..Wappnet euer Herz und verstupft cure Nase!" Ein Zigeunerzelt weist auch schlammige Nacktheit und ckle Fetzen anf, aber das Nomadenzelt drückt dem Abstoßendeil gewisserlnaßen die Siguatur des Beweglichen, Vorübergehenden auf. Dieser theilweise befreienden Empfindnng entbehren Wir in dem petrificirten Unflath des Indenviertels gänzlich. Hier tritt die ganze Trostlosigkeit menschlicher Verkommenheit und cynischer Selbstverachtnng als dauernder normaler Zustand an uns heran. Die Gassen, die Vehausuugeu in ihrem ungeheuerlich dcfecteu Zustaudc tragen die Apnreu des Gemeinwesens, uud die Verkommenheit berührt uus um so Widerlicher, je mehr sie durch Gegeusätze mit rohem Seiltänzerstaat verschärft wird. Die Schwester oder die Mntter halbnackter Kinder, die so fahl uud cutfleischt dreinseheu, als ob die Pest ihre Amme gewesen wäre, kleidet sich in verknitterte, degrad^rte Broeatstoffe. m Hänsern, die dnrch Schlamm-hüllen hindurch Ansprüche auf eiue relative Voruchmheit kundgeben, kauern in luft^ ilnd lichtlosen Gevierteu dutzendweise Geschöpfe, denen Schmutz und Ungeziefer nnr einen schwachen Schimmer von menschlichem Aussehcu gelasseu haben. Und in dieser mephitischen Atmosphäre wachsen Menschen auf nnd gelangen zu hohen Jahren! In solcher Snmpflnft blüht bisweilen die Blume Schöuheit auf! Wir durcheileu nun den großen Cripressenhaiu, der sich voin europäischen Qnartier Pera gegen die inahomedanische Vorstadt N'assim Pascha uud die zweite große Verbindnngs-brücke mit Stanlbul abdacht. In Kassim Pascha befindet sich die Admiralität, vor ihr liegen ein paar riesige Linienschiffe vor Anker. Von da gelangen wir längs des Hafenbeckens, das — 89 — tanseud und tausend Schiffe aller Flaggen beherbergt, in die lärmende Handels- uud Nhedervorstadt Galata. Deugenuc-fischen Thnrm'anf der Anhöhe gegen Pera zn, lafseu wir links, desgleichen Pera selbst, das französisirende Pera, das mit seinen Votschafts-Palästeu, Kirchen, Hotels uud Kasernen fürnehm auf nuS herabblickt, gelangen durch das Viertel wn Tophane nut dein gros;en Artillerie Arsenal und treffen, vou Allahs Huld sichtbarlich beschirnit, in Dolnia-bagdje ein. In Dolma-bagdje hat der verstorbene Sultau Abdnlmedjid den ncueu Kaiserpalast erbaut. Der weiße, mit vielen Schuürkeln uud Zierrathen ausgestattete Palast ist kostbar, in gewissem Sinne anch kaiserlich, mir persönlich will der'gegenüber auf dem auawlischen Ufer zu Veylerbey gelegeue Slimmerpalast besser behagen. Tie Banart dieses lctzteru, die sich an den manristhen Styl anlehnt und der vielfarbige Marmor stimmeu richtiger zu dein allgemeinen Begriff Uun einein orientalischen Fnrsteupalast. Da wir im capriciösen Zickzack anf dav anawlische Gestade gelangt sind, wollen wir eineu Blick anf Sentari werfen, das sich dein Goldeueu Horu gegenüber uud ebenso terrassenförmig angelegt wie Staiubul, boil deu Ufern der Marmara nud des Buspor gegeu die waldigen Höhen oon Tschauüidje erhebt. Scutari, obschon eine uamhafte Stadt für sich, wird in die Hauptstadt eiubegriffen. Für mich nimmt sie nächst der Serailspitze den schönsten Pnukt der legend ein. Von ihrer Höhe, der beliebten Sommerfrifche Tschamlidie. geuieht man die überwältigendste Aussicht auf das Goldene Horn. Die Ottomanen, welche die von der, Natur begüustigteu Terraius gerne für ihre letzteil Rnhc-stätten wählen, gebeil ihrer gnten Meinnng von Scntaris Vorzügen dnrch die Aulage zahlreicher Friedhöfe auf der — 40 - anatolischen Erde, Ausdruck, Nahe bei Scutari, gegen die Marmara zu, erblicken wir die großartige von vier Thürmen flaukirte Kaserne, die der unglückliche Neforn,ator Selim III, für seine ,,nenen Trnppen" erbanen ließ. Au den kleinen Thurm, der sich zwischen Scutari und dem Goldenen Horn aus der Fluth erhebt, knüpft sich eine der Leander-Mythe ähnliche Sage, Den großen Körper, deu eigentlichen Krystallisations-kern Koustautinopels, hätten wir somit im Kreislauf flüchtig betrachtet. Doch bleibt noch der Bosporus, dessen Ufer einen immanenten Theil der kaiserlichen Stadt ansmachen. Auf beiden Ufern des VoSporns reiht fich Dorf an Dorf. Wenn wir hier Pon Dörfern sprechen, so sind Luxusdörfer, wie z, B, in der Umgebnng Wiens Dornbach, Pöl> leinsdorf, Hietzing zu Perstehen, Die Häuser, meist niedliche, buut bemalte Landsitze, oft aber vollkommene Paläste, erheben sich terrassenmäßig vom Meeresnfer gegen dir theils kahlen, theils wieder üppig bewaldeten Auhöheu. Die Zwischenräume zwischeu den Dörferu fülleu Iali (Bospor-Laudhäuser) uud dereu Gärten aus. Die duuketrothen Hänser zeichnen sich wohlthueud auf dem lichtgetränkteu Hintergrund. Viele Iali reicheu bis iu das Wasfer hinaus. Auf deu Auhölien gibt namentlich die Pinie mit ihrem hohen, kahlen Stamm uud ihrer buschigen, reich belanbten Krone der Landschaft das besondere südläudische Colorit, — Die Linien der Landschaft sind mitunter herb uud trockeu, aber die Farbe dämpft ihre Schroffheit dnrch jene süß verschwommenen, man möchte sagen nachlässigen Töne, die nicht der geringste Neiz dieser Gegend sind. Eii, nnbestimmtes Lila, ein in Milch getränktes Azurblan, eine blasse Nosenfarbe schwimmt um die uerbrauuteu Raseuflächen, die kahlen Steinflecken. Ja, die - 41 >-. Herbheit dient als nothwendiger Kontrast nnd erhöht die Großartigkeit des Gesannnteindrnckes. In der Mitte des Bosporus und auf beiden Ufern desselben erheben sich die Schlösser, welche Sultan Mahomed, der Eroberer bei der Belagerung Konstantinopels aufführen ließ, nni die Schifffahrt nach der eingeschlossenen Stadt und die Approoisionirnng derselben vom Schwarzen Meere ans zu hemmen. Die Mauern des Schlosses auf dem europäischen Gestade ahmen die Form der arabischen Buchstaben des Namens „Mahomed" nach. Weiterhin begrüßen wir auf dem europäischen Ufer Therapia und Bnjnkdere, die Soinmeranfenthalte, der Gesandten und der eleganten Perotenwelt, Von da an werden die Villen seltener: die letzten Loealdampfer, die letzten Ka'ick sBarken) haben wir in Bnjnkdere gelassen, der belebte Bosporus ist hinter un5; aber die Natnr entwickelt sich hier üppiger, besonders anf dem anatolischen Ufer, wo sie kräftiger anfzutrete» scheint. Mehrere ErdUerschanznngen, über denen das Halbmonddanner flattert, kündigen die Mhe des Schwarzen- Meeres an. Bald gelangen wir zu den beiden Schlösser!!, die am Bosporus Wache halten, wie Sestos nnd Abydos an den Dardanellen. Die Brise wird frischer und falzduftiger, Fischgeier kreisen nns zn Hänpten. die Wellen uns zn Füßen hüpfen lebhafter, der Horizont weitet sich, es rauscht nnd branst wie Brandnng an Felsen: wir sind im Puntns. II. Stamlmler VolMypcn. Wenn wir Stambnl durchstreifen, drängt sich uus die Wahruehmuug auf, daß sich hier Manches verändert nnd ^ 42 — wenigstens in Bezug auf die materielle Annehmlichkeit, zuin Vessern verändert hat. Uin diese Veränderungen voll koininen zu würdigen, muß man die Stadt seit Jahren nicht gesehen haben. In don neuen Vierteln erfreuen sich die breiten, regelmäßig angelegten Straßen theilweise eines Truttoirs. Die grüßen Holzhütten, die dnrch ihre verschwenderische Ansdehnnng auf den prunkenden Titel „Paläste" Ansprnch erhuben, sind durch bescheidene, aber wuhnliche Steinbanten ersetzt, die an und für sich schon Zeichen der totalen llmwälznng in der Lebensweise der »twmanischen Gesellschaft sind. Dnrch das Aneinanderrücken der Familie Wird, wenn anch vorlänsig nnr ränmlich, der Uebergang ans der bis nnn gebränchlicheil Zweitheilnng des Hauses zur Hanseinheit eingeleitet, das Speisezimmer nnd die Mahlzeit Werden gemeinschaftlich, der Dienerstand Wird auf den wirklichen Bedarf verringert, die nnbeschränkte Gastlichkeit begrenzt; die Oeemimnie tritt an Stelle der Verschleuderung, die Ordnnng an Stelle der Unordnnng. In den Hauptstraßen vermitteln zwei- nnd einspännige Fiaker, Omnibnsse nnd die Tramway den Verkehr, nud machen den bislang ansschließlich benutzten Miethpferdcu eine starte Cuncurrenz. Zwar für gewisse Stadttheile bleiben diese nvch immer in Gebrauch. Der magere Klepper trabt rüstig über Stuck nnd Stein dahin, der Begnirdji hält gleichen Schritt mit seiner Mähre nnd ging es anch im Galopp. Wahrlich, wohin man blickt, überall Kraft nnd Gesnndheit in diesem Volk. Ein gcsnndes Blnt nnd stählerne Mnskeln! Die Tramway-Wagglins sind kleiner Gattung; bei einigen ist anf dein Dache eine Imperiale zu halben Fahrpreisen angebracht. Den Waggons Uuran läuft eine Art Piqnenr, nm die Vahn freizuhalten. Als ich zum — 43 — ersten Male ineinc Person der ottoinanifchen Tranlway anvertraute, fan^> ich don Conducteur in lebhafter Erörterung mit einem Soldaten, dor einen gefüllten Haferfack inmitton des Conpös aufgepflanzt hatte. Kaum hatte sich dor wackere Krieger mit seinem Sacke ans die Imperiale entfernt, natürlich nicht ohne seinen Nnmnth über die (5hieane der Giaur-anstalt Lnft zn machen, als ein stattlich behörnter Widder, an desfeil Schnnr ein Offieier der ^Il'edif (Landwehr) hing, das Coupi» crstiirmte. Das schene Thier drängte nngestüin unter die Sihbank, wubei es einer Armenierin beinahe die Kleider zerfetzt hätte: der Offtcier setzte sich gemächlich über seinen Widder nnd der Vorfall verlief ohne weitere Bemerkung; wir behielten den Hammel al» Coupkgcfährten und die anwesenden Muselmanen fanden in ihrer naiveu Anschauungsweise nichts daran ausznsetzen, In den Haupt-straßeu der ueuen Viertel sind überall bereits Gascandelaber errichtet. In der Toilette der türkischen Fraueu ist eine Revolution vor sich gegangen: die Pluderhüschen sind dem Iufton, der gelbe Lederstrumpf sammt Pantoffel ist der fränkischen Bcschuhuug gewichen — das ä 1k trimkk bc-hanptet i,i Modediltgeli siegreich das Feld. In den HlUlptstraßen, die znm Vazar nlid zn den Aemtern führen, herrscht ei»e rege Bewegung, ein buntes 2eben, ww es nnr weiuge abendländische Städte bieten dürften. Und doch wie selten ein Tnmult, wie selten ein Skandal! Der niedere Mann bekundet eine Selbstachtung, die wir bei seines Gleichen in nnserem hochgebildeten Abendland nnr zn oft vermissen. Selten sticht nns ans der erd-farb, manergrau oder schmntzigblan nnaneirten Menge eine Gewandung in die Augen, welche das stets sehr relative Schlagwurt vou ,,orientalischer Pracht" und das allerdings — 44 — vollkommen begründete von ,,morgeuländischem Farbensinn" einigermaßen zn rechtfertigen vernwchte. Natürlich. Die Luxus treibende ottomanische Gesellschaft, die aus Beamten und der Regierung nahestehenden Elementen zusammengesetzt ist, kleidet sich mit Ausnahme der Ulcma (Schriftgelehrteu) iu das fränkische Reform^ costume. Während der Uugar zum Beispiel sciuc Natioual-tracht als Galakleid beibehielt, winde sie vom Ottuinanen, der während er ail dem Bestehenden festhält, sich nm das einmal Abgethane nicht mehr kümmert als um das Künftige, gäuzlich beseitigt. In Swmbul nnd in den größeren Städten hat selbst ecu Theil der Kaufleute uud Handwerter das fränkische Kleid bereits adoptirt; oft zum Nachtheile der Erscheinung nnd gewiß nicht zum Vortheile der inländischen Produetion. Die plötzliche, unvermittelte Annahme des fremdeu Kleides uuter de>u widerspruchslosen ^ia,t, des Reformators Sliltan Mahinnd II. war ein schwerer Schlag für die einheimische Produetion uud hat nicht wenig zu ihrem Niedergang uud zugleich zur Verarmung des ottomanischeu Kieiu-bürgerthums beigetragen. Der jähe Wechsel hat natürlich den Verbrauch an inländischen Fabrikateil beträchtlich ver mindert nnd die Verfertigung Uon Kleiduugsstückeu, Möbelu uud sonstigeu Gerätheu wird, wo diese nicht der ansläu-dische Import herbeischafft, dnrch fremde Hände besorgt. So findet denn die Mehrzahl der ottmnanischcu Handwerker uur bei der niedern, ärmern Vevölteruug Abfatz — nnd verarmt. Ein Theil von ihueu, namentlich der christliche, hat sich zwar dcu Vrforderuifsen der Neuzeit gefügt und fchneidert jetzt iir dnnklenl Tnch wie einst in hellfarbiger Wolle, nnd — 45 — schlägt Kalbsfelle über den Leisten wie ehedem gelbes Cor-duauleder. Die Mahmnedancr aber, weniger elastisch, bequemen sich nur zögernd dazn, der altgewohnten Nuntinc zn Gnnstcn der nenen Anforderungen zu eittsagell und erleiden in ihrem Verdienst empfindliche Einbnße. Doch bleiben wir dabei, einige Erscheinungen ans dem niederen Volk im Ange zu behalten, einige jener Typen, die m grobe Leinwand nnd rauhe Loden gehüllt gehen, damit Hunderttausend sich in feines Tuch kleiden können, die auf Stroh oder Stein gebettet sind, damit die Anderen auf Eiderduucu ruhen, die sich r>ou Erde nähren, damit die nie Hungernden gewählt speisen nnd gemächlich Uerdanen können. Repräsentanten der grosieu Masse, in deren Schooß die Stimme Goltcs nnd der blinde Unsinn in Ein5 oerschmvlzen ^chlnmmert, die unser», plod» eanti-iduon« die ihres Herren Hände küßt, bis sie die Hände zerfleischt, die Herreu oer-schlingt nnd an den Söhnen die Sünden der Väter rächt, turznm das Volk, das arbeitende, das zahlende Volt. Zuerst der Sakka (Wasserträger). Wer da Weiß, Welch' eine grosie »iolle das Wasser im Leben des Ottomanen spielt, wird begreifen, welch' eine wichtige Persönlichkeit wir vor uns haben. Das sMleinene Hemd, die Weste ans rohem Leder nehmen ihm nichts Uun seiner Bedeutung, die im mächtigen Schlanch, den er mngehangen hat, ihren An^drnck nnd ihre Erklärnng findet. Die Häuser Stambnlö haben keine Brunnen, nnr müge der geräumigeren besitzen Zisternen: der Sakka ver-M'gt die Stadt mit dem gesammten Wasserbedarf, der im "ttomanischen Hanshalt wahrlich nicht gering ist. Wenn die Salta fich einmal anf das „Striken" verlegten! Doch bis die Idee des Jahrhunderts fie so Weit beleckt hat, ist - 46 — auch jedes Haus niit Wasser gespeist oder die Besitzer werden dieser elementaren Flüssigkeit leichter entrathen. Bei deu Feuersbrünsten, die so häufig vorkommen, dasi ihnen in jedem Constantinopeler Blatte eine stehende Nubrik eingeräumt ist, zählt der Sakka mit. Wenn die Eisenspitzen der Wächterstöcke auf das Pflaster fallen und das unheimliche ^lngin ^var! durch die Gassen Stambnls klagt und in alleu Vierteln das Geheul der Hundeheerdnl weckt uud die Tolumbadji lFeuerlöscher) niit den kleinen Spritzen auf den Schultert!, rasend wie Rotten entkommener Teufel, nach der Brandstätte jagen, johlend und pfeifeud, Alles vor sich uie-dcrwerfeud, hautiereu die Sakka's bereits in geräuschloser aber nicht minder ersprießlicher Thätigkeit an deu öffeut liclM Bruuuen und Wasserreservoirs, um zu den, Ort der Gefahr das nothwendige Hauptlöschmittel zu trausportiren. Freilich kann jeder Einzelne durch seine persönliche Zuthat verhältnißmähig nur Tropfen zum Bedarf beisteueru, denn nur wenige besitzen eiu Lastthier lPferd oder Esel), mn mit Hilfe desselben eine:^ umfangreichen Doppelschlauch benutzen zu können. Die verfeinerte Art des Satka ist der Sudju (Wasser. Verkäufer), der Sakka liefert das Wasser en Zi-08, ^- Sudjn iin Detail; der Erstere, bäurisch gekleidet, versieht die schwere Arbeit, der Letztere, städtisch angethan, verkauft nur Trink-Wasser uud verdient bei seinem mühelosen Geschäft nicht weniger als der Andere, durch seine schwere Anstreugung. Die Sudju debitiren ihr Triukwasser in allen Bnreaux, au die Kauflädeu uud an die Trunkbedürftigen auf allen de lcbteu Straßcu. Ihre Ausrn,fc und die Anpreisungen ihrer Waare tragen nicht wenig dazu bei, deu lärmeuden Charakter der Hauptstraßen Coustantinopels zu erhöheu, Nicht _ 47 — alle Sndju sind ambulant. Es gibt anch besondere Ver-kaufslädeu., in denen TrinkU'asser nnsgeschänkt wird. Der Orientale ist Wasser-sseinschniecker. Du- Qnalität des Trillk-Wassers wird bei ihm 'ebenso sehr in Anschlag gebracht, wir ün Abendland die des Weines. Das berühmte Wasser von ,,Kara Knllak" steht in der Stambnler Schätzung obenan, Der Scherbetschi sSorbettverlänfer) gehört in die gleiche Kathegorie, n>o er nicht mit den Spitzen der Sndjn zum Vnrgerthlun zahlt. Der Scherbetschi führt für seine kuh-ll'nden Sorbete nud ailsier dem Gefrorenen, parfümirten Schnee vom Olymp in seiner Tonne. Was die Lebensweise des Sakka betrifft, so gilt das, was ich anläßlich der Besprechung des Hamal sagen werde, auch uon ihm. Die Znnft der Hamals «Lastträger) steht iu Bedeutung jener der Satta's nicht nach. In einer großen Stadt, die, wie Constantinopel, uebstbei ein Em-ftorinm für den Welthandel ist und wo die Last- und Möbelwagen gänzlich nnbekannt und wegen der Gassenbildnng anch unverwendbar sind, mnß natürlich die Menschenkraft zn Transportzlueckeil »nächtig eingreifen. Hat nun die Natnr in weise ergänzender Voraussicht ^n Hamal eigens zu dieser Bestimmnng, oder hat sich das eigenartige Geschlecht der HanmW i>n ^ampf nin's Dasein an den engen winkeligen Hügelgasseu besouders heraugebil-brt? Thatsache ist, daß die Tragfähigkeit vou vier Hanials vrr Zugkraft von zwei Pinzganer Hengsten nahe kommen düvfte. Das Axion, „stark wie ein Türke" ist eines jener Wenigen, die eine Prüfung bestehen; es dürfte vor den un-Mwöynlichen Kraftänßernngen der Hamals entstanden seiu. Anr jene Gegeilstände, die ein Einzelner zn transpor-tiren verniag — und es werden darunter Msten verstandelt, — 48 — die anderwärts Niemand ohne Schiebkarren von der Stelle bringen könnte — benutzt der Hamal einen init Stroh ge-fiillten Höcker, anf den der zn transportirende Gegenstand in der Art angebracht wird, wie nns die Erdkugel anf den Schnltern des mythologischen Atlas dargestellt wird. Für den Transport von Lasten, die 2—4 Mann erfordern, bedienen sich sich, je nachdem, eines oder zweier Hebebänme, an welche das Transportobjeet mittels Ketten befestigt wird. eine Vorrichtung, deren Zweckmäßigkeit stark zn bezweifeln ist, weil dnrch die Schwingung dcr mächtigen Hebebänme daö Geluicht der Lasten vermehrt wird. Die schwächlicheren Hamals lassen sich nach Art der Anvergnaten als Coillmis-sionäre nnd zur Dienstleistnng in den Magazinen nnd Haushaltungen verwenden. Nicht Alle sind Bekenner des Koran; auch die Sühne des armenischen Hochlandes stellen ein starkes Contingent zur hochansehnlichen Lastträgerzunft, die Niemand Geringern als den ,,GroßUezier" zu ihrem Ehrenmitgliede zählt. Das ^Iwi' 6^0 des Padischah nämlich führt uuter anderen den Titel ,,Hamal des Reichs". Die, Hamals stehen unter einem besondern Vogt, dem Hamal^Vaschi, hierin gleich den Sakka's nnd den übrigen Körperschaften. Der Hamal ist ganz ummterrichtet. Vou der Religion hat er einige sehr uage Vorstellnngen, die nicht über die nothwendigsten Formelnbnngen reichen uud in dein ,,Gianr", den er Andersgläubigen entgegeuschleudert, ihreu uurnehm-lichsteu Ausdruck finden. Von der Welt weiß er nicht mehr, als die änßereu ihm nnerklärten Erscheinnngen vor seine, Siune bringen, über die Menschen nur soviel, als er eben zur Wahrung seiuer eigenen Interessen nnd zur Schärfung seines Instincts bedarf, Für die Hamals armenischer Race __ ,j9 __ hcchen in letzter Zeit connationale Kanflente eine Art Sonn-tagsschnle gegründet. Wie man sagt, soll sir von don Ha-mals fleißig besucht werden nnd gute Erfolge ausweisen. Der Hamal ist geistig schwerfällig, wozu der Einfluß seiner Beschäftignng beitragen nnig, Er ist ehrlich nnd wenig zn Excessen geneigt^ mit der Nakyslasche hat er erst in letzter Zeit Bekanntschaft geinacht. Der Hamal steht gewöhnlich allein nnd unbeweibt da; er hat kein Hans, selten ein Heim nnd eine Familie. Dem Einen oder Andern gelingt es zwar, einen Sparpfennig zurnckznlegen nnd wenn 'er dranßen im Lande eine Art Daheim besitzt, sich dort endlich etwas wie einen Hansstaud zu gründen. Doch das sind die begünstigten Ausnahmen. In der Regel findet er Nachts in einem Han eine Schlafstelle, Er hat geringe Bedürfnisse nnd lebt Von der Hand in den Mund, Wenn er erkrankt, so findet er wol irgend eineil Winkel, wo er die, Genesnng oder den Tod abwarten kann. Seine Nah-rnng ist sehr frngal. Schlechtes.Brod, etwas Schafkäse, Oliven, manchmal Reis, im Sommer Früchte, sind das gewöhnliche Menn seiner Mahlzeiten. An denselben nimmt uft noch ein ihm befreundeter Straßenköter Theil. Die beiden Alleinstehenden fühlen sich dnrch eine gewisse Aehn-lichleil ihrer irdischen Loose angezogen. Der Hamal ist dein obdachlosen Hnnd gewogen: hat er doch das Bedürfniß, ein Geschöpf anf Erden zn wifsen, das ihm zngethan ist nnd für das er sorgt. Nach des Tages schweren Mühen besteht seine Abend-"'holnng darin, in einer der Kaffeebnden feinen Kaffee zn schlürfen und eine Pfeife zn schmanchen. Manchmal wird seine Siesta dnrch die derben Spaße des ottomanischen Marionetten-Theaters Kara Gös «Schwarzange» gewürzt. Nt»l-ad uirt> hente. wo in vorkoininenden Fällen die allgemeine islamitische Menschlichkeit nicht inehr ausreicht, zum Ol'bot der dringend^ steu Nuthwendigteit, Im Orient, wo jede Neformmaßregel, jede Initiative von der Regierung ausgeht, muß auch die „Selbsthilfe", insoweit sie die Proletariats Genosseuschafteü betrifft, von ihr angeregt werden. Dcr Stambuler Proletarier ist bis jetzt noch »lit fei nem Loos, das ihm der Kismel Gesch hat die Verirrten bestraft, ab^r die Gesellschaft hat ste nicht für immer ausgeschlossen. Sie tonnen eines Tags 4" — 52 — in ihren Schooß zurückkehren, sie wird sie nicht von sich stoßen. Die ottomanische Gemeinschaft, langsam in ihrem Zorn, ist behutsam in ihrer Verdammung. Allah weiß Alles! Die stets gegenwärtige Idee der Allmacht Gattes verleiht ihr einen weiteren Maßstab. Das letzte Wort der Gerechtigkeit ist für sie nicht auf der Erde. Der Zug von Menschlichkeit der sie beseelt, erstreckt sich auch auf den Galeerensträfling. Wir treten aus dem betäubenden Getriebe des Geschäfts-lcbens hcrans lind gelangen in das vornehmer bewegte Viertel um die hohe Pforte herum. Die Schnhwichser sind hier au jeder Straßenecke stehende ^ignren geworden. Einst gaben sich nnr vereinzelte Inden-jungen dieser glänzenden Beschäftigung hin, hente pflegen sie zahlreiche Mahomedaner. Auch ein Zeichen der Zeit! Der stolze Moslim verschmäht es nicht mehr, durch niedere Dienstleistungen, die allenfalls anch einem Giaur zugute kommen, seinen Unterhalt zn erwerben. Meine vergleichenden Untersuchungen auf diesem Feld habeu mir freilich als Eudergebuiß die Erfahrung aufgedrungen, daß der mahome-danifche Schnhpnher feines Amtes läffiger, oberflächlicher waltet, als der nicht mahomedanifche. Er führt die Bürste gemeiniglich mit einer Grandezza, welche die behandelten Schnhe nie zur vollen Glanzeutwicklung gelangen läßt. Hier fallen mir als ueue Erscheinungeil die Lesetabmete auf, in denen namentlich Zeitschriften in ottomanischer Sprache aufliegen. Noch im Jahre 1^56 genügte das offizielle Blatt ^).iVakit" u. s. w, ^ Dao Preßbureau hatte bis dahiu 3!) Zeitiuuisscheine aus^eqebeu und die Zahl der Leitungen vermehrt sich immer noch. Sie sM jeht 72 Blätter, darunter 17 tiirkische erreichen, Bedarf mau eines besseren Beweises für die wachsende Theilnahme des muselmanischen Publikums au den öffent-licheu Augelegeuheiten? Auf der Briicke, in den Straßen, Bazaren, alls deu Dampfschiffen, überall werden Tageblätter ausgebuten, gekauft und gelesen. Die Khalifenstadt ist auf dem Puukt, sich vollständig zu haltten, und wenn der Ottmnane zur Ansicht bekehrt werden kann, daß die Instandhaltung des Errichteten, die seiuem Wesen eigentlich nicht entspricht, ebensn wichtig sei als das Errichten selbst, und daß für die Dauer baueu zweckdienlicher sei, als das Schaffen für den Bedarf des Augenblicks das seinem Wesen !> sehr entspricht, so wird Stambul nicht allein zu den schönst gelegenen, sonder» anch zu den schiin angelegten Metropolen im nüchtern praktischen Sinne moderner Anschauung zählen. Freilich schädigen die »wderuenAnlagen nnd Nenbanten oft nnnöthigerweise manches ehrwürdige Denkmal der Vergangenheit, manchen in deu Annalen berühmleu Punkt. Der Mangel an Formfinn und das Lineal versündigen sich anch hier wie an manchen abend- — 54 — läudifcheu Kuuststättcu auf das Grausamste. Auf dcm Hippodrom der Byzantiner, dem berüchtigten at-meiämi und mun8 aventiuu« der Ianitschareuzeit erheben sich charaeter-lose Kaffeebuden, von geschmacklosen Gärtchen umrahmt und unter dcu schattigen Niesenbäumen der Serailspihe durchschneiden die Schieueu der Adrianopeler Eisenbahn den historischeu Buden der alten Sultans-Nesideug. Auch maucher der herrlicheil Brunnen, auf dereu Errichtung die Ahneu so viel Sorgfalt verwendet und die, etwas besser gepflegt, eiue vornehmliche Zierde der Stadt abgeben würden, verschwinden unter einer serupellosen Abmessung, wo sie nicht einer gänzlichen Verwahrlosung anheimfallen. Ich fürchte, die Physiognomie des Zutunfts-Stambuls wird gleich den amerikauischeu Städteu dem Auge keiue Erinnerung au die Vergangenheit, der Phantasie teiu Zeichen im romantischen Tämmerlicht bieten. III. Ein altes Viertel. Seheu wir lins ein wenig in einem jener abgelegenen Viertel um, deren Kismet es wollte, daß sie in de» letzteu fünfzig Jahren von keiner Feuersbrunst verschönert wurden, Eiue Ausuahme, so selteu wie eiu Weib ohue Widerspruch. Hier haben wir daZ Stambul vou ehedem vur Augen, wie es nur noch aus den fünfziger Iahreu im Gedächtniß vorschwebt. Ueber Schönheil läßt sich aller Llesthetii zum Trotz streiten, aber den Reiz einer eigenartigen,. individuellen Physiognomie werden wir diesem Gerumpel jedenfalls zu^ __ 55 — erkennen nnissen; es ist init den Grundbedingungen seines Wesens i»i vollsten Einklang. Wir betreten eine enge Glisse. — Durch welche Fiignng oder durch welche Umwälzungen das Pflaster sich hier wol gebildet haben mag? Eine planlose Aufschichtnng von großen nnd kleinen Steinen neben willkürlichen Höhlnngen. gemahnt es uns an das Bett eines 'versiegten Waldstromes. Die Häuser dunkelroth, ockergelb nnd lichtgrün bemalt, mit writvorspringenden Dachgesimsen und dicht vergitterten Fenstern, jedes mit einer frommen Inschrift über der Thüre, sind in das Halbdnnlel eines Cypresseuhaiues getaucht. Sie sind aber außerdem baufällig. Von Ausbesserungen nirgends eine Spur. Die Garteneiufriedungen, erfolgreich bemüht, es den Häusern nachzuthuu, sind voll Sprüuge nnd uichl minder ruiueuhaft. Hie und da überragt das belaubte und nicht minder bestaubte Geäste eines Ahorn- oder feigen-banme5 die Mauern. Eine kleine unansehnliche Moschee nnd einige umgitterte Grabsteine vervollständige,! den lÄMatter dieses stille» Wohnungsviertels, in welchem der Pnls des Lebens kaum zu schlagen scheint. Zn gewissen Tageszeiten wird es Stunden hindnrch von Niemand durchschritten, nud die Häuser bleiben stnmm nnd todt. Nur eiil aufmerksamer Beobachter würde hin nnd wieder hinter einem der Feilster oder Erkergitter einen weitzeu Schatten erlauschen. Vielleicht eine Matrone, die hier im engen Kreise laullos waltend verblüht ist, oder ein jnuges Mädchen, deren Horizont nicht über diese vom Strom der Zeit an den Strand gespülte nnd dort vergessene Muschel hinüberreicht. Mau hat mir in Venedig vou Lenten erzählt, die nie- — .")«) — inals auf San Mareo gekommeu sein sollen. Ich wage an-ziliiehmen, daf; die meisten Inwohnerinnen dieser Häuser die große Brücke der Walide nie überschritten huben n»d einige wol nie iiber das Viertel selber hinansgekommen süid. Von den fränkischen Gianrs dürften sie kaum eine richtigere Vorstellung haben als die Eskimos von cincr Giraffe. Selten fälll der Klopfer an diese morschen Thüren, nnd nnr in den ssrühstnnden rufen die Lebensmittelverkäufer, die ihre bepackten Mähreil hinter sich herziehen, ihre Waaren ans nnd fünfmal täglich mahnt die schon etwas scheppernde Stimme des Viertel Imam zum Gebet. Hier in beschaulicher Znrückgezogenheit genießen snb-alterne Beamte auf Nnhegehalt nnd Kaufleute die nicht mehr nach dem Bazar gehen, meistens Greise, die Tage, welche ihnen Allah's Nathschluß »och zugemessen hat. In dieser besunderen Welt, fern von der Vrandnng die sich draußen bricht, im Dämmerlicht das niemals von diesen Gassen weicht, wird ihr Blick durch nichts beleidigt, was sie au eine' entartete Zeit gemahnen könnte, au ein Treiben dessen sündhafte Thorheit manchmal die Geduld auf eine schwere Probe stellen könnte, mit welcher sie als verlorene Posten ihre Ablösnngsstnnde erwarten. Hier thronen noch in ungestörter Behaglichkeit die weithin bekannten stambnler Straßenhnnde, die anderwärts gleich den amerikanischen Indianern immer mehr zurückgedrängt werden. Wahrscheinlich haben sie nicht das Be-wnßtjem ihrer enropäischen Berühmtheit und selbst wenn sie es hätten, möchte ich mich fast Vcrbürgeu, daß dies ihrer angeborenen Bescheidenheit ebensuwenig Abbruch thun würde, als gewissen abendländischen Berühmtheiten der Zweifel, ob mail auch am Goldenen Hurn in gebührender Weise voll — 57 - ihrer Wichtigkeit durchdrungen sei, deren'Selbstgefühl schmälern könnte. Mau hat diese friedliebenden Thiere stets verleumdet. Doch so hat man es in Bezug anf den Orient immer gerne gehalten. Hier Hansen sie, alle derselben verkümmerten Wolssrace entsprossen, alle in verwitterten Pelzen von ähnlicher Farbe, in Halbtönen zwischen schmutzig semmelfarb und schäbig granbraun. Eine Patriarchenfamilie, in welcher mehrere Generationen vertrete» sind, hat sich hier unter den Thüren längs der Manern in ihren Ritzen nnd in den Pflasterhöhlnngen wohnlich eingenistet. Würdige Granbärte, die das Bewußtsein eines kuocheu-reicheu Straßenwallens und manches nherstandenen Schicksal-Puffs tragen, dürfen hier ohne Sorge nm die Fortdauer ihres Stammes, dem Ende entgegensehen. Zärtliche Mütter blicken hier stolz anf einen reichen Kranz von Sprößlingen. Diese runden und dabei zngleich viereckigen Wollknänel scheinen in ihrer Erscheinung die Qnadratnr des Zirkels zu lösen. Nur di«; Gesetze des Gleichgewichts sind ihnen noch nicht erschlossen. Hin nnd wieder verkündet das gellende Gezeter des einen ode^ andern, den pädagogischen Einfluß ciuer väterlicheu Schnauze. Narbenbcdecktc'Streiter, nnter ihnen mancher dreifüßige, oder emohrige Iuvalide, lagern kuuterbuut in Knänelu oder langgestreckt rücklings oder auf dem Bauch, wie es sich eben fügt, auf dem erbgesessenen Boden, Sie liegen wo nnd wie der Schlaf fie eben überkommt nnd der Schlaf überkommt sie immer. Sie weichen keinem aus, und wenn der Hnf einec- Pferdes sie aus ihren Träumereien schreckt, so schleppen sic sich langsam mid sich gemüthlich streckend, etwas zur Seite. — Wozu die Eile? Niau findet für alles Zeit, fo lange man überhaupt Zeit — 58 — hat. — Sic sind harmlos und an Mißhandlung oder Rücksichtslosigkeit hier nicht gewöhnt. In den Vierteln wo die Giaurs hausen, geht es anders her, doch das kümmert diese nicht, Obschou die Nase des Hundes dein Muselman als uureiu gilt uud selbst ihre zufällige Berührung ihn zur Waschung veranlaßt, er also au seinen: Heerde keine Haus-uud Schoußhnnde zieht, so beleidigt er doch keiuen, ernährt die seiner Gastlichkeit empfohlenen Straßenbewohner und schirmt sie gegeu jegliche Unbill. Jedes Hans tragt zur Fütterung der Herrenlosen bei, ihre Gasse ist ihnen Heimath und Vaterland, Au dieser halten sie fest und nur ihre Behauptung läßt sie manchmal das Kriegsgebell anstimmen und zur Vertheidigung des heimathlichen Pflasters gegen die nachbarlichen Dränger Alle aufrufen, selbst die sängende Matrone. — Der Kampf ist grimmig, wie die Wunden und zerfetzten Felle der winselnden Helden nach der Schlacht bekunden, Uor allem aber ist er laut, ebeusu laut als blutig uud die Kehlen thun dabei nicht minder mit als die Zähne. — Offenbar, es besteht ein intimer Zusammenhang zwischen dem Treibeu dieser Hunde und dem Thuu der Menschen.! Wehe, dreimal Wehe! dem Eindringling, der sich in ihre Grenzmarken verirreu würde. Einen Hnnd in eine fremde Gasse übersiedeln Wolleu, hieße ihn rettungslos den Gebissen der auf ihren Territorialbesitz eifersüchtigen Freunde des Menscheu überautworteu. — Mau sieht, Vaterlandsgesühl ist keine uns ausschließlich auszeichnende Tugend. Es ist ein genügsames Völkchen, diese Köter, geduldig, in ihr Schicksal ergeben — echte Kinder des Orients! - Wenn es regnet, so trinken sie, weuu nicht, so heißt es dürsten, im Winter frieren sie unter Schnee und Frost und im — 59 — Sonnner schmachten sic. Im Ganzen sind sic loohlanf und wissen nicht das mindeste von der Hluidstollheit nnd sonstigen, Gebrechen der eivilisirten Hundesklaven. Die Wissenschaft-liche Erklärung dieser merkN'ürdigen Erscheinnng iiberlassen sie den gelehrten Efendis iin Frankenland. — Sie sind ohne Arg nnd Tücke, knrz, die besten Leutchen von der Welt. 3lur wenn ein Franke seinen abentheuernden Stiefelabsatz in ihr Revier setzt, stnnint ein oder der andere erfahrene oder ahnuugsvolle Posten, seiu Warnungsgehelil an, die Trnppe belfert iin Chorils nnd ans Leibeskräften niit, der schallende Steckbrief pflanzt sich von Gasse zn Gasse fort nnd der Wanderer im Hnt kann von diesem Ehrengebell durch ganz Stmnbul hindurch geleitet werden. Zn weiteren Auseinandersetzungen kommt es jedoch nicht, so unwirsch der eine oder andere Matador auch drcinsehen mag, — Hebt der Angebellte den Stock gegen die Mente, dann kann er freilich ^ ihre weißen Gebisse zu schauen bekommen, bückt er sich aber nach einem Stein, so stänbt sie henlend aneinander. Sie brachten die Hiebe, sind aber nicht wurffest. Die meiste» der erwähnten Hänser mit schmaler Ansicht, M'wöhnlich zn zwei Stockwerten, haben keine Empfangs-l'äumlichkeiten, sondern sind ganz als Hansinnere eingerichtet. Die Besitzer finden sich vor einem kleinen Kaffeehaus an der Platane des uächstru Platzes zusammen. Auf dem Platz hindert die Pflasterung den Graswuchs nicht, sich zn einer a/wissen Entwicklung zu entfalten. Dort ist ihr Forum, >hre gemeinschaftliche Empfangsräumlichkeit. Mit der Außenwelt haben sie weiter nichts zn schaffen. — Ich schlenderte zu diesem Kaffeehaus hin nnd knüpfte dort, mit dem weißbärtigen Imam, der sich eben da5 Haupt hatte rasiren lasseu und nun mit seiner Wasserpfeife eine stille, aber nichts — 00 - desto weuiger ausdrucksvolle Unterhaltung pflog, ein Ge-sprach an. Als ich auf die wohlerhaltene Physiognomie des seiner Obhut anvertranten Viertels zn reden kam, schien ich eine schwache Seite an ihn, berührt zn haben. Eine verspätete Schwalbe schliß an uns vorüber. ,,Wallaha!" hub er an nnd wies dabei auf deu Vogel, ,,denen haben wir's zn danken, daß wir nicht vom Feuer heimgesucht worden siud seit ich hier Viertel-Imam biu nnd ich biu noch uuter Sultan Mahmud hierher gekonnnen, drueu danken wir's, aber Allah Weiß alles." ,,Wie meinst Du das, Efeudi," eutgegnete ich. ,,Einfach, jedes Haus hier hat ein Schwalbennest, nnd ich wache darüber, daß sie's wiederfinden. — Na, und Du weißt doch, daß der Prophet Noah den Schwalben gewogen sist." Er mochte meiner Miene abmerken, daß ich das nicht wußte und sah mich mißtranisch an, einen Zug ans seiner Wasserpfeife schlürfend. Es galt einen Eutschlns; fassen, oder ich wäre nm meine Aufklärung gekommen. ,,Ich biu lauge außer Land gewesen, Imam Efendi." erläuterte ich, ,,nnd da ist mir die Geschichte nicht mehr ganz gegenwärtig." Er streifte mich mit einem mitleide vollen Blick. — So höre denn. ,,Die Gianr waren einmal recht übermüthig geworden, »a, gerade so wie jccht, aber da-mals sandte Allah diel Wasser über die Erde, um sie alle zu vertilgen. Nur der Prophet Noah durfte sich eineu großen Kalk zimmern nnd sich mit seinem Harem und mit je eiueiu Paar vdn allem Gethier aus der Wasseriwth retteu. Der Prophet aber hatte bald in seiuem Kalk nicht geringere Noth. Seilt Harem sing an zu zanken und das steckte die Thiere au, daß sie sich herumbalgten uud den Kalk beinahe zum — 61 - Umkippen gebracht hätten. Nicht genng an dein. Im Durcheinander hatte sich eine geängstigte Ratte daran gemacht, rin Loch in den Kaik zn nagen," ,,Was blieb zu thnn?" Da wand sich die Schlange und sprach — der Gottgesandte verstand nämlich dic Sprache der Thiere — ,,O, Prophet, versprich mir zn gewähren, Was ich begehre, nnd ich rette den Kmk," ,,Nette den Kaik, o Schlange/' erwiderte der Prophet. Die Schlange rollte sich nnn rasch über die Oeffnnng nnd verstopfte sie — der Prophet nnd die Seinen, schöpften das migedrnngene Wasser aus — der Kaik wurde flott und war gerettet, Als die Sündfluth vorüber war, kroch die Schlange heran, ,,Ei, Prophet, erfülle jetzt Dein Versprechen." ..Was begehrst Du, Schlange?" „Das süßeste Blut." „Allah! Wie kaun ich das süßeste Blut erkennen?" erwiderte der Prophet. „Sende die 8wri-8inek (Mücke) aus, die hat einen feinen Geschmack, nnd soll uns berichten." erwiderte das tückische Gewürm. Mochte dem Propheten sein Versprechen auch gereueu, Wort ist Wort. - (5r sandte die 8nvri 8inok aus und erwartete tief bekümmert ihre Votschaft. Das hatte die Schwalbe bemertt nnd flog dauon, Sie begegnete der 8wri-8inok. ,,Nnn, 8ini-i'8inok," sagte sie zn dieser, „welches Blut st das süßeste?" ,.Das Blut des Menschen," entgegnete die Mücke. „Laß sehen," daranf die Schwalbe, Die Mücke wies ihre Zunge, von einein Tröpflein ^ li2 ^ Meuschcublut geröthct. Schwupps! Die Schwalb? hatte ihr die Zungenspitze abgebissen, Sss. , Sss, . schwirrte die Mücke durch die Luft zuiu Propheten. ,,Nuu, 8i^ri-8in6k, sprich!" — Die Schlauge harrte mit gierigen Augen der Auskunft. .,Sss . . . . Sss........