FM^^7^ ^M^^^ TschelM^Glinge. Böhmische Wanderungen und Studien vun Dr. Richard Andrcc. Mit einer Gpvachcutarte Biibmeus, Viclcfcld und Leipzig. Verlag von Belhagen ck Klasing. 1872. Tschechische Gänge. Böhmische Wanderungen nnd Stndien von I)l'. Richard Attdree. Mit cincr Sprachenkarte Böhuiclls, Mieleseld und Mpzig. Verlag von Belhagcn ck Klasing. 1872, Inhalt. Seite Vorwort, Strcifzügc durch Dentsch Böhmen.........1 Tctschcn. — Wic die Gegend germanisirt wurde, — Die böhmische Nordbahn, - Die Eisenbahnen und dic Nationalitäten. — Holzarchitectur. — Das dcntfche und das slavische Wohnhaus, — Böhmisch Kanmitz. — Das Bier ni,d die Tschechen. — Die Deutschen und die Industrie Böhmens. — Die Glasindustrie. — Haida, — Versöhmmgstabor im Bezirk Weihwasser. — Tschechische Studenten, — Schembcrc, nnd Licbclt, Unisturz der beschichte, ^ Böhnüsch!l!eipa. — Der Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen. — Leiden der deutschen Sprache. Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet .... 38 Feststellung der Sprachgrenze seit dem dreißigjährigen Kriege. — Beispiel, wic dic Gcrmanisinmg durchgeführt wurdc (Chotjcschau), Die Deutsch Böhmen sind wesentlich Abkömmlinge deutscher Einwanderer. — Deutsche und tschechische Schädel. — Sprache grenze mn 17^ „^, Phrosinns. — Gebiet der Deutschen und Tschechen. — Gemischte Ortschaften an der Sprachgrenze. — Schwankungen an der Sprachgrenze. — Beraun und Karlstcin . . 57 Eine Stcllwagcnfcchrt von Prag uach Beraun. ^ Beranncr Spießbürger. — Tetin. — Sonderbare Reliquien. — Die Burg. — Marschall vou Bassompicrrc. — Nillas Wnrmsers Malereien, — Die itatharinatapelle. ^ Der Thurm, — Die Kreuzlapelle, Nachbildung der Grabtapelle im Titnrcl. — Der Maler Thcodorich, — Die St. Wcnzclstronc ilnd was damit zusammenhängt. — Verwüstung der Burg, — IV Seite Die Tscheche» und die Schule...........88 Die Schulbildung bei den Deutschen und Slaven in Preußen. — Schulbildung bei den verschiedenen Nationalitäten Oester reichs. — Niedriger Zustand nnter den österreichischen Slaven, — Schulbildung in Böhmen; höherer Znstand bei den Deutschen. — Ocrmanisirung der Schulen Böhmens unter Joseph II. — Tschechisirung in der Gegenwart, — Sprachenzwanggcsch von !W5. — Trennung des polytechnischen Instituts in Prag. ^-Die Prager Universität uuter dem Gesichtspunkte der Tschcchi-sirnng, — Urtheil des Russen Pigorow üd« delitschc Hochschulen. — Instand der Volksbildung in Rußland. — Slavische Aunectirnngcn.............106 Das Althiittencr Eisenwerk nnd der sronnnc Knecht Fridolin. — Ännettirte Irländer, — Anatrcou ein Slave. — Jan Kollars altslavischcs Italien. — Die Hansa ist slavisch. — Die Bam berger Tschcrncbog-Wtzen, — Tvmmasino von Modena. — Glnck nnd Karl Maria von Weber sind Tschechen. — „Gott erhalte Franz den Kaiser" eine tschechische Melodie. — Die Tschechen haben die Buchdructcrknnst crfnndcn. — Die Slaven haben Amerika entdeckt. — Bvhnslauv uon Hasscustcin nnd Kaspar von Sternberg, — Wenzel Hollar, — Bclisar ein Slave. ^ Die Reformation ist slavischen Ursprungs. — Die Tentschcn haben ans geistigem Gebiete gar nichts geleistet, — Hnsitischcs nnd Kirchliches.............128 Die Hnsiten in Swata. — Trennung der tschechischen nnd dentschcn Protestanten. — Nationaler Charakter des Hnsiten-thmns. — Deutschenhaß des Hus. — Vtodcrnc Hnsitcn. — Icsllitcnhetze. — Katholizismus und Hnsitisnms, — Hllsfeicr. — Eine russische Stimme über den nationalen Hns. — Der tschechische Landgcistliche und seine nationale Wirksamkeit. — Der alte slavische Gottesdienst nnd neue Bestrebungen für den selben, — Tfchechisirung der Budweiscr Diözese. — Juden und Tschechen..............146 Verbreitung der Juden unter Romanen, Germanen und Slaven. — Starke Vermehrung der Indcn. — Verbreitung der Juden in Böhmen. — Semiten nnd Indogermanen. — Znr Geschichte der Inden in Böhmen. — Der böhmische Dorfjude, — Die Juden nnd die Sprache. — Judenhaß der Tschechen, — Hetze^ V Seite reien der tschechischen Presse, ^ Der Piibramcr Silbcrdicbstahl. Die große Indenhetze 1866, — Der Adel lind seine Herrschaften..........1,^4 Gcrmanisirung des tschechischen Adels. — Feudale Interessen, — Sittcuschildcruug des alteu Adels nach Cheltschitzky, — Untergang des uatiuualeu Adels 1620, — Der ucuböhmischc, kosmopolitische Adel. — Wie die Schwarzcubcrg nach Böhmen kamen. — Das Compagnicgeschäft mit den Tschechcu. — Charakteristik des heutigen Adels. — Der Großgrundbesitz. — Wald und Wild. — Das Proletariat auf den Herrschaften. — Die böhmischen Beamten. — Nachtheile der Latifundien, — Der slauiscke Genius und der Großgrundbesitz, — Die Unsicherheit nnd die fahrenden ^cute iu Böhmen . , 2M ^'andtagstlageu über Unsicherheit nud Pagaboudircn in Böhmen. — Der Großgrundbesitz nnd die Proletarier. — Alte Klagen über tschechische Robbeit, — Konrad Ccltes nnd die Tschechen. — Wie Professoren insnltirt werden, - - Abraham a Santa Clara's Urtheil, — Prager Flamcndr. — Tic tschechische Presse uud der Pöbel, — Statistik der Verhaftungen in Prag, — Wallfahrten. — Zigcuucr. — Slowaken. — „Komediauti". — Das tsckcchische Marioncttenspicl vom I),'. Faust. — Nationale Kleinstädter.............229 Die nationale Vewcgnng anf dem platten ^ande. — Böhmen und das Stadtewescn. — Physiognomie der tschechischen ^and^ stadte, — Die Gesellschaftsklassen. — Vcreinvwescu. — Tschechische "Natwnaltracht". — (iinc Bcscda. — Tschechisch oder Böhmisch? Pauslavistischc Auklaugc, — Renegaten, — Wechselbeziehungen der dentschcu nud tschechischen Sprache. — Tschechische Dörfer und Bauern..........256 Physiognomie der Dörfer. — Die Felder uud il?rc Bewirth schaftnng, — Einfluß des deutschen Ackerbaues. — Folgen der Leibeigenschaft. — Chalnpcn. — Bei einem Gemeindcvorstand. — !l!icht nnd Schattenseiten. — Musitliebe. — Tschechische Naiionaltäuzc. — Vorwort. Von allen den Kämpfen der Nassen und Stämme, die noch mit geistigen Waffen anf Oesterreichs Boden ausgcfochten werden, deriihrt nns Deutsche iin Reiche keiner näher, als jener der Dentschen nnd Tschechen in Böhmen nnd Mähren. Mitten hinem-gefchoben in »infer ^and ist das Kampfgebiet: Schlesien, Sachsen, Bayern begrenzen es, zahlreich find dic Verbindungen herüber, hinüber; bis vor fünf Jahren noch bildete Böhmen einen Theil dcs deutschen Bnndes. Seme Geschichte ist tief verwoben mit der uufrigm; von deutschen Kaisern, denen Böhmens Fürsten tributpflichtig waren, erhielten die Herrscher des Landes die Königs-würde; oft war die Krone Böhmens nnd jene des heiligen römischen Reiche deutscher Nation auf einem Haupte vereinigt; das Erbmuudfchcnkenamt gebührte Böhmens Fürsten. Von Böhmen ans hat mehr als ein großes geschichtliches Ereigniß seinen Schatten oder sein Ächt auf Deutschland ausgebreitet, hier begann der dreißigjährige Krieg, hier erglänzte auf blntiger Wahlstatt Deutschlands neuer Stern hell und frendig. Mit siecht nennt der Tscheche das ^aud ein irdische,» Para dies. Ja, fehlte der Mcusch, aus Herzensgrund würden wir VIII Vorwort, einstimmen, — aber dcr Frieden des Paradieses, hier ist er nicht zu finden, hier erfüllt nnr Haft und Zorn, schmerzhaftes Aufschreien, wildes Kämpfen und Ringen, Herrschsucht und rohes Vergcwaltigungstreiben des Menschen Brust. Hier sind die Begriffe „Eintracht" und „friedliches Zusammenwirken" völlig zu Schcmdeu geworden, hier giebt es kein Gebiet des meuschlicheu Wissens und Könnens mehr, auf dem die beideu das ^and bewohnenden Stämme noch gemeinschaftlich wirken. In Kirche und Schule, im politischeu und socialen Leben, auf dem Gebiete des Handels und der Gewerbe: Trennung, Haß, Kampf! Was den einen befriedigt, beleidigt den andern, — kein Ausgleich erscheiut, so wie jetzt die Diuge liegen, möglich, kein ersprießliches Nebeneinander ist denkbar, — bis die Gewalt gesprochen haben wird. Wer, wie der Verfasser des vorliegenden Buches, längere Zeit in Böhmen gelebt, und versucht hat, mit ^and und beuten sich vertraut zu macheu, der wird sich gesteheu müssen, daß wir Deutschen teiue bittereren, uuversöhulichereu Feinde besitzen, als die Tschechen, deren Treiben sich nicht etwa gegen die Deutsch österreicher allein richtet, sondern gegen das ganze deutsche Volk, die heute deu Franzosen eiu Memorandum vorlegen, in welchem der Plan zur besten Zertrümmerung Preußens erörtert, morgen, wenn die österreichische Idee unter ihueu iu Mißcredit kommt, an eine Umwandlung Böhmens in ein russisches Bollwerk denken. Beiträge zur Kenntniß jenes Feindes zn liefern, dcr als vorgeschobener Ast des Slaventhnms mitten uuter uns sitzt, die Kämpfe, welche das Deutschthum iu Böhmen besteht, zu schildern und diesem unter den Deutschen des Reiches neue Freunde zu werben, ist der Zweck meiner Schrift. Eiu Hervorragelider Deutschböhme Vorwort. IX hat den Verfasser einmal für einen verkappten Tschechen gehalten, das will sagen: ich habe mich bestrebt, so weit es ging, unparteiisch zu sein und anch die Lichtseiten der Tschechen anzuerkennen. Oenn aber, wie in der Gegenwart, das Treiben der Tschechen immer maßloser, ihre Vergewaltigungssucht immer schroffer, das Mißbrauchen der mit Hilfe der Ultramontane» und Feudalen erzielten Majorität immer ungerechter wird, da wird es zur Pflicht, diesem Gebahren ohne Zögern scharf gegenüberzutreten. Der Vorwnrf der Halbheit wird mich daher wohl nicht treffen. Ueber die befolgte Rechtschreibung slavischer Namen bin ich noch einige Bemerkungen schuldig, die um so mehr am Platze sind, als, je mehr lM uns mit slavischen Dingen beschäftigen, desto unerquicklicher die Anarchie und Verwirrung in der Orthographie slavischer Wörter im Deutschen wird. Es hat dies seinen Grund in zweierlei Ursachen, einmal in der großen Unbekanntsckaft mit den slavischen Sprachen, die bei uns überhaupt vorhanden ist, dann wieder darin, daß die slavischen Sprachen mehrere eigenthümliche ^aute haben, die dem Deutschen fehlen uud mit unsern Schrifrzeichen nicht wiederzugeben siud. Dazu kommt noch, um die Verwirrnng voll zn machen, daß die einzelnen slavischen Völker unter sich verschieden schreiben, ganz verschiedene Schriftzeickcn anwenden. Ich ziehe es nnn vor, wo slavische Wörter in ihrer Originalform vorfommen, wo Citate angeführt werden, diese auch nach slavischer Weise zu schreiben, wie wir englische oder französische auch ja überall in ihrer eigenen Schreibart wiedergeben. Wenn hier und da einmal der Accent vcrsanmt wnrde, so ist dieses für deutsche ^eser ohne Bedeutung. Im Verlaufe der übrigen Darstellung aber kann ich mich nicht entschließen, die X Vorwort. slavisckc Schriftbezeichnung da zu wiederholen, wo eine gleich-wcrthige deutsche vorhanden ist. Dieses bezicht sich auf folgende Laute. Uuser tsch ist tschechisch und wendisch ö, polnisch v/. Die Aussprache ist hier wie da vollkommen dieselbe. Ich schreibe also nicht öechm oder gar Czechen, sondern Tschechen. Ebenso verhält es sich mit unserm scharfen sch, für das die Tschechen 5, die Polen ^ setzen; daher ist zu schreiben Schumawa, und nicht ^umava (Böhmerwald). Feruer setzt der Slave das Zeichen «, wo unser z steht, und beides ist gleichwcrthig. Das slavische x dagegen stellt ein weiches s vor, und ist, um eiue falsche Aussprache zu verhüten, auch so wiederzugeben. Welche Inconscqucnzen entstehen nicht daraus, daß man, wie gewöhnlich im Deutschen, das ^ der Slaven in unsre Schreibweise überträgt! Häufig wendet man es sogar falsch an, schreibt Czar, was gesprochen werden müßte Tfchar; währeuo dieses Wort für Kaiser, aus Oue«t«- entstanden, slavisch lüui- geschrieben und Zar gesprochen wird. Anders liegt das Verhältniß bei der Wiedergabe solcher slavischer Wörter, die Laute enthalten, für welche wir im Deutschen keine Zeichen besitzen. Dahin gehört zunächst 5. Dieses ist der weiche sch-Laut, welcher der deutschen Sprache fehlt, aber im Französischen vorhanden ist (ftuulii», M-äiii). Schlötzer schrieb diesen Laut in seinen: Nestor lck, und Manche sind ihm gefolgt, man kommt aber hiermit aus der Schwierigkeit nicht heraus und wird durch das englische 8k verleitet, ihn wie sch auszusprechen, was falsch ist. Erman, im Archiv fiir wissenschaftliche Kunde Rußlands, schrieb das französische ^ nur cursiv, um es von nnserm ; zu unterscheiden, was auch seine Schwierigkeit hat. Lepsius in Vorwort. xi seinem 8tauäaicl ^.Ipii^dot (London 1855) behielt die Bezeichnung des ö bei, und damit überwindet man alle Schwierigkeiten. Ganz falsch aber wäre es, diesen Laut durch das dentscke sch wiedergeben zu wollen, wie man z. B. ans starten findet Zchebrat statt Atidruk. — Das tschechische i-, polnisch i'/, ist ein weiches, zusammengezogenes rsch, läßt sich aber durch dieses nur im Auslaut gleichwerthig im Deutschen bezeichnen (Hirsch) und muß daher für An- und Inlaut beibehalten werden. Wer es nicht sprechen kann, möge es durch einfaches i' wiedergeben, wie es anch in den übrigen slavischen Sprachen geschieht. Dieser i-Laut ist übrigens erst ziemlich spat in die tschechische und polnische Sprache eingedrungen. — il im Tschechischen, aber nicht häufig vorkommend, ist gleich dem spanischen, nasalen n; ä' nnd t' bedeuten ,h uud t,j. — ö ist ie, doch gesondert gesprochen und dnrch „je" wiederzugeben. — Das tschechische ü wird doppcllantartig zusammengezogen, wie ou, au, oder auch u gesprochen. — Noch ist zn erwähnen, das; man bei russischen Namen, die auf mv endigen im Deutschen, uach dem Vorgange der Franzosen, ein ott' setzt; also Dcmidoff statt Dcmidow. Das ist gänzlich falsch. Denn einmal kennen die Slaven keine Doppelconsonanten, und dann tritt im Genitiv sofort der vv-Laut hervor, wenn anch das lriea/ ward vernichter, was elwa schon von Glasindustrie sich in Böhmen entwickelt hatte. Immerhiu kouute es sich aber nur um die Vernichtung von Anfangen hier handeln. Erst zu Anfang des 1 !< Iahrhuuderls fam in den abgestorbenen Industrie zweig wieder nenes ^'ebeu, indem in der Gegend von Haida und Vürgstein sich die Glasraffinerie einbürgerte. Dieses Verdienst, den Werth des Rohprodnttes durch kunstvolle Arbeit um das zehn-, ja vierzigfache zu erhöhen, gebührt also ausschließlich der deutscheu Arbeit. Von dem Gesammtwerth der Produktion Oesterreichs an Glaswaareu entfällt die Hälfte — 10 Millionen Guldeu — auf Böhmeu. Von diesen 10 Millionen Gulden entfallen etwa ? Millionen auf die Arbeit und uur 3 Millionen Gnldeu auf das Rohprodukt. Die Glasindustrie hat für Oesterreich eine um so größere Bedeutung, weil sie nicht uur den eiuheimischeu Bedarf deckl, fondern beinahe ein 18 HtreifziM in Deutsch Vöhmeu, Drittel der Erzeugung an das Ausland absetzt uud zwar in stets steigender Menge. Auf Vöhmen kommt fast die Hälfte sämmtlicher Glashütten der Gesammtmouarclu'e. Eingeführt wnrde die Glasrafsinerie dort von Vcnetiancrn, die in Böhmen alle Bedingnngen der Glaserzengnng in hohem Maße vereinigt fanden, denn die ausgedehnten Waldungen lieferten Brennholz und Pottasche; der vorzüglichste Quarz fand fich in unmittelbarer Nähe von feuerfestem Thone. Die gelehrigen Arbeiter Nordböhmens hatten ihren italienischen Meistern bald ihre Kunstfertigkeit abgelernt und die billige Arbeitskraft machte es den Glashändlern Böhmens bald möglich, mit Erfolg auf dem Weltmärkte aufzutreten. Die Geschichte, wie das deutsch-böhmische Glas im Auslande bekannt wnrdc, ist eine höchst interessante uud verdient als ein Beispiel von Unternehmungsgeist nnd wie aus lleiueu Anfängen großes sich entwickelte, hier Erwähnung. Um 1700 wohnte zu Plottendorf Kaspar Kittel, ein unternehmender Glasschleifer, der vuu den zahlreichen Scherenschleifern, die von icuem Orte hcmsirend in die Welt zogen, vernommen hatte, daß sie „draußen" nnr selten Glasgefäße angetroffen hätten. Das war genng Anregung nnd nnn bepackte er die Karreu der fortziehenden Scherenschleifer mit Glaswaaren; diese traten ihre Touren au und als sie heimkehrten, hatten sie Kittel's Waaren alle mit Vortheil abgesetzt. Dnrch die günstigen Erfolge des kleinen Anfangs ermuthigt, ließ Kittel jetzt ganze Frachtwagen mit seinen Erzeugnissen beladen, die namentlich nach Muebnrg und Hamburg gingen, wo sie nach Rußland verschifft wurden. Kittel's Schwiegersohn, Rautenstrauch, reiste dann nach Portugal und Spanien, wo er mit großem Erfolge das böhmische Glaswaarengeschäft begründete. Iu den Niederlanden, Dänemark, Italien, der Türkei und Polen entstanden nach und nach böhmische Glasnicderlagen und die fremden Regierungen bemühten Streifzügc in Deutsch-Böhmen, 19 sich, böhmische Glasmeister in ihr ^aud zu ziehen. Der berühmte portugiesische Minister Pombal bot 1500 Gulden für die Beschaffung eines solchen. Ein österreichisches Patent verbot aber 1752 das Auswandern von Glasarbeitern; mau setzte eiue Prämie von'24 Gulden auf das Anhalten solcher Arbeiter, die ins Ausland gehen wollten und erhöhte im Jahre 1761 diese Prämie auf 100 Guldeu. Durch solche kindische Mittel glaubte die Regierung sich das Monopol erhalten zu töunen. Natürlich nützte das Verbot uicht im Geringsten und ie größer die Gefahr bei der Auswanderung war, desto höhere Preise wurdeu im Auslande zugesichert, desto lockender wurde das Auswandern. Und in der That verschwanden bald in dieser bald in jener Fabrik einzelne Arbeiter, ia es zogen cigeue Ageuten im nördlichen Böhmen herum, um böhmische Glasmacher anzuwerben, weß-halb sich die Regierung veranlaßt sah, für die Entdeckung eines „Rädelführcrs und Anwerbers" eiue Belohnung von 100 Dukaten auszusetzen. Gingeu nuu auch viele ius Ausland und verpflanzten dorthin die Glasmacherkunst, fo blühten die deutsch^böhmischeu Städte Haida, Bürgsteiu, Gablonz u. s. w. doch mächtig auf. Zu Begiuu unsres Jahrhunderts aber, als die französischen Kriege Alles brach legten, die Kontinentalsperre ihre Wirtuugeu äußerte, verfiel der böhmische Glashandel. Aber nur bis zum Jahre 1825 dauerte der Verfall uud nun konnte Böhmen wieder vom Auslaude, das sich unterdessen emporgeschwungen hatte, lernen. Die meisten Erfindungen in der Glasindustrie wurdeu eingeführt, und hierdurch die Erzeugung vervollkommnet, die Produktionskosten vermindert. Seit dieser Zeit datirt die Berühmtheit der feinen böhmischen Glaswaarcn, indem Reinheit des Krvstallcs, geschmackvolle Form, kuustreiche Schleiferei, Graviruug und Malerei im vorzüglichen Grade erreicht uud durch die ursprüngliche venctiauische Kuust, alle Farbcu dem Glase mit-zutheilcu, ein neuer zu vielfachen Erfinduugcu führender Zweig dieser 2* 20 Strcifzügc in Deutsch-Böhmen. Industrie begründet wurde. (Ueber die Geschichte der Glasindustrie in Böhmen vergl. Mitth. des Vereins fiir d. Gesch. o. Deiltscheu ill Böhmen, I. 18 nnd IV. 101.) Trotz mancher Schicksalsschläge nnd erfolgreicher Concurrenz hat diese deutsch-böhmiscke Industrie sich doch noch auf ihrer Höhe zu erhalten gewußt, und die kleinen Orte, die wir hier alle mit einem Blick von den basaltischen Höhen überschauen können, haben ihre Häuser in der Levante nnd Amerika. Hinter Steinschönan wird die Gegend ,Mnnitzisch". Durck prächtige Tannenwälder führt die Straße bergab nach Haida. Sie ist vortrefflich gehalten, trocken, staublos und eben wie ein Tifcd. Freilich der Basalt, der hier überall, oft iu fchöneu Säulen abgesondert, zu Tage steht, ist ein uuübertreffliches Schotterungsmaterial. Der Anblick der nnten liegenden Landschaft mit dem fruchtbaren Tbal gclände nnd den daraus hervorragenden vereinzelteu Bergen, mit den Silberfäden der kleinen Gcfließe, den zahlreichen Dörfern uud Slädt-chen ist ein entzückender. „Schwager, leg' den Hemmschuh au, daß ich recht mit Behagen das Bild iu mich anfnelnuen darf'/' So mußte ich unwillkürlich ausrufen, als wir den Berg hinabrollten. Doch wer darf in diesem geprüften ^ande von Behagen sprechen, wer hätte hier Zeit landschaftliche Schönheiten zu bewundern! Die Zeit muß ausgefüllt werden mit politischen und nationalen Gesprächen, die dei dem ewigen Wechsel der Verhältnisse, dei der fieberhaften Unrnye, welche Hoch und Niedrig, Alt uud Jung hicr durchzieht, vollkommen am Platze sind. Unterwegs stieg ein Mann in den Postwagen, der vom „Ver söhuuugstabor" in Weißwasser kam, 6r war auch eine von den gnt müthigen deutschen Naturen, die den Tschechen noch geglaubt hatten: es sei ihnen ernst mit dem Ausgleich — einer von den schwankenden Halben, der nun wenigstens ganz geworden war. Weihwasser liegt im Bunzlaucr Kreise; der Norden des Bezirks ist deutsch, der Süden Strcifzttgc in Dcntsck Bölnneu, 21 tschechisch. Dort also war günstige Gelegenheit, inn die „Versöhnung" ins Werk zn setzen. Einige Tschechen nut deutschen Namen, einige kurzsichtige mißbrauchte Deutsche stellten sich an die Spitze des Ausschusses, und das Bolt ward zusammengerufen. „Vu've deutsche Landsleute!" so hatte mau plötzlich die „Fremdlinge" (oi^oxLnici) angeredet, „wir meinen es ehrlich, wir wollen in Freundschaft und Frieden mit ench leben; aber die Declaration und mit ihr die Wenzelskrone und den Generallandtag und alle die andern schönen Rechte müßt ihr anerkennen." Das war der Ausgleich, den man vorschlug, und der anf die völlige Unterwerfung der Deutschen hinauslief. Da nun eiuige der deutschen Bauern eingestimmt, so war der „Ausgleich" gemacht, nnd nnr die bösen deutschen Führer, diese Verführer, waren schnld daran, wenn nicht Frieden nnd Freundschaft wiederkehrte. Also weiter nichts, als Annahme der tschechischen Declaration, wurde gefordert; man muthete den Deutschen die Aufgebuug der Verfassung, zn, nnd ertheilte ihnen dafür die gnädige Versicherung, daß mau sie nun nicht verjagen werde. Die Durchsetzung der tschechischen Förde-ruugen aber bedeutet einfach rohe Vergewaltigung alles Deutschen, Sprachenzwang und Tschechisirung. Es ist kein- Verlaß auf die Worte uud Versprechuugeu der Tschechen gegenüber den Deutschen; sie haben — dafür spricht die Geschichte bis anf dicfen Tag, von den ältesten Zeiten au — stets den Schelm im Nacken gehabt; sie haben stets, sowie sie in der Mehrheit waren, die gewaltthätigstcn Slaoi-sirungsmaßregeln durchzusetzen versucht — Eprachenzwanggesetz, völlige Tschechisirung der Schulen iu gemischten Städten, wo sie die Mehrheit hatten — nnd dabei verlangen sie vom „Ränbervolt" Vertrauen. Es ist keiu Verlaß auf die Tfchechen. Wir werden noch mehr davon reden. Mein neuer Reisegefährte war auch gründlich enttäuscht. „Sehen Sie," sagte er, „gerade im Weißwasserer Bezirk hat man 22 Strcifzügc in Deutsch-Böhmen, uns Deutschen Übel mitgespielt. Der Bezirk zählt 16,900 Eiuwoh-ner, und darunter gegeu <>000 Deutsche. Man sollte nun denken, daß diese, die mehr als ein Drittel der Seelenzahl ausmachen, auch ein Wörtchcn mitzureden hätten. Aber nein! Als die Bezirksver tretung vor Kurzem (1870) die Geschäftsordnung feststellte, da be-schlosi die tschechische Mehrheil, daß die Verhandlungssprache nur die tschechische sein solle — und das nenuen sie Gleichberechtigung. Ja, als ein Deutscher in seiner Muttersprache reden wollte, da wurde ihm das Wort entzogen mit der Bedeutung: hier dürfe nnr tschechisch geredet werden. So steht es dort, und diese Vorfälle, die den Heuchlern die Maske abreißen, haben mich veranlaßt, nach dein Tabor nun nichts mehr von deu Tschechen zn erwarten." Es wäre zu wiiuscheu, daß alle Halbschurigen, deren es m Böhmen leider noch genug giebt, auf diese Weise curirt würden. Die Vertrauensseligkeit, die hie und da noch nntcr den Deutscheil herrscht, ist der schlimmste Feind ihrer selbst, und wird von deu Tschechen nnr gar zn gern ausgebeutet. Zu obigen: Beispiele des Aufzwmgcns der tschechischen Sprache tömucu loir aber aus dem Osten und Westen, aus dem Süden nnd Norden des Landes leicht noch ein Dutzend Parallelen beibringen, welche alle beweisen, wie ein unwiderstehliches Vergcwaltignttgsgelnste in den Tschechen lebt. Unter solchen Gesprächen nnd Betrachtungen langte ich in Ha ida au. Es läßt sich nicht viel von dem Städtchen sagen. Anck hier stehen hinter allen Fenstern die herrlichsten Glaswaaren, mischen sich Holz- uud Steingebäude, und zeigt die Kirche dieselbe geschmacklose Renaissance wie in Böhmisch-Kamnitz. Aber Haida zeigt, was die deutsche Industrie iu Böhmen zu schaffen vermochte. Im Beginn des vorigen Jahrhunderts stand hier noch ein ärmliches aus ackt Hütten bestehendes Dörfchen. Die Freiheiten, welche dann Graf Kinsky dem Orte verlieh, um ihn Zu heben, waren Veranlassung, Strcifziigc in Deutsch-Atthmen. 23 daß von Langenan und Plottendorf Glaslliacher sich dort niederließen. Dadurch erhob sich Haida — ein gitt deutscher 9tallic nebenbei be^ merkt — zu einen: der vorzüglichsten Sitze des böhmischen Glashandels. Durch Maria Theresia wurde 1757 der Ort zur freien > Schlitzstadt erhoben und mit ansehnlichen Privilegien begnadigt. Der Himmel hatte sich umwölkt und ich mußte im Gasthof Unter-lnnft suchen. „Ah, endlich!" rief ich fast freudig überrascht aus. Bisher hatte ich nur deutsche Laute vernommen, ansgenommen, daß ein paar Mausfallenhändler ill Kmnnitz mich tschechisch angebettelt — jetzt aber standen drei echte Blastenci, Patrioten, vor mir. Es waren Prager Stu^ deuten, die, auf einem Ansflng durch das nördliche Böhmen begriffen, wahrscheinlich von der dort herrschenden Stimmung sich unterrichten wollten. Diese wareu „echt", darüber tonnte kein Zweifel auf^ kommen: die Tschamara lind der ^i/la^Stock bewiesen es. Da ich diesmal nicht in das tschechische Gebiet kam, so beschloß ich mit den Vertretern des großen Zukunftsvolkes Vekanntfchaft zu machen; habe ich mich doch stets gern mit ihnen beschäftigt, uud kann ich eine gewisse Anhänglichkeit an sie nicht länguen. Ich ließ mich belehren, und da die Herren Stndiosen wohlbewandert lind gegen einen Deutscheu aus dem Reiche nicht übermäßig mißtranisch waren, anch gnt deutsch sprachen, so erfuhr ich manches wissenswerthe. Ihnen schwebte die Zukunft des Landes in glänzendem Scheine vor; schon glühte das Morgenroth; im Zenith des großen Slaveutags aber — so meinten sie — würde die russische Sonne stehen. Die germanisirten Elb-slaven waren ihnen besonders ans Herz gewachsen, und sie träumteu von einer Revindication des deutscheu Osteus. „Ihre dcutscheu Geschichtschreiber haben einiges Gute Zu Tage gefördert," so äußerte sich herablassend einer der Jünglinge; „indessen sie trifft der große Porwurf, dasjenige meistens nicht zu beachten, was unsere Gelehrten veröffentlichen. Wo z. B. hätte einer Ihrer Professoren sich ge- 24 Streifzüge in Tcntscb Böhmen, müssigt gefunden, die deutsche Geschichte auf Grund der epochemachenden Arbeit Schembera's nmzugestalten?" Ich gestand meine Uu-wissenheit ein, und bat um Aufklärung, die mir auch bereitwillig und mit ancrkennenswerther Beredsamkeit zu Theil wurde. Nach Schembera^) nämlich — so vernahm ich — haben seit Urbegiun die Slaven im größeren Theile Deutschlands und Illyriens gewohnt. Was die römischen und die griechischen Geschichtschreiber von Markomannen, Tueven und Quaden berichten, bezieht sich nnr auf die Slaven, keineswegs auf keltische oder germanische Völkerschaften. Dadurch, daß dich von Schembera nachgewiesen wurde, schob er die slavische Geschichte auf germanischem nnd illyrischem Boden nm volle fünf Jahrhunderte zurück. Nach ihm gab es slavische nnd deutsche Sueven, eben solche Baudalen, Vongobarden, Gothen, Burgunder:c. Nach diesem tschechischen Gelehrten reichten die Slaven von der Schweiz bis znr Ostsee und vom Rhein bis zur Wolga. Deutsche gab es überhaupt nur in Niedersachsen, im Nordwesten uuseres Vaterlands. Alles übrige ist zur größeren Ehre der Slaven von Hrn. Schembera aunectirt. Ich war angenehm überrascht und dankte für die Belehrung. „Und die Slaven, meine Herren," fragte ich bescheiden, „hat man über deren Ursprung nichts neues erforscht?" Hier nun erhob sich ein Zwiespalt. Während zwei der Studiosen dabei beharrten, daß mit Schembera deren Ursitze in den eben bezeichneten Grenzen zu suchen seien, schwor der dritte auf Vie bell. „liebelt? Ich muß abermals meine Unkeuntniß gestehen, würden Sie nicht die Güte haben, mir Aufkläruug über dessen Ansichten zu ertheilen?" Uud nnn erfuhr ich das allerinteresfanteste: nämlich, daß die Slaven gar keine *) 2)cv Xitd bey cnriojcn 2ikvtcö lautet: Z.ipatlni Slovane v pra-veku 11. f. tc. Sepsal A Šomliora. Sien 18G8. Streifzlige in Deutsch-Böhmen. 1>5 Slaven, sondern linmittelbare Nachkonnnen der alten Hellenen seien, wie dieß Liebelt gleichfalls in einem epochemachenden Werk^ nachgewiesen habe. Jetzt schwindelte nur im Anblick dieser modernen Hellenen, und die wuchtigen ^iikatöpfe anf den klnoten-stocken ließen in mir trübe Ahnungen von Abenteuern »vie anf dem Felde von Marathon aufsteigen, wo edle hellenische Banditen harmlose Reisende überfielen und abmetzelten. Ich athmete leicht anf, als ich im Wagen faß, der anf der Straße nach Böhmisch-^eipa hinfuhr. Die frifche Luft vertrieb den Schwindel, nnd ich hatte Zeit, über diefe nene historifche Schule nachzudenken, die, ein ztind des nationalen Uebereifcrs, sich neben gediegeneren Forschern wie Gindely, Palazky und Tomel eingenistet lind die Wissenschaft mit Rückficht anf die slavifchen Bedürfnisse der Gegenwart zurcchtschneidet. Je näher wir Böhmisch-Vcipa kamen, desto lebhafter wurde es auf der Chaussee. Bon allen Seiten strömten Wagen nnd Menschen der freundlichen Stadt zn, von dercm Rathhansthnrm eine schwarz-rotl^gelbe Fahne flaggte. Das dentete sckon von fern anf eine Festlichkeit, nnd iu der That fand heute, am ersten Pfingsttage, die dritte Wanderversammlnng des dentscheu Gcschichtsvereins für Böhmen hier statt. (Iß70.) Die ganze Stadt war auf den Beinen, die Turner, die Schützen, die Gesangvereine, die Feuerwehr, die Bäter der Stadt — alles war bereit, um seine Verehrung einem wissenschaftlichen Berein darzubringen, der sich große Berdienste um das Deutschthnm in Böhmen erworben, und die Anmaßungen der Slaven anf historischem Gebiet in die gebührenden Schranken zurückgewiesen hat. Aus allen Theilen ^ Dic Abstammung dcr Süivcn, Etymologisch nachgewiesen nnd bc-Nutzt als Hülfsmittel zur leichteren Erlernung der griechischen Sprache ?m slavische Schiller, Prag, l««l«. 26 Streifzüge in Deutsch-Böhmen. des zerstückelten deutschen Gebiets in Deutsch-Böhmen zogen sie ein, die wackern Männer, die im unablässigen Kampfe für deutsche Art und Sitte ihre besten Kräfte opfern, und denen Dank dafür gebührt, daß sie dem Dcntfchthum jenen Boden in der Ostmark bewahren und erhalten, welchen ihre Väter durch ihrer Hände und ihres Geistes Arbeit dem germanischen Stamm gewonnen. Und die Städte, die nicht heute hier vertreteu waren, sie sandten wenigstens anf tclegra-phischem Weg ihre Grüße, nnd alle zusammen bekundeten, daß sie in erster Vinie Deutsche seiu und bleiben wollten, und daß diesen: Interesse alle andereu sich unterzuordnen hättcn. Männer der Wissenschaft, Professoren, Industrielle, Beamte, Landtagsabgeordncte bildeten den Kern der ansehnlichen Versammlung, welche der tanm WW Einwohner zählenden Stadt ein sehr verändertes Ansehen gegeben hatte. Gegenüber den kleineu Orten, iu denen die Holzarchitcktur noch vorherrscht, bietet Leipa ein ganz anderes Ansehen. Wohl ist sie freundlich und sauber mit wohlgepflasterten Straßen, guten Wirthshäusern, aber dabei nüchtern modern. Denn 1787 ereilte anch sic das Schicksal, dem alle umliegenden Städte Böhmens nicht eiugangen sind — sie brannte vollständig nieder. Nur die frühgothische Petersund Paulskirche erscheint als der einzige Punkt, welcher iu architektonischer Beziehung erwähneuswerth ist — alles übrige bietet geringes Interesse. Jener Brand, der nnr wenig verschonte, er veranlaßte die zweite Zerstörung der Stadt — ihre erste aber war ein Werk der Hllsiten im Mai 1426. Sic ermordeten, was da Leben hatte, plünderten und zerstörten nach ihrer Art — aoprocwvoi-unt ot ui-tiina, psr ißiwm consninpsoi-unt, schreibt der Chronist. Böhmisch-.Veiva war gänzlich in einen Trümmerhaufen verwandelt, der selbst den Tschechen nicht mehr einladend zur Niederlassung erschien; die Impotenz derselben konnte sich hier, nachdem die Deutschen aufgestanden, nicht mehr zu Tische setzen; denn selbst etwas zu schaffen Strcifziigc in Deutsch-Böhmen. 27 ist jener Art nicht, nur wo sie gedeckte Tafeln finden, da vermögen sie sich zu behaupten. Leipa aber erhielt — Dank dem, daß es nur ein Trümmerhaufen war — wieder eine deutsche Bevölkerung, es wurde vun den Dentschen wieder erbaut, und ist somit eine von den seltenen Städten Böhmens, die von Anfang au bis heute deutsch geblieben sind. Sie ward den königlichen Städten gleichgestellt; ader Wallenstein machte tabula i-aZa, nut ihren Privilegien, um welche die deutfchcu Bürger männlich kämpften. Der deutsch e h i st o r i s ch e V creiu, dessen Wandervcrsammlnng in Böhmisch-Leipa stattfand, verdieut es wohl, daß ich bei ihm verweile. (5r ist einer der Centralpuntte dentschen Bebens in Böhmen, von dem aus wacker der Kampf gegen das übermüthige Tschechenthnm geführt wird. Prags wissenschaftliche Institute, namentlich das böhmische Nationalmnseum, waren in der letzten Zeit ganz in die Hände der Tschechen gerat heu oder standen doch uuter deren Einflnß, nnd dienten somit der slavischen Partei Böhmens. Den Deutsche», die fortwährend von den Tschechen als „geduldete Kolonisten" und „fremde Eindringlinge" bezeichnet werden, deueu mau alle Verdienste nm das Land abspricht, die nur Jammer und Hioth über die Tschecheu brachten, ihnen fehlte bis vor kurzem eiu wissenschaftlicher Sammelpunkt, in dem sich die Bestrebungen für das Dentschthnm des Bandes, welche nicht anf politisches Gebiet fielen, concentriren konnten. Diesen galt «s,-zu schaffen, nnd als in den Jahren I860 uud 180 l durch das schou damals maßlose Gebahren der Tschechen anch das National-gefühl der Deutschböhmen erstarkte, da war der richtige Zeitpunkt gekommen, und der Verein für die Geschichte der Deutschen in Böhmen ward am 16. Mai 186^ in Prag begründet. Der leider zn früh verstorbene Historiker Anton Kohl aus Schlaggeuwald war cs, der den ersten Impnls gab, nnd sich um die Gründling des Vereins bedeutende Verdienste sammelte. Hervorragende Männer, wie 28 ^treifzüge in Dcntsch-BiHincn. Professor Constantly Höfler und Professor Birgil Grohmann, widmeten der Sache ihre besten fräste. Das Hanptverdienst nm den Perein nnd die ganze deutsck-historische Richtung Böhmens erwarben sich jüngere Männer, wie Schlesinger und ^'ippcrt, deren erfolgreiches Wirken bereits weit über die engen Grenzen Böhmens hiuaus An-erkennnng gefunden hat. Man legte eine Bibliothek und Sammlungen an, und begann die Geographie, die Dialekte, die Ortsgcschichte, die Ethnographie nnd allgemeine Landesgcschichte Dcntsch-Böhmens zn bearbeiten. Tie Theilnahme unter den Deutscheu war eine überraschend große, und schon nach einjährigem Bestehen zählte der Verein gegen 2000 Mitglieder. Andere historische Vereine haben es leichter, als der Verein für Geschichte, der Deutschen in Böhmen; sie können sich mit ihren wissenschaftlichen Forschungen beguügeu, sie brauchen nicht auch auf dein nationalen Kampfplatz zu erscheinen, wie der genannte Verein. Gleich bei seiner Entstehung fiel die gesammte tschechische Presse über ihn her, man fand es anmaßend, daß die Deutschen in Böhmen auch eine Geschichte haben wollten — dort waren sie ja nnr geduldet, ihre Geistesarbeit um das ^,'and galt nichts; unberücksichtigt blieb, daß sie es wareu, welche Böhmeu seine blühende Iudnstrie gaben, nnd überhaupt durch ihren germanischen Cnltureinflnß die Tschechen zu den geistig am höchsten steheuden nuter den Slaven erhoben. Die Geschichte, die ^ehrmcisterin des Bebens, ist es, die als Warnerin nnd getrener Eckhard anftritt nnd den Deutschen in Böhmen znrnft: auf ihrer Hut zu seiu gegen die Nachbarn im Lande. Da sind nur wenige Perioden, in deuen die Tschechen es nicht versucht, mit roher Gewalt die überlegene Cnltursprache zu verdrängen, uud durch ihr auf engen Ranm beschränktes Idiom zu ersetzen. Unter den Vortragen, die auf jener Wanderversammlung gehalten wnrdcn, ist es einer von allgemeinem Interesse, der besonders fesselnd war. Ztrcifzügc, in Deutsch-Böhmen. 2s) dessen Mahnungen und kehren den Dcutsä)en zeigen, wessen sie gewärtig sein tonnen,' wenn es den Tschechen gelingt, in Böhmen am Ruder zn bleiben. Der vordiente Historiker I)i. Schlcsingcr sprach über die beiden der deutschen Sprache in Böhmen. Es war im Zwölften, dreizehnten nnd vierzehnten Jahrhundert, daß nnter dem Schutze der heimischen tschechischen Herrscher das Dentschthum in Böhmen sich in herrlichster Blüthe entfaltete nnd ein freies deutsches Bürgerthum sich entwickelte, das als treuer Bundesgenosse der ,^rone den feudalen Ädei bekämpfen half. Ein freier deutscher Banernstand hatte sich allmälig, namentlich in den Grenz-districteu, festgesetzt; Handel nnd Gewerbe, Wissenschaften und Künste wurden von den Deutschen im ^ande geübt, und mit einem Worte das politische wie sociale ^eben Böhmens von dentschem Geiste durchdrungen. Die dcntsche Sprache herrschte unbedingt in allen Städten des Bandes. Der König, der Junker, dcr Bürger, der Mönch, der emphvteutische Baner sprachen deutsch; die slavische Landbevölkerung trachtete in die dentscken Städte anfgcnommen zu werden, nm so frei zn sein, wie der Dentsche es war. König Wenzel der Erste selbst gehörte zn den deutschen Minnesängern, scin Sohn Ottokar der Zweite zog sich wegen seiner Hinneignng zu den Deutschen den >>iß nationaler Geschichtsschreiber zu. Da aber die Herrscher daei Bürger^ thnm zn sehr begünstigten, richtete sich der Haß der Adeligen gegen dasselbe. Von ihnen ging die nationale Reaction aus. Schon unter Ottokar dem Zweiten strenete man das Gerücht aus, der König wolle alle Tschechen vertreiben und das ?aud mit lauter Deutschen besetzen. Noch ärger schrie man unter Johann von Luxembnrg über die Fremden, über die Rheinländer nnd Schwaben, lind anf dem Landtage in Tans 131« wußten die herrschenden Junker einen Beschlnß dnrchzusctzen, der den König verbindlich machte, alle Rheinländer nnd Gaste aus de,m Königreiche zu entfernen, nnd nie 30 Strcifzüge in Deutsch-Bühmcn. mehr einen Ausländer in irgend einem Amte zn befördern, sondern sich nur in allen Fällen des Raths der Tschechen' zn bedienen. Der Sprachenzank wurde noch in demselben Jahre eröffnet, als die Königin mit einem Sohne niederkam. Die Angehörigen wünschten das Kind „Heinrich" zu tanfen. — Unmöglich! schrieen die Herren von Lipa nnd Waldck, die Führer der Iunkerpartei, unmöglich darf der böhmische Prinz einen deutschen Namen bekommen; Prenwsl oder Ottokar, das allein seien passende Namen für einen Tschechen. Schon 105>5> hatte Herzog Spytihnew einmal die Austreibung der Deutschen befohlen; Sobeslaw der Zweite hatte 100 Mark Silber für einen Schild voll deutscher Nasen geboten; 1260 war von Seiten des Adels eine Metzelei gegen deutsche Bürger angestiftet worden. Das Alles waren aber nur kleine Vorspiele gegen die husitischen Metzeleien des Aöka und Genossen. Die rohe Grausamkeit dieser fanatischen Banden, welche gegen „Philister, Idumäer und Moabiter" zu Felde zogeu, fiudet kaum eiu Nebeustück iu der böhmischen Geschichte, nnd die in Deutschland noch landläufige Ansicht, welche die Husiteu für reine Glanbenshelden nimmt, ist nicht genug zu beklagen. Das deutsche Element der Städte, die Blüthe und der Reichthum des Landes wurden theils ganz ausgerottet, theils so geschwächt, daß es sich nie wieder erholen konnte. Damals sangen die Tschechen das Lied l>wva proä U8tmi, das Lied von der Schlacht bei Außig, iu welchem es heißt: Gott sci gedankt! O preiset ihn! Er hat uns Hülfe und Ruhm uerliehn, Die Deutschen, dic Dcntschcn zu schlagen Und alls dcm ^audc zu jagen. Auch nach der Husitenzeit wurde in derselben Weise fortgewirthschaftct, — mit dcm freien deutschen Aürgerthum war es nun freilich vorbei, aber das tschechische Volk hatte auch seinen Lohn empfangen: es ge- Streifzüge in Deutsch Böhmen, 31 rieth in die drückendste Leibeigenschaft seiner Barone. Trotzdem wnrde munter fortgehetzt von Seiten der hohen Herren, die, obgleich Innkcr vom reinsten Wasser, von den heutigen demokratischen Tschechen voller Bewnndernng angestaunt werden. Als 1611 Graf Dohna den Ständen dic Botschaft des Kaisers iu dentscher Sprache verkündigen wollte, erhob sich tnmultnarisch der Rnf: „In Deutschland sei deutsch, in Böhmen aber tschechisch zn reden". Das war noch glimpflich, wie weit aber der Sprachenhaß ging, erkennt man aus einem Wunsche des alten Herrn von Pernstein, dein man hinterbracht, eiuer seiner Söhne habe dcntsch gesprochen und der nun äußerte: „Sein Sohn möge lieber bellen wie ein Hnnd, statt in deutscher Sprache zu reden."*) Von den herben Schlägen, welche das Deutschthum im fünfzehnten Jahrhundert in Böhmen erlitten hat, vermochte dasselbe sich niemals ganz wieder zu erholeu. Die deutschen Städte, welche als Sprachinseln im Innern des Bandes dastanden, waren für immer verloren für die Deutschen, für immer verloren war jedoch auch für dicfe Städte Kraft, Ausehen, Reichthum, Vürgerstolz und Bürgersinn; sie sind seitdem kaum eiu Schatten dessen, was sie einst waren. 5) Ein Beispiel von hellte wird zeigen, daß dic Tschechen noch gerade so wie vor ,l()0 Jahren denken. In der tschechischen Zeittmg „Politik" vom 14, März 1871 sncht ein Herr Ferdinand Naprstek — der Mann heißt eigentlich Fiugerhnt, schont aber ansta'ndigcrweise seinen deutschen Namen und gebraucht dafür lieber die tschechische Uebersctzung — zwei Lehrlinge für seine Brauerei mid Schankwirthschast. Zn dieser Anzeige macht cr folgendes ^sL,: „Die Kenntniß der deutschen Sprache wird von diesen zukünftigen Lehrlingen nicht verlangt, weil wir in Böhmen solche Hohl köpfe, die zumeist cms Preußen kommen, wie z. B, Prof. Linker, in den österreichischen Staaten nirgends gebrauchen können," Nir übersetzen sagt dazn ein deutsch böhmisches Blatt, wörtlich und sind für den schlechten und abgeschmackten Styl nicht verantwortlich. Herr Ferdinand Naprstek lcmn sein uix deutsch, aber auch nix logisch „in Böhmen" jetzt „in den österreichischen Staaten" gut verwerthen, 32 Streifzngc in Deutsch ^Böhmen, Zwei Jahrhunderte lang war die delltsche Sprache in Böhllien nun in Acht und Baun gethan. Es gab km, freies dentsches Bürger-thmn mehr, der feudale Junker herrschte im Lande. Die Landes-orduung des Jagellouenlönigs Madislaw fizirte dann den Untergang der deutschen Sprache auf gesetzlichem Wege. Jeder Deutsche war vom Amte ausgeschlossen, bei Gerichte durfte, mir tschechisch verhandelt, alle Einlagen der Landtafel mußten nur tschechisch abgefaßt werdend Ferdinand der Erste, Maximilian der Zweite gaben ähnliche Landes-, ordnnngen heraus. Rudolph der Zweite verhielt sich schwach — es waren Habsburger. Damit ist Alles gesagt. Um aber der deutschen Sprache gänzlich Herr zu werden und sie für ewige Zeiten alts Böhmen zu verbannen, erließen die Stände einen Landtagsbeschlusi im Jahre 1615, in welchem es heißt: ,,^on der Zeit dieses Beschlusses an soll tünftig uud für ewige Zeiten keiu Ausländer, welcher der tschechischen Sprache nicht kundig ist, und sich in derselben bei den Gerichtshöfen nicht auszudrücken vermag, zu einem Einwohner des Landes uud zum Bürger einer Stadt angenommen werden. Ein solcher Ausländer, der nach Erlernung der tschechischen Sprache endlich das Bürgerrecht in irgend einer Stadt erlangt hat, soll, sowie auch seine Kinder, nichtsdestoweniger zn teinem öffentlichen Amte gelangen könueu; erst seine Enkel sollen als eingeborene Böhmen betrachtet und der Vorrechte der Landeskinder theilhaftig werden. Tanu soll in den Pfarren, Kirchen, Schulen, wo vor zehn Jahren in tschechischer Sprache gepredigt und gelehrt wurden, dieser löbliche Gebrauch fortgesetzt werden, wo aber jetzt ein dentscher Pfarrer oder Schulmeister vorhauden ist, dort soll nach seinein Tode ein tschechischer Pfarrer oder Schulmeister angestellt werden. Wer immer sich uuterstchen würde, in einem solchen Ortc in deutscher Sprache zu lehren oder zu predigen, der soll eine Strafe von 15 Schock böhmischer Groschen erlegen. — Weil Streifzüge in Deutsch-Böhmen, 33 man in Erfahrnng gebracht, daß einige Personell, sowohl höhern als niedern Standes, unter einander bei ihren Zusammenkünften nicht die tschechische, sondern eine fremde Sprache reden, welches eine Vcr-achtnng ihrer eigenen Muttersprache andeutet nnd zur Schande der ganzen Nation gereicht, so sollen diese Leute, wenn sie die tschechische Sprache reden können nnd doch in ihrem Vorhabeil fortfahren, in Zeit von einem halben Jahre das Land ränmen, bis dahin aber als Störer des allgemeinen Besten betrachtet uud keiner Borrechte und Freiheiten der übrigen Einwohner von Böhmen theilhaftig werden. Ferner, nachdem einige Einwohner der Präger Städte einc Gemeinde, die sie die dentsche nennen, unter einander errichtet haben, in diesem Königreiche aber man zu allen Zeiten von keiner andern, als von der tschechischen Gemeinde weiß, so sollen alle diejenigen, welche sich zn der genannten deutschen Gesellschaft oder Gemeinde bekennen und dreist genug sind, in ihrem Borhaben zu bcharreu, mit der oben bestimmten Strafe belegt und gezüchtigt werden!" Es ist nicht nöthig, über diese Beschlüsse etwas Weiteres zu sagen; man erkennt aus ihnen den unverfälschten Geist des Tschechen-thulns. Durch die Schlacht am Weißen Berge 1620 wurde diesen Zuständen ein Ende bereitet. Die Dentschen, die nun wieder massenhaft das Land besiedelten, erhielten durch die Ferdinandische Landes-ordnuug die freie Ausübung ihrer Sprache vor Gericht, in der Schnle und der Kirche. In unsern: Jahrhundert erwachte das Tsckechcnthum zu neuen nationalen Kraftäußernngen, die sich nicht auf dem Gebiete der Cnltur, wie des geistigen Aufschwungs überhaupt geltend machten, sondern im wüsten politischen Getreibe und roher Untcrdrückungssucht. Schon 1865 wnrde ein Sprachenzwangsgesetz vun der tschechisch-fendalen Mehrheit erlassen, das die kaiserliche Sanction erhielt und decretirte: es müsse jeder Dcntsche das Tschechische erlernen, weil — man staune! R, Andrec, Tschechische Gänge. 3 34 Streifzüge in Deutsch-Böhmen. — jeder Tscheche das Deutsche erlernen müsse. Das war tschechische Logik. Weil man als Tscheche in der Welt mit dem Idiome des kleinen Tschechenvolks nicht fortkommt, dazu des Deutschen bedarf — ergo muß der Deutsche tschechisch lernen. Das ist Logik. Dieses schändliche Gesetz, welches gerechte Entrüstung in allen deutschen Gegenden Böhmens (wir erinnern daran, dasi 2/., der Bewohner und 37 l/2 Procent der'Vodenfläche dentsch sind) hervorrief, wnrde bereits im folgenden Jahre wieder beseitigt. Es wird aber übcrtroffen und weit in den Schatten gestellt durch das, was von Seiten der österreichischen Regiernng nud dem tschechisch - fendaleu Landtag — aus dem sämmtliche dentsche Abgeordneten anstraten — 1871 angestrebt wnrde. Das sogenannte Nationalitäten-Gleich-berechtigungsgesetz vergewaltigte wiederum in der rohesten Weife die Deutschen, denen die tschechische Sprache aufgezwungen wurde, falls sie Überhaupt nur eine Stellung als Beamter erlangen wollten. Damit für alle Zeiten aber das Culturelement Böhmens, das deutsche, in die Minderheit versetzt würde, sollte eine neue Wahlordnung für den Landtag eingeführt werden, welche vor Allem die Interessen des reichen Adels berücksichtigte, während die des Geschäftsmannes nnd des Industriellen durch Ansscheidnng der Abgeordneten der Handelskammern und durch Beschränkung der Abgeordneten der deutschen Städte preisgegeben wurden. Vermehrt wurde die Zahl der Abgeordneten der tschechischen Baueru, jener gefügigen Werkzeuge der Feudaljunker und der Geistlichen. Trotzdem behauptet die deutsche Sprache in Böhmen noch immer einen festen Stand nnd sie wird ihn auch für alle Zeiten bewahren; noch ist jeder Gebildete ihrer knndig und er muß sie auch kennen, wenn er überhaupt fortkomme» will, da die Welt nicht bloß aus dem kleinen tschechischen Sprachgebiete besteht. Der tschechische Kaufmann, der tschechische Industrielle nnd Großgrundbesitzer führt fast durch- Streifzngc in Deutsch ^Böhmen. 35 gehend und heute noch feinen Briefwechsel und die Geschäftsbücher deutsch und wird, da er in Handel und Wandel nieist mit Deutschen zu thun hat, fo leicht nicht davon abgehen. Es giebt in ganz Böhmen sicher keinen auch noch so entlegenen Weiler, in dem nicht wenigstens ein Mensch deutsch versteht. Entweder lernten die Mädchen während der Dienstzeit in Prag, der Handwerker während der Wanderjahre oder der junge Bauer als Soldat mehr oder weniger geläufig deutsch sprechen. Iu den deutschen Bezirken Böhmens findet das Umgekehrte aber keineswegs statt; mit Ausnahme der Sprachgrenzbezirke hört man selten in den dcut-scheu Dörfern Jemanden, der tschechisch redct, aus dem einfachen Grunde, weil die Nothwendigkeit znr Erlernuug dieser Sprache nicht vorliegt. Anders in den deutscheu Städten. Dort sind viele eingewanderte Tschechen, als Beamte, Handwerker u. s. w. ansässig uud diese sind dann allezeit auch Propagandisten fur ihre Sprache. Die großen Ereignisse der Gegenwart, sie haben auf die Deutsch-Nöhmen, wie die Dcutsch-Ocsterreicher überhaupt ihre gewaltige Wirkung geübt nnd beigetragen, deren Stellung zu klären nnd zu festigen. Dem protestireudm Anftreten der Deutfch-Oesterreichcr war es zu danken, daß man von Wien aus nns nicht meuchlings in den Rücken fiel, als wir 1870 gegen Frankreich kämpften, dcm die Tschechen ihre lantcn Sympathien entgegenbrachten.'^) Dank gewußt hat man es dein Deutschen aber niemals, daß er es war, der Oesterreich zusammenhielt, daß er cs war, der Oesterreich geschaffen und dem Kaiscrhausc m den Zeiten der Gefahr am treuestcn zur Scitc stand. Aber die -^ Tic AVli-oclni 1i8tv schricbcn damals: „Vom Beginn dieses allergrößten Krieges standen wir nut nnserer Freundschaft auf Seite Frankreichs, wic wir dcnn auch fürdcrhin stets auf Seite jenes Staates nnd Voltes stehen werden, das gegen die Dcut scheu den Krieg unternimmt, weil der Feind unseres Feindes unser Freund ist," Z6 Streifzilgc in Deutsch-Böhmen. Feudalen, die Ultramontanen und die Hofpartei haben stets es sich angelegen sein lassen, den Deutschen zurückzusetzen uud der Majori-siruug solcher Nationalitäten, wie der Tschechen auszusetzen. Russische panslavistische Feste durfteu mit Gepränge in Böhmen gefeiert werden — die deutsche Siegesfeier verbot man. Um so kräftiger erwacht das deutsch-nationale Bewußtsein; die Jugend, der die Zukunft gehört, schwört iu Böhmen jetzt bei der national-deutschen Fahne; sie kcnut das Zeichen, in dem sie siegen wird. „Der Deutsche bedarf Oesterreich uicht zur Erhaltung seiner Nationalität," sprach ein deutsch-böhmischer Deputirter im Wiener Abgeordnetenhause. Karl Pickert hob hervor, daß die Regierung auf dem besten Wege sei, den Bürgerkrieg in Böhmen zu beschwören. So schrecklich es erscheinen mag, wir scheu in Böhmen auch keinen anderen Ausweg mehr, als den Rassenkricg. Uns wenigstens scheiueu die Gegensätze zu sehr geschärft und ausgebildet, als daß eine andere Lösung erfolget» konnte, es fei denn, daß unerwartete große politische Umwälzungen eine völlig neue Acra in Böhmen begründeten. Die vorgeschrittenen unter den tschechischen Nationalen hoffen in letzter Instanz, dciß ihr ?cmd russisch werde — die Deutsch-Böhmen schauen noch nicht nach Preußen. Wer aber bürgt hier für die Zukuuft, wenn die Verhältnisse sich weiter so entwickeln, wie sie bisher sich entwickelt haben? Nicht besser aber können wir die nationale und politische Stellung der Deutsch-Böhmen, wie sie heute ist, präcisiren, als durch die Wiedergabe des Ausspruches eines Mannes, der hervorragt unter den Dentsch-Bohmcn. Der Historiker Schlesinger schreibt: „Unser Posten an den Marken des dentschen Reiches ist ein schwieriger, aber auch eiu ehrenhafter. Wir haben ihu durch viele huudert Jahre mit Muth und Ausdauer vertheidigt, wir rufen noch lange nicht, wie man uns gerne vorwerfen möchte, um die Einziehung dieses Postens. Wir weisen mit gerechter Entrüstung jene perfide Streifziige in Deutsch-Böhmen, 37 Verdächtigung zurück, welche unser heiliges Natioualgefühl mit augeblichen Agitationen Preußens in Verbindung bringen will. Gegenwärtig hat der deutsche Niese den wälscheu Uebermuth gezüchtigt, wie es die Welt noch nicht gesehen. Wir Deutsche freuen uus, .daß der Erzfeind uuscrer Nationalität, der auch der Erzfeind Oesterreichs seit ieher gewesen, niedergeworfen wordeu ist bis zur erbarmungswürdigen Ohnmacht. Weuu schon unsere Verdienste nm Vildnug uud Gesittung, uuscre Treue fürs Neich uud die Verfassung, uusere Arbeitsamkeit und Ehrlichkeit nicht mehr respectirt werden sollten, so wird es wohl Niemand wageu, uns angesichts der titanenhaften Aeußerung deutscher Urkraft dem slavischen Moloch zu opfern. Nasch oollziehen sich in der Gegenwart die Schicksale der Fürsten uud Völker. Nuhig kann der Dentsch-Vo'him der Znknnft entgegensehen, denn wenn auch das Aergste über ihn hereinbräche und er zum Schmcrzcnsschrei ge-uöthigt wäre, so winde nicht seine Existenz in Frage gestellt werden, sondern die ieues Staates, der seinen besten Bürger vernichten wollte." Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet w Völnnen. Für die Beurtheilung der politischen und nationaleil Znstände Böhmens ist es dnrchaus nothwendig, genau mit den numerischen Verhaltnissen der beiden, dieses Land bewohnenden Nationalitäten, sowie mit der Ausdehnung des beiderseitigen Sprachgebietes sich vertraut zu macheu. Ich habe versucht, dies in einer kleinen Schrift (Nationalitätsverhältnisse und Sprachgrenze in Böhmen. 