D!e Ostsee und ihre Küstenländer geschildert von Anton «on Ehcl. Neue Ausgabe. Leipzig, 1867. Vcrlaa von V. Zcnf's Snchhandlüng. Die Ostsee und ihre Küstenländer, geographisch, naturwissenschaftlich und historisch geschildert von Anton von Ehcl. Neue Ausgabe. Leipzig, 1867. Verlag von <ß. Zcnf's S u ch h and I u n g. Einleitung. Die Ostsee ist ein wesentlich germanisches Mittelmeer, denn seit Jahrtausenden haben sich auf ihr vorzugsweise Völker germanischen Stammes getummelt. Sie haben dort, wie auf dem weiten Ocean, eine Hauptrolle gespielt und stets iyr Uebergewicht geltend gemacht, weil ihnen Seebegabung in hohem Grade verliehen ist. Allerdings wohnen von frühester Zeit her an den östlichen Gestaden auch Völker von anderer Abkunft; aber die Menschen tschudischen Stammes sind immer nur passiv gewesen und haben Denen gehorcht, welche zu ihnen kamen, um zu gebieten, Sie brachten es nie dahin als eine seemachtige Nation aufzutreten und bildeten keine unabhängigen Staaten; ihr geschichtliches Loos bestand von jeher darin, von anderen überflügelt zu werden. Die Nordslawen, welche in die tschudischen Regionen sich eindrängten und Jahrhunderte hindurch von der Kieler Bucht bis zur Mündung der Newa als Gebieter dastanden, bewährten sich nie als seetüchtige Leute; selbst die Russen, deren Flagge zuerst 1702 in einem fernen Winkel der baltischen Gewässer wehte, bemannen noch heute ihre Flotte am liebsten mit Finnen. Skandinaviern und Deutschen. Die Herrschaft Polens erstreckte sich einst von der Weichselmündung bis zum schwarzen Meere, aber nie verstand es, die baltische Fahrbahn zu benutzen, es ließ sich nach und nach von derselben völlig zurückdrängen und wurde auf das Binnenland beschränkt. Man hat oftmals und nicht mit Unrecht eine Art von Parallelismus zwischen dem nordischen Binnenmeere und der südeuropäischen VI Einleitung. Thalatta nachzuweisen versucht, aber auch nicht vergessen, den Gegen« satz zwischen beiden großen Wasserbecken hervorzuheben. Die Ostsee ist ganz wesentlich nordisch, denn sie erstreckt sich vom 54. bis 66. Grade n. Br. An den südbaltischen flachen und angeschwemmten Küsten lie« fern die Felder ergiebige Getreideernten und ihr Hinterland bildet eine der wichtigsten Getreidekammern Europa's: bei Tornea dagegen, am äußersten Ende des bottnischen Busens, wo am kürzesten Tage kein Sonnenstrahl die kimmerische Nacht durchdrmgt, weidet der Lappe seine Rennthicre. Die dänische Insel Seeland ist berühmt wegen des üppigen Grüns ihrer kräftigen Buchenhaine; in Finnland dehnen sich unabsehbare Kicfcrnwaldungen aus, aber in Lappmarkcn verkrüppelt schon die Birke. Nirgends haben die baltischen Ufer süßen Wein gezeitigt, wie er an allen Gestaden des Mittelmcercs wächst, welches sich zwischen unserm Erdthcil, Asien und Afrika in der Richtung von Westen nach Osten hindehnt, während die Ostsee eine Erstreckung von Süden nach Norden hat. Wo sie hier endet, beginnen Länder, welche allmälig in die Wüstenei der Polarregioncn übergehen, während das südliche Binnenmeer au Küsten brandet, welche ihr Hinterland in den Wüsten Afrika's haben. So tritt der Gegensah von tropischer Hitze und arktischer Kälte hervor; hier endet das Leben an starrem Eise. dort an gluthheißcm Sande. Beide Eeebccken sind durch eine schmale Einfahrt vom Ocean getrennt; was im Süden die Straße von Gibraltar, ist im Norden der Sund. neben welchem noch die Belte liegen. Beide empfangen eine große Menge von Zuflüssen, deren die Ostsee mehr als dritthalbhun, dert aufnimmt; beide haben geringern Salzgehalt als das atlanliiche Meer, und eine hervorragende Wichtigkeit für den Handelsverkehr wie für die staatlichen Beziehungen der Anwohner. Nur ist das Mittelmeer sechsmal geräumiger als das baltische Becken, viel reicher gegliedert und besitzt zugleich klimatische Vorzüge. Deshalb gestaltete sich dort seit Anbeginn der Geschichte das gesammte Leben viel reicher und mannigfaltiger, die Reibungen waren großartiger. Die mediterranei-schen Länder bildeten Heerde für die Cultur des Menschengeschlechtes; von Aegypten. Phönizien und Iudaa. Griechenland und Rom gingen Strahlen aus, deren erwärmenden Einfluß noch heute alle Völker ver» Einleitung. VII spüren, so weit sie in den Kreis abendländischer Gesittung gezogen worden sind, und deren Wirkung dauern wird, so lange Menschen leben. Der Süden war original, reich, farbig u»d bunt; dcr Norden ist einförmiger und der baltische Nebel grau; die Länder dcr Ostsee haben niemals große Antriebe zur Cultur gegeben und nur aufgenommen, was zur Auswahl vor ihnen lag und was sie für ihre Verhält» nisse branchbar fanden. Aber was dem baltischen Norden an Schönheit und üppiger Mannigfaltigkeit mangelt, ersetzt er durch urwüchsige Kraft und eine Groß» artigkcit, die sich zuweilen bis zum Gewaltige» steigert. Er hatte keine Heroen in der Art der griechischen, aber in ihm bewegten sich die „Nordlandsrecken" und Götter- uud Heldensagen fehlen ihm nicht. Sein Heidenthum war nicht klar, lieblich und farbig wie jenes der Hellenen, aber es war viel tiefer erfaßt nnd der Götterglaube innerlicher; Odin ist gewaltiger als Zens. Was die skandinavischen nnd südbaltischen Germanen in der Urzeit an Glauben und Ueberlieferungen aus Asien mitgebracht, ist im europäischen Norden von ihnen in wunderbarer Weise mit dem Lande nnd deffen Wesen in Einklang gebracht worden und hat einen nordischen und kolossalen Charakter gewonnen. Gleich von vorne herein tritt der baltische Germane als rüstiger nnd kühner Seemann auf; die kurzen Wellen seines Binnenmeeres die Klippen und Dünen, die Stürme und der starkrollende Wellenschlag schreckten ihn nicht, denn für ihn ist es, wie der herrliche Wikingerbalk in Teguer's Frithjofssaga sich ausdrückt, „lustig aus der wilden See"; das Schiff auf der salzigen Woge wird ihm zur zweiten Heimath. Gleich anderen Völkern im heroischen Zeitalter wird er zum Korsaren; er hat von Seefahrt und Eigenthum Vorstellungen wie der cilicische Freibeuter oder