HßM^e MizM Von Murad Ofendi. Türkische Schattenrisse. (Das Nccht der Uebcrsetzunc> u o rb ohal t o n. Leipzig, Verlag dcr Dinr'schl,'tt Buchhandlung. 1877. Inhalt des zweiten Bandes. Mrkische Schattenrisse. Ec>2 Ottomanische Hosämter.............. 7!) Die Ulemas.................. W Derwische . . ................ 109 Das ottommnsche Heer.............. 118 Ottomanische Staatsmänner l............ 133 „ ' U............ 152 III........... 184 Der ottomcmische Parnaß............. 212 Hürkische Schattenrisse. Zer Aarem und die Israuenfrage in der Mrkei. So gewissenhaft anch die Anschanungswcise unserer Zeit bemüht ist, hinter dor Erscheinung das Wesen zü er-grüudcn und Viele über die, hergebrachte Färbung, die in der abendländischen Phantasie dein Begriff „Harem" anhaftet, hinweg sein mögen, ganz frei Uon conUentionclleu Vurstellnngen zu sein, dürften sich in diesem Punkte nnr Wenige rühmen können. Das Haremhalbonnkcl, mit seinen schwellenden Seidenkissen und üppigen Teppichen, von Rosenwasser durchduftet, mit Ambra geräuchert, wird zwar nicht Mehr unbedingt als ein Eldorado aller irdischen Genüsse angesehen, das verschleierte Räthsel, „Odaliskc" genannt, 5'lt zwar nicht mehr als ausschließlich geweihte Priesterin des raffiuirtestcu Sinnencultus, aber das orientalische Gy-Nnkeum blieb dennoch für Manchen das letzte und aus-nchmlich privilegirte Asyl der „blaueu Blume." Der Klanglaut des Schlagwortes überlebt nun einmal üerne die vollgewichtigc Bedeutung desselben. Und wo dies nicht der Fall ist, wo die nüchterne Positivität kritischer ^wsa, die im Gegensatz zur romantischen Träumerei der bormärzlicheu Epoche als die Siguatur unserer Zeit erscheint, iu ihre vollen Rechte getreten ist, dort verfallen die Ansichten Murab Efendi, Türkische Skizzen «. 1 __ 2 __ über das Fernabliegeude, Abgeschlusseue abermals gerne ueueu Irrthümern. Die Venrtheiluug des Unsichtbaren nach dessen sichtbaren bekannten Nesultatelt wird dann wieder zur Quelle, neuer Mißverständnisse. Was vordem allzu blau erschieu, wird danu gerne allzu grau in Grau dargestellt. Au der Absoudernng der orieutalischeu Franeil von den Männern, vom Markt des Lebens, scheiteru gemeiniglich die besten Absichteil des enropäischen Beobachters. Diese Absonderilng wird namentlich in den Städten, wu byzantinische Hofsitten die Lebensweise der Eroberer stark beeinflußt uud diesen Letzteren mit deu eutnervenden Bädern, mit den Euuucheu, mit sinnlichen, Vcrirrnngeu das volle Gift oströmischer Deeadeuz Übermacht haben, streug geübt. Der Hareiu selbst ist großentheils liach dciu Vorbild des byzantinischen Gyuäkeums eingerichtet. Der Abeudläuder verbindet mit dem Begriff „Iiarem" gewühnlich deu der Fraueu-Pluralität. Das ist irrig. Der Orientale bezeichnet mit dein arabischen Wort „Imrum" (ZU deutsch „reservirt") die Fran nlld iu Uebertragung das Frauengeinach. Weun er sagt ,,meiu Harem/' so heißt das eurweder ,.meine Frau" uder mciue ,,reservirten Gemächer." Die durch den Wortlaut des Gesetzes gestaltete, dein Sinne nach nur geduldete Vielweiberei, unterliegt gewissen Beschränkungen, iu der Theorie, noch engereu aber iu der Durchführung. Iu deu gebildeteu Kreisen der osmauischw Gesellschaft kommt sie gegenwärtig fast gar nicht vor, jedenfalls nicht auuähernd so häufig, als die, ungesetzliche Vielweiberei im Abendland mit dein Unterschied, daß deren Folgen weit störender in alle Verhältnisse eiugreifen, als die legale Polygamie im Orient dies könnte. Der Koran selber empfiehlt die Monogamie, denn es ist verdienstlich, ,,cine Sklavin zn heirathen und sie frei zu machen." Früher, wo die Franenpluralität häufiger vorgekommen ist, bestand sie gleichfalls seltener in einem Nebeneinander nach Art der Doppelehe des Grafen von Gleichen, als vielmehr in einem Nacheinander. Die erste Fran bekam dann den ihr gebührenden besonderen Hanshalt, fuhr aber fort, in der Familie den Vorrang zu behanvten, wofür die Jüngere freilich auf anderem Felde entschädigt wurde. Woraus mau folgern will, daß die Polygamie, — ich will hier annehmen daß sie in der Ausdehnung geübt würde, wie dies nicht der Fall ist, — zur Enlnervnng der Rasse und, wie es manchmal seltsamer Weise behauptet wird, zur Vcrmindernng des Osmanenthnms beitrage, ist mir vollends uucrfindlich. Ich dächte, das gerade Gegentheil müßte sich alls der Sache ergeben. In all jenen Gesellschaftöschichten, wo der jnnge Abendländer in flüchtigen Verhältnissen oder in dcu Armen von Hetären die Ingeudzcit bis zu seiner Hcirath verschwelgt, ist der juugc Morgenländer bereits beweibt. Die Orientalin verblüht rasch, besonders in den Städten. Nach mehrjähriger Ehe crscheiut sie bereits als Matrone. Nehmen wir an, der noch jnnge Gatte ginge eine zweite, ja als Mann von einigen vierzig Jahren eine dritte Ehe, ein, — wo, frage ich, lägeu da die Vediugungen für seine Entncrvnng, für eine Versiegnng der Nachkommenschaft? Er hat in seinem Lebenslanf drei Fraueu befessen! Welcher Abendländer, man verzeihe mir die indiskrete Frage, — hat diese Zahl nicht überschritten? Iu den vornehmen, vom Hauch abendländischer Kultur — 4 — angewehten Kreisen, hat der Verkehr mit — dein europäischen Element freilich eine der Bildung und dem Fortschritt entsprechendere Führung des Lebens zur Folge gehabt. Man könnte diese Wendung für Ironie nehmen nnd doch ist sie, theilwcife wenigstens, sehr ernst gemeint. Die Schwierigkeit des VerkehrK mit anderen Fraueu als den eigenen, die Hindernisse, welche verschiedenartige Rücksichten, sei es für die Frau, oder für deren verwandtschaftliche Be-zichnngen, für die eigene Hausruhc oder endlich anf den Vernwgcnsstand, der Franenftluralität entgegenstellen, hatte ehedem in den voruehmen Kreisen einer Vcrirrnng die Einbürgerung erleichtert, welche gleichfalls byzantinisches Erbe war: ich meine der griechischen Liebe. Der von Hafus uud anderen Dichtern des Orients besungene Antinons War ehedem bei den sinnlichen Ottomanen eine offen anerkannte Erscheinung. Man fprach vom MÄLiidoud als etwas selbstverständlichem, Wie unsere ^6un6886 d1»8onn6 uud äar«o vou ihreu Maitresfen spricht. Der Page gehörte beinahe znm Hausstand des Großen, der No33,id (Günstling) bekleidete eine öffentliche Stellung bei Hof. Kiese Verirrnng nun, von welcher das Volk weniger berührt worden war, ist durch die nenen gesellschaftlichen Anschauungen nicht allein iu der „Gesellschaft" bcdcuteud gemindert, sondern auch gänzlich in den Schatten verbannt worden. Wo sie allenfalls noch ihr Unwesen treibt, kaun sie doch nicht mehr eingestanden werden, sondern gehört, wie im Abendland, zu den heimlichen Lastern. ,,Man zieht ihr die Mütze über die Ohren/' Dieser Umschwnng erscheint als ein nicht uubedcuteudcs Zeichen der Wendnng zum Vcsseru, der Gesuuduug in den vornehmen Kreisen, die sichtlich rasch ein Stück Byzantinismus uach dem audcru vou sich abwerfen. In ihrem Harein verkehrt die Frau nur mit ihren nächsten männlichen Blutsverwandten; mit den männlichen Dienern bespricht sie das Nöthige dnrch den Thürvorhang. Diese Sonberung der Geschlechter fast bei allen orientalischen Völkern nnd nicht blos bei den moslemitischen gebräuchlich, finden wir im Mittelalter/ wenngleich sehr gemildert, auch in den südlichen Ländern Europa's in Nebnng. Im Bazar, in den Laden, auf der Straße, verkehrt sie mit Männern nnr insoweit es die Nothwendigkeit mit sich bringt, natürlich ist sie dann immer verschleiert. Die Strenge dieser Regel läßt aber sichtlich nach. Die türkische Frau, dic keineswegs eine Gefangene, Eingekerkerte ist, wie Viele eZ annehmen, verkehrt mit der Außenwelt ungefähr im Maße der christlichen Klosterfraueu von den milderen Orden, Anf dein Lande jedoch nnd in den kleineren Ortschaften, namentlich in Asien, stellt sich das Verhältniß anders. Die Abgeschiedenheit der Geschlechter besteht mehr im Princip und die Znrnckhaltnng im Verkehr vertritt die praktisch nn-durchführbare Clansur. Diese wird naturgemäß nndurch-führbar, wu das Mädchen unter deu Augcu Aller herau-wächst, wo bei deu gemeinschaftlichen Feldarbeiten der Schleier oft unerträglich wird, wo Männer und Weiber unausweichlich in fortgesetzter Berührung bleiben. Es dürfte hier der Platz sein, dem gehaltlosen Schlagworte: „eifersüchtig wie ein Türke," zu Leib zu gehen. Ich fiudc keiucn Gruud, den otwmanischeu Ehemann für eifersüchtiger anzuseheu, als deu, jeder auderu Natioua-lität. Ja, ich weiß uicht, wo mau die Anhaltspuukte zur Beobachtung dieser Leidenschaft an dein Ottomauen finden konnte. Von Eifersucht im abendländischen Siuue, als Befürchtung, als Zweifel, als Voraussicht, kann bei ihm über- — 6 — Haupt nicht die Ncde sein, wo der Grund, dem dieses Gefühl entkeimen könnte, nämlich die Liebeswerbung, das Liebesverhältniß, die freie Wahl gänzlich fehlen. Wenu man gewissen Chroniken ans dein siebzehnten Jahrhundert Glauben schenken darf, so Wäre Eifersucht überhanpt kein Zug im Wesen der tnranischen Volksstämme. Besagte Chroniken berichten von den Tartaren, daß diese den Fraueu kaukasischer Nasse, welche sie erbeutet und derart als Sklavinneu erworben hätten, selten früher als Gatten genaht wären, ehe es ihnen gelungen war, sie durch Wohlgestaltete Iüng-liuge derselben Nasse zu Müttern zu machen, nm die Kinder sodann als Sklaven zn verkanfen. Ob diese Darstellnng nicht auf bloßem Hörensagen be-rnht und derart ins Bereich der Menschenfresserfabeln gehört/ wage ich freilich nicht zu behaupten. Wenn Sitnationen, die nach nnsereu Lebensbränchcn als selbstverständlich betrachtet werdeu, im Orient zum Ans-bruche der Leidenschaftlichkeit Anlaß geben, so liegt das an der verschiedenen Bedeutung derselben, an der Bedeutnng, die ihueu die allgemeiueu Eiurichtuugen, die sittliche Atmosphäre geben. Die ottomanische Sitte stempelt die Zu-sammeuknuft der Frau utit einein fremden Manu, ja ihre bloße Entschleierung (wohlverstanden die absichtliche) zur Schuld, weil sie uach ihren Sahungen, den Ehebruch oder die Absicht zu demselben involviren. Die Türkin, die einem Manne ihr Augcsicht entschleiert, ergibt sich ihm. Nun, ich meine, daß nicht jeder abendländische Ehemann genug philosophisch gebildet sei, um einen solchen Federmesser-Einschnitt iic den Eheeontract mit mehr Gleichmuth hinzunehmen, als der Türke. Wurde die Untreue in frühcreu Zciteu von dem Beleidigten mit dem Tod geahndet, so ist dies Ver- __,7 __ brechen dor Leidenschaftlichkeit in westeuropäischen Ländern gleichfalls vorgekommen. Hente würde man in der türkischen Gesellschaft schwerlich so kategorisch, so gewaltsam barbarisch verfahren. Der Türke im Salunrock trägt keinen Dolch im Gürtel. Neberdies sind die meisten Märchen, welche über die schrecklichen Proceduren der Ottomanen gegenüber Ehebrecherinnen im Schwange sind, eben nur Märchen. Es ist wahr, der Koran vernrtheilt die Ehebrecherin gleich ihrem Mitschuldigen zur Steinignng (einer schon bei den Hebräern gewöhnlichen Todesarl). Das Gesetz aber erschwert den Beweis der Schuld, fast bis zur Unmöglichkeit. Die Ver-nrtheilnng Uon Ehebrecherinnen also war so selten, daß die Paar Fälle, wo sie doch erfolgt ist, in die Annalen der Geschichte aufgenommen wurden. In einem dieser-Nnsnahms-fälle wnrde der Scheich-ul-Islam, der sie verhängt hatte, von dem Uuwillcn der öffentlichen Meinung, von: Arm des Volkes getroffen. Doch um zu dein Hanptfaden dieser Zeilen zurückzukehren: Der Anfenthalt in kleinen asiatischen Ortschaften hat mir die Gelegenheit geboten, muselmanische Fa-milienverhältnisse zn beobachten nnd das Leben der Frauen daselbst näher kennen zn lernen. Damit kann zwar keineswegs ein ergänzendes Kapitel znr ,,Naturgeschichte der Frauen" geboten werden, aber einiges Material wäre doch gewonnen, um das stückweise Detail von direct und indirect gemachten Wahrnehmungen mittels der Betrachtung "tit den allgemein hervortretenden Zügen zn einem annähernd Ganzen zn verbinden. Ist der muselmanische Orientale seinem innern Wesen uach schnn sehr verschieden von dem Abendländer, um wie dielmehr gilt dies von der Orientalin, die mit der Abend- — 6 — länderin nur durch jene großen Züge verwandt erscheint, Welche die Evenstöchter auf beiden Heuüsphären gemein haben und dic zur Begründung des Satzes dienen: „IL8 ksmm68, o'68t 1a temms." Die untergeordnete Stellnng, die das Weib bei den Mahomcdancrn einnimmt, schreibt man allgemein nnd ans-schließlich dem Einfluß des Islam zu. Mich dünkt, daß bei den vor nnd nicht islamitischen Völkern des Orientes das Verhältniß ein ähnliches gewesen sei, ja daß die Ungleichheit in der Stellung der Geschlechter sich mitunter noch schroffer geäußert habe. Bei den Christen des Orientes, als z. B. bei den orientalischen Slawen genießt das Weib keiner größeren Ätechte, keines höheren Ansehens und einer selten so milden Behandlung als bei den Ottomanen, schon weil die Männer an nnd für sich roher sind. Das ottomanische Mädchen unter dcm patriarchalischen Scepter znr willenlosen Unterwürfigkeit nnd zn einer nüchternen Begrenztheit der Lcbcnsanschannng herangezogen, wird bei der Frühreife, die Klima nnd Einflnß des Blutes hervorbringen, spätestens im 15. Lebensjahre verheirathet. Der Ehe geht kein Roman voraus; das Herz hat bei der Heirathsangelegeuheit keine Stimme. Ja es dürfte bei der Art uud Weise der weiblichen Erziehung auch keinerlei ernsthaftes Bedürfniß empfiuden, dieselbe geltend zu machen. Das Mädchen, dnrchaus nicht träumerisch, begehrt vor Allem nach einem Mann überhaupt nnd wünscht höchstens nebst-bei, daß dieser Rang oder Vermögen, wenn nicht Beides zngleich besitze. Diese Wüuschc treffen mit Jenen der Eltern gewöhnlich zufammen. Auch hier kann man fagcn: die Extreme berühren sich-Ich habe iu uusereu gebildcteu Sphären, namentlich iu — 9 — amerikanischem Familien, Mädchen kennen gelernt, deren Denkart nicht minder auf das praktische Moment gerichtet, deren Gefühlsleben nicht minder eingepuppt war. Die Zahl der Nüchternen mchrt sich in erschrecklicher Steigernng, so daß es fast scheint, als würde schon bei der nächsten Generation die mathematische Formel ganz allein in Hcrzcns-Angclegcnheiten regieren. Die falfchv erstandene Franen-Emancipation könnte leicht das Weib nicht nur aus den Klanen des Vorurtheils retten, nicht blos von der krankhaft überspannten, hysterischeu Sentimcutalität, sondern von jeder Gemüthsthätigkeit nno Gefühlsherrschaft überhaupt befreien und es in diesem Punkte endlich dahin gelangen lassen, Wo die Ottumauinncn sich bereits befinden. Die Ansicht, daß die Frcm mit prosaischem Herzen, dic Frau, die nicht lebende Poesie und Harmonie ist, nm den Mann zu erheben, das Kind zu erziehen, die Famlic zu adeln, ihre Mission verfehlt hat, könnte dann bei den Orientalinnen frühestens Eingang finden, wenn sie unseren künftigen Generationen bereits unverständlich geworden ist, oder aber als Phrase belächelt wird. Der ottomanische Brautwerber refleetirt im Allgemeinen nicht so sehr (obschon jetzt mehr als früher) auf eine vermögliche als auf eine wohlgestaltete Braut. Er ist ab-solnter Herr, will also auch Schirmcr und Ernährer sein. Despoten lieben keine selbständigen Lose in ihren Kreisen. In vornehmen Beamten-Familien jedoch wird oftmals, abweichend von den patriarchalischen Prineipicn, für das Töchterlein ein Schwiegersohn ins Haus genommen. Selbstverständlich wählt ihn die Mnttcr mit Rücksicht auf ihren eigenen Geschmack. Die Schwiegereltern sorgen, wenn er sein gefügig ist. für fein Fortkommen im Staatsdienst. — 10 — Die Schwiegermutter, namentlich wenn sie der Gattung angehört die man mit Sofn (Devot) bezeichnet, ist für den Eidam nntcr solchen Umständen eine schlimme Beigabe, deren volle Bitterniß glücklicherweise nicht über den Harem hinausreicht, während sie für eine Schwiegertochter eine beständige Mahnerin nnd Quälerin bleibt. Die Mntter ist eine unanfechtbare Autorität, Jede ist int Harem ihres Sohnes eine gebietende „^VuUäo ßuitan". Anch bei der Gattenwahl für die kaiserlichen Prinzessinnen erfährt das allgemeine Eheverhältuisi durch die Etikette eine Ausnahme nnd die bestehende Ordnung wird vou Unterst zu Oberst gekehrt. Es war auch die Ehre der Verbinduug mit dem kaiserlicheu Hanse durchaus nicht so sehr gesucht, als man im Abendland annehmen könnte, und die armeu Prinzessinnen mnsiten sich oft eigenthümliche Verbindungen gefalleil lassen. Die älteste Tochter Sultan Ibrahims, Gös^r Sultan war fünfmal verheirathet und be^ ihrer fünften Hochzeit noch Iuugfrau. Den ersten beiden Gatten nämlich war sie als Kind im Alter von füuf und sieben Jahren angetraut wordeu und die drei andern waren Greise; der letzte, der Georgier Mahmud Pascha von Ofen soll 90 Jahre gezählt haben, als er sich mit Güsür Sultau vermählte. Sultan Mahomed IV. verheirathete seine Schwester an den 80jährigen Pascha von Aleppo, Der Prinzessin-Gemahl (meist Sohn eines Staatsministers), steht, sobald er nach dem Trauuugsakt das Brautgemach betritt, uuter dein Scepter seiner Frau. Diese thut von vornherein spröde und nnuahbar. So heischt-es du' Etikette. Der Gatte muß sich gleich einem Diener ihren Auordnungeu fügen uud ihre Launen als Ausfluß des taiser- _ n ^. lichen Blutes hinnehmen. Die erflehte Entschleierung wird lhm, je nach dein — ans Stunden, ja auf Tage hinaus üransamlich verweigert. In friihereu Zeiten übersendete der Sultan am dritten Tage nach der Hochzeit dein Eidam eine Keule mit der Randbemerkung, die widerhaarige Frau zu erschlagen, falls sie iu ihrer Weigeruug verharre, Vou der Anwendung der Keule wissen die ottomanischen Hof-Nnnalen nichts zu berichten. Die Heirathen im Orient vollziehen sich Mi- proen-t'Mon itti strengsten Sinn. In Koustantinopel uud iu den "ndern größeren Städten des Reiches vermählt sich der ^caim ü 1a kortuuo äu pot,. Die Beschreibuug der Zukünftigen dnrch seine Mutter oder durch eine Nahverwaudte vertritt die Stelle ihrer Silhouette; sie, selbst erblickt er uicht früher uuverschleiert als nach dem Trauuugsakt, der U' einem ganz bürsenmäßigen ,,Ich gebe" von Seite der ^ranteltern und ,,Ich nehiue" Uou Seite des Bräutigams, ^r Zeugen allsgesprochen, von einen: knrzen Gebet und wngen Festessen begleitet seiueu Abschluß findet. Entspräche nnn uuter auderen Begeguungs-Auspicieu U'anche Vraut vielleicht deni Geschmack des Gatteu nicht, so ^'itet ihn hier der Zauber des Besitzes oft über maucherlei ^denken hinweg und er beschränkt sich zu lieben, was er ^s'bl, wo er nicht in die Lage kam, ein zn Besitzendes zu hehren. Das Axiom ,,Die Ehe ist das Grab der Liebe" ^Uin ans orientalische Verhältnisse durchaus teine Nnweu-'Utg siudcn und man könnte vielmehr behaupten, daß sie dasttbst oft die Wiege derselben würde. Der Nusspruch des N'anzösischen Väucrleins: ,,Schaut, sie sind erst seit acht ^"gen verheirathct und schon ineinander verliebt!" scheint '^' sie weit eher passend. Freilich müssen wir hier ,,Liebe" — 12 — und „verliebt" in einem, dem Naturstandpunkte näher liegenden Sinne auffassen, als wir gemeinhin pflegen. Die Liebe im Orient ist keine übersinnlich-schwärmerische Göttin. Das Ideal der modernen europäischen Ehe ist das Inemanderlebcn der Gatten. Es erscheint aber gegen das mehr oder weniger dnldsame Ncbeneinanderexistiren und gegen die schamhaft verschleierte Scheidung der Durchschnittsehen fast als Ausnahme. In der Türkei, wo sich die Frau in passiver Unterordnung unter den Mann ordnet, kann von Verschmelznng überhaupt nicht die Nedc sein. Sie begnügt sich mit dem, was er für gut findet, mit ihr zu theilen, er theilt mit ihr, was ihm paßt, sie bietet ihm, Was er fordern kann, und er fordert nicht mehr, als sie zu bieten vermag. Sonnt ergänzen sich Beide in einem gewissen bescheidenen Sinn und es entfallen damit wenigstens die vielen und ernsthaften Conflicte, die fatalen Mißverständnisse, die in der abendländischen Ehe so oft entstehen, die entstehen müssen, wo die Frau bei uugenügendcr Bildung, bei mangelndem Verständniß und verwirrt durch nebelhafte Theorien dazu verleitet wird, ihre Stellnng miß-zuverstehen und eine Gemeinschaft anzustreben, zu welcher sie gar nicht oder zn wenig befähigt ist, wo sie endlich Ansprüche an den Mann stellt, die ihn verkleinern müßten, wenn er sie berücksichtigen wollte, ihm aber sein Hauswesen unleidlich machen, wenn er sie nicht berücksichtigt; er schleppt ein widerstrebendes oder aber resignirtcs Opfer dnrch" Leben, wo es nicht etwa umgekehrt der Fall ist. Die Ottomanin betrachtet deu Gatten als Haupt des Hausstaudes und als ihren Herrn, ihr Dasein einzig daZu 'bestimmt das seine zn verschönern; sie wirbt beständig um seine Huld. Wenn diesem Verhältniß die innige Vertrau- - 13 - lichkeit gebricht, so ist es hingegen auch von dcn starken Schattenseiten dieser Vertranlichkeit verschont. Man darf übrigens nicht vergessen, daß dein türkischen Wesen die Ge-inüthsaiten fehlen und folglich die Anforderungen die sie stellen würden. Der Ottomane liebt sein Weib nach Desftotenweise als wl ihm Eigenes, er fordert Gehorsam und Respekt und findet gewöhnlich beide. Der Abendländer erscheint ihm im Verkehr mit Frauen unwürdig nnd unmännlich niedrig in seinem Werben, roh im Besitz und uuehrlich nach demselben. Von seinem Standpunkt ans immer, vom Allgemeinen sehr oft mit Recht, Was er von dem halbnackten Weibe hält, ^as Ballnächtc in den Armen andrer Männer durchrast, '»ehr für die Welt als ihr Haus lebt, überall vorlant drein spricht, ihre Launen als Gesetz geltend Wissen Will, versteht sich vou selbst. — Die Frau im Orient ist übrigens nicht so rechtlos, "nht so sehr der Willkür des Maunes preisgegebeu. als luan es im Abendlande gemeinhin annimmt. Das mosle-Ulitische Eherecht enthält sehr ausführliche Bestimmuugen. Wir beschränken nns darauf einige derselben anzuführen. Das Ehebündniß uuter Moslemiten mnß in Gegenwart zweier männlicher Zeugen, oder eiues Mauues uud ^ueier Fraueu geschlossen werden. In die verbotenen Ehen mit Blutsverwandten ist anch bir Alttme inbegriffen. Hat einer zwei Schwestern zu Sklavinneu und will die ^le heiratheu, so ucuß er sich vorerst aller Rechte an die ^dere begeben, das heißt, sie frei machen. In der Ehe müsseu beide Theile frei fein. Eiu maunbares Frauenzimmer (13 Jahre alt) kann — I^ -^ nach ihrem eigenen Belieben cm Ehcbündniß schließen, auch ohne Einwilligung cines Curators, Der Curator kann eine mannbare Jungfrau nicht zur Heirath zwingen. Die Formeln der lAnwillignng zum Ehebüudniß seitens der Braut, sind: ,,Ich habe mich dir verheirathct" (MIli3,ll), oder „Ich habe mich dir als Eigenthum gegeben" s^ainUK) odcr ,,Ich habe mich dir geschenkt" n üblichen, Ende bewahrt. Das letzte Mal, als Achmed ihm die verhängnißvullc Schnur zugesaudt hatte, erschreckten, ihn heftige linterleibskränipfe; er widerrief auch diesmal deu Vlutbefehl, was Küsseni Zilr Ncußeruug veranlaßte, ,,der Prinz verdankt sein Leben nicht blos dem Vauch seiner Mutter, sondern auch dem Banch seines Bruders." Sie setzte übrigens ihreu gauzcn Einfluß ein, um ihm das Leben zu erhalten uud bewog den Snltan, ihm die Nachfolge zu lassen. Besser dünkte ihr das Provisoriuni eiucs Schwachsinnigen, als ein Definitivum unter dem Sohue eincr Nivaliu, Achmed starb erschöpft in feinem achtuudzwauzigsten Lebensjahre. Die Minister waren, Kössems Kreatureu und ihr Einfluß blieb uugemiudert. Aber eiu Aufstand stieß den Sultan-schatten vom Thron ins Gefängniß und verbannte sie selber hinter die Manern ihres tranrigen Wittwensitzes. Was sic hutte verhindern wollen, traf ein: Osman. der Erstgeborene ,_ 27' __ Achmeds, der Sohn einer Rivalin, umgiirtete das Schwert, von, Jubel Aller begrüßt; ihre Pläne schienen für immer vernichtet: Osnian war bemüht, die Hoffnnngeu deZ Volkes glänzend zu rechtfertigen nnd erluies sich als echter Sproß der ersten Osmanenkaiser. Vier Jahre später — es war eilte bange Ewigkeit sür diese Frau nnd zugleich eiue streuge Schule für ihreil hoch-fliegeuden Geist, — vier Jahre später fiel Sultan Osnian uuter deu Streichen der empörten Ianitscharen, die in ihm einen Feind ihrer Willkür erkannten, und der schwachsinnige Mustafa wnrde aus seiner Dervischklause widerstrebend auf deu Thron zurückgebracht. Die Ermorduug Osmaus wälzte einen Stein aus dem Weg Kössems, aber ihre Lage blieb trotzdem sehr bedenklich. Die Umgebuug Mustafa's beließ sie iu ihrer Abgeschlossenheit uud sie mußte für ihre Söhne zittern, waren diese jetzt doch die uächsteu Thronerben. Kössem beschränkte sich nicht auf fruchtlose Befürchtungen, souderu nmchte sich eutschlosseu darau, ihueu den Gruud zu nehmeu. Im Augenblick, wo ihre Bemühuugeu gereift warm, ward der Todesbefehl gegeu sie uud ihre Söhue geschleudert. Zu spät! sie hatte ihu vorhergesehen, und die Heuker faudeu eiu leeres Nest. Ihr Sohn Murad bestieg, als der Vierte seines Namens, deu Thron. Kössem war Walideh Sultau. Beim Ablebeu dieses unerbittlichen Despoten, der während seiues 13-jährigeu Regimentes den Sieg von Neuem nu die Fahnen des Halbmond fesselte und trotz seiner blutigen Strenge zu deu vopuläreu Monarchen zählt, gelaug es ihr, bessru Bruder Ibrahim die Nachfolge zu sichern. Sie hatte ^ch'n dadurch am Leden erhalteu, daß sie ihn deu Blödsinnigen spielen ließ. Nun war es schwierig, den als Blöd- — 28 — sinnig ansgcschricenen zu rehabilitiren und auf den Thron zu setzen. Aber das schwierigste gelang ihrer Ueberrednngsknnst. Ibrahim unigürtete das Schwert. Sie begünstigte seinen unmäßigen Hang zur sinnlichen Ausschweifung, um ihn von den Geschäften abzulenken nnd schien auch diese Politik oft gegen sie ansschlagen zu sollen, so blieb ihre Klugheit doch immer Siegerin über die Macht-habcrinncn einer Nacht. Wo die Klugheit nicht ausreichte, schritt sie rücksichtslos zur Gewalt. Als ihr iu eiucr Armenierin, die Ibrahim trotz ihrer mittelmäßigen Reize und einzig wegen ihres riesenhaften Wnchses leidenschaftlich liebte, eine gefährliche Rivalin um die Macht erstand, entledigte sie sich derselben durch eine Einladung zu Tisch. — Ibrahim hatte diesem Weibe gegen alles Herkommen die Provinz Damaskns verliehen. Aber die unmoralische Politik, auf welche Kösscm ihre Herrschaft gründete, sollte sich dennoch an ihr rächen nnd ihr Geschick zu einem tragischen gestalten. Der Lebenswandel Ibrahims mißfiel dem Volk, die Intrigne, die sich dieser Stimmnng bemächtigte, Wichte die Mutter zu gewinnen nnd sie über die Tragweite nnd die Endziele des Anschlages im Unklaren zu erhalten. Es sollte auf den Snltan in einem besonderen Falle durch eine Scheinknndgebung gewirkt werden. Als die Vewegnng zum Ansbrnch gelangt war, erkannte Kössem srhr bald ihren Irrthum, aber zn spät. Ihr Sohn, ihre Puppe wurde gestürzt, ihr siebenjähriger Enkel wnrdc auf den Thron getragen- Zwar dem oberflächlichen Urtheil konnte sie jetzt im Vollbesitz der Herrlichkeit erscheinen, führte sie doch die Regentschaft für ihren unmündigen Enkel Mahomed IV. Einem schärferen Blick konnte es abe? nicht entgehen, - 29 -' daß sic doll Gipfel ihrer Herrlichkeit bereits überschritten hatte. Die Strahlen nwchtcn noch blenden, in den prächtigsten Farben blenden, das Gestirn war schon im Niedersinken. Das Ncich befand sich in dem sonderbaren Fall, zwei Walidchs zn haben nnd sie mußte die Regentschaft mit der Mutter ihres Enkels theilen. Diese, Turchan Sultan, war jung, schön, begabt und erfreute sich allorts großer Sympathien. Der Mincnkrieg entbrannte im Serail auf das Heftigste zwischen den beiden Machthaberinnen. Wssem behanptetc zwar noch immer das Feld, aber sie vermochte nicht, ihre Gegnerin zu vernichten. Diese sammelte sich in Geduld nnd verlegte sich auf's Abwarten. Kössem hatte eine Favoritin, Namens Mülki Kadin, die sie in so auffälliger Weise begünstigte, daß das Verhältniß zu allerlei Nachreden Anlaß gab. Mülki Kadin ging im Mißbranch ihrer Stelluug so weit daß sie, entgegen allem Branch nnd aller Sitte, sogar im Divan erschien uud an den Berathungen der Veziere Theil nahm. Diese Taktlosigkeit, die großes Aergerniß verursachte, Wußte Turchau zu beuutzen. Die Ianitscharen erhoben sich Und der Kopf Mülki Kadins mußte ihnen zum tiefen Schmerz der Großwalideh gewährt werden. Turchan, durch diesen Erfolg ermuthigt, machte weitere Anstrengungen, nm ihre Partei zn erheben. Kössem, von Allem unterrichtet, begriff den Umfang der wachsenden Gefahr. Der letzte Trumpf mnßte ausgespielt werden, nnd was sie zu müssen ^gesehen, das war gethan. Die Mntter ihres zweiten Enkels, Majama, war eiue widerstandslose, unbedeutende Natur und ihr ergeben; Soliman sollte die Stelle seines Bruders einnehmen. Der Aga der Ianitscharen, Kössem's — 30 — Kreatur, berief auf ihr Geheiß eiueu „<3Ii^1cld6 vivan"' (regelloseu Nath) der die Absetzung dos Sultans aussprach. Die Verschwörer, ihrer Sache sicher, hatten den Großvezier berufen und ihm ihren Beschluß mitgetheilt. Der Groß-vezicr gab sich den Anschein beizupflichten, eilte aber sofort in's Serail, benachrichtigte Turchan Sultan, berief fchlcu-uigst ihre Anhänger und seine Freunde und nahm energische Maßregeln zur Gegenwehr. Die aufrührerischen Ianit-scharen fanden die Eingänge, auf welche sie gerechnet hatten, verschlossen, man hatte sich der Parteigänger Kössem Snl-tans, ihrer Verbündeten im Serail versichert. Dessenungeachtet war die Lage sehr bedrohlich und erheischte außerordentliche Maßnahmen. Der Mnfti ließ sich nach langem Weigern endlich bewegen, den Fctva gegen die Großwalideh nnd Neichsregcntin zu erlassen und das kaiserliche Kind mußte das Todesnrtheil seiner Großmutter unterzeichnen. Die Eunuchcu und Pagen drangen zn den Gemächern, wo sie wachte, um den Ansbrnch des Aufstandes zu erwarten, der ihren Enkel Mahomed und dessen verhaßte Mutter stürzeu sollte. Der Aufstand tobte an den Manern des wohlgrhüthetcu Palastes, innerhalb derselben herrschte aber ihre Feindin Turchan. Als die Eindringlinge die Pforten erbrochen hatten und in das letzte Gemach eindrangen, war es leer. Bestürzt wollten sie sich entfernen, als einer von ihnen anf einen Wandschrank aufmerksam wurde nnd ihn auffprcugtc. Vor ihnen stand Koffein Sultan. Ein prachtvoller Zobelpelz wie Sacher-Mafoch ihn nicht tadelloser für seine Heldinnen wünschen könnte, kleidete die hehre Gestalt, Demantströme rieselten au ihr herab. Die Majestät ihres Aublicks ließ die Pagcu stutz"'. — 31 — Sic bemerkte dieses Schwankon und warf einen Negen von Perlen nnd Zechilien nnter sic. Zugleich schickte sic sich an zu redcn. Gelang cs ihr, dcn Zauber ihrer Rede wirken zu lasscn, so war sic gerettet, ja — vielleicht wandte sich das Blatt. — Sie begann. Schon dcr wundersame Schmelz ihres Tones — er hattc die Zeit überdauert — crgriff dir Empfänglicheren. Da ermannte sich der Page der den Schrank erbrochen hatte: „Still, Verrätherin," schrie er. ,,Du sollst uus nicht wieder bethören" nnd riß sie mit einen: gewaltigen Ruck zu Bodeu. Wie die Meute über die erschöpfte Hindin, so wälzteu sich jetzt die Eunuchen ans ihr Opfer und rissen dcn Schmuck und die Gcwäudcr von dem erlauchten Leib, Erstarrt von diesem ungeheuren Frevel nnd lantlos, wie betäubt, lieft sie sich uach eiuem abgelegenen Seitcnhof des Serails schleppen. Nur als der Page, es war ihr Entdecker und erster Angreifer, ihr die Schnnr um dcu Hals zog, fnhr sie empor nnd biß ihn in dic Hand, daß er vor Schmerz aufschrie. Er schlng ihr mit dem Handjargriff über das rechte Auge, woranf sie in Ohnmacht versank. Nnn erst konnten ihre Henker die Schnur zusammenziehen. Sie zuckte uud blieb ohne Neguug. Die Ennuchen ließen sie als todt nnd entfernter sich, um Turchau Sultau die Kuude zu überbriugeu und von ihr den Lohn zu cm-pfangeu. Aber Kössem Sultau schieu der gemeinen Sterblichkeit zn trotzen, Wie sie der Zeit Hohn gesprochen hattc. Ihre Hand fuhr krampfhaft nach der Schnnr nnd sie erhob das Haupt. Noch konnte fie gerettet sein, aber ihr Stern war er- — 32 — loschen, ihre Zeit entschieden abgelaufen. Der Page, ihr erster Angreifer war zurückgeblieben, wie gebannt an die herrliche Leiche. Ein Nuf von ihm, die Schaar kehrte znrück und Kössem Snltan wnrde schonungslos