2. Aufl. Leipzig 1871) zu thuu, und kann daher hier nnr im allgemeinen daranf zurückkommen. Falsch wäre es aber, wollte man blos nach dem Procentsatz, der den Deutschen zukömmt, deren Bedeutung für Böhmen ermessen. Mehr als an anderen Orten gilt hier der Grundsatz, daß die Stimmen zu wägen, nicht zu zählen sind. Denn, inacht die tschechische Bevölkeruug des Maudes auch ^, die deutsche nur 2/5 ans, so wird doch der Ausfall bei letzterer durch die ganze Culturstellung, dadnrch, daß Handel und Industrie wesentlich iu ihrer Hand find, ausgeglichen. Palazky versuchte 1s 05 in, böhmischen Landtage dieses zu bcstreiten, und durch willkürlich gruppirte statistische Zahlen nachzuweisen, wie iu all und jeder Beziehung das Ueber -gcwicht auf tschechischer Seite sei. Tschechische Blätter haben jetzt ausgesagt, daß jene Ziffern dnrchans nickt zntreffeud gewesen seien — natürlich aber nur, um durch künstliche Manipulationen für sich ein noch größeres Uebergewicht „nachzuweisen". Indem ich auf die angezeigte Schrift verweise, in der ich auch über die Ausdehnung der Deutschen in Böhmen vor dem 17. Jahr- Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen. 39 hundert gesprochen habe, kann ich hier nur die gegenwärtige Ausdehnung derselben berühren, wie sie sich seit dem dreißigjährigen Kriege gestaltet hat. Wie gegen Ende des 17. Iahrhuuderts die Germanisirung einzelner Bezirke Böhmens nun vor sich ging. läßt sich am besten und zuverlässigsten an einen: Beispiele aus den Kirchenbüchern nachweisen. Die ehemalige Herrschast Chotjcschan, jetzt Bezirk Staab, südwestlich vou Pilsen, springt als scharfer Winkel in das tschechische Sprachgebiet hinein. Dieser Bezirk, heute ganz deutsch, vou Bauern bewohnt, welche die oberpfälzische Mundart reden, war vor 200 Jahren noch rein tschechisch. Vergebens sieht man sich in den Kirchenbüchern bis 1660 nach einem einzigen deutschen Namen um — nur die Prälaten vou Chvtjeschau wareu Deutsche, tüchtige, gelehrte Mäuuer. Da durch deu dreißigjährigen Krieg die Dörfer thcilweise verödet waren nud die Einwohnerzahl hcrabgeschmolzen war, so lenkten jene Prämonstratenscr ihr Aligenmerk auf Bayern, von wo sie tüchtige Ackerbauer auf die leer steheudeu Gründe herbeizogen. Den ersten dentschcu Namen im Chotjeschauer Kirchenbuche begeguen wir 1650; 1660 kommt die erste Taufe halb deutsch, halb tschechisch eingetragen vor: „Friedrich Schusscr von Staab mit Ursul Hausfrau krzten sin gmcuem Georg" (getauft eiu Sohn mit Namen Georg). Hierauf sind alle Funktioueu bis 1675 tschechisch eingetragen, dann begegnen wir abwechselnd bis 1680 dentschen und tschechischen; letztere sind jedoch noch in der Mehrzahl. Von 1680 ab überwiegt das Deutsche, das nun znm Siege gelangt. Neue Namen treten auf, die auf eine zahlreiche Einwanderung schließen lassen. In kurzer Zeit war das tschechische Element absorbirt nnd zwar aus durchaus friedlichem Wege; das Deutschthum blieb von nun an im unangefochtenen Besitz des Bezirks Staab. Griff auch in der Zeit nach dem dreißigjährigen Kriege die 40 Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen, deutsche Sprache in den heute ganz tschechischen Gegenden, namentlich den Städten, stark um sich, so blieb doch das Volk selbst slavisch; die Einwohner blieben dieselben, nur die Sprache änderte sich theilwcise. Aus diesem Grunde war für dieselben denn anch die Rückkehr zum Slaventhnm eine leichtere. Der Unterschied zwischen Gcrmamsirung, und Tschechisirung in Böhmen, die einander wechselseitig ablösten, beruht eben darin, daß die Tschechen als Volk gewaltsam ihre Sprache aufdrängten, was von feiten der Deutscheu nie geschah,, denn ihre Ausbreitung war eine naturgemäße, durch ihr geistiges oder materielles Uebergewicht bedingte. Niemals aber hat das deutsche Bolk als solches seine Sprache beleidigend den Tschechen anfgezwungen — in dieser Beziehung handelte die österreichische Regiernng als solche, in ihrem, oder dem Interesse der Cultur. Man muß das wohl auseinander halten. Ist es auch richtig, wie dies sich historisch nachweisen laßt, daß eiu Theil der heutigen Dentsch-Böhmcn aus einer Mischung deutscher und slavischer Elemente hervorging, so ist doch ebenso gut nachweisbar, daß die Hauptmasse keineswegs ein Bastardvolk ist, fondern sich als Abkömmlinge von echten deutschen Einwandrern ergibt. Es ist viel Unfug mit dem Begriffe „Mischung" getrieben worden, in Böhmen sowohl, wie in ganz Ostdeutschland, nnd keineufalls ist diese in dem Grade vorhanden, wie slavische Schriftsteller, die hänfig das Interesse der Partei über die geschichtliche Wahrheit stellen^ glauben machen wollen. Wo thatsächlich germanisirte Slaven vorhanden, erkennt man diese noch heute auf den ersten Blick, so in Altcnburg, im hanuoverschen Wendlande um Aichow uud Danncn-berg, wo der Abkömmling der alten Wenden auf den ersten Blick von seinem niedersächsifchen Nachbar zu unterscheiden ist uud wo, Spracheigentümlichkeiten, Bauart der Dörfer, Sitten und Kleidung sofort den Slaven offeubcneu. Gehen wir auf die Urkunden zurück. Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen. 41 so finden wir ganz entschieden, daß die Germanisirung der östlichen Bänder wesentlich cine Folge der Einwanderung ist. Insbesondere wird dieses, wo geschichtliche Quellcu schweigen, durch die Personennamen dargethan, die in Deutsch-Böhmen der ungchenrcn Mehrzahl nach auch deutsch sind, was nicht der Fall fein könnte, hätten wir es mit Abkömmlingen der Tschechen zu thun; deun von der Unsitte, den Namen mit der Nationalität zn wechseln, wie dieses z. B. in Ungarn der Fall ist, hielten die Böhmen sich fern. Hiermit soll keineswegs geleugnet werden, daß es in Deutsch-Böhmen genug tschechische Eigennamen gibt, oder solche, denen man trotz der Ber-stUmmlnng den slavischen Ursprung ansieht, allein dieses ist bei dem Wechselverkehr beider Nationalitäten durchaus natürlich, aber das Umgekehrte ist in demselben Maße bei den Tschechen der Fall. Auch das tschechische Landvolk weist eine starke Beimischung von deutschem Blute alls. Dafür sprechen die Geschichte der nationalen Verhältnisse des Bandes, das Aussehen der Leute nnd endlich die vielen deutschen Eigennamen. Alls dem verstümmelten, häufig vorkommenden Fejfar läßt sich unschwer der deutsche Pfeifer erkennen. Einer der bedeutendsten tschechischen Gelehrten, Joseph Iungmann, stammte aus dem Dorfe Hndlitz, wo nachweisbar keine Deutschen gesessen haben und gegen die deutsche Abstammuug eines Rieger, Branncr, Zeithammer — die heute nationale Führer der Tschechen sind — wird sich nichts ciuwenden lassen. Es versteht sich, daß bei den Städtern die Blutmischung in noch weit höherem Maße Platz griff, als bei dem Landvolke. Schon seit langer Zeit gilt daher in Böhmen ein deutscher oder tschechischer Namen nicht mehr als nationales Kriterium, und es gibt lausende, die nicht wissen, ob sie Deutsche oder Tschecheu sind, sie sind eben zweisprachige „Böhmen". Anch der Typus kann keineswegs durchgehend als Unterscheidungsmerkmal gelten. Wenn auch die Slaven der Sprache nach 42 Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet m Böhmen. entschieden zu dem indogermanischen Stamme gehören, so sind sie doch der Schädelform nach von allen übrigen Gliedern dieser großen Völkerfamilie getrennt. Sie zeichnen sich konstant durch brachy-cephale Schädel aus. Wie kam, so fragt der Ethnograph mit Recht, diese Brachycevhalie unter die sonst durchaus dolichocephalen indogermanischen Stämme? Anf Böhmen als Unterscheidungsmerkmal fnr Tschechen und Deutsche augewandt verliert aber die Schädelbildung viel an Werth; man sieht, daß die dolichocephale Form bedeutend vorwiegt.*) Die Haare der Bewohner deutschen wie tschechischen Stammes finden wir vom hellsten Flachsblond bis zum Rabenschwarz in allen Abstnfnngen: hier und da sehen wir bei den Tschechen stärker hervortretende Backenknochen, tiefer liegende Angen als bei den Deutschen im allgemeinen — doch im ganzen ist keine wesentliche Abweichnng zn bemerken. Der westslavische Typus nähert ^ Wissenschaftlich hat sich mit dcn hierauf bezüglichen Fragen nicht etwa ein Tscheche, sondern ein Teutscher, der t, t, Oberarzt Dr. A. Weisbach in Wien, beschäftigt. (Archiv für Anthropologie II. W5,) C'r weist dort auch nach. daß die alten Grabschädcl in Böhmen sich vou denen der heutigen Deutschen wie Tschechen sowohl unterscheiden. Er hat auch das Gehirn der verschiedenen Nassen Oesterreichs von zahlreichen Individuen gewogen, und dabei folgende Mittelwcrthe erhalten: Gewicht des Gehirns der Tschechen 1^68,31 Grannncu „ Rumänen Ul2tt,58 5, .5 „ „ Magyaren 1322,86 „ „ „ „ Polen 1320,50 „ ,5 „ ,5 Nuthencn 1320,63 „ „ „ „ Deutschen 1314,50 „ „ „ „ „ Slowaken 1310,74 „ „ „ „ „ Tüdslüvcn 1W5,14 „ „ „ „ „ Italiener 1301,Il7 „ (Archiv für Anthropol. I. 81^l.) Wollte man nach der Schwere des Gehirns auf die Intclligeuz schließen, dann ständen die Tschechen weit über dcn Deutfchcu und Italienern! Das deutfcke imd das tschechische Sprachgebiet in Blihmen. 43 sich durch das blonde Haar und die blauen Augen schon dem germanischen und steht diesem, was das Aussehen belangt, ungleich näher als den Südslavcn. Die vollständige Festsetzung des deutschen Elements innerhalb der Grenzen, welche es noch henle inne hat, erfolgte also nach dem dreißigjährigen Kriege. Seitdem hat sich die Sprachgrenze nnr wenig herüber nnd hinüber verändert, wie aus dem Berichte des Pilsener Edelmanns Anton Frozin (oder Phrosinus) hervorgeht. Er bereiste 1699 —1701 ganz Böhmen und bestimmte die Grenzen beider Nationalitäten folgendermaßen. „Der Bechiner Kreis ist zu guten drei Theilen nur von Tschechen bewohnt, ein Theil von Budweis bis Kaplitz nnd zur Moldau hat eine gemischte deutsche Bevölkerung. Der größte Kreis nach ihm ist der Prachimer: anch hier finden sich drei Theile Tschechen; im vierten, um Bergreichcnstcin, dann auf einem Streifen Landes gegen Chrobolt, Wallern nnd Krnminau, wohnen bloß Deutsche. Der dritte der Größe nach ist der Pilsener, hier ist die Hälfte der Bewohner dentsch, die Deutschen wohnen in der Richtuug gegeu Tepl und Bischof-Teinitz, die Tschechen gegen Klattau, Nevomuk und Rokytzan. Der Königgrätzer ist der vierte der Größe nach, hier befinden sich bloß Tschechen, nur daß auf einigen kleineren Gütern von cinswärts angesiedelte deutsche Kolonisten wohnen. Am Riesen-gebirge befinden sich in der Gegend zwifchcn Trantenau uud Braunau etwa fünf deutscke Städte. Die Glatzcr Gegend zähle ich jedoch nicht zu Böhmen. Der Buuzlauer Kreis gleicht iu der Bevölkerungszahl dem Königgrätzer, nicht jedoch in der Größe; drei Theile desselben sind tschechisch; ein vierter kleiner, aber stark bevölkerter — so daß man ihn fast ats ein Drittel des Kreises ansehen kann — ist ganz deutsch. Ihm folgt in der Größe der Tfchaslauer; derselbe ist mit Ausnahme von etwa fünf kleinen Gemeinden ganz tschechisch. Der 44 Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen, Leitmeritzer ist in einem Theile, welcher von Außig abwärts licgt^ deutsch; in einem gleich großen, gegen Melnik zn, tschechisch. Im Saazer Kreise gibt es bloß Deutsche mit Ausnahme von etwa vier Ortschaften um Laun und Kaden. Der Chrudimer Kreis ist bis anf eine geringe Anzahl auswärtiger dcntscher Kolonisten ganz tschechisch. Der Elbogener Kreis ist bis alls etwa zwei Ortschaften ganz deutsch. Der Kaurimer, welcher in Prags Nähe liegt, und an Größe dem Elbogcner gleicht, ist ganz tschechisch. In dem ihm nun folgenden Schlaner Kreise, gibt es nnr Tschechen, mit Allsnahme einiger wenigen kleinen Herrschaften, wo Deutsche aus dem Reiche und aus andern Gegenden vor kurzem angesiedelt worden sind. Der Podbrdcr Kreis ist ganz tschechisch; ebenso der Natonitzer, mit Ansnahme einer einzigen paritätischen Ortschaft. Der Moldancr Kreis ist der kleinste und mit Ausnahme einer einzigen Ortschaft, wo die Bergleute Dentsche sind, ganz tschechisch." Aus dieser Beschreibung des Phrosinus ist zu ersehen, daß seitdem eiue wesentliche Aenderuug in der Sprachgrenze nicht vorgefallen ist. Die Aufzählung der einzelnen Dörfer und Städte, über welche die Sprachgrenze führt, muß ich hier unterlassen. Das deutsche Gebiet Böhmeus ist — gegenüber dem kompakten, tschechischen — zerstückelt, wie aus der nachstehenden Aufzählung hervorgeht. Das Hauptgebiet des deutschen Voltes in Böhmen nimmt den Norden und Nordwesten des Landes ein, es zieht sich von der Iscr im Osten, wo der Iitschiner nnd Bunzlaner Kreis am Riescngcbirge aneinander grenzen, in einem ununterbrochenen bald breiten, bald schmäleren Gürtel, oft mit scharfen Biegungen gegen, Süden ins tschechische eingreifend, bis an die bayrische Grenze und an Ven Böhmerwald, da, wo die Bezirke Ronsperg nnd Taus aneinander grenzen. In dem letzteren tritt das tschechische Element am weitesten nach Westen, bis fast dicht an die bayrische Grenze vor und Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen. 45 läßt nur einen äußerst schmalen deutschen Streifen übrig, der die Verbindung des großen nordwestlichen deutschen Gebietes mit dem südwestlichen deutschen und bayrisch - österreichischen Grenzdistrikte herstellt. Dieses Vordringen der Tschechen hinter Tans' (die hier allein dialektisch geschieden von der Hauptmasse ihres Volkes iu Böhmen sind) bezeichnet überhaupt den westlichsten Punkt der großen slavischen Völkerfamilie,, die von hier bis zur Wolga und Kama in Nußland in ununterbrochener Folge sitzt. Der letzte tschechische 3)rt hier ist Knbitzen, nur ciuc halbe Stunde von der bayrischen Grenze. Dein Hanptgebicte der Deutschen in Böhmen gehören an: der nördliche nnd nordwestliche Theil des Bunzlaucr Kreises, der bei weitem größere Theil des Leitmeritzer Kreises, nämlich der ganze Norden und die Mitte, der Saazer Kreis mit Ausnahme der östlichen Ecke, der Egerer Kreis vollständig, der nordwestliche Theil des Pilsener Kreises. Wie im ganzen die Sprache der Deutschen iu Böhmen sich als Ausläufer der nachbarlichen deutschen Mundarten darstellt, so herrscht in dem hier iu Rede stehenden Hanptgebicte der Deutsch-Böhmen zuuächst im Böhmcrwalde die fränkische Mundart, die auch in dcu Egerer Kreis vordringt. Der südliche Theil des Egercr Kreises, sowie der damit in Verbindung stehende Theil des Pilscner Kreises gehören zum Bereich der benachbarten obcrpfälzischen Mundart, der Norden des Egcrer, Saazcr nnd Leitmeritzer Kreises zu j,encm des obcrsächsischen (meißnisch-thüringischen) Dialektes. Im deutschen Antheile des Iungbunzlaner Kreises herrscht schlesiscke Mundart. Größe und Einwohnerzahl dieses dentschen Hauptgebictes ist aus der folgenden Zusammeustellung ersichtlich. Die Bezirke Neuern, Nengedein, Klattau und Tans des Pilsener Kreises bleiben hier unberücksichtigt, da sie der nachfolgenden Abtheilung der Deutsch-Böhmen im südwestlichen Grenzstreifen 46 Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen, zugerechnet werden müssen. Es entfallen auf das große deutsche Gebiet des Nordens und Nordwestens: Vom Inngbunzlauer Kreise 30,?4 Q.-M. 225,400 Eiuw. Leitmcritzer Kreise -45,83 „ 370,300 „ Saazcr Kreise 49,i3 „ 216,900 „ Egerer Kreise 75,86 „ 352,200 „ Pilsener Kreise 26,25 90,500 Summa 227,97 1,255.300 An den südlichen Theil des Böhmerwaldes, an Bayern und das Erzherzogthun: Oesterreich sich anlehnend, somit im Znsammen hange mit den: Hauptgebict des Deutschen, zieht sich von Nordwesteu nach Südosten ein immer breiter werdender deutscher Streifen an der böhmischen Grenze hin, der im Nordwesteu, da, wo die böhmische Westbahn den Vöhmcrwald durchschneidet, kaum eine halbe Stnnde breit,, an der Stelle seiner größten Breite jedoch, vom Plöckelstein bis in den Netolitzcr Bezirk, 5^ Meile breit ist. Er ist bewohut zum grüßten Theile von, Deutschen des bayrisch-österreichischen Stammes (im Nord-Westen vou Franken), die im waldigen Gebirge wenigstens seit Urzeiten angesessen sind. Dieser Theil des deutscheu Gebietes fällt m die südwestlichen Theile der Kreise Pilsen nnd Pisek uud iu den südlichen Theil des Kreises Budwcis. Bei diesem deutschen Streifen kommen folgende Bezirke in Betracht: vom Pilscner Kreise: Taus, Neugcdein, Neuern, Klattau. Vom Piseker Kreis: Schüttenhofcn^ Berg-Rcichenstein, Wintcrbcrg, Prachatitz, Netolitz. Vom Budweiser Kreis: Ober-Plan, Kalschiug, Budweis, Krummau, Hohcufurth, Kaplitz,, Grazcu, Schweiuitz. Die Deutscheu im Budweiser Bezirke stehen theils mit der Hauptmasse iu Verbindung, theils bilden sie um die vorherrschend dcntsche Stadt Budwcis herum eiue deutsche Sprachinsel. Doch sind in dieser bereits viele gemischte Dörfer vorhanden. Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet m Böhmen. 4? Im Ganzen umfaßt dieser südwestliche deutsche Grenzstreifen 60,65 Quadratmcilen mit 193,700 Bewohnern. In den zum Budweiser Kreise gehörigen beiden Bezirken Neu-bistritz und Neu haus wohnen zahlreiche Deutsche. Sie sind ein vorgeschobener Ast des großen deutschen Sprachgebiets, das aus dem Erzherzogthum Oesterreich und Mähreu über die böhmische Grenze tritt, und der in einer Länge von 5 Meilen (von Kainn an der österreichischen Grenze bis an die Grenze des tschechischen Bezirkes Kamenitz) sich in die Hauptmasse der Tschechen hineinerstreckt und in seiner größten Breite im Neubistntzcr Bezirke gegen 2 Meileu breit ist. Die Deutschen dieses Theiles von Böhmen gehören dem bayrisch-österreichischen Stamme an. Sie zählen auf 7,eo Onadratmeilen 33,400 Bewohner. Die an der mährisch-böhmischen Grenze mitten im tschechischen Sprachgebiete liegende dentsche Iglancr Sprachinsel hat von Norden nach Süden eine Ausdehnung vou fast 6, vou Osten nach Westen in ihrer größten Breite eine solche von fast 3 Meilen. Der kleinere Theil mit der Stadt Iglau liegt in Mähren, der größere, nördlichere in Böhmen in den Bezirken Polna uud Dcutschbrod des Tschaslauer Kreises. Auch diese Deutschen gehören dem bayrisch-österreichischen Stamme an. Der auf Böhmen entfallende Theil der Sprachinsel mnfaßt 3,«a Quadratmeilen mit 15,000 Einwohnern. Int Osten Böhmens, an Mähren grenzend, reicht ein Theil des Schön hengstler Landes in das tfchechische Gebiet des Chrndimer Kreises hinein. Dieses etwa 20 Quadratmcilen große Ländchen ist eine deutsche Sprachinsel, welche im Norden dnrch einen an der schmalsten Stelle (beim tschechischen Dorfe Hermanitz) nnr eine Stunde breiten tschechischen Gürtel von der Hauptmasse des deutschell Gebiets in Mähren und Schlesien getrennt ist. Man hält die Einwohner, deren Idiom auf den österreichisch-bayrischen Sprachstamm hinweist, 4H Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen, und die sich vielfach durch alte Sitten und Gebräuche auszeichnen, für uraltdeutsche Insassen, die niemals von den Slaven aus ihren Sitzen vertrieben wurden. Während die größere Hälfte des Schön-hengstler Händchens zu Mähren gerechnet wird, gehört die kleinere mit 9,8 Q.-M. und 54,500 Einw. zn Böhmen nnd zwar sind es die Bezirke ^'audskrou (vorwiegend deutsch), Wildenschwert, ^'eitomischl nnd Politschka, in welchen wir die Deutschen zu suchen haben. Gleichfalls im Osten Böhmens an die Grafschaft Glatz sich anlehnend zieht ein schmaler deutscher Grenzstreifen hin, der allenthalben jedoch mit dem dcntschen Hanptgebiet in Mähren und Schlesien im Zusammenhange steht. Er beginnt noch im Bezirke Landskron alt der mährischen Grenze, geht durch die Bezirke Grulich lfast gauz deutsch), Senftenberg, Reichcnan und Neustadt an der Mettau, reicht aber von der schlesisch-böhmischen Grenze im äußersten Fall (Bezirk Reicheuau) nnr 2 Meilen ins Innere, ist aber sonst fast überall weit schmäler. Dieser dentsche Grenzstreifen würde mit dem folgenden im Zusammenhange stehen, wenn nicht vom Bezirke Nachod aus das tschechische Sprachgebiet auf den Boden des deutschen Reiches hinüber, nach der Grafschaft Glatz, reichte, und zwar siud es 6 Ortschaften mit 35W Eiuwohnern zwischen Nachod in Böhmen und Lewin im Glatzischen, welche rein tschechisch sind. Prenßische Tschechen! Der deutsche Riesengebirgsdistritt, im Nordosten Böhmens an das deutsche Gebiet preußisch Schlesiens sich anlehnend, fällt zum kleineren Theil in den Bezirk Königgrätz, zum größeren in den Bezirk Iitschin. Vom Kamm des Gebirges greift er weit in das Ab-thal hinein, die Elbe an mehreren Stellen nach Südwesten zu überschreitend. In feiner weitesten Ausdehnung von der schlesischen Grenze im Bezirke Schazlar bis nach Welchow im Bezirke Iaromjersch ist er über 5 Mcileu breit, im Westen dagegen, bei Rochlitz, an der Grenze des Iitschiner und Bunzlauer Kreises erscheint dieses deutsche Terri- Das deutsche mid das tschechische Sprachgebiet iu Bohmcn, 49 turimn nnr eine Stunde breit, steht hier aber mit der groß«! nord-westlichen Hauptmasse des deutsch-böhmischen Gebietes im Zusammenhang. Die Bewohner sind mit den deutschen Schlesien: eines Stammes. In Betracht kommen hier die Bezirke Brauncm ('deutsch), Königinhof, Iarouijersch und Politz des Köuiggrätzer Kreises, Trau-tenau, Arnau, Neu-Paka, Hohenelbe, Schazlar, Marfchcndorf, Starkenbach, Rochlitz des Iitschincr Kreises. Die Größe des hierher gehörigen deutschen Sprachgebietes beträgt 25,gi Quadratmeilen mit 165),7M) Einwohnern. Zu bemerken ist hier, daß die deutschen Theile im Be zirke Neu-Paka schon sehr vom tschechischen Elemente durchsetzt sind, und daß die westlichen deutschen Dörfer dieses Bezirkes faktisch schon eine Enclave bilden. Iu den voranstehendcn Angaben ist das von den Deutscheu Böhmens in Böhmen im Zusammenhange bewohnte Gebiet vollständig enthalten, keineswegs ist aber die Zahl der Deutscheu iu Böhmen damit erschöpft, denn iu großer Auzahl wohnen sie noch namentlich in den Städten des tschechischen Gebietes, bilden auch in Prag eine völlige Sprachinsel. Man hat es angezweifelt, ob die Dentschen der Hauptstadt wirklich eine Sprachinsel bilden, allein mit Unrecht. Unsere ^andsleule sind in Prag seit den ältesten Zeiten an gesessen, sie waren es, welche der Stadt den städtischen Charakter gaben. Durch sie ist Prag die einzige große Stadt Böhmens nber^ hanpt — alle andern Städte sind klein, da'das bürgerliche Element bei den Tschechen nur zu schwacher Entwicklung kam. Zählt man bloß die stopfe, so ist Prag allerdings vorwiegend tschechisch, wägt Ulan aber die Stimmen, so stellt sich die Bedeutung des deutschen Elements sofort klar an den Tag. Der Großhandel nnd die wichtige Industrie der Stadt sind fast vollständig in den Händen der Deutschen, wie dieses seit Jahren unzweifelhaft durch die Wahlen zu den Handelskammern dargelhau wird, die in ihrer großen Majorität trotz un- Ä. Audrce, Tschechische GäiM. 4 50 Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen. glaublicher Gegcnanstrcngungen der Tschechen deutsch ausfallen. Auch ist ebenso unstreitig der deutsche Theil der Präger Bevölkerung der gebildetere und wohlhabeudere. Geuau dieselben Verhältuisse herrschen in der gemischten Stadt Pilsen, wo ebenfalls die Tschechen numerisch überwiegen. Man ftndet noch Angaben, daß Beraun, Laun, Kuttenberg, stolin n. s. w. gemischte Ttädte seien: früher, wo die Bestimmung der Nationalität in Böhmen nicht so genau wie hente genommen wurde, war das der Fall, heute sind diese Ttädte als ganz tschechisch anzusehen. Trotzdem ist die Zahl der durch das tschechische Gebiet zerstreuten Deutschen noch bedeutend und sie fällt kleiner oder größer aus, je nachdem man die durchweg deutsch redenden Inden ihnen beizählt oder nicht. Es ist eine sehr niedrige Schätzuug, wenn wir die über das tschechische Sprachgebiet zerstreuten Deutschen auf 51,000, daruuter 30,000 in Prag annehmen. Stellen wir nnn die einzelnen von den Deutsch-Böhmen bewohnten Hauptgcbiete, Grenzstreifen und Sprachinfeln zusammen, so erhallen wir folgende Uebersicht: Q. M. Emw. 1. Das Hauptgebict im Norden u. Nordw. 227,!»? 1,255,300 2. Der südwestliche Grenzstreifen . . . 60,«5 193,100 3. Neubistritz und Ncuhaus..... 7,«o 33,400 4. Böhm. Theil der Iglancr Sprachinsel . 3,80 15,000 5. Böhm. Theil des Schönhengstlcr Landes 9,«o 54,500 6. Das an's Glatzische grenzende Gebiet . 6,90 39,800 7. Das Niesengcbirgsgebiet..... 25,oi 165,700 8. Zerstreute Deutsche...... — 51,000 Summa 342,lliftau, nnd weil es auderutheils an der Sprachgrenze Ortschaften giebt, deren Einwohner meistentheils beider Sprachen kundig sind, z. B. Altprachatitz, Wostrow, Wossek, Gahau u. a. Die Stadt Prachatitz selbst wird von der Sprachgrenze, so zu sagen, durchschnitten, indem in der „unteren" Porstadt alles wohnt, was von tschechischen: Element vorhanden ist. Dieses ist numerisch aber sehr nubedentend. Nachdem tschechische Ortschaften nördticb und ostlich bis an die Thore der Stadt reichen, mehrere von ihnen dahin cingepfarrt nnd cinge-schnlt sind, und nachdem daher die Städter nut ihren Nachbarn tschechischer Zunge in stetem Verkehr stehe»!, so ist es natürlich, daß beinahe iedcr Prachatitzer auch der tschechischen Sprache mächtig ist. Zur Mencherrschafl ist das Deutschthum in Prachatitz erst 1791, gelangt. Steht auch, wie wir hervorgehoben haben, seit dem Ende des 17. Jahrhunderts im ganzen genommen die Sprachgrenze, fest, so sind doch immer noch bis zn dein heutigen Tage kleine Schwankungen herüber und hinüber bemerkbar, dic leise beginnend im Verlaufe vo>l zwei Generationen ein Dorf für die eine Nationalität gewinnen, fnr die andre verlustig machen tonnen. Schule und Kirche sind hier je nach der iu ihucu herrschenden Sprache von großem Einflüsse. Wir wolleu einige, Beispiele anführen. ^on den deutschen Enclaven im tschechischen Sprachgebiet sind einige im Absterben begriffen oder bereits abgestorben. Es gilt dies natürlich nur von den kleineren Sprachinseln, die eines festen Haltes *) Vergl. Mtty. dcö Vereins für (Äcsck. der Dcutsckcn in Böhmen. IV, 77. 54 Dos deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen, entbehren, während größere, wie z. B. die von Iglan, genügenden Halt besitzen, nm dem tschechischen Elemente zn widerstehen. Deutsch-Nepomnt, im Vresnitzer Bezirke des Piseker Kreises, wnrde 1727 auf der Prager crzbischöflichen Domäne Ro/mital von dem dalnaligen Erzbischof Graf Ferdinand Knenburg von bayrischen Kolonisten begründet. Gegen Ende des Jahrhunderts hatte die Zahl der fleißigen ^eute, die den Wald nrbar machten, sich derart vermehrt, daß sie ein zweites Dorf, Nen-Nevomnk oder Nendorf, gründeten. Beide haben hcntc gegen 500 Einwohner, die zn einer ganz tschechischen Kirche (Äll>No2mital) eiilgepfarrt sind nnd hierdnrch, wie dnrch den ständigen Berlehr niit tschechischen Nachbarn nnd Wechselheirathen mit diesen sich allmählich tschechisirt haben. Nnr die ältere Generation spricht noch ein wenig „bayrisch" nnd hat eine Ahnnng, daß ihre Borfahren ans dem Neiche kamen. Um dem Ackerban nnd den Gewerben aufzuhelfen, begünstigte der erlenchtete Kaiser Joseph II. auf alle Weise die Einwanderung der Dentschen aus dem „Reiche" in seine Staaten. Am großartigsten wnrde die Kolonisation im Banate und Ungarn betrieben, aber anch in tschechische Gegenden verpflanzte er Dcntsche. Schlesische Einwanderer gründeten 1785 das Dorf Kowansko im Blinzlauer Kreise; anf der ehemaligen Kameralherrschaft Pardnbitz entstanden die dentschen Dörfer: Gunstdorf, Weska, Kleindorf, Teichdorf (Dentsch-Lan), Sehndorf, Dreidorf (Dentsch-Platnitz), Tranendorf, Maidorf, Streitdorf nnd Deutsch-Iesnitjchan. Je nachdem diese Dörfer mm dentsche Schulanstalten hatten uder tschechischen Schnlen zugetheilt wnrden, ist auch die Tschechisirung im Berlanf von beinahe einem Jahrhundert mehr oder minder bei ihnen vorgeschritten. Während nämlich die Gemeinden Gnnstdorf, Weska, Kleindorf nnd auch Sehndorf noch als rein deutsch bezeichnet werden können, hat die Zahl der Deutschen in Teichdorf, Dreidorf nnd Tranendorf schon bedeutend Das deutsche lind das tschechische Sprachgebiet in Bobinen. 55 abgenommen. In Maidorf und Streitdorf ist die dentsche Bevölkerung schon in der Minderheit, in dem ehemaligen Dcntsch-Iesnitschan -aber schon ganz verschwunden. Im Tschaslaner Kreise wnrden 1788 durch deutsche, Familien aus der Gegend von Böhmisch-Leipa die Dörfer Karlshof und ^ibins-dorf gegrlmdet; in der Klattauer Gegend entstand das Dorf Echön-willkomm. Auch diese Dörfer sind heute groftentheils abgestorben, aus denselben Gründen, die bei Deutsch-Nepomnt aufgeführt wurden. Tschechischen Angaben ((>«n>'. /^mu u, nin-,,,1) entnehme ich noch folgende Angaben. Im Eingehen begriffen sind die deutschen Kolonien Dalkmvitz und Kbel, welche zu Ende des 17. Jahrhunderts vom deutschen Reiche ans besetzt worden waren, ferner jene der Bergleute bei Pnbram und die deutsche Bevölkerung auf den parzellirten Höfen in Bilskow, Brtew, Lntawetz und Oberneudurf, die im 18. Jahrhundert in der Nähe von Hontz angesiedelt wurden. Ein allmähliches Borgehen der dentschen Bevölkerung ist nur im nordwestlichen Streifen zu bemerken. Noch zn Schaller's Zeiten (1780) war Pit-schau bei Veitmeritz tschechisch; ebenso befanden sich im Mittelgebirge mehr tschechische, mm germanisirte Dörfer, als jetzt. Watsch im Elbogc-uer Kreise war gemischt, jetzt ist es dentsch. Ebenso herrschte noch die tschechische Sprache östlich von Kopain (Kopania) und SttezilMli'itz bei Iaromjersch, dann bei Stahlan und Naschen (Ra^ovice) bei Böhmisch-Aicha. Noch iui Jahre 1829 wnrdcn bei Saaz vier gemischte Dörfer erwähnt: Welichow, Dreihofen (Z/choti), Bezdökow nnd Rybnan, die jetzt germanisirt sind. Auch im Snden von Manetin ist die dentsche Sprache vorgedrllugen. Dagegen ist — außer den oben erwähnten Beispielen — eiu Vorgehen des tschechischen Elementes namentlich seit 1845) unter dem Eiuflussc tschechischer Geistlichen und tschechischer Schulmeister an vielen andern Orten wahrnehmbar. An dcr bayrischen Grenze bemerkt man dieses namentlich bei Drosau 5,ss Das deutsche und das tschechische Sprachgebiet in Böhmen, (Straiov); in Krnmman und der Vndweiser Gegend sull sich dic tschechische Sprache hebcn. Die Stadt Bndweis ist aber trotz aller Gegenanstrengnngen, die namentlich vun Seiten des Bischofs Balerian Iirsik nnd der nnter ini stehenden Geistlichen betrieben werden, vorherrschend nnd mit Entschiedenheit dentsch. In den gennschlen Dör-fcrn u!n Neu-Paka hat das tschechische die Ueberhand; dasselbe findet bei Hennersdorf (HoreM Branna) nnd Hüttendurf lZalesni Lhota) statt. Auch in der Umgebung vun Wildenschwert nnd Deutschbrob sull das Deutsche nach jener tschechischen Qnelle an Buden verlieren. Bei Leitomischl ist das Torf Strakole (Strakod, schon tschechisirt nnd Riedweis bei Königgrätz, früher deutsch, wird als gemischt angesehen. Bei den Wechselwirkungen, die seit Jahrhunderten herüber nnd hinüber zwischen den beiden Nationalitäten Böhmens stattfinden, bei dem häufigen Verschieben der Sprachgrenze nimmt es kein Wunder, wenn man die Ortsnamen nicht als ein Kriterium der letzteren aufstellen darf. Innerhalb des deutschen Sprachgebiets liegt eine große Menge slavischer Ortsnamen, ja man kann sagen, daß diese die Mehrzahl bilden. Nichts destoweniger giebt es Gebiete — namentlich in den Gebirgen, wohin der Slave nie vordrang, mit rein deutschen Ortsnamen. Bennm und Karlstcin. Die in, Jahre 1862 eröffnete böhmische Westbahu führt ein großes Stück des Bandes jetzt nahe vor die Thore Prags, nud Gegenden, die bisher von den Bewohnern der Hauptstadt nur selten aufgesucht wurden, werdeu nun von neugierigen Touristen förmlich überschwemmt. Die Scharka, Rostok, Vubentsch u. s. w. haben ihr ausschließliches Privilegium verloren und der Strom wendet sich jetzt mit Borliebe dem vernachlässigten Westen zu, um in dessen romantischen Thälern, alls alten zerfallenen Burgeu und im frischeu Grün der Laubwälder oder uuter düstern Tannen die Reize der Natur zu genießen. Bis nach Pilsen, bis nach Taus lDuma/lice!, der tschechischen nltimu 1'!>u!o, geht der Zug, bis dahin, wo an der bayrischen Grenze der grüne Kcnnm des Vöhmerwaldes, die Schumava der Tschechen, den Deutschen ein nicht beachtetes Halt zuzurufen scheint. Früher war das anders. Vom Nachmittage bis znm andern Morgen fnhr man mit dem „Stellwagen", ehe mau nach Pilsen gelangte, und eine solche Fahrt hatte anch ihre Reize. Inmitten der Stadt, in dem alten, weitläuftigen Gasthofe „beim Platteis", der in Prags Localgeschichte eine Nolle spielt, stand der überaus schmutzige Stellwageu zur Abfahrt bereit. Vis zur nächsten Station, dem Städtchen Verauu, fährt er fünf Stunden nnd wir haben Muße, die Mitreiseudeu kennen zu lernen. Das Aujezder Thor war damals "och nicht der stattliche Bau, der jetzt vor unsern Augen aufsteigt; 58 Beraun und Karlstein. dcr Wagcu rumpelte hindurch nach dein Smichow und bog dann nach dcr jetzt verödeten Landstraße rechts ab. Sic beginnt hint« Koschir allmählich zu steigen, bei Motol springt ein mächtiger Grünsteinfelsen in sie hinein, der oben mit einem Kreuze gekrönt ist. Ueberall, rechts uud links, wohin das Auge blickt, Heiligenbilder; bald ist es St. Florian, der in voller Rüstung mit Hammer nnd Zange an dem Hanse eines Schmiedes augebracht ist, bald Johannes von Nepomuk an einein Bächlein mit Palmenzweig, Krucifix nnd dem Sternenkranze über dem Haupte. Die bloudtopfigen Kinder, die iu den Dörfern an der Bandstraße umherspringen, grüßen mit: Gelobt fei Jesu Christ! — nnd das Alles aus atthnsitischem Boden. Die Straße führt immer steiler hinan; der Kutscher, eiu echter Vollblnttscheche, der nur wenige Wurte deutsch spricht, flncht und wettert auf die Pferde. Die Reisegesellschaft ist recht gemischt; mir gegenüber sitzt ein Sohn Israels ans Pilsen, er ist noch vom alten Schlage nnd man sieht es ihm au, daß er strenggläubig ist uud koscher lebt. Er kehrt heim oon den Geschäften, die ihn nach Prag riefen. Dort hat er sich den neuesten „Tagesboten" gekauft, er zieht ihn aus der Tasche uud beginnt zu lesen. Mein Nachbar zur Rechten ist ein junger tschechischer Studeut, der iu die Ferieu reist; er ist in National-kleiduug uud schießt wüthende Blicke auf den Inden, dcr nichts Böses ahnt und über den doch das Gewitter hereinbrechen soll: „Warnm haltet Ihr Israelite«, so beginnt er seiue Rede in wohlgesctztem Tschechisch, warum haltet Ihr es mit den Feinden des Landes? Lebt Ihr nicht oou tschechischem Brote?^) Trotzdem lest Ihr die schmähsüchtigen deutschen Blätter, die von Verunglimpfungen unsrer Nation -^ Beliebte Redensart. Oni ^im ö63k)' ckied, sie essen tschechisches Brot, ist ciu Borwurf, dcu jcdcr Deutsche odcr Jude täglich untcr den Tschechen hören taun, wenn cr nicht mit ihnen in dasselbe Horn stößt. Beraun und Karlstcin. 59 winunelu! Wollt Ihr nie echte uud wahre Söhne des Baterlandes werden?" Der Jude steckte seiueu „Tagesboteu" in die Tasche schaute deu mngeu „Wlastenec" (Vaterlaudsfreund, üb« die Brille eine- Weile au und begann dann in eigenthümlich accentnirtem Tschechisch: „Herr Student, Sie sagen da viel auf einmal. Unsere Verfahren wohnen seit länger als 1200 Jahren in diesem Lande und find eine Wohlthat für dasselbe gewesen. Denn da, wo Ihre Nation ein Bürgerthum Nicht zu schaffen verstand, wo eine Lücke sich zwischen Hoch und Niedrig zeigte, da traten wir und die von (5uch herbeigerufenen Deutfchen ein uud bildeten das Mittelglied. Wir leben von uuferer Arbeit und nicht von Ihrem Brode, wir lesen die deutschen Blätter und halten zu den Deutschen, weil auf ihrer Teite Cultnr und Handel find." Der Streit zog sich in die Länge nud drohte heftiger zu werdeu. Als daher zur rechten das Pla'nerplatean des weißen Verges auftauchte, warf ich die Frage hin, ob dort nicht die berühmte Schlacht stattgefunden hätte? Der Student war wohlbewandert in der Geschichte feines Vaterlandes, ließ den Streit mit dem Israeliten und sprach ebenso fließend deutsch mit nur, wie vorher mit dem Inden tschechisch. „Dort oben haben die Deutschen nnd Jesuiten uus den Schlag versetzt, den wir zweihundert Jahre nicht verwinden konnten. Nill'5 Gott, so kommen jetzt andere Zeiten. Die Morgenröthe bricht 6n und Männer wirken für unfer Volk, so edel und tüchtig, wie sie wenig Nationen aufzuweisen haben. Hat man nns nicht geknechtet? Ä6ar unsere heilige Muttersprache nicht aus den Landesschulen verbannt? Kennen Sie die strengen Patente Kaiser Josephs, der uns wit Gewalt gcrmanisiren wollte?" Das Sündenregister der österreichischen Negierung ward bis auf ^le neueste Zeit herab fortgeführt und den Schluß machte ein Knall-efsctt: „Nicht einmal Telegramme dürfen wir in uufrer Sprache in 60 Bcraim und Karlstein. unsrem Lande beordern, wähveild deil fremden Sprachen nichts in dm Mg gelegt wird."") Was konnte ich erwidern? Mir siel es nicht ein, die Regierung zn vertheidigen, znmal der Herr Stndiosns nicht in den gewöhnlichen Fehler verfiel uud die Deutschen nlit der Regierung identificirte. Unter diesen Gesprächen war das Dorf Lodeuitz erreicht. Der Kntscher ninßte Durst verspüren nnd das Schild mit den Worten: „I»w>n8^ i'ivu", Pilsener Bier, war in der That zn verlockend. Wir machten Halt. Ans der Thürschwelle der Schenke lagerten einige herumziehende Slowaken, die nns mit dem katholischen Grnße empfingen. Die armen Bnrsche, welche einen weiten Weg ans ihrem elenden Karpathenlande hierher haben, sahen recht verhungert aus. Aber es wareil schöne Gesichter nnter ihnen, sie waren hoch nnd schlank gewachsen nnd die lang alls die Schnltern herabwallenden kohlschwarzen Haare standen ihnen gut. Sie boten ihre kleinen Drahtarbeiten an nnd der tschechische Stndent, in dessen Busen das Gefühl der tschechoslavischcn Etanmiverwandtschaft wach wurde, griff gerührt in die, wohl nicht überfüllte Tasche. Drinnen in der niedrigen Echenkstube sah es recht schmutzig und verräuchert ans; es war voll und ein wirres Durcheinander herrschte. An einem Tische abseits saßen zwei zerlumpte Männer, der eine spielte die Harfe, der andere die Geige. Die schrillen Töne wnrdeu von dem Gesang einiger tschechischen Rekruten begleitet, die mit Sträußen au den Mützen, die dampfenden Pfeifen im Munde, hier die letzten Kreuzer verjubelten, welche ihnen die Mutter mit auf den Weg gab. 5) Erst Endc September l« wnrdc vom österreichischen Hcmdcls-minister dic Erlaubniß zum Telcc,rapl,n'cn mich in tschechischer Gvrache ertheilt. Es ist geradczn mibcc,rch'lich, wic man unter nichtigen Vorwänden vou sciteu der Verwaltung diesc Erlaubniß ucrwcigcru tonnte. Briefe mit tschechischer Adresse waren ja erlaubt! Vcrami mid Karlstein, ßi Morgeli müssen sie in Prag sein, da kommt das deutsche Commando und die cultivirende Seise nnd Jan, Pepik, Tomasch und Waclav werden dentsch lernen, sie werden cms Schildwachc stehen nnd „hol^ berdo" (halt wer da?) schreien. Und kommen sie dann einmal wieder ans Urlaub in ihr heimathliches Dorf, so sind sie stolze Männer in der weißen Uniform mit bnntem Kragen, sprechen gut dentsch nnd wnndern sich, daß die Marianka nnd Faninka so dünnn sind nnd blos „böhmisch" sprechen. Marianka nud Faniuka aber denken i so klug wie die wollen wir anch bald sein. Sie gehen nach Prag ill Dienst. Und dann kommen sie wieder und können deutsch sprechen, aber auch ein Kindchen bringen sie mit. Der Pepit und der Waclav haben ausgedient; sie kehren heiln und nnn nimmt der Pepil die Marianka und der Waclav dic Faninka und den Müttern und Kindern ist geholfen. Für uns Deutsche ist ein regelmäßiger, sargförmigcr Hügel in der Nähe von Lodeuitz besonders bemerkenswerth. Hier stritten im elften Jahrhundert zwei Premysliden, Friedrich und Sobüslav miteinander. Ans Friedrichs Seite standen deutsche Hilfstruvpen. Sie wurden geschlagen. Dem gefangenen Führer der Deutscheu schnitten die Sieger Nase und Ohren ab und begrubeu ihu lebendig, indem sie in ihren Helmen so viel Erde zusammentrugen, bis jener regel mäßige Hügel entstand. Ich habe den Vcrg nicht näher untersucht, ob er ein lüustlicher Tumulus oder mir ein Naturspiel ist. Aber die Gegend zeigt viele „Hünengräber" und anch die Hradischtc, jene sonderbaren Ningwälle, die sich durch ganz Osteuropa hinziehen, finden sich hänfig. Es war schon dunkel, als der Stcllwageu über die Brücke der Verauuka nach der alten Königsstadt Bcraun hineinfuhr. — Eu war die Fahrt auf der Pilseuer Straße, über die damals Wagen au Wagen unt Eifeu, Brettern, Holz uud allen möglichen 62 Bcraun und Karlstein. Waaren dahinzogen. Jetzt ist es dort ziemlich still. Mit der Westbahn erreicht man Berann in einer Stunde und die Fahrt mit dieser über Kuchelbad, Königfaal und durch das romantische Thal der Mies ist bei weitem angenehmer. Da lag das alte Städchen vor mir, freundlich, anzieheud und doch so bescheiden. Ringsumher treten die Verge iu weiteu Bogen zurück uud schließen eine fruchtbare Ebene ein, dnrch die wildscha'u-mend mit unregclmäßigeu, bald sandigen, bald felsigen Ufern eiu-gefaßt, der Veraunfluß sich hindurchwiudct. Fast alle Abhänge der Berge sind kahl und von weißer glänzender Farbe, denn derober-silurische, versteinernngsreiche Kalkstein tritt häufig zu Tage. Weiter nach Südwcsteu zu erhebt sich ein langgestreckter massiger Bergrücken, es ist der ^isek oder Haselberg nnd stolz hinter diesem bis zu 1900 Fuß aufsteigend die Kruschuahora, jener erzreiche Höhenzug, auf dem noch prächtige Vuchenbestände an die, einstige Herrlichkeit der böhmischen Wälder erinnern, die sprüchwörtlich geworden, aber iu Wahrheit schon sehr verschwuudcu siud. Beraun ist eine alte uud zum Theil noch recht alterthümlichc Stadt, die in der böhmischen Geschichte eine Rolle spielte. Karl IV., jener Kaiser, dem Böhmen nicht genng danken kann, von desseu Ruhme jede Scholle des Landes predigt, nannte anch Verauu „Voruna m«H" uud die Bürger des Städtchens siud heute noch stolz anf das Prädimt „Königlich", das ihr Ort führt. Der Name soll weder slavischen noch germanischen Ursprungs, sondern keltisch und mit Brunn, Bern nnd Verona gleichbedeutend sein. Schon vom Flusse her präfentirt sich der Ort sehr malerisch. — Reste alter Stadtmauern, aus Backsteiucu aufgeführt uud mit kleinen spitzdachigen Thürmen besetzt, von deuen zierliche Giebel uud Fialen sich abheben, umgcbcu Beraun, das etwa 400 Einwohner zählt. Hohe Kirchthürme und größere Bauten findet man freilich Bcraim und Karlstem. 63 nicht, aber die zwei alten Hauptthore, das „Prager" und das „Pil-seuer" erfreuen das Auge des Alterthumsforschers. Stattlich prä-scutiren sich die hohen spitzbogigen düstern Einfahrten mit den tschechischen Inschriften darüber, die uns ankündigen, daß wir uns hier auf rein slavischen: Boden befinden. Wir stehen bald auf dem Ring, dem großen schlecht gepflasterte» Marktplatze, der von niedrigen Häusern mit weiten rnndbogigen Thureinfahrten umgeben ist. Hier und da tritt uns noch cm Erker entgegen oder ein zierlicher Renaissancegiebel erhebt sich in die Luft. Inmitten des Platzes fehlt auch er nicht, dem jeder echte Böhme Viebe nnd Verehrung entgegen-lrägt, der heilige Johannes von Nepomut. Dort steht er auf den: alten Brunnen, „hell glänzen die Sternleiu ihm um das Haupt, daß selig das Volk wird, das au ihn glaubt!" In der Rechten hält er den Gekreuzigten, in der Vinken den Palmzweig, unter ihn: sprndelt frisch das Wasser des Brunnens, oon dem die Dirnen der Stadt schöpfen, wo sie allabendlich ihr Stelldichein mit den: „Schamstcr" haben. Anßer dem Ring hat Beraun keinen Platz nnd nnr wenige kurze Straßen führen nach rechts nnd links; wenige Fabriken erheben ihre hohen Essen in der Umgebung der Stadt, die im Ganzen von ciner armen Bevölkerung bewohnt wird. Die „Noblesse" wird meistens durch Beamte vertreten, die in unverhälluißmäßig großer Zahl sich hier aufhalten. Veuchtet uns doch überall der k. k. Doppelaar entgegen, bald an: Bezirksgericht, bald an der Post, den Tabakstraffiken und der Gensdarmeriewache. Ist denn Veraun so gut kaiserlich? ^lch nein, wir lernen die Spießbürger kennen und finden bald, dah sie nur „königlich" gesinnt, daß ihnen der Kaiser von Oesterreich nur als „naHo öc!8ky Kral'', unser böhmischer König gilt. Ich stieg in einen: Wirthshause an: Ring ab, wo mich das kokette „Stubenmädl" in wohlgesetztcm Deutsch empfing und in eiu ^'vßcs, nicht gerade sehr einladendes Zinnner geleitete. Anch an den 64 Bcrauu und Karlstcin, Wänden manifestirte sich das Tschechenthum; da hingen sie, alle die großen Führer der Nation von hente. Der greise Historiker Franz Palazky mit dein langweiligen Professorgesicht; Ladislans Ricger mit dem deutschen Namen, dem grimmigen Ange und dem tschechischen Herzen; Klaudy mit dem schonen blonden Vollbart, nnd dort endlich in der Tsckamara, den: schnureubesetztcn „Nationalkleide", Karl Havlitschck, der Journalist, der zu früh fiir die Tschechen in Folge der Quälereien, welche die Regierung au ihm verübte, dahinstarb. Sie alle thronten über meinem Vette und schienen mich zu fragen: „Was willst du deutscher Fremdling auf diesem slavischen Boden? Weißt dn nicht, daß Böhmen nie zn Deutschland gehörte, daß wir mit cuerni Lande nichts zu schaffen haben wollen? Ins Grab mit dem überlebten, altersschwachen Germanien! Unser ist die Zukunft, uns allein gehört sie, den jugendkräftigen Vollern slavischer Zunge." Das waren schöne Auspickn für meine Nachtruhe; ich riß das Fenster auf und schaute auf den Ring hinaus, ob denn wirtlich hier so gar nichts Deutsches zu finden wäre. Aber nein! Das Erste was ich erblickte waren einige barfüßige, zerlumpte Mitglieder derBcrauncr Straßenjugcud, die sich au einem nationalen Spiel, Spatschel, ergötzten. Sie waren uuermüdlich darin, ein kleines, etwa drei Zoll langes, an beiden Enden zugespitztes Hölzchen sich mit Stäben einander zuzuwerfen. Meine Wiege stand nicht an der Moldau, Sazava oder Mies, ich bin daher auch uicht näher in die Mysterien des Spat-schck eingedrungen und kann dessen Regeln nicht verrathen; in den deutschen Gegenden Böhmens scheint aber dies Spiel nicht bekannt zu sein. Die Töne eines Leierkastens schallten von der Straße herauf an mein Ohr; meist waren es national-tschechische Weisen, welche das alte zahnlose Weib dem Instrument entlockte, und wie höhnend erklang es plötzlich: Verarm und Karlstein, 65 3u8o1kn, imm Mo — „Schuselka schreibt uns aus dem deutscheu Reiche, daß wir dm Deut-schen zu Hilfe kounneu folleu, denn sie haben Bauchgriunnen betone men." — Air Spottliedern auf nns fehlt es in Böhmen gerade nicht; wenn sie auch nicht alle znr Orgel gesungen werden oder gedruckt sind, so gehen sie doch schriftlich von Hand zu Hand und erregen den Haß gegen alle „Frankfurter", wie man die Deutschen zu nmuen pflegt. Auch schone Lieder, so etwa wie unsere „gedrnckt iu diesem Jahr", verkauft die alte Hexe dort unten; drauf ist ein roher Holzschnitt angebracht: ein zierliches Mädchen pflückt Acpfcl von einem Vanme. Die Ausführung dieses xylographischen Werkes erinnert au die Bignetten ans den Tabakspackelen vun Nathusius — alles zeigt an, daß diese Druckwerke aus einem sehr niedrigen Standpunkte stehen; aber niedrig, sehr niedrig würden sie dem tschechischen Patrioten schon um deßwillen erscheinen, weil sie nach der alten Rechtschreibung und — Iwrridilo üiow — mit deutscheu Lettern gedruckt sind, denn groß nnd breit steht ans dem einen: „Nowa pjsen Mladencum a pauuam." Die Tschechen gebrauchen bei ihren Druckwerken jetzt stets die lateinischen Lettern, uud uur allerlei Volksschrifteu werden noch mit deutscheu Buchstabcu gedruckt; die heranwachsende Iugeud bedient sich aber schon meistens der lateinischen Lettern. Uutm im Schenkzimmer waren die Lichter angezündet worden; es wurde lebhaft, und die erbgesessene Bürgerschaft Verauns rückte heran; der eine im gewöhnlichen Rocke, der andere in der ueuerfun-omen Tschamara, Auch ein junger Kaplan, in langein schwarzem Rocke fehlte nicht. Ich ging anch hinab. Das „Stubcnmädl", das "ben recht gut deutsch gesprochen hatte, antwortete mir hier unteu ^uf meine Fragen nach einer deutscheu Zeitung kurz tschechisch: ,,^o-nuwn>,." Wir haben keine. Ich wnßtc also, von welcher Seite hier unten, der Wind blies, und ich mußte mich schon bequcmeu, mit N, Andrcc, Tschechische Gänge. 5 ßß Bcramt mid Karlstem, meinem gerade nickt sehr guten Tschechisch hcrauszurückeu, wenn ich mit den Herren verkehren wollte. Das Mädchen hatte Recht: nnr gut tschechische Blätter, wie die Narodni listy, der Pokrok und das schmutzige Witzblatt Humoristickc listv lagen auf. Die Gesellschaft vergrößerte sich immer mehr. Da war ein Gerber, ein Klempner und anch der Herr „Pnrtmistr" ^Bürger-meister), feines Zeichens ein Mittler. Sie alle waren Mitglieder des Gesangvereines „Slawosch", dem vor kurzen: die Jungfrauen des Städtchens eine neue Fahne gestickt hatteu; diese und der darauf angebrachte böhmische Löwe bildeten das einleitende Gespräch, das sich durch eiue einfache Ideenverbindung bald von dem doppelgeschwänzten Leu zur „ösZI«», Korans wandte. Die „tschechische Krone" ist diesen Leuten das politische Gvangclinm, ihr Eines und Alles. Der Kaplan nahm eine Prise nnd erklärte, man dürfe mit der Bereinigung von Böhmen, Mähren und Schlesien nnter einem anf dem Hradschin thronenden Könige sich nicht begnügen; preußisch Schlesien, die Lausitz, wo 1W,Ws) slavische Brüder unter deutschen: Joche seufzten, gehörten von rechtswcgcn auch dazu'^ nnd früher, zu den Zeiten Karls IV. habe Böhmen bis an die Ostsee gereicht; man müsse auch ein Stück Meer besitzen, schon Shakespeare habe von den Küsten Böhmens nn Wintermärchen gesprochen, nnd Berlin, Dresden und Breslau dürften Provinzialstädte werden, die, wem: ihnen erst die Segnungen slavischer Cultur zu Theil würden, allmählich erblühen könnten. Der geistliche Herr trng dick auf, aber desto gröfter wurde sein Ruhm als „Wlastenec". Er schrieb auch die Korrespondenzen für die *) Ein tschechischer Ccmdidat der Rechte erbot sich bei seiner Doctor-promotion am 7. Nov, Ißttl, öffentlich folgende These z» vertheidigen: „Trotz des Mlderpurificatioussystcms und Aufhebung des Lehcubestcmdcs besteht der Anspruch der Krouc Bohmeuö auf die Lausitz noch immer aufrecht," Bercnm und Äarlstein. ß7 Narodni llsty und protestirte gegen den Namen „Pochmatow", den man der gnten Stadt Verann beigelegt hatte, um es zn einer Art tschechischen Abderas zu steinpcln. Kein Schadenfeuer, keine Gassen-gcburt, kein Diebstahl, keine Rauferei entgingen seiner gewandten Jeder und Vcrauu glänzte daher unter den Correspoudenzen der Narvdni listy als treutschechische Stadt obenan. Man hatte der Politik genng gethan und weidlich auf die Deutschen geschimpft; wer hätte also den edlen Kämpen für Nationalität und Freiheit eine Erholung verargen können? Frischer Drcikönigstabat, gewachsen auf Ungarns Fluren und verkauft in der kaiserlichen Traffik ward in die braungerauchten Meerschaumpfeifen gestopft mid das Pilsener Bier im Glase erueuert. Daun gruppirte mau sich zu einem „nationalen" Kartenspiel um die Tische. Die dabei gebrauchten Karten sind freilich die italienischen, aber das Spiel selbst „Schestadwacet" (Sechsundzwanzig) scheint iu Böhmen entstanden zu sein. Ich war unschlüssig, wohin ich meinen Fuß weiter wenden sollte. Stromanfwärts nach Westen zu oder iu entgegengesetzter Mchtung? Die Wagschale schwankte. Ging ich nach Westen, so kam ich zunächst in die Eiseuindustriegegend, dahin, wo zwischen romantischen Bevgkuppen die Gichtflammen der Hochöfen geu Himmel lodern, wo die Eisenhämmer ihr gleichmäßiges Ticktack erschallen lassen, nnd schwarze rußige Gestalten in den großen Wäldern das Holz zu Kohlen brennen. Dort balzt noch der Auerhahu, streift das Wildschwein umher nnd bricht der stolze Zwölfender in die Saaten des armen Landmanns ein. Dort wühlt bei Tag und Nacht das geschäftige Volk der Berglente in den Eingeweiden der Erde und fördert das Eisenerz, dort erhebt sich stolz zwischen waldigen Vergeu die alte gothische Burg Pürglitz, das Ki-ivoklat der Tschechen, wo in einsamer, stiller Abgeschiedenheit Erzherzog Ferdinand von Oesterreich mit seiner fchöneu Philippine Welscr wohnte, die ihm hier ihren , 5* 68 Beraun und Karlstein, zweiten Sohn, Karl von Burgau, gebar. Dort zieht sich die wilde Thalschlucht Ouvor hin, die noch wenig gekannt ist und an ihrem Ausgang blicken die verwitterten Ruinen von Tjkow auf die Fluchen der tanncnumkränzten Mies herab. Einst war sie ein stolzes Jagdschloß des faulen Wenzel, der, wie die Sage geht, beim Königsstuhl von Rhenfe für eine Tonne Asmannshäuser den Kaiserhcrmelin in Nuvprcchts von der Pfalz Hände legte. Mehr nach Südwcsten erheben sich zwei andere schenswcrthe Ruinen, die viel von vergangener Pracht und Herrlichkeit zu erzählen wissen: Totschnik und iebrak; dort liegt bei einem steilen Kieselschicferfelsen am Fuße des Kruschnaberges das Dorf Hudlitz, wo ein neuer Messias der Tschechen, Josef Jung mann geboren wnrde. Dort endlich erblicken wir zwischen Wäldern einsän: und verborgen das Törftein Swata, in welchem die Reste einer Hnsitengemeindc aus dem silbernen Kelche der Vorfahren noch heute das Abendmahl nuter beiderlei Gestalt nehmen. Heute scukte sich mir die Wagschale zu Gunsten der entgegengesetzten Seite. Also stromabwärts, hin zu dir, Tetin, zu euch, ihr romantischen Felsen von Srbsko und zn dir, Krone aller Burgen Böhmens, du unvergleichliches Karlstein! Stromabwärts von Berann beginnen die Flußnfer wieder steil anzusteigen und nur mit Mühe und vielen Kosten hat man einen Durchgang fiir die Eisenbahn ausfindig gemacht. Ich folgte den engen Pfaden, die sich durch die Kalksteinfelsen hinschlängeln und erreichte nach kurzem Marsche Tctin. Einige elende Bauernhäuser, aus roh behauenen Holzbalken aufgeführt, repräsentiren jetzt das Dorf, das einst eine bedeutende Stadt gewesen sein soll. So erzählt wenigstens das Bolk. Doch müssen wir uns mit den Berichten über große alttschechische Städte sehr in Acht nehmen. Tctin war eine Burg (LrM), um welche die Wohnsitze (soäia, 08a. Juni 1348, den Grundstein dazu. Beinahe neun Jahre währte der Bau und am 27. März 135? ging von eben diesem Bischof die Einweihung vor sich. Die Burg trägt den Namen ihres Gründers; er ist ganz deutsch; denn es war in Böhmen schon von früherer Zeit her Sitte, daß selbst tschechische Adelige ihre Burgen mit deutscheu Namen belegten, dasür zeugen Klingenbcrg, Schreckenstein, Rosenberg, Sternberg u. A. Im Grüu-dnngsinstrnment kommt nnr der Name „Karlstcin" vor, ältere tschechische Schriften haben „Karlssteyn" und die neuere Form „Karluv tyn" ist nur eine schlechte Uebersetzung, welche den deutscheu Namen ausmerzen soll. In der Stiftungsurkunde heißt es: in castro nostro Carlstein quod funditus de novo construximus et nostrii proprii Komiuis adjectionc pro nostra majori mcmoria, duximus appe-tondum, ut vidocilicet Carlstein a Carolo uominetur. 