^ summte die Mücke, „Sprich, 8iwri-8inc!lc!" schrie die Schlange ärgerlich. ,,Ich beschwöre dich, 8nvri-8in6i<," sprach der Prophet, sich den Bart streichelnd. ,,Gieb uns Deinen Bericht'" Sss.... Sss...... Weiter war aus der Mücke nichw herauszudringen. ,,Wer hat mir das gethan?" kreischte die Schlange. Die Mücke umkreiste die Schwalbe. Die Schlange schoß wie der Blitz uach dem Vogel, dieser aber noch rascher, entwischte, freilich nicht ohne einen Theil feines Schweifes im Rachen der wuthfchnaubenden Schlauge zurückzulassen. Darum beschirmt der Prophet Noah die Schwalbeu. — ,,So, nun weißt Tu es," uud er that eineu tiefen Zug au5 dem Schlauch. Und fo wußte ich denn, weßhald das Viertel bei I.ki6li 1'oliame88i erhalten geblieben ist, uud es mir ver-güuut war/ zum Behufe weiterer Keuntniß, hier seine Skizze zu versuchen. IV. Türkisches Fahrzeug und türkisches Fuhrwerk. Wir sind zur Brücke, der Hanptader des geschäft treibenden Stambnls gelangt und wenden nns zur Aussteig treppe der Ka'M, nahe dein Hauptzullamt, ^ tt5 — Einige Tnhend dieser Barken drängen sich mir ent-MNl. Welch ein Tuimllt! Welches Geschrei! ..Efendi, zu mir! fünf Piaster!" ..Vier Piaster, vier!" Unbekümmert nm die Minnendo-Lizitation wähle ich die Barke, die am leichtesten zu erreichen ist. Sie schwankt, aber ich sitze, natürlich ans türkische Art. wie der Kaik es furdert. Der Kalk legt vermöge seiner eigenthümlichen Baltart dem Fahrendeil, der anf seinen! Grunde kauert oder liegt ^ daß nnr seine Schultern die Varkenwände überragen, die Nothwendigkeit alif, dieRegeln de5Gleichgewichte,^n beobachten, ^ine Versiindignng dagegen könnte ihn leicht zwingen, sein Schwimmtaleut erpvoden zn miissen. Die lk'a'iks sind direkte Adköminlinge der bei den Türken lwn Alters her gebräuchlichen Fischerkähne, deren man an bcn anatolischen Küsten noch viele antrifft, lange, spitzans-Rufende Barken mit geringem Tiefgang, , Der, den ich gewählt habe, ist nen; die lichwranne Politur strahlt in nngetrübtem Glanz, die Kissen ans kirschrothem Tuch. sind ohne Makel. Mein Kalk ist eingeklemmt-, er stöhnt und knarrt. Thut "ichw, der Kaikdji findet seinen Anoweg. Durch den Knäuel "ou Kalks, von frischdnstenden Gemnseschiffen, beladenen ^astfähuen ,lnd Schiffsbooten, >uo ein Hölleueoneert von l'Uglischcn Flüchen, griechischen Znrilseii, maltesischen Blasphemie,l nnd von Schimvfworten aller Zungen die Sinne betändt. versteht er sein schwankes Fahrzeng durchznwinden, ^r lenkt mit sicherm Blick und nerviger Faust, mit eisiger ^'llhe nnd rascher Entschlossenheit sein Fahrzeng dnrch alle ^fahren nnd Hindernisse, deren der Hafen am Goldenen - 64 - Horn, einer der belebtesten, bewegtesten der Welt, nicht geringe und nicht seltene bietet. Man mnß sehen, wie er ihn bei hochgehender See auf dem Klimm der Wogen dahinfliegen macht, nm seine Geschicklichkeit nnd Kraft vollkommen würdigen zu lernen. Ein Vazar-Kaik (zu deutsch Marktbarke), der alö Om-nibnsfchiff den Verkehr zwischeil den verschiedenen Landungsplätzen vermittelt, vollgepfropft mit verschleierten und be-turbauteu Passagieren, kommt schwerfällig zu uuscrer Rechten heran, uns znr linken schlägt ein kleiner Dampfer die Fluth, hinter uno setzt sich ein Postoampfer in Bewegung. „Kmkdji, hab Acht!" Er zllckt die Achseln, zwei kräftige Nuderschläge und der Ka'ik fchießt fast unter dein Nad des Dampfers in dem quirlenden Wasser nach links hin, gerade zwischen zwei Barten hindurch, die von der anderen Seite des Dampfers herangeflogen kamen. Die Unfälle, welche sich auf der ueucingeführteu Tramway ereignen, l'ereichern über Gebühr die Rubric „Lokalnachrichten" in den Konstantinopeler Blättern, aber vou Kaik-Unfällen ist äußerst selten etwas zu vernehme),. Und wenn ein solcher wirklich vorfällt, so bin ich eher geneigt, ihn der Ungeschicklichkeit des FatumS, als der eines Ka'itdji aufzumutzen. Der Kaikdji hat in Oeschicklichkeit nur einen Rivalen, den venetianischen Gondelier, zu dem er sich jedoch in Vezng auf Kraft verhält, wie das frischlebendige, mitunter reißende Wasser des Bosporus, zur trägen Fluch der Lagnuen und iäauäle. Der Äaltdji hält auf seine Person und auf seineu Kmk, den er bürstet und putzt nnd glänzt, wie eine Katze ihr — 65 — Fell, auf den er stolz ist, wi^ es nur immer ein Wiener Fiaker auf sein Gespann zll sein vermag. Das lange Ruder in der Faust, läßt er sich ebeuso ungern wie dieser überholen, nur daß der Fiaker bei einem vorkommenden Wettfahren blos Peitsche und Pferde, der Kaikdji aber seine ganz eigenen Lungen einzusehen hat. Die Kaiks haben im Bosporus beiuahe dieselbe Wichtig-keit, wie die Gondeln in den Canäleu Venedigs. Der Bosporus, dessen meilenlange Nfer auf beiden Seiten mit Iali (Bospor-Laudhäusern) besät siud. repräsen-tirt Stambul im Sommerkleid. Aus dieseiu Umstand schon erhellt die Bedeutung des Ka'ik. Fast alle Iali-Inhaber, aber auch die meisten Iali-Miether besitzen ihre Privatkaiks. Die Zahl der Nnder richtet sich iu erster Linie nach de,u hierarchischen Rang uud auf Grilnd diefeS nach dein Vermögen des Kaikbesitzers. Den Reichsministeru uud den Gesandten fremder Mächte sind ausschließlich Ka'iks mit fünf Paar Rudern gestattet. Die Ersteren begiuneu jedoch von diesem kostspieligen Cerenwnieloorrechte ciueu äußerst mäßigen Gebranch zu machen. Anch die Würdenträger vom Range der Baala, denen der im Orient häufig nsurpirte ,,Excellenz-titel" von rechtswegen zukonunt, habeu ihrem Vorrechte aus vier Paar Ruder auv aufgezwuugeneu Ockonoinie-Rücksichteu l'utsagt. BeiN'eitenl zahlreicher noch als die Priuattaits sind die Miethkaiks. Diese unterscheidell sich änßerlich durch nichts von den ersteren. Desgleichen die kia'itdji ^Vartenfnhrer). Den Kaltdji kleidet das weitärmelige über die Brust üeösfnete Hemd aus roher oder ans Vrnssaseide. Das rothe Fez, die bis an die Knie reichenden Pluderhosen aus weißen» — «6 — Waschstoff und ein Gürtel ans buntfarbiger Seide vervoll^ ständigen seine einfache, aber kleidsame Tracht, die sich oft durch den ebenmäßig entwickelten Körperbau des Trägers und durch die Kraftänßernngen seiner Bewegungen zu malerischer Schönheit erhebt. Die Kalks der Palastdainen sind in weift und Gold ausgestattet. Von Ortaw'i setzen wir ans anatolische Nfer nach Beyler-Bey über. Au jeder Landungstreppe sind Kaffeehänser entweder auf Gerüsten ins Wasser hinansgebant »der unter schattigen Bäninen, Schlendern wir längs des Ufers hin. Die Wege sind einsam. Man begegnet hin und wieder einem Diener aus einem der Iali, oder einem Kinde, oder einer Gruppe Frauen, Dieses Gestade gehört dem officiellen Konstantin opel, und dieses befindet sich jetzt in seinen Amtssitzen. Sollte uns ein Efcndi begegnen, so kann es nur ein solcher sein, der zeitweilig außer Thätigkeit gesetzt, abwartet, bis sein Kism6t ihm wieder gestattet, ein Plätzchen a in Bankett der Gnade einzunehmen. Der vollkommene Friede in diesen Bospordörfern be rührt wohlthuend auf die lärmeude Bewegung der Stadt, Laugsam und schwerfällig kommt eine hixhräderige Araba des Weges, Ich hatte seit einem letzten Spaziergang an den ,,auawlischen süßen Wässern" der im Hochsommer viel besuchten Freitags-Prmnenade der schönen Stambnler Welt, also seit Jahren, keine Araba mehr zu Gesicht bekommen. Auch dort werden diese Fuhrwerte von Jahr zu Jahr seltener angetroffen und dürften binnen Knrzein gänzlich — f>? — aus der Bosporusstadt verbannt und in das Innere verwiesen worden, unt dort ländlichen Hochzeiten nnd Festlichkeiten ein höheres, ob «inch vom hauptstädtischen Standpunkte ans antiquirtes Lustre zu verleihen. Stambnl ist eben eifrig bemüht, sichtlich rasch das eigenthümliche Gepräge der Erscheinungen abznstreifen. Die mnselmanischen Damen des niAn-Mc! bedienen sich schon längst des abendländischen Conpös, das nnr durch eine kühnere Farbenzusammenstellung, dnrch eine mehr oder minder vordringliche Vergoldung und durch eincu verschwenderischen Nnfwand au Spiegclfeustern zum Einklang mit dein Localton in Landschaft nnd Bekleidung gepreßt wird. Selbst die bescheidenste Efeudi-Hälfte bedient sich bereits zu ihrer Promenadenfahrt der Talika, einer länglich geformten Miethkutsche im Styl Louis XV., nicht weuiger mit Farbeu und Vergoldung bedacht als die Araba, aber viel nenmodischer als diese. Der uah.euden Araba mangelt kein Vestaildtheil i weder der flockicht gewebte Ueberhang ans rother Schafwolle, der über die Reifen gespannt als Baldachin gegen die Sonueu-strahleu schiiht, noch die Leiter, mittelst welcher die Schüuen auf deu hohen Karreu mit einiger Gymnastik hinansteigeu. noch auch das goldgestickte, mit Spiegeltheilen verzierte Ge schirr für das Ochsengespann- nichts fehlt, selbst nicht das halbe Dutzend kichernder Weiblein, die ans diesenr-Karreu Schritt für Schritt nach den ,,süßen Wässern" hingeradet Werden. Auch eine Matrone kauert auf den mit Alevposeide überzogenen Kissen. Und wie ängstlich, ernsthaft ist sie Verschleiert, oder besser — verhüllt. Eiuc derartige Verhüllung erregt heutzntage selbst au deu ,,süsteu Wässcru" Anfsehen, Nach diesem Schnitt nnd Neeept vermummt fich 5 " — 68 — am Bosporus Keine mehr, außer, sie würde ihre Urenkel unter die Platanen begleiten. Die Mode war gang und gäbe, als die ochfenbespcmn,te Ar aba nächst der Kotschu noch das einzige Gefährte der Haremschöncn war. Bei Benützung der Kotschn (wahrscheinlich von dein dcntschen Worte „Kutsche" stammend) — einem quadratförmigen, gewissenhaft verschlossenen, mit Tuch oder Seite ausgefütterten Kastei,, dessen Luftlöcher vergoldete Stäbchen umgitterten — mußte die Schleierhnlle freilich als überflüssig erscheinen. Die Dichtigkeit der Verhüllung unserer Matrone, schreibt sich also noch aus jener Zeit, wo der schwarze Tngendwächter mehr als ein bloßer Lnxussklave nnd ein Aushängschild der Vornehmheit war. Die Araba, die kotschu, der Schleier und die Schwarzeu haben unter dein wechselnden Mond schönere Tage gesehen. Heute ist der Schleier nichts weiter als ein Toilettenpfiff, als ein Verschöuermtgs- und Verjüngungsmittel; zwar nicht dem Gatten gegenüber, sondern vor ,,den Anderen", und das wird zur Hanptsache, im Schatten der Bospor-Platanen ebensowohl, wie in den Prater-Alleen. Heute zählt bei den Orientalinnen der Schleier mit dem pouclrß üe rix, dem bllmo und den sonstigen Correctnren, in das Arsenal weiblicher Angriffswaffen. Die elegante Türkin weiß heute bereits den Schleiervorwand so zu verwerthe», daö Gazespinngewebe mit demselben Raffinement zu behandeln, wie allenfalls die Audalusicrin die Mantilla oder ihren Fächer und wie die immer weniger nnd weniger verschleierten Schöneil ont,rL Ü6ux kßL8 nnserer Zone das Halb-dnnkel einer Ialonsie oder die Dämmernng damastener Feustervorhäuge, Eine gewandte Haremskönigin versteht sich daranf, den — 69 — Schleier so zu nesteln, so zu draviren, daß ihre Erscheinnng einen ähnliche», Eindrnck wie gewisse Schlnßftointen bei ge.^ lungenel! Stimmungsgedichten hervorrilft. Sie sprechen weniger genau alls, als sie den Anschauenden das nicht Ausgesprochene ahnen lassen und durchznempfiudett zwingen. Das Wort bricht ab, die Phantasie des Lesers aber ist angeregt weiter zu spinnen und ergänzt vollkommener, wärmer, als es das klar ausgesprochene Wort vermocht hätte , , . Wie flüssig gewordener Türkis liegt die Wasserfläche zu unseren Füßen. Während am Morgen nnd gegen Abend Dampfer und Kähne sie lebhaft durchkreuzen, furcht jetzt nur selten ein Schiff ihre Flnth, gleitet nur hie und da ein leichtbeschwingter Ka'il über ihren Spiegel. Vor einem uder dein andern Iali ruht ein Boot. Kinder hocken lautlos darin nnd blicken geduldig nach der Angel, die der alte Diener ansgeworfen hat. Ein Seegeier zieht weite Kreise in der Luft: cr scheint kanm die Schwingen zn bewegen. Hier hat Niemand Eile. Diese ganze Natnr athmet Be-schaulichkeit. V. Pera und dic Pcroten. Pera ist die europäische Vorstadt Stambnls. Eine Stadt in der Stadt, die Colonien aller Nationen, jede unter ihrer eigenen Gerichtsbarkeit, beherbergt wie einst das Nho-dlis der Maltheser Ritterschaften ,,verschiedener Znngen"-, ein Vnnd von Oeuit'iudeu außer dein Staat, die alle.Vortheile des Staatswesens genießen, ohne au seineu Lasten thcilzu-nehmen; eiu Monstrum »ach unseren staatsrechtlichen Begriffen. — 70 — Pera ist ein Stadttheil, der im Aussehen Ansprüche anf Vnropäerthum zilr Schau trägt, sie aber nur im einzelnen Detail zn rechtfertigen vermag; ein charakterloses, in allen Schlprobeil der Seestädte des mittelländischen Meeres zusammengewürfeltes Häuscrgesindel, in dessen Schmche die Fenersbrünste eine,,Straßeuerweiterungv-(5l.immissimi" und die freilich dnrch gewaltsame Sichtnngen znr passive» Vii-iwrität herabgcdriickten Straßenköter die Sanitäts-Pulizei" vertreten. Pera ist ans einem der sieben Hügel Kmistan-tiiwpels erbaut; knapp über seiner Wiege Galata, der einst genuesischen, jetzt tosmopulitischen Handelsstadt. lieber sich den aznrbtanen Himmel der Kalifen-Residenz, sieht es in süßem Seldstbehagen umi der freundlichen Höhe auf die miuaretgeschmnckte Türkenstadt, anf den stets Von Dainpferir durchfurchten Bosporus, auf deu nnt allcn sslaggeu bedeckten Niesenhafen nnd anf das inselumschaterndc Marmarameer herab. Es beneidet keine eur>.'paischeSchwester-stadt weder um ihre Lage nach nm ihre Gerechtsame und hätte auch wahrlich keinen (^rnnd hiezn, Pera lvar ursprünglich ansschließlich der Wohnsitz für Vertreter der christlichen Mächte, Die Frankeneolmiic in ihrer heutigen Gestalt, ist eine Bilduug der jüngsten Zeit. Noch vor wenig Deeennien bestand sic blos aus Anhängseln der Gesandtschaften nnd deren damals schüchternem Huf Um: Xtanfleuten, die vun dem dumpfen, tiefliegenden Galata anf die lnftigen, hellen Hühen übersiedelt waren Wenn man einige wenige Familien anSnimmt, deren Namen anf eine directe oder indirette Abkunft von italienischen Patriziern schließen lassen, so ist der nächste Ursprnng selbst ihrer sogenannten Stammfamilien in ein tiefes Dunkel gehüllt. — 71 — Die perotische Familie ist zumeist cm Gemälde ohne perspeetivischen Hintergrund. Niemand forfcht übrigens hier zn Lande, wo es Branch ist aus den Strum zu schupfen, nach den Quellen, und die Betreffenden, die schon als Neu-Orientalen keinen Vergaugeuheits-Cultus treiben, Uermeiden gerne jede Erinnerung über die letzten 10—20 Jahre znrück, sei es nnn aus Eitelkeit oder aber aus tiefer liegenden Ursachen, Als Ahueubilder figuriren iin besten Falle die vergilbten Photographien eiiles Papa oder einer Mania und zwar ans jener Epoche ihres gesegneten Wirkens, wo Ersterer sich bereits znm Titel ,,Monsienr" emporgeschwungen nnd Letztere in ihre Toilette znm jnnggewohnten Kopftuch einen seidenen Rock eingeschmnggelt hatte. Der Bevölkerungszuwachs ist besonders feit dem Krimkrieg merklich. Er besteht zumeist aus Speculanten und Mücksjäger», welche mißliche Umstände in der Heimat oder aber die Hoffnung, rafch glücklich, das heißt ,,reich" zn werden, angelockt hatten. Moderne Argonauten, die zum Goldenen Horn ziehe», um ein Stückchen davou, je größer je lieber, zu erbeuten und dasselbe sodann gemünzt im spröden Vaterlande zn verwerthen. Zum Theil besteht er aus curopäisirten Griechen nnd Armeniern, welche die italienische Oper, das französische Vandeville, der Alkazar nnd sonstige Belustignngsorte oder zum mindesten die Gasschnäbel, Welche diese Vorstadt verkehrsfähig »lachen, bestimmt hatten, aus den minderbegünstigten Stadtvierteln dahin zn übersiedeln. Tie jüngere Generation dieser Letzteren nnd ein Nruchtheil der eingewanderten Fremden verschmelzen sich endlich mit den Stammbewohnern znr typischen Gattung der "Peroten", denen dieses Capitel gewidmet ist. Ich glaube hier betonen zu müsse», dasi viele von den Fremden in den __ 72 __ landsmannschaftlichen Colonieu ihre nationale Eigenart bewahren. Insbesondere gilt dies vou den germanischen Raeen. Die meisten Deutschen z. B. widerstehen hartnäckig jeder Vcrschmelznng mit dem fterotischeu Eletnent. Sie leben unter sich und besuchen eigene Locale, ihre ,,Teutonia", ihre Liedertafel, ihre deutschen Wein- uud Bierhäuser. Auch jenes Contingent Ausländer, das auf kurze Dauer das Pflaster Pera's betritt smöge der Leser diese gangbare Ausdrucksform nicht allzu buchstäblich nehmen), gehört nicht in den eugeu Nahmen unserer persischen Welt, wenngleich der ,,königmacheude Pole", der thronestürzeude Spanier, der durch Civilisations-Import beglnckende Pariser, der in Pro-jecten machende Brite, der Tonrist nnd der Alterthnms-forscher, die Wittwe des Colonel die alls einen tröstenden Pascha fahndet, die fahrende Diva, die ruiuensüchtige Lady und die Proseliten witternde Missionärin aus Boston oder vom Stillen See, mächtig dazu beitragen, dem immer bewegten Frankenviertel die kaleidoskopische Färbung der Universalität zu geben. Das Leben in den Straßen Pera's ist lärmend wie in fast allen südlichen Seestädten, aber buntfarbiger, als in irgend einer. Die Bewegnng in den Straßen hat täglich ihre Ebbe und Fluth. An« Morgen wogt, als gälte es eine Masseu-auswandernng, die männliche Bevölkerung hinab nach der wintetreichen Hafenstadt Galata, wo sich die Geschäfts-Etablissements, oder nach Stambul, wo sich die Bazare und die Negiernngsbnreaux befinden. Die Neiter gelangen nnr Schritt für Schritt an ihr Ziel, oftmals dnrch den berg abdrängenden Menschenknäuel im Vorwärtsschreiten ge hemmt. — 73 - Gege» Abend drängt dieselbe Menge nach Pera zurück, dann füllen sich die Hotels, die äwinß-roomk, die, Restaurants, die orientalischen Garküchen; dailii bevölkern sich die Kaffeehäuser verschiedenster Schattirung, von der inländischen Kaffeebnde bis zum Pariser Caft nnd zum Condiwrei-Laden: daiul lebt Pera sich selbst und seinen, Vergnügen. Ich glaube mich über Pera hier genügend ausgelassen M haben, nm endlich auf seine Stammbewohner überzugchen. Der Perot hat kein Vaterland und keine Nationalität, Wenn anch jede Familie in den Registern einer Gesandtschaftskanzlei als ,,schnl)befohlen" eingeschrieben ist; er ist cin Drittel Lateiner, ein Drittel Grieche nnd ein Drittel ..alle Welt". Der Wrot parlirt i» vielen Sprachen, oft in einem Gemisch Uun Sprachen, ohne eine zu wissen. Er ist gewandt nnd findig in Interessenfragen wie ein genuesischer Mäkler und dabei unwissend wie ein spanischer Mönch. Das deutsche „seinen Unterhalt verdienen" paßt auf ihn weniger als das französische g^ner «on pain (fein Brod gewinnen). Und wie leicht gewinnt er Geld, viel Geld in Konstantinipel, diesem Californien des Unternehmenden. Er kleidet sich nach der letzten Mode, wohnt je nachdem und ißt schlecht. Er ist Kleinstädter mit den Mätzchen des großstädtischen i'Ltit, maitro nnd dem Vlick des Welt-Händlers, Er ist überdies nnd insbesondere ein Kind jenes Pera wo das elegante Pariser Magazin am defecten Käsestecher-^aden. wo das Prachtgebände an der verfallenen Holzbaracke eine Fulie hat und wo der Kern Stanb nnd Schmntz, wenn auch schimmernder Stanb nnd gefirnißter Schmutz ist, darin stch die goldene Sonne des Orients spiegelt. — 74 ^ Die Perotin ist die unirdige Tochter, Gattin nnd Mutter des Peroten. Die Vezeichnnng .,schöne Hälfte" scheint nnr auf die Perotiu oollkonnnen anwendbar. Sie ist schön, sehr schult, wenn die Natnr sich nicht besonders caprieirt, sie anders zn gestalten. Freilich liegt ihre Schönheit mehr in der äußerlichen Form, in den Conlonren; Psyche und die Grazien verklären sie nicht, dnrchgeistigen sie nicht. In ihren körperlichen Reizen sind auch ihre größten Vorzüge zn suchen. Die Perotin hält mehr ans das Ge-schmeidetüstcheu als auf den Linneuschrant, geht öfter zur Kirche als sie l'etet, ist mehr berechnend als romantisch, mehr sinnlich als schwärmerisch. Ihr Anftreten in der Anftenwelt entbehrt jeder Sicherheil, nnd der Maitgel derselben macht sie gespreizt, ja leicht unhöflich erscheinen; sie glanbt sich durch den Grnsi eines Mannes eompromittirt. Die Eischale der orientalischen SchleierUerhülluug klebt ihr ani Chignon. In der (für die rasch verblühende Perotin sehr fatalen) Epoche „zwischen zwei Altern" verdringt sie den Tag zwischen Schminktopf nnd Cigarrettenbnchse. Die eigentliche Perutengesellschaft krystallifirt fich um eine sogenannte Crüme. Diese sieht auf den nenperotischen Znwachs herab, wie die Marquisen des noblen Faubourg ans die Parve»n5 nnd anf die Ministerweiber des Nsnr-pators herabblickten. Da fie jedoch andererseits die Gefahr erkennt von der Zahl und dein Besitz der Eindringlinge uberfluthet zu werden, so entschließt sie fich hin und wieder zu Zngeständnissen nnd erweitert ihren Kreis durch Verschwägerungen und sonstige Anknüpfungen. Die Familien dieser Creme, die in Ermangelung von Stammbänmen hin und wieder mit Stammrnlhen zn prmilen in die Lage lmninen, und deren einige, wenn fchon Ilicht anf ,,l'lanes", doch wenigstens auf ,,violettfarbenes" Blut ^lllsprnch erheben ^irfen, sind Jene der Gcsandtschaftv-D^mttschc-, deren Ad-kmlimlinge uud Seitenlinien. Sie zählen nut tastilischem Stolz mehrere Generationen, die von Vater anf Sohl« verschiedene fremde Vertretungen nnd N'äre es auch blos die dl'r „allgetreuen Majestät von Portugal" oder der ,,sehr ehrsamen Hansa" niit zungengeN'andten Dolmetschen versorgt haben. Man muß in Konstantinopel gelebt haben, nin den Glanz, den die „Dolmetsch-Würde" verleiht volltommeu würdigen zn können, mau muß Einblick in die Coulissen au bn' ,,Hohen Pforte", an den (Gesandtschaft^ Vnreanr, nnd llu den Comptoirs der ssinanzgroßeil hade», nm den tiefeingreifenden Einflnß der „Dolmetsche" begreifen zu können. Du'se ervgesesseuen Patrizier-Familien vom ^ilngenade!, deren Manche das Laud, dem sie offieiell ihre Vermittlung leihen, uur ans der Geographie keunen, kreisen als Trabanten um die Gesandtschaftssonnen, welche der perutischen Gesellschaft 2icht und Wärme spenden. Das gesellschaftliche Leben, wenn von eiuem folchcu in I^a überhaupt die Rede sein kann, beschränkt sich auf die Gesandtschaftshotels. Die nen auftanchenden Gestirne in den gcsaudtschaft-lichen Sonnensystemen erringen sich ihre Plätzchen dnrch den Nimbus des Vermögeus, oder aber durch schöne Frauen und Töchter. Unter der Flagge der Schönheit gelangt der Em-Pvrtüminling am leichtesten zur gesellschaftliche!, Anerkennung. Dmn die Emladnngskarte mit I'/Vinda^aäuur ät!..... Vl'iß lUo. gilt in Pera als illlanfechtdares Ädelsdiplom. Die Anfinerkfainkeiten, die ein Diplomat oder gar ein — 76 — Botschafter einer Perotiu widmet, noch mehr aber feine galante Werbnng, sind für dieselbe das, was das Tabouret am bonrbonischen Hof war und mögen die minder Bevorzugten sich Bläschen auf die Zunge zische!», was vorschlägt es? Die Glückliche schwelgt in dein Bewnhtsein ihrer Würde, ihrer anerkannten, patentirten Verdienste. Doch der Gemahl? Nun der Gemahl, paräiou! hängt die seinem Haus widerfahrene Ehre an die große Glocke mid benutzt die hohe Vertraulichkeit im Interesse des einen oder des andern Geschäftchens, das er mit den ,,barbarischen" Türken abzu^ wiegeln hat, Böranger's bekannte Chanson: „On sii^, ,>'6I1 8UI8 conväinou, Hli6 VUI28 IN6 laite« ... (Huol llonneur, qu«1 Iiunlic!iir. erhält durch manchen perotischen Gatten eine treffende Rand-zeichüuuq. Natiirlich erfreuen fich in erster Linie die Vertretungen der domiuirenden Großmächte des Privileginms derartiger Standeserhöhnngen. Der Botschafter Napoleon's war zur Zeit des Kaiserreichs der Jupiter p«r oxcLlience im ftcrotischen Olymp. Ein Zncken seiner Brauen, ein Lächeln seines Mundes machte daselbst Regen uud Sonnenschein, Der Toilettenlnxns den die Damen auf Bällcu, Ronts, Concerten n. s. w,, die in Gesandtschaftshotels stattfinden, entwickeln, grenzt ans Fabelhafte, Wenn nun anch manche „rivjür«" die um einen Nacken blitzt, der den Meißel eines Phydias begeistern müßte, für den Abend geborgt Wnrde, wenn auch „MrrL« äo Htru8«" in Pcra ein Uiel- — 77 — gesuchter und gern verwendeter Artikel sind, so stcht der Aufwand bei vielen Schönen dennoch im grellen Widerspruch wit den Vernwgensverhältnissett ihrer Gatten, Der änßere Schein, dein in der sogenannten, „schönen Welt" überall geopfert wird, ist in Pera zlun KnlttlS erhoben. Die Perotinnen pflegen ihn mit frenetischer Andacht, Die perotische Gesellschaft weist gewisse verwandtschaftliche Züge mit jener von Vnkarest anf. In Beiden ist Alles Oberfläche; nnd wenn keine von sich sagen darf: ,,Ich bin ^'sscr als mein 3lnf," su darf man von beiden behaupten: "das Schiinste an ihnen ist, was mail eden sieht," Freilich Nt die Letztere einen mehr rnssisch-ariswt'ratischen Znschnitt, "uch ««ehr Temperament; der Geist ihrer Kreise ist ein Ab-"M v^iil u^prit, des 6aux ä« ?g.ri8. Was Wuuder, wenn sich nach diesem Muster der Ottomane nur eine geringe Meinnng von der abendländische!! Gesittnng bildet ilnd von ihren Früchten nicht begehrt was Wunder, wenu er im Gefilhl seines gediegeneren Werthes auf ein ^"neinwesen niederblickt, dessen Kern hohl, dessen Schale Rauschgold ist. Der Ottomane liewegl sich auch selten in Pera, wo er 1l> zu sagen auf seinem eigenen Boden ein Fremdling geworden ist, Nnr an Feiertagen sieht man die Pforten-bwinte» in größerer Menge dnrrh die Hauptstraßen wandeln. Die verschleierten Haremstöniginnen hingegeil sind häufigere (^äste i» Pera, Sie kommen, die Vornehmen zn Wagen nnd gefolgt von ihren schwarzen Tngendwächtern, um die Modeladen des Fraukeuviertels zu durchstöbern. Es lNbt ja von den fränkischen Moden immer etwas abzugucken uud auch dies nnd jenes in die orientalische Toilette auf-Muehmeu; hat diese ja doch längst dem ursprünglichen (Äe-präge entsagt. Auch Pcva geht einer raschen Umwandlung seiner — 80 — Toilette und seines Wesens entgegen. Die Eisenbahnoerbin-dnng zwischen Konstantin opel und deru Westen wird dieselbe beschleunigen uud Pera seiuer Physiognomie, wie seiner anornlalen Privilegien entkleiden. Schon jetzt kann Pera in seinem eigenen Wesen nicht Uersnmpfen, dank den anregenden nick befrnchtenden Elementen loelche die Diplomatie und der große Handel der Weltstadt Konstantinipel beständig zuführen, Pera wird von Fremden überftuthet, die Eigenthümlichkeit des Peroten verwischt, sein Agcntnrgeschäft in abeudländischcr Cultnrvertretung brachgelcgt. Durch dell Niedergang dieses Factors dürfte der Civilisationsproeeß am Goldenen Horn kaum gestört werden. Der fortschrittliche Entwicklungsgang im Orient kann ihn entbehren. VI. Ter Nhamadan in Stambul. Ein Kauouenschuß, ein, zweiter, ein dritter! Wir höreil auf zu zähleu: riugsum senden die Feu^rschlünde im Chorns ihre Donner über Stadt und Meer. Der Imam hat den Neumoud erblickt und der Eintritt des Rhamadan ist beglaubigt. Somit bcginut im Bereiche des Islam für das Jahr 1293 der Hedschire das dreißigtägige Fasten, welches der Koran dcu Glänbigen vorschreibt, ein Fasten nicht im Sinne uusercr Frolninen, die in den Fasten speisen eine würzende Abwechslnng snchen, wie ein 3tancher die Cigarrengattung wechselt, damit ihm seine Lieblingssorte wieder besser munde, auch nicht im Sinne der griechische» Christen, die sich an — 81 — magercu Wasscrgerichtcn kasteien und an Oliven laben, sondern eine bedingungslose Enthallsainkeit. Ein Trunk Wasser, der schwer oitbehrte Zng ans dem Pfeifenrohr, ein Prieschen, das Riechen an einer Blunie würden eine» Fastenbruch darstellen. Ich erinnere mich, daß als ein Fireug (Abendländer) in, einem Tramwaywaggou eine Cigarette rauchte, zwei Mullas dagegen die lebhaftesten Einsprüche erhoben, weil. wie sie sagten, der Nanch in ihre Nase dringen künule nnd solcher Art ihr Fasten zunichte machen. Kranke. Kinder, Ammen, Reisende nnd Krieger im Feld genießen der Dispens; die beiden letzteren holen, wenn ihr religiöses Gewissen echtfärbig ist, das Versäumte wieder ein. Der schrecklich angehende Rhamadau hat aber eine Lichtseite nnd das ist hier die Nachtzeit i des Nachts nämlich ist rs dem Fastenden gestattet, sich für die Entbehrungen des Tages nach ünst und Vermögen schadlos zu halten, nnd so mildert sich die hyperascetische Strenge des, ersten Anscheines, und schrumpft bei all' Denen, die ihren Unterhalt nicht durch Arbeit verdienen müssen, ans einen Wechsel in der Lebensweise znsammen. Die Nacht ist also angebrochen nnd mit ihr der Nha-mad an. Im weiten Umkreis der Riesenstadt, über ihren Hügeln nnd Golfen, über ihren Knppeln nnd Pinientronen lenchteu die Galerien an den zahlreichen Minareten strahlend durch bic Nacht, Bei den Hauptnwscheen schweben, die Namen Allah'5 nnd des Propheten in kolossalen Flammenbnchstaben ssnirlandenartig verschlungen und anscheinend frei in der Luft. Die Mäste nnd Raeu der Flutteuschiffe flimmern nnd glitzern in feurigen Linien, von der dunklen Flnth wieder- __ 82 — ' gespiegelt, und über all das glänzen Myriaden von Sternen, und die Nacht ist so blau und die Sterne sind goldig. Eiu feierlich erhebendes Bild! Sinnlich nnd übersinnlich zugleich ^ märchenhaft süß nnd voll ergreifender Andachtsstimmung. Dazwischen klingt der Ezzau (Gebetruf) in die tiefe Stille Hinalls und weckt hundert nnd huudert Stimmen. Der Nrsprnng des Ezzan wird anf Abdallah, den Schüler des Propheten, zurückgeführt, der uach einer Berathung über das anzunehmende Gebetzeichen nnd nachdem Glockenläuten, Fenersignale, Fahnenanfhissen, Trompetenklänge als Nachahmungen verworfen worden waren, infolge eines Traumes den Vzzan angab, der anch eingeführt wnrde, „Das La-Illah-Ill-Allah" der Milezzin mahnt die Gläubigen zum Nachtgebet. Und die klangvollen Stimmen mahnen so ernst, so eindringlich, daß sie das nngläubigste Gemüth zur Träumerei bewegeu können, nnd die glanbige Seele schwebt anf diesen weihevollen Tönen dem unbekannten Etuigen eut-gegeu! Diefe menschlichen Stimmenglocken, die in den Wechsel-rufen ihr Echo finden, in unmelodischem Chore zusammenklingen, um endlich, nachdem die eine oder andere verstummt, im gedehnten III Allah der letzten im Raume zu verhallen, läßt gewiß keinen minder poetischen, aber vielleicht einen noch erhebenderen Eindruck als selbst das Aveläuteu von der Waldkapelle. ,,Es ist nur eiu Gott, uur ein einziger Gott!" Mau fühlt sich so klein vor der geahuten Unendlichkeit, und deuuoch erhebt uns dieses Gefühl, anstatt uus zu erniedern; es beruhigt, befriedigt uns. Lnstwandelnde und Andächtige drängen sich in, Innern der Stadt, in den Hauptstraßen nnd nm die Moscheen. — 88 — An den Brunnen, die sie nmgeben, verrichten die Frommen bie vorgeschriebenen Waschilngen und rüsten sich znm Gebet. Der allgemeine Begegennngsgrnß lalltet: ,,Nhamadan mubarek olsnn! (Sei der Rhamadan glücklich!)" Denn der Rhamadan ist eine Zeit der Frende nnd seine Nächte sind Nächte der Lnst, die in gewissein Sinne dem christlichen Carneval entsprechen könnten. In den Hänsorn geht es nicht minder lebhaft zn: Die Clienten besnche» ihre Patrone, die Frennde nnd Verwandten tanschen ihre Nhamadanwünsche ans. Doch U'ir wollen ans der bnnt belebten Gasse bleiben. Begeben wir nns nnter die Arkaden von Schahzade. einein schr besnchten Verkehrspnnkt. Ans der einen Seite, reihen sich die persischen Theebnden. Die Vnden sind nach der Straße zu l,,ffen, die Gäste nehmen anch im Freien nnter den Arkaden Platz. Betreten wir eine derselben. Nicht das Conterfei des iranischen Leneu mit dem Schnnrr- nnd Knebelbart u l», Napoleon, der in der Tazze ^'n Krnmmsäbel führt und über dessen Rücken die persische Sonne in tiefes Bnttergelb gefärbt anfgeht. bestimmt nnsere Wahl, sondern einzig die größere Anzahl der Gäste, Es sind Lente ans den mittleren Volksschichten, Bürger, kleine Beamte. Ein dicker Ordensderwisch von behäbige,» Anssehen hockt ernst nnd schweigsam in einer Ecke. Manchmal entringt sich den Tiefen seiner gewalligen Brnst ein schwerer Senfzer: er meditirt. Zwei Molla (Schriftgelehrte) in Tnrban nnd Kaftan unterhalten sich mit leiser Stimme, nnd so viel man ein zolnen Worten entnehmen kann, über die jüngste Negiernngs-«mhregel, die Vaknf (Güter der todten Hand) betreffend. — 84 - Gin greiser Kaufmann aus der Nachbarschaft gibt seinem Enkel Verhaltungsrcgeln für die Schule. Seiner Zeit war das anders, aber der Junge soll mehr lernen, als der Vater gelernt hat. Der Alte ist im blaueu Hauspelz. Jeder erscheint auf der Gasse uach seinem Behagen. Ich begrüße die Gesellschaft, wie es die Art erheischt. Der Gruß wird Uou jedem Einzelnen mit der Würde erwidert, welche die Ottomanen auszeichnet. Der allgemeine Verkehr unter ihnen gründet sich auf die Idee der Gemeinsamkeit und der Grundgedanke einer brüderlichen Zusammengehörigkeit kommt in den Regel» des Auslandes, die sie streng befolgen, überall zum Ausdruck. Während im christlichen Abendland das Individuum uor dem Andern auf der Hut sein mnß, während dort der Einzelne sich dem Andern gegenüber gewißermaßen auf Kriegsfuß beftudet, und der Verkehr durch allerlei kleinliche Cautelen und Wehrmittel, dnrch Raffinement und Seitensprünge geregelt wird, bewegt er sich beim Orientalen in einfachen, großen Zügen. Vor uns in der Straße wogt die Menge. — Wogt? Nein, die Bezeichnung trifft nicht zu. Es ist dies ein charakteristisches Zeichen des türkischeu Straßeulebens, daß, mit Ausnahme der Geschäftsuiertel, seiner Physiognomie die regelmäßige Bewegung uach einem Ziel, mit einen, Wort, der treibende Strom gänzlich fehlt. Die Menge scheint vielmehr sich zn drehen, als sich nach vorwärts zu bewegen; der Einzelne schleudert, anstatt auszuschreiten. Von den Kaffeehäusern her ertönen Gesang und Musik, der erstere näselnd, die letztere schnarrend. Das Hauptmotiv aller Weisen ist die Klage. Man muß lange Zeit im Orient gelebt haben, tief in das orientalische Wesen eingebürgert — 85, -. , sm>, um als Abendländer dieser elegischen Mnsik Geschmack abzngewinneit llnd um den Neiz des Ursprünglichen, Charakteristischen, das in ihr liegt, zu erfassen. Dort vor einer Varbicrstnbc erzählt ein N'eißbärtiger Märchenerzähler dein lauschenden Kreis in rccitativartiger Weise ein rührendes Licbesepos. Alle kcuueu es und hören dennoch aufmerksam zn. Mit eintönigein Geschrei und lobreduerischen Superlativen, die aber ohne jene innere Vetheilignng, die ihnen der Italiener manchmal zu verleihen weih, hernntergeschnarrt werden, bieten die ambnlanten Verkäufer, besonders diejenigen, welche Surbetten und Zuckerwaaren zu Markt tragen, lhrc Waaren aus. Hier uud da drängt sich eine Grnppe Frauen durch die Menge; vor ihueu her schlendert ein Junge oder aber ein Greis mit einer Papierlaterne, Der Efeudi zu Pferd, den alwnesischen Reitknecht an seiner Seite, uud die Carosse der Dante, Vom duntelgcsichtigen Eunuchcu begleitet, dringen nur Schritt um Schritt durch den Menscheuknänel, der in überwiegender Mehrheit an5 bettelnden Derwischen besteht; diese scheinen geradezn dem Waster zu entquelleu. Daft Alle von ihneu Derwisch»rdeu angrhüreu, möchte ich indeß nicht nut ebenso großer Ge-Wißh<>it behanpten, als ich mich für das Eigenschaftswort verbürgen kann. Der Nhamadan ist für sie eine ergiebige Erntezeit, denn die Hand der Befitzcudeu ist uoch weiter geöffnet, "ls sonst. Ili diesen zerlumpten Weltverächtern entrollt sich uns eüie Musterkarte von verschiedenartigen Racentypen. Da ber zähnefletschende Neger nächst dein braunen Manren, der ^ndier neben dem Kaukasicr; über Alle aber der mongolische — 86 — Typus aus Samarkand uud Bochara, eiue wahre Heuschrecken-Wolke, die sich vornehmlich im heiligen Monat Rhamadan auf die, östliche Siebenhügelstadt uud deu Mautel des Kalifen niederläßt. So wird es die Nacht hindurch getrieben, bis eine Stuudc vor Sonnenaufgang. Danu wird allorts zinu Frühmahl geschritten. Es graut im Osten. Noch eiu paar Züge aus deu Tschibuks. Kanonendonner zeigt den Tag und den Eintritt des Fastens an; Allrs begiebt sich zur Ruhe, Wer in den Morgenstunden Stambul durchwandert, mag sich in einer ansgestorbenen Stadt wähnen. Die Straßen sind Uerödet, die Buden nmselmanischer Besitzer Werden erst gegen Mittag, die Aemter erst in den Nach Mittagsstunden geöffnet. In den meisten Amtsloealen sprechen die meisten Beamten nur entweder ans Gewohnheit oder zum, Zeitvertreib vor. Die Erledigung der spruchreifsten Angelegenheiten scheitert an ihrem da/i'rkm orto88Ü (Nach dem Bairam), welches bei der Dehnbarkeit einer solchen eontourlosen Perspective lci3ir gleichbedeutend mit dem llcl o«lonäÄ8 ^raoc!3,8 wird. Die Ianitscharen kaienten den Werth dieser Formel sehr Wohl, als sie ans eine ähnliche Vertröstnng mit dem Vers antworteten: „Wird's »ach d«n Vai'ram erst gewährt, So spielt der Handschar jetzt, das Schwert." Das Fasten gilt vor dem strenggläubigen Kadi als Entschuldigung für manche Ausschreitnng. Ein Türke, mit einem Andern in Streit gerathen, bringt die Angelegenheit vor den Kadi. Der Angeklagte gesteht sein Unrecht ein, entschuldigt — 87 — s'ch aber mit seiner Aufgeregtheit, eiuer Folge des Fastens, und stellt dem Richter vor, er könne in seinein Schwäche-zustand ein Strafe kaum ertragen. Das lenchtet dem Kadi wt, er neigt znr Milde. Nicht so der rachsüchtige Kläger, der nut Heftigteil nnd erhobener Stinnne die Bestrafnng des Beleidigers verlangt, ber wol im Stande sei, die verdiente Strafe auszuhalten. Der Kadi kann seine Gründe nicht widerlegen — plötzlich aber wendet er sich gegen den ungestümen Schreiev: ,,AH! mein Sohn, ah! Du hast eine kräftige Lunge! Entschieden fastest Dn nicht wie wir. Weh! Mein armes Trommelfell. Deshalb hast Du auch keine Einsicht für die Schwäche Anderer. Allah! Allah! Dn bist kein guter Muslim, mein Schn! — Bringt Stücke her! — Nasch, nne Bastonade! Und der stimmbegabte Kläger innßte für die Voll-tönigkeit seines Organs buhen. Der Nhamadan gibt den Beamten volle Berechtigung, zerstrent, verschlafen zu fein, oder so zu thuu nnd sie inachen dun dieser Berechtignng den weitgehendsten Gebrauch, besonders Diejenigen, die dem Fasten als Aufgeklärte ein Schnippchen schlagen, sei es, daß sie in einem Versteck ihres Harems heimlich eineil Vorrathsschrauk eingerichtet haben, sn es, daß sie im Frankenviertel im Hiuterstübchen eines 'ltestanrantv sich für die in den übrigen Stnndeu zur Schau getragenen Entbehrungen stärken. Aber der allsgesprochenste Freigeist würde nicht wagen, die Verletzung des Fastengebotes offenkundig zu begehen und der radiealste Fortschrittler der juugeu Türkei hält sich bemüßigt den Schein zu wahren, eine müde Miene zu heucheln und einen Rosenkranz zwischen seinen Fingern zn drehen. Es wäre ein — 88 — gröblicher Verstoß Jemandem im Nhamadan von seinem gesunden Allssehen zn sprechen. Von dem Tisch des franki sirten Efendi verschwinden die abendländischen Gedecke, der Tisch mit dem Tischtnch H la franka macht der nationalen Metallplatte Platz, gewisse alttürkischc Gerichte und Sorbette verdrängen zeitweilig das französische menu, uud Abends verrichtet er in Gemeinschaft mit den Hausgenossen und Gästen das Hanptgebet Ikindi, Dennoch kamen selbst in der Vlüthezeit der Andachts-befulgung gröbliche Verletzungen vor, wenn auch iu so seltenen Ausnahmen, daß die Sünder, gleich dem Herostratns, sich durch ihre Unthat ein Plätzchen iu der Geschichte errungen haben, welches sie durch ihre Tugeuden wol niemals erworben hätten, Melihi, der Anmuthige, ein Ulema, also ein Theolog, deu der Eroberer Sultau Mehmed II. mit seiuer Gnnst und seinem vertraulichen Umgang beehrte, sollte eines jener epochalen Aergernisse geben. Es war im Fastenmoud und die Wncht der Entbehrungen lastete schwer auf dem Herrn der Gläubigen. Der Nhamadan, der jedes Jahr zehn Tage später eintritt, war diesmal in die Epoche der längsten Tage gefallen. Die mit Edelsteinen geschmückte Wasserpfeife stand in einer Ecke des Kiosks unnütz, wie ein Goldbecher in der quellosen Wüste, ihn dürstete angesichts des plätscherndeuSpringbrnnnens, der seine Krystallperlen in den hellen Sonnenstrahl warf. Er ließ feinen Almosenier rufen, um sich zu zerstreuen und mit ihm beim Schachbret die schwere halbe Stunde bis zum zögernden Sonnenuntergang hinweg zn täuschen. Unsicher, wankenden Schrittes nahte Seine Würden, Der ärmste Melihi! Wie er von, Fasten geschwächt —. 89 — ist, Er wird wol kaum Kraft genug haben, um die Bauern und Springer zu lcukeu. Beim Niedcrsitzcli taunlelte er über das Schachbrot hin — der Bedauernswerthe! Der Hl'rr dor Welt vergaß vor diesem Jammer seinen eigenen Durst — doch plötzlich rief er aus! „Was ist das? Woher dieser Weingeruch, Melihi! Scheusal! — He! Faßt ihn, werft den Schuft in den Bosporus!" Die Schwarzen spraugeu M und der unglückliche Melihi sollte das Znviel von Wein mit einem noch ausgiebigeren Zuviel von Salzwasser büßen. Unter den Fäusten der Schwarzen fand Melihi plötzlich seine Nüchternheit wieder, „Erbarmen, Wohlthäter der Menschheit! Gnade, Mittelpunkt der Welt!" jammerte er ver-zweifluugsvoll. ,,Fort!" schnaubte der Sultau, „Fasteubruch, und noch dazu mit verboteuem Wein! Greuel ohne Namen! Fort mit ihm, soust stürzt das Dach über uns ein!" „Ich habe teineu Wem getrunken!" henlte der Vcr-urtheiltc, ,,ich schwöre es bei dem heiligen Stein der Kaaba, bci den 1l4 Blättern, die vom Himmel gefallen sind. bei "llen l24.000 Propheten, ich habe keiiu-n Tropfen getrunken!" Ein solcher Schwnr und in einem solchen Augenblicke! das machte den Sultau stutzen, er winkte und die Schwarzen lichen ihrem Opfer etwas Athem. ..Bei meinem Bart, das ist stark^ Du hast keinen Wein getrnnkeu? Wouach riecht der Efeudi?" frug der Sultan die Sclaven. — „Wallah! nach Wein!" mnrmelten die Sclaven. Melihi warf sich zu Bodeu: ,,Hüre mich, o Herr der Welt. Ich habe keinen Wein getrunken." ... 90 — ,Mie? Was? Bin ich toll? Riechst Du uicht danach?" ,,Ich kann's nicht lengnen, Sonne des Weltalls." ,,Nnn, dann —" „Bei Allah! Getrunken aber habe ich keinen." ,,Was heißt das?'