der Beduine; Seeraub wird ein Ehrengeschäft. Nie ein Zelt auf dem Schiff, nie Schlaf in dem Haus; hinter jeder Thür stcht ein Feind, Mit dem Schwert in der Hand schlaf auf blinkendem Schild, und der Himmel sei Obdach dir. Wenn der Krämer dir naht, magst du schützen sein Schiff, wenn der Schwache den Schoß dir zollt; VN Einleitung. Du bist König der See, er ist Sklav des Gewinns, und dein Stahl ist so gut wie Gold. Wikingslohn ist die Wund'i Wunde zieret den Mann, wenn die Nar- bcn im Antlitz stchn; Laß sie bluten, Verband leg' vor Abend nicht an, willst du einer der unseren ein. So ware» die Wikinger, welche Jahrhunderte lang auch die Ost« sce zum Schauplatz ihrer kühnen und wilden Thaten auserkoren; so die norwegischen und baltischen Normannen. Sie zogen auch als tapfere und zuverlässige Krieger in fremde Länder, bildeten als Waräger die Leibwache der byzantinischen Kaiser und stifteten unter Nurik in Inger-manlano, zu Nowgorod am Ilmeusee, ein Reich-, sie traten auch als Herrscher auf zu Polohk an der Düna und zu Kiew am Dnjepr, und legten so die Keime zu den Großfürsteuthümcrn Litthauen und Rußland. Gleichzeitig schloffen sich baltische Normannen den Freibeuterzügen ihrer Stammverwandten aus den östlichen Theilen der skandinavischen Halbinsel und Dänemarks an, und nahmen Theil an den Raub» und Eroberungsfahrtcn derselben. Diese erstreckten sich von Island und den Faröern bis nach Sicilicn und Andalusien; in Frankreich und Unteritalien gründeten diese Wikinger mächtige Reiche. Aber für den warmen, sonnigen Süden waren sie mit ihrer ganzen Anlage und Beschaffenheit nicht geeignet, und schon nach wenigen Menschen» altern war ihre Ausartung vollendet. Eine höhere Gesittung hatten diese Krieger und Korsaren in die eroberten Länder nicht zu bringen; sie wurden vielmehr rasch von der Cultur, welche sie vorfanden, bezwun» gen, und nun ist längst nichts mehr von ihnen übrig, als ein Bestandtheil ihres Blutes, das sie Völkern einflößten, mit denen sie sich vermischten. Auch am baltischen Meere selbst machte die fortschreitende bürget« liche Entwickelung, das Aufkommen mächtiger Staaten, das Empor, blühen der Städte, die ihren anwachsenden Handel den Freibeutern nicht länger Preisgeben mochten, den Wikingern ein Ende; sie erlagen vor den Kaufleuten. Die deutsche Hansa wurde vorwaltend auf der Ostsee und gründete eine Menge von Pflanzstädten, unter denen Riga. „Bremens Tochter", bald eine vorragende Bedeutung gewann. Han- Einleitung. IX seatische Kaufleute und Schiffer stellten im dreizehnte» Jahrhundert zu Wisby aus der Insel Gothland ein Seerecht fest. An den südlichen Küsten gewann das deutsche Wesen immer weiter» Fortgang und drängte das Slawische zurück; deutsche Ordensritter grüudeten Herrschaften an der Weichsel und in Livland, die Hansestadt Lübeck war vorwaltend an nnd auf der Ostsee. Alle Culturelemcnte wurden den baltischen Ländern von Deutschland her vermittelt. So lange die drei skandinavischen Reiche: Schweden, Norwegen und Dänemark, noch nicht zu einer festen Gestaltung gelaugt waren nnd sich in fruchtlosen Einigungsversuchen abmühten oder durch blutige Kriege schwächten, blieben die Hauseaten mächtig; ihr Uebcrgewicht ging verloren als die skandinavischen Völker zum Bewußtsein kamen und der Welthandel durch die Umschiffnng der Südspitze von Afrika und die Entdeckung Amerika's einen völligen Umschwung erfuhr. Aber im Verkehr und für den Waarenaustansch ist sie bis heute von erheblichem Belang geblie« ben. und Hamburg noch jetzt der Hauptwechselplatz für die baltischen Regionen. Die Völker an der Ostsee haben stets in inniger Berührung mit einander gestanden; die thätigen unter ihnen sind stamm« und sprachverwandt und bekennen sich zn einem gemeinsamen Glauben. Dieselben germanischen Völker, welche einst die Wodansverehrung hatten, nahmen auch die protestantische Lehre an und halfen der Reformation ihre Gleichberechtigung erkämpfen. Sie kam zu ihnen aus Deutschland und bald nachdem sie eingeführt war, erschienen sowohl Dänemark als Schweden zum ersten Male als Mächte von Geltung auf dem großen europäischen Schauplatze; sie wurden in die allgemeinen Welthändel hineingezl'gen und traten, aus ihrer bis dahin specifisch nordischen Stellung heraus. Nachdem die Hansa ihre Macht verloren hatte, erwuchs aus der alten Eifersucht, welche zwischen jenen beiden Königreichen geschichtlich eingewurzelt war, ein laugdauernder Kampf um die baltische Hegemonie; aber er schwächte den einen wie den andern Theil und war überhaupt nur möglich, weil Deutschland keine Flotte auf der Ostsee besaß; in einem solchen Falle hätten beide mit einander sich vereinigen müssen oder wären durch die dritte Macht auseinander, gehalten worden. Schweden gewann festen Fuß in Finnland, Esth, X Einleitung. land. Livland. Kurland und Pommern; es spielte fast cm Menschen, alter lang in dem großen deutschen Kriege und bis in die Mitte des fiebcnzehntcn Jahrhunderts lunein eine Nolle in Europa, welche weit über die Kräfte cines so menschenarmen Landes hinausging. 'Allein schon der Tag von Fehrbellin. an welchem der brandcnburgische Kur» fürst den Sieg gewann, machte dcn Absichten Schwedens auf Gebietserweiterungen in den südbaltischcu Landen ein Ende; die Niederlagen Karls des Zwölften, der wie ein Meteor auftauchte und nach abentener-lichen Fahrten auch wie ein solches verschwand, zogen den Verlust der ostbaltlschcn Lande im Süden des finnischen Meerbusens nach sich. Eine dritte Macht, Nußland, fing au den Ausschlag zu geben uud die Hegemonie au sich zu reißen. Schwedens Bündniß wurde im achtzehn» ten Iahlhundert allerdings noch gesucht, man zog diese Macht bei den politischen Combinationen Europa's noch in die Berechnung ein; Gustav des Dritten Flotte gewann noch eine Seeschlacht über die Moskowiter, aber zn Anfang dieses Jahrhunderts verlor Schweden auch Fiunland; und durch die Vereinigung Norwegens, die nur eine per-» sönliche Union ist. hat es keine hervorragende Bedeutung