znl» zloeitcn-mal erwürgt, nm nie wieder zu erstehen. So endete diese merkwürdige Frau, die sich aus der Niedrigkeit auf den höchsten Gipfel der Macht empor geschwnngen hatte, Gefährtin, Mutter nnd Großmntter von vier Kaisern geworden war, deren gewaltiger Einfluß 40 Jahre hindurch im Serail und im Neiche vorherrschte, und iu einer Regentschaft seinen offiziellen nnd legitimen Ansdruck fand. In verschiedeneu Punkten weist Kössem Snltan eine gewisse Verwandtschaft mit der mcdizäifchen Katherina auf, der Mutter der letzten Könige aus dem Haufe Valois. Eine ungewöhnliche, man könnte sagen, dämonische Na-tnr, die durch keinerlei Religiosität gemildert, sondern nur durch das Zielbewußtscin gezügelt wurde, seltene Gaben des Geistes, die dnrch kein Wissen, sondern nur durch die Schule des Lebens gebildet worden waren, eine männliche Energie des Charakters bei allen verführerischen Grazien des Wesens stempeln sie zu den außerordentlichen Erscheinungen nicht nur nnter den Ottomaninnen, sondern ihres Geschlechtes überhaupt. Sie war bei ihrem schrecklichen Ende trotz ihrer 70 Jahre ungebrochen an Gesundheit, Geist und Energie. Die stambulcr Dame zeichnet sich im Umgang durch eine den Landcssitten entsprechende würdige Haltnng aus die der gewinnenden Natürlichkeit ihres Wesens jedoch keinen Eiutrag thut. Iu den Umgangsrcgeln ist sie ebenso bewandert wie der Efendi, wenn auch die Durchführung der Etikcttcfragcu in den Harems weniger scharfe Konturen auf- — 33 — Weist. Sic macht Staat nur, wenn sic' zu Besuch geht, im eigenen Hause empfängt sie im einfachsten Hauskleid Gleichstehende und Höhergestellte mit Pantoffeln an den Füßen, Geringere auch in Strümpfen. Mit Straßenschnhen iu den mit Teppichen bespannten Gemächern hermnzusteigen, gilt nach ottomanischeu Begriffen über Comfort, Reinlichkeit nnd Lebensart eben so unschicklich, wie wenn man sich bei uns gestiefelt zu Bett legeu würde. Die Art und Weise des Sitzens läßt dies begreiflich finden, wenn es nicht schon an und für sich als sehr gerechtfertigt erscheinen müßte. Daheim nimmt die ottomanische Dame manchmal auch dm Stickrahmen zur Hand. Ihre Handarbeiten zeigen von Geschick, Fleiß und wo sie ihren ausgebildeten Farbensinn entwickeln kann, von Geschmack. Die Cigarette, bei den älteren anch der Tschibuk, und das Mokkagebräu versüßen ihr die träumerischen Mußestunden des Keif. Wovon trämnt sie? Welches Ideal schwebt vor ihrer Seele? Wer wagte das zu bestimmen? ^nd doch glauben wir kaum zu irren, wenn wir annehmen, ^ sei in den meisten Fällen das neue Pariser Coup« der Frau des X., oder der Schmuck, den die Kadin F. bei Gelegenheit des letzten Hochzcitsfestes trug, oder der prachtvolle Stoff, der im Vazar eben ausgestellt wurde, oder die »Point» ä'^i6n?on", die in der Weltausstellung — doch wohin verirre ich mich? Wir sind ja am Bosporus uud nicht "n der Donan, ich spreche von uttolnanischen Fraueu und ^ucht von einigen mir bekannten Wienerinnen. Ein Gemach für sich, ein Boudoir ist dem Bedürfniß der Orientalin fremd; sie eirknlirt im ganzen Ranni und läßt sich nieder, wo es sich eben trifft. Des Nachts breiten Alurab Efcndi, Türkische Skizzen II. 3 — 34 — die Sklavinnen, gleichviel wo, ihre Matrazen und Bett-gegcnstände aus. Die Orientalin wie der Orientale kleidet sich für die Nacht besonders cm: selbst im Schlaf sind sie znm Anfbrnch bereit. Auf Promenaden bewegen sich manche Damen znweileu mit Ciner uns unbegreiflichen Freiheit, Sie drücken z, B. ihr Wohlgefallen an einem ihnen gefälligen Jüngling mit einer naiven Nngczwnngenheit aus, die jene der Italienerinnen in gleichen Fällen übertrifft. Es gibt Deren, welche die Koketterie so weit treiben, daß der Europäer, der da zn Hause gehört hat, der Blick einer Türkin bringe dem Angelächelten den Tod, sich einem schrecklichen Verhängniß nnrcttbar verfallen wähnen muß, wenn er in der angedeuteten Weise zum Gegenstand ihrer Herausforderungen wird. Aber die mnthwilligen Schönen scherzen und kichern und grüßen, nnd der schwarze Tngendwächter steht theilnahmlos am Wagen nnd betrachtet stumpf — die Geschirre der Pferde. Freilich gibt es unter den Muselmaniuen auch ,,fahrende Fränlein", welche das nnknndige Ange nicht allso-gleich als solche von jeder Dame zu unterscheiden vermag-Entlehnt doch auch im Abendland die Halbwelt gerne den Schein der großen Welt. Wie, oder wäre es etwa umgekehrt? In der mufclmauischen Welt erkennt man die Came-licndamen an einer überdrastischen Anwendung von rother Schminke und Schönheitspflästerchen, an der mittels Ebcn-holzschwarz stramm durchgeführten Verbindnng der Augenbrauen, an einer hyperkühnen Nüancenwahl in der Farbe der Handschuhe und Stiefletten (erstere allenfalls rosenfarbig, letztere z. V. giftgrün) und schließlich und insbesondere a" — 35 — den ruhelos hastigen Bewegungen, wie an den dreist einschneidenden Blicken.. Die Pflege ihres Gewerbes wird ihnen übrigens recht sauer gemacht: von einer freien Ausübung desselben kaun ohnehin nicht die Rede sein, wo die Autorität jenen Weibleins, die keinen natürlichen Beschützer haben, ihr amtliches Protectorat aufoctroyirt. Der Imam als Viertelmeister und Sittenwächtcr hat ein scharfes Ange anf das seiner Öbhnt anvertraute Quartier. Freilich meist vergeblich, denn ,,Weib erlist — Dämonenlist" gilt auch nnter den Cyprcsscn. Manchmal aber, wenn er in einer schlaflosen Nacht nichts , Besseres zu unternehmen weiß, als seines Amtes zn walten und der Moral zu dieueu, umspäht er das verdächtige Hans und erspäht dann wol einmal anch eiueu verdächtigen Schatten, der sich im Dunkel des Hausthors verdächtig verliert. Dann hebt er mit der Scharwache nnd einigeil würdigen Nachbarn das Nest aus nnd entführt, wenn der llcberfall (d^8kin) glückt, unter dem Halloh der Sicherheitsmänner und der Entrüstnng sämmtlicher anfgeschenchter Basen nnd Büschen der Nachbarschaft den heißblütigen Galan (dssn-pllra) in das Wachthans. Von dort wird er erst mit uächstl'm Tag entlassen. Die Sünderin aber — wird anf ewige Tage — Wochen hinter Schloß uud Riegel gesetzt und kann, da die Einwohner eines Viertels berechtigt sind, 5u bestimmen, wen sie als Mitbewohner duldeu wollen und Wen nicht, aus dem Stadttheil ausgewiesen werden. Wehe aber, dreimal Wehe dem Imam, wenn es der Ueberfallencn gelang, ihren Mitschuldigen zn verbergen oder entwischen 5u lassen. Dann Wird der eifrige Imam von ihr, ob Ver-lchuug des Hausfriedens belangt uud kauu dafür fogar sciues Amtes entsetzt werden. Das Vergehen der Haremver- 3" — 36 — lctzuug wird selbst durch dm üblen Ruf der Klägerin wenig, geniildert. Die ottomanische Anschannngswcisc anerkennt keine besondere Klasse von ,,Verlorenen", die zuchtlosen Weiber werden vou Fall zu Fall uud uur iu Folge eiucs bestimmten Vergehens auf frischer That bestraft. Die Männer, die anf Seitenwegen galanten Abenteuern nachlaufen, sind vor dein Tribunal der ottomanischcn Gesellschaft durch das türkische Mi (Yoking) als leichtfertig gcbraudmarkt und mißachtet. Man sieht, das Gewissen der otto manischen Gesellschaft ist in diesem Pnnkte zarter als das der abendländischen. Es ist schwierig, die Türkin als rein typisch hinzustellen. Das kaukasische Element ist in der Frauenwelt mit dem ottomanischen oft nnd eng verquickt. Ich habe vorher von den Cirkassierinnen gesprochen, die, für den Dienst der Fran bestimmt sind. Es erübrigt mir noch, Jene zn erwähnen die in früheren Zeiten der vermögliche Mann für sich kanftc, nur sie zur Odalik (Zimmergefährtin) zu machen. Dieser Handel hatte für die Betreffende dnrchaus nicht den entwürdigenden Sinn den ihm der Europäer beilegt, sowie die Sklavin nie eigentlich das war was er unter diesem Worte versteht. Der Kaufschilling wurde als eine Art Morgengabc an 'die Eltern gezahlt. Die kaukasischen Bergvölker setzten einen besonderen Ehrgeiz darein, ihre Kinder nach dem prächtigen Stambttl zn verkanfcn, und diese wünschten es nicht minder sehnlich-Sie zogen für ihr Köpfchen das seidene Kissen dem Stroh-ftfühl, für ihre reizende Person das goldene Haremgitter der Berghütte ihrer rauhen Heimath vor. Die Stellung der Odalik ist die einer angetraute« — 3?" — Gattin. Sobald sic ihrem Herrn ein Kind gebiert, ist sie frei. Ihr Kind ist legitim, denn der Ottomane weiß ebensowenig etwas von deut Vorurtheile einer ,, Mißheirat!)," als von dem außerehelicher Nebenkinder. Sind doch die Sultane und die kaiserlichen Prinzen Söhne von Sklavinnen. Der Sultan heirathet niemals eine Türkin, sondern wählt stets eine Odalik, die durch seine Wahl zur Kadin (kaiserlichen Frau) erhoben wird und als solche ihren vollkommenen Hofstaat erhalten mnß; wenn sie einen Prinzen gebiert, so heißt sie Hasseki Sultan. Die Betonung dieses Nmstandcs dürfte genügen, die phantastischen Vorstellungen, als ob der Sultan nach Laune, heute diese, morgen jene der Serailsklavinnen ohne Weiteres mit seiner Gunst beehren würde, auf nichts znrückzufnhren. Die Khalifen-Snltane denken anders vun ihrer Würde. Was sie berühren, ist erhoben uud bleibt es auch, wcuu das Motiv der Gunst verschwand. Im kaiserlichen Harem wohnt nur je Eine Kadin — die übrigeu zahlreichen Frauen bilden ihr Haus uud versehen ihren Dienst. Jene Sultane übrigens, welche von ihrem Vorrecht als Khalifen den unmäßigsten Gebranch gemacht hatten nnd dadurch bei ihrem Volk in Mißcredit geratheu wareu, stehcu nicht ohne Gegenstücke auf den abendländischen Thronen da. Ich Habe früher augedeutet, daß die eirkassischen Mädchen selber wünschen, nach Stambul verkauft zu werden. Sie wissen, daß sie herrschen nnd ihre Herren zn ihren Füßen bengen werden. Fast Jede, die nach dem Goldenen Horn kommt, tränmt sich in die Räume des Sultan Palastes. ^)as landläufige Kompliment alter Gevatterinnen an junge Sklavinnen ist: „Iu8eka11a1i (Wenn es Gott gefällt) wirst ^u Hasseki Sultan werden/' woranf die Kinderlippen murmeln: — 38 — InLokiülkli! Die Eirkassierin hat eine stark ausgeprägte Individualität, ungleich der Türkin, aber ähulich den Ungarinnen, Polinnen und Franzosiuueu, die oft männlichen Geist besitzen und ihre Gatten heirathen, anstatt von ihnen ge-heirathet zu werden, dieselben absorbiren, anstatt von ihnen absorbirt zu werden. Sie ist durchweg härter und energischer als die Otto-maninen, hat Anlagen zur Intrigue, viel Selbstbeherrschung und weiß ihre Absichten wol zn Verbergen, bis sich die geeignete Gelegenheit bietet, sie auszuführen. Sie versteht es, lächelnd zu vernichten und die Nache „kalt" zu genießen. Zekis, eine Cirtassierin, ehemalige Sklavin des kaiserlichen Serails, nun an einen General verheirathet, war Mutter eines Sühnleins, dessen Schönheit sie mit etwas vorlautem Stolz bei jeder Gelegenheit der Bewunderung ihrer Freundinnen anfdrängte. Dieses Prahlen berührte insbesondere eine derselben die kinderlos geblieben war, auf das Unangenehmste. Znleima hatte, um ihre Einsamkeit zn beleben, sich Vögel angeschafft, vuin gelehrten Kakadu bis zum sprechenden Staar, dressirte Kanarienvögel, Nachtigallen, Silbcrfasanen, kurz, von jeder Gattuug die besten und seltensten. Ihr Vogelhaus war ihr Stolz nnd ihre Freude, ob es auch ihren brennenden Neid auf die glückliche Mutter nicht mindern konnte. Emes Tages, — der kaiserliche Harem befand sich im Bad mit Ansnahme Zuleünas, — läßt diese das Söhnlein Zekiös zn sich kommen, überschüttet den Kleinen mit Liebkosungen nnd Süßigkeiten, wobei sie ihn entkleidet. Im Nu haben sich ihre Sklavinnen daran gemacht, den Knirps vom Kopf bis zur kleinen Zehe mit Hennah zu färben. Man läßt ihu trockucu und der Kleine, stolz ob seiner neuen — 89 - dunkelrotheu Krcbshaut, eilt huchvcrguügt ins Bad, um sich dort bewundern zu lassen. Er stürzt jubelnd auf seine Mutler zu. Zckw Hauum schreit entsetzt auf' „Was ist das? Was will dieses kleine Uugethüm?" Man drängt ihn nach rechts, man stößt ihn nach links, der Kleine beginnt zn Heuleu, man besprengt ihn mit warmem Seifcuwasscr, er pustet, er kirrt! Da erscheint all der Schwelle Zuleima uud wcudet sich strahlend zu Zeki«. ,,Hanum, es ist deiu Sohn!" Geheul des Kiudcs. Eiu Schrei der Verzweiflung, schallendes Gelächter. Tableau! Der Junge lief wucheulaug als Rothhaut herum. Der Friede wurde uutcr Vermittlung der kaiserlichen Kadm, deren Ehrendamen die Beiden waren, geschlossen. Zum sichtlicheu Zeichen der Versöhnung ueraustaltete Zeki6, die Mutter des kleiueu Hummers, ein, glänzendes Früh mahl. Nau war guter Dinge, scherzte, lachte nnd aß mit gutem Appetit. Die Hauswirthiu bat ihre Gäste, sich für das Schlußgericht ein „Model-pilaf" zu schonen. Das Model-pilaf ^schien und entsprach wirklich der vorhergegangenen Anpreisung. Der Reishügel mit Geflügeltheilen gespickt, verschwindet unter den kleinen Zähnen. Küstlich! Einzig! Nie dagewesen! Zuleima, eiue leckere Keuuerin, ergeht sich Ul den wärmsten Lobsprücheu: Dieses Pilaf wird als Schah aller Pilafc erklärt! -^ Die Kochkunst hat ihr Meisterstück geliefert. Zuleima wirft einen kostbaren Ring iu die leere Schüssel für dcu Koch. Da erhebt sich Ieki« uud wendet sich mit anmuthigem lächeln gegen Zuleima: „Ich uehme Ihre Aucrkeuuung __ 40 — meines Pilaf als aufrichtig an. Es verdient sie, Maschallah! Wie sollte es auch anders sein? Ist es doch mit gut ausgewählten Vögeln gewürzt, mit seltenen Vögeln, mit — Zuleüua erbleicht — Konnte ich Ihnen etwas Vorzüglicheres bieten? — Mit ihren eigenen Vögeln. Znleima sinkt iu Ohnmacht nnd murmelt iinr noch: ,,So bin ich denn die Waise meiner Vögel." — Negerinnen winden selten zu Odalikcu gemacht. Wo dies aber geschah, hatte der Mann gewöhnlich nicht das schlimmste Theil erwählt. Nicht alle Negerinnen haben wollige Haare nnd anfgednusene Züge gleich jenen von den uns hänsiger bekannten Stämmen aus den fenchten Niede-rnngcn. Diese, weil verhältnißmäßig billig, wnrden für den Haremdienst gekanft. Doch hin nnd wieder verirrte sich auf den Sklavenbazar von Kairo oder Stambul ein'dunkel-häutiges Mädchcu aus deu trockenen Gcgeudcu Central-Afritas. Eine solche Negerin steht iu der Gesichtsbildung uusereu Schöuheitsbegriffeu uicht allzu feru. Das Typische der Aethiopieriu ist dariu zur Würze der Eigenartigkeit gemildert, und sie besitzt einen musterhaft gcbauteu Körper, schlauk, elastisch, von reinstem Ebenmaß. Sie ist durchwegs Weib und Natur, juug voll Blut und Herzeu, kindlich ergeben, nie sicher zu gefallen und stetig bemüht Alles zu thuu, um Weniger zu mißfallen. Sie vergöttert ihren weißen Besitzer nnd ist ihn: rnckhaltslos, mit voller Liebe zugethan. Doch um auf unsere Haupt- nnd Titelperson zurück-Zu kommen. — Mit der Aeußerlichkeit der Ottumauiu glauben wir uus geuügeud befaßt zu habeu uud so liegt uns noch die allerdings schwierigere Aufgabe ob, einige allgemeine Züge ihrer Psyche zu erfassen. — 41 — Die Ottomanin ist dnrch die äußereu Schraukeu, die ihreu Horizont einengen und ihr den schmalspurigen Lebcns-ftfad knapp abstecken, jeder angespannteren Seelenthätigkeit, jedes inneren Kampfes enthoben. Dadurch wird ihr mit der Möglichkeit der Irrung auch die einer sittlichen Läuterung, einer individuellen Erhebung genommen. Sie ist sinnlich, aber ihre Sinnlichkeit bleibt elementar, ohne durch seelische Anregung eine Vergeistigung, und ohne — in den Städten — durch einen steten Contact mit der Natur eiue Verjüngnng zu erfahren. Hingegen wird der Ausdruck ihrer Sinnlichkeit nie an das Rohe, Widerliche streifen, denn die Ottoinanin, selbst in den nntersten Schichten, verleugnet in keiner Lage- das „ewig Weibliche", und anch in den Fälleu wo sie der Prostitution anheim fällt, wird sie nie ausarten wie die Abcndländerin, namentlich Jene germanischer Rasse. Es dürfte dies hauptsächlich daran liegen, daß bei ihr der Bruch mit der Sitte sich vielmehr als eiu äußerlicher, deun als ein tief iuuerlicher darstellt. Sie überspringt eiue Schranke, sie sündigt, aber wird nicht gewaltsam aus einer sittlichen Atmosphäre herausgerissen und bleibt auch iu ihren Verirrungcn in ihrem Element. Das mildert für sie die psychischen Folgen des Bruches, die sich iu christlichen Kulturländern um so bedenklicher äußern, je ansgebildctrr bei einem an sich nnd von Natnr rohen Volksstamm das sittlich? Newnßtsein ist uud je mehr dieser durch die Bildung über seiue Natur erhoben wird. Wenn sie liebt, so geschieht dies mit naiver Rücksichtslosigkeit, d. h. sie gibt dem Trieb unbedingt nach. soweit seine Befriedignng nicht unüberwindbaren äußerlichen Hemm-lüsseu begegnet; sittlich im christlichen Sinne ist sie also lucht. denn sie begreift die Schuld nur als eiue äußerlich __ 42 — Vollzogono Verletzung der Schranke: sie beugt sich dcm ..Muß/' der Begriff „Pflicht" bleibt ihr fremd. Sie ist schamhaft: wenn man sie im Bade überraschte, würde sie dor Allein ihr Gesicht verhüllen. Ihr fcrupulöser Reinlichkeitssinn wird dnrch die Befolgung dogmatischer Satzungen genährt, entspringt jedoch einem iuuern Bedürfuih, wie das die Nettigkeit iu ihrem Haushalt bekundet. Ihre Koketterie ist ganz naturalistisch und entbehrt trotz aller Derbheit nicht einer gewissen Grazie. Für jedes Weib ist eine der ernstesten Bestrebuugcu begchreuswerth zu er-scheincu, für keiue jedoch so sehr, wie für die Ottomanin. Diesen: ihrem Lcbcuszweck unterordnet sie Alles. Die gransame Parteilichkeit, mit welcher die Natur das weibliche Geschlecht im Allgemeinen verkürzt hat, iudem sie die volle Herrlichkeit seines Seins auf eiue kurze Schmetterliugspracht beschränkt, wird durch die Stellung, welche die ottomanischc Sitte der benachtheilten Hälfte zuweist, verschärft. Im Kulturzustand vermag das Weib durch Eigenschaften des Geistes uud durch Vorzüge der Bildung die entschwindende Herrlichkeit künstlich Zu verlängern oder sich und Andere über den Verlust zu täuschcu. Nicht so, hinter dem Muscha-rabich des Harem, dort hört, wenn das Weib nicht Mutter ist, die Berechtigung seines Daseins überhaupt auf, sobald es aufhört, begehreuswerth zu sein. Die Türkill ist fromm, aber ihre Religiosität artet selten iu Bigotterie aus; sie ist abergläubisch, wie eine katholische Bäncriu eben auch, reaktionär, wie es die Frau in: Allgemeinen ist seit dem Weibe Loth's biblischen Angedenkens. Die Europäerin beneidet sic nur theilweise, denn in: Ganzen nnd Großen flößt ihr die nnverstandcnc Lebensweise derselben als etwas unheimlich Fremdes mehr Echcn als Sehnsucht ein. Das Angewohnte, — 43 — Anerzogene hätt sir fest. Der Anstoß zu einer gewissen Mropäisirenden Bildung ist von den Männern ausgegangen. Dasi diese nur die Acnfterlichkeiten betrifft, braucht nicht erst betont zn werden. Doch üben die Aenßerlichteiten nailimtlich un Orient einen nicht zn unterschätzenden Einfluß, — In den Kleisten vornehmen Harems zn Stanibnl treiben bereits die Pianos ihr Unwesen und die Sprache Voltaire'S fängt "u, daselbst heimisch zu werben. Es fehlt der Ottomaniu nicht an gnten Anlagen, nur blieben diese bisher eingepuppt, ba die Unwissenheit eine, Hanptbedingnng ihrer nntergeurd-neten Stellung ist. In der Mode beqnemt sie sich sprungweise zn Nenernngen und so habeu denn verschiedene enru-päisch^ Toilette-Gegenstände Eingang ins Harem gefnnden. Daß si? M-r don der fremden Tracht ungewohnten Otw-Ulaninen zum Vortheil gereichen, wage ich nicht zu bejahen, ^cdes Kleid will mit Verständniß getragen werden, jede ^lcidungsart will, so zu sageil, auerzogen sein. Ich kenne uur wenig Nationaltrachten, die nicht zum erheblichen Nach-")?il für die Erscheinung abgelegt worden wären. Selbst b"s uom ästhetischen Standpnntt an» nnschüne Nationalkleid ^^lleiht doch immer den Neiz der charakteristischen Er-schcinung. Dies mnß nm so mehr für den Orient gelten, wo ^ Kleid der Lebensweise und den Sitten einer eigenen ^elt entspricht und wo die Annahme des Fremden einen bellen Widerspruch darstellt. Das Gesagte galt vorzugsweise von deu Frauen Stam-"nls als den Repräsentantinnen, der usmanischen Damenwelt, ^l) weiß nicht, ob sie mit dieser Skizze zufrieden sein ^«rden. Ich war bestrebt, wahr zn bleiben, wenn mir "uch hi,, ,i„d bieder die individuelle Auschauuug, über die — 44 — man nie ganz hinans kam, in die Qnere kam. Wahrheit ist aber anch im Harem keilt ganz willkommener Gast, Das Eine mass mich beruhigen: Jede Einzelne würde das weniger Schmeichelhafte der Kritik anf die „Anderen" nnd dafür die Anerkennnng ihrer Schönheit nud ihrer Eigenschaften auf sich allein beziehen. Mrkisches Awdertebe«. Kinderspielzeilge bekommt man in Stambnl fast gar nie zlc Gesicht, weil sie in die Haremsgemächer gebannt sind, wo das Kind seine ersten Jahre verlebt, nnd weil der Fremde sich niemals in jene stillen Gassen verirrt, wo fn' verfertigt nnd v^ränßert werden. Diese Gassen liegen in einem entlegenen Viertel der cy pressenreichen Vorstadt Eyoub, jener privilegirten Vorstadt, wo die Snltane dnrch Umgilrtung, des Schwerts chres Ahnherrn Osman inthronisirt nnd wv g^ legentlich ihre irdischell Ueberreste manchlnal znr Erde bestattet werden. Dort hantirt in geräuschloser Thätigkeit die Znnft der Kinderherzen-Neseliger, deren Mitglieder schon vermöge ihrer Beschäftignng etwas von den Kleinen, „derer das Himmelreich ist", an sich haben; eben dort werden diesc Spielzeuge geschnitzt nnd gefügt nnd zwar nach denselben Modellen nnd Regeln, wie in Sultan Achmet's Tagen, wenn man nicht etwa das blan nnd roth bekleckste Schiff, welches dnrch einen geschwärzten Holzkolben nnd durch zwei rnnde — 45 — Scheiben zum Dampfschiff modcrnisirt wurde, als Neuerung betrachten Will. Die Faetur ihrer phantastischen Formen stimmt znr Eultur-Epochc der Zeichen- und Hieroglyphenschrift. Die Müde und ein gewisser Fortschritt, die im Uebrigen die osmanische Production, wenn anch nicht inuner zn ihrcin Vortheil, angehaucht haben, sind auf die Verfertigung der Spielzeuge ohne den mindesten Einfluß gebtiebeu. Das aus schreiend gefärbten Stoffabfällen genähte Ungethüm, dem wir mit einiger Anstrengnng eine Dromedar-Aehnlichkeit anfznmntzcn vermögen, weist dieselbe Formlosigkeit anf, wie zur Zeit, als Großvater seine kindliche Einbildungskraft auf einem ähnlichen Thiergebilde dnrch die Sandwüste des Harem-hofes pilgern ließ. Der vielfarbige Glasperlen- und Muschcl-aufputz dürfte anch daiuals ein ähnlicher gewesen sein, wenngleich die einem fränkischen Nähkästchen entlehnte Seiden-spnle, die als Sattelzierde prunkt und die zwei Hemdknüpfe, die uns als Kameel-Angen anglotzen, eine ganz schüchterne moderne Znthat sein mögen. Das Hulzgestell, das türkische Kinder als Storch betrachten, klappt wie ehedem auf sein Grundbretchen und die Thonstücke anf Eisendrähten verschiebbar, die ihnen als schwimmende Fischchen gelten, ergötzen sie hcnte, wie vor einem Jahrhundert ihre Vorderen. Die Kähne uud die Karren nahmen wol damals wie jetzt den ihnen gebührenden Vorzugsrang ein und waren seit lchcr mit Spiegettheilchen und Federn verschwenderisch geschmückt; denn diese Zierrathcn dürfen, ob passend oder nicht, keinem begehrenswerthen Spielzeug fehlen. Auf diesem Feld also hat weder der westeuropäische Einfluß noch der abendländische Import Errungenschaften auszuweisen, und wir finden es begreiflich, wenn unsere — 46 — Spielwaarcn-Fabrikanten hinsichtlich ihres Artikels die Türken mit den Irokeseu oder Nenseeländern in Eine Bildungs-katcgorie stellen. Den Beobachter aber ninß sich die Frage anfdrängen, wie fo es komme, daß die Konstantinopeler Pro-dnction gerade in diesen Erzengnissen weit nntcr dein Ni-vean ihrer sonstigen Arbeiten geblieben. Der Vater steht der ersten Erziehung des Kindes, ja dein Verkehre mit demselben gänzlich fern. Die Mutter, als Weib schon conservativ nnd vermöge ihres eigenen Bildungsgrades der Anschannng des Kindes näher stehend, hält sich um so eher an das Angewohnte uud Hergebrachte, als es den Bedürfnissen des Kindes vollkommen entspricht. Selbst das Kind des Vornehmen zieht die landesüblichen Spielzeuge, rohgeschnitzt und bnntbekleckst wie sie sind, den Pnppen mit Poreelan-Gesichtern, beweglichen Angcn, kurz all den Automaten und rafftnirten Kunstwerkeu vor, welche bei uns die Industrie den Kindern bemittelter Eltern und leider die Unüberlegtheit dieser selbst den Kleinen in die Hände drückt. Die Spielzeugverfertiger iu Eyoub habeu somit keinen Grund, der beqnemen Routine zu cutsageu uud schnitzen und klecksen darauf los und kleben Federn und Spiegel-theilcheu auf Kamcele und Schiffe und die Kleinen haben ihre Frcnde an den wnnderlichen Sachen, Die vollkommene Form des Spielzeugs, die getreue, womöglich uoch idcali-strte Nachahmuug des Gegeustandes, hat für das Kind gar keinen Werth; sie bietet ihm höchstens eine augenblickliche Neberraschnng. Sobald diese aber geschwnnden ist, wird es den Gegenstand erforschen, ummodeln, beleben wollen, es Wird ihn endlich vernichten, um sich dann vielleicht mit dem Rnmpf oder mit einem Theil des zerstörten Ganzen erst — 4? — recht zu befreunden. Schlimm genug, wenn ihm dieser natürliche Zug der Kinderseele fehlt, wenn es ciuru solchen Drang nicht empfindet oder ihm nicht Folge gibt Man sollte dem Kinde deshalb kein Spielzeug bieten, durch welches dasselbe nicht angeregt wird, seine schöpferische Thätigkeit nnd nicht blos die negative, anatomische zn üben, Es ist dies hente ein anerkannter Grundsatz der Pädagogik uud man legt in Kindergärten den Kleinen die sogenannten Fröbel'schen Spiele vor, mittels derer sie spielend zum richtigen Denken geleitet Werden. Dcuu trotz Uriel Acosta's: ,,Kann man denkeu lernen?" steht es fest, daft, wenn zwar das Denken als solches nicht erlernt werden könne, der hiezu Begabte recht wol die Folgerichtigkeit desselben lernen könne, ja müsse, d. h. seine Begabung zweckmäßig anzuwenden. Ein annähernd verwandtes Endergclmiß wird theilweise durch möglichst nnfertige Spielzengc erreicht. Einmal entsprechen diese der naiven Anschauung des Kindes uud dann wird dessen Einbildnng angeregt, die embryonische, wnventionelle Forin zu vervollständigen oder umzubilden. Wenn es hierdurch auch nicht zum eigentlichen Denkeu angeregt wird, so wird es doch wenigstens znm Bilden angespornt. Dein strengen Conservativismns also, dem wir in diesem Punkt bei den Ottomaueu begeguen, möchte ich unbedingt Beifall zollen. Ich würde die Beibehaltung des Zweckmäßigeren Spielzeuges ungeachtet der phantastischen Schnörkel und Zuthaten als Zeichen einer im Allgemeinen nichtigen Behandlung des Kindes verzeichnen — wenn nicht cün näheres Eingehen ans die Stambnler Kinder-Erziehnng sle (wie bereits erwähnt) weniger als bestimmte Aosicht denn "ls Zufälligkeit erscheinen ließe. - Der ncugeborne Schreihals wird nach Art der Sardellen eingesalzen, das heißt, mit — 48 — Salz abgerieben, dann unbarmherzig fest eingeschnürt, gelegentlich geschröpft nm das „böse Blut" abzulassen und erst nach vier Wochen in's Bad gebracht. Die eigentliche Kindheit währt für den ottomanischen Knaben nnr, insolange die Haremswände sein alleiniger Gesichtskreis sind, also wenig über die erste Entwicklung hinweg. Im Harem wird er von der Mutter verzärtelt; sie liebt ihn oder vielmehr hängt an ihm, zwar nicht mit jener vergeistigten Zärtlichkeit, die wir als ideale Mutterliebe hin-zustclleu pflegen, sondern durch einen starken Zng des elementaren Naturtriebes. Sie liebkost ihr Innges, würzt die Liebkosungen, wenn ihre Laune sich nmdüstert, mit Püffen, nm gleich darauf wieder die Thränen des Gepufften mit leidenschaftlichen Küssen wegzntrocknen oder den schreienden Muud mit emem Honigfladen zu verstopfen. Das Ge-Währcnlassen ist das Grundprinzip der mütterlichen Erziehung. Daß ihre beschränkte Bilduug ihr uicht gestattet, der psychischeu Entwicklung des Kleiueu förderlich zn sein, ist selbstverständlich. Auch der Vater liebt sein Kind, aber er änßert die Neigung blos auf Distanz, Das Kind äußert vor ihm nnr Respect und würde sich vor dein Gestrengen nicht die geringste Kundgebnng von Lebhaftigkeit erlauben. Das Verhältniß im Schoße der türkischen Familie ist rein patriarchalischer Natnr und wird durch strenge Discipliu bestimmt; die iutime Vertraulichkeit, welche Väter nnd Kinder bei uns verbindet, ist ihr fremd; von der zarteru Pflege der Gemüthssaite weiß sie nichts; Familienfeste werden nicht begaugeu, die Feier von bedentsamen Gedenktagen des Hanfes, von Geburts- uud Namenstagen ist ihr gänzlich unbekannt. Die einzige bedentcnde Feier ist für den Knaben seine mit großem Pomp gefeierte Beschncidnng. - 49 -. Sobald der Knabe der ausschließlichen Obhut der Mutter entwachsen ist, wird er mit Einem Nnck aus der Harems-Atmosphäre in den Kreis dcr bureaukratischen Kaste versetzt. In den Jahren wo bei uns der Knabe, noch seinem Triebe folgend, heiteren Spielen obliegt, schreitet der Efendisohn, gekleidet wie ein Erwachsener, mit altkluger Miene, gesammelt und bedächtig einher. Die ungebundene Bewegung, das silberhelle, ungezwungene Lachen hat er hinter sich; dcr vermittelnde Uebergang dcr Alter fehlt. Aus dem ersten Lenzsonncnstrahl, der in die Winternacht seiner Kindheit fällt, tritt er jähe unter den Einflnß der sommerlichen Sonne, die sein äußerliches Verhalten vorzeitig reift. So sorgfältig man in den gebildeten Kreisen des Abendlandes Uor Kindern Gespräche vermeidet, die auf geschlechtliche Beziehungen anspielen und so sehr man daselbst bemüht ist, den mythischen Vogel „Storch" recht lange als Aus-knnftsmittel zu verwenden, so Wenig schellt mall sich im Orient vor den Kleinen, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen. Auf das Dämmcrlebcn der Sinne bei dcr Jugend wird daselbst gar keine Rücksicht genommen. Anf dem Markt des Lebens (in der Beamtensphäre) tritt ihm fein Vater abermals als gestrenger Herr und Gebieter, dessen Untergebene uder Verpflichtete aber treten ihm "ls l>firende Parasiten entgegen. Die Vorgesetzten seincs Vaters oder dessen Höhere im hierarchischen Rang erscheinen Hm wie übersinnliche Grüßen. Da wird ihm denn anstatt der Selbst- und Menschenachtung die Ehrfurcht vor dem ^ang, der Macht eingeimpft. Alles läßt ihm nnn die Gra-bität der Haltnng als Lebensgesetz erscheinen nnd täglich, stündlich wird ihm eingeschärft, den Ausdruck seiner Stim- Murab Efcnbi, Türkische Skizzen II. 4 — 50 — mungen zu bcmeisteru und vor Allem nüt Anstand „schweigen" zu lernen. Auch sein ganzes Fühlen und Denken wird methodisch eingezwängt in die Schnürstiefel der Cvnvenienz, der Etikette. So streng uud genau, nun das änßerc uud iunere Leben des Kindes in die ihm vorgezeichnete Lebensbahn gelenkt wird, so wenig wird auf das physische Gedeihen, auf die körperliche Aus-bilduug desselben Bedacht genommen. Wir suchen unter dem Spielzeug vergebeus nach Gartenwerkzeugen, hölzernen Bau-stücken, Krciselspielen u, s. w., überhaupt vermissen wir durchaus solche Spielgegenstände, die irgendwie der Leibes-eutwickluug, der freien, munteren Bewegung förderlich sein könnten. Für das Stambuler Kind gibt es ebeu kein eigentliches Knabenalter, keine frische Knabcnfrcndigkeit. Fechten, Reiten, Turucu, Schwinlmcn und fonstigc Körperübuugcn siud ebensowenig in das Bildnngsftrogramm des Kindes aufgeuontmeu. Es erklärt sich dies ans dem Umstand, daß in vielen Kreisen der Stambuler Gesellschaft Körperkraft als synonym uiit Rohheit gilt. Einer Abweichung von dieser Anschauung begegnet man mir in deu militärischen Kreisen und in deu Militär-Grziehnngs-Anstalten. Das Kind also wird nicht zn freier, selbstthätiger Männlichkeit herangebildet/ sondern über alle natürliche Entwicklung hinweg in die Abhängigkeit von der bnreankratiscb/ höfischen Umgangsform, in die Unterordnung nnter die Autorität, in das Aufgehen in den Geist der Kaste, gezwängt. Lernt in dieser Weise das 7-8jährige Pascha- oder Bey-Zade (Zade heißt Kind) einerseits sich frühzeitig con-centrircu, beherrschen uud fügeu, so wird es andererseits von den Dienern nnd Clienten des Hauses beweihraucht gleich einen? Würdenträger; der Raug des Vaters wird auch — 51 - im Kinde verherrlicht, gleichviel, ob dessen jugendliche Unbefangenheit darüber gänzlich verloren geht. Oft sieht mmi in den Straßen Stambuls die Wachposten