72 Beraun und Karlsteiu. Damit die Burg nicht ohne Vertheidiger dastehe, wurden die Zwei und zwanzig Karlsteincr Lehen gegründet, deren Besitzer zu jeder Zeit mit Roß und Reisigen herbeieilen mußten, nm den heiligen Ort zu beschützen; denn zwei Kapellen mit einer Menge kostbarer Reliquien barg das Innere, und wir können nns eines Lächelns nicht erwehren, wenn wir uuter den Reliquien folgende angeführt finden: „Dälo nod hradu, dale At' to uepotka neštdsti nenadäle!" „Fern von der Vurg, fern, damit dich nicht nnverschens ein Unglück überrasche!" Aber die Reliquien waren nur Ausschmückung der Vurg, nicht nm derentwillen war sie erbaut worden. Hauptsächlich war Karlstein dazu bestimmt, den deutscheu und böhmischen Reichskleinodieu, bann wichtigen Landesurkunden als eine sichere Aufbewahrungsstätte zn dienen. Sie ruhten in einer Nische der Kreuzkapelle hinter dem großen Altar, dort anch fand eine Zeitlang die ehrwindige deutsche Kaiserkrone Schntz, die von Prag hierher geführt wurde, bis Karls Sohn, Kaiser Sigismund, sie 1420 nach Ofen flüchtete, damit sie 1)M husitischeu Banden nicht in die Hände siele, welche dem Karlstein soviel Unbill zufügten. Heute siud die Rufe d« Manneu, die das Düio oä Iiraäu, MIs ausriefen, verstummt und ein alter Kastellan mit klapperndem Schlüsselbund geleitet uus durch die verödeten Hallen uud erzählt Burgmärchen, die ihren Ursprung ans der bcrüchtigteu böhmischen Chronik des Domherrn Hajek von Libotschan nicht verleugnen können. Pars de virga Aron, quae refloruit. Lapis magnus ubi Dominus fuerat a Diabolo tentatus: die ut lapides panis tiant. Digitus St. Joannis 11. quo monstravit Cliristum, dicens: ecco agnus Dei. — So ward Karlstein ein großes Reliquiar, zu dessen Ausschmückung die ersten Künstler der Zeit berufen wnrdcn nnd an dessen Thoren die Wächter allstündlich warnend ausrufen mnßten: Bcraun und Karlstcin, 73 Ein einziger künstlich ausgesprengter Weg führt durch zwei Eingangsthore in den Vorhof oder Zwinger, der von Kanzleigebänden eingerahmt wird, nnd an diesen schließt sich die Bnrg, das Wohngebäude Karls, nut langer, fünf Stockwerk hoher Front. In den hohen, weiten Hallen sieht alles traurig und verödet aus; ans dem Gyps? boden rascheln Mäuse hin nnd in dem Getäfel der mit Eichenholz belegten Wände bohrt und nagt der Holzwnrm. Man zeigt in diesem Gebäude noch eine Statue des heiligen Nicolaus cms Lindenholz, die Karl selbst geschnitzt haben soll; allein nach ihrem ganzen Habitus, nach der Art des Faltenwurfes ist sie junger. Es ist dieser Wohn-palast des Kaisers der interesseloseste Theil der Vnrg, indem nur die theilweise mil Wappen versehenen Mstkästen der alten Lehnsritter den Heraldik« einigermaßen anziehen können. Von dem Wohngcbäude führt ein überbrückender Bogen nach der Collegiattirche, die zugleich Dechanatswohuung war und deren unterirdische Räume als Burgverließ und Gefängniß benntzt wurden. Sie fuhren merkwürdiger Weise den Namen „öerwenka", d. h. Rothkehlchen, vielleicht nach dem ersteu Bewohner, und wissen viel von vornehmen Verbrechern, von Folter nnd Staatsgefangenen zu erzählen-, der Custos zeigt uoch einen ausgemauerten Gang, durch den die Gefangenen von einer der oben befindlichen Hallen herabgelassen wurden. Mit mehr Wahrscheinlichkeit kann man diesen aber für einen watschen Kamin ansehen. Ursprünglich war wohl nicht die Anlage von Kerkern und Verließen in der „heiligen" Burg beabsichtigt gewesen; allein schon unter Karls Sohn nnd Nachfolger Wenzel ward sie entweiht und geschahen dort profane Dinge. In dem Wohngebäude Karls auch geschah vou vier böhmischen Edeln (Bnrghard Strnad, Stephan Poduschka, Stephan von Qpotschno und Markolt von Worutitz), welche der Burg-Mf Hanufch nebst Spießgesellen 1397 niederstieß mit den Worten: 74 Veraun und Karlsteiu. „Ei, Ihr Herren, Ihr seid es ja, die dem Könige rathen, nicht nach Deutschland zu gehen, — Ihr seid es, die ihn um das deutsche Reich bringen wollen." Karlstein hat dann später noch Scenen-ganz anderer Art sehen niüssen, die ihm den heiligen Charakter gänzlich abstreiften. In der Gründnngsurknnde war ausdrücklich hervorgehoben worden, daß kein Weib in die heiligen Räume treten, gefchweigc denn im Thurme schlafen darf. Wenig mehr als 200 Jahre waren seit Gründung, der Burg vergangen, in der Karl betete und in frommer Abgeschiedenheit von der Welt lebte, als dort Liebesabenteuer spielten, die nicht zu den sittsamsten gehörten nnd eine Romantik anderer Art dort Platz griff. Bon 1600 —1605 war Jan von Wreschowitz Burggraf ans Karlstein; seine schönen Töchter mögen den Aufenthalt dort wohl etwas langweilig gefunden haben, sie sehnten sich nach Abenteuern. Da erscheint Francois dc Bassompierre, der bekannte französische Marschall, der vollendete Hosmann anf der Burg. Ihm, das weiß man, konnte kein Weib widerstehen, die Zahl seiner galanten Abenteuer ist Legion; er vermahlte sich hennlich mit der Prinzeß von ^othringen-Guise, nnd führte einen laugeu Proceß mit dem Fräulein von Balzac, der er die Ehe versprochen. Auf Karlstein erscheinen nnd das Herz des schönen Vurgfräulein Anna Tybilla von Wreschowitz gewinnen war eins. Die ,^jonnc! dg,m6 ä'sxcsilouto beauty ou llsso äo äixliuit au»" hielt ihn in ihrem Kämmerlein verborgen und verpflegte ihn da. Das alles im Karlstein, von dem Karl bestimmt hatte: No in wrri (^tri 0g.ri8t,oiQ6ii8i8, in yuo (spoils liumillieao M38ioiii8 oum alihua nmlioi-o, 6tia,in uxors IsMim», äormirß 8SU ^ooi-s lioclU. Im zweiten Stuckwerke des Palas befindet sich die Kirche Maria Himmelfahrt, in der noch heute Gottesdienst abgehalten wird, und iu ihr fühlt sich der Beschauer schon dadurch znr Andacht Bercmn und Karlstein. 75 hingeneigt, weil er hier die ersten Kunstwerke ans der Zeit der Gründung der Burg antrifft. Es sind Wandgemälde, welche Darstellungen nnt Versen ans der Apokalypse und eine Maria mit den: Christus-knabeu in Lebensgröße enthalten. Aber alles ist arg beschädigt, verblichen nnd erregt den Zorn gegen die Bandalen, die hier gehanst haben. Da ist der siebenköpfige Lindwurm, sind untergehende Städte, allerhand Dämonen, Engel, Reiter und geängstigte Menschen; die Gestalten sind ungemein lebhaft gehalten, es ist freie Bewegung in ihnen und die Phantasie des Künstlers ist zn bewundern. Die Bilder zeigen, nach Knglers Urtheil, „einzelne großartig giottcske Figuren." — An der Wand rechts vom Hochaltar sind auch drei, noch ziemlich gut erhaltene Wandgemälde angebracht, welche Scenen ans dem Leben Karls darstellen. Ans dem einen ist der Baiser mit seiner Gemahlin Blanka abgebildet, wie er ihr ein Krenz überreicht; anf den: zweiten giebt er seinem Sohne Wenzel einen Ring, anf dem dritten betet er an einem Altare. Die lebensgroßen Gestalten haben etwas Süßliches; sie sind ganz im Style der dentschen Schnle ausgeführt und als ihr Meister gilt, wohl nicht mit Unrecht, Nicolaus Wurmfcr von Straßburg. Denn dieser Maler war 1359 herbeigernfen worden, um die Schlösser des Kaisers auszumalen, (ut, pinzM looa ot caLtra) und dicht bei Karlstein erhielt er ein Gut znm Geschenke. Bon der Marienkirche führt eine eiserne Thür nach der Ka-tharinenkapelle, die vielleicht einzig in ihrer Art dasteht. Sie ist so klein, daß sie höchstens zehn Personen faßt nnd war das Sanc-tuarium des Kaisers, der hier, ganz abgeschieden von der Welt, oft Tage lang in Bet- und Vußübnngen zubrachte. Und damit nichts 'hn in seiner frommen Persnnkenheit störe, ließ er sich die Nahrungsmittel durch ein Loch in der Wand znschieben. Das ist der Ort, von dem der tschechische Patriot Rieger sagt: „Hier wohnte, hier betete, hier vergaß znweilen seiner selbst, aber nie seiner Böhmen, der ge- 76 Berciun und Karlstein, liebteste Karl!" Dm Namen Katharinenkapelle ertheilte Karl mit Rücksicht auf den Sieg, welchen er 1332 am Tage dieser Heiligen beim Castell St. Felice erfochten; an demselben Tage war er anch 1355 dnrch die Tapferkeit seiner böhmischen Begleiter beim Ans-bruch der Verschwörung des Gambacurta in Pifa ans den Händen der Empörer befreit worden. Alle Pracht, die man in damaliger Zcit verwenden konnte, wurde in dieser Kapelle angebracht nnd obgleich vieles im ^aufe der Zeit Verdarb oder entfernt wurde, so blendet sie doch noch heute den Be-fchauer. Von geschliffenen Halbedelsteinen fnukeln die Wände, da wechfelt Karneol, Amethyst und Iafpis, die uns ans einer vergoldeten Gypsunterlage entgegentreten. Die architektonischen Verhältnisse sind Überaus zierlich uud reizend. Die Decke wird dnrch ein doppeltes Kreuzgewölbe mit zierlichen Gurten gebildet, zwischen denen sich blaue Sterne auf Goldgruud abheben, die Schlußsteine der Wölbung sind silberne mit Edelsteinen besetzte Scheiben und dnrch die mit Glasmalereien geschmückten Fenster fällt ein gedämpftes Vicht in den kleinen Ramn, der auch der Malereien nicht entbehrt. An der Wand befinden sich sieben Köpfe böhmischer Landespatrone, über der Thür Karl IV. selbst uud seine Gemahlin Anna v. d. Pfalz. Der Altar, vor dem der Kaifer betete, zeigt eine sehr schöne Madouna mit dem Iesusknaben, offenbar italienifche Arbeit, uud vor diesen Karl und eine seiner Gemahlinnen. Huldvoll neigt sich die Inngfrau zur Kaiferm herab nnd bietet ihr die Hand, während der Kaiser die Hand des Christkindes erfaßt. Das ist das kleine Meisterwerk der Katharinenkapelle, welche jeden Besucher mit Entzücken erfüllt, das aber bei weitem noch dnrch die Kreuzkapellc überboten wird, die wir nun betreten. Sie liegt in dem letzten und Haupttheile der Burg, einem 121 Fuß hohen vicr-eckigeu Thurme mit 13 Fuß dicken Mauern. Seine Architektur Vcrailn und Karlstein. 77 erscheint uns plump, aber mächtig; je weniger hübsch sein Aeußercs, desto anziehender ist das Innere. Die Aussicht von der mit einer Galerie unigebeueu Spitze ist keineswegs bedeutend, denn rings verhindern die umgebeuden Berge deu frcieu Blick; uur uach dein Dorfe Vudnau uud dem Flusse zu, kann das Auge etwas weiter in die Ferne schweifen. An einigen alten, im untern Geschosse aufgehängten Glockeu vorüber, gelangt mau zu der engen Wendeltreppe, in der uns zunächst Wandgemälde italienischen Styls entgegen treten. Die Beleuchtung ist aber sehr ungünstig und der größte Theil der Bilder ist schon jetzt so beschädigt, daß wohl dies Jahrhundert noch ihr gänzliches Erlöschen sehen wird. Zum Glück wnrden sie vor dreißig Jahren von zwei tüchtigen böhmischen Malern, Vhota und Kandler, copirt. Die Darstellungen behandeln die Einführung des Christenthums in Böhmen durch die Taufe des Herzogs Boriwoj, die Geschichte der heiligen ^udmila uud des heiligen Wenzel. Vorbereitet durch die andächtige Geinüthsstimmimg, welche durch bie Abbildung der Geschichte dieser Heiligen im gläubigeu Sinne wtsteht, gelangt man im dritten Stockwerke zu der mit vier Thüren und neunzehn Schlössern verwahrten Kreuzkapelle. Die tschechische, uüt alteu deutschen Lettern augebrachte Iuschrift auf eiuer der Thü-^n lalltet: Pän Krystus, neymocuegssj pän, racz techto klenotnw, «Itrzjhati sam, a/ do ueyposlednegssjho dne." (Herr Christus, mäch-^Ftcr Herr, wolle diese Kleinodien selbst behüten, bis zum letzten ^age.) Wir stcheu unu ali der Schwelle des heiligen Ortes, der üußer den Reichsinsignien so viele sonderbare Neliquicu barg, zu ^'sseu Ausschmückung alle Kunst nnd Pracht verwendet wnrde, dercn ^'^ damalige Ieit fähig war. Es gehörte zu deu größten Vergünstig-lUlgen, daß diese Kapelle eincni Fremden gezeigt wurde, da Karl selbst s^ nur mit bloßeu Füßen betrat. In deu: poetischen Gemüthe des Kaisers klaugen die Sagen der alten deutschen Rittergedichte wieder; 78 Beraun und Kcirlstcin, die Schilderungen der Kapelle des heiligen Gral im Titurel nahmen bei ihm eine feste Gestalt an, und so ließ er denn nach diesen, wie Snlpiz Boisseröe zuerst nachwieß, die Kreuzkapelle erbauen. Staud doch der ganze Karlstein schon wie ein verkörpertes Gedicht da auf den: marmorartige« blauen Kaltfelsen, der gleich Montsalwatsch „Ucbcrcill so mickcl Ein Fclsc waz, Pon Grunde nicht anders dcnn Onichel," Die Kapelle wird durck ein sieben Fuß hohes eisernes, noch theilweise vergoldetes Gitter in gothischer Form in zwei Theile getheilt. Von den Edelsteinen, die einst von der Wölbung über dasselbe herabhingen, ist nur ein ein einziger Chrysopras übrig geblieben. Die Wände sind wie in der Kacharinenkauellc mit geschliffenen Halbedelsteinen ausgelegt, deren Zwifchenräume mit vergoldetem Gyps angefüllt waren, in den überall der Buchstabe X eingepreßt erscheint. Kühne, weil gespannte Kreuzgewölbe bilden die Decke und ans ihr heraus treten unzählige Tterne von vergoldetem Glas; in der Mitte ist noch der ruude Nanm, deu einst die aus reinem Gold gebildete Sonne, nnd die sichelförmige Stelle zu sehen, den der silberne Mond einnahm, genau so wie es in der Schilderung der Gralkapelle heißt: „Die goldfarbc Ä?onnc Und darzn der silberweiße Mine Dm beiden waren ihre Bildc dargereichet." Die herrlichen Fenster, von denen ein kleines ans Bernstein und Amethysten zusammengesetztes Stück noch vorhanden ist, sind verschwunden. Die Pracht ist vergangen, denn: „Äcrillcn und Krystallen Warcn da für Glas gesctzct."*) *) Der leider zu früh verstorbene tschechische Archäolog Ferdinanv Miwwctz hat diese Beziehnngen dcr Kreuzkapelle in seiner Monographie der Burg Karlstcin näher auseinandergesetzt und wir folgen hier ihni. Bcraun und Karlstcin, 79 In den Brustbildern, welche dicht gedrängt die obere Hälfte der Wände cmsfüllen, ist uns dcr schöuste Kmlstschcitz Böhmens erhalten worden. Vs sind sogenannte Tcmperagcinälde nn't Leimfarbe cmf Holz uud Gypsgrund gemalt, welche zahlreiche (139) Fürsten, Heilige, Bischöfe, Mönche und weibliche Köpft darstelleu. Als ihr Meister gilt Theodorich oder Dietrich, Aeltestcr der Prager Maler-innnng. Da uian für die Erhaltnng dieser Kunstwerke in späterer Zeit sehr besorgt war, so machen die Bilder jetzt eiuen noch ziemlich frischen und dabei doch ehrwürdigen Eindrnck. Der Prager verdiente Knnstschriftsteller Dr. A. W. Ambros urtheilt über diese Gemälde (Oesterreichische Revue 1863. VI. 327) folgendermaßen: „Von Byzantinismus oder überkommenen Typen ist hier keine Spnr. Der Meister hatte offene Augen für die Natur; er hat seinen Kopftypus der böhmischen (sie) Nationalphysiognomie entnommen, die, beiläufig gesagt, durchaus nichts der russischen ähnliches hat, wie man insgemein glaubt. Seine Köpfe sind höchst ansprechend, ungeachtet er die Nase meist in eigenthümlicher Profilstcllnng gegen den Mund vorschiebt. Aber wie treu, wie mütterlich, wie hansfraneuhaft ehrenfest sehen diese Matronen darein, welche liebliche jugendliche Schönheit blüht in diesen blonden Mädchenköpfen (St. Margaretha, Ursula, Agnes), wie würdige Priestcrgestalten sind diese Bischöfe, wie ritterlich diese Helden. Sie gleichen einander alle wie Brüder und Schwestern, und sind doch in einzelnen merkwürdig charakteristisch mdivi-dualisirt. Die Perle unter ihueu ist St. Ludmila, gradaus vor sich hiublickend, ein Kopf von entzückender Schönheit, wie einst schon Friedrich Schlegel bemerkte. In der Tiefe des Fensters über der Thüre sind die Kirchenlehrer, au der Altarwaud die Apostel angebracht; die rechte Feustertiefe nimmt eine Gesellschaft heiliger Frauen und Jungfrauen ein. Ohne alle Mystik, ohne alle Uebcrschwenglich-keit steht die heilige Gesellschaft wie lebendig anzusehen da! Den, 80 Beraun und Karlstein. Kunstfreunde aber macht sie die Krenzkapclle zu einem wahren Kunst-heiligthnm." Die schön verzierten Nahmen, welche die Bildnisse von einander scheiden, waren mit kleinen Oeffnungen versehen, worin theils in krystallenen, theils in goldenen nnd silbernen Behältern, die Reliquien jenes Heiligen, welchen das Bild vorstellt, aufbewahrt wurden. Was für ein Laudsmann Thcodorich gewesen — wissen wir nicht; das seinein Namen jetzt gewöhnlich angehängte Prädikat „von Prag" ist als Erfindung neuester Zeit zu bezeichnen, weder in den Malerprotokolleu, noch in dem kaiserlichen Gnadenbriefe, welche Dokumente vollständig erhalten sind, kommt eine ans das Vaterland Theodorichs bezügliche Andeutung vor. Der Meister gründete eine Schule und scheint in seinem Alter nach Schwaben übergesiedelt zu sein. Den Tschechen gilt Theodorich „von Prag" als der Stifter einer nationalen Malerschutc — mit welchen: Grunde ist freilich schwer einzusehen. Noch stehen in der Kreuzkapelle zwei kleine Bilder aus der Zeit der Gründung der Burg, die von dem Italiener Thomas,von. Modena herrühren. Vielleicht waren sie Theile eines Altares, vielleicht Tabcrnakelthüren. Es ist eine außerordentlich liebliche, gut erhaltene Madonna nnd ein verstümmelter Christns am Kreuze; unter letzterem Bilde steht: ^bomas do Nutina t'^it. Diese Bilder sind weit idealer gehalten, als die Bruststücke Thevdorichs und haben unverkennbar italienisches Gepräge. In dieser Kreuzkapelle wurden auch früher die böhmischen Krönungsinsignien ausbewahrt und da sie jetzt eine Rolle spielen, so mögen sie an dieser Stelle näher erwähnt sein. (Vergl. meinen Aufsatz darüber in der Allg. Ztg. 1871 Nr. 273.) „Der König von Böhmen, so heißt es in einein tschechischen Werke, wird bereits mit dem zurückgelegten vierzehnten Lebensjahre großjährig, und kann daher schon von diesem Augenblick an den Thron Bercnm und Äarlstcin. 81 bestcigeu. Nach der Thronbesteigung läßt sich der König von Böh-inen auf dor Prager Burg nach altherkömmlichem Gebrauch mid Ritus in feierlicher Weise krönen. Dieser Act war seit -jeher in Böh meu eine unerläßliche Nothwendigkeit uud die eigentliche Gipfelung der Köuigswürde, indem der Köuig bis zu diesem Moment selbst in llrkunden sich bloß deu Titel eines Herrn und Erben des König-reiches beilegte nnd, bevor er nicht gekrönter König geworden, weder die königliche Gewalt, noch die MajeMsreckte ausüben, auch nicht das große Reichsinsiegel führen konnte. Wenn gleich dieser geheiligte Gebrauch diese seine beschränkende Rechtswirkuug thatsächlich verlur, wurde er dennoch bis auf uusere Tage immer iu aller Form aufrecht erhalten, und es ließen sich alle Inhaber des böhmischen Thrones krönen, mit Ausualnne «aiser Josephs I., welcher wegeu der dama-ligeu Kriegsperiode und wegen der kurzen Dauer seiner Regierung keiue Zeit faud sich kröneu zu lassen, obwohl er es wünschte; daun mit Ausnahme Josephs II., welcher alle ererbten Reckte nicht sonder-lich achtete, solvie er die Vornahme dieses Actus auch in Uugaru unterließ," In dem Patent vmu 1. Auglist 1804, in welchem Franz l. ^en erblichen Titel eines Kaisers vou Oesterreich ainlimntt, bestinunt der vierte Artikel: „Bei deu Krönuugsfeierlichkeiteu, denen sich unsere vorfahren als Mwige von Uugaru und Böhmen unterzogen, hat es auch für die Zukunft ohne alle Aenderuugeu zu verbleiben." Der gegenwärtig regierende Kaiser versprach am 15i. April 18»>1 der au >hu abgesandten Deputation des böhmischen ^'audtags, sich feierlich krönen zn lassen, er wiederholte 1865, dieses Persprechen nnd 1.^71 abermals. Wir werden also wohl die Krönung in Prag erleben. Die böhmischen Reichsinsignien ruhen nun uuter siebenfachem Anschluß oberhalb der Weuzelskapelle in eine,n verborgenen Raumc ^s Prager Beitsdmns. Als Kaiser Karl IV. den Entschluß faßte. 82 Beraun und Kcirlstein. sich und seine Gemahlin Blauca von Balois krönen zu lassen, und auf seinen Befehl die neue Krone dazu verfertigt werden sollte, traf es sich, daß das dazu bestimmte Gold nicht reichte. Karl war abwesend, und so hatte Blauca den Einfall, die alte goldene Krone des heiligen Wenzel zur Ergänzung mit in den Schmelztiegcl wandern zu lassen. Karl war darüber untröstlich. Der Prager Bischof Ernst von Pardnbitz rieth nun, die neue Krone bei den Reliquien des Heiligen aufbewahren zu lasseu, ja er erwirkte eine Bulle des Papstes Clemens VI., welche jeden, der gegen diese Anordnung handeln werde, mit den: Banne bedrohte. Diese böhmische Krone nun besteht aus einem goldenen Stirnreif, aus dem sich vier Ornamente in der Gestalt mittelalterlicher Lilien erheben; über denselben kreuzt sich ein Doppelbogen, an welchem Über dem Scheitel des Hauptes ein Krenz angebracht ist. Sie ist reich mit Edelsteinen, Rubinen, Sapphiren, Smaragden, Balasseu und Perlen besetzt. Ein ungeschliffener Sapphir vom hellsten Wasser, 40 Karat schwer, ziert die Stirnseite. Das Gewicht der Krone beträgt 4 Pfd. 133/4 Lth. Der Habitus derselben ist eiu ganz mittelalterlicher uud offeubar conform gehalten mit der älteren frauzösischen Krone der Könige ans dem Hanse Balois. Stammt die Krone, die keine Wenzelskrone mehr ist, unzweifelhaft ans Karls IV. Z^it, so läßt sich dieses vom Reichsapfel, Scepter und Krönnngsmcmlel keineswegs behaupten. Diese wurdeu zur Zeit Kaiser Rudolfs II. von italienischen Künstlern verfertigt. *) Das Gemach über der Wenzelskapelle darf nur anf ausdrücklichem Befehl des ^andesfürsten, in Gegenwart von sieben Deputirten aus dem Hcrrenstand und unter Aufsicht des Erzbischofs und Statthalters, ") Conservator Bock in dm Mitth, der l, t. Ccntmttmmmssion zur Erforschung und Erhaltung dcr Vaudmtuialc. II, Iahrg, Oktober 1«57. Vcrcnm und Karlstcin. 83 geöffnet werden. Das sogenannte Wenzelsschwert wird abgesondert Von diesen Kleinodien im Prager Domschatz aufbewahrt. Nach der Ansicht des Conservators Bock bietet dieses Schwort keineswegs Auhaltspnnkte für ein hohes Alter. Die Tschechen sagen: es stamme von dem Heiligen, also ans dein zehnten Jahrhundert. Nach allen Aeußcrlichkeiten mnß es aber in das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gesetzt werden. Bei der Krönung schlägt der nene König damit die St. Wenzclsritter. Bon Wenzel selbst stammt also bei allen diesen Dingen nichts mehr her. Aber die Tschechen halten daran fest, nnd der Glaube macht selig. Sanct Mclav ist ihnen in Fleisch nnd Blut übergegangen, er ist der Schutzpatron des Bandes, nnd der 28. September, fein Tag, ein allgemeiner Feiertag. Doppelt heilig erscheint sein Grab im Veitsdome. In den böhmischen Landrechten von 1404 steht die Perfügung: ebenso wenig wie ein des Todtschlags Beschuldigter ergriffen werden könne, wenn seine Fran ihn umarme, oder mit ihrem Kleid decke, oder er vor der Königin von Böhmen sich befinde, ebenso wenig darf er an dem Grabe des heiligen Wenzel auf dem Prager Schloß ergriffen werden. Auf dem Noßmarkte (Nenzelsplatze) zn Prag, wo dic plumpe Rciterstatue des Heiligeu steht, tönen an seinem Tage, während seiner Oktave, die Litaneien der Tschechen zu ihm empor. Die Kapelle wölbt sich mit den: Schein purpurner Lampen über ihm, anf seiner Brust glänzt das Bild der Muttergottes von Alt Bunzlau, welches er bei sich geführt haben soll, als der wilde Boleslaw 935 ihn ermordete. Dann ertönt das alte Wenzclslied, ^vat,/ Vue1av<', vovnäo öeÄlo /(Mio, heiliger Wenzeslaus, Herzog des Böhmerlandes, dessen Schlußstrophc von den Tschechen nicht ohne politischen Beigeschmack gesungen wird: 6* H4 Beraun Ultd karlstcin, Heiliger WcuzcHlcm^ Herzog des Bülinlerlauds, Du unser Fürst, Bitt für lnis bei (^ott Dem beiligeu Gcist, Wic schöit ist des Hnumels Reich! Selig, wer dort gelangt Zum cw'geu Hcil, In die helle Gluw , Des dcil'gcn (Ncistes. Deinen Schutz crditteu wir. Erbarm dich über uns. Tröste die Traurigen, Wehr alles Uebel ab. Heiliger Wcuzcslmis, Au der Auffrischung des Andenkens an den Heiligen avbcitcn die tschechische Presst, Kirche und Tchnlc gein^inschciftlich, und das ursprünglich rein kirchliche Lied, welches im Jahr 134!! vom Bischof (irnst von Pardubiz gedichtet wurden sein soll, das unter Borau-tragung der Wenzelsfahne bei Beginn der Schlachten gesungen wurde, cs ist heute fast ein politisches geworden. Wenn der Tscheche singt: Ak^N v5« 2I6, Wehr' allcs Uebel ad, so dentt er bei dem „Uebel" natürlich nur an die Deutschen. Wenzel im Bilde, auf einem Schimmel in voller Rüstung sitzend, mit der Herzogslrone alls dem Haupte, den Wimpelspeer mit dem alien vor-Ottotar'schen Wappen Böhmens, dein schwarzen Adler im weißen Felde, haltend, ist in jeder tschechischen Bauernhüttc zu finden. Das ist der heilige Wenzel, der milde, fromme Fürst, der in Andaän und Bußnbuugeu den größern Theil seines Lebens verbrachte und den Wein selbst kelterte, den er zum Abendmahl brauchte; ev pflanzte ebenso den Weizen, droich ihn, mahlte ihn und buck daraus die Hostien: in Altbunzlau ist noch die Kirche zu sehen, wo dies geschah. Bcrmm und Kcirlstem. 85 An iene Wenzelskrone nnn knüpfen die Tschechen ihr „historisches Recht", wie die Ungarn an die Stephanskronc. Aber sie können nicht lauguen, daß die Ordnung der staatsrechtlichen Verhältnisse Böhmens wesentlich das Werk der Deutschen Kaiser ist. Böhmen, nodilo imporii meindi'un), das edle Glied des deutscheu Reicks, erlangte theils durch Heiurick IV.,. theils durch die Hoheu-staufen Friedrich I. und Friedrich II. die königliche Würde. Im Hinblick auf die Dienste, welckc das ganze Volk der Böhmen dem deutschen Reiche leistete, ernannte Friedrich II. den Ottokar zum König und übergab ihm taxfrei die Regalien. Später, zu Karls IV. Zeiten und in den Urkunden dieses Kaisers, ist, wie Höfler nachweist, nirgends von einer St. Wenzelskrone die Rede, und die böhmische Krone wurde uicht etwa iu einem St. Wenzelsstein, sondern im Karlstein neben den deutschen Reichsiufignieu aufbewahrt. Als uach Karls Hinscheiden fein Sohn Wenzel die Krone Deutschlands nnd Böhmens trug, blieb der Karlstein unangetastet. Der „faule Weuzcl" zog die Jagd den Bußnbuugeu und Staats-geschifften vor nnd verlegte seinen Wohnsitz nach den nahegelegenen Iagdschlössern Pürglitz, Tjrow und Totschnik. Aber schon sein Bruder Sigisnmnd vergriff sich an den Reichthümern des Karlsteines. Ewig in Gelduöthen, dachte er wie Herzog Christian von Braunschweig, der die zwölf silbernen Apostel zu Padcrborn einschmelzen uud zu Thalern ausprägen ließ, mit den Worteu: „Gehet hin in alle Welt und prediget allen Heiden." Die echten Edelsteine wurden von Sigis-mund durch unecktc ersetzt, die silberueu Schilde, welche au deu von Theodorich gemalteu Brustbildern angebracht waren, nüt hölzernen vertauscht, Soune und Mond ans der Decke der Kreuzkapelle ausgebrochen und zn Geld gemacht. Auch die husitischcn Stürme brachen verwüstend über Karlstein herein. Besonders während der Belagerung im Jahre 1422 hatte 86 Berami und Karlstein. Karlstein viel zu leideu. Damals zogen die Husiten vor das Schloß, um die Krone und die Rcichsinsignien aus demselben zu holen, mit denen Priuz Siegmund Korybut gekrönt werden sollte. Allein der damalige Karlsteiner Burggraf Alcsch Zdislaw Tlura Wrabsky von Bu5enitz war nicht der Malin, welcher die Beste gutwillig übergeben hätte. Gr vertheidigte sich mit vielem Geschicke und die Belagerer mußten abziehen. Ueber die Belagerung selbst ist uns ein interessanter Bericht ans jener Zeit erhalten geblieben, in einem Brief des damaligen Karlsteiner Dechanten. „In der Zeit," so lautet er, „als die Hussen lagen vur dem Karlstein mit Macht nnd mit fünf Bleydcn nnd ans denselben Vleyden Hohn sy als viel geworfen, als neun tanscnd Wurf und zween nnd dreißig Wurf mit Steinen. Item mit dem Gestank!) Hohn sy geworfen tausend Wäsill (Fäßchen mit Aas uud Uurath gefüllt) vnd zwei vnd zwanzig Wäsill mit Fever Hohn sy geworfen; item ans der großen Büchsen, die da heißet Pratschka (Pragerin, PraNa) Hohn sy geschossen 6mal, da zerbrach sy. Iwn aus der Büchsen von Iärmau ^Iaromörfa) schussen sie sieben Schnsse, die zerbrach am achten Tage nach vnser Fravm Himluelvahrt mit Gottes Verhängnuss. Item aus der Büchse Richlitze oder Suel (die Schuelle) gcnaunt, do schussen sy zu dem Brunnen zwey und dreißig Schuß und die zerbrach anch von Gottes Willen und also ist das Havs und Slos bewahrt mit Gottes Sorg und mit der lieben vnsreu Fravcn vnd mit olles Gottes Heiligen vnd mit dem Flcyß der strengen Ritter nnd Knecht." Auch Feucrsbrünste verwüsteten den Karlstein und schon unter Rudolf II., gerade WO Jahre nach der Gruudsteinlegung, mußteu bedeutende Restauvatiousarbeitcu vorgenommeu werden, nm das Schloß vor gänzlichem Ruine zn bewahren. Der Kaiser selbst bestritt die bedeutendeu Kosteu ans eigenen Mitteln nnd noch jetzt prangt s^iu Name an mehreren Stellen der Burg. Allem bei dieser Restauration Berauu und Karlstcm, 87 Hing manches Ursprüngliche verloren nnd ungehörige Zuthaten im Geschmacke der damaligen Zeit wurden angebracht. Dann brauste der dreißigjährige Krieg durch das Land nnd der Karlstcin litt wiederum. Die Schweden verwüsteten im Jahre 1648 .mehre königliche Zimmer nnd hinterließen eine halbe Ruine; doch schon früher waren die böhinischeu Reichsinsiguien nach Prag überführt worden und so Dcrlor die Burg ihre eigentliche Bedentnng/ — um derentwillen sie Karl IV. erbaut hatte — die Hüterin der Krone zu sein. Dann 'verpfändete mau den Karlstein nnd verkaufte ihn endlich 17<»2 für 100,000 Gulden an einen Grafen Kolowrat-Liebsteinsky, löste ihn jedoch später wieder ein nnd übergab ihn endlich dem adligen Damen-stifte in Prag zur Nutznießung. Halb erhalten, halb Nuiue steht die berühmte Burg jetzt vor uns da, dcnu alles, was dafür iu diesem Jahrhunderte geschah, ist nicht genügend, ja theilweise sehr uugeschickt alisgeführt. Im Jahre 1865 nahm sich der böhmische Landtag des verwaisten Karlsteiu an, uud Gelder zn seiner Restanrirung wurden verwilligt. Der Plan zu denselben rührt vom Professor Friedrich Schmidt hcr. Obgleich der Kaiser, welcher die Burg gründete, der Baumeister, welcher sie bante uud ein großer Theil der Knustler, die sie ausschmückten, vou Geburt keiue Tschechcu waren, so ist mir Karlsteiu doch immer wie ein Bild des Tschechcnvolkes selbst vorgekommen. Es hatte Tage großer Vergangenheit, es blühte einst mächtig — aber ^ie Stürme der Zeit verschlangen alles, bis auf wenige Neste. So war auch die Geschichte der Tschechen. Wie jener sich nicht wieder in alter Pracht, Bedentnng nnd Herrlichkeit erheben wird, soviel auch moderne Nestanratoren daran arbeiten mögen, so auch diese nicht. Auch die Tschechen hatten große Tage. Sie sind vergangen nnd kehren trotz aller Anstrengungen nie wieder. Die Tschechen und die Tchulc. Das bekannte Won: „Die preußischen Schulmeister haben Oesterreich bei Königgrätz geschlagen" ist variirt 1^71 von den Franzosen wiederholt worden und auch die Engländer haben es sich hinter die Ohren geschrieben. Die deutschen Schuleinrichtungeu sind als etwas zu vortreffliches bekannt, als daß wir hier eine ^anze für dieselben brechen follten. Tic leuchten allen übrigen Völkern voran, ihre segensreichen Einfliisfe liegen anf der Hand nud das deutsche Bolt hat seine hohe Enltnrftcllnug wesentlich ihnen mit zn verdanken. Wo die Culturverhältnisse zwischen Deutschen und Slaven ab-gewogen werden, wie ich es hier thue, ist auch ein vergleichendes Eingehen anf das Schulwesen nnd den Schulbesuch geboten, sckon iun zu zeigen, wie abermals in geradezu überwältigender Weise auf deutscher Seite das Uebergewicht ist; anf die Slaven selbst fallen dabei interessante Streiflichter, die ihr Austürmen und Hetzen gegen die dentschen Schulen in Bändern, die sie mit den Deutschen zugleich bewohnen, als ein durchans cnltnrfeindliches Streben erscheinen lassen, wobei dann die Nationalität den Deckmantel hergeben muß. Vor vier Iahreu hat eine vom britischen Parlament niedergesetzte „Commission des Schulwesens" »ber das Unterrichtswesen in Europa uud Nordamerika Bericht erstattet, uud hier finden wir einige Anhaltepunkte. Nicht weuiger als drei Jahre lang hatte man Tie Tschechen mid die Sclmle. 89 Stoff gesammelt, der in 20 großen Bänden dem Parlament gedruckt vorgelegt wurde. Fachmänner waren nach Preußen, der Schweiz, Frankreich, Äiordamerika entsandt worden, um deu Zustand der dortigen Volks-, Mittel^ uud Hochschulen ins Auge zu fassen nud mit deu englischen zu vergleichen. Das meiste und unbedingteste Lob wird dem preußischen Schnlwesen gespendet. Tie Elementarschulen, sagen die Commissarc, seien gnt und wohlfeil, die Lehrmethoden vortrefflich, nud das gauze Unterrichtssystem sei deu Bedürfnissen des Kolkes angemessen. Ueber die Ergebnisse des Boltsschulunterrichts m Preußen erhalten wir am besten Auskuuft, wenu wir den „Bericht über die Schulbildung der im Ersatzfahre 1868-^1809 eingestellten Ersatzniannschaftcn" zn Rathe ziehen. Aus diesen» ergicbt sich, daß mnner noch 5182 Mann oder :!,!,, Procent der Gesammtsumme ohne alle Schnlbildnug waren. Die alteu Laudestheile uehmeu hierau ?heil in folgenden! Maße: Preußen Posen . . . Pommern . . Schlesien . . Brandenburg . Tachseu . . Westphaleu . . Rheinland . . Betrachleu wir diese Tabelle uäher, so crgiebt sich eine rapide Abnahme der Schulbildung, je weiter wir nach ^sten gelangen, uud ^war hängt dieses unzweifelhaft mit der slauischen Bevölkerung im Dsteu Preußens zusammen: Pofeu, Preußen nnd Schlesien (hier touuneu die oberschlesischeu Wasferpolaken in Betracht) stehen am Refften in der Scala. Deutschthnm nud Schnlbildling sind Begriffe, "^' sicb gegenseitig decken, wo aber die slavische Bevölternng anftritt, 1404 Manu oder Procent. „ 14,73 „ 00 „ Z80 „ 5i1 .;? „ <»,„ 1,,^ Aehnlich stellen sich die Ergebnisse in den übrigen deutschen Ländern nnd der Schweiz, die bekanntlich viel Geld anf guten Unterricht verweudet. Einzelne Kreise in Vayern, namentlich die altbayerischen Gegenden, stehen jedoch bedentend zurück hinter Franken und der Pfalz, nnd die Thatfache ist nicht unbeobachtet geblieben, daß da, wu die ultramontanen Abgeordneten gewählt worden, die Schnlbildnng die mangelhaftere, die Zahl der Verbrechen die größere sei, gegenüber den Wahlbezirken, die liberale Abgeordnete stellen. Eiu inniger Zusammenhang dürfte hier kaum zu leugnen sein. Gehen wir nach Oesterreich, su drängt sich uns sofort wieder die Thatsache auf, daß die Schulbildung iu dein vorwiegend deutschen Die Tschechen und die Schule. 91 „Nsleithanien" verbreitet ist, nnd zwar in dm ehemals zum deutschen Vunde gehörigen Ländern, nicht aber in den jetzt wider-natürlich mit dieser Reichshälfte vereinigten Ländern Galizicn nnd Dalmatien, die weder geographisch noch ethnographisch zur Westha'lfte der Monarchie gehören. Nehmen wir für Oesterreich-Ungarn wieder die Armee znm Maßstabe, so ergiebt sich, daß von den 1865> und 1866 eingestellten Recrnten des Schreibens kundig waren: In Niederösterreich. . 83^ Proccut. „ Böhmen . . . 60^2 „ „ Mähren ... 45^ „ Schlesien . . . 69^ „ „ Tirol .... 3^/2 „ „ Ungarn .... 25 V2 „ „ Croatien ... 13 „ „ Siebenbürgen . . 8''/, „ „ Galizien . . . 4'/.^ „ Kram .... Z1/2 „ „ Dalmatien ... 1 ^ „ Wie beschämend für viele Kronläuder ist nicht diese Tabelle! Selbst das finstere Tirol mit seinen „schwarzen Tschechen" übertrifft noch alle östlichen Länder, die mit ihrer vorwiegend slavischen, magyarischen und wallachischen Bevölkerung weit hinter den deutschen Theilen Oesterreichs zurückstehen. Aber auch da, wo Deutsche und Slaven gemischt unter einander wohnen, zeigt sich ein vorherrschen der Volksbildung auf Seiten der Deutschen. Dieselben Resnltate gewiuueu wir, wenn wir auf die Zahl nnd Verbreitung der Bolksschulcu in Oesterreich eingehen. Wir verweisen hier aus den vom ehemaligen Minister v. Stremayer herrührenden „Jahresbericht des K. K. Ministeriums für Cultus nnd Unterricht s'ir das Jahr 1870" (Wien, Hof- uud Staatsdruckerei 1871). Es 92 Die Tschechen und die Lchiile, sind beschämende Daten, die hier ans ^ickt gezogen werden und der Minister mnß selbst darthnn, daß es die Geistlichkeit in Verbindung mit der staatsrechtlicheu Opposition (1870 die Tschechen:c.) ist, welche dem Volte sogerne „Steine statt des Brotes" reichen möchte. Was helseu alle Neformversncke bei der Opposition gegen die freisinnigen Schulgesetze! (3s wird noch lange dauern, ehe Oesterreich sick znln deutschen Staudpnntt der Volksbildung eniporarbeitet. Während-z. B. in Sachsen auf eine Quadratmeile acht (ilementarscknwl konnnen, enthalten daraus iu Oesterreich nock nicht drei ^^!,',- währeud in Sachsen l»5i Procent der schnlpflichtigeu linder die Tchnle besuchen^ ist dieses in Oesterreich nnr mit 76 Procent der Fall und im slavischen Galizien hat mehr als dic Hälfte der Gemeinden gar keine Schule. In diesem rutheuisch-polnischen Lande, ans dem die letzten deutschen Vehrer nnn glücklich hinausgetriebeu sind, das noch nicht deu siebenten Thcil der Einwohner Oesterreichs umfaßt, kommen dafür anch 2Ü Procent aller wegen Verbrechen oernrtheilte, ^7 Procent aller Mordthaten uud 50 Proceut aller Todesurtheilc vor. Slavische Knltur! Auf je 100 schulpflichtige Kinder lx'snchen ill Galizien 20, in Dal-matien 15, in der Bntowina gar nnr 12 die Schule! Der „Bolks-bildungsverein" für Galizien hat delll neuen Statthalter, dem Polen Golnchowski, 1871 im Sommer diese Verhältnisse auseinandergesetzt und mn Abhilfe gebeten. Der polnische Magnat antwortete: Zur Abhilfe sei leider teiue Aussicht vorhanden, deun dazu. wären jährlich eine halbe Million Gulden nöthig, die zngleich fehle. Und solche Veute wollen über die Deutschen herrschen! Höchst interessante Einblicke in die Verhältnisse des Besuches der Volksschule in Böhmen, gewährt uus die hierauf bezügliche ttarte ill I>i-. A- Filters statistischeu Wertcheu über die Bevölkerung des Königreichs Böhmen. Die stärkste Benutzung der Uuterrichts-anstalten sindet mau auch hier, »vie stets in Oesterreich, bei den Die Tschechen und die Schule. i)l! Deutschen.*) In den deutschen Vcitmeritzer, Saazer nnd Egerer Kreise steht sic am höchsten, denn dort entziehen sich noch nicht einmal 2 Procent der Schulpflichtigen dein Besnche, während i» den tschechischen Kreisen Tschaslan lind Tabor 5, im Kreise Piset gar >4 Procent dieSchnle nicht besuchen. Unter 56 Bezirken, iu welkem der Schulbesuch vollständig ist, befinden sich 51 Deutsche, wogcgeu von 110 ganz oder vorwiegend tschechischen Bezirken nnr 4 in die nste Kategorie des Schulbesuches entfallen! Der aufgeklärte Absolutismus »uter Maria Theresia und noch mehr unter ihrem Sohne Joseph II. suchte ganz Oesterreich über einen leisten zuzustutzen und glaubte dieseu Zweck am Heften dnrck die Tchnlen zu erreiche»«, in denen überall die deutsche Unterrichtssprache Zugeführt wurde, namentlich in den Gymnasien nnd niedern Sradt-schulen, gleich bei deren Reformirnug nud Aufhebung des Jesuitenordens. Die Absichten waren wohl löbliche, doch der Zweck, die Bildung des Volkes wnrde verfehlt. Im Jahre 1774 wnrde die deutsche Tprache iu den Haupt- und im Jahre 1776 in den Volksschulen Angeführt. Im Jahre 1766 wnrde verordnet, daß nur diejenigen ui ein Gymnasium aufgenommen werden dürften, welche der deutschen Sprache mächtig wären; ohne Kenntniß der deutschen Tprache sollte ^ieuiand ein Stipendium erhalteu, ia nicht eiumal ein Lehrling konnte 'u eine Zunft eintreten, ohne daß er des Deutschen mächtig war! *) Dafür nlögc noch dcr Verkauf cm Lcscbück'ern für die iistcrrcichisckctt ^oltsschlllen der Beweis liefern. Bon dem Vottvschuldi'ichcrvcrlass wurden ^W abgesetzt, 50->7 m serbischer, 13,34« in mcgarischcr, 12,409 iu rumänischer, 11MI '" kirchcuslavischcr, 418!> iu hebräischer Sprache, N, b, znsannncn ill dcn Sprachen der intercsfanten Nationalitäten 1M3,951 Gtnct — in deutscher Zprache aber rast cbenfooiel, nämlich !>5i1M? Ztück. Uud dock 'Nachen die Deutschen nur den vierten Tycil der Bevölkerung ans. 94 Die Tschechen und die Schule. Trotz alledem machte das Teutsche nur äußerliche, keine organischen Fortschritte, und eiu Geschlecht wurde herangebildet, das nicht Fisch, uicht Fleisch war. Die Wurzeln einer Sprache siud zäh und lasseu sich nicht so leicht künstlich ausjäten. Obgleich damals in Böhmen von einem Natioualgefühl keine Rede sein konnte, ward das Volk nicht gcrmauisirt, der günstige Zeitpunkt hierfür war schou mit dem 15. Jahrhundert vorüber. Aber diese Bewahrung der Nationalität unter den Tschechen, selbst in der ungünstigsten Periode, spricht nur dafür, daß das Volk als solches sich nicht wie ein Handschuh umkehren läßt und daß die ehemals slavischen Bänder im deutscheu Osten, sowie die deutscheu Theile Böhmens nur, oder allergrößteutheils, durch deutsche Kolonisirung, nicht aber dnrch Entnationalisirnug der ursprünglichen Bewohner gewonnen wurden. Wir könueu der damals ausgesprochenen Ansicht Pelzels uicht beipflichten, der da meinte, die tschechische Sprache würde ganz aus dein Lande verschwinden und daß „Böhmen das Schicksal von Meißen, Brandenburg und Schlesien theileu und von der tschechischen Sprache nichts als die Namen der Städte, Dörfer, Flüsse übrig bleiben werde." Die Gegenwart hat nun das umgekehrte gesehen nnd wu die Tschechen die Mehrheit bilden, da scheu sie es auf völlige Unterdrückung der Deutschen ab, versuchen sich leidenschaftlich au der Tschechisirung der Schuten, und dräugeu ihr Idiom deu Deutschen anf, wie weiland Kaiser Joseph II. ihnen das Deutsche anfzwang. Eingedenk der Thatsache, daß der Jugend die Zukunft gehört, haben es sich die Tschechen seit dem Jahre 1860 angelegen sein lasseu, auf die Tschechisirung derselben hinzuwirken-Prag ist ohne deutsches Hinterland, nnd die Dienstmädchen, welche die Sprache der Kinder mehr bestimmen als die Eltern, bringen den deutschen Kindern eine fremde Sprache bei, so daß diese ihre Muttersprache erst dann erlernen, wenn sie bereits tschechisch denken und fühlen. Das hat den Deutsche» viel Abbruch gethan uud den Prager' Die Tschechen und die Schule, 95 Stadtrath auf Antrag Prüf. Hamerniks zu dein Ausspruch veranlaßt, daß cs in Prag keine deutschen Kinder gebe, folglich keine deutschen Schuleu nothwendig seien (1862). Das Anstürmen der Tschechen gegen die deutschen Schulen danert fort nnd I87<) uuißte die Regierung zwei deutsche Tchuleu Prags vor der gewaltsamen Schließung durch den Prager Stadtrath schützen. Eine weitere Tschcchisiruugsmaßregel — Folge des Lompro-misses zwi scheu Adel und Tschecheu — war die Annahme des sogenannten Tprachzwanggesetzes iiu böhnnschen Landtage, das am l^. Januar 1866 unter dem unschuldigen Titel „Gesetz über die Durchführung der Gleichberechtigung beider Landessprachen im Schulunterricht" die kaiserliche Sanktion erhielt. Zwangsweise sollte also die tschechische Sprache in die Schnlen reiu deutscher Gegeudeu eingeführt werden. Alle deutschen Städte Asch, Eger, Karlsbad, Reichenvcrg, Nimburg, Anssig u. s. w. prutestirtcn dagegen, allein dieser schändliche, Hwang ward zuni Gesetz erhoben nnd erst 1868 wieder beseitigt. Das Gleichbcrechtignngsprincip, ans welches die Tschechen sich berufen, findet an dem Principe der Cultur seiue Schranke nnd die Trägerin dn' Cultnr in Böhmen, wie in Oesterreich nberhanpt, bleibt die kutsche Nationalität nnd Sprache. Diese Thatsache steht fest uud ^lles was Magyaren, Tschecheu, Polen, Rnmänen, Serben u. s. w. 'u den dünsten nnd Wissenschaften in Oesterreich geleistet haben, verschwindet gegenüber den Leistungen der Deutschen. Mit dem Worte Gleichberechtigung wird ein arger Unfug getrieben, denn fo gewiß lücht alle Menschen einander gleich sind, so wenig sind sich auch d" Götter gleich. Es ist daher ein Unding, Ungleichartiges mit gleichem Rechte versehen zu wollen. Und warnm verlangten die Tschechen diese Gleichberechtigung? Weil sie selbst dentsch verstehen "^'r nothwendigerweise lernen müssen, darum zwingen sie dnrch 96 Die Tschcckcn mid die Tcbulc. Majorisirnng widersinnigerweise die Deutscheu sick nut dem Idome des „herrschenden" Voltes bekannt zu machen. Nach tschechischer Auffassung ist das nur deren Schuldigkeit, denn die Deutschen siud nach dieser nur fremde Eindringlinge. Der deutsche Unterricht in tschechischen biegenden und Schulen ist so gut wir rasirt. Das ist Sache der Tschechen und geht die Deutschen nichts an; es kommt anf Rechnung der Tschechen, ob das Experiment gut oder schlecht ausfällt, aber bemerkenswert!) ist es duch, daß jetzt schon in rein tschechischen Gegenden hier nnd da ein Schmerzensschrei nach deutschen: Unterricht sich bemerkbar macht, trotz des uatioualen Terrorisnms. Das tschechische Blatt Mrodni listy brachte 1870 folgende Correspondent aus der Stadt Rokvtzan: „Der Director der hiesigen Haupt- und Unlerrealschulc Herr Wenzel Swietlik hat der Stadtvertretung in einer eigenen Zuschrift angezeigt, daß die Nokytzaner Lehrer dem Wunsche vieler Eltern entsprechend, täglich nach den Schulstunden die Kinder in der deutschen Tpracke unterrichten. Das Gesetz vom 21. Januar 1870 untersage nun die Abhaltung der sogenannten Nachstunden von den» Zeitpunkte, als die Bezüge der Lehrer nach diesem Gesetze ihre Regelung erfahren haben. „Da mir aber," hieß es in der Inschrift des Directors weiter, „der allgemeine Wunsch der hiesigen Eltern bekannt, so ersuche ich die löbliche Stadtvertretung zu erklären, ob sie es wünscht, das die Schüler der Rotntzcuier Gemeindeschulcn iu der deutschen Sprache unterrichtet wcrdeu." — Diese Zuschrift kam iu der Gc-meiuderathssitzung vom ?. Dec. znr Berathung nnd es wurde be-schlosseu, daß die Lehrer gegen eine bestimmte Rcmnncration die deutsche Sprache als außerordentlichen Gegenstand zn lehren haben. Die Tschechen werden schließlich selbst ihr Bedürfniß am besten crkeuueu und jedes Hineinreden der Deutschen in ihre inuereu An-gelegeuheitcu ist ein Unrecht. Ganz anders gestaltet sich die Sache Die Tfchecken und die öchnle, 97 aber, wo es sich um gewaltsame Tschechisiruug deutsch« Anstalten handelt, wo die Tschechen, ihre Mehrheit (in Prag, Pilsen :c.) mißbrauchend, der deutschen Minderheit den deutschen Schulunterricht zu verkümmern suchen nnd verkümmert haben, obgleich diese Minderheit, was die Intelligenz betrifft nnd das Steuerzahlen, über ihnen steht. Von bedcntender Tragweite in jenem zweisprachigen Lande ist auch das Verhältniß zu den Hochschulen, der polytechnischen Anstatt uud der Universität. Beide Institute stehen nicht auf der Höhe der Zeit und können mit verwandten technischen Schulen und Universitäten Deutschlands dcu Vergleich nicht anshalten; die nationale Wirthschaft hat sich nicht gedeihlich für deren Blüthe erwiesen. Ist es doch tüchtigen deutschen Lehrkräften ans dem Reich kanm zu verdenken, wenn sie Berufungen nach Prag ablehnen, wo sie als Ausländer der Tschechenhetze verfallen, pöbelhaften tschechischen Mißhandllingen ansgesetzt sind nnd von der Presse verhöhnt werden. Ein Zusammenwirken deutscher und tschechischer Professoren an derselben höheren Lehranstalt hat sich als dnrchaus unmöglich gezeigt und die Deutschen haben daher das Princip für diese Anstalten anf-ssestellt: völlige Trenmmg, jeder schalte und walte in seinem Hause nach eigenen .Kräften. An der polytechnischen Schule waren die Zustände höchst bedauerlicher Art geworden, wie aus einer Denkschrift ^'r deutschen Professoren hervorgeht, welche als einziges Mittel nm ^üs Uebel zn beseitigen eine Trennung des Lehrpcrsonals in einen ^'Ntschen und tschechischen Lehrkörper verlangte. ^) Die Tschechen *> Damals, im Januar 18«6, schrieb das tschechische Blatt Narodni ^sly die Petition sei ,.ciü landesverrächerischer Versuch, den Frieden bischen beiden Stämmen in Böhmen zu stören," Die polytechnische Anstalt befinde sich in cincm „wohlgerathcnen Entwicklungsgang", was diesen "t. Andrer, Tschechische Gängc. 7 98 Die Tschechen ulld dic Zchule, widerstrebten jedoch dem, ohne irgend stichhaltige Gründe anführen zn können, und erst als dic Deutschen anf dem Landtage die Mehrheit hatten, führten diese eine Trenmmg dnrch. Warnm dic Tschechen eine Trennung nicht wollen, liegt auf der Hand. Ihre Absicht ist die vollständige Tschechisirung der Anstalten, womöglich auf dem 14l)9 von Hns eingeschlagenen Wege, der schon einmal dazu führte, daß die Dentschen die Universität verlassen mußten. Darnm verlangen aber die Deutschen bei Zeiten Völlige Trennung, nm für sich arbeiten zn tönneu. Es würde zu weit führen die tschechische Univcrsitätsfrage hier zu verfolgen, die bereits im März 1866 unter dein unschuldigen Titel „Durchführuug der Gleichberechtigung beider Nationalitäten an der Prager Universität" auf Ricgers Autrag verhandelt wurde, wir wollen nur zur Charakteristik der tschechischen Bestrebungen in dieser Tache anführen, was vom Verfasinngsvereine der Dentschen in Böhmen (27. März 1871) an den Club der liberalen deutschen Rcichsraths-abgcordneten in Wien berichtet wurde. Es heißt da: „Die Durch-führnng des Dualismus in Betreff der Vortrage bei Fcsthaltuug der Eiuheit in Betreff des Senats uud der Profesforencollcgieu, tauu von den Deutschen nicht acceptirt werden. Es schließt den Ruiu der deutscheu Universität als unabwendbare Con-sequenz in sich ein." — Um dies sich deutlich zn machen, braucht man nnr zu erwägen, aufhalte, sei „jeuer schnöde Theil von Fremden, der sich nicht znr Vcr^ brcitnng der AuMärnns,, sondern aus gieriger Gewinnsucht bier nieder^ gelassen l,er Verhältniß zur Kreise. Knaben, Mädchen. hcmpt. Vcvijlkening in <"., Serpuchow . . . 2059 410 2469 2^ Vronnitzi . . . . 1281 402 1683 Kolomna . . . — — 1498 Moskau . . . . 1245 204 1449 Rttw .... 1216 163 1379 2 l/,,. Dnutrowsk . . 952 156 1108 Bogodorsk . . 963 130 1093 '/, Swenigorodsk 832 106 998 IV. Klin .... 810 125 935 Wereja . . . «54 123 757 Wolotolamsk. . 71»» 33 743 1 Podolsk . . . 462 90 558 Mo/aisk . . . 330 90 429 15099 Man begnmt nun bcd^ntend^ Summen auf den Volksschul-unterricht zu vmumdm uud Pädagogon auf das ^and zn senden, welche deu Dorfschulmeistcru die bestcu Lehrmethoden zeigen follen. Wie lauge aber wird es noch dauern, ehe wir Früchte sehen! Slavische AlmectinmlM. Es war mi schöner Maitag des Jahres 1859, als ich zum ersten Male in das Thal des Veraunflusfes trat, das damals noch fernab von den Eisenbahnen lag nnd nnr selten von Fremden be-sncht wnrde. Je inehr man sich dein mittlern Lanfe dieses schönen Waldstromcs inr Herzen Böhinens nähert, desto romantischer wird die Gegend. Ringsmn säumt dichter Wald die Ufer ein, plätschernd strömt die Fluth über breit gezogene Wehre hin, welche dem Wasser Kraft verleihen, die zahlreichen Eisenwerke zn treiben; alte verwitterte Rmncn schanen herab anf den Strom, der belebt ist von zahlreichen Flössen, die den HolZreichthum der Gegend zur Moldau hinabführen. Immer weiter rücken die Dörfer auseinander, immer ärmer wird das Culturlcben; aber die Naturschönheiten werden reicher. Zunächst fesselt nnsern Blick das Eisenwerk Althütten, das, wie der Name schon besagt, ans alten Zeiten stammt; auch fand ich in einen: alten tschechischen Urbarimn des Beranner Kreises die Bemerkung, daß die „Hut' stara za Berounem", die alte Hütte bei Berauu, im Jahre 1553 ihrem Besitzer einen Reingewinn von 1500 Gulden abgeworfen habe. Jetzt mag sie das hundertfache ergeben. Drinnen kocht das Eisen in den Puddelöfen, hoch schlägt die rothe Lohe ans den zahlreichen Essen uud leichtbekleidete, fchwarz-russige Gesellen bringen das weißglühende Metall aus den Oefen unter die unaufhörlich schwirrenden Walzen, aus denen es zu Schienen Slavische Amicttinmge», 107 oder Blech geformt hervortritt. Die Tschechen sind treffliche Eisenarbeiter. Leicht und geschickt wissen sic sick alle nöthigen Handgriffe anzueignen nnd verspricht man ihnen bei dem schwierigen Werke noch Bier, dann sind sie auch ausdauernd. Bon Altersher wußten sie die Eisenerze auf eine einfache Weise zu bearbeiten nnd die tschechische Sprache besitzt für die verschiedenen Zustände des Metalles: Gußeisen (litina), Schmiedeeisen ftelezo) und Stahl (ocel) eigene Ausdrücke. Wir behelfen uus da mit den Zusammeusetzuugen. Fragt aber ein-mal nach den Bezeichnungen für die technischen Vervollkommnungen Ml neuern Hüttenbetrieb uud ihr hört sofort nur deutsche Namen: die Gicht, die Formen, das Gestell, der Tümpel beim Hochofen, die Hämmer, das Poch- uud Qnctschwert, das Gezähe, alles wird, nur ein weuig verunstaltet, deutsch benaunt. Die Leute siud gefällig, mittheilsam und nach gethaner Schicht ün Hostmec (Wirthshaus) mögt ihr sie ansfragen, nach ihren socialen und nationalen Ansichten. Sie gehören zu den Borgeschrittenen nnd schwören auf das Programm der Ultras. Das macht sie aber für die Rmnantik nicht unzugänglich, das Volkslied und die Sage finden bei ihnen eine gule Stätte. So erzählen sie denn auch, in ihren Eisenöfen habe — die Zeit läßt sich nicht mehr bestimmen — der böse Jäger Robert seinen Tod gefunden, Robert, „dem längst von böser Tchadenlnst die giftige Seele schwoll". Aber er hatte es verbleut, denn wer Andern eine Grnbe gräbt, fällt selbst hinein. Robert aber wollte — den frommen Knecht Fridolin umbringen, denn hier, uur hier ist der echte Schauplatz vom „Gang nach dem Eisenhammer", Die Gegend ist dazu auch wie geschaffen; ein Halbstündchen stromaufwärts erhebt sich stolz Schloß Nischburg; dort war der Grafcnfitz "nd Althütten gegenüber liegt im Dorfe Stredonitz die Liborius-lapelle, wo Fridolin als Ministrant dem Priester diente. Wie kommt die Sage hierher? Läßt sich nun anch im allge- 108 Slavische Nnnettirnngcn, meinen das Dasein gleicher Sagen und Märchen bei Deutschen und Tschechen nicht immer auf Entlehnung des einen Volks vom andern schließen, so ist dies doch im vorliegenden Falle in der That so gewesen, denn als vor etwa zwanzig Jahren die neue Liborinskapellc an Stelle der alten, eingerissencn erbant wnrde, fand der einweihende Priester in seiner Predigt es für gut, Schiller's „Gang nach dem Eisenhammer" hierher zu verlegen und unseru Dichter nach dem „tschechischen" Stoffe arbeiten zu lassen. Seitdem erst ist die Geschichte vom Fridolin im Beraunthale bekannt und ein Wirthshaus bei den nahen Eisenhochofen trägt das stolze Schild „Beim Fridolin". Die Sache ist an und für sich harmlos, sie fällt aber in das Gebiet weniger harmloser und systematischer geistiger Annectirungen. Der Gegenstand ist zu charakterisch, als daß ich nickt näher daranf eingehen sollte. Wie wir im Privatleben gar oft solchen begegnen, die über die Grenze Von Mein nnd Dein sich dreist hinwegsetzen, so auch im Völkerleben. Große, reicke Nationen pflegen sick über ihr geistiges Eigenthum leicht zu verständigen; man feilscht nnd mäkelt nicht um Pfennige. Der Streit, ob Karl der Große ein Deutscher oder ein Franzose gewesen, ist jetzt ein ziemlich müssiger; politisch genommen gehört er beiden Völkern. Uns fällt es nicht ein, den in Mömpel-gard geborenen Curicr, oder Ney, Basfcnstein, Kleber zu Deutschen machen zu wollen, so wenig wir die Franzosen Ehamisso in ihren Literaturhimmel versetzen; anch die Schotten, welche genng große Männer die ihrigen nennen, reclamiren Friedrichs II. General Keith keineswegs für sich. Anders schon gestaltet sich das Verhältniß zwischen Irländern und Engländern; hier steht ein armer, unterdrückter Mann gegenüber dem reichen und freien. Sehen wir ab von den Liedern Ossians, die, gleichviel ob echt, ob unecht, einst die ganze gebildete Welt in Slavische Aimcttiruiigcn, 1lW Aufregung versetzien, was bleibt da noch übrig, was die keltischen Briten den germanischen an die Seite setzen tonnten? Das Ueber-gcwichi der Engländer mußte von irischen Patrioten ausgeglichen werden. Bor etwa zehn Jahren hat eiu Irlander ein ziemlich langweiliges Vnch geschrieben, um zn beweisen, daß Shakespeare aus Wales gebürtig war; das Hanptargument darin lautete echt irisch, daß nur ein Kelte solches Genie besitzen konnte. Odilon Barrot wurde in der Zeit seines Ruhmes von irischen Blättern O'dillon Ba-rott geschrieben; General Cavaignac hieß ursprünglich Cavanagh, und Papst Pins IX. aus der Familie Mastai Fcrrctti hatte einen Ntassay D'Ferraghty zuln Großvater, während Garibaldi kein andrer als der leibliche Enkel jenes Garrett Baldwin ist, der zur Zeit der Unrnhen von l7«9 glücklich nach Italien entkam und seinem irischen Namen einen mehr südlichen Klang zu geben suchte. Ein Sprichwort sagt: „Es geht den Menschen, wie den beuten". In einem ähnlichen Verhältnisse, wie die Iren zn den Engländern stehen, befinden sich auch die Slaven zu den Deutschen; hier wie da wiederholt sich dasselbe, und so finden wir denn auch bei den nns zunächst wohnenden Polen nud Tschechen denselben Annectirungstrieb. Als mildernd snr denselben wollen wir gern anerkennen, daß alle uencn Bewegungen anfangs leicht über die Schranken schlagen nnd daß der brausende Uebermuth der Jugend nicht immer genau die richtigen Grenzen einhält. Das Cnlturlcbeu der slavischen Völker ist — trotz allem was man dagegen vorgebracht hat — doch noch sehr lung, und da sind ja Ansschrcitungen nicht zu streng zn beurtheilen. Das Streben, es dem Besseren, Höheren gleich zu thun, ist immer anerkennenswert!), nur dürfen die Mittel hierzu keine verwerflichen !