gewinnen können. Davon ist es selber überzeugt und strebt deshalb eine skandi» navische Einigung an. Schwedens politische Bedeutung ist durch seine Lage und Stellung an einem nordischen Binnenmeere, durch Boden und Klima bedingt; es ist ohne directe lebhafte Wechselwirkung mit der übrigen Welt. der Winter unterbricht alljährlich zu lange die nach außen gerichtete Thätigkeit. Das Land wird von einem mannhaften und begabte» Volke bewohnt, aber dieses ist nur wenig rührig, und verhält sich geistig mehr aufnehmend uud empfangend als prodnctiv; wie denn überhaupt der baltische Norden kein Land für die geistige Initiative ist, so manche ausgezeichnete Männer er auch hervorgebracht hat. Dänemark, ein kleiner Inselstaat, der auch mit den von feiner Krone abhängigen Landen auf dem Continente nnr zwei und eiue halbe Million Bewohner zählt, hat seine Kämpfe mit Schweden tapser uud ausdauernd durchgefochten, aber aus dem europäischen Schauplatze nur zur Zeit des dreißigjährigen Krieges und auch daun blos einige Jahre laug thätig erscheinen können. Es ist. obwohl unter den slaudinavi« Einleitung. XI schen Reichen verhältnißmäßig am besten cultivirt und am stärksten bevölkert, doch zu menschenarm und zu sehr insularisch zerklüftet, als daß es eine hervorragende Rolle hätte spielen können. Seine Men. schen sehen sich ans ein gleichförmiges Flachland und auf die Tee an« gewiesen, das Gebirge fehlt ihnen ganzlich und ihre Thätigkeit war schon desbalb niemals vielgegliedert und mannigfaltig. Aber es bildet einen ergänzenden Theil Skandinaviens, das von ihm ohnehin mit nothwendigen Lebensbedürfnissen versorgt wird; an solchen hat das Vorzugs' weise ackerbautreibende Dänemark Ueberfchnß. Die Dänen sind mu« thige und erfahrene Schiffer; alle ihre bedeutenden Städte liegen nicht im Innern sondern an der Küste und treiben einen ausgedehnten Handel, deren Mittelpunkt der „Kaufmannshafcn" (Kiöbenhavn, Kopen» Hagen) bildet. Die Wichtigkeit dieses Inselstaates besteht in seiner Lage zwischen Deutschland und Skandinavien, zwischen Großbritan» nien und Nußland, und in dem Umstände, daß es den Wächter und Hüter der Ein- und Ausfahrt zur Ostsee bildet; es beherrscht den Sund. Die Großmächte sehen in ihm ein Gewicht, das jede ganz zu sich heiüberziehen möchte; darum unterliegt Dänemark verschiedenen Einflüssen, deren Abwehr ihm stets schwer fällt. Durch seine Lage hat es politische Nachtheile und geographische Vorzüge; diese letzteren erstrecken sich namentlich auf den nordcuropäischen Seehandelsverkchr. Was in die Ostsee und aus derselben herausfahren will, muß eine der drei dänischen Meerengen vassircn. von welchen der Sund zwischen der Insel Seeland und Südschweden bei Weitem die wichtigste ist. Dänemark erhob bis in die jüngste Zeit den vielbesprochenen Sund -zoll. Während die Nordamerikancr, welche zuerst nachdrücklich auf Abschaffung desselben drangen, ihn als gleichbedeutend mit einer Art von Sceranb hinstellten, berief Dänemark bei Erhebung desselben sich auf Recht und Vertrag. Die europäischen Mächte haben auch niemals bestritten, daß Dänemark ein Recht znr Erhebung dieses Zolles gehabt, wohl aber wünschte man die Ablösung oder eine feste jährliche Abgabe, damit die in der Sache selbst liegende Belästigung des Handels und der Schifffahrt endlich einmal aufhöre. In Dänemark betrachtete der Handelsstand den Sundzoll als ein Hinderniß für den Aufschwung des Verkehrs und diese Ansicht hatte auch schon in der Volksvertretung XII Eiiileitunss. Ausdruck gefunden, als der Anstoß zur Beseitigung desselben von Nordamerika her gegeben wurde. Dänemark erklärte sich zu einer Ka« pitalisirung bereit und nach langen Verhandlungen wurde die wichtige Angelegenheit durch Vertrag vom 14. März 1857 zum Abschlüsse gebracht') und damit ist zur Befriedigung aller Betheiligten ein sehr lästiges Verhältniß beseitigt worden und die Ostsee nun ein freies Wasser. Die dritte baltische Teemacht, Nußland, hat die gesammte Ost-kiiste von Memel bis Tornca in Besitz. Peter der Große suchte Sal>-wasscr und wollte seinem großen Eteppenreiche die Verbindung mit Europa auf nassem Wege vermitteln, und auf demselben die höheren Gesittungselemente seiner „Moskowiter«" zuführen. Deshalb unternahm er die Kämpfe gegen Schweden, das er aus Livland, Esthland, Ingermanland und Karelien fortdrängte, und deshalb baute er eine neue Hauptstadt in den Morästen an der Newa. Im Verlaufe von anderthalb Jahrhunderten hat sein Petersburg sich zu einer der groß» ten Städte auf Erden emporgehoben. Späterhin fiel auch Kurland in die Hände Rußlands, das auch schon lüsterne Blicke bis an die Mündung der Weichsel geworfen, und vor nun fünfzig Jahren durch den ') Da das den Sun'ozoll behandelnde Kapitel dieses Werkes vor der Beendigung der Verhandlungen gedruckt wurde, so fügen wir hier nachträglich die für jeden einz.lnen Staut definitiv festgestellte Ablösungssumme hinzu: Rthlr. Dim. Rcichsmünzc, Nthlr. Preuh. Courant, Oesterreich . . . 29.434 -- 22,075. 15 Belgien . . . , 301,455 --. 226,091. I'/z Bremen .... 218,585 ^ 163,938. 22«/» Frankreich . . . 1,219,003 -- 914,252. 7'/» Großbrirannim. . 10,126,855 -^ 7,595,141. 7>/, Hamburg.... 107,012 -- 80,259. Hannover. . . . 123,387 -- 92,540. 7»/^ Lübeck..... 102,996 -- 77,247. Mecklenburg . . 373,663 -- 280,247. 7'/ Niederlande . . . 1,408,060 ^ 1,056,045. Preußen .... 4,440,027 ^- 3,330,020. 7>/, Rußland. . . 9,739,993 ^ 7,304,994.22'/, Schweden 1,590,503 ..-. 1,192,877. 