einein winzigen Knirps, der in die goldstrotzcude Uniform des Ranges den sein Vater einnimmt, gekleidet und von einem Troß Diener gefolgt ist, militärische Ehren erweisen und den Kleinen mit Ernsthaftigkeit danken; oft hört man die conventionellc Phrase von einem Munde tönen, der eben daran ist, den Wechsel der Zähne zu erfahren. Im 12-13. Lebensjahr tritt der Efendisohn als Volontär in ein Burean ein und zwar ohne mit regelrechten Vorstndien ansgestattet zn sein. Religion, etwas arabische Grammatik, die ihm äußerlich beigebracht wurden, einige vage Begriffe von Diesem und Jenem, vielleicht etwas Französisch und vor Allem eine schöne Handschrift bilden gewöhnlich das ,,Auf uud Um" seiner wissenschaftlichen Ausrüstung. Als Bureau-Eleve mag er nach Belieben seine bureaukratisch augelegte Vorerziehung auf eigene Art vervollkommnen. Glücklicherweise lebt im Osmanen, anßer natürlicher Anlage nnd angeboruer Beobachtungsgabe, ein gutes Theil Ehrgeiz. Da nun heutzutage das Emporkommen im Staatsdienst den Besitz von Kenntnissen erfordert nnd Unwissenheit außerdem in der Stambuler Gesellschaft als Makel bedachtet wird, fo verlegen sich die jnngen Leute mit erstaun^ llchem Eifer nnd oft mit gntem Erfolg auf die Erlernung der ihnen nothwendig erscheinenden Gegenstände. Freilich Wird dabei meistens ohne Plan und System verfahren. Ich habe bis jetzt blos von den Kindern der Efendi-(Veallite!l)welt gesprochen, weil im volkerreichen Osmancnstaat nur eine einzige homogene Gesellschaft besteht, uämlich die b»rcau- Im Volke herrschen zwar — 52 — im Allgemeinen ähnliche Prinzipien für die Kinder-Erziehung vor, jedoch wird die Anffassung und die Durchführung derselben in den verschiedenen Gegenden dnrch die Verschiedenheit der Rassen und des Bildungsgrades der Volksschichten beeinflußt. In großen Umrissen ließe sich Folgendes aufstellen: Das Kind des Bürgers oder Bauers, gleichfalls der Frühreife zucrzogen, wird nicht zum Staatsbürger, nicht zum Höfling, sondern zmn Mnselmane geformt. Für seilte Körperausbilduug wird in den Städten zwar wenig gethan, aber sie wird anch nicht gehemmt. Die Gravität der Hal-tnng wird ihm ebenso auferlegt, wie dein Kind des Ndar (Vornehmen), aber nicht zugleich die Biegsamkeit derselben. Es lernt zwar anch nicht, sich als Individuum schätzen, aber doch als Mitglied der mahomedanischcn Gemeinschaft fühlen; die Unterwürfigkeit unter die Autorität, zn welcher man cs erzieht, gilt vielmehr dein Fatmn nnd dem Gesetz als den staatlichen Machthabern. Auch der schönern Kinderhälfte habe ich nicht erwähnt, vielleicht nnbcwußt ans Achtung für den orientalischen Branch, der die Zierden des irdischen Lebens nicht gerne in das Geräusch des Marktes zieht. Um aber dem Abcudländer, dem diese Zeilen bestimmt sind genug zn thnn, will ich ver-sucheu, das Versäumte mit einigen Federzügen nachzuholen. — Das Mädchen wächst auf uud wird schön, wenn diese ihre allgemeine Bestimmnng nach Allah's Rathschlnß ih^ besonders persönliche ist. Sie wächst also auf, wie die Lilie auf dem Felde. In neuerer Zeit zwar wird der keimenden Schönheit dnrch äußere Fertigkeiten, als Fortepianospicl, französisch Parlircn n. s. w. nnter die Arme gegriffen. Das Mädchen wird ihrem Naturell um so unbehinderter überlassen, je Weniger dies bei dem Knaben der Fall ist. Es präsen- — 53 — tirt sich im Allgemeinen ebenso hastig lebhaft als übersprudelnd gesprächig, ebenso elementar naiv als entschieden aggressiv und es dürften sich diese Anlagen mit den Jahren nur wenig verwischen. Die Wärme des Blutes, ein Hauptattribut der Fraueuschönheit, ein Arcanum, das selbst über die schwindeude Jugend hinweg seine Anziehungskraft bc-hanptet, verräth sich bei ihnen in jedem Athemzug, in jeder Bewegung. Im Alter zwischen 9 bis 11 Iahreu erscheine« sie seltener in den Empfangsgemächern, die sie bis dahin ungehemmt betraten, nnd legen bei Ausfahrten probeweise den Schleier an. Bald überschreiten sie die Schwelle des Harems gar nicht mehr, erscheinen regelmäßig verschleiert und adoptireu nach ueucster Mode — deu fränkischen Schnürleib. Herr und I»iener im Grient. Die Dienenden geben in der Türkei einen nnverhält-nißmäßig starken Bruchtheil der Gesammtbevölkernng ab. Denn je primitiver der Knlturgrad eines Staatswesens, um so zahlreicher ist im Allgcnieincn der Dienerstand in den einzelnen Haushaltungen vertreten, mn so schärfer tritt das Mißverhältniß zwischen dem Vermögensstand der Dienstgeber und ihrem Dicncrschaftsbcdürfniß zn Tage. Ein Efcndi letzter Kategorie — nnd der Rang ist hier zugleich ein Barometer für den Stand des Einkommens — muß zur Wahrung seines Ansehens von einein Diener, sei dieser auch barfuß, begleitet sein. Wo der Diener fehlt, grant das „gesellschaftliche Nichts." Da es innerhalb der thcokratisch-militärisch organisirtcn Gesellschaft des Osmanenstaates nnr Rangstufen, aber keine Kasten gibt, bildete die gesellschaftliche Stnfe der Dienenden theils eine Ergänzung zur Staatsverwallung, theils ein Noviciat zn den Aemtern des Staatsdienstes selber. Erst in neuester Zeit haben die höheren Anforderungen an das Wissen der Angestellten des Staates und an dm Besitz gewisser Fachkcnntnifsc für die einzelnen Zweige der Verwaltung eine schärfere Scheidelinie, zwischen persönlichem — 55 — und öffentlichem Dienst gezogen und den früher allgemein üblichen Nebertritt der Diener in die öffentliche Lanfbahn beschränkt oder erschwert. Dennoch wird der Diener im osmcuüschcn Hause anch jetzt noch als eine Art Familienglied betrachtet nnd er selber fühlt sich noch immer als ein Anhängsel des Staates. In gewissem Sinne mit Recht: denn jeder Diener ist, wenn anch in zweiter Linie, ein Pensionär des Staates, da der Staat fast alle Dienstgeber ernährt. Die Stellung des Dieners gilt dnrchans nicht als entwürdigend. Den Dienern hoher Würdenträger werden noch immer Honorare Beamtengrade verliehen nnd wenn anch in einigen welligen Hans-Haltungen französisirter Großen deu Dienern der untersten Klasse in deu letzten Jahren die stigmatisircnde Livrue anf-gezwnngen wnrde, so fehlt dem Lakaientleide doch die innere Bedeutung. Der Diener ist und bleibt vor Allein Muselman und Ottomaue. Der Vezier war, bevor er noch die heutige iu ihrer Machtsphäre sehr beschränkte Provinz-Statthalterstelle einnahm, eiu Vice-Sultau im vollstcu Sinu. Das ganze Wohl und Wehe der ihm verliehenen Provinz war in seine Hand Ugebeu: die Verwaltung, die Besteuerung, die Heerleitung und die oberste Gerichtsbarkeit. Der vnrcaukratische Orga-uismns, wie er sich in der modernen Türkei nach abendländischem Muster ausbildet, war damals, nnter der ,,seidenen Schnur/' noch nicht geboren. Nur der Vezier war durch die ^cgieruug direet bestallt. Er war von einem stattlichen Dienerstand nmgcben. Eiu Theil seiner Diener stand, nnd >>war nach seinein Gutachten, deu verschiedenen Zweigen der ^wviuzverwaltung vor. Diese wurde iu ihreu großen Um-^ssen zwar dnrch ein allgemeines System geregelt nnd in — 56 — dessen Rahmen gehandhabt, aber die Intcrpretirnng stand einzig und allein der persönlichen Anschanung, die Ansfnh-rilng der individnellen Willkiir zn. Knrzuin, die Verwaltnng lag nicht den Aemtern, sondern ausschließlich den Persönlichkeiten ob. Dieser Znstand verleitet vorweg dazn, ihn in gewisse Verwaudtschaftsbeziehnngcn mit jenen: des mittelalterlichen Abendlandes zu bringen. Die nähere, Betrachtung jedoch läßt durch die äußerliche Aehnlichkeit hindnrch den scharfen Unterschied im Wesen erkennen. Er liegt in der aristokratischen Gliederung der damaligen abendländischen Gesellschaft, die dem ottomanischen Staatswesen gänzlich fremd war und ist. Die ottomanischen Hausgenossen konnte man vor der Zeit der Neform in drei Kategorien gliedern. In die erste gehörten die Diener der Feder und die Hausofficiere, zumeist Veys und Efendis vou Rang und Titel. Unter ihnen war der kiailia (Haushofmeister) als das alter 6F0 seines Herrn der Ansehnlichste, .Er hatte manchmal Naug und Titel eines Beylerbey (Pascha zweiten Grades). Nach ihm reihten sich! Der vivlin Efendi (Secretär), der Nüdurcl«,r (Siegelbewahrer), der ItaZnaä»!' (Schatzmeister), der vivitar (Tintenzeugbewahrer), der 8iw-tiMar (Waffenträger), der Imraelior (Stallineister), der Xlnvk88l)Äeki (Hnissier), der Volcil-^ai-äi (Vorrathsmeister), der Xattan ^F^88i (Garderobier) und noch andere Bedienstete des Paschahofes. Jeder von diesen hatte seinen besonderen Hausstaud und seine eigene Dienerschaft je nach Maßstab seines Ranges. In zweiter Linie kamen die ^soliidukHu und dn' XavoHi, deren Beschäftigung streng genommen im Nichte — 57 — thun bestand. Denn ich glaube nicht, daß man das Bereiten und Auftragen des Kaffees, das Stopfeil der Pfeifen und das Reinigen der Pfeifenrohre als besondere Mühewaltung ansehen kann. Bei den Vornehmen war die Zahl der Tschibnkdjn sehr beträchtlich. In gewissen Fällen mnßten nach den Bestimmnngen der stets gewissenhaft beobachteten Etikette 10—12 Tschibnk in einem nnd demselben Moment den im gleichen Rang stehenden Gästen anfgetragen werden. Die ^.enchi (Köche) standen mit ihrer Knchenabtheilnng für sich. Sie hatten, da die Zahl der täglichen Tischgäste nie bemessen werden konnte, eine schwere Verantwortnng, aber auch ein weites, ergiebiges, jeder ernsthaften Controle spottendes Ausbeutungsfcld. Auf der nntersten Stnfe endlich sindeil wir die ^vvas (Hansdicncr), die 86i8 (Pferdeknechte) nnd in Stambul die KMvlhi (Barkenruderer). Die Zahl der Dicucr wurde hauptsächlich durch den hierarchischen Diang des Dienstgebers bestimmt, denn hoher Nang und Reichthnm mnßten als gleichbedeutend gelten, wo die Macht zngleich die alleinige Quelle des Erwerbes nnd großen Besitzes war. Diese Znsammenstellung des Dienstpersouals überdauerte die politische Reform eiuige Zeit und ich fand sie noch in jedem Vezier-Hanshalt vor. Freilich bestand sie weniger dem Wesen als vielmehr nur noch dein Schein nnd den Namen uach nnd anch da in mehr symbolischer Vertretung. Der ^iMg, gab sich noch immer ein mächtiges Ansehen, aber er Mb es sich vielmehr selber, als man es ihm gab. Der Hu8nacia,r (Schatzmeister) war gegenstandslos geworden. Ein großer Theil des Einflnsses dieser Beiden und ihrer Attribute ist ans die nunmehr allorts evmumten Regiernngsbeamten — 58 — mid auf den Provinzialrath übergegangen. Die Zahl der Bediensteten ward auf das bescheidene Maß dun ungefähr 49 — 50 Köpfen begrenzt. Daß der ottomanischc Diener, der von seinein Herrn eine gesicherte Lebensstellung erwartet und ill Erwartung derselben sich mehr »der minder einträglicher Ncbeneinknnfte erfreut, seinen Platz nicht leicht freiwillig verläßt, ist selbstverständlich. Der im Hanse ergraute Diener ist keine Aus-nahmscrscheinung. Denn der ottomanische Diener ist geradezu mit dem Hanse, dem er angehört, «erwachsen und theilt alle Schicksale seines Herrn. Er avancirt oder aber fällt mit ihm in Ungnade. Er stellt sich der Außenwelt gegenüber je nach dem Ansehen nnd Vinflnß desselben. Das ,,Wir" ist ihm eine geläufigere Nedefurmel als das ,,Ich"> Diese intime Wechselbeziehung beruht übrigens auf Gegenseitigkeit, Der Ottomane empfindet die Nichtachtung seines Dieners wie eine ihm zugefügte Beleidigung. Eine schlechte Behandlung der Diener seitens ihrer Herren ist bei der allgemeinen Art und Würde der Ottomanen ganz uudenkbar. Das Verhältniß ist dnrch strenge Diseipliu, welcher sich der ottomanische Untergebene widerspruchslos fügt, einerseits geregelt und durch die mahomc-danische Lebensauschammg andererseits gemildert. Es ist nicht ungewöhnlich, die älteren Diener an dein Tisch des Sohnes vom, Hause Platz uehmen, noch ist es selten, einen hohen Würdenträger mit seinem Bediensteten Schach oder das allbeliebte t^vi^ (Hanns-Pnff) spielen zu sehen, Der Ottomane vergibt sich dem Untergebenen gegenüber nie etwa^ durch sciue Vertraulichkeit, der Untergcbcue fühlt sich nie versucht, seine Stellung zu mißbrauchen nnd sich zn über- — 59 — nehmen. Natürlicher Tact ist dem Einen so gut eigen wie dem Andorn. Die meisten Würdenträger sehen die Bereicherung ihrer Diener gerne. Ich kannte einen der Höchsten, der sehr un-6chnlten wnrde, als ein übereifriges nencr Secretär ihn auf gewisse zu seinen: Schaden vorgekommene Nechnnngsfehlcr aufnierksanl machte. Der Ottomane achtet es unter seiner Würde, in das Detail einzugchen; sein Grundsatz lautet: Es ist nicht Sache des Baumes, sich nach den Früchten zu bücken, die sich von seinen Aesten losreißen, noch des Hausherrn, nach dcu Brosamen zu sehen, die Uon seinem Tische fallen. Im ottomanischen Haushalt werden zwei Dienstleistungen ausschließlich von Christen versehen. Die des KillorHi (Kellernleister) nnd die des ^ynas (Hausdiener). Der Erstere ist gewöhnlich ein Grieche. Ihm liegt es ob, das "rak^-tewi", welches vor der Mahlzeit keines Stambulcr ^fendi fehlen darf, in Stand zu halten, nnd den wichtigen Trinkwasservurrath zn besorgen. Das rlü^-towi besteht aus ^m Fläschchen Mastix (einem vorzüglichen Branntwein) und den dabei üblichen Zuthaten als Oliven, Käse, Caviar, Gardinen, Helva (ein süßer Teig) uud sonstigen Näschereien. Da man im Orient die Hanvtmahlzeit Abends hält, bird das „ro.1i)^6d8i" nach der Heimkehr aus dcu Aemtern, ulso gegen fünf bis sechs Uhr Abends, aufgetragen. Bei "lesein Vormahl wird mit den Freunden und Gästen die bauliche Fcierabend-Untcrhaltuug angeknüpft und fortgeführt. Der ^w«,8 (Hausdiener) ist gemeiniglich ein Armenier und hört folglich auf den Namen Karabet oder Kirkor. Der Ichwarze Turban verkündet nns den Kreuzbckenner, Das Vmuch aus roth-gelb gestreiftem Wollstoff und die hölzerne — 60 — Speiseuftlatte auf seinem Haupte sind Insignien seines Amtes. Er besorgt die Neinignng des Hanfes nud der Gemächer des 8Liam1ilc (Empfcings-Abtheilung), er bereitet das Lager der Gäste, besorgt die Beleuchtung nnd im Winter die Kohlenbecken im Mangal. Er bringt von der tabernakel-fürmigen Nische iic der Scheidewand zwischen Harem und Sclamlik die verschiedeneu Mahlzeit-Abtheilungen. Er ist die eigentliche Triebfeder des innern Dienstes nnd verrichtet die schwere Arbeit, während die ^Fg,'8 (Herren), denn so betitelt man die Diener der Staatsbeamten, den Hansstand vielmehr durch ihre Persönlichkeit revräsentiren. Der ^'vva,L, der 8o'i8 (Pferdeknecht) und die KMchi (Barkeuführer) sind die eiuzigen Diener, welche die Nationaltracht beibehalten haben. Alle anderen kleiden sich gleich ihren Herren nnd unterscheiden sich van diesen äußerlich blos durch den mangelnden Vollbart. Der 8oi8 ist mit besonderer Sorgfalt costümirt. Wenn fein Herr ausreitet, fo fchreitct er neben dein Pferde einher, anf der linken Schnlter die gestickte Pferdedecke, die rechte Hand anf die Sattellehne gelegt. Der Ottomane reitet nie anders als im gravitätische Schritt durch die Gassen der Stadt. Bei Ministern, die sich des Wagens bedienen, führt der 8018 zu Pferde und hinter den« Wagen, das Leibroß am Zaum. Der Hansstand der Dnrchschnittszahl der ottomanisch^ Bureankratenwelt, des Mittelstandes möchte ich sagen, besteht znm Mindesten aus drei Individuen: aus dem Tsch^ bukdjn, den: Seis uud dein Aywas. Der geringste Pforten-Efendi aber, der nicht auf Pferdeshöhe gelangen konnte, würde glaubeu, seinem Ansehen etwas zu vergeben, wenn er ohne Begleitung eines Dieners über die Gasse schritte» — 61 — Noch dor einigen Jahren mußte dieser mit dem Pfcifen-rchrfutteral bewehrt seiu und die Tasche (ähnlich unseren Schultaschen) für den Nanchapparat ningehangen haben. Jetzt verdrängt die billigere Cigarette den Gebrauch dcs Tschibnks. Die cirkassischen Sklaven, die ehedem in den Hänsern der Großen als Pagen figurirten, sind gänzlich außer Gebrauch gekommen. Sie wurden, nach Vorschrift des Korans, den Söhnen des Hauses gleichgehalten uud erzogcu und waren der Grundstock für die hohen Aemter des OslNanenreichs. Die endliche Versorgung aller Diener uud Hausgeuosseu, !ei es mm durch Aemter, durch Schenkungen oder dnrch Renten, war für jeden vornehmen Ottomanen eine Ehrenpflicht. Daß der Eilte oder der Andere einem erprobten Diener eine Tochter oder Verwandte zmn Weibe gab, war nn nicht seltenes Vorkommniß. - Wie ans dem Gesagten bereits hinlänglich hervorgeht, besteht der Hauptnnterschicd zwischen dem Dienstverhältnisse Uli Orient uud im Occident darin, daß es dort ans der Gemeinschaft erwächst, hier aber die Kaste zur Basis hat. ^u die scharfen Kanten der Kaste im Abendland allmälig Erwischt wurden, hat der große Unterschied im Bildungsgrad und in: Besitze die strenge Scheidelinie erhalten. Im Orient wird er dieselbe allmälig errichten. Die goldenen feiten für die Dienenden liegen hinter der Verkündung des, ^lltti Iwuma^oun von 6ü1-IiÄN6. Jas ottomanische Fteamtenthum. Dem 'ottonianischcu Wesen war dor Begriff Staat und Staatsdienst freind. Mit der Neform mußte der Versuch gemacht werden, den einen zu gründen nnd in Folge dessen den Audern einzurichten. Auf Grund der alten despotisch patriarchalischen Anschauung sollte der öffentliche Dienst bnreankratisirt werden, das heißt, die dem ottomanischen Wesen zwar entsprechende aber den ncnen Verhältnissen und den von ihnen geschaffenen Bedingungen nicht mehr entsprechende Amtirung von ehedem sollte in eine fremdartige ForM gezwängt werden. Weder damals noch bisher hat man dem Umstand genügend Rechnung getragen, daß die Umwandlung der. allgemeinen änßeren Verhältnisse die gleichzeitige Umwandlung der besonderen inneren bedinge und daß die einen den andern adaptirt fein müssen, wenn sich nicht schwere Widersprüche und Mißstände äußern sollen nnd die Elemente anstatt mit nnd ineinander, neben oder selbst gegeneinander wirken solleli. Daran leidet aber gegenwärtig die ottomanische Bureaukratie zur Schädigung der Verwaltnng in ganz fühlbarer Weise. Fassen wir zum Beispiel die gegenwärtigen Statthalter ins Auge. — 63 — Von ihrem Wirkungskreis vor dcr Reform ist ihnen nnr die politische Vcrwaltnng und die Oberleitung der Provinzen geblieben. Die andern Zweige des öffentlichen Dienstes werden von den Beamten der betreffenden Ministerien verwaltet nnd bei den Komunalangelegenheiten hat der Rath (UoäFeM8Z), an welchem Notablen der Provinz Theil nehmen, ein Votnm. Die Vice-Sultanc von ehedem sind zn Regierungspräsidenten geworden. Gnt. Wie verhält es sich aber mit ihrer hierarchischen Stellung? Diese ist auf keinen Rechtstitel gestützt, beruht auf keiner festen bnrean-kratischen Basis und kann durch Intrignen in Konstantnwpel sowol, als in der Provinz selbst, gefährdet werden. Der Kampf um die Stellung also, die Nothwendigkeit, sie durch Freunde nnd Gönner zn erhalten, zersplittert ihre Thätigkeit auf Kosten ihrer dienstlichen Obliegenheit. Wie steht cs um ihre materielle Lage? Ihr Hansstand und die An-fordernngen an denselben haben bei aller Beschränknng den altottomanischen Zuschuitt beibehalteu. Eine Schaar von Bediensteten uud Sklavinnen (für den Dienst der Fran nnd des Hausiuuern) und ein gewisser Anfwand der nach altottomanischen Begriffen von der Würde untrennbar ist, erheischt bedeutende Geldmittel. Der ottomanische Beamte hat in der Regel kein ererbtes Vermögen nnd das Schöpfen im Vollen aus der Epoche dcr Veziersherrlichkeit hat aufgehört; er ist heute besoldet. Bei der Umwandlung hat wan als Ersatz uuverhältnihlnäftig hohe Gehalte ausgeworfen. Nicht die Ginnahmesumme des Staates wurde dabei berücksichtigt, soudcru das, was mau als Bedürfniß für deu Nnng auuahm. Man bedenke das schreiende Mißvcrhältniß wenu Augestchts der bescheidenen Einkünfte des Reiches ein — 64 — Wali (General-Gouverneur) 60,000 Piaster monatlich, also circa 40,000 Thaler jährlich Gehalt bezog. Dennoch erwies sich dieser kaum zureichend, weil die Walis einen Theil der aufrecht gebliebenen Ansgabcn von ehedem bestreiten sollen, nnd z. B. einen Troß von Hausbeamten nnd Dienern erhalten müssen. Nun. kommen die häufigen Versetzungen dazn, die bei den Verhältnissen des Landes zn kostspieligen Reisen veranlassen und der Umstand, daß durchschnittlich ans zwei Jahre Amtirung ein Jahr gehaltlose Disponibilität fällt. Diese Disponibilität, die meist durch persönliche Gründe herbeigeführt wird und dem Betreffenden die nngeminderte Ausgabcnlast beläßt, da seine Diener nach patriarchalischer Anschauuug zu seinem Hause zählen, müssen ihn dem 8m'rai (Geldwechsler) überantworten. Einstmals galt und noch bisher gilt der Grundsatz: der Sultan schenkt das Amt nnd nimmt es, d. h. in weiterer Ausführung, der Gönner gibt nnd der Gönner eines Anderen nimmt es. Die persönliche Beziehung (Palronenthm« mid Klientschaft), waltete nnd waltet thcilweise noch vor. Der öffentliche Dienst wurde als Domäne betrachtet, zu deren Genuß die Bernfenen dnrch Gunst zugelassen und von der Ungunst zeitweise entfernt wurden, um Andern Platz zu macheu: das Amt war eine auf unbestimmte Zeit verliehene Pfründe. Was einst erträglich war, da das Amt als Vcrmögens-qnelle galt, führt jetzt zur Unordnung, Demoralisation, zum Ruin. Dem»Zwang der Lage folgend, sind die Gehalte in den letzten Iahreu bis auf ein Drittel heruntergesetzt worden und es gibt sich die Nothwendigkeit mm besonders gcbie- — 05 — terisch kund, cm Systenr an Stelle der persönlichen Beziehungen Walton zn lassen. Doch kehren wir zur Darstellung des gegenwärtigen Beamtenstandcs znrück. Der Zeitpunkt nach Einführung der Reform bis zum, Ableben Aali Pascha's bezeichnet den Höhepunkt semes Einflusses. Nach Vernichtung des Ianitscharenkorps nämlich gehörte es gewisser mästen zur innern Politik der osmanischcn Machthaber, deu militärischen Geist mit überlebendem Ia-nitschareutrotz gleichbedeutend zu halteu und so wnrde das Heer vom burcaukratischcn Körper in den Schatten gedrängt. Entgegen den Grundprinzipien des theokratisch-militärisch gegliederten Osmanenth'ums erhob sich der Efeudi über den Bey, das Bureau über das Feldlager. Die vermehrten Beziehungen mit den Mächten, die erhöhte Bedeutung derselben ließen deu Schwerpunkt der Regierung in das Cabinet des auswärtigen Ministers legen, nud so wurde dcr ehedem mehr untergeordnete Re'is Efendi als ,,Ncarfchall des Aeußcrn" die maßgebende Stimme inl Divan. Die nläch-tigen Grostoeziere Reschid Pascha und Aali Pascha waren vor Allein Minister des Acußeru, sei es, daß sie deu Fau-teuil dieses Departemeuts persönlich einnahmen oder durch einen Strohmann einnehmen ließen. Nun bildete sich rasch ein fast allmächtiges „Patriziat der Feder." In deu letzten Jahren zwar wurde die Alleinherrschaft des Bureaus wieder allmälig dadurch beschränkt, bah die Armee die ihr gebührende Stellung zurückerrang, aber die Efendis stellen noch immer die Gesellschaft dar und fahren fort, als solche für die Regierung den maßgebenden Theil der öffentlichen Mcinnng abzngeben, Wolverstanden im orientalischen Sinne. Villlad Efendi, Tik'lische Ecizze» II, 5 ^ 66 — Der „Efendi" ist ursprünglich cm den Schriftgelehrten gebührender Titel, weshalb er lange Zeit den Christen, deren viele von Altcrshcr Bey betitelt wurden, verweigert blieb, obschon das Wort selber dem Griechischen entstammt. „Efendi" bedeutet bei den Ottomanen so viel als Doctor. Freilich wird hier wie in andern Fällen der abendländische Begriff durch eine Uebcrtragung nicht vollkommen gedeckt. Die Uebersetzung von einer Sprache in eine andere, welcher eine verschiedene Weltanschauung zu Grunde liegt, bleibt immer eine mißliche Aufgabe. Wie würde man z. V. Aristokratie, Standesvorurtheil, Mißheirat!) n. dgl. m. wol genau in's Türkische übersetzen? Glücklicherweise haben wir im titelreichen Deutschen eine Bezeichnung bei der Hand, die nns Umschreibung«: erspart, Umschreibungen, denen wir bei jenen Völkern, die mit Räthen, Professoren nnd Doctoren nicht so reich begnadet sind, wie die Nation der Denker, kaum hätteu eutgeheu können. Wir wählen also den „Doktor", wolverstanden ohne Examen, Graduiruug uud Diplom; denn den Ehrentitel Efendi darf sich Jeder beilegen, welcher der Wissenschaft des Schreibens kundig ist uud folglich seinem Wissen nach Anspruch erheben kann, den gebildeten Ständen zugezählt zu werden. Ich sage ,,folglich" nnd mit Bedacht, denn die Schrift ist für den Orientalen nicht eiu bloßes Mittel, soudern ein Zweck, und läßt verschiedene Kenutuiß, deren Ausdruck sie gewissermaßen ist, unbedingt voraussetzeu. Für die allgemeine Volksbildung allerdings ein bedenkliches Hemmniß, welches die Reform geradezu herausfordert. Diese wurde auch schon von unternehmenden Köpfen geplant, bis jetzt aber durch die öffentliche Stimmung verhindert, znr That zu werdeu. Denn um das Erlernen der — 67 — Schrift allgemein zngänglich und sie also vom Piedestal der Wissenschaft auf deu Markt herabsteigen zu machen, müßte der arabischen Koranschreibart theilwcise entsagt werden. Religiöse Bedenken, die Macht der Tradition und die Routine der gegenwärtig Schreibekundigen stehen jetzt noch der Ausführung einer so tiefgreifenden Umwälzung wie eine Trennung der profanen von der geistlichen Schrift im Wege. Sie müßte überdies mittels Beschränkung der zahlreichen arabischen und persischen Worte eine neue Sprachbildung zur Folge haben. Doch nothwendig wie sie, ist, wird sie schließlich zum Durchbruch gelangen nnd dann wird der Efendititel, da ihn doch nicht alle tragen können, mehr auf die Fachgelehrten beschränkt werden. Den Titel „Gfendi" führen auch die kaiserlichen Prinzen, bei denen er indessen gegenüber dein Heer der ,,Dokten" den Unterschied des einstigen „NonLiLur" der Vourbonen gegenüber den „N68-8iLui-8", int Allgemeinen darstellt. Das ottomauische Beamtenthmn bildet eine geschlossene Gesellschaft. Die mächtigsten Minister sind an diesem Körper zerschellt, wenn sie, anstatt sich auf ihn zn stützen, ihre Absichten wider ihn durchsetzen wollten. Die Bnreankratie rekrutirt sich nicht mehr so sehr wie früher aus dem ganzeu Reich, sondern vielmehr ans engeren Kreisen von Beamtenfamilien, zn denen die Christen ein namhaftes Contingent stellen. Unter den Christen sind die Armenier am zahlreichsten vertreten. Biegsam, wie sie sind, rignen sie sich die Pfortensprache der mnselmanischen Efendis an, haben dieselben Gebräuche nnd Umgangsformen, kurz, stellen sich äußerlich wie diese dar. Da bei der Unregelmäßigkeit des Einkommens uud der Gehaltzahlungen der armenische Geldmann, neben dessen geschäftlicher Ge- — 68 — schicklichkeit kein Jude aufzukommen vermag, bei jedent Be-amtcn bis in die höchsten Würden hinauf als Geldburger eine maßgebende Rolle spielt/ so ist es selbstverständlich, daß ihre Söhne uud Angehörigen im Staatsdienst leicht Aufnahme und ihr Fortkommen finden. Wenn enrupäischc Stimmen die Znlassnng der Christen zu den Staatsämtern als Reform verlangen, su beweist dies eben nur ihre vollkommene Un-kenntniß der Verhältnisse, Ein Christ sDaoud Pascha) war Miuister, eiu anderer (Nustem Pascha) ist GeneralgonUerneur, mehrere Christen, darnnter zwei mit' dem Veziersraug, waren und sind Botschafter,. Gesandte, Unterstaatssekretäre Staatsräthe, Divisionsgeneräle, Uon den zahlreichen Bureau-Chefs uud subalteruen Beamtcu nicht zu reden. Der Sohn des Beamten tritt natürlich wieder in den Staatsdienst ein. Der Eintritt nnd das Fortkommen werden ihm durch die Beziehungen des Vaters erleichtert. Der Vortheil, den sie ihm bieten, ist gewöhnlich sein einziges Erbe. Der Staatsdienst galt für den Efendifohn als die einzig passende üebensstelluug, wie er denn für die Mehrzahl der Ottomanen als der Quell aller Bedeutung ein mächtig verlockendes Ziel ist. Das letzte, was sich aus dein Herzen des Ottomanen entfernt, ist seine Liebe zu Amt und Würdeu. Es ist indeß in letzter Zeit vorgekommen, uud ich halte dies für eiu erfreuliches Symptom, daß solche anspruchsberechtigte Candidaten anf ein Staatsamt diesem eine freie Profession, wie znm Beispiel die neueutstandcue Advokatie Vorgezogen haben. Der Eintritt in das Bnreau fand oisbA oft in einem Alter statt, in welchem der dentsche Knabe noch das Gymnasium besucht. Die orientalische Sonne reift den Menschen rascher, und das Bureau galt zugleich als Vorbereitnnas- - 69 — schule. Dort bildete sich der jugendliche Beamte nach seinen Aulagen nud je uachdem seiu Vater oder audere Einflüsse auf seine Bildung einwirkten. Der Nenaufgeuommeuc, erst dein Minister vorgestellt und von demselben mit der herkömmlichen Formel: ,,Wenn's Gott gefällt, werden Sie Vezicr werden!" entlassen, wnrde nnn in einem Kalem eingereiht. Kalem heiftt Feder nud zngleich Bnreau. Der neue Beamte, dessen rother Fez die Farben-Nnanee nnd dessen Kleid den Schnitt nach der Mode angenommen hat, die gerade in den Bnreanx vorherrscht, also mit einer Art Civil-Uniform angethan, wandert nuu täglich zu seinem Amt. Zwei Extreme geben sich hier in der Erscheinung knnd. Der jngendliche Stntzer, den vum Pariser seiner Art nur das rothe Fez auf dem Hanvt unterscheidet, und einige Uel'erbleibsel ans früherer Zeit in solchen Aemtern, die gewissermaßen zum Pforten-Trcnnwesen zählen. Den Efendi dieser letzteren Kategorie kennzeichnet der reglementsmäßig kurz geschorene Vollbart, der blosie Hals über einer Shawlweste, der langschösiige Nock mit dem Stehkragen, und semmelflirbene oder wnbengrane Pantalons mit ausgehöhlten Knieen, mächtige Galloschen nnd die nnter dem Fez neilgierig hervorlngende weisie Unteriniitze. Noch vor wenigen Jahren sah man nm die Mittagsstunde Neiter-Karawanen nach der Nichtnng des Pforten-gebändes strömen. Das Reitpferd mit emer reichbordirten Satteldecke, daneben zu Fuß der Reitknecht in nationaler Tracht nud hinterher der Diener mit dem Tschibnkbehältcr, gehörten znm regelrechten Auszug des Efcndi, dem die Schildposten militärische Ehren erwiesen. Die strenge Sonderling des Staatsbeamten vom Officier war früher ganz Unbekannt. Mit deut Range wnchs die Anzahl der be- gleitenden Diener; die Minister hatten überdies zu beiden Seiten militärische Garden mit goldbordirten Kragen, die bis über die Ohren reichten, und mit langen Gewehren bewaffnet. Heute sind die Reitpferde dnrch moderne Kutschen verdrängt, die begleitcuden Tfchilmktschus aus der Mode, uud auch die Beamten zu Fuß werden uicht mehr blos als den unterstell Rangklassen angehörig betrachtet. Das orientalische Gepräge im Aeußereu verwischt sich mehr uud mehr. Auch in den Bureaux verdrängen die Armstühle die rings um das Gemach laufenden Divane der Väterzeit. Vor jedem Beamteu steht ein Tischchen uud auf demselben der reichhaltige Schreibapparat, der aus so und so viel kleineu Porzelanvascn, Federn, Scheeren, Messern uud andercu Ntensilicn besteht; dieselben sind gewöhnlich zierlich, mitunter kuustvoll ausgeführt uud erfrcueu sich stets einer vorzüglichen Pflege. Der musterhafteste Soldat hält feme Waffen uicht in blankerem Zustand, als der Efendi sciue Schreibrcqnisiten, Zu diesen letzteren gehört auch die Cigaretteubüchse und der Aschebecher, seitdem der Tschibnk sich aus dem Bureau in die Kabinette einiger Hoch- und Höchstgcstellter zurückgezogcu hat. Eine gewisse militärische Nettigkeit gehört zur convcutionellen Erscheinung des Efcndi. Die Bureau-Chefs führen außerdem die „lorda" (seidene oder leinene Säcke) mit sich. Iu der Torba beftuden sich die zu erledigenden Schriftstücke, die vom Bureau nach Hanfe, vom Haufe zum Bureau und von einein Kalcm zum anderen wandern. Die Turba ist das ambulante Archiv, oft eine Ausflucht oder ein Vorwand zu VerzögerunaM; die Tiefen der Torba sind ein Abgrund für denjenigen, der die Erledigung einer mißlichen Angelegenheit betreibt. Das Vorwalten der Persönlichkeit mußte den rascheu Dienstgang — 71 — in so ferne beeinträchtigen, als die Erledigung fast jeder Angelegenheit vor die höchsten Spitzen eines Departements, zumeist des Ministers selber gebracht werden muß. Dieser Umstand, der bei nicht genügend genauer Ab-gränzung der Amtsthätigkeit der einzelnen Abtheilungen nnd bei mangelnden systematischen Bestimmungen ans die persönliche Entscheidung von ,,Fall zu Fall" nnd ,,je nachdem" des obersten Chefs znrückführt, ist- gleichfalls eine Folge der patriarchalischen