^ Melihi mnrlnelte leise einige Worte. ^ — — Der Sultau lachte laut anf nnd lachte so lange, bis das Kanunenzeichen das Ende des Fastens verkündete nnd der Herr der Gläubigen die trockenen Lippen an einem Labetrunk netzen tonnte. Dein Verbrecher war diesmal verziehen. Muliöre würde sich nicht geschent haben, die Art, anf welche sich Melihi das verbotene Getränk ordiuiren ließ, um das Fastengebot nicht zn verletzen, nnd das medicinische Instrument, mittels welchem es applicirt wnrde, beim Namen zu nennen. Der Rhamadan ist eine Erinuerungsepoche für den Islam, eine sichtliche Grnenernng des religiösen Pactes. Die Frauen, immer andachlsbeflissener als das starke Geschlecht, nehmen allgemein das Fasten sehr ernsthaft. Os gibt nnter ihnen solche, natürlich sind es — um uus galaut auszudrücken — reifere Damen, die den Monat Chabau hindurch, der dem Rhamadau vorhergeht, fasteu und die Kasteinng auf die zwei folgenden Monate ausdehnen, die drei Ba'i'ramtM ansgenommen, denn an diesen Festtagen zn fasten, gilt als schwere Versündiguug. Die dem Va'iram folgende» sechs Tage des Monates Schewwal dem Fasteu als ExtraÜbung bei ngebeu, kommt bei den Streng-orthodoxen manchmal vor. In den Nachmittagsstundeu beleben sich Bazare nnd Straßen, füllen sich die Moscheen. ___ <)1 ____ Die öffentliche Andachtsnbung der Frauen ist für den Nhamadan auf die drei Moscheen Sultan Achmed, Schahzade und Snleimanieh beschränkt. Im Huf der Mosch« Sultan Baijazid, der von prächtigen Platanen beschattet wird, geht es her wie in einem Tanbenschlag, figürlich nnd unfigürlich gesprochen: denn von dieser Vioschee werden grüße Mengen von Tauben erhalten, und hat Venedig die Tauben von San Marc», so besitzt Stambnl seine Tauben von Baijazid. Unter den Arcaden halten die Spitzen der Generalität Siesta. Das Ali- nud Ausspinnen mancher kleinen Intrigue >nag ihnen über die langen Stunden hinüberhelfen. Der Nhamadan ist diesem Gespinnst besonders förderlich; heute gilt es nur Portefeuille und Versetzuugeu in den wohlverdienten Ruhestand, ehedem verwebte es sich zum Netz für Köpfe — doch die Ianitscharen existireu nnr mehr in "Wachs im Iauitschareumnseum. Eiuige Zeit vor Souncnnntergaug leeren sich die Straßen wieder. Nur einzelne Verspätete durcheilen sie, als befänden sie sich anf der Flncht. Jeder Muselmann harrt des Zeichens. Mit dein Sinken der Svnne, bei den strengeren Schiiten, 3- B. den Persern, erst mit dem Erscheinen des Abendsternes, ertönen die Kanonenzeichen nnd der Iftar wird begangen, d. h. das Fasten gebrochen. Der Reiche nnd Wohlhabende und die Gäste an seinem Tisch langen nach den Leckereien und Sorbetten, die zn diesem Behuf in den Hänsern anfgestellt sind. Die Armen begnügen sich wohl mit einer Dattel oder einem Käsekrümchen, gleichviel, zum Tschibnk, nnmnehr auch nach der Cigarrette — 92 — und zum Kaffee laugeu Alle ohne Nutcrschied; diese entbehrt deiner. Die, Wenn auch seit der Reform nnd durch sie bedingten Verhältnisse mehr nnd mehr beschränkte Gastfreiheit der Ottomanen nimmt im Rhamadan einen religiösen Charakter an. Ist es gegen die humane Nnschannng des Ottomanen; irgend einem Hungernden Nahrnng zu versagen, so ist ein Ausschluß vom Iftar vollends undenkbar. In alten Zeiten empfing der Snltan die Großen zn Tisch, später war es der Grußvezier, der die verschiedenen Serien nach der Reihe bewirthete nnd mit Geschenken bedachte. In der zwanzigsten Nacht speiste er beim Großmufti und emftsiug iu deu letzten Nächten im Nmnen des Sultans die Anfwartuug der Veamtenkörpcr, Der letzte Fasttag ward dnrch eiu Turuier der kaiserlichen Pagen gefeiert, dem der Sultan in einem Kiosk beiwohnte. Er war von einer Heerschau und Uou Artillcriesalven zn Ehren des herannahenden Bairam gefolgt. Von diesen alten Branchen ist keiner mehr geblieben. Auch der Rhamadan ist in das Reformkleid hineingezwängt, nnd das ist eng nnd recht sparsam zugeschnitten, während das alte Kleid reichfaltig nnd bequem war. Der Ba'iram ist da! — ? VII. Tas ottomanischc Theater. Rothe Riesenanschlagzettel an den Straßenecken und Moscheen mit der Ueberschrift ,,Ottomanisches Theater" — 98 — hatten bereits bei der Ankunft in Konstantinopcl meine Aufmerksamkeit lebhaft erregt. Ich kaiuite das nationale Puppentheater Xara ßio? (Schwarzauge), das einem weniger prüden als anspruchslosen Pnbliknnl improvisirte Scenen bietet, in denen der regelmäßig belachte Schlnfteffect iininer anf eine Schlägerei oder auf eine energische Zote hinanslänft, und defsen Dirigent den Dichter vom Stegreif uud mittels verstellter Stimme und beweglicher Finger den Darsteller aller Rollen in einer Person vereinigt. Anch Monodramen, die in burlesker Weife nnd mit zotigem Witz einzelne Charaktere uud Typen aus dem Leben, als Bctrnnkene. Stotterer u. dgl. recitiren, Waren nur von früher her bekannt. Ein Theater im abendländischen Sinne aber, das war für mich, nen nnd überraschend. Das Drama hat im ganzen Orient niemals eine Stätte gefunden. Namentlich weist die Literatur der Mahomedauer nirgends eilten dramatischen Versnch auf. Selbst die Araber, voreinst im Mittclalter die Lenchten der Bildung, haben diese Dichtuugsform uie berührt, obschuu ihucn die Anreguug hiezu von den alten Griechen hätte kommen müssen. Der Hauptgrund dafür dürfte darin liegen, daß das Nebersiun-liche den Muselmanen eben näher steht, als das rein Mensch-llchc. Ihr öffentliches, sowie ihr privates Leben, dem immer l'ine gewisse Dosis Opium beigemengt scheint, läßt sich überdies wenig dramatisch an. Der innerlich tragische Conflikt ist bet ihnen auf ein Miuimum von denkbaren Fällen beschränkt. Ihr ,.Es ist geschrieben" nnd ,.Wenn r5 Gott will" ist denn doch verschieden von dem Fatnm der alten Griechen, das sich sinnlich nnd sozusagen in menschlicher Gestalt äußerte. Für Mnmmercien im weiteren Nahmen - 94 — Waren sie zu eri^st und die Darstellung von Mysterien hätte ihr streng religiöser Sinn niemals gestattet. So finden wir bei ihnen nirgends jene Anfänge, ans denen sich die Bühne der meisten abendländischen Völker entwickelt hat, nm sich später, zumeist nach griechischen! Vorbild, weiter zn bilden. Und selbst die Perser, die hier wie bei der bildlichen Darstellung weiter gehen als die übrigen Mahomedaner, uud die Passionsgeschichte Hassan's nnd Hussein's, der Söhne Alis, in der Weise unserer Mysterien darstelleil, sind über diese Anfänge nie hinweggekommen, Grnnd genng, daß die Anschlagzettel meine Neugierde auf das Lebhafteste stachelten. Vorläufig mußte ich sie aber zügeln und meinen Vesuch bei der uttomanischen Thespis aufschiebeu. Es war im Monat October, das ist in der schönsten Zeit für den Landaufenthalt, und ich bewohnte noch den Bosporus, der des Nachts von keiuem Localdampfer befahren wird. Was ich inzwischen über das lheatralische Walten erfuhr, war in feinen Widersprüchen uud Allgemeinheiten wenig geeignet, mir genügende Aufklärung zn geben. Als ich vor meinem Amphitrion Aarifi Bey (dein früheren Botschafter in Wien), unter desseu Aufsicht uud Obercensur die Theater damals staudeu, dieseu Puukt berührte, sagte mir dieser Würdenträger ungefähr folgendes: ,Mu nationales Theater hat vorlänfig bei uus'keineu Boden. Unfer gesellschaftliches Leben, in welchem jede individuelle Aeußerung verpönt ist, erscheint so streug in Formen gezwängt, daß sich seine Darstellung durchaus uicht für die Bühue eignen dürfte. Das Gleiche dürfte in noch höherein Maße mit uuserem Familieulebeu der Fall sein, abgesehen davon, daß seine scenische Darstellung von dein — 95 — heutigen Publikum als Profanation zurückgewiesen werden würde. Bleibt das historische Drama oder vielmehr das, Was Sie die ,.Historie" nennen, deren Unzulässigteit Sie bei unseren Einrichtnngen wol begreifen werden. Man hat rs mit den, politischen Stück versucht. Kemal Bey's ,,Si-listria", das erste inländische Bühnenprodnct dieser Gattnng, ist nichts Anderes, als die dialogisirte Darstellung einer unlitairischen Episode, in welcher Kanonen nnd Schanzkörbe ihr Unwesen treiben nnd in welcher mit ,,Feindesblut", „Vaterland" uud ..Kriegsruhm" Ball gespielt wird. Das Stück mnßte als aufreizend verboten werden." Es erscheint angezeigt, hier auf die Gefahr einer Unterbrechung hin ein-Zuschalten, daß Kemal Bey, der Verfasser des Stückes uud früherer Redacteur der nunmehr nnterdrückten Zeitschrift ,,Ibret", der sogenannten juugtürkischen Partei, oder vielwehr Coterie, angehört, die den,,Pau-Islamisinns" in ihr Programm aufgenommen hat. Kemal Bey ist auf die Iusel Rhodos exilirt. ..Das Theater, welches man hier errichtet hat." fuhr Aarifi Bey fort. ,,vegetirt mittels schlechter Uebersetzungen. Wären aber diese selbst ebenso gelungen, als sie es uicht smd. und würden sie in einer gemeinverständlichen Sprache decent dargestellt, die meisten derselben verfehlten dennoch dlm eigentlichen Zweck der Bühne. Uufer Publikum stuude vor einer fremden Welt, ohne volles Verstäudniß für deren Triebfedern, ohne ganzes Mitempfinden für ihre Menschen, dereu Deukeu uud selbst Fühleu von dem seinen verschieden 'st- Ja es drohte die Gefahr, daft in nnserem Publikum "lie einseitige DarsteNuug des europäischeu Wesens die Irr-Hümer über dasselbe bedauerlichst nähreu und vermehreu könnte. Diejenigen unter uns. denen die europäische Ge- __ (j^ __ sellschaft bekannter ist — freilich zumeist nur von der Oberfläche und naturgemäß nicht immer von den glänzendsten Seiten — ziehen cs ohnehin vor, das französische Vaudeville in Pera zu besuchen. Ich ließ die Aufführung von mehrereu Stücken untersagen, nicht weil ich diese für politisch gefährlich, soudcru weil ich sie für schlecht und folglich bilduugsgefährlich hielt. Ich habe jedoch, wenu auch ohne besondere Hoffuuug auf deu Erfolg, den Auftrag gegebeu, daß mau ,,Nathan der Weise" nnd Grillparzer's ,,Traum ein Leben" geziemend übersetze," Schließlich fügte Aarifi Bey hinzn: ,,Unser Theater ist Nachäffung wie so vieles Andere, Was nicht dem Volksbewußtsein entspringt, was nicht einem innern Bedürfniß entspricht, hat kein gesundes Wachsthum- unser Theater cutspricht feinem iuuern Bedürfniß unseres Volkes." Der Efendi, dem das Amt oblag, die Censnr zu besorgen nnd den der Amtseifer allabendlich ins Theater führte, versicherte mir hingegen, das Theater sei ganz „H, W t'l'nnoa". Dieser würdige Functional' that sich auf seine Keuut-niß des Theaterwesens nicht wenig zngute. Er hatte sie größtentheils im Alcazar (eine Art von Perotischer Sing spiethalle) und theilweise im französischen Vandeville erworben. Er war seit einem Jahre darau, die erste Seeue des „Naiaao ImÄßiiwii'L" zu übersetzen und kannte alle Titel der Lustspiele Moliöre's, Man konnte ihm den gewissenhaften Theaterbesuch uicht hoch geuug anrechnen, angesichts der Schwierigkeiten, die es ihm verursachte, seinen Umfang, der ihn nicht weniger beschwerte als das Gefühl seiner - <>? — Verantwortlichkeit, allabendlich in eine Dinnnntivloge einzuschachteln. Ein englischer Journalist, gleichfalls ständiger Vesncher des Theaters, nin dort, wie er sagte, rascher türkisch zn erlernen, versicherte mir, daß die Naive ein „prktt^ ßiri" mit trefflichen Anlagen sei, nnd daß die Trnftfte seit ihrem Vestande ersichtliche Fortschritte geinacht habe, Güllül, der Director nnd Schöpfer dieses ersten Theaters, das den Ivai'll ^i^ verdrängen sollte, also gewifser-Nlatzen die ottomanische Nenberin, lernte ich im Censnr-Vurean der Pforte kennen, wohin er einigemal täglich eitirt Wird. Sobald er meines Interesses für die Sache gewahr geworden, schüttete er seinen bedrückten Bnsen klagend vor mir ans. Güllül, ein branner, lebhafter Armenier, klagte ganz wie ein dentscher Schanspiel-Direetor über die Schwierigkeiten nnd Hemmnisse, die seinein Unternehmeil von allen Seiten entgegengesetzt würden. Er klagte (in Abwesenheit des dicken Efcndi) über die Engherzigkeit der Censnr, über den Unverstand des Pnbltknms nnd über die Chieanen der Schanspielmitglieder. Längst wohlbekannte Klagen schwirren nm mein Ohr. Diesmal jedoch entbehrten sie nicht Micr gewissen überzengenden Eindringlichkeit. Wo schanspielerische Talente anfspüren, wenn Alle, die ll'sen nnd schreiben können, in den Regierungsämtern bequeme Verwendnng finden? Wie vor Allen» einer Liebhaberin habhaft werden, dieser Seele des rccitirenden Dramas? Knaben ill Franenrollen zu verwenden, wie in Shak-sfteare's Zeiten, ist darmn schwer thnnlich, »veil solche, die nch dazil hergeben würden, nicht über dem Bildnngsni^vean "^^' Ncanlthiertreiberjnilgen stünden. Wie die angeworbenen 6uknnftömiml'n bilden ohne Vorbilder? Wie ans der Ver- -Vlurad Hjc»dl, Türtiichc 3ttzzc„ I, 7 5 — 98 — schiedenartigkeit der Mundarten cine Bühnensprache, herstellen, zumal der Efendi mehr arabisch-persisch als türkisch spricht, der Mann aus dem Volke sein Türtisch noch nicht vom chaMtlü gänzlich gereinigt hat und jeder andere der in Stambnl vertretenen Stämme des völkerrcichen Staates zwei Drittiheile seines Idioms in eine eouveutionell als türkisch angenommene Form knetet? Wie ein Repertoire gründen, wenn die Uebersetzungen nach dem landesüblichen Oruudsatz: ,,Thue nie heute, was dn auf morgen lassen kannst" geliefert werden und die Originalstücke entweder gänzlich fehlen oder von der gransamen Censur verboten werden? Ach! Ach! ,,Silistria" hätte man nicht gleich nach der ersten Aufführung verbieten sollen! wehklagte Güllül, mit einem vorwurfsvollen Seitenblick auf den Censor Efendi, in dessen Bureau die Uuterredung stattfand. Schade, Schade! Das war ein gutes, effecwolles Stück! Ich ließ Kauouru auf die Zettel drucken und das Haus war zum Brechen voll, Und was mich die Ausstattung kostete! Die vielen russischen Soldatenmäntel nnd Pickelhauben, die ich in Odessa einem Regiment abkanfen ließ! lind die Kanonen auf der Bühne! Und die neue Lager-Decoration! Schade, ewig schade! Was das für ein Geld getrageu hätte! „Wo finde ich ein Stück wie dieses? Schade, Schade!" „Lassen Sie den „Schnlz von Altenbüren" übersehen," eutgegnetc ich beschwichtigend. Güllül blickte auf: „Was ist das?" „Ein Stück," „Ein cffeetvolles Stück?" ,,Aeußerst effectvoll. Wenn nnr nicht die Censnr —" — 99 — „Kommen auch Kanonen drinn vor?" warf der be-leibte Efendi ein. Gülllil seufzte. „Nein. Aber ein Wildschwein!" „liwnillak!" rief der Efendi titscht. Güllül zuckte verzweiflnngsvoll mit den Achsel«. Vom „geschundenen Raubritter" und andereil Werken, welche in unserem gegellwärtigeu deutschen Repertoire eine hervorragende Stellung erwerben, hatte ich damals keine Kenntniß. Ich begriff Güllül's Mißstimmung über das Verkannt-werden seiner Knnstsendung, seiner rein ästhetischen Bestrebungen — dasselbe Schicksal, welches er mit den meisten unserer deutscheu Bühnenleiter theilt. Selbst eines Laube rastlose Thätigkeit nnd unermüdliche Energie müßte vor solchen Hindernissen erlahmen. Güllül aber erlahmt nicht. Er wirbt an, was nur immer über eine Zuuqe, Arme uud Beine verfügt, unter dm armenischen Jungfrauen die formgeruudctften. lHr nimmt es mit den Nebersetznngen nicht genauer als das Publikum und überläßt es diesem, seine Schauspieler in Ätnndarten zn verstehen, in deueu sie sich nntereinander kaun: verständigelt können und die sich verhalten, wie das verstockteste „Berlinerisch" znm gewissenhaftesten „Wienerisch" vom Thury uud Lichtenthal. Er sieht nur darauf, daß überhaupt etwas Dialog- uud Mouologartiges übersetzt, überhaupt etwas gesprochen werde, nnd daß sich der Znschauer-wnm. Dank der großeil Anschlagzettel, thunlichst fülle. Eines Tages buchstabirte ich zu meiuem uicht geringe» ^'staunen aus den arabischen Schnörkelbnchstaben besagter ^iesenzettel die Worte „Räuber" uud „Schiller" heraus, <^ch traute »leinen Angen nicht nnd doch, es war keine 7* — 100 — Täuschung! Schiller am Goldenen Horn! Sein vom Sturm und Drang erfülltes Vrstliugsdrama ins Türkische übertragen nnd im Pcrsonalverzeichnißi Schweizer.....Hüsui Efendi. Razmann.....Achmet Efendi u. s. f. Das war zn verlockend nnd jedes Opfers, nnd wäre es der ..Schweif; des Edelsten", werth. Ich beschloß, in Stambul zu übernachten, nm der Vorstellung beiwohnen zu Wunen. VIII. Tchillcrs „Räuber" auf dem Theater zu fteäik r^elill. Vom Censor-Efendi war inir die officielle Loge znr Verfügung gestellt Ivordcn nnd, da mich die Natur in die Lage gesetzt hat. wenig Nanm zn benöthigen, nahm ich sein Anerbieten an. Der vor einein Jahre eingeweihte Museu-tempel erhebt sich auf der Brandstätte des Viertels Gedil Pascha, also im Herzen Siamunls selbst. Im Hofraume unter einem Glasftaoillon befindet sich das Foyer. Nargilcs «Wasserpfeifen). Tschibuks uud Naffeetasseu kreiseu unter den Auwcseudcn. Nie frühere Bestimmung der Hauptbauteu war, hiftftischcn Vorstelluua.en als Circus z>l dienen. Mllül hatte deu Circus Mm National-Schanspielhaus crhobeu. Daß unser gestügeltes Wort: ,,Es wächst der Mensch mit seinen höheren Zwecken," auf die Dinge nicht augepaßt werdeil könne, wurde mir hier recht klar Uor Angen gerückt. Trotz der Umbauteu guckt dem Thaliatempel der Circus durch alle Fugen. Das amphitheatralisch augelegte Haus ist geräumig nnd luftig, der Fußboden der Logcngängc so abschüssig nnd __ 101 __ elastisch, d^ß ich die Mahnung eines wohlineiuendell Freundes, ,.weun Sie das Gebälke knistern hören, fliehen Sie schleunigst/' durchaus nicht übertriebener Vorsicht Anschreiben konnte. Als ich, aus mein beschränktestes Körpermaciß zusainnien-M^gen. in die Loge kroch, befand ich mich vorerst vor einein granen Hianchvorhange. Nachdenl sich dieser allmälig ge^ lüftet hatte, konnten meine Blicke den Zuschauerraum umfassen. Das Parterre glich einem Beet von dichtgesäeten Mohnblnmen - Fez an Fez. Darnnter waren die null tärischen Fez, dnrch die Quastenform unterschieden, vorherrschend. Die Monotonie der ziegelrothen Farbe war hin ttnd wieder durch den weißen Turban eines Ulemas oder ben grünen Kopfbund eines Emirs unterbrochen. In einer Luge mir gegenüber war das schone Geschlecht vertreten. Einzig dnrch zwei Armenierinnen'. Sie ranchten Zigaretten gleich dem übrigen, männlichen Pndliknm. Im Hause stritte», zwei Gestanksgattuugcn um die Oberhand, Petrolenm- nnd Tabc>ke>geruch. Der Vorhang, ersichtlich der erste Versuch eines eil! heimischen Künstlers, stellt etwas wie eine Frauenfigur alls Trümmern sitzend dar. Die Allegorie blieb mir nnklar. In den Sperrsihgängen erblickte ich Güllül, der leuchtenden Auges die Karten abnahm, ehe er daranging, sich als Karl Moor zn eostnmireu, denn er stellte die Haupt rolle dar. Die Galerie wurde unruhig. Das Orchester 'begann Mien Ianitschareumarsch — Achtung. Der Vorhang wird sich erheben — doch nein! Das Orchester hebt wieder an und suiolt einige orientalische Scharki sLicder). Die Arme-'Gerinnen haben die Cigarette» weggeworfen nnd sind dara» — 102 — Orangen zu schälen. Im Parterre wird Kaffee scrvirt. — Ein gellender Pfiff — statt des Gluckenzeichens — nnd der Vorhang rollt endlich mit einiger Schwerfälligkeit empör. Mir wird bange nin Güllül, der im Feuereifer der Karten-revisiou gewiß das Ankleiden und fein Stichwort versäumt. Dir Decoration und Möblirung im Schlosse Moor's sind anständiger als ich es erwartet hatte, Amalie, eine mehr in die Breite als in die Höhe gehende Armenierin, sehr brünett, mit Augenbrauen geschmückt, die in ihrer intimen Verschmelzung das Antlitz der Holden in zwei Hälften scheiden, decollctirt, um den Neid nnserer ausstellungssnch-tigsten Künstlerinnen zu erregen, stolpert auf die Bühne. Mein Logengefährte mnrmelte: Ganz ü, 1a ll-a,nca! und ein uerständnißinniges Lächelu spielt um seinen Bart. Hinter Amalia rauscht eine abtretungswürdige Sammetschleppe die noch immer einige Ansprüche anf huchruthe Farbe anfweist. Sie wird verfolgt von Moritz Moor. Moritz klang dem Ohr des Uebersetzers offenbar besser als Franz und so wurde diese Umtaufe vorgeuommcu, denn wir haben Franz, ,,Franz die Canaille" vor uns. Die Schleppe hindert den Schlingel, dessen Länge fast an die Soffiten reicht, an der Knappheit der Verfolgung. Er führt sich übrigens als cor-recter Theater-Bösewicht eiu: in Scharlach uon Kopf zn Fuß. Der Kopf spielt ius Scharlachsarbene hinüber. Makart hätte seine Freude au diesem Hexensabbath von rothen Farbentünen gehabt. Meine Kenntniß der Scenirung des oft gesehenen Dramas gcräth einen Augenblick in Verwirrung — doch Freiheiten auf diesem Gebiete waren vorauszusehen und wurden mir hinterher vollkommen erklärlich, als ich erfuhr, daß die türtische Fassung eine italienische Uebersctzung und — 108 — Einrichtung znr Grundlage hatte. Man kanir sich Vorstellen, wie es in dieser Uebertragung ans einer wahrscheinlich willkürlichen Uebcrsetzung um die Schillcr'schen Gedanken bestellt gewesen sein mag, abgesehen davon, daß die Mehrzahl derselben, sowie das Pathos der Schiller'schen Ausdrucksweise dem tüchtigsten uttomanischen Nebersetzer unzugänglich gewesen wären. Wir wissen, daß Shaksfteare's Tichtnngen, meisterhaft ius Deutsche übertragen, an Kraft und Prägnanz einbüßen, wo doch die Sprachen in Bezug auf Geist und Form, sowie der Genins der beiden Völker nahe verwandt sind. Und nun, Schiller, dein die Franzosen nicht beikommen können, im Türkischen! Die deutsche Amalia als Modell für eine Eircns-Vajadere, deren Gesicht der Schminke, deren Haupt liner Schmucküberladuug mit gemachten, schreienden Blumen erliegt! Doch hören wir, was Moritz (Franz) Moor mit Amalia vorhat. Sie behandelt die türkische Sprache armenisch — er griechisch. Ob sich die Beiden verstehen, weiß ich nicht, bin jedoch des Einen sicher, daß das ottomanische Pnbliknm nicht viel besser darau war als ich, der nur Laute summen hörte. Doch darauf schien es nicht anzukommen. Mau merkte ihren heftigen Veweguugeu ab, daß sie ihn tüchtig abkanzelte, den seinen, daß ihn das empfindlich ärgerte, nnd somit war das Pnbliknm, auf welches der hochrothe Schlingel mit dm rothen Haareu von vornherein einen unsympathischen Eindruck gemacht hatte, befriedigt. Vom Parterre her vernahm ich hin nud wieder ein beifälliges Stöhnen, die deidcn Armenierinnen hatten auch ihre Orangen vergessen. Amalia stürzt ab, gefolgt von ihrer Schleppe, Moritz monologisirt krampfhaft, an den Soufflenrkasteu gekettet und hilft sich in - 104 — den verhängnisivollen Augenblicken, wo der Mime dem ,,Lanlpeugeist" näher steht als sonst, dadurch, daß er die Augen rollt, dic' Fäuste ballt und nach unterschiedlichen Kunstpausen seine geheimsten Gedanken nur den: eigenen Bart anvertraut. Hermann tritt auf. Nach der Scene mit Hermann schließt der erste Act, Im Zweiten Act findeil wir Karl bereits in den böhmischen Wäldern. Güllül hat sich sehr 5, Ili Fra Diavolo angethan, ist bis an die Zähne bewaffnet und läßt das breiteste Pathos auf Stelzen ül'er die Bühne wandern. Hin und wieder geht er zur Erhöhung des Effectes ins Recitativ über. Man erkennt in ihm den Meister uud das leuchteudc Vorbild der Truppe. Die Kostüme sind im Allgemeinen anständig. Man merkt ihuen die Hand eines fränkischen Garderobeschneiders au. Unter dcu Räudern stechen zwei im Turban hervor — Turbauc iu den böhmischen Wäldern? Nichtig! der Zettel bezeichnet die beiden Mimen als Muselmanen, Deren Kopf bedecknna. muß immer national friu und ihre Vollbärte dürfeu uie rasirt werden, Güllül klagte mir später darüber, daß sie durchaus zu keiuer Veränderung au ihrem Hanpte zu bewegeu seieu, was allerdings im Rococo-Kostüme zum Beispiel zu merkwürdigen Erscheinuugeu führen mag. Die Scene mit dein Pater regt das Publiknm au, die Flintenschüsse zum Actschlusi finden lanten Beifall. Sie werden längere Zeit fortgesetzt. Einige dikmillÄd! der Bewunderung dringen vmn Parterre an mein Ohr. Die Armenierinnen habeu sich in den Grund der Loge geflüchtet. Dies ist offenbar der Höhepunkt der Aufführung. Pulver-dampf meugt sich als drittes Element iu die Gestauks-Atmo-sphäre des Raumes. — 105 - Mein Logenpartner ^ ich uenue ihn so, obschon er drei Viertheile der Loge einnahm — zeigte sich sehr unruhig. Er hatte mehrmals während des Actes bedenklich das Hailpt geschüttelt. Giu ceusorisches Unwetter schien sich über Schiller, dm Räubern und Güllül zusammenzuballen. „Dergleichen Stücke sollte mau nicht gestatten?" seufzte er endlich. „Wefchalb? Der Nconologe Karl's wegen?" .,Nicht das!" „Des Paters wegen?" „Nicht das. — Die Flintenschüsse." ,,Wegen der Feuersgefahr?" „Nicht das. — Sie regen unser Publikum auf," und "' zug die Stirn in ernste Falten. Ich that mein Möglichstes, nm seine Bedenken zu Uer-scheuchen nnd Schiller's ,,Räuber" trotz des Pelowufeuers dem Repertoire Güllül's zu erhalte». Der dritte Aet begiuut. Hermann dringt Karl's Schwert, Moritz (Franz) Moor nimmt seine Werbungen bei Amalia wieder auf — wir wissen, mit welchen, Erfolg, Als Amalia den rothen Vösewicht mit der Degenspitze von der Scene fortkitzelt, findet die allgemeine Znfriedenheit lauteu Ausdruck. Die beideu Armeuierinuen klatscheu Wütheud in die rothen Hände. Selbst der dicke Censor 'chnnmzelt, uachdem er sich früher genügend klar geworden, b"ß dahinter keine politische Anspielung vorsteckt sei. Der vierte Act führt uns zu Moor und seinen Rän-beru zurück. Karl mouologisirt, dialogisirt dann mit Ko-Uusti, nm sich die Laugeweile zu verscheuchen. Das Publi-mm läßt ihn reden, obgleich es ihn eigentlich nicht versteht, nnd wo es ihn versteht, nicht begreift. — 106 — Ein Mnsterpnbliknm, das ottomanische! Es vermag gar nicht, sich zu langweilen! Wie das Manchem unserer Dramatiker bequem wäre! Spicgelbcrg wird entlarvt, Hermann der Rabe ertappt — der alte Papa Moor kommt endlich znm Vorschein. Kosinski verschwindet nnd wird als Ansreißer verdächtigt. Beim Aetschluß allgemeine Rührung. Die Armenierinnen entpnppen sich als ,^. ^ t>g,nc!a,^ — sie führen Schnupftücher bei sich. Im fünften Aet wird Moritz (Franz) Moor herbeigeschleppt, zuletzt anch Amalia, Nnn, eine eingreifende Hanptverbessernng Schiller's und die einzige Rettung für die Räuber auf der Bühne zu Gedik Pascha! Karl Moor zückt deu mörderischen Stahl anf Ama lien's, dnrch keinerlei Stoffhülle beschirmten Busen. Ein Murmeln des Unwillens läuft durch das Haus, ein unterdrückter Anf-schrei aus der Loge der Armenierinnen bekräftigt den allge-meiueu Protest. Er zückt aber doch den Dolch zum ersten, znm zweiten nnd zum dritteu Male und — die Räuber fallen ihm in den Arm. Er sträubt sich, es entspinnt sich eine Balgerei. Vergeblich. Er ist gefangen. Mir wird um den Abschluß ernstlich bange. Voreiliges Baugen! Schon erscheint Ko-sinski mit dem Generalpardon des Kaisers. Der alte Moor segnet ein glückliches Paar. — Mau wird gestehen müssen, daß diese Gewaltthätigkeit Alles erreicht, was wir in dieser Richtung von gewaltthätigen Inseenesetzern erfahren haben. Also Karl bekam Amalien nnd die ,,Räuber" enden mit der gewissen Romanperspective anf ein halb Dutzend kleiner blonder Moore iu der bengalischen Beleuchtung eines wolkenlosen Familienbildes. Der Vorhang fiel vor einem befriedigten Hans. Die Armenierinnen langen nach ihren — 10? — Drangen. Das Publikum rüstet sich — für deu eiuactigen Schwank, der deu Abeud beschließen soll ^ denn die Uhr zeigt l'rst die sechste Stunde türtisch, also ungefähr Mitternacht und wir sind im Rhamadau, wo kein Gläubiger vur Sonnenaufgang zu Bette geht. Ich verließ das Theater. In deu Straften, vor den Kasieebnden rocitireu Rhapsoden mit näselnder Stiinme uud klagenden« Ton ihre alten, Gesäuge, oder Spaßmacher ahmeu vor eiuem aufhorchenden '^N'is Diesen und Jenen nach. Au eiuigen Orten führen u>! Zwielicht vuu Mondenschein uud Laternenschimmer jungen in Francnkleidern, bedenklich verwegene Tänze aus. Güllül eilte den nächsten Tag zu mir, um die ihm qo Rührenden Lobsprüche auch aus meiuem Ätunde zu ernteu. ^r theilte mir mit, daß zwei Ueberseher damit beschäftigt ^nreu, „Kabale und Liede" zu übersehen m,d daß er den ^rnaudo dariu studireu wolle, „Wer spielt den Wurm?" Der armenische Impresario kratzte verlegeu seine Hand-gliche. Endlich erwiderte er schüchteru: ,,Hüsui Efeudi. — Er ist der Einzige für diese Nolle." „Wie? Mit dem Turban?" „Was kann ich dafür," jammerte Güllül. „Nun gut, so lassen Sie deu Wurm ins Schwarze übersetzen und als Leibueger des Fürsten erscheinen." Ob er dieseu Ausweg beuützt hat, weiß ich uicht, denn 'ch Uerließ Stambnl vor der Aufführung. Ei» dramatischer Dichter ist doch Viele,» ausgesetzt! — 108 — IX. Tor TclM des «ultans. Im kaiserlichen Palast zn Stambnl, den man den ,,Neuen" nennt, obgleich er am ,,Goldenen Horn" der Ael-teste ist, besindet sich in massiven Stein gemauert und theil weise unterirdisch angelegt nächst dem I^ne 1,3,88a ltaiser-liche Münze), der „nanw lwmna^un" (kaiserlicher Schatz). Mau darf beim ,,Schatz des Sultans" nicht au eiue Schahkammer nach aMöhnlicher Auffassung denken. Eher treten wir da in ein historisches Archiv, nw die Gegenstände selbst statt der Acten und Dummeute sftrecheu. Allerdings sind es zum großen Theil anch Nnrkliche Schatzstncke. neben de,n geschichtlichen V0!l nicht geringerein materiellen Werth, Nach Krundiamanten sncht nian vergeblich »lnd es finden sich da anch weniger Steine uon ansierordentlichem Werth vor, als die abendländische Phantasie träumen dürste. Den meisten derselben fehlt der Schliff oder es erscheint dieser doch dem an die Iuwelbehandlung der Gegenwart gewiihnteu Auge als höchst unvollkommen. Die ungewöhnliche Masse von Steinen hingegen, welche diese Gegenstände zur Schau tragen, dürfte selbst den weitgehendsten Begriff von orientalischer Pracht vergangener Tage entsprechen. Vorwiegend vertreten sind die Waffen. Ganz erklärlich. Die Sultane sollten vor Allein Heerführer nnd Streiter des ,,Bnche5" sein. Viele von ihnen waren es und mit hohem Ruhm: die es nicht waren, strebten danach, es zu scheinen. Die Symbole der höchsten Gewalt sind da nicht Krone uud Seepter, sondern Schwert nnd Fahne, Das ..Schwert umgürten" vertritt den abendländischen — 109 — Krönunasaet. Bei den Mahomedanern insgesammt genoß das Schwert von je ein besonderes Ansehen. War es doch nächst dem ,,Koran" das Zeichen des Propheten und seiner Senduug. Das berühmte ..Zülftkar" seines Eidams Ali wurde verehrt wie die ,,Tizm,ada" des Cid einst in Casti-licn. Viele andere der Nerbreitimg des Islam geweihte Schwerter wnrden ans jede Weise verherrlicht nnd besnngen. ^he die Reform die Ordenssterne, die dein Muselman doch immer fremd bleiben, einführte, War nnter den üblichen Auszeichnungen, als z. B. beschenken von Rossen. Kaftanen, Pelzeli nnd Reihern, der Ehrenfäbel die höchste. So nehinen auch im Schatze der ..Krieger Gottes" die Waffen den hervorragenden Platz ein. In demselben sind an 3000 Säbel. 8000 Gewehre. 100 Panzerhemden, zwei 5 Meter hohe Pyramiden von Helmen, ferner Dolche."Keulen (Tovns). Sättel, alle reichlich mit Inwelen geschmückt, nnd in zahlreichen Kisten Gefäste, kostbare Porzelane n, f. w. anfge-häuft. Die reichste Bente erwarb dem Schatz der Eroberer Essyptens ,,Sel i m I." der, nachdem er Gavri, den Sultan des Nillandes besiegt und getödtet hatte, vom letzten Abba-sideu Fahne und Schwert, als Zeichen des Khalifats, nnd vom Scherif der heiligen Städte in einem Handtnß die Huldigung als Führer des Islam entgegennahm. Selim I., dein feine unerbittliche Strenge und ein widerspruchsloses -Negiml'nt das Prädicat des „Grausamen" erwarb, der seine Reden so bildlich zu gestalten liebte, daß er sich den Vart schecren ließ, damit seine Höflinge ihu nicht daran leiten könnten, bezeichnet als ruheloser Schlachtengewinner den Hohrvmikt der ottomanischcu Eroberuugen. Man kann ihn "lK den eigentlichen Gründer des kaiserlichen Schatzes be- — 110 — trachten. Er ließ auch sein Siegel auf Thüren und Kasten in der Schatzkammer schlagen, mit der Bemerkung: „Keiner nach mir wird die noch leeren Räume mit Gold und Ge schmeide füllen. Wenn es aber Einem gelänge, sie anch nnr lnit Stroh zn füllen, das er in Schlachten Uom geschlagenen Feinde crbentet, so möge sein Siegel das Meine ersetzen," Der Schatzmeister llia2NL Iciaiba) bedient sich noch immer des Siegels von Sultan Selim. Ein großer Theil der Rüstnilgen stammt Uon der egyp-tischen Beute und Uou jeuer, die Sultan Murad IV. aus Persien heimbrachte; sie sind echt orientalischer Factur. Nenn so täuschend diese im 16. und 17. Jahrhundert Uon den Nürnberger nnd Augsburger Waffenschmieden nachgeahmt wnrde, des Unterschiedes wird der knndige Blick sogleich gewahr: det^ Schrifwerzierung fehlt in der gelungensten Nachahmung der Buchstaben der Schwnng, das Leben. Andere sind nachgeahmte Rüstnngen, die in den erwähnten Städten für Rechnung der rümisch-dentscheu Kaiser verfertigt und Uon -diesen, gewöhnlich alle drei Jahre, für den Sultan und die einflußreicheu Würdenträger des Diuan als „Verehrung" nach Stambnl gesendet wurden. Beachtenswert!) ist der Thron Nad/ir Schahs, des berühmtesten der ueueru persischen Könige. Die Forin dieses taolit (persisch Sitz oder Thron) ist die in Persien allgemein gebränchliche; die Detailarbeit der Ausschmückung weist auf iudifchcu Ursprung. Das plumpe Sitzmöbel wiegt an W Oka in Gold: die Zahl seiner Perlen allein wird auf 6000 geschätzt. Nadir Schah soll ihn auf seinem Sicgeszng durch Indien nach der Erstürmung Delhis erbeutet habeu. Später wurde er von Sultau Murad IV,, anläßlich der Eroberung Bagdads, einem Nachfolger des großen Perserwnigs abge- — Ill nommen und dein osmanischen Schatze einverleibt. Eigentümliches Loos dieses mehrhnndertjahrigen Thrones, der Voll Hand zu Haud. von Osten nach Westen durch die drei grüßten asiatischen Reiche wanderte. Welcher Schicksalswechsel knüpft sich an seinem Besitz! Hinter ihm sinkt ein Reich in Trümmer, ein zweites schwindet bis zur bloßen Schein-Existenz nnd das dritte schließt mit seiner Eroberung die Epoche der Erobernngen ab. Einst wnrdc ihm göttliche Ehrfurcht zu Theil, auf der Wiener Weltausstellung ward er krittelnder Neugierde ansgesetzt. Ueber dein Thron und auf demselben sehen wir die Kriegskleidung seines Erbeuters Murad IV, Das Panzerhemd, der turbanumwuu-deue Spitzhelm mit dem Reiher, die Arm- uud Beinschienen 5md mit Steinen geschmückt. Die Rüstnng der Snltane ans der ersten Epoche war schlicht nnd schmucklos, Wie wir das an dein einfachen Schwert Mehmet II.. des Eroberers von Konstantnwpel, ersehen. Die Epoche der Erobernilgen kannte keinen anderen Lnxns, als. den der blanken Waffe, keinen anderen Pomp, als den erbeuteter Fahnen, keinen anderen Glanz, als den erfochtener Siege. Damals war der Grundsatz ,,das Essen ist besser als das Gold — mit Eisen kann man es erbeuten" in vollster Geltnng. Bezeichnend für diese Epoche, wo eine Folge von bedentenden Herrschern und Kriegshelden den ottomanischen Thron einnahm, ist es, wenn der Scheich-ul-Islam das Pulver für die Kanonenschüsse, die bei der Geburt eines kaiserlichen Prinzen abgefenert wnrden, nicht ge,-^attet ans dem Staatsschah (damals noch gleichbedeutend luit Religionsfchatz — dott-ul-izlain —) zu bcstreiten, sondern die Auslage dem Privatschatze des Snltans znweist. Unter den Säbeln befindet sich das Schwert des Land' — 112 — vrrderbers Tamerlan, »der, wic die Osmaucn sagen, Timurleng. Das Schwort der morgeuländischen ,.Geißel Gottes," welche die sieggewohnten Ianitscharenheere sprengte lmd don Snltan Bajazid in einen Eisenkäfig sperrte, ist für die Ottomanen eine bedeutsame Waffe. Sie schien den jungen Osmanenstaat vernichtet zn haben. Aber anfstrebende, Wachsende Staaten, Staaten, die eine Mission verfolgen, können nicht von Anßen her nnd nicht dnrch eine, !)tieder> läge vernichtet werden. In Brennus Tagen vermochten es die siegreichen Gallier nicht, das kleine, aufblühende Rom zu unterjochen i das große, gealterte Rom sank nach einer einzigen Verlornen Schlacht in Trümmer nnd Staub. Der Griff von Tamerlan's unscheinbarem Säbel weist die von der arabisch, u, türkischen nnd nngarischen abweichende indische Form. Anch das geflammte Schwert des Iakud Havari befindet sich in der Sammlung, nebst manchen erlesenen Damaseeuerklingen, von denen gerühmt wird, daß sie Eisen wie Bntter zu dnrchschneiden vermögen. Freilich bedarf es einer tnndigen Hand und gewisser Vortheile,,um solche Vorzüge vollends znr Geltnng zn bringen nnd mit jenen Klingen den Meisterhieb ansznführen. Zahlreich sind die Gewehre und Troinvlons. Tiese massiven Feuerwaffen, meist mit Radschlössern versehen, mit Edelsteinen geschmückt nnd reich eiselirt, geben gleichfalls Zeugniß für die hohe ('.'schick!ichleit der ottumanischen Waffenschmiede. Kein Zweig des Knusthandwerts wurde gepflegt nnd geehrt wie dieser- denn der Koran lehrt'. ,,Wer am bestcu das (Äsen bearbeitet, wird die Welt beherrschen." Ich habe neuere tauschirte Arbeiten nach alten Mustern gesehen, die füglich mit italienischen Cisclirarbeiten des Mittelalters hätten verglichen werde» tonnen. — 113 — Ein gleicher Raum ist den Pfeilköchern und Bogen gewidmet. Bei den ersteren bedecken die Steine den Stoff. Der Buczen war eine türkische Lieblingswaffe und die Gs-schicklichkcit der Bogenschützen allberühmt. Noch heute be-du'nt nian sich in vielen Häusern des Bogens zn Uebnngen un Spanueu, um die Arinc zu stärken nnd die Brustmuskeln zu entwickeln. Dasselbe Gemach bewahrt auch eine Pferde-Ausrüstung, die aber hier nicht zur vollen Geltung gelangt. Ihr Umfang ist danach, das Thier vollkommen zu bedecken. Die Steine, die sie reichlich schmücken, sind bou minderer Gattung: die Ausrüstung auf den Paradc-lussen, welche den« Sultan bei den Vairamszügen voran-Uführt werden, sind dem Steinwerthe nach ungleich kostbarer. Weiter finden wir verschiedene Gefäße, Uhren, Schreib-Mge nnd andere Requisiten. Die Nargiles (Wasserpfeifen), die Tschibuks, nnd reich mit Nubiuen und Diamanten ausgelegte Kaffeetassen sind moderner Factur. Ungleich in-^ressanter sind die Kannen und Becken zum Gebrauch der gebotenen Waschungen, insbesondere aber die Becher, Vasen und Schalen aus dünngehöhltem Vergkrystall. in welches du' Verzierungen nnd Edelsteine kunstvoll hineingesclMfen Nnd. Die letzteren dürften von der früher erwähnten ,,Ver-rhruug" herrühren, welche die römisch-deutschen Kaiser nach Stambnl sendeten. Es ist bekannt, daß Einige von ihnen die Arbeit in Krystall sehr begünstigten und daß sie im 17. Jahrhundert unter ihrem Patronat eine hohe Voll-kmnmcnheit erreicht hatte. All diese Gegenstände zusammen, Trophäen und nationale Reliquien, Vente und Tribut erscheinen mir gleich shmboljsnw, Tafeln aus der osmanischen Geschichte: nnd Aiurab 6scndi, TM'sche Slizzcn I, 8 — 114 — nicht minder symbolisch war das Vorhandensein eines Theils dieses Schatzes ans einer abendländischen Weltausstellung. Melch eine Gedankenreihe regt ,seine Betrachtung an^! Doch die Eisenthüren rasseln zu, Geschmeide und Waffeu hüllt das gewohnte Dunkel. Es ist uns verwehrt, sie darin zn belauschen und dürft.cn wir es, so würden wir uns doch hüten, zu berichten, Was sie sich heimlich zuflüstern. X. T>er türtische Salon. Das türkische Haus scheint dem Luftzug zu Eh reu er. baut wordeu zu sein, stammt es doch in gerader Liuie vom Zelt ab, Der Hausflur, die Treppen und der Vorsaal sind selten durch besondere Verschlüsse getrennt; die Luft circu-lirt darin ungehemmt. Den Zimmerthürverschluß bilden Tuchoorhänge, die Fenster sind nicht doppelt, sondern Sommer und Winter gleichmäßig einfach. — Und dann reiht sich Fenster an Feilster, so daß mau auf die Außenwände der Gebäude füglich Nestroy's Recept für Kanoneugießerei anwßRden könnte: „Mau nehme eine gewisse Anzahl Fensteröffnungen, umrahme und verbinde sie mittels der unentbehrlichsten Pfosten uud die Wäude des türkischen Hauses sind fertig." Die allgemeine Physiognomie des Winterquartiers also dürfte felbst abgehärteten Natnrcn einige Be denken einflößen. Obwol der Ottomane — hierin eine Ausnahme unter den anderen Südländern — mit dem Sinn für Comfort iwohlverstanden nach seinen Bedürfnissen) begabt ist, so dommentirt sich dieser wenigstens nicht ill der Anlage seiner — 115 — Winterwohmmg, noch in seinem Heizungsapparat. Die Holzbauten in Stambul gewähren keinen hinlänglichen Som-mcrschutz und können seiner auch entrathcn, denn die Natnr hat für wonnigen Schatten und eiue immer kühlende Brise im Bospor Surge getragen, so daß der Mensch dazu nichts Anderes zu thuu braucht, als sich an passender Stelle anzusiedeln und zu genießen. Beides versteht der Ottomane. Schlimmer indeß iit es in den Häusern mit dem Winter-schutz bestellt. Der Mangal, dessen man sich zur Heizung der Gemächer am Goldnen Horn noch immer großtentheils bedient, Vermag unsere Bedenken kaum zu beseitigen. Dieses Kohlenbecken nimmt eine hervorragende Stellung m der ottomanischen Hanseinrichtung ein; es fehlt keiner Brautaussteuer und sein materieller Werth ist theilweise ein Gradmesser für den Besitz der Braut. Der Maugal ist ein wesentliches Requisit des otto-manischcn Empfangsgemachs oder Salons. Ill früheren Zeiten fand man in den Behausungen der Großen auch Mmigals aus gediegenem Silber. Es war noch vor der Begrenzung ihrer ordentlichen Einkünfte auf das bloße Neamtengehalt, es war in jenen Wnndertagen, wo sie es vermochten, mit einigem Wollen nnd ohne weitere Zanber-küuste ans Kleinigkeiten, dnrch eine freilich nicht ganz gewissenhafte Ausnutzung ihres amtlichen Wirkungskreises, Silberplatten hämmern zu lassen. Der „MaugF" dürfte von dein spanischen „Vrasero" abstammen; auf Gefahr hin aber, sein aristokratisches Metall ob der Enthüllung erröthen zu „lachen, darf ich seine entfernte Verwandtschaft mit dein auch auf dem Wiener Naschmarkt gebräuchlichen Gluthtopf nicht unerwähnt lassen. 8" - IK) — Er präsentirt sich vielmehr als ein Luxusiiwbel deuu als Wäriuespeuder. In deil prosten Gemächern der vornehmen Hällser ist sein Gebranch vollends illusorisch. So lange die Holzkohlen frisch angebrannt sind, crwärnit ihre Glllth höchstens die Blicke und nnr in lnnliittelbarster Nähr anch die Fingerspitzen, Die vielen Candelaber und Lampen, die in geradliniger Regelmäßigkeit aufgestellt, den ottomanische» Salon erleuchten nnd die dampfenden.Tschibntv strönieu mindestens cbcu so viel Wärmestoff aus, als das Gluth-hänsthen in: Mangal. Zur Zimmerzierdo ciguen sich die hohen urucuförungen H)laugals recht wohl; sie siud ineist gediegen gearbeitet, gefällig ausgestattet nnd geben den kahlen Gemächern einen glänzenden Mittelpunkt. Die niedere Gattung ist uur im ottomanifchen Salon möglich, wo keinerlei unberechnete Bewegung stattfindet, wo Niemand seineu Sitz verläßt, als um sich überhaupt zu verabfchicden. Iu eiuem Salon, den abendländische Ungezwungenheit und ihre quccksilbcrartige Bewegung belebte, wäre seil» Gebranch nicht ohne Gefahr. Aber Wie ganz anders ist die Physiognomie, die Atmosphäre des morgenländischen Salons als die des abendländischen. Der bloße Anblick des ottomanischen Empfangsgemachs macht die Verschiedenheit des gesellschaftlichen Verkehrs voll dem des Abendlandes ill die Angen springen. Die unbarmherzigste Geradliuigkeit ist das herrschende Grundprineip ill den türkischen Salons. Schon die Möblirung der Empfangs-gemacher verräth die Herrschaft des Lineals. Wir finden daselbst uirgeuds die scheinbar zufällige Stellung eines Möbels, die mit Raffinement geordnete Unordnung, nirgends ein capricioses Brechen der Linien, ein Verbergen der Kanteil zu Gunsten der Abruudung. Nichts daselbst ladet uns zum Gevlauder, zum Meinnngsauötausch in heimlicher Ecke ein. 2ängs der Fensterseite läuft der noch ziemlich allgemein beibehaltene Divau hiu. Zu seinen beiden Seiten längs den Wanden reihen sich je ein Fauteuil, je ein fränkisches Softha und sodann die entsprechende Anzahl Stühle. An der Wand. gegenüber den Fenstern, steht gewöhnlich ein Trumeautisch mit Caudelavern, Lampen und Wafserschalen. Das otto-Manische Selanilik (Begrüßungszimmer) gentahnt eher an l'tnen Nathsaal denli an ein „i)ar1uir". Der Hansherr nimmt entweder in einer Supha-Ecke oder in einem der Fauteuils Platz. Die Besucher setzen sich nach ihrem Rang oun der EinqanMhüre gegen den DiUan M. Vl,'r dem Ankömmling erhebt sich, wenn dies dessen Nang gebührt, der Hansherr mit militairischer Steifheit: Gleichgestellten tritt er so viele Schritte entgegen, als die Etikette vorschreibt. Die Anwesenden schnellen gleich dein Hausherrn von ihren Sitzen ans nnd setzen sich nicht eher, als bis er selbst wieder Platz genommen hat. Die Be-Müßlmgen sind streng geregelt, sowie anch dies, ob dem Eintretenden der. Tschibuk oder blos die Tasse Kaffee ge bührt. Die Nnterrednng wird mit wenig Ausnahmen, der ^ihe nach, nnr zwischen dein Hansherrn nnd je einem Gast. mit stramm gezügelter Lebhaftigkeit geführt. Dafür "ber wird das Gespräch von Seite des Untergebenen häufig mit dem stnmmen Cmnpliment der Hand begleitet. Mit dieser steifen Etikette jedoch verbindet sich im otto-manischeu Umgangston die ausgesuchteste Höflichkeit, ja diese letztere wird dadurch weseutlich gefördert, daß der individuelle Gefühlöansoruck niemals über die Form hinweg zutage tritt, ^ud wenn die Anorduuug des türkischen Empfaugsgemaches ^"' passende und naturgemäße lahmen für die von keiner — 118 — individuellem Aeußeruug übersprungeneVerkehrsnorm ist, wenn sie die pedantisch abgezirkelte Berührung zwischeu den Per-smleu gewisserinaßcn repräscntirt, so erscheint das Gluth-hänfchcn im Maugal seinerseits als eiu getreues Spiegel-bild des Gefühlslebens in der ottumauischeu Gesellschaft. Wie im Mangal die stille mit Asche bedeckte Muth sich nach Außen hin nicht verkündet uud nach Außen hin wenig Wärme speudet, so das gesammelte, tief verschlossene Em-pfindnngslcben des Ottomanen, das uutcr der Asche des gleichmäßigen Austands und der strengen Haltung heimlich fortglimmt. Wie sich die Kohle ohue Aufflackern geräuschlos verzehrt,, so liebt oder haßt der Ottomane tief und stetig, aber ohne besondere Aeußeruug, Die Gefühle vor der Außenwelt kuudgcbcn, wird vou der feinen Sitte als leicht fertig uud unmännlich gebrandmarkt. Zwei Gegner, die sich wissentlich allf das Messer befehde», begegnen sich mit derselben Artigkeit, überhäufen sich mit denselben Zuvorkommenheiten wie zwei Unbefangene. Keiu Wort kündigt die That, kein Gewölk den Blitzstrahl au - er trifft ans heiterm Himmel uud der Himmel lächelt fort. Desgleichen wird der Freund den Freuud, der Vater deu zärtlich geliebteu Sohn »ach langjähriger Trennung vor Fremden so förmlich be-willkommueu wie einen ihm Feruestehendeu; der Blick allem, das Oscillireu dcr-Stimme verratheu die innere Beweguug. Die eigentliche Domäne des Mangal ist das Goldene Horn. In jenen Gegcudeu des Reiches, wo der Winter für gewöhnlich ranher auftritt, war und ist der Camiu iu Gebrauch, Zwar werden auch iu Stambul bereits, vornehmlich . in deu Steiubauten, fränkische Oefen eingeführt, aber im Ganzen uud Großen behauptet der Maugal trotz seiner Uuzuläuglichrrit das Terraiu. Ja es gibt Mangalfanatikcr^ — 119 — dir für dir Traulichkeit des Glnthhänfchens ebenfo begeistert sind, wie der Britte für seine ürc>8iä6. Diese wissen uon seiner gemüthlichen Heiinlichkeit Manches zu erzählen und putzen feine Vorzüge mit partheiischer Hinzudichtnng heraus, So rühmen sie ihin nach, daß er erstens eiue gleichmäßige Temperatur verbreite und erhalte. Zugegeben! eine Temperatur um eiueu halben Grad höher als die in den Gaffen herrschende, — daß er ferner nie dnrch Ranch belästige. Nich tig! Denn dafür, daß die Ausdünstung der Holzkohle die Wirknng eines gewöhnlichen Kopfschmerzes nie übersteige, sorgen dir Banmeister, Zimmerlente und Glaser. Was die, Mangalschwärmer von der Wirksamkeit ihres Heizapparats im Grnnde halten, beweist übrigens der Umstand, daß sie dieselbe nie uhne der Znhilfenahme des dichten Hanspelzes grnießen. Wenn der Mangal in den Holzhäusern gegen das Eindringen der Oefen siegreich besteht, so liegt das einerseits daran, daß die Ofenrühren durch eines der Fenster geleitet werden müssen, wo doch längs der Fensterreihe der Hauptdiva,: läuft, nnd das bei dieser