^n; inan muß ans dem Eigenen heraus fchaffen nnd nicht znm ästigen Diebstahl greifen. Nirgends macht sich eine größere Anuec-lirungsfucht breit als gerade unter den Slaven, vorzüglich aber unter Ill) Slavische Auncctiruligcn, den Tschechen, trotzdem wir von ihnen tagtäglich versichern hören: Wir wollen nichts von Euch Deutschen, Ihr habt uns nur Ucbles gebracht; wir sind start genug, auf eigenen Fußen stehen zu können. Die Eingriffe der Tschechen in fremdes geistiges Eigenthum sind nicht erst von hellte; dieses Bestreben ist schon ein altes, nicht nur wir Deutscheu wnrden geplündert, ueiu, man stauue! — auch die alten gricchischeu Dichter wurden zu Elaveu gestempelt. Weiland Kaiser Rudolfs II. Kanzler, Johann Jacob Curtius geb. 1554), war ein gewaltiger Slave uud im patriotischen Uebcreifer vindicirte er alles große nnd herrliche seiner Nationalität. Nach ihm war Anakrcon nicht zu Tcos in Ionien, sondern in der Umgegend von Leitomischl geboren; anch das berühmte Buch des Thomas a Kempis „von der Nachfolge Christi" stammte nicht von diesem, sondern von einem Slaven her. Das Gcschichtchcn vom Jan Knttenbergcv, welcher die Buchdruckerkunst erfand, das wir nutcu naher besprechen werden, war ihm gleichfalls schon bekannt. Curtius belegte alle seiue, Ansichten mit gelehrten Gründen, die ihn jedoch keineswegs vor dem Fluche der Lächerlichkeit bewahren konnten. Sein Nachfolger wurde der Erfinder des Panslavismus, der Slowake Jan Kollar. Der für alles Slavische hochbegeisterte Mann hatte weite Reisen unternommen; wo er hinkam und etwas Gutes sah, wußte er gleich den slavischen Ursprnng desselben nachzuweisen. Berüchtigt geworden ist in dieser Beziehung seine „Rcisebeschreibung über eine Reise nach Oberitalien nnd von da über Tirol nnd Bavern, mit besonderer Berücksichtigung anf slavische Lebenselemente, beendet im Jahre 1841" (Pesth 1843). Das Resultat der antiquarischen Uutersuchnngen Kollars findet sich S. 204 in folgenden Worten zu-sammeugezogeu: „Mit einem Worte, Geschichte und Geographie, Sprache nnd Sitten uud tausend andere Beranlassnngen nnd Umstände liefern den unumstößlichen Beweis, daß schon in der Urzeit, Slavische Auncctirinigen, 111 Vor den Römern nnd Kelten, nicht unr in ganz Oberitalien, in der Lombardei und im Venetianischen, sondern anch in der Schweiz, ilt Tirol nnd cineul Theile Bayerns, in Nhätien und Ztoricnm Weudo-slaven wohnten, und daß der Banm des italienischen Lebens seine Wurzel in slavischem Boden hat." Nach Kollar sind u. A. folgende italienische geographische Namen slavischen Ursprungs: Bobio, Belluno, Brenta, Brescia, Como, Creniona (vergl. Kreml, Kremen — Fenerstcin), Gavda, Ancona (slavisch Iakin), Genna (slav. Ianova), Lecco, Legnano, Lugano (vergl. Luh — Sumpfwiese), Malghem, Mantova, Modeua (Mutina, deutsch Mnttersdorf, Ort in Vöhlneu), Padua, Ravenna, Nubano, Eavoyen, Ticiuo, Treviso sslav. Treble), Vcnctia, Vicenza n. s. w. Wie mit den Italicnern, sprang Kollar auch mit den Deutschen um. Was groß, gut und schön in Deutschland, das wurde zur größeren Ehre der Slaven von ihm feierlich nnd in seiner Weise wissenschaftlich in Besitz genommen. So ist der Hansabund ihm nach Wort nnd Sache nrslavisch. Das Wort Hansa kommt nämlich von der slavischen Wurzel anxiti, wäzati binden. Uza, auza oder mit den: Rhincsmns Anza, Hanza ist bei Kollar Einheit oder Bnnd von Handelsstädten; das h im Worte Hansa ist blos Aspiration. Hierher gehört nach ihm anch das italienische Compagno, Compagnia, slavisch Kompau, von der Wurzel Kopa, mit dein Nhinesmus Kmnpa o. i. Gesellschaft; ferner Kamerad. Es gehört das germanische Lodis-man, Lotse vom slavischen lod' (Schiff); das dentsche Wort Waare, Vom slavischen Towar (Waare); das deutsche Kram, Krämer von chräm hierher u. s. w. „Daß der größte Theil dieser Wörter von den Slaven, welche hier auf dem jaderischcn (adriatischeu), dort auf d"n baltischen Meer Handel und Schifffahrt trieben, schon in uralter 5cit zu einigen benachbarten, vorzüglich italischen und germanischen, bvu Krieg und Iaug sich nährenden Bölteru übergangenen ist, ist 112 Slavische Annectirimgen. daraus zu ersehen, daß das Wort Hanza denGothen schon im vierten Jahrhundert bekannt war, denn Ulfilas braucht es im Jahre 360 in der Uebcrsetzuug des Evangeliums des Markus, iudem er sagt: Hanza milila mauageins d. i. eine große Menge Bolkes. Dieses Wort Hansa erborgten die Gotheu von den Slaven, sowie anch andere gleichfalls vou Ulfilas gebrauchte Ausdrücke z. B. dulgs, flav. dluh, Schuld; plats, slao. plat', Bezahlung; sinopeis, slav. ^npan, Herr; stosl, slav. kuzlo, lange Kleidung. Kollar ist der Typus der slavischen Annectirungssucht, die sich am besten in der folgenden Geschichte widerspiegelt, welche Dollar im, Jahre 1835 passirte. Damals kam er nach Bambcrg; vor dem Haupteingange der alten Donüirche lagen ein paar steinerne Figuren, welchen Kollar seine volle Ahfmerlsamkeit znwandte. ,Mum erblickte ich die Denkmäler, erzählt er, so hupfte nur das Herz vor Freude, denn ich schloß schon aus der äußern Gestalt, daß dieses ein slavisches Werk sei." Er ging weiter und fand mit seiner ki'lhnen Phantasie, daß die Gestalten zwei ungeheure steinerne Götzen in ^üwengestalt vorstellten, daß sie nur ein Bild des slavischen Gottes Tschernebog sein konnten, ja, daß sie mit Rnncn bedeckt seien, welche den Namen der Götzen ausdrückten. Kollar brachte sogar den historischen Beweis bei. Bischof Otto von Bamberg, der Apostel der pommerschcn Slaven, hatte die drei Häupter des Götzen Triglaw an Papst CaliMs gesandt nnd er war es auch, der diese Prachtexemplare des schwarzen Gottes nach Bambcrg brachte. Wie alle Entdeckungen Kollars von der slavischen Welt mit Freuden begrüßt wurden, so auch diese. Sckafarik, bei dem wir sonst ein ruhiges Urtheil findeu, schrieb im Jahre 1^37 in der „Zeitschrift dcs böhmischen Museums" eine zustimmende gelehrte Abhandlung zu Kollars Behauptung uud erhob dariu die Runen auf den Bambcrgcr Götzen zu den einzig wahren Mustern slavischer Schrift. Slavische Annectirungen. HI Wie löste sich mm die wunderbare Entdeckung? Die Deutschen scheinen sich nicht viel darum gekümmert zu haben; ihnen waren die slavischen Runen jedenfalls zu unverständlich/ Die Enthüllung blieb einem Slaven vorbehalten. Im August 1851 kam ein gelehrter Pole, 1)i-. W. Eybnlski, nach Bamberg und untersuchte dort die Kollar'schen Götzen. „Schamröthe trat in meine Wangen, als ich diese Götzen, ein Gebilde der rohsten nnd gröbsten Art, fand." Das sind Eybulski's Worte. Seine Untersuchung kommt im Wesentlichen dann auf folgendes hinaus: in der ^ebensbeschreibnng des heiligen 5)tto ist vun diesen Götzen nirgends die Rede; dieselben sind weiter nichts als zwei rohe steinerne Löwen, die aus demselben Material? wie die Domkirche bestehen und mithin aus demselben Steinbruche wie diese stammen dürften. Um der Sache die Krone aufzusetzen zeigte Eybnlski, das; die Kollar'schc Runenschrift gar nicht existire, daß sie lediglich ein Phantafiegebildc Kollars sei, dessen hyperslavisches Auge zufällige Scharten und nnregelmäßige Risse für Rnnen ansah! Die Tschechen sind durch solche Erfahrungen keineswegs gewitzigt worden, sie fahren in der alten Art nnd Weise fort. Bekanntlich erwuchsen ihnen auf dem Gebiete der Künste keine großen Männer; sie haben tcine Componisten, keine Maler, keine Bildhauer, die bahnbrechend aufgetreten wären nnd die dastanden neben den Heroen anderer Völker. Um dein Mangel abzuhelfen nud die fühl-bolk zu Volk. Bor allem beanspruchen die Tschechen die schöne Melodie des „Gott erhalte Franz den Kaiser"; Haydn hat sie ihnen entlehnt. Wie wir aber aber zu nnserer Ueberraschung in Wilhelm Tapperts „Musikalischen Studien" fanden, enthält der Krönungsmarsch in Meycrbecrs Propheten tonisch genau dasselbe Motiv wie Haydus „Gott erhalte Franz den Kaiser" und diese beiden stammen, wie noch 27 andere tonisch gauz gleiche, nnr rhythmisch veränderte Tvnweiscn, von einem Prozessionale des vierzehnten Jahrhunderts ab. Der slavische Ursprung dieses letzteren wäre also zunächst nachgewiesen und dann dürfen die Tschechen der Melodie des „Gott erhalte Franz den Kaiser" sich als der ihrigen rühmen. Es ist nicht möglich, alle die vielen Sünden anzuführen, die von Seiten der Tschechen in dieser Beziehung begangen wurden. Aber was soll man dazu fagen, wenn der Mann, dessen Geist das deutscheste Gepräge an sich trägt, wenn Lessing zum Slaven gemacht wird? „Denn" sein Name ist von Lesni, Waldmauu, Förster, abzuleiten, und sein Geburtsort, Kamenz, ward ehedem von den Wenden bewohnt. Nessel, der Erfinder der Schiffsschraube, vou deutschen (sächsischeu) Eltern in Chrudim geboren, er mnß jetzt zur Glori-ficiruug'des Tschechenthums mit beitragen helfen! Was bisher mitgetheilt wurde von Anakreon, Thomas a Kempis, dcn Vamberger Götzen, Thomas von Modena, Gluck, Karl Maria v"n Weber, Messing, Nessel und Fridolin, es verschwindet gegenüber dem kühnen Griffe, welcher oer Kulturnation der Tfchechen die Er- ft* iiß Slavische Aunectirimgen, fin dung der Buchdrnckerkuust vindicireu sollte. Was wäre uns armen Deutschen schließlich noch übrig geblieben! Die Polen hatten sich Kofternikus schon annectirt, die Holländer sahen in Lorenz Koster den eigentlichen Erfinder der Buchdruckertunst nnd nun kamen die Tschechen und nahmen mW Gntenberg in iici^nn^ nut Hant nnd Hqaren, wie der Teufel den Fanst holte! Ein Lächeln bestrafte die Deutschen, welche im Jahre 1840 das vierhundertjährige Jubiläum der Bnchdrnckerkuust feierten; ehrten sie dadurch doch eiuen tschechischen Mann, dessen segenbringende Erfindung der jüngst verstorbene übrigens um Böhmens Archäologie sehr verdiente Professor Bocel iu Prag in dem schwülstigen Gedichte, „das Labyrinth des Ruhmes" auch poetisch verherrlichte. Dort flüchtet uach der verhäuguißvollen Schlacht bei Lipan der Husitenjüngliug „Jan" nach Mainz uud erfindet dort die beweglichen Lettern. Bocel folgt nur der Tradition nnd den historischen Beweisen. Was es aber mit diesen, einer seltsamen Verkettung von Truggebildcn, Hypothesen uud anmaßenden Behauptungen anf sich habe, darüber wollen wir dem Leser einige Rechenschaft geben.*) Thomas Mitis, nm das Jahr I5?s) Lehrer an der Prager Universität, hatte den literarischen 'Nachlaß des Latiuistcn Bohuslav vou Hassensteiu zu ordnen. Mit Bezug auf eiu Gedicht desfelbeu, welches die deutschen Erfindungen des Tchießpulvers uud der Bnch-druckerkuust feierte, bemerkt er: „Ich habe ans dein Muude unseres Landsmannes, des Dichters und Chronisten Martin Knthenns aus Kuttenberg gar oft vernommen, daß der Erfinder des Buchdruckens oder doch weuigstens deren Gehilfen Böhmeu geweseu seien, da die Böhmen, durch geweckten und erfindungsreichen Geist hervorragend. *) Nach den Mittheilungen des Vereins f, d, beschichte der Deutschen, iu Böhmen, IV, S, «6 f. Slavische AuMttirlMgeil. 117 ehedem sehr zahlreich nach Mainz zu kommen pflegten, theils nm der Studien willen, theils zur Erlangung geistlicher Weihen." Dies ist der viclvcrheißende Embrvo, aus dein der slavische Gutenberg all-mählig erwuchs. Obschon Kuchens Einfall aller Begründung und Beglaubigung entbehrte, so fand er doch in Böhmen vielfachen Anklang; man schrieb ihm nach, dic Gntenbergsgestalt streifte die, nebelhafte Hülle ab und gewann nach und nach Fleisch und Blnt. In den 1675 zn Prag in tschechischer Sprache gedruckten „Alten Denkwürdigkeiten Knttcnbcrgs" heißt es schon: „die Tschechen sagen, Johannes Faust sei aus Kuttcnberg gebürtig und sei durch irgend cinen Zufall (vielleicht im Jahre 1421 als so viele Bergknappen aus Xuttenberg um des katholischen Glaubens willen vor den Hnsiten ins Reich flohen) nach Straßburg gekommen; hier habe er die gediegenste aller Künste erdacht, hierauf dieselbe in Mainz ans Licht gefördert uud sich statt Johann Faust von nun an Johann Kntten-b erg er geschrieben nnd genannt, nm feiner Heimath Ehre nnd Ruhm Zu gewinnen." Man sieht den Fortschritt, der Schneeball wächst allmählig zur "awine, und als daher im Jahre 1740 in Prag das 300jährige ^utenberg-Inbilänm gefeiert wnrde, konnte Pater Pretlyk in seiner tschechischen Festpredigt dreist behanptcn, daß der Erfinder der Buchdruckerkunst als Kuttcnbergcr Stadtkind dem ^ande Böhmeu angehöre. Da aber die Deutscheu diesen Wink so wenig beachteten, daß sie 100 Jahre später abermals eine Säcnlarfeicr in Scene setzten, su entschloß sich der tschechische Gelehrte Wrt'atko, ihnen gründlich zu 5"gen, welchem hartnäckigen Wahn sie huldigten, wenn sie Outen-^'g noch immer als einen der Ihrigen ansahen nnd verherrlichten. Gutenberg, so setzteWrt'atko auseinander, hieß ursprünglich Johann Stiastny, was soviel als glücklich oder Fanstns bedeutet. Dieser ^liastny war aus Kuttenberg gebürtig, widmete sich in Prag den liI Slavische Annectinmgen. Wissenschaften und kam dnrch seine tiefen Einblicke in die Geheimnisse der Natnr beim Volke nnter dem Namen Dr. Faust in den Ruf eines Zauberers. In der Neustadt Prag steht jetzt noch das Faust'sche Haus. Als er nach dem Ausbruche der Husitenkriege plötzlich aus Prag vtt-schwand, erzählte sich das Volk, der Tenfel hätte ihn zerrissen: er aber war gen Straßburg gezogen, dort reifte die große Erfindung im Stillen, bis Stiastny, welcher jetzt, eingedenk der Heimat, sich Joannes Kntcnbergenus nannte, sie m Mainz den Blicken der stauneuden Welt preisgab. Welche Verwirrung! Der Mainzer Goldschmied Fust, der spätere Zauberer 11i-. Faust, eil« fiugirter Stiastny nnd unser Gutenberg alles zusammengebraut und durcheinander gewürfelt von dem tschechischen Gelehrten Wrt'atko nnd seiner Nation als Angebinde dargebracht zur vierhundertjährigeu Jubelfeier der Buchdruckerkunst'. Er sollte aber nicht der letzte sein, der für den tschechischen Gutenberg focht; das letzte Wort gehörte dem Pater Karl Winarizky, welcher im Jahre 1847 zu Brüssel eine Broschüre veröffentlichte, welche den Titel führt: .loan ^uttendoi-g- nü en 1412 ü, XutwndorZ, in-vouwnr äo I'impriinorie ü. HIa^oii<;o cm 1450. Hier tritt uns nun eine Wandertheorie entgegen, in welcher die Mainzer Gensflcisch nach Knttenberg ziehen und dort entsproß aus der Familie ein gewisser Mladota, d. i. der Junge, — unser Gutenberg. In Kuttcn-berg erhielt er den ersten Anstoß zu seiuer Erfindung, dort, in seiner Vaterstadt, sah er die Prägung der Münz-Legenden, die Glockeninschriften, die ihn znr Erfindung der Bnchdruckcrkunst führen mußten. Der geistige Löweuantheil bleibt den Tschechen, nnd wie viel Einzelheiten Winarizky auch auführt (am 18. November 1445 ward ein Im Prager Landtage fanden im Jahre 1662 große Debatten wegen Ankauf einer Sammlung der Kupferstiche dieses Meisters statt, wobei seine Nationalität keine geringe Rolle spielte. Als ich das britische Mnscum zu London besuchte, habe ich mir die dort ansgestellten Werke Hollars deßhalb genau angesehen. Sein von Meyscns gestochenes Portrait zeigt eine entschieden slavische Physiognomie; die Unterschrift unter demselben führt uns biographische Notizen in französischer Sprache vor; bie Stiche englischer Lustschlösser, Ansichten von Tanger in Afrika, Portraits nach van Dyt, Holbein, Thierstücke nach Barlow, Trachten-bilder englischer Franenzimmer zeigen englische Inschriften, in dieser Sprache ist anch ein Autograph Hollars aus dem Jahre 1652 abgefaßt, in dem er Sir William Dngdale meldet, daß er von Soldaten verhaftet und nach Hicks's Hall abgeführt worden sei. Deutsch endlich sind die Unterschriften der schönen von Hollar herrührenden Ansichten Prags — etwas tschechisches konnte ich von ihm nicht auffinden; er scheint Böhmen ganz vergessen zu haben. So ein verlorener Slave war aucb Kaiser Iustinians ansge-zeichneter Feldherr Velisar. Wie neuere slavische Geschichtsforscher nachweisen, war er einer der ihrigen, weil er im slcwisirten Dar-danien geboren wnrde und sein Name weder griechisch noch römisch klingt und nur vom slavischen Velitscharj abgeleitet werden kann. Daß Kaiser Justinian übrigens ein Slave war, ist eine bekannte Thatsache. So ist denn die Erfindung der Bnchdruckerkuust und vieles andere, anf welches loir Deutschen uns stets etwas zu Gute thaten, uns von den Tscbcchen in w^oion, gwriam ihrer Nationalität 1^2 Slavische Anuectmmgcn. plötzlich unter der Hand wegescamvtirt worden. Das genügte aber dem Heißhunger noch lange nicht. Anch die Reformation ist slavischen Ursprungs. Dem national gesinnten tschechischen Geistlichen, der in seiner Stellung Hus gegenüber sich noch immer nicht zurecht finden kann, und ihn lieber in zwei Wesen, ein nationales und ein reformatorisches spalten möchte, um das erstere ans Herz zu driicken und das zweite zu verdammen, dann den: griechischorthodoxen Popen — diesen beiden ist die Entdeckung vom slavischen Ursprünge der Reformation allerdings nicht ganz genehm, aber die anderen alle, sie nehmen sie dankbar an, im Vollgefühle, daß, gleichviel anf welchem religiösen Standpunkte man anch stehen möge, in der Reformation doch eine weltgeschichtliche That ersten Ranges vorliege — eine solche aber konnte notwendigerweise nnr von den Slaven ausgehen. Was darüber gesagt werden tann, was dnrch viele populäre Schriften und Journale daun, namentlich unter den Tschechen, weiter verbreitet wurde, ist in Jordans „slavischen Jahrbüchern" 1844. S. 147 ff. zusammengefaßt worden. Schon im Jahre 680 — damit beginnt die slavische Reformation bereits! — erhob die Kirchenvcrsammlung Klage wider die Slaven, daß sie beim Gottesdienste alle Bilder wegließen. Uebcrhaupt war in den slavischen Gegenden an der nntern Donau der Hauptsitz der von der Gesammtkirchc abweichenden Sekten; die Slaven arbeiteten zuerst für die Einführung der Volkssprache in der Kirche, sie erreichten dieses schon in: neunten Jahrhundert, die Deutschen dnrch Lnthcr erst im sechszehnten; somit besaßen sie schon sieben Jahrhunderte vor uns ein Hauptcrgebniß der Reformation. Im zwölften Jahrhundert stiftete Basilii — man merke wohl anf den Namen, denn hier begegnen wir dem Urvater aller Reformatoren! — unter den Bulgaren die reformatorische Sekte der Bogomili oder Gottliebenden; er durchreiste „halb Europa" im Mönchsgewande und streute den Samen Slavische Anncctinmgcn. 123 seiner reformatorischen Idem aus. Bon dieser reformatorischen Ur-zelle oder Monade gleichsam empfingen die Albigenser ihre ketzerischen Ansichten. „Daß die Anfänge der Reformation von den Bulgaren nach dein Westen, zunächst nach Italien und Frankreich gekommen seien, daranf deutet auch der Schimpfname Vngeronc, französisch doutz'ix>, d. i. Nngar — wie sich die Bulgaren in ihrem Dialekte, selbst uennen uud von den ihnen westlich benachbarten Serben genannt werden —-. Benoit sagt (Histoii-o wcist, nnd zwar mit Luthers eigenen Worten, der 15>Ä> au Georg Palatiu schrieb: „Wir sind alle, ohne das; wir es wnßtcu, sogar Paulus und August, im eigentlichen Sinne des Wortes Husitcu. Sieh, in ivelcbe Wunderlichkeiten sind wir ohne irgend einen Führer und Lehrer aus Böhmen gelaugi," In den, Kapitel „Die evangelische Bcweguug imtcr Kiwia, v^iidwig" Bd. II, S, 1ll> behandelt Czerwenka ausführlich die Bezicbuua.cn Vutbers zu Böhmen, Slavische Anliectirnngen, 1^5 einseitig und ungerecht die handeln, welche die ganze Reformation nur ^uther zuschreiben nnd sie nur als Wert der deutschen Nation betrachten. Die Verdienste der Slaven sind in dieser Hinsicht älter, beträchtlicher, thenrer — Basil, Hus, Hieronymus gaben ihr Leben dafür hin — als die der Deutschen. Die Slaven pflügten nnd säeten, Luther und die Deutschen waren blos die Schnitter. Was nun besonders den Liebliugsausdruck „die deutsche Reformation" betrifft, so können wir nicht umhin in Eriiiuerung zu bringen, daß unter den wichtigsten der Reformatoren Trebon, Staupitz (Stupicky) Slaven waren, daß Luther selbst in einem früher von Slaven bewohnten Orte geboren war (!), daß er den meißnisch-dent-schcn Dialekt, gerade denjenigen, der sich nnter dem Einflüsse eines noch bis ans Ende des vierzehnten Iahrhnnderts slavisch sprechenden Volksstammes entwickelt hatte und freilich infolge dessen noch für den schönsten lü) der Deutschen gilt, zn seiner Ucberschung der Bibel wählte, und daß dieser Dialekt eben dnrchdrang, weil er der glatteste war, daß mithin (!) die Reformation eine Gabe und Frucht der slavischeu Nation nnd der Boden, auf dem Luthers Füße einst einherschritten, einst den Wenden, Sorben, Plonen, Chuticen nnd audercn Slavenstämmen gehörte, die aber von den Deutschen verdrängt und ausgerottet wnrdcn." ^nuu^Ii tdi« !)O iuaVnsitenfahne mit dem Kelch; aller Angcn hingen an der Aikagestalt, die in porträtähnlicher Mäste auftrat. Das Hans war stets überfüllt. 5>>ou der Theatercensur waren diese Ztücke verboten und da diese während der preußifcheu Besetzung nicht in Wirksamkeit war, so übernahm es der Prager Erzbischof, die Schauspieler vor der Auf- 5) Ach der slavische Äbt ließ im Weingarten hacken am Feiertage des Jan Hus, Dafür nuch cr sich ewig in der Hölle abquälen. 9* 132 Husitischcs lind Äirchlickcs, führulig solcher „tendentiöser" Stücke, wiewohl ohne Erfolg, abzumahnen. Gleichzeitig begannen Iesnitcnhetzen. „Na Iesuiti", riefen die Tschechen nnd warfen diesen die Fenster ein. Zahlreiche Gemeinden verlangten die Entfernung des Ordens ans Böhmen nnd im Landtage stellten die Inngtschechen an den Statthalter eine Interpellation, in welcher es heißt: „Es sind beinahe hundert Jahre verflossen seit der Zeit, daß dcr Orden der Jesuiten fast ans allen katholischen Ländern Europas, als schädlich nnd mit den: allgemeinen Wohle unverträglich, verwiesen nnd selbst vom Papste Clemens XIV. durch die Bnlle vom 13. Angnst 1773 als ein dem Frieden der katholischen Kirche gefährlicher Orden aufgehoben wnrde. Seit jener Zeit war auch unser Vaterlaud frei von Jesuiten. — Erst vor einigen Jahren kamen wieder die Jesuiten iu das nördliche Böhmen, wo sie ein Kuaben-fcminar errichteten; während der letzten Kriegsercigmsse hatten sich einige alts Italien ausgewanderte Jesuiten in Prag festgesetzt nnd es verbreitete sich das Gerücht, daß sie gesonnen sind, sich auch noch in andcni Orten Böhmens niederzulassen. Dieses Ereignis? erschreckte und beunruhigte insbesondere die Gemüther der Bevölkerung des Königreichs Böhmens, um sü mehr, je lebhafter bei uns noch das Andenken an die frühere unheilvolle Wirksamkeit des Ordens der Jesuiten ist. Die allgemeine Indignation und Erregung der Gemüther ist um so begründeter, je mehr zu befürchteu ist, daß der Orden der Jesuiten wieder die Erlangung dcr Schule und dcr Erziehung der Kinder nicht ohne Erfolg anstreben wird, und je allgemeiner bekannt es ist, daß die gcisttvdtende, der Aufklärung und dem Fortschritte leindliche Thätigkeit der Jesuiten eben in dieser Richtung die gefährlichsten Folgen nach sich ziehen kann." Dieses Auftreten konnte Verwunderung erregen. Wußte, man Husitischcs und Kirchliches. 133 doch, daß die reactiouäre Bureaukratie des absolutistischen Systems von Bach und die Thun'sche Concordatspolitik ihre hingebeudsten, thätigsten und geschicktesten Werkzeuge nnter den Tschechen gefunden hatte. Tschechische Beamten ließen nnd lassen sich zn allem gebrauchen; Böhmen lieferte sie in Unmasse nnd sie wurden ein förmlicher Exportartikel für die übrigen Krouläuder, namentlich Nugaru, wo sie, als Deutsche angesehen, dem dentschen Namen nnr Schimpf nnd Schande einbrachten. Woher nun dieses husitische und jesuitenseindliche Auftreten? War der Katholicismns nnter den Tschechen bedroht? Schwerlich; denn wenige Wochen darauf, nachdem mau den Jesuiten die Fenster eingeworfen hatte, lag Prag auf den Knieen vor den Reliquien des heiligen Johannes von Nepomuk, die vou Salzburg zurückkehrten, wohin mau sie höchst unnützer Weise vor den Preußen geflüchtet hatte. Es war die jnng tschechische Partei, die immer kräftiger ihr Haupt hebend, anch in religiösen Dingen eine freiere Richtung anstrebte, während die bei weitem stärkere alt-tschechische Partei ein entschiedenes Büudniß mit den Nltramontancn abgeschlossen hatte. Da aber in den husitischcn Demonstrationen vorzugsweise ein nationaler Kern enthalten war, da sie zuerst, wie das ganze Husitenthmn, im deutschfeindlichen Sinne aufgefaßt werden mußten, so beförderten die Alttschechen die husitifchen Neigungen eher, als daß sie ihnen entgegentraten nud selbst die katholische Geistlichkeit verhielt sich lau. Hin uud wieder ertöute eiu Stoßseufzer oder die obersten Kirchenhirten waruten. So schrieb die tschechische katholische Zeitschrift Vla-hov^st: „Manche unsrer Paterlandsfrcunde scheuen sich nicht, die katholische Religion, die dnrch 200 Jahre die einzige Zufluchtsstätte ?er tschechischen Nationalität und Sprache war, zu schmähen, indem sie unablässig den unglücklichen Verirrten und Verstockten Hus und den fanatischen Burgen- uud Kirchenzerstörer A/ta hochpreisen. Sehen 134 Husitischcs und Kirchliches, sie denn »icht ein, daß sic das Volt, indem si»? es so verführen, zu Thaten zu verleiten suchen, welche unser Vaterland cm Dell Nand des Abgrundes gebracht?" Dergleichen half aber nickt und ein paar Jahre laug wurde nun, zumal während der Zeit des sog. Bürgen»inisterimns, hufitisch dcnwnstrirt und die Gelegenheit hierzu wurde, wie gewöhnlich bei den Tschechen, an den Haaren herbeigezogen. Auf der Stätte, auf der Hus verbrannt worden war, hatten die 5'tonstanzer ein einfaches Denkmal errichtet, znr Erinnerung an das große Ereiguiß, das; aber dieser Stein einmal zn einer deutschfeindlichen Demonstration benutzt werden sollte, hatten sie sich nicht träumen lassen. Und doch zum — 453. Jahrestage von Hus Feuertod wallfahrtete ein Tschechen^ Haufe in Komödiautentracht nach der alten deutschen Stadt, wo die Biedermänner, die noch vor einem Jahre aus dem Moskauer Pansla-vistencongresse nnterthänig vor den Füßen des Zaren erstorben waren, in heuchlerischer Weise mit Freihcitsohrasen um sich warfen. Freilich, die Moskaner Pilgerfahrt zu rechtfertigen, versuchte auch der Polen-schwärmende Tscheche Fritsch nicht, der viel vom Freiheitsstreben der Tschechen und voll Versöhnung mit den Deutschen redete. Freiheit und Tschechen! Ehrliche Versöhnung mit den Deutschen und — Tschechen! Ein Jahr darauf am Tage, an dem Hus vor 500 Jahren ge boren, wieder eine große Hnsfeier in Panlraz bei Prag. Man singt das Husitcnlied, trägt die schwarze Fahne nut dein rothen Kelche voran und ruft: Nieder mit den Papisten! Es war nicht so böse gemeint, die Alttschechen aber heckten den wahrhaft abenteuerlichen Gedanken aus, daß auf dem bevorstehenden Concil der Prozeß des Hus nochmals revidirt werden möchte. Man wünschte eine Freisprechung nach fünfhalbhnndert Jahren um das Husitenthum und die tschechische Nationalitat in völligen Einklang zu sehen. Wäre Hilsitisches und KirMckcs, lZf, Hus kein Ketzer mehr, dann könnten die Tschechen ihn ruhig als Heiligen verehren, ohne daß der Clerus darob zürnen würde. Allein die Alttschechen drangen nickt durch, denn den Iungtschechen war der Gedanke znwider, anf einem Concile „für den großen Reformator um Gnade betteln zu müssen." Mit noch weit mehr Spektakel ward die Husfeier von den Inngtschechen in Hnsinetz an der Planitz begangen, wo der Reformator vor 500 Jahren das Vicht der Welt erblickt hatte. Freilich Victor Hugo, Garibaldi, George Sand, Mazzini nnd ähnliche Tageshelden, die man eingeladen, erschienen nicht, aber an slavischen Brüdern fehlte es nicht; ans Moskau war der Panslavist Vuhtöo, ans Belgrad Giorgiewitj, ans Posen Romanowitsch herbeigeeill: Hus, der Slave, war gefeiert. Weich bescheidener historischer Sinn herrschte übrigens nicht unter den Festthcilnehmern: sie ließen sich die 500 Jahre alte Chalnpe zeigen, in der Hus geboren worden sein soll und den engen klansenartigen Ranm, in dein sein Kindergeschrei ertönt. Jetzt schmückt ein Neliefdild des Reformators „Geburtshaus". Hus ist das Symbol der Nationalitätenhetze geworden, sein ganzer Cnllns gegen die Deutschen gerichtet und es steht protestantischen Deutschen, wie z. B. den: Pfarrer Krnmmel, schlecht an, in der einseitigen, nnhistorischen Darstellung des Hufitenthums zu ver^ harren und mit den Tschechen zu liebäugeln. Wie Hus auch pan-slavistisch ausgebeutet wird, darüber wollen wir das russische Blatt „Golos" citiren — dann wird es hoffentlich anch dein blindesten klar werden, was Hns war und wie er gegen uns als ein Streiter noch immer ins Feld geführt wird. tzus sei zwar, sagt das russische Blatt, ein Tscheche von Geburt gewesen, indeß seinem Geiste, seinem Wirten nach, war er Panslavist; der rothe Faden, der durch sein ganzes, vom echten Slaventhmn erfülltes Leben ging, ist „der Kampf uüt dem germanischen Element gewesen, das damals wie setzt der 136 Husitisches und Kirchliches. Todfeind des Slaventhums war." Hus sei zu ciuer Zeit geboren worden, wo gerade die kräftigste Germanisirnng der Tschechen begonnen habe. Wider das deutsche Element habe er getämpft nnd gegen dasselbe sei seine ganze Thätigkeit gerichtet gewesen; nut seinem slavischen Herzen wie auch nut seiner tschechischen Stimme habe er für tschechische Sprache und Bolksthnmlichkeit gepredigt. Niemals habe er seine Person von dem Volke getrennt nnd sich selbst einen Eingeborenen des allcrchristlichsten Königreichs Böhmen genannt. Die Lehren Wiclefs habe er nur zur größeren Ehre des Tschechen-thums vertheidigt, das sich zn allen Zeiten dnrch sein Festhalten an den, rechten Worte Gottes ausgezeichnet habe. Das in ihm so stark entwickelte Gefühl des Volksbewußtseius machte ihn zum Feind der Feinde seines Baterlandes, der Deutschen, die er von der Prager Universität, wo sie in der Ueberzahl waren, und vom Prager Rathhaus, in dein alle Rathsherren bereits Deutsche waren, vertrieb. Voll eifriger ^iebe zu seinem Vaterlande, in dem nationalen Bewußt-scin der höheren Stellung des Slaven über den Deutschen, drang er bei König Wenzel anf energische Maßregeln zur Unterdrückung des deutschen Elementes uud veranlaßte es, daß die Deutscheu alts Prag vertrieben wurden, weshalb (?) ihn auch später die Dentschen (?) zum Tode verurtheilten nnd auf dem Scheiterhaufen verbrannten. Hus bewies es durch seinen Tod, daß die Dentscheu die Todfeinde des Slaventhums sind — in Konstanz, einer deutschen Stadt, wurde Johann Hus von Deutschen verbrannt uud ein Deutscher, Johann Hofmann, schrieb eine Apologie seiner Verurtheilnng. Der Russe hat in vielem sehr recht. Ein Commentar hierzu ist nicht nöthig, uud blos unsere protestantischen Hnsschwärmcr deutscher Nationalität mögen sich derlei Thatsachen zn Herzen nehmen und von ihren falschen einseitigen Urtheilen abstehen. Der Gegensatz zwischen Katholizismus nnd Husitenthum wird Hufitischcs und Kirchliches, 137 den Tschechen noch zu thun machen. Interessant ist es, mit tschechischen Geistlichen auf dem ^ande über dieses Thema sich zu uuterhalteu und deu Widerspruch, iu den der geistliche Herr dabei geräth, ist oft ergötzlich anzuhören. Fast durchweg ist der tschechische Landgeistliche ein eifriger Anhänger der nationalen Partei. Er trägt eme Tscha-mara, freilich nicht in der Weise, wie die Prager Studenten, aber sein Priesterrock ist mit Schnüren besetzt; anch der Schmuck seines Hmmers trägt ein national-tschechisches Gepräge. Neben dein Bildnisse des Papstes nud des Prager Erzbischofs hängt ein alter Kupferstich, das Portrait des berühmten Abbe Dobrowsky, welcher zn Ende des vorigen Jahrhunderts an der Spitze der slavischen Sprachforscher stand, und desscu reiu wissenschaftliche Thätigkeit als der Ausgangspunkt aller hentigen tschechischen Bewegnng angesehen werden mnß. Sonst ist die hänsliche Einrichtung des Geistlichen eine sehr Anfache, ja fast dürftige; er klagt iiber die schlechte Stelle und wird bitter, als ich ihm dagegen das große Vermögen der Kirche in Böhmen vorhalte. „Ja, sehen Sie, was Sie da sagen, ist ganz richtig; aber die bedeutenden Einkünfte kommen nur dem hohen Klerus zu Gute, uus niedrigen Geistlichen bleibl wenig. Wer es äum Prager Domherrn, oder zum Canonicus bringt, der kauu deu Statthalter auslachen. Ein Prager Canouicus iu der Portion hat iährlich über 12,000 Gulden, der Vorstand über 30,000 Guloeu. Nil Fremder glaubt das kaum und doch ist dem so." Dieser Unterschied in der materiellen Stellung der böhmischen Geistlichkeit erklärt manches, nnd wenn man die Stimmen der hohen "nd niedrigen Herren mit einander vergleicht, so findet man einen l'cfen Riß. Die junge Geistlichkeit drängt anch in kirchlicher Bc-älchung vorwärts, während die ältere conservativ bleibt. Bei der öfteren wirkt das Nationalgcfühl modificirend auf den Katholicismus, )';^ Husitisän'S und Kirchliches, bei der letzteren dagegen steht die römische Gewalt ulid die Erhaltung der katholischen Kirche in ihrer alten Form als erste Regel da. Nirgends mehr, als bei der tschechischen Geistlichkeit, kann man den Bruch beobachten, welcher seit der Tchlacht am weißen Berge über das Volk gekommen ist. Als Katholik verabscheut der Geistliche Xi/ka, Hns nnd all' die Conscquenzen, welche aus ihrem Auftreten erfolgten; als nationalgesiuuter Mann dagegeu schlägt ihnen sein Herz zu und er verdammt heimlich die Deutschen nnd Jesuiten, welche den Katholicismns mit Gewalt nnd List wieder einführten. Biele Geistliche haben sich diesem Dilemma gegenüber eigene Formeln zurechtgelegt, aber sie kommen nicht heraus. Allgemein ist die Mißstimmung gegen das Coelibat, dessen Einführnng im I I. ^abr^ hundert durch Gregor VII. schou damals unter den verheiratheteu Geistlichen Böhmens starte Proteste hervorrief. Ein förmlicher Widerspruch gegenüber Aiom herrscht auch dei cinem Theil der national gesinnten Geistlichkeit in Bezug anf die lateinische Liturgie, uud der Wiedereinführung der slavischen ist einer der Lieblingswünsche vieler jüngeren Clerikev. Wenn auch die Böhmen das Christenthum znerst von den Deutschen im Jahre 845 wnrden bereits 14 böhmische Herzoge oder Lechen am Hofe König Ludwigs zu Negensburg getauft) erhielten, so ist doch die eigentliche Ansbreitnng der christlichen Lehre den beiden ans Konstantinopel abgesandten Brüdern Cyrill und Methnd zuzuschreiben, welche im Jahre tt?:> den böhmischen Herzog Boriwoj in Mähren tauften. Bon da au wurden alle heidnifchen Hindernisse in Böhmen übcrwnnden nnd man erkannte den Papst als das Oberhaupt der katholischeu Kirche an. Aber ein wesentlicher Unterschied bestand zwischen der deutscheu lind der böhmischen Kirche, erstere besaß on' lateinische, letztere die slavische Liturgie, welche von Cyrill und Methud mit Genehmigung des Pavstes in den östlichen Ländern Husttisches und Kirchliches 139 eingeführt worden war. Als aber Böhmen dem Negensburger Sprengel zugetheilt wurde, fand bereits lateinische Liturgie Eingang uud eine Zeit laug bestanden beide nebeneinander,, namentlich zur Zeit Wratislaws. Je mehr der Einfluß der Deutschen auf Böhmen sich entwickelte uud die Wirksamkeit der Regeusburger Bischöfe eiue größere wurde, desto mehr breitete sich auch die lateinische Liturgie aus, dereu gänzliche Durchführung iu Böhmen nur in: Interesse der Kirchengewalt uud der Päpste seiu louute. Als daher das Prager Visthum errichtet wurde, ordnete eine Bulle Johanns XIII. ausdrücklich die Erhaltung der lateinischen Liturgie au. Eiu Hauptcultusort des slavischen Gottesdienstes blieb ^doch nvch für einige Zeit das Kloster au der Sazawa, das zur Zeit Herzog Udalrichs errichtet wurde. Die Mönche wurdeu daraus ver drängt, aber auch wieder <10<»l) von Wratislaw II. zurückgerufen, bis dreißig Jahre darauf ihre gänzliche Ausweisung erfolgte. In diesem Kloster war der heilige Procop '7 1053) erster Abt, von dem das glagolitisch geschriebene Evangelium herrühren soll, welches als l'oxtp äu 8ÄLi'etzt wallen am Ostermontag Tauseude ans Prag dorthiu. Der Hügel, auf welchem sich icht dieses Stift erhebt, hieß in ältester Zeit na Noi-lwi, nach der Todesgottin. Es war ein großer heidnischer Begräbnißort. Bereits un neunteu Iahrhuudert stand an der heidnische« Grabstätte eine kleine christliche Kapelle; eine noch größere Weihe erhielt der Hügel, "ls Karl I V. auf ibr eiu Kloster für deu slavischen Ritus grüudete, 140 Husitisckcs und Kircklichcs, weshalb mau ihn seitdem auch na Novauood, bei den Slaven, nannte. Der Kaiser berief Benediktiner aus Kroatien und Dalmatian, machte ihnen den Gebrauch der slavischen Liturgie zur Bedingung und versorgte sie mit Büchern, indem er theils alte mit groben Kosten aufkaufte, theils sie für das Kloster besonders abschreiben ließ. Papst Clemens VI. bestätigte schon 1345 die Stiftung, obgleich der Bau erst drei Jahre später beganu. Er dauerte viele Jahre uud soll uach der Tradition noch einige Heller mehr gekostet haben, als die schöne Moldaubriicke. Bei der Einweihung um Ostern 1372 wurde das Evangelium von dem Spaziergang Christi nach Emaus gelesen; daher der Name Emaus für das Stift. Um die Messe in slavischer Sprache zu hören, strömte das Volk haufenweise herbei. Das Baseler Concil, auf welchem die Tschechen darum nachgesucht hatten, den Gottesdienst in der Volkssprache abhalten zu dürfen, verbot dagegen das Absingen aller tschechischen Lieder. In der Husitenzeit wurde das Kloster utraquistisch; gleichwohl wurde die Zahl der Mouche immer geriugcr und 1635 mußte der letzte slavische Abt, Adam Benedikt Bavorovsk/, mit seinen zwei Ordensbrüdern das Kloster räumen. Von Seiten der Tschechen wird der Untergang des slavischen Gottesdienstes vielfach als ein nationales Unglück betrachtet, und die nrslavisch gesinnte Partei unter ihnen beklagt zugleich damit den Untergang der glagolitischen Schrift, de.reu Beibehaltung sie gerne im Gegenfatz zu den abendländischen Völkern gesehen hätte. Es erscheint jedoch noch immer sehr fraglich, ob die Glagolica ursprünglich ein slavisches Alphabet gewesen sei; wenigstens meint Dr. Hannsch ^Versammlung der böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften 16. April 1866), daß diese Schrift ans denselben unstavischen Elementen hervorgegangen sei, die der armenischen und äthiopischen Schrift zu Grnnde lagen. Die Prager glagolischcn Fragmente, sowie das husitisckes und Äirchlickcs. 141 Fraginent des „Johannes-Evangeliums" weiseu hinreichend nach, wie stark der slavische Dialekt, den dic christlichen Bekehrer anfangs in Böhmen verbreiteten, von der heimischen tschechischen Sprache abwich. Dieo fövderte die Ausbreitung des lateinisch-gerinanischeu Christenthums, so daß selbst die Auffrischung der glagolischen Liturgie unter Karl IV. den vollständigen Sieg desselben in religiöser, politischer und privater Hinsicht nicht aufzuhalten im Staude war. Nichtsdestoweniger erbaut sich ein Theil des jüngeren tschechischen Clerus alt dein Gedanken der Wiedererrichtung des slavischen Gottesdienstes und nationale Bestrebungen nach allen Richlnngen hin bleiben fnr deu tschechischen Geistlichen characteristisch.'^) Er ist daher vermöge seines Einflusses ein wichtiges Werkzeug fnr die tschechische Bewegnng, und seine Wirksamkeit als nationaler Agent auf dem Lande unter den Bauern ist sehr hoch anzuschlagen. To viel auch die dentsche Presse aufklärend gewirkt hat und vor den verkappten Tschechen warnte, hier nnd da haben diese doch das deutsche Vandvolk zu ultra-wontanen d. i. tschechischen Wahlen veranlaßt. Man unterschätze doch die Mackt dieser Leute nickt. Kämpft der Deutsche fnr nnd wit dem Fortschritt, so tritt der tschechische Geistliche fnr die "') Am 26, September 18(il» ward zu Mcilin cm tschechisches Tcidor nbgchMcn, das in ciucr Resolution das Vcrlcmgcn aufsprach, d^s; tiinftiglmi ^r Gottesdienst in der Volkssprache abgehalten, die Religion vou dem anheftenden äußerlichen Formcnwcsen befreit, die Theilnahme dcr Laien an den kirchlichen Tynodcn abstattet und die ^cbahrnng mit dem ^irckcn vmiwgcn einer wcltlichm Aufsicht mttcrstcltt ,verdc. Dicsc Beschlüsse wurden dm böhmischen Bischöfen vor deren Abreise znm Concil mit ^theilt und nm deren Verwirklichung nachgesucht. Nikden sie iliä't gewährt, dann scim fllr die kirchlichen Iustandc Blihincns große Gefahren 3u gewärtigen, insbesondere wird hervorgehoben, daß „selbst eine Ent swciung der tschechischen Geistlichkeit eintreten könnte zmn unersetzlichen ^chadeu nicht allein der Kirche, sondern auch der tschechischen Nation/' 142 ' HuMches und Kirchliches. Schwächen des Landvolks in die Schranken, die er genan kennt. Er steht seit langen: mit den Bauern im Verkehr, er bekümmert sich nicht erst seit gestern um sie wie der Staat uder die liberalen. Als es dem Bänerlein schlecht ging aus Erden, als es mit Robuten geqnä'lt wurde, da war es nur der Geistliche, der zu ihm stand, bei dem er sich Trost holen konnte, der ihm den Himmel zeigte. So etwas haftet fest nnd zndem ist der Geistliche ans dem Bauernstände meist selbst hervorgegangen und immer bei seinen Bauern, denen er nicht genug vorprcdigen kann, wie gni und ehrlich die Tschechen es mit ihnen und der Kirche im Sinne haben. Die Hingebnng der tschechischen Geistlichkeit an ihre Nationalität lann, so schmerzlich sie uns Dentsche auch berührt, nnr als eine Lichtseite aufgefaßt werden,, der allerdings auch wieder viele Schattenseiten gegenüberstehen; doch solche, die ihr nicht speciell als böhmischer Clerus zukommen, sondern die wir im allgemeinen an den Geistlichen aussetzen. Der Bildungsgrad ist unter dein geistlichen Stande ein ungemein verschiedener, nnd man trifft unter den Kapläuen sehr häufig anf Leute, die rein in das bäuerliche Leben zurückgefallen sind, wenn sie als Seminaristen auch je sich über dasselbe emporgeschwungen hatten. Da der Zudraug zum geistlichen Stande in Böhmen ein keineswegs sehr großer ist, im Gegentheil abgenommen hat, so suchte man denselben durch Erlassung der Maturitä'ts-ezamina zu heben nud als anch dieses nichts half, zog man Vostcrgeistliche herbei. Man würde übrigens irren, wollte man annehmen, daß der Einfluß der Geistlichkeit sich in Böhmen tiefer in das Privatleben der Landbevölkerung erstrecke, als dies in andern katholischen Ländern der Fall ist. Der Bauer unterscheidet sehr genau zwischen der geistlichen Würde und der Person, und wenn auch die Achtung vor letzterer zuweilen sinkt, so läßt er dock, die erstere nicht darunter leiden. Husitisches und Kirchliches, 143 Der böhmische Baner geht regelmäßig in die Messe, er hält die Fasten, geht häufig zur Beicht und versäumt selten eine Gelegenheit, seine Religiosität an deu Tag zu legen. Daß er in seinem Glauben auch leicht aufgestachelt und aus der gewöhnlicken Ruhe herausgerissen werden kaun,*) beweisen am besten die Missionspredigten der Jesuiten, die auf den Bauern nicht minder zündend wirken, wie anf den bigotten Adligen. Bei den Kirchen, oder auf freien und erhabenen Orten findet man in den meisteu Dörfern ein weithin sichtbares Oux im^iuni^, als Zeicheu, daß hier die Jesuiten vor einer ungeheuren Voltsmenge ihre tief eingreifenden Predigten hielten, deren Mahnuugeu, nicht immer der besten Art, mächtig auf die Gemüther wirkten. Zur Zeit dieser Missionspredigten ist die weibliche Bevölkerung namentlich wie toll, sie läuft den frommen, Tätern von Ort zu Ort oft mcileuweit uach, mn die kitzlichsten Dinge und heikelsten Fragen, die sich oft nm sexuelle Verhältuisse drehen, wiederholt zu hören. Daß die Missiousvredigten auch Manchmal gut gewirkt haben, soll durchaus uicht gelauguet werden; Diebstähle waren vielleicht anf acht Tage lang aus dem Kreise der Zuhörer verbannt nnd Mancher erhielt geraubtes Gut zurück. Tann verschwand jedoch die Wirknng bei den meisten, mit Ausnahme der l"ll gewordenen Weiber. In früherer Zeit mußten die gefallenen Ätädcben längere Zeit bei deu Missiouskreuzen knieen nnd Buße ll)un, nachdem sie vorher in der Kirche öffentlich vou der Kanzel ^'schämt worden waren, wobei man ihnen einen Ttrohtranz auf das *, Von jchcr war dcr tschechische Bauer auf dem (Ncdictc der Nc-lVott leicht entzündbar, Schon 1505 schrieb Bohuslcnv von Hasscnstcin: "^ne UiMbundenhcit in Neligionssachcn sei ohne Grenze, man streite "hue Unterlaß über (Äandmösachen; Greis und Iü,!a.ling, Mann und "^ib beschäftige sich um Bibelanslegmia, nnd eine Lelte dürfe sich nur ^Hcn, um sogleich Anhänger zu fmdeu," 144 tzlisitisclicö mid Kircklichcs, Haupt setzte. Noch heute erhält das Kind einer Gefalleneu (l'aäia) nicht den nbliclien Nachsegen nach der Taufe. Die tschechische nationale Partei arbeitet der Uttramoutaueu iu die Hände und umgekehrt. Beide sind innig verbunden nnd die höchsten Kirchcnfürsten des Bandes begünstigen aus diesem Grunde eifrig die Ausbreitung tschechischer Sprache, tschechischer Gesinnung. In den Seminarien, namentlich in jenem zn Budwcis, wird eifrig an der Tschechisirnng der Zöglinge gearbeitet. Hier ist der dnrch und durch deutschfeindliche Bischof Valerian Iirsik am Ruder, dev die Leitung der geistlichen Vildungscmstalt durchweg fanatischen Tschechen anvertraut. Man stelle sich uun uutcr dieseu deutsche Alumnen vor, denen deutsche Gesinnung zum Pcrbrecheu angerechnet wird! Wie kanu es da Wuuder nehmen, wenn deren Zahl nnd damit die Zahl deutscher Geistlicher sich verringert, oder wie audcrc, den offeubareu Bortheil vor Augen, sich tschechisiren. In der Vud-weiser Diözese werden iu rein deutschen Gegenden sehr viele Pfarr-stellcn mit Tschechen besetzt, nnd die Gefahr ist vorhanden, daß die deutschen Geistlichen dort ganz verdrängt werden. Zum Beweise entnehmen wir folgende Stelle der Prager „deutscheu Volkszeitung" (Nr. 16. 1871). „Vs befiuden sich in fast allen größeren deutschen Orten des südlichen Böhmens, mit Ausnahme jeuer, wo die Stifts" geistlicheu von Hohenfnrt die Seclsorge versehen, nur tschechische Geistliche. Die Prälatur von Krummau, die Pfarreien der Städte und Märkte Kaplitz, Gratzcn, Kaljchiug, Veneschau, Ober-plau, Zettwiug, Böhmisch-Rcichcnan, Neu-Vistritz, Win-terbcrg uud vieler anderer größerer Orte siud gauz oder theilweis«.' mit Tschechen besetzt. — Und wie lange, wird es dauern, so ist die gesammtc Geistlichkeit der Budweiscr Diözese tschechisch. So befinden sich beispielsweise nnter den ctlich dreißig Alumnen des l. Jahrganges im Budweiser Klerikal^Seminar heuer zwei, sage zw" Hnsitisches und Kirchliches. 145 Deutsche, und auch diese zwei dürften aus den oben angeführten Gründen, bevor sie die weiteren drei Jahrgänge bestehen, den Ab-scbied nehmen. Und so geht es fort — zum großen Vergnügen 3r. ultratschechischen Ercelleuz. Und wie sieht es mit der Wirksamkeit der tschechischen Geistlichen iu deutschen Pfarreien ans? Sie können wohl durck die Bank kaum halbwegs richtig dentsch sprechen — aber das schadet nichts." Und dabei wageu tschechische Heuchler noch über „Germauisirung" zu klagen! Das Element, welches in Böhmen, in Oesterreich systematisch an seinem Bolksthum geschädigt wird, ist nur das das deutsche. W- An dice, Tjchcchifchc Gänge. 10 Juden und Tscheche». ^) hatt' ich ci»c Zaul^vvutli' Äiüßt heraus ails Vttymcn !»anchcr Iud'. Tschechische? Voltslicr. Wie in keiner Beziehnng für die Mittelsfthäre eignet sich der slavische Geist auch nicht für das bürgerliche Leben und was damit im Zusammenhange stcht. Vr greift darüber hi nans oder steht darunter. Bon jeher ist es den Slaven schwer geworden, über Contraste hinwegzukommen;' sie verstanden die Gegensätze nicht zu vermitteln und auszugleichen und sind deßhalb allzeit zwischen Herren und Vaueru umherlavirt, ohne den Nebergang zu finden. Da der dritte Stand ihnen mangelt, so hat es ihrem ganzen Leben stets cm Reich-thnm und Mannichfaltigkeit gefehlt. Auch sind sie als die letzten in die europa'iscbe Cnlturströmung eingetreten und, im allgemeinen genommen, bis ans diesen Tag sehr dürftig. Acht Zehntel mindestens von den «0 Milliouen Tlaven sind Bauern, bis anf die iünaM Zeit herab meist Leibeigene, oder Hörige oder dnrch Frohnden niedergedrückte Menschen, denen höhere geistige Regsamkeit fern geblieben ist. Nehmen wir dazu die ungünstige geographische Lage der Slaven, welche sie von dein belebenden (Äemente des Oceans größtentheils ausschließt, fo erblicken wir auch hierin einen Grund dafür, daß s^ so weit zurückstehen. Dnrch das alles wird der Gang erklärlich, welchen die Geschichte in den slavischen Ländern genommen hat. Dic Slaven haben gegenwärtig, wenn man von dem serbischen Fürsten absieht oder von dem Wladita Montenegros, keinen Herrscher aus Juden und Tschechen, 147 slavischem Blute; auch bilden sic nur mim einzigen selbständigen Staat, der seine Gründung dem Waräger Nnrit, einem Germanen, Verdankt und dessen jetzige Dynastic aus Deutschland stanunt. Die übrigen gehorchen dem Sultan, den Habsbnrgcrn und Hohenzollern. Das alle diese Verhältnisse einen andern Gang genommen haben wurden, wenn die Slaven ein Städtewesen wie die Germanen und Romanen gehabt hätten, unterliegt wohl keinem Zweifel. Die Thatsache, daß die westlichsten Slaven die am weitesten vorgeschrittenen sind, nnd die wir dem deutschen Einflüsse zuschreiben, findet wohl an nnd fnr sich keinen Widerspruch, aber eine solche Er-kläruug behagt denjenigen keineswegs, welche ein specifisch slavisches Cultnrlebcn in alter Zeit annehmen. Hören wir, was einer der nüchternsten und vornrtheilssreisten Slaven *) darüber änßerl: „Unumwunden wird jeder Fachmann die belebende nnd deredlende Einwirkung des Christenthums uud der iu dessen Gebiete ans dem Osten und Westen nach Böhmen gelangten bildenden Elemente anerkennen; offen wird er den wohlthätigen Einfluß der lateinischen Sprache und der durch sie vermittelten Literatur des Mittelalters zugeben; niemals wird er die gnten Folgen der im 13. Jahrhundert stattgefundenen deutschen Colonisation in Böhmen unterschätzen: aber eben so offen nnd unumwunden wird er für die durch unzählige historifche Beweise, ja durch die uoch heutzutage unter dein böhmischen Volke fortlebenden slavischen Sitten, Gcbränche, Anschauungen und Poesie, festgestellte Thatfache einstehen, daß nnsre Vorfahren, unabhängig von jenen answa'rtigen Einflüssen, gleich ihren Stammgenossen im Osten und Süden, alle Eigenheiten eines specifisch slavischen Cnlturlebens bei sich entwickelt haben. Die Berührungen mit dem Westen haben dem geistigen Leben der alten Böhmen neue Bahnen *) Iiretschet, Dic Echtheit dcr Muignchof« Handschrift 3, 210. 10 4 148 Iudcn imd Tsckcchen. eröffnet, ihnen neue Culturstoffe zugeführt, ja sic haben die geistige Entwicklung im Allgemeinen andern slavischen Stämmen gegenüber beschleunigt nnd ihr manche Eigenthümlichkeit aufgeprägt: allein der Einfluß des Westens und namentlich Deutschlands hat ein geistiges Leben in Böhmen ebensowenig geschaffen, als die Deutschen des römischen Einflusses bedurften, um eiu geistig rühriges Bolk zu werden." Giebt man eine specifische Cultur zu, die ohne einen Mittelstand sich zu entwickeln wußte, so kann man hiermit übereinstimmen. Etwas auderes ist jedoch, wenu man den Bürger als den wesentlichsten Träger der heutigen europäischen Cultur ansieht; diese empfingen die Slaven jedoch erst von außen, und ans fremden Elementen besteht sie auch heute noch bei ihnen. Sie selbst haben an deren Errichtung nicht mit gebaut. Städte siud ihnen auch heute noch ein wesentlich fremdes Ding. Sehen wir doch den Thatsachen ins Gesicht. Böhmen hat heute 355 Städte, darunter nnr eine einzige große Stadt, Prag, und diese ist gemischter Nationalität, wesentlich unter deutschem Eiuflufse groß geworden, wenu sie auch nicht so fortschreitet, wie die Städte Deutschlands, denn die Vermehrung der Bewohner ist eine änßerst geringe, wozu natürlich die nationalen Streitigkeiten das ihrige beitragen. Eine rein tschechische Stadt von Bedeutung existirt nirgends. Wir müssen dieses Mangeln der Mittclsphäre bei den Tschechen, wie den Slavcu überhaupt, hier bctouen, um zu zeigen, wie zur Uebcrbrückung der Kluft zwischen Hoch nnd Niedrig der Slave fremder Elemente bedürfte, die er herbeirief, wie die Deutscheu, oder die von selbst kamen, wie die Juden. Nirgends in ganz Europa findet sich für das Bolt Israel wieder ein so ergiebiger Boden, als in den slavischen Bändern. Diesen sind die Iudeu zur Nothwendigkeit geworden, eine Thatsache, die sich schon das Sprichwort ausdrückt: Indcil und Tscbcchen. 