Anschauung. Er überbürdet den Minister über Gebühr mit Detailreglnng und man kann füglich behaupten, daß die Minister in abendländischen Staaten nicht annähernd so angestrengt nnd mit Arbeit überhäuft sind, als ihre ottomanischen Kollegen. Jeder Kalcm hat ein ,,Anfathmungszimmer" (^eng,-fu8oäg.88i), wo der Tagcsklatsch freieren Lauf hat und wohin Erfrischungen gebracht werden. Der beim Thürvorhang aufgestellte Amtsdiener hält nur selten die Gabensammler, zu Deutsch „Bettler", von ihren Rundgängen dnrch die Bureaux ab. Es zieht ein freier, humaner Zug durch die ottomanische Lebensanschauung. Von den Pfortendieneru sind außer den psrä6ä8Hi (Vorhangbediensteten) noch zwei Gattungen besonders Zu erwähnen, da sie so zu sagen znm Pforteninventar gehören. Die Stummen (vilsi^) welche beim Grotzvezier, beim Nathspräfidcnten und während der Berathungen Dienste verrichten und die Mdu8onä.jn (Ueber-schuhbewahrcr) deren Kasten an jedem Eingang des Pforteu-gebäudes angebracht sind. Die Ersteren sind besoldet, das freie Einkommen der Letzteren aber ist empfindlich geschädigt, seit die jünger» Efendi anfangen dem Gebranch der Ueber-schuhe zu entsagen. An den Schuhputzern, die sich seit einigen Jahren in den zum Pfortcngebäudc führenden __ 72 __ Straßen massenhaft eingenistet haben, ist den paduäLdiu smnft Dienerveterane) cine fiihlbare Konkurrenz erwachsen. Dnrch Aali und Fnad gelaugte nächst dem wichtigen Bureau des „Neferendarius" das Uebersetzungsbureau als Diplomaten- und Minister-Pflanzstätte zu hohem Auseheu. Capacitäteu, wie Savfet, Raschid, Aarifi und Kabuli Pascha cntstanunen demselben; Letzterer stand ihm fünfzehn Jahre hindnrch vor. Die Aeltcren klagen über deu Verfall des Bureaux, dessen Blüthezcit iu die Epoche AalVs fällt. Sollten es nicht die erhöhten Ansprüche an den Nachwuchs sein, welche diesen Klagen ihre scheinbare Berechtigung verleihen? Eignet sich der neue Beamte zum Kanzleidienst su erhält er beim Abgänge eines Bnreaumitgliedes einen Antheil an der Gehaltsquote, die jedem Bureau ausgeworfen ist. Mitunter beträgt das erste Monatsgehalt blos 50 Piaster (5 fl. Oe. W.) Dieses, sowie die allenfallsigen Znlagen, sind entweder fix oder aber zeitweilig, wenn es nämlich nur Während der auswärtigen Verwendnng eines Bnreanmitgliedes für die Dauer seiner Abwesenheit einem Andern zugewiesen ist. Das Gehalt an der Pforte wird sehr geschätzt, eiue Stellung daselbst ist sehr gesncht, besonders von denen, die ihren ,,Weg machen" wollen. Ich kenne Beamte, denen Gonverncmcnts mit deu zehnfachen Einkünften zngedacht waren und die es vorzogen, ein bescheidenes Bnreau-Amt beizubehalten. ,,An der Quelle muß man sitzen/' ist ihre Devise, „denn die aus den Augen der Macht sind, werden vergessen/' — Es kommt anch nie vor, daß z. B. ein Botschaftssekretär zum Gesandten avancirt. Der Chef wird immer von Stambul ans entsandt. Endlich wird dein Beamten als Belohnuug oder zur Aueifcrung ein Rang verliehen. — 73 — Die fünf, respective acht hierarchischen Rangclassen, in welche ähnlich den: rnssischen Tschin (Rangordnung) die ottomanische Bureaukratie gegliedert ist, sind dnrch die Ver-schwendnng, die Neschid Paschn bei Verleihung derselben eintreten ließ, beträchtlich cntwcrthct, besonders seit der Pfortenrang dein gleichstehenden Armeeraug untergeordnet und bald nachher der Excellenztitel auf den obersten Beamtengrad beschränkt wnrde. Für den rangloscn Efendi jedoch bildet der Rang, welcher rein persönlich nnd unabhängig vom Amte ist, immer noch eine Lockung, nnd wäre es auch wegen nichts weiter, als nm auf den Adressen und in den brieflichen Ansprachen ein ,,begabter/' „glänzender," „glücklicher," „herrlicher" vor dem Namen leuchten zn sehen, oder um den Sitz über dem X und dem I einzunehmen. Außer den Zielen des Ehrgeizes strebt der Gfcndi, indem er sich im Rang erhebt nnd in: Gehalt abrundet, zweierlei an: den Besitz eines Hanfes, wäre es auch noch so beschränkt, und einer Kutsche, wäre sie anch einspännig. Es gilt dies natürlich nnr von Jenen, denen beides nicht bereits an der Wiege znfiel. Veidcs wird natürlich anf Borg gekauft nnd da die Gehaltszahlungen nach dein aus der patriarchalischen Anschauung hernbergenommenem Branch selten regelmäßig bezahlt werden, so ist der Geldwechsler mit der Finanzgebah-tung des efendi'schen Haushaltes betraut, anscheinend immer, in Wirklichkeit felten zn seinem Schaden. Der Efendi ist znmeist Autodidakt. Ist er begabt oder ehrgeizig — und oft ist er beides zugleich — so weiß er sich die unentbehrlichsten Kenntnisse selbst zn verschaffen. So mancher hat sich anf der Höhe des Alters daran gewacht, die französische Sprache zu erlernen, und mit gutem Erfolg. — 74 — Der Aufenthalt im Abendland als Sekretär bei irgend einer Gesandtschaft gehört für den jungen Efendi zur Vervollkommnung der Bilduug. Gesandtschaftsmitglied sein, ist für ihn dasselbe, wie die große Continentreise für den englischen Peerssohn, das Abendland nicht kennen, ist für das Fortkommen an der Pforte fast hinderlich. Daß dieser Aufenthalt in deu abendländischen Residenzstädten, vornehmlich in Paris, auf jeden Einzelneu feiner Eigenart entsprechend wirkt, und daß die Mehrzahl sich nicht viel Besseres als einige Aeußerlichkeiteu in der Lebensweise und die Laster der europäischen Großstädte aneignet, ist ganz begreiflich. Dennoch wissen die am schlimmsten Beeinflußte« noch immer Maß zu halten uud übcrschreiteu gewisse Grenzen nicht. Zur gesellschaftlichen Skandalchronik stellen Uun den Ottomanen nur einzelne Ausuahmen eiu Coutiugeut. Daß sie sich aber Wie es bei Manchen ihres Gleichen in der abendländischen Gesellschaft nnd nicht gar zu fetten vorkommt, zu Verbrechen hinreißen ließen, ist mir uicht bckauut. Läge das au eiuem geringeren Grad Uun Leidenschaft nnd Genußsucht, oder au einem höheren Maß von gesellschaftlicher Disciplin uud Selbstbeherrschung? Die Meisten erlernen irgend etwas, wenn auch oberflächlich. Mit dem Wisscu pruukt der Efendi am liebsten, weuu auch eiu eigeutlichcs Prahlcu uud sich Hervorthuu w unserem Sinne in der ottmnanischcu Gesellschaft ganz unmöglich ist. Eiu Verfuch, die Individualität uud ihr Können nnd Wisscu uubescheidcu zur Geltung bringen zu wollen, würde von der ottomauischen Gesellschaft lautlos uud ohne Apparat abgethan werden. Nach der Rückkehr äußeru sich die Begabten gewöhnlich auf zweierlei Weise. Die Eiucu finden in: eigenen Lande _- 75 — alles schlecht und tadelnswert!). Sie vermissen ill Stambul vor Allein Boulevards, Quais, gutes Pflaster u. dgl., die Anderen hingegen machen aus Trotz gegcu alles Abendlän-dische Front. Sie erkennen innerlich den tieferen Knltur-stand, anf welchen sich in den meisten Gebieten ihr Land und Volk befinden, wollen dies aber nicht eingestehen uud klammern sich nun an die Schattenseiteil der abendländischen Kultur, um diese an den Pranger zu stelleil, was allerdings bei Behauptung eines einseitigen Standpuuktes uicht allzu schwierig ist. Einige von ihnen aber blicken uicht uach rechts und nicht nach links, sondern trachten das Erfahrene, Gelernte möglichst zu benutzen und dadurch ihren Weg zu machell. — Es geliugt ihueu zumeist, und das sind die Nützlichen. Der Vorwurf der Unwissenheit wiegt bei den Efcndis so schwer, als der Leumund der Leichtfertigkeit. Vor einigen Iahreu war es gewissermaßen Sport, öffentlich Vorträge zu halten. Hohe Würdenträger docirteu als „Freiwillige" den Bureaubeamten gewisse Fachkenutuisse. llm diese Zeit grüudeteu junge Beamte einen ,,schöngeistigen Club", der vornehmlich die Uebcrsetzuug wissenschaftlicher Werke im Ange hat. Anch das Selbstftudinm der National-Deconomie kam damals sehr in die Mode. Ein nicht geringeres Gewicht als auf die Erwerbuug einer schönen Handschrift nnd eines zierlich gewundenen Styles, mit Arabischem nnd Persischem durchsättigt, wird auf die Aneignung der streng beobachteten Formen gelegt, Welche der Pfortcnwelt eigen sind. Die gefällige Glätte, welche die Aeußerungen des individuellen Lebens zu Gunsteu dcr eonvcntiouellen Haltung verwischt, ist ein Haupterfor-dcrniß für den Pfortcnbeamten. Er hat ein biegsames — 76 — Rückgrat, welches im Gegensatz zur selbstbewußt-männlichen Haltung des Ottomanen im Allgemeinen steht, denn der Ottomane hat nichts von der sklavisch-süßlichen Unterwürfigkeit des moskovitischen Muschiks. In der Pfortensprache redet mau dcu Hochgestellten als „unser Wohlthäter" oder als „unser Gebieter" an, nnd spricht von sich als „Diener", „Hilfloser" und „Staub der Füße Enrer Erhabenheit". Dieser Nedestyl indessen, der oft nicht mehr bedeutet als das „Ich küsse die Häude" des Italieuers oder das „trss-Iiumdl« 8Lrviteur" des Franzosen, vereinfacht sich mehr nnd mehr. Vor eiuigen Jahren noch gehörte es znm feinen Ton, leidend zu seiu oder wenigstens zu scheinen; Gebrechlichkeit war ein Zeichen von Vornehmheit. Das Flüstern im Nede-ton nach der Art Aali Paschas fand hänfige Nachahmer, und man kokcttirte mit dein Bekenntniß: „Ich habe Furcht." Die Empfehlung „Ein .schüchterner, verschämter Diener" galt als besonders günstig. Hente bereits ist diese Art sich >zu geben, die, dem osmanischcn Wesen so ganz und gal Widerspricht, außer Cours; die Reaction gegen den militärischen Geist der Rasse hat aufgehört. Das, was die Franzosen N8i>rit äo oanäuit« nennen und dessen Mangel so vielen geistvollen nnd hochbegabten Menschen in ihrem Fortkommen hinderlich wird, ist ein in dcr ottomanischen Veamtenwelt hänftg vertretenes Talent. Was die Amtsthätigkeit betrifft, so ist es beim Efcndi lauge nicht so schlimm bestellt, als mau gemeiniglich annimmt, gewiß selten viel schlimmer als bei gar manch"" abendländischen Amtsbrudcr, weun auch die sehr diplomatischen Grundsätze bei ihm Geltung haben: „Thue nie heilte was du auf morgen lassen kannst," oder: „Man Würde Alk's besser machen, wenn man es ein zweites Mal verrichten — 77 — könnte," Was er einmal in Angriff nimmt, erledigt ei» rasch und gewandt. Ich muß es hier wiederholen! Apathie nud Raschheit, zögernde Entschließung und energische Ausführung stecken zugleich nnd vielleicht in gleichein Maße im ottomanischen Blut, Jedes Bureau zählt unter mehreren Plänklern einige Kcrusoldaten nnd diese entwickeln eine erstaunliche Arbeitskraft. Der Efendi ist nicht geschulter Diplomat, nicht systematischer Verwaltung^-Beamter, uicht mit Ziffern großgesängter Finanzmann; er hat keine strenge Spezialität uud Wird je nach Unlständeu bald in den Pforten-Vnreaux, in einer Gesandtschaft, bald in den Provinzen, bei wiem Tribunal oder in fönst irgend einer Abtheilung verwendet. Er ist vor« Allem XapudsnäsFian (Affiliirter der Pforte). Die mangelnde Sonderung der Fachverwendung findet ein, Correetiv darin, daß die echte Eignnng für ein besonderes Thätigkcitsfeld, durch keinerlei systematische Schranken gehemmt, sich endlich dennoch Bahn bricht, daß die individuelle Begabung vor Vertnüchernng bewahrt wird und im Hin- uud Herschütteln endlich das Plätzchen findet, Wo sic sich Geltung verschaffen kann. Eine eigentlich geregelte Laufbahu, Wie sie in der Armee eiugeführt ist. besteht gleichfalls nicht, denn was seit der Reform vom Abendland hcrübergenommcu wurde, hat, ^e zu Anfang erwähnt wnrde, keine tieferen Wurzelu gesaht. Die Umrisse bestehen; im Detail sind sie nnr sprung-"nd theilweise ausgeführt worden und entbehren auch da brs systematischen Stempels, Persönliche Rücksichten er-^ben hier wie anch anderswo die Begünstigten uud lassen ^e wieder falleu — aber auf diese Weise gelaugten auch Ulanche Befähigte unbehinderter, rascher empor. Nuf cr-^vrbene Rechte darf kein Beamter fußen, aber die vatriar- — 78 — chalische Fürsorge der Regierung spricht er niemals vergeblich an, und Gönner findet er leichter, als er sie anderswo fände. Da mit dem Umsichgreifen der Reform nene Bedingungen sich herausgestellt haben, so wird auch hier denselben weitere Nechnnng getragen werden. Für die genaue Pflichterfüllung, die im Interesse des regelmäßigen Dienstes nunmehr gefordert werden muß, reicht die patriarchalifche Gebahrung nicht mehr aus. Das uttomanische Beamtenthnm bleibt unter sich in beständiger Fühlung. Selten wird ein Minister, welchem Departement er zeitweilig auch vorsteht, seine Untergebenen nicht mehr oder weniger persönlich kennen; die persönliche Berührung, im Abendland so selten, wird am Goldenen Horn eifrig gepflegt. Die Salons ottomanischer Würdenträger gleichen Tanbenschlägen; man denkt dabei unwillkürlich au das römische Elientenwesen. Dem Europäer wird die Möglichkeit eines öffentlichen Dienstes auf solchen Grundtagen als uudcukbar erscheinen-Von seinem Standpunkte ans mit Recht. Unsere Politische und sociale Logik gilt aber nicht fiir den Orient. Das Walten der Natnr mit seinen nnberechenbaren Constellationen und seinen oft unerwartet auftretenden Correetivcn hatte im öffentlichen wie im privaten Leben des Ottomanen, das im Ganzen der Natnr näher stand, ein ziemlich getreues Spiegelbild. So mangelhaft es nm den öffentlichen Dienst bestellt gewesen sein mochte, das Reich, dessen Verwaltung zu den schwierigsten gehören dürfte, hat die Unzukömmlichkeiten des Ucbergangsstadiums und der widerspruchsvollen Zwittcrlage beinahe ein halbes Iahrhnndert hindurch ertragen. Im neuen Vcrfassungsstatnt ist die Annahme des im __ 79 __ Abendland giltigen Prinzips ansgesprochen: Das Recht wird der Pflicht als Gegengewicht dienen und die Gunst zu ersetzen haben; die Forderungen der Pflicht werden strenger gehandhabt werden. Gttomanische Sofämter. Ein Vergleich zwischen den ottomanischcn Hofämtern und den abendländischen Hofchargcn ist unstatthaft oder doch äußerst schwierig. Die gleichen Titel entsprechen durchaus nicht der gleichen Bedeutung; schon aus dem einen Grunde, weil es im osmanischen Staate keinerlei Geburts- und Erbadel gibt. Abweichend von den Arabern, legen die Ottomanen auf die Abstammung gar keinen Werth. Daß die Nachkommen hoher Würdenträger sich allenfalls als Diener oder Handwerker fortbringen, oder daß die Träger des grünen Turbans, die angeblich von Fatme, der einzigen Tochter des Propheten abstammen, dnrch die niedrigsten Beschäftigungen ihren "'bensnnterhalt verdienen, wird von der ottomanischrn Gesellschaft als ebenso normal hingenommen, wie die — nin ^cht zn sagen gewöhnlichen — hänfigen Fälle, daß ein Ottomane, den untersten Schichten des Volkes entsprossen, als Generalissimus die Armeen befehligt, als Vezier das ^cich verwaltet oder aber mit dem Sultan nah verschwägert wird. ^ - 80 - Während also i,n Abendland die Hofämter Adcls-würden find und von den Trägern altadeliger Namen eingenommen werden, sind am osmanischen Hofe die Hofleute, wie z. B. Kammerhcrren, Stallmeister u. s. w., gleich den Adjutanten und Sekretären ohne Rücksicht auf Abkunft uud Familie ernannt, und werden als Beamte nach dem allgemeinen hierarchischen Rang classificirt. Der oberste Kämmerer uud der erste Sekretär bcklcidcu deu Raug eines Unter-Staatssekretärs oder General-Lieutenants. Deßglcichen stehen der Gcucral-Adjutaut uud der Oberststallmeister auf dcrsclbeu Rangstufe. Auch die kaiserlichen Leibdiener haben burcaukratischen Raug. Da sie gleich dcu Staatsbeamte!: in das europäische Reformeostüm gekleidet sind, kennzeichnet sie iu der Aeußerlichkeit nur der, man möchte sagen, pnri-tanische Schnitt desselben. Ihre schwarzen oder dunkelblauen Lcibröcke siud übermäßig lang, fast bis über die Knie reichend, die Beinkleider möglichst weit uud sackförmig. Das rothe Fez ahmt äugst-lich die jeweilig vom Padischah gewählte Forin und Farbeu-Nüance nach. Die modischen, stutzerhaften Neigungen im - Costume, deueu sich die Pfortenbeamtcn hingeben, werden vom Serail-Aga streng vermieden. Nur die Kutscher und Fußlakaicn find in eine Art Livree gekleidet, die bei Beibehaltung des allgemeinen Fez aus eiuem uugarisch verschnürten Lcibrock und bordirteu Pantalous besteht. Doch wir wollen nns diesmal ausschließlich mit den eigentlichen Hofbeamteu befassen nud uilter ihnen besonders mit dein Höchstgestellten. Es ist der Kislar Aga (Herr der Mädchen), denn das Amt eines (MuabeM Mnschin) Palaftmarschalls, das auf gleichem Niveau steht, ist nur ausuahmsweise besetzt. Es müßte auch eher mit dein eines — 81 — .Ministers dcs kaiserlichen Hanfes", als nnt jenem eines Oberhofmeistcrs verglichen werden. Daß der Palastmarschall nicht als eigentlich in den Rahmen des Serails gehörig betrachtet wird, geht schon ans dem Umstände hervor, daß er seinen Vollbart beibehält. Den Insassen des kaiserlichen Palastes aber, inbegriffen die Prinzen, gestattet die Hof-Etikette blos den Schnurrbart. Der Schmuck des Vollbartes ist daselbst einzig dem Monarchen vorbehalten. Wenn ein Hofbeamter seiner Dienste enthoben wird, um im tranlichen Schatten feines Iali (Bospor-Villa) die wohlverdiente Rnhe zn genießen oder in der Verwaltung seine Fähigkeiten weiter zn verwerthen oder aber endlich, um ,,fcrn von Madrid" über den jähen Wechsel irdischer Größe unter dem wechselnden Mond nachzudenken, so lautet der diesbezügliche Befehl des Padischah, ,,N. möge den Bart wachsen lassen", Damit sind ihm die goldenen Pforten des Palastes verschlossen. In früherer Zeit bildeten vier Großbeamte des Hofes das, was man den kaiserlichen Steigbügel lJikiad Iium^uu) nannte. Diese Bezeichnung stammt aus der erstcu Zeit, da die Sultane ihre Befehle als Heerführer noch vom Roß herab ertheilten nnd da alle Bitten gewissermaßen als an feinen Steigbügel gerichtet waren. Die vier Hofbeamten, welche die Person des Monarchen beständig begleiteten sobald dieser das Serail verließ, Waren der Bostandschi Baschi, der Böjük Imrachor, der Mtschük ^mrachor und der Kapudschuler Kiahiassi. Der Vostaudschi Baschi befehligte das Corps der Vostaudschi welche, wie schou der Name es bezeugt, bei der Entstehung Gärtner wareu und sich mit der Zeit Zur iu-"Neu Palastwachc herangebildet hatten. Alu r ad Efenbi, Türtlsche Skizzen II. 6 — 82 — Unter diesem hochansehnlichen Kronbemnten. der gleich dcm Sultan das Vorrecht genoß einen Bart zu tragen, stand die Polizei im Palast nnd in der Stadt. Er führte das Steuerruder vom Kalk des SnltanZ, ausgenommen wenn dieser zn Feuersbrünsten fuhr, wo ihn dann der Chasseki Nga augenblicklich ersetzte, da er selber zur Feuerstätte berufen war. Die Chassekis, welche eine Abtheilung der Vostandschis ausmachen, wurden gleich den Kaftudschu zu auswärtigen Aufträgen uud zur Ucbcrbringung von Fermancn verwendet. Nnr wnrden in letzter Zeit die frohen Botschaften, wobei Geschenke abfielen, den letzteren zugetheilt und die ersteren mußten die Stummen bei Neberbringnug der vcrhä'ngnih-vollen Schnur ersetzen, wobei mehrere von ihnen recht übel fuhren. So z. B. beim Gouverucnr von St. Jean d'Acre Dscheßar Pascha, der fünf solchen Abgesandten die Köpfe abhauen ließ und sie mitsammt den Fcrmancn unter einem von Ehrfurcht überfließenden Schreiben an die Pforte zurücksandte. Die, beiden Imrachor (Großstallmeister) des Reiches präsidircn beim Weidefest, welches jährlich am St. Georgs-tag mit großem Pomp begangen wird. Diefer Ceremonie des ersten Ganges der kaiserlichen Pferde, zur Weide wohne« der Sultan und alle Großen bei. Doch um nicht durch eine verlängerte Abschweifung den Faden dieser Skizze aus der Hand zn verlieren, wollen wn' auf den Kislar Aga znrückkommcn. Dieser Hoswürdenträger, für den wir im Abendland keinen Gleichen finden und M dessen hohes Amt, so ciuträglich es auch seiu mag, sich ^ selbst kaum ein Candidat melden würde, ist dcr oberste Chef der Haremwächter, Großcaftitän der grimmigen — 83 — Cerberus au den geheimnißvollen Pforten des unnahbaren Haus-Innern. Die Eunuchen sind nach der Hautfarbe iu zwei Corps getheilt, in das der Schwarzen und iu das der Weißen. Das Corps der Letzteren, die mau ,M a^aiLi-" (weiße Herren) ueunt, ist bereits aufgelöst; von ihueu selbst sind nur Wenige übrig geblieben. Die Ennuchcn sind ein Erbtheil, das die Ottomanen eigentlich vom byzantinischen Hof überkommcu haben. Dort spielten sie bereits eine große Rolle und waren hänfig Günstlinge der Cäsareu. Der Name NunuolwL (Bett-bewahrer) dieute daselbst zur Bezeichnung eiues hoheu Hof-amtes. Die Sitte der Castration scheiut iu Lybieu ihren Nr-spruug genommen uud sich vou dort nach Syrien uud Klein-asien verbreitet zu habeu. Iu ueuerer Zeit beschäftigteit sich die Mouche eiucs christlichen Klosters in Ober-Egypteu mit der Bereituug uud Lieferuug von Euuucheu für deu Harem-dieust der inahoinedauischen Großen, Die Moslim selbst Würden sich kaum dazu verstauben haben, durch so graucu-haftc Zurichtuugeu ihreu Bedarf au Tugcudwächteru zu decken. Der Euuuche ist volu uiännlicheu Neger leicht zu uu-terscheideu. Ersteus fehlt ihm der Bart, wie dem in gleiche Lage versetzten Hirsch das Geweih, wie dem Kapauu der Kamm uud die Sporeu des Hahues. Au den weißeu Agas ist der Bartmangel in einem Lande, wo der Bart als vornehmliche Zierde des Maunes gilt, noch auffälliger. Den Eunucheu keuuzcichucu ferucr der reichliche Fettausatz am Oberkörper und die rundlicheu Formeu des weiblichen Typus bei auffalleud laugen mageren Beinen, kurz das Uebergewicht der Nerveu über das Gefäßsystem, des Zellcugewebes über das Muskelgewebe. Seine Hüften sind gerundet, sein Autlitz 6« — 84 — Wird, vermöge dcr cigenthüinlichcn Weiche und Schlaffheit der Haut, Übermaßen faltig und widerlich. Die weite orientalische Gewandung mochte vormals die Unebenheiten seiner nnfürmigen Gestalt maskiren, im Ncformcostüme, das sich nnr durch das rothe Fez von dcr abendländischen Kleidung unterscheidet, nimmt sie sich, abgesehen von der schreckhaften Häßlichkeit, widerspruchsartig und anachronistisch aus. Besonders bezeichnend aber ist an den Eunuchcu ihre discantartige Stimme; weil der Kehlkopf kleiner bleibt uud sich bei der mangelnden Bildung nicht zum Sopran der oastrati der sixtinischeu Capelle ent>i>ickeln kann, erhält sie sich knabenhaft. Die Aussprache des Buchstabeu r wird ihueu wegen Grschlaffuug der Stimiubänder äußerst schwierig. In psychischem Betracht verräth der Eunuche überall das Bc-wnßtscin dcr Kraftlosigkeit, die er durch Hinterlist zu ersetzen strebt. Diese wird durch die Natnranlage der äthiopischen Rasse möglichst potenzirt. Er ist reizbar und dabei doch wieder zur trägen Ruhe geneigt, worin ihm die orientalische Lebensweise mit ihren, in gewissem Sinne ausgebil-detcn Comfort Vorschub leistet. Er ist ohne jedeu Aufschwuug, ohne Euergie des Willens, wenn nich) der vorherrschende Egoismus in einer ihn treffenden Angelegenheit betheiligt wird, in welchen Fällen er dann allerdings für kurze Zc.it Ueberrafchendes zn vollbringen im Stande ist. Einst zählte das Amt des Kislar Aga zn den einflußreichsten, gewichtigsten Stellen nicht nnr bei Hofe, sondern im Staat und seine duntelgesichtige Herrlichkeit, die den Herzcusangclegeuheiteu dcS Gebieters nahe stand, spielte oft mit dem Blitz der Macht, welcher deu Häuden des Machthabers entfallen war, während ihm eine irdische Houri Paradiesesträume träumeu machte. Dann schrieb der Freu- — 85 — denbehüter zeitweilig unumschränkt dem Divan seinen Willen vor, d, h, die Fordernngen seines Vortheils oder die Wallungen seiner Lauue, und manchmal mag auf den Schlachtfeldern das Blut von Tausenden geflossen, manche Stadt eingeäschert, manche Provinz zertreten worden sein, weil dies den persönlichen Interessen des Aga eben paftte Wenn er seine Absichten nicht geradewegs dnrchznsetzen vermochte, verhalf ihm oftmals die kaiserliche Mutter oder die Favoritin dazu. Das Verhältniß zwischen den Frauen uud ihren Hütern war nicht immer das der duldenden Gefangenen und des unerbittlichen Argus, wie man es allgemein annimmt. Der Ennuche erinnerte sich seiner amtlichen Skreuge nnr dann, wenn die Odalik der Guust des Herrn verlustig gewordeu war oder aber, wekn ihre Mittel nicht mehr reichten, seine nachsichtige Stimmuug zu belohuen oder zn nähreu. Maucher Gunnche hat sich übrigens nicht unempfindlich gegen die Schönheit gezeigt und eine Ncignng für Frauen an den Tag gelegt. So z, B. Tombal Aga ein Kizlar Agassi nnter Snltan Ibrahim, dessen Liebesbedürfuiß in der Verkettnng von Ursache nnd Wirknng deil slulaß znr Eroberung von Kandien gab. Der Eltnnchenchef hatte nämlich eine junge Sklavin kennen gelernt, deren zwingender Liebreiz ihn bewog, sie für einen beträchtlichen Preis zn erstehen. Auch als zn seiner Ueberraschnng die vermeinte Inngfran sich als Mutter cutpnppte, behielt seine Neignng die Oberhand über die Bitterkeit der Enttänschuug und er übertrng die Zärtlichkeit für sie ans den nach einigeil Monden gebornen Knaben. Der Snltan schenkte dem Kleinen gleichfalls seine Hnld, was hinwieder den Groll der Hasseki Sultan sMutter des — 86 — Prinzen) erweckte, die ihr eigenes Kind dadurch in seinen Rechten geschmälert glaubte. Der höfisch, geschulte Kislar Aga mochte weniger ans die dauernde Huld des Gebieters bauen als den Zorn der Sultanin fürchten, er bat um seineu Abschied und zog mit Mutter und Kind nud vielen Schätzen nach Egypten. Dieser friedlichen Absicht widersetzten sich einige Gallioncn der Malthescr. Der Ennuche fiel, den Säbel in der Faust, als Mann — seine Odalik, sein Adoptivsohn und seine Schätze wurden von den Malthesern erbeutet. Ich weiß nicht, welcher Punkt dem Sultau iu diesem Falle am meisten zu Herzen ging, kurz, er schwur, das Attentat zn rächen uud hielt sich vorerst au die Veuctianer, denen es obläge für die Sicherheit des Meeres zu sorgen. So begann das Unternehmen nach Kandien, welches nach langwierigen Kämpfen mit der Einnahme der Insel endigte. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts besaßen die Kislar Agas Athen als ihre Domainc, Sultan Achmed hatte nämlich znr Odalik eine Athenienserin, die er leidenschaftlich liebte. Sie hatte aber, entgegen der Art ihrer Serail-fchwestcru, die keine Gelegenheit vorbei gehen ließen, ohne für sich uud ihre Günstlinge etwas zu erschmeicheln, nie eine Guust von ihm erbeten, uud das verdroß 'den Sultan. Despoten ist die Uneigcnnützigkeit an ihren Günstlingen leicht unbequem, sie wullen keine Tngenden in ihren Kreisen anßer solche, die ihnen gerade nützlich sind. Bei einem Anlaß verlangte denn die Odalik, um den erzürnteil Sultan zu beschwichtigen, daß ihre unglückliche Vaterstadt znr Do-maine des Kislar Aga gemacht und derart seines besolideren Schutzes theilhaftig werde, was auch anf der Stelle geschah- Der Snltan hatte dabei seinen Spaß, Athen konnte cs — 87 — gleichgiltig sciu, in wessen Auftrag es geschnnden wurde nnd dcr Kislar Aga strich schninnzelnd die Zubuße zu seinen Einkünften em. Ihren Glanzpunkt erreichte die Stellnng des Kislar Aga unter einem gewissen Bekir Aga iu der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nach seinem Sturz und Tod gelang es dem Vczier Nagib Mehined Pascha nnter Sultau Mustaftha das Nebergewicht der Ennnchen zn mindern. Die unbeschränkte Verwaltnng der beträchtlichen Einkünfte nnd Liegenschaften, welche unter dem Titel Haremai dem Unterhalt des kaiserlichen Harems zugewiesen waren, nmrde dem Ennnchenchef entzogen und unter die Leitnng des Vezier gestellt. Der Frendenhüter mußte sich dareiu fügen, den Besitz der Macht zu theileu. Vor der Reform repräseutirte der Kislar Aga mit dem Großvezier, dem Großmufti nnd dem Ianitscharen-Aga das Collegium der Ncgicrnngsgewalt. Wenn die vier Reichs-Verwalter der sntonts coräiala titiide waren, führten sie eiueu Milleukrieg gegeneinander und oft fprengte die dunkle Hand des Schwarzen die drei Collegeu in die Luft. Sein eigener Fall wnrde feltener mit der berüchtigten seidenen Schnur besiegelt, und nnr die Ianitscharen hatten hin und wieder ein Gelüste, die weißen Köpfe der Veziere dnrch den dunklen des Kislar Aga zn schattiren. Die Verdannuug nach Egypteu war die gewöhnliche Folge eines faux pa,8 oder einer Allerhöchsten Ungnade, die, während sie bei dein Einen durch zu wcuig und uuter ganz gleichen Umständen bei dem Andern dnrch ,,zu viel Eifer" geweckt wurde, bei Eiuigeu durch das Fatum, daß sie in ihre eigene Netze sich verstricken ließ, hervorgerufen wurde und bei den meisten in einem bündigen „Darum" ihre Begründung fand. — 88 — Hcnte, Wo vom gewaltigen Ianitscharen-Aga nichts Weiter als Anekdoten nnd ein eostünlirter Popanz im Mn-sentn zu toi>'dg,nl: (Artillerie-Arsenal) übrig geblieben, wo' Großvezier nnd Mnfti nicht mehr dieselbe Machtansdehnung genießen, aber dafür eine weniger gefährdete Stellnng einnehmen, ist auch der Kislar Aga von seinem Picdcstal verdrängt, der Sühn des Schattens in den Schatten gebannt Worden. Seine start geschmälerte Amtsthätigkeit ist ganz auf den Harem beschränkt worden und nnr in den höchsteil Rcgicrungskreisen mag man in Detailfragen nnd in solchen, die das speeielle Interesse des kaiserlichen Harems berühren, seine dunkle Intervention indirect wahrnehmen, Der Kislar Aga erscheint änßcrst selten in der Oeffent-lichkcit. Seine Untergebenen begleiten die kaiserlichen Ka-dmen oder die Palastdamen anf ihren Spazierfahrten: werden diese im Wagen nnternommen, so reitet Einer von ihnen am Wagenschlag. Auch in den Harems der vor- ' nehlnsten Würdenträger sind schwarze Eunuchen in Verwendung ..... man könnte sagen, waren — denn sie verschwinden Znsehends vom Schanplatz. Hellte dieneil sie als Rang" zeichen, ähnlich den federngeschmückten Büchsenspanncrn auf den enropäischen .Nntschböcken. Der Sinn besteht nicht mehr und wenn die Formel noch blieb, so dürfen wir. doch wit Befriedigung wahrnehmen, daß sie zur Anschannng der heutigen ottomauischen Gesellschaft nicht mehr paßt. Es ist eine Tradition, zn deren Fortsetznug sich Niemand mehr bc-rnfen fühlt. Ich habe mich bei Bcsprechnng der ottomauischen Hof-ämtcr mit dein Kislar Aga twrzngsweise beschäftigt, nicht blos weil er der Erste bei Hofe ist, sondern weil sein Amt — 89 — speciell dem Orieut angehört und für Europa in dir Kategorie der exotischen Curiositätei^ classirt wird. Jetzt ist der Eunuche ein auf den Ausstcrbe-Etat gesetztes Ueberbleibscl anderer Zeiten; er gehört in die Epoche der seidenen Schnnr und der Ianitscharen, kllrz des ungeschminkten Asiatismus. Bald wird am Bosporus laut ausgesprochen und zur That werden, was heute bereits daselbst die vorhrrrscheudc Ausicht ist: ,,Der Mohr hat seiue Schuldigkeit gcthau, der Mohr kauu gehen." Zie Mlema Der usmanische Regierungsgedanke war von Beginn au theokratisch-militärisch. Die Nachfolger Osmans waren die obersten Heerführer nnd Streiter des Islam. Durch die Erwerbung dcs Khalifats (Nachfolge des Propheten) unter Snltan Selim I, wurden sie zugleich Pontifices des Glaubens und »berste Nichter. Durch Vicare ließen sie diesen Theil ihrer Machtbefugnisse ausüben, wie deu politische» uud militärischen durch ihre Veziere und Serdars. Die Ulemas, ubschun znr straffen Hierarchie gegliedert, bilden so wenig einen eigenen Körper im Staat als das Heer; beide sind ein immanenter Bestandtheil der mnsel-manischen Gemeinschaft, wie der Koran das Vnch der religiösen Offeubarnng nnd zugleich das bürgerliche Gesetzbuch darstellt, wie der Sultan zngleich Herrscher uud oberster Hüter des Glaubens ist. Die Ulemas sind die theologisch gebildeten Gelehrten, Nichter und Lehrer. Dieselben theilen sich in zwei Kategorien, nämlich in Juristen (Foukcha) u»d iu Schriftgelehrte (Ulema). ohne daß jedoch diese Einthcilnng eine eigentliche Scheiduug iu sich begriffe. Die Hierarchie bestimmt den Wirkungskreis der Nichter (Mollas nnd Kadis), der Theologen (Muftis), der Professoren '— 91 — (Muderris) und der Diener des Cultus (Chatybs, Imams. Muezzins uud Kayms), uud theilt diese wieder iu verschiedene Rangstufen ein. Iu den Medres6s (theologische Schuleu) werden die Muselmaueu zu Ulemas gebildet. Um iu die Medrcs6s Zutritt zu erlangen, muß der Aspirailt die Elementarschuleu absolvireu. Fast jede Moschee in einer größeren Stadt besitzt eine Schule, die vou deu ihr gehürigeu Vakuf (Güter der wdtcu Hand) erhalten wird. Die Vorträge Werdeu entweder in der Moschee