Nufstellnng der Ranch nnter dem Einslnsse gewisser Luftströmnngen nnerträglich belästigt, andererseits und hauptsächlich aber au dem Grunde, das; der Ottomane weniger für die Erwärmung des Ranmes, als für die seiner eigenen Person bedacht ist. Der Mangal ist also vielmehr ein dnrch Brauch nnd Gewohnheit geheiligtes Symbol der Winterzeit; für den Schntz gegen dieselbe sorgt jeder Einzelne für sich. Deshalb ist Pelzwert im Oriente gewiß nicht weniger im Gebrauche als im Norden Rußlands. Der hellfarbige Hausüberwnrf ist mit Pelz unterlegt- im Winter werden hierzn dichte, im Sommer aber leichte,. tnrzhaarige Felle verwendet. Die Straßentleidung l2" — und selbst der Salonrock ist mit Pelz gefüttert. Der Ottomane, der allgemein die Gepflogenheit beibehalten hat, sich zur Nachtruhe besonders zu kostümiren, legt über das gebräuchliche Entrarie (Unterkleid) einen Nachtpelz au und begibt sich so ausgerüstet zu Bette. Vei der schönereu osmanischeu Hälfte steht Pelzwerk in gleicher Schätzung. Die otwmanischcn Christen und anch einige fränkische Pera-Bewohner hatten und haben mitunter noch jetzt für den Maugal eine besondere Verweuduug. Sie stelleu ihn uämlich verschlossen uuter eiueu großen Tisch, Unter die schwere, umfaugreiche Tischdecke streckeu die riugs um deu Tisch sitzeudeu Hausbewohner und Besucher die Füße uud crfreueu sich so des uugewöhnlichen Vergnügens, zwei verschiedene Temperaturen zn gleicher Zeit zu genießen. Dieser Apparat wird mit dem Namen ,,Tandyr" bezeichnet. Inwieweit seine Benützung der Gesundheit zuträglich sei, vermag ich nicht zu bestimmen, einer allenfallsigen Verstau-digung durch Fußzeichen ist sie entschieden förderlich. Des Nachts wird am Mangal der „eouvi'e-t^u" buchstäblich ausgeführt: man stellt einen gelöcherten Stnrz über dcnselbcu. Wir wollen desgleichen thnn. XI. 3er Bazar von Stamlml. Wir dürfen uicht von Stambul scheiden ohne den Bazar besichtigt zu haben, — die Herzkammer seiues Bebens. Eine domähnliche Halle, durchkreuzt vou zahlreichen Seiten- uud Qnergallerien die uuregelinäßig, ab uud zu — 121 — lu planlosen Windnngen und Verrenkungen angelegt sind: Ein architektonisches Nngethüm! Die Hauptpfortcn sind mittels massiver Ketten geschlossen. Wir Fußgänger schlüpfen darnnter hinweg für ^uxusgefährte werden sie geöffnet. Das Meilschenineer treil.it hier in sanfteren Wogen, als in den andern Geschäftsvier-tl'ln, denn hier führen das schöne Geschlecht und der Kauf' l"ann das große Wort. wie dort der Lastträger und der Noßvermiether. Hier herrscht der Muslim vor, wie dort drr Christ; hier ist das Gewirr bunt wie es dort erdfahl lst. Die prunkenden Trachten der Sonnenländer scheinen sich anf diesen Boden als ihr Asyl geflüchtet zu haben. Versuchen Wir es, einige Erscheinungen zu erfassen. Hier stechen ans dem Knnterbnnt heller Frauenmantel wngl- Albanesen hervor, in ihren weißen, enggefältelten 3ustcmellen, mit den goldbebordeten Sftensern und den stein-Neschmnckten Waffen, verwegene Palikarentypen der Ballade, kleben ihnen, sie überragend wie die Ceder die Cyuresse, H^vei Tscherkesseu. Die langen Tuniken schmiegen sich um bir schlanken, sehnigen Gestalten, pelzverbrämte Kalpaks be-lchaiten die regelmäßig harten Züge dieser Sühne des kan-kasischen Hochlandes. Der Alte hat wol nnter Schanlyl Ml'n die Moskoviteu inanchen Strauß ausgefochten; er würde, ^enn es morgen gälte, mit seinen siebzig Wintern anf dem Scheitel, den Kampf wieder aufnehmen. Das hinfällige ge-brochcuc Alter kommt bei diesen Natursühnen selten zur Anschauung: Was krankhaft ist, bricht extzwei, das Rüstige "ur überlebt, aber überlebt in ganzer Fülle, während der ^ultnrznstand ,.Siechthum läßt zu hohen Iahrcu kommen." ^^' Jüngere macht Einkänfe: er handelt um ein prächtiges ^"vehr. Seill Bentel ist sch'uer von Gold, er hat seine — 122 — Tochter an einen stambiller Harein verkauft. Hätte cm Moskovite sie gefangen, er würde zehnmal sein Leben eingesetzt haben um sie zn befreien, denn er ist ein guter Vater! nnd nun hat er sie verschachert. Welch ein Widerspruch! Und dennoch mehr scheinbar als wirklich, Das Mädchen hatte ihm keine Ruhe gelassen — sie hatte Tag und Nacht von dem goldenen Stambul geträumt und seiner Herrlichkeit, war darüber krank geworden, bis er ihr endlich den Willen that nnd sich mit ihr anfmachte. Und weil sie darauf bestanden ist, so hat er sie denn der Hannm eines Pascha verkanft, Nnn, wenn es geschrieben steht, so wird's zu ihrem Glück ansschlagen. — Gut haben Wird sie es bei der Hannm, wie all die andern Tscherkessenkinder, von denen Stamlml überfüllt ist- sie ist ein kluges Ding, wird fein erzogen, schön gekleidet nnd später verheiralhet werden, vielleicht an einen Vornehmen. Wie ihr Kismet will! Allah weisi es. — Es hat sie ge-wnrmt, daß sie sich die nackten Füße ans den Steinkanten der Heimatberge wund lanfcn sollte, während so viele Andere ans der Nachbarschaft hier in Seide gehen nnd in Palästen wohnen. — Dort wandeln zwei Manren mit breiten, fast tellerförmigen Tnrbanen. Die branneu Ängesichte, die eben soviel von äthiopischer Glut, als von semitischem Blnt entlehnt haben, erscheinen noch nächtiger nnter dein blüthenweißen Mnslin nnd über den hellen Kaftans, Ein arabischer Scheich mit beweglichen Iicgenmieneu, im Bnrnns ans Kameelhaar, die farbige Kefie mit braunen Stricken nm das Haupt gewuuden, begleitet sie. Alle Völker des Ostens find vertreten! Und damit das Abendland nicht fehle, drängt sich dort ein englishman dnrch. Er hat einen mächtigen Turban nm — 123 — dw Hut gewunden, hält eiu rothes poket-dook in der riucu Hand und emeu weißen Souuenschirlu in dcr andern; vur ihm her trollt sich der Dolmetsch, ein kleiner Juden-iunge, hinter ihm belvegt sich im Gänsemarsch der weißen, langfiiftigen Töchter stattliche, Reihe, von dem Monsieur! Madaule! Mylord! der christlichen Händler begleitet. Wie bewegt, wie farbenprächtig ist dieses Bild! als ob Schwärme von buntfarbigen Schmetterlingen an Blumen-N'nteu nippten. Unsere Blicke werden von den Farbeuschätzeu übcr-wscht, wir würden sagen geblendet, wenn diese nicht durch 5wn dumpfen Nniergruud und durch eine weihevolle Däm-lnerung gemildert erschieueu und weun nliser Blick nicht manchmal auf veruachlässigten t'lihleu Flecken Ruhe fäude. Au geN'issen Pnilkten summt es wie von wusend Bienenkörben, aber das Gesumme scheint iu eiuem einzigen Hauptaeeord gedämpft zu verklingen, uud iu maucher Seiteuhalle herrscht das Schweigen eines Karthäuserklosters vor. Tie rastlose Bewegung eines Nmeisenhanfens webt mnerhalb des Rahmens einer beschaulichen Abgeschlossenheit, nner majestätischen Unbeweglichfeit. In diesen Gegensätzen spiegelt sich ein gutes Stück Orient! Jede Waarengattuug hat ihre besoudere Halle uud Ladenreihe; die Laden bestehen ans Nischen. Hier fällt ods Oberlicht anf eine enge Seitengallerie. Wir vermeinen Katakomben zu betreteu. Tic Mauern sind schmutzig schwarz, nirgends bedecken Auslagen oder Stoffe ihre kahle Nacktheit. In den Nischen hocken, — großteutheils im "Uomauischeu Reformlleid, — die Kaufleute; es siud Armenier. — 124 - Jedem zunächst steht ein kleiner schmuckloser Kasten. Wir befinden nns auf dein Iuwelenbazar, Tiamautschmuck hat einen starken Abgang in den Harems: die, Steine sind meist geringster Qualität, die Fassung ist plump. Im grellsten Kontrast strahlt die Gallerie daneben von eitel Gold nnd Flitter, voll, Stickereien für Uniformen, Schabracken, Epanletten, Kaffeebrettüberwürfen u. s. w. In den Stickarbeiten entwickeln die Ottomanen eine bedeutende Geschicklichkeit. In einer andern Abtheilung wird Weißzeug feil geboten, Hemden, Bettlaken, Kissenübertücher aus Seide, wollige Handtücher mit Gold und Seide gestickt, Bade bouruousse und dergleichen, darnntcr Kunstwerke, wie die Bettlaken, welche die Mädchen im Innern Asiens für ihr Hochzeitslager sticken. Wieder in einer andern finden wir die Stickereien anf Tuch, Tischteppiche mit Blumengewiudeu uud Koranversen, Kissen, Thürvorhänge u. s. w. — alles für das Abendland bestimmt; der Efendi hat keinen Geschmack dafür. Tann kommen wir all den Äieiheu vorbei, wo die mit Schildkröte nnd Perlmutter ausgelegten Gegenstände verkauft werdeu. Die Arbeiten der Neuzeit steheil in Geschmack des Entwnrfes uud Sorgfalt der Arbeit tief unter den Erzeugnissen aus früheren Tageil; auf den Gebieten der nationalen Indnstrie offenbart sich leider ein nicht zu verkennender Rückschritt. Sie kauu, wie ich früher schon einmal zu bemerken Gelegenheit fand, die Concurrenz mit den billigeren nnd allorts überHand nehmeudeil abendländischen Erzengnissen nicht bestehen. Müde vom Waudelu, müde vom Schanen gelangen wir Znr Hauptgallerie zurück, wo an einem Ende die gestickten Pantoffel für — den Nipptisch abendländischer — 125 — Damcu ausgestellt sind, nud wo sich weiterhin die Seidenstoffe ausbreiten. Hier glänzt die Seide des Libanon gelb Wie Gold, hier schimmern die vielfarbig gestreiften Schärpen vm, Tyrns nnd Sidon, dort sprühen die Stoffe von Damaskus und Brnssa ihre farbigen Flammen, weiterhin entwickelt der ^'Preßte Sammet von Skntari seine gediegene Pracht. Daneben überwuchcru freilich Stoffe abendländischer Faktnr und drohen die besseren, schöneren Erzeugnisse des Landes zu "drücken. Auch hier schädigt die Maschine die Kunst, auch hier tüdtet die Schablone — die Eigenart — die Poesie. Diese Betrachtung über die Stoffe führt uus auf die Menschen. Der Sprung ist nicht so nnvermittelt, als es vorerst den Anschein haben könnte. Da kanert ein Ottomane i,y seiner Nische, einem Shawlladen, der reine Typns des Kaufmanns aus deu arabischen Märchen. Der kleidsame Tnrban umrahmt das scharf geschuittene, wohlgebildete Antlitz. Es konnte auch uach abendländischen Begriffen als Ideal männlicher Schöntut gelten, wenn nicht eine gewisse Apathische Gleichgiltigkeit dir nicht als das Ergebniß eines bewegten inneren Lebens, sundern als angeborner und durch die früheste Erziehung ausgebildeter Hauptton erscheint, Wie Blei auf den Zügen lagerte. Die Gestalt ist massig, gedrnngen. Ueber das Unterkleid aus Kashemir wirft der zimmetfarbige Ueberwurf sm'e reichen Falten. Dieses Kleid scholl bedingt die Würde. Keine Gewinnbegier entadelt seine Züge, keine Hast bewegt diese charaktervolle Erscheinung. Seine Haltung bekundet Selbstachtung, weise Mäßigung spricht ans seinen Blicken. Sammlung thront auf seiner Stirne. Er harrt des Käufers der ihm bestimmt ist, den Allah ihm senden wird! — 126 — Wir grüßen ihn, er erwidert den Gruß gemessen, ohne einschmeichelnde Unterwürfigkeit. Wir nehmen Platz und erknndigen nus nach dem Preis eines Shawls, er nennt ihn, ohne sich von seinem Pfeifenrohr zn trennen. Ein Gegenangebot wäre nutzlos, er hat gesprochen. Wir wollen heute nichts kaufen. Gleichviel, vielleicht ein andermal, wenn es Gott gefällt! Sein Diener, ein kleiner Negerjuuge, entrollt die Stoffe, Sein Nachbar, der christliche daöirMn, gebrrdet sich wie ein Hampelmann au der Schuur, ruft die Vorübergehenden au, lockt Kuudeu herbei, steht mit dem Dullmetsch fränkischer Käufer im heimlichen Vuud, dräugt sich vorlaut vor, schlägt auf, läßt uach, setzt die Zunge in Bewegung, überredet, betäubt und zählt Abends sein rnndcs Sümmchen Gcwinust. Es ist keiu Zweifel, daß der mufelmauische Kaufmann von dem christlichen überflügelt werden muß, wie das inländische Erzcuguiß von dem fremden verdrängt wird. Der Ottomane ist für den Handel im modernen Sinn nicht geboren: es fehlt ihm an Spekulationsgeist, an Unternehmungslust, au Geschmeidigkeit. Aber uicht uur was ihm fehlt, selbst seiue persönlichen Eigenschaften Werden ihm zum Hemmniß. Man kaun unter Umständen au seinen Tngcuden zu Grunde gehen wie an seiuen Fehlern und die Gemeinschaft an den Tugenden ihrer einzelnen Glieder, Der uationalökonomische Staudpnnkt hat mit dem Humanitätszustand weniger zu schaffen, als mit dein Zustaud und deu Resultaten der praktischen Bildung. Der Weise bei geringereu Bedürfnissen verarmt, der im Staub sich mühende Thor erwirbt, die bereicherten — 127 — Sklaven überflügeln die verarmten Fürsten, die nnterrichteten Thoren beherrschen die unwissenden Weisen. Nicht wer weniger Bedürfniss/- hat, sondern größere und sie zn befriedigen strebt, gelangt odenanf. Nicht dem Würdigeren gehört die Erde, sundern dem Thätigeren, nicht d"„ Weisere», sondern dein Findigere», nicht dem Edlereu, sundern dem. Gierigeren, nicht dem Stärkere», sonderndem, der die Kräfte praktischer zn verwerthen weiß. Wer sie beherrschen will, dem muß sie Alles sein, dem muß die Stunde mehr gelten als die Ewigkeit. Die höhere Kulturstufe erglimmt man nnr um den hohen Preis des Friedens! Es naht ein französisches Pärchen. Madame will jenen Shawl anf weißem Grund erstehen. Da ertönt der Ezzan. Unser Kaufmann richtet sei»en Gebetteppich znrecht; sür ihn gibt es augenblicklich keinen Handel nnd keinen Känfer mehr: Was ist ihm die Erde, Was gilt ihm ,die Stunde? Allah ist groß! — Olinnerungen aus der Herzegowina. Der Hafen von KIct. Mostar, Danilo Petrowitsch aus.dem Stamnle Njcgusch, dor den geistlichen Vladika-Titcl seiner Vorfahren mit den« Rang eines Fürsten der ,,Cscrnagora nnd der Berdas," den Schleier und das Krenz des Metropoliten niit der Neiher-mütze und den Orden des weltlichen Potentaten vertauscht hatte, war seit 1852 Oberhaupt der Schwarzen Berge, Die üblichen Streifzüge stz^eta«) feiner Montenegriner in die Herzegowina, deren nächstes Ziel die Hannnelheerden mnselmanischer Nachbarn zn sein pflegen und die bei jedem Regierungsantritt mit erhöhter Begeisterung aufgeuommen werden, hatten nach dem Krimkricg, nnd seitdem NapulcuuIII. sich iu Concurrenz mit Nußlaud gewissermaßen zum Schirm-herrn der slavischen Vülker des Orients anfgeworfen hatte, ebenso sehr an Ausdehnnng gewonnen, als eine besonders häufige Wiederholung erfahren. Der Charakter dieser Vlicft-Fahrten jedoch war ein anderer geworden: ueben ihren national-ökonomischen Zwecken, die nebenbei dem Kampf-und Nachcbcdnrfniß entsprachen, enthüllten sich politische Ziele. Die Fehden wuchsen über ihr gewöhnliches Maß — 129 — hinaus, und so sah sich die Pforte abermals genöthigt, ihr mütterliches Auge auf ihre slavischen Schmerzenskinder zn richieu, die ihrer Fürsorge durchschnittlich alle 3 bis 5 Jahre mit irgendeiner Valgerei oder einem Schmerzensschrei aufwarten. Es ist nothwendig, zu bemerken, daß dieses Verhältniß in seiner vollen Intimität eigentlich erst seit der neuen Ge-staltnng des Osinanenreiches besteht, die mit dem Ansbrnch des Nationalitätsfiebers zusammenfällt. Früher, bei der Decentralisation des Reiches, hatte der Divan mit den schwarzen Bergen nnd den Vosniaken, Uskoken n, s. w. direct unr selten und wenig zu schaffen. Den Vezieren von Travnik und Belgrad, die ehedem den tönenden Titel „Veziere von Ungarn" führten, oder dem von Skntari, lag es ob, sich nut den Helden der Ichwarzen, Berge hernmznschlagen, uud in den slavischen Provinzen reichte die Negiernngsthätigkeit des Divans voll-kliininen ans, wenn sie mittels der Spahis, die den mnsel-Ulanischen Landadel vorstellen, den Vezier i:n Schach hielt, "der hie und da durch eine Unterstützung des Veziers den ^'higen Spahis einen Zaum anlegte. Das ist mit unserem Jahrhundert in Folge der Reform nnd der dnrch sie bedingten Centralisation, in Folge der Einwirkung des Zeit-Mistes, der Lostrennnng Serbiens, kurz iu Folge der Zu-lamluenwirknng verschiedener und vielfältiger Factoren anders geworden. Das Osmanenreich hat sich durch die Eroberung aus ^nem Conglomerat von Staaten gebildet, ohne daß von den ^wlierern die eroberten Länder znm Einheitsstaat und die unterworfenen Völker zur Nation verschmolzen worden wären. ^ Religion des Siegers war das änßere Band für diesen Muiad Efcndi, TürNschc <2tizzcil 1, ,^ — 130 — Länder- und Völkereomplex, der Khalife als Haupt der Religion der oberste Führer, Herr und Ausüber aller Macht. Der Versuch einer Verschmelzung der Eroberer und Eroberten zur Nation ist nie und nirgends gemacht worden; er liegt auch außerhalb der islamitischen Anschauung. Der Koran sagt: „N glnaturüu mMotin valiiäe." Die Völker der Uugläubigeu sind eins. Aber auch die Gesammtheit der Bckcnner des Islam stellt ein Volk in ,,Mahomed" dar. Der NationalitätZ-gedanke liegt für den, Osmauen in der religiösen Gemeinschaft. Sein Patriotismus ist islamitisch. Die Verwaltnng der einzelnen Länder und Provinzen lag in den Händen der Mandatare des Khalifcn, d. h. der Veziere, die in ihren: Wirkungskreis eiue nach unten unbeschränkte Machtvollkommenheit besaßen. Die Macht der Negiere fußte auf dem Nimbus des Siegers, auf dem Macht-keru der Osmanen und auf dein Beistand der Convertiten, die znr Religion des Siegers übergetreten. In Bosnien nahm der gcfammte serbische Adel, um seine Güter nnd Privilegien zu bewahren, die Religion des Siegers au, Eine nationale Vcrmischnng fand nirgends statt. Nach Nationalitäten theilten sich die uuterworfenen Völker in Griechen, Albanesen, Serben, Bulgareu und Rumänen. Das osmanische Reich entsprach dem Glcichnitz, welches ein osmanischer Großer einem Botschafter des deutschen Kaisers gegenüber anwandte, als die Rede ans die beiden Reiche kam. ,,Das Osmancnreich," sagte er, ,,gleicht einer Schlauge mit vielen Körpern, aber mit einem Kopf; alle folgen der Richtung und Bewegung des einen, das deutsche — 131 — Reich hingegen gleicht eiuer Schlange nlit einem Körper, aber oicleu Köpfen." Die Reform nnter Sultan Mahmnd war cine radicale, tiefeingreifcnde Umgestaltung alles Bestehenden, uicht ein Auffrischen des Baumes durch Bcfchneiden und Pfropfen, sondern seiuc Entwnrzcluug uud Versetzung iu ein fremdes Erdreich. Den ganzen Nmfang ihrer eiuschneidcichen Wir-" kung hat lnan beider Inangriffnahme wol kaum erkannt, freilich hätte die Erkenntniß die Inangriffnahme nicht verhindern können. Einerseits mnßte das militairische Werkzeng der islamitischen Centralgewalt, das Iauitschareucorvs, vernichtet werden, andererseits wieder bedingte die Reform, die vom Oberhaupte des Islam und von Konstautinopel ausging, eine straffe, staatliche und administrative Centralisirung, d. h. die bisher unterlassene Bildnng des Einheitsstaates inutzte au die Stelle der losen Gliederung treten, die Grüuduug ewer osmanischeu Natiou mußte au Stelle der herrschenden musclmanischen Gemciuschaft versucht und durchgeführt wcr-^u. Es galt die Verwaltuug zu bureaukratisiren, die Macht des Localadcls (der Dercbeys uud in Bosnien der Spahis) zu brechen. Es war eine ungeheure Krisis die das Reich durchschritten, eine Riescnthat, welche Sultau Mahmnd vollbracht hat. Von den Vezieren gelang es nur einem sich zu er-halteu uud loszurcißeu: deiu Pascha vou Aegypten; alle andern fielen; der Fendaladcl brach uuter der staatlicheu und in einem gewissen Sinn dcmokratifirenden Einheits-bcstrcbung zusammen, die der Khalif vertrat. Am spätesteu unterlag der bosnifche Adel, der zur Wahrung seiner pri-^Uegirten Stellnng während des russisch-türkischeu Krieges — 132 — im Jahre 1828 gegen Konstantinopel zog und merkwürdigerweife durch General Diebitsch, der damals auf Adrianopel rückte, aufgehalten wurde. Im Jahre 1851 gab der Serdar Omar Pascha den bosnischen Feudalen den Gnadenstoß, nnd seitdem sind Bosnien und die Herzegowina Provinzen des osmanischcn Staates, aber zugleich ein offenes Feld für die serbischen und montenegrinischen Ansdehnungsbeftrebnngen und für die Ziele der russischen Politik; denn wie anläßlich der Ianir-fcharcn-Vernichtnng, ist anch in Bosnien bei dem unternommenen Aderlaß mit dem brandigen Vlnt frischer,Lebenssaft entströmt. Die ehemaligen mnselmanischcn Feudalkrieger sind zn mahomedmlischen Bosniern geworden, wenn auch vorläufig nnd gegenwärtig das Glaubensinteresfc bei ihnen noch das Nationalitätsgefühl überwiegt, Heute aber hallt jeder Pistolenfchnß, der in den nordwestlichen Provinzen abgefeuert wird, in den Corridoren des Pfortengebändcs am Goldnen Horn wieder; jeder Vorfall in den bosnischen Ländern berührt nunmehr die usmanische Centralgewalt und wird zur politischen — europäischen Frage. So sah sich denn zn Anfang des Jahres 1858 die Pforte bemnssigt einige Bataillone nach der südlichen Herzegowina zn beordern, nnd entsandte gleichzeitig einen außerordentlichen Connnissarms zur Prüfung und Regcluug der obfchwebenden Streitfragen, denen als Vorwand einige Weidegründe an der Grenze bei Grahowo zn Grunde lagen. Gleichzeitig wnrde ein neuer Generalgouvcrncur für Bosuieu eruaunt. Als Commandant der Streitmacht war Hussein Pascha abgegangen, ein Circassier von ritterlichem — 133 - Anstand, persönlichem Muth und jugendlicher Heißblütigkeit, ocr sich im letzten russischen Krieg als Reiterofftzier ausgezeichnet hatte. Zum Commissarius wurde Kemal Efendi bestimmt, der als Gesandter in Berlin sich den Rnf eines liebenswürdigen, angenehmen Gesellschafters erwarben hatte, uud zum Gencralgonvernenr für Bosnien der damalige Gouverneur von Cypern, Kiani Pascha, ein Z^ann von geschäftlicher Tüchtigkeit nnd starrer Haltung, der seine Fähigkeiten später lange Jahre hindurch als Oeueralmanthdirector des Reiches bewähren sollte. Ich war soeben aus deu Reihen des Heeres in das Auswärtige Amt übergetreten uud Wurde Kemal Efendi als Secretär beigegeben. Eine Staatsfregatte war uns zur Verfügung gestellt worden. In dieses ,,Uns" waren, anßer dem Chef und meiner Wenigkeit, noch ein Seeretär nnd zwei Mili.tair-Attaches, letztere offenbar nur zum Zweck des erhöhten Nimbus, iubegriffen. Wir schifften uns also ein, mein Chef mit seinen Instrnetioneu uud eiuer Cassette voll Dosen uud Uhren. Unser erstes Reiseziel war Cyperu, wo wir den neueu Gcneralgonvernenr mit dem üblichen Ceremoniell nnd Pomp aufnahmen. In Berücksichtigung der Ueberschrift meiner Vrinnernngen werde ich unsere Fahrt mit den Landungen in Smyrna, Nhodus nnd Corfu nicht weiter besprechen, sondern erst wieder dort aufnehmen, wo wir durch den Nareiüa Canal zwischen den dalmatinischen Inseln Lesina und Curzola in die Bucht vou Klet einfnhren. Klek ist der nördliche Laud-Meisen, wclcheu dereinst die Republik von Ragnsa au die Dsmanen abgetreten hatte, um sich die nachbarlichen Veue-tiauer, die iu Dalmatien hansten, voni Leibe zn halten; — 134 — der südliche heißt die Snttorina, Der österreichischen Regierung, Welche dieses Erbe Venedig's und Nagusa's angetreten hat, ist diese Dreitheiluug ihres ohnehin körperlosen Kronlandes Dalmatien unbequem, trotzdem daß sie anf den beiden Landstreifen das Durchgangsservitnt besitzt, welches in der fortgesetzten Heerstraße seinen Ausdruck findet. Bei der Einfahrt in die Bucht von Klek hätte unsere Fregatte beinahe einen Conflict mit der Flagge des österreichischen Doppelaars heraufbeschworen, Nnser Capitän schien nämlich vergessen zu haben, daß wir, um zum osma-nischen Gestade zn gelangen, dalmatinisches Gewässer dnrch-schiffen mußten, nnd hatte eines winzigen Fahrzeuges nicht Acht, welches nach vergeblichen Zeichen endlich durch einen Kanonenschuß sein berechtigtes Dasei» kuud gab, und von der Küste her auf uns Jagd machte, wie ein wüthendes Bologneser Hündchen auf eiue dänische Dogge zustürzt, Nnser Capitän, der nnn seiner Wasfergrenze-Vcrletzung gewahr geworden war, ließ stoppen, nnd der das Boot befehligende Offizier koinite uns nach Besichtigung der Papiere laut uud feierlich die Erlaubuiß geben ,,im Namen Sr, k. k. apostolischen Majestät" einzulaufeu. Die Bucht von Klet bietet nichts bemerkenswerthes. Im Fort Opus, welches lange ein Ball in den Händen der Venetianer und Osmanen gewesen war, waltet heute ein unbestritteuer Pretore: ringsum erzengt das Sumpfland, welches dnrch die NarenlaäMündnngen gebildet wird, in: Summer bösartige Fieber, Hier im Thale der Narenta, im Schutze der Cauäle, welche dieser Fluß (bei den Alten Naro) bildet und hinter den Inseln geborgen, trieben vom siebenten Iahrhnndert ab die Nareutiner ihr Piratenwesen, bis es endlich im zehnten — 135 — Jahrhundert dem Dogen Pietro Orseolo II. gelang diesen gefürchteten Seewiilfen das Handwerk zn legen. Unsere Landung nahm viel Zeit in Anspruch, da das Ausladen unseres Gepäcks, bei einem Gefolge von ungefähr 40 Köpfen nud der Art. wie man sich hierznland für eine Neise vorbereiten muß, ziemlich umständlich war. Am uubewohuten Strand erwartete uus der Bruder und Kiahia smgM'-äomuz) des Gouvernenrs der Herzegowina mit großem Comitat und einein Nudel von Pferden und Mauleseln. Für die Excellenzen waren gesattelte und uüt rcichbordirteu Schabracken geschmückte Pferde des Pascha angekommen: die übrigen Tragthierc wurden mit den mitgebrachten Sätteln gesattelt, die Packpferde mit den Betten und dein sonstigen Gepäck befrachtet, worüber mehrere Stunden vergingen. Zu Ausflügen war das steinige unwegsame Terrain uicht geeignet und die kahle Karstgegend nicht verlockend, und so mußte ich den Eindruck der Trostlosigkeit mit dein mich diese Wüstenei umklammerte, ill beschaulicher Bewegungslosigkeit über mich ergchen lassen. Unsere Türken., die, auf ihre Bettsäcke uud Teppiche gekauert, den Rauch aus ihren Tschibnks ringeln sahen und voll Zeit zu Zeit in den Kaffee-schälchcn nippten, schienen von jeder Stimmnng verschont uud anch durch den Anfenthalt nicht znr Ungeduld gereizt-lch mußte sie wieder einmal um ihre stoische Gelassenheit beneiden! Endlich tonnten wir aufbrechen um zum nächsten Weiler M gelangen, wohin das Nachtquartier bestimmt worden war. ^m Sanmweg führte dahin; da er sich nach Landesbrauch nicht den Formen des Terrains anschmiegte, sondern nach der kürzesten Verbindung strebte, mußten wir — im allge- — 18tt — meinen bergan, im Detail aber über die steilsten Kalksteinfelsen hinauf, hinunter, über Steingerülle, Gestrüpp und manchmal über gefallene Baumstämme hinweg — einen eben so halsbrecherischen als ermüdenden Nitt erleiden. Der Straßenban ist bei den Eingebornen stets anf heftigen Widerwillen gestoßen. Die Unwegsamkeit ihres Stein-landes galt ihnen stets als cm nothwendiger Wall gegen den Feind, und dieser Feind hieß Jahrhunderte hindurch Oesterreich. Man brancht hierbei den politischen Blick der Herzegowiner nicht allzn hoch anzuschlagen. Wenn irgendwo Landthcilc widersinnig auseiuandcrgerissen sind, so ist dies mit Talmatien nnd der Herzegowina der Fall. Wer die Küsten besitzt, mnß das Hinterland erwerben. Würde es in dieser Gegend jemals zur Bildung selbstständigcr Staaten kommen, so Würde der Grundsatz freilich lauten : Dalmatien ist nichts anderes, als die herzegowinische Küste. — Deshalb ist Oesterreich hente vor allem an der Erhaltung des status quo bethciligt nnd nur wenn dieser dnrchaus nichl anfrecht zu erhaltcu wäre, müßte es, ob auch widerwillig, die Besitznahme des Steinlandes anstreben. Alle anderen Nachtheile der Unwegsamkcit für sie nnd ihr Land wollen den Herzcgowinern nicht einleuchten, was an vielen die Vcr-mnthnng rechtfertigt: sie sähen sich anch gern gegen dic Omanischen Truppen geschirmt. Später hat man auf Anregung meines Chefs den Bau einiger Straßeil in Angriff genommen. Zum Behuf des Baues wnrde die Bevölkerung aufgeboten, und es wären anf diese Art bei einein vermöge des Materials günstigen Terrain ohne erhebliche Schwierigkeiten nnd Kosten g»te Straßen herzustellen, wenn nur die zeitweiligen Anläufe auch — 187 — ernsthaft durchgeführt und für die Erhaltuug des Vollendeten etwas gethan würde. Ich war hinter dein bosnischen Kawassen her, welcher deu Vorreiter des Zuges abgab. Au eiucr Stelle, die längs einenl gähucudeu Abgrund nur besonders bedenklich schien, wollte ich absteigen, um, meiu Pferd am Zügel, die Strecke ungeachtet meiner städtischen Bcschuhnug zu Fuß zurückzulegen. ,,Nicht nöthig, Bey Efendi," bemerkte dcr Kawaß. ,,Unser .bosnisches Roß kennt seinen Weg. Laß ihm die Zügel, bleibe ruhig sitzen, nnd es bringt dich hinüber, so lange es so viel Stein nntcr sich hat, als seine vier Hufe brauchen." Ich folgte, seinem Nath, nnd der Nath war gut. Das heimische Pferd erscheint als eine in der Nuß-hcmt verkappte Ziege. Klein und unansehnlich, aber genüg-intn und ansdanerud, beknndet es eine stanncncrregende Sicherheit. Ich habe später Eingeborno anf felsigen Saumpfaden hintraben gesehcil, anf denen fönst kein Reiter mit einem srcmden Pferd im Schritt zehn Pferdelängen fortkommen würde. Tie nnansehnlichsten Mähren aber trabten rüstig darauf los und glitten uach Art der Gemsen an abschüssigen Steinplatten leicht nnd sicher hinab. Bei sumpfigen Stellen londiren sie erst vorsichtig den schlammigen Grnnd, ehc sie sich vorwärts wagen. Wir begegneten auf dein stnndenlangen Wege keinem Mcnschcu; ans einer Schlucht scheuchte ich zwei Adler auf, "^ sich an einein Wolfsaas gütlich thaten. Mit müden aber nichtsdestoweniger ganzen Knochen go-langte ich zum Weiler. Der Weiler bestand aus eiuigeu "ach slavischer Art weit aus einander liegenden Stcinhüttcn, "^ aus ziemlich roh auf einander geschichteten Klanbsteinen ^. 138 — erbaut und mit Steinplatten bedacht waren. Die Be-dachuug des Hauptgebäudes war weiß übertüncht, wie es drüben im Dalmatiuischen Mode ist, erläuterte mir der Hausbesitzer. Die reinlichsten Hütten waren durch die Fürsorge des Pascha nach orientalischen Begriffen wohnlich eingerichtet wordeil, auch eiu Mittagsmahl, welches durch eiuen seiner Köche bereitet worden war, harrte uuscr. So kam ich — zum Wohl meiues Leibes — nicht sogleich in die Lage mir ein Urtheil über die einheimische Küche zu bilden. Sie besteht, wie ich später ciuigemgl erfahreu mußte, aus der Walachischen NamHiissH (Maiskuchcu), Zwiebelu, Schafkäse und Milch; Neis und gebratenes Schaffleisch sind ausnahmsweise Festgcrichte. Trotz dieser frugalen Kost ist der Menschenschlag von uutersctztem, mittelgroßem Bau, schön uud kräftig. Vou deu Iusasscu bekameu wir nur die angesehensten Männer zu Gesicht, es waren Rajas (Christen). Für ein nicht geübtes Auge unterschieden sie sich in nichts von deu Muselmanen des Landes. Sie trugen Iackcu aus licht-braunem Fitzstoff, Beinkleider aus demselben Stoff, blauer oder weißer Farbe, bis au die Knie faltig, von da ab in Gamaschen aUslaufmd. Die Turbaue und Gürtel waren dunkelroth, die Fußbekleidung bestaud aus Opaukeu, im Geuick hatten sie ihre Tschibuks steckeu. Türkisch verstanden sic nicht, wie deuu selbst der muselmanische Bauer des Landes gewöhulich uur ein mit türkischen» Worten gesättigtes Slavisch spricht. In der Beantwortung unserer Fragen über ihren Zustand und ihre Wünsche waren sie vorsichtig, ausweichend. Am nächsten Morgen brachen wir zeitig auf, um uoch vor Abend Mostar, dieHauptstadt der Herzegowina, zn erreichen. — 139 — Die Herzegowina, oder wie die Osmanen sagen, Hersck (das mittelalterliche Zachlumicn) leitet ihren Nainen von Herzog oder Woiwoden her — ein Titel den der bosnische König Twartko im Jahre 1358 dem dortigen Machthaber verliehen; dcr letzte Herzog Stephan wnrdc den Osmanen Zinsvflichtig und das Land endlich im Jahre 1483 von ihnen in Besitz genommen und seither theils nnter dcr Oberleitung von Bosnien, theils getrennt, vor der Reform durch einen eingeborncn Vezier, seit derselben dnrch einen bnreankra-tischen Pascha verwaltet. Der Nationalitätsgcdanke liegt bei diesen Völkern noch Mmcr in religiösen Windeln, Wenn man die Eingebornen 'lach ihrer Nationalität fragt, so wird der eine sagen- „Ich bm ein Muselman/' der andere: ,,Ich bin ein Christ/' und der dritte: „Ich bill ein Katholik." Vor uns klagten sie blos über ihre Bischöfe, die gewöhnlich Griechen sind, während dcr niedere Klerus aus Eingeboruen besteht. „Die Bischöfe sind Türken," ist ihr gewöhnlicher Anspruch. Bei dcn Rajas, mit deren Hülfe bie Pforte zn Ende der dreißiger Jahre dic trutzigen Spahis, den muselmanischen Feudaladel, zn Boden geworfen, nähren heute fremde Einflüsterungen den Tränn: der Unabhängigst, ohnr daß man sie darüber anfklärte oder sie selbst sich Rechenschaft gäben, worin diese bestünde. Das ausgegebene Schlagwort lautet: Vefreinng von der Türkenherrschaft.' Da die eingebornen Mahomedaner den Osmanen, die ihnen ihre Feudalprivilegien genommen und die Ccntralherrschaft an Stelle des Spahi-Regiments gesetzt, grain sind nnd sie seit Einführung der Reformen alö Abtrünnige betrachten, sucht dje slavische Propaganda eine Verbindung dcr bos-"ischen Mahomedaner mit den Christen herbeiznführen, — 140 — natürlich mit der roLervatio mentals: Sind crst die Türken vertrieben, so wollen Wir mit den Herren schon abrechnen. In der Ebene des Thales von Mostar, welches 6 Meilen lang und 3 Meilen breit ist, war die Garnison anfgestellt, und der Pascha empfing uns vor einein zu diesem Behuf ausgeschlagenen Zelt. Mostar liegt am Fuße des Velez uud des Hum, au beiden Seitcu der Narenta, deren Ufer hier hoch nnd felsig und von den Bergen eingezwängt sind. Der Haupttheil der Stadt, die ehedem ein römisches Standlager war und crst um 1440 vom Hofmeister des Herzogs Stephan als Stadt gegründet wurde, liegt am östlichen Ufer auf einer Auhöhc. Die Stadt hat ihren Namen von der Brücke (mo3t) und alt (8tar). Diese Brücke, deren Erbauung einige dem Kaiser Trajan, andere den: Hadrian zuschreiben, und die bei einer Spaummg von 90 Fuß einen Bogen von 70 Fnß über dem Wasserspiegel hat, soll uuter dem Sultan Suleiman dein Prächtigen restaurirt worden sein, zu beiden Seiten ist sie mit Thürmen versehen. Mostars Einwohnerzahl Wird anf 19,000 geschätzt, von denen die Mehrzahl mahomedanisch ist. 3000 bekennen, sich zum gräco-orieutalischen Ritns, 500 Zum römisch-katholischen. Die Stadt besitzt 40 Moscheen und zwei griechische Kirnen. Die Hänser, ans Stein gebaut, haben wenig Holzwerk. Nach orientalischer Banart springen die Dachrinnen der ansehnlicheren Gebäude weit vor und sind die Fenster mit dem Kafes (Holzvergittcrung) versehen. Das Klima ist mild, ähnlich dem dalmatinischen; im Sommer ist die Hitze drückend und, wenn der Scirocco übcr die glühenden Steinmassen hancht, erdrückend. Von den industriellen Erzeug- — 141 — uissen der Stadt verdient namentlich die vorzügliche Ver-f^rtignug blanker Waffen erwähnt, zn Werden. Ich wnrde in dem Hause eines mahomedanischen Bey untergebracht, während die Excellenzen mit ihrem Diener-gefolgc im Konak (Gouverltetnentsgebände) llllterkunft fände». Die Eintheilung nnd Einrichtung der Häuser gleicht so ziemlich jener der türkische». Der Gebrauch des rmnelischen Teppich mit blauem Grundtou und einer ungefälligen Zeichnung ist sehr verbreitet. Der Konak ist ein geräumiger Van, nach Konstautinopolitaner Muster entworfen, aber mit einer Hinneigung zur Zwingbnrg ansgcführt. Dic Pfähle um die Manern, daranf ehedem znr Warnung die Köpfe drr Montenegriner, Haiduken oder sonstiger Attentäter aus das Bestehende aufgepflanzt waren, find mit der alten Zeit verschwunden. Von dieser guten alten Zeit wußte mir mein greiser Hauswirth, nachdem er etwas warm geworden war, noch Manches zn erzählen, nnd mancher tiefe Seufzer färbte seine Erzählungen, Die Seufzer galten wol in gleichem Maße ber Verlornen Herrlichkeit wie der entschwundenen Jugend! Hassan Aga, so hieß mein Amphitryon, hatte gegen den serbischen Schweinehnter-Fürst Milosch gefochten, da dieser als Mandatar Sultan Mahmnds mit seinen Serben die gläubigen Spahis niedergeworfen; er war später mit dem Helden Wnssein, dem Drachen von Bosnien, gegen die osma-Nischen ^Nizam ansgezogen, die sie wegen der Kreuzung der Patrontaschen- nnd Säbelriemens die „gekreuzten," d. .h. getauften nannten, nnd noch Vor einigen Jahren gegen den Scrdar Omar Pascha, der den alten Ali Pascha. Rizvan "egowisch, den letzten eingeborncn Vczier, in Ketten geworfen; viele Waren gefallen, ihn hatte das Schickfal vcr- — 142 -- schont, aber seine Burg war geschleift, seine Lehen eingezogen worden, er war mm ein gebrochener Greis, dazu verurtheilt, seine Zeit zu überleben. Er hielt starr daran fest: der Snltan werde von den Paschas getäuscht nnd wisse nichts von dem, Was Vorgehe, anders wäre es nicht möglich, daß man die Rajas anf Un^ kosten der Muselmanen begünstige. Die „Vlachs sso nennen die hiesigen Mahmnedaner die Christen vom orientalischen Ritus), die Vlachs sind jetzt übermüthig geworden/' eiferte er, ,,sie tragen breite Gürtel nnd lassen ihre Namen anf ihre Siegelringe graben. Vergangene Woche, als ich nach meinein Maierhof ritt, begegnet mir der Tabakkrämer Costa, Meinst Du, der Lümmel wäre vom Gaul abgestiegen, wie es sich geziemt, bis ich vorüber war. Nichts da, Efendi, der Kerl hat die Unverschämtheit, knapp an mir vorüber zu reiten und mich kurz zu grüßen. Wohin soll das führen? Das Unheil in Bosnien kommt daher i die türkischen Paschas haben vergessen, daß die bosnischen Spahis das Schwert des Islam waren. Was für Männer hat nnser Bodeu geboren! Der große Küprüli und die andern Großveziere Chosrew nnd Nedscheb, der Retter des Reiches, Murad Pascha, uud endlich Mehmed Sokoli sind Söhne Bosniens, dennoch hat man uns aufgeopfert. Die Najas eonspiriren mm mit den Moskoviten, Serben und Montenegrinern, und die Beys sind machtlos nnd zu Grunde gerichtet, können sich selbst nicht helfen, nnd wenn es noth thäte, auch dein Sultan in Zarigrad nicht. Von einem Hund, dem man die Zähne ausgeschlagen, kann man nicht erwartm, daß er die Hürde gegen den Wolf vertheidige." Sich und seine bosnischen Glanbensgefährten nannte er stets pravi turoi (echte Türken), im Gegensatz zu den Osmanen, die ihm als Ab- — 143 — ^ lrünnige galten, wie den meisten bosnischen Mahomcdancrn. Bosnien ist, oder war die Vcndöc des Osmaueustaates. Ich selbst habe gehört wic cin bosnisches Weib ihrem Tüchtercheu, Welches die Hand des Pascha küßte, zuraunte: ..Warum küssest Du einem Giaur die Hand?" Die Hecresfolge, welche in den früheren Zeiten auf Vosnicn entfiel, war in der That beträchtlich. Der bosnische Fcudaladcl zählte 6 Sandschak-Beys (Führer mit einer Fahne). Das Land war nach dein alten, den Persern entlehnten nnd lwn den ersten Snltanen schon in Anwendung gebrachten Lehcnssystem !in 4000 Siamets (größere) und in 14,000 Kumars (kleinere Lehen) eingetheilt. Da vou je 3000 Nspern Ertrag für jedes Lehen cin Reiter gestellt werden mußte, und ein anderer für jede folgenden 5000 Asftern, uud das ^Ulkommen mancher Siamets 60,000 Aspcru überstieg, das d" meisten Tumars aber 20,000 Usftcrn erreichte, so hattrn ^ bosnischen Lehen über 40,000 Reiter zu stellen, die fetich niemals voll, selten über die Hälfte gestellt wurden. Heute, wo das Lehenssystem gefallen ist, treten die Abkömmlinge der ehemaligen Spahis, Wenn auch widerwillig, w das regelmäßige osmamsche Heer ein.' Die Katholiken, latwoi (Lateiner) genannt, sind in der Herzegowina in verschwindender Minderzahl ansässig und leben zerstreut auf verschiedeuen Punkten, während sie die nordwestliche Spitze Bosniens, das sogenannte türkische ^waticn, in übcrwiegeuder Mehrzahl bowohnen. Vou ihren Nandsleuten vom griechischen Ritus als Ketzer getrennt und wul wissond, daß sie von deren Unduldsamkeit nur Uuter-"Uickung zu gewärtigen haben, halten sie zur osmauischcu "kgicrung, die sie übrigens bevorzugt — freilich hindert sie "s nicht hin und wieder nach Oesterreich hinüber zu schielen. — 144, — Die Frmrciscanermönche, die im 18. Jahrhundert als Missionäre gegen die Sectc der Patarener oder Bogomilen (Gottcrwählte) ins Land kamen, genießen mancherlei Be vorzugungeu, die nnter Sultan Mahlund II. in einem besonderen Ferman an das damalige Ordcnsoberhanpt, Pater Augelo Zoidowitsch, eine uene Beträftignng erhielten. Die Mönche sind Eingeborene, die in Diakowar (Oesterreich) oder in Italien ihre Studien vollenden. In der Erscheinung gleichen sie viel mehr griechischen Kaufleuten, als Ordensbrüdern des heiligen Franciscns: ihre Kopfbedecknng ist das orientalische Fez, und der soldatische Schnnrrbart schmückt ihre Oberlippe. Der Bischof Uon Bosnien sowohl, als jener von Mostar, Werden aus der Mitte der Ordensbrüder erwählt und vom Papst bestätigt. Der Sprengel von Trebinje wird vom Bischof von Nagnsa, versehen. In der Herzegowina besteht nur das katholische Kloster von Siroti Brieg, aber in jedem Pfarrsprengel erhalten die Mönche eine Kirche oder Capellc. Die Gemeinde wird gewöhnlich durch Schlagen des Hammers anf eine eiserne Scheibe zum Gottesdienst gerufen, da das seit 1839 gestattete Glockengeläute an vielen Orten, als zu aufregend für die Muselmanen, vermieden Wird. Den nächsten Freitag, als ich Nachmittags meine Wohnung betrat, fand ich meinen Hanswirth auf der Veranda, die nach den inneren Theilen des Hanses die Aussicht hatte, wo der Harem gelegen ist. Unter einem vergitterten Harem-Fenster stand ein junger Bosniate nnd sprach in lebhafter Weise zum Fenster hinein. So sonderbar mir diese gegen die osmauischc Sitte verstoßende Unterhaltuug erschien, hütete ich mich doch, darüber eine Bemerkung fallen zu lassen. — 14'> — Hassan Bey, dem nlein Erstannen nicht entgaugeu war, hub aver an: ,,Das nimmt Dich Wunder, Vfendi, daß em Fremder ill dieser Art mit jemanden ans einem Harent verkehrt. Ich weiß, eine solche Unterhaltung würde in Zarigrad (Staml'nl) als sehr unpassend angesehen, Tuch sich, bei uns „echten Türken" hat sich die Sitte des Aschiklik (Liebes-zustandes) erhalten. Unsere Weiber sind besser verhüllt und in strengerer Zucht gehalten, als die Osmaninen; in früherer Zeit war für jedes Wort, das einer mit einer fremden Fran gewechselt hatte, eine Geldbnße ansgesetzt — aber dafür gönnen wir andrerseits wieder den Mädchen wehr Luft. Am Montag und Freitag, wenn die Franen von ihren Ausflügen ins Freie zurückkehren, mag immerhin dcr Bewerber um nnsere Tochter sich mit ihr durch das Fenstergitter unterhalten. Es ist besser, er lernt sein Weib bei Zciten kennen, als daß er mit ihm erst nach der Ver-'nählung das erste Wort wechselt, wie das in Zangrad branch ist/' Die vornehmen Damen des Landes erscheinen nach Konftantinopolitaner Mode gekleidet, im allgemeinen jedoch w enganschließenden Tuchüberkleidern von dünner Farbe; außer dem Schleier verhüllt eine schwarze Maske ihr Antlitz, Von der manchmal herausfordernden Coketterie der Schönen vom .,Goldenen Horn" habe ich bei den Bos-N'erinnen nichts wahrgenommen. Ja, es soll vorgekommen sein, daß bosniakische Mädchen, bic weniger verhüllt sind als die Frauen, die fortgesetzte Beobachtung seitens Fremder dadurch erwiederten, daß sie ""ch ihnen spnckten. Am linken Ufer der Narenta, in der Gegend zwischen ^"blanitza und Seonitza, sollen die Mahomedanerinnen Alur^d Efcndi. Türkische Skizzen I. 10 — 146 — gänzlich nnvcrschleicrt erscheinen, und diese Ausnahme wird als Adct (Brauch) respcctirt. Doch es scheint an der Zeit, mich ein wenig nach meinem Chef umzusehen. Fürst Danilu hatte seinen Secretär, Herrn Delarne, der, wie schon sein Name besagt, nicht am Fnße des Durmitor oder Lootchen das Licht der Welt erblickt hatte, als seinen Bevollmächtigten nach Mostar gesandt. Die Verhandlung hatte, Wie voraussichtlich, kein auderes Endergebnis;, als das der Sprachübung und der gemeinschaftlichen Tabak- und Kaffecconsumtion, wie denn Unterhandlungen uutcr ähnlichen Auspicicu uichts weiter bezwecken köunen, als dem Gegner den Schein des Unrechts, der Herausforderung aufzubürden uud dabei doch die Vortheile des ersten Schrittes einzuheimseu. Die Diplomatie hat hier nichts zu thun, als die Einleitung zum Capitel zu ver-fasseu, welches mit dem Schwert geschrieben werden soll. Ich sollte endlich eine Note an das Obcrhanut der Czcrna-gora aufsetzeu, befaud mich aber dabei iu derselben Lagr, wie Faust bei seiner Bibelübersetzung; wir kamen nämlich über die Titulatur in der Aufschrift nicht hinweg. Ich sage hier mit Bedacht ,,wir," denn mein Chef wollte die Fürstlichkeit des Vladikcn durchaus uicht anerkennen. Uebrigens konnte es sich darum nicht ernstlich handeln, nnd Herr Dclarue zog sich eigentlich nicht nnverrichtcter Dinge zurück, da seine Scndnng offenbar keinen andern Zweck hatte, als uns das Vergnügen seiner persönlichen Bekanntschaft zn verschaffen. Fast zu gleicher Zeit brachen wir uuu Mustar auf, um dem Schauplatz künftiger Begebenheiten näher zu sein. Hussein Pascha bezog mit seinem Corps ein Lager bei Grahowo, wir, die Krieger der Feder, hatten Trebinje zum vorläufigen Aufenthalt anscrsehen. - li? -. II. Ttolac;. Trcbinje. Unser Ritt führt«,' uns vorerst in der Ebene vou Mostar längs de,n User der Narenta hin. Tic Ufer dich'-? Hanvt-^lussls der Herzegowina waren bei den Altm berühlut ^eg^n der dort häufig wachsenden Iris, die man zur Bc-tritlmq dcs Thcriat Ul'rwnidl-tc; in der Ebene gedeihen Aepfel- nnd Pflanmendäntne, deren Früchte sehr geschätzt Werden, ferner Maulbeeren, Oliven nnd endlich Reben, mls bcnen man einen schweren N»thweil«, ähnlich den dalmatinischen Weinen, preßt. Unsere Frühstüctst>itwn hies; Vnna: daß ich sie überhaupt erwähne, liegt nnr an meiner übertriebenen Gewissenhaftigkeit. Nach Zurücklegung uon sechs Neitstnnden trafen wir in Stolacz ein (Swlacz heißt Swhl.) Dai; grünende Thal von Swlacz, ein reizendem Idyll in grauem Steinrahmen, nuithcte lnich an, wie den lechzenden Gaumen ein Trunk vom frischen Quell. Es ist möglich, daß dcr Gegensatz, welcher ja die Bedingung für jeden Gennß nnd jede Schiwheit ist, den freilnd-l'chl'n Anblick der Landschaft erhöht; wie dem immer sei, "' "ahm mich damals gefangen, nnd die Erinnerung ist anch hente noch nicht aus meinem Gedächtniß ausgelöscht. Die gebirgige Herzegowina entbehrt im allgemeinen dcr pittoresken Contonren. der gesättigten Färbung; ihre spärlichen Thäler beknnden nirgends ein frisch pnlsircndes Natur-^ben, überall herrscht eiue mvuowne Kalkstein-Aufschichtung ln schmutzig weißer Farbe wr- man meint auf einem ver- 10" — 148 — wahrloftcu Friedhof der Natur zu wandeln. In der Thal-Oase vou Stolacz hatte ich zum erstenmal seit meiner An-kuuft iu der Herzegowina die Empfindung: hier ist es gut weilen, und ich kouute der Wahl der Machthaber zu Mostar nur beipflichten, die hier ihreu Sommeranfenlhalt zu nehmeu pflegten. Das Städtchen — es zählt ungefähr 8000 Einwohner — liegt in einem engen Thal an dem klar dahinrieselndeu Flüßchen Bregawa. Die mitunter recht frenndlichen Häuser, deren rohen Steilibau eine hier reichlichere Holzverwendung belebt, find von Gärten nmkränzt. Auf eiuem Felsen erhebt sich malerisch die gut erhaltene Bergveste, Mehr aber noch als die glückliche Lage, die pittoreske Zeichnuug des Hiutergruudes, der üppige Vamnwnchs, entzückte mich der Hauch von ländlichem Frieden, der über das Thal ansge-breitet lag. Behäbig gekleidete Inwohner, frisch in die Welt gnckende Kinder, trugeu dazu bei, das ansprechende, Bild zu ergänzen. Um über den ländlichen Reizen der Gegend ihre praktisch verwerthbaren Vorzüge nicht gänzlich zu vergessen, sei hier bemerkt, daß sich in der Umgebung, gleichwie nächst Mostar, Steinkohlenlager befinden. Gegell Abend hörte ich vom Fluß her singen, der Gesang bewegte sich in jenem klagenden Recitativ, das alle orientalischen Weisen kennzeichnet. Die Worte waren den Licbesliederu entlehnt, an denen die altscrbische Literatur so reich ist. Das Gebrüll und Geblöke und Meckern aus den heimkehrenden Heerden erklang als Chorbegleituug harmouisch dazu. Das Horuvieh war kleiu, gedruugen und gut genährt, die Schafe und Ziegeu hatteu reiche feine Vließe. — 149 — Unser Aufenthalt nahm mit nächstem Murgen ein Ende, und unser Nachtaufenthalt in dem vier Reitstundcn entfernten Ljnbinje, das sich mit seinen 15W Einwohnern gleichfalls nin ein altes Castell grnppirt, ließ unch das trauliche Stulaez erst recht vermissen. Den folgenden Nachmittag stiegen wir in das Thal von Trebinje hinunter, ein breites, fruchtbares Thal, welches gleichfalls zu den Oasen in der herzcgowinischen Steinwüste zählt, obschon es nirgends den spröden Grundcharakter des Bandes verlängnet und in Bezug auf landschaftlichen Reiz uicht annähernd mit Stolacz verglichen werden kann. Die Gegend ist fruchtbar, es gcdeiheu daselbst alle Fruchtgattnngen der gemäßigten Zone nnd wird der im Orient sehr beliebte Trebinjer-Tabak gccrntet. Das Städtchen Trebinje, ein schmutziges Stcinnest, von 3000 Mnselmanen bewohnt, badet seine verwitterten Manern un Flnßchen Trebintschitza. Nach slavischem Begriff ist Trebinje keine vollkommene Stadt, denn eine solche mnß "us drei Theilen bestehen, nnd zwar ans der Oberstadt oder 3chung (6raä). ans der Unterstadt, dein Gewerbs- nnd Handclsviertel (Varaz), welches Graben, Brnstwchr nnd Annen nmgeben, und endlich aus dem äußern Wohnviertel sur die niedere Bevölkerung (raianka), das mit Pallissaden umfriedet ist, Trebinje gehört zu deu Städten, welche nur l"-M sind. In der Nümerzeit war es nnter dem Namen Tribnlinm bekannt, später uuter bosnischer Oberhoheit als Hauptfitz des Mrstenthmns Terbnnia. Die Maueru wurden von Ragusa ^'baut, allwo die Fürsten von Terbunia aus der Familie ^awlowitsch »im goldenen Buche der Republik, die von den Türken Dobra Venedik (klein Venedig) genannt Wird, als — 150 - Patricier eingetragen wareu. Die Verfalleuheit der Wälle gibt Zeugniß für ihr ehrwürdiges Alter, die ruhe Arbeit läßt vermuthen, daß der ragusanischeu Uranlage von einheimischen Häuden des öftern nachgeholfen wordeu sei. Gegen Kanoncnfeucr waren sie wol niemals bestimmt gewesen. Im Jahre 1l^i<> war die Veste vom bosnischen König Tuartko gestürmt worden, hundert Jahre später, unter Sultan Mehmet dein Eroberer, vou deu Osmanen erobert uud im Jahre 1695 uum Vcnetianer Daniel Delphin vorübergehend eingenommen worden. Ich wnrde im Weich-bilde der Festuug in einem alteu Hanse, das einem der Honoratioren gehörte, untergebracht. Es lag nächst der Fähre, die den Verkehr vom Festungsthor mit dem jenseitigen Ufer vermittelt. Mit Hülfe eines Kawassen hatte mein zu Mostar au-geworbener Dieuer meine Feldeiurichtuug im oberen Stockwerk der Nuiue aufgestellt, uud ich wollte gleich nach der Mahlzeit, die beim Geueralgouverueur eiugenomine» wurde, meine Ansprüche auf Ruhe gelteud macheu; aber kaum hatte ich das Licht ausgcblaseu, als die grauen Mauern lebendig zu werden begannen — und das war eiu Knistern nud Rascheln uud Lebeu draußeu auf der Treppe, auf der Flur und im Gemach, daß ich mciute, das Hans würde von der Stelle getragen nnd die friedlosen Gespenster der früheren Besitzer bis zu deu Vasallen der Pawlowitsch hiuauf, hätten sich hier für die Nacht eiu Stclldicheiu gegebeu. Ich machte schleunigst Licht — bewegliche Schatteu dräugten sich in wilder Jagd auf dem Bodeu hiu, huschten läugs der Holz-verkleiduug der Wällde empor — ich hattc» eine Legion Rattcu zu Zimmcrgmosseu. Die ersehute Nachtruhe wurde — 1')! — bei einem halben Dntzend brennender Kerzen, zn Grabe getragen, aber, trotz der festlichen Beleuchtilng dor Stube, glotzten aus den Zahllosen Lüchern, mit denen die Dielen und Wände geschmückt waren, die spitzen Schnanzen meiner Dränger hervor, sobald ich mich nnr eine Minnte ruhig verhielt. Als ich am nächstel, Tage Gift gestrent und mir für die Nacht einen mächtigen Augora-Kater zum Stubengenossen eingeladen hatte, ging es besser: das Gift hatte offenbar gewirkt. Ich frohlockte, aber, wie, es sich bald heransstelleu sollte, zn früh. Gegen die lebendigen Bedränger hatte ich ein Mittel gefnnden, aber vor den getödteten mnßte ich eiligst mtd widerstandslos das Feld räumen, bereichert mit der Erkenntniß, wie nnrichtig der Anssprnch sei: ,Kin todter Feind riecht immer gut." Ich war gezwungen, meine Ruine zn verlassen. Gleichzeitig mit nns waren verschiedene Consuln angekommen, der franzosische nnd der rnssische, offenbar nm nns zu beobachten, der englische, um seine Collegcn zn überwachen; nnr Oesterreich, die dnrch nnsere Angelegenheiten am nächsten betheiligte Macht, war nicht ans seiner Reserve getreten nnd hatte nns auch keinen offiziellen — Wächter beigestellt. Die Consnln in den osmanischen Provinzen spielen daselbst eine bei weitem eingreifendere Rolle als irgendwo im Abendland die Gesandten, nnd jeder könnte füglich vom andern nach Shakespcare'schem Muster nnd nach Art Friedrichs Wilhelm IV. von Prenßen sagen: „Mein College Nnßlaud! Mein Frennd Frankreich!" Die Ankunft dieser Herren war nnsern Angelegenheiten entschieden uicht förderlich. Abgesehen davon, dasi der französische Consnl Hecqnard bei seinen notorischen Be- — 152 - ziehungen zum Fürsten Dauilo mid seiueu Verbindungen mit Mouten^ro, nur als deren Agent in ^mserer 3Nitte weilen konnte, nnd der damalige Consulatssecretär Ionin sseitdem nnd jetzt Geueraleunsul in 3tagusa) unmöglich das osmanische Interesse a:u Herzen haben mochte, übte die Anwesenheit dieser fremden Agenten eine moralische Wirkung ans, die das osmanische Interesse auf das tiefste schädigen, im besten Fall aber kreuzen mußte. Die dnrch Montenegro's Eiu-flüsteruugeu iusurgirteu Bezirke in der südwestlichen Herzegowina sahen darin eine Kundgebung der Mächte zu ihren Gunsten, wurden, dadurch nur noch mehr ermnthigt, lernten an ihre bisher nicht geahnte Wichtigkeit glauben und sich als enropäischeu Factor ansehen. Ihr damaliges Verweilen in unserer Mitte hat seitdem ebeu so reiche als verderbliche Früchte getragen, uud war der Beginn jeuer verschämten Iuterventionspolitik, Welche die Hand der Pforte in diesen Gegenden lahmen und sie für die durch die Intervention heraufbefchworeueu und durch die Lähmung verschärften Wirren verantwortlich macheil sollte, Welche sic gezwungen hat, sich immer wieder zn bewaffnen, um ihr, wenn sie zum Schlag ausholte, Arm und Schwert zu biudeu. Rußland erhielt für Sevastopol uud deu Pariser Frieden die erste Genugthuung, als Napoleon, zum Preis für seine Allianz mit der Türkei, ihr als Freund mindestens eben su tief gehende Schläge versetzte, wie Nußlauds Gegnerschaft. Frautreich war uach dem Pariser Frieden Rußlands thätigster Pionier im Orient. Deu Tag uach uuserer Ankuuft wurden uns flüchtige Christeu aus deu iusurgirteu Bezirken zugeführt, deueu es möglich geworden war zu eutkommeu, da sie keine Geiseln — 153 — hinter sich zurückließen. Sie sagten ans: viele von ihnen hätten nur darum mit den ältontenegrinern Gemeinschaft gemacht, weil diese sic hierzu zwängen und es au ihr Gut uud Leben ginge, wcuu sie sich weigern würden mitzuthun. Für die Insurgirung mittels Terrorismns bekanlen wir später noch verschiedene Beweise und Anzeichen, Von 8iagnsa wnrden nur deutsche Zeitungen Zugestellt, bie ich seit Konstautinopel hatte eutbehreu müsseu. Wie war ich erstanut, detaillirte Berichte über Vorfälle zu lesen, die sich in unserer nächsten Nähe zugetragen haben sollten. Da las ich die ausführliche Schildernng l'ines Gemetzels bei einem Dürfe, dnrch welches wir Uor-^'steru gekonlinen luaren, und in welchen:, da das Federvieh jetzt Gier legt, seit Wochen nicht einmal eine Henne ^schlachtet wurdeu war. In einem auderu Dürfe war Mischeu füilf Burschen eine Privatangelegenheit mittels der Fäuste ausgetragen wurden. Die Fänste stehen hierznland in eben so naher Beziehung zn den Handschars als anderswo zu den Stnhlbeinen; da lese ich ein Telegramm welches von nneni Anfstand erzählt u. s. w....... Ich bekam hier zum erstenmal Einblick in die Garküche, in welcher Sensationsnachrichten znbereitet werden und öffentliche Meinnng ge-brant wird. Die türkischen Länder sind für derlei Manipulationen ein besonders günstiges Feld. Alle Streitigkeiten nnd Excesse, die, 'wenn sie im Abend-l"ud vorfallen, in der Rubrik „kleine Nachrichten" abgethan Werden, liefern hier Stoff zu Telegrammen, politischen Korrespondenzen uud Leitartikeln. Wenn der Muselmau Mustapha mit dem Christen Georg in Streit geräth nnd ihm eine Maulschelle versetzt, so wettert die ChristeuUerfolgnng — 154 — durch die Spalteu von so und so viel Blättern, uud die orientalische Frage ist im Fluß'.! Hussein Pascha hatte, wie bereits gesagt, bei Grahowo ein Lager bezogen, während der Brigadegeneral Mhia Pascha mit drei Bataillonen und einer Gebirgsbatterie gegeu die Aufstäudischeu — meist Uskoken uud sonstiges Gesiudel — bei Niksitsch operirtc. Die Zelte für je zehn Mann aus lichtgrüner Farbe uud die, zerlegten Gebirgskauoueu werden auf Maulthiereu trausportirt, die Truppeu siud mit Opanken beschuht. Diese landesübliche Fußbekleidung besteht eiufach aus eiucr Thicrhaut, die, uach der Fußfornl geschnitten, um den Fuß gewickelt uud mittelst Niemeu um die Knöchel und Waden geschnürt wird. Der General, welcher mit dein Statthalter auf gespanntem Fuße stand, ließ aber seit seinem Abzug uach Grahowo uichts von sich hören, uud so beschloß deuu mein Chef, sich au Ort und Stelle zu begeben. Die Nachrichten vom Lager ließen nnnmehr uicht lange auf sich warten. Am zweiten Tage uach Kemal Esendi's Abreise dahin, vernahinen wir vou Kl Uhr Viorgens au ails der Ferne Kanonendonner. Bald nachher, bei strömendem Negen, traf der Com' missarius wieder bei uns in Trebiuje ein; das erste, was wir von ihm zu hüreu bekamen, war: knapp hinter ihm, nächst der Bergveste Klobnt (Hut), hälteu die Montenegriner den Pfad abgesperrt, er sei mit Noth entkommen, hinter ihm seien die Truftfteu eiugeschlosseu worden. Die Sachlage war folgende: Husseiu Pascha war iu seiuem Lager ungenügend mit Lebeusmittelu Verseheu, da ein beträchtlicher Proviauttrausport iu die Hände der Iusurgenteu gefalle" war. Nachdem er die Stnrmversuche der Mouteuegriner __ 155 ^- Wiederholt abgeschlagen, war er in Unterhandlung mit ihnen getreten. Zwischen ihm, dem schon einmal erwähnten Delarne und dem montenegrinischen Häilptling, war festgestellt worden: daß das osmauische Corps sich gegen Uebergabe des befestigten Lagers unbehelligt auf die Vcste Klobnk znrückzieheu köuue. Der ^Itückzug war begonnen, doch auf halbem Weg, inmitten einer Schlucht, dnrch einen Angriff ber Montenegriner unterbrochen worden. Das Verstummen der Kanonen zeigte das Ende des Kampfes an. Die Ankunft von vier irregulären Reitern, Eingebornen uon Trebinje, machte uus mit dem Verlauf desselben bekannt: die osmanischeu Bataillone existirten uicht mehr. Nuu kainen die Flüchtigen an, einzeln nnd in kleinen Grnppcn, init zerbrochenen Waffen nnd anch oh'ne Wehr, von Pulver geschwärzt, die Kleider iu Fetzen und vdn Blut besudelt. Ein jammervolles Bild! Nur einige leicht Verwundete waren entkommen; die anderen wareu hingeschlachtet Worden. Die Moutenegriucr hatten diesmal ihreln altel: Branch, den Verwundeten die Köpfe abznschneiden, entsagt, und ihn großentheils dahin refurmirt, daß sie denen, deren sie habhaft wurden, mit einem Schnitt des Iatagan die Oberlippe, die Nase uud ciueu Theil der Stirnhaut scal-pirteu, um diese Siegestrophäeu heimzutragen. Mir selber sind Opfer jener canuibalischen Grausamkeit bor Angen gekommen — schreckliche Zeichen für die Bestialität, die dem Ebenbilde Gottes innewohnen kann, betrübende Beweise, wie Heuchelei uud Phrase unerschüttert in der Welt herrschen. Man beansprucht für diese Stämme das Interesse Europa/s im Namen des Christenthums nnd der Knltnr! Montenegro pocht auf seine stets behanptete Unabhängigkeit, nnd dennoch, uud ungeachtet seiner seit Iahrhnnderten be- — 156 — stehenden Beziehungen zn Venedig nnd dem übrigen christlichen Abendlande, steht dieses Bollwerk griechisch slavischer Knltnr noch immer anf dent Standpnnkte der Hnrouen und anderer Wilden, Die Montenegriner, gleich den übrigen Slaven der türkischen Länder, kämpfen nicht für ihre Existenz ^ denn diese ist auch jetzt nicht bedruht — sondern sie kämpfen nin den Besitz der Macht. Gut, dagegen wäre weiter nichts zu bemerken. Das schlimme hicbei ist die Lüge, mit welcher mau diese Bestrebungen bemäntelt nnd die öffentliche Meinuug Europa's irre zu führen sucht, in-dem man den Kampf als einen Widerstand des Christenthums gegen den Islam, als eiueu Feldzug der Kultur gegen die Barbarei darstellt. Bis' jetzt haben die Slaven der Türkei kaum ein Recht erworben, im Namen der Civilisation aufzutreten nnd unter diesem Vurwand an die Sympathien des Abendlandes zu appelliren. Ihre Kulturmissiou ist zum besteu eiu uicht gauz sicherer Wechsel anf die Zukuuft. Welche Vorwürfe man anch gegen die Pfortenregierung richten mag — die Montenegriner uud ihre Stainmcsgen offen stehen gcgcuwärtig kaum über deul Niveau des Kulturzustaudes, uud gewiß nicht auf jenein des hnmanistischen Zustandes, auf dem sich der osmauische Stamm befiudet. Zufolge deu Lehren des Islam hatten die Osmanen den nnterworfenen Volksstäuunen Glanben und Nationalität gelassen. Ueberhebung, Mißachtung der Feinde nnd theil-weisc politische Gesichtspunkte hatten ihnen außerdem dieses Verfahren nahe gelegt. Mit dem Niedergang der Osmanenmacht wnrde der alte Kampf wieder aufgenommen, der brutale Kampf nm die Macht. — 15? — Dieser Kampf ist es, dor in dcu Felsen der Herzegowina ausgefochten wird! — In der Festung war große Angst nnd herzzerreißendes Wehklagen. Ueber fünfzig Männer, die als freiwillige Irre-gnläre ausgezogen waren, wurden vermißt. Dann verbreiteten sich verschiedene Gerüchte: die Montenegriner seien im Anzng — sie ständen bereits am Eingänge des Thales -— nnd Trebinje war wehrlos. Endlich, einer dcr letzten, traf Hnssein Pascha ein. Er hatte gefochten wie der letzte Soldat, und der Tod hatte ihn verschont; er war in einer ungeheuren Anfregnng. Wir hielten ihn einige Zeit für wahnsinnig. Sein blindes leichtfertiges Vertrauen ans das Wort jenes CannWalen hatte oas Unglück herbeigeführt; seine Arglosigkeit war das Verderben der Seinigen! Nnd diese dnrch einen Treubruch herbeigeführte Metzelei wird in den montenegrinischen Ms-M6Q (Heldengcsängen) als der glorreiche Sieg von Grahowo gepriesen! Es wnrde sogleich Rath gehalten, doch konnte die Berathung zn keinem Endergebniß führen. Man dürfte Trebinje auf keinen Fall verlassen, und man hatte keine Mittel es zu vertheidigen — die Verwirrung war allgemein. Da, bei Eintreten dcr Dunkelheit, traf nnerwartet von Mostar ein Nachschnb ein, drei Compagnien Schützen. Das war willkommene Hülfe in der höchsten Noth. Wir konnten also, nachdem Hnsfein Pascha seine Ver-fügnngen getroffen hatte, gegen einen Handstreich geschützt, dem Verlanf der Nacht mit eiiuger Vernhignng entgegen sehen nnd, nnsere Revolver im Bereiche der Hand, des Schlummers pflegen. Die Nacht ging ohne Störung vorüber, denn wie wir — 158 — später erfuhren, waren die Montenegriner theils vom Gemetzel erschöpft, theils schien es ihnen nicht gehener ihre Schlupfwinkel zu verlassen nnd sich anf freies Feld zn wagen. Ta wir aber mit nächstem Morgen von neuem und diesmal verbürgte Nachricht erhielten: die von Najas bewohnten Dürfer nm Trcbinje herum, uud namentlich jene auf dem Wege nach Swlacz, seien aufgestanden, und da so-uach zn befürchten stand, daß die diplomatischen Vertreter der Pfurte in den Streit des Tages hineingezogen werden könnten, fo wurde vorläufig der Anfbrnch der Mission nach österreichisch ein Gebiet, nnd zwar nach Nagusa, beschlossen. Unser Anfbruch war einer Flncht nicht unähnlich. Die Consuln hatten sich mit vorangetragenen Bannern dem Zng angeschlossen. Ich war bemüssigt gewefeu etwas zurückzubleiben, nnd als ich den Gorangezogenen nacheilte, waren sie meinem Gesichtskreise bereits entschwnnden, nnd anstatt nach Driciw zu gelangen, wo der Felsftfad beginnt der nach Tsarina an der dalmatinischen Grenze führt, hatte ich mich nach links in die Nichtnng der insurgirten Bezirke verirrt. Nach einiger Zeit ward ich angerufen. Die Gruppe, ans welcher die Nnfe kamen, war freilich in großer Entfernung, uud ich wurde ihrer blos durch die Laute gewahr. Die Leute des Landes verfügen nämlich über eineu Stimmfonds der an's Fabelhafte grenzt; sie vermögen sich auf Distanzen zn besprechen, wu man anderwärts kanm den Lant vernehmen würde. Da es mir um eine nähere Unterhaltung mit den Wegelagerern nicht zu thun war, spornte ich mein Pferd auf deu steilen Treppenpfad hinan. Flintenschüsse und Vcrwünschnngen folgten mir; ich drängte vorwärts. Sei es nnn, daß ich mein Pferd nngc- — 159 — schickt behandelte, oder ihm allzu diel zugemnthct hatte — l'5 glitt aus, stürzte zwar nicht, alier war krumm und hinkte. Es blieb mir uuu nichts übrig als abzusteigen, die Spuren abzuschnallen und mein Heil meinen Füßen anzuvertranen. Kaum aber hatte ich mich eiu Viertelstnndchen wund geklettert, den verwischten Spnren eine» Felsstcigs folgend, ^'ssen Ziel nicht klarer vor mir lag denn mein künftiger ^ebenspfad, als ich knapp uor mir hinter einem Busch einen Schatten bemerkte; die Farben, blan nnd roth, schimmerten durch das Gezweige hiudurch. Ich erfaßte meinen Revolver und blieb stehen. Meinem Anrnf antwortete zu meiner angenehmen U,eb errasch uug eine weibliche und zwar bekannte Stimme. Zwieta, eines der Mädchen die in Trebinje uuscre Aufträge nach Ragnsa vermittelt hatten, richte mit ihrem ^urb hinter jenem Busch aus. Die hübscheu Mädchen ans Brenna, einem dalmatinischen Dürfe nächst der Grenze, als deren typische Vertreterin man die hochgewachsene Zwieta in ihrer malerischen Tracht mit dein rothen Kopfbuude, dem schwarzen. Mieder Und dem blauen Rock ansehen kmmte, durchstreifeu als am-bnlante Händlerinnen lind Commissionärinnen die Gegend zwtscheu Ragnsa nnd Trebinje. Daß sie dies in der Wild-uitz c'ben so nnbehelligt unteruehnieu können wie anf der Heerstraße in abendländischen Kulturländern, scheint mir, bn dem Maugel au Sicherheitsurganen, genügend darzu-^)nn, daß der Türke nicht so wild ist. wie man es gern "unimmt. Zwieta hatte mir in. wenigen Worten anseinandergesetzt, daß die Gehöfte vor uns, anf die ich zusteuerte, von aufständischen Rajas bewohnt seien, nnd geleitete mich qner über Iclsblöcke nnd Sreiugeröll, bi5 wir nach einer mehr- — 160 — stündigen Wanderung, welche dein rüstig ansschreitenden Mädchen weniger beschwerlich zn falleil schien als mir, der ich den Glanz nnd einen Theil meiner nenen Reitstiefel an den Steinkanten nnd Hecken ließ, bei Tsarina die Grenze erreichten. Eine vortreffliche Heerstraße und der schwarzgelbe Meilenzeiger kündigten die Marken Oesterreichs an. Unter nns grünte das freundliche Thal, weiter hin dehnte sich das blane Meer, die Adria, zn deren Flnthen der flaminende Sonnenball sich majestätisch niedersenkte. Ich athmete tief auf, und volle Lebenslnst erfüllte meine Vrnst! Im nahegelegenen Dorf Brenna ward ich von Zwieta nnf das freundlichste bewirthet und blieb zn Gast in den: rebenmnrankteu Häuschen meiner Retterin. Mit nächstein Morgen wnrde mir ein Pferd beigestellt, nnd ich icaf zum Frühmahl in Nagnsa ein. Sonnt war meine erste Fahrt durch die Herzegowina, wenn auch nicht mein Aufenthalt dafelbst, zn Ende. Zulitage auf Gypern. 26 Grade Reaumur im Schatten regen eindringlich an, der sonnigen Palmenländer zu qedeuken. Glühende Bilder drängen sick) von selbst air die Sftitz'e der Feder, die sich zum Schürhaken mctamorphosirt; in, Tintenfaß brodelt und kocht es, der Streusand nimmt eine Saharafärbung an und das Papier fühlt sich nnter der Hand Wie, eine Platte ans den berüchtigten Bleidächern der Dogenstadt. Der Leser ist durch die heimathliche Hundstags-temfteratnr hinreichend vorbereitet, der Lokalfarbe, deren Wir bedürfen, auf halbem Wege entgegenzuwankeu und feme Phantasie bedarf keiner Nnfcuerung, um sich ein Stündchen Mittagsruhe au deu syrischen Gestaden zn vergegenwärtigen, Also rasch - cin Bild aus den Nachbarländern der Tropen, wo eine Salamanderhaut zur Lebensbcdingung Wird. Ein feuerspeiendes Gemälde mit Lava nnterlegt und Vom Samnmhauch getrocknet! Doch nein, vom syrischem Sommercomfort will ich erzählen. Vom syrischen Sommereomfort? Datz ist die ^luenbratioit eines ans dsälam Entsprungenen, dürfte Mancher ansrnfen, Gemach! Wie der Wintereomfort im höchsten Norden M,1 rab Efcndi' Türlische Sttzze!! 1. , 1 — 162 ,— zu Hause, ist, su ist der Südländer bedacht, sich der Nn-bequenllichkeitcn des Mittags zu erwehren. Wie, der Nordländer nn orientalischen Süden sich während der Regenzeit in den luftigen, zngrcichen Gemächern, in deren Mitte ein Mangal (Kohlenbecken) kanm die Blicke lvärmt, uubehaglich fühlt, so dürfte es einen: wohlhabenden Vyprioten während der Iulitage in Berlin, Leipzig oder gar in Stuttgart ergehen. Ich habe nämlich armo — doch gleichviel die Jahreszahl, die Epoche, da das Antlitz der Sonne eine Aureole von brennenden Streichhölzchen zu umgeben scheint, anf Cyperu zugebracht. Und wenn ich die Wahl hätte, ich Würde auch heute vorziehen, diese Epoche in Cyperu, statt in jenen Städten der gemäßigten Zone zuzubriugeu. Auf den ersten Anschein mag das, wie so manche Wahrheit paradox, klingen, zngegeben! nnd doch ist es nichtsdestoweniger beweisfähig, wie nicht jede Wahrheit. Ich bin freilich ein verbissener Frennd der Suunen-länder und des Sommers, trotz Nestor Roqueptau, der bedauert, daß man das Getreide nicht in Warmhäusern, ziehen und den Sommer nicht aus der Reihe der Jahreszeiten strcicheu kann nnd der als verstockter Boulevard-Epikuräer ausruft: ,,Das gesammte intellectuelle Leben ist durch den indiscreten Blick dieses hochmüthigeu Gestirns gestört! Was macht man im vollen Tag, wenn nicht etwa — Geschäfte — ? Wer hat Geist, Gedanken, Leidenschaften, Schönheit im vollen Tageslicht? Wer hat selbst Appetit, wenn nicht etwa die Soldaten nach einem Manöver? Nichts ist so abscheulich wie eine Sauce in der Sonue gesehen. Ihr selber, ihr Fanatiker der Soune, schätzt nur ihren Anfgang und — 163 — Niedergang, das heißt den Augenblick, wo sie noch nicht strahlt, und den Augenblick, wu sie untergeht!" Nun wol, ich bin ein Fanatiker der Sminc! Schafft sie nicht die glänzendsten Farben, die würzigsten Wohlgerüche, reift sie nicht die Herrlichsteis Früchte? — Die Schönheit, die in der Nacht bezaubert, ist ihre Schöpfung, die Leidenschaft, die in der Dämmerung flüstert, ward dnrch sie entfacht, den Geist den sie entzündet, haben die Patriarchen und Propheten, die Hellenen und Araber und die Italiener ^'offenbaret. Ist nicht selbst der süße Mondschein nur ein Abglanz ihrer Herrlichkeit? Bildet sich nicht unter ihrem Einfluß die Perle in, Meer? Wer gibt dem Puls, der unter ihreu Strahlen trag ermattet, zugleich die iuuerc Schwungkraft, wer gibt dem Weine die Gluth? Ich genoß also eine Sommerfrische in Cypern. Die Kühnheit dieser Ansdrncksfügnng will ich gerne eingestehen! Cypern ist eine fruchtbare Iufel, wie schon die zahl-lnchm Mönchsklöster, welche sich hier nnter dem Zeichen ^smans etablirt haben, hinlänglich darthun wurden. Es hat die Palmen, die Oliven uud die Erdbeben von Syrien, dm Himmel und die Heuschrecken von Egypten, die kahlen Felsen nebst etwas klassischem Boden von Griechenland und "U' Beamten und Steuereinnehmer von Stambnl, kurz, seine Physiognomie weist verwandtschaftliche Züge mit allen benachbarten Gestaden auf. Außerdem hat es seine eigenen Neben, und das ist entschieden nicht das Geringste. In vorchristlicher Zeit rauchteu daselbst die Altäre der Venus Cypris, nachdem diese die Opfersteine der phümzifchen benutz Nstarte verdrängt hatte, in christlicher Aera standen hier die Burgen und Keller der Tempelritter. Die Altäre und die Tauben der Cypräa sind verschwunden uud der — 164 — Haiti von Paphos ficht keine Mysterien mehr feiern, Fa-magusta liegt in Trümmern, die Templer sind dahingegangen; man hat sie in Paris zur Ehre Gottes und znm Nutzeu des Königs verbrannt — aber ihr Wein, die berühmte Cumanderia, hat" sich den Scchnngen des Koran zum Trutz erhalten^ Wie herrlich würde Vietor von Scheffel diese Comanderia, die in der Jugend so schwarz ist, mit dem Alter so goldig wird, besungen haben! Was würden Feldheun H Cllmp. ill Mainz, welche die Moselrebe zum flüssigen moussirenden Kunstwerk erhobeu, aus diesem öligen, fenrigcn Getränk gebildet haben? Ohne sonderliche Knltnr ist sie von Gottes Gnaden ein Schah der Weine, eine Offenbarung des Rebensaftes. — Doch lassen wir die Comanderia, sonst könnte mich am Ende die Erinnerung an sie berauschen und mein Aufsatz bräche ab. Cypern wird vom Sultan regiert, deu ein Pascha zweiten Ranges — von zwei Noßschweifen würde »nan im Hofstyl des vorigen, Iahrhnnderts geschrieben haben — nach Leibeskräften vertritt. Außerdem sind zwei Potentaten, Könige in partidu» von Cypern, nnd dann ist noch ein Herr von Lnsignan in Folge seiner Abstammnng von —-paräan! ich hätte bald eine Indiseretion begangen, Kronprätendent, als welchen ihn anch verschiedene enropäischl' Hoteliers bis znr zweiten Rechnuugsvorlage anerkennen. Man sieht, daß für das glückliche Cypern, welches nn granen Alterthum vou neun Königen beherrscht wnrdc, ausgiebig vorgesorgt ist und daß es nicht leicht in die Laa/ gewisser minder versorgter Staaten kommen kann. Aber es könnte dafür freilich auch den verwickeltstcn Punkt in der verwickelten Orientfrage abgeben. Für das geistige Wohl der orthodoxen Inselbewohner — l(>5> — sorgen vier Kircheufürsteu, deren oberster als Erzbischof keinem Patriarchen untergeordnet ist, das Prädicat,,Seliger" führt und das außerordentliche Vorrecht der purpurnen Kleidung uud der Namensunterschrift nüt Zinnobertinte genießt. Die Einwohnerschaft ist durchwegs hoher Abstammung, läßt aber aus Bescheidenheit davon durchaus nichts merken. Daß die meisten Griechen ihr Geschlecht auf einen heidnischen Gott oder mindestens auf eiucu Halbgott hinaufleiten könnten, versteht sich vou selbst. Sogar dic Maulthiertreiber der Insel leiten ihre Abstammung wenigstens von vcnctia-nischen Nobili her, die, uachdem die osmanische Eroberung dem Flügellöweu vou Sau Niarco das Erbe seiner Adop-tivtochter Catteriua Cornaro entrissen, dnn Stanlnüand entfremdet hier zurückgeblieben Waren; sie sind also blanblütig bis zum Exceß. Das von deu Griechen des Festlandes den Cyprioteu Mfgenmzte Epitheton ,,kyprische Ochsen" könnte ebeuso gut den hämischen Neid der Ersteren, als den Grad der geistigen Beschränknng der Letzteren charakterisircn. Sie liefern da-snr aus Rache uach dein Festland Baumwollenzenge, die wan lQlIi6nn«8 äs Od^prß nennt nnd Stiefel mit dickcu Holzsohleu, die sich gegeu Schlaugenbissc bewähren. Auch ^te (dseoatißdk) Feigenschuepfcr, eine Gattnng kleiner, sehr fetter Vögel, die schon zur Zeit der venctianischeu Herrschaft nls Leckerbissen gulten, werden in großen Massen eingemacht und jährlich nach dem Festland ansgeführt. Auf diesen» reizenden nnd wie ich bewiesen zu haben Nlaube, glücklichen Eilande habe ich unn mehrere Tage dcs "ach Julius Cäsar benannten Mondes zugebracht. Da der Regen ins Winterprogramm verwiesen ist. — 16« — weirn er nicht etwa gänzlich ausbleibt, wie das aus dor Zeit Kaiser Konstantin's behauptet wird, wo er volle 3tt Jahre ftaustrt haben soll, so zog ein Tag um den: andern ans dem wolkenlosen Bleihimmel herauf. Die Thaubildung hört schon mit Ende Mai auf. Es schien, daß die geborstene Erde zn Asche verkohlt werden müsse und Baun« und Kraut in Zunder aufgehen. Als mich die Rnderer, deren schweißtriefende Antlitze glänzten wie frischgebräuute Kaffeebohnen, schnaufend und keuchend zur Lauduugsstätte von Larnaka sder Haupthafen-stadt Cyperns) ruderten, mnßte ich nnwillkürlich jenes Karlschülers gedenken, welcher über seinein ersten Versversuch „Die Sonne senkte die Strahlen, die spitzen Hinab bis in des Meeres Grund — eingeschlafen war, und den der herangenommene Kollege Friedrich Schiller folgendermaßen ergänzte: Die Fische singen an zu schwitzen, O Sonne, treib' cs nicht zu bnnt. El Se'i'd Mnhameo ben Kadir, ein vornehmer Araber, War mein freundlicher Wirth. Die Verbindlichkeit des nervösen Arabers ist aktiv, wie die, des fleischigen Ottomanen passiv. Die Aufmerksamkeiten des Einen sind die des San-gninikcrs, jene des Andern die des Phlegmatikers. Während nuu die Sonne im Freien einen Znstand schuf, welcher jedem mit ihrem örtlichen Anftreteu nicht ver-tränten die Befürchtnng aufdrängelt mnßte, es hätte sich mit ihr irgend ein Unfall k. 1a knaetan wiederholt, ruhte ich in einem Gemach, Welches die Kühle einer unterseeischen Nixengrotte bot, mit welcher es anch sollst Aehnlichteiten hatte. Auf Kellerniveau erbaut, erhielt es seiu Licht durch kleine uach Nurdeu gelegene Fenster. Der Boden war mit — 167 — Kieseln mosaikartig gepflastert nud wurde oftmals besprengt. Breitblätterigc Pflanzen schmückten die Ecken des Gemaches, an welches sich ein Badekabinet in Marmor anschloß, Ein Springbrunnen und''Röhren mit fließendem Wasser, welche rings um die Wände angebracht waren, kühlten lieblich Plätschernd und rieselnd die Atmosphäre. Die Divanc waren mit feinen Strohmatten belegt. Während des Frühmahles, das meist aus kalt bereiteten Gerichten bestand, fächelten Neger nut Palmenunscheln und mit ans Rohr geflochtenen Fähnchen den Tischgenossen Kühlung zu. Ich kleidete mich in die Tracht des Landes, in weite Gewänder ans Seide und feiner Wolle, rauchte nur ans dem Nargileh (Wasserpfeife) und schlief einen großen Theil des Tages auf eiuem mit Moskitonetzen umspannten Bette, dessen Füße in Wassergefäßen standen. Diese Vorsicht war übrigens hier überflüssig, deun das gastliche Haus des El Seid Muhamed ben Kadir war frei von allen kreuchenden und hüpfeudeu Vlutsaugeru, an denen allerdings die Be-hausuugen in Cypcrn eine bedenkliche Ucbervölkcrung ausweisen, wenn anch der Hauswirth dem behutsam eintretenden Gast die Tröstung zuspricht: „Seien Sie unbesorgt, Wir haben vor Kurzem ausgefwht". — Man läßt nämlich, wenn die Zudringlichkeit der Quäleuden allzusehr übcrhaud nimmt, vor dein Haus ein Feuer anzünden nnd einer der Insassen springt hinüber und herüber, indem er einen Gesang trällert, der im Namen des heiligen Johannes die Flöhe beschwört: das nennt man hier zu Laude ,,aus-sloheu". Iu der angeführteu Weise gelang es mir vollstäudig, der verseugendcu Hitze Staud zu halteu, die auf Cypcru so — 168 — sehr lastet, daß auf den ältereil Münzen der Insel ,,dcr Luweukopf mit aufgesperrtem Rachen" sie sogar symbolisirt. Freilich genießt den Comfort in einer solchen Ansdehnung nur der Wohlhabende; der Unbemittelte nmß sich mit dem Unerträglichen abfinden, wie er eben kann. Doch das dürfte auch außerhalb Cypern hier und da vorkommen! Des Nachts nach der Hauptmahlzeit lebte ich meiner sonstigen Bestimmung und nieinen Träumereien. Da schlenderte ich am Liebsten allein den Strand entlang oder ritt ans einem der weißen Esel, auf die mein Hauswirth hielt wie ein Scheikh der Wüste anf seine Stute, landeinwärts, in die helle lenchtende Nacht hinein, nm mich am Genuß threr Schönheit zu berauschen. Und die Nacht, wenn sich vom Meer die Brise erhebt, ist so erquickend, so überwältigend schön. Wer die Wundermährcn der Einstzcit als berechtigt begreifen will, muß solche Nächte kennen. Unter diesen: goldigbestirnten Himmelsdom, der sich in weiterem Bogen wölbt, im Ranschcn dieser phusphoreszirendeu Flnth, im Odem dieser Luft ersteht ihm eine andere, ganz andere WM Die Welt der Propheten .... nnd der Gott-erkcnntniß. Mir war manchmal, als sollten mir die tiefsten Räthsel erschlossen werden, halb im wachen Traum, halb in Ahnung streifte ich an ihre Lösung, streifte nnr — denn der Zauber der Umwelt hatte mich wieder befangen — nnd ich litt fast darunter, daß ich so beschränkt sei, die mächtigen Eindrücke nicht voller fassen, nicht weiter ansempfindeu zn können. Und diese Nächte, was sind sie anders, als eine Spende der Sonne? Wo ist ihr Zauber möglich, als in.der von ihr begnadeten, geküßten Natur? Sie verhalten sich zu den Nächten jener Länder, welche sie mit ihrer flammenden Mähne uur verächtlich streift, wie der Demant — 169 — Klluh-i Nuur zu einem trüben böhinischen Glassplitter. Und ruft Ruqueplan aus: ,,Der Südeu ist apatisch, arbeitsscheu, kraftlos, anarchisch, er schafft Sklaven" — so ent-gegne ich ihm: Im Norden ist das Leben, ein Kampf, im Süden ein Traum, der Nordländer müht sich und in eist vergeblich, der geizigen Natur zu entringen, was er bedarf und zn bedürfen meint, dem Südländer gibt die verschwenderische Natur so viel und mehr, als er bedarf uud so kaun er oft in feinen Lumpeu sich als der reichere fühlen. — Und Sklaverei um Sklaverei, der eiuc ist ein Sklave der Arbeit uud seiner Bedürfnisse nnd der Andere ein Sklave durch das Fatum. — Die Freiheit für Beide mißt sich ail einer Kette — wer daran zerrt, den drückt sie wnnd. Aus Atein-Asien. Dort tan» in Himmrlsthan dein Sinn Und Gotterssebung baden, Berträumen sanft, womit uns Staub Und Wirklichkeit beladen, (Klänge anS dem Osten,) I. Ein zufriedenes Städtchen. ,,Die Kultur, die alle Welt beleckt" und deren nüchterne, zifferngekleidete Prosa die farbenschillernde, Romantik immer mehr verdrängt, hat sich a«uch auf den Orient, das Land der Scheherezade, erstreckt. Der steinbesetzte Handjar ist dem Spazierstöckchen gewichen, mit welchem die behandschuhte Rechte des kunstan-tinopolitaner Löwen tändelt- der malerische Turban dein ziegelrothen Fez, welches den regelrecht kostümirten Pforten-Effendi wie eine ambulante Flasche Bordeauxwein erscheinen macht; den faltigen kleidsamen Kaftan verdrängte der farben-schene, unbequeme Salonrock. Ja selbst dem traditionellen Tschibnk, ohne welchen der Westeuropäer sich den Ottomanen kaum vorzustellen vermag, droht in der Cigarette eine gefährliche Rivalin, Wie lange Wird es währen und die mit buuter Seide und Strohgeflecht umwundenen, mit kostbaren Vernsteinaufsätzen bc- — 171 — sackten Rohre werden nnr noch in Mnseen von einer Generation augestaunt und bekrittelt werden, die über die kolossalen kostspieligen Rauchinstrumente der Väter die hyper-klugen, praktischen Köpfe schüttelt. Dieß bezüglich der Acußerlichkeitcu. — Wo aber bleibt die gazellenängige Odaliske, deren geheimniß«oll süße Erscheinung der Fremde hinter jedem Vorhange zu wittern glaubte, wo die Rose von Schiraz? wo die secdeue Strickleiter uud die uächtige Entführung, ohne Hindernisse für ihn, mit Hiuderuissen aber für den Andern, dessen Individualität einem Romane zum Opfer fallen muß? wo endlich das nwndlichtdnftendc Abentener, dessen Held zu werden er sich bernfeit fühlte? Nnn, im Reich der Phantasie, das „nie veraltet." Auch l'in uicht zu verachtender Vortheil für Georgieriuueu und Andere. — Inzwischen stndirt die Tochter, oder sagen wir lieber Enkelin der Byrou'schen ,,Hayde" eine Etüde von Chopin, liest das „^aurnal äL8 äamo«", bestellt Toilette-grgenstände bei Madame Laure Mld verfaßt vielleicht einen ^'läuternden Nachtragartikel zur Fraucuemauzipation. Knrzunl, der alte flammende Halbmond, dessen wachende Hörner den Erdplaneten zu umklammern drohten, wird alleuthalbeu zum zahmen Gestirn formirt, polirt nnd appretirt, mu einen Platz als Geschmeide am Haupt der pnmksüchtigen Frau Europa einzunehmen. Es wird bald ein gutes Theil festeu Willen und ich möchte fast fagcu „Glück" dazu gehören, um in den besseren Ständen der ottomanischen Gesellschaft noch ein reines Stück "Orient" zu fiudeu. Hiermit soll uicht etwa gesagt seiu, der Osmauli werde Me Eigenthümlichkeiten gänzlich verlieren, welche er als — 172 — Muselman einerseits und als Kind seines Bodens andererseits besitzt und besitzen nmß, sondern nur, daß seine äußere Erscheinung, seine Lebensweise, und in Folge dessen auch sein Land, ans dein Pnnkte sind, ihrer besonderen Physiognomie theilweisc verlustig zu werden. Der moderne Welt-geift ist der Erhaltung der Individualität nicht günstig. Ich möchte fast sagen um so schlimmer, wenn, wie hier mit der Individualität nicht allein die dnrch ihre charaktervolle Eigenthümlichkeit berechtigte Erscheinung uuter der uuiformirendeu Schablone zu Gruudc gehen soll, sondern auch manche Tugend unter dem, Hanch einer fremden Weltanschauung verderben muß. Um so schlimmer, wenn der allerdings nothwendige Versuch, eiu hinsiechendes Staats-wescn zu rcgencrireu, kein audcrcs Eudergcbuiß zu Tage fördern sollte, als die Schädigung eines zwar weilig entwicklungsfähigen, aber den Einzelnen befriedigenden Lebens im Glaubeu und in Gott. Freilich, die Einbuße wird dem in Geschäften Reisenden zmn Gcwinnstc. Statt den schwerfälligen Zügen beladener Kamccle wird der Dampfwaqen den Verkehr vermitteln; statt dem Paßgänger vielleicht das Velociped benützt werden; statt der eiufachcu, aber gastlicheu Schwelle des türkischen Hauses, werden formbeflissene Hoteliers den Vorüberziehenden mit der seiner Börse gebühreudeu Aufmerksamkeit empfangen,' statt dem Anblicke eines primitiven, aber biederen Volkes, welches in dein Gast einen vom Himmel seinem Schutzo Empfohlenen, sieht, wird sich ihm iu Zukunft ein glattes Völkchen, dienstbcftrebt, verdienst- uud beutegierig bieten, wie dieß bereits in den größeren Städten und Handelsplätzen des Reiches der Fall ist. — 178 — Die Bequemlichkeit, der Comfort werden dabei gewinnen, wo der Reiz des Besonderen