149 „Wie die Klette all deu Kleideru, so hängt der Jude an deu Vollern slavischer Nation." Die Statistik weist nils die bedentfatne Thatsache nach, daß von den mehr als vier Millionen Indeli, die über ganz Europa verbreitet leben, der bei weiten: größere Theil nnter den Völkern slavi^ scher Nationalität seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat. Im Westen unseres Vrdtheits, nnter vorherrschend romanischer Bevölkerung, sind die Juden dünn gesäet; sie nehmen schon zu in der Mitte unter den Germanen und erreichen das Maximum ihrer europäischen Verbreitung im 5Dsten unter den Slaven. (5ine statistische Uebersicht, die ich hier mit Rücksicht auf das Vorkommen der Juden nnter den drei Hauptvöltergvnppen Europas aufstellen will, wird dieses sofort llar machen. N o m a n i s ch e G r n p p e. Frankreich . . . 9,5«^ 36,50<»,N00 50,000 Italien . . . . 5,.^ 7 6 20,500,000 40,000 Spanien .... 9,200 16,300,000 6,000 Portugal . . . 1,622 3,850,000 1,000 25,786 83/l50^0()0 97,000^ Germanische Gruppe. Qu. M. Einwohner. Juden. Deutsches Neick. . 9,901 40,200,000 482,000 Deutsch-Oesterreich Z,588 13,000,000 150,000 Niederlande . . 596 3,700,000 64,000 Schweiz .... 752 2,600,000 4,000 Däuemark . . . 694 1,800,000 4,l>00 Schweden, Norwegen 13,771 5,900,000 5,000 Belgicu .... 534 4,900,000 1,000 Britisches Reich . /5,732 31/>00,000 ^b/)00 35,56« ^"lOl»/)«>0 755,000 150 Juden und Tschccbcn. 117,155 105,800,000 3,543,000 Berechnet mau dic Verhältnisse, su fiudet man, daß in der ronla-nischen Gruppe noch nicht 4, in der germanischen schon 21,,;, iu der slavischen dagegen 30,^ Juden auf die O.nadratmeile entfallen. Für die -lokale Verbreitung der Indeu in Europa wird hiermit aber uuch nicht die richtige Vorstellung gewonnen, da sie in dcr germanischen Grnppe wesentlich dichter nach Osten hin — wo das slavische Element znuimmt — sitzen; in der slavischen nmgckhrt haben sie mehr den Westrand inne, so daß die Hanptzone ihrer Intensität in einem Striche liegt, welcher sich von der Tonan bis an die Ostsee erstreckt und Rumänien, die ungarischen Länder, Galizien nud Bntowina, das Königreich Polen und Westrußland, Posen und die Provinz Preußen unifaßt. Ter Proceutsatz der Juden znr Einwohnerzahl der drei (Gruppen überhaupt zeigt uoch weit schlagender, wie sie im slavischen Osten das Maximum ihrer Verbreituug erreichen. Denn, während sie in der romanischen Gruppe wenig über 0,1 Procent, in der germanischen 0,7-j Procent ansmachen, erreichen sie in der slavischen 3,,, Procent der Gesammtbevölkerung. Berücksichtigen wir speciell Oesterreich, su sinden wir, daß die Zahl der Juden in Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain, Isirieu und Tirol höchst unbedeutend ist, da gerade dort bis in die iüngste Slavische Gruppe. Qü.M. (imwohucr. Iiidcn. Rußland .... 100,285 70,000,000 2,071,000 Galizien, Bukowina . 1,514 5,000,000 511,000 Ungarische Kronländer 5,205 12,800,000 437,000 Rnmänicn . . . 2,197 4,700,000 400,000 Türkei..... 6,300 11,000,000 115,000 Griechenland, Serbien 1,654 2,300,000 !),000 Iudcu und Tschechcü, 151 Zeit Anorduuugen gegen das Seßhaftwerden der Juden bestanden. In Gatizien und der Bukowina treten die Juden mit 5,, Procent auf, doch wird diese Durchschnittszahl in einzelnen Kreisen bedeutend noch übertroffeu; so iu den kreisen Tarnow, Zölkiew, Tarnopol, Stryj, Stanislawow', Kolomea und Tschortkow, wo sie über ein Zehntel der heimischen Gesammtbevölkernug ausinacheu. Im Kreise ^lotfchow erreichen sie mit 16 Proceut ihr Maxiiuuul. In Ungarn sind die Juden besonders zahlreich in den Komi taten, welche au Mähreu und an den rutheuischeu Theil Galiziens grenzen, die also auch vorwiegend von Slaven bevölkert sind, nämlich in den Komitateu Presburg und Neutra mit 6 und 8 Procent, sowie iu Sarosch, Zemplin, Ungh, Marmarosch, Beregh, wo sie zu <>—11 Procent aufsteigell. Wie rasch hier die jüdische Bevölkerung zunahm, sieht man daraus, daß im Jahre 17^5 die Anzahl der Indeu iu Ungarn, Kroatien uud Slavouieu 75,089 Köpfe betrug, 180.'» aber sich auf 127,816 vermehrt hatte und 1848 bereits 292,000 Seelen betrug. Siud die Juden nun auch stark iiber das platte Land in Oesterreich-Ungarn verbreitet, so zeigt sich doch unter ihuen die Tendenz nach den großen Städten zu ziehen, wie in Deutschland auch, indem gerade hier den jüdischen Neignngm für Handel :c. ein weiterer Spielraum als auf dem Vande geboten ist. Es wohnen in Ofen lO, iu Prag 11, iu Presburg 15, in Großwardein, Pest 17 Procent Juden. I>l Tschernowitz gar 22, in Kralau >>8 und iu Vemberg 40 Procent. Die letztere Stadt ist also fast zur Hälfte jüdisch und in der That ist der Handelsverkehr hier fast ausschließlich in jüdischen Händen. Was Wien betrifft, so zählte die eigentliche Stadt, mit Ausschluß der anstoßenden Vorstädte: 186!,): «07,514 Seelen, darunter 545,500 Katholiken, 19,4,00 Protestanten, dagegen 4,0,200 Juden oder <»,,-. Procent. Auch hier ist die Vermehrung eine rapide, die der christlichen Bevölkerung übertreffende. 152 Index mid Tschau Ehe ich speciell auf Böhmen übergehe, mag hier der Plcch sein, überhaupt einiges über diese starke Vermehrung der Juden gegenüber jener der christlichen Bevölkerung zu sagen, oder setzen wir besser: der unter den europäischen Indogermanen lebenden Semiten. Der wesentliche Grund hierfür liegt im jüdischen Eheleben, das in mancher Beziehnng vor dem der heimischen Nationalität, unter welcher der ^ltde seinen Wohnsitz anfgeschlagcn hat, sich vortheilhaft auszeichnet. Daß das jüdische Eheleben als ein sittenreiues nnd lobens-werthes sich auszeichnet, verdankt es zumeist den kehren nnd Grundsätzen, welche das mosaische Gesetz nnd das darans entwickelte talmudische Recht über die Ehe und über das Verhältniß der Kinder zu den Eltern anfstellt Bergl. Bnchholz, die Familie in rechtlicher und moralischer Beziehnng, nach mosaisch-talmndischer Vehre, Breslau 1867). Echt jüdisch aufgefaßt, wird dieses Ehelebeu in einer orthodox jüdischen Wochenschrift folgendermaßen charakterisirt (Der Israelit. 7. Dec. 5631 (!) 1870): „Jeder Iehudi, dem noch ein fnmkchen jüdischen Geistes und Sinnes im Herzen glimmt, muß sich der hohen Bedentnng bcwnßt sein, welche das Haus nnd die ühc im Judenthum einnehmen. Schon Jakob hat das Hans als die wahre Stätte der Gottesverehrnug gekennzeichnet. Und seit jener Zeit waren Labane, Pharaonen, Bileame, waren Indenfeinde aller Art bemüht, ihren Haß gegen Juden und Iudenthnm dadurch zn bethätigen, daß sie letzteres ill seinen Grnndfestcn anzutasten snchten, indem sie dein jüdischen, innigen Familienleben den Untergang schwuren (?). Die Ehe- undFamilienreinhcit ist desIndcnthnms Lebensnerv, sie zn erhalten ist ihr Lebenszweck. Wer die Heiligkeit der (ihe entweiht lilld so die jüdische Iamilienreinheit zu zerstören sucht, hat dem Iudcuthum den Krieg erklärt und es so dem Untergänge geweiht. Bor Jahrhunderten nnd Jahrtausenden suchten nnsre Vater freiwillig das Enl, die Knechtung, ^a den Tod anf, nm uur die schlüpfrigen Juden und Tschechen, 155 Hletze lind Schlingen meiden zu können, die ihnen ihre Keuschheit und Reinheit, das heißt, ihren Israel-Beruf rauben wollten n. s. w." Ticher hängt mit diesem jüdischen Ehcleben anch die starke Vermehrung der Juden znsammen und diese ist gegenüber jener der übrigen Bevölkerung so bedeutend, daß es wohl au der Zeit ist, die Folgen derselben in Betracht zu ziehen.' Ich glaube nicht, daß die „indische Frage" mit der Emancipation abgeschlossen ist; im Gegentheil, sie wird mit dem Ueberwuchern des Iudenthnms erst recht wieder cmftauchen. Tie Vermehrung der Juden ist denn auck schon von den Statistikern aufmerksam beachtet worden, namentlich ihre Anhäufung iu deu großen Städten. Ihre Zahl in Warschan z. B. betrug 1808 schou 86,«?2 Seelen, während sie 1863 erst 65,000 ausmachte. Deutsche Städte zeigen auch eine Zunahme. Nach dem vortrefflichen Werke von Dr. Schwabe, „die Resultate der Berliner Volkszählung" (Berlin 1869 S. LVIII. f.) gab es am 3. December 18, in der Kö'nigsstadt mit 7,0 und in Alt- und Neu- 15-4 Iudcn nnd Tschechen. Cöllu »lit je 6 Prozent. In Moabit, Wedding, Tempclhofer Revier, also an dcr Berliner Peripherie, erreichen sic noch nicht einmal ein Prozent. — Vergleicht man die Religionsverhältnisse vun 18s,4 mit 1867 so haben sich die Israelites am stärksten vermehrt, nämlich mit 1Z,V Prozent, während sich die Evangelischen um 10,«i Prozent, die Katholiken nur nm 7,«9 Prozent vermehrt haben. ^i. Schwabe hat dann später in seinen „Betrachtungen über die Volksseele von Berlin" lAbdruck aus dem Städtischen Jahrbuch für Voltswirthschaft nnd Statistik) die Juden der Deutschen Kaiserstadt noch besonders lobend hervorgehoben. Er hat gezeigt, wie der Schulbesuch bei ihnen unendlich viel höher als bei den Christen ist (Von 100 katholischen Knaben besuchen 14, von 100 evangelischen 21, von lOO jüdischen aber ül» höhere Lehranstalten) und wie auch die Juden in moralischer Hinsicht den Christen in Berlin voraus zu sein scheinen. „Anfs eifrigste werden von ihnen materieller Besitz, Durchdringung des Bebens mit humanen Ideen, Bildnng, kurz eine Reihe echt menschlicher Eigenschaften gepflegt und bereits lassen diese Eigenschaften ihre Wirtungen in statistisch sehr erkennbarer Weist hervortreten und reichen damit ganz von selbst der Bcvölternng, die sie hegt und pflegt, die Krone des Vebens." Indessen statistische Daten sind allein hier nicht ausreichend, nm Intelligenz nnd Moralität festzustellen, anch ist zn berücksichtigen, wie dieses Urtheil sich nur anf die hochcivilisirten Juden Berlins — die zum Theil ihrer Anschannng nnd Lebensweise nach keine echten Juden mehr sind — beschränkt und keinesfalls anf die überwiegend grosie Anzahl ihrer Stannuesgenossen im Osten paßt, obgleich auch hier von uns vielfach ein Ueberwiegen der Intelligenz anf jüdischer Seite gegenüber der heimischen Bevölkerung nachgewiesen werden kann. Bei Slaven, Rumänen nnd anderen anf ähnlicher Bildung^ Indcu nud Tschcckc», 155 stufe stchcndcn Völkcru vcrbrcitct sich nun auch allmählich cm gc-lindcr Tckrcckcn; sic glallbcil mit dcr Zcit ganz von dcn Iudcn vcr-sclilnnqci! ,;n »vcrdcn. Vächcrüch erscheint dicfc Angst zumal in Rnmänicn, dcsscn cms so ticfcr Ttufc stchcndc'Bcuöltcrung dcn Iudcil gcgcnnbcr noch volllommcn dic Auschaunngcn dcs Mittcl-altcr^ hcgt. Fnrst X'arl, dcv so uiicndlich fcin Bolk übcn'agt, soll 1^69 gclcgcntlich cincr Rcisc dinch dic Wallachci gcsagt habcn: „Tic Israclitcu wcvdcn in mcincm Adoptivvatcrland jcnc Vtittcl-ttassc bilden, dic dort noch nicht bcstcht, nnd dcvcn Abgang cin großcs llcbcl ist; anßcrdcm l'in ich nbcrzcngt, daß wir ohnc dic Isvaclitcn nicht bcstchcn tönncil >>c." „Dicsc Wovtc," so äußcrtc sich darauf dac! Blatt „Tcmocratia", crwcckm in uns dic crnsthaftcstcn Bcfürch-tungcn sowohl fnr nnscrc politischcn Iustitutioncn als fnr uns^rc Ncuionalita's. 2^cr kann nicht ohnc Israclitcn scin? Dic rmnänischc ^cation ctwa? ^ic Hal, ?<»<> Iahrc ohnc ^ndcn gclcbt! Odcr ctwa dic Tmiastic? Da abcr mnßtc Vnkarcst „Icrnsalcm", Rumänicn „Palästina" nud dic Mmilic dcr Hohcuzollcrn „dic Familic dcr Mattabacr hcis;cn ^c." ^u ^l'uniänicn gcuügtc ciu solchcs Gcschwcitz, um cinc ^ntcrpcllation in dcr Kammcr zu dcgrnndcn, dic dann anch ivirtlich am ^l>. Dczcmbcr voil dcn: Abgcurdnctcu Codrcscu gcstcllt '.onrdc. Wir sctzcn dicsclbc hicrhcr, wcil sic das statistischc Matcrial übcr dic raschc ^crmchrung dcr Indcn iil ^lumäuicn cnthält. Codrcscn hält dic staatlichc VMcnz Rnmänicus dnrch dic niasfcnhaftc (5in>vandcruug durch dic Iudcu fnr bcdrohl. Er sagl: c2 handlc sich niäil mchr um das Konuucu ciuzclncr Individucn dic in dcr Moldau odcr Walachci ihrcu Untcrhalt snchcn: sondcrn nm dic Invasion cincs ^ollcs, U'clcbcs, bishcr hciniathlos und zcrstrcnt, Rumänicn zn scincr Hcimath crkorcn habc. Dic ulächtigc Association, iu Paris gcuannt „Alliance IsrcMilc", bcabsichtigc dic Grüudnng eincs israclitischell Ttaalcs (!^ und habc dazn dcn Orient ilnd spccicll 15i) Juden und Tschechen Rumänien auserkohren. Dich gehe hervor aus den AnslasfunZeu der Preßorgane mit welchen die „Alliance" in Verbindung stehe; werde aber auch durch folgende statistische Ziffern bewiesen. Im Jahre 1849 hätten in der Moldau nur elwa 1 !,<)<)«) Juden existirt, f^ daß auf je 27 Moldauer nur 1 Jude gekommen sei. Im Jahre 180'.) habe sich die Zahl der Israelite»! in der Moldau dis auf 400,000 Individuen verinehrt, so daß bei einer Emwohuerzcchl von 2,000,000 Rumäueu iu der Moldau auf je 5 Runiänen 1 Jude komme. In Frankreich komme auf 240 Franzosen 1 Jude, in England anf 728 Engländer 1 Jude, nnd selbst in Oesterreich komme nnr auf A3 Christen 1 Jude. Angesichts solcher Verhältnisse muffe jeder Rumäne mu feine Nationalität besorgt sein. Nach einer langen Auseinandersetzung üder die Gefährlichkeit des jndisckeu Elements für die Rumänen stellt Codrescu deu Autrag: die Regierung möge den Juden ferner keine Pachtung im Lande gestatten, ihnen nickt mehr erlauben, Grundeigenthum zu erwerben, und das Verbot, keine Scheuten auf dem flachen Vandc zu halten möge streng durchgeführt werdeu n. s. w. Was Widersinniges in Codrescns Interpellation enthalten ist, richtet sich von selbst. Unsre Aufgabe ist es nicht, dieses hier zn corrigiren. Die starke Vermehrung der Iudeu ist uun auch in Böbmen eiuc sehr auffällige nnd vou den Tschechen mit feiudlicheu Augeu beobachtete. Tic uchnien nicht uur, n.ne bei uns, ill den Städten zu, fonderu auch anf dem platten Laude und zwar ist ihre Intensität in den tschechischen Gegenden eine bedeutendere als in den deutschen. Ficker hat ihre Zahl für 1808 schon auf 100,000 berechnet (2 Pro-zeuy. Die Volkszählung von 1857 giebt 8C.,^;!) au oder I,«i Prozent. Ein besonderes Gebiet bewohnen sie nicht, sie find dnrch ganz Böhmen zerstreut, wohnen aber am stärksten in Prag ^7700 Seelen) beisammen. Auch iu tschechischen Städten Iungbuuzlau, Tavor, Pilsen, Man gewahrt auf de»l ersten Blick, wie in den drei fast rein tschechischen Kreisen Prag, Tscbaslau nnd Tabor die Zahl der Indcn am stärksten ist und zwar machen sie im ersteren 2,s», im zweiten 2,«5 und im dritten gar 3,5j Prozent der Gesammtbevölkerung ans. Daran reihen sich die vorherrschend tschechischen Kreise Pilsen nut 1,8», Pisel mit 1,««, Chrudnn mit 1,u Prozent nnd die deutschen kreise Saaz mit 2,28, (5ger I,W und Leitmcritz 1,i4 Prozent Juden. Unter 1 Prozent sinkt die Zahl im Iitschiner Kreis unt <>,««, im Vunzlauer mit 0,?^, im Budweiscr mit 0,?u und im Königgrätzcr Mit 0^<^ Prozent der ganzen Bevölkerung. Auch weun man auf die einzelnen Bezirke eingeht, findet man das Ucberwiegcn der Inden ^n den tschechischen Gegenden. Von 5 bis 8/. Prozent steigt die lMschc Einwohnerschaft in den elf tschechischen Bezirken: Moldautcin, Eoböslau, Patzow, Iung-Woschitz, Wotitz, Unter-Kralowitz, Habern, Juden und Tsckechcu. 157 Kolin, Raudnitz, Iitschin befinden sich starle Iudengcmeinden. Es entfallen Inden auf den Prager Kreis 20,583 Budweiser „ 1,937 Piseter „ 5,,^1 Pilsener „ 7,446 Egerer „ 6,833 Saazer „ 5,402 ^einncritzer „ 4,594 Bunzlauer „ 3,098 Iilschiner „ ^,752 Königgrätzer „ 2,241 Chrudimer „ 3,602 Tschaslaner „ 10,691 Taborer „_^^^l)''z9___ ^86,339 15)8 Indcu uuo Tschechen. Neutolin, Berauu, Iuugbunzlau und Raudnitz, eiu Verhältniß, welches nur die drei deutschen Bezirke Tuschlau, Konnnotau und Teplis erreichen. Bekannte Ausnahmen abgerechnet, ist die (5'lnancipatiou der Juden uuu im Großen uud Gauzen iu West- und Mitteleuropa durchgeführt; sic siud hier, ausgenommen geringe zopfige Unterschiede, die auch noch fallen werdeu, der einheimischen, oder sagen wir besser nationalen Bevölkerung gleichgestellt. Die Juden thun im Heere ihre Pflicht, sie werden zu Abgeordneten gewählt, sie lehren an den Universitäten, spielen als Advokaten und Aerzte eine Rolle; daß sie als Geld- und Börsenmänucr Nummer Eius sind, steht fest. Gut. Damit tritt aber anch an die Iudeu eiuc neue Pflicht heran, die sie zu erfüllen haben und diese Pflicht ist nationaler Natnr, sie sollen mm nicht mehr einen fremden, sich selbst abschließenden Tplitter im Fleische der Nation, nnter welcher sie wohnen, bilden, sondern völlig in dieser aufgehen, sich derselben in jeder Veziehnug assimiliren-Wir scheu ganz ab vom Glaubensbekenntnis;, das wir gar nicht in den Kreis nnscrer Betrachtung hereinbcziehen, obgleich es schwer sein mag, dieses beim Juden von seiner Volksthnmlichkeit sondern zu können; vielmehr scheinen beide miteinander zu stehen uud zn fallen-Der jüdische Standpunkt ist noch immer jener, den Shylock ansspricht: ^ will l»u.v »Mi )'0u, 8oll nitii ;'ou, talk nitll vou, "'klk nitl» ^ou null 80 t'niimviug, liut .1 >vill nc»t okt ^vitli vc,n, lll'inic vvitll ^s»U 1101' INllV ^Vitll )'0U. Schon Robert von Mohl (Ttaatsrecht, Völkerrecht und Politik) hat darauf hiugcwiescn, daß die Besorgniß nicht unbegründet sei, die Juden würden trotz der Emanzipation iu ihrer Besonderheit und dem Bewußtsein ihres Gegensatzes gegen die europäischen Nationen verharreu. Man habe wohl gemeint, das Aneinandcr-fchließen der Juden würde mit der Aufhebung der mittelalterlichen Juden mW Tsck'ccbcn. 15)9 Mfchließung aufhören; seien die Fesseln gefallen, so werde jeder Jude mit vollen: Bewußtsein ein Deutscher, ein Franzose, ein Engländer werden. Es würden namenllich die Inden, wenn ihnen alle Gewerbe nnd freien Bcrnfsarten offen stünden, diefe Gelegenheit ergreifen und die vorherrschende Beschäftigung mit dem Handel oder Schacher, sowie das specifische Nteratcnthmn anfgeben. Das ist aber keineswegs in Erfüllnng gegangen. Geben wir anch zn, daß die Zeit znr Ansführnng bisher sehr kurz bemessen war, so ist doch noch nichts geschehen, mn diese Anfgabe der Illden — denn nur wenn die volle Assimilirung durchgeführt ist, wird der nationale Gegensatz schwinden — auch nur anzubahnen. So lange man den Juden, den Semiten, noch äußerlich anf hnndert Schritt weit zwischen den Indogermanen heranscrkennt, so lange wird unter den letzteren das Gefühl herrschend bleiben, daß er einen fremden, einen andern Menschen vor sich habe. Das sehen nnd fühlen wir, wenn anch der Inde selbst das nicht einsehen mag nnd nnser Auge ist geschärft für diesen Gegensatz. Wie viele Inden möchten äußerlich nicht als solche erscheinen! Mohl bemerkt ganz richtig: der Sprachgebrauch fühle mit feinem Takt herans, daß die Nationalität neben den Juden zurücktrete, man sage: ein dentscher Inde, ein englischer Jude, nicht ein jüdischer Dcntscher, ein jüdischer Engländer. Sie fühlen sich zuerst als Juden, als Genossen eines Stammes nnd sind, falls fie echte Inden, erst in zweiter ^inie Dentsche oder Engländer. Daß dieses fremde, sich nicht ins Ganze einpassende Element nicht ohne Gefahr ist, liegt anf der Hand. Wir hören hier schon wieder das umgekehrte Hep-Hep-Geschrei, wir hören anch den Einwnrf von den hnndert tapferen Juden, die für ihr Land anf den Schlachtfeldern geblutet, das verschlägt nns aber nichts und wir fahren rnhig in unserer Auseinandersetzung fort, die eben nnr ethnographischer Natnr ist. Wir wollen mehr nnd besseres für die Inden, als die Eman- 160 Iudcu und Tschcckcn. zipation, die allein den Gegensatz nicht verwischt, sowenig wie die Taufe einen Juden umgestaltet; wir wollen — da eine Aussonderung und Rückwanderung nach Palästina duch wohl anßcr Frage bleibt — völliges Aufgehen, Assimilation der Juden. Nnr anf diesem Wege wird sich der beiden Theilen unleidliche Gegensatz verwischen lassen uud die Juden werden daun ein ganz gutes constitm-rendes Element innerhalb der europäischen Völker bilden, ein verbreiteter Sauerteig, kein klumpenwcise angehäufter uud das, was uns an ihuen ethuisch zuwider, wird verwischt werden. Zunächst steht hier das engherzige Ehegcsetz der Juden im Wege, welches Vermischung mit den Christen für eine Eünde erklärt. Man lese doch die Schriften orthodoxer Indcn, oder orthodoxe Iudeublättcr, uud man wird gerade hier ein fo zähes Festhalten am Alterthum finden, den Geruch vom „auserwähltcn" Volke spüren, den nationalen Gegensatz betont sehen, daß man vollkommen sich dessen bewußt werden muß, wie hier ein Volt noch in Jahrtausende alten Anschauungen lebt nnd webt, das uus doch nur — mittelalterliche Fehler vorzuwerfen vermag. „Das Iudenthum und seine Religion", „Unser Volk", Ausdrücke, die von den Juden so häufig gebraucht werden, beweisen allein, wie sie selbst sich im Vollgennsse des nationalen Gegensatzes befinden, der wohl durch tausendjähriges Leben unter eiuem anderen Volke, Annahme von dessen Sprache, thcilweise der Sitten u. s. w. bei einzelnen Individuen verwischt und verdunkelt werden konnte, der aber noch im Ganzen und Großen fortbesteht nnd fortbestehen wird, so lange das semitische Blnt sich rein erhält. Dieses aber rein zu erhalten, ist geradezu eine der Hauptaufgaben des orthodoxen Indenthums, es ist „Israel-Bernf". Der orthodoxe Inde steht aber noch ganz im Alterthum mit seinen Sitten und Anschauungen, und ehe er selbst diese nicht geändert hat, wird an eine Beseitigung des so unerquicklichen Gegensatzes nicht zu denken Iudcn und Tschechen. 161 sein. Der orthodoxe Jude sieht sich noch immer selbst als ein Fremdling im Abendlande an, wenn auch die Tehnsncht nach dem heiligen ^andc seiner Väter nicht mehr in ihm wach ist, wie noch vor Zeiteil, oder Gefühle seine Brnst durchdringen, gleich ienen des berühmten Rabbi Iehnda Halevi, der im 12. Jahrhundert seiner Sehnsucht nach Kanaan in folgendem schönen Gedichte Ausdruck Hab: Mcin Herz iin fernen Oslcn Und ich im Abendland! Wie soll mir da wohl inundcn ?cs lcckrcn Viahles Tand? Wie zahl,' ich die Gelübde Und alle Schwüre incin, Wenn Zion Edoms Sklavin, Ich in Ärab (in der Frenide) ninß fcin? Aber Zion ist hente nicht mehr Edoms, der Christenheit, Sklavin, wenn auch der Gegensatz zwischen beiden noch sortdanert. An den Juden ist es, ihrerseits anfzngcbcn, was sie noch trennt, auf Mischehen hinzuarbeiten, nicht aber ihr aristokratisches Blnt rein zu halten. Nur ans diesem Wege, den wir eifrig wünschen, kommt der Frieden. Es ist nicht anders möglich, so lange das Blut der Inden rein bleibt, bleibt der Gegensatz, nnd auch dein aufgeklärtesten nntcr nns wird er, bei aller persönlichen Freundschaft, bei allem Wohlwollen für das Individnnm, sofort klar, wenn er mit einem Juden in Bertehr tritt. Wir denken hierbei durchaus nicht an Uebles, wir wollen nur sagen: der ethnische Gegensatz, das Gefühl des Fremden wird uns momentan klar, das Wort „Blut ist ein ganz besonderer Saft", tritt in sciue praktische Bedentnng. Mag wag man dies engherzigen Rasseudnnkel schelten, die Thatsache bleibt. Und liegt elwa im ganzen Wesen des Semiten und Indogermanen, trotz vieler Berührnugsftnntte, m ihren Anschauungen, im Gang ihrer Geschickte R. Andrec, Tschechische Gänge. 11 162 Juden und Tschechen. nicht cm solch« Unterschied, daß der Abglanz desselben sich bei dein letzten einblütigen Individuum nicht noch zeigen sollte? Der Unterschied zwischen Semiten und Indogermanen ist denn auch schon seit längerer Zeil von den Forschern gehörig gewürdigt und festgestellt worden. Neuerdings hat am schroffestcn und vielfacb sehr weit gehend der Franzose Nenan die Gegensätze in geistvoller Weise beleuchtet, während Deutsche wie Pott und Spiegel seine herben Anslassnngen modificirten. Renan, in seinen Einzelheiten Recht bchaltend, greift in der Zusammenfassung fehl, wenn er geradezu eine niedrigere Begabung der Semiten gegenüber der In-dogermanen annimmt. Beide sind überhanpl die am höchsten stehenden Nassen, denen mit Ausnahme der alten Aegypter, Chinesen und Japanesen alle itultnrvölker angehören. Beide ergänzen einander, doch so, daß der Indogermane eine Anzahl Eigenschaften vor dein Semiten voraus hat. Dem Semiten fehlt auf dem Gebiete der Mythologie jene Fülle der Gestalten, welche die indische und griechische Mythologie schon in ihren Anfängen auszeichnet; dadnrch ist auch ein Zweig der Literatur, das Epos, von Anfang an bei den Semiten angeschlossen; sie besitzen keines; ebenso wenig ein Drama, es bleiben mithin nur Lyrik und Sprnchweisheit als Felder der Dichtkunst für den Semiten übrig. Sollte es Zufall sein, daß auch unter uns die Semiten wohl hervorragende Lyriker, wie Heine, aber keinen bedeuteuden Dramatiker hervorbrachten? Die schönen Künste in ihrer Beziehung zu den Semiten betrachtend, meint Nenan, daß nur die subjectiveste aller, die Musik, von ihuen mit Erfolg betrieben worden sei, doch seien sie auch hierin von den Iudogermanen übertroffen worden. In Deutschland haben sie wohl Meister zweiten Ranges, wie Mendelssohn-Vartholdy und Meyerbeer, aber keinen Mozart nnd Beethoven hervorgebracht. „Vollkommen fremd und selbst cm Gegenstand des Abscheues ist den Semiten die Plastit und die Indcn und Tschcck'M. 163 Malerei." Auch heute noch tritt der Jude diesen beiden Künsten weniger gern nahe, als der Musik, gleichsam als ein Nachklang des Gesetzes: daß man von Gott kein Glcichniß oder Bilduiß machen solle. Im Staatsleben ebenfalls finden wir eine geringere Entwickelung bei den semitischen Böllern; es mangelt die Mannichfaltig-keit der Indogermaucn, „sie sind von Haus ans weder auf die Republik, noch die Monarchie, noch auf fcndale Verhältnisse angelegt. Sie schwanken zwischen dem Despotismus und der Anarchie des Bedninenlebens nnd namentlich das letztere ist dem Semiten das behaglichste. Tie Israeliten sind erst spät zu tinem monarchischen Staate gekommen und zwar, wie ausdrücklich berichtet wird, nicht ans sich selbst, sondern nach dein Beispiele anderer Völker." In einem aber, nnd in einem sehr wesentlichen Punkte, sind die Semiten helllenchtcnd aus den engen Grenzen ihres Stammlandes hervorgetreten: ihnen verdanken wir die Gründung des Monotheismus nnd alle damit verknüpften Fortschritte; aus ihrem Schooße sind Iudenthum, Christenthum und der Islam hervorgegangen; auch die Religion der Iudogermanen hat diesem gegenüber nicht Stand zu halten vermocht. Dnrch die Religion haben sich die Semiten ihre große Einwirkung anf die ganze cultivirte Welt gesichert. Durchaus wollen wir uns nicht auf Renans Standpuukt von einer niedrigeren Begabnng der Semiten stellen — ihre hente unter uns lebenden Vertreter beweisen das Gegentheil — aber die Verschicdenartigkeit darf nicht geleugnet werden, sie besteht so gnt unter Völkern, wie unter Individuen. Wir mnßten dieses vorausschicken, da wir mm auf einem Boden anlangen, wo die Gegensätze zwischen einem Zweige der Semiten und einem Zweige der Indogermanen sich zu außerordentlich schroffen gestaltet haben, wo noch eine Menge Einflüsse politischer und socialer Natur sich Hinzugeselleu, um diese Gegensätze zu verschärfen. Nur 11* 164 Illdcu nod Tschechen, wenn wir auf diese Weise tiefer zurückgehen, können wir die Abneigung zwischen Slaven nnd Inden begreiflich und mildernde Umstände für eine widerliche Erscheinung finden. — Wer den Prager Ghetto mit seinen schmutzigen, engen Gassen, seinen Trödelbudcn und alten Bauwerken besnchl hat, den: wird vom Führer durch all' die Merkwürdigkeiten mit feierlichem Ernste versichert: dies alles sei schon dagewesen, lange bevor Deutsche und Tschechen in Böhmeu gewohnt hätten. Wir steigen einige Stufen abwärts in den ehrwürdigen gothischen Ban der „Altneuschul", deren Düster uus schauerlich umfängt. Ernsthaft erklärt uns der Führer, sie sei im Jahre 590 erbaut worden, wie iu eiuer Urkunde der Präger Iudenältesteu vom Jahre 1600 zu lesen. Iaroslav Schaller, der Topograph, rechnet sogar ans, daß „diese Synagoge 71 Jahre vor der Au^-lnnft der Slaven nach Böhmeu aufgeführt worden." Es wird uus uu^ heimlich zu Mnthe iu diesen: frühgothischeu Ban, der dem Anfange des 14. Iahrhuuderts sein Daseiu verdankt uud au desseu schwarzen, nie getünchteu Wänden noch das Blut ermordeter Indeu klebt. Wir eilen hinaus ins Freie. Weuige Schritte weiter nnd wir stehen anf dem mit tansendcn von ^eichensteinen bedeckten Friedhofc Beth Chaim, anf dem Deutmal an Denkmal sich drängt, oft halb versuukeu im Moos uud Nasen, überschattet vou alten Fliederbäumen. Anch hier wieder tritt uns die Meldung entgegeu, daß lange vor Ankunft dcr Tschechen hier die Juden ihre Todten bestatteten, daß sie die ersten in diesem Lande waren. Da steht dcr ^eichenstem der Sarah Katz mit hebräischer Inschrift. Der Führer macht besouders auf ihn aufmerksam, denn die Jahreszahl darauf besagt, das; er mn 606 unsrer Zeitrechnung errichtet wurde. Andere Monumente sollen aus dem zehnten Iahrhnndert stammen. In allen diesen Märchen liegt ein Fuukcu Wahrheit; deuu das wird selbst von Tschechen, z. P. Tomet, zugegeben, daß die Juden Juden mid Tsckcchen, 165 bereits zur Zeit der Markomannen als Kaufleute nach Böhnien kanten, sicher machten sie sich in den frühesten Zeiten der Tschechcu-wandernng seßhaft und gelaugten zu Wohlstand. Der Chronist Cos-mas erwähnt zmn Jahre 1091 jüdische Ausiedelungeu im Prager nnd Wyschehrader Vurgflecken, deren Insassen „überreich an Gold und Tilber" waren. Bald von den Herrschern beschützt nnd bevorzugt, noch mehr aber verfolgt nnd gequält, gehen, die Inden nnn schleän und recht ill Böhmen dnrch das Mittclalter hindnrch; auch hier haben sie dieselben Hetzen zu bestehen gehabt wie iu Deutschland. Ein Unterschied ist tanm zn finden, es sei denn der, daß der Haß der Tschechen darum ein intensiverer war, weil er im Juden gleichzeitig den Be-lenner einer fremden Religion nnd den Anhänger und Verbreiter der deutschen Sprache sah. Die Geschickte der böhmischen Indenhctzen zn erzählen, ist nicht meine Sache. Man setze statt Worms oder Deggendorf Prag nnd man wird ein getrenes Bild derselben haben, wenn man die deutschen Judenhetzen vergleicht. Ganz wie bei nns. Iu der tntsch Kronick von Behem Lant (von 1389), welcke eine Uebersetznng der tschechischen Rcimchronit des Dalimil ist, nnd die Hanka in der Stuttgarter Bibliothek des literarischen Vereins edirti, finde ich beim Jahre 1134 folgende erbauliche Verse: Czu der seibin Zeit aldo Di Juden der Cristin Kinder Mit dem tode maditin minder Vnde des ialiin*) sie in irn notin. Dar vm gebot man si czu totin Ir huser ouch beraubin. Dieses beraubiu der Iudeu liegt den Tschechen von hente übrigens noch iln Blute, uud wenn die böhmischen Juden auch nicht die Christenkinder mit dem Tode „minder" gemacht, so hatten sie doch dafür Sorge getragen, das Geld iu den Taschen der Landbevölkerung *) tz h gestanden sie. 1(l^ Juden und Tschechen, zu verringern -— wie wir gleich sehen werden. Tschechen und Juden sind alsu alte Feinde. Ausdrücklich wollen wir hervorheben, daß bei dieser Feindschaft, wenigstens heute, der confessionelle Unterschied nur eine geringe Rollen spielt. Gegenüber den wenigen nnter ihnen lebenden Prolestanten sind die Tschechen im höchsten Grade dnldsam und bilden hierdurch cinen erfreulichen Gegensatz gegen die Bewohner anderer Vänder Oesterreichs, z. B. die Tiroler. Sagt ihnen jemand: ich bin Protestant, so erhält er die Autwort: '1'c> ^5t, 8t«,Mi, das ist eiuerlei. Doch schreibt sich diese religiöse Duldsamkeit nicht etwa von einer geschichtlichen Erinnerung an das Husitenthnm her, da die Geistlichkeit soviel wie möglich Alles, was noch daran mahnt, auszutilgen bestrebt ist. Spricht der tschechische Baner aber vom Inden, so ist diesem das schmückende Eigenschaftswort „stinkend" (smradlavy) oder „verflucht" (zatraceny) sicher. Hieran ist aber außer dem religiösen noch der nationale und der politsche Standpunkt des Iudeu Schuld. Der böhmische Inde ist nämlich meistens ein Propagandist für das Deutsch-chnm resp. die deutsche Sprache. Schon im zwölften Jahrhundert zerstreuten sich die deutschen Juden, gehetzt von den deutschen Rittern, über alle Theile der damals bekannten Welt nnd trugen Erinnerungen deutscher Nationalität und besonders dentsche Sprache an Orte, wohin selbst der keine Entfernnng vom Mntterlande scheneudc deutsche Kolonist nicht geornngen war. Daher kam es, daß fast alle Iudeu des Abendlandes dnrch deutsche Mundart sich verständigteu uud deutsch beteten. Neuerdings haben wir da Aenderungen beobachtet: Die Pesther Iudeu, die iu „National" machen, saugeu iu ihrer Synagoge den Szozat, im Tempel zu Warschau erklang in den Revolutions-iahreu das Vo/e cos Polske, aber der böhmische, unter deu Tschechen lebende Israelit kennt nnr dentsche Gesaugbücher. Iu unsereu Tageu hat man — und diese Ansicht ist iu Deutsch- Iudcn uud Tschechen. 167 land namentlich durch Richard Pöckh vertreten worden — daranf hingewiesen, daß die Nationalität, welche jetzt eine so wichtige Rolle spielt, wesentlich auf der Sprache beruhe. Mit dein Sprachwechsel werde anch die Nationalität eine andere. Vei sehr nahe, verwandten Völkern, die aus einem gemeinschaftlichen Stamme hervorgegangen, wollen wir dieses zugeben und doch giebt es anch hier Beispiele, welche das Gegentheil belegen. Die Irländer haben zum größeren Theil heute die englische Sprache angenommen nnd doch in wie starkem nationalen Gegensatze stehen sie zu den Angelsachsen, nicht nur in ihrer Heimat, sondern anch jenseit des Oceans. Geht man aber ans Völker über, die ethnographisch ganz verschiedenen Grnppen angehören, so tritt sofort die Hinfälligkeit der Annahme auf, daß dic Nationalität nur auf der Sprache beruhe. Der Neger der Bereinigten Staaten spricht hentc englisch, der Indiauer Mexikos heute spanisch; daß aber jene Engländer, diese Spanier seien, wird wohl schwerlich Jemand behaupten wollen. Mit den: Sprachwechsel geht nicht allemal ein Volk sofort feiner Nationalität verlustig. Wir tennen dafür schon Belege aus dem Alterthum, wie deun die Pelasger, deren Herodot im ersten Buche als „jetzt in ihrer Sprache attische Ionier geworden" erwähnt, trotzdem unter den Griechen charakteristisch genug getennzeichuet blieben. Die Körperform, das ganze übrige Wesen des Menschen haben doch hierbei auch ein Wort mit zn reden, was freilich rein auf dem linguistischen Standpunkte stehende Gelehrte, wie z. B. Max Müller in Oxford, kaum anerkennen wollen. Die Incongrnenz zwischen Sprache und Körperform ist int hohen Grade beachtenswert!), wegen der Schwierigkeiten, dic sie dem Ethnographen bei der Klassifkirmig bereitet, zumal bei Völkern, wo geschichtliche Nachweise über etwaigen Sprachwechsel fehlen. Häufige Beispiele dieser Iucongruenz finden sich namentlich in Indien. „Nach meiner Anficht, sagt Schlagmtweit (Hochasien I. W), ist die Sprache für, die 168 Ilidc» »no Tschcchm, Abstammung nicht nothwendig entscheidend; ich unlß in dieser Ae-ziehuug auf den in ethnographischen Untersuchungen sehr wichtigen Unistand aufmerksam machen, daß niedere Stämme, eben weil ihre, Sprache auf einer nnr unvollkommenen Stufe der Ausbildung steht, um so leichter in Berührung mit höheren Nassen ihre Sprache verlieren. Es bedarf dazu nnr des Verkehrs, etwa noch eines gewissen Grades socialer Abhängigkeit; sexnelle Mischung aber ist nicht nothwendig. (Trifft alles bei den Juden zn!) Die letztere könnte bei vergleichenden Messungen nicht unbemerkt bleiben nnd doch finden sich ganz bestimmte Beispiele auch im centralen Indien, daß Stämme ihre Körperformen nicht verändert haben nnd dennoch ihre Sprache wechselten/' Bei nns nun sind die Juden das beste Beispiel dieser Incou-grnenz. Sie bleiben allemal Inden, gleichviel ob sie hier deutsch, dort polnisch oder russisch sprechen, und wollte man sie in Böhmen nur nach der Sprache classificiren, man würde wahrlich in Verlegenheit gerathen, da sie dort znm großen Theile zweisprachig sind. Sie sind eben die dritte Nationalität iin Lande, weder Deutsche noch Tschechen, gleichviel ob ihre Sympathien sie nach der einen oder anderen Seite, hinüberleiten uud die deutsche Sprache vou ihueu stark bevorzugt wird. Für die Verbreitung der deutscheu Sprache unter den böhmischen Inden waren namentlich auch Kaiser Joseph II. uud seine Mutter Maria Theresia thätig, wobei sie allerdings auf Mittel verfielen, die, nicht immer uusere Billigung finden können. So durfte z. B. kein Jude eine Jüdin heiratheu, es sei denn, daß er zuvor eine Prüfung in der dentschen Sprache lind Rechtschreibung gut bestanden hätte! Deutsch ist mm die Sprache der Juden durch den ganzen Osten geworden, ohne daß wir auf dieses Deutsch gerade stolz zu sein brauchten. Wer in Galizien oder Polen eine Polemik ill diesem Teutsch gehört, wer auf der leipziger Messe au Brühl uud Ritter- Iudcn und Tsckcckcn, 1^9 straßenecke siä, unter die Söhne Abrahanis aus dem Osten gemischt und dun sic „deutsch" sprachen hörte, dem dreht sick auch das Her; i'n Leibe nnl, ob dieser Mißhandlung nnsrer Muttersprache Nichts-destoweniger ist schon allein durch die Juden deutsch bis nach Ostsibirien hinein ein wichtiges Verstaudigungsmittel geworden. Als der norwegische Professor Hansteen im Jahre 18«'9 sich bei Irkutsk m einer Barke einschiffte, mn die Angara hinab nach dem Ienissei zu gelangen, schmuggelte sich als blinder Passagier ein Jude Namens Hirschowitz eiu. Oberst Mnrawiew, welcher den europäischen Reisenden bis ans Tchiff begleitete, sah dort den Juden und bemerkte ihm ans dentsch: „Höre Tchiuul! wenn Dn dem Herrn Professor Unruhe machst, läßt er Dich einen Strick um den Hals ziehen nnd Dir in den Fluß werfen!" Was kann beide, den Elaven und den Juden, besser charakterisiren? Der Tlcwe redet mitten iu Sibirien deutsch, weil er eiueu Juden sieht, von dem er selbstverständlich voraussetzt, dasi er dieser Sprache mächtig sein müsse, lind wie slavisch ist anch dem Sinne nach seine Rede! Wie alle seine Glaubensgenossen, ist anch dcr böhmische Jude cin praktischer Mensch. Vr weiß, daß er mit der Kenntniß der deutschen Sprache in ein großes Culturgebiet mitritt, während er nut dem tschechischen Idiom nnr wenige Meilen von der Landeshauptstadt sich entfernen darf, nm an einer uuübersteiglichen Sprachgrenze anzulangen; er bedient sich daher der Sprache Messings lieber, als der einer ihm feindlichen Minderheit. Zu Hanse spricht der Jude nur deutsch. Ilnd dann ist der Handel, in dem sich vorzngsweise die Thätigkeit des Juden bewegt, in Böhmen fast rein dentsch zn nennen. Auch übersieht der Jude nicht, daß, wenn eine Klä'rnng der nationalen Streitigkeiten eintreten wird, das Nebergewickt schließlich doch den Deutschen bleibt. Vermöge seiner Bildung steht der Jude auf dem Platten Vande anch bedeutend böher als die tschechische Landbevölkerung, 170 Juden und Tschechen. denn jeder von ihnen kann lesen und schroben, was bekanntlich bei den tschechischen Bancrn und Arbeitern nicht überall der Fall ist. Gleicht der Inde in Prag nnd den wenigen größeren Städten Böhmens im allgemeinen seinen Stammesgenossen in den Städten Tentschlands, so ist der Torfjnde, oder derjenige, welcher den Handel in den kleinen Orten Tschechiens betreibt, ein ganz anderer Typns. Bei uns vermindert sich der Inde auf dem platten Lande, in Böhmen nimmt er schnell zu. Bekannt wegen einer zahlreichen Indenschaft waren z. B. ehedem die hohenlohischen nnd dcntsch-herrischen Gebiete im Taubergrnude in Schwaben. In Roteuburg, der ehemaligen Reichsstadt, giebt es zwar eine Indengasse, aber keine Inden mehr darin. Der moderne freie Verkehr führt dort überall das Volk Israel massenhaft in die größeren Städte, und während engherzige Köpfe von der Emancipation der Inden den Rnin des Banernstandes befürchteten, ward umgekehrt der Bauer durch dieselbe des kleineu jüdischen Schacherers lcdig. So wie hier gestalten sich anch die Verhältnisse, in den übrigen Theilen Teutschlands, nur bei den Slaven bleibt der Jude auf dem platten ?ande mit Vorliebe ansässig und vermehrt sich. Als der Inde einzog in das Torf und seinen mit tausenderlei Sachen wohlbcsetzten Kramladen eröffnete, nannte er anßer diesem noch nicht viel fein eigen. Seine Thätigkeit ist eine vielseitige, denn er sveculirt auf alle Bedürfnisse der Bewohner. Er liefert ihnen das Mehl zum Brodbacken, die Kleider nnd bnnten Tücher für die Weiber, den unentbehrlichen Schnaps, die eisernen Geräthe zmn Handwerksbedarf, die Seife, die Vichter, die ^iolonialwaaren, kurz alles, was der Landmann zum Lebensunterhalt bedarf. Fleiß, Ausdauer, Nüchternheit, Echmiegsamteit nnd Biegsamkeit, Freude am Gelde, diese Erbtheilc seines Stammes, brachte er mit. Im Torfe entstand Auflegung, als er sich niederließ; der christliche Concurrent, der in ihm Juden und Tschechen, 171 einen höchst gefährlichen Nebenbuhler sah, unterließ es nicht, die Menge mit den geläufigen Schlagworteu aufzuhcheu und auch der Geistliche glaubte seine Unduldsamkeit dadurch ausdrücken zu muffen, daß er gegen die, so Christum gekreuziget, douuerud von der Kanzel loszog. Die laute offeue Feindseligkeit geht vorüber,' aber der anfangs künstlich erregte Haß gegen den Mann, dessen Werth oder Uu-werth noch keiner keuut, halt an uud glimn.lt wie das Feuer uuter der Asche fort, uui bei günstiger Gelegenheit als helllodernde, verzehrende Flamme zum AuZbruch zu kommen. Der Jude harrt aus. Tchun mit Tagesanbruch füllt fich der kunterbllute Laden, über dessen Thüre ein Kranz gelber, aus Holz gefchuitzter Citronen, verziert mit grünen Blättern, hängt. Der Branutweiu des Juden ist stärker uud besser, als der im Wirthshause, und der tschechische Baner oder Arbeiter muß schon in der Frühe sein Gläschen von dein berauschenden Getränke zu fich nehmen. Immer weiter dehnt sich der Geschäftstreis des Juden aus. Der bisherige Tabaksverkäufer besorgt sein Geschäft nicht zur Zufriedenheit der Steuerbehörde (der Tabak ist in Oesterreich Monopol) oder er stirbt. Bald darauf sieht mau den Doppeladler mit der Umschrift: „K. K. Tabakstraffik" am Haufe des Juden angebracht und nun kann er die Bauern mit „drei König", „Ordinärem", oder Krenzercigarreu versorgen. Diefem gesellt sich noch ein Adler bei, denn auch die verderbliche Lottokollectur erlangt der Unermüdliche. Allmonatlich, wenn in Prag die Ziehung stattfindet, ist seiu ^aden förmlich belagert; das Volk stürzt heran und zieht die Nnmmern aus eiuem Beutelcheu, die leidenschaftlich mit den sauer ersparten oder förmlich abgedarbten Kreuzern als Ambo oder Terno secco befctzt werden. Weuu dann die Ziehung stattgefunden hat uud der Culturvermittler iener abgelegenen Dörfer, der Postbote, das Resultat überbringt, dauu praugcn die iu der tleiuen Lotterie gezogeneu Nummern auf einer Glastafel an des Juden Hause und 1,72 Juden und Tschechen. das im Gewinn enttäuschte Volk flucht — auf dieseu. Die Maut-einnähme der benachbarten Bezirksstraßc ist meistbietend zu verpackten: kein christlicher Bieter fiudet sich, der Jude aber ersteht sie billig, findet seine Rechnnng dabei nnd ist nun K. K. Manteinuehiner. In dein Maße jedoch, als sein Wohlstand steift durch Unternehmungen, welche die christlichen Bewohner des Dorfes ebeusogut wie er machen könnten, in dem Maße wird er verhaßter. Es unterliegl keinem Zweifel nud wir haben uns ofl genug durch den Augenschein von der Wahrheit überzeugen tonnen, daß die Juden auf dem platten i>aude in Böhmen in gewisser Beziehung demoralisireud anf das Volk einwirken. Durch weitausgedehutes Borgen und Aufschwatzen oft schlechter Waaren begünstigten sie häufig das Tchuldenmachen nnd den Hang zur Putzsucht; sie wissen, daß sie an Zinsen häufig das uicht sicher steheude Kapital hereinbringen, Gau^e Dörfer sind ihnen oft verschuldet uud der Reiugcwiuu der ^audleute fiudet feine» Weg iu des Juden Tasche. Auch befördern sie wie in Polen nnd Nnßland das Branntweintriuken. Aber ich mag das bekannte Klaglied nicht singen, es ist mit seinem fur uud wider ja hin-länglich bekannt nnd, wie die Indeu sagen, „widerlegt". Anderseits finden wir beim böhmischen Dorfjndcn eine Anzahl vortrefflicher Eigenschaften, die nns wieder mit jenem „Blutsaugen" aussöhnen. Ueber allem Zweifel erhaben und wahrhaft großartig steht namentlich ihr Wohlthätigkeitssinn da uud bekaunt ist es, daß die Indeu hierin bezuglich der Confession keinen Unterschied machen. To selten der Jude, der ruhigste Bürger, vor Gericht steht uud sich wegen grober Perbrechen zn verantworten hat, so selten sieht man jüdische Bettler iu Böhmen. Ihre Krankeuhänser, Wohlthätigkeitsanstalten, Echnlvcreinc, Armenhäuser und Beerdignngsbrüderschaften sind über ganz Böhmen zerstreut und entsprechen, wohl fnndirt, trefflich ihrem Zwecke. Hoch und mnsterhaft steht der böhmische Jude Indcn und Tschechen. 173 aber namentlich auch in feinem Familienleben da. Der ihnen nament-lich oft vorgeworfene Schmntz, die Vernachlässigllng des Aenßeren, die geringe Willigkeit, sich den Fordernngeu der Gesellschaft in dieser Beziehung zu accommodircn, trifft sie allerdings in der Prager Iudeustadt noch, keineswegs jedoch anf dein platten '^ande, wo sie in Bezug auf ihr Aenßeres entschieden über den christlichen Bewohnern stehen. Von langen Kaftanen, Spitzhärten und Pcielöckchen, wie in Polen, ist keine Nede mehr. Diese Seite des Indenthmns in Böhmen ist abgelegt; in religiöser Beziehung hängen die meisten dem orthodoxen Glanben an, wahrend in Prag eine ziemlich bedeutende Neformgemcinde mit einem Tempel besteht. Geflissentlich sperrt der Torfjude in Böhmen sich von der Bevölkerung in focialer Beziehung ab; er vcrfncht auch die Annähernng gar nicht, da er gewiß ist, Abstoßung zn sinden, nnd so befolgt er denn streng die Worte des Talmuds, welche im gebieten, sich rein im Blut und Wesen zu erhalten, bis der Messias ihn Zn einem nenen Reiche be-rnft. Tie Isolirung geht in alle gesellschaftlichen Verhältnisse über; in der Faschingszeit z. B. vereinigen sich die Iudeu auf dem Lande und in den kleinen Städtchen zu höchst exclusiven „israelitischen Bällen", anf denen nur echt orientalisches Blnt tanzen darf. Meiner Ansicht nach gleicht sich das Soll und Haben der Tschecben und Juden ans. Doch sind die Indenhetzen der letzten Jahre uocb speciell in das Echnldbuch der Tschechen zn notiren. Wesentlich sind aber anch in Böhmen die Gegensätze zwischen Tschechen und Juden nationaler Natur, der Slave nnd der Semite stehen einander gegenüber, wobei anßerdem zn berücksichtigen nnd, was als das schlimmste erscheint, der Jude hält zur deutschen Partei. Daher zum Theil die Indenhetzen, daher, was noch schlimmer ist, als diese tschechischen Mordbrennereien, die Vernichtung der Ehre, mindestens nach außen hin. Diese sittliche Verstümmelung zertrümmert die ,174 Juden und Tschechen. edleren Beziehungen zu dem Allgemeinen, zum Staate, zur Gesellschaft uud die ganze Fülle humaner Empfindung wird dadurch gezwungen, sich auf den innersten Kreis, die Familie, Zu beschränken. Es ist kaum möglich, all' die albernen Erdichtungen aufzuführen, die den böhmischen Juden noch heute von: tschechischen Randvolle zum Vorwnrfe gemacht werden; auch das alte Osterblutmärchen, die geschlachteten Kinder und entweihten Hostien spielen dabei eine Rolle. Mali verspottet die Juden auf alle mögliche Weise, sogar durch einen eigenen Tanz, welcher den Namen ^id, der Inde, fuhrt; durch un-fläthige Gebeiden sollen die, Kinder Israel da nachgeahmt werden, und die dazu gesungenen Worte find nicht minder gemein. Nach Hchlau die alte Jüdin schritt, Trug den bc . . . Juden nüt. Der Iud lacht toll, Und spuckt sich voll. Die Jüdin schritt am Dornenplatz Zerriß sich dort den Untcrsatz, Der Jude gar Das Hoscnpaar,^) Daß uuter solchen Umständen an ein politisches Znsammen-gehcn der Iudeu uud Tschecheu uicht zu denken war, liegt anf der Hand. Ihre tüchtigsten nnd besten Männer sind im Gegentheil kräftige Stützen des Dentschthmns geworden, oder haben sich auf dem Gebiete deutscher Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet. Nur aus der ncuesteu Zeit erwähne ich hier die Dichter Moritz Hartmann und L. A. Frankl, den Musiker Moscheles uud deu durch seine Reisen nnd Studien in Persien bekannt gewordenen Arzt Polak. Trotz enormer Anstrengungen ist es den Tschechen nicht gelungen, *) Waldan: Böhmische Nationaltänze I. S, 32, Juden und Tschechen, 175 die Iudeu in ihr ^'ager hinüberzuziehen lind dieselben zu Wahlen im tschechischen Sinne zn veranlassen.^) Als im Jahre 1860 das tschechische Programm aufgestellt wnrde, befaßte man sich darin auch mit den Inden. Großmüthig wnrde denselben volle Gleichberechtigung zugesichert, wenn sie ihre Bestrebungen der (tschechischen) Nation widmen wollten, im entgegen-gesetzten Falle jedoch, so heißt es, schreibe nicht einmal das Gesetz Christi vor, daß mau die Juden achten solle. Es folgten die Landtagswahlen und als nun für die Präger Indenstadt in David Kuh ein deutscher Kandidat aufgestellt wurde, da erhob sich ein wüstes Getobe der tschechischen Patrioten, man bedrohte die Inden thätlich, ") Da die Indcu in manchen Bezirken bei den Wahlen den Ans-schlag geben, so befassen bei jcdcr neuen Wahl die Tschechen sich speciell uut ihnen. Sehr heftig war die Wahlagitation im September 186l>. Damals nannte das tschechische Blatt „Politit'" die Juden „licbe mosaische Brüder!" In der tschechischen Zeitschrift „Potrot" dagegen war damals folgender Aufruf zn lesen: „Nach Pisel und Umgebung! Mitbürger! Es gcht das Gerücht, daß nnscrc Isracliten sich fest an den Regicrungs^ candidaten gegen den nationalen Caudidatcu halten werden! Nun eö fei! Unsere Sacke ist es aber, ihnen zu beweisen, daß wir ihre Handlungsweise zn würdigen wissen. Es sind der Mehrzahl nach HandcMcute, die ans dem Schweiße unseres Volkes Gewinn ziehen — verbinden wir uns also mit einem heiligen Eide, vom 24, d, angefangen, bei kciimu uou ihnen, der sich unterfangt, im Wahlkampfe gegeil nus zn stehen, auch nnr nm cincu ilrcuzcr mcbr zu kaufen, Ench wackere Laudlente bitteil wir, einen solchen BcrräWr mit Verachtung zn verlassen und sich licbcr an patriotische Firmen, deren Ihr in Pisct genug finden werdet, zn wenden. Zeiget ihnen, daß ihr cs eigentlich seid, von denen diese Menschcntlasse sich bereichert. Verweisen wir sie einzig auf jene Hand voll DcittsclMnimlcr, die mögen sie erhalten! Und wenn wir so cinmüthig handeln werden, werden wir gewiß diese Sprcn ans unserer Gesellschaft schaffen, diesen Vlntegcl, der nnr unser Blnt zu saugen versteht — und bei jeder Gelegenheit gegen uns und unsere heiligen Interessen handelt." Der Pokrot ist das Organ Niegcrs. 176 Juden nnd Tschechen. schleuderte Brandbrief».' gegen sie und schüchterte sic dermaßen ein^ daß der deutsche Kandidat nicht die Stimmenmehrheit erhielt, sondern ein indifferenter dx>ldmann gewählt wurde. Nlir ein kleines Borspiel zu den tonuuenden Judeuhetzen, au die n>au übrigens in Böhmen von Allersher geivohlit war lind die eiuzuleiteu die tschechische Presst sich vorzüglich Mühe gab. Als Dr. Jan Palaxty im Jahre 1860 seine „Böhmischen Tkizzcn" schrieb, sagte er mit nicht zu verkennender Sehergabe: „Man tann nicht behaupten, daß die Juden irgendwo beliebt waren, auch sind sie die ärgsten Feinde alles Nationalen und jeder Bewegung, ans lantcr Angst, die Judeuhetzcn dcs Jahres 18-i^ möchten sich nicht uuverdientcr (!!) Weise im größeren Maßstabe lind folgenschwerer wiederholen." Wie gnt kannte der Herr seine Tschechen! Freilich spater als das Unheil hereingebrochen war nnd der tschechische Schlammcrguß sich nicht mehr bewältigen ließ, da bekreuzigten sich die Führer und sprachen: wir siuo unschuldig, das Uebel ist nur ein sociales, es hat mit der Nation nichts zu schaffen. Doch ich will der Reihe nach verfahren. Ill der tschechischen Presse war das Wort Xid, Jude, längst zum Ichlagworte geworden. Tie Narodni listv, der Narod, die Politik, die Humoristicke listy nnd alle die andern nationalen Blätter brachten ill fast jeder Nummer versteckte oder offene Angriffe gegen die Juden. Was fie ihren Vesern als verächtlich und Hasseiis-werth bezeichnen wollten, nannten sie „jüdisch". Es ist von Wichtigkeit, bei der in Nede stehenden Frage alls die Ausdrücke hinzuweifen, lllit denen die tschechische Presfe die Juden traktirte. Da redete z. B. das in deutscher Sprache geschriebene Tschecheublatt „Politik" von dein „erotischen Stamme", „der bis ins vorige Jahrhundert hinein in Deutschland unter dem Titel der Reichstammer-tncchte eine schmähliche Duldung genoß," der in Böhmen mit „infamen Vügen", aus „schmutzigen Ursachen" den „nationalen Hader Juden und Tschechen. 