oder in nnem besonderen, zumeist anliegenden, Schulgcbäudc uneut-geltlich gehalten. Die Einrichtung läßt au Giufachheit nichts zu wüuscheu übrig; sie besteht aus eiucm erhöhteu Sitz für den Lehrer (Chodja) uud mehreren Reihen niederer Bänke für die Bücher der Schüler. Diese sitzen dahinter mit gekreuzten Beinen ans Teppichen oder Thierfellen. Da Beweglichkeit nicht iln Wesen des gebildeten Osmaneu liegt und auch mit der Würde nicht vereinbar erscheint, so bedienen sich manche Lehrer eines sehr langen, augelrutheu-artigen Stocks, um damit die entferutsitzendeu Schüler bc-^Wften zu köuueu. Hat sich der Schüler uuu die Rudimente des Lcscus, Schreibens uud der Religiuu hier augceiguct, so tritt er als Softa (Student) iu ciue Mcdrcs6 über, deren ansehnlichste die zn Stambul, Adrianopel und Brussa sind. Hier ist seine Hauptanfgabe das Ausweudiglerneu des Koraus und das Stndiunt der arabischen Grammatik. Nach beendigtem Kursus wird der angehende Doctor vor einer Commission äeprüft. Kann er den Koran auswendig, uud zwar derart, baß er auch die Zahl jedes Koranverscs und die Seiten und Zeilenzahl anzugeben weiß, was bei der uuregelmäßigen — 92 — Folge äußerst schwierig ist, so erhält er den Ehrentitel kat'us (der Bchaltende, Gcd achtn ißstcrrke), Nnn entscheidet sich der Betreffende für die theologische oder für die rein richterliche Laufbahn, und es begiunt das Abschreiben des Korans nut besonderer Rücksicht auf Kalligraphie, das Studium der Logik, Algebra, Geographie und mahomedanischen Geschichte: für die Aspiranten der juridischen Laufbahn (Dänischmeud) wird ein besonderer Ncchtscnrsns abgehalten. Die Entwickelung, welche alle Zweige des moslemitischcn Rechtes gefuudeu haben, die Reichhaltigkeit der Literatur desselben und die Kraft und Bedeutung, die es im Staat errungen, hat Znerst der Graf Masigli 1732, später viel ausführlicher Anqnestil-Duperrou iu seinem, Buch „8ur 1a, ißßiLiktioii oriontkiL" 1749 dargethan. Die absolvirteu Iuristeu werden endlich in den Nichter-kürper als Aspiranten anfgenmnmen lUld können nnn als Raids (Substituteu der Kadis) angestellt werdeu oder als Milderris (Professoren). Die Mnderris bilden ein Reservecorps für die höheren Richtcrstellen uud für die Aemter der Provinzmnftis. Die Mltftis (Mufti heißt der Sprechende. Entscheidende) als Gesetzknndige fertigen die Fetwas — Auszüge ans dem Gesetze — aus, ans Grund welcher der Kadl (Richter) das Urtheil spricht. Die Gesammtheit der religiösen Gesetze heißt Scheri, im Gegensatz zum Kannn (den rein weltlichen Vcrfügungeu). Die religiösen Gesetze bestehen ans den Snnne oder Hadis, den direeten Neberliefe-ruugen, der Iaschma, d. h. der allgemeinen Uebereinstimmung, welche Erlänternngen und Anordnungen der vier ersten Kha-lifen enthält, mld endlich dein Kias, der Sannnlnilg von Entscheidnngen der angeseheilsteu Theologen. Der Kanun andererseits besteht aus Staatsregeln nnd Disciplinar- — 93 — Vorschriften, welche von Sultan Soliman erlassen und durch die Fetwas der Muftis sauctionirt wurden. In dieselbe Kategorie fallen die Bestimmungen über die willkürliche Gewalt des Sultan >er Monarch genannt luird) wnrde dnrch den Hatti-Schenf don Gülhanö aufgehoben. Daran reiht sich ferner die Wirksamkeit des Herkommens sAdet), nämlich der localcn Branche der Bevölkerungen, die, wenn sie mit dem Koran nicht in directem Widerspruch stehen, stets rcspectirt wnrden. Der abgeschlossene Charakter des Koran, der dem Roslim als Vollendung nnd Siegel aller Offenbarung !Ult, hat zweifellos auf die Stereotypirnng aller Formen ^inflnß geiibt nnd eine Art Versteinerung des Lebens zur 3ulge gehabt. Der Islam hat die Erfüllnng gebracht lind bie Weltanschauung, die er geboren hat, verräth die Bc-schanlichkeit des Alters, das nichts mehr zu hoffen, Zu cr-slreben hat. das nichts mehr erwartet als den Tod. Natürlich weist anch das islamitische Dogma dieselbe Starrheit auf, und die vielen Sekten, denen Wir in sciuem Zahmen begegnen, vertreten nicht etwa verschiedene An-schannngen oder nene Systeme des ganzen Lehrgebäudes, wndern nur individuelle Auffassungen einzelner Koranstellen, ^nd erhoben sich anch einmal uud zwar schon zu Beginn bes neunten Jahrhunderts in Arabien mehrere Freidenker, "us denen die Sekte der Mutaazeliteu hervorging, welche ^'fM den starren Dogmatismus auftrat nnd unter anderm ^ Freiheit des Willens gegenüber der Fatniuslehre verkündete, ergriff auch die kühne Lehre dieser Separatisten — 94 — einige Zeit hindurch dir Geister, su gewann der Dogmatismus doch bald wieder die Oberhand uud erstickte die rationalistische Regung. Selbst das vornehmste Schisma, welches die Sumiten uud Schiiten trennt, hat durchaus keine Kritik zu Grunde, sondern bezieht sich nur auf die Frage des Khalifat's, d. h. der Nachfolge, und die verschiedene Anf-fassnng einzelner Vorschriften, wie allenfalls, ob die Ab-waschnng (H.Iiä68t) bei den Fiuger,svitzen, oder aber beim Ellbogen zn beginnen sei. Die Vorschriften überhanpt haben vielmehr auf äußerliche Verrichtungen Bezug als auf die innerliche Erhcbnng des Menscheu. Wer sie genau befolgt, hat genug gethan; znr seelischen Thätigkeit nnd Entwickelung regen sie nicht au: Ergebung ist ihr letztes Wort. Die vier Haufttschuleu der Sunniten, als die Hanifeh, Malik», Schafti uud Hcimvcli uutcrscheideu sich vou ciuauder vollends blos durch uuerhebliche Abweichungen in der Aeußerlichkcit und es kauu der Begriff Sekte in unserem Siuu auf s^ kaiuu eine Anwendung finden, da sie in Rücksicht auf das Dogma und die Anerkeuuuug der Rechtsquellen uubedwgt übereiustimmen. Die Schule des Abu-Hanifeh ist im osmanischen Neich die weitans verbrcitetste uud die für den dortigen Richter-stand maßgebende. Sie vertritt eiue größere Sclbststäudigkclt bezüglich der Tradition und zeichuet sich durch eine mildere Auffassung der Rcchtsqucllen aus. Da der Korau alle Diuge iu deu Kreis sciuer Bestimmungen zieht, so haben die Fetwas ebenso gut Bezug a^ private Streitfragen als auf die wichtigsteu Staatsangelcgcu-heitcu. Wer für eiueu bestimmten Fall deu Nusspruch des Gesetzes kennen will, begibt sich zum Fetwa-Emini, der sen" Frage in die gesetzliche Form kleidet und niederschreibt. — 95 — Die Antwort darauf (Fetwa) ist gewöhnlich sehr bündig und bestimmt verfaßt, endigt jedoch stets mit dem Satz: Gott weiß es besser. Sollte irgend eine Frage nicht nach dem Wortlaute des Scheri beantwortet werden können, so nimmt der Mnsti in diesem allerdings seltene,: Falle Znflncht znr „Sammlung der Fetwas," die ans berühmten Entscheidungen besteht und in der Bibliothek der Aja Sofia in 53 dicken Bänden niedergelegt ist. Bis zu Gultan Mehmed II. war der Kadi, der dem ersten Tribunal der Sultansresidcnz vorstand, als Haupt aller Nlemas angesehen. Murad I. verlieh ihm den Titel Kaz-asker (Heer-richter). Sultau Mehmed II. ernannte nach der Eroberung von Konstantinopel noch eineil zweiten Kaz-askcr, und so führte der erste den Titel „für Numelicn," der zweite „für Anatolien." Obfchon diese beiden Instiz-, Cultus- uud Nnterrichtsministcr gleichgestellt waren und in ihren Departements einer von dem andern unabhängig die Ernennung der Richter und Gesetzkundigen vollzogen, so erweiterte sich doch der Wirkungskreis des Kaz-asker für Rnmclicn bald so sehr, daß 'er das Uebergewicht über seine Collegcn bekam. Alle Streitsachen der Muselmanen nämlich wurden ihn: zugetheilt, desgleichen alle Prozesse des Fiscus und der Staatsgüter, während die Angelegenheiten dcr Nichtmuselmancn dein Kaz-asker für Anatolien zufielen. Der Kadi hat in den Provinzen überall den Vorrang vor dem Mufti, obschon der Mufti der Hanptstadt durch Soliman den Großen über die beiden Kaz-asker gesetzt und unter dein jetzt allgemein üblichen Titel Scheich-ül-Islam Zum Haupt aller Ulemas bestellt, wurde. Die osmanischen Stylisten nennen ihn ,,das Meer der Wissenschaften, den Berather der Menschheit." — 96 — Der Scheich-ül-Islam wird vom Sultan nach Belieben ernannt nnd abgesetzt; er ist mit dem Großvezier der höchste Würdenträger des Reiches nnd war als Minister Sprachrohr der Gesetze, welche theokratisch sind, nnd derart anch den Glauben, die Doctrin, die Verwaltung, die Politik und die Hecrführnng bestimmen, von großem nnd maßgebendem Einfluß. Freilich hat er diesen, insofern er sich direct äußert, ebensosehr eingebüßt wie das ganze Corps der Ule-mas überhaupt, seitdem mit der Reform die Verwaltung nnd die Politik aus eine ganz nene Basis gestellt und selbst Gerichtswesen nnd die Prozcßformcn allmälig nach enro-päischem Muster eingerichtet wurden. Nirgends vielleicht hat die osmanische Regiernng stau-uenswcrthere Reformeu gewagt und durchgeführt, als auf dem Felde der Lostrennuug der staatlichen Augelegeuheiteu von den juridischen uud dieser von den theologisch-juridischen. Denn hier ist die Emaneipatiou vom Kuran thatsächlich durchgeführt, mag sie auch immerhiu vou der osmanischen Negierung nach innen aus Vorsicht bemäntelt, uom Allsland aber nnterschätzt nnd mißverstanden werden. Die Macht des Scheich-ül-Islam ist bereits mit der Zerstörung des Ianitscharencorps nnd mit der Reform geschmälert worden- Bei der Entthronung des nnglucklicheu Reformators Selim III. sollte der Fetwa zum letztenmal sich als eine Waffe in der Hand des Mufti erweisen, die anch den Kha-lifen niederwerfen konnte, wenn sich diese Hand mit der Faust des Ianitscharen vereinigte*). Heute muß der Mufti znschen, wo er den Koran-Vers findet, der den vom Snltan-Khalifen eben gebrauchten Fctwa begründet. Von der Reform "1 Vor den Mai-Ereignissen geschrieben. — 97 - an datirt die uneingeschränkte, unbedrohte Machtvollkommenheit der Sultane. In früheren Zeiten, als noch kraft des Gesetzes Urf den Snltanen die willkürliche Verhängung der Todesstrafen zustand, blieben die UleinaZ Um« derselben eben so verschont wie mit Gntereonfiseationen, und wnrden einfach verbannt. Sollte aber einer dennoch für Staatsderbrechen hingerichtet werden, so ward er znvor in ein Civilamt versetzt nnd dann erst auf eine möglichst geräuschlose Art aus dem Leben geschafft. Ein einziges Mal ist es unter Mnrad IV. vorgekommen, daß ein Groß-Mnfti als solcher hingerichtet nnd zwar im Marmorulörser Zerstampft wurde. Der Scheich-ül-Islam gürtet bei der Thronbesteigung dem Snltan das Schwert Osmans nm — eine Ceremonie, welche die Krönung vertritt — nnd spricht au seinem Sarge die Todtengcbcte. Die Ulcmas waren die Pfleger der Bildung und des Wissens des Osmanenthnms. Aus ihren Neihen gingen die meisten Poeten, anch Aerzte nnd Astrologen hervor. In den ersten Zeiten fand sich unter ihnen Mancher Censor der Sitten, der anch den Zorn der Sultane nicht scheute, wenn ihr Betragen zn Aergerniß Anlaß gab. So Emir Seid, als ihn der dem Trunk stöhnende Sultan Iildirim Vajazid seine zn Brnsja erbaute Moschee bewuudcru lassen wollte. ,,Deine Moschee ist groß, schön, Prächtig, erhabener Sultan, aber es fehlt ihr etwas zur Vollkommenheit in deinem Sinne." — ,,Das wäre?" ,M fehlen an den vier Ecken die Schenken, die doch brm Bau zur Zierde gereichen würdcu uud dich oft vcran-I"ssm, das Gotteshaus mit deinen Frennden zn besuchen." Murab Efendi, Tiirtlsche Skizzen II. 7 — 98 — Der Vorwurf blieb nicht ohne ersprießliche Wirkung, was die Einsicht und Charakterstärke des Sultans uicht minder chiüt als den kühnen Freimnth dos Mnfti, Molla Korani schlug seinen Schüler Mehined, den später als Eroberer bekannten Sultan, Weil er sich eigensinnig weigerte den Koran zu lesen. Als Sultan Achmcd I. eine Leidenschaft wider die Natur für den gefangenen moldauischen Prinzen Alexander kundgab, erhub der Mnfti das Wort und sprach dem Monarchen unerschrocken seinen Tadel im Namen der beleidigten Religion aus. Der Snltan ging in sich und entsagte seinen schmählichen Gelüsten, was für Beide um so ehrenvoller ist als Snltan Achmed zu den der Siun-lichteit am meistcu ergebenen Monarchen seines Hauses zählt. Mancher Censor kam freilich recht übel an, so jener Mufti, der Mahomed IV. wegen seiuer unmäßigen Leidenschaft für die Vergnügungen der Jagd tadelte nnd ihm vorhielt, daß das Gesetz anch von den Snltanen Hundearbeit verlange. Der Eine hätte Zahnstocher alls Schildkrot verfertigt, der Andere Hornringe zum Bogenschießen n. f. w-— Sie hätten ihre Arbeiten den Paschas zugeschickt und diese derart gezwungen, ihnen beträchtliche Geschenke zn überreiche«. Den Snltan verdroß der Vorwnrf, doch cr nahm ihn schweigend hin. Nach einigen Tagen erhielt der Mufti vom Sultan einen Hafen zugeschickt mit folgender Botschaft: Ich habe deinen Nath befolgt nnd ein Handwerk erwählt. Ich bin Jäger nnd sende dir hiermit einen Hasen-Ich werde künftighin deinen Tisch mit Wildftrett versorgen-Uebergieb dein Voten das übliche Geschenk. D.er Hase kostet dem Mufti 40,000 Piaster. Er flehte nuu deu Sultau an, ihn mit küuftigen Auszeichnungen nicht mehr zu beehren. — W — Von den Ulemas, welche als Gesetzgelehrtc und theologische Schriftsteller hervorragen, ist Molla Chosrelu uuter Aiehmed deiu Eroberer zu erwähnen. Von den Weisen und Gerechten Tjcmali, der unter Selim I. durch seine Fetwas die Verfolgungeil und Vedrncklmgen der Christen verhinderte, ferner und befunders der Scheich ül Islam des großen So-liman, Ebnsnnd El Amadi, der dirfe höchste Würde, wie keilt anderer, 34 Jahre hindurch mit dem Nnhm des gelehrtesten und gerechtesten Mannes seiner Zeit bekleidete. Die Sammlung seiner Fetwas ist eine der wichtigsten fnr die politische Eintheilung dcs Reiches; durch sie wurden die von Sultan Soluuan gegebenen Kamme rechtskräftig sanetumirt. Attaji, der Biograph der Rechtsgelchrte», wahrt ihm den Ehrenplatz, und nennt ihn den Sultan der Gcsetzaus-lcgcr. Für st'ine große Exegese ans dem Koran (Anleitnng des Verstandes zn den Feinheiten des Korans) legte ihm Sultan Selim II. dreihundert Asperu Gehalt zn, so daß sich der bisher anf 200 Aspern normirte Gehalt des Groß.Aülfti ans '">00 Nfpern täglich belief. Bekannt ist sein tolerantes Fetwa über die Gedichtsammlung des Hafus, welche die Ze-loteu als gotteslästerlich untersagen wollten: ,Ks ist nothwendig diese Verse wühl zu sichten, waS a» ihnen Gift ist, nicht für Theriak zu nehmen, sich vor jener ^nst zn verwahren, Welche Höllcnpein zur Folge hat, aber sich der Freude hinzugeben, die dem Herrn wohlgefällig ist. So schrieb der arme Ebnsnnd. dein Gott gnädig sein wolle." Die historisch merkwürdigsten Muftis sind die ans der Familie Fenarisade, deren fünf ill nnunterbrochener Folge die oberste Mnfti-Würde mit Auszeichnung bekleidet haben. Es ist diese Fortsetzung von persönlichen Verdiensten und Amtsbekleidnng in einer nnd derselbeu Familie ein seltenes — 100 ^ Seitcustück zur Stellung, welche die Familie der Koprüli als Veziere, eingenonunen, und sie erscheint um su beinerkens-werther, als sie ganz und gar der osmanischen Anschauuug und Gepflogenheit widerstrebt. Ebn Sack (gest. 1W2) war der fünfte nnd letzte Scheich-ül-Islam aus dieser merkwür-digeu Familie. Die schon erluähnteii Kaz-askers als Häupter des Nich-terkörpers und der ^teis-ül-Uleilia (Haupt der Rechtskundigen) stehen dem Scheich-ül-Islam znnächst. Der 3iels-ül-Uleina, d. h. Hanpt der Theologen, bekleidet weniger ein Amt sondern, als würdigster und ältester dieser Kürperschaft, eine hochgeachtete Würde. Ferner stand dem Scheich-ül-Islam das Collegium der 17 Molla's zur Seite. Nächst den Kaz-askers bekleidete der Istambol-Kadifsi (Richter von Koustantinopel) das höchste Richteramt, uud iu früheren Zeiten war damit die ganze oberste Leitnug der Municipalität nebst der Iuspectiou über dcn Handel uud die GeWerke der Hauptstadt Uerbunden. Dieser hochmögende Magistrat ließ die Verkänfer von Lebensmitteln, die falsches Gewicht Verwendeteil, oder gefälschte Waaren ansbotett, in äaFranti erfassen nnd mit dem Ohr au das Thor naguln. Die genaunteu Würdellträger genossen das Vorrecht Hermelin-Pelze mit weiten Aermelu zu tragen, der Scheich-ül-Islam in einein mit grünem, die Kaz-askers dagegen in einem mit rothem Tnch bespannten Wagen zn fahren, Wenn sie den Sultan ins Feld begleiteten, su ließ der Scheich-ül-Islam gleich dem Grußvezier drei Roßschweife vor seinem Zelt anfpflanzen, die Kaz-asker je zwei. Noch eine Winde ist hier zn erwähnen, die des Nakyb-ül-Vschraf (Haupt der Scherifs.) Die Scherifs oder Emirs gelten als die Abkömmlinge — 101 — des Propheten dnrch seme Tochter Fatine und sind durch don grünen Turban ausgezeichnet. Vian findet sie iu allen Ständen, bei den niedrigsten, Verrichtungen, auch als Bettler, doch das thut nach mnselmauischer Anschallnug dein Adel ihres Bluts keinen Eiutrag. Von deu Prärogativen die sie ehedem besaßen, ist ihnen keines mehr geblieben, als das; sie einzig nnd allein dnrch ihren Nakyb bestraft werden dürfen. Wer ehedem einen Emir schlng, wnrde znm Verlust der Haud verurtheilt. Mau behauptet iu der Türkei, daß -bei dem Geschlecht der Emire eine eigenthümliche Erschei-nnng zn Tage trete; i>n Allgemeinen zeige, sich bei ihnen nach dein 40. Lebensjahr eine rasche Abnahme der Fähigkeiten, die oft iu Blödsinn ausarte, weshalb auch das wenig Respect bekundende Sprichwort: ,,Dumm wie vom Stamm der Emire." Die Würde als Nakyb (Adelsmarschall) kann von den oberstell Richtern oder Ulemas bekleidet werden, geht aber verloren, sobald ihr Träger zum Scheich-ül-Islam ernannt würde. Der Nakyb ist Hüter der Reliquien des Propheten nnd der heiligen Fahne, dieser muselmanischen Oriflamme; er bereitet im Rhamadau Por dem Snltan und unter Beihülfe des Mufti das heilige Wasser, Ab-Chirkassy Scherif, welches durch Vefenchtnng eines Zipfels vom Mantel des Propheten gewonnen wird. Die übrigen richterlichen Aemter werden in den Städten, welche Rang nach Stambnl haben, vou den, Molla's eingenommen, unter deren Leituug die Kadis iu deu miuderen Städten und selbst in Dörfern Recht sprachen. Die richterlichen nnd doewraleu Aemter waren im Beginn mit der lluversetzbarkeit Verbunden. Später wurden die Beamteten, versetzbar, und die Molla's von Stambnl blieben ein Jahr, die Provinz^adis zwei Jahre iu demselben Amt, ohne es — 102 — zweimal nach einander bekleiden zu können. Ml? diese Richter sprachen in erster nnd letzter Instanz in Civil- nnd Criminlilfragen' sie wlire» außerdem zngleich Offieiere des Vivilstandcs uud Notare. Hente siud die Kadis in ihrer Amtssphäre durch die in nenerer Zeit eiligeführten Gesetze nnd Tribunale mehr nnd mehr beschränkt worden. Der Kadi ist von den bureau-kratischeu Nichtern mit ihrem Troß von Schreibern nnd Advoeaten so sehr in die Ecke gedrückt worden, daß er wol bald znr mythischen Figur werdeu dürfte. Das Gerichts' verfahren vor dein Tribunal des Kadi ist mündlich. Die Einfachheit der Proeednr bildet einen eben so starken Contrast zur verwickelten Umständlichkeit des Verfahrens in manchem abendländischen Kulturstaat wie ihre Naschheit znr bureankratischen Verschleppung. Was mau den Kadis auch immer uachsagen mag — nnd wäre selbst weniger Neber-treibung dabei — ich zweifle, daß im ganzen und großen das Wesen des Rechts bei ihreu Sprücheu schlimmer weggekommen sei als bei unsern bureaukratischen Eantelen nud Advoeatenkniffen, denen das Formelle die Hauptsache ist, über desseu Wahrung oft das Wesen verloren geht. Na-meutlich in früheren Zeiten, als der religiöse Sinn in seiner ungetrübten Reinheit die mnselmanische Gesellschafl beherrschte, dürften die Vortheile der Kadi-Sprüche die Nachtheile derselben anfgewugen haben. Mochte mancher Kadi der Bestechlichkeit zugänglich gewesen sein — nnd man hat anch ill einigen christlichen Staaten bei dem nmständ-lichsten (Gerichtsverfahren keine genügeuden Garautien gegen die Schwäche des Fleisches — so war es doch auch dem Uubemittelteu möglich, sein Recht zu finden, nnd oft hat er es gchmden. Der Bnchstabe des Gesetzes nnd die öffentliche — 103 — Meinung dor Gemeinde hielteu auch deu schliilimsteu Kadi theilwcise in Schranken. Nieinand wenigstens lief Gefahr, eiucu Proceß zu gewinnen mid als Endergebnis; eine Advoeaten- und Gerichtsrechnnng bezahleir zu Ulüsseu, die das streitige Object bei weitem überstieg. Die Kadi-Anek-doten, die im Munde des Volkes im Ninlauf sind, könnten eiue stattliche Reihe Uun Bündl'n füllen. In allm konnnt die Findi^kcitunduftdicSpitzftndigkcitdcsNichtcrszurAuschauunss. Eiu Christ hat ini Bazar mit ciucm Einir Strcit do-kommcn uud defscu griluon Turban zu Bodcu gcworfcn, Was für dm Augcklagü'u die Todesstrafe nach sich zk'hm konnte. Drr Unglückliche redet sich vor dem Kadi, der gleichfalls Emir ist, aus: er hal'e den Emir nicht erkannt, denn die Farbe seines Turbails sei so dunkel, daß er sie für blau uud deu Träger folglich für eiueu Religions-geiiosseu gehaltcu. Der Kläger erscheint racheschnandend, vou alleu Enüren der Stadt begleitet. „Was soll diese Menge?" ruft der Kadi aus. ,,Kmnmt ihr Hieher, um cuch selber Necht zu schaffen? Verlaßt das Gemach, uud du, Christ," fagt er, sich au den Kläger wendend, der ihm, che er eingetreten, vom Feuster ans bezeichuet worden war, ,,der du Wahrscheinlich zur Zeugeuschast erschieueu bist, warte draußeu, bis ich deiucr bedarf. „^» ^,11a.ll," rief dieser Verletzt aus. „träumst du, Kadi? Gelobt fei Gott, ich bill Mufelmau uud stehe, hier als Kläger." ,M«eU ^linn," entgeguet der Kadi, ,,du ein Ncoslilii, uud trägst eiuen Turbau, der so entfärbt ist, dasi ich ihu im ^olleu Tage für den eines Ghiaur halten konnte? Wie willst du, daß der Christ ihn im Duukel des Bazars hätte unterscheiden sullen? Schäme dich, Emir, nnd geh deines Wege^!" Das Leben des Christen war gerettet. — 104 — Ein Kameeltreiber gcräth während der Neise lllit dem Miether über die Ladung des Kainccls in Zwist. Womit ist es beladen? fragt der Kadi. Mit Kaffee :e., uiit Datteln :c., mit Reis !c. erklärt der Kameeltreiber; die Ladung ist größer, als ich gedacht habe, der.Kmlfmann muß mir eine höhere Miethe bezahlen. Nnn gut, entscheidet der Kadi, nimmt das 65 LliLt«-^ herunter, der Nest mag wie ausbedungen, üben bleiben, und dam,it: Gott befohlen. Auch den Sophismen der Parthcien zeigten sich manche Nichter nicht unzngänglich, wenn diese ihnen behagten. Ein Inde hatte einen Perser geschlagen, Vor dem Kadi gestand der Verklagte seine That ohne Weiteres ein, bemerkte jedoch, daft er der moslemitischcu Anschauung gemäß verfahren sei. ,,Wie so?" frug der Kadi. ,,Werden die Perser nach ihrem Ableben nicht in Esel verwandelt/' erwiderte der Jude, ,,und soll nicht auf jedem solchen Esel ein Hebräer znr Hülle reiten? Ist es nicht so?" „Wallah, so ist'5?" Nun, weiser Nichter, Born der Gerechtigkeit, Salomon des Jahrhunderte! ich habe in diesem Perser den mir dereinst bestimmten Esel erkannt nnd da ich ihn störrig fand, so richte ich ihn mir auf meine Weise zn. Der Jude ward freigesprochen. Um mit einem Beispiel zu schließen, welches dem häufig verketzerten Kadistand znr vollen Ehre gereicht, sei folgender Fall erwähnt: Vor den Kadi von Smyrna war ein Rechtsstreit, anläßlich ein»? Besitzthnines, znr Entscheidung gekommen. Der Kläger, offenbar im Unrecht, war bedacht, sich des Richterspruchs dadurch zu versichern, daß er dem Kadi einen — 105 — Bentel mit 290 Dukaten überreichte. Bei der Verhandlung erschien der Kläger mit seinen Zeugen — falschcu Zeugen — und die gerechte Sache des Angeklagten war verloren. Der Kläger forderte den Spruch — denn der Angeklagte hat keinen Zeugen. „Er hat cineu Zeugen" rief der Kadi und warf deu Geldbeutel iu den Saal. — „Diesen hier." Die Naibs find die Substitute:: der Mollas und Kadis, und werden von diesen ernannt. Die Mülazims siud die ihnen zur Seite stehenden Candidate::, uud entsprechen vollkommen deu Iurateu die bei deu ungarische,: Stuhl-richtcrn in Verwendung stehen. Außer den Nichtern, Theologen uud Professuren unterstehen dem Ministerium des Scheich-ül-Islam noch die Diener des religiösen Cultus, als die Scheichs, die Chatiebs, dce Imams, die Muezzins und die Kaims, Diese, gleich den übrigen Uleiuas, uuterschcideu sich iu nichts Uou auderu Moslim, legen kein Gelübde ab, lcisteu keinen Schwur, uud treten in ein anderes Amt oder zu eiuem Haudwerk über, Weuu es ihnen behagt. Ihre Installation findet ohne jede Ceremonie statt, und Wenn sie abgesetzt werden, treten sie ohne weiteres iu die Gemeinschaft des Volkes zurück. ' Die Scheichs sind die Prediger, die Chatiebs die Vorbeter, die Imams die Besorger nnd Beaufsichtiger der Aioscheen, die bei Beschneiduugeu, Hochzeit^!: nnd Begrab-nisseu die üblichen Gebete sprechen, und iu ihren Vierteln "ebstbei das Viertelmeisteramt und die Sittenpolizei verschen. Die gottesdienstlicheu Oblicgcuheiten in der Moschee wurden anfänglich auch von deu Sultauen erfüllt, wie sie ^n jedem Gläubigen versehen werden köunen. Der Imam, und wäre er uoch so rüstig, stützt sich im Gehen auf einen —. 100 — Stab mit gekrümmtem Ende und Permeidet jedeil Schmuck, auch den einer goldenen Taschennhr. Die Muezzins siltd die Gebetausruser, die von der Gallerte, der Miuarete die Gläubigen fiinfinal täglich zmu Gebet aufrufen. Eine, klangpulle Stiinme ist ein Hanpt-crforderniß Zur Bekleidung dieses Amtes. Ihr Ahnherr ist Bclal, der Gebetausrufer des Propheten. Die Kaims endlich sind die Moscheen-Diener, denen der grobe Dienst, wie Neinhaltnng des Gotteshauses und der Teppiche, sowie die Beleuchtung obliegt. Zum Dienst der kaiserlichen Moscheen sind je ein Scheich, ein Chatieb, vier Imams, zwölf Muezzins nnd Zwanzig Ka'ims bestellt. Wenn der Sultan am Freitag die Moschee besncht — eine Pflicht, die uuter keinen Umständen Persäumt wird -^ so persieht der Palast - Almosenier die Obliegenheit des Chatieb, und der Imam des Monarchen besorgt den Gottesdienst. Die Kleidung der Nlemas unterschied sich uon jener der andern Muselmanen einzig nnd allein durch die Turban-form. Der Stoff für ihre Kleidung ist Wolle, ohne j^' Beimischung pon Seide. Sie ritten ehedem niemals ans Pferden, fondern bedienten sich der Manlthiere und Oscl-Heute sind sie dnrch das uationale Kleid, welches sie mit eitler gewissen Anlehnuug au die fränkische Costümirung d^ Ncformtürken beibehaltcu habcu, leicht Zu unterscheiden. Nur gelegentlich der Bairam-Ccremonien erscheinen sie 'N einer Art Festkleid, das dnrch die gleichen Farben ihre Rangklassen kennzeichnet. Der Scheich ül-Islam trägt weisi. denn weist nnd schwarz sind die pom Propheten anempfohlene» Farbe», wie ruth uud gelb Pon ihm uerpünt wnrden. Da>w — 107 — kommen die grünen und endlich die violetten Kaftans. Die Fußbekleidung ist für alle schwefelgelb: ehedem trugen Mullas uud Muderris dunkelblaue Schuhe. Daß die Nlemas als Kundige uud Pfleger der Gesetze beim Volk in Ausehen stehen und auf dasselbe Einfluß haben, ist naturgemäß; sind sie doch gewissermaßen die Hüter des uationaleu Daseius, deun der Islam ist für den Osmaueu Glaubeu uud Nationalität zugleich. Daß sie demgemäß den Kern des conservative« Elementes darstellen, ist selbstverständlich, aber ihr Konservatismus fußt keineswegs aus dem starren „nou i>«8«umu8," sie sind vom Staat beeinflußt, dessen Haupt zugleich das ihrige ist. und so hat die Neformidee bei ihueu ebenso gut Eingang gefunden, wie beim Nest der osmauischeu Gesellschaft. Bei einer gedeih-licheu Reform siud sie berufen, einen maßgebenden Faetor lwrzustelleu, und sie werdeu es, weil die Interessen, des Glaubeus mit deni Wohl des Staates eng verknüpft sind und sie schon deßhalb die besten Patrwteu siud. Die Natiou wird vo pcch's) wieder. Sie organisirten sich noch immer. Was seither aus ihnen geworden ist, weiß ich nicht; Sadyk-Pascha hat aus alle Kriegsthaten verzichtet, seinen Frieden mit dem weißeil Zaren geschlossen und pflanzt nunmehr in den heimathlichen Steppen seinen poetischen Kohl beim Klänge einer türkischen Piasterpension. Doch lassen wir den General Czaikowski reimen, die weiland Kosackeudragoner auf verschiedenen Punkten des Erdballs ihre Odyssee erzählen nnd kehren wir zum damaligen ottomanischen Heere — wir Hreiben 1858 — zurück. Soldatisches Selbstgefühl mangelte der Truppe wie deu Offizieren gänzlich. Von einem Corpsgeist, von der sogenannten Standesehre, nnd wie die sonstigen vielleicht nothwendigen Vorurtheile heißen mögen, hatte Niemand eine Ahnung. Die Ausbildung war lückeuhaft und oberflächlich. Am schlimmsten, war es mit der Reiterei bestellt, besser mit der Artillerie, die damals von prenhischen Lehroffizi^ren gebildet wurde. Verhältnißmäßig am weitesten fortgeschritten waren die Musikkapellen, Auf Heermnsik war von jeher __ 128 __ eiuc besoudcre Sorgfalt verwendet wurden, und auch jetzt noch prunken ihre Zeichen unter den Trophäen. Es gehörte nämlich nächst dein Hutbe (Kauzelgebet) uud dem Münzrecht zu den voruehmlicheu Herrsch errechteu, die Heermusik fünfmal täglich vor dem Palast oder Zelt ertönen zu lassen. Selbst der reglemeutmäßige Gruß war blos den uutcrn Sphären gegenüber beobachtet, die Offiziere uutcr sich katzcu-buckelten nach Art der Efendis, denen zugezählt zu werden nicht den geringsten Theil ihres Ehrgeizes ausmachte: die Offizierscharge galt jedem ebeu als eiu Amt. Die Zöglinge der Kriegsschulen uud die im Abcudlaude gebildeten Offfziere waren nur iu eiuzelmm Erscheinuugeu uud zumeist in bescheidenen Raugverhnltnisseu vertreten, uud die Kriegs-miuister, Welche in jener Epoche das Heerweseu a>n ineisteil beeinflußten, Niza-Pascha lmd Ntüterdjim sder Ueberseher) Mehmed-Pascha, Mäuuer von persönlicher Begabung, waren viel mehr Staatsmänner als Soldaten. Uuter der Regieruug des gegeuwärtigeu Kaisers"') haben sich die Dinge mit erstauulicher Naschheit uud mit bemerkend wertheiu Erfolge geändert. Die fachmämüsch gebildeten Ofsiziere, au ihrer Spitze der frühere Großvezier uud Kriegsminister Husseiu-Avui-Pascha, haNm die Leitung des Heeres iu die Hand bekommen und eiueu gäuzlichcu Nmschwung zu Wege gebracht. Ich habe die Trupveu im Jahre 16?4 wiedergeseheu und blieb erstauut über die rasche Veränderung. Eiu Ofsizierskörper im abendläudifcheu Siuue fängt au sw) zu bildeu. Die Manuschaft, gekleidet iu die ihrer Natur eutsprechcude Zuavcutracht, mit deu besteu Waffeu der Neuzeit versehen uud mit Sorgfalt ausgebildet, bietet einen ") Tnltan Abdul Aziz, obcuso harmonischen als maltialifchen Ändlick, ohne daß unter den Maßnahmen in Hin sich! an, die Aeußerl ichfeit ihre nationalen und besondern Eigenscn^stell Einbuße er-litten zn habeu scheinen. Tiese Eigenschaften siud, wie bereite bemerkt, eine besondere Begaonug silr das Waffen Handwerk, die eine rasche Ausdüdnng bei kurzer Präsenzzeit erniüglicht, eine natürliche Unlerordnnng, i)ie jede Strenge zur Aufrechterhaltung der Diseioün l,n,wchig ü,acht, eiile todesmuthi^e Ergelnuui, die in, i^nnlmclien ^atiili^ttin^ ihren Urspruughat, uud eine stoische !Lnsl'el)>,!nMähil-,teit, N'ie man sie w»l selten irgendw,,' muimi. In gedeckten Stellnngen nnd in 5rr ^l'rtheidigllNss voil Schanzen entwickelt der otwmmmVl^ ^oldar seine Vorzüge am glänzendsten. Dav hat der Dmianfeld^iisi n^nerdingo dargethan! Wie sehr e5 den ^tussen anch d,iru>n ,>n N,nn luar, Silistria einzunehmen, devordie WestmääNlichr,i 'Aüiirtei, ans den, Klampf Platz erscheinen k^nüten, s» scheiievt,',, d^ch ailr ilireVemühnnge», sich dieses ^ehmhaufens zn bennichn^en. u»d nw iuimer inl Ver^ lause des ganzen Feldzuge'? ^'nsse,, >i,>d pikten anfeinauder-stießen, zl,'gen mit Ausnahme 00,1 <^e!,>i>sch S0!l in Asien die Ersteren da5 Kürzere, ,^in>? ,,,>,nie ^n^gehungert iverden, ehe es in die Hände der Missen fiel. Mmiatetauge Soldrücksmni>e !l,n» den, 'Diensteifer des ottomanischen Soldaten keinerlei '>'ld!^nch, Freilich vor Mangel bewahren ihn die täglich uenwveichten ^atwnen. Diese bestehen aus Haiuinelsleiscli, ^>ei>, Butter, Gemüse, Salz., Brot uud Seife, woz» in, :!i!