7'/,, 30,476,325 22,857,243. N'/,. Einleitung. Xlll Besitz von Finnland einen nicht geringen Zuwachs von tüchtigen Seeleuten erhalten hat. Es sichert den Slawen ihren Antheil am baltischen Meer und ist durch seine starke Kriegsflotte vorwaltende Macht auf demselben. Seit dem Untergange der Hansa hat Deutschland auf der Ostsee keine Wehrkraft entfaltet. Kaiser und Neich waren sorglos genug, die deutscheu Colonien in den slawischen, lettischen uud tschudischen Gebieten zu vernachlässigen und ließen sie in fremde Hände fallen. Die südbaltischen Uferländer standen nicht unter einerlei Herrschaft und Brandenburgs Aufmerksamkeit mußte sich unter den gegebenen Verhältnissen vorzugsweise den Interessen des Binnenlandes zuwenden; es sah sich in diesem auf Vergrößerung angewiesen, um sich abzurunden. Aber seit das Königreich Preußen sich zu einer europäischen Großmacht erhoben hat, kann es unmöglich lauger in seiner territorialen Einseitigkeit verharren und in Bezug auf seine Wehrkraft als ein Mann dastehen, welcher nur einen Arm bewegt; eine baltische Kriegsflotte ist ihm ein wahres Lebensbedürfniß, und es gehört zu den unbegreiflichen Dingen, daß nicht schon vor vierzig Jahren Hand angelegt worden ist, eine achtunggebietende Seewehr zu schassen. Allerdings hat die Natur den südbaltischeu Gestaden keine Häfen verliehen, wie Dänemark und Schweden dergleichen besitzen, aber die Kunst weiß der Natur nachzuhelfen, und Preußen muß sich eine Flotte verschaffen, die im Stande ist, jeder der einzelnen übrigen baltischen Reiche das Gleichgewicht zu halten. Langsame Anfange sind gemacht worden; ein rascheres Vorgehen ist in Aussicht gestellt. Nach dem hier Erwähnten glaubt der Verfasser, daß eine geogra-phisch-geschichtliche Darstellung der baltischen Region, eine Schilderung ihrer naturwissenschaftlichen Beschaffenheit, eine Darleguug ihrer Handelsverbältnisse auf eine allgemeine Theilnahme rechnen darf. Er hat sich bestrebt, in dem vorliegenden Werke eine solche zu geben und die Entstehung, Entwickelung und jetzige Lage der oben angedeuteten Verhältnisse ausführlich und allgemein verstandlich zu erzählen. Inhalt. E r st e r Theil. I. Luch. Geschichte des Ostscchandcls. j. Kapitel. Ursprung des baltischen Handels. — Die Phönizier. — Die griechischen Colouieen. — Die Römer. — Der Bernstein. — Die nordischen Naubzüge. — Die Völkerstämmc..........S. 1 2. Kapitel. Karl der Große. — Normannenzüge. — Gründung der Slavenreiche. — Alfred der Große. — Gründung der baltischen Städte. . . S. 16 3. Kapitel. Willibrods Bekehrung der Dänen. — Gorm der Alte. — Harald Bla-tcmd. — Ansgarius. — Bekehrung Schwedens. — Bekehrung der deutschen Ostsceküsten. — Bruno's Bekehrung der unteren Weichsel-landc. — Bekehrung Masoviens, Preußens, Lithauens. Kurlands, Esthlands, Lievlands. — Eginhard, Othered, Wulfster, Adam von Blcmeu gehen über die Ostsee.......... S. 27 4. Kapitel. Folgen der Kreuzzuge für den Norden. — Gründung des Hansabun» deZ. — Verhältniß zu den Ordensstaaten. — Nußland, Dänemark und Schweden. — Das Wisbuer Recht. — Münz- und Postwesen.— Kämpfe mit Dänemark. — Waldemar III.......S. 46 5. Kapitel. Margarethe und die Kalmanschc Union. — Haus Oldenburg in Dänemark. — Der deutsche Orden und die Polen. — Iwan Wasilje-witsch. — Verhältniß der Hansa zu England und Holland. — Innere Zustände Deutschland« und des Nordens. — Die Neligionskämpfc. — Christian II. vo,i Dänemark. — Gustav I. Wasa.....S. 64 6. Kapitel. , Die Ordensgebiete werden weltliche Staaten. - Schwedens Uebergewicht in der Ostsee. — Verfall der Hansa. — Der dreißigjährige Krieg. — Folgen desselben für die Ostsee...........S. 83 7. Kapitel. Entdeckung des weißen Meeres. — Nußlands innere Entwickelung. — Christian IV. — Gustav II. Adolph. - Der Sundzoll. — Karl X. Gustav. — Friedrich Wilhelm der Große.......S. 91 XVI Inhalt. 8. Kapitel. Peter der Große. — Karl XII. — Katharina II. die Große. — Die bewaff« neteNeutralität.—Alexander I. — Friedrich der Große. — DieCouti« nentalsperre. — Dänemark von Friedrich IV. bis zur Gegenwart. — Schweden vonFriedr. v.Hessen bis zurGegenwart.— Rückblick. S.103 9. Kapitel. Entstehung des Zolls im Snnde. — Wikingszeit. — Knud der Heilige. — Tribut im Sunde. — Geleitsgeld im Sunde. — Das vierzehnte Jahrhundert. — Kampf mit der Hansa. — England und Holland in der Ostsee. — Vertrag zu Speier. — Vertrag zu Odense. — Frieden zu Brömsebroe. — Vertrag zu Christianopel. — Spätere Conventionen mit den privilegirten Nationen. — Der Wiener Congreß. — Neuere Operationen gegen den Sundzoll. — Conventionen von 1841 uud 1846. Verhandlungen wegen Aufhebung des Sundzolls .... S. 127 10. Kapitel. Wichtigkeit des Sundzolls für Dänemark. — Verkehr im Sunde, den Betten und im Schleswig-Holsteinischen Canal. — Zu- und Ab. nähme des Ostseehandels der verschiedenen Nationen. — Ertrag des Sundzolls für Dänemark. — Budget des Sundzolls für 1856. S. 146 II.Ouch. HIdrograph^naturhistorischeDarsteUung der Ostsee. 11. Kapitel. Das baltische Becken und Meer. — Allgemeine Züge und Begrenzung. — Entstehung der Ostsee. — Eintheilung und Benennungen. — Niveaulage und Grundtiefe. — Kustensiumc......S. 154 12. Kapitel. Phänomene: Wasserabnahme. — Küftenerhebung. — Fluth und Ebbe.— Meeranschwellung. — Strömungen.— Strudel, Welle und Woge.— Brandung. — Winde. — Niederschlug und Wasserhosen. — Wasser, färbuna. — Nebel. — Spiegelung. — Meeresleuchten. — Chemische Beschaffenheit des Wassers. — Wassertemperatur. — Meereis. — Dauer der Winter. — Steinwanderungen. — Nachthelle. — Jahres« zelten. — Thauwetter. — Klimatischer Einfluß auf die Vegetation des Küstenlandes.............. S. 170 III. Guch. Das thierische Leben u. d. Produktionen der Ostsee. 13. Kapitel. Vögel. — Phoken, Wale und Delphine. — Fische: Lampreten, Quer« der. Lanzettfisck, Nasen-. Hai-, Froschfisch. Stör. Sterlet. Nadel« fisch. Meerhaase. Sumpfköder, Schwertfisch. Seewolf, Schleimfisch, Drachenfisch, Schellfisch. Makrele. Stichling. Rothfeder. Seehahn. Kropffisch. Pleuronekten, Barsch. Hering. Sprotte. Anschovi, Salm. Lachsforelle. Seeforelle. Aesche. Hecht. — Wirbellose Thiere: Auster. — Miesmuschel. — Schnecken. — Krustenthiere. — Zoophyten. — Polypen. — Seepstanzen. — Bernstein......S. 242 Inhalt. XVII IV. Buch. Das Flußnetz des bMischen Meeres. 14. Kapitel. Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse . . . . S. 292 15. Kapitel. Die Flußgebiete des russischen Reiches........S. 307 16. Kapitel. Die Flußgebiete Skandinaviens ..........S. 322 Zweiter Theil. V. Luch. Die Dänischen Äser. 17. Kapitel. Das Kattegat. Cav Skagen. — Die Nord- und Ostküste Iütlands. — Die norwegische Südküste. — Der Christianiafjord. — Christiania. — Die Südwestkufte Schwedens. — Gothenburg...........S. 339 18. Kapitel. Die Belte. Der kleine Velt. — Die Föhrden des südlichen Iütlands und Schleswigs. — Kolding. — Hadersleben. — Apenrade. — Alsen und der Alssund. — Flensburg. — Der große Belt. — Kaliundborg. — Nyborg. — Kor-söcr. . .'................S. 346 19. Kapitel. Der Sund. Das Kullengebirge. — Einfahrt in den Sund. — Helfingöer mit der Kronenburg. — Helsingborq. — Die schwedische und die dänische Küste. — Hven. — Malmöe. — Kopenhagen. — Beschreibung und Geschichte der Straßen................ S. 354 20. Kapitel. Der dänische Archipel. Seeland. — NoeSkilde. — Leire. — Möen. — Fühnen. — Odense. — Langeland. — Laaland. - Falster. — Vornholm. . . . S. 371 21. Kapitel. Die Kieler Bucht. Die Schlei. — Schleswig. — Hethabye. — Eckernföhrde. — Die Kieler Bucht. — Kiel. — Fehmarn. — Die Colberger Heide . . S. 38» VI. Guch. Die südlichen Gestade. 22. Kapitel Die Lübecker Bucht und die Mecklenburgische Küste. Cismar. — Travemimdc. - Lübeck. — Der Glanz der Hansa. — Die Küste bis Stralsund. — Dobberan und der heilige Damm. — Insel Poel. — Wismar. — Rostock..........S. 389 XVIII Iuhalt. 23. Kapitel. Die pommersche Küste und Rügen. Beschaffenheit der Küste. — Rügen. — Naturgeschichte Rügens. — Stral« fund. — Greifs'vald. — Uscdom und Wollin. — Das Haff. ^,Stet-tin. — Swinemnnde. — Colberg., — Cöslln ..... 3. 394 24. Kapitel. Die Danziger und Kunsche Bucht. Pautzig. — Zoppot. — Oliva. — Danzig. — Die Weichselnumdmigeu. — Das frische Haff. — Elbiug. — Königsberg. — Pillau. — Die frische und die Kurischc Nchrnng. — Mcmel. — Polangcn . S. 411 VII. Luch. Die kussischcn llstr. 25. Kapitel. Die Esthnische, Livische und Kurischc Küste. Küste von Kurland. — Polangcn. — Llbau. — Wiudau. — Domcsnas. — Küste von Livland. — Die Rigaische Bucht. — Riga. — Nunöe. — Oescl. — Dagöe..............S. 427 26. Kapitel. Die Südküste des finnischen Meerbusens. Die Naager Wiek. — Baltischvoit. — Ncval. — Narwa. — Die Kronstädter Bucht. — Die Kcsselinscl. — Kronstadt. — KronM. - Fort Mcutschikoff. — Oranienburg. — Peterhof ...... S. 438 27. Kapitel. Fort Nycnschantz. — Gründung St. Petersburgs. — Wassili Ostrow. — Die Newa. — Ueberschroemmuugen. — Klima. —Umfang. — Bcmcrkens-wertheste Gebäude.— Sammlungen.— Gemeinnützige Anstalten S. 451 28. Kapitel. Die finnische Südtüste. Die Schären. — Wiborg. —^Hogland. — Geologisches. —Fredcriks-hamn. — Lovisa. — Borga. — Swensksund. — Helsingfors. — Sweaborg. — Hangö.............S. 463 29. Kapitel. Das Alandsmcer. Abo. — Die Aura. — Die Alandsgruppe. — Aland. — Bomarsund. — Geschichtliches............... S. 478 30. Kapitel. Der bottnische Busen. Die Beschaffenheit der Küsten. — Die finnischen Städte. — Wasa. — Uleaborg. — Tornca. — Die Mitternachtssonne .... S. 486 VIII. Luch. Die Schwedischen Küsten. 31. Kapitel. Die Nordkiiste Schwedens und das Schären-Land. Karl-Iohannsstadt (Havaranda). — Lulca. — Pltea. — Gefle. — Die Schären. — Einfahrt nach Stockholm. — Der Mälarscc- — Wax-hylm.— Stockholm; Geschichte uud Beschreibung . . . . S. 493 32. Kapitel. Die Südost- und Südküste Schwedens. Elfsnabben. — Nyköping. — Norrköping. — Söderlöping. — Kalmar. — Die Kalmarischc Union. — Karlslrona.— Ystad. — Falsterbo. S. 502 33. Kapitel. Öland und Gottland. Blakulla.— Öland. — Borgholm. — Geschichtliches.— Gottland.— Na-tur und Volk. — Wisby.— Die alteWisborg. - Geschichtliches. S. 508 Elster Theil. Die Ostsee Erstes Buch. Geschichte der Entwickelung der Ostseeländer und des Ostseehandels. Erstes Kapitel. Ursprung des baltischen Handels. — Die Phönizier. — Die griechischen Colonieeu. ^- Die Nömer. — Der Bernstein. — Die nordischen Raub- züge. — Die Völlerstämme. Ein Meer, welches so weit iu die Festländer eindringt, wie das baltische, und welchem eine so große Zahl Ströme zufließen, mußte sich schon früh als zu dem Mittelpunkte einer ausgedehnten Thätigkeit be. stimmt verrathen. Es mußte das Beförderungsmittel der Industrie des Nordens werden und weite Verbindungen eröffnen. Aber die Absichten einer von der Natur geoffenbarten Allweisheit und Allgüte habcn sich nicht immer zu gleichen Zeitabschnitten erfüllt. Die Entwickelungen schreiten stufenweise vor, und richten anfangs ihre Schritte nach den Einflüssen des Klimas, das sie schließlich selbst beherrschen. Sie erreichen jene Gegenden, in welchen die Sonne mit ihrer Wärme geizt, erst nachdem sie diejenigen überschritten, in welche sie ihre Strah-len in größerer Fülle uud mit mehr Macht begabt sendet, in denen die Erde eben so zahlreiche als verschieden geartete Erzeugnisse, die fie ihrer Hilfe verdankt, dem verstehenden Blicke darbietet, wo die Flüsse und Meere zn allen Jahreszeiten sich mit Rudern und Segeln bedecken können, ja, in denen sogar die Bewohner, durch die steten Lockungen und den leicht erreichbaren Lohn geweckt, mit höheren Gaben schöpferischen Geistes ausgestattet erscheinen. Diese Betrachtung, die in der allgemeinen Weltgeschichte ihre Stütze findet, kann auch als Führerin Di« Ostsee. I, 1 2 Die Reisen der phömzlschcn Seefahrer. >!. Buck. in dem Labyrinthe dienen, in welches sich der Ursprung des baltischen Lebens und Handels verliert. An den Ufern des ßuphrats zeigen uns die Denkmäler der Geschichte die Wiege der Künste, die das Glück und den Nuhm der mensch« lichen Gesellschaft ausmachen. Von dort verbreiteten sie sich über die umliegenden Lande, wagten sich auf das mittelländische Meer, und nahmen einen höheren Aufschwung durch die Beschiffung des Oceans. Tyrus und Karthago, die Erbin des phönizischcn Handels, sandten, durch das geistige Element der Gewinn- und Abenteuersucht getrieben, ihre Schiffe über die Säulen des Herkules, die Kreuzen der bekannten Erde, hinaus in den Ocean, und verpflanzten durch ihre Colonisation neue Kenntnisse und