177 anstachelt" und scm „schmutziges Ziel" uiit dem „erborgten, um nicht zu sogen gestohlenen Ehrenmantel des Deutschthni'ns zn bedecken." Nachdem die tschechische Presst den ohnehin günstigen Boden noch niehr gedüngt hatte, bedürfte es nnr eines Anstoßes, um die Saal zur Entfaltung zu bringen. Diesen Anstoß gab der großartige Pi'ibramer Silberdiebstahl, bei dem einige jüdische Händler als Hehler behilflich gewesen waren, während die That selbst von tschechischen Christen begangen wurde. Der Silberdiebstahl selbst wirft ein zn grelles Vicht anf gewisse böhmische Verhältnisse, als das; wir ihn hier nicht kurz betrachten sollten. Er ist ein eklatantes Beispiel einer tief gehenden Entsittlichung, die sich nicht nur anf Ps'ibram erstreckte, sondern unter verwaudten Verhältnissen anch cm anderen Orten spielte und spielt. Die ganzen Bcamtenverhaltnisse wareu bis 1866 in Pribram un-gesunde; die'Regie war eine so weitläufige, daß von einer Werth-crzeugung von 1 '/^ Millionen Gulden nur ^ Million als Reingewinn an den Staat lind einzelne Kuxinhaber abgeliefert wurde. Als Hanpturfache hierfür aber mußte eine großartig betriebene . Unterschlagung betrachtet werden, die mit dem niedrigsten Pochjungen begann und in höheren Kreisen erst anfhörte. Die Untersuchung stellte heraus, daß nicht nur Silber uud Silbererz in imtm-a von hoch uud gering gestohlen wurde, sondern daß durch die gauze Vcr-waltnug hindurch eine bedenkliche Fäuluiß sich hindurchzog. Arbeiter, die laugst verstorben waren, wnrden im gemeinschaftlichen Verständniß der Betheiligten in den Registern als lebend weiter geführt, der Lohn aber von den Betrügern eingestrichen. Daß für einzelne Bergleute monatlich fünf oder sechs Schichten mehr verrechnet wurdeu, als sie gcthau, verstand sich von selbst; und wie die Berglente wanderten anch Zimmerleute, Tischler, Schlosser, Maurer dieselbe schlüpfrige Bahn. Material wnrde^ selbst wenn es noch gut war, als nnbrauch- R, Äudrcc, Tschechische OäM, 12 178 Juden und Tschechen, bar bei Seite geschafft, oder erschieu doppelt in Rechnung. Die Beamten hielten sich Diener, Gärtner, Kutscher, die sic keinen Kreuzer kosteten, die als Bergleute in den Registern verrechnet wnrden. Nur wer dem betreffenden Beamten zahlte, dnrfte Lieferungen für die Werte machen. Darnnter litt natürlich die Qualität der gelie-ferten Waare oder der Preis wurde auf Kosten des Staats erhöht. Das alles war aber nur möglich bei allgemeiner sittlicher Fäulniß, wenn Jeder über das Thun und Treiben des auderu ein Auge zudrückte. Es war im kleiuen derselbe Schmutz, wie 1859 iu Wien in der berüchtigten Affaire Richter-Eynatten-Bruck im großen. ?eben uud leben lassen, hieß es da. Wer ja einmal sich aufbäumte, wem das Gewissen schlug, wer nicht mit iu das unsanbere Horn blasen wollte, den wußte man zu beseitigen. Auch die Revisoren fanden alles in trefflicher Ordnung. Am empfindlichsten war der Schaden, welcher direkt durch Diebstahl iu der Schmelzhütte an dem hergestellten Silber vernrsacht wurde. Hier wirkte ein Rattenkönig von Dieben zusammen, uud das gestohleue Gut nahmen jüdische Händler und Hehler in Empfang, die es über die Grenze transportirten. Eine solche ^adnng Pnbramer Silbers im Betrag von 6OW Gulden wurde in Bodenbach au der Grenze augehalten, und mm kau: die gauze saubere Geschichte — die doch laugst bekannt war — an das Tageslicht. Die Untersuchung enthüllte eine grauenvolle Demoralisation nnter Beamten und Arbeitern, sie zeigte auch, daß in den letzten zwanzig Jahren mindestens für 3 Millionen Gulden Werth unterschlagen und gestohlen worden war! Juden waren bei der Sache bethciligt gewesen, und das genügte, um gegen diese die schönste Hetze loszulassen. Wir wissen ja, wie gut für eiue solche der Boden iu Böhmen, zumal durch die tschechische Presse vorbereitet war. Nirgends aber entstand eine größere Aufregung als uuter der armseligen Bevölkerung auf den kurfürstlich Iudm und Tschechen. 179 hessischen Domänen zwischen Prag und Pilsen, wo elende Nagelschmiede kümmerlich ihr Dasein fristen nnd vollständig in den Händen der jüdischen Händler waren, die sie sicher anssaugten, von denen sie nicht nnr das Material zn ihrer Arbeit, die, Werkzeuge, sondern Brot und Mehl, Kartoffeln und Salz, ja die Kleider bezogen, denen sie gleichsam mit Haut nnd Haar verpfändet waren. Die Juden hatten sich vom Schweiße dieser armseligen Bevölteruug gemästet, die Juden hatten die Hehler iu Pnbram gemacht. Die Aufregung wuchs mehr und mehr. Das Spottwort Strlbro (Silber) wurde den Juden auf Schritt und Tritt nachgerufen uud als in dem kleinen Städtchen Hostomitz an der Litawa int Prager Kreise ein unbedeutender Zank zwischen einen: jüdischen Händler nnd einein Nagelschmied entstand, da war der Anlaß gegeben, die wilde Furie über die Juden loszulassen. Hostomitz, Hokowitz, Tmau, Suchomast, Beraun, Praskoles, Lochowitz, Pilsen, Wosow, Mauth, Cerhowitz uud namentlich Echüttenhofen erlebten nach nnd nach größere oder geringere Judenverfolgungen, bei denen für hunderttansende von Gulden Wenh zerstört nnd das Leben vieler Isracliten bedroht wnrde. Viele Häuser wurden gänzlich ausgeplündert, die Synagogen geschändet, die Frauen uud Kinder der Juden geprügelt und nach Herzenslust gestohlen, bis die bewaffnete Macht dem Treiben, nicht ohne Blutvergießen, ein Ende machte. Das waren die Iudenhctzcn im Februar und März 1866, welche durch die Pnblicirung des Standrechtes im Prager, Pilsener, Pifekcr uud Taborcr Kreise erst ihren Abschluß erlangten, ma^te Adi, Haut die Juden, nnd Stribro, das waren die Schlagworte, unter denen sick der tschechische Pöbel zusammenfand, den, was wenigstens die Hosto-mitzer Gegend betrifft, ein Bericht an die Prager Handelskammer im Jahre 1865 folgendermaßen schildert, als „eine vollständig demo-lalisirte, verarmte, au Geist und Körper kranke Menschenclasse, 12* 180 Indcu und Tsclicchcn. der mcm an die Stirn geschrieben liest, daß ihre Uhr bald abg^ laufen ist." Die böhuüschcn Inden sind teineswegs daoor sick^er, daß auch in dcr Inknnst sich dieselben Scenen wiederholen werden nnd je mehr, die Tschechen in Böhmen ans Rnder gelangen, desto mehr wird dic Stellung der Juden eine nngemüthlichc, ja gefahrvolle werden. So wie die ^eute ein wenig 5'uft bekommen, weudell sie sich gegen ihr beliebtes Hetzwild. Der tschechische Pöbel in Hol'owitz und Nakouitz Hai die Zeit während der preußischen Besetzung Böhmens im Juli 1866 nicht besser zn verwerthen gewußt, alv daß er sich aufs neue seinem lieben Privatvergnügen, den Indenhetzen, hingab. Die Beweggründe, welche das tschechische Landvolt zu den Iudenhctzen trieben, die Ansichten, welche gebildete Tschechen darüber hatten, wie sie dabei eher Oel ins Feuer gössen, als löschten, erkennen wir am besten, wenn wir den Prozeßverhandlnngen, die in: Oktober nnd Dezember !866 in Pilsen und Prag geführt wurden, folgen. Die Anssage des Kaplans Bilim aus Bezdcditz vor dem Prager Gericht ist zn charakteristisch, als daß wir sie hier übergehen dürften. Er berichtet: „Ich ging Montags früh nach Hostomitz, auf den, Wege kam mir, viel Boll ans Hostomitz entgegen. Die erregten Massen riefen nur zu: „Die Himmel stehen offen" „nol»o«a ^ml owvi'ona"); ich frage nach der Bedeutung dieser Worte, nnd man erwidert mir: „Auf die Inden gehts los." Ich verdopple nieine Schritte und eilc nach Hostomitz. In der Stadt sammeln sich Menschenhaufen, die alle dem Hausc des Israelitcn Brnnner znströmen. Ich wollte wissen, was es gäbe und suchte die Gemeinderäthe auf, fand aber keinen zn Hause. Ich lehrte nach Bezdeditz znrnck, und kam dann mit dein Pfarrer selbst wieder in die Stadt, nm zn versuchen, ob die Wiederherstellung der Ordnung gelänge. Wir treten ins Rathhaus, der Israelite Mitus folgt uns dahin todtendlcich und Indc'n mid Tscbcckcn, ' 181 am ganzen ^'eibe zitternd. Er bittet jannnernd, man solle ihm Weib und Kinder retten, nnd bei der Menge Schonung.ihres Lebens erwirken. Er ruft händeringend: ,,)tehmt unser ganzes Vernwgell, aber laßt uns am ^eben." Wir gingen nuu in Begleitung einiger Bürger unter die Menge. Dieselbe hatte sich vor dein Hanse Brun-uer's angesauunelt. Die Fensterscheiben und Rahmen ware-n ans-Hebrochen, die ^'ädcn zertrünimert, ans die von innen verrammelte Hausthüre folgte Schlag auf Schlag, und sie begann bereits zn weichen; da redete der Pfarrer die Menge an mit den Worten: „Erzählt mir, wodurch Euch der Jude gekränkt hat. Ihr sollt Unter-stntznng und väterlichen Ralh bei mir finden." —^ „^7 seht, ehrwürdiger Herr!" rief Einer aus der Menge, „wie uns der Jude bestiehlt. Tag und Nacht sind wir nun seit zehn Wochen für ihn thätig, und jetzt will er uus eiuen Gulden' vom Lohne abreißen." Ein Zweiter meinte: „Ein Brief ans Hlnbosch ist den, Bürgermeister zugekommen, in dem heißt es, daß es mit den Juden zu Ende geht, und daß man nns ans ihren Händen befreien wird." — ,,^nd wissen Sie wohl Hochwiirden," schrie ein Dritter, „daß der Inde hier Christenblut vergossen hat, und es jetzt büßen wird?" Dem mnß ich beifügen, daß wirklich eilt Ehristeukuabe blnlend das Haus Brunner's verlassen hat, uud daß sich Vrunuer, immer ausnehmend hart und stolz den armen Renten gegenüber benommen hat. Er ließ sich „gnädiger Herr" heißen, und sich und feiner Fran die Hand küssen. Bor ungefähr zwölf Jahren ist er ohne Vermögen nach Hostomitz gekommen nnd hat sich dort bereichert. Diese Umstände sind im Mnnde aller Einwohner der Stadt. Die Volksmenge rief: „diesem Elenden sollen wir dienen! Wir sind Sklaven in den Händen des verruchten Juden, er nährt sich vou unserem Blute, indem wir ihm umsonst arbeiten; „nmsonst, mnsonst, umsonst," tönte es int Chorus wieder.. Darauf sagte ihnen der Pfarrer: „Ibr habt ietzt Euern Zorn 182 Juden und Tsckcchm, an dem Juden ausgelassen, geht nun nach Hanse, Ihr könntet sonst in schlimme Berwicklungen kommen. Morgen früh aber kommt aufs Rathhaus, dort wird Euch der Jude Euren vollen Lohn auszahlen und sich schriftlich verpflichten müssen, Euch einen der Arbeit entsprechenden Lohn zu zahlen." — „Das wäre uns ganz recht, rief einer, aber versprecht uns auch, daß wir wegen des Juden nicht in Strafe kommen. Wird einer uuser Ehristenbrüder eingesperrt, so reißen wir das Rathhans zusammen." Der Pfarrer antwortete: „Ich will bei Gericht für Euch sprechen;" aber einer ans der Menge rief: „Nichts da, glanbt dem Pfarrer kein Wort," woranf das Bolk mit aller Macht auf das Haus losstürmt. Einigen Bürgern war es mittlerweile gelungen, die Familie des Brnnner in Sicherheit zu bringen. Ich sah ein, daß nnsere Anwesenheit zu keinem Ziele führe und eilte daher znr Fran Bürgermeisterin, nm diese zu be-ruhigeu, denn ihr Gatte war als Lcmdtagsabgcordneter in Prag, nnb sie mit den Kindern ohne allen Schntz im Hanse. Bald folgte mir anch der Pfarrer dahin. Was weiter vorgegangen ist, kann ich nicht mehr sagen. Ich besorgte am anderen Tage den Gottesdienst, allein der Lärm drang von der Gasse aus in die Kirche, so daß ich dieselbe verlassen mußte. Draußen sah ich, wie der Vvlkshaufe sich gegen Bezdcditz zn wälzte. An der Spitze des Hanfens fnhr ein Wagen, auf demselben stand ein Man», dem die Menge „General Radetzky" znjohlte. Ich begab mich ebenfalls nach Bczdeditz und fah dort den Excedeuten von der Ferne zu. Und jetzt erlaube ich mir noch für die armen Perirrten ein Wort einzulegen. Tie sind unglücklich, 'hr Haß gegen die Juden wurde, dnrch die Eilber-Dcfraudationen in Pribram, wie durch das Benehmen Vruuuer's uoch genährt, ich bitte also um cin mildes und nachsichtiges verfahren mit den Unglücklichen." Die Spaltung zwischen Juden und Tschechen schreitet nur fort; Juden und Tschechen. 183 der Riß scheint unheilbar und die Gegensätze werd«! bleiben. Wenn die Tschechen von den unter ihnen lebenden Juden verlangen, daß sie mit ihnen in 'nationaler Beziehung gehen sollen, so vermögen wir dieses ihnen nicht zn verdenken. Aber der Jude 'findet auf deutscher Seite in jeder Beziehung besser seine Rechnung und wird in jenem zweisprachigen Vande wohl das Recht haben zu wählen, anf welche Eeite er sich stellen will. Den Deutschen ist er sicher ein schätzbarer Bundesgenosse und diese haben alle Ursache sich mit ihm gut zu stellen. Möchten auch die letzten Unterschiede fallen, möchten die Juden selbst dahin streben völlig auszugehen in der Nation, welcher geistig sie sich am nächsten verwandt fühlen, möchten sie nun ihrerseits die Absperrung fallen lassen, die sich bei ihnen im Streben nach „Erhaltung des Iudenthums" zusammenfaßt. Der Ausgleich, die völlige Versöhnung ist nur möglich anf dein Wege der Blutvenmschnng. Der Adel und seine Herrschaften. Wechselvoller ist die Geschichte kaum irgend eines Adels ge'veseu, als die des böhmischen. Bald national mit dem Volte gebend, bald gegen dasselbe auftretend, bald sich germanisirend, bald sich tschechi-sirend, fast ganz als nationaler Adel untergehend und dnrch fremde Geschlechter crsetzl, hat Böhmens Adel stets trongnl nnd Jagdschloß Wenzel I. wurde, tritt bereits 1^50 der deutsche Namen 5ilingenberg auf. Dasselbe ist mit Tternberg au der Tazawa der Fall, wo da'? alte noch ieftt blühende Geschleckt der Tternberge saß, da'? den achteckigen goldenen Tteru auf blauen: Grunde im kappen führt. Ihr ursprünglicher tschechischer Name ist Diwisch nnd in ulinnterbrochener Reihe vermögen sie ihren Ttammbanm bis zum Jahre 1ä18 auf Diwisch von Diwischow in der >iaurimer ^upe) zurückzuführen. Böhmens 'nächtigstes Geschlecht waren die Witkowitz mit dem Wappen der füufblättrigcu Rose, welcke in die zwei Etännne der Neuhaus (uova t!c»mu«^ und Rosenberg zerfielen. Mit Peter Wol von Rosenberg starb im Beginnen des 17. Jahrhunderts dies alte Adelsgeschlecht ans, das namentlich um der „weißen Frau" willen berühmt wurde, die an5 ibrem Geschleckte stammte. (5s war die 14^1 geborene Perchta von Rosenberg, die unglückliche Gemahlin Johanns von Liechtenstein, ^o laßt sich bei den meisten altböhmifchen Adelsfamilien eine Gennanisiruug des Namens nachweiset!. Diese Umänderung konnte nm so leickter vor sich gehm, als die alttsckecdischen Familien überhaupt teine erblichen Zunamen ursprünglich führten, dagegen waren in jeder gcwisse Vornamen beliebt, welche bei mehreren Generationen immer wieder lehren. To bei den Tschernin (('ernin Dr^islav, bei den Rosenbergcn Bot llnd Bitek, bei den Tternbergen Idiolav lind Iaroslaiu. Die Waldsteine, zn denen der beriihntteste 3ttdherr des dreißigjährigen .Krieges, Albrecht Wallenstein, gehört, tvnnueu zuerst Ende des 12. Iahrhliuderts als Vl'arlwartitz im nördlichen Böhmen vor, wo sie der Inugbuuzlaner und Tetschener ^upe vorstanden. Zugleich rückte der erste Tckub demscker Adelsgeschlechter in ^öhmeu ein. Gegen (5nde des 1'l. Jahrhunderts finden wir bereits '-üs sächsische Geschleckt der Tcko'nbnrge tsckeckisck ^mnbnrk nn 186 Tcr Adcl und scinc Herrschaften. Egerthale angesessen. Hintereinander erlvarben sie Pirschenstein '1343), Hassellstcin (1350i, Trantenau (1470, und tragen nicht wenig zur Germanisirnng der Gegend bei. Zu ihnen gesellen sich die Herren von Dohna, Secberg, Biberstein (welche die Bevölkerung um Friedland und Reichcnberg ansiedeln); später die Nenß von Planen, Kolditz, Lobdebnrg, Illburg, Turgan und Hardeck. Ihnen sN'chte der heimische tschechische Adel in Titten und Gebräuchen nach, und bediente sich der deutschen Tprachc im Privawerkehr und zu Urkunden. Schon 1300 stellt Heinrich von Rosenberg eine dentsche Urkunde alls. Ans Schloß Ncnhans finden wir Malereien ans den: Jahre 1338 mit deutschen Inschriften, und Ktmgcnberg zeigt einen ornamentirten Backsteinfiißboden mit dentschen Sprüchlein, z. B. bci einem ^öwen: I^ol). znn. i^ii. lion^ut. nncli. ti-oit. äoi'. ^onoua. vo>l ix'ilcmlünt. fAns der nachotokarischen ^eit.) Wenn nun auch dieser Adel sich Germanisirte, delitsch sprach lind deutsch sich kleidete, so trat er doch feindlich gegen das deutsche Element des Landes alls, gegen den Bürger, welchen die Könige in das Land berufen hatten und deren wachsende Macht, deren Reichthum und Ansehen er mit scheelen Blicken betrachtete. Fendale Standesinteressen gaben den Ausschlag und so sehen wir den Adel des 13. Jahrhunderts schon dieselbe Politik in Böhmen befolgen, wie jenen des neunzehnten. Hier selbstsüchtige Barone und tschechische Bauern — dort freie deutsche Pm'ger und die Herrscher des Landes. Oft zogen die Junker Mn-dcrnd nnd zerstörend gegen die deutschen Städter, wie im Neiche auch, und der Sieg schwankte herüber, hinüber, wenn auch die Landesherren, zumal jene aus dem echt tschechischen Geschlechte der Pi-emys-liden, anf Seiten der Städter standen. Verdrängung der verhajM PMger ans ihreu Rechten, ausschließliche Besetzuug der höchst^ Landesämtcr dnrch Barone und Beschränkung der Krone, das war das Streben der böhmischen Innker nnd das ist es noch heute. Tcr Ädcl und scine Hcrrschaftcn. 187 Mil der nationalen Revolution des fünfzehnten Jahrhunderts scheu wir auch einen Ulnfchwung iu der Nationalität des böhmischen Adels eintreten. Das Deutsche wurde wieder abgeworfen nud der Adelging mit dein ^ulke. ^ižka war ein tschechischer Adliger und aus dein Geschlechte der Kunstate entsproß der. nationalste und thatkräftigste König Böhmens, Georg von Podiebrad. Auch die ein^ gewanderten Adclsfamilieu t^chechisirten sich; so die Herren von Schlick, von Stampach, Dohua, Zedlitz, Tchönfeld n. a. Aus der hnsitischen Revolution zog der Adel nach Herstellung des Friedens allein Nutzen. Die königliche Gewalt war geschwächt, die deutschen Städte waren durch die hnsitischen Mordbrenner tschechisirt worden, ein freier Äürgerstaud cMirte nicht mehr und so konnten denn die Barone die reinste feudale Aristokratie anfbaueu. Alle ^andeswürden nno hohe Etellen waren in ihrer Hand, sie gaben allein Gesetze und das stets im deutschfeindlichen Sinne. Wie es mit der Sittlichkeit jenes böhmischen Adels im fünfzehnten Jahrhundert bestellt war, darüber hat uns der Moralprediger Peter Cheltschitzty ! geboren 1390) ein interessantes Spiegelbild hinterlassen. Der Mann, welcher der tschechische Abraham a Sancta Clara genannt werden tann, schreibt von den Adligen: „Alles schlimme scheuen uud flieheu sie und sireben nur nach Wohlleben. Sie wollen sich keiner schweren Arbeit uuter-ziehen, keinen Tadel, keine, gewuhuliche Behandlnng ertragen, sich zu Niemandem herablassen, Niemandem Dienste leisten, sondern nur ein freies, müheloses, leichtes, angenehmes Leben führen lind nett lind zierlick, in schöneu, vom Teufel selbst ersonnenen höfischen Trachten, in theuren prachtvollen Kleidern gleich Göttern nnd Göttinen voll Glanz und Herrlichkeit einherstolzieren. Sie lieben auch rcichbesetzte Tafeln und schmncke, weicke ^ager, begehren süß und schmeichlerisch wit dem Titel: „Geruhen Euer Gnaden" angesprochen zn werden und möchten nur immer die Zeit in warmen Bädern mit Waschen 188 Der Adel und scinc Herrschaften, und Putzen hinbringen zur Vast für ihrc Diener. Ätllr durch die Leiden und den Schweiß ihrer knechte nnd Tröpfe, wie sie heißen, könnten sie solch' Wohlleben erzielen." „Es ziemt sich nicht für Euch, fährt Cheltschitzky fort, den ganzen Tag nichts zn thun, zu sitzen, herunizuschlondern, Schach, Dame, Karte zu spielen, lange zn schlafen, Unzucht zn treiben gleich dein Biehe, Euch fortwährend vollzustopfen und Wein und Bier wie in Fässer, in Euch hineinzuschütten und niemals nüchtern zn sein. Es ziemt sich auch nicht für Ench, die armen Vente zu schinden, sie mit Frohnden, Jagden, zngemutheten Nachtwachen zu plagen und mit audereu Vasteu zu drücken." — „Sprich nicht von Mitleid mit den Armen, heißt es an einer andern Stelle, sie haben es mehr mit den Hnnden als mit den Armen. Daran haben sie genug, Windhunde, Spürhunde, Veithunde und füttern sie reichlich mit Vrot. Auch haarige Hündcheu haben sie und legeu sie auf Polster neben sich, tragen sie in Bäder, waschen sie, lammen sie, kaufen nnd kochen ihnen Fleisch. Der arme Lazarns aber hat keinen Zntritt zn ihrem Tisch, denn er könnte übel riechen." Dic große Katastrophe ereilte den böhmischen Adel im Jahre 1620 nach der Weißenberger Schlacht, in welcher er das Schicksal des Boltes redlich theilte. Unter Führung eines deutschen, erst seit Kurzem iu Böhmen ansässigen Adligen, des Grafen Heinrich Mathias von Thurn, hatte der Adel allerdings wesentlich jenen Fall Böhmens herbeigeführt. Bon je neigte der tschechische Adc-l zu rohen Gewaltthätigkeiten, mehr als der Adel anderer Länder, wie dies überhaupt in dcr Art des slavischen Adels lag, der selbst solche Dinge besorgte, die man anderwärts den Knappen überließ. Man kennl die Scenen ans den polnischen Reichstagen nnd die Verschwörungen nud Mordthaten des russischen Adels gegen die Kaiser. Eiue schöne Zeit das, als die rohen Burschen überall mit dem Schwert drein snbren, aber Der Ädcl und scinc Hcrrschciftcil. 18!) eine Zeit, die deui tschechischen Historiography Pala/ky, ganz nach dem Tinue ist, wäre es auch nur, mn sich wissenschaftlicher Gegner durch jeue Piischtlepper zu entledigen. Hetzt doch der „Vater der Kation", der Schleppträger des heutigen böhmischen Adels, der Erfinder des deutschen Räuber- oder Raubvolks folgendermaßen: „Gäb' es noch einen Repräsentanten des alten böhmischen Adels nnter uns, er würde keinen Angcnblick zögern, Herrn Höfler znr Verantwortung zu ziehen, nicht nur vor der oft irre geführten öffentlichen Meinung, fondern auch noch vor anderem Gerichte." Welch prächtiger Geschichtsschreiber, der die Entscheidung über wissenschaftliche Tinge in die Hände von Raubrittern legt! Ein ^oblowitz und ein Kinsty waren es, die am 23. Mai 1618 die kaiserlichen Rathe Martinitz nnd Slavata aus den Fenstern der Vnrg auf dem Hrad-schiu höchsteigenhändig „anf alttschechisch" (zw swi-o^ku) hinausstürzten und es war wohl nicht mehr als recht nnd billig, daß der Adel nach dem Stnrze des Winterlönigs anch die beiden Böhmeus theilte. Damals sollen 1l)8tt Geschlechter vertrieben worden sein nnd der zweite große dentsche Adelsschub fand nach Böhmen statt. Tie confiscirten Güter geriethen in andere, der kaiferlichen Partei freundliche Hände. - To erhielt Wallenstein, der, wenngleich ein Böhme, doch in der Schlacht am weißen Berge, anf Seiten der Kaiserlichen foclit, allein sechzig Herrschaften um einen Spottpreis. Tie Gallas, Trantmaunsdorf, Thun, Hoißenstein, Goltsch, Ächtenstein, Aloringen, Morzin, Tietrichstein, Pötting, Eggcnberg, Clam, ^ckwarzenberg, Oettingen, Anersperg, Windischgrätz, >tt)evenhiller, Fürstenberg, Thurn und Ta^is rückten ans Deutschland nach und nach ein. Aus Frankreich kamen die Desfours, Lamboy, Rohan und Bncquoy. letztere nahnien die Besitzungen der Tchwambcrge nn füdlichcn Böhmen mit der Bnrg Gratzen ein uud verfügten noch öu Ende des I?. Jahrhunderts über ihr Erbe in einem Testamente 190 Der Äd6 und scmc Herrschaften, in französischer Sprache. Auch spanische nnd italienische Fanülien siedeten sich an und ertheilten so dein böhmischen Adel im Verein mit den übrig gebliebenen alten Familien, ein sehr kosmopolitisches Gepräge. Wie und mit welchem Interesse dieser bnntscheckige Adel nach Böhmen kam, davon ein Beispiel. Tie Schwarzcnberg, ans dem altfränkischen Hause der Seinsheim stammend, haben sich unn anch durchweg bohemisirt und zum Theil gründlich tschechisirt. Freilich, als Johann Adolf von Schwarzenberg im 17. Jahrhunderte seine großen Gnterererbnngen in Böhmen (Wittingau, Franenberg, Pürglitz, Wildschütz, Kornhaus u. s. w.) machte, da wnßte er nur zu gut, welcher Gegensatz zwischen einem echten deutschen Adligen nnd einem Tschechen bestehe. Bon Brüssel aus schrieb er 1652 an den Grafen Leslie: „In denen kaiserl. Erblanden, absundcrlich aber in Böhmen, wollte ich mich gerne stabiliren, ich furchte mich aber für den St. Wcncislav, welcher, dem gemeinen Ruf nach, teiue Ausländer alldar leideu thut." Die Furcht vor den St. Weucislav ist nnn bei den Schwarzenbergen feit langem verschwunden, im Gegentheil, sie gehören zu den eifrigsten Verehrern nnd Anhängern des Vaudespa-trons. Das materielle Interesfe hat dabei seine große Rolle gespielt, denn von Anfang an haben die Schwarzenberge auf die Ansnützung der böhmifcheu Güter scharf ihr Augenmerk gerichtet gehabt. Der Erwerber derselben, jener Johann Adolf, änßerte sich im Jahre 10»i3: „Iu Franken ist das Etanunhaus, die Reichs-Immediätät und der äußerliche Schein einer immaginirten Grandezza, in Böhmen ist die Nutzbarkeit, in Oesterreich eine mehrere Satisfaction." (Berger, das Fürstenhaus Schwarzenberg II. 41). Mit Bezug auf Grundbesitz sind die Schwarzenbcrge nun die Ersten in Böhmen, ihre Hausmacht daselbst umfaßt 297,000 österreichische Joch, was ungefähr einem Dcr Aocl und scinc Herrschaften. 19'i Ilacheuiuhalt von 29^ Ouadranneilen und dem dreißigsten Theile des Flächenraumes von ganz Böhmen gleichkommt, oder, um den Bergleich noch schlagender zn machen, der fürstlich schwarzenbcrgische Besitzstand in Böhmen ist noch nm fünf Quadratineilen größer als das sonverane Herzogthum Gotha. Er zerfällt iudessen in eine große, obere Herrschaft, die sich, im vollen Zusammenhange, mitten vom Böhmerwalde und deu Grenzen Bayerns, Ober- uud Niederöster^ reichs, weit ins Flachland hinein erstreckt, und eiue kleine, uutere Herrschaft in den fruchtbarsten Gegenden des Leitmeritzer uud Taazer Kreises. Die bedeutenste Domäne der Schwarzenberge in Böhmen ist Krummau, von der sie den Herzogstitel führen. Bon Interesse am Lande nud Volke konnte natürlicherweise bei diesem buntscheckigen zusammengelaufenen Adel anfangs uicht viel die Rede sein. Er war dem Kaiserhans gegenüber treu gesinnt uud vertrat sonst in deu Ständen wie stets und wie heute nnr sein eigenes Heil. Die Zahl der erhaltenen alten, mit der Geschichte des Landes verwachsenen Familien blieb nur eine geringe; in ihrer Hand ist jetzt noch nicht einmal der dritte Theil des adligen Grundbesitzes. Zu ihnen gehören die Kauuitz, Kolowrat, Tschernin, Eternberge, Lobko-witz, Waldsteiu, Wratislaw, Dobvensky, Wrbna, Harrach, Chauowsky, Kinsky n. a. Diese Adligen redeten uuter sich uur deutsch, italieuisch oder frauzösisch und selteu faud inan einen, der die tschechische Spraye verstand. Prag war längst nicht mehr ihr Ziel, dort verfielen ihre Paläste und in Wien erblicken wir die Kamütze, Lobkowitze n. s. w. als Stützen der Habsburger Politik. Leise Anklänge uud Sympathien für das Tschechenthnm zeigen sich bereits wieder zu Ende des vorigen Jahrhunderts, als auf den Haustheatern des Prager Adels einige tschechische Siugspiele aufgeführt wurdeu. Graf Franz Kiusky trat 1774 in der Sckrift „Erinnerungen eines Böhmen über einen wichtigen Gegenstand" für 193 ^cr Adcl mid scinc Herrschaften, die Pflege der tschechischen Sprache nnd gegen die Gerlnanisirung del Schulen auf, uud der bcrnhmtc ^iacnvforschcv Graf Kaspcir Von Stern-berg gründete ini Verein nut dem Grafen Franz Kolowrat^iebsteinsky in: Jahre l,^^<) das böhmische !)tational»nnfett»i, das allmählich zn einer rein tschechischen Anstalt wurde. Schon 16^l^ hatten wieder einige Adlige sich zu der tschechischen Partei geschlagen, doch im allgemeinen spielte der böhmische Adel bis zum Jahre I860 im politischen Leben eine weniger bedeutende Nolle. Erst seit jener Zeit ist er im Wiener Reichsrathe nnd ini böhmischen Landtage als ein wichtiger und maßgebender Factor aufgetreten. In nationaler und politischer Beziehung trat jetzt unter ihm eine Spaltung ein nnd während die Minderzahl, ihrer dentschen Abstammung eingedenk, zur dentschen Partei hielt, trat ein großer Theil des Adels deutscher Abstammung in ein offenes Bündnis; mit den Tschechen und schädigte das Teutschthum durch seine Haltnng im Landtage vielfach auf die empfindlichste Weise, nur im. Interesse der feudalen Staudesinteressen, deuen sich die Tschechen in frcihcitsfeindlicher Weise gefällig und günstig erwiesen. T'as Compagniegeschäft mit der feudalen Adelspartei charakterifirt die Tfchechen jedenfalls am besten, denn gegenüber jenen Herren, nut denen sie durch diuru uud dick geheu, sind sic iu einen argen Tervilismus, verfallen. Na«e ^lechta, unser Adel, so apoftrophirt man jetzt die Adligen aus deutschem Blute, welche mit den Tschechen Haus halten. Tchon im tschechischen Programm von 1860 heißt es: „Politische Privilegien anf Grundlage der bloßen Geburt können dem Adel niemals zuerkannt werden; aber wenn der Adel seine Thätigkeit der Verherrlichung der Nation widmen will, dann sollen seine Söhne als die ersten Söhne der Nation anerkannt werden und sie sollen die Führung erhalten." ' - Solche ans deutschen Geschlechtern stammende Adlige, deren Borfahren in der Geschichte unseres Voltes vielfach mit Nnhm gc-, Der Adel und seine Herrschaften. 193 nannt werden, und die jetzt im amidcutscheu Sinne in Böhmen vorgehen, bilden nnn die Majorität des böhmischen Adels.*) Cind anch Macht und Einflnß des grnndbesitzcndcn Adels in Böhmen größer als in Deutschland, so ist der „Kavalier" doch weit entfernt die große Rolle einzunehmen, welche der, begüterte englische oder ungarische Aristokrat spielt. Mit Ausnahme von einem halben Dntzeud Wortführern finder man nnter den hohen Herren keine Talente und der hohe Posten unter den Staatsstcllen, die Birilstimme im Rcichsrathe, decken Armuth an Kenntnissen keineswegs zn. Manche Großgrundbesitzer Böhmens benutzen jedoch ihre Stellnug und ihren Reichthum zur Unterstützung der Künste und Wissenschaften, fowie zur Förderung gemeinnütziger Werke nnd erhöhen dadurch dcn Glanz ihrer Geschlechter. Ein eigentlicher Zusammenhang mit dem Volke findet bei dem böhmischen Adel nur ausnahmsweise statt; sein Ver- ^> Die Grafen Thun zeichnen sich ganz besonders als eifrige Tschechen aus, Graf i?eo Thun, ein Helfershelfer am Concordat, war früher ein eifriger Germanisator in Böhmen nnd spielt jetzt dcn Tschechen! Wo diese Adligen Schnlpatrmie sind, begünstigen sie die Anstellung tschechischer Lehrer in deutschen Schulen. Wie Hohn llingt es dann, wenn ein solcher Adliger nock die Stirn hat sich als „Deutscher" aufzuspielen, wie z, B. der von feudalen Großgrundbesitzern in den böhmischen Landtag geschickte Graf 5lurt von Zedtwitz, zn behaupten wagte: „anch er sei ein Deutscher, leime die Deutschen und wisse, daß sie mit der Ertlarnng ihrer luerfassnngstrcuen) Vertreter nicht übereinstimmten." Der Mann mußte sich uon den Vor-slehern sämmtlicher Gemeinden, die in seinem Dominialbcsitz liegen, sagen lassen: „Wir hegen nicht dcn geringsten Zweifel, daß Herr Kurt Graf Zedtwitz den besten Willen nnd große Fähigkeit besitzt, seine eigenen Standesintcresseu zn wahren; daß er jedoch die Interessen des Volks im allgemeinen und speciell unsere dentschcu Interessen zu vertreten und zu vertheidigen auch unr Willens sei, ist uns nicht im entferntesten in den Sinn getommen." Aehnlich erging es 186tt dem Grafen Franz Thun, der als Abgeordneter des deutschen Wahlbezirks Tetschen-Bcnscn--Vöhmisch-Kamnitz mit dcn Tschechen stmmtte. 194 Der Adel und seinc Herrschaften, halten ist im Großen und Ganzen höchst eMusiv lind eine ganz außerordentliche hohe Meiuung vom „blauen Blute" nnd „höherer Organisation" wird in sehr vielen Kavalieren wach, die häusig durch die kriechende Ergebeuhcit der ehemaligen, noch jetzt ganz von ihnen abhängigen „Unterthanen" noch vermehrt wird. Dazu tragt auch die Sprache wesentlich mit bei. Ordentlich dentsch lernen manche der Herren gar nicht; sie beguügen sich mit dem Wiener Jargon, wenn sie überhaupt in die unangenehme Lage versetzt werden, deutsch zu, sprechen. Unter sich redet mau viel französisch. Die Kinder werden oft von französischen Hofmeistern nnd Gouvernanteu erzogen, damit sie frühzeitig der allein seligmachenden Sprache mächtig werden. Bei den Knaben vollendet die militairische Carrwre gewöhnlich die Höhcrc Bildung. Was das Tschechische betrifft, so ist dasselbe neuerdings iu Mode gekommen. Da man jedoch diese Sprache, vou der man iu der Jugend uur wenige Brocken erlernte, nicht so leicht in den Kopf bekommt, so begnügt mau sich damit im Lauotage bei den Abstimmuugcu mit ne (nein) und ano (ja zu antworten, oder der Kavalier redet seine Bauern wohlwollend tschechisch mit Wiener Accent an, so daß diese schließlich nicht verstehen, was der Herr gewollt hat. Aber die Kinder lerneu jetzt tschechisch und werden dadurch ciucr viertelt Sprache tuudig, doch keiller recht mächtig. Der gauze Znfchnitt wird gerne auf das Acußcre gestellt uud schon der hohc Nang, die alte Abtuuft, der enorme Ncichthnm befähigt den Kavalier, das Protettorat einer milden oder wissenschaftlichen Stiftung zu Uberuehmen, wo er dann als Sachkenner glänzt. Der Ankauf eiuiger Oelgemälde nnd eiuiger Bücher stempelt ihn zum Mäccu. Gegeuüber diesem Durchschuittsgut ragen mehrere böhmische Kavaliere durch gediegene, allseitige Bildung, humanes Wesen nnd charaktervolle Gesinnung leuchtend ans der dunklen Masse hervor. Den von Seiten der Tschechen gemachten Vorwurf, daß der böhmische Adel das nationale Element vernachlässige, hat der Dcr Adel und feine Herrschaften. 195 größere Theil nun wenigstens äußerlich beseitigt; auf wie lange wird sich zeigen, da man mit dcr Geschichte des böhmischen Adels vor Angen auf keine dauernde politische oder nationale Haltu'ng desselben rechnen kann. Ob die andern Vorwürfe, welche ihn: cm national-gesinnter Tscheche^) machte, anch schon entkräftet sind, tonnen wir nicht wissen. Er sagt vom böhmischen Adel: „Auch bemerken seine Beobachter bereits in der jüngeren Generation des Adels den Mangel an jenen vielseitigen Kenntnissen, an jener hnmanen Urbanität, an jener well- nnd staatsmännischen Begabung, an jenem wahrhaft noblen Betragen, welches den Kavalier der guten allen Zeit nicht blos znm Funtiilwmmo, sondern anch zum Iwmmo g'nutil machte, und welches dem Adel den unbestrittenen Vortritt in allen Kreisen verschaffte." In Prag, weniger in Wien, hat der böhmische Kavalier feinen Wohnsitz, aber, sein rechtes Leben beginnt erst draußen auf der Herrschaft. Es ist wirklich überraschend, welch' ungeheurer Grundbesitz noch in dcr Hand des böhmischen Adels liegt. Der gcsammtc land-und lehentäfliche Besitz in Böhmen nmfaßt 1261.1 Besitzstände mit einem Flächenmaß von 5,058,088 Joch, d. h. mehr als ein Drittel des ganzen Landes. Die dnrchschnittliche Größe eines Besitzstandes beträgt 2816 Joch, die größte ist die Schwarzcnberg'sche Herrschaft Krummau mit 8^ Qnadratmcilen; das ist mehr als Neuß älterer Linie, mehr als Schaumburg-Lippe und fast so viel wie das Hcrzog-thum Kobnrg. Und der ganze große Besitz in dcr Hand eines Herrn, dcm jeder Zoll Gruud nnd Boden gehört! Dcr größere Theil der Waldfläche Böhmens ist bei den lcmdtäflichen Besitzern, während die dcm Feldban gewidmete Vodcnflächc zum größeren Theil nicht land-täflicher Besitz ist. Fragen wir nun nach dcm Vodenwerth, so stellt ») Bühmische Skizzen von Dr. I. PaMtt). Lcitouüschl 1860, p. 49. 13" 196 Ter Adel und seine Herrschaften. sich die niederschlagende Thatsache heraus, daß er beim Großgrundbesitz weit niedriger als beim Kleingrnndbesitz ist, so daß beim erstern der Preis eines Jochs productivcn Bodens nnr 176 fl., beim zweiten dagegen 353 fl. beträgt. Damit in Zusammenhang steht die Grundsteuer; von dieser, deren Gesammtsumme beinahe 11 Millionen Gulden beträgt, zahlt der land- und lehentäflichc Besitz nur 29 Proc. oder 4 Millionen Gulden. Es zahlt somit ein Joch productive« Bodens des land- und lehcntäflicheu Besitzes an Grundsteuer 1 fl. 39 kr., ein Joch des uicht landtäflicheu Besitzes aber 1 fl. 70 kr.*) Daß hier ungesunde Verhältnisse vorliegen, brancht nicht weiter auseinandergesetzt zu werden. Weit iiber die Hälfte des landtäflichen Besitzes ist in den Händen von etwa 150 adligen Familien, bei denen souach das Uebergcwicht ist. Ihre Guter sind die größten und zum Theil durch Fideicommiß sicher gestellt.'^) Auf der Domäne ist der Kavalier fast unbeschränkter Alleinherrscher. Freilich sind die Patrimouialgerichte uud das Nobotten, wie noch manche andere Privilegien aufgehoben, doch bleibt noch immer genug an Machtsphäre für dcu Kavalier übrig, um sich auf der Herrschaft als „Herr" zu geberdcn. An den Grenzen der Domäne *) Näheres in I. Iechcl: Statistische Nactnvcisnnsicn über den land-uud lchcntäflichen Grundbesitz in Böhmen. Prag. Calue Itt>itratmvsty, Ähüenbnrci, McnSdorf, Nostiz-Nhinet, Salm-Rcifferscheid, Lchöilburu, Stadion, Sternbcr^, Thml Hohen-stein, Waldstcin, Wallis und Wratislaw-Nctolizky; die Frcihcrrn von Chauowsky, Kaiscrstcin, Lanquct, Löwcnthal, Ncisty und Stcrnbach. Der Adel und seine Herrschaften, 197 erheben sich ueben den schwarzgelben kaiserlichen Schlagbäumen Schranken in seinen Hausfarben; besucht er die Besitzung, su tönt ihm eine eigene „Hymne" entgegen; jedes Stückchen Feld', jeder Forst liefert die Erträgnisse in seine Kasse. Kurz alles weist auf einen kleinen Staat im Staate hin, an dessen Spitze ein wenig beschränkter Herrscher steht. Auf diesen großen Gittern beruht die Existenz des böhmischen Adels und er flicht dieselben nach drei Richtungen hin auszubeuten. Einmal durch die Landwirthschaft, dann durch das Forstwesen und endlich durch industrielle Unternehmungen, wie Bier- uud Branntweinbrennerei, Zuckerfabriken, Berg- und Hüttenwerke. Ein Hanptreichthum der Kavaliere liegt noch immer in den Waldnngen. Die „böhmischen Wälder" von einst mit ihren Schrecken und Grausen, aber auch mit ihrem unerschöpflich scheinenden Holzvorrath sind freilich geschwnndeu; trotzdem ist noch iiber ein viertel des Landes (260 Quadratmeilen') mit Wald bedeckt und von dieser großen Waldfläche entfallen wieder 200 Ouadratmeilen auf den Großgrnndbesitz. Um auch hier das nationale Gebiet zu berühren, muß erwähnl werden, daß von Seiten der Tschechen in der Forstwirthschaft bisher gar nichts geleistet wurde. Sie stehen hier rein auf deutscheu Füßen uud köunen sich nur nnsere Erfolge zu eigen machen. Natürlich waren die technischen Ausdrücke erst noch zu überwinden, was mit vieler >tunst vollbracht wurde. Wie der Bergbau allzeit in Böhmeu in wissenschaftlicher Beziehung von den Deutschen abhängig bleiben wird, so auch das Forstwesen. Die erste ausführlichere Forstlehre in tschechischer Sprache erschien im Jahre 1866 (K. Schindler, Vettere nauty lesnicke.) Sind die Wälder cmch meistens eine ergiebige Quelle für den Beutel des Kavaliers, so sind sie diesem doch fast noch lieber als Stätte der großartigen Iagdliebhaberei. Denn die Jagd geht 198 Der Adel und seine Herrschaften, sehr vielen Kavalieren über alles, die darin so cifrig sind, wie nnr jemals ein englischer Lord. Dem edlen Waidwcrk scheint die Herrschaft vor allem Andern gewidmet zu sein, nnd Böhmens Jagden erscheinen als die bedeutendsten Mitteleuropas. In den Wäldern zerstreut, auf hübsckcn bergigen Punkten, meist an rauschenden Strömen, liegen alie Burgen, die oft erneuert nnd ausgebessert worden sind, nm als Iagdsitz des Kavaliers zn dienen. Vüchsen-spanner, allerlei Jägersleute, große Doppel der schönsten Jagdhunde umschwärmen das Schloß, dessen Aeußeres und Inneres mit Hirsch- und Nehgcweihen, Büchsen, Hirschfängern, Jagdbildern und ähnlichen Sachen vollgestopft ist. Von Altersher wnrden die Jagden in Böhmen vom Adel mit großem Prunk betrieben, und mag der Wildstand jetzt anch etwas abgenommen haben, so ist er doch noch ein sehr bedeutender. So weit die Jagdleidenschaft Privatvergnügen ist und nicht zum Schaden anderer gereicht, kann man sich jedes Urtheils enthalten. ,Da mag es einerlei sein, ob die Aner-hähne dem Besitzer ganze iuuge Kiefernpflanzungen zerstören, oder Hirsche und Hasen ihre Verwüstungen anrichten, wenn auch vom volkswirtschaftlichen Standpunkte sich viel dagegen einwenden ließe. Aber die Sache geht in Böhmen weiter, und das nene Jagdgcsetz ist keineswegs dazu angethan, die angrenzenden Kleingrundbesitzer vor Schaden zu schützen, weun auch alljährlich viele tausend Gulden an Schadenersatz von den Großgrundbesitzern und Iagdinhabern bezahlt werden. Als das neue Jagdgesetz für Böhmen im Frühjahre 1866 im Landtage berathen wnrde, kamen gar seltsame Dinge zur Sprache, die ein keineswegs günstiges Licht auf die hier einschlägigen böhmischen Zustände warfen. Bei einem so rein praktischen Gegenstande, wie einem Jagdgesetze, spielten trotzdem die nationalen Zwistigkeiten im Landtage wieder eine Nolle. Der Feudaladel, welcher sein Privat- Der Adel und seine Herrschaften, 199 vergnügen gefährdet sah, erfreute sich der eifrigen Unterstützung der Tschechen, während die gesammten Deutscheu für das Wohl des Landvolkes eintraten nnd sich gegen den grüßen Echadcu erhoben, welche die Jagdlicbhaberei über das Land bringt. Vei der ungeheuren Menge von Wild, die von jeher und noch jetzt in Böhmen gehegt wird, kann es nicht Wunder nehmen, daß dasselbe durch den verursachten großen Schaden den Landmann zur Wilddieberei geradezu herausfordert. Gegen das überhandnehmende Raubschützenweseu erschienen schon im 16. Jahrhundert eine ganze Reihe vou Verordnungen, die mit schweren Strafen drohten, deren Giltigkeit jedoch mit der allgemeinen Jagdordnnng von: Jahre, ü?86 ein Ende fand. Selbst Todesstrafen waren nichts seltenes, wofür folgender Porfall ans dem Jahre 1581 als Beleg gelten mag. Ein gewisser Jacob Krtschm, Oberverwalter der Rosenberg-scheu Güter, ertappte einige Vanern beim Wilddiebstahl; da diese jedoch nur „nntcrthänige" Menschen waren, so machte er mit ihnen knrzen Proceß, ließ sie an deu Galgeu hangen uud um den Thiergarten zur Abschreckung drei Galgen errichten. Wilddieberei ist noch heute im besten Schwange, und es geschieht uicht selieu, daß um der elenden Hirsche uud Hasen willen Menschen ihr Veben lassen müssen, bald Förster uud Heger, bald die Wilddiebe selbst. Ich bin selbst oft genug Nachts in böhmischen Wäldern alls Naub-schützen getroffen, die ziemlich offen ihr Gewerbe trotz des strengen Iagdgcsetzes betrieben. Die Wilddieberei wird in Böhmcu wohl erst mit dem letzten im Freien gehaltenen Hirsche aufhören; nicht so einige andere Frevel, wie der Holzdiebstahl, das Etreurecheu uud das Halten der Ziegen, die dem Walde uueudlichen Schaden thun. Außer in seinen Wäldern beruht der Reichthum des Adels noch iu seinem übrigen Grundbesitz. Da jedoch der Kavalier in deu seltensten Fällen etwas vou der Landwirthschaft versteht, fo läßt er 200 Dcr Adel und seine Herrschaften, dm Feldbau durch ein Beamtenheer ausführen, denn zum Pachtsystem schreitet mciu nur ungern, da die Pächter den Boden gewöhnlich zu sehr aussaugen. Die stete Verminderung des Ertrages anf vielen Domänen, und die kostspielige Verwaltungsweise verleiden manchem Adligen seinen großen Besitz. Es läßt sich in Böhmen nicht allzuschwer nachweisen, wie diese bedeutenden Grnndcomplere, die in einer Hand liegen, eine große Menge volkswirtschaftlicher Nachtheile mit sich bringen, deicht wäre an Beispielen zu zeigeu, wie ihr Erträgniß, was wenigstens die Felder betrifft, das doppelte und dreifache sein tonnte, wenn sie in kleinere, mittelgroße Theile zerlegt wären, denen ein tüchtiger ^and-wirth, als eigener Besitzer, oder in der Art der britischen Pächter, Vorstände. Die schädlichste Seite des Großgrundbesitzes in Böhmen ist jedoch der durch dieseu herbeigeführte Pauperismus, das anf den Dominien üppig wuchernde Proletariat, welches schou Jahrhunderte alt ist uud das sich schwerlich ausrotten lassen wird, soviel auch in anerkennenswerther Weise von vielen Großgrundbesitzern dahin gestrebt wird, dem Jammer ein Vnoe zu macheu. Im 17. und 18. Jahrhundert belastete der Adel das nnterthänige Voll mil einen: ganz unmenschlichen Drucke, er steigerte nach Gutdünken den Robot und schuf neue ? asten, gegen welche der arme Manu keinen Schutz fand, so daß Banernanfstände ausbracbeii. Darum war und ist Böhmen auch an der Auswanderung bedeulender bctheiligt, als andere Länder Oesterreichs. Die Einigration ist in Oesterreich über-hanpt nicht stark und in den östlichen Bändern fast Nnll, aber in Böhmen ist sie start in der Zunahme begriffen, besonders auch seit dem Kriege vou 1866. 'Namentlich waren es Südböhmen uud die flachen ^andestheile mit tschechischer Bevölkerung, welche das größte Contingent stellten, während die Auswanderung im industriereichen Nordbohinen kaum sich vermehrte. Anßer nach Nordamerika wandte Der Adel lind scine Herrschaften. 201 sich der Strom tschechischer Auswanderung nach Rußland und dm Amurländern, wo die Leute jedoch traurige Erfahrungen machten. Wer wohnt jetzt auf den großen Herrschaften, die einen so bedeutenden Theil des Landes einnehmen? Zur Verwaltung der Wälder, der Landwirthschaft nnd der industriellen Unternehmungen bedarf der Großgrundbesitzer eine Menge von Beamtcu, von ihm in jeder Beziehung abhängige Menschen, die nebst den Arbeitern die Bevölkerung der Herrschaft ausmachen. An die Stelle des Vancrn, der in andern Ländern wesentlich der Besitzer des Feldes ist, treten Wirthschaftsverwalter, Maicrhofsknechte und Taglöhuer, willige Werkzeuge in der Hand ihres Herrn. Nach den neuesten statistischen Daten sind beinahe 24 Procent, also ein Viertel der erwerbsfähigen Bevölkerung Böhmens, Dienstboten nnd Taglöhner (95,652 Dienstboten nud 373,510 Taglöhner), ein Verhältniß, wie es schwerlich uoch einmal in Mitteleuropa vorkommt. Diese arme Bevölkerung hat vornehmlich ihren Sitz auf den großen Herrschaften, auf denen die wenigen selbständigen Einwohner, die Krämer, Juden nnd Handwerker, auch noch indirect von der Herrschaft abhangig sind, weil sie mit ihrem Verdienst wieder ans diese angewiesen sind. Anßer dem Beamten und Arbeiter bleibt noch der Geistliche und der Schnllehrer nbrig. Da jedoch der Großgrundbesitzer gewöhnlich auch der Patron vou Kirche und Schule ist, so haben auch diese ihre Stellen von jenem. Der den Junkern wohlgesinnte Tscheche erhält dann meistens auch bei Stellenbesetzungcn den Vorzug. Die Zahl der böhmischen Beamten ist eine ganz enorme; fast ganz Oesterreich ist mit ihnen versorgt und es gilt der Spruch, daß mau ein Böhme sein muß, um als Beamter Carriöre zu machen. Wie es nm die Verwaltung Oesterreichs aussieht, wohin dieselbe das Reich gebracht hat, braucht gar nicht auseinandergesetzt zn werden, daß iedoch diese bö'hmiscke Bureaukratie einen Hanpttheil der Schuld 202 Der Adel und seine Herrschaften. trägt, dürfte kaum zu läugucn sein. Die meisten Werkzeuge der Willkürherrschaft waren zweisprachige Tschechen, die in der Unterwürfigkeit nnd Willenlosigleit ein guies Stück leisteten und deßhalb im ganzen Kaiferstaate überall leicht Perwendung fanden. Jene verhaßten Germanisatorcn in Böhmen und Ungarn waren geborne Tschechen und sie sind es namentlich gewesen, die dein deutschen Namen unverdienten Schimpf einbrachten, da ihre Handlungen anf Rcchnnng der dentschen Nation geschoben wnrden. Ganz richtig bemerkt im Jahre 1866 Dr. A. Fischhof in seiner Schrift „Ein Blick auf die Lage Oesterreichs": „Kein das deutsche Selbstgefühl verletzenderes Schauspiel gab es, als wenn Herr v. Bach und Herr v. Schmerling die Sprache Anthers nnd Goethes mit ihrer hohen Gönnerschaft beglückten und den Völkern deutsche Kultur auf dein Präscntirteller des Belagerungszustandes durch tschechische Beamte serviren ließen!" Das Polk in Ungarn machte, wenn es auf den „Nomet" loszog, keinen Unterschied zwischen den Deutschen, und zwischen dein schändlichen System nnd feinen Trägern, den herrsch -süchtigen, verknöcherten und schonungslosen tschechischen Beamten. Wo der größte Theil dieser Leute in der Noth war, das hat der Krieg von 1866 gezeigt, in welchem böhmische Veamie hänfig ihre Stellen verließen nnd die Bürger überall selbst eintreten mußten. Nach der Rückkehr begann jedoch gleich wieder das burecmtratische Reglemcntiren, das über Böhmen nnd ganz Oesterreich bereits soviel Unglück brachte. Ein hartes Urtheil über dic böhmische Beamienwirthschaft fallt auch G. Steinmann, welcher während der preußischen Occupation im Jahre 1866 in Prag die oberste Civilverwaltungsstellc bekleidete und Gelegenheit hatte, die Zustände des Landes genan kennen zu lernen. „An was liegt die Unfähigkeit des Beamtenthnms inmitten von Volksstämmcn von uuzweifelhaft reicher Begabung? Wie ist Der Adcl mid scim- Herrschaften, 203 cine so auffallende Erscheinung zu erklären? In Wirklichkeit ohne große Mühe und Umschweife: Sie beruht in dem Staatsprincipe Oesterreichs! Geistiger Druck und wirthschaftliche Absperrung mußten die Völker niederhalten — sie zu bewachen, galt es eine zahlreiche Armee und ein noch stärkeres Heer willenloser Beamten iu Bereitschaft zu halten. Das Talent, an' sich verdächtig, fand in diesem Veamtenheere keine Stelle. Auch die höhere, allgemein menschliche nud wissenschaftliche Bildung vermißte die Negierung sehr gern. Begünstigt wurde, abgesehen von den wenigen Hoch-geborenen, denen die hohen Aemter vorbehalten waren (ohne daß diese Herren einer Staatsprüfung uuterworfeu sind), nur die Nulli-tät, die deu kleinen schikanösen Dienst der Bolksüberwachuug besser auszuüben wußte, als ieder andere, und die ihn heute noch mit lovaler Begeisterung thut — so lange die Dinge eben gut geheu."^) Eiue Hauptgeburtsstätte des Beamteuthnms sind die Herrschaften der Kavaliere; das ist die wahre Pagina, ans der sie hervorquellen. Da die Söhne der dort ansässigen Beamten meist kein anderes Ziel kennen, als wieder Beamte zu werden, und da daheim nicht genügend Platz war, überschwemmten sie die ganze Monarchie nnd trngen das halbschlächtige Tfchecheuthum bis in die Bukowina und au deu rotheu Thurm-Paß. Branchbar ist der tschechische Beamte ganz entschieden, auch ist er fleißig und pünktlich. Die Corruption früherer Zeiten, das nicht allzugcuaue Umgeheu mit dem Eigenthum des Herrn, das System des Bestechens (der tschechische Knnstansdruck lautet nui8!»li, schmieren) ist gewiß sehr in der Abnahme begriffen. Häufige Processe, Anklagen, Beamteuentlaffungeu fanden statt und finden anch noch statt, mehr als in andern Ländern, ^) Strcifzügc preußischer VerwMnwi durch Böhmen, oou G, Ztein^ wcnm, Berlin 1«66, A)4 Dcr Ndcl und sciiic Herrschaften. Rußland ansgenonnnen. Die vielen Niederlagen, die Oesterreich auf diesem Gebiete erlitt, haben sicherlich sehr viel zur Besserung dieser verrotteten Zustände beigetragen, uud jemehr auch in Böhmen die Selbstverwaltung Platz greifi, desto mehr wird dieser Krebsschaden schwinden. Böhmen hat anderseits wieder sehr viel tüchtige und hochachtbare Veamte geliefert, eine Thatsache, die vom Wiener Reichsrathe wie vvm Landtage des Königreichs in neuester Zeit ausdrücklich anerkannt wurde. Die Beamten ans den Herrschaften, die vereinzelt über das ganze ^and ans den Dörfern nnd Einschichten zwischen Arbeitern und Bauern ihre ganze Lebenszeit zubringen, sind begreiflicherweise eine ganz eigene Menschenklasse. Ihre Besoldungen an baarcm Gelde sind meistens sehr gering, dagegen beziehen sie oft Deputate an Holz, Bier, Getreide und was soust noch die Herrschaft hervorbringt. In ihrem gesellschaftlichen Wesen kommen sie dem Kleinstädter am nächsten, nnd alle über eine Domäne zerstreuten Veantten würden, auf einen Punkt zusammengedrängt, ein ganz herrliches Krähwinkel vorstellen. Ihre Thätigkeit dreht sich nm die Arbeit und nm den allergnädigsten Herrn, den „Brotherrn", der pflichtschuldigst ihnen als anderer Herrgott dasteht und dessen Eigenthum „hochfürstlich", „hochgräflich" n. s. w. ist, wenn es auch nnr einige Pferde betrifft. Abstufungen nnd Titel werden in der schwerfälligen Beamtenmaschine gewissenhaft beobachtet und aus der Amtsthätigkeit in das Privatleben übertragen. Anf einer ordentlichen Herrschaft giebt es Directoren, Hofräthe (!), Forsträthe, Wirthschaftsräthe, Rcchnungsräthe, Berwalter, Kontrolleure, Assisteuteu, Revisoren n.s. w. Eben so gut wie die Arbeiter auf den Herrschaften sind anch die Beamten meist Proletarier nnd zwar recht conservative Proletarier, denn die Natur der Sache bringt es mit sich, daß die anf einer Herrschaft Angestellten nntereinander vielfach verwandt nnd Der Adcl und sciiic Herrschaften. 