nothwendig zu Grnnde geht. Schon jetzt ist es nnr dein Ulema ^Schriftgelehrten) zu danken, Wenn der beturbante, bekaftantc Türke in der ^Gesellschaft" seines Landes noch einen Platz einnimmt. Vlber selbst die Lebensweise dieses Letzteren steht hente schon selten im vollkommenen Einklänge mit seinem nationalen Kleide und bietet viel mehr ein Bild der Ncbergangsepoche, als des reinen Ottomanenthums. Mir war es im Jahre 1854 vergönnt, einen Haushalt kennen zu lernen, dessen eigenthümlichen Charakter kein west-ländischer Hauch getrübt hatte und welcher, in die Zeiten Snltan Selim's zurückversetzt, vollkommen in den Rahmen seiner Nmgebnng gepaßt haben würde. Ehe ich diese Schwelle überschreite, scheint es mir, selbst auf die Gefahr der Weitlänfigkeit hin, geboten, die Landschaft für meine Gruppe zu skizziren. An der asiatischen Küste des schwarzen Meeres, welches die gerne ironisirenden Griechen die „frenndliche See" genannt hatten, obschon ihre bösartige Kantippenlauue bis zurück in die Argonantenzeit datirt, spiegeln sich die theils müadend grünen, theils wieder abstoßend felsigen Ufer des Sandjak (Regierungsbezirk) von Djanik in der so tückischen und manchmal doch wieder so lockenden Flnth, In diesem Sandjak nnd hart an der Meeresküste liegt das kleine Städtchen Unjeh. Ich habe zwar einen hohen Begriff von deutscher Bildung und Gelehrsamkeit, muthe aber doch keinem Geographen, zu, von dem Dasein des niedlichen Ortes Kenntniß zn haben, kr müßte denn als Reisender dahin verschlagen worden sein. Nichtsdestoweniger existirt dieses Städtchen, zwar wenig — l?l — berücksichtigt uun den Nachbarstädten, mit welchen es uur die spärlichen Handelsbeziehungen zeittueise in Verbindnng setzen, aber verschont von europäischeu Olncksjägern, die als Spekulanten, Unternehmer, Heilkünstler n. s. w. andere türkische Städte heimsuchen. Es ist ein unbeachteter Punkt 'im Weiten Reiche und nur jenem Machthaber dein Namen nach bekannt, welcher mit der Steuerregelnng des Sandjak betraut ist. Und Unjeh war glücklich. Es hatte ein halbes Dntzend Moscheen, wo die andächtigen Herzen Erbauung, ein Dutzend Bäder und Kaffee-hänser, wo die gläubigen Körper Ercmicknng finden konnten. Sein Bazar schien trotz einer bescheidenen Waarenauswahl den Schönen des Ortes, und die Frauen dieser (Hegend siud redlich bemüht, eine solche Bezeichnung zn rechtfertigen, Alles zu enthalten, was die Phantasie erfinden und das Herz begehren konnte. Stoffe in Seide uud Perkail, blau-weiß gewürfelte Tücher, um beim Ausgehen die verführerischen Gestalten darein zu hüllen, schwarze Nußhaarmasteu, um die lieblichen Züge zu verbergen, Hcnnah, um die rosigen Nägel dunkel-roth zn färben, seidene, Spinngeweben gleichende Hemden, gestickte Pantoffeln. Pfanenfächer, Rosenölsläschchen, Bern-steiugcschmeidc, uud endlich verschiedeue Schminken, kurz, Alles bot sich hier ihreu wählenden Blickeu, Alles, was nur immer ihre Wünsche und den Neid der Nachbarinnen zu erregen vermochte. Mau sieht, daß Unjeh Ursache hatte, mit seinen: Loose zufrieden zn sein. Von der Landseitc umschließt das Städtchen eine reich-bewaldete Hügelkette. Die Häuser stehen in ziemlich wohl- — 175 — gepflegten Gemüse- und Obstgärten, denen anch ein üppiger Blnmenflor nicht fehlt. ^inr den Behausungen des Griechenviertels, die auf dem steinigen Theil des Ufers erbaut und thcilweife in die Fluth hinausgebaut sind, fehlt die duftig grüne Umrahmnng; sie sind ancinandergepreßt wie die Reisenden eines Ver-Mügungszuges und die Physiognomie dieses Viertels hat ciwas trankhaft verkümmertes. Unbeschadet des rußigen Haupttones, herrschen daselbst die Farben graubraun und braungrau verschwommen vor. Seinen Mittelpunkt bilden, w! ärmliches Kirchlein das hin und wieder nach Weihrauch duftet, die Behansung des Popen, die oft nach Wein nnd Nne düstere Weinschenke, die immer nach Essig riecht. In einem Theile des von der Natnr versnchswcise angelegten Hafens, dessen Eingang mächtige Felsriffe bewachen und welcher bei ruhiger See den Schiffen einen nicht allzu gefährlichen Zufluchtsort bietet, hat sich eine Bucht gebildet. Diesl' beuützen die Einwohner, deren Hanptbeschäftigung der Schiffsbau ist, als Werfte. Hier werden nebst den ungedeckten Küstenfahrern anch größere Schiffe gezimmert, welche das Halbmoudbaimer nach Malta nnd wol anch bis nach üivorno nnd Genua tragen, ^ud so abgeschlossen Unjch sein Dasein fristet, so bringt es doch dieser Umstand mit sich, daß es nicht ganz ohne Knnde "ou der Außenwelt bleibt und daß ihr dieselbe beinahe noch näher steht, als den Astronomen der Trabant nnseres Pla-ucten. In den langen Winterabenden, oder aber in den schlaflosen Nächten des Rhamadan (Fastenmond), wenn die H"belu und Anekdoten Nasreddin Chodja's, dieses Aesop's der Orientalen, zum so und so dielten Male der Runde "usgctischt worden sind, erzählen die Schiffskaftitäne anch — 170 — Von dem güldenen Stambul mit seinen tausend Minareten, von den reizenden Inseln des Archipels mit ihren Orangen-Hainen, und endlich von dem fernen Frankenlande. Freilich bekommen die lauschenden Zuhörer über dasselbe eben so unrichtige Daten und Nachrichten, als der Westeuropäer gewöhnlich durch mündlich überlieferte und selbst durch den Druck verbreitete Darstellungen über das eigentliche Treiben und Leben des Orientalen zu erhalten pflegt. Der orientalische wie der europäische Reisende urtheilen meist nach den Aenßerlichkeiten vom Standpunkte ihrer eigenen Vor-urtheile. Da sie Beide durch mancherlei Nrsachen verhindert sind, in das innere Leben der betreffenden Nationen zu dringen, so bleiben ihnen jene Kreise, mit welchen sie in geschäftliche Beziehung t'ommcn, das einzige Objekt für die Bildung ihrer Ansichten. Dieser Umstand, welcher dem reifen, unbefangenen Beobachter in der Fällung eines richtigen Urtheiles schon bedentende Schwierigkeiten entgegensetzen muß, wird natürlich bei Personeil von beschränkter oder aber oberflächlicher Anschauung eine Quelle der absonderlichsten Irrthümer und Mißverständnisse. So kommt es, daft der otwinanische Seemann, welcher in den mittelländischen Seehäfen keineswegs mit der Elite der europäischen Nationen verkehrt, den Europäer als einen schmnhigen, rohe«,, betrügerischen Gesellen nnd das unvcr-schleierte Weib als den Inbegriff aller Schamlosigkeit darstellt und fest behauptet: der Franke bete das Kreuz und verschiedene Bildnisse an, nähre sich von Katzen, Ratten und Mäusen nnd sei ein von Anstand und Sittlichkeit bares Individuum. So kommt es ebenfalls, daß der Europäer den Türtel« — 177 — für einen groben, gedanken- und thätigkcitsscheueu Lüstling und die Türkin für eine nichtsthuende LuMspuppe hält. Doch, uiu auf mein freundliches Nujeh znrnckzutommen, will ich noch einmal bemerken, daß dieser Fleck Erde wenig oder gar nicht von den Neuerungen, welche sich im Lande seit vierzig Jahren vollziehen, berührt worden war. In Folge seiner Lage war er von den Segnnngen der Civilisation unberührt geblieben, und ich kann behaupten, daß er diese grausame Vernachlässigung mit echt mahomedanischer Ergebung uud selbst ohne eiuen Anflng von Vedanern ertrug. Ich habe bereits aufgezählt, was Uujeh berechtigte, den Prahlenden Titel „Stadt" anzunehmen, nnd was es zu einer solchen im orientalischen Sinne gnalifizirte. Es bleibt mir, um das Bild zn vervollständigen, nnr noch beizufügeu, was Unjeh nicht besaft. - - Unjeh hatte leinen Arzt. — Weder ein italienischer Aderlasser mit Dekret von Bologna oder Padna, noch ein moderner Hippokrat aus dem hellenischen Königreiche, welcher die Klephtenslinte mit der Lanzette — verschiedene Mittel zn gleichem Zwecke — vertanscht hätte, hatten sich hier niedergelassen, um ihre Kunst zum ewigen Wohle der leidenden Menschheit uud zur zeitlichen Pflege ihrer eigenen leidenden Taschen ansznnben, Unjeh hatte also keinen Arzt, aber gesunde Menschen nnd rüstige Greise, und die vom Todesengel Bezeichneten fanden auch ohne Beistand den Weg in's bessere Jenseits. ^ Es hatte keine Prachtbauten, aber auch keine Hungerleider, keine Fabriten, "ber auch keine Proletarier, keine Missionare, aber anch wenig Verbrecher, leine Advokaten, aber selten Prozesse, südlich keine Zeitungeu mit ,,kleinen Nachrichten" nnd ./Feuilleton", aber anch keine Selbstmorde und Skandälchen, um diese Nnbriken pikant ausznfüllen, MIIrat, (ifeiioi, Tüvtiickc Stizzc» !. 12 — 178 — Hier, wo Alles im Ganzen und Großen das nationals Gepräge trug, sollte ich das Prototyp eines vornehmen Hauses der Vergangenheit kennen lernen. II Ein Vcy von chedcm und scin Haushalt. In llnjeh war von dem verstorbenen Osinan Pascha, dem letzten der Vezicre von Trapezunt, über dessen Hanpt die berüchtigte seidene Schnnr als Damoklesschwert noch geschwebt hatte, und dein erstell, welcher sein Vizetönigthum für die minder glänzende, aber auch weniger gefährdete Präfcktenstcllnng eines Veziers der Neuzeit aufgab, ein Komik (Wohnhans) gebaut worden. Osman Pascha, uuter dessen Szepter der Sandjat von Tjanik damals stand, liebte den beschaulichen Aufenthalt ill seinen friedlichen Gefilden, wohin er sich oft znrückzog, wenn die Ränke der Derc Bcys (Gaugrafen), welche den Vrziercn das waren, was die hentigen Kammeroppositionen den Kabinetten sind, ihm das Mima Uon Trapeznnt verleideten. Der Djanik war sein Vichy, sein Gastein, sein Ems, sein Varzin, mit einem Worte die Gegend, wo er sich selbst und nicht den Geschäften lebte. Nm daselbst nur Ruhr nnd Frieden zu genießen und um in diesem Genusse nicht zerstreut zu werden, wurden nicht einmal seiue Frauen dahin mitgenommen. Iu jeden« Städtchen erinnert ein Bandenkmal all seine Vorliebe für das schattige, wohlbewässerte, jagdreiche Hügelland, sowie anch an die günstigen Vermögens-!.'erhältnisse der Satrapen jener Tage, bei welchen das — 179 — ,,Hier laßt uns Hütten bauen" in Stein und Holz Zur Geltuug kam. Das Kouak zu Unjeh, uou deu Einwohnern dos Ortes mit Selbstgefühl „Pascha Serai" (Palast des Pascha) genannt, erhebt sich auf einem das Städtchen beherrschenden Plateau. Den Garteu umgibt eine hohe Ringmauer, au welcher schöne Brunnen angebracht siud, dereu Inschriften künden: Osmau Pascha empfehle sich durch dieselben dem Angedcukeu seiner 3andsleute. Der Vruuueubau ist eiue alte Gepflogenheit ottomanischcr Würdeuträger uud der Werth solcher Denkmale bei einem Volke sehr begreiflich, wo gutes Wasser eine Hauptbedinguug der augenehmen Existenz ausmacht. Hohe Pinien uud die Dachspitzeu eiuiger Kioske überrageu die uiedrigereu Stelleu der Mauer; der Garten selbst, deu ich übrigens später zu scheu Gelegenheit bekam, gehört zum reservirteu Theile des Hauses. Das Kouak, desseu eiueu Flügel eiue Feuersbruust zerstört hatte, repräsentirt deu reinen ottomauischen Styl, Der Ausdruck Styl ist hier freilich bedenklich uud könnte uor dem Richterstuhle der Architektur, welche der otwmanischeu Ranart eiueu solchen nicht zuerkaunt hat, eine Anklage ans Ketzerei begründen. Ich werde mich deßhalb, um einer solchem Gefahr und der nicht minderen, weinen hochtraben-d"' Ausdruck sachkundig beweisen zn müssen, anszuweichen, drs Wortes „Eigenart" bedienen, obschou das unter den Nuspizieu des Ministers fm öffentlichen Bauteu Edhem Mascha herailsgegebelte Werk ,,über den ottomauischcu Vau-^)l" mich ernmthigen köuute, den Ansdrnck ,,Styl" Zu be-l)aupteu. Diese Eigeuart, welcher mau am Bosporus nur "och höchst selten und dann nnr in drohenden Nnmen be-^^net, nurd anch in den asiatischen Städteu iunuer mehr 12* — 180 — von den Bauten der Neuzeit verdrängt. Die veränderte Lebensweise steht m innigem Zusammenhange mit dein Umschwünge in der Bauart, nnd der letztere vollzieht sich um so rascher, als, mit Ausnahme der Moscheen, Haue, Bäder und Bibliotheken, die meisten Gebäude, und sollten sie noch so stattlich aussehen, im Grunde nur für zwei Generationen Dauerhaftigkeit haben. Der Ottomane, welcher keinen Familiennamen gebrancht, wcil ihm das Bewußtsein, der großen Gemeinschaft anzugehören, genügt, bant für sich und seine Kinder. Er überläßt es seinen späteren Nachkommen, sich nach ihren Verhältnissen, die von Gottes Rathschluß abhängen, zu behausen. Nächst diesem Motive, Welches der religiösen Anschauung sowohl, als der allgemeinen Denkweise des Ottomanen entspricht, dürfte auch das System der Vaknfs (Moscheengütcr) beigetragen haben, den Erbauern kein besonderes Angenmerk ans die Danerhaftigkeil der Wohnhänser richten, zn lassen. In früherer Zeit, als die Sittendekadenz eintrat, das heißt in jener Epoche, als die Eroberer anfingen, sich byzantinische Gebräuche und Ncgiernngsprinzipien anzneignen, kamen auch die Güterkonfiskatiunen als Folge der Todesurtheile, oder vielmehr als geheimer Beweggrund zu denselben in die Mode. Uni nun das Haupt weuigstcns gegen die vvn dieser Seite drohende Gefahr zu sicheru, beeilten sich die Besitzenden, ihr liegendes Vermögen den unantastbaren Moscheen zn verschreiben. Sie selbst, nebst ihren direkten Erben, erhielten nun ihr Bcsitzthnm von diesen Moscheen zu Lehen uud entrichteten denselben eine unbedeutende Abgabe. Beim Absterben der direkten Nachkommen jedoch fiel das Besitzthum dem Vakuf (Muscheenfond) hei'"' — 161 — Welcher es dann nach Belieben veräußerte. Es ist nun augenscheinlich, daß dieser Unistand das Interesse der Besitz^- an drin Bestände ihrer Häuser, worin sic sich in gewisser Beziehung mehr als lebenslängliche Miether, denn als Eigenthümer betrachteten, schwächen mnßtc. Die mit pilzartiger Schnelligkeit allerorts einstehenden Neubauten, welchen anßer der erwähnten Ursache auch häusige Feucrsbrünste das Terrain öffnen, unterscheiden sich Uon europäischen Häusern besonders durch Zweierlei: durch die Vielfeustrigkeit, welche die leichten, aus Latten konstruir-^n, äußerlich angeworfenen uud mit Kalt übertünchten Wände als einfache Fenstermnrahnmngcn erscheinen läßt, und ferner durch die Muscharabi6 (Holzgitter), welche die Neuster der einen uud zwar heiligen Hälfte des Hauses ss^gen Nachbarblicke schützen und verküuden, daß diese Näume, ^on der weiblichen Familie des Bewohners eingenommen seien. Es bildet das eigentliche ,,Hausiuncre," im Gegen-!cch zu der anderen Hälfte ,,Selamlik" genannt, Nw die Gäste empfangen nnd beherbergt Werden, wo der Hansherr öl'r Oeffentlichkeit lebt nnd wo die männliche Dienerschaft untergebracht ist. Das Konak von Unjeh vertritt, wie ich bereits erwähnt habe, die nationale Eigenart mit skrupulöser Geuauigkeit und sieht, trotz seines etwas hinfälligen Zustandes, welcher prognostizircu läßt, daß es bald der entschwuudenen Glanz-^'puchc folgen werde, mit der Geringschätzung eines ahncn-!"'lM, wenn auch schäbigen Hidalgo auf die geschniegelten, l'ugbrüstigeu Emporkömmlinge der Nenzeit herab. Der weite ^latz, den der mächtige Bau eiuuimmt, gibt Zeugniß, daß keinerlei knauserige Rücksichten die Raumverhältnisse bcein-"ußt habeu. Die ricsigeu Veranden, die sich in voller Frei- — 182 — heit dehnenden Gänge sprechen allem Oeconomiezlvange, welchem man in europäischen und ucutürkifcheu Bauten begegnet, offen Hohn, ,,Naum für Alle, hat die Erde/' könnte als Devise auf dein Frontispiz des langgestreckten Gebäudes angebracht sein, wohlverstanden mit dem Nachsatz: „für die Mächtigen der Erde", So aber ist in blumenhaft verschlungenen Charakteren nicht etwa die Verdolmetschung des Schiller'fcheu Verses, sondern der obligate, ans keinem Hanse eines „Gläubigen nach dem Herrn" fehleude arabische Spruch, worin Gott gepriesen und gelobt wird, über dem riesigen Thore angebracht. Das Erdgeschoß ist aus Stein, das dieses überragende und von einein gleichfalls vorspringenden Dache gedeckte obere Stockwerk aus Holz, Die Fenster sind klein, aber doppelt, und zwar übereinander stehend. Die Läden der unteren Fenster öffnen sich durch Spreizung nach oben uud unten; die oberen Fenster, deren Scheiben stückweise m Blei gefaßt sind, wie man es in Deutschland bei mittelalterlichen Bauten findet, sind nicht znm Oeffnen eingerichtet, und erhellen die Gemächer, wenn bei schlechtem Wetter die Lädeil der unteren geschlossen sind. In den geränmigen Gemächern, deren Decken mit plumpem Schnitzwertc, greller Farbenauflage und bereits erröthender Vergoldung geziert sind, während die Wände jedes Schmuckes eutbehreu, fällt uichts ill's Auge, als allenfalls die massiven Kamine. Zu beiden Seiten der uischenartig ausgetäfelten Thüren sind die landesüblichen Wandschränke in der Wandverkleiduug angebracht, deren, Flügel gleich jenen der Thüren fchüchterne Spureu von Vergoldung tragen und die gemalten Blumenguirlanden, die einzige Nachbildung, die dem Muselmane gestattet ist, mnrahmeu. Auf der Höhe einer Stufe erhebt sich estradeuartig der mit feinen Rohrmatten bedeckte Estrich, — 163 — welcher im Winter eine Bekleidung von smyrniotischen und, kurdischen Teppichen erhält. Der Raum zwischen Thüre und Stufe dient dazu, nm die Beschuhung abzulegen, da man das äußerst reinliche Parquet eiues orientalischen Hauses eben so weuig mit den Straßenschuhen betritt, als ein Europäer bedeckten Hauptes in einem Salon erscheineil würde. Deshalb tragen auch Personen der gebildeteu Stände eine doppelte Beschuhung. — Rings nm die Gemächer laufen, als deren einzige Möblirung, niedere Divaue. Doch dürfte es an der Zeit sein, mich endlich mit der Hanptperson meines Bildes, nämlich mit dem gegenwärtigen Eigenthümer dieses Konaks zu befassen. Derselbe hieß Suleyman Bey und war der älteste Sohu des verstorbenen Veziers Osman Pascha. Seine noch lebende Mutter, welche Suleyman Bey, eingedenk des Koranverses: „N chßnktün täodt ui ekäam umm^liit!" (die Glückseligkeit des Eden liegt nnter dem Fuße dciuer ZNntter) abgöttisch verehrte, stammte aus Abasten (Kaukasns) uud war als Sklaviu seinem Vater verkanft worden. Die Wuttcrwürdc hatte sie frei geinacht nnd ihr den Rang einer ,,Kadin" (Frau) gegebeu. Das Wiegenlied, welches die Daja (Kindsfran) dem kleineu Suleyman Bey gesungen, mochte seinem Ohr die alten Melodieen tief eingeprägt haben, denn nMhrend st^ue lungeren Brüder nach Konstantinopel, ,,dem Thore der Glückseligkeit", übersiedelt waren uud sich dort rückhaltos dem Nanncr der Reform angeschlossen hatten, konnte er durch nichts bewogen werden, den heimathlichen Boden zu verlassen. Er wußte wol, daß iu seinem Lande der Staatsdienst die alleinige Quelle alles Ansehens uud Einflusses sei, aber er war nicht ehrgeizig genng, um seine Nnhe einer — 184 — Laufbahn zu opfern, die ihn, bei zweifelhaftem Erfolge sichere Unbequemlichkeiten in Aussicht stellte, nnd war zn gläubig, um der neuen Richtnng Zugeständnisse zu inachen, die mit seinen Ueberzeugungen in Widerspruch standen, Uebrigens genügten die letzten Strahlen des Prästiginms, welches ihn in einem Orte unigab, wo meist Diener oder Verpflichtete seines Vaters wohnten, seiner Ehrbegier- er war daselbst auch ohne Amt nnd Ferman der Erste. Was sollte ihm also Rom, wo er doch kaum der Zweite geworden wäre? Suleymau Bey befaud sich damals in dem Alter, welches die zweite Lebensepoche des Mannes schließt, d. h. in der Mitte der dreißiger Jahre. Seiner hohen, herkulischen Gestalt fehlte das gewisse Embonpoint nicht, das den vornehmen Ottomanen kennzeichnet, während es in den niederen Schichten des Volkes, welches vorwiegend sehnige uud mit einer erstaunlichen Mnsteltraft begabte Individuen aufweist, fast gar uicht zn finden ist. Ein weißer Musselinturban flocht sich um den glattrasirten. edlen Kopf, dessen Gcsichts-züge die Familienähnlichkeit des ganzen ottomanischen Stammes zeigten: das mandelförmig gefchnittene Ange mit dein träumerischen Blick, die leicht gebogene, scharf vortretende Nase nnd den dunklen Vollbart, welchen bereits Silbcrfäden durchzogen. Ein farbig gestreiftes Entarie (Unterkleid) von Brnssascidc, nm die Hüften vou einem kostbaren Shawl, wie ihn dic Träume einer Modedame uicht farbeureicher und schmiegsamer weben können, umschlusseu, eiu Sommerpelz aus AtlaS mit zarter Verbrämung, weite Merino'hoseu und lichtgelbe, über die Knöchel rcicheudc Halbstiefeletten bildeten seine Hausklciduug, welche ein prachtvoller Smaragd am kleinen Finger nnd sein Rosenkranz ans wohlriechendem Holze, wie er dem Vornehmen nicht fehlen darf, ergänzte. — 185 ^. Als mich mein Freund Emin Efendi, desseil Vater Hasnadar (Schatzineister) in Osmau Pascha's Diensten gewesen war, bei Snleyman Bey einführte, War derselbe eben daran, mit seinem Kammerdiener Ibrahim Agha eine Partie — Tlwta zu spielen. Der Familienglied gewordene, im Hause ergraute Diener, den man in Europa fast nur noch auf der Bühne, uud selbst da uur in älteren Stücken zu sehen bekommt, ist im Oriente eine noch Ziemlich allgemeine Erscheinung. Wenn der Diener auch jetzt nicht mehr so leicht wie ehedem in den Staatsdienst übertritt, um seinem früheren Herrn, wenn das Kiftlnut (Fatum) es will, als im Range Gleichgestellter, wo nicht Vorgesetzter zu begegnen, wenn er jetzt auch seltener Eidam seines Dieustgebers wird, so wahrt ihm doch die religiöse uud soziale Auschauuugsweise der ottomauischen Gesellschaft eine ganz achtbare und der Menschenwürde entsprechende Stellung im Hanse. Auch die Reform hat nicht 0ersucht, ihn in die Pariastellnng des europäischen, ^akais zn verbannen. Die Dienerschaft Suleymau Bey's zerfiel, wie die an-dercr vornehmer Hänser dritten Ranges, nur in zwei Kategorien: die erste repräsentirt den Dienst, die andere verrichtet ihu. In die erstere zählen der Vekil Hardj (Kellermeister), welcher dem Dcpartemcut der Erfrischungen vorsteht; der Kaftau Aghassi (Kammerdiener); der Kawedji (Kaffeeschenke); der Imrakhor (Stallmeister); der Tschibou-k»ju (Pfeifenbewahrer), das heißt alle weuigcr anstrengenden "ls einträglichen Dienstleistungen, nnd der Harem Aghassi (Haremdiener), welcher äthiopischen Ursprungs nnd neutraleu ^'schlechtes ist. Diese unförmlichen Gestalten, die durch eine krankhafte Aufgedunsenheit bei stclzenartig dünnen Beineu, — 1,86 — durch don Bartinangel und die hello Sopranstimme gekennzeichnet sind, und welche Byzanz den Ottotnanen vererbt hat, werden immer seltener nnd sind glücklicherweise in der heutigen Türkei auf den Aussterbeetat gesetzt. In die zweite Kategorie fallen die eigentlichen Arbeiter, als da sind Hansund Stallknechte, Gärtner u, s. W. Ehe ich die Liste der Dienerschaft, welche gleich dem Herrn in dir nationale Tracht gekleidet war, schließe, mnß ich noch einer Erscheinung erwähnen, die in den letzteren Jahren audcrswu aus der Mode gekommen ist. Es war dies ein Zwerg, welchen der Bey von seinem Vater überkommen hatte und welcher sich vollen Hofnarrenrechtes erfreute. Seine Späße waren platt und zotig, aber die allgemeine Nebereinkunft wollte sie drollig finden, nnd es blieb dabei. Er besaß, wie alle von der Natur Vernachlässigten, bei den milddenkenden Mnselmanen einen Freibrief für alle Zudringlichkeiten. Ibrahim Agha nun, welcher im Spiele den Widerpart seines Herrn abgab, war Cirkassier und von unbe-kannten Eltern. Er war in seiner Kindheit als Sklave m> Osman Pascha verkanft worden nnd dieser hatte ihn nach bestehendem Branche mit seinen eigenen Söhnen erziehen lassen, um ihn später dem Aeltesten als Begleiter nnd Diener beizugeben. Snleyman Bey hatte ihn endlich frei gemacht nnd ihm nebst einem Häuschen die Mittel gegeben, sich einen eigenen Hausstand zu gründen. Es ist dies nur ein Beispiel der gewöhnlichen Art, wie der Türke seinen Sklaven gegenüber zn verfahren pflegte, denn die Bezeichnung „Sklave" entspricht gar nicht dem Sinne, welchen man in Gnropa diesem Worte beizulegen pflegt. Der Sklave war stets eine Art Adoptivkind des vornehmen Ottomanen. Er — 187 — erfreute sich eiuer wohlwollenden, freundlichen Behandlung, wurde nach einer gewissen Frist immer freigesprochen und versorgt, ja gelangte nicht selten zu den höchsten Aemtern nnd Würden. Ibrahim Ngha, Kammerdiener nnd Vertrauter Snley-man Bey's, hielt sich in seiner Stellnng für einen bedeutenden Mann, nnd die Einwohner von Unjch behandelten ihn als solchen. Er war zufrieden, insoweit es ein Sterblicher nur immer zu sein vermag. Wir fanden ihn, seinem Herrn gegenüber kauernd, benn eifrigsten Würfelgeklappcr des Tavla. Tavla, ein Spiel, welches man in Dentschland harmlos „Hans Pnff" oder ,,langen Pnff" nennt, ist die beliebteste Untcrhaltuug des Orieutaleu. Das Schachspiel, welches er ebenfalls mit Vorliebe pflegt nnd mit großer Virtuosität spielt, nimmt den zweiten Rang ein. Was aber das Whist dem diplomatischen Salon, das Domino dein französischen Cafe nnd das Billard den Offizierkasinos aller Länder, das ist in weiterer Verbrcituug uoch das TaUlaspiel dem Ottomanen. Man findet das Tavla-brett in jedem Hause; wo es fehlt, fängt die Hütte an. Das Geinach, in welchem Snleyman Bey uns empfing, war den übrigen bereits beschriebeneu Räumlichkeiten ähnlich, nnr etwas kleiner, und verrieth durch eiuige Details, baß es vorzugsweise bewohnt werde. An den Wänden waren mehrere Rahmen aufgehängt, Welche in Goldlettern anf grünem Oruudc Koransprüche und Vrrse aus dem türkischen, durch mehr als zweitausend Dichter vertretenen Divan enthielten. Einige antike Bogen, deren sich der Hausherr zu gymnastischen Nebnngeu uud znr Stärkung des Armgelenkcs bediente, waren panoplieartig — 188 — angebracht, und ein prachtvoller vcnetianischer Spiegel mit Glasrahmen, vervollständigte den ausuahinsweiseu Schmuck der Wände. Das rings um das Gemach laufende niedere Sopha war mit kirschrothem, goldgestickten Tuche überzogen, und die harteu länglicheu Rückenpolster desselben mit erhoben gepreßten Sammet von Skutari. In einer Ecke des Sophas, welche dnrch ein quadratfürnliges Sitzkisseu als Platz des Hausherrn gekennzeichnet war und über das sich das Fell eiucs Königstigers breitete, stand die Schrcibzcug-kassette mit den vieleu Schalen, Nohrfedern und Messerchen, auf deren Pflege die Ottomanen eine große Sorgfalt verwenden, so zwar, daß alle Veziere ehemals einen eigenen Offizier mit dem Amte eines Dintenzcugbewahrcrs (Divit^r) betranten. Diese Kassette war hier mit Schildkrot, Elfenbein, Perlmutter ausgelegt und eine jener kunstvollen Arbeiten, in welchen die Türken Meister sind, Daneben lageu ciuige Tabaksdoseu uud Bücher in Fntteraleir aus Shawlstuffen; daß darnntcr der mit allein Anfwande der Kalligraphie geschriebene nnd ausgestattete Korau uicht fehlte, ist selbstverständlich. An einem Ende des Sophas lagen mehrere Scdjades (Betttcftpiche) aus Filz uud mit Tuchflecken, Seide und Gold kunstvoll gestickt. Der Kamin, in der Form den altvlämischcu Kamiuen ähnlich, war mit den originell gezeichneten Fayenceplatten orientalischer Faktur reich ausgestattet. Tische, Stühle uud andere Geräthe, welche sich in neutürtischen Häusern bereits eingebürgert habcu, fehlten gänzlich. Suleyman Bey empfing uus mit jener Würde, mit jenem Ernste, welcher das Hauptmerkmal der ottomanischen Gcutry ist uud, wenn auch in rauherer Form, felbst den Mann des Volkes kennzeichnet. Diese Reserve bildet, nebst — 189 — der Selbstbeherrschung, das Gruuddugma der ottomanischen Erziehung welche jede Hast, jede Heftigkeit und jeden Gefühlsausbruch als unmännlich und Pöbelhaft betrachtet. Die Haltung des Ottomanen bekundet eine, immer? währende Achtung vor sich selber. Er begreift nicht, dasi man sich ärgerlich zeigt, die Beweglichkeit des Abendländers gilt ihm als Unbildung, seine Lebhaftigkeiten dünken ihn verletzend. Mit Behutsamkeit nähert er sich unserer Person, ruhig und diskret unserem Gedanken, er hat einschmeichelnde Biegungen, er gebraucht zarte Umschreibungen und läßt die intimen Fragen nnter dein Schleier. Wahrhafte Höflichkeit ist bei ihm allgemeiner als im Abendland. Der gesellschaftliche Ton im Orient trägt stets den Stempel uatürlichen Taktes uud vollendeter, wenn anch etwas abgezirkelter Höflichkeit. Die Bande intimster Freundschaft, ja selbst die der Familie schließen die Beobachtung strenger Konveuienzformen uicht aus. Alles ist geregelt, die Schritte des Eutgegen-gehens beim Willkomm, die der Begleitung beim Entfernen. Bei diefer letzteren Ceremonie, wo der Gast den Amphy-tryon verhindern will, ihn über die Schwelle zu begleiten, der Hansherr aber es sich durchans uicht uchmen läßt, eklatant zu beweisen, wie sehr er die Ehre des Besuches zu würdigen wisse, kommt es manchmal zn einem förmlichen Turnier, zu einer Balgerei von Artigkeiten. Suleyman Vey empfing uns, ohne jedoch fein Spiel zu unterbrechen, was nur einem vollständig Gleichgestellten gegenüber stattgehaot hätte, nnd lnd nns ein, jene Sitze kinznnehmen, welche uns nach nnserer gesellschaftlichen Stellung zukamen. Er begrüßte nns hierauf mit dem üblichen Zeichen und wir erwiderten den Gruß. — Selbst bei ganz Gleichgestellten ist es höflich, den Gruß abzuwarten, da im — 190 — Orient der Hühergcstelltc grüßt, der Andere aber dankt. DaS gebräuchliche „in die Hände klatschen", welches den Dienern sonst als Zeichen dient, den unvermeidlichen Kaffee uud bei einem gewisseil Range anch die Pfeifen zu, bringen, unterblieb, da wir uns noch im Nhamadau (Fasteumonat) befanden, welcher diesmal auf deu Mai siel. Als das Spiel beeudet war, wandte sich Snleyman Bey zu nns, um seinen Hausherrnpflichteu uachzilkommen. Er erkuudigte sich bei mir eingehend über Uerschiedene Vorgänge iu Koustantinopel welches ich nnläugst Uerlassen hatte, und legte bei dieser Gelegenheit jene Schärfe des Urtheils au den Tag, welche man oft bei Orientalen wahrnimmt, wenn sie felbst Dinge besprechen, die ihrem Gesichtskreise ferne liegen. Nur über gewisse, Fragen zeigte sich seine Anschauung an den Horizont von Unjeh gebnndcn. Er erkannte einen Theil der Gebrechen, au welchen das ottomanische Staatswesen nud die Verwaltung leiden, er erkannte, auch die Nothwendigkeit eingreifender Reformen, nur suchte er den Weg zn ihnen in dem Korau, welcher ja den Fortschritt auf alleu Gebieten anempfiehlt, die Verpflanzung fremder Einrichtungen auf das heimische Terrain, die Umgcstaltuug des osmanischen Wesens, betrachtete er aber als unheilvoll für Laud uud Volk, die doch einmal muselmauisch uud mehr asiatisch als europäisch wäreu. „Allah, der Falken schnf," sagte er, ,,wnßte gut, warum er's gethan. Wenn man dem Falken die Flügel abschneidet, wird er dadurch etwa eiue Katze? Nein, sondern nur ein verkrüppelter, uunützer Vugelrumpf. — Weshalb soll der Falke uicht bleiben, was er ist uud wie er ist?" Hieriu war ihm schwer zn widersprechen. Denn der Ein-wnrf, daß die Gemeinschaft der gesitteten Hanskater keinen — 191 - Falken in ihrem Kreise dulden wolle, nnd daß der Falke sich ihrem Gesetz fügen müsse, da er alt nnd hinfällig geworden sei, hätte die Debatte doch zn keinem befriedigenden Abschlnß geführt. Snleyman Bey war kein Fanatiker im enropäischen Sinne; er war streng gläubig nnd eben darnm tolerant ^gcn den Glauben oder Nichtglaubeu Anderer, so lange derselbe nicht uffensiv gegen seine Heiligthümer auftrat. Die Glaubenseifcrnng nnd Proselytensncht, die man in manchen christlichen Knlten wahrnimmt, war ihm fremd, Und das leküm üinMlüm vo Iß^ääin seuer Glaube ist ein klaube nnd der meine ist ein Glanbe) des Propheten diente 'hin znr Richtschnur, wie dies bei der Mehrzahl des Volkes der Fall ist. Wir unterhielten uns sodann über persische Poesie, mit Welche- ich mich damals stark beschäftigte, Auch anf diefem 3elde schieden sich unsere Ansichten anf eben so bieten Punk-tm, als sie sich anf anderen vereinigten. Die Metapher und die Hyperbel, fowie die Formspielerei fanden in ihm einen enthusiastischen Verehrer, Der Vergleich eines von Liebesgram Verzehrten mit,,dem Schatten der Wimper einer Ameise", welchen irgend ein persischer Dichter als Schtnß-uMmn zn einem Ghazel verwendet, war sehr nach' seinem ^'schnacke. Mir bewies er blos, daß die morgenländischen werther es auch ohne blanen Frack weiter gebracht haben, als die abendländifchen. So nahte die Stunde, wo das Fasten uud Gähuen des Tages den, Tafeln uud Wachen der Nacht weichen sollte. ' Die Diener brachten nnterdesfen die großen, runden ^l'ssiugplatten, anf welchen gespeist wird, nnd stellten sie "uf dir einen Schuh hohen Gestelle, Anf diefen Platten — 192 — lagen so viele Arodstücke, als man ungefähr Tischgenossen vermuthete, mit je doppelteil Löffeln: Ebenholzlöffeln für alle Speisen, welche nicht mit den Fingern 'gegessen werden können, Hornlöffeln für Sorbets nnd flüssige Süßigkeiten. Anf den Platten befanden sich ferner Tellerchen aus altsächsischem Porzellan nnd aus antikem Krystall, mit Caviar, Oliven, Käfe und Confitüren belegt, nnd inmitten derselben Lederaufsätze, um in Reihenfolge die Schüsseln zu empfangen, ans welchen gemeinschaftlich gegessen wird, — Wasser Wird während des Mahles nach Bedarf in großen Schalen servirt. Die Gerichte bei türkischen Mahlen sind eben so zahlreich als einfach: Hammelfleisch in verschiedener Zuberei-tuug, schmackhafte Gemüse Artischocken und Badlitschau kalt nnd mit Oel zugerichtet), das sogenannte Tscherkessen-chnhu mit einer Brühe ans Nüssen und Pfeffer, die berühmte Bürök (Pastete mit Käse gefüllt), sehr pikante Süßigkeiten, in welchen Honig einerseits und Büffelmilch anderseits die Hauptrolle spieleu, Compote und schließlich das unausbleibliche Pilaf. Dieses Pilaf, welches bei keinem türkischen Tische fehlen darf und welches der orientalische lüorüon dlou so unnachahmlich zn bereiten versteht, dieses Pilaf mit fein gewürfeltem Hammelfleisch und mit Pistazien gewürzt, wäre, wenn der Türke eine Mythologie besäße, das „Ambrosia" seiner Götter geworden. Die Gerichte werden rasch aufgetragen uud abgetragen, wie alle Vorrichtungen bei den Osmaueu ftiuk und ohne Nmstände von Statten gehen. In sein ein Lebensgenuß und in seinen Entschließungen scheint dieses Volk gar keinen Ve-griff von der Zeit zu haben, iu seiuen Anstalten und Hand-thierungen scheint es immer ans der Wanderschaft begriffen __ 193 — Dio voll fünfzehn Ellen lange, gemeinschaftliche Serviette wurde rings um je eine der Platten gebreitet, die Becken und Kannen, einige aus Silber, die anderen ans Messing, mit den wohlriechenden Seifen, zum Behnfe der üblichen Waschungen vor und nach dem Mahle wurden in das Gemach gebracht uud die massiven Leuchter, jenen ähnlich, Welche in christlichen Kirchen gebraucht werden, inmitten desselben auf den Boden gestellt. Nach nnd nach langten einige Gäste an und ließen sich nach stummem Griche ernst und gravitätisch nieder. Wenn ich sage Gäste, so sind darunter nicht etwa Geladene zu verstehen, denn besondere Eiuladuugen haben hier zu Lande Wo jedes Haus, und besonders das eines Vornehmen, immer geöffnet ist. selten oder gar nicht statt. Gott hat dein Reichen Gut und Geld gegcbeu, damit er sie für den Glanz seines Hanfes, für die Bewirthnng seiner Nebemncnschen und zum Wohle der Dürftigen verwende. In solcher Art verursacht der Tisch, trotz eiuer fabelhaften Billigkeit der Lebensrnittel, eine bedentendc Auslage. Vom Harem abgesehen wird im^Selamlil gewöhnlich an vier bis fünf Tischen servirt. Der Umstand, daß das Maß bcr Speisen bei der nngewissen Zahl der Gäste nur annähernd bemessen werden kann, macht die Kontrole änßerst schwierig. Sie wird von der Fran nnr halb, vom Hausherrn aber gar nicht geübt. So kam es anch, daß Suley-Man Bey, welcher ein Einkommen von 200,000 Piastern ""ssefähr 44,000 Franken hatte, bei sonst mäßigen Bedürfnissen kaum im Stande war, ein chronisches Defizit in sei-Ukln Iahresbudget zn vermeiden. Er hatte seine männlichen Diener auf die bescheidene Zahl voll sechzehn Köpfen, seinen Stall auf zehn Pferde beschränkt, ja für seine Jagd- N >, rad Efcndi, Türkische SliMN I, IA — 194 — falten hielt er blos ein einziges Individuum. Er machte nur selten Geschenke in Fohlen, Pclzeu und Dosen, und dennoch war es ihm nicht möglich, der „großmächtlichm Finanzlage" zu entgehen. Der größere Theil seine? ererbten Vermögens bestand nach Landesbrauch in Realitäten: einein Landgute in der Nähe Uujehs, welched er verpachtet hatte, einem Iian und einem Bade in der benachbarten Handelsstadt Samsun. Die Ha.no und die Bäder werden von reichen Türken mit Vorliebe zur Kapitalsanlage benutzt. Das Er-träguiß dieser Objekte uebst den Zinsen des baaren Geldes, welches der armenische Sarraf (Geldwechsler) verwaltete, genügte nnn nicht, um das Erfordernis; des Haushaltes zu decken. Die Quellen, welche in der ,,guten alten Zeit" den Beutel gefüllt hätten, waren für immer versiegt, zur Benützung der nenen war Suleyman Bey nicht erzogen worden. Als später, nachdem wir Freitilde geworden waren, auch diese Angelegenheit zur Sprache kam, antwortete er mir nngefähr wie jener französische König: ,,^,prö8 nwi !s Er hatte überflüssige Juwelen^ deren Veräußerung die Bilauz zwischen Einnahmen und Anslagen während der Dauer seines Lebens, und sollte er Methusalem's Alter erreichen, herstellen konnte. Daß seine Leute die verschiedenen Rechnungen zu ihrem Vortheile zu handhaben wußteil, war ihm bekannt, doch hielt er es nicht vereinbar mit seiner Würde, sich einzumengen, so lauge die Sache diskret betrieben und er gut bedient würde. Sollte es ihm geschehen, wie es bei seinem Vater vorgekommen sei, so würde er schon Ordnung zu machen wissen. — 195 — Derselbe, erzählte er mir. hätte eines Tages zufällig die Nechunngeu des Stallmeisters durchgesehen und darin einen beträchtlichen Pasten für Behttfung der Kamcele ge-fnnden. welcher, wie es sich herausstellte, seit Jahren in denselben angeführt war, Anf die Frage, wie es käme, daft Ka-meele behnft würden, antwortete der Betreffende, es seien dieß Details, die der hohen Aufmerksamkeit eines erhabenen Viziers nicht würdig wären, nnd bat um seine Entlassung, Weil er sich durch die Nontrole gekränkt fühle. Der Pascha lieh ihn laufen: zur Strafe aber wurde ihm der Rest seiues Soldes in Hufeisen, und zwar zn dem enormen Preise, zu welchem er sie anzurechnen ftflegte, ausbezahlt. Einige der Gäste waren Bekannte nnd Freunde des Hauses, wie der Kadi uud der Mufti mm Unjeh. andere iedych, und unter ihnen ein Derwisch aus der Sekte der Vettaschi, waren mehr oder minder fremd. Niemand aber wäre es eingefallen, sie mit Fragen zu belästigen. Sic waren Muselmanen, und das genügte- sie wollten sich labeu, und das war ihr Recht- sie kamen — uou Gott: — sie Nngen. wohin das Schicksal es bestimmt hat! Es waren harmlose Gäste, aber langweilige, einsylbige Matrone. Bei einigen war der Hanöherr nicht sicher, daß sie uicht die alte Sitte oder Unsitte der Iamtscharen wiederholen würdeu, welche, wenn sie sich irgendwo zu Tische gebeten hatten, nach beendetem Mahle „die Miethe für Ab-"ühnng der Zähue" (vi^, kivn^ij zu verlangen pflegten. Die Uhren wurden wiederholt zu Rathe gezogen, geprüft uud verglichen, nur der Derwisch Mb kein Lebens-Elchen nach anßen: er blieb in sich vcrsnnten nnd mnrmelte "ur hin nnd wieder eiueu der hundert Namen, welche in — 190 — der arabisch«! Sprache die Gottheit bezeichucu. Der Name Gottes ist überhaupt den Lippen des Moslim sehr geläufig. Er gebraucht ihn wol so häufig, wie der Italiener den der Madonna. Die Derwische impuniren nnr dein niederen, unwissenden Volke. Suleyman Bey nannte sie Auswüchse des Islam, der von ihnen nichts wisse, nnd Spekulanten auf den Aberglauben der Massen. Er erzählte mir von einem derselben, welcher einst in ein Bergdorf gekonnueu sei, wo die Bewohner, um es der Stadt gleich zu thuu, einen Lehrer auf-uöhmeu wollten. Nun hatte sich eiu junger Softa tBacca-laureus) bereits gemeldet. Mit diesem rivalisirte der Derwisch, Die Bauern, um sich von der Begabung der beiden Prälendenten zn überzeugeu, gaben ihnen auf, das Wort Berg zu schreiben. Der Softa schrieb mit allem Aufwandc der Kunst uud mit deu gesuchtesteu Schuürkelu uud Ver-zieruugen dieses Wort nieder. — Der des Schreibens un-kundige Derwisch zeichnete mit rohen Strichen einen Berg. Die in diesem Konkurs richtende», des Leseus uud Schreibens gleichfalls unkundigen Banern entschieden, daß der Berg des Derwisch ganz leserlich sei, während das Gekritzel des Softa offenbar auf Betrug hinauslaufe, und vertriebeu deu Ge-lehrteu. Warum sollte Djanit nicht seine Abderitcu haben? Als der Zeiger die letzten Minuten zu 12 Uhr anzeigte, nahmcu wir mit gekreuzten Beinen auf platten Kissen Platz um deu Tisch. Da ertüute eudlich der Signalschuß, uud mit einer Präzision, welche die Ruderer eines englischen KrieMwotes und den Kommandanten eines zu Handgriffen kmnmandirten Bataillons mit Neid erfüllt haben würde, langten die verschiedenen Hände nach den in ihrem — 197 — Bereiche gelegenen Näschereien. Der Iftar war begangen, d. h. das Fasten gebrochen. Von den Minareten riefen die Mnezzins (Moscheen-diener) das gläubige Volk zum Abendgebete, welches das vierte von den fünf durch das Gesetz gebotenen ist. Das Fasten war gebrochen. — Noch einige volle Züge ans den Pfeifen, und alle Anwesende», mit Ausnahme meiner Person, reihten sich zum Gebete. Die Gebetteppiche waren gegen Sonnenaufgang in der Richtung des Küblet) gelegt worden, nnd nnter der Leitung des Aeltesten in der Versammlung begann der Gottesdienst. Der Mohamcdanis-nms hat keine Priester, fnr welche man oft irrthüinlich die lllcmas, Kadis und Imams hält, während fie doch nichts Weiter als Schriftgelehrte, Magistratuale und Moscheen? biener sind. — Hier vermittelt kein Sohn des Stanbes den Verkehr zwischen Schöpfer nnd Geschöpf, nnd kein Sakra-went wird zum Szepter oder auch zur Waffe in den Händen einer Kaste. In der mächtigen, bilderreichen Sprache des Stammes bcr Hagar sprach der Alte die rezitatiUartigen Gebete mit lauter, voller Stimme. Die Andern begleiteten ihn' andächtig, aber stumm. Ich stand am Fenster, gefesselt von dem Bilde, Welches ^er Ausdruck tiefer Ueberzeugung und wahrer Frömmigkeit bot. — Wühl dem Herzen, welches glanbcn und beten kann, sei es nnn nnter dem Krenze des Sohnes, oder nnter dein Banner des Propheten, unter der Aegide Buddhas oder des ^nfucins! Ich stand am Fenster nnd mein Blick glitt abwechselnd vun der Gruppe auf die im Abendroth glühende Landschaft und von dieser auf jene. Ueberall, hier in den Herzen der — 198 — ' Frommen, dort im dainpfenden Thale, in der mit sehnsüchtiger Klage am Strand zerschellenden Welle imd am flam-ntenstrahlenden Wolkenhinnnel die Spur des Elvigen, Vllles Bewegenden, Unbewegten! — Die hier