>a,ll>id0n lMstennmnat) Kaffee hinzugefügt wird. Vc>iu sieln, i?ev Entdehrungsfähigteit bes Maunes werdeu unter noliiuUe,, Verhältnissen ieiue allzu harten Proben zugeinullier, ^ie V!n,^!il der Rationen Murad Cscudi, üintiickc Elizzr,, ,, D — 130 — steigert sich bei den Offizieren im Verhältniß ihres Ranges, vom Major aufwärts mit einer entsprechenden Zugabe von Pferderationen. Der patriarchalische Geist der islamitischen Anschauung mildert das Verhältnis; des Offiziers znm Soldaten, des Untergebenen Zum Vorgesetzten und wird zugleich anch wieder zum Kitt für den ganzen Hcercskörper. Der Offizierskörper in den Heeren der europäischen Monarchien hat sich anö dem ,,Ritterthum" herausgebildet, in der Türkei hingegen aus der Trnppe. In früheren Jahren nahmen die Offiziere keinen Anstand, einem hochgestellten Vorgesetzten gelegentlich Verrichtungen zn leisten, denen im Abendlande nur ein Diener obliegen würde, des« halb aber glanbte sich der Betreffende dnrchans nicht wegzuwerfen, noch aber wnrde er darum minder geachtet. Der nähere Verkehr eines Offiziers mit seinen Soldaten verleitet die letzteren niemals zn Nebergriffen uud thut der Disciplin keinerlei Eintrag. Heute freilich hat die Ver-schiedeuheit der Bildung bereits eine schroffere Kluft zwischen Epaulette und Toruister gezogen als ehedem der bloße Rang. In der Türkei ist die Bildung noch lange nicht beim Nivellireu, sondern noch beim Scheiden. Die Nichtmusclmanen waren bis jetzt vom Kriegsdienst ausgeschlossen nnd die Bewohner von Konstantinopel uon demselben befreit. Eine gewaltige Blntstener lastet seit Iahrhuuderteu auf dem Osmanenthum nnd trug nicht wenig dazu bei, seine Vermehrung zn beeinträchtigen. Seit man daran geht einen osmanischen Staat zu gründen, ist die Aenderung in diesem Punkte unausweichlich geworden nud die Zulassung der Christen znm Heeresdienst, principiell schon längst entschieden; sie wird anch dnrchgeführt — 131 — Werden, wenngleich dor Niiistand, das; manche christliche Stämme sich nicht frei von der Geneigtheit gezeigt haben subversiven Znflnsternngen Gehör zu schenken, sie nicht ganz harmlos erscheinen läßt. Küprisli Mehmed Pascha wollte besondere christliche Depot-Bataillone errichten und erst die derart zu Soldaten herangedrillten Reeruten in größeren Gruppen in die jetzigen mnselmanischen Regimenter einreihen. Nur so, meinte er, würde sich endlich eine Waffengemeinschaft zwischen ihnen bilden lassen. Das direkte Einreihen christlicher Rekruten, iu osmanische Trnppenkürper würde zn großen Mißhelligkeiten führen uud die Errichtung christlicher Corps ebenso zweckwidrig als gefährlich sein. Wie ich bereits vorhin erwähnte, mnß Hnssein-Avni-Pascha als der Hanfttförderer der jetzigen Heeresbildung angesehen werden. Durch ihn gelangten die Kriegsschnlen zu ihrer vollen Vedentung, durch ihn wnrde das Heer von deu fremdeu Unterrichts Offizieren emaneipirt und der militärische Geist der Osmanen iu dein neueu Körper zum neuen Bewußtsein geweckt, dnrch ihn endlich bekam es im Staate die Stellung, die es einzunehmen bernfen ist. Seine Bernfung au das Großvezierat mit Beibehaltung seines Seraskier-Mnles gab derselben den entsprechenden Ansdruck. Wenu der Aussprnch jenes gelvaltigeu Landverderbers ans der Vülkerwaudcruugsepoche: ,,Eisen ist besser als Gold, mit dem Eisen hole ich es/' in unserer Zeit auch dahiu auszu-lea/n ist, daß das Eisen des Acker- und Handwerkzeuges und der Maschine das Gold erwerben muß, welches hinwieder das Vseu der Waffen ernährt, so erscheint für einen Staat unter den Bedingungen des osmanischen die Pflege des Heerwesens eine Grnnd- nnd Hauptforderung. Ein gtttgebildetes Heer kann gewissermaßen zum Vorbilde und — 132 — Krystallisationskern für den ^ere^elten öffentlichen Dienst werden. In der Türkei, wo mau Vicinalwege, erst dann banen wird, wenn schon die Viscnbahnschicncn das Land durch-kränzen, inns; l)ft manches in, den oberen Stockwerken vollendet werden, ehe die unteren ausa/bant sind. Das Heer, mit dem die Reform bcnMnen wnrde, mns; dri ihrer Dnrch-führuna, ein wesentlicher ssaewr bleiben. Gttomanische Staatsmänner ). I. Fuad-Pascha, der tadollos gosiruißto Woltlnani: und ^lihorndo Schönqoist, war von do:: Sünitsmännorn dos Di-Uans dio populärste GrschoinunH in abondländischon Viplo-matoukreisou; or lioh doin Cabiliot, dossou Hanpt und Horz dor zurilckgozogono, änßorlich nnbcholfoiu' Nali war, dav go-willuondo Alttlitz und dio ssowmidto Zungo. Soin foiuor Goist, dor in opigrammatischon Wondmigon und pyrotoch nischou Knalloffocton zu schillorn liobto, hatto ihin'längst zur Anortoiunuig in don Salons au dor Nowa souiol wio aiu Manzanaros, aiu Hofo zu St. Iamod wio iu don Tniloriou dorholfou, als soin diploinatischor ^)tuf durch dou Krio^sbot-schaftor Aconschikow dogriindot wurdo. Ans oinor Tascho dos iu don diplomatischou Hausannalon borüchtigton Palotot dos Nusson spraug oino jllchtonduftondo ^lollßoruug. Dor zarischo KrioaMoto wollto don horau^for-d^rndon Gohalt soiuor Soudimg uicht alloin dnrch oino Eti-kottousüudo, soudoru auch durch oino wörllicho Boloidiguug Mm Ausdruck oriugon. '") Auch dioft Aufsätze datin'ü aus dcv Zcit vor dl'il Hl'ai-!z:>'ig»isft>l. — 134 — Dem offieicllcu Besuch im Auswärtigen Anlt uämlich wich er mit der Bemerkung aus: ,,Ich habe ntit diesem trügerischen (tÄlaoieux) Minister uichts zu schaffen." Fnad gab seiue Entlassung, d. h. er zog sich für wenige Wochen auf sciue traumhaft schöne Bosporusvilla zurück, ,,Divlomateu brauchen einen guten Ntagcu uud ein schlechtes Herz", sagt irgendwo Talleyrand, mit welchem Fnad neben audern verwandten Ziigen auch den gemein hatte, daß beide der Kirche entstammten. Fuad hatte eiueu gnten Magen. Ob sein Herz schlecht war, weiß ich nicht, aber es War krank. Das Herzleiden war in seiner Familie erblich uud der stattliche Mauu starb daran, jedoch nicht ohne zuvor lauge Jahre nach seinem obenerwähnten Rückzüge als mächtiger Minister gelebt und gewirkt zu haben. Durch eine enge Verbinduug, welche klug gewährte gegeuseitige Zugeständnisse nährten, war das Cabinet Aali-Fuad das dauerhafteste. Welches seit der Reform den Os-maueustaat'regierte. Dem Abeudlande gegeuüber stellte es eine fichcre Firma dar, mit der man rechnen konnte. Die Eabiuete, der FinanZmarkt uud die öffentliche Meiuuug wußteu, woran sie waren, oder glaubten wenigstens es zu wisseu. Iu orientalischen Angelegenheiten, deren Beurtheilung eine eigens verfertigte Brille erfordert, fchen sie gewöhnlich über deu Rauch die Flamme nicht, aber stud befriedigt, wenn ihnen dieser halbwegs zu Formeu verdichtet erscheint uud sie demrt hoffcu dürfen, der Gefahr des ,,1ln-vorhergesehenen", wenn auch auf kurze' Frist, entrückt zu sein. Der Orient ist so mannichfaltig reich an Ueber-raschnngen! Der im Jahre 1870 erfolgte Tod Fuad-Pascha's sollte das gewohute Bild mit Einem Schlage verändern- — 185 — ' Der Ranch löste sich ins Formlose anf, nnd das gefürchtete „Imprsvu^ stand drohend vor den abendländischen Brillen. Wenige Zeit daranf, als ein Kriegsdampfer die Hülle des Entseelten von Nizza, wo er Heilnng snchte, Znm Goldenen Horn zurückgeführt hatte, folgten dem Verstorbenen drei Eollegen: der Großvezier Aali-Pascha nnd die Ex-Großvcziere Mprisli-Mehmed-Pascha nnd Kiritlu-Aiustapha-Pascha. Es war, als sollteil mit dem Umschwung, den die Ereignisse zn Anfang der 7. Dekade uusers Jahrhunderts in den europäischen Machtverhältnissen hervorgerufen hatteu und der natürlich auch die politische Haltnng des Osmanen-rciches beeiuftußen »nnßte, zugleich anch alle die Mäuuer Uom Schauplatze politischer Thätigkeit verschwinden, die durt gewissermaßen das System der Allianz nut den Westmächten, als deren Haupt Napoleon III. galt, repräseutirt hatten. Dein Diosknrenpaar Aali-Fnad sollte es erspart bleiben, sich politisch selbst zu überleben, wie dies mehrere Jahre vorher seinem Meister Ncschid-Pascha erspart worden war. Denn wie Neschid^Pascha, der Minister des HattHonmayon von Gülhane, der im Verein mit dein britischen Botschafter Lord Redcliffe das Uebergewicht des englischen Einflusses vertrat, hinschied, als der Leoparde mit dem franzosischen Adler theilen nnd diesem den Löwenantheil überlassen mnßte, so trateil Aali-Fnad vom Schanplatze ihrer staatsmännischen und zugleich von ihrer irdischen Wirksamkeit ab, als der Stern des dritten Napoleoniden erloschen war, uud das nunmehr theilweist: gesammelte Rnßland sich anschickte, seinen frühern Platz in der orientalischen Sonne wieder einzn-nehmen. Nnr ließ Reschid-Pascha in den Genannten ein festge- — I'll) — kittetet regiernng>>fä!>igeo Ministerinm hinter sich, während nach diesem ein freiem Feld siir jeden Ehrgeiz und für jeden Versuch offen duel». Der ^teforiuer ^'eschid batte die obengenannten nebst vielen andern rasch oi-> in die Ministerfantenils enlporge-Hoden. Erstens oednrne der reichbegabte, aber nur auf dem Wege der Antudidatti! unlrriichtetc Cabinctschef der Nnter-stühung der besser zeichnIleu Ingend, und dann lag es ebenso sehr in seine,» Geschmack, das Schicksal zu spielen, al^ iil seiner Policik, iich ^ixen ülächtigeil Anhang zu gründen. Die seiner Namr eMntlmmliche Kühnheit iltochte ihu übrigens dazu vermln'ru, sci,ic eigene Ueberlegenheit und Uileutbehrlichkcit in (>e„, Maße zu überschätzen, als die Bedeutung der von ünn (imporgebrachteu zn unterschätzen. War er doch gewohnr, ^uf sie als seine Geschöpfe herab-zublickcn. Und al^ cr endlich wahrnehmeu mußte, daß die Schüler sich zu emanciviren uno die ihnen zugedachten Strohs mann!?rolleu gan,; ernstbafs a>lfznfassen, begannen, daß sie sich anschickten, nichl mn gege,, den Hiteister Fruut zu machet, sondern endlich se,ne Steünnq zil initergraben, war die uer-jpätete Lehre für il,» oereil^ eine überflüssige. Für Aali-Pascha, den eigeittlichex ^irbe,! seiner Macht, war das Beispiel nicht verlöre». Tie ck'ivalen wußte er au sich zu fesseln, oder aber lanilo^ unschädlich zn machen, uud die l's allenfalls mit Erfolg hätte» werden lönueu, hielt er in untergeordneten, Stellunge,, sest, Nm das Vezierat herum ließ er eine gähnende ^.Vere, So kam es, daß bei seinen' Ableben, welchem »>il i>e,n selner CabiReWmitglieder zu-saininenfiel, das Vand sich voe ein Fragezeichen gestellt, der Sultan sich in die ^iott,n>endigleit der Versnche versetzt sah- Diese Nothweiitngleit, die den Monarchen vor Mahmud U- wenig Kopfzerbrechen verursacht haben wiirde, ist gegenN'ärtig durch den Umstand erschauert, daß es sich nicht allein dariuii handelt, cm Ministerium zu finden, Welches den Vediirf nissc-n der Verwaltung inehr oder weniger zu entsprechen scheint, sondern ein solches, welches sich den äußern Einflüssen anzubequemen und sie vorkommenden Falls zu benutzen versteht. Einst waren die den Ausschlaggebende, oder doch zu berücksichtigende Facwren bei der Besehung des Vezierats das Serail und die Iaiütscharen, jetzt sind es nächst dein westeuropäischen Finanzmarkt vornehmlich die Gesandtschaften und die Bureaukratie. Einst lag der Schwerpnnkt der Ne giernng in d?r Verwaltung des Innern uud im Heerwesen, jetzt, hingegen liegt er im Auswärtigen und in den Finanzen. Vom frühern Cadinet, dessen Haupt Aali-Fuad so lauge gewesen waren, war nur eine erprobte uud bedentende Persönlichkeit übriggeblieben' der Exgroßvezier Müterojim (der Uebersetzer) Mehmed-Pascha, Er spielte darin als rhetorische Eapacität eine beachtete Rolle. Wegen seiner Jahre aber, welche den kritischen Zug .in seinem Wesen zur Passivität gesteigert hatten, schieu er zur Bildung eines neuen Cabinets mit nener Richtung wenig geeignet. Edhem Pascha, einer der intelligentesten und wissenschaftlich gebildetsten ottomanischen Staatömänner, der schon mit 8N Jahren das Portefeuille des Aenj>re» übernommen hatte nnd seitdem fast ununterbrochen das Ministerinn« des Unterrichtes, des Handels oder jene5 der öffentlichen Vauten leitete, war unbe-greiflicher Weise trotz aller Tüchtigkeit nicht in Frage gekom Men, DieAufmerkfamkeit richtete sich auf zwei jüngereMinister, bie iu der letzten Zeit durch die Gunst der Verhältnisse Mi-nistersitze erklommen hatten, trotz Aali Pascha, oder vielleicht — 138 — weil dieser in dem einen mehr den enropannknndigen Molla (Schriftgelehrten) in den: anderen den Soldaten sah. Es waren dies Nnschdi-Mehmcd-Pascha-Schirwani-Zade und der Marschall Husscin-Avni-Pascha. Anch Mithad-Pascha, der sich in der Donauprovinz lVulgarien) als hervorragende Verwaltnngskraft und uneriitiidlicher Rcorganisator bewährt hatte, kam in Betracht. Die sogenannten ,,Inngiürkcn," die sich als Gegner Aali-Fnad'Z bemerkbar nnd dnrch ihre Flnchtlingsrolle interessant gemacht hatten, blieben anßer jeder Erwägung. Wit drm Hinscheiden der beiden verflüchtigten sie sich wie Dampf, wenn der Herd verlöscht ist- Die Wahl des Sultans »lachte alle Voranssichten nnd Erwartungen zunichte; in Mahmud-Pascha trat ein Iwmu N0VU8 das Erbe Aali-Pascha's an. Die ersten Maßnahmen des neuen Großvcziers stellten sich im scharfen Gegensatz zum Programm seines Vorgängers dar. Nach dcm.conservatiu-apathischen Aali-Pascha nahm sich Mahmud-Pascha als cin Revolutionär aus; er bewies eiue gewisse Thatkraft und einen großen Ucberschnft an energischein Wille«, was anfänglich schon der Nenheit wegen impouirte. Sein Verfahreil gemahnte an die einstige Vezierherrlichkeit, und s» gericth er gar bald in den Ruf des ,Mttürkenthnms." Mit dieser Bezeichnung wird in der Türkei ebenso leichtfertig nmgefprnngen als während den Glanbensfehden unt der des ,,Ketzers" uud zur Zeit des französischen Convents mit der des „Aristokraten" und „Verräthers." Wurde doch selbst einer der eifrigsten Reformer, Mftrisli-Mehmed-Pascha, von seinen Gegnern so bezeichn^ weil er die Mittel zum Fortschritt der Türkei mehr im eigenen Volke als in der Nachäffnng fremden Wesens finden wollte. — 13l) — Ein Alttürke im retrogradeu Verstand ist als otto-inauischer Staatsmann heute ebenso wonig denkbar als cm HeWiProeeß oder Glanbensgericht in Dentschland, nnd so bedeutet diese Classificiruug nichts weiter als eine Schattirnng in der allgemeinen Neformbewegung. Daß diese bei Mahmud-Pascha bald in den dunkelsten Tinten erschien, ist freilich nicht in Abrede zu stellen, aber ebenso wenig könnte man behaupten, daß er ein politisches Programm befolgt hätte. Im Orient gibt es überhaupt keine Parteien und Parteiführer nach Principien, sondern vielmehr nach persönlichen Verbindungeu und Interessen. Die divergirenden Ansichten werden von Fall zn'Fall als persönliche Waffen benntzt nnd die politische Idee dient dabei nngefähr, wie znr Nefurmzeit die „religiöse" einigen dentschen Fürsten diente. Drei Umstände trngen wesentlich bei, den Anklagen seiner Widersacher bezüglich des ,,Alttürken" einen Anschein von Wahrscheinlichkeit zn geben, Mahmud-Pascha hat in seine Bitdung vom Abendlande nichts übernonnnen, selbst nicht die französische Sprache. Er stand ferner in engen Beziehnngen znr rnffischen Botschaft und bis zum Krimkriege neigten alle konservativ gesinnten Staatsmänner des Divans zu Rußland, weil sie in diesem Staate eine gewisse Congenialität zn finden glanbten, im Gegensatz zu deu Westmächten, deren Anftreteu selbst als Verbündete den osmanischen Stolz offen demüthigte, Während der klnge moskowitifche Nachbar die Demüthigungen im Kern gewöhnlich in vergoldeter Schale bot. Nnd endlich sein drakonisches Verfahren in den Personalfragen, das den nenern bureaukratischcn Anfchanuugeu schnurstracks Widersprach. Die rücksichtslose Schärfe, mit der er den Staatsbeamten zu Leibe ging, die in der Schule Aali-Pascha'K — 140 — herangewachsen waren, ließ bald die Zitehrzahl der „Gfendis" ili die Zahl seiner Gegner reihen. Amtsentsetzungen und Verdannnngen gelangten alls die Tagesordnnng. Provillz-statthalter wnrden innerhalb weniger Monate drei- bis vierinal von einem Winkel des Reiches in einen andern versetzt, wodurch sie bei den nmständlichen Transporten ihrer großen Hausstände peenniar zu Ornnde gerichtet werden mnßten. Kurz, der einflnßreich gewordene Vezier belltete seine Viacht für persönliche Rücksichten oder znr Befriedigung seiner persönlichen Mißstinunnng ans, nnd der von. Aali-Pascha gegründete Beanltentörper krachte ill allen' Fugen. In die Stagnation, die daselbst unter Aali Platz gegriffen hatte, brach urgewaltig ein reißender Strom herein, der, wenn weise gelenkt, belebend hätte wirken können, so aber nnr Verheernngen hinterließ. Eine Art Terrorismus hatte unter den Staatsdienern Platz gegriffen nnd wirkte, da er keinem Prineip zn entspringen schien, entmuthigend, anstatt zu läntern; die Betroffenen — nnd darnnter zählten die Besten — fühlten sich nicht von der Hand des Chefs, sondern des Menschen getroffen. Die Art, wie er traf, entsprach den traditionellen Formell voll ehedem: sein frennd-liches Znlächeln, ein wohlwollendes Wort von seinen kippen und insbesondere die väterliche Ansprache mit ,,Mein Sohn" galt als Vernrtheilnng nnd war gewöhnlich der Vorbote eines empfindlichen Schlages. Der öffentliche Dienst wnrde in schwere Mitleidenschaft gezogen, die Stimmen der Ol,'-schädigten drangen im Chorns an d^is Ohr des Sultans, nnd gewisse Pnnkte in der Eisenbahneonvenlion mit Hirsch wnrden znm letzten Tropfen ill dem vollen Becher. Mahmud-Pascha siel. Sein Stnrz wurde von seinen Gegnern mit lallten — 14l — Kundgebungen begleitet, wie sic in Konstantinopel seit Menschengedenken nicht vorgekommen sind. Mithad-Pascha, der früher erwähnte Statthalter für Bulgarien, übernahm unter ebenso ungebräuchlichen Freudeuzurufeu das Vezierat. Mithab, de»l ei» überaus günstiger Ruf voranging/ war dnrch denselben von vornherein geschädigt. Die öffentliche Meinung, zu Extremen geneigt, gab sich nnerfüllbareu Hoffuuugen hin und stellte au deu nenen Staatslenker überspannte Anforderungen, Der Reorganisato^ dcr Donauprovinz sollte wie mit der Zauberruthe das ganze Reich ueugestalteu, die Folgen von Jahrhunderte alten Uebelständen verschwinden nnd mit Einen, Schlage Schäden heilen machen, die allein ein totaler Umschwnng im Vottsgeiste, nnd zwar erst in der dritten, vierten Generation bewältigen könnte. Mithad-Pascha war überdies zn lange Zeit von Konstantinopel entfernt gewesen: es gingen ihm so die einem ottomanischen Staatsmanne uucntbehrlichen Verbindungen mit der Hauptstadt ab nnd seinem Wesen jene eonventionelle Form, anf die man daselbst ein übermäßiges Gewicht legt. Sein Auftreten ist das eines Mannes, der sich fühlt, nichts Von der Gnnst erwartet, sondern anf die Reinheit seiner Absichten fnßt. Er verlor das Neichssiegel, ohne seine Absichten verwirt'lichen zn können, aber die öffentliche Meinung blieb ihm tren. Die Gnnst des Sultans erhob zum Stauncu aller Welt einen noch jungeil, in Europa halb gebildeten General, Efsad-Pascha, zum höchsten Regierungsamt, nm ihn nach kurzer Zeit durch den greisen Müterdjim Mehmed-Pascha, den einstigen Eollegen Aali und Fnad's, zu ersetzen, der bald in dem Molla Ruschdi-Pascha-Schirwani-Zade eiueu Nachfolger erhielt. — 142 — Mit diesem schien der beständige Ministerwcchsel, der bereits das an den ottomauischen Verhältnissen interessirte Europa zu beuuruhigeu bcgauu, eudlich eiueu Abschluß ge-fuudeu zu haben. Schirwani-Zade war ans dein Corps der Ulema (Schriftgelehrten) hervorgegangen und hatte sich in der Sendung Fnad-Pascha's uach Syrien anläßlich der Metzeleien in Damaseus hervorgethan. Nach beendigter Scnduug vertauschte er deu Turbau mit dem Fez, den Kaftan mit dem Neformrock, den Titel des Efendi mit jenem des Pascha und. sein bisheriges Amt als Kaz-asker mit dem Portefenille eines Ministers des Innern. Dieses Amt war eigens für ihn geschaffen worden; denn bis dahin versah, wie es seither geschieht, der erste Nnterstaatssekretär des Großvezierats die in dieses Departement fallenden Agenden. Es ist hier zu bemerken, daß im allgemeiuen die otto-mamschen Minister nicht ganz dieselbe Stelluug eiuuehmen, wie in den meisten abeudländischeu Staaten. Der Groß-vezier ist nicht blos ein Ministerpräsident, sondern ein Chef in der engstell Auffassnug des Wortes. Er hält dein Monarchen die Vorträge, nicht aber der einzelne Minister für sein Nessort. Nnr die Ausuahmsstelluug, die eino glänzende Vergangenheit oder der besondere persönliche Einfluß gewähren, bringt den einen oder den andern in Berührung mit dem Sultan; denn, auch hier erhebt sich die Persönlichkeit manchmal über die Stelluug. Schirwani-Zade stützte sich auf Dei Cabwetsmitglieder: auf den ucucu Munster deo Aeußeru, Naschid-Pascha. uud auf den Seraskier Husst'w-Avui'Pascha. Naschid-Pascha war dem curopaunkmidigeu Vezier als Ergäuzuug, Husseiu-Pascha, der einflußreiche Seraskier, als Verbündeter nothwendig. — 143 — Mehmed-Naschid-Pascha entstammt der vernehmen Familie des Hadji Nazyr-Aga, deren Hänpter länger als ein Iahrhnndert hindurch die Stadt Drama in Makedonien mit ihren Dependenzeu als Derc-Bei's (Gangrafen) regiert hatten. Drama ist die Heimat des großen Mehmed-Ali. Der Vater Naschid's, Hassan-Haidar-Pascha, wnrde anch von seinem Verwandten an dessen Huf nach Kairo bernfen, Wo im Jahre 1830 Naschid znr Welt kam. Als Knabe wurde er zum Vehnfc seiner Studien mit den ägyptischen Prinzen nach Paris gesandt und unt 1l> Jahren znm ägyptischen Negierungsrath ernannt. Mishelligkeiten mit den ägyptischen Verwandten veranlaßten ihn, im Jahre 1651 nach Konstantinopel überzusiedeln, wo er im Bureall der Uebersetzer des Divans Verwenduug faud. Seine sorgfällig geleiteten Specialstndien lenkten ihn auf die Verwaltungsbranche, und so finden loir ihn von: Jahre 1852 an als Gouverneur ans den Marmaraiuseln, m Gallipoli, Sulina, wit dem Grade eines (Mirmiran) Pascha zweiten Ranges in Skntari, Belgrad und Tultscha. Iu dieser letzten Eigeu-schaft vertrat er zugleich die Pforte iu der europäischen Donaueom mission. Von Widdin untrdc er als Oeneralgonverneur nach Sntyrna und von dort nach Syrien gesandt, Wo er fünf Jahre hindurch mit Erfolg amtirte. Die Herrschaft Mahmud-Pascha's giug auch an ihln nicht spnrlos vorüber. Er wnrde abberufen, einfach nm einem andern Platz zu machen, und, kaum iu Koustantiuopel angelangt, nach Bosnien geschickt. Noch ehe er. aber an seinem letzten Bestimmungsort eintreffen konnte, hatte Mithad Mahmud-Pascha ersetzt uud berief die vielversprechende Kraft ins Ministerinm, vorerst für die öffentlichen Arbeiten. Im Jahre 1873 — l44 — übernahm er an Stelle Halil-Pascha's die auswältigcii Angelegenheiten. Halil- (Sherif-) Pascha ist gleichfalls ein Aegypter. d. h. in Aegypten geboren, aber von einer jeuer Familien stammend, die mit dem viceköniglicheu Hause verwandt und wie dieses Ottoinauen sind — denn auch in Aegypten beherrscht der Türke den Araber. Als Millionär, als glänzender Saluumauu und begabter Diplomat hatte er sich i» Paris, Petersburg und Wien hervorgethan und erschien als eine Art Fnad ro.nnanischeu Ministers des Aenßern nach abendländischen Begriffen auffassen ließ, und endlich weil er mit dein Vicekönige von Aegypten anf schlechtem Fuße stand. Anch mit der nunmehr am Bosporus maßgebenden russischen Botschaft, welcher der General Ignatiew mil großem Erfolge und mit einer Schlauheit vorsteht, die seinem Vorgänger in gesandtfchaftlicher Macht-wllfommenheit, Canning, nicht immer eigen war, soll W der niiabhängige Sinn Haul's nicht gnt vertragen habeU-Halil-Pascha illnstrirt deu Satz, daß die persönliche V^ gabnng unter Verhältnissen leicht zum Nachtheil für die Stellung werden könne. Sein Nachfolger Raschid-Pafcha verfügte über eine» hellen Geist, gute Kenntnisse, allgemeine Erfahruug "id über eiue Haltung, die den Kern im Wesen uute^ der orientalisch uassiveu Form dem Auge verschleiert, >u^ — 145 - su don Anforderungen der stambnler nnd Pfortenwelt eut-spricht. Der gravitätische Ernst und eine gewisse gewichtige Behäbigkeit ist eine oouäitio sins c^ug, nop für das Auftreten eines ottomanischen, Staatsmannes. Das andere bedeutende Cabinetsmitglied war der Kriegsnnui'ster Husseiu-Avui-Pascha. Hussein-Avili ist im Jahre 1820 im Sandjak Mm Isparta Wcinasien), geboren. Sein Vater war Pachter. Die meisten Ottomanen, welche eine Atolle spielen, fangen den Glanz ihrer Familie mit sich selber an. Als der Knabe znr Reife gedieh — nnd man reift früh unter der Sonne des Orients — hatte Sultan Mahmud den entscheidenden Gang gegen die Ianitscharen gewagt nnd die neue Miliz regte sich im Werdepruceß. Die militärische Laufbahn ließ sich vielversprechend an. Kaum fünfzehnjährig, ward Hnssein nach Stambnl, der Pforte aller Glückseligkeit, gesandt und fand dort Aufnahme in der Militärschule. Sechs Jahre später erhielt er die Lieutenants-Epauletten. Bis znm Jahre 1851, wo er bei Ansbruch des Krimfeldzuges als Oberstlieutenant nach Schumla nnd bald darauf als Generalstabschef einer Division nach Widdin beordert wurde, vollzieht sich seine Lanfbahn in den Militär-schulcn als Schüler uud als Lehrer. Die Vertheidiguugs-arbciteu bei Kalafat und Silistria waren znm Theil das Werk des jungen Obersten, der hier und im Gefecht bei Tschctatc seinem theoretischen Wissen die Fenertaufe erwarb. Nach Beeudiguug des Donaufeldzuges finden wir den General Hufseiu - Pascha als Geueralstabschef der Armee in Kleinasien. Der englische General Williams bestand darauf, Kars zu vertheidigen; Hussein hingegen erklärte Kars für strategisch unhaltbar nnd stimmte für die Linie Erzernm-Soghanln. Der Ginfluß des allmächtigen Mnrab Efendi, TUrtijckc Skizze» II. 19 — 146 — britischen Botschafters Lord Nedeliffe entschied iu dem Meinungsstreit für die Ansicht des englischen Generals, nnd Hussein wurde nach Stambnl abberilfen. Kars fiel. Hussein fnngirtc hierauf als Generalstabschef des Serdar Vkrem-Omer-Pascha in der Krim uud während dessen Expedition uach Mingrelien. Nach dein Friedensschlüsse finden wir ihn als Commissar bei zwei Grenz-regulirungen thätig: bei der türkisch-russischen und später bei der bosnisch-montenegrinischen. Hierauf übernahm er die oberste Leitung der Militärschnlen, in die er ein neues Leben uud eine ersprießliche Bewegung brachte. Den Feldzug gegen die Montenegriner machte er als Divisionsgeneral mil, worauf er als Präsident des Kriegsrathes und als Administrator des Kriegsministeriunis uach Stambul zurückberufe« wurde. Auläßlich des kretensischeu Aufstaudes begab er sich, mit der ubersten Militär- und Civilmacht bekleidet, nach Kreta und erwarb sich dort große Verdienste um die Pacification der Insel. Im Jahre 18(W überuahm er das Kriegsministerium. Als Mahmud-Pascha au die Spitze des Cabinets gc-laugte, mußte Husseiu, der gefährliche Nebeubuhler, uatürlich weichen, um jedoch nach Mahmud's Sturz auf se^neu Postcu zurückzukehren. Die Bedeutung eines ottomauischen Staatsmannes nnßl sich an den Folgen seines Sturzes und an der Stellung, die er bei seiner Rückkehr zur Macht eiuuimmt. Hnsscm's Giufluß und volles Ansehen schreibt sich von seiner Rückkehr au die Spitze des Kriegsministeriums her, wo sein Wirken ersprießliche und unleugbare Leistungen zu Tage gefördert hat. Die Verbesserung des Systems der Truppeuaushebung und des Dienstes, der militärischen Strafgerichtsbarkcit, die Er- — 14? — richtuug eines obersteu Medieinalrathes, die Gehaltsregelung und die Gründung eiues Pensionsfoi:ds für die Militärbelimten, sind, außer feinem Einfluß auf dic moralische und technische Ausbildung der Truppe uud des Ofsiziercorps die greifbaren Ergebnisse seiner Wirksamkeit. Husseiu-Avui^Pascha sollte durch seiue Autorität dem ueueu Cabinet Festigkeit gebeu, wie 3iaschid durch feiue Kenntnisse uud diplomatischeu Fähigkeiten, Bald aber wurde es klar, daß diese von außen kommende Ergänzung, weuu sie auch das Cobiuet gegenüber deu Nebeubuhleru um die Macht befestigte, deu sichtbare:: Chef desselben uicht auf die Höhe seiner Aufgabe zu heben vermöge. Eine gewisse Feinheit des Geistes ersetzte beim Oroßvezier Ruschdi-Schirwaui-Zade nicht genügend den Mangel einer europäischen Bildung uud Praktischen Erfahrung; die dialektische Schulung, die dem begabten Molla zu Theil geworden war, erwies sich als ungenügend für das schwierige Amt des VezieratK. Als finanzielle Mißgriffe seine Amtsentsetznng veranlaßten, ward rr durch den Kriegsminister Husseiu-Avni-Pascha ersetzt. Husseiu-Avni, vor allen: Soldat uud als Kriegsminister vollkommen auf der Höhe seiuer Aufgabe, hatte früher den Zumuthungeu, das Neichssiegel zu überuehmen, die au ihu zu wiederholtenmalen herangetreten waren, ei» taubes Ohr gezeigt. Seiu Ehrgeiz hatte uichts zu gewinnen^ seinem Schöpfungsdrang bot ws Heer ein hinlängliches Feld zur Befriedigung. Ter gebieterische Zwang der Umstände und die bedenklich gefährdete Finanzlage, die zu Veginu des Jahres ltt?! wieder eine der periodisch wiederkehreuoeu Kriseu heraufbeschwor, bestimmte ihn, sich einer Aufgabe zu unterziehen, die im besten Fall uudaukbar war. Der Groß-^'zier führte eheden: den Titel (dainai) Lasttcäger des Reiches 10" — 148 — — die Last ist heute'nicht mehr drückend, sondern zermalmend. - Das Kriegsministerimn aber, sein eigenstes Element, behielt Hussein-Pascha bei und vereinigte derart in einer Hand die höchsten Gewalten, Eine äußerst seltene Ausnahme. Ruschdi-Meh,ned-Pascha-Schirwam-Zade, der frühere Großvezier, mußte ziemlich hart büßen. Er wurde als Provinzstatthalter vom Goldenen Horn entfernt nnd starb wenige Monate darauf zu Uemen in einer Art Verbannung. Der Minister des Aeußcrn, Raschid-Pascha, den die öffentliche Meinung gleichfalls als Caudidaten für die Last des Vezierats bezeichnete, nnd der auch jetzt noch immer als solcher angesehen wird, wurde zum Botschafter am Wiener Hufe ernannt. Wie in den Jahren 1850—50 für die osmanischcn Staatsmänner die Botschaft am Hofe zn St, James als Vorkammer zum Miuistcrcabinct betrachtet wurde, so in den letzten Jahren die Vertretung in Wien. Halil, Aarifi uud Kabuli wareu von Wien aus ins Ministerinin gelangt. Diesmal sollte ein Minister die Pforte in Wien vertreten. Vielleicht wollte man anch durck diese, dem Wiener Cabinet sehr genehme Ernennung der M-nähme die Spitze abbrechen, daß mit dem Vezierat Hnssein-Pascha's eine Oesterreich-Ungarn nicht freundliche An-schaunng in der ottomanischen Politik Platz greifen werde; denn der Marschall persönlich gilt als dem Nachbarstaate nicht sonderlich geneigt. Aarifi-Pascha übernahm statt Raschid das Äeußere: eiu Lieblingsschüler des verstorbenen Aali-Pascha, gehört el zu den geachtetsten Persönlichkeiten der Pforte. Er besaß den für einen Pfortenminister nicht zn unterschätzenden Vortheil, aus dem Kern der Pfortenbnreaukratie, sozusagen — 149 — herausgeschnitten zu sein, währeud alle seiue Vorgänger seit Aali durch die Wendung ihrer Laufbahn der „Efendiwclt" ferucr gestaudeu hatten; Halil-Pascha War zunleist iu auswärtigen Missionen, Raschid-Pascha iu den Provinzen iu Ver-wendnng gewesen. Die Verbindnngen mit den: Veamtentörper der Pforte nim, so hcinmend sie einerseits lnauchmal werden niügen, sind andererseits doch schwer entbehrlich. DerVeamten-körver stellt die ottomanische Gesellschaft und als solche die öffentliche Meinuug dar und verfügt iu seiner Gesammtheit, wenn anch nur dnrch das Sprachrohr einzelner Glieder, über eiueu ziemlich ausschlaggebeudeu Einfluß. Aarisi, der Sohu des in Pfortenkreisen bcstbelcumun-deten Schekib-Pafcha, ehemaligen Botschafters und spätern Minister des Answärtigen, ist gewissermaßen der Typus der dnrch Aali geschaffenen Schule uud eine ihrer gediegensten Erscheinungen. Er, der jetzt ins beste Mannesalter tritt, hatte iu frühester Jugend schon dieselbe in sich verschlossene, gravitätisch gesammelte Haltnng, deren Ernst jedoch durch die Milde seiner Natur und einen gewissen poetischen Zug des iuucrn Wesens gemildert wird. Fast noch als Kuabe begleitete er seinen Vater uud später Aali-Pascha iu ver-schicdeueu Missioneu und erhielt früh das wichtige Amt eines Dragomans des kaiferlichen Divans. Schwindelnd rasch erhoben, sollte er in dieser Stellung fortab die abso-lnteste Stabilität vertreten. Die Hand, die ihn bisher erhöht, hielt ihu fest, aber hinderte ihn auch ciue Stufe höher zu klimmen. Von Mahmud-Pafcha wurde auch diese Stabilität augetastet, uud als die Epoche überdauert war, giug Aarifi als Botschafter uach Wien, nm bald darauf sein altes Amt als Dragoman wieder einznnehmen. Er