205 Verschwägert sind, und in geschlossener Phalanx Alle für Einen und Einer für Alle stehen, damit ja keine nenc Ordnung der Dinge die alten Branche oder Mißbrauche ändere. Sie hallen fest am Hergebrachten; manche sind im höchsten Grade servil gegen ihre Vorgesetzten und erkennen in jedem Fremden einen gefährlichen Eindringling und Nenernngssüchtigen. Thatkräftige, aus auderu Väudcrn herbeigerufene Directoren, welche refurmircnd auftreten, haben oft einen harten Sraud nnd vermögen selten durchzudringen. Dieses ganze ausgedehnte Beamtenthnm, das uns vielfach als Mischnng vun Servilismns, Armuth und Halbbildnug entgegentritt, ist eine natürliche Fulgc des kolossalen Großgrundbesitzes mit seinen vielen volkswirtschaftlichen Nachtheilen, die, nur mit der Ursache zu ändern sind. Anerkannt mnß werden, daß manche Großgrundbesitzer ein reges Interesse an der Hcbnug ihres Beamtenstandes habeil. Die Gehaltsbezüge derselben reguliren sich natürlich nach den Einkünften der Domänen, und da dicse durchschnittlich nicht den Ertrag liefern, den sie geben könnten, so fallen natürlich auch die Besoldungen verhältnißmäßig gering aus. Durch Pcnsionsstatnte haben manche Adlige für ihre Beamten in tobcnswcrther Weise anch für deren Alter gesorgt. Man findet es in Böhmen ganz natürlich, daß soviel hunderttausend Menschen, welche ans den Domänen wohnen, vollständig von ein paar hundert Adligen abhängig sind, denen ihr Wohl nnd Wehe anheim gegeben ist. Daß bei den armen Menschen hierdnrch Zustände entstehen, welche viele Nachtheile der Leibeigenschaft, aber keinen ihrer Vortheile haben, branche ich nach allem gcsagteu wohl kaum näher auszuführen. Der Arbeiter muß gehorchen, er muß mit dem zu-srieden sein, was ihm der Beamte des Domäneubesitzers als Lohn anweist, nnd er muß verhungern oder auswandern, wenu er aus der Zyg Der Adel und seine Herrschaften. Arbeit entlassen wird. Diese beiden ehrlichen Alternativen bleiben ihm alsdann allein übrig. Wählt er keine von beiden, so wird er zum Dieb oder Strolch. Alles dreies kommt vor. Ich wiederhole nochmals: Im Großgrundbesitz Böhmens wurzeln die meisten socialen Schäden des Landes. Die Beseitigung derselben ist jedoch nur mit der Beseitigung der großen Herrschaften zu erwarten, allein wie dieses anstreben, ohne nicht deren Besitzern großes Unrecht zuzufügen? In Mittelenropa hängt der ungeheure Großgrundbesitz, die geriuge Auzahl der freien Bauerngüter nnd die Uebermasse der armseligen Tagelöhner ganz entschieden wieder mit dein „slavischen Genius" zusammen. Das zeigt uns heute noch ein Blick auf Mecklenburg, auf die ehemals oder theilweisc uoch jetzt slavischen Lande Preußens. In den ursprünglich deutschen Provinzen, in Nheinpreußen, Westfalen und Sachsen überwiegt der freie Bauernstand und dessen Grundbesitz ganz bedeutend, die Rittergüter nehmen erst rechts von der Elbe an Zahl und Größe zu uud steigern sich, jemchr wir nach dem slavischen Osten vordringen. Zngleich vermehren sich die Tagelöhner. In der noch halb slavischen Provinz Posen erreichen die Rittergüter mit 55'/2 Procent aller ländlichen Besitzungen endlich den Höhepunkt. Vollkommen richtig bemerkt der sonst nns keineswegs mustergiltige Moritz Mohl*): „Jeder, der die Verhältnisse der ganz oder doch größtentheils von ursprünglich deutschen Stämmen bewohnten Länder Bayern, Schwaben, Franken, mit den Nheiulauden, Thüringen, Ober-(?) uud Niedcrsachsen, Westfalen kennt, weiß, daß die Zahl der Rittergüter in den meisten derselben, besonders aber ill den süd-nnd westdeutschen ohne alle Vcrgleichung kleiner, als in deu preußischen Provinzen rechts der Elbe ist; daß der Bauernstand jener urdeutschen Stämme voll Altcrshcr bis auf den heutigen Tag im *) Beilage der Allgcmemen Zeitung Nr, 298, 1866, Dcr Adel und seine Herrschaften, 207 Besitz des Landes in allergrößter AnZdehnung geblieben, die Zahl der Tagelöhner und des Gesindes daselbst vcrhältnißmäßig klein, und daß in Folge dieser für die Unabhängigkeil nnd den Wohlstand der großen Masse des Bolks weit günstigern gesellschaftlichen Verhältnisse auch der Buden für die politische Freiheit in den ursprimglich deutschen Ländern ein ungleich gecigueter ist, als in jenen, wo das deutsche Element bekanntlich in sehr großer Ausdehnung eiu durch Eroberung und Colonisation eingebürgertes ist." Die ungünstigen Verhältnisse und gerügten Mängel treteu in Böhmen jedoch in noch weit höherem Maße zu Tage und prodnciren sich auch hier als Ausfluß des Slaventhmus. Die Unsicherheit und die fahrenden Lcnte in Böhmen. Man erzählt viel von dm Räuberbanden in Ungarn, und diese „arbeiten" allerdings im großartigen Styl; in Böhmen aber herrscht die kleine Beutelschnciderei, nnd mau kann kaum umhin, hier unwillkürlich einen Vergleich zwischen dem politischen Auftreten der Magyaren und Tschechen zu ziehen. Indessen das politische Gebiet wollen wir heute nicht betreten. Einige sociale und und cullurhistorische Streiflichter werdeu uus zeigeu, daß iu dem schönen Lande, welches die Tschechen als „irdisches Paradies" (xomgkü r^) in ihrem Nationalliede bezeichnen, gerade keine paradiesischen Zustände herrschen, soweit sie die Sicherheit der Persoli und des Eigenthums betreffen. Uns selbst ist auf deu vielfachen Kreuz- und Querzügeu durch das „irdische Paradies" keinerlei Unbill widerfahren, und die beinahe zur Handgreiflichkeit ausgearteten Drohungen nationaler Heißsporne abgerechnet, die in uns den Deutschen witterten, haben wir wenigstens über das niedere Bolk nicht zu klagcu gehabt, nichtsdestoweniger aber die Zustände höchst bedenklich gefunden. Daß man sich die Angcn darüber verschlossen habe, läßt sich uicht sagen, und Regierung wie Landtag waren mit der Ausrottung des Uebels beschäftigt, leider aber erfolglos, denn die Schäden, in denen es wurzelt, liegen tief, uud lassen sich mit bloßem Reglcmcntiren oder Gendarmeriepatrouillcn nicht beseitigen. Schon am 25. Januar 1866 kam nu Präger Landtag ein Autrag des Grafen Clam-Martinitz zur Berathung, betreffend die Die Unsicherheit und dic fahrenden Leute in Böhnicn, W<) Sicherheit cms dem flachen ^aude, „wo das ^agabundenthum uud ^andstreicherthltm von Tag zu Tng znllähnie, Diebstählc, ja sogar Raubanfälle immer zahlreicher werden." Unter dem Anfuchen an die Regierung, eine Gesetzvorlage zur Regelung des SicherheitZ-dienstcs auf dem flachen Vande Mr verfassungsmäßigen Erledigung zu übergeben, beschloß dann der Landtag: „Der Zustand der Sicher-heit der Person und des Eigenthums ist auf dem flachen Vand im Königreich Böhmen unbefriedigend, zum Theil sogar gefahrdrohend, deßhalb ist eine dringende Abhülfe höchst nothwendig." Der damalige Statthaltcrri-Bicepräsident Graf ?a/ausky erklärte danu: der Zustand der öffentlichen Sicherheit sei allerdings sehr herabgekommen, die allgemeine Erwerblosigkeit sei die Ursache, uud die Militärurlauber seieu die schlimmsten Bagabuuden, die den Sicherheitsorganen gegenüber beim Publikum uoch immer Schutz fänden. Dann kamen die Juden-hetzen und der Krieg vou 18(^, wodurch natürlich eiue Besseruug des Uebels nicht herbeigeflihrt wurde, so daß am 2^. Sept. 1868 der Abgeordnete v. Weideuheim i,n Landtage abermals eineu Antrag stellen mußte: „Da die Unsicherheit und das Vagabundiren anf dem Lande in so erschreckender Weise zunehme, daß die Person und das Eigenthum bedroht erscheint, su sei eine Commission einzusetzen zur schleuuigsteu Berathung der Vorschläge für eiue dringende Abhilfe." Man hat die Ursache des Gebrechens außer in der Erwerb-losigteit anch in dem fehlenden oder mangeludeu Schulunterricht gesucht, der erst in der allerueuesteu Zeit einigermaßen verbessert wird. Ein sehr wesentlicher Grund liegt aber uuserer Ansicht nach in der ungleichen Vertheiluug des Grundes nnd Bodens, in dem überwiegenden Großgrundbesitz uud dem mit ihm zusammeuhängcn-den ländlichen Proletariat. Wir wollen uns einmal hineinwagen in das Herz des Tschechen-laudes und Umschan halten bei den Strolchen und fahrenden beuten, N. Andrec, Tschcchljchc Gänge. 14 210 Die Unsicherheit und die fahrenden Lente in Böhmen. die demjenigen, der nicht in Böhmen geboren ist, alsbald auffalleu müssen, wenn er die Grenze überschreitet, die von den Einheimischen aber ans Gewohnheit weniger beachtet werden. Fragt einmal in den deutschen Grenzgegenden nach den „Ttockböhmen" drüben über den Borgen nnd ihr werdet euer Wunder haben über die abfälligen Urtheile. Manches dabei ist wohl übertrieben nnd schrnmpft zu einem kleinen Fehler zusammen, wenn ihr an ^rt nnd Stelle ench durch den Augenschein überzengt; aber vieles, sehr vieles stellt sich leider als wahr heraus. Schlagen wir gar alte, Schriften auf, dann sträuben sich leicht die Haare zu Berge und wir sind schier verwundert ob der uralten Verlenmdnngen, die man den uuschutdigen Söhnen derLibuscha nachredet, wobei natürlich nationales Gezänk den Ausschlag giebt — vor alters so gut wie heute. Da klagt der Abt von Königssaal über die rixao vLtl!rL8 Noucmui'uin ^uu,8 »citl^c^r Imix'i'o vi'Il'ntui' contra Ilioutuni«»« und der große Bohuslaus von Lobkowitz, den sie doch gerne als den ihrigen betrachten möchten, äußert eiumal von ihnen: or^a 1i0«j)itC8 In'ui^ui »uut, 8u1i8 tnni^n lii^ wegen Diebstahls, 2163 wegen Vettelns, 814 wegen Excessen, 593 wegen Trunkenheit, 4361 wegen öffentlicher Unfittlichkcit (!), 5374 wegen Bcstimmungslosigkeit verhaftete Personen. So sieht es in der Hauptstadt aus, der es an Sicherheitsorganen nicht fehlt. Daß letztere aber vom Publicmn bei den Verhaftungen unterstützt würden, ist nicht der Fall, uud hierüber mußte sogar Graf La/ansky, der Freund der Tfchechcn, klagen: es sei, so ließ sich der ehemalige Statthalterei-Viceprästdent im Landtage vernehmen, keine Kleinigkeit für die Ticlierheitsorgane in Prag, die Verhaftung cincs Bettlers, der oft der Spion eines Diebs ist, vorzunehmen; auch zeige die Gemeindepolizei geringe Energie. Das Jahr 1865 habe z. B. die Stadt Prag mit 4'.)00 Tchnblingen beglückt, und es könne mit Sicherheit behauptet werden, daß die Hälfte davon Rückfällige feien. In der Umgebung Prags könne inan die Orte genau angeben, wo am dritten Tage die Abgeschobenen wieder regelmäßig erscheinen. Dieß gelte namentlich von den Lnstdirneu, die nicht bloß ihr schändliches Gewerbe ansübcn, sondern anch die Helferinnen von Dieben und andern Verbrechern sind. In Prag sei es leider in letzler Zeit zu ernsten Auftritten, fogar zu Kämpfen zwifchen Polizei und Gaunern, gekommen n. s. w. Sehen wir lins weiter auf dein platten Lande um. Von all' 21s; Die Unsich^rbcit nnd die fabrendci! Lcnic in Böhmcn. den Strolchen und Gaunern höheren und niedren Grades zu reden, welche das Land noch unsicher machen, überlassen wir gerne einem Polizeimann. Eie gleichen mehr oder minder ihren Collegeu in anderen Ländern und zeichnen sich nnr dlirch die große Zahl, und -eine eigene Gannersprache, die Hantyrka, aus. Was wir aber betonen wollen, das ist die Unsicherheit und Sittenlosigkeit, die sich im Gefolge der Wallfahrten knndgiebt, wenn von nah nnd fern Pilger nach den heiligen ,^rten gezogen kommen. Wer die Scenen gesehen hat, welche in der Nacht nach dem Iohannisfest (1»',. Mai) in Prag stattfinden, der wird seine eigenen Gedanken über den Nutzen der Wallfahrten haben. Und im kleinen wiederholt sich das am heiligen Berge bei Pl'ibram, zn St. ,Anna bei Frauenthal an der mährischen Grenze, zn Kremascheck bei Pilgram, am Muttergottesberg bei Grulich, zn Tabor bei Lomnitz, zu Heindorf, Maria-Scheune, Maria-Ratschitz, Hajek, Maria-Sorg, Maria-Kulm n. s. 10. Und wo ein Wallfahrtsort ist, da findet sich in aller Welt auch die Messe dabei, sei es nun Hardiwar in Indien oder Nürnberg; das der Verebrung des beiligen Sebaldns das Emporkommen seiner Märkte verdankt. Mau kann sie dutzendweise beisammen sehen an den böhmischen Wallfahrtsorten, jene famosen Bentelschneider nnd Vaganten, die sich zwischen die frommen Pilger mit ehrlicher Miene mischen, nnd wie Antolycns im Wintermärchen den beuten bange machen: tll^i-o iu-ü 0<«onoi^ lim'l):xl, und dabei lauern sie selbst auf den Fang. Man sehe sich nur einmal die fahrenden Veule und vacirenden Künstler alle an, welche Vöhmen überschwemmen, uud man wird sofort bemerken, daft diese Veute nut elender VMcnz nnd sehr bedingter Sittlichkeit die Sicherheit auf dem Lande gefährden müssen, zumal sie oft mit Gaunern nnd Strolchen unter einer Decke spielen. Da kommen zunächst schaarenweise die Zigeuner angezogen, noch gerade so, wie Münster sie im !tt. Jahrhundert schildert: „ein Die Unsicherheit und die fahrenden Leute in Böhmen, I1" schwarz, wüst, unflächig Volt, das sonderlich gerue stiehlt." Auf dm mit klemm Pferden bespannten Wagen sitzt die Familie-, der Mann kutschirt, Hunde nnd sonstiges Hausvieh laufen nebenher/ Was die Kleidung betrifft, so ist sie aus allen Fetzen nnd abgelegten Stücken der Landbevölkerung zusammengesetzt, schmutzig,, zerrissen, liederlich, und zeigt keine Spnr von Originalität, man müßte denn den ungarischen, mit künstlichen Blumen geschmückten Hnt der Männer dahin rechnen. Die Neider laufen barfuß und die Kinder sind meistens halb nackt. Vor dein Dorfe stellen sie ihre Wagenburg auf', ein Feuer wird angezündet und das Braten nud Tchmauscu beginnt, wobei allerlei gestohlenes uud gefangenes Vieh, eiu Igel, in dm Topf wandert. Würdevoll ertheilt der Hanptmanu seine Befehle. Bor mir sehe ich nock einen schönen, schlank gewachsenen Mann mit langem rabenschwarzen Haare, der als Zeichen seiner Würde eiuc Art Tam-bonrmaiorstock mit großen: silbernen Knopfe trug nnd sonverän über das Lager herrschte. Nnn wnrden die Weiber ausgeschickt, um im Dorfe zu wahrsagen oder tnpserne Kessel — für welche sie Einsatz leisteten — zinn Flicken zn holen. Während einer die Ziehharmonika spielt, beginnen die anderen die Arbeit; die Handwcrkszeuge, ein kleiner Ambos, Blasebalg und Zangen werden vom Wagen genommen nnd lustig ertönt das Tiktat der Hämmer. Der böhmische Zigeuner soll der Zahl nach sehr abnehmen. Das ist natürlich, denn ie schärfer die Polizei auf ihn ein Ange hat, je, mehr die Knltur ihren Einzug hält, desto mehr wird der braune Mann, der in uuser Leben sich nicht einfügen will, verdrängt. Spielt der Zigeuner oder Citün, wie die Tschechen ihn nennm, anch in Böhmen nicht die Rolle, wie in Ungarn, so ist er doch noch häufig genug als Staffage auf dem platten Lande auzutreffeu. Allen Persuchen, ihn ansässig zu machen, ist er beharrlich ausgewicheu. To versuchte man ihn auf der Tscbernin'scbcn Herrschaft im Saazer 218 Die Unsicherheit und die fahrenden Lente in Böhmen. Kreise in Dörfer zu bannen — umsonst. Unter sich reden die Zigeuner Böhmens, die sich selbst Rom (Mensch) odcr Kalo (der Schwarze) nennen, nur das Zigeunerische; aber in dentschen Gegenden sind sie der deutschen, in tschechischen der tschechischen Sprache mächtig. Böhmen heißt bei ihnen Lallero temm, das stumme Land. Aus welchem Gruude aber? Die deutsch-böhmischen Zigeuner fuhren alle den Namen Bernard nnd leiten ihren Ursprung von dem Orte Schcles im Saazer Kreise ab; die tschechischen sind hauptsächlich im Osten des Landes verbreitet und streifen hier bis an den Fuß des Riesengebirges. Aber es geht bergab mit diesem zuchtlosen Bolle, das faktisch in Polygamie lebt, wenn es auch äußerlich zu den Geboten der katholischen Kirche sich bekennt; die frühzeitig eingegangenen wilden Ehen sind wenig fruchtbar nnd die Zigeuner, die sich selbst uichi einordnen wollen in nnsere Gesellschaft, stehen in Böhmen wenigstens anf dein Aussterbeetat. Uebrigeus habe ich statistische Nachweise über sie nicht finden können. Ter Zigeuner null bleiben, was er stets war, seit er Indien verlassen: ein wilder, freier Mann. Schon Maria Theresia und Kaiser Joseph II. gaben sich alle mögliche Mühe, ihrem unstäten Lebenswandel nnd ihrer Vermehrung entgegenzuwirken; man verbot die Ehen unter Zigeunern, das Leben in Zelten, ja ihre Sprache wnrde nntersagt, aber das alles half nichts. Ihren größten Feind finden sie in der vorfchreitenden Knltur, der sic doch endlich erliegen müssen. Auch aus eiuem fernen, wenngleich den Tschechen nicht fremden Lande stammt ein fahrendes Völkchen, das, noch zahlreicher als die Zigeuner nnd in seinem Aeußeren fast noch fremdartiger als diese, in großen Massen Böhmen durchzieht, ja seine Züge bis an die Nordsee ausdehnt. Ich meine die den Tschechen stammverwandten Slowaken, die ich übrigens mit den Zigeunern keineswegs auf dieselbe Stufe gestellt sehen will. Wenn auch ihre einfache Lebensweise, Die Unsicherheit mid die fahrenden Leute in Böhmen. 219 ihre Wandernatur ihnen in niancher Beziehnng neben jelien einen Platz anweist, so sind sic doch Menschen, die nach Vollendung ihrer weiten Reise sich wieder zn einein seßhaften Leben bekehren nnd darin sich wohl fühlen. Obgleich in Mhmen viele arme Menschen wohnen, bei denen nichts zu holen ist, so wenden die Slowaken ihre Schritte doch am liebsten dorthin, denn dort fühlen sie sich wegen der geringen dialektischen Verschiedenheit ihrer Sprache heimisch, dort treffen sie anf Sympathien nnd vielfach gleiche Lebensweise. Man kann den Slowaken als den unverfälschten Typus des tschecho-slavischen Stammes betrachten, während der Tscheche selbst schon zn sehr von, abendländischen Wesen durchdrungen oder geradezu theilweise germanisirt ist, trotz aller Widerborstigkeit. Lobt man auch die Slowaken im allgemeinen wegen ihrer Ehrlichkeit, so sind sie doch Vaganten und tragen dazu bei, dem platten ^'ande in Böhmen eine Physiognomie anfzndrncken, die bei uns abnorm genannt werden würde. Vom „slavischen Standpunkte ans" find sie gern gesehene Gäste in Böhmen, mit denen man gelegentlich Cnltns treibt. Müßten sie doch in der Prozession eine Rolle spielen, die Prags Straßen durchwanderte, als der Grundstein zum tschechischen Nationaltheater gelegt wurde! Wohl imr als Vertreter eines slavischen Stammes sind fie hier vorgeführt worden, gleich Baren auf dem Jahrmarkt, während böse Zungen behaupteten, sie hätten als Vertreter slavischer Großindustrie Theil am Znge genommen. Das Geschäft, welches die Slowaken in Mausefallen nnd Drahtarbeiten durch Böhmen nnd ganz Deutschland betreiben, ist in der That nicht zu verachten! Neben Iuchteuleder und Turgeniews Romanen sind jene Mausefallen in der That die wichtigsten slavischen Erzeugnisse, die nach Westen wandern. Unter den Slowaken des Treutschiner Comitats habe icl n'ele kräftige schön gewachsene Lente, wahre Modelle gefunden. Ihre alte praktische Tracht bewahren sie nngcmein treu. Anf dem Kopfe sitzt 220 Die Unsicherheit und die fahrenden Leute in Bölmicn, der breitkrämpigc Filzhut, die iu der Mitte gescheitelten lneist schwarzeu Haare, welche das ausdrucksvolle, gebräunte Gesicht einrahmen, falleu ' bis ans die Schultern herab. Nur der lange Sckmnrrbart bleibt stehen, der übrige Bartwuchs wird abgeschureu. Das eine Hemd aus grober Leinwand, welches die ganze weite Reise aushalten muß, ist mit Fett getränkt; die eng anliegende, einst weiße Hose aus einem dicken Wollstoffe wird unten von Bundschuhen zusammengehalten. Als Mantel, als Decke, als einziges Kleidungsstück, welches deu Oberkörper schützt, dient im Sommer wie im Winter die grobe wollene Bnnda, welche nber die Schultern geworfen wird nnd deren einer Aermel unten zugenäht ist und so eineu Sack bildet, in dem allerlei Kleinigkeiten aufbewahrt werde». Das wenige Haudwerkszeng, die Drahtzange n. s. w., befiudet sich in einer ledernen, umgehängten Tasche, deren Gnrt mit einem kleinen Christusbildchen (Panbitschek) ans Messing geziert ist. Einige Nullen Draht, ein Paar fertige Mausefallen und einige Pfeifenränmer vollenden die Msriistnng des Slowaken. Der Slowake in der Fremde lebt merkwürdig genügsam, es fei denn, daß er hier und da dem Branntwein etwas zn sehr zuspricht. Gern nimmt er vorlieb mit den Resten einer ihm dargebotenen Mahlzeit, nnbemcrkt bereitet er sich im Walde ein wahres Indianer-essen. Wo ihrer mehrere zusammen rasten, da wird oft ein kleines Feuer angezündet; Pilze, im Walde gesammelt, werdeil dann, mit Salz bestreut, in den Kohlen geröstet nnd das schwarze in Scheiben geschnittene Brot auf Stäben über die Kohlen gehalten nnd so gebraten; ist etwas Speck vorhanden, so wird er gleichfalls an ein Holz angespießt nnd mit dein schmelzenden Fett die Brodkruste getränkt. Das ist ein echtes und nicht nnschmackhaftes Slowakenmahl. Rückt der Slowake in ein böhmisches Dorf ein, dann laßt er fein dratowat ^Draht binden) erschallen. Er flickt Siebe und Gitter, Die Unsicherheit und dic fahrenden Lcntc in Vljhincil. i?I1 umstrickt alto Töpfe und arbeitet zierlich und geschickt kleine Ketten aus Draht. Der platte Boden vor der Hausthür ist seine Werkstatt, die kurze, mit Glöckchen vorzierte/ ungarische Wife mit dem brannen Scheumitzcr Thonkopfe sein treuer Gefährte bei der Arbeit, wenige Kreuzer sind sein Lohn. Wohin er anch in Böhmen kommt, er ist beliebt und gern gesehen: selten ist er zu Excessen geneigt, denn die große Sparsamkeit, welche dem Slowaken im allgemeinen eigen ist, bewahrt ihn meistens vor unnützen Ausgaben. Namentlich zur Weih-nachtszeit, weun der deutsche Tannenbanm auch iu der niedrigsten tschechischen Chalupe seinen Vichterglanz durch den engen Raum verbreitet, und der Dorfhirt durch Blasen auf der Schalmei die Gebnrt des Christkindes verkündet, blüht der Waizen der Slowaken. Dann zieht er von Hütte zu Hütte mit feinen Gefährten uud singt geistliche Quartette (Koledagesänge^, die ihm ein Almofeu eintragen. Hat er anf seiner Wanderschaft fünfzig, oder wenn es hoch kommt, hundert Guldeu verdient, dann wandert er wieder heim in feine rauhe, bergige Karpathenheimat, in die armen Gegenden des Trentschiner Konii-tates im nordwestlichen Ungarn. Dort reicht das Ersparte hin, um ein Hüttchen zu kaufen nnd zu heirathen. Geht es ihm in der Folge schlecht oder tritt Miswachs ein, dann zieht er wohl ein zweites und drittes Mal anf die Wanderschaft und läßt Weib und Kind daheim. Aber „zum Stäbe" greift er nicht, denn er geht ohne einen solchen in die Welt. Ist der Zigeuner mit dem kleinen Roß, mit der Geige und den wahrsagenden Weibern durch das Torf gezogen, hat der Slowake sein „dvatowat" (Draht binden) erschallen lassen, dann kommt anderes fahrendes Volk in lichten Haufen herbei. Da ist der Echacherjude, der den Mädchen Bänder nnd Tüchel auffchwätzt, die später gleich Zunder zerfallen; da ist der „Flaschinettlmaun," ll.1ik3 Drehorgel-spieler, mit herzzerreißenden tfchechifcheu Nationalliedern; der Got^ 222 Die Unsicherheit nnd die fahrende» Lmte in Äölnnen, schewer aus Kram, der mit Südfrüchten handelt; der Bierfiedlcr und Harfenist, der in der Schenke die Banern nut wüsten Liedern erfreut, und der christliche Concurrent des Dorfjuden, der „Kast-lilschkarsch" (Kastclmann), eine Art Tabuletkrämer, der seiile Waaren anzupreisen beginnt, die cms allerhand kleinen Culturbediirfuissen bestehen. Er redet Tschechisch, und doch wird jeder Deutsche verstehen, was er anbietet: Fcdermessle, Pomadi, Pleiweisi ^Bleistifte), Schnupf-tüchl, Kravatle, Pfeifki, Zahnbürschtle, Bortwichs n. s. w. — lauter gut tschechische Wörter! Wenn anch der Kastclmann »oieder seines Weges gezogen ist, dann erscheinen die „Komedicmti" um ihre „Knnsti" aufzuführen. Equilibristen kennt man anch bei nns zn Genüge: die Marionetten-spicler jedoch sind in Deutschland selten geworden, nnd ich glanbe, daß dies zn beklagen ist, denn gut aufgeführte, heitere oder ernste Stücke können, anch durch Puppen dargestellt, in gewisser Beziehung dieselbe Wirkung auf das Polk erzielen, wie die große Bühne. Ill Böhmen aber ist der Marionettenspieler noch ein gefnchter uud gern gesehener Mann. Ein als Bajazzo verkleideter Mann durchschritt mit einer großen Trommel die Straße des Dorfes uud theilte nach rechts nnd links Zettel aus, die mit rother Farbe auf graues Papier schablonirt folgende Unterschrift hatten: l)eskü Diwadlo s Figurama! „Tschechisches Theater mit Fig»ren," und dann hieß es weiter in böhmischer Sprache: „Hente wird der Unterzeichnete die Ehre haben, nachstehendes Schanspiel aufzuführen: Doktor Fanst, Drama in 5 Akten. Der Schallplatz ist im Wirthshausc. Der Anfang um 7 Uhr. Wozu höflich einladet Josef Winizky." An ein tschechisches Wirthshaus auf dem Lande darf man keineswegs hohe Ansprüche machen. Die Küche dient gewöhnlich auch als Gastzimmer oder der Kochheerd ist wenigstens so eingerichtet, daß er Die Uusick'crbcit m:0 die fcilncn^m Lcnte in Böhmen, 23'') em Nebenzimmer zugleich heizt, welches für die Gäste bestimmt ist. Dann vermischt sich dort der Dampf des gemeinen österreichischen Tabaks mit den: Dnnste ans den Töpfen der Fran Wirthin, der im Winter als fenchter Ueberzng sich anf den Wänden niederschlägt oder wohl anch in kleinen Bächen herabrieselt. Geräth ein Fremdling zwischen die Arbeiter nnd Bauern, die hier mit italienischen Karten das beliebte „Echestadwacet" (Sechsnndzwanzig) spielen, so kann ihm wohl bei den slavisch-lebhaft gcstilnlirenden Gestalten, welche das Trinken nnd Flnchen gehörig verstehen, etwas ängstlich zu Muthe werden, zumal wenn in irgend einer Ecke des verräucherten Zimmers ein Schwärm Slowaken zusammengekauert liegt, die mit ihren laugen schwarzen Haaren, den breitkrempigen Hüten und der grobwollcncn Bnnda hier Rast von ihrer weiten Wanderung ans den Karpathen machten. Die Hühner des Wirthes lanfen gackernd umher und suchen Brosamen unter dem Tische zusammen. Sie sind in Böhmen wirklich Hausthicre, keine Hofthiere. So war auch das Wirthshans beschaffen, in dein Winizky die Bretter aufgeschlagen hatte, welche die Welt bedeuten. Der ohnehin enge Raum war dadurch zu einem kleinen Stübchen zufammcu-gequetscht worden, und Kopf au Kopf drängte sich das schaulustige Publikum, welches die „Pimperlu", so heißen die Marionetten in Oesterreich, dewuuderu wollte. Ein „Flaschiuettl", Leierkasten, diente als Orchester, und nur nationaltschechische Weisen, wie das dein Liede „Noch ist Polen nicht verloren" nachgebildete Ilc^ ^lovünc! uud das tschechische Fraglied: Xw" (alle ueun). Noch allerhand Zaubereien werden getrieben, bis Faust, der das Eudc seiues Kontraktes herannahen siehl, die Reue überkommt. Mit vielem Widerstreben holt ihm Mesistafcl das Bild des Heilandes aus Jerusalem, vor dem Faust in langem Gebete niederknict. Auf alle mögliche Art suchen ihn Teufel aus seiner Andacht zu schrecken, aber ein N. Andrcc, Tschechische l^ingc, 15 226 2)le Unsicherheit und dic fahrenden Leute in Böhmen, guter Engel steht ihm bei. Da endlich holt Mcsistafel die schöne Prinzessin von Portugalo, und diese bringt Faust wieder aus die Bahn des Lasters. Er verschwindet mit ihr in einem Nebenzimmer, „um ein Paar Tassen schwarzen Kaffee zn trinken". Iin letzten Akte ist die Dienstzeit Mesistafcl's abgelaufen. Achtzehn Jahre sind vorüber, und da der böse Geist auch die Nächte gedient hat, so ist Fanst nm die Hälfte der Zeit betrogen. Nur wenige Stnuden sind ihn: noch geblieben, und schauerlich tönt die Glocke, welche anzeigt, wie die Frist allmählich verrinnt. In seiner Herzensangst verschließt sich Faust iu seiu Studierzimmer und miethet zwei Tagelöhner, kräftige Burscheu, die für ihn wachen uud durch ihre derben Fäuste den Mesistafel zurücktreiben sollen. Dies sind zwei herrliche Rüpel, die den tschechischen Volkswitz repräsentiren uud erst unter sich, dann mit Mesistafel in Streit gerathen. Kaspert ist unterdessen Nachtwächter geworden und ruft die Stunden aus, und' als der Tou der Mitternachtsglocke verhallt ist, da ergreift Mcfistafel den Doktor, während die Wächter eingeschlafen sind, uud sührt ihn in die Hölle. Die Wächter, ergrimmt darüber, daß sie um ihre Bezahlung geprellt sind, lassen ihren Zorn an einem Deutschen aus, den sie kräftig durchprügeln. Dieses tschechische Pnppenspiel ist wiederum ein Beleg dafür, wie tief deutscher Einfluß bei dcu Tschecheu Platz gegriffen hat. Mau braucht es uur uähcr anzusehen, uud mau wird leicht darin ganz den deutschen Jaust erkennen, wenige Züge ausgenommen, wohin z. B. das Durchprügeln des Deutschen gehört, das den drastischen Schluß der Komödie bildet. Gerade so populär ist auch Eulenspicgcl, oder wie sie sagen „Enschpigel", bei ihnen. Anders bei den stammverwandten Polen: Sie haben in: Edelmann Twardowski einen eigenthümlichen Faust mit durchaus nationalem Charakter; er ist ein Adliger uud läßt sich lieber vom Die Nnsick'erhcit und die fabrcndcn Lcutc in Völnncn. 227 Teufel zur Hölle führen, als daß er sein Wort als Edelmann bräche. Die Worte des Satans: Vordum uodiis äebot osso ktaNl^, machen den Widerspenstigen zahm. Anch verkehrt der polnische Faust mit Juden, die unter den Stock-Polen die vcrachtetsten Menschen sind, und dies dient ihm, nach polnischen Begriffen, als würdige Borbereitung zur Höllenfahrt! Die „Pimperln" des Mariouetteuspielcrs csseu und trinken nicht, sie verlangen keine Gage, wie die Vcsatzuug des Thespiskarrens, der zuguterlctzt ins Dorf rückt. Die nationale Muse auf dem Lande zu virbreiten, das ist der Zweck der wandernden Schauspielertruppe, aus welcher schließlich das Natioualtheater in Prag sich zu rekrutiren gezwungen ist. Diese „Meerschweinchen", wie fie in der Theatersprache heißen, stehen womöglich noch tiefer als die ver-waudten Bühnen in Deutschland, sic find die Krone der fahrenden Leute in Böhmen nnd wir machen mit ihrer Aufführung den Schlnß. Eine Schilderung des Elendes nnter diesen Truppen möge man mir erlassen; es ist auch nnr eine potenzirtc Darstellung dessen, was wir bei ähnlichen deutscheu Banden kennen; aber die nationale Muse eines Tyl, Halek, Pfleger oder Neruda hatte stets an Kotzebue, Benedir uud Charlotte Airchpfeiffer gefährliche Concurrcuten. Diese umherziehendcu Schauspieler in Böhmeu, welche in sich den Beruf fühlen, das nationale Drama auch auf dem platten Lande betannt zu machm, siud sicher die allerelendesten unter den zahlreichen Vaganten. Sie machm auf eine gewisse Bildung Anspruch, versuchen sich in den Formen der besseren Gesellschaft zn bewegen, uud thuu sich dadurch eine Art Zwang an, welcher ihren: innern Wesen dnrchans nnangemessen ist. Fortgelaufenc Gymnasiasten uud Kaufmannsdiener, Mädchen von zweideutigem Rnfe und überspannte Seminaristen mit mittelmäßigen Tcnorstimmen gesellen sich zn dem eigentlichen Stock, der aus der zahlreichen Familie des Directors 15* 228 Die Unsicherheit und die fahrenden Leute in Böhmen. besteht. Gewöhnlich spielt mau auf Theilung, fallt der Abend einmal gut aus, dann leben die Leutchen in Saus und Braus, während sie anderseits am Hungertuche nagen. Der Transport der Gesellschaft und ihrer Habe geschieht meist auf requirirten Bauerwagcn von Ort zu Ort. Angelangt, ist gewöhnlich das erste ein Streit mit dem Fuhrwerksbesitzer wegen der Bezahlung der Fahrt. Dann folgen Unterhandlungen mit dem Wirthe, der von den gefUrchteten Gästen Borausbezahlung für die Benutzung seines Tanzsaales verlangt — in Ermanglung dessen manchmal eine Scheuer Zur Einrichtung der Bühne benutzt wird. Nun folgen Requisitionen unter den Einwohnern. Hier braucht man einen Stuhl, dort einen alten Frack, oder gar ein Kind, dessen Eltern am Abend, wenn ihr Sprößling auftritt, dafür Frciplätzc genießen. Zettel werden ausgetheilt, auf denen sorgsam bemerkt ist, daß sie am andern Tage wieder abgeholt werden. Jedes Mitglied der Truppe ist trotz alles Elendes aber für die theatralische Kunst der Tschechen im höchsten Grade eingenommen, und es hat etwas komisches und rührendes zugleich, wenn man diese Leute für das tschechische Theater in Prag schwärmen hört, bei dem angestellt zu werden, das Ziel ihrer höchsten Wünsche ist. Wer fern von all diesem Treiben lebt und nicht das platte Land in Böhmen aus eigener Anschauung kennt, wird, glauben, hier und da fei Uebertreibung mit uutergelaufcn. Er gehe und schaue! Der Zustand der öffentlichen Sicherheit, herbeigeführt durch das Zusammenwirken aller oben angeführten Ursachen, ist eilt grauenvoller, und Abhilfe dringend geboten. Ili« lilwäus, die »altn! möchten wir den Tschechen zurufen. Das ist ein Feld, das auszujäten wäre — eine Arbeit, die mehr Nutzen verspräche, als das Umhertaumeln in der großen Politik, das Aufbauen eines „neuen Factors in der Weltgeschichte." Nationale Kleinstädter. Nachhaltig kann eine nationale oder politische Bewegung nur dann wirken, wenn sie bis in die tiefsten Schichten des Volkes dringt, wenn sie das platte Land «greift, bei dein Kleinstädter und dein Bauern Wurzel faßt. In Böhmen ist dieses im vollendeten Maße der Fall nnd die tschechische Bewegung hat den gesamntteu slavischen Theil der Bevölkerung völlig durchdrungen. Wir haben Gelegenheit gehabt zu beobachten, wie vor etwa einem Jahrzehnt die systematische Bearbeitung des platten Landes in tschechischein Sinne begonnen wurde und nns später dann von dem großen Fortschritt der nationalen Bewegung in den kleinen Städten und auf den Dörfern überzeugt. Ob mau mm nach Rokytzau oder Klattau, nach Piset, Neuhaus, Iitschin oder Iungbunzlau geht und dort den Fortschritt des nationalen Tschechenthums studirt, mau wird überall denselben Erscheinungen begegnen, dieselben Aeußerungen hören. In nationalen Dingen sind die drei Millionen Tschechen einig. Versuchen wir es, ein Gesammtbild der nationalen Zustände zu gcbeu, wie sie iu den kleinen Städten und auf dem Lande sich entwickelt habcu. Man erkennt dadurch am besten, wie breit die Basis des heutigen Tschechcnthnms ist. Wir haben weiter oben angedeutet, wie die iu guter Entwicklung begriffene Blüthe der böhmifchen Städte mit einem Schlage durch die nationalen Stürme der Husiten geknickt wurde. Von jener Zeit an wurde das deutsche Vürgerthum derselben zersetzt nnd vcr- 230 Nationale Kleinstädter. drängt; von jener Zeit datirt auch der schlimmste Feind alles Städtewesens, die Verarmung, und nnr wenigen tschechischen Orten ist es gelungen, durch einc industrielle Thätigkeit sich zu heben. Mit der Slavisirung sind viele der sittlichen Wurzeln der Bürger abgestorben, aber die ursprünglichen Grundformen des Städtewesens nach deutscher Art, der Nath, die selbstgewählte Gemeinde und der periodische Wechsel der städtischen Aemter sind geblieben. Soweit die Industrie nicht vom Bortonunen der Noh-producte im Lande abhängig ist, hat sie in Böhmen ihren Sitz jetzt in drn dentschen Ortschaften und Städtchen aufgeschlagen, während die kleinen tschechischen Städte meist vom Ackerbau leben nnd eben nur Ackerstädtc sind. Bereits S. 148 haben wir auf den Maugel größerer Städte in Böhmen hingewiesen. Hinter Prag, das vcrhält-nißmäßig unbcdentcnd zunimmt, welche Lücke und dann, wie gering ist die Zahl der Städte überhaupt, die zwischen 10,000 und 20,000 Einwohner haben!*) Schon diese Angaben reichen hin, nm ein wenig ^) Tic „großen" Städte Böhmens sind folgende; darunter sind Prag, Pilsen, Smichow, Karolinenthal gemischt; Kuttenbcrg und Kladno ganz tschechisch; Neichcnberg, Budweis, Warnsdorf, Vgcr, Aussig, Teplitz, Lcitmeritz dentsch. Prag ..... 157,275 Pilsen , . . . 23,681 Rcichcnoerg . . '/!2,394 Bndweis . . . 17,465 Smichow , . . 15,401 Warnödorf . . . 14,400 Eger..... 13,441 Karolinenthal . . 13,387 Änttcnberg . . . 12,764 Madno .... 11,066 Aussig .... 10,W3 Teplitz .... 10,174 Lcitmeritz . . , 10,023 Zunahme: 142,5«« 14,68? 14,269 9,412 18,854 3,540 14,811 2,654 l>,147 6,254 11,977 2,423 11,012 2,429 12,048 1,339 12,727 37 5,499 5,567 6,956 , 3,977 6,854 3,320 7,488 2,535 Nationale Kleinstädter. 231 erbauliches Bild von den: Städtewesen eines Landes von über fünf Millionen Einwohner zn inachen, nnd ohne die Deutschen wäre Böhmen noch nicht einmal so weit, es stände anf dem.Standpunkte der übrigen slaviscken Bänder, in denen der slavische Genius, ungetrübt von germanischen Einflüssen, anf die Echaffnng eines Bürgerstandes und Stadtcwesens verzichtete. Slavische Städte gab es im 13. Jahrhundert in Böhmen gar nicht, dies gestehen die Tschechen selbst zu. Itretschet Königinhof. Hndschr. S. 60) sagt, daß es im altcu slavischen Böhmen-wohl Bnrgen und Vnrglente, aber keine Städte nnd Städter gegeben habe. Städte im modernen Sinne sind erst in jenem Jahrhundert entstanden; die städtischen Gemeinden haben damals durchweg aus Teutschen bestanden, neben welchen erst spater nnd nur allmählich das „böhmische" Element Ramn gewann. Die bei alten slavischen ^upenbingen angelegten Städte, Snburbien oder podhradi behielten den tschechischen Namen (so Chrudim, Tschaslau, Leitomischl), die au nenen passenden Stellen gebanten dagegen führten deutsche oder germanisirte Namen: Hohenmanth, ilölu (Kolin), -Bern (Berann). Die Physiognomie der kleinen tschechischen Städte zeigt bei fast allen eine auffalleude Familienähulichkeit. Neste alter Stadtmauern, hier uud da mit Thürmen versehen, nmgcben den kleinen Ort, der gewöhnlich nnr ans dem Ring^ «dem Marktplatze) und wenigen von diesem auslanfeuden Straßen besteht, deren Pflasterung für eine bessere Zeit aufgespart ist. Das noch sehr mangelhafte *) Als Himg'(tsch, rint, poln. ryuct) bezeichnet man durch ganz Böhmen, Ostdeutschland, Schlesien und Polen, den meist kreisförmigen Marktplatz, Das sächsische Städtchen Königstcin an der Elbe hat auch noch einen' „Nina.", wohl den nordwestlichsten in Dentschland, Wnttte zeigt in seinem Stadtcbnchc des Bandes Posen, daß die Marktplätze der deutschen Städte dort viereckig, die Ningc der Slaven aber rnnd ango lca,t waren. 232 Nationale Kleinstädter, Eisenbahnnetz Böhmens berührt die wenigsten dieser mit der Knltur nur in einem fernen Zusammenhange stehenden Nester, nnd meist sind es noch die Post oder der Stellwagen, welche deu Verkehr mit diesen Städtchen vermitteln. Außer einigen Handelsreisenden, die mit den „Gcmischtewaarenhandlungen" des Ortes Geschäfte haben lind den Agenten der Lebensversicherungen, kommt selten ein Fremder in die Gassen des Städtchens, dessen schmalbrüstige Häuser mit hinfälligen Giebeln, überhängenden Dachrinnen und alte Kirchen mit schlasmützartigen Thürmen, einen unbeschreiblich beengenden Einflnß alts jedeu Ankömmling machen. Abends genügen einige trübe Ocl-lämpchen, gerade nm die Finsterniß sichtbar zn machen. Vor den Hänsern oder auf deren Hufraume stehen Leiterwagen, Pflügge, Eggen, welche anzeigen, daß die Bewohner eifrig Ackerban treiben, und im Herbste erklingen mitten im Städtchen lustig die Dreschflegel. Der Name „Ackerbürger" ist für diese Städter trefflich gewählt', sie sind Bauern mit städtischem Anstriche. „Nicht wenige Ortschaften Böhmens, obgleich sie, weil mit einem Stadtprivileginm begnadigt, deu Nameu „Stadt" führen, mußten von der Wahlberechtigung für den Bürgerstand, beziehungsweise die ihm zugewiesene Curie, ausgeschlossen werdeu, weil ihr hauptsächlich in der Landwirthschaft bestehender Erwerb sie dem bäuerlichen Stande näher stellt, als dem bürgerlichen." (Ueber die Vertretuug von Handel nnd Gewerbe im Landtage des Königreichs Böhmen. Denkschrift der Prager Handelskammer 1N6U. 11. ?,.) Ein hartes Urtheil fällt I860 ein national gesinnter Tscheche, Dr. I. Palazky, in seinen „böhmischen Skizzen" über diese Städtchen und ihre Einwohner. „Böhmen hat eine große Anzahl kleiner, seit drei Ichrhundertcu verarmter Städte, die mitunter eine große Vergangenheit haben. Der Vürgerstand ist ihnen aber geblieben, und zwar so, wie er in Europa im Mittelaltcr (??) war, feig, kriechend, Nationale Kleinstädter. ZZI falsch, philiströs, mit allen Eigenschaften des cmancipirten Sclaven, resp. des von der Untcrthänigkcit in die Sladt entronnenen Bauers, während die von Kaiser Joseph angebahnte Reform durch'die Hauptschuten und die deutschen Gewerbeschulen, so wie die Berührung mit deu höheren Ständen in ilnn eine Halbbilduug, ciue Eitelkeit, eine aristokratische Exclusivität erzengten, die sonst dem Vürgerstandc in allen Ländern nicht eigenthümlich sind." „Iu ökonomischer Beziehung gehen diese Städtchen zurück, da sie keine Fabriken gründen, und die Mannfactur stets abnimmt. Als Beispiel ihres beschränkten Horizontes fiihren wir an, daß sie sich eher bestreben, die Eisenbahnen sich fern zu halten, als sie in die Nähe zu bekommen. Man begreift, wie solche Orte Verfallen müssen, die weder durch besoudere Merkwürdigkeiten Reisende anlocken, noch durch lebhaften Handel oder Industrie ihre Bilanz ausgleichen." —-Mau vergleiche obeu S. 15>) Zcrotins Schilderung böhmischer Städtchen ans dem Jahre 1590 uud man wird keinen allzuauf-fallcnocn Unterschied finden. Außer der Gemeindeverfassnng erinnern jetzt nur noch die vielen deutschen Eigennamen der Bürger daran, das; hier einst eine andere Sprache und Nationalität herrschten. Es ist uicht zu viel behauptet, wenu man sagt, daß mindestens ein^ Drittel der Einwohner dieser Städtchen noch denlsche Eigennamen führt, die dann nach tschechischer Orthographie geschrieben werden; so wird aus Dusel, Schnabel, Schmidt, Singer, Rosenbaum, ein Duzl, i>nobl, 6mid, Eingr, Rosipal. Es ist nirgends schneller mit allen Resten des Dentschthmns, die sich dnrch die Bureaukratie uoch erhalten hatten, aufgeräumt worden, als hier, nnd namentlich war man in Bezug auf alles äußerliche sehr stark, wie denn überhaupt das wichtigste Ugitatiousmittel, ja man kann sagen manchmal der Zweck der tschechischen Bewegung, in solchen Aeußerlichkeiten und Demonstrationen Z34 Nationale Kleinstädter, besteht. Es kommt bei allem zunächst anf eine inöglichst nationale Form an, der Inhalt folgt danu später oder bleibt Nebensache. Das Stadtsiegel führt jetzt eine tschechische Inschrift, die Etadtatten werden in dieser Sprache verfaßt nnd daß man nnr tschechisch redet und vorgibt, das Dentsche nicht zn verstehen, ist selbstverständlich. Der Bürgermeister, früher eine konservative der Regierung ergebene Persönlichkeit, ist nun ein Bollbluttscheche nnd schreibt sich nicht mehr „Purkmister", soudcr MPanosta. In dem Maße, wie die kleinen Städtchen zmn „reinen Tschechen-thmn" zurückkehren, in dem Maße verändert sich auch manches an ihrer Physioguomie. Die Schilder an den Häusern der ehrsamen Handwerker waren bis vor kurzem in deutscher Sprache abgefaßt, oder sie lauteten in beiden; jetzt gilt es für eine arge Versündigung, ein deutsches Schild auszuhängen, und der Handwerker, welcher dies wagte, würde sich der Gefahr aussetzen, viele Kunden zu verlieren. Die-Gesellschaft in diesen Städtchen zerfallt in zwei scharf getrennte Gruppen. Zu der ersten, an Zahl geringeren Abtheilung, so zu sagen der limiw volöe, zählen pcnsionirte nnd nicht pensionirte Beamte, Ableger des uugeheuren böhmischen Bcamtenheeres, mit höchst formellem Tone, Stammsitzen im Wirthshanse nnd konservativer Gesinnung. Viele der wohlhabenderen Insassen und pensionirte Ofsicierc schließen sich ihnen an. Ihrer Nationalität nach betrachten sich diese Lente als „Böhmen", d. h. weder als Dentsche noch als Tschechen, sondern als zweisprachige, meist neutrale Menschen, die aber nach den Umständen, wie gerade der Wind weht, auch dieser oder jener Partei angehören können. Wie die Fledermäuse, flattern sie gesinnungslos zwischen Licht und Finsterniß und ernten deshalb mit Recht selten den Dank irgend eines Theiles. Bon der gut tschechischen erbgesesscncn Bürgerschaft werden sie spottwcise als „Frankfurter" bezeichnet, ein Name, der von den deutscheu Parlamcntswahlen im Nationale Kleinstädter. 235 Jahre 1848 her datirt, obgleich diesen Leuten nichts ferner liegt, als der Gedanke an ein dentsches,Parlament in Frankfurt. Der eigentliche Spießbürger aber, Gevatter Schneider nnd Handschuhmacher, der Ackerbürger, der ein paar Strich Feld bewirthschaftet, der Geistliche nnd die Lehrer, das sind die Lentc, welche in der hohen Flut des nationalen Getriebes segeln, welche aufmerksam den Stichworten lauschen, die von den Führern in Prag erschallen. Sie verschlingen die Zeitungen, treiben unendlich viel Bierbankpolitik, versammeln sich im (>tenärsty spolek, im Leseverein, der Beseda, dem Gesangverein oder im Tokol (Falte), dem Tnrnverein. Sie sind die leibhaftigen Karrikaturcn des Prager Tscheckenthums, theilen sich in Jung- uud Alttschechcn und betrachten das demonstrative Zur-schautragcn alles specifisch Slavischen als eine ihrer Lebensaufgaben. Von Kindheit an wurde ihre Phantasie mit Vilderu einer frühern Größe ihres Polkes nnd Landes erfüllt, die mit der nackten Prosa der Thatsachen in bedenklichem Widersprnche stehen; der patriotische Haß wnrde dadurch genährt, der Glaube an ein entsetzliches ihnen angethanes Unrecht und die Hoffnung auf Wiederherstellung des alten Rnhmes in ihnen befestigt. Sie leben so in eiuer andern Welt nnd erstreben Dinge, deren Verwirklichung wohl schwerlich eintreten dürfte. Sie sehen nnr das Unrecht, welches ihnen angethan wurde, von den vielfachen Wohlthaten, welche dasselbe hundertfach überbieten, ist, keiue Rede. Samo uud Prcmysl, Libuscha und andere halbmythische Personen erhitzen ihr Gehirn nnd die Vernichtung des dentschen Wesens ist ihr Iiel, dannt die große Aera slavischer Ge-slttnng und allgemeiner Wohlstand in Böhmen anbrechen kann. Ein wesentliches Stück in dem nationalen Leben dieser Leute ist die neu eingeführte „tschechische Kleid nng". Im ganzen civilisirten Europa ist mau jetzt übereingekommen, die. französische Tracht allgemein al-Z diejenige der gebildeten Stände 236 Nationale ^lciustädtcr, anzuerkennen. Was in Spanien, Italien oder selbst Griechenland von alten Nationaltrachten noch in höheren Kreisen getragen wird, verschwindet allmählich vor Cylinderhnt nnd Frack, die anch jenseit des Oceans eine unbestrittene Herrschaft errungen haben und so als kosmopolitisches Costnmc der civilisirten Nationen betrachtet werden können. Daß diese Kleidung darum gerade schön nnd praktisch sei, wollen wir damit keineswegs behauptet haben. Nur noch fest halten an der alten Tracht in Vuropa, der Bauer thcilweisc, und die weniger civilisirten, namentlich die östlichen Bölker. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß volksthümliche Trachten, wenn sie durchführbar wären, auch ihre gute Seite haben, wie dies der alte Friedrich Ludwig Iahn in seinem „Deutschen Bolksthum" hervorhebt, der seiner Zeit manche ^anze für eine deutsche Nationaltracht gebrocben hat. Doch ist der „deutsche Rock", mit welchem die Studenten 1817 aus die Wartburg zogen, ein todtgcboreues Kind geblieben. „Der Ungar ira'gt seinen Attila, der Pole Konföderatka nnd Tschamarka, und unsere Brüder Serben und Montenegriner geheu i» ihren bunten Kleidern, warum sollen wir Tschechen zurückstehen?" So fragte man sich nnd darum -— eiu Königreich für eine Nationaltracht! Als natürliches Muster hätte sich deu Tschechoslaven am ersten die Hanakcntracht dargeboten, sie lag ihnen am nächsten und ficl iu ihr Stammesbereich, aber grcllroth nnd eiu weiter blauer Mautel darüber, das wäre doch eiu wenig zu auffallend gewesen. Man griff daher nach dem polnischen Muster, das nun leider, wie Freihcr v. Harthausen in seinen: Werke „Tran ska ukasia" gezeigt hat, seinerseits den Tataren entlehnt ist. Der ausübende Künstler, welcher nach diesem tatarisch-polnischen Modell im Jahre 1848 die tschechische Nationaltracht ms Leben rief, war nur ein deutsches Schnciderlein aus dem schönen Rheinlande, dessen Namen Hasfenteufcl den Nationale Älcinstädtcr. 237 germanischen Ursprung nicht verleugnet. Die nelle „originelle" Kleidung ward iu den Zeitungen gehörig ausposaunt, von der In-gend mit Enthusiasmus ergriffen nnd als Erkennungszeichen gegenüber den verhaßten Deutschen getragen. Iu der Bach'schen Reactions-Periode giug das Schueiderwerk wieder schlafe», u>n im Jahre 1860 aufs Neue aufznerstehen. Zu der „erhabenen" Seite der tschechischen Nationalstrebuugen bildet diese Volkstracht gewiß den lächerlichen Revers; denn, umgelehrt wie iu allen audcru Ländern, trägt das eigcutliche Volk sie nicht, sondern nur der tschechische Städter uud dieser auch uur zum Theil. Den: kleinstädtischen Philister, der sich im Copiren Prags übt, tan: aber dieses Geschenk sehr willkommen. Der Hauptbestandtheil der Tracht ist die Tschamara, ein mit Schnnren uud Litzen besetzter Rock; auf dem Haupte sitzt kühn der „slavische Hut" (giovan^ kiobcmk). Soll die Kleidung vollständig sein, so dürfen Stiefeln, die bis an die halbe Wade reichen, nicht fehlen. Mit grimmigem Blicke schant ein solcher „Tschmarist" jeden Deutscheu au, weun er auch selbst Huberte oder Müller heißt, und ans seiner Brusttasche schaut unfehlbar die neueste Nummer der „Narodni listy". Den Anfzug vollendet ein dicker Knüppel, als dessen Handhabe ein eiserner A/kakopf dient. So angeputzt wähnt sich Huberle um mindestens vier Jahrhunderte unter die alten Husiteu zurückversetzt uud denkt daran, wie er in einer neuen Schlacht bei Aussig tausend Deutsche erschlagen will. Ergötzlich bleibt, wenn es, wie auch häufig genug vorkommt, bei einem solchen Manne mit der tschechischen Sprache nicht recht fort will und er plötzlich deutsch Zu reden anfängt. Denn die nationalen Renegaten sind diejenigen, welche sich in einer derartigen Maskentracht am liebsten zeigen. Eine besondere Abart dieses Costumes ist dasjenige, welches die tschechischen Turner tragen. Unter dem Namen „Sokol" (der 238 Nationale Kleinstädter, Falke) haben sich in Prag und vielen kleinen Städten Böhmens Turnvereine gebildet, die, nicht znfricden mit der einfachen Tracht deutscher Turner, sich eine förmliche Komödiantenklcidung schufcu, dercu kundcrbunte Zusammensetzung: Ungarische Tschikoshüte mit Falkenfedern, rothe Garibaldihemden, Pumphosen nnd polnische Stiefeln nicht verfehlt, viele Mitglieder anzulocken, denen es weniger um das Turnen, als um diese Uniformiruug zu thun ist. Alle diese Aenßcrlichkeiten, wozu sich noch demonstrative Leichenbegängnisse, nationale Todtenmcssen u. dergl. gesellen, verfehlen ihren Zweck nicht: des rohen Volkes gedankenlose Masse für die Pläne der nationalen Tschcchenführer zu gewinnen. Das wirkungsvollste und interessanteste Mittel zur Hebung des Patriotismus ist jedoch eine Bcseda. Das Recept zu cincr solchen ist überall das nämliche. Die Besedi sind rein nach der Schablone gearbeitet, nur mehr oder weniger lnzuriös ausgestattet; uamentlich in Prag, wo der Schimmer des großstädtischen Lebens sich über dieselben ergießt. Die Bedeutung des Wortes Bcseda ist ursprünglich eine vielseitige: Unterhaltung, Schmauserei, Casino, Zusammenkunft, dies alles wird dadurch ausgedrückt, jetzt ist jedoch das nationale Gepräge die Hauptsache geworden und ohne dieses kann eine solche musikalisch-deklamatorische Abendunterhaltung nicht mehr stattfinden. Der streng tschechische Anstrich wird in der Ausschmückung des Lokales, in der Kleidung und Sprache der Anwesenden, in den Tänzen und Vortragen, kurz in allem festgehalten, und der Geist der Wenzelskrone schwebt übcr dem Ganzen. In den kleinen Landstädten, wo der Jahrmarkt und die Besedi die einzigen Unterbrechungen im ewigen Einerlei des Lebens sind, nehmen letztere häufig einen karrikirten Anstrich an. „II öoskölw 1v2," — zum böhmischen Len — so heißt das einstöckige Gasthaus des Städtchens, in dem wir einer Veseda beiwohne» Nationale Kleinstädter. 2^9 wollen. Vin gefälliger Bekannter hatte uns gegen einen Papiergulden die Eintrittskarte besorgt, welche uns besagt, daß der Reinertrag des Unternehmens dem tschechischen Nationaltheater in Prag gewidmet ist. An der Thüre des Saales empfingen uns die Leiter der Befcda, Bürgersöhne und Prager Studenten, welche die Ferienzeit dazn be-nutzten, mn hier als nationale Apostel zu wirken. Sie waren alle mit der Tschcnnara angethan nnd Schleifen in den Landesfarben bezeichneten ihre Würde. Auch der Saal ist roth nnd weiß decorirt, die Büsten nnd Bilder nationaler Vorkämpfer der böhmischen Krone heben sich, von Blumen und „slavischen Tricoloren" nmgeben, von der Wand ab. Die Hauptfront des Saales zeigt ciue große Decoration. Iu der Mitte hängt das böhmische Wappen: der weiße Löwe im rotheu Felde. Links davon der roth- und silber-geschachte Adler Mährens, rechts der schwarze Aar Schlesiens. Darunter in Medaillons, nur etwas kleiner, die goldene Mauer der Ober- und der rothe Stier der Niederlausitz, eine Anspielung auf diese Länder der böhmischen Krone, die leider für immer den Tschechen verloren sind. Ueber den Wappen erglänzte die goldene „Wenzelskrone", rings um dieselben bauschten sich mächtige roth-weiße und blau-weiß-rothe Fahnen. Dieser Trophäe gegenüber schaute ans frischem Tannenrcisig lins die weiße Gypsbüste des verstorbenen Journalisten Karel Havlitschek-Borowsky entgegen, der einst den denkwürdigen Ausspruch that: „Lieber die russische Knute als die deutsche Freiheit!" Ihm zu Seiten Rieger nnd Palazky. Wie sollte in dieser Umgcbnng das tschechoslavischc Herz nicht höher schlagen! Sah es doch seine Vorkämpfer dort stehen, leuchteten ihm doch die rotl^weiß-blanen Fahnen entgegen, die ans Gott weiß was für einem Grunde „flavifch" genannt werden! Von nah uud fern drängte sich das Publikum heran nnd opferte seinen Gulden anf dem Altare des Nationaltheaters. Beamte Z4l) Nationale Kleinstädter. und kleine Grundbesitzer aus der Umgebung und die Bürger des Städtchens selbst mit Weib und Töchtern eilten herbei. Was eine Tschamara besaß, der hatte sie sicher heurc angelegt, und eine rothe Halsbinde dazn, mit einem silbernen Löwen als Busennadel darauf. Tie Töchter der ualionalgcsinutcn Bäter erschienen im „slarischeu Mieder" mit Kränzen von frischem Lmdenlaub in den Haaren, denn die Linde ist der heilige Baum der Slaven und „8luvHu8ku, lipa," wird gern im Gegensatz zn „deutsche Eiche" genannt. Ich brauche nicht hervorzuheben, daß die Unterhaltung fast ausschließlich in tschechischer Sprache geführt wurde; in unbewachten Augenblicken kehrte freilich bei manchem das geschmähte Deutsch zurück, aber er verbesserte sich schnell, wenn ihn der grimmige Blick eines Tscha-maristen traf. Der Gesangverein des Städtchens eröffnete nnn mit «neu: nationalen Chor „VIt,lNc>." (die Moldau < die Festlichkeit. Der Strom des Landes ward dariu gepriesen, der, mächtig von den Bergen Böhmens herabströmend, am festcu Wischehrad vorüber braust, von wo einst Libuschas ruhmreich über das Laud herrschte. Jetzt tritt ein Redner auf. Mit „slavische Brüder" redet er die Gesellschaft au. Er preist die Tugenden der alten Slaven und zeigt uns in roseufarbigem Lichte ihre hohe Kultur zu eiuer Zelt, als die Deutschen sich uoch in Bärenfelle kleideten und Eicheln verzehrten. Er beweist, wie ursprüug-lich alles Gute, Wahre und Schöne seinen Sitz im Herzen der Tschechen aufgeschlagen hatte uud wie das, was am Volke noch fehlerhaft und schlecht fei, einzig dem Einflüsse der „eixoxomci" (Fremdlinge, worunter natürlich die Deutscheu zu vcrstchcu sind) zugeschrieben werden müsse. Mit einem ki^va ö68ko-8lovaii8ll6nui ug,i-oclu, Heil dem tschechoslavischen Volke! schließt er den mit allgemeinem Beifalle aufgenommenen Vortrag. Nun folgt eine junge Dame, entschieden die interessanteste Erscheinung des heutigen Tages. Feuer spricht aus Nationale Kleinstädter. 241 ihrem ganzen Wesen und die großen Angen glichen von Begeisterung; alle Bewegungen an ihr sind dramalisch nnd man sieht es ihr an, daß patriotischer Enthusiasmus ihr Nervensystem hebt und aufregt. Die jungen Herren in der Tschamara geleiten sie auf die Bühne nnd nnter ranschendem Applans singt sie Kajetan Tyls Nationallied: lv^? Mäunerchöre und hulnonstische Porträge, in denen die dummen Deutschen den Lachstoff abgeben müssen, beschließen den officiellen Theil der Beseda, die entschieden ihren Zweck erfüllte, belebend auf das Nationalgefühl einzuwirken nnd die Halben und Unschlüssigen zu bekehren. Die nachfolgende gesellige Unterhaltung trennt die Besedalheil-nehmer in verschiedene Gruppen. Während das junge Pulk nach nationalen Melodien im Saale tanzt, ziehen sich die älteren Männer nnd diejenigen, welche Politisiren »vollen, in die Nebengemächer zurück. Dort sind auch einige Agitatoren aus Prag thätig, welche mit der nationalen Gesinnnng des Städtchens noch nicht znfricden, die Leidenschaften zn einer immer höheren Stnfe hinaufzuschrauben bemüht sind. Die tschechische Agitation ist in ein System gebracht, das, wie eine Spinne ihr Netz ansdehnt, sich über das ganze Böhmerland verbreitet, soweit die slavische Zunge klingt. Jetzt beginnt das Bier seine Hauptrolle zn spielen. Einige tschechische Studenten leisten darin ebenso erklekliches, wie ihre dcntschen Kommilitonen. Im Chorns stimmen sie das Volkslied 0 Volvai^! XäM0 8«! Ergeben wir nns nicht!" „Aber wie können Sie mit Ihrem Haß sich nur au die Dentsch-Böhmen allem weuden, die doch ein Theil uusercr Nation sind, nnd wenn er sich äußert, wird doch uuter deu Deutschen im Allgemeinen kein Unterschied gemacht. Sie treten damit zugleich gegen Deutsche land auf, zu dem Böhmen vevuw^ seiner geographischen Lage stets in Beziehung bleiben muß und wird, woranf die Tschechen schon der Lauf der Elbe hinweist, die nicht etwa in den finnischen Meerbusen, soudern in das deutsche Meer mündet." , Natiuualc jUeiustädtcr. 