Bedürfnisse, dieQuellen des Handels und Verkehrs, in die weitesten Fernen. Man behauptet sogar, daß ihre Schifffahrt sich in die nordischen Meere ausgedehnt und daß ihre Schiffe den Bernstein selbst von den preußischen Küsten des baltischen Meeres geholt hätten; doch scheinen die alten Ueberlieferungen durch die wachsende Kraft der Jahrhunderte vergrößert zu sein. Eifersüchtig auf ihre Entdeckungen, verheimlichten sie dieselben und umhüllten sie mit fabelhaf» tcm Gewände, so daß wir nur unvollkommene Kenntniß ihrer Neise« berichte bekommen haben. Der kritische Geistueuerer historischer Forscher, der aus geringen Spuren Gebäude von fast unzweifelhafter Sicherheit zu errichten versteht, macht es gewiß, daß phönizische Kauffahrer von den heuüzen EnUy-Insew und den benachbarten cornroMchen Küsten das geschätzte Zinn, und wahrscheinlich von der Westküste Schleswigs und Iütlands den noch kostbareren Bernstein holten, schließen aber dem Glauben an einen baltischen Seeverkehr die Pforte. Inzwischen drangen die Künste der Civilisation auch bis in die gemäßigten Himmelsstriche Europa's vor, wo sie sick, vermöge der durch dieselben begünstigten Tugenden der Ausdauer und größercnFlcißes und der Kraftentwickcluug, in großem Maaße vervollkommnen mußten. Dort begegnete die Arbeit mitunter hemmenden Hindernissen, die zu einem nützlichen Stachel wurden; denn die verschiedenartigsten und energischsten Einflüsse geben der Empfänglichkeit des Menschen einen großern Schwuug und mehr Stärke. Die Griechen, und na. mentlich die Korinther, waren in der Schule der Phönizier gebildet; I. Kap.1 Colonien der Dorier und Photaer. I im Laufe der Zeit streiften sie den Zwischenhandel ab, wnrden Nebenbuhler der Phönizier und übertrafen diese endlich. Ihr Handel zeigte sich weniger eifersüchtig und weniger geizig, als der von Tyrus und Karthago, und wurde daher an Resultaten für dieKünste und das ganze Wesen der gesellschaftlichen Entwickelung fruchtbarer. Die Argonauten zogen über das schwarze Meer, und seine Wogen führten im Austausch die Cultur herüber und hinüber. Die Dorier in Rhodos, Athen und Korinth zogen zu Lande uud Wasser nach Westen und besetzten die Küste des mittelländischen Meeres mit neuen Colonicn. vor denen die Phönizier allmählig bis zur Nordküste von Afrika zurückwichen. Der kühne Muth und die großen Erfolge Alexanders bahnten ihm seine Wege dem Sonnenaufgang entgegen und erweiterten den Blick seiner Zeit-und Landesgcnosscn bis zum Indus; sein Geist gebar die Stadt, die aus dem Sturze Tyrus' und dem Nuin Karthago's ihre Säfte sog, um für lange Zeit dicVeherrscherin der Meere zu werden. Alexandria, reich und blühend, empfing die kostbarsten Kaufgütcr von Ceylon und Malabar, beherrschte den ganzen östlichen Welthandel und verbreitete eine neue Thätigkeit unter den Völkerschaften Griechenlands, Italiens, Kleinasiens und Afrika's. Auf der andern Seite entwickelte sich im Westen Marseille, eine uralte Schöpfung und durch seine Handelslage wichtige Colonie der Phokäer. Ihre Mission wares, einen großen Theil des mittleren Europa's zu civilisiren, und sie sing an, die Gallier in den Kreis der handeltreibenden Völker zu ziehen, aber auch für den baltischen Norden wurde sie wichtig. Einige Jahrhunderte vor der christlichen Aera sendeten die Grie. chen Marseille's einen kühnen Schiffer, Namens Pytheas, in die nor-dischen Meere. Dieser kühne Reisende, dessen Berichte uns leider nur noch durch Bruchstücke bekannt sind, untersuchte die Küsten Galliens, Großbritanniens und erreichte jenes fabelhafte Thule. das von der Phantasie aller Zelten schöpferisch begabt und durch sie so feenhaft ausgeschmückt wurde. Die Phänomene und Erzeugnisse Thule's, von denen Pytheas spricht, beweisen deutlich, daß es eins der im nördlichen Europa gelegenen Lande war. aber unmöglich bleibt es, seine wahre Lage zu bestimmen und zu entscheiden, ob er Island, Norwegen, oderdas, gewiß seit jener Zeit im Westen so bedeutend veränderteIütland gemeint. « HaudtlSziige lömischcr Flotlcn. II. Buch. Als in den Kriegen um die eigene Existenz und Unabhängigkeit die römischeMacht sogeftählt war, daß sie nicht nur Italien unterjocht, sondern nach und nach die damals als mächtig bekannte Welt besiegt, und Karthago und Korinth zerstört hatte, vernachlässigte dieselbe keineswegs die Hilfsquellen nnd Mittel, welche ihr die industriellen Künste verschaffen konnten; sie schnf denselben nene Straßen durch die ganze unermeßliche Weite ihrer Besitzungen. Römische Flotten durchfurchten alle Meere und ließen den Tauschhandel glänzend gedeihen. Der Wunsch, sich das. den Großen an den Ufern der Tiber so kostbare Material des Bernsteins zn verschaffen, ließ sie anch selbstständige Verbindungen mit den fernen nordischen Küsten suchen. Jedoch blieben es vorzugsweise immer die Erobernngszüge der Römer, welche die Verbindungen nnd auch Kenntnisse nnd nützliche Arbeiten verbreiteten. Während dieselben so auf der einen Seite nach Osten nnd Süden vordrangen, wurden sie auf der andern nach Westen und Norden getragen. Großbritannien wurde unterworfen, Süddeutschland ebenso, und die römischen Legionen überschritten den Nhein und die Weser, setzten sich gegen die Elbe hin fest, ja, römische Schiffe netzten ihre Kiele inden jütländi-schen Wässern, und die nordischen Völker konnten von Rom und seiner Macht wenigstens reden hören. Plötzlich hielt aber eine überraschende Umwälzung diese nach Norden fortschreitende Bewegung auf. Selbst die weitergehenden Entwickelungen des menschlichen Geistes wurden durch eine Nückströmung gehemmt; Rom war. wie zu seiner Zeit Asien und Griechenland, erschlafft und verweichlicht; es hatte das Ziel eines glanzenden Gedeihens erreicht, war durch den Luxus, der bisher sein Stolz gewesen, zum Vergessen der Grundsätze gebracht, welche allein die Reiche erhalten; seine Thatkraft war gebrochen, die Civilisation, die Cultur und die Kunstunter der Größe ihres eigenen Ruhmes erlegen. Die ungeschwächte Naturkraftder