vertauschte es mit dem Unterstaatssetretariat des Aeußern, von welchem aus — 150 — er das Ministerportefeuille desselben Departements übernahm. Aarisi brachte eine langjährige Vertrautheit mit alleil Angelegenheiten und Personen dieses Departements, einen tadellosen Rnf nnd die conservatively Principien seines Meisters Aali mit, die er während der nenn Monate seiner Amtsführnng consequent bethätigte. Nie der ersten Ein-gebuug nachgeben, sondern das Reagens der Ueberlegung oder der Umstände abwarten, nicht schneidend, sondern vermittelnd auftreten, wenn möglich temporisiren, geschehen lassen, wo die Initiative nicht drängt oder wo der Widerstand mißliche Kämpfe ohne sonderliche Endergebnisse vor-aussehen läßt und den Widerstand, selbst Wo er unaus-weichlich wird, in Form einer unangreifbaren Passivität üben, sind ungefähr die Cardinalpnnkte dieser Principien, Das Uebergewicht des Großveziers schiel! jedoch lähmend anf Aarifi zu lasten, und so vertauschte er denn anläßlich einer politischen Meinungsverschiedenheit das Portefenille des Neußern mit jenem des öffentlichen Unterrichts, wo sein feingebildeter Geist gleichfall? ersprießlichen Einfluß übe" dürfte, Savfet-Pascha, aus derselben Schnle hervorgegangen, ein wohlmeinender, aufgeklärter Staatsmann, übernahm das Portefenille des Aenßern, welches er bereits in Aali's Tagen mehrmals interimistisch und später definitiv geleitet hatte, SavfetPascha vertrat die Pforte seiner Zeit in den Donau-fürstenthümern und als Botschafter in Paris, Husscin-Avni-Pascha hat sich auch in seiner Stellung als Großpozier bewährt und den Erwartnilgen, die man m seine Thätigkeit setzen konnte, Genüge gethan. Die streng/ Knappheit, die sich in der Dnrchführung mancher seiner Verfügungen kundgab, ist eine natürliche Folge seiner militärischen — 151 — Natur und Anschauung die eiserne Rnhe seines Wesens und sein praktischer Sinn haben sich aber auch in dor oberste« Leitung der Staatsgeschäfte nicht verleugnet und von keineut idealistischen Wolleu sich ius Schlepptau nehmen lassen. Der Eindruck von Sicherheit und Harmonischer Never-eiustimmuug zwischen Wollen und Können, den die Erscheinung deS untersetzten Mannes mit dem rosig frischen Antlitz und blüteuweißen Bart, mit dem verschwenderischen Lächeln, uud karg gemesseueu Wort hinterläßt, ist auch durch seinen Sturz uicht beeinträchtigt worden. Hussein-Pascha bleibt , einer jener ottomanischeu Staatsmänner, die der Gegenwart ihres Landes nothwendig geworden sind. Die Rnckdernfuug Mahmud Pascha's von seinem Statthalterposten nach Konstantinopel mehrte die Zeichen, das; Hussein-Pascha's Stellnng erschüttert sei. Der Conflict mit OesterreiclMngarn in der Frage des Giseubahu-Auschlusses gab deu sichtbareu Aulaß zu seiuem Sturz, der seiue Entfernung als Generalstatthalter nach Smyrna zur Folge hatte. Essad-Pascha, dessen früher Erwähnung geschehen uud der gleich seinem Vorgänger deu Reihen des Heeres entstammt, übernimmt zum zweitcu Mal das Neichssiegel; seine Bc-rnfuug stellt demnach keiueu neuen Versuch vor. Die hier besprochenen Staatsmänner bilden die Gruppen, aus welcheu sich nunmehr dien zu entwickeln. Die Paschas sprachen »lehr oder weniger überzeugend und scharfsichtig über die öffentlichen Angelegenheiten und über die Fragen des Tages. Endlich kam die Reihe an einen hochbetagten Greis, der theilnnhmlos die Kugeln seines Rosenkranzes zwischen den Fingern gleiten ließ. .Mm, Pascha Vater?" fragte der Großvezier. ,,Ia, ich bin heute über den Markt geritten und war über deu hohen Preis der Kirschen recht erstaunt, die müssen billiger werden." Ein Lächeln glitt über die Versammlung, und iu den Reihen der Diener, die im Nebengemach athemlos gespannt der Entscheidung harrten, die auch für sie Einporkommen und Neichwerden bedeuten konnte, vermischten sich die Aeußernngen des Unwillens und die Senfzer der Diener des Alten mit den spöttischen „Maschallah" der andern, noch immer zur Hoffnuug berechtigten. Am nächsten Murgen wurde der Alte als Kalnmkam iustallirt. Ein Vertrauter wollte gesehen haben, wie er verschmitzt lächelte, und gehört, wie er die Worte: ,,Das haben die Kirschen gemacht," in den weißen Bart mnrmeltc. Mit dem Niedergange des Reiches wnchs die Stellnng der Veziere und nnter der Hand einzelner leuchtete der Schimmer des Halbmondes uoch hell uud kräftig auf. Unter dicseu ragt vorerst Mühammed-Sokolli hervor, deu Suleiman seiucm Sohu Selim II. hinterlassen hatte. Es mag be- — 195 — fremdlich erscheinen, daß wir, bei der glänzendsten Epoche des Ottomanenthnms angelangt, von Niedergang sprechen, und dennoch, Nnter Suleiman, dein Prächtigen, dem weisen Gesetzgeber, dem siegreichen Eroberer, dein erleuchteten Gönner der Poesie nnd der Wissenschaften, den selbst abendländische Geschichtschreiber, und mit Recht, den ,,Großen/' nennen, streift der Beginn der Eklipse an den Zenith des Ruhmes. Es war Suleiman, der gegen das Ende seiner Tage im Interesse des kaiserlichen Prästiginms den asiatischen Branch angenommen hat, nicht mehr persönlich dein Divan Uorznsitzen, der durch die Erhebung seiner Günstlinge ein verderbliches Beispiel gegeben, dein Einfluß des Harems das Thor geöffnet, die Käuflichkeit der Aemter eingeführt und die Ausschließung der Prinzen zum Regiernngsgrundsah erhoben hat. Der Vezier Mnhammed-Sokolli amtirte in einer Weise, daß die glorreiche Epoche des Prächtigeil in die Regierungszeit seines bescheidener begabten Nachfolgers strahlend hinüber-zuleuchteu schien, wenu auch durch die Seeschlacht von Lepauto der utwmanischeu Macht ein erster Schlag beigebracht worden war. Der Verlust glich uach dem von Sokolli gebrauchten Gleichniß ,,nnr einem abrasirten Bart," und schon neun Monate später hatte die Energie des Gezicrs mit Benutzung der außerordentlichen Hülfsmittel des Landes eine neue Flotte von 259 Segeln ausgerüstet, nnd der bald darauf geschlossene Friede entriß den Christen alle Vortheile ihres Seesieges. Die Eroberuug vuu Cyperu und Jemen und andere siegreiche Unternehmungen, die Vollendung der Brücke von Tschekmedjä, der Riesenentwnrf. den Don mit der Wolga Zn verbinden, nnd dessen begonnene Ansführung, die Er 13" — 1W — richtung verschiedener Akademien und Anstalien, sind Werke des Veziers, der sich beflissen zeigte, das System Suleiman's nach dessen bedeutender Seite hin furtzusetzell nnd seine Gedanken auszuführen. Nach der Eroberung von Cypern wnrden die Einkünfte der Insel den Großvezieren zugewiesen, deren Gehalt Snltan Suleiman seines Günstlings Ibrahim wegen schon früher von 10,U00 auf 25M" Piaster erhöht hatte. Mnhammed-Sokolli fiel nach einer vierzehnjährigen Verwaltung nuter dem Dolche eines Meuchelmörders. Wir haben gesehen, daß in den Anfängen des Reiches die Vezierswürde einige Zeit hindnrch erblich geblieben war. Noch einmal sollte, sich diese Erscheinung wiederholen, nnd zwar vom 17. Jahrhundert bis ins 18. hinein. In dcr Familie Köprnli führten fünf Mitglieder das Neichsfiegcl, von denen vier zu deu bedeutendsten Grschcinnngen nicht allein ihres Landes, sondern ihrer Zeit überhaupt gerechnet werden müssen. Das Reich war in raschem Niedergange begriffen, der Staatsschatz verarmt, das Ianitschaarenheer entartet, die Anfstände an der Tagesordnung, das kaiserliche Scepter znm Spielzeug der Iutrigne geworden. Da wandte sich Sultan Muhammed IV. an Köprüli-Mnhammed-Pascha, einen betagten, wegen seiner Fähigkeiten und seines eisernen Charakters hochangesehenen Mann, nnd berief ihn zur Uebernahme des GrußveZierats. Köprüli, anstatt znzngreifen, antwortete anf diesen Ruf mit Bcdinguugen: die Zeit fei ernst, er müsse unbeschränkt freie Hand haben. Der Snltan nnd die Walidc fügten sich den Nedingnngen, und Wprüli übernahm das Reichssiegel. Ein Anschlag der Orthodoxen gegen die Derwischklöster, der einige Tage nach seinen, Amtsantritt eut- — 19? — deckt worden war, gab ihm Gelegenheit, zu zeigen, wie er es einerseits in solchen Fallen zn halten gedenke und wie er die Uebereinknnft deute, kraft welcher er die Verantwortlichkeit der Negierung übcrnummen hatte. Zwei Pascha's, Günstlinge der Watide, wurden ungeachtet der eifrigsten Fürbitten ihrer wuchtigen Gönneriu enthauptet; ein Aufstand, der bald hierauf ausbrach, wurde im Blut von 4W0 Empörern erstickt und ein griechischer Patriarch bei diesem Anlaß anfgeknüpft. Bald wurde der Name des ottomauifchen Conventsmannes nur mit Schrecken ausgesprochen. Während semer fünfjährigen Verwaltuug zählt mau 30,909 Todesurtheile. Viele Große und selbst ein Schwager des Snltans verfielen dem Beil; und doch soll Mprüli nicht vou Natur grausam gewesen seiu, sondern die blutige Strenge als Negiernngssystem geübt haben. Aber nicht allein der Henker bekam zu thun, sondern auch das Heer. Köprüli, dessen nnbeugsame Energie seinem hohen Alter trotzte nnd einem körperlichen Leiden, welches ihn verzehrte, entriß deu Venetianern Tenedos nnd Lemnos, uuterwarf das rebellische Siebenbürgen, erstickte mehrere Anfstände ili der Walachei und iu Kleinasien und schlug die Russen aufs Haupt. Auch im Innern stellte er die Orduuug wieder her, insoweit dies bei der allgemeinen Entartnug möglich war. Auf seinem Sterbebette rieth er dem Sultau, den er dem entnervenden Serailleben entrissen hatte, ,,sich keine Ruhe zu gönneil und die Truppen beständig ill Athem zu halten, sich dem Einfluß der Frauen zn verschließen und keinen reichen Minister zu wählen." Ans die Bitte des Sultans, ihm als letzten Dienst seinen Nachfolger im Pezierat zu bezeichnen, nannte rr seinen scchsuudzwanzigjährigen - 198 — Sohn Achmed, dem er vom bekannten Historiker Kara Tschelcbizade cine wissenschaftliche Vildnng geben und welchen er bis zum Augenblick seiner Vernfnng znm höchsten Staatsamt unter den Mcmas (Schriftgelchrten) hatte wirken lassen, damit dieser nicht der Kenntnisse entbehre, die ihm selber nicht zu Theil geworden. Achmed, obschun von Natnr mildherzig, setzte das System rücksichtsloser Gerechtigkcitspflege im Sinne seines Vaters, wenn auch mit sanftern Händen, sort. Er verfügte über ein vorzügliches Gedächtniß. Seine Intelligenz war breit angelegt, seine Auffassung von durchdringender Schärfe, sein Urtheil rasch zutreffend: es war ihm gegeben, ans dem kürzesten Wege die Wahrheit zu erfahren. Seine Unbestechlichkeit ging so weit, daß es genügte, ihm Geschenke anzubieten, um sciucr Guust uicht theilhaftig zu werden., Seine Erscheinung, die durch eine Mauke Hochgcstalt und regelmäßige Gcsichtszüge ausgezeichnet war, wies ciue Mischung vou tiefein Ernst uud mildem Entgegenkommen ans. Wenn er seine durchaus wohlwollenden Mienen hin nnd wieder zu einem düftern Ausdruck zwaug, so geschah dies, um den Widrrhaarigcn zu imponircn. Er war wortkarg, aber wenn er sprach, war seine Rede von überzeugender Klarheit. Seine freundliche Höflichkeit war sprichwörtlich geworden. Köprüli-Achmed-Pascha war ein Mäcen für Dichter nnd Gelehrte; die öffentliche Bibliothek ist übrigens das einzige Denkmal, welches ihn die kriegerisch unruhige Zeit, in welche sein Walten fiel, hatte errichten lassen. Von den kriegerischen Thaten, welche seinen Namen bei den Ottomanen verherrlichen, ist vor allen die Eroberung Candias zu erwähnen, ferner jene von Kaminiee nnd Lembcrg in Polen und dic von Podolien, die Entgegennahme der Suzcränetät über die Ukraine, die Auferlegung eines Tributs von 220,W!) Dukaten an Polen, Seine glänzendeil Siege bei Gran und Neuhäusel in Nugaru ließen die türkischen Strcifcolouneu bis uach Mähreu uud SÄ)lesieu ciudringeu. Wenn wir bei all diesen Vcziereu ihre Stellung nach außeu hin nicht berühren, so liegt dies daran, daß damals im kriegerischen und isolirten Otwmaueustaat die diplomatische Kunst im höhern Stil nnd insofern sie die Beziehungen zu den fremden Staaten betraf, wenig oder gar keine Beachtnng fand, und erst mit dem offenkundigen Verfall der Macht in ihre Rechte tritt; bis dahin kam das politische Talent der Ottomanen, vielmehr im Innern nnd den tributäreu Ländern gegenüber zur Anwendnng. In die Beziehungen Nchmed's zu den Vertretern der christlichen Mächte gingen die Neibnngen über, welche zwischen seinem Vater nnd der französischen Botschaft bestanden hatten, und deren Herbheit die französischen Interessen auf das empfindlichste schädigte. Als einst der französische Botschafter, Herr von Noiutcl, vou Versicherungen der Freundschaft feines Königs überfloß, eutgegncte ihm der Vezier lächelnd: ,,Es ist wahr, die Franzosen sind nusere traditionellen Frennde, nur finden wir sie überall in den Reihen unserer Feinde!" Köprüli-Achmed-Pascha wurde im Alter von 41 Jahren vom Tode hiugerafft, nachdem er 15 Jahre das Reichssiegel in einer Weise geführt hatte, die ihn beinahe einzig in der Gefchichte feines Volkes dastehen läßt. Sein Tod wurde als ein Nationalunglück empfnnden. Der Sultan gab feiner Huchachtnng für den Verstorbenen dadnrch Ausdruck, daß er anf die ihm gesetzmäßig znstehende Verlassenschaft Verzicht ^ 200 — leistete und sie ungeschmälert dessen Kindern überließ. Das Neichssiegel aber übergab er Achmed's Eidam und Iugendgefährten, Kara-Mustapha, der für da? Amt, in welchem die beiden Köprüli so große Tugenden nnd Verdienste entfaltet hatten, wenig mehr als Hochmuth, Habsucht nnd Grausamkeit mitbrachte, Seine Eitelkeit und Prunksucht änßerten sich auf krankhafte Weise und litten rmpsind-llch nuter der Schanstelluüg anderer. Als der polnische Botschafter Gninski Palatin von Kulm mit einem Gefolge von ^<»0 reichgeschmückten Reitern seinen Einzltg in Stam-bul hielt und die silbernen Hufeisen der Pferde nnr leicht anheften ließ, damit sich mehrere davon anf dem Wege verlieren tonnten, was eine Vorstellnug von dem Reichthnm seines Königs geben sollte, rief Kara-Mustauha zornkuirscheud aus: ,,Dieser Ohiaur bedient sich silberner Pferdebeschläge und hat einen Messiugschädel. Wenu er so Viele Leute mit sich führt, um Stambul einzunehmen, so find ihrer zu wenig, ist es aber um die Schwelle der erhabenen Pforte zu küssen, so sind ihrer zn viel beschmuzende Lippen. Nebrigens ist der Herr der Herren ebensowol in der Lage, 3A» Polen zu ernähren, als 3000 vou ihren Laudsleuteu, die auf seineu Galerreu rudern." So uneigennützig Köprüli-Achmed-Pascha gewesen war, so habgierig erwies sich Kara Mnstapha. Ter niederländische Resideut mußte von ihm für eine fchwere Summe die Audienz und mit 80,000 Dukaten die Erneuerung der Ca-pitulationeu ertaufcu. An Kantakuzene verhandelte er für 13,000 Beutel die Wojwodschaft über die Walachei. Die unbedeutenden Erfolge, die er hier nnd da im Felde errungen, verschwinden vor der Niederlage, die er — 201 — bei der Belagerung Wiens und uuter den Niaucru dieser Stadt erlitten hat. Wien war trotz eiuer heldeuniüthigen Vertheidigung verloren, wenn nicht die Habgier des Vcziers, der iu der Stadt beträchtliche Schätze vermuthete, ihn von' einem Gcneralsturm zurückgehalten hätte, sodaß die vereinigten Armeen des Deutschen Kaisers und des Königs Subirski zu ihrem Entsatz heranrücken und dein Halbmonde eine totale Niederlage bereiten konnten. Uebrigeus war es Kara-Mustapha vorbehalten, sich eben durch diese Niederlage im Gedächtniß der Nachwelt Zu erhalten, gleich den besten, ja mehr als mancher der besten von seinen Vorgängern oder Nachfolgern. Seine zahlreichen Feinde, darnnter die Schwester des Sultans, deren Gatten Ibrahim-Pascha er unter falschen Bcschuldignngcn als Schuld-tragenden an der entscheidenden Niederlage hatte todten lassen, erwirkten den Befehl zu seiner Hinrichtung, die iu Belgrad erfolgte. Die unter den beiden Köprüli so glänzend begonnene Negierungsepoche des Weidmanns Muhammed IV, bietet uuu das Bild eines beschleunigten Verfalls; sie schließt mit der Absetznng und Eiukerkerung des unglücklichen Monarchen, der, mag man ihn wie immer beurtheilen, deunoch das große Verdienst beanspruchen darf, daß er zwei bedeutenden Männern die Regierung übergab und sich dnrch nichts hatte bewegen lassen, sie iu ihrem Walten zu hiudcrn oder zu störeu. Seiu Bruder Suleimau II,, der die Regierung unter unheilvollen Zeichen antrat, erhob endlich Wvrüli-Mustapha-Pascha, den Bruder des großen Achmed, zum Vezierat. Eine sofortige Regelung der Finanzen und Abgaben waren seine ersten Thaten nnd ein Sieg über die — 202 — Christen bei Rosfowa bezeichnete den Vezieratsantritt des dritten Köprüli. Später schlng er dic kaiserlichen Trnppen in Ungarn nnd ernannte Tekcli zuin Fürsten von Siebenbürgen. Dnrch seine umsichtige Toleranz den Christen gegenüber errang er noch größere Vortheile für den Staat als durch die Waffen. Sein eigener Aussvruch mag seine Verwaltung charak-terisiren: ,,Scht die Folgen der Toleranz! Ich habe die Macht des Padischah gemehrt nnd Menschen, die seine Regierung haßten, gezwungen, sie zu segnen," Er regelte den Münzfuß nnd ließ die überflüssigen Wcrthgefäße des Serails schmelzen, desgleichen die seines eigenen Hauses, welche er durch Kupfergeschirre ersetzte. Als der französische Botschafter ihn bewegen wollte, dem Priuzen von Oranicu die Anerkennung als König mm England zu verweigern, entgegnete er: ,,Die Ottomanen, die mehr als einmal ihre Sultane abgesetzt haben, können andern Nationen nicht das Recht bestreilen, ihre Fürsten zu wechseln." Er wurde beim Ableben Sultau Suleiman's von dessen Nachfolger Achmed II. in seiner Würde bestätigt. Sultan Achmed soll mit selteuer Bescheidenheit erklärt haben: ,,Ich überlasse Köftrüli die uubeschränkte Sorge für den Staat, aus Furcht, daß meine Einmengung verderben köuute, was seine Weisheit schafft." Dieser Minister, dein die Ottomanen den Beinamen ,,Fazyl" (der Tugendhafte) beilegen, fiel, den Säbel in der Faust, iu der Schlacht von Salan-kcmen (1691), die mit seinem Fall verloren ging. Trr Verlust der Schlacht war für das sinkende Reich kein härterer Schlag als der Vcrlnst dieses Mannes, Der vierte Köprüli, Hussein-Pascha, ein Vetter des — 203 — tugendhaften Achmed, wnrdc von Sultan Vtustapha II,, der sich wieder als würdigen Erben dor großen Sultane aus der Nusangsepoche bewies, zum Vezierat berufen; es war nach der unglücklichen Schlacht bei Zenta. Husseiu machte sich sogleich darau, den Finanzen aufzuhelfen. Es gelang ihm ferner, mittels kleiner Vortheile, den Muth der Truppen aufzurichteu und der Energie des Sultans hinsichtlich der Vorbereitungen für einen neuen Feldzug förderlich au die Hand zu gehen. Demwch begriffen beide, daß das tief-erschöpfte Reich des Friedens bedürfe, und diefer wurdo deun auch im Jahre 1699 zu Karlowitz vereinbart uud geschlossen. Es ist hier nicht am Platze, uns des weiteren in politische Betrachtungen über diesen Friedensschluß zn ergchen, der in der Geschichte einen bedeutsamen Abschnitt sür die Stellung des Osmanenstaates darstellt. Wenn die Schlacht vor Wien die erste entscheidend nachwirkende Niederlage für die Ianitscharenmacht bedeutet, die bis dahin trotz aller inneru Fäulniß nnd Zerrüttung nnd ungeachtet verschiedener Rückschläge und Mißerfolge noch immer uach vorwärts dräugtc, so ist der Friede von Karlowitz die erste officielle Kundgebuug der gänzlich veränderten Verhältnisse. Der Schreck, den der bloße Name der unbezwingbaren Otwmaueu über zwei Iahrhuuderte hindurch iu den christlichen Läu-deru verbreitet hatte, ist protokollarisch auf die Kiuderstubc verwiesen, und auch dein unbewasfneten Ange wird jetzt die Vcrdnnkelnng des Halbmondes offeubar. Hussein-Pascha, den die Ottomanen den ,.Weisen^ nennen, zeigte sich seines Nameus nnd seiner Vordern würdig. Die Zeiten verhinderten ihn, Großes zu schaffen, und er Mußte seine Fähigkeiten zur Flickarbeit verweudeu. Er — 204 — ordnete manches in dor Verwaltung, besserte die Disciplin nnd die zerrütteten Finanzen, regelte die Seegcsetze nud milderte die Lage der Christen, Doch das Feld, welches er bebauen sollte, war schon zu sehr von Unkraut überwuchert, und er fand bei seinem Gebieter nicht dieselbe Unterstützung, wic die ersten seines Hanfes bei den ihren gefunden hatten. Die Ungunst des Sultans verkündete sich in verschiedenen Zeichen, bis sie in der Hinrichtung von Hussciu's Neffeu Ali-Bei, der beschuldigt worden war, zu eiuer Sultane in heimlicheu Beziehuugeu zu stehen, ihreu vollsten Ausdruck fand. Hnssein, tief bekünnuert und anch körperlich leidend, erbat seine Entlassung nnd starb einige Tage nachher auf feinem Landgntc bei Silivri sl.702). Der letzte Vczicr aus dieser ruhmreichcu Faniilie N'ar Köprüli-Nonmau-Pascha, ein ehrenwerther, toleranter nnd thätiger Mann, der aber im Detail der Arbeit den Ueber-blick verlor. Er kehrte vom ersten Staatsamt anf den Posten eines Statthalters für Negroponte zurück, den er bereits früher iunegehabt hatte. Indem wir die Staatsmänner ans dieser merkwürdigen Familie zum Mittelpunkt unserer Besprechung gemacht haben, glauben wir auch die hervorragendsten Persönlichkeiten ans der Grnppc von ungefähr 250 P^zieren, die seit Ala-eddin das Neichssiegel geführt, beachtet zu haben. Die Köprüli waren die einzigen Veziere, deren Familie, dem Begriff abeudlänoischer Aristokratie cutspricht. Il" allgemeinen war dieses höchste Staatsamt von Männern niederer Geburt und oft von ehemaligen Sklaven entnommen. Die Standesgebnrt hatte bei deu Ottomaucu gar keinen Werth, und galt einzig für das Regenteuhaus" und — 205 — die Tatarenkhane der Krim, die als seine Seitenlinie betrachtet wurden. Wenn dir zwei ersten Köprüli, dic cm? Stellung einnahmen, wie nngefähr jene der Majorduiuns nnter den Karolingern war, sie nicht gleich ihnen als Stnse znr höchsten Macht zu benutzen strebten, so liegt dies wol vor-nehmlich an den osmanischen Grundgesetzen und an der Anschauungsweise, daß nur eine Sprosse der Dynastie Osmau den Thron einnehmen dürfe. Die Geschichtsblätter der Epoche nach den Köprüli bis zur Reform sind unerquicklich, trotzdem die Sultane Mahmond I,, Osmau III., Mustapha III., Abdnl-Hamid nnd Selim III., jeder iu seiner Art, gntbcgabte, wohlstrebende, ja edle Fürsten waren, dereu Unglück es wollte, daß sie. in einer ver-kommenen Zeit regieren sollten. Das Reich war krank, und sie fanden Weder die nothwendige Unterstützung iu ihrer Umgebung, noch anch das Verständniß im Volke, um ihre reformatorischen Plane durchzuführen. Die Vczierc sind für die Geschichte unbedentcnd, und so wollen wir nur noch einen erMhnen, der als heldenhafter Charakter, wegen seines tragischen Schicksals nud gewissermaßen als Vorläufer der Reform beachtenswert!) erscheint. Es ist dies der Vairakdar (Fahueuträger) Mustapha-Pascha. Mustapha, Sohn eines armen Bauers, warf deu Spaten uon sich, nm mit Pferden zu handeln. Gelegentlich trat er als Soldat in die Dienste des Paschas von Silistria und schwang sich rasch znm Führer empör, bis der Reformator Selim III. dem tüchtigen Manne das Paschalik verlieh. Selim wurde wegen seiucr Rcform-bestrebung gcstürzt und iu Gefangenschaft oerwahrt. Von nnu an hatte der treue Bairakdar keinen andern Gedanken, als seiuen geliebten Herrn uud Wohlthäter zn befreien. - 200 — Der Ianitscharenhäuptling Kabaktschi-Ogln war für die Reactionsniinister des nenen Sultans vom Verbündeten bald znm lästigen Tyrannen geworden. Der Bairakdar trat mit ihnen iil heiniliche Verbindung, nm sie, wie er vorgab, vom Uebermuth des Ianitscharen zn erlösen. Es wurde verabredet, daß er sich vorerst mit einem Gefolge von 4000 Lcnten nach Adrianoftel begeben solle. Ein Vorwand war bald gefnnden und der Bairakdar erschien. Aber den 4000 folgten 13,000 andere. Das war gegen die Verabredung, und die Minister zeigten sich bennrnhigt. Der Bairakdar, ebenso schlau als verwegen, wußte ihr Bedenkeu einzuschläfern: es solle ja dein gemeinschaftlichen Feinde, dein Kabaktschi-Ogln, gelten, und der Großvezier stellt den Ferman für dessen Hinrichtung ans. Das verwegene Unternehmen glückt durch Ueberraschung, und nach einem heftigen Kampfe, welcher dem Tode des Kabaktschi-Oglu folgt, ziehen die Trnppen des Vairakdar in das wehrlose Konstantinopel ein. Der Bairakdar wirft sich demüthig zu den Füßen des erschreckten Sultans Mnstapha nieder nnd bittet um Vergebung für das, was er ohue feiueu Befehl im Interesse des Staates gethan. Der Sultan, der für Throu und Lebeu gezittert hatte, war über diese Weuduug hoch erfreut uud gewährte die Absetzung des Mufti nnd die Anflösung der Truppen, die der Großvezier und der Bairakdar erbeten hatten, uud zeichnete diesen auf alle erdenkliche Weise aus-Bairakdar, der iu Ergebeuheitsversicherungen zerfloß, erklärte, den Rückweg antreten zu wollen, sobald seine Truppen, die vor der Stadt ein Lager bezogen hatten, etwas ausgeruht wären. Der Sulta^, getäuscht uud beruhigt, gab sich nun wieder seiuem Hang für die Jagd und sonstige Vergnügungen hin. Unterdessen arbeitete der Bairakdar im — 207 — Stillen am Gelingen seines eigentlichen Planes. Eines Tages unternahm der Snltan am frühen Morgen einen Ausftng nach Giöksn. Der Vairakdar lnd den Grußvezier i,i sein Lager ein, wichtiger Mittheilungen wegen. Da warf der Bairakdar die Maske ab, ließ den betretenen Vezier verhaften, ihm das Reichssiegel abnehmen, uud zog mit seinen Truppen in Stambul ein. Die Bevölkerung, in der Meinung, der Friede mit Ruhland sei geschlossen worden, jubelte ihnen zn, und die Ianitscharenposten beim Hanptthore des Palastes, welche die Heilige Fahne erkannten, gewährten dem Pascha mit seinem Gefolge Eintritt in den ersten Hof. Das innere zweite Thor aber war verschlossen. Der Bairakdar ließ mit Axthieben darall pochen. Zitternd erschien auf der Mauer der oberste der weihen Eunuchen und fragte den Pascha nach seinem Begehr. „Laß öffnen! Wir bringen die Heilige Fahne zurück!" Zähneklappernd erwiderte der Eunuch: „Das Thor wird unr cmf Befehl des Snltans Mnstapha geöffnet." ,,Elender Sklave! Hier befiehlt Sultan Selim und kein Mustapha. Oeffuet, »der euere Köpfe den Raben." Der befehlende Ton des Bairatdar, die nnbeugsame Euergic, die aus seinem Wesen sprach, warf Verwirrnng und Todesangst unter das Hofgesinde. Automatenmäßig gingeu die Rathlosen daran, sich dem Gebot des Furchtbaren zu fügen — da erscheint Sultan Mustapha. Seine Mutter hatte ihn benachrichtigen lassen, und er war durch ein nicht abgesperrtes Seitenpfürtcheu ins Serail gelangt. Er ließ dem Vairakdar sagen: „Man suche nach Sultau Selim nnd er werde sofort erscheinen;" inzwischen hatte er die Ennuchen mit dem Todesbefehl abgesaudt, der uach eiuem furchtbaren Kampfe mit dem athletischen Selim vollzogen wurde. Nun — 208 — befahl Mustapha: „Gebt denl Pascha von Silistria seinen Sultan Selim, nach dem er begehrt," Das Thor wird geöffnet, der Bairakdar dringt ein — vor ihm liegt eine Leiche. Wie ein Kind weinend wirft sich der stutze Mann über die leblosen Reste seines Selim-Doch der Kapndan-Pascha ruft den Verzweifeludeu zum Bewußtsein: ,,Auf, Bairakdar, laß uns uicht wie Weiber weinen, sondern den Todten rächen nnd seinen Vetter-Mahmud retten!" Der Palast wird durchstürmt, und der kleine Mahmnd, deu die Henker Mustapha's sucheu, vom Bairakdar glücklich entdeckt. Mahmud wird sofort als Sultan proelamirt, der Bairatdar zuin Vezier ernannt nnd Mnstapha in das Gefängniß des ermordeten Oheims geworfen. Der außerordentliche Pomp, der bei der Beerdigung des uu-glücktichen Selim entfaltet wurde, ward durch die Theilnahme desselben Voltes erhöht, das den Lebenden geschmäht und dem Negierenden geflucht hatte, um den Hingeschiedenen zn beweinen, und durch die zahllosen Nacheopfer verdüstert, die der nene Vezier den Manen seines geliebten Herrn darbrachte. Bei seiner Installation grinsten 33 Köpfe von der Pforte des Serails, nicht zu gedenken der heimlich hingerichteten Frauen und der öffentlich erschlagenen Ianit-scharen. Eine Woche später, gelegentlich der Schwertumgürtung Sultan Mahmnd's, erhoben die Feinde de5 Vairatdar ihre ersten Anklagen gegen das Idol des Tages, Vr war zur Feierlichkeit mit einem Gefolge von 300 bewaffneten Albancfen erfchienen, während bei festlichen Anlässen niemand bewehrt erscheint nnd selbst die Ianitscharcn nichts als weiße Stäbe führen. Der Bairakdar beeilte sich, die reformatorifcheu Plane — 20l) — Selim's aufzuiuchmen. In einen« großen Rathe, zu welchem alle Provinzgolwerneure berufen werden waren, wurde die Reform des Ianitscharenheercs decretirt nnd mittels Fetva des Mufti geheiligt. Kadi-Pascha, unter Sclim Befehlshaber der ,,neueu Truppen/' führte dem Vczier 3000 Mann Unterstützung zu. Der Erfolg, der alle seiue Matznahmen bis jetzt begleitet hatte, ließ ihn die frühere Klugheit und Mäßignug beiseite-setzen, was die Zahl seiner Feinde beträchtlich vermehrte. Das Ianitschareuheer sah iu ihm sein Verderben, die Ulemas erbitterte die Mißachtung, die er für diese mächtige Gemeinschaft an den Tag legte, der Hof fühlte seinen Einfluß beeinträchtigt nnd der Sultan selbst fiug an, unter dem übermüthigen Auftreten seines Retters zu leiden. Es wird dies um so begreiflicher weun mau erwägt, daß der Bairakdar damals in einer vmi ihm berufenen Gersammluug muhammedauischer Notablen die Beschränkung der Sultausgcwalt, also eine Art Nepräseutatwsystem, als Negiernugsgruudsatz aufstellte. Der Sekretär, welcher das diesbezügliche Dokument verfaßt hatte, mußte später die Eitelkeit, seinen Namcu beizusetzeu, mit dein Kopfe büßen. Der Bairakdar, gestützt auf 20.000 blindergebeue Krieger, die er um seine Person behalten hatte, ließ den Haß kläffen und verfolgte, unbekümmert um die Gegnerschaft der Großen und Kleinen, seine Entwürfe. Er hielt sich für berufen, das Neich neu zu gestalten, und vertraute auf seineu Stern. Offen war ihm fchwer beizukommen, so versuchten es seine Feinde ans eine andere Weise. Sie veranlaßten den Ajau vou Philippopel iu Mustapha's Gouvernement Silistria einzufallen. Der Grchvezier ging in die Falle uud entsandte gegen den Ajan seine Truppeu bis auf Murad Äsendi, TUrliscke Slizzen 11, ' 14 — 210 — 6000 Mann, dir er zurückbehielt und die in verschiedenen Vierteln Stambuls Quartier hatten. Sobald er derart geschwächt war, verdoppelten seine zahlreichen Feinde ihre Anstrengungen, um in der Menge den Haß zu mehren, welcher die frühere Neigung für den Vezier verdrängt hatte. Die Warnungen seiner Freunde schlug der Bairakdar als Bedeuten der Kleinherzigkeit in den Wind. In den letzten Tagen des Rhamadan brach der Anf-stand endlich los. Der Kampf war fnrchtbar nnd hartnäckig: ein beträchtlicher Theil der Stadt ging in Flammen auf. Der Bairakdar wnrde nach einem erbitterten Kampfe durch die Uebcrmacht erdrückt nnd zum Rückzüge iu einen befestigten Thurm des Scvails gezwungen. Die Ianitscharen forderten mit wüthendem Geschrei Sultan Mnstapha, um ihn wieder auf den Thron zu erheben. Der Bairakdar warf ihnen die Leiche des Verlangten zu. Dieser Anblick stachelte die Anstürmer zur Raserei. Sie legten Feller an den Thurm und drangen auf ihren sie verhöhnenden Todfeind ein. Als er sich verloren sah, schleuderte er eine Fackel in das Pulvergewölbe und riß fallend, feine Bedränger iu deu Tod. Der Bairakdar ist ciu echt dramatischer Held, deu die Geschichtsmuse gedichtet. Er gelangt durch große Eigenschaften empor, wird vom Glück auffalleud begüustigt und findet im Vertraucu auf dieses Glück und in einer heldenhaften Selbstüberschätzung seinen Untergang, aber im Fall noch rettet er die Neformidce, der er sich geweiht hatte. Der Bairakdar war der letzte Vicekaiscr in der vollen Bedeutung des Wortes. Mit ihm wollen wir die Veziersreihe beschließen, die wir lliit dem weisen Ala-eddin begonnen haben. Gar — 211 — Mancher nnter ihnen erscheint uns als ein nothwendiges Currektiv für die Unfähigkeit des nominellen Gebieters. Unter Sultan Mahmud's fpäterer Regierung wurde das Großvezierat für einige Zeit gänzlich aufgehoben. Es ward zwar wieder hergestellt, aber mehr dem Namen nach, als in der Wesenheit, denn die Bildung eines Cabinets mit getrennten Fachministcrien nach abendländischem Vorbilde beschränkte dw Alterego-Stellung immer mehr anf die Attribute der Ministerpräsidentschaft. 