243 „Entschuldigen Sic, wenn ich Sic hier untcrbrcche, fiel mir oer Kaplan ins Wort. Tic haben den Ausdruck „die Tschcchcn" gebraucht; dagegen mnß ich prutestircn. Wir hcißcn „Pöhmcn" und schon anf dcm ersten Landtage (1861) wilrde entschieden, daß wir so und nicht anders gcnannt werden sollen." Ich mnßte hier fchweigen, wenn ich nicht Ungcmüthliche Scenen herbeigeführen wolltc. Denn an dcr Echtheit der Königinhofer Handschrift zweifeln, uder cmcn Tschcchcu bei seinc» wahrcu Namen ucnnen (fte selbst nennen sich öechovc), ist in nationaler Gesellschaft nicht gerathen, da das tschechische Protestnen leicht in Handgreiflichkeiten ausartet. Tadnrch aber, daß die Tschechen „Böhmen" genannt sein wollen (ein Gefallen, welchen ihnen die Deutschen nicht thnn), wünschen sie anzudeuten, daß sie das herrschende Bolk des Bandes und daß ihre Vestrebungen die dcs Landes überhaupt sind. Die Bezeichnung Tschechen, für die slavischen Böhmen in der deutschen Sprache ist übrigens keineswegs neu, gebrauchte sie doch selbst Palazky z. V. in seiller Abhandlung über die slavischen H>olks-stamme in Enropa, die in den „Jahrbüchern des böhmischen Mnscnms" abgedruckt ist. Tort heißt cs S. 83: „Selbst unscrc Czcchcn hießen bei ihnen (den Dcntschen) nur Wenden, bis diesen Namen der eben so unrichtige als gelehrt geographische der Voheimer, Böhmen nach und nach verdrängte." Das war richtig nud vornrtheilsfrei. An dem benachbarten Ttudeutcutische ging es immer lauter und lustiger zu. Ein junger, in Prag stndirender Bulgare, welcher, um an der Beseda Theil zu nehmen, hierher geeilt war, redete in bulgarischer Znnge. Er giug in bulgarischer Nationaltracht nnd trug die Tschubara, die große Mütze alls Schafpelz. Nnr der bulgarische Zopf fehlte ihm, diesen hatte er der Eivilisation zum Opfer gebracht. Ob ihu seine tschechischen Eommilitonen verstanden, wage ich nicht zu behaupten; jedenfalls thaten sie aber so und der junge 10 * 244 Nationale Kleinstädter, Maccdonicr, welcher aus weiter Ferne nach Prag geeilt war, um dort sich slavisch auszubilden, war unter ihnen in seiner Eigenschaft als „ferner slavischer Bruder" eine gerne gesehene Erscheinnug. Als er das Glas ergriff und anf das Wohl des russischeu Zarcu trank, da jauchzte dcr ganze Chorus der Studiosen: ^t'Z^o! Er lebe! Nun war ein ergiebiges Thema angeschlagen nnd dem Pauslavismus wurden Opfer in Gestalt wohlgefullter Bierseidel gebracht. Ein älterer Student behandelte den Gegenstand in würdiger Weise vom literarischen, politischen nnd historischen - Standpunkte. Das Glas hoch erhoben in der Rechten stand er da nnd detlamirte ein Sonett aus Kollars 81g,vi äeci-lr (die Tochter des Rnhmes): O Slavicn, Slavicn, Namen, süßer Klänge Und voll dcr schmerzlichsten Erinnerungen, Zertreten hundertmal, hast anfgennigen Dn stets Dich ncn zn hohrer Ehren Äc'cnqc. Indem ich darüber nachdachte, wo eigentlich dieses geographisch unbekannte „Slavien" liege, stießen die Studenten auf die Monte-negriener, die Serben, die Kroaten, Vnlgaren, Ruthenen nnd andere Kulturvölker an, von denen einst das wahre Heil dcr Welt zn erwarten steht nnd feierten Johann Kollar, dessen Idcen bei ihnen tiefe Wurzeln geschlagen zu haben schienen. Alle diese Aeußerungen sind bezeichnend; sie charaktcrisiren die Stimmung der tschechischen Kleinbürger nnd die Richtung, welche sie eingeschlagen haben. Ihre ganze Thätigkeit concentrirt sich in der nationalen Frage nnd in dem, was damit zusammenhangt. Diesem rpfcrn sie alles oder ordnen ihm alles unter. Nur hierin suchen sie den Fortschritt, weniger in hnndert anderen Dingen, die diesen armen, kleinen Städten unendlich viel nothwendiger wären. Das auf die Spitze getriebene Nationalitätsprincip ist ein barbarisches, wenn ihm Civilisation und Freiheit znm Opfer gebracht werden; denn Civili- Nationals Kleinstädter. 245 sation, Friede und Freiheit sind mehr werth, als jener heuchlerische Nationalismus, der sich über alles andere erhebt, der sich in kciuem gebildeten Staate, sundern nur da durchführen läßt, wo der centra-lisirte Despotismus und die Varberei herrschen. Centralisntcr Despotismus in nationalen Dingen wird jedoch von den Tschechen angestrebt und der Schaden, der hieraus entsteht, fällt auf sie eben so wie auf die Deutsch-Böhmen zurück. Die Zahl der wirtlichen Deutschen, welche in Folge des nationalen Treibens in das tschechische Lager übergingen, ist keineswegs gering. Die Schreibung ihrer Eigennamen nach tschechischer Orthographie macht gewöhnlich den Anfang nnd bereitet so den Deckmantel für den Ueberlänfer. Aus einem „Thiersch" ward erst ein „Tirsch" nnd znletzt ein „Tyr". Das hat jedenfalls die Einfachheit vorcms. Doch ist man, trotz des eifrigen Eopirens der Magyaren, in Böhmen noch nicht bis zu der Uebersetzung oder gänzlichen Umänderung des Eigennamens gediehen. In nngarischen Blättern werden dagegen tagtäglich „mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung" Namensänderungen angekündigt. Die Lächerlichkeit dieser Art Rcißlaufcrei ist für die Tfchcchcu noch nicht angebrochen, aber es fehlt nicht an zahlreichen Renegaten, die häufig nicht einmal ordentlich tschechisch sprechen können, wenn sie auch auf die Deutschen am lantesten schimpfen. Bei den meisten Völkern werden Renegaten mit einer Mißachtung betrachtet, man bedient sich ihrer, wo man sie ge-wanchen kann, allein zu Ansehen gelangen sie selten. Anders bei den Tschechen, die mit offenen Annen die Ueberlanfer aufnehmen, glorisiciren nnd diejenigen in ihren Karyphäenhimmel erheben, die bei uns noch auf einer sehr niedrigen Stufe stehen würden. Ist dieses für die Tschechen selbst ein arges Armuthszeugmß, daß solche Art Lente bei ihnen zn Ansehen gelangen konnten, so ist der Schimpf für die Deutschen nicht minder groß. Gerade in Oester- 246 - Nationale Kleinstädter. reich finden wir leider den Fall sehr häufig, daß wegen äußerer Umstände, ans Eitelkeit, Gewinnsucht, Modethorheit n. s. w. Deutsche zn den weniger cnltivirten Nationalitäten überlaufen. Wir haben oben darauf hingewiesen, daß der tschechische Kleinstädter im großen Ganzen auch heute noch ein zweisprachiger Mensch ist. Aus deu Zeiten, als noch der Schulunterricht dentsch war, ist ihm die Kenntniß unserer Sprache geblieben, doch wendet er sie jetzt nur ausnahmsweise nnd ungern an, er heuchelt, was zum nationalen Tone gehört, gerne, daß er dieselbe gar nicht versteht. Mit einer wahren Wuth geht er gegen alle deutschen Wörter zu Felde und merz», sie aus, wo er nnr kann; er bürgert anch die nenen in Prag crfnndencn Ausdrücke sehr schnell bei sich ein nnd wird dadurch dem Bancrn nnd niedrigen Manne hä'nfig unverständlich. Da jetzt die Schulen rein tschechisch sind nnd die Aemter, wie recht nnd billig, in tschechischen Gegenden nut den Parteien wieder tschechisch verkehren, so gewinnt diese Sprache innerhalb ihres eigenen Gebietes allmählich alle ihr entrissenen Kreise der Gesellschaft zurück. Wie der Flaming denkt auch der Tscheche: „Die Sprache ist das ganze Bolt." Es mag hier der 57rt sein, etwas über die gegenseitige Einwirkung der, beiden Sprachen in Böhmen zu sagen uud diejenigen Dentfchen aufzuklären, die immer noch denken, das Tschechische sei ein untergeordnetes Idiom. Untergeordnet, was Bedeutung nnd Verbreitung betrifft, gewiß; nicht aber was Schönheit und Reichthum der Sprache selbst angeht. Daß sie von geringem praktischen Nutzen für den Deutschen ist, liegt auf der Hand, nnd freiwillig erlernen nur wenige Deutsche das Tschechische. In den Sprachgrenzdistrikten, wo die Nothwendigkeit dazn vorliegt, sind die Deutschen von selbst anf das Erlernen des Tschechi-fchen eingegangen, und hier hilft ein sehr praktisches Mittel allen etwa durch Einsprachigkeit hervorgerufenen Uebelständen ab. Man Nationale Mcinstädtcr. 247 tauscht nämlich die Kinder auf einige Zeit aus; das tschechische Kind, nachdem es seine Muttersprache erlernt hat, wird zu Deutschen des benachbarten Dorfes gebracht, deren Kind dann wieder bei tschechischen Eltern Unterkommen findet nnd deren Sprache erlernt. So kommt es denn, daß au deu Sprachgrenzlinien sehr viele Leute Zweisprachig siud, weuu dies auch iu höherem Maße auf der tschechischen Seite der Fall ist. Ob dies nnn eine Folge der größeren Nothwendigkeit oder mit der den Slaven überhaupt nachgerühmten Fähigkeit, fremde Sprachen leicht zn erlernen, zusammenhangt, lasse ich dahingestellt. Wo so die Nationalitäten miter eiuauder gerüttelt worden find, wie in Böhmen, wu noch hellte dnrch Mischheirathen nnd Aenderung des Wohnsitzes aus einer deutschen in eine tschechische Gegend eine Bcrmengnug und ein Ineinandergreifen der Idiome stattfindet, konnte es auch nicht ausbleiben, daß beide Sprachen sowohl in Bezug anf die Grammatik als anf den Stoff wechselseitig von einander annahmen, wenn dies anch bei der deutscheu Sprache in ungleich geringerem Maße der Fall ist, als bei der tschechischen. Hört man doch oft einzelne Lcnte ein gar seltsames Gemisch reden; sie beginnen einen Satz tschechisch und vollenden ihn dentsch, aber wiederholen das eben gesagte in der andern Sprache. Häufig stellt man die Frage deutsch uud erhält die Autwort tschechisch. Um ein paar Beispiele ans dem Dentschböhmischen anzuführen, die ihren slavischen Ursprung an der Stirne tragen, brancht mau bloß in das praktische Bereich der Küche und der Häuslichkeit eiuzutreten und man wird eine Fülle Slavismcn Heransfinden. Die deutschböhmische Hausfrau kennt keinen Meerrettig, sondern Schmetten (»in^wna), keine Kuchen, sondern Ko latschen (Xoläö), keinen Brei, sondern Kasch (I), kein Pflanmenmuß, sondern Po willen (pmvidiu). Sie trägt anch keine Filzfchnhe, sondern Bätschkoren (daokur), und steckt nicht etwa etwas in die 248 Ncttiomilc Kleinstädter, Tasche sondern iu die Kapsln (Kap8a). Allgemein heißt der Ober-mälzer in der Brauerei Podstarsch, poüztai^i, nnter dem Aelteren, da der Brauer selbst i,«,u «tllr>', der Herr Alte, genannt wird. Der Deutsche iu Prachatitz und Umgebung geht nicht in die Branntweinbrennerei, sondern in die Bi no palen (viuoMwa.) nnd die Zeltner^ gasse in Prag hat nicht etwa von den Zeltmachern ihren Namen, sondern von dm ^ebzeltuern (eail.u^i), wie man die Lebkuchen-backer lcenut. Ein gutes Beispiel für solches Kauderwelsch lieferte iu den vierziger Jahren ein Berauncr Bürgermeister, der, ein Tscheche vou Geburt, sich im Deutschsprechen gefiel nnd einst athemlos in die Gemeinderathssitzung gelaufen kam nnd ansricf: „Die Kaschen ist gepnckt uud ist gauz außer sich!" Er wollte mit diesem unverständlichen Dentsch sagen: Der Röhrbrnnnen (ka^ua) ist geplatzt (puwtti^ und ist ausgelaufen, Uebersetzungen ganz tschechischer Cou-structiomu sind auch nicht selten; so sagt man „das Kind spielt sich", statt es spielt, „es steht nicht dafür", statt es ist nicht der Mühe werth. Man läßt hänsig das Pronomen weg und sagt lon-seqnent „wie meinen?" statt wie meinen Sie? Anch der Artikel bleibt manchmal fort, weil er im tschechischen fehlt. Tonst spricht man unter den gebildeten Dentsch^Vöhmen, namentlich in Prag, ein sehr gutes und reines Deutsch, doch mit österreichischem Austriche. Bei der Erlernung seiner Sprache kommt der Tscheche dem Deutschen ungemein gefällig entgegen. Es schmeichelt ihm, wenn man sich Mühe giebt, fein von Wenigen gekanntes Idiom sich cmzn-eignen nnd er versäumt es nie, alle sich einschleichenden Fehler zu verbessern, ohne dabei iu eine Unart uusres Boltes zu verfallen: über den Fehlenden zu lachen. Er erklärt dem Deutschen, daß seine geliebte Muttersprache durchaus nicht so hart nnd mit Zischlauten überladen fei, wie cs der Rechtschreibung nach der Fall zu sein scheine und daß, wenn wir Deutschen ihm das berühmte 8trö pr«t Nationale Kleinstädter, 249 8iir2 krk (Stecke den Finger durch den Hals), in dem kein Selbst-lantcr vorkonrntt, vorwerfen wollten, es ihm nicht schwer fallen winde, in der dentschen Sprache ähnlich lautende Wörter aufzufinden. Umgekehrt hat ader das Tschechische bei weitem mehr vom Deutschen angenommen und die Maccarouisirung dieser reichen nnd schönen Sprache erscheint oft grauenvoll. Als ein großer Vorzug des Tschechischen muß zunächst angesehen werden, daß beim Bolkc sich nur sehr unbedeutende Sprachverschiedenheiten beobachten lassen, am meisten noch bei den Gebirgsbewohnern, im Rieseugcbirge von Hohenelbe nnd Starkenbach bis gegen Semil und am Böhmerwald, wo bei Taus ein wenig verschiedener Dialekt geredet wird. In früheren Zeiten, namentlich in der heiduischeu Periode, kurz nach der Einwauderung der Tschechen, als diese noch in Dandleber, Netolizcn, Doma/liZen, Lutschauen, Gemüsen, Detschaner, Lutomirizen, Pscho-waner, Charwaten u. s. w. zerfielen, und die Nation noch kein Ganzes bildete, besaß jeder dieser Stamme wahrscheinlich seine eigene Aussprache. Allmählich verschmolzen diese Dialekte mit demjenigen des in der Mitte des Landes angesessenen Hauptstammes, der eigent-lichen Tschechen nnd die hentige Sprache bildete, sich heraus. Auch diese hat seit ihrem Entstehen natürlich vielerlei Wechsel durchzumachen gehabt nnd namentlich in der Orthographie viele Revolutionen erlitten, bis sich zuletzt die hentige, ungemein bündige und klare Rechtschreibung herausstellte. Hus war der erste Reformator der tschechischen Orthographie, indem er für jeden Lallt ein einfaches Zeichen festsetzte. Seine Methode, die später in die gedruckten Werte überging, ist größtentheils hente noch im Gebrauche. Den Schlußstein machte im Jahre 1845) die sogenannte organische Rechtschreibung, wodurch die tschechische Orthographie zu eiuem Muster der Einfachheit erhoben wnrde. Sprache und Schrift stimmen jetzt vollkommen übcrmi. 250 Nationale Kleinstädter. Einwirkungen fremder Elemente, namentlich des Lateinischen und Deutschen, finden wir bereits sehr frühe. Mit der Ansbreitnng des Christenthums durcb deutsche Missionäre, mit Ansicdlung deutscher Gemeinden rückten die fremden Wörter ein und die aus der ältesten Zeit haben sich dermaßen festgesetzt, daß sie trotz aller Reinigungsversuche auch heute nicht aus der Schrift, geschweige denn aus dem Munde des Bolkes zu verbannen sind. Der Eigenname Karls des Großen erschien bei den Slaven bald als Bezeichnung der Köuigs-würde selbst. Die Tschecheu machten daraus durch Verschiebung des l und r ihreu Kral, die Polen Krol, woraus durch Uebertragung bei den Magyaren Kiraly, .Wnig, wurde, wie bei uns Deutschen Kaiser aus Caesar cmstaud. Auch die Slovencn, Kroaten und Numäneu sKrajul) entnehmen die Bezeichnung der Königswürde dem deutschen Namen Karl. Die Ostslavcn dagegen, welcken das byzantinische Cäsareureich näher stand, haben bei sich den Namen Zar eingebürgert. Ans jener ältesten Periode stammen im Tschechischen Wörter wie Mnln-!< Jahrmarkt), M^wi, Büchse, m^wi (Marstall) u. s. w., die alle jetzt noch im Gebrauche siud. Wie Jan Hus gegen alles Deutsche wetterte, so zog er auch gegeu die Einmengung deutscher Wörter zu Felde, indem er sagte: „So wie Nehcmias, als er hörte, daß die jüdischen Kinder halb azotisch sprechen und jüdisch nicht sprechen können, diese deshalb geisselte und schlug, so verdieneu auch die Präger uud andre Tschechen gegeisselt zu werden, daß sie halb tschechisch und halb deutsch reden uud Hautuch für ul»rn8oe sagen, «oro 'Schürze) für lnstörka, kuoäUK (Knödel) für iMka, remälik ^Rcindel) für tr«w2ka, Mnon- (Panzer) für kruu^r, mlMaiL (Marstall i für kanieL, tropk^ (Treppen) für edud^, montlik (Mantel) fsn' plaßtili, hauskuecht für äomovni paolwlok, korman (Fuhrmann) für voxat^. Uud wer könnte vollständig aufzählen, wie sie die tschechische Sprache verderben, so daß ein ordentlicher Tscheche, Ncttwnalc Kleinstädter. 251 der nicht auf solche Weise spricht, sie gar nickt Vorsicht." Trotz dieses Eifers sind hellte noch alle diese Wörter bei den Tschechen gang und gäbe. Eine wahre Sündfluth deutscher Wörter brach aber über die tschechische Sprache nach der Weißenbergcr Schlacht herein, die natürlich noch durch die deutschen, unter Joseph II. eingeführten Schulen vermehrt wurde- Das niedere Bolk begann ein schauderhaftes Mischmasch zn sprechen und namentlich die Handwerker, dic in deutsche Gegenden auf die Wanderschaft zogen und sich ans deutschen Geselten rekrntirten, nahmen für alle Handwerkzeuge u. s. w. deutsche Benennungen an. Piele Gewerbe waren ohnedies erst von den Deutschen bei den Tschechen eingeführt worden und die dentscheu technischen Bezeichnungen blieben daher. Man gehe einmal in eine tschechifche Tischler- oder Schlosserwerkstatt uud frage, wie heißt diefes oder jcues Werkzeug? Der Tischler hat seine „Hobli" und „Mesliki" (Meisel); er macht „Falzi" und „Kistni" oder behobelt (hoblowat) „^ati". Der Schloffer hat seinen „Schroubstock", seine .sttnpna (Kluppe) u. f. w. Man giebt sich von Seiten der Tschechen Mühe, anch hier auf die Sprache reinigend einzuwirkeu uud verfaßt kleiue technische Wörterbücher, in denen die Wörter aber vft sehr weit hergeholt sind uud au einen Campe'schen „Gesichtserker" für Nase eriuuern. So ist es auch in der technischen Sprache der Bergleute der Fall. Der rationelle Bergbau in Böhmen wurde von Deutschen eingeführt uud wohin der deutsche Bergmann kam, er brachte sein „Glück auf!" mit. Auch der tschechische Häuer, Imvi?, abgeleitet von der älteren deutschen Form Hawer (Hauer), grüßt mit Glück auf. Freilich hat man versucht, ihm einen nationalen, aber mcht entsprechenden Gruß (^äa? lmli!) aufzudringen. Immer noch trägt der tschechische Bergmann den deutschen Bergtittel uud das Leder; er 252 Nationale Minstcidter. spricht von Markscheider, Steiger, von Schachten, Stollen, Fahrten, Hunden, vom Liegenden und Hangenden (linti g, Iiauti) mit denselben deutschen Wörtern. Ebenso sind die technischen Ausdrücke im Hüttenwesen fast durchgängig der deutschen Sprache entnommen, nicht minder die Bezeichnungen in der Köhlerei. Die tschechischen Köhler im Walde rücken (rukovat) die Holzklaftern zusammen, schlichten (Miedtavat) den Meiler (mUir) stellen den Quandelpfahl (kvonäls) auf und brennen die Kohlen. Ein Fuhrmann (tm-mau) holt diese ab und fährt sie zur Hütte (Imt,'). Trotz aller Anstrengungen ist es noch nicht gelungen, alles Deutsche zu verbannen. Vom Militär, das in Oesterreich entschieden als eine Vildungsaustalt für viele weniger cioilisirte Völker betrachtet werden kann, bringen die heimkehrenden Soldaten stets wieder einen neuen Borrath deutscher Worter znrück. Jedes deutsche Zeitwort wird durch eiu einfaches Anhängen der Endung owat in ein tschechisches Verbum verwandelt und erregt dann bei den Patrioten und Puristen gerechten Anstoß. In gelinde Anfregnng gcräth aber jeder nationalgesinnte Tscheche, wenn man ihn mit „Sie" (m>i) anredet, eine Unform, die statt der zweiten Person des Plurals Ihr (v^) in: vorigen Iahrhnndert einriß. Der gemeine Mann glanbt jedoch, daß er unhöflich sei, wenn er einen höher gestellten mit „Ihr" anredet. Tschechische Dörfer und Bauern. „Unsere Dörfer sind statt in die ^cinge meist ringförmig au-gelegt, daher sehr beengt, nur die schmale Vorderseite des Hauses, die Bauernstube mit ihren stereotypen zwei Fenstern nnd das Thor gehen auf dcu ^rtsplatz, dahinter kömmt der Stall und Misthaufen, weiter rückwärts die Scheuer; von der freuudlichen Umgebnug eines Gartens oder stattlich schützender Bäume ist keine Spnr. Und erst die Wohnungen der andern Insassen, welche der Name „Chalupeu" am besten keunzeichnet! Auf schmale Streifcheu und Winkeln des Ortsraumcs verbannt, haben sie teiueu Raum für die Dünghaufen, der sammt Schweiuestall und Abort zur Zierde des Ganzen seinen Platz vor den Fenstern findet, die Lebenslust daher uuausgcsetzt verpestend. Noch mehr cckelerregend sind die Tagelöhncrwohmmgcn, sogenannte „Bausken", wo die Menschen schlechter als das liebe Vieh iu einem ordentlichen Meierhofstall untergebracht sind, wo sich mehrere Familien in eine Stube theilen und jeder die Grenze mit Kreidestricheu auf dem Fnßboden angewiesen ist." Diese, wenn auch ein wenig übertriebene, doch im Ganzen wahrheitsgetreue Schilderung der böhmischen Dörfer, finden wir iu Nr. 260 der officiellcu Prager Zeitung vom Jahre 1865. Paßt dieses Bild auch nicht auf alle 12,000 Dörfer Vöhmeus, so trifft es doch bei den meisten, namentlich in den rein tschechischen Gegenden und da, wo der Großgrundbesitz vorherrscht, zu. Jedem, der nnr fluchtig nnd sei es mit der Visenbahn, Böhmen 254 Tschechische Dörfer und Bauern. durchreist, muß der große Unterschied zwischen deutschen uud böhmischen Dörfern auffallen, wenn auch bei uns selbst nach den einzelnen Gauen bedeutende Verschiedenheiten herrschen. Die Dörfer der böhmischen Banern liegen zwischen den weit sich hinziehenden Flächen des Großgrundbesitzes. Aber in so ausgedehntem Zusammenhange, wie wir die Felder der Landbewohner z. B. am Nhein, in Franken, in Niedcrsachsen treffen, wo Dorfschaft an Dorfschaft stößt, fiudeu wir die Ackergründe der Bauern iu Vöh-, men nirgends. Hier und da zeigen sich wohl größere Komplexe, aber im Allgemeinen sind es nnr kleine Gemarkungen, welche der vierte Stand sein eigen nennt. Die Walder, die bei den Dörfern als Gemeindegnt sich befanden, oder im Besitze einzelner Banern, waren, sind meistens abgetrieben nnd zn kahlen Hntweiden oder fruchtbarein Ackerboden gemacht worden. Häufig kaufte sie die benachbarte Gutsherrschaft an, oder tauschte sie gegen ein Stuck Wiese aus. So liegt denn das Dorf inmitten baumloser Felder. Eiu holperiger Weg, roh aufgeschüttet, dem man es ansieht, daß seit Mcnschengedenken wenig oder gar nichts für feine Erhaltung gethan worden ist, schlangelt sich znm Dorf. Tiefe Geleise durchfurchen seine Oberfläche: im Sommer bei Negenwetter stehen Wasserlachen auf dem Wege nnd die langsam dahinziehenden Wagen der Banern versinken bis an die Nabe im Kothe. Im Winter dagegen bietet der gefrorene Schmutz das Bild von Hügeln und Thälern, zwischen denen der grobgeklopftc „Schotter" zur Ausgleichung anfgehänft wird. Die Gruben, die einst an der Seite des Weges sich hinzogen, sind längst verrast oder im ^aufe der Zeit dem Boden gleich geworden. Betrachten wir die Felder, ans denen uns vereinzelte Holzbirnbäume eutgegenblicken. Alle andern Bänme werden niedergehauen, aber diese blieben stehen, so will es die Tradition, denn der Holzbirnbanm war den alten Slaven heilig und deßhalb legen auch Tschechische Dörfer nud Bauern, 255 die Enkel nicht die Axt an ihn, sondern besingen ihn noch in ihren Volksliedern, deren eines beginnt: „Steht im Feld ein breiter Birnbaum". In Polen finden wir dasselbe, auch hier erhebt sich die Krone des Holzbirnbaums aus dem Korn, unangetastet von der Hand des Ackersmannes. Man hat viel Wesens gemacht von der hohen Befähigung des Slaven und namentlich des Tschechen zum Landbau und die Einbildung ist unter ihnen stark im Schwange, als seien sie die Lehrer der Germanen in dieser Beziehung gewesen. Die weiten Flächen des europäischen Ostens ludeu die dort angesessenen Ttaveu allerdings vorzngsweise zum Ackerbau ein, doch daß sie denselben eher als wir betrieben, oder gar unsre Lehrer gewesen, dafür lassen sich keinerlei Beweise beibringen, Eher war das umgekehrte der Fall. Fast die Hälfte des Laudes (428 ^ Meilen) ist bestellter Boden, doch kann man, abgesehen von einigen Domänen der Großgrundbesitzer, nicht behaupten, daß der Landbau auf dev Höhe der Zeit stehe.. Fast durchgängig herrscht nnter den Banern nock die alte Dreifelderwirthschaft und die Brachfelder, welche große Strecken einnehmen, bringen bei deutschen Landwirthen einen sonderbaren Eindruck hervor. Zäh an: Alten hängend, hat der tschechische Bauer dieses System (i'oMi/i genannt" noch nicht aufgegeben, wenn anch in neuer Zeit manche Wendnng zum bessern vorkommt. Wichtig für das Land und den Feldbau ist in tausenderlei Beziehungen der Einfluß der herbeigerufenen deutscheu Colonisten gewesen. Man rief sie in dieses Land vor Zeiten, wie man sie heute noch nach dem slavischen Rnßland ruft, wo sie die Lehrer der um-wohueudeu Baueru werden, zu Wohlstaud gelangen, uud wo ihre Dörfer unter taufeudeu gleich heranszuerkennen sind. Mehr als, zweihundert auf -Mag, -reut uud -grün endigende Dorfnamcu geben uns noch jetzt den Beleg, wie vor der Axt des deutschen Bauern 256 Tschechische Dörfer und Bauern. sich die Urwälder Böhmens lichteten.^) Warum thaten dies nicht slavische Banern in ihrem eigenen Lande? Durch den großen Druck, der auf diesen lastete, waren sie träge und stumpf geworden, sie seihen kein Ziel ihrer Thätigkeit vor Angcn, denn die Früchte derselben sielen dein Herrn in den Schooß. Die angesiedelten deutschen Bauern sah man dagegen in stets wachsendem Wohlstände nnd die Fürsten, Geistlichen und Adeligen verschrieben sic daher zur Gründung neuer Dörfer oder übergaben ihnen Ortschaften, die bisher Slaven inne hatten. Wie es aber bei diesen nnd auf deren Feldern aussah, dafür sprechen alte Quellen. Der Unterschied zwischen der polnischen Bevölkerung Schlesiens und der tschechischen Böhmens war ein nnbe-deutender im Mittelalter, nnd Schlüsse von der einen auf die audere sind vollkommen gerechtfertigt. H'on der Gründung des Klosters Leubus in Schlesien (1185^ erzählt ein Chronist: „Als die Mönche nach Lcnbus kamen, fanden sie das Land in einem erbärmlichen Zustande; das waldige Gelände lag unbebant, denn die Bevölkerung war arm und auch wenig arbeitsam. Mit einem hölzernen Haken ohne Eisen, gezogen von zwei Kühen oder Ochsen, durchfurchte der Bauer den sandigen Boden. Städte fand man im ganzen Lande ^! Wir können es mit Stolz hervorheben, daß die Dcntsclicu überall unter den Slaven stets die Kultur vertraten, daß außer Handel und Gewerben auch die Landwirthschaft von ihucn wesentlich gefördert wurde und daß sie überall, die Lehrer der Slaven wurden. Alle deutschen Colomsten, die zu Tauseudcu durch Rußland zerstreut lebeu, sind jedesmal ohuc Frage den Russen weit voraus. Ueber die deutschen Mcnnouiteu au der Mo-lotschna in Südrußlaud sagt A, Pctzholdt in seinem vortrefflichen Werte „Reise im westlichen und südlichen europäischen Ruhland": „Iu ganz Rußland cxisiirt lein Landstrich, wo im Ganzen eine so hohe gleichmäßige Kultur des Bodens uud der Bevölkerung herrscht wie hier. Die Mennouitcn können dem Gouvernement als Maßstab, allen russischen Vollern aber als Muster dienen, wie weit man es mit Fleiß, Sittlichkeit und Ordnung bringen kann." Tschechische Dörfer und Bauern. 257 nicht, sondern nnr Burgen, vor denen bei einer Kapelle Markt gehalten ward. Das Volk hatte kein Salz, kein Eisen, weder Geld noch Metalle, trug cine ärmliche Kleidung nnd trieb fast ansschließ-lick Weidewirthschaft!" Ein armseliges Volk muß das gewesen sein und wie grell contrastirt diese wahre Schilderung mit dem farbenprächtigen Gemälde einer hohen Knltnr, das nns slavische Schriftsteller mit reger Phantasie ans jener Zeit vormalen! Die deutschen Banerncolonicn, sagt A. Schmalfnß, wirkten in materieller und socialer Beziehung höchst wohlthätig auf Böhmen. In materieller, weil sie wahre, Mnsterwirthschaften fiir, die slavischen Nachbardörfer waren. Ein Hanptunterschied zwischen der bei den Slaven üblichen Bodenbearbeitung gegenüber der deutschen war schon durch di^ Acker- und Bodcnbearbeitnngs Instrumente begründet; der Deutsche arbeitete nämlich mit cinem schweren Pflnge, der Slave mit einem leichten Haken. ' Soweit Deutschland nnd deutsches ?eben sich erstreckte, war der Pflug das Werlzeng zur Bestellnng der Aecker. An diesen: befand sich eine eiserne Schar, eiu Name, welcher in lateinischen Urkunden als deutsche Bezeichnung erwähnt wird lMl-i-luncntÄ m^Uri. cinao vooauwr 8W,r.) Der dentsche Feldbau unterschied sich vom slavischen eben darin, daß der dentsche Baner mit dem Pfluge jedeu, auch den schwersten Boden tiefer zu bearbeiten nnd vollständiger zu wenden im Stande war, während der Slave mit seinem Haken nur leichten Boden seicht durchfurchen konute. Hieraus ist es anch erklärlich, warnm die Slaven nur die Gegeuden mit leichtem Boden aussuchteu nnd alle Landstriche mit bindigem Boden als Weideland liegen lassen nuchten. Es ist kein Zufall, daß sie allenthalben >>twa die Karpathen ausgenommen) die Gebirge mieden. Von tschechischer Seite wird augeflihrt, daß an dem Znstande der Landwirthschaft die alten socialen Uebelstände, der große Steuer- R. And,-?>.', T'äicckiM Ocin^c. ^ 258 Tschechische Dörfer und Bauern. druck, der Mangel an Belehrung Schuld sei. Ganz recht. Aber man setze hinzu, dasselbe ungünstige Verhältniß war auch in Deutschland der Fall uud doch trat diese Ueberflügeluug ein. Schon im Jahre 1773 wurden durch ein königliches Patent viele basten des Landvolkes gemildert, namentlich die unverhältnißmäßigen Frohn-dicnste. Doch der tschechische Bauer, welcher nun glaubte, aller Pflichten gegen die Obrigkeiten los und ledig zu sein, begann nn-ruhig zn werden. Bewaffnete Banden durchzogen plündernd das Land und kamen bis vor die Thore Prags. Dcr Aufstand mußte durch Militärgewalt gedämpft werden und die Rädelsführer wnrden hingerichtet. Joseph II. hob endlich im Jahre 1781 die Leibeigenschaft in Böhmen gänzlich anf. Im Manifeste vom 1. November erklärte er den böhmischen Ständen: „In Erwägung, daß die Aufhebung der Leibeigenschaft nnd die Einführung einer gemäßigten Unterthänigkeit, nach Art jener in unseren österreichischen Erbländern, den vorthcilhaftesten Einfluß anf die Hebnng der Landwirthschaft nnd der Gewerbe hat, nnd da Perstand und Menschenliebe dicfe Veränderung anrathcn, haben wir beschlossen, die Leibeigenschaft von nnn an anfznheben und an ihrer Statt eine gemäßigte Unterthänigkeit einzuführen." Das war der große Schritt des Kaisers Joseph, den die Tschechen doch anderweitig sehr grain find. Ein national gesinnter Schriftsteller sagt von der Aufnahme, welche diese That beim Landvolke fand, folgendes: „durch die lange, starre Knechtschaft war der tschechische Landmann geistig so hcrabgekommen, daß er die Tragweite dieser Aenderung in seinen rechtlichen Verhältnissen kanni begriff, und im Aberglanben verfnnken, hatte er keinen Sinn für angemesfene Verbesserungen, jede Nenernng verwerfend, verharrte ev tieber beim beqnemen alten Herkommen nnd bei der Art, wie sein Vater und fein Großvater znr Zeit des tiefsten Verfalles des bö'h-miscken Ackerbaues gewn'thschaflet hatten." Mit dem Jahre 1848 Tschechische Dörfer u»d Bauern, Is>e) ward der letzte Rest der Untcrthä'nigkeit des böhmischen Bauers anf^ gehoben nnd die Grnndcntlastuug durchgeführt. Der Baner ward vollständiger Besitzer seines Grundstückes, von der Patrimonial-gericktsbarkcit befreit nnd in rechtlicher Beziehung seiner vorigen Obrigkeit gleich. Das Robotten hörte auf und der freien Entwicklung stand nichts mehr im Wege. Jedenfalls ist der Landban jetzt im Stadiuni des Anfschwungs begriffen, wozn landwirthschaftliche Zeit' schriften und Schulen das ihrige beitragen. Erwähnt muß werden, daß die erste „Bauernschnlc" nnd zwar in einer tschechischen Gegend, ein Deutscher, v. Schöltfeld, auf feiuem Gute Trnowa bei Beraun im Jahre 17!)1 eröffnete, „um den unglücklichen Eltern und Kindern mit etwas zu Hilfe zu kommen, wodurch diese ihr künftiges Leben verbessern und ihr Brod leichter verdienen könnten." Die Anstalt ging nach einigen Jahren wieder ein, denn der Bauer hatte keinen Sinn für den Unterricht, weil die Nachwehen der Leib-eigenschaft noch zu sehr anf ihm lasteten; er fühlte sich jetzt viel behaglicher und hatte darum gerade am wenigsten Verlangen, sich oder seine Kinder dnrch Unterricht zn plagen. Doch sehen wir uns in den Dörfern run und beobachten wir den Baner dort. Nahe beim Dorfe finden wir wenig Bäume, nichts von einem Garten, kein Blnmenbeet ist zu seheu. Freude an Blumen scheint der Tscheche nicht zu haben; er pflegt sie wenigstens nicht nnd schmückt nur in dm seltensten Fällen das Sims seines Fensters damit; doch im Volkstiede da blüht Rosmarin und Veilchen, oft in zarter sinniger Weife. Aber der Hausbesitzer zeigt doch auf seinen Garten (Zahrad), es ist ein wüster eingehegter Grasplatz, anf dem einige Pflaumen-bäume stehen; die Umzäumung soll aber nnr die zahlreiche Gänse, hcerdc zusammenhalten, welche uus beim Eintritte mit lantem Gefchnatter empfängt. Am Eingänge des Dorfes steht ein mit den kaiserlichen Farben 17" 260 TsckMiscbc Dörfer und Baucni. angestrichener Pfahl, der eine Tafel trägt, welche oben in deutscher, nuten in tschechischer Sprache den Namen des Ortes u-ns verkündigt. Dabei ist noch bemerkt, welches K. K. Regiment hier seinen Werbe-bezirk hat. Wir treten ein; tier Weg wird womöglich noch schlechter, da er als willkommener Abladeplatz für allerlei Schutt beuntzt wird; die Düngstätten liegen dicht an ihm und ergießen bei Regenwetter ihren werthvollen Inhalt als brauner Strom über die Straße; große Steine in der Mitte hat man liegen lassen nnd die Wagen fahren nm dieselben herum, denn an die Entfernung derselben denkt Niemand. Die Mittagsglocke läutet nnd die Kinder kommen mit Fibel und Schiefertafel bewaffnet aus der Schule gesprungen. Die blonden Haare, die blauen Augen der meisten lassen uns kaum einen äußerlichen Unterschied mit deutschen, Kindern gewahren. Sehen wir aber uäher zu, daun erscheint uns das Blond der Haare wie mit Gelb durchsetzt, es hat nicht die ins bräunliche gehende Abschattirung des germanischen Blond. Die ganze Schaar der Kinder drängt sich an den fremden „Pan" (Herr) heran nnd wie auf Befehl ertönt gleichzeitig aus aller Munde: ?oo!» valcil !,,>8t triumviratu«! Tschechische Dörfer nud Vancr». 36!t Die Kirche ist gedrängt voll; sic ist ja auf dem ^ande der einzige ^rl, wo uian sich allwöchentlich in hübschen Kleidern versammeln und gegenseitig betrachten kann. Sie ist die Kleidnng des tschechischen Bauern beschaffen? Bon einer Volkstracht finden wir bei ihm leine 3pnr. Der Baner oder Arbeiter schreitet in einein schlecht gemachten städtischen Rocke einher, der ihm wie ein, übergeworfener 3ack sitzt. 5ie Frauenzimmer tragen leichte Kattnnrö'cke in grellen Farben — mit Reifen darnnter: „Onn ,na i^t", fie trägt einen Reif, heißt es. Ueber den Kopf ist kleidsam ein bnntseidenes Tnch gebunden, dessen Zipfel in den Nacken herabhängen. Der Mangel aller eigentlichen Nationaltracht muß uns in Böhmen nmsomehr auffallen, als gerade die slavischen Völker mit einer gewissen Zähigkeit an einer solchen hängen. Die Wenden der sächsischen nnd preußischen Lausitz, die gleich den Tschechen mitten unter Deutschen wohnen, haben sick ihre Tracht bewahrt, dergleichen die germanisirten Altenbnrger. Auch in Mähren treffen wir bereits wieder auf eigenthümliche Volkstrachten nnter den dortigen Slaven, ebenfo zeichnen fich die deutschen Sta'mmchen in Böhmen, im Egerlaude, bei Pilsen, im Böhmerwald n. s. 10. durch eigene Costume ans. Umsomehr mnß gegenüber diesem Mangel einer Nationaltracht beim Landvolk, wo solche doch zu snchen wäre, die künstliche Einführnng derselben bei den tschechischen Städtern anf-fallen. llnter den 3)tädchen finden wir sehr viel hübsche Erscheinungen; doch auch hier läßt sich ein bestimmter Typns nicht feststellen. Während manche ganz blond germanisch, ja fast fcandinavisch erfcheinen, tritt bei andern im grellen Gegensatze ein ganz südslavisches Gepräge hervor, schwarze blitzende Angen, schlank gestreckte oder gebogene feine Nase und dnnkler Teint. Man hat das hübsche Aeußere der böhmischen Mädchen, das übrigens allseits anerkannt wird, aus eine Vermischung zwischen dem slavischen und deutschen Blute schieben wollen. 2<^4 Tschechische Dörfer und Bauern, Möglich, daß dem, so ist. To hübsch und angenehm auch der Eindruck der tschechischen Mädchen im allgemeinen auf uns ist, so unangenehm und fast widerwärtig sind die Weiber. Die Blütezeit des weiblichen Geschlechtes ist mit zwanzig Jahren schon vorüber nnd nach dem ersten Kinde erscheint manche, die uns vor kurzem noch im ^ollgennß der Jugend elastisch entgegentrat, als verkümmerte Matrone. Eine frische kräftige Gestalt nach dem dreißigsten Jahre gehört unter den Frauen zn den Seltenheiten. Um die Bauern in ihrem häuslichen Leben kennen zn lernen, wollen wir in, eines der Hänser eintreten nnd nicht etwa zu einem der vielen Tagelöhner, sondern gleich zum Gemeindevorstand. Da ich an den Mann gut empfohlen bin, so empfängt er mich frenndlich nnd mit jener Gastlichkeit, die dem Slaven im Großen nnd Ganzen eigen ist. „Schön willkommen, küß die Hand" lautet die Anrede und nun treten wir in das Zinnner ein, über dessen Stnbenthür die Buchstaben K 1' N 1' N nns die 'Namen der heiligen drei Könige anzeigen, welche probat gegen allerhand Hexen nnd Unholde sind. Der Gemeindevorstand, welcher sich zu mir fetzt, erkennt sogleich an meiner Aussprache des Tschechischen den Deutschen in mir nnd fühlt sich nun verpflichtet, sein nationales Glaubensbekenntniß abzulegen: daß er nämlich ein gnter Tscheche sei. Die Lente sind gut eingepaukt nnd das so rege gemachte Nationalgefühl,' das tiefen Eingang im Bolle gefunden hat, ist keineswegs zu unterschätzen. Fast jeder Baner kennt einige Thatsachen aus der reicheu Geschichte seines Landes, er weiß, daß Böhmen einst mächtiger nnd größer war nnd daß die Schlacht am weißen Berge all' die Herrlichkeit vernichtete. Wiediel bei dieser Kenntniß geschichtlicher Begebenheiten anf Rech^ uung der Tradition kommt nnd wie viel durch Geistliche, Lehrer und Studenten in Umlauf gefetzt wird, weiß ich nicht zu entscheidcu. Daß Tschcchisckc Dörfer und Vanern. 265 der tschechische Bauer jedoch in dieser Hinsicht den Deutschen voraus ist, darf keineswegs geläugnet werden. Ich habe Gelegenheit, den Heren Gemeindcvorstand noch von einigen Seiten kennen zu lernen, die überhaupt bezeichnend für den Tschechen sind. Es ist drückend heiß in der Stube, deren kleine viereckige Fenster durch das überhängende Dach ganz verfinstert werden. Wir treten deshalb hinaus anf die Pawlatsche, an welcher die Straße hinläuft. Der blonde kleine Sohn meines Wirthes ist schnell in die Schenke gelanfen, von wo er eine Halbe (holba) leidlich gnten Biers herbeibringt. Der Alte stellt einen Teller mit Salz nnd eine ^aib Brod vor mich hin, zn dem er das nationale Schnappmesser, die Kudla, legt. letztere hat eine fast dreieckige Klinge, die in einem kurzen, rund gedrechselten Stückchen Holz von gelber Farbe sitzt. Weiter kann mir der Mann an Speisen nichts vorsetzen, denn anßer 'Kartoffeln nnd Mehl hat er nichts im Hanse. Gewöhnlich ist die Kost der Lente sehr einfach nud Mehlspeisen herrschen vor. Dahin gehören die Dalken, die Liwanzen, die Knödel (Knedliki) und die Buchteln. Auch die Kartoffeln finden natürlich ihre großen Verehrer. Sie sind dem Tschechen unter drei Namen bekannt. Einmal als „erdeple", ein Wort, das seinen süddeutschen Ursprung keineswegs verlauguetj dann als „brambory", eine Bezeichnung welche an Branibor, Brandenburg erinnert, von woher wahrscheinlich die ersten Kartoffeln nach Böhmen kamen. In der uenesten Zeit hat man endlich den Ausdrnck „zemrata" fabricirt, um das anrüchige „erdeple" zu verbannen. Schnaps von: Dorfjuden und Bier aus der Schenke machen die gewöhnlichen Getränke des Bauern ans. Kommt aber die Kirchweih oder sonst ein Fest heran, dann wird eine Ansnahme von dein gewöhnlichen Hungerleben gemacht; dann wird der Hühner-Hof ausgeschlachtet und Ko latschen in stannenswerther Menge gebacken. Dies sind die nationalen rnnden Knchen mit Käscquark, 266 Tschechische Döner und Bcmcni, welche mit dem vollsthülnlichen ^eben der Tschechen eng verwachsen sind und bei keiner feierlichen Gelegenheit fehlen dürfen. Ein wesentliches Erfordermtz ist, daß diese Kuchen mit Safran schön gelb gefärbt sind. Auf dcm Tische fehlen anch Mohnkuchen nicht, die allen slavischen Bölkcrn eigen sind nnd sich in Schlesien als „Mohn-striezet" noch ans der slavischen Zeit erhalten haben. Ein anderes Gebäcke sind die rohlieki, Hörnchen. Doch zurück zu uuserm Bauer, der jetzt im Gespräche mit einem gerade vorübergehenden herrschaftlichen Förster begriffen ist. Er hat die Mütze abgezogen nnd begleitet jeden Satz mit einer Verben-gung; wohl ein Dutzend mal läßt er die Ausdrücke „gnädiger Herr Förster" nnd „ich küsse unterthänigst die Hand" folgen; er zerfließt vor Ergebenheit und bittet himmelhoch um die Neberlassung von etwas Waldstren für sein Vieh. Aber diese Unterwürfigkeit ist eitel Heuchelei. Kaun: ist der Mann mit dem grünen Rocke verschwunden, so schimpft er auf ihn, dann ist er „verdammt", „verflucht", oder gar eine „Juden-feele", ein Dieb (ta^kar). Es ist kein hübscher Zug des tschechischen Volkes, dieses Schmeicheln nnd kriechen vor den: Gesickte, diese Falsch-heit hinter dein Rücken, und doch ist sie so hänsig, wie die Mißachtung vor fremden Eigenthum, die Verwechselung der Begriffe von Mein uud Dein. Mau hat ein Tprüchwort: Gebiert eine tschechifche Mntter einen Knaben, so legt sie ihm eine Geldbörse uud eiue Geige in die Wiege. Greift er zur ersteren, fo wird er ein Dieb, znr letzteren, ein Musikant. Das ist bezeichnend uud auch fönst giebt es uoch ähnliche Aussprüche, welche alle auf deu geringen Respect vor dem Eigenthum hinweisen. Eine gewisse aneignende Handbewegung heißt allgemein „böhmischer Zirkel". Das Handküssen ist in Böhmen durchgängig Sitte uud theilweise vou den Deutschen adoptirt worden. Kaum kann das Kind laufen, fo wird es schon dazn angehalten, nicht nur feinen Eltern Tscheclnscke Dörfer und Baucni, 287 „nd den: „geistlichen Herrn" die Hcmd oder deli Rockärmel zu küssen, sondern es muß auch unaufgefordert jeden: „Pan" dies thun. Das bleibt dann durch das ganze Leben hängen und verleiht den Leuten einen starken ^ug von Kriecherei und Unterwürfigkeit. Es inacht einen höchst widerwärtigen Eindruck, wenn man alte, grauhaarige Männer ganz juugen Leuten, nur weil ste aus höherein Stande sind, die Hand küssen sieht. Hierin ist der Böhme echi slavisch und macht es wie sein polnischer Bruder, der vor jedem Höheren ans die Kniee fällt: .In j»lu^nn äo ,lu^. Nehmen wir hierzu noch eine gewisse Prahlerei, eine Neigung zur Eitelkeit und zum Großthun, so haben wir die Schattenseite dieser Bauern hervorgehoben, der gegenüber die guten Eigenschaften nicht verschwiegen werden dürfen. Der tschechische Bauer ist arbeitsam uud fleißig, namentlich dann, wenn er einen unmittelbaren Gewinn vor sich sieht. Im andern Falle, wo die Früchte erst iu der Ferne winkeu, ermüdet er leicht uud giebt die Thätigkeit auf. Das häusliche Lebeu uud die Ehen verlaufen meist ungetrübt. Gegenüber dein Druck, der auf ihm tastete, und der wohl hauptfächlich die oben erwähnten Schattenseiten seines Charakters entwickeln half, bei der Bcamtenwilllür, die er zu ertragen hatte und bei der äußerst geringen und ungenügenden Sorgfalt, welche auf seine geistige Ausbildung verwendet wnrde, müssen wir uns wundern, daß cr überhaupt noch so dasteht, wie er uns jetzt erscheint. Seit dem Jahre I860, seit der Zeit, daß der Bauer in Fluß gebracht wurde, sehen wir bei ihm fast mit einem Schlage eine mächtige Umwandlung, die sich zunächst iu der lebhaften Aeußerung des Nalioualgefühles kuud giebt. Einige Baueru, bei denen die Ideen ans dem Jahre 1848 noch wach waren, nnd die das Gefühl für die Naiioualität der Tschechen noch fest in ihrer Brnst bewahrten, befaßen wohl noch Bücher uud Schriften, aus denen sie sich über politische uud gefchicht- ^ 268 Tschechische Diw'er und Bcmcrn, liche Verhältnisse ihres Landes nnterrichteteu. Die zündenden „Kntten-berger Episteln" des Ionrnalisten Kart Hawlitschek hatten sich handschriftlich noch hier nnd da erhalten und umrdeu neben dem Herbar, deni strältterbuche, gelesen, das allerhand medicinischen Aberglauben verbreitete, su etwa, wie er in Paulis „heilsamer Dreckapotheke" vorkommt. Sind diese Art Schriften anch noch nicht ganz verbannt nnd werden sie anch noch einige Zeit fort czistiren, so ist doch seit dem Jahre I860, seit die bis dahin uuvernünftigerweise unterdrückten tschechischen Journale eine weite Verbreitung unter dem Landvolke gewonnen haben, ein bedeutender Umschwnng bei den> Bauern eingetreten. Die Narodni listy, das bedeutendste tschechische Blatt Prags, sind eine Macht geworden und die in dieser Zeitung den Banern m Bezng auf Landtagswahlen u. ,s. w. gegebcueu Rathschläge werden meistens wie auf Commando befolgt. Der Anstoß, welchen diese mit lateinischen vettern gedruckten Blatter anfangs erregten, ist bei der jüngeren Generation nicht mehr vorhanden; sie tennt bereits di' neue Orthographie uud die lateinischen Lettern, was bei den älteren Renten nicht der Fall ist. Man nehme zn dem Eiuflnsse dieser Blätter auf die Baueru, das nationale Wirten des Geistlichen und der Studeuten, die während der Ferien gleich Aposteln auf dem platten Lande umherziehen und im tschechischen Sinne wirken, und man wird zugeben müssen, daß nach der volksthiimlichen Seite bei den Bauern jetzt mehr als znviel gethan wird. Die Früchte dieser Bestrebungen zeigen sich bereits. Einmal in Gähruug und Fluß gebracht, bildet der tschechische Bauer entschieden eine Macht, wie die Husitenkricge gezeigt haben. Ob diese Macht jedoch, unsern modernen Verhältnissen gegenüber, wenn sie einmal znm Anftreten gelangen follte, von sotcher entscheidenden Wirksamkeit sein kann, wie im fünfzehnten Jahrhundert, möchteu wir stark bezweifeln. - Tschechische Dörfer mid Bauern. 269 Eine hnbscke 3eite der Tschechen ist auch ihre Musik liebe. Wenn wir uns in den Baueruhäusern naher umsehen, so fällt es auf, in den meisten derselben ein Mnsikinstrumeüt zu finden; bald hängt eine Geige, eine Klarinette oder ein Flügelhorn an der Wand und ein, oder mehrere Mitglieder der Familie haben es zn einer gewissen Fertigkeit auf den verschiedeueu Instrumenten gebracht. Fast iedcs Dorf hat seine eigene, aus Einwohnern bestehende Musikbande, die bei Tanz und Hochzeiten anfspielt und die ausgezeichneten österreichischen Regimentskapellen rekrulircn sich bekanntermaßen auch meistens ans Böhmen. Nennt der Landbewohner weiter nichts mehr sein eigen als die Geige, so nimmt er sie und zieht, begleitet von einigen Kameraden, hinaus ins Land oder weit in die Ferne, nm mit dem geliebten Instrument sich seinen Unterhalt zu gewinnen. Diese Musikliebhaberei ist beiden, den Böhmen deutschen und slavischen Stammes, eigen. (5s ist anffallend, mit welcher Leichtigkeit sie oft mehrere Instrumente handhaben, und wie dies ihnen gleichsam von Ingend auf angeboren ist. Einen Begriff von der weiten Verbreitung der Musikliebhaberei in Böhmen kann man sich wohl ant besten danach machen, daß von 100 zum Militär eingestellten Rekruten in Böhmen drei ein Instrument zu spielen verstehn. Der Tsckechc ist jedoch nicht nur ausübender Musikant, er ist auch ein trefflicher Tanger, der, ans dem ureigensten Wesen seines Volkes heraus, herrliche Weisen zu erfindeu vermag. In der Brust des tschechischen Volkes liegt ein tiefer '"uell schöuerVolkslieder, die, meist nach schwermüthigen Melodien gesnngen, eineu vorzugsweise slavischen Stempel tragen und sich den Liedern aller andern Völker dreist an die Seite stellen können. Diese Lieder, geboren vor Zeiten im Schooße des eigentlichen Volkes, nicht erfunden von Einzelnen, sondern hcraus-gefchaffcn gleichsam aus der Gesammtheit, wandern noch heute von Mnnde zn Mnnde, aus der Hütte iu den Palast, ans dem Kreise 270 Tschechische Dörfer und Bauern, dcr Burschen und Mädchen im Dorfe in die Concertsäle Prags und anderer Städte. Von Altersher schon sind die Tschechen ein sang- nnd musikbegabtes Volk. Noch eMiren sehr alte Koledalieder; das Wenzelslied erwähnten wir schon, aber fast noch berühmter als dasselbe ist das sogenannte Adalbertslied IIo«i>o<1iiiL iwinil,,^ u^, ein altes kyrillisches Volkslied, das mit Unrecht den: heiligen Adalbert zugeschrieben wird. Es ist lieblich und anmuthig, einfach und doch von innerer Glnt durchweht. Unbezweifelte Nachrichten sagen, daß dieses Lied vom Volke bei wichtigen Veranlassungen gesungen wurde; so im Jahre 1039 an: Grabe des heiligen Adalbert, 1055 bei der Wahl Herzog Spitinhews II. und I^l',0 in der Schlacht von Kroissenbrunn. In späterer Zeit mehren sich natürlich Composition und bieder, die lins erhalten sind. Im 13. Jahrhundert finden wir an den böhmischen Königshöfen eigene Tanger oder Improvisatoren, welche Pösnotvoi-hießen; sie sangen bei Festlichkeiten ihre Gedichte oder recitirten Lieder; wo es lustig herging, da fehlten die Sänger nicht. Später, in der hnsitischen Zeit, nahm der Gesang der Böhmen einen vorwiegend religiösen Charakter an, wie noch mehrere ans jener Epoche erhaltenen Lieder beweisen. So setzte Johann Hus ein Ztadat mater (Stäla matka 2alostivä,) in Musik. Manche Gesänge eigneten sich die Böhmen auch im Laufe der Zeit Von Fremden an, die sie heute für heimische Produkte ausgcbcu; so wuchsen ihre Lieder, mehrte sich die Zahl der Componisten nnd ward allgemein musikalische Bildung unter dem Volke verbreitet. Der Schulmeister und Geistliche gingen dem Volke auf dein Lande voran und dieses folgte. So wie jetzt noch, wurde auch schou im vorigen Jahrhundert in den meisteu Dorfschulen Musikunterricht ertheilt; man legte damals fast noch größeres Gewicht auf die Musik als heute, so daß jeder, der den Grad eines Licentiaten auf der Prager Hochfchule erlangen wollte, Tschechische Dörfer und Baueni, 271 sich einer strengen Musikprüfuug uuterwerfeu mnßte. Für soviel, luusikalischc Kräfte hatte das Heimatland nicht Platz nebeneinander; eine aroße Zahl wanderte aus und trug in der Ferne nicht wenig mit zur musikalischen Bildung bei. Aber eine so gewaltige Menge Musiker Böhmen auch lieferte, von Lumir bis auf Zvouar, kein einziger derselben hat die höchste Stufe erklommen; kein Tscheche, ja überhaupt kein Slave, reicht den Heroen anderer Völker in der Tonknnst nnr das Wasser, keiner brachte es nur bis zum Tousetzcr zweiten Ranges. Wir haben wohl einzelne böhmische Lieder, Compositiouen, auch ein Paar Opern — aber eine nationaltschechische Musik fehlt. Da diese aus der Nation heraus nicht erstand, so mußte zur Entschuldigung wiederum „die Ungunst der äußereu Verhältnisse" herbeigeholt werden, die stets, bei den Tschecheu dann in den Vordergrund geschoben wird, wenn fie ehrlicher sagen sollten: Wir vermögen es hierin andern Völkern nicht gleich zu thun, denn wir sind verschieden von ihnen. Der Engländer gesteht wenigstens ehrlich ein, daß seinem Volke die Be-gabnng zur höheren Musik abgehe. Wie der tschechische Bauer die Musik liebt, so auch deu Tauz. Drängen sich auch allmählich Walzer, Schottisch und allerhand französische Tänze bei dem tschechischen Landvolkc ein, so ist doch noch ein Kern eigenthümlicher uatioualer Tänze übrig geblieben; denn der Tscheche ist ein geborener Tänzer, gleichwie er ein trefflicher Musikant ist. Er begnügt sich nicht mit den alten Tanzformen, sondern bildet sie um, variirt sie bis ius Unendliche und fügt ihnen ncne, der Zeit angepaßte, hinzn. Ist die Dorfmusikbande nicht vorhanden, dann tritt die Harfe eines wandernden Musikanten, oder das „Flaschincttl" des Leierkastenmanns an ihre Stelle; man tanzt nicht nur im Wirthshaus, nein, auch draußen im Freien, in der engen Stube, oder die Magd, welche die Orgel vor dem Hanse vernimmt, 27,2 Tschechische Dörfer und Bauern. wirft schnell die Arbeit bei Seite nnd dicht sich einmal mit der Bäurin in der Küche herum. Mau kennt einen bayrischen Tanz iMIiai^cllk), ein Nasirmesser (Ni-itva), cine Grille (('vi-öok), einen Tndelsackpfeifer (Dnäak), Uhlanen (Ulan), einen Enterich (Xaövr), einen Hoscntanz (Xulilot/), Wiegentanz (Xolilmvkn.), eine Kosackiu (XoNeilll), Kuh (Xrava.), Kngeltauz (Xuxclka), Manschester (man-5s8tr), Rübchcn (nn ivviöll«,), Mäuschen (mMo), Sachseu (8«8ak), Panern (soäl.Äc), Schnster (»voe), einen Indentanz ^iä) n. s. w. Anch die Polka, dieser in alle Talons nnd Bänder eingeführte Tanz, ist tschechischen Ursprungs; über seine Entstehung erzählt Alfred Valdai^') folgendes: „Zn Anfang der dreißiger Jahre tanzte ein junges Vauernmädchen, das in Elbctcinitz bei einem Bürger im Dienste stand, eines Sonntagnachmittags znr eigenen Erheiterung einen Tanz, den es sich selbst erdacht nnd sang hierzu eine passende, Melodie. Der dortige Vehrer, Namens Joseph Neruda, der zufällig anwesend war, fchrieb die Melodie nieder, und der neue Tanz wurde kurz darauf znm ersten Male in Elbeteinitz getanzt. Um das Jahr 1835 fand er in der böhmischen Metropole Eingang und erhielt dort, wahrscheinlich wegen des in ihm vorwaltenden Halb-schrittes, von dem tschechischen Worte pülka, d. i. die Hälfte, den Namen Polka. Bier Jahre später wnrde er durch eine Abtheilung des Mnsilcorps der Präger Scharfschützen unter der Leitnng des Kapellmeisters Pergler nach Wien gebracbt, woselbst Musik uud Tanz sich eines außerordentlichen Beifalls erfreuten. Im Jahre 1340 ^) Wer sich mr tschechische Tanzc mtcrrcssirt, dcm können die dci-den Wcrkc dicsc^ Autors „Böhimsche ^lVitionaltänzc" izwci Baudchen) und „Geschichte deö t'öhniischcn ^catioiililtaiizc^" cuipfohlen werden. Es ist darin wohl gelegentlich von ,,ausländischen Ignoranten, welche die Tschechen verunglimpfen" die Äledc, allem das muß uns nicht abhalten, den hohen kulmreinflnß der Tschechen bezüglich der Tänze kennen ?n lernen. Tschechische Dürfer und Bauern, 273 tanzte zuerst Raab, ständischer Tanzlehrer in Prag, diese böhmische Polka cinf dein Odeontheater zu Paris mit ausgezeichnetem Erfolge, worauf derselben mit staunenswerther Schnelligkeit der Eingang in die eleganten Talons nud Ballsäle von Paris gestattet wurde. Bor ihrer Einführung in die elegante Welt führte die Polka unter dem tschechischen Landvolt bei Iitschin, Kopidlno und Dimokur den Namen Nimra. Dieser Originalname starb aber schnell ab und nur die rhythmische Tanzmclodie hat sich erhalten. Das Liedchen zu dieser lautete: Onkel Nimra Kauft.'neu Tclninmcl Kauft um fimfthalb Thaler ihn. Auch die Polka tremblame ist nichts anderes als der tschechische ^iÄ8äk oder Zitterer. Also: die Polka ist ein tschechischer Originaltanz; wer sie tanzt und Freude daran findet, möge sich dabei auch dankbar der Tschechen erinnern. Druck von E. Pcschel H Co. w Leipzig. Berichtigung, G^ite t?U, Z.« v, «., Seite 18», Z. 1 v. o. unV Seite 195, g, i y. >:,, mu