germanischen Völkerstämme hatte dieselben nach Süden getrieben und den Sturz des abendländischen Reiches, das sein Geschickwillig der Macht der Ereignisse überließ, herbeigeführt, aberden eigenen Norden nnd die baltl-schen Lande von der geistigen Blüthe und Reife wiederweiter entfernt: dennHandel nnd Wandel, mit ihrem veredelnden Gefolge des Keimens und Wissens, hatten sich nach demsicherern Byzanz, der ncucnglanzvolleu 1. Kap.1 Einfluß des Bernstein), g Hauptstadt des östlichen Weltreiches christlichen Bekenntnisses geflüchtet. DieBarbarenhorden waren nur »ach todtem Reichthum gierig, nur auf Eroberung und unfruchtbaren Besitz eifersüchtig, wußten den Werth der lebenden Cultur nicht zu schätzen, vernichteten, was sie in ihrer U»< wissenheit verkannten, und machten aus ihrem Reiche einen wüsten Trümmcihaufe». Eo verschwand den baltischen Gestaden die erste Civilisation lxuropa's, ehe sie die Gegenden erleuchtet hatte, »ach dcncn sie ein sichtliches Streben bewies, und Jahrhunderte mußten aufs Neue verlaufen, el,c die Meere des Nordens mit denen des Südens durcl, industrielle Unternehmungen iu feste Verbindung traten. Ein einziger Haudelsgegenstand scheint der Grund der wcchselsei-tigeu Beziehungen gewesen zu sein, welche die Völker des Nordens und Südeus in dem nun folgenden Zeitalter aufrechterhielte»; es ist dies der Bernstein, das, seinem Ursprünge nach noch unaufgeklärte Geschenk hauptsächlich derbalti sch cn Gestade. Dieuuserhaltcnen Spuren die, ser Verbindungen sind indessen sehr schwach und dunkel, und die wenigen Berichte der alten Schriftsteller über das Vaterland und den Handel des Bernsteins sind unzulänglich, um aus ihnen die Wege erkennen zu lassen, die er nach Tyrus, Korinth, Alexandria und Nom einschlug. Die Namen der Länder imd Völker, die vo» Herodot, Pytheas, Pli-nius. Tacitus, Strabo, Kassiodor, Ptolomäus und Pomponius Mela angeführt werden, können nicht als Führer, sondern höchstens als Grundlage von mehr oder weniger gewagten Schlüssen dienen« und beweisen nur, wiegeringeKenntnißundwic große Irrthümer und unklare Ideen die geistigen Heroen des Alterthums selbst noch über den baltischen Norden hatten. Aber ihnen, den Alten, war es erlaubt, der auSgc« dehnten geographischen Kenntnisse zu entbehren, denn sie besaßen nicht die Vortheile, welche uns Jüngeren die Fortschritte der Schiffsahrt und der Handclscntwickclung bieten. Benutzen wir die interessanten Berichte, welche sie uns über dieLänder hinterließen, die sie selbst bewohn» ten oder genau durchforschten, und verzeihen wir ihnen die Unkenntniß dessen, was außer dem Bereich der Möglichkeit ihrer Forschung lag. Folge» wir ihnen unbedingt unter dem lieblichen Himmel Grieche», lands. Asiens, Aegyptens und Nordafnka's einerseits, und andrerseits auch nach Italien, Spanien, Gallien und selbst bis zu den Ufern des fl Fundorte des Bernsteins nach den Alten. si. Buch. Rheins und der Weser; verirren wir uns aber nicht mit ihnen in die Polar-reaioneu, zu den barbarischen Völkern, die sie nur vom Hörensagen und aus größter Ferne kannten, und zu den ungeheuerlichen Gestalten, aus Krokodil und Aar, aus Nilpferd und Nashorn und anderen mächtigen Geschöpfen ihrer südlichen Welt zusammengesetzt, mit denen ihre Ein» bildung das Gebietdes Nordensbevölterte. Die Zeit war noch nicht gekommen, in der die sich häufenden Entdeckungen den Geist vom Ergrü« beln philosophischer Systeme ab »und auf die Beobachtung astronomi« scher und physischer Erscheinung hinzogen ; dazu bedürfte es noch ciuer langen Reihe kühnerUnternehmungen der Schifffahrt und Eroberungen; erst mußte der Mensch seine Aufmerksamkeit auf den ganzen Erdball richten, und die Gestalt desselben vom Aequator bis zu den Polen sich vor seinen Blicken aufrollen. Indessen müssen wir dennoch einzelnen Stellender Alten Erwäh« nung gönnen, in welchen sie sich specieller auf den hier in Behandlung stehenden Gegenstand beziehen. Herodot sagt: daß der Bernstein, so wiedasZinn. aus dem äußer-steu Europa käme, wo sich der Endanus in das nördliche Meer stürze. Einige Ausleger haben unter diesem Eridanus die Düna in Lievland, andere die kleine Radaune in Wcstpreußen wiederzuerkennen geglaubt.— Pytheas berichtet: daß an den Ufern einer Bai, Mentonomon ge» nannt, ein Volk unter dem Namen Guttones wohnte, von welchen nur in Entfernung einer Tagesschifffahrt die Insel Abalus oder Balthia läge, an der en Küsten sich der Bernstein fände, dessen sich die Ein« wohner statt des Holzes bedienten, und den sie auch an ihre Nachbarn, die Teutones, verkauften. Man glaubte diese Bai Mentonomon für das kurische Haff ansehen zu müssen; die Insel wäre dann das San,-land gewesen, und die Guttones der alte preußische Volkstamm der „Guden"; aber wohl mit mehr Recht kaun man vielleicht diese Stelle auf Jutland, das Land der „Juten", deuten, und die benachbarten Gegenden vielleicht mit nicht weniger Wahrscheinlichkeit der erwähnten Schilderung anpassen. — Plinius erwähnt eines Landes Namens Raunonia und der Inseln Glessariä; Raunonia hat man gar nicht unterzubringen gewußt, während man in den Inseln, die der Küste 1. Kap.) Dunkel über die Fundorte des Bernsteins. 7 Ostfrieslands vorliegen, die Glessariä wiederzuerkennen glaubte. Er« wahnnngen anderer Orte des Bernsteinhandels im Plinius verbreiten keine größere Klarheit. — In ebenso tiefem Dunkel läßt uns Tacitus. Er nennt die Ostbewohner als diejenigen, welche den Bernstein sammelten, und man hat in diesen die Esthen, den Volksstamm, welcher den Osten des baltischen Meeres bewohnte, wiederfinden wollen, ohne zu bedenken, daß Tacitus niemals dieses Meer speciell bezeichnet hat, die Benennung der Ostbcwohncr daher eine wcitausgreifende ist, die sich auf viele Gegenden des Nordens amvenden läßt. — ImKassiodor findet sich eine Stelle, die ebensowenig gewisse Daten liefert. — Pom. ponius Mela scheint klar genug das Kattegat und die drei Meerengen zu bezeichnen, indem er die Bucht beschreibt, welche er Sinus codanus, »ach dem benachbarten Lande, von ihmalsCodanonia aufgeführt, nennt. „Diese Wasserfläche," — sagt er, — „scheint nicht ein wahrhaftes Meer zu sein. In den Schoos der Erde aufgenommen, dringen die Wasser von allen Seiten ein. und überschreiten oft die Ufer; sie breiten sich unregelmäßig aus, wie die Ströme, und die Küsten schneiden tief in das Festland ein. Nichtsdestoweniger durch die Inseln, die nicht weit von einander entfernt liegen, zurückgehalten, dringen sie zusammengedrängt vor, etwa wie ein Arm oder eine Meer» enge, und sich später wendend, nehmen sie die gebogene Form einer langen Augenbraue an."