14'» Per ottomanische Parnaß. Orient nnd> Poesie — Morgenland und Romantik! Das stellt sich nns als so selbstverständlich zusammengehörig dar, wie Vednine und Pferd, wie Karauane und Kameel. Der Orient erscheint nns poetisch bis in seinen Schmutz' und in seine Lumpen, romantisch bis in seine Gewebe nnd Stickereien, Farben nnd Wohlgcrüchc. Wer da erzählte, daß im Orient stets in Versen gesprochen würde, wie das in einigen Gegenden Südfrankreichs bei festlichen Anlässen geschieht, und daß die Bettler in gereimter Sprache betteln, dürfte der herkömmlichen Vorstellung kanni Gewalt anthun- Der Orient mit seinen wolkenlosen Tagen, von würzigen Brisen durchhaucht, mit seinen lauen Nächten, von goldigen Sternen durchleuchtet, der Stammboden traumhaften Wachens uud phantastischer Haschischträume, die Heimatherde weiser Derwische und räthselhafter Kalender, verkleideter Veziere uud umgitterter Odalisken, das Fabelreich der Djins und Pcris, die halbverschleierte Sphinx, das gelobte Land der Geheimnisse und Märchen, das Eldorado der Sinne, das Caftna der Phantasie: der Orient erscheint nns noch eigentlich als eine letzte Zuflucht für die gehetzte, zersetzte, ver-agiotirte Poesie. Nnd in der That Würde dies unbedingt der Fall sein, — 213 - wenn die Großartigkeit, die Gewalt der Natureindrncke die poetische Ader ebenso zur Thätigkeit anspornen würden, wie sie das Auge und die Phantasie des bildenden Künstlers anregen müssen. Im Orient wird alles zmn farbengesättigten, charakteristischen, mitnnter znm mächtigen Bilde, das Lied aber findet nnter den mondbeglänzten Linden, im Säuseln des Westwindes, am Ufer des Mühlbächleins, ja selbst nnter der einförmigen Pappelallee eine bessere Stätte als nnter den Palmen und Platanen, nnter dem Glnthhanch des Sirokko und am meergepeitschten Felsstrand der orientalischen Natur. Selbstverständlich ist hier vom typischen und nicht vom geographischen Orient die Rede. Doch ein Rückblick auf die Ueberschrift erinnert mich, daß hier weder vom Orient als Stimmungswecker die Rede sein soll, noch auch von seinem schöngeistigen Wirken, sondern vielmehr von der ottomanischcn Dichtung im Besondern. In vielen Fällen zwar werden sich die Begriffe orientalisch nnd ottomanisch wenigstens äußerlich drcken und so dem Cabinetsstil entsprechen, wenn er mit dein erstern das letztere bezeichnet; denn der Islam hat allen seinen Be kcnnern, gleichviel welches Stammes sie sein mögen, das Gepräge einer gewissen Familienähnlichkeit anfgedrückt. Selbst das alte Iran hat trotz seiner glänzenden vorislamitischen Geschichte nnd seiner frühern Knltur den nniformirenden Einflnß des islamitischen Arabiens erfahren müssen, nnd das Oslnancnthnm vollends entsteht und entwickelt sich unter demselben. Gin bezeichnender Unterschied zwischen dein Islam und dem Christenthnm, welches niemals die nationale Individualität abforbirt hat, selbst nicht während der Machtblüthe der Tiara. — 214 — Die gcsammte Bildung der Ottomanen, ja selbst ihre heutige Sprache entstand unter dem Zeichen des Buches, und mag nun ihren Vorfahren auch als Oghufeu, Ghuseu oder Kuncn ein Hauch von chinesischer Kultur augeflogeu sein, von der ihnen zugemutheten Stammverwandtschaft ist ihnen nicht viel anderes geblieben, als gewisse grammatikalische Fügnngen und der Kara giöz, ein Abklatsch des chinesischen Schattenspiels. Wo ihre Kultur nicht rein arabischem, d. i. religiösem Einfluß entstammt, schöpft sie doch an arabisch-persischen Quellen; der byzantinische Eiuflnß blieb scheinbar vermöge der Glanbensverschiedenheit ausgeschlossen, äußerte sich aber doch auch in änßeren materiellen Einrichtungen, die er dem Sieger anfdrängte. In der Dichtknnst verhält sich der Ottomane zum Perser uud Araber wie ehedem der Römer znm Hellenen; desgleichen in der SchÜnschreibekunst (denn anch diese wird nnter die Künste gerechnet), in der Vrief-stellkuust und in der Tunkunst, obschon er sich hier etwas selbständiger erweist. Das Wesen der ottomanischen Dichtknust bernht nicht auf dem Naturell, sondern ans der con-vcntionellen Formel, nicht anf dem unmittelbar Empfundenen, sondern anf dem mittelbar Vorbereiteten, nicht auf dem Impuls der Aufgeregtheit oder künstlerischeil Stimmung, sondern auf dem gesucht Bezweckten, es ist weniger aus dem Innern nothwendig hervordrängcnde Schöpfung, als beabsichtigte Nachahmung. Die persische und namentlich die arabische Poesie mögen theitweise als Natur- und Volkspoesie gelten, die ottomauischc beginnt mit religiös-didaktischen nnd mystischen Zierblüthm nnd Pflanzt sich als Hof- uud Kanzlei-Treibhauspflanze fort. Selbst die Sprache, in der sie gepflegt wird, ist ein be- — 215 — sonderes Idiom, das der Viasse des Volkes unverständlich bleibt. Ist nnn zwar in Deutschland z. B. die Poesie auch eine Zeit lang höfisch gewesen, so ist sie hier endlich doch zu den Städten niedergestiegen, wo der unter welscher Anregung gebildete Minnesang znm zunftmäßigen Meistersang überging, während die otwmanischc Dichtkunst unverändert höfisch und mil eineili stark religiösen Beigeschmack gesättigt geblieben ist. Diese Hof- und Kanzleinatnr der ottomauischen Dichtkunst bringt es mit sich, daß ihre Entwickelung nnd Blüthe mit jener des Reiches zusammenfällt, ja von ihr bedingt erscheint; sie ist der Ausdruck der geistigen Bildung und das Spiegelbild des Zustandes der Humanität im engen Rahmen der maßgebenden Gesellschaft. Wohlverstanden bezieht sich diese Blüthe und Entwickelung nicht sowol ails ihr inneres Wesen, als vielmehr auf die Zahl der Erscheinungen und auf äußere Umstände, welche sie gefördert haben. Keiner der ottomanischen Dichter tritt aus dein Kreise der theologischen Weltanschauung iu den weitern der humanistischen hinaus. Reine Lyrik ist im Garten ottomanischer Dichtkunst äußerst spärlich vertreten, nnd bei dem Umstände, daß das weibliche Geschlecht aus der Gesellschaft verbannt ist und der Begriff Minne kein Verständniß findet, fehlen auch der romantischen Lyra die zartesten Saiten, Der Mensch findet in der orientalischeu Kunst überhaupt wenig Beachtung, das rein Menschliche ist auf ein Minimum beschränkt. Die rein seelische Stimmung und der Gesühlstonflikt fehlen in der ottomanischcn Poesie gänzlich. Das ottomanische Wesen entbehrt im Allgemeinen der — 216 — Innerlichkeit, nnd ss sehr es dein Genuß der Natur auch eilten lebhaften Sinn entgegenbringt, so bleibt doch seine Empfindung dafür vorwiegend sinnlich. Zu eiuer Durchempfindung, Verdichtllng in unserm Sinne erhebt sie sich fast nie nnd nirgends. Daß die Art der Natureindrücke zu diesem Zustande beitrage, halte ich für nicht unwahrscheinlich. Der Mittelpunkt für das geistige Leben war nnd ist Konstantinipel. Ich kenne nun keine Gegend, die so wenig zum geistigen Schaffen anregt als das herrliche Gestade des Bosporus; die Sinne Werden dort gesättigt, die Phantasie wird verhindert, sich aus dem Zustande eines wonnigen Halbwacheus, den der Otwmaue mit „XM" bezeichuet, zu befreien; der Ge-dauke, anstatt sich zur Thätigkeit zusammenzufassen, zersetzt sich, uud seine Atome zerfließen in der Atmosphäre einer Art sinnlicher Mollempfindnng. Erinnerung nnd Sehnsucht, diese beiden Weckerinnen lyrischer Empfindung, sind nach Landessitte verschleiert, nnd die Gegenwart zwingt als schmeichelnde Odaliske den Sinn, sich dem Genuß des Augenblicks hinzugebeu. Die Beschaulichkeit wird leicht zur Träumerei, ohne bestimmten Gegenstand, uud die verschwommenen Bilder, die sie uns vor Augen führt, bannen uns iu so süßer Weise, daß darüber die zum Schaffeu nothwendige Objectivität verloren geht. Der ottomanische Dichter ist in erster Reihe ein Versekünstler uud Reimer. Die Form des Gedichtes ist ihm wichtiger als der Gehalt: die Wendung steht ihm höher als der Gedanke, das Bild gilt ihm mehr als die Empfindung. Die Phantasie, die in allen orientalischen Dichtungen vorherrscht, streift bei ihn: leicht an das Groteske uud die grelle Farbe, übermäßig aufgetragen, deckt oft die Zeichnung, Die Phantasie des Arabers ist beflügelt, die des Ottomanen schreitet einher mit schwerbcschuhtcm Fuß; die erstere brütet ,,Fata-Morganas" aus, die letztere chinesische Gärten. Au Gemüthstiefe und höherer Gestaltungskraft fehlt es zwar auch dem semitischen Wüstensohn, dessen Hanptstärke ans poetischem Gebiet, die scharfe Veouachtnng, der Ansdrnck der augenblicklichen Stimmnng und namentlich das haarspalterische Verstandes- und Wihspiel, — das Epigramm ist. Die ottomanischc Dichtung ist reich an Kunstarten- sie hat diese, sowie die prosodischen und metrischen Formen, uud uatürlich auch die Bezeichnungen von den Arabern überkommen, die sie ihrerseits dem Hause der Wüste entlehnen. Poesie heißt gonür (härenes Zeng), ganz so wie bei uns „Dichtung," ,,Verdichtung," jedes Distichon dvtt (Zelt). Die Hauptformen sind: Die Kassidet (Gelegenheits-, Zweckgedicht), das Ghasel, in welches die Scherki oder Türki (Gassenhauer) fallen, da» Mesnewi (Doppelgereimte), die Terdshii (cme Art von Redondillas), das Tesmin (Glosse), dns Rubijat (Qnati'ains oder Vierzeilige), das Mokataat (Brnchstücke ans den beiden erstangeführten Arten), das Moferredat (vereinzelte Distichen), das Mimaa (Räthsel), das Laghs (Logogryphon), das Maklub (Akrostichon), endlich der Tarich (Chronogramm). Der Tarich (die Zeitbestimmung) darf dem Schlnß keines Gedichtes fehlen. Die Buchstaben zeigen das Datnm au, nach dem ihnen beigelegten Zahlenwerth. Daß nach orientalischem Grundbegriff die Zeitbestimmung zngleich die Geschichte bedeutet, mag die Art der Geschichtschreibung keunzeichneu, die eben hauptsächlich Datcnsamm-lung ist. Bei der Ghaselform ist es unerläßlich, daß der Dichter — 218 — seinen Sängernamen einschalte; das Mcsncwi endigt mit dem Dichterselbstlob. Die Anforderungen der ottomanischen Prosodie an das Silbenmaß sind weniger streng als die der persischen, welche ihrerseits hinter dem Rigorismus der arabischen weit zurückstehen. Die Abwechselung von Vers und Prosa findet bei erzählenden Gattungen häusig Anwendung. Unter den beschreibenden Gedichten nimmt die Gattnng Schehrengis (Stadtanfruhr) den ersten Nang ein; sie schildert einen Vorfall, eiuc Person, oder Eigenschaften derselben, Welche die Aufmerksamkeit der Stadt verdienen. Divan (Genienvcrsammlnng) heißt eine Sammlung lyrischer Gedichte; die persische Bezeichnung Name (Vnch) wird den historischen beigelegt, aber anch der Äereinignng beschreibender Gedichte, welche den Divanen beigefügt sind: z. B. das Bnch des Schenken, das Buch der Freude, des Rathes u. s w. Wenn man die ältern Westtürtischen nnd feldschnkischen Sprachdenkmale unberücksichtigt läßt, so eröffnet zn Beginn des 14. Jahrhunderts Aaschick-Pascha (gest. 1332) den Neigen der Dichter mit einem größern mystischen Gedicht, welches ersichtlich die Einwirkung persischer Scheiths nnd Dichter beknndet. Da wir durchaus nicht beabsichtigeil, die respectable Zahl von zweitausend nnd einigen hnndert Dichtern, von denen Proben erhalten sind, namentlich anfzuzählcn, noch eine ottomanischc Literatnrgeschichte zn versuchen, so sei hier nur jener gedacht, die gewissermaßen als Meilenzeiger anf der großen Straße, nnd als Vertreter der verschiedenen Epochen cmgefehen werden können. Aaschick-Pascha war ein weiser Derwisch ans dem Orden der Mcwlewi (die Drehenden), welcher einige Dichter und als bedeutendsten den Stifter des Ordens selbst, den hochberühmten Dschelaleddin Rnnu ausweist. Der Titel Pascha, — 219 — dm or führt, hat hier nicht die Brdeutuug des politischen Rauges als Vezicr des Staates, soudcru als Vezicr im Reiche der Geister. In diesem Sinne finden wir viele Dichter, als Scheikh. Emir, Hüukiar Monarch), Schah, Sultan betitelt, und hier wiederholt sich, was wir bereits beim Dichterselbstlub bemerken konnten: die befrackten Musen-jünger sind überall im Nachtheil gegen ihre College» im Kwftau; sie müssen sich mit seltenen Ausnahmen auf mündliches oder Vertraulich schriftliches Selbstlob beschräukeu und sich, wcuu es hoch kommt, mit einem Hofrathstitel oder mit einem adeluden Ritterkreuz beguügeu. Wir werden weiter sehen, wie sich die Wagschale der Vortheile immer mehr zu Guusteu der Morgenländer senkt. Aaschick'Z dichterisches Schaffen fällt iu die Ncgieruugsepoche des weisen Sultan Orchan, des Numa der Ottomanen. Welcher Geist dcu werdeudenOsmaueustaat beseelte, dafür mag ein LobgedichtAaschick's an die Kultur zeugeu, aus welchem wir der Seltsamkeit halber einige Verse herausgreifen wollru -. Alle Formeir, wolche lcer, Sind ein Körper ohne Seele; Aller Anbau in der Welt Stellet vor die Weltcuscele. Durch Kultur wird Welt liclcbt, Bleibt sonst Form nur, seelenlose. Wissenschaft, der Seele Hauch, Ist die Seele aller Seeleu, Ohne Wissenschaft ist todt Uud Gestorbnen gleich die Seele. Durch die Wissenschaft beherrscht Meujchenseele die Sultane, Ohne Wissen Lebcu fehlt, Dieses ist ein Wort.der Wahrheit. — 220 — Nun herrschte bis zur Eroberung vou Konstantinopcl die mystische nlld religiös-didaktische Strömung vor. Dieser Zustand scheint ein Analogou zur Epoche der Klosterliterawr darzustellen, die vor und zu Beginn der Renaissance einen Hauptanthcil an der schöngeistigen Bewegung im mittelalterlichen Deutschland hatte. Aber auch hier wcrdcu uns, sobald Wir näher blicken, die wesentlichen Unterschiede sogleich in die Augen springen. Vor der Klosterliteratur hatte die nationale Volksdichtung schon eine beachtenswcrthe Thätigkeit entwickelt und neben ihr wirkten die Laien selbständig schöpferisch, während hiugegcu die gleichfalls auf Nachahmung gegründete Derwischliteratnr die Thätigkeit der damaligen ottomanischen Dichtuug ausschließlich darstellt. Unter Mohammed I., der als Herrscher den Neigen der Sultan-Poeten eröffnet, erscheint der Dichter Scheichi mit dem romantischen Liebcsepos ,Mosrew uud Schirm." Scheichi war Augenarzt. Nach dem zu urtheilen, Was die zeitgenössischen Dichter von seiner ärztlichen Geschicklichkeit zu erzählen wissen, stünden freilich alle nnsere Berühmtheiten auf diesem Gebiete nur als traurige Kurpfuscher da. Hören wir: ,,Er hatte es so Weit gebracht, daß er aus dem Auge des Muudes das Gelbe, aus dein Auge der Sonne das Rothe zn bannen, daß er die Wolken vom Triefen uud die Augen der Schönen von schelmischer Tücke der schiefen zu heilen im Stande war!" Wer vermißt sich ihm das nachznmachen? Von einen: ähnlich überschwenglichen Lobe seiner dichterischen Thätigkeit seitens der litcrarischcn Collcgeu ist uns nichts bekannt. Die Verfassung des Liebesepos, das eigentlich nnr eine Nachbildung des persischen ist, unternahm er auf Befehl des Sultans, der ihm früher schon das Dorf Tokuslü zum Lehen — 221 — gegeben hatte und ihn mich Vollendung dos Gedichtes zum Vezier erheben wollte. Schcichi starb darüber. Einige Verse aus diesem Epos mögen als Muster dicucn: Mit einem Hauch entzünde ich das All. Dein Rauch nicht weiter steint als bis zum Dach, Dem meinen sehn von fern die Himmel nach. Du bist ein Schah, begrenzt durch deine Gnade, Du bist ein Meer, beengt durch die Gestade; Ich bin ein !torn, von innen reiu und mild, Mein Wachsthum ist dir meines Innern Bild. Mit der Eroberung von Koustantinopcl durch Mohammed II. gewinnt das Reich eine feste Gestalt und mit .ihm die Dichterzunft. Von uamhafteu Erscheinungen aus der ersteu Blüthezeit der ottomanischen Dichtung stellt sich uns in chronologischer Folge zuerst Achmed-Pascha dar, den der Sultan wegeu eiuer unerlaubten Liebschaft als Nebenbuhler hin-richten lassen Wollte, aber auf eiu Gedicht hiu, welches ihm der Verurtheilte zusandte, begnadigte, um ihm später seine Würden zurückzugeben, -Nrber eiuen iu Versen gedrechselten Einfall des schlagfertigen Veziers War der Snltan so entzückt, daß er ihn» deu Muud mit Juwelen vollgestopft haben soll. Feruer ragen aus der Meuge hervor: Nedschati, Chiali uud Mesihi, Nedschati zählt zu deu bedeutenderen oSmanischcn Musageten. Eines Tages, um seiu Urtheil über die Gedichte Ahmed-Pascha's befragt, antwortete er bescheiden: Ahmed's Todte sind besser als Lebendige Nedschati's, Isa's Oesus) Himmelfahrt kündigte an den Ahmed (Mohammed). Diese Epoche weist iu Chuffi auch eiueu Naturdichter auf, der gleich uuscrm Haus Sachs seines Zeichens ein — 222 — Schuhflicker war. Chufft's Stärke lag in den epigrammatischen Pointen, z. B.: Soll der Spiegel deiner Schönheit sich nicht lrüben, So verhüte, daß nicht seufzen deine Lieben. Hamdi liefert mit der Nebersetzuug des romantischen Liebcscpos „Iussuf und Zuleicha" („Joseph ulld das Weib des Potiphar") ein Gegenstück zu Scheichi's ,,Chosrew und Schirm"; diesem folgen die Epen Suleiman-Balkis (,,Sa-lomon und die Königin von Saba") ,,Leila-3)tedjnuu", ,,Wainik-Asra" (altpersisch) und noch viele andere. Die ottomanischen Dichter treten nunmehr gänzlich in persische Fußstapfeu. Unter ihnen finden wir anch bereits zwei Dichterinnen, Ze'lneb nnd Mihri. Zeineb, die Tochter, eines Richters, blieb unvermählt und in freier Bcziehuug zu dem Dichter Misr. Dem Sultan Mohammed widmete sie ihren Divan: Schah! Die Schönheit ist Eine Gabe von drm Herrn, Und die Sonne nur Mond von deiner Schönheit, Deine Schönheit, meine Liebe, Deine Härte, meine Duldung Wachsen immerdar und sind doch Alle uier zugleich unendlich. Mihri aus Amasia gilt als die bedeuteudere uud wurde voruchmlich bekauut durch ihre licbeglüheudeu Ghasele. Auch sie blieb uuvermählt und unterhielt eiu platonisches Liebesverhältniß ,,iu Versen" mit dem schöucu Iskcuder, einem Sohn Sinan-Pascha's. Vor ihnt hatte sie der berühmte Obcrstlaudrichter Moüdsadc, als Dichter Chatinu geuaunt, geliebt. Diese Art Liebesverhältnisse, iu denen die schöngeistige Speculation oder die schünseelische Hochempfin- — 223 — dung die natürliche Leidenschaft ersetzte, oder nicht aufkommen ließ, nnd die sich wie Kornfelder ausuehnien, wo dic nberwnchernden Feldblumen die Fruchtährcn ersticken würden, gemahnen an jene übersinnliche Phantasiebündnisse, die znr Zeit unserer großen Litcratnrepoche von auserlesenen Seelen gepflegt wurden. Zum orientalischen Wesen allerdings durchaus nicht stimmende Erscheinungen! Als später noch Tschelebi Mnderris vergeblich um die Hand dieser ottomanischen Sappho warb, schrieb der Dichter Sati, ziemlich derb: Der Pascha warb um Mihn's Hand. Soll sic sich gebcn ihm zum Pfand? Soll sie nach jahrclangcm Fasten Vei ein cm Esclsmahle rasten? Der Biograph sagt von ihr: „Keines Liebesgierigen Hand berührte den Schatz ihrer jnngfränlichen Reize, und nur das ambraduftende Halsband umschlang ihren reinen Hals, sodaß sie als Jungfrau lebte und starb," Der Scheit Wefasade verdient hier gleichfalls Erwäh-nnng. Seine hervorragende Persönlichkeit, wie sein altrömischer Charakter macheu ihn zum Typus des otwmanischen Weisen jener Glanzperiode. Seine geläuterte Beredsamkeit und sein Geschick in der Musik licheu alles sich zu seiner Zelle drängen, aber oft verhielt sich seine Diogeneslanne den Mächtigsten gegenüber ablehnend, und als Snltan Vajafid ihm znr Aussteuer seiner Tochter eine beträchtliche Summe zugesandt hatte, übergab er sie einem andern Scheikh, der bedürftiger sei, als er. In diese Epoche fällt die erste Bestalluug eines Hof-dichtcrs, in der Person des obenerwähnten Sati, der den Auftrag erhielt, alljährlich drei Kassidet (Zweckgedichtc) zu — 224 — liefern; eins zum Frühliugsaufange nnd die beiden andern anläßlich der Beiramsfcstc. Sein Gchalt bestand in 2000 Aspcrn und in einem Stück rothen Tuches auf ein Kleid. Firdewsi der Lange, nicht zu verwechseln mit seinem großen Namensvetter, dem Homer Irans, schrieb das ,,Su-lcimau name" (Buch Suleiman's"). Es ist dies ein Sammelwerk murgenländischer Sagen nnd Legenden, welches nicht weniger als 360 Bände umfaßte. Man sieht, daß der altottomauische Alexander Dnmas in Bezug auf Fruchtbarkeit von dein fränkischen nicht überholt wurde; freilich sind von diesen Bänden nur 70 erhalten worden, und von diesen 70 wieder nur 7 dem Inhalt nach bekannt. Unter Sultan Suleiman dem Großen erreichen Dichter-begünstiguug und dichterische Fruchtbarkeit ihren Höhepunkt. Die Sonne des Reiches nnd der Bildung steht im Zenith. Der Lyriker Baki erscheint. Obgleich Baki nach unserm kritischen Maßstabe kaum zu den Hervorragenden im uni-verselleu Dichtergarten gezählt werden dürfte, so muß er doch immer als die alles überragende Cedcr im Dichterhain seines Volkes angeschen werden. Er ist individueller und selbständiger als die meisten seiner Genossen. Seine Kassi-detcn sind zu weitläufig, um eins derselben hier wieder zu geben; aber ein paar Verse aus dem ersten besten mögen als kleine Probe angeführt werden. Viel Silber hat die Luft auf Erden ausgestreut, Mit Blüthcnaspern ihr Geschenk an sie erneut. Vielleicht hat Drechsler Gott, indem er Himmel dreht, Die Himmclsspäne seiner Drehbank ausgesät; Damit das Wolkengeld zu Handen sei den Zweigen, Wenn sich die spmdesüchtigen erdwärts neigen. — 225 — Nun zeigt Natur ein Antlitz, froh und rein und weiß, verheißend Segen uns, nnd ihm zu Lob und Preis. Fasli schreibt das allegorisch-mystische Epos ,,Nose und Nachtigall", Chalili ragt als Elegiker hervor. Dschelili, Fikri, Sururi uud iusbesundere der frllchtbare Üamii übersetzen uud eommentiren die Meisterwerke persischer Dichtkunst. Mit ihueu wetteiferu Emri, Chiali nlld Iahia. Die Fabel und daS Thierepos halteu ihreu Eiuzug uud die historischen Epiker, 8«1ig,Ima,moä.ii (Küuigsbuchschreiber) ge-uaunt, kmumeu iu Mudc; diese letztern sind übrigens uichts weiter als Nuhnicsrepurter, Apologeten. Iu der ,,Hu!uajuu name" (,,Kaiserbuch") bietet Ali-Veißi eiu nttiibertrl)ffeues Werk Mmuauischer Prosa. Die ,,HuiuajllU uame" ist das Thierepus, welches uuter deui Naiucn dcr Fabelu Bidpai's belauut ist. Sultau Sulenuau hinterläßt uuter dem Dichteruameu Muhibbi, d. i. der freuudlich Liebende, emeu Divau. Schwert und Feder trocknen unter seiuem Scepter ilie, Siegesbotschaften wechseln mit Gesängen ab und Errungenschaften schöngeistigen Stre-bens ergäuzeu die zahlreichen Waffeutrophäeu. Es ist dies so eigentlich das angusteische Zeitalter im Lebeu der Ottomaueu. Ueberall Größe, Ntacht nnd ein blendender Glanz, der dem schärfstcu Blick Verwehrtc, wahr-zuuehmeu, wie »utter den überwuchernden Tropenblnthen die Wurzeln des gedeihlichen Wachsthums bereits zn fanleu begannen. Vor Suleiman waren anßer seiueln großen Vater, Selitn I., der die persische Sprache pflegte, wie Friedrich der Großc die französische, Sultan Bajasid II., unter dem Pseudonym Aadli, dcsscu Bruder uud unglücklicher Thron- Murad Escndi, Türlischc Skizzen II. 15 — 226 — nebenbnhlcr Dschem, und der gleichfalls tragisch endende Prinz Kurkud, dichterisch thätig. Dschem, bekannt dnrch seine Schicksale, durch die Flucht uach Frankreich und die Gefangenschaft daselbst, dnrch das Liebesverhältniß mit dem Fräulein von Sasfenaye, uud durch das Gift der Borgia, welches iu Neapel seiue Laufbahn beschloß, ist so sehr vom Zauber mittelalterlicher Romantik und Abenteuerlichkeit verklärt, daß ich mich verpflichtet halte, eine Vcrsprobe aus seinem Divan mitzutheilen, obschon er als Dichter uicht gerade zu den Koryphäen zählt: Schau die Flut, sic peitscht die Felsen, schau! Meiner sich erbarmend flicht sic, schau! Wolken weinen, weinen salz'gcn Thau Und dazwischen seufzen Donner, schau! Schmerz zerriß der Morgendämmrung Grau, Blut vergießt die Morgenröthe, schau! Der briefliche Verkehr zwischen den tämpfenden Brüdcru ist in Vcrsfurm gekleidet. Vor der Schlacht von Ieni-Schehr anwortet Bajasid dein vorher bei Brussa siegreichem Dschem ans dessen Vorschlag, als Brüder das Reich zu theilen, dnrch den arabischen Vers: Das Königsschwert trennt auch des Blutes Band, Der Sultan ist selbst Brüdern nicht verwandt. Vor einer ueueu Nnternehmnng schreibt der Prätendent, der eben von der Pilgerfahrt nach der Kaava zurückgekehrt war, an Bajasid, der ihm die Eiukünfte von Jerusalem anbietet nnd ihn warnt, noch einmal ,,den Huf seines Pferdes und den Saum seiues Mantels im Blut der Moslemin zu netzen": Daß dein Leib auf Rosen ruht, Dschem indeß auf Dornenglut, Was ist Nrsach? __ '227 __ worauf Bajasid anwortet: Da das Reich mir ward zu Theil, Daß du kränkst des Friedens Heil, Was ist Ursach? Daß du: ich bin Pilger, sagst, Und Begier nach Kronen trägst, Was ist Ursach? Es war eine goldene Zeit für die Dichter! Sie wurden hoch geehrt und reichlich belohnt. Nirgends uud niemals in Europa hat die Dichtermuse eine aufrichtigere uud ergiebigere Unterstützung uud Aufmunterung erfahren als von Seiten der ottomanifcheu Kaiser uud Großen. Während in Deutschland Dichten uud Darben, Dichter sein uud Mißachtung er-fahreu so ziemlich gleichbedeutend war und ist, und die deutscheu Höfe mit seltenen Ausnahmen sich nicht einmal zu einer platonischen Unterstützung der Dichtkunst herbeiließen, sondern auf das geistige Leben ihrer Zeit vornehm kühl herabblickteu und blicken, wie gcmz auders stand es um die Iüuger des beturbanten Apoll, wie gauz anders betrachteten die Sultauhelden, die Eroberer einer Welt, die schöngeistigen Bestrebungen! Es dürfte dirs zur Widerlegung des oft angewendeten, aber fehr beweisbedürftigen Satzes beitrageu, als ob der Islam sich der Bilduug feindlich erwiese, da gerade die Blüthczeit des Islam bei den Ottomanen mit der Pflege der Bilduug zusammenfällt. Schon der Vater des Eroberers Murad II., der sich vom Thron iu die philosophische Beschaulichkeit «ach Maguesia zurückgezogen hatte, versammelte zweimal wücheutlich ,,die Ritter vom Geist" au seiuem Hose, uud belohnte die Ergebnisse ihrer Wettstreite mit Ehreukaftaus und kostbaren 15* — 228 — Geschenken. Er selbst versuchte sich in Versen. Sein grußer Sohn, Gründer zahlreicher Schulen, besoldete 30 Dichter, berief fremde (persische) Gelehrte nnd Dichter cm seinen Hof und warf dem großen indischen Gelehrten Chudscha Djihau sowie dem persischen Dichter Dschami Pensionen von je 1000 Dnkatcn aus. Für damals ein fürstliches Einkommen! Seine Nachkommen, Aajasid II., Sclim I., Suleiman der Große, nnd dessen Sohu Selim II., traten in seine Fußstapfen, eroberten Königreiche und beschützten und pflegten dabei die Muse ihres Landes nnd ihrer Zeit. Auch in der folgenden Epoche des ersten Stillstandes im Osmanenwachsthnm, dcu erst wieder Sultan Murad IV. (gest. 164,0) förderte, zählte dieser sowol als seine Vorgänger, Osman II., Achmed I., Mohammed III. und Murad III,, unter die Dichter uud Mäeenatc. Charakteristisch für den Geist des damaligen ottomanischeu Hofes ist der Briefwechsel in Ghasclenform zwischen Murao IV. uud seinem Großuezier, als dieser im Felde wider die Perser stand; die Pflege der Form war ill Fleisch und Blut aller Gebildeten übergegangen. Uud die Großen des Reiches ahmten die Monarchen nach. Der Vezier des Eroberers Mahmud-Pascha, als Dichter Adeui (der Gdcuische) genanut, baute Schulen und besoldete Lehrer nnd Schiller. Jeden Donnerstag lnd er die Dichter zu sich zur Mahlzeit ein. Das Hauptgericht, Pilav, war mit Erbsen ans Silber und Gold gemengt. Der Wahlspruch des Hauswirthes War: ,,Wem das Glück hold ist, dem kommt das Gold von selbst in den Muud." Der Schutz und die Pflege, welche diefe Sultane und Groh-Würdenträger den Knnstbestrebuugeu ihrer Zeit augedeiheu ließen, wareu nicht etwa ein dem Schein dargebrachter __ 229 __ Tribut, oder das Ergebniß einer Fürstenlaune, nein, diese kaiserlichen Mäcenate und Dilettanten waren es ans Bedürfniß nnd mit Freude an der Sache. Diese gewaltigen Kriegsmänner, deren Gisenfanst mit dem Schwertknanf verwachsen scheint, deren Hanpt von Weltherrschaft tränmen nmßte, hatten in der Brust ein glühendes Bedürfniß nach Vcrschönernng des Daseins und nach Nahrung für ihren Geist, Daß die Dichtkunst blühen konnte, während das Reich in beständige Fehden verwickelt war, dürfte zum Theil daran liegen, daß diese Kriege nicht wie in Deutschland das Land berührten und verwüsteten, sondern auswärts und nach außen geführt wurden; eine Erscheinung, die sich in Frankreich nnter Ludwig XIV. wiederholt. Aus dem Nachsommer der ottommnfchen Literatur unter Murad IV. leuchtet Nabi als beachteuswerther Steru hervor, desgleichen Nefii, bekannt wegen seiner Satiren, die ihm endlich das Leben kosten sollten. Seine etwas zotigen Spottgedichte, die er Schicksals-ftfeilc nannte nnd fast gegen alle Großen abschnellte, zogeu ihm deren Haß zu. Als Murad IV. diese Satiren las, schlug der Blitz dicht vor ihm uieder. Er sah darin ein Zeichen des Himmels, zerriß sie nnd entfernte den Dichter ans seiner Nähe. Später ließ ihn der Oroßvezier in der Holzstätte des Serails erwürgen. Der Tschammsch, der ihn hinrichten sollte, sagte zu ihm: „Komm, komm, Nefii, wir gehen ins Holz, aus dem du Schicksalspfcile geschuitzt hast." „Verfluchter Türke/' erwiderte Nefii, „willst du Knüppel auch witzig sein?" und ergoß sich in Schmähungen wider den Vczicr. Er starb mit einer Satire ans den Lippen. Die Epoche des Niederganges der Macht war vom Ermatten der Dichterbegüustignng nnd der Dichtung gefolgt' — 290 — Nenner gibt es zwar noch immer in großer Zahl, auch dichtende Blaustrümpfe, wie Ssidki und Am, aber ihre Thätigkeit artet mehr und mehr in Spielerei aus: unter den Großen zwar findet die Kunst noch immer Förderer, wie Ibrahim-Pascha und später Raghib-Pascha; aber die hin und wieder aufflackerude Leuchte verbreitet kein volles Licht mehr. Es wurde bereits früher bemerkt, daß die ottomanische Dichtung, den Hof- und Kanzleikreisen entsprossen, in der besonderen Sprache dieser Kreise geschrieben, blos für das Verständniß derselben berechnet ist. Dennoch finden wir auch Ianitscharendichtcr und Bänkelsänger (8onurai Ihre Lieder sind theils kriegerischen, theils erotischen, hin uud wieder auch religiösen Inhalts; die letzteren sind im Geiste der Derwische Bcktaschi verfaßt, deren Orden man als eigentlichen Ianitscharenorden ansehen kann. War doch sein Stifter, Hadgi-Bettasch, bei Gründuug des Ianitscharen-Heeres betheiligt gewesen. Die Liebesliedcr siud entweder rein sinnlich nnd heißen dann Koschasch, d. i. Nmarmnng, oder aber Maani (Sinngedichte), wenn sie zarterer Natur sind und eine verborgene Bedeutung enthalten. Die Maani dürften ursprünglich Glossen über Worte der Blumensprachc gewesen sein, Gelcitreime, die den Blnmensendnngcn an Hareme beigegeben waren. Als Koryphäe dieser Bänkelsänger, die zur Zeit des mit Ianitscharenhcrrschaft gleichbedeutenden Verfalls eine gewisse Nolle spielten, gilt ein gewisser Kör Oglu, der 8ellU8,rknUn d8on6lalü88i (Rebell der Dichter) betitelt wnrde. Ein Choragctc dieses Sängerchores, Ssanii, hat die Namen der bekanntesten Bänkelsänger in einer Liedersammlnng angeführt, die Tekcrleme, d. i. Schwuugrad, genannt wird. — 231 — Zu Ende dos !8. Jahrhunderts erscheint noch ein Dichter von einiger Begabung in Ghalib und ein Sultaudichter im unglücklichen Reformator Selim III. Allch seine Nichte, Heibetullah Sultan, Schwester Sultan Mahmud's, pflegte die Poesie, uud Leila Chatuu, die Tante des Reformministers Fnad Pascha, errang eine gewisse Popularität, aber diese wie die spätern ermunterudeu Beispiele und Uuter-stützungeu konnten den Niedergang der Dichtknnst uud das Schwinden des allgemeinen Sinnes dafür nicht aufhalten. Die Reform vollends ist der Kuustpflege nicht förderlich. Der Umschwung, den sie auf fast alle» Gebieten vom heimischen Angeborenen iudas augeeignete Fremde mitfich gebracht hat, die vorwiegend politische uud praktische Thätigkeit, zu welcher sie alles Strebeu hiuleukt. läßt keiueu Raum für die Pflege vou Zierblütheu. Das Studium der Kulturspracheu des Orients tritt in der hentigen Türkei immer mehr zurück vor der Nothwendigkeit, sich die abendländischen anzueignen. Die neue Geueratiou ist vertrauter mit Lafontaine, Mou-tesquieu und Vietor Hugo als mit Baki, dem Ottomaueu, Hafus, dem Perser, oder Motenebbi, dem Araber; die prak-tifche Richtuug riickt ihr deu Ehrgeiz uäher, für die Iledaetioil eiuer diplomatifcheu Note Auerkeunung zu siudeu, als für die Verfassung eiuer Kassidet. Auch der Orieut verliert seine Poesie. Leipzig. Druck von Alexander Cdclimum,