Betenden sahen ihn immer, ich fühlte ihn in diesem Augenblicke. — — Da zog ferne am Sanme des Meeres ein Schatten dahin, der leichte Wölkchen hinter sich ließ. Es war der französische Messageriedampfer, welcher die Linie Konstanti-uopel-Trapezunt befährt. Ein Zeichen geistigen Schaffens nnd StrebcnS ans Westen in einen: nnr von: Glauben beseelten Bilde des Ostens! Ein Bote menschlichen Stolzes auf der Insel demüthiger Ergebung! III. Noch (5-iNMs zum erstru Kapitel. Der Zuckerbairam ging zu Ende. — An den drei Tagen, welche ihm eingeräumt sind, wird in jedem rechtgläubigen Hause Zuckerwerk dargereicht. Das „NahatLokmu," ein ans gnmmiartiger Masse gekneteter Zuckerteig, nimmt bei dieser Gelegenheit natürlich den seinem Weltrufe entsprechenden Vorrang ein. Das süße Epithewu dieut auch dazu, ihn von seinem Namensvetter Kourban,- (Opfer-) Ba'iram zu uutericheiden. Diefer, welcher einige Wochen fpäter fällt, gibt sich mit einem so harmlosen. Tribute nicht zufrieden uud erheischt von jedem Hausvater eiu eigenhändig geschlachtetes Lamm. Die jetzige Generation läßt sich bei dieser blntigen Verrichtung gerne im Prokurations-wege vertreten. — 190 — Der Zncker-VaN'am bringt dieselben gesellschaftlichen Pflichten mit sich, wie der Nenjahrstag iu christlichen Ländern: die Besnche bei Gönnern, Freunden und Bekannten werden persönlich abgestattet. Das löbliche Mittel der Visite-und Enthebuugskarteu ist noch nicht gebräuchlich, die Sitte hingegen, die Glückwünsche der Dienstbeflissenen in klingender Münze zn erwiedern, erfrent sich einer festgewurzelten, unantastbaren Popularität, Der Bairain also hatte seine Zeit erfüllt. — Die letzten Frenoenschnsse waren verhallt, die letzten Raketen verknattert, die Beleuchtnngsläinpchen, welche die Minarete, des Nachts wie gegen Himmel strebende Feuer, faulen erscheinen machen, waren von denselben entfernt und die schimmernden, gestickten StaatZkleider sorglich in den buntbemalten Truhen verwahrt worden. Das Städtchen hatte seine Werktagsphysiognomie wieder angenommen. — Ich hatte Unjeh gesehen wie es fastet, wie rs feiert, ich sollte nun Nnjch kennen lernen, wie es das Leben versteht, erträgt, genießt nnd vertränmt. Im Bazar waren die anspruchsloseu Buden, darin der ^rkänfer ohne Ungeduld des ihm vom Himmel bestimmten Abnehmers harrt, wieder geöffnet. In den Barbierstuben, welche zugleich als Kaffeehäuser dienen, nnd rings um die-sl'lbeu waren Messingbecken, Kaffeeherd nnd Nargile, (Wasserpfeife) in regster Thätigkeit. Hier gingen die goldenen Sprüche der murgenländischen Weisen, die Märchen uud ^hascle der orientalischen Poeten vou Mund zu Muud, Hter wurde von erfahreneu Granbärten Politik getrieben. <3war siel es Niemand ein, soziale Reformen zu erörtern "der gar Weltuerbesseruttgspläne auszukramen; die Koustel-uUion der fremden Mächte, der Krimkrieg und administra- — 200 — tide Maßregeln bildeten das kritische Objekt; die goldene Zeit, Wu man für einen Piaster so viel Tabak erhielt, als jetzt für eine Lire, wo der hnngrige Freng noch nicht als insolenter Kulturkrämer, sondern als Hülfesuchender den gesegneten Buden betrat und wu noch keine Nekrntirung den Osmanli zu den Waffen zwang, galt als Eldorado politischer Gestaltung. Das hochkonservative Volk saß ün Faubourg St. Germain und sah mit wehmüthigem, Bedanern die Jakobinermütze aus dem Haupte der revolntionären Regierung. — Hier wurden die spärlichen Stadtneuigkeiten, (spärlich, weil die schönere Hälfte kein Kontingent dazu stellt,) zum Besten gegeben, und die letzten Nummern des Regierungsblattes, selten über acht Wochen alt, zur Bclehrnng der aufhorchenden Rnude unter eine imponirende Brille gcbrachl. Vor den Han«n wurden Kameele belastet oder entlastet, in den Bädern wurde geseift und gebürstet, ans der Werfte gehämmert und gesägt. In der Schule quälte sich der Chodja ab, den Jungen die Malerei der künstlich gewnnde-ncn Alphabetbuchstaben beizubringen, nni ihnen so die Hauptpforte zur Wissenschaft aller Wissenschaften zn erschließen. In: Konak des Mndirs (Kreisamt) unterbrachen hin und wieder zudringliche Pascha-Fermans, welche der Postbote vom Paschasitze Samsnn herüberbrachte, iM melodische Geklapper der Tavlawürfel, uud dann wnrde ein wenig regiert. Im baufälligen Mehkeme (Tribnnal) machten manchmal die Schritte vorlauter Partcieu die morsche Treppe stöhnen uud schreckten den friedliebenden Kadi ans seinen philosophischen, bescheidentlich in Ranchwulken gehüllteu Reflexionen, und dann wurde eiu weuig prozessirt. Jedoch ging Alles ohne Hast, ohne Uebcreilung, ohue Leidenschaftlichkeit vor sich. — 201 — Das italienische Odi va piano va, «auo, (?ln va, 8ano va lontano und das deutsche ,,Blinder Eifer schadet nnr" könnten in Fleisch nnd Blut des Volkslebens in Nnjeh übei> gegangen scheinen. Kurz, Unjeh bewährte auch inl Alltagsleben jene islamitische Weisheit, durch welche das Individuum zwar zur Tugend und Zur höchsten, auf Erden erreichbaren Glückseligkeit geleitet wird, Welche aber die Städte ungepflastert, unbeleuchtet und schwach besteuert läßt mid bei welcher die Macht des Staates in Brüche geht. Nicht deiu Genüg-samstcn, sondern dein Stärksten gehört die Welt. So einförmig, so wenig anregend die Existenz in dem asiatischen Städtchen erscheinen mag, so hatte mich doch bald der Zauber ihrer stillen Beschaulichkeit ergriffcu. Da diese Briefe uicht den Zweck haben, die Memoirenliteratur zu bereichern, so zieint es mir nicht, bei jenen lim--stäudcu zu verwcileu, welche mich damals au die orientalische, Idylle besonders fesselten. Ich beschränke mich anch fernerhin darauf, uur ciuige Eindrücke und Wahrnehmungen in loser Skizzenform zn Papier zu bringen. Die gesellschaftlichen Vergnüguugen, welche Unjch er-heiterteu, waren ebenso einfach als wenig abwechselnd. Die Jagd nnd Ausflüge zn Pferde oder zu Schiff, mit Vorliebe nach dem herrlich gelegenen „Kap Iason", nahmen Wvöhnlich im Programme derselben den ersten Platz ein. Zum Behufe der ersten hatte mir Snleyman Bey seinen Stall nnd seine Falken znr Verfüguug gestellt. Sein tur-kmnanischl's Lieblingspferd nnd zwei Königsfalken waren "llein Uom Benutzungsrechte der Gastfreundschaft ausgenommen. Das Pferd, eines jener hoch uud kräftig gebauten, ^UMstreckteu Thiere ohne Mähnen, welche die turkomauische — 202 — Gattung repräsentircn, hatte er von einem persischen Großen Znm Geschenke erhalte». Die übrigen Pferde seines Stalles waren meist arabische? Vollblut, dieser in« Orient als nec 1>Iu8 ulti-Ä des hippischen Geschlechtes angesehenen Nasse. Der abendländische Sportsman würde hier freilich ein nenes Argmuent wider die Stichhaltigkeit der Schlagworte gefunden und den ganzen Stall Snleyman Bey's für ein englisches Blnt hingegeben haben. Dennoch scheint ein apodiktisches Urtheil über den höheren oder minderen Werth dieser beiden Pferderassen sehr gewagt. Wenn das arabische Pferd den Anforderungen bei Derby nicht entspricht, so dürfte dasselbe mit dem englischen ans der Antilopenjagd zum Beispiel der Fall sein. Das eine verhält sich im Pnnktc der Schönheit znm andern, wie die in Voller Tropenpracht anfwnchernde Oase znm künstlerisch angelegten Parke Europas. In Vezng alls Intelligenz jedoch steht das erstere unbestreitbar ans einer höheren Stnfe. Wenn nun dieses Moment bei Werthschätznng des Pferdes als Nenner oder in Bezug anf die Zncht auch nicht in Anschlag gebracht wird, so darf es doch bei Venrtheilnng desselben als Kreatur kaum anfter Acht gelassen werden. DaS arabische Pferd läßt sich übrigens nicht nach jenen Exemplaren beurtheilen, welche man außerhalb der Wüste antrifft. Die wnndervollen Thiere vom Stamme Nedschd, welche oft über ihr dreißigstes Lebensjahr Dienste leisten, sind den Vesitzern, die auch keine Kreuzung nut anderen Stämmen gnlassen, nicht feil. nnd verlassen ihre Heimat nur sehr ausnahmsweise. Kommt ein solches Thier doch außer Land, so verdirbt es schnell. Denn das arabische Pferd entartet, sobald man seinen an weichen Sandgrnnd gewohnten Huf beschlägt, seine stolzen Nüstern in ei» Gebiß zwängt, — 203 — seine Nahrung, die ans Datteln, Fleisch, Eiern nnd Milch bestand, durch Gerste ersetzt, es einsperrt und vom Familienmitglied zmn Stallbeluohner, vom Genossen zum Dienstobjekt degradirt, wie dies in der Türkei, in Egypten und in Europa der Fall ist. — Die Jagd nut Falken nnd die Aeize derselben ist hier zn Lande noch sehr gebräuchlich. Ans Wachteln wird eine kleine Sperbergattung, Atmadji genannt, verwendet. Die gesellschaftlichen Ausflüge hatten stets cine Qnelle zum besunderen Ziel. Klares, frisches Wasser spielt dei den Genüssen des Orientalen die Hauptrolle, und eine gute Qnelle erfreut sich desselben Ansehens wie ein gntbelenmnn-deter Wein- oder Bierkeller in nicht mahomedanischen Ländern. Durt wurde das unvermeidliche Lamm bei offenem Feuer gebratcu, mit Reis gefüllt nnd, von andern Gängen begleitet, genossen. So sonderbar dies auch im Rahmen einer orientalischen Landschaft erscheinen mag, das schöne Geschlecht war bei diesen Landpartien gewöhnlich zahlreich vertreten. Die Damen ritten zwar verschleiert in einer besonderen Al'thei-lnng M>^ fnhren in einer eigenen Barke, nahmen auch auf den Halteplätzen einen gesonderten Raum ein, blieben jedoch nicht ganz ansgeschlossen vom allgemeinen Vergnügen und nicht ohne jeden Kontakt mit der Männergesellschaft. Die äufterliche Stellnng des Weibes im Innern Asiens ist uberhanpt sehr verschieden von jener, Welche sie in Konstantinopel nnd in den andern größeren Städten des Reiches klnnimmt. Verhüllter in Tracht und Erscheinung, erfreut ^ sich doch einer größereu Ungezwnngenheit im Verhalten. In den Dörfern nnd unter dem Landvolke besteht die Absondernng der Geschlechter fast nnr im Prinzip. Die — 204 — männlichen und weiblichen Dorfbewohner sind nnter sich von Kindesbeinen ans bekannt, verrichten gemeinschaftlich Feldarbeiten und kommen beständig in vielfältige Berührung. Nirgends sind Gitter an den Fenstern des Franengemachs angebracht, und der rückwärts fallende Schleier wird nur dann über das Gesicht gezogen, wenn sich ein fremder Ulema oder ein „Efendi" in das Dorf verirrt. Die stärkere Hälfte der kleinasiatischen Landbevölkerung weist im Allgemeinen nicht jene Ader, welche Iago auszubeuten Wichte, um Othello zum tragischen Schlnßakte zu drängen, nud doch sind die ausnehmend schönen Evenstöchter der Gegend ziemlich beflissen, nicht etwa Desdemonas zu sein, sondern vom Schein, welchem Jene zum Opfer fiel, nnr die Schuld für sich zu behalten. Der Umstand, daß fast alle zur Armee abgestellten Rekruten blutjunge Stroh-wittweu hinterlassen, und dies ist der Fall, wo der Mann sich im 17—18., das Mädchen im 1s—15. Lebensjahre zn vermählen Pflegt, wirkt in seinen Cousequeuzeu sehr entsittlichend auf die weibliche Bevölkerung, Die ,,Spinnerin am Krenz", welche die österreichische Volkssage zwanzig Jahre am Wicnerberg die Spindel drehen und nach ihrem mit dem Krenzc gezogenen Gatten ausblicken läßt, ist eben so wenig wie „Penelope" ein klein-asiatischer Frauentypus. Der obenberührte Uebelstand der frühen Ehen bei langer Trennung der Gatten dürfte nnter Anderem, wenn auch in indirekter Weise, eine der Hauptursacheu der relativ geringen Vermehrung dieses schönen, kräftigen Menschenschlages sein. Dieser repräsentirt die kaukasische"Nasse in einer Vollkommenheit, welche die Abstammung vou tartarischen Ureltern keineswegs ahnen läßt. Vr ist übrigens das Produkt einer — 205 , — Kreuzung, wie sic auf wenigen Puukten des ottcnnauischen Neiches, dessen Ethnographic eine vollendete Mofaiktafel bietet, komplcter vorzufinden ist. Griechenland und Georgien, Armenien nnd die flaUischen Länder, Ungarn nnd Arabien, Italien und Persien haben lange Zeit diese Gegenden mit Frauen und Müttern versorgt. Stehen nun die Männer in Bezug auf Kraft, Erscheinung, und ich möchte fast sagen natürliche Intelligenz, über den: Niveau der Landbevölkerung in den meisten mir bekannten europäischen Ländern, so gilt dies in noch höherem Grade, von den Franen, welche sich durch Schönheit, feine Körperbildnng nnd natürliche Anlagen auszeichnen, — So primitiv in mancher, so uuwissend in jeder Hinsicht die Landbewohner dieser Gegenden erscheinen, so nnterschei-den sie sich doch in vielen Punkten vortheilhaft von jenen der meisten christlichen Staaten, denn weder sind sie so aber-Mnbisch als z. B, die Siciliancr, noch so gewaltthätig roh nls viele südslavische Stämme, noch so exeessiv als z. B. die österreichischen Vanern. Vrntalität nnd Rohheit sind überhaupt im Wesen de^ Ottomanen, selbst der untersten Schichten, nur als höchst seltene Ausnahmen zn kunstatiren. Den nngebildetsten Mann aus der Hefe des Volkes kennzeichnet ein gewisser Anstand, das niedrigste Weib verleugnet den Grundzng der Weiblichkeit nicht, sie müßte denn ein A'wisses Alter überschritten haben, wo dann freilich nianch-wal die Matrone im Drachen aufgeht. Das Selbstgefühl, das sich bei dem türkischen Bauer kundgibt, nnd die Würde, mit welcher' er sich, im Gegensatz Hu der knechtischen nnd dadei doch wieder brutalen Art seiner Siandesgenosfen in den christlichen Ländern des östlichen Europas bewegt, entspringen sowohl der religiösen, als der — 206 - sozialen Anschauungsweise dos uttomanischen Volkes. Die Peitsche, welche der Fellah scheu flieht und Uur welcher sich der Rumäne »der Russe nnterwürfig beugen, würde nicht ungeahndet ans die Schultern eines türkischen Vanern fallen. Hier gab es niemals Herren »der Hörige, Edle und Ge-ttieine, sondern nur Mitglieder der mahomedanischen Ge-meinschast, au dereu Spitze der Khalife steht. Die Hand der Veziere uud sonstiger Pforteubcamten lastete zu Zeiten zwar schwer anf dem Volke, 'doch ihr Despotismus war vorübergehend nnd störte das Prinzip der allgemeinen Gleichheit nicht. Vor Gott und dein Throne standen die Großen nur insoferu über dem letzten Lastträger, als ihr Haupt dem drohenden Blitze uäher war. Das Schicksal, welches sie auf die Höhen erhoben hatte, machte sie wieder spurlos verschwinden. Jeder Versuch der zeitweiligen Machthaber, ihrer Herrschaft eine Art Daner zu erringen nnd eiu^eiuflußbesitzende Kaste zn gründe», erwies sich als fruchtlos: das ottomauische Staatswesen gleicht eiuem See, dessen Spiegel ein einziger Fels überragt. Dieser Fels, Welcher das Buch und das Schwert bewahrt, uuterliegt allein uicht dem Gesetze bestäudiger Nivellirnng, welches deu See beherrscht. Dort mögeu sich die Welleu thürinen, es verschlingt doch eine die andere nnd sie allesamnit der See; sie mögen über dem Fels zusammenschlagen, doch werden sie sich weder dauernd zn ihm erheben, noch ihn zn sich herabziehen. Die Monarchie mit aristokratischen Giurichtuugeu erscheint auf ottomanischem Boden ebenso unstatthaft als die bürgerliche Republik. — * Diese Ausflüge nun. welche mich in gewagter Ab-Weichnug die weibliche nud eudlich die Gesammtbevölkernng der Gegend besprechen machten, waren nebst Iagdftartieen — 207 .— und Strcifzügen, die ich in alleiniger Begleituug meiner Waffen unternahm, damals für mich die Summe aller äußeren Zerstreuung. Dafür gelangte ich znr Erkeuurniß der Süßigkeit des „Keif". ,,Keif", diese Bummelei der Phantasie, diese Nacht-lvaudlerschaft des Geistes, dieses sntre odion et, loup des Gedankens, ist uuübersetzbar. Es ist das doles far nisnts ^>cs Orientalen, der die Eindrücke der Außenwelt, die Ereignisse des Lebens gefaßt nud ergeben an sich herankommen läßt, statt in fieberhafter Sucht gläuzeudeu, meist trügerische,: Iiclcu nachznjagen und für ein Spiegelbild der nngcwisseu Zukunft die gewisse Ruhe des flüchtigen Momentes hinzn-geben. Um diese Vcrfassuug der Individualität vollkommen ^^rstäudlich zu machcu, inüßten der Himmel, die Erde, die, ^uft, das Wasser und der Odem des Orients das Dulmetsch-amt Verseheu. Aber selbst dann würdeu nur wenige Europäer iu die Ntysterieu dieses Kultus, desseu letztes Wort d"s buddhistische „Nirvana" (das ewige Nichts) seiu dürfte, ^udriugcu. Nur eiuem Poeteu kanir es gelingen, uuter deu gc-ä^bcueu Voraussetzuugeu diesen eutuerveudeu Culufort der ^ccle Iwllstäudig zu ergrüudeu. Das „Keif" stellt keine Anforderungen au das Leben, dmcn Unjeh nicht hätte gerecht werden könueu: die )tat,rr ^'füllle verschwenderisch die darail geknüpften Bedingnngeu. Der Tag bot hiefür seine duftenden Wälder, die Nacht ihre Myriaden Gestirne nnd Nachtigallenchörc: der Strand war ^lät mit von schützenden Klippen gebildeten Badeplätzeir, 1° anlnuthig, so durchsichtig, U'ie die Göttcrzcit ihreu Na-jaden keine freuudlichcreu hätte gcwährcu köuneni das Ufer — 208 — beschatteten blätterreiche Plataiten, von deren Lanbzelt ans das Auge sich dor unbehinderten Aussicht ans den blauen, lachenden Meeresspiegel erfreute. Um das ,,Ke'if" in seinein ganzen Umfange genießen zu können, muß Seeluft die Stirne fächeln uud der Blick über die majestätisch ruhige und innerlich doch so bewegte Wasserfläche gleiten. Gleich dein Alcyon flattert dann der träumende Gedanke zwischen den Geheimnissen der Tiefe und den Räthseln der Höhe, streift beide mit deu Schwingen mystischer Ahnung, ohne sich in nndantbaren Versuchen abzumühen, die einen zu lösen, die andern ergründen zn wollen. Um mich jedoch vom Kreise der änßeren Begebenheiten uicht zu entfernen, will ich auf ein Ereigniß übergehen, welches sich im Laufe des Spätsommers, kurz vor meiner Abreise von den gastlichen Gestaden Unjehs, daselbst zutrug: die Hochzeit Suleyman Bey's. Es war dies ein Ereigniß, welches schun Wochen vorher die Harems des Städtchens in leicht erklärliche Anfregung verfetzte. Zwar ein Familienfest, Welches aber dnrch den Rang und die Bedeutuug des Bräutigams deu gauzen Ort nebst Umgebnng in seinen Kreis gezogen hatte. IV. Tic Hochzeit ciues Vornehmcu. Die türkische Familie feiert bloß zwei Ereignisse dnrch besondere Festlichkeiten: die Hochzeit uud die rituelle Be-fchneidung der Kuaben, welche, unterschiedlich von den Israeliten, gewöhnlich zwischen dem 9. und 12. Lebensjahre vorgenommen wird. — 209 — Alle anderen Vorkommnisse am häuslichen Herde gehen fast ohne äußerliche Beachtung vor sich. Jahres- nud Gedenktage sind gar nicht gebräuchlich. Der Geburtstag ist höchstens der Mutter bekannt; Namensfeste existiren vollends nicht: denn obschon die Kinder nach den Heroeu des Glaubens nnd nach dem Propheten benannt werdeil, sind doch den Namenspatronen besondere Tage im Kalender nicht eingeräumt. Diese gäuzliche Abwesenheit des Erinuernugskultus bildet einen der scharfen Gegensätze Zwischen dem inneren Leben der christlichen nnd der mahomcdauischen Familie. Der Umstand, daß dir Religion einen solchen Kultus nirgeuds begünstigt und daß es hier keine Kirche gibt, welche, wie z. B. die christlichen, ihn nähren würde, ist hiebei vou maßgebender Bestimmung. Suleyman Bey hatte seine erste Fran, sowie die Kinder, welche sie ihm geboreu hatte, durch den Tod verloren, seine zweite Gemahlin erfreute sich keines Kindersegens, und so knüpfte er denn znm dritten Male die Bande der Ehe, ohne sich deßhalb von seiner Gattin, mit welcher er im besten Einvernehmen lebte, zu treuuen. Diese bezog blos, wie es der Branch in deu besseren Ständen erheischt, Nne gesonderte Abtheilung im Harem und bildete einen eigenen Haushalt, wodurch jeder Kontakt zwischen den "eiden Franen vermieden wird. Der Abeudländer liebt es, sich das Haremslcbcn mit Narben auszumalen, welche dem Wesen desselben weniger entsprechen, als dein Bedürfnisse seiner eigenen Phantasie Und sugar im schneidendsten Widersprüche mit der beschränkten, Herrlichkeit des Gatten uud der strengen Sittlichkeit bes ^'manischen Familienlebens stehen. ^ürad Efc»dl, Tüvlilchc Elizzeii I. 14 — 210 — Til' durchaus irrige Annahme, das Weib sei für drn Ottomanen eine bloße Sache, trägt mächtig zu don irrigen Anschauungen über seiuc Häuslichkeit bei. Kennt zwar dcr Orientale keiucn Minucdienst, ist auch das Wort Galanterie in türkischer Sprache kaum übersetzbar, denkt er gleich bezüglich der Ncberlegenhcit des Mannes über das Weib wie die alten Griechen und bedeutende Denker und Gelehrte der Neuzeit Europas, und trifft seine Anficht auch mit dem napoleonischen Anssprnch: ,,Die grüßte Frau ist, welche die meisten Kinder gebiert/' zusammen, so ist das türkische Weib dennoch weder rechtlos, noch auch so unbedeutend, als der Westeuropäer es sich gemeiniglich vorstellt. Das rein patriarchalische Verhältniß bildet die Basis des ottomanischcn Harems, und das christliche ,,Er foll dein Herr sein" findet daselbst seine durch den allgemeinen Charakter des Ottomanen gemilderte Anwendnng. Die Polygamie ist gestattet, aber auch nur gestattet, denn der Prophet selbst empfiehlt die Monogamie als die bessere Wahl. Die Ausübuug der Vielweiberei faud bei den Türken auch allezeit eiue größere Beschränkung, als bei andern orientalischen Völkern. Heute gehurt sie in dcr besseren Gesellschaft bereits zu den seltensten Ausnahmeu. Dcr Türke liebt vor Allem die Ruhe, den Comfort. Da dieselben nnn im polygamen Verhältnisse mir bei getrennten Haushaltnugen cinigermaßc'tt erhaltbar sind und die Polygamie ernste Anforderungen an den Gcldsäckel stellt, so ergibt sich die Bcschränknng derselben von selbst, Anßerdem hinderten allezeit Rücksichten für dio Verwandtschaft der ersten Frau neue Verbindungen. Folgende Anekdote veranschaulicht die Ansicht der meisten Türken über die Annehmlichkeit der Frauenplnralität. — 211 — Ein Kaufmann, welcher sein Frühgcbet in der benachbarten Moschee zn verrichten pflegte, fand, er mochte sich noch so sehr spnten, einen Frommen in derselben vor. Gereizt befrug er denselben endlich, wie er es anstelle, stets vor ihm ans dem Plahe zn sein. Dieser erknndigte 'sich nnn nach der Zahl seiner Frauen nnd erklärte ihm ans seine Antwort: er besitze eine Einzige, dieß sei der offenbare Grnnd seiner Verspätnng. Eine Fran allein 'vermöge nicht, ihn so hurtig zu bedienen, und deßhalb könne er nie so zeitlich, wie er selbst, der dreifach beweibt und folglich dreifach bedient sei, znr Andacht erscheinen. Dieses Argument blieb nicht ohne Eindruck auf deu rcligwnseifrigcn Kanfmann. Er ging hin nnd nahm ein zweites Weib. — Die Frau Nr. 1 wollte ihre älteren Rechte behaupten, die Frau Nr. 2 ihre jüngeren geltend machen. Eine heftige Fehde entbrannte schon am ersten Tage. Der Numor zwang den Unglücklichen, ans dem Hanse zn fliehen. Er begab sich zur Moschee, um iu dieser allgemeinen Zufluchtsstätte der Glänbigen ein Obdach für die Nacht zn finden. Mit Morgengranen erwachend, fand er seinen Rath-geber neben sich. ,,Für Gurcu Rath wcuig Dank, er hat nur schlecht bekommen, aber mindestens bin ich diesmal früher als Ihr im Gotteshans. Ich weile seit fünf Stnn-den hier." — ,,Verzeiht/' eutgegnete der Andere schmunzelnd, ,,mich hat der Zank meiner Weiber, wie gewöhnlich, fchon vor sieben Stnnden Hieher vertrieben/' — Die Hochzeit Suleyman Bey's wnrde mit den, ganzen landesüblichen Pomp und Nnfwand gefeiert. Da der Bräutigam die Braut nicht kennt, nicht nnver-schleiert sieht und Schiller's: 14" — 212 — „Mit dem Gürtel, mit dem Schleier Reißt der holde Wahn entzwei" hier seine vollkommen buchstäbliche Anwendung findet, so waren seine Mutter und Schwester uns die Brautschau gegangen.' Im Orient nimmt man eine Fran a, la, fortune du pot und genießt folglich vielseitige Ucberraschnngeu. Die Besichtigung nnd Prüfung der Braut seitens der weiblichen Verwandten des Bräutigams war zur Zufriedenheit der Letzteren ausgefallen und der Hochzeitstag wurde bestimmt. Daß bei dieser Prüfuug mehr die äußeren Vorzüge, als die seelischen Eigenschaften in Betracht kamen, glaube ich nicht besonders betonen zu müsseil. Die Braut war die Tochter eiues uicht sehr begüterteu, im nahegelegenen Städtchen Tscharschembch wohnhaften Kaufmanns, In einem Lande, wo es keinerlei privelegirte Klassen und keiuen Geburtsadel gibt, besteht natürlich weder der Begriff noch der Ausdruck für „Mesalliauee." Der Türke lächelt mitleidig, wenn man ihm durch Umschreibung diese Monstrosität fränkischer (Hinrichtung erklärt, Dic Sultane sind ja Söhne von Sklavinnen. Schon am Vorabend des Hochzeitstages strömten Schaaren von Gästen und produzirenden Künstlern nach linjeh. Die Erstereil, welche bei mehr oder weniger Bekannten ihr Absteigquartier genommen hatten, und die Letzteren, welche die llano überfüllten, verdoppelten die nrsvrünglich^' Einwohnerzahl des Städtchens. Am Morgen des großen Tages wogte und wimmelte es im änßeren Hufranm des Pascha-Serail, und der großc — 213 — Platz, auf welchem ein Regiment nnbehindert sich entfaltet haben würde, erwies fich zu beschränkt, alle Theililehmer zu fassen. Viele derselben lagerten in besonderen Abtheilungen um den Konak. Die Kranken und deren Pfleger ansgenoinmen, waren eben alle Bewohner des Städtchens nnd die meisten der Umgegend Theilhaber am Feste. Anf den Rasen waren Teppiche ausgebreitet und hm und wieder Sovhakissen gelegt. Da saßen, kauerten oder lagen gesondert anf der einen Seite die verschleierten, vermummten Schönen, Ein buntfarbiges, immer bewegtes Tntpenbeet. Es liegt in der Verhüllung der Orientalin, so wcuig geschmackvoll dieselbe anch zn sein pflegt, ein eigenes Raffinement, das eilie besondere Anzielinngskraft ausübt. Die Phantasie wird herausgefordert und webt in die Nanpen-hülle Gebilde hinein, wie die Natur sie nimmer hervorzubringen vermag. Ihre Schüpfnngen sind beschränkt, folglich ün besten Falle bedingungsweise vollkommen und im offenbaren Nachtheile gegenüber den nnbeschränkten Idealen, Das zirpte nnd summte und kicherte mit den wohllautenden weichen Altstimmen, welche bei türkischen Franen häufig angetroffen werden nnd nicht den geringsten Theil ihrer Reize ansmachen. — Das glühte nnd leuchtete nnd lockte ans den dunkeln, mandelförmig geschnittenen Angen uüt dem erstannt fragenden Blicke nnd der naiv-sinnlichen ^rhcißmig- das drehte nnd bewegte sich mit Katzcngrazie und mit jcner Koketterie, welche das allgemeine Erbtheil der Töchter Evas ist. Gegenüber lagerten die bärtigen oder anf Bartschmuck aspirireudeu Herreu der Schöpfung, die älteren gravitätisch bauchend und kannegießernd, die jüngeren nicht minder ernst — 214 — und gemessen, aber aufmerksam die Spiele und Belustigungen verfolgend, Welche der Amphitryon seinen Gästen bieten ließ. Die Honoratioren und Intimen hatten auf der großen Veranda des Serails Platz genommen. Im Hoframn prodnzirten sich Gankler nnd Gymna-stiker, Feneresser, persische Messerspielkünstler und kurdische Bärentreiber oor einen« zahlreichen, dankbaren Pnbliknm dessen Gennftbereitwilligkeit keinerlei kritisches Bedenken trübte. Berühmte Sänger (Tenore mit ausgesprochener Kopfstimme), deren näselnden, klagenden Gesang die primitive orientalische Geige begleitet, hatten kleinere, aber dafür gewähltere Kreise nm sich versammelt, welche entzückt diesen nach europäischen Begriffen konsequent falsch gesungenen Klageliedern lauschten. Der Ottomane Zeigt Empfänglichkeit für Musik, so sehr ihm musikalisches Verständniß in unserem Sinne fehlt. Die türkischen Weisen welche dasselbe, ich möchte sagen, elegische Gepräge, wie die ungarischen, serbischen nnd rnssischen Nationallieder haben, bieten dem uneingeweihten Ohre wenig Abwechslung. Der Text wird meist in Nezitativform gesungen und der wiederholte Nns-rnf Aman i sGnade) beschließt fast jede Strophe. Die Sänger, hingerissen von dem Gegenstande ihrer Gesänge, schließen, und zwar ohne dieses Zeichen künstlerischer Ekstase gewissen abendländischen Virtuosen abgelanscht zu haben, die Angen und schlagen mit beiden Händen den Takt anf ihren Knieen, worin ihnen die Dilettanten uuter den Zuhörern nachahmen. Die Liebcsepen don Fcrhad nnd Schirm, Infsuf uud Zuleicha, Leila und Medjnun, dieser Julien und Romeos, Abälards und Heloisen des Orientes bewegten die Herzen der Hörer und Hörerinnen, und der tragische, möglichst drastische — 215 — Schlußakt ihrer thränenwerthen Geschicke entlockte den theilnehmenden Herzen innige Senfzer. In einem gesonderten Zirkel, von welchem das weibliche Publikum ausgeschlossen blieb, produzirten Mtscheks (init Frauenröcken bekleidete Knaben) kastagnettenklappcrnd ihre choreographischen Kunststücke. Diese Tänze lassen, abgesehen selbst von dem gröberen Caliber, den Cancan an unanständigen Verrenkungen und Geberden hinter sich. Der gebildete Geschmack wird von der Widerlichkeit derselben unangenehm berührt und die juugtürkische Gesellschaft hat dieses r»he Verguügeu bereits gäuzlich verpüut. Für Unjeh ersetzten indeß die Kötscheks noch das abcndläildische Ballet-korps. In den Zwischenpansen vereinten sich herzhafte Schläge ans verschiedene große Trommeln mit dein niclan-cholischcn Gequieke der Querpfeifen zu einem Monstrckonzert, un Vergleiche zu welchem die gewaltigsten ^«rti88imi der Zuknnftsmusik verhanchcndes Geflüster scheinen. Der be-kaubende Lärm inachte übrigens keinen störenden Eindruck cms die Anwesenden, noch schien er ihrer sonstigen Unterhaltung Eintrag zu thnn, was znr Vermnthnng berechtigt, die Kleinasiaten' besäßen Zukunftstrommelfelle. — Die Pferderennen, welche auf einer benachbarten Wiese sür eingeborue Pferde statthatten, boten nichts Bemertens-Wcrthes: die Pferde liefen, die Reiter trieben und die Glück-^lchen wurden init Preisen bedacht. Ans verschiedenen Plätzen wnrden für Nechnnng des ^'lnntigams kiihlende, duftende Sorbete scrvirt, ans anderen Vürcks (Käsepastctcn), Hühner uird süße Gerichte; noch auf anderen, wnrden Hammel gebraten, nnd ambulaute Kaffee-h^rde wareu in regster Thätigkeit, um iu jeder Richtung für b^' Erqnickung der Anwesenden Sorge zn tragen. — 216 — Nachmittags war großer Riugkainpf (Gülesch). Diesem, ich möchte fast sagen, Nationalvergniigen wird in Kleinasien eine besondere Sorgfalt aMidmct. Die anerkannten Matadoren, Pehlivan genannt, genießen dasselbe Ansehen, wie die Toreadores in Spanieil nnd die Jockeys in England, Ihr Schutzpatron, wenn man im Oriente von einem solchen sprechen darf, ist Rustem, dieser Herkules der mahomeda-nischen Fabel. Ihre Kämpfe sind die Krone jedes bedeutenden Festes und dem öffentlichen Vergnügen des Kleinasiaten beinahe so unentbehrlich wie die fiedelnden Zigeuner dem Vollblut-Magyaren. — Die berühmtesten Athleten der Gegend waren herbeigeeill. Snteyman Bey hatte den Siegern au den dreitägigen Wettkämpfen fürstliche Preise ausgesetzt. Bis auf eine Art Schwimmhose entkleidet, die muskulösen Körper mit Oel gesalbt, betreten die Ringer den sandigen Kampfboden, Bestellte Kampfrichter überwachen daselbst gewissenhaft die altherkömmlichen Regeln. Der Sieger muß, nm als solcher anerkannt zu werden, seineu Gegner derart zu Boden ringen, daß dessen beide Schultern die Erde berühren. Oft, besonders bei ebenbürtigen Gegnern, währt der Kampf, welcher durch mehrfache Pauseu unterbrochen wird, stundenlaug uud verursacht schwere Beschädigungen. Ein Pehlivan (Ringkämpfer) von Profession, eine jener mächtigen Gestalten welchen man in Kleinasien häufig begegnet, hatte au deu zwei ersten Tageu den Preis gewonneu, bis er ihm am dritten durch die katzeuartige Gewandtheit eines jungeil Schiffers, welcher dem Athleten beinahe die Rippen gebrochen hätte, entrissen wurde. Lange währte der erbitterte Kampf uud mehrmals mußten die bis auf eiu Haarbüschel ._ 217 __ glatt rasirten Köpfe der Kämpen mit kaltein Wasser erfrischt werden. Der Athlete erschöpfte sich in ungestümen, vergeblichen Angriffen, Der kleine Schiffer war nnnahbar. Er ermüdete den Niesen durch Kreuz- nnd Quersprünge, bis es ihm gelang blitzschnell durch seine Füße zn schlüpfen und den erschöpften Gegner mit einem unwiderstehlichen Rnck in den Sand zu betten. Der gewaltige Van des Athleten stürzte stöhnend und krachend, als ob ein Wrack ans den Fugen ginge, und weithin branste der Inbel in welchen sogar die bedächtigsten Weißbärte einstimmten. — David hatte den Goliath bezwungen. Bei eintretender Dunkelheit wnrden Pechfackeln angezündet nnd man schritt zur Hauptmahlzeit. Hierauf traten das Feuerwerk und Kara Giöz in ihre Rechte. — Das Repertoire des ersteren ist ziemlich beschränkt. Raketen, Feuerwerk, drehende Nader nnd daun wieder Raketen u, f. W. in ziemlich primitiver Fassnug, bis die letzte Hülse leer geworden ist. Kara Giöz, d. h. Schwarzange, ist das türkische Ma-Nunettentheater. Die beweglichen Schattensiguren werden zn den halsbrecherischesten Verrenkungen, und die Zunge des unter einem Vorhänge verborgenen Lenkers derselben zn den bedenklichsten Witzelt gezwungen. — Dem Engländer ist bald etwas zkockiiiß; das thatsächlich ansgebildetere, strengere Schamgefühl des Ottomanen, wird durch Zoten nicht beleidigt und erträgt felbst diejenigen des Kara Giöz ohne weiteres Bedenken. So ging cs in wiederholender Abwechslung bis zum ^achmittaa des dritten Tages. Und in dieser aus allen Elementen zusammengewürfelten, aus verschiedenen Gegenden öugestrümtcn Menge, über welche kein obrigkeitliches Auge — 218 — wachte und in deren Bereich kein ordnender Polizciarm waltete, kam keinerlei Skandal, keine Ruhestörung vor. Wie viele zertrümmerte Gegenstände, wie viele blutige Köpfe würden, einer ähnlichen Zusammenkuuft in vielen Gegenden des civilisirten Abendlandes zum Opfer gefallen feiu? Am erwähnten Nachmittag langte der bräutliche Zug im Harem des Pascha-Serail au. Die Braut sowohl als die sie begleitenden Fraucu kameu zu Pferde und zwar saßen sie, wie es üblich ist, uach Art der Mäuuer im Sattel. Der von Ochsen gezogene Karreu, oder aber jene buntbemalten Kutschen, in anderen Theilen des Reiches sowohl als auch mitunter uoch in Stambul benutzt, waren iu der Gegend nicht bekannt. Außer der soustigeu landesüblichen Verhülluug entzog eiu bis au die Kuice des Pferdes reicheudrr Gazeschleier die Braut deu uubcrufeueu Blicken. Ihre männlichen Verwandten umschwärmten, Nosse tummelnd und Pistolenschüsse abfeuernd, deu Zug, welcheu der verstärkte Höllenlärm gemarterter Trommeln uud bis auf's Aeußerste gequälter Pfeifen ankündigte. Die auwesendeu Musikbaudeu erwiederten uach Leibeskräften deu Gruß der Aukümmliuge. — Au der Spitze des Zuges trugen geputzte Lastthiere die Aussteuer. Da prangte der sammetnmrahmte Handspiegel, dort kamen das unentbehrliche Waschbecken mit der Kauue, der Brouze-Maugal sVrassero), Shawls uud Truheu in it Kleidungsstücken, herbei. Weitcrs die Bett- uud Divaumatratzeu, die buutgewebteu Woll- uud goldgestickte« Seideudcckeu, die Teppiche, Polster, kurz die komplcte Einrichtuug eiues otto-mallischeir Haushaltes. So eiufach, so lveuig komplizirt diese ist. so kostspielig kanu sie dnrch die Qnalität der Gegenstände werden, bietet aber den Vortheil, dem Urenkel — 219 — uoch dienen zu können. Den kostbaren Brillautschmnck, wachen Suleyluan Bey seiner Braut als Brautgescheut übersendet hatte, trug sie im Haar. und die feurigen Steine blitzten ^nrch den Schleier wie Sterne durch Nebel. Brillanten uud Shawls gehören zum Wesen der Türkin. Im Orient besitzen beide selbst solche Fraueu, welche bei seichen VermölMsverhältuisseu iu Teutschland nur ein vc-schndener Goldschmnck zieren würde. Der Wäsche-Luxus hin-^'!ien ist auf ein geringes Maß reduzirt. Tic Stelle des Lillucus verwitt größtentheils Seidengewebe. Weißstickerei unt> Spitzen fehlen gänzlich. Entbehrt nun die Orientalin ^lcher Art einen großen Conifurt. so genießt sie hingegen "^ Vergnügen, anf den üppichen Teppichen mit/bloßen 6üßeu zu trippeln, und tt'eiß es zu schätzen. Der Strumpf findet bei ihr keine Verwendnng. Im Winter vertreten "U'selben bei Ansgängen buute Wollsocken und darüber kurze Strümpfe ans gelbeni Eaffianleder, Die Stelle der smnmer-^lchen Pantoffeln nimmt sodann eine Gattung Holzsaudalen "nt hohen Pflücken an Absatz nnd Fnßspitze ein, deren ^branch jedoch eine Art Stelzentritt uud besondere Uebuug "fordert. Es ist dieselbe Fußbekleidung, deren sich. wenn 'ch nicht irre, im Mittelalter die Damen iu Frankreich ^'dienten. Die Braut unigaben die weiblichen Verwaudteu. Freiwillige Reiter im reichsten Waffenschnmckc, auf goldgestickteil, "ut Fransen nnd Qnasten gezierteli Sätteln, beschlossen die ^zeitliche Karawane, Die verschwenderisch mit Blumen uud blühenden Ge- ^""chsen ausgestattete Haremspforte gewährte der Arant mit )^m verschleierten Gefolge Einlaß in die inneren Räume ^ Wohin zu folgen nns nicht gestattet ist. Wir wissen ,_ 220 — jedoch und dürfen bei Nichtangabe der Quellen verrathen, daß sie ohne Aufenthalt in's Vrautgemach geleitet wurde wo sie allein und verschleiert, uuter einer Art Baldachin ihres künftigen Gatten und Gebieters zu harren hatte. Währenddessen wurde im Selamlik (Empfangshause) und im äußereu Hofraume das letzte und eigentliche Hochzeitsmahl eingenommen nnd nach diesem die Pfeife gebracht. Daß die im Kreise gepflogenen Gespräche den eigentlichen Gegenstand des Festes nicht berührten, versteht sich von selbst. Es wäre eine ml Beleidigung grenzende Unzukömmlichkeit, den Ottomanen über Dinge zn unterhalten welche das innere Haus-wcsw oder sein Gefühlsleben berühren. Anf dem Platze vor dem Serail ward es still und stiller. Die Stimmen der großen Trommeln und der Pfeifen verhallten bald in der Ferne, die wenigen Fackeln verglommen im Dunkel der Nacht und nnr spärliche Grnppen waren zurückgeblieben um über den Ringkampf zu debattireu, dieses oder jeues Detail des Festes mit einem ähnlichen der Vergangenheit zu vergleichen oder irgend eine Episode desselben zu glossireu. Nach eiuem kurzen Gebet wurde vor Zeugcu zwischen dem Vater der Braut uud dem Bräutigam das: „Ich gebe sie" uud das: ,,Ich nehme sie zum Weibe" feierlich ausgesprochen und somit der eigentliche Trauakt vollzogen. Hierauf geleitete die Gesellschaft lenchtertragend den Letzteren in das Muabein (Zwischengemach) bis an den Eingang zum Harem. Hier mußte er noch ein durch einige fromme Sprüche verlängertes Gebet über sich ergehen lassen und betrat sodann, seine Pantoffeln an der Schwelle lassend, das Heiligthum. Möge ihm die Entschleierung des Augesichts seiner, wie — 221 — ich vernahm, 14jährigen und, um mich im orientalischen Styl auszudrücken, ,Mienhaften, mondscheinantlitzigen" Braut eme angenehme nnd die später fallende psychische Entschleierung keine unangenehme Uebcrraschung bereitet haben, — Die Zeit meines Aufenthaltes in Nnjeh war verronnen. An einem der nächsten Tage verabschiedete ich mich von Suleymau Bey und den auderen liebgewordenen Freunden und bestieg bei schönem Wetter und günstigem Winde eine Barke mit lateinischem Segel, um iu Cheresonde den Messa-gl'riedampfer. welcher mich nach Traftezuut bringen' sollte, einzuholen. — Das Segel blähte ein frischer Hauch vom Lande. —-"^uch eiuige Grüße, noch eiueu Blick znrück anf das frennd-liche Gestade, uud hiuaus in die See, hinaus in die Welt, hinaus in ein Leben, welches Unjeh ebensowenig verstanden haben würde, wie dieses sich bemühte, sie zu verstehen. V. Verschiedenes vom Pontus und von seinen Ufern. Die Felnke sollte mich zunächst nach Cheresonde bringen, ^as Fahrzeng War eine jener Barten, wie man sie am Schwarzen Meer in türkischen Werften zimmert nnd in ähnlicher Form wol schon znr Zeit des großen Soliman L^nnmert habeil mag; in der Erscheinung eine Art mittelalterliche Diminutiv-Galeere, am Hiutertheil reich mit grobcm Schnitzwerk verziert. . Mein Segler War nicht schwerfälliger alö seines wichen, nicht älter als man es in einem halben Jahrhundert werden kann, nicht mehr belastet, als die Raum- — 222 — Verhältnisse zuließen, und entbehrte eines Verdeckes. Nach türkischen Begriffen über Reisekomfort ist das übrigens kein Mangel. Der Orientale vermeidet gerne den Aufenthalt im geschlossenen Schiffsraum. Man sieht selbst auf den europäischen Passagierdampfern ottomanische Würdenträger ails ihren Cabinen ans das Deck flüchten und sich daselbst für die Nacht einrichten. Für inich wurde indeß ein Stück Segeltuch zur Vajüte improuisirt. Ein über Wollsäcke der Ladung gelegter Teppich nebst vinem Kissen vervollständigten die Anstalten für meine Nachtruhe. Die Ausfahrt ans dem Hafen von Uujeh ging unter den günstigsten Anspicien von Statten. Wir hatten herrliches Wetter; eine frische Brise vom Land blies uns ill die offene See, deren duftig-durchsichtige Nebelwalluugen die Strahlen der Morgensonne lachend hinwegküßten. Die Bewohner des Pontns, die Springfische slvaika« daiM) blitzten massenweise vor unseren Blicken anf nnd gaben uns in lnstigen Sprüngen das Geleite. Das Orakel des Orts-Mnfti, der es sich nicht hatte nehmen lassen mir die „glückliche" Stnnde eines „glücklichen" Tages zu bc-zeichnen, um das „Reisekamecl Zu melken," schien eim'N besondern Ehrgeiz darein zn setzen, seinen Vertünder nW Lügen zn strafen. Wenn die Fahrt im weitern Verlanf nicht so ganz glatt ablief, als es nach seinem Ausspruch hätte geschehe sollen, so entkräften kleine Elementarbosheiteu keineswegs das Vertrauen eines gläubigen Gemüths in den Einfluß bcr „glücklichen Stunde." Eine solche währt eben anch WM' Minnte länger als eine andere nnd es wäre unbillig, !