*) Ptolemäus erwähnt des Busens Veneta, für den man das frische Haff und die benachbarten Wasser erklärt hat. und nennt mehrere Flüsse, die sich gegen Osten in das baltische Meer stürzen. Indessen sind diese Flüsse, mit Ausnahme der Fistnla (Weichsel), mit beinahe unverständlichen Namen bezeichnet, und es ist schwer, den Chronus, Rudon oder Rhubon, den Turuntus und den Chcsinus wiederzufinden. Man behauptet zwar, daß sie den, Prcgel. Nicmen. derWindau und Düna entsprechen, aber man behauptet es eben nur. und beweist damit Nichts. Im Ptolomäus finden sich auch noch Details über den cimbrischen Chersones, über die Südküsteu des baltischenMccres. und dieInsclu desselben. Obgleich diese detail-litten Angaben natürlich noch der Präcision entbehre«, sind sie doch. wie alle ferneren Bemerkungen, die man in diesem Autor findet, ge- *) kumponiuz Klei» I^id. III. « Duntel über die Fundorte des Bernsteins. s.1. Buch. nügender, wie die der übrigen Alten in Bezug auf dieselben Gegen, stände. Einzelne Gelehrte haben angenommen, daß derVerfasser diese geographischen Angaben aus den Geheimarchiven der Phönizier ge» schöpft habe; es ist aber auch diese Angabe durch keinen historischen Beweis unterstützt, wie das Vorhandensein solcher Archive auch noch bezweifelt wird; andere schieben die größere Klarheit des Ptolomäus auf eine spatere Einfügung der bezeichneten Stellen, und wahr ist es, daß man in ihm noch viele andere Interpolationen entdeckt hat, und der Text keines zweiten Schriftstellers des Alterthums mit so wenig Einheit und Sicherheit erbalten wurde. Soviel ist aber wenigstens außer Zweifel gesetzt, daß die Alten den größten Theil des Bernsteins, den sie verbrauchten, selbst aus fer« nen Gegenden im Norden Europa's holten; ob dies aber diepreußische Küste war, wie so viele Gelehrte behaupten, wer entscheidet das? Kannten sie die Binnenmeere des Nordens, und die daran stoßenden Länder? Wenn man erwägt, daß die Natur den Bernstein nicht allein auf die baltischen Küsten vertheilt hat, sondern auch auf die der Nordsee, so wird man veranlaßt, zu glauben, daß die Alten an den letzteren das kostbare Product suchten, welches sie zur Ausschmückung ihrer Paläste und Waffen gebrauchten. Es ist möglich, daß sie sich auf den ostfriesischen und jütischen Küsten damit versahen, wo sich das Product ja noch heute, wenn auch in kaum erwähncnswerther Menge, vorfindet, und wo es also ehemals ebenso häufig, als auf der preußischen Küste, an der es auch in Abnahme begriffen ist, gewesen sein kann. Sämmtliche Stellen in den Schriftstellern des Alterthums können ohne stärkeren Zwang ebensogut auf die Nordsee wie auf die Ostsee bezogen werden, und durch unzweideutige Zeugnisse ist es festgestellt, daß bet den ersten Expeditionen in Deutschland die römischen Soldaten von den Ufern der Ems Bernstein mitbrachten. Vielleicht haben die weitergehenden Kriege der späteren Zeiträume die Römer in Verbindnng mit den Stämmen der Weichsel gebracht, und ließen sie so den Weg nach Preußen entdecken; vielleicht geschah es auch auf diese Weise, daß sich der römische Ritter Julian, den Nero cmsaMM hatte, den Bern« stein zu suchen, die ungeheure Masse dieses Productes verschaffte, die er nach Rom brachte, und die dazu diente, den Glanz del öffentlichen 1. Kap.1 Ralibzüge nordischer Volkerstämme. 9 Spiele, welche der Kaiser gab. zu vermehren. Kafsiobors Angabe, daß die Qstmannen selbst in einer feierlichen Gesandtschaft den Bern. stein dem Tbeodorich. König der Gothen. nachItalicn gesendethätten, klärt weder die Lage des Wohnsitzes dieser Ostmannen auf, noch die Richtung des Weges, den sie nach Italien einschlugen. Licht in das Dunkel zu bringen, dürfte ohne Entdeckung neuer authentischer Zeug» niffc nicht möglich sein; aber diese werden fehlen, denn in dem merkwürdigen Gemisch der Ra^en, Völker und Nationen, welches durch die von den Barbaren verursachten Wanderungen erzengt wurde, entstand ein gesellschaftlicher Zustand, dessen Unordnung die äußerste Unwissen« heit und Abspannung herbeisührtc. Weder die Sieger noch dieVesieg-ten dachten daran, diese großen Umwälzungen zu benutzen, um neue geographische Berichte niederzulegen, und die Autoren der Völkcrwan« derung zeigen sich um Nichts unterrichteter, als ihre Vorgänger. Wüst und wild. wie es der Zustand des inneren, mittleren nnd südlichen Deutschlands in den ersten christlichen Iahrhuuderte» war, zeigte sich selbstverständlich auch der in den nördlichen Gegenden des« selben, so wie an den übrigen baltische» Küsten. Die hohe Wichtigkeit des Meeres war von den Völkern des Nordens nie verkannt, und wie einst die Phönizier sich mit ihm vertraut gemacht hatten, thaten auch sie es, nur daß sie es nicht nach allen verschiedenen Richtungen durch» furchten, um friedliche Handelsverbindungen anzuknüpfen, sondern sich nur seinen Wogen vertrauten, um Krieg und Naub auch in fernere Gegenden tragen zu können. Die Völker, welche die Kelten aus ihren Ursitzen ans der kimbrischen Halbinsel verdrängt, die Sachsen, Friesen und Franken und im höheren Grade noch die germanischen Völker Skandinaviens, wagten wie jene die größten Seeunternehmungen. Seit dem dritten Jahrhundert beunruhigten sie beständig Gallien und Bri» tannien. und alle alten Schriftsteller ergehen sich in Klagen über ihre kühnen Secräubereien. Betrachtet man das Material uud die Bauart ihrer Fahrzeuge