^ für ihre Nachfolgerinnen verantwortlich machen zu wollen- — 223 — Auf der Barke befanden sich nächst mir und meinem buukelhäutigeu Diener noch zwei Passagiere: ein türkischer Chodja (Schriftgelehrter) nnd ein griechischer Weinhändler. Der Chudja, ein hochbetagter Greis, war auf der Heimkehr nach seiner Vaterstadt Chcresoude begriffen, nachdem er eben seine Pilgerfahrt zu deu heiligen Städten beendet und dadurch für den Rest feiner Pilgerfahrt durchs Leben den Titel eines ,,Hadji" erwarben hatte. Tie Rückreise von Alcxaudrien über Stainbul hatte er zu Schiff angetreten und war nach Unjeh abgelenkt, um feine Tochter und feine ^nkel, die dort wohnten, noch einmal zu segnen. Der Wmuhändler, l'm Sohn des griechischen Archipels, geleitete ^Mc in dem Kiel der Barke rnhenden Fässer nach demselben Ziele. Die Zahl der Knoten, die wir in der Stuudc znrück-ll'gtcn, begründete die Hoffnung am nächsten Morgen da->rlbst anzulangen, „Noch mit des Geschickes Wächten Ist kein ew'ger Bund zu flechten," besonders wenn sie durch die zwei launischesten Elemente vertreten werden. Wir sollten das, troh Mnfti-Horoskop "nd ,,glücklicher Stunde" anfs Nenc erfahren. Der gc-sällige, Landwind sprang gegen Mittag Plötzlich um und wachte ciuem energischen Nord-Ost Platz. Wir mnßten nns "nn, su gut es mit dem lateiuischeu Segel ebeu augchen Zollte, ans das Lailiren verlegen. Boreas aber ließ es dabei nicht bewenden. Er nahm die Backeil voll und voller und ^'stattete unferen Blicken bald eine gründlichere Prüfung der p"ntischcn Wasserschlüude als unsere Neugierde begehrte. Unscre Barke stöhute uud ächzte, als ob ihr letztes ^tü'udlciu geschlagen hätte; der Weinhäudler wurde unruhig — 224 — und langte nach seiuem Rosenkranz. Mir schien die Lage nicht bedenklich, denn der griechische Capitän und seine Matrosen schimpften nnd fluchten weidlich auf ihre Heiligen, Aber auch das wollte nicht helfen. Es blieb ihnen endlich nichts übrig als zn Weudcn und das Schiff von Wind und Wogen rückwärts treiben zu lassen, nm eine schützende Bucht zn gewinnen. Die Bnraske hatte bald zischend und toseud ihre ganze Herrlichkeit entfaltet. Von Bord eines großen Dampfers hätte sie jedem für derlei Naturäußerungeu Empfänglichen — die gehörige Seefestigkcit des Schiffes voransgesetzt --ein erhebendes Schanspiel gewährt; Uom Grnnde uuseres vrrdeckloseu, eiumastigen.Küstenfahrers jedoch war der Vollgenuß ihrer gewaltigen Schönheit nicht ganz nnbeeinlrächtigt. Im gelehrten Styl würde es heißen: die Objectivität der Anschannng ging in der subjeetiven Mitleidenschaft verloren-Von Minnte zn Minnte verschlinnnerte sich die Lage nnd wnrde endlich wahrhaft beängstigend; die Schisssleute fluchten uicht mehr; der Weinhändler war daran, alle Heiligen des orthodoxen Kalenders um Spezialfürbitten anzugeheu und der unter seinen fieberisch znckenden Händen arg zermarterte Rosenkranz drohte zu zerreißen. Der alte Chodja aber such^ im Kielraum eineu Winkel, wo das hcreinschlageude Salzwasser ihm nicht den Tschibuk verderben konnte. Unsero Nußschale balancirte bald auf dein Oipfel eiues schäilinen-den Wasscrberges, so daß ich die Augen schließen nmM um nicht vom Schwindel befallen zn werden, bald schien cs, als müsse sie im Dunkel einer mächtigen Furche von einer heißhungrigeinherstürluendenNiesenwoge verschlungen werden, Ich kam über eine gewisse Aufreguug, wie man s^ allenfalls anf einer gefährlichen Jagd empfindet, nicht hinaus! — 225 — wahrscheinlich hatte ich kein tolles Verständniß für die Gefahr. Der Ernst der Lage bewahrte mich vor der Seekrankheit, nicht aber vor einer gründlichen Dnrchnässnng. Plötzlich kreischte ein Matrose: „Wir Ziehen Wasser!" Das entzügelte die an Bord herrschende Paniqne gänzlich. Es stellte sich freilich heraus, daß der Schaden nnr geringfügig und der Gefahr dnrch Nnsschanfeln zn begegnen sei. Bald wurden, znr Erleichterung unseres Ballastes, Kisten und mehrere von den Weinfässern der Flnth geopfert, ohne daß ihr Eigenthümer gegen diese nicht vorhergesehenc Verwendung seiner Waare, die er bei der Abfahrt schwerlich in diesem Sinne zn wässern gedachte, Einsprache zu erheben vermögend war. Er lag wie, leblos auf dem Boden der Barke. Nachdem er über eiuige Dntzend X^rioolLisan und unterschiedliche Bestechungsversnche der Heiligen mittels Wachs-krrzengelnbden hinweggekommen, wimmerte er stumpf und theilnahmlos eine. Art Stoßgebet, — Meiu Diener, ein Ätegerjuuge, wies grinsend die weißen Zähne, die den Neid »ünes Haifisches hätten erregen könne», zur nervösen Lache. Der Chodja hatte anch seinen Tschibuk beiseite gelassen und brummte hin nnd wieder ein ,,Bismillah" in den weißen Bart. Der Cauitän und die Matrosen aber hofirten ihren Schutzpatronen jetzt ebenso niederträchtig, als sie vor Knrzem dieselben mit Scheltworten verunglimpft hatten. Das Pfeifen der Bora, das Zischen der brechendeu Wellen, das Senfzru der Raen und das Geknarre der morschen Schiffswände begleiteten weniger melodisch als har-uwnisch chr devoteö Gejanlmer. Bezeichueud war der Unterschied in der Haltuug des Ehodja iiu Gegensatze zn den Griechen. Halte die Gefahr die natürliche Lebhaftigkeit der Letzte- Murad Vfcndi. Tiirkischc EN;;o„ 1, 15 — 220 ~- rcn zu einer fast komischen Verzweiflung gesteigert, so verleugnete der Mahonledaner keinen Angenblick seine männliche Gelassenheit. Wnßte er doch, daß es kein Entrinnen gäbe falls das Fatnm seine Stunde bezeichnet hätte, daß aber das Wüthen des Elementes ihm uicht mehr auhaben könne, als das Kläffen eines zahnlosen Hundes, wenn sein ,,Msmet" (Geschick) nicht erfüllt war. So wirbelte denn unsere Barke im rasenden Reigen des Unwetters dahin. Drinnen wnrde gestöhnt, gebetet und Wafser ausgeschöpft, Glücklicherweise behielt der Steuermann, dem die schwierige Aufgabe Mag, dafür zu forgen, daß die Barke nicht umkippe, was bei den sich überstürzenden Wogen des Pontus gerne vorkommt, feine volle Besonnenheit. Er baute weniger anf die, fupernaturelle Intervention des Himmels, als auf feine eigenen wachsamen Augen und sehnigen Arme. Dieser Verstocktheit des wackern Steuermannes und schlechten Christen war es zu danke», wenn das arg mitgenommene Fahrzeug endlich hinter das schützende Kap Iason gelangte. Im Schntze des Knstenvorsprnngs konnten wir die Gefahr als überstanden betrachten und unsere Matrosen ließen jetzt ihre Heiligen, nm sich auf die Nuder zu verlegen. Nach zweistündiger Anstrengung gelangten wir endlich in eine Bucht, wo die Barke Anker werfeu konnte. Da sic aber'selbst hier noch, gleichfam zur Erinnerung, gewiegt wurde uud ich am Schaukelspiel geradezu genug hatte, zog ich es vor, die Nacht anstatt im durchnäßten Schisie auf dem Ufer zuzubringen. Am Rücken eines Matrosen gelangte ich dahin, Fährnissen entronnen mit denen ein fremdes Element uus bedrohte, wird man fich erst recht seiner Erdbürger- — 227 — schaft bewußt, Wie den Autälis durchströmt uus das beseligende Gefühl, sich seiner Füße Uüeder bedienen zil können, nachdem man sie eben erst als nutzlose Gliednmßen eiueo hilflosen Körpers zu betrachteu gezwuugen worden )var. Wie heimlich, wie sicher umthet uns dann die alte Mutter Erde au, wie überzeugend tritt uns die Zusammengehörigkeit mit ihr, aus dereu Stoff wir sind, und die uns wieder in sich aufnehmen soll, entgegen. Vergessen ist i» solchen Augenblicken, was Wir von ihr zu gewärtigen haben. Au ihrem, Buseu fühlen wir uns geburgeu uud beschützt. Die SchiMente gingen daran, mittels Feuersteiuen dürres Holz in Brand zu setzen, um sich dorerst am Feuer zu trocknen. Der Weiuhändler gelaugte jetzt bei der Rückkehr der Lebensgeister und mit dem Bewußtsein des geretleteu ,,Ich" gleichzeitig zu dem des erlittenen Verlustes und seiu Wimmern ging umi Nenem an. Schließlich mochte ihn die Neber-legnng trösten, das; er einen Theil des Schadens ja durch Abzug von deu gelübdeweise seiueu Schutzpatronen gewidmeten Wachskerzen einbringen nnd den Nest durch eine verstärkte Wiedertanfc des geretteten Weines ersetzen könne, denn er begab sich endlich anch zum Fener. Dort trocknete der Chodja bereits seinen Tabak nnd mein schwarzer Knappe setzte meine Effeeten in Stand; die Erlebnisse d^'s Tages wurden eifrig glossirt. >. Der Stimmungswechsel, welchen das nunmehrige Gefühl der Sicherheit in mir hervorbrachte, war so jähe, so nnvermittelt, daß ich mich geneigt fand, die überstaudenen Gefahren nnr als anregende Zwischenfälle zu betrachten, Ich gab mich dem Vollgenus; des prächtigeu Bildes, das sich meinen Blicken bot, ungetheilt hin, Die B u ra ske hatte 15" — 228 — sich mit Tagesncige etwas gelegt, abrr die dunkelnde See ging noch iiuiuer hohl; die gepeitschte Brandung brach schäumend und tosend ali deu Felsen dos Caps, als wollte sie vom Festland die elüwischtell Opfer zurückverlangen, während die iu vollster Purpurgluth uutergchende Sonne ihre ohnmächtige Wuth mit dcr ruhigeil Majestät ihrer Glanzerscheiuuug iliederznherrschen schien, , , , An: Ufer hingegen zirpten Cieaden im eintönigen Chorus uud Alles athmete Frieden und Ruhe. Ich betrat die Stelle, wo die Argonauten, »lit dem goldenen Vließ aus Kolchis rückkehrend, längere Zeit gelagert haben sollen. Bald ließ meine Phantasie alls dein umschatteten Ge-steill die unheimlich reizende Gestalt der t'olchischen Zauberin ersteheu. — Ta steht, an's Riff gelehnt, Medea uud schaut mit langem starren Blick rückwärts alls die durchfurchte Bahn, die sie ihrem Iason zuliebe betreten, nachdem sie ihm Alles, Alles geopfert. Weh — Iasou ist ein, Grieche! Wie eben jetzt, sauk auch damals die Sonne so blutig roth ms Meer, die, griechische Sonne! Tie Brandung stirbt zu ihren Füßen uud bricht sich, wie jetzt blutig beglänzt, ge-heimuißvoll klagend, bange seufzend am Ufer, am griechischen Ufer! Eiue schreckliche Ahnnng schneidet wild wie mit hnn^ dcrt Klingen dnrch ihre Brust; die Ahnnng eines Schmerzes, Uor dem das Weh ihres ganzen Geschlechtes erbleicht. Um die blasse Stirne znckt ein rother Sonnenstrahl, die schwarzen Locken bäumen sich, als ob Nattern darunter wühlten.., . . ,,Herr, der Kaffee ist fertig", so grinste mir mein Negerpage zu. Ich fiel aus dem Tranm der Mythe in die uüchterue, Wirklichkeit herab. Sie war übrigens weuiger nüchtern, als zu befürchten stand, Einige Eßvorräthe waren uuversehrt geblieben nud bewahrten nns vor allznstrengem __229 __ Fasten. Die durchnäßten Teppiche, Kissen, Decken N'aren getrocknet und uusere dampfenden Kleider zeugten bald für die restaurireude Wirksamkeit der Flainme. Wir hatten das Nothwendige für eine Nachtruhe unter gestirnte», Himmelszelt. Das Weheklagen des Weinfchänken loste fich zuerst iu cin wehmüthiges Schnarchen anf. Nasse Träume mochten ihn quälen. Der Chodja, uachdem er gewissenhaft sein zweites Nachtgebet verrichtet hatte, bettete sein greises Haupt mit einem ,,Bismillah" auf seinen lameelharenen Neifefack. Die Matrosen hielten abwechselnd Wache und besorgten das Bivouatfener, Ich selbst, noch eine Weile über Dies und Jenes sinnend, schlief endlich ein, vom rauschenden Klagelaut der Userwellen, vom (Geheul der Schakale eingelullt. Nie thätliche Intervention des Chodja, welcher längst den ueueu Tag mit seinem Gebet begrüßt hatte, veranlaßte mich^cinen Versuch zum Aufbruch zu wagen. Ich habe U'ol kaum jemals lessor geruht, als damals anf dem Sandboden der auawlischen Küste. Ja mein Schlaf war so tief, baß ich nicht einmal von Schiffbruch, wüster Insel und fmi-stigen Nobinfoniadcn geträumt hatte, wie e5 doch die Laae Programmmäßig erfordert hätte. Die See hatte sich beruhigt, der Wiud blies aber i'muer uoch eonträr. Die uothigsteu Ausbesserungen au drr sseluke konnteu den ganzen Tag in Ansprnch nehmen, ^m Abloarten am Ufer war umsoweniger einladend, als die Vorrathe knapp bemessen waren. Vs wnrde folglich beschlossen, die Reise fußwandernd fortzusetzen, um zu u'dnschlichen Wohnuugeu, fühlenden Herzen, dampfenden Kesseln und dienstfähigen Pferden zu gelangen. Das Gepäck sollte die Barke sobald als thnnlich nach Cheresonde nachbringen. Der Weiuhäudler gab seiu Votum in besonders. — 230 — lebhafter Weise für eine Landreise ab. Weder die Aussicht, vielleicht doch eines seiner Fässer auffischen zu künueu, noch die sophistische Folgerung in der Anekdote des Chodja — wie ein Landbewohner dein Seemann die Schrecknisse der See vorhält, wo doch nnr eine Planke zwischen ihm und dem gewissen Tod sei und von ihm die Antwort erhält: „Auf dem Festland hast Tu aber selbst diese Planke nicht" — vermochten seine Salzwasserschen zu besiegen. Nach einer sehr ermüdende» Wandernng im weichen Küstcusaud trafen wir eudlich auf einen Hirten, welcher uus seiueu Knaben als Wegweiser nach einein seitab im Walde gelegenen Bailernhuf beigab. Wir stolperten nnn noch an drei Stunden durch einen ziemlich jnngfränlichen Wald, dessen vierfüßige Inwohner uns indeß keinerlei Aufenthalt verursachten, obwol wir deren einige in ihrer Siesta zu stören schienen. Auch eine Begegnung mit Wegelagerern, die sich übrigens in dieser pfadloseu Gegend selten herumtrieben, blieb uns erspart. Eine solche hätte nnr der Börse des Griechen Schaden gethan. Ich nnd der (5hodja hatten nichts zu befürchten, denn der klcinasiatische „Haiduut" re-spectirt. den Efendi nnd hält sich ausschließlich an Kanf-leute. Als schlaner Politiker will er es mit der hohen Obrigkeit nicht.ganz verderben. Verschont also von jeglichen Zwischenfällen, gelangten wir endlich müde nnd abgehetzt zu dein ersehnten Gehöft nnd das Neich der „glücklichen Stnnde," welche das Reise-Horoskop verkündet hatte, schien.an dieser Stelle wieder anknüpfen zu sollen. Das Gehöft, in einer frenndlichen Lichtung gelegen, bestand aus einigen wohlgehaltenen Holzhäusern und verrieth den bemittelten Besitzer. Ter Garten und einige gnt be- __ 231 __ stellte Aecker zengten für fleißige Hände, deren Arbeit sich freilich bei der gänzlichen Abgeschlossenheit vom großen Verkehr nur wenig lohnte nnd höchstens dazn beitrng, dem HallKstand Neberflnß zn verschaffen. Der stattliche Hansvater but nns gastlichen Willkomm. Niemand hätte es denr Alten angesehen nnd wir erfnhren es erst später, baß er hente einen Tranerfall in, seiner Fa-milie gehabt hatte. Nllr eill anfmerksainer Veobachter hätte die Wolke tiefer Wehmnth ans den Niettergebräunten. zeit-dilrchfllrchten Ziigen heranSgelesen, Seii: jüngster Sohn, sein Liebling, war Morgenv gestorben, Mittags war er bereits begraben nnd nichts verrieth änsierluh das Traner-Hans, Der Ottomane gibt seinein Schmerz öffentlich keinen Ansdrnck. Der Glanbe nnd der Fatalisnins inachen ihn denselben übrigens gelassen tragen. ,,Es stand geschrieben/' ist die allgemeine Panaeüe für Seelenschinerzen, die Gewißheit baldigen Wiederfindens, der Balsam anf die Wnnden der Trennnng. Tie Vestattnng der Todteil ist bei Groß nnd Klein, bei Reich nud Arm wenig umständlich. Sobald der Tod eintritt, wird die Leiche gewaschen; nachdem hieranf die Ohren, der Mnnd, die Nasenlöcher mit Baumwolle verstopft wurden sind, wird der Todte, in Linnen gehüllt, in einen "sfenen Sarg gelegt, ein Shawl, dient diesem als Deckel. Ohne weitern Anfenthalt >md nach knrzen Gebete!?, die jeder Moslim sprechen lann, wird er znm Vestattnngsort getragen. Ill den Städten übernehmen die ersten besten ^urnbergehend'en abwechselnd die Stelle der Träger. Das Gesicht gegen Osten gewendet, wird er sodann ohne andere ^eremonie beerdigt. Für allenfallsige,,Scheintodte," freilich — 232 — cm bedenklich rasches Verfuhren. — Von dein Trauervomp, mit welchem die christliche Kirche die Phantasie der Hinterbliebenen nmdüstert, von der raffinirten Ni86-en-5eön6, mit welcher sie die Trauernden quält, weiß der Muselman nichts. Der Friedhof, den er mit Vlnmen bepflanzt, ist ihm ein Erholnngsurt, keine Stätte des Schreckens, der Fnrcht. Im stockhohen Hanptgebäude wnrde uns geboten, was nnsere Lasse erheischte: frenndliche Oemächer, frische Lager nnd ein nach Landesbegriffen reichlich besetzter Tisch. Dein würdigen Hanswirth standen noch drei erwachsene Sühne, Hünengestalten wie er selbst, dienend znr Seite. Zwei andere waren beim kaiserlichen Heere, das so viel, so viel ottomanisches Blnt verbraucht. Die Zahl der Mädchen, mit welchen der Segen Allah's diesen Patriarchenkrcis zu vervollständigen für gnt befand, vermag ich nicht anzngeben. Mügeu es nun Töchter oder Schwiegertöchter des Alten gewesen sein, bei der Abreise sah ich von den Fensterluckeu eines Nebengebäudes eine reiche Auswahl lieblicher, kaum verschleierter Köpfe uns neugierig mnstern. Unsere Abreise fand am nächsteil Morgen statt. Wir erhielten Pferde, einen Führer nnd ein treuherziges ,,Mit Gott" auf die Reise. Das Anbot einer Entschädigung würde unser Wirth als einen Schimpf für sein Hans erachtet haben. Denn obschon die Gastfreundschaft iu allen jenen Ländern ihre weiteste Ansleguug erfährt, wo sie sich auf nothwendige Gegenseitigkeit 'gründet, also in den wenig cultivirten, so muß der freimüthig gastliche Sinn des Muselmanen doch besonders hervorgehoben werden. Wir gelangten nunmehr ohne weitere Hindernisse nach — 233 — Eheresonde, dem ,,Ccrasns" der Nümer, -Meine Reisegefährten hatten ihr Zicl erreicht. Der Chodja hielt bei dem Brunnen der ersten Moschee, um sich dort dnrch die gebotenen Waschnngen znin Abendgebet zn riisten, an welches bn' Muezzin die Gläubigen eben erinnerten. Der Weinhändler hielt vor einem schinntzigen Kliffeehlmse und seine l)eft!gen Gesticnlationen verdolmetschten mir hinlänglich den Sum der mit halsbrecherischer Eile sich überstürzenden Nurte, die er dem Willkommgruß der Geschäftsfreunde stürmisch entgegensprndelte. Der Frevel, den Neptun zn satten Nngunsten an den Rechten Silen's begangen hatte, Uldete jedenfalls den Kern seiner leidenschaftlichen Eintrittsrede. Die Felnke hatte den günstigen Nordwest benutzt nnd schaukelte bereits im Hafen. Nachdem das Dampfschiff, ^'l'lches am Vormittag hätte eintreffen sollen verspätet war, konnte ich mich sogleich nach Trapezunt' einschiffen. Mit nächste,, Morgen langte ich vor der alten Komnenen-ftadt an. VI. Trapczunt. Die Lage von Trapezunt berechtigt diese Stadt voll-wiiimen zu dem Anspruch, den vier orientalischen Eden (Stambnl, Brnssa, Smyrna, DamaStnS) beigezählt zn werden. Ihr Anblick regt den Pinsel des Malers wie die Leier ^s Sängers gleich mächtig an. Mir war, als sähe ich hu'r du Stück Italien mit einem Felsrieseu des ^antasns A'Pnart. . — 234 — Die jahrüber mit Schnee bedeckten Firste des Anti-taurils zur "liechteu, die üppige Cbeue zin- Linken, der in Felseilzerlliiftnng theils wildromantische, dann wieder zum anmuthigen Hügelland gewellte Hintergrund, leihen ihr ebenso wcchselreiche als farbengesättigte Perspectiven, Dazn gesellt sich der Reiz schattiger Platanen, dnftender 3iosenhecken. der Ansblick ans das Meer und die Nachbarschaft der Orangenhaine von Riseh. deren Tnft die Atmosphäre anf Meilen durchhancht. Wahrlich! Die nordauatolische Schöne ist eine reich ausgestattete Tochter der orientalischen Natnr. Die in mythischen Dännnerzeiten von Synope angelegte Stadt, in deren Manern Alexinö im Jahre 1340 seinen Kaiserthron aufrichtete, trägt keine Spur mehr uun jenen Tagen. Nein Zeichen mahnt mehr an den üppigen Hof der Komnenen, den Schüßling des byzantinischen Cäsarenpalaftes, zu dem selbst dentsche Kreuzfahrer wallten, um in Turnier und Waffenspiet die blonden Reize ihrer ferne harrenden Damen gegen die knhängigen, dnnkellockigen GriechenschöncN zn vertreten, ^ast gar nichts nnterstiitzt die geschichtliche Erinnerung an die Epoche, welche der Besitznahme des kurzlebigen Reiches dnrch Snltan Mohamed II. voranging nnd die mit dem Mlle des letzten Baisers David ^omneiu's (1461), der seinen Hcrrschertranm unter dem Veil des türkischen Henkers in Adrianopel endete, so tragisch absclM;-Der stets wechselnde, immerfort sich neuende Halbmond liebt es dnrchaus nicht, Denkmäler uon Menschenhochmnth errichtet, zu umflimmern. Der Ottomane, hierin der Äntl-pode des Engländers, hat gar keinen historischeu Sinn. Styllose Trümmer, deren Entw'nrf dein Kaiser Hadrian zugeschriebeu wird, uud in Welche eine erregte Alterthum^ forscher-Phautasie einen Tempel hineinzndichten verinöchtc, — 235 — dann eine ,,steiualte" Fetseneitadelle silid die einzigen, greif-bareu Teukzeicheu, daß Poutus uud Colchis nicht immer Ult Schatten dreier Noßschweife von cinent Pascha verwaltet wurden. Die Ringmanern um die Stadt tragen die Signatur türkischer Bauart uud Sorglosigkeit, Die Stadt Trapeznut soll an Ü5M0 Einwohner be-^Nlseu, Ich sage ,,soll", deuu über eiu breites Frage-^'uhl'u kommt man bei dem Stande der ottomanischen Sta-Wit in derlei Schätzungen nicht hinaus. Sie ist auch nnter "l'M Osmanenseepter der Hauptstapelplah für den persischen "lNawauenhandel — nud dies trotz der uru'eltlichen Ver-^'hrviucg^> des anatolischen Hinterlandes nud des bedenklichen ^»standes, das; die Rhede, den Schiffen nnr bei schönem, windstillem Wetter Schntz nnd Zuflncht gewährt. Ihr ^tnneichluidel erstreckt sich weit hinein bis nach Cmtral-^"1, biö au die Grenzen Indiens nnd des „Blumenreiches ^'r Mitte". In letzter Zeit zwar Ht sie eine starkeEinknße er-'^'n; deuu uach dcfiuitiver Besitzuahme des Kankasns durch ^ußlaud, gelaug es dieser ^iacht eiueu Theil des persischen Handels über Georgien zn leiten, Die Stadt, die mit ihren vielen Gärten eiueu großeu unfang einniinmt, hat ein echt orientalisches Ansseheu. Sie ^l)t gcräiunige KaraNianserais, einen ausgedehntcu Vazar, ^hlreich^ Bäder und mehrere, wenn anch architektonisch ""bedeutende Moscheen. Trapezuut besitzt aber anch — nnd nicht viele östliche "tädte Wunen sich dessen riiymeu — eiue niustergiltige "H^'rstraße". Der Widerspruch, iu deu ich hier zu ge- ^tl^n sch(!ii,^ jst mit weuig Worteir gelöst. Trapezuut be- - diese Heerstraße, aber ebeu ililr Trapezuut; denn sie — 236 — reicht kaum über das Weichbild der Stadt hinaus. Sie wurde vor zwanzig Jahren begonnen, ihre Entstehung verschlang namhafte Summen, verschlingt vielleicht noch immer eiueu Posten des Provincial-Budgets, sieht aber in echt islamitischer Geduld einer Fortsetzung entgegen. In Trapeznnt ist das europäische und nentürtische Kleid selten auzutreffeu: der malerische Turban, der fal^nreichc' Ueberwnrf herrschen vor. In den Straßen, auf den Plätzen trifft der Blick nur auf morgenläudische Trachten, auf Kara-waueuzüge uud Drmnedargruppen, Die Einwohner sind der Mehrheit nach Ottomanen. Die Bezeichnung mit ,,Türke" wollen wir sorgfältigst vermeiden, deuu sie wird im Orient als Schimpfwort gebraucht: mau kennzeichnet damit einen lümmelhaften Kerl. Sie würde deu Vingebornen des Stammlandes der Osmanenmacht umso empfindlicher berühren, als es bekannt ist, daß der ,Mendi" den Begriff bänrisch ohnehin gleichbedelitend mit anatolisch hält. Die reckenhafte, 't'örn du' Ursprache lehnt, nnd endlich seine rauhe Aussprache, die il!" die Worte ähnlich dein Kollern eines zürnenden Truthahn^ hervorstoßen macht, werden vom geschniegelten Konstantins pler mit Vorliebe bespöttelt. Der naturwüchsige Klein-Asiate ist das Stichblatt siv' den „Efendiwih", wie e^ einst im gemüthlichen Wien der — 237 — ungarische „tädla I»in'>" für die Bierhans-Auekdote gewcscn ^- Ich lasse zur Betl)ätiguug des Vorhererwähnten die ^isticheu folgen, welche der ottomanische Dichter „l'as^i" (der Treffliche) in seinem ,,Bnch der Weiber", darin er die m'aneu aller il)»> betanilteu Nationen besingt, der Anato-^U'rin widmet: Es sind die Weiber all in Anatol Unwissend nnd uon Zic^rncn voll; Und nimnlt sil,' cincn doch mit Lil'be cin, Kann es ein Anatolier nur sein; Es machtc Gott der Hcrr aus gntcn Gründen, Naß Thiere gegenseitig schön sich finden. Den Branch, wenn ihre Töchter sich vermalen, Ten häßlichen, will ich Mr nun erzählen: Sie ziehen aus die hilfentblös;te Vrant, Und schmieren.Farbe dicht ans ihre Hant; Es trägt des Zuges Führer eine Krähe, Tie plaget er mit tausend.Pein und Wehe, Und Alle schliehen nin die Kräh' den Kreis Als ob der Vogel sänge Gottes Preis, Und wenn der Nabe schreit Kräh! Kräh! Krcih! So schrei,, sie Me laut Allah! Mah! Gott halte Dich, Dn dnmmes Volt, in Ehren! Er wolle Teine Dnmmhcit stets uermehren. ^ Gebräuche, lästige, dergleichen mehr Will nur geziemen nicht zn zählen her. Es mag genügen dies entscheidend Wort Für Männer reineren Geschmacks sofort. 3asyl scheint die Schmien au dein Küstenstrich zwischen ^"'usuu uud Chen'smlde nicht gekannt zu haben, sein Urtheil '"uwe Mst anders lauten. Tie Sitte mit der Krähe ist — 238 — uralt uud Hut religiöse Bedeutung. Tic Krähe tritt schon in den Sendbnchern als ein heiliger Vogel auf und das Geschrei derselben gilt als Natllrlob Gottes für ^Nlül nnaä (Gott ist Einer), Unter den Muselmanen sind noch die Kurden und die Lasen als stammverschieden von den Osmanli besonders zn bemerken. Man erkennt sie weniger an der eigenartigen Gewandung, als an der Gestchtszeichnung, die in den östlichen Ländern immer unterschiedlich und typisch ist. Die, Kurden, den Alten nnter dem Namen ,,Gordyäer" bekannt, kommen aus dem Innern Kleinasiens nnd schlagen ihre Kameelhaarzelte nahe der Stadt anf. Nach Besorgung ihrer Geschäfte, meist in Tauschhandel bestehend, wandern sie nomadisirend weiter. In ihren Gesichtszügen ist die Abknnft vom indogermanischen Stamm deutlich ausgeprägt, Wo sie uicht in ihren Städten wie Van und Schehrzor ansässig sind, da treiben sie Viehzucht, am liebsten aber Raub. Die Lasen, welche häufig in Trapezunt angetroffen werden, sind Nachbarn der Pontusstadt, worüber diese gerade nicht Ursache hat besonders erfrent zu sein; deuN sie sind gleich den Kurden geneigt, die Fragen über den Besitz mit bewaffneter Faust und im Siune der individnellen physischen Kraft zn lösen. Sie bewohnen das Hochland östlich vuu Trapeznnt nnd dessen Abhänge gegen da5 Ust'^ Dieser Küste »strich, der sich vom Kav Komm'-Wirnn bi<' nach Georgien ausdehnt, ist nnter der Rümerherrschaft a^' Lasica nnd als Heimat vorzüglicher Obstgattuugen bekann.- Die lasische Mnndart ist eine Abzweigung des iberische Sftrachstammev nnd läftt anf die VerU'andtschaft der Last'U mit de» imretischen, mingrelischen uud georgischen Völker^ schaften schließen. — 289 — Zur christlichen Bevölkerung stellen die Armenier, Wrnn nicht das umiierisch stärkste, doch das beachtenswertheste ""ntingent. Hier haben sie den Stammtypns, der sich in ^ gekriimnlten, fleischigen Nase und in den dicht zusammeu-lpwachsenen Augenbrauen ausprägt, in streugster Reinheit ^wahrt; auch kennzeichnen sie sich durch ihre Kleidung und ^beusweise. Der schwarze Turban, der dunkelfarbige Kaftan "ud ilM' i,„ Gegensatz zu den bunt augestricheuen ottoina-uischen Wohnsitzen düster bemalten Hänser, geben nebst An-^m Z^^^i^ fi^- dcn konservativen Zug der hiesigen Armenier. Dieses fügsame, gewinnkuudige Völkchen, das sich mit "l'u Sitten und Gebräuchen der herrschenden Race voll-u'unien identificirt hat, scheint berufeu im Waudluugsproceß "^' Osntanenstaated eine wichtige Rolle zu spielen. Es ^uiesit das Vertraueu der regierenden Kreise schon darnm, ^'"l »„au seinem Ehrgeiz nicht zumuthet, daß es sich, selbst ^' Rausche des kühnsten Chauvinismus, zum Grnndnngs-^'"ject c-ines autonolllen Staates versteigeu konnte: dies N'ärc ^'' als ob Israel die Maueru Zious wieder crrichteu wollte. ^ Es versieht das ganze Osmanenreich nicht allein mit ^lürstehern und Hausknechten, sondern es hat auch in allen Handwerken, im Klein- und Großhandel, selbst in der Ver-""ltnug bis zu den höchsten Staatsämtern eine maßgebende ^ellung erworben. „ ' Juden sind in Trapeznnt nicht alisässig. Sie gelangen übrigens in keiner ottomauischen Stadt, wo Christen und ^sonders wo Armenier Hantiren, zu einer Rolle. Das Verhältniß zwischen Mahomedanern und Christen '^ hierzulande ganz friedlich. Die Ersteren im Vewnßtsein N'cr Sicherheit anf einem ihnen nicht bestriltenen Terrain, — 240 — kommen Ilicht in die Lage, ihre Anwrität besonders und gewaltsam beweisen zu müssen, wie dies in den rumelischen Provinzen hin und wieder vorkommt: die Letzteren fügen sich der bestehenden Ordnung ohne weitere Kritik, Man könnte dieses Verhältniß mit einer Ehe vergleichen, in welcher beide Theile, ohne dnrch den Hafchischtranin der Liebe der Sphäre irdischer Unvollkommenheit entrückt zu werden, erträglich auskommen; der Mann findet Gehorsam nnd fordert nicht mehr nnd das Weib sieht in ihm den Gatten nach dem Wort der Bibel ,,Er soll dein Herr sein". Das abendländische Element ist in Trapezunt nur spärlich vertreten. Die Consulats-Veamten, deren Jeder das Wohl nnd Wehe seines Staates ans den Schultern zu tragen vermeint, einige Aerzte, die Niemand mit einer Nachfrage nach einein Tiplom oder Rigorosnm chieanirt, wein^ Kaufleute, die es Uortheilhaft fanden, die orientalische Milch ostwärts vom l^ldeueu Hurn abznsahnen, Sendlinge der englischen Bibelgesellschaft, die jedem Vorübergehenden eine „1wl)s didlo" ill dieHand drücken und eine Methodisten-Familie vou jenseits des Oceans, deren vorzüglichstes Attionsobject die armenische Vevölternng abgibt, sind die spärlich gesäten Vertreter der Dampfzone nnd der Railwayregioueu. Zahlreich unter den Fremden, freilich fremd nur nach dem politischeu Begriff uud von, Paßstandpunkt aus, sind die Perser, die sich in Trapeznnt förmlich eingebürgert haben. Die Osmanli vertrage» sich indeß schlecht mit den Söhnen des mnselmanischen Nachbarstaates. Sie hassen sich so recht vom Herzen, wie dies nur unter Nahverwandten vorkommt. Der alte, ewige, unversöhnliche Haß zwischen Turau und Iran, den schon Firdnst in seiner nnsterblichen Schah-uame besingt, wird von den — 241 — wuslemitischen Persern und von dm Ottomanen auch ans ihrer Neuen westlichen Heimat fort unterhalten. Das religiöse Schisina, Welches die Schiiten nnd Snnniten, Anhänger Ali's (Perser) nnd die Anhänger der Khalifen (Ottomanen) entzweit trägt, wenn möglich, dazu bei, ihn zn nähren. Gs koinlnt anch iin Weichbilde Trapeznnts trotz der mildernden beschwichtigenden Atmosphäre, welche die Signatur jeder Handelsstadt ist, fast täglich zn Thätlichkeiten nnd Schlägereien. Der persische Ser-Schehbender (General-Consnl) ist ein vielgeplagter oft überlaufener Mann. Ich versänmte nicht, die Bekanntschaft dieses eifrigen Beschützers iranischer Interessen nnd persischer Kinnbacken zn machen nnd wnrde von Ali Khan, so hieß nämlich der damals Fungirende, mit jener ostentativen, hypersüßen Höf-llchkeit, die den persischen Gentleman kennzeichnet, anfgenom-wen. Ali Khan vertrat, nebst den öffentlichen Interessen des Löwen- nnd Sonnen-Banners, persönlich einen Gat' iungstypns seiner Stammgenossen nnd Collegen. Er zählte zur gemäßigten Neformpartei seines Landes und hatte folglich, wenn auch mit einer gewissen schüchternen Reserve, die distinctive Kleidung der persischen Fortschritts-männer angenommen; diese Verbindung lieh ihn: ein mehr bizarr-possirliches als imponirend malerisches Lustre. Die hohe Lammfellmntze war um einige Zoll verkürzt, der Bart Nlndgeschoren nnd auch nicht ziegelroth gefärbt, wie es die frühere Mode erheischte. Die schwarzen Beinkleider ließen die Scheere des fränkischen Kleidertünstlers ahnen; nnr schlenkerten sie in behaglicher Weite nnd kanm bis an die Fußknöchel hinabreichend nm die Beine des persischen Diplo-nwtl'n, nnd gestatteten den freien Anblick der buntgestickten "^llstrülnpfe, denen fränkische Glanzleder-Galoschen als Aturad Efendi, Türkische SttzM 1. 16 - 242 - unterste Begrenzung dienteil. Die schwarze Atlaseravatte nahm einen heroischen Anlauf zur dandymäßigen Masche, aber der nngesteifte zerknitterte Hemdkragcn schien gegen diese frevelhafte Neuerung lebhaft zn Protestiren. Die Weste verrieth bereits die Neigung, abendländischen Schnitt dnrch den nationalen Shawlstoff wett zil inachen, uud der enganliegende, bis über die Kuic reichende Kaftan ans perlgranem Tuch uut Silberborden eingesäumt, zeigte vollends nnd energisch die Tendenz, ein Gleichgewicht gegen die eingangs anfge-zähltcn revolntionären Abzeichen herzustellen. Meine Beschäftigung mit der perfischen Sprache und Literatur, der ich mich damals leidenschaftlich hingab, brachte mich häufig iu Berührung mit Ali Khan; ich wurde zmn ständigen Gast in seinem Hause. Nnr den Speisestnnden snchte ich wo möglich auszuweichen, obschou das bei den orieutatischen Branchen nicht immer leicht ist. Nicht als ob die nach allen Regeln persischer Kochknnst znbereiteten Gerichte diese Scheu gerechtfertigt hätten. Nein, Ali Khan hatte den Nuf eiues Feinschmeckers und verdiente ihn. Das mit Pi-stazicn gewiirzte Pilaf seiner Küche, die aulbradnftenden Sorbets u. f. w., konnten als mnstergiltig vom Kouh-y-Hind bis Belgrad anerkannt werden; aber es wurde bei ihm streng orthodox fcrvirt. Es fehlten nämlich an feinem Tisch oder vielmehr auf fciuer meffingenen Tischplatte die selbst bei den Ottomanen von altersher gebräuchlichen Löffel, Dn' Finger waren wie zn Zeiten Vater Adams das einzige Eß^ besteck, der Zimmertepftich stellte bei der Mahlzeit das alleinige Sitzmübel dar. Auch verfehlte er als aufmerksamer Amphy-triou nicht, beim Pilaf Klöße in der hohleu Haud zu kneten uud sie dem Gast, den er besonders ehren wollte, huldreichst anzubieten. Unglücklicherweise zählte ich zn den Gästen, du' er besonders ehren wollte. So sprach ich denn gewöhnlich uach den Speisestunden bei ihm vor nnd begnügte mich mit mier Tasse Thee, die den Besnchern während der Conversation wiederholt gereicht wird. Der Thee, in dessen Bereitung die Perser Meister sind, ist bei ihnen ebenso popnlär. Wie. der Kaffee bei den Ottomanen. Deßgleicheu ersetzt bei ihnen der kühle Ranch des Kallinn (Wasserpfeife) den qualmenden Dampf des Tschibnk. Ich verlasse hiemit die Person des Vertreters Persiens, um mich ein wenig mit den Sühnen dieses Landes, deren lch Einige bei Ali Khan kennen lernte, im Allgemeinen zu befassen. Die gebildeten Perser bedienen sich gewöhnlich der türkischen Sprache, die sie mit starkem Aceent nnd in derselben singenden Manier wie ihre Mnttersprache reden. Der Dnrch-schnittsperser ist das Widerspiel des Ottomanen. Nervöser un physischen Ausdruck, lebhafter in der Rede, rascher in der Auffassung, steht er in der Charakterbildnng, im sittlichen behalt nnd in der Gemüths-Anlage tief unter den Nach-wminen der „Tataren von der weißen Horde." Der Ottomane ist fast wortkarg, feine Rede, ist gewichtig; der Perser ist cm starker Dialectiker, dabei aber rücksichtsloser Sophist. Er besitzt nnbestreitbar'mchr natürlichen Geschmack nnd Schönheitssinn, als der Ottomane nnd h"t. was die Fähigkeiten und Natnranlageu betrifft, viel vom ^sraeliteu und Hellenen zngleich. Wenn er anch religiös fanatischer erscheint als der Ottomalte, so dürfte die euro-l'äische Reform bei ihm doch leichtere Verbreitung finden als Unter dem Scepter des Halbmonds. Denn, sowie beim ^Panier nnd mehr noch als bci diesem, erscheint bei den Ottomanen der Glanz, die Macht des Staates als eng ver- 16" — 244 — knüpft mit der Religion. Mit dem Islain beginnt und ans demselben entsteht die Geschichte des Osmancuthums und die Größe desselben. Der Ruhm des Islam ist der Nuhm des Ottomanen. Nicht so beim Perser. Seine Vorfahren waren Perser anch vor dein Islam, seine Nationalität war auf staatlicher Basis außer demselben bereits ausgewachsen. Seine geschich<> lichc Erinnerung reicht über das Entstehen seines Glaubens zurück; Iran war schon in vorislamitischen Zeiten ein mächtiger, rnhmreicher Staat. Der Ottomane ist Hirte, Laudbebaner nnd Soldat, der Perser ist Handelsmann nnd Künstler. Im Weichbild Travezunts befinden sich noch einige übergebliebene Wohnsitze der Derc-Bry (Gaugrafen). Diese Zwingburgen, deren Erbaner vor Einführnng der Alles niuellirenden Reform von hier ans im Lande schalteten nnd walteten, gewähren hente ihren Nachkommen eine bescheidene Unterkunft. Entfiederte Käuzchcn nisten schüchtern in den gähnenden Gemänern, daraus die Geier verjagt wurdcu. Bald nach Vernichtnng der Ianitscharcn begann die Pforte den Ausrottungskru'g gegen die Feudalherren die sich bislang, nntcrstntzt von den Laseil nnd Kurden, als uuabhäugige Herrscher benahmen. Hatte doch eben hier in Trapeznnt Hassau Oglu dreißigtansend Bewaffnete anf-geboten, um Nnßland anf eigene Fanst zu bekriegen. Die Einführung der Reform gab ihnen den Gnadenstoß- . Die einstigen Veziere hatten im Interesse ihrer eigenen Erhaltung gegenüber dem Divan für die als Bundesgeuossrn schätzbaren, als Geguer gefährlichen Derc-Bey Rücksicht zn uehmen gehabt. — 245 — Anders stellten sich zn ihneu die umnuehr als Pforten-^eamten fnngireuden Paschas, welche die Einen gegen die Anderen stellten, bis sie sich zniu Vortheil der Centralregie-rung nnter einander altfgerieben hatten. Zur Zeit der "seidenen Schnnr/' der willkürlich verhängten Machtsprüche, ^>ar dor Einfluß der Ceutralgewalt gegenüber den einzelnen Gliedern des Staatskörpers, ja selbst gegenüber ihreu eigcucu ^iandawren ^st illusorisch. Tiese befanden sich in beständiger Auflehnung gegen die Pforte. Die Gewaltthätigkeit von ^ben rief Gewaltthätigkeit vuu unteu hervor; ja diese giug Hr nicht selten Uoraus. Der niißtrauische Sklave wurde Hum Rebelleu au? Furcht. Erst das mildere Regiment ^kam die RegiernngFzügel in die Hände, der Sammt-^>andschnh brachte zuwege, was das Richtbeil nie vermochte, die, Fcder der Bureaukratie hatte Erfolg, wo der Nlitz des Kalifen sich machtlos erwies. ' Heute sind die Nachkmnmeu der noch vor 50 Jahren ^wältigen Dere-Bey verarmt uud ohne jeden Einstuß, weuu ^' nicht iu der öftentlichcu Laufbahu, welche in der Türkei die einzige Quelle aller Bedeutuug, alles Ansehens ist, etwa "nporgekommeu sind. Ich traf den Sohn des Mächtigsten Unter ihnen als greisen Derwisch öfter im Bazar. Seine Erscheinung mahnte au die Bettlergestalten der verkleideten Sultane in morgenländischen Märchen. Weltverachtnug schaute trotzig ans den löchern seines hundertäugigen Kaf-l"us, defseu Flickgewebe zur Frage verleiten tonnte, ob der ^luff udrr die Löcher früher bestaudeu, ob jeuer blos eiu ^lirwalid für diese oder dieser nur ein Vorwand für jene !rien. E,,' ^^, ftlindenlang am Brunneil ohne ein Wort zn Pechen, grüßte Niemanden, auch den Pascha nicht — ja er Wte dem Khalifen getrotzt. — 240 — Von dell muselmauischeu Schönen Trapczuuts bekam ich nicht einmal die Augenbrauen,' geschweige denn die Nasenspitze zn sehen. Eine schwarze Noschaarmaske und der landesübliche blau-weiß carrirte Mantel eiltziehen sie den Blicken der Neugier vollständig. Eigenthümlich ist ihre Art, mit Karawanen zu reisen. Wenn sie sich nicht des languhrigen Thierchens bedienen, welches hierzulande im weißen Habit besonders geschätzt wird, so werden sie in Korbgeflechten, ,die an beiden Seiten des zum Damentransport bestimmteil Dromedars hängen, untergebracht und trausportirt. Bei den Empfindlicheren soll eine Art Seekrankheit uach einer solchen mehrstündigen Reise unausweichlich ciutreteu. Die Armenieriuucu kleiden und verhüllen sich hierzulande noch nach Art der „Bekeunerinnen des Buchs/' nur Wählen sie dunkle Farben. Ans dent hiesigen Roßmarkt sind alle orientalischen Pferde-gattuugen reichlichst vertreten. Da tummeln sich arabische Nenner, schweif- uud mähuenlose Turkomaneu-Pferde, da-zwischeu die strapatzeugewchutcn Bergsteiger ans dein armenischen Hochland, Kurdenrosse vom Tigris, tatarische Steppen-thiere nnd nebenbei die eingeborenen Gänle, weniger bestechend durch die Erscheinung als empfehlenswerth vermW ihrer Tüchtigkeit und Ausdauer, iu seltenster Mannigfaltigkeit umher. Die Pferde siud ill gewissen Zeiteil um fabelhaft billige Preise zu ersteheu; besonders ist dies der Fall, wenn die von weither zugereisteu Besitzer sich uach Stambnl oder Odessa einzuschiffen gedeukeu. Ich selbst habe zwei schöne Thiere, beide um den Spottpreis von 2400 Piaster (240 fl.) erstauden; sie wurden — ,247 — später in Stambul um das Zehnfache verkauft. Der Araber, unt dein ich diesen Handel abschloß, wollte mir durchaus nuch rinen gezähmten Panther aufredeu. Derselbe war sehr luohl erzogen nnd ans die Autilofteujagd abgerichtet. ^ Der Eigenthümer Versicherte mir, ich könnte ihn des Nachts als ^pfkisseu benutzen. Ich war jedoch weder willens, mein ^ager in dieser Weise zn oricntalisiren, noch wollte ich nur bcn höchst umständlichen Hausgenossen aufbürden. Später fand ich das Kahengethier im Garten des Defterdars (Finanz-^N'ector) von Trapeznnt wieder. Znni Hoftneister war ihm dessen Neger bestellt worden. Der Bazar von Trapezuut bietet manchen sehenswerthen ^egenstand. Ich erwähne hier blos die mannichfaltigen leiblichen Handarbeiten, wie z. B. die kurdischen Teppiche und die Stickereien, die durch ihre ebenso naive Auffassung "ls wuuderbar sorgfältige Ausführung uns fast wie Kuust-^erke annmthell. Auch Waffen, angefangen vou der Kama (tscherkessischer Dolch), der Balta (persische Streitaxt) bis zum ^"nzerheiud des Dagistauli (Hochläuder) hinanf sind hier öu mäßigem Preise zn erstehen. Da meine persönlichen Erlebnisse nicht iu den Nahmen dieser Skizze gehören, so eile ich znin Ende, zu meiner 3tück-kehr nach Stambul. ^ft in meinem spätcreu Lebeu hat mich eiu ulächtiges ^hnen uach deu Gestadeu Klcin-Asiens angeU'andelt. Der ^slate, wenu er diesseits des Valkau sich ailfzuhalteu bemüßigt wird. klagt, die Luft drücke ihn, der Himmel liege ^'" auf der Stirne. Anch meiner Empsindnng wurde diefe ^u»»n:ng bisN'eileu verständlich. Asien ist ja doch die ^lege unseres Stammes! (Ende des ersten Nandcs.) Leipzig, Druck von Alczvmder Edclinann, Im Verlag der Dürr'schen Buchhandlung in Leipzig sind er-!chrenen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: Merkow, Narl, Erstarrte Herzen. Roman. 2 Bände. Preis: brosch. 7 ^/. 50 -^. «Oibra, E.Freiherr, GrafCUern Roman, 3 Bände. Preis: brosch. 3 .F. Brachvogel. A. E., Die Grafen Garfus Historischer Noman. 4 Bände. Preis: brosch. 9 ^s. Ernesti, Luise (Nalvine v. Humbracht), Unauflösliche Bande. Roman. 2Vde. Preis: brosch. 2 ^//. ü« .P'. Ernestine von L., Schatten und Licht. Roman. Preis: brosch. 3 ^//. Eugen, Franz, Der Held des Gauern Kriegs. Noman. 2 Bde. Preis: brosch. e ^//. ^ugen, Franz, Schuldig oder nicht. Erzählung. 2 Vände. Preis: brosch. 7 .,//. 50 -P. ^rimm, I., Die Familie von Grion. Nouelle. Preis: brosch. , 3 ^. 75 .P. ^Ü'ntyrr 0. Freiverg, Fiamma, Roman. 2 Bände. Preis: brosch. 2 '>//. 50 .P',' "' Ressel, Garl Freilierr. Fried Cigenreich oder die Schule des Bebens. Roman. 2 Väüde. Preis: brosch. 2 ^//. ^- Kessel, Oarl Freüjerr, Kchill und seine Gefährten. Historische Novelle. Preis: brosch. 50 H. Vleiniieulier, Hermann. Das Schloß um Meere, tzistor. Roman. 2 Vände. Preis: brosch. 2 ^//, 50 .P ".Kohlenegg, O. K. (Poly Henrion), Oleindeutfchr Hof-4z.. Leschichten. 3 Bände. Prns: brosch. 4 ^/. 5u.^ ^«nig, Ew« ig August, Anter Polizei-Aussicht. Preis: ,. brosch. 4 -F. "önig, Ewald August, Der Sohn des Sträflings. Preis: brosch. 4 .P. Tcmme, Ä. N. H., Vcr Studentenmord in Zürich. Kriminal- Geschichte, Preis: drosch. 3 ^F. 75 .^. Temme, Z. D. H., Der Pole. Roman. Preis: drosch. 3 -//. ?5 -^, Temme, I. D. H., Äm Franziskanertllurm. Roman. Preis: drosch. 3 ^, 75 ^, Nemme, I. Ä. H., ÄN der Callus. Roman. Preis: drosch- Temme, I. N. H., Merlei Reisegesellschaft. Roman. Preis: drosch. 3 ^. 75 ^. Tcmme, I. D. H.. Äm Imthause zu Sinningen. Roman. 2 Bände. Preis: drosch. 7 ..^. 5>> ^ Temme, Ä. Ä. H., Die Präsideiitm. ^riminasgeschichte. Preis: drosch. 3 ^/. 75 .H'. Winterfeld, I. u., Fanatiker der Ruhe. Komischer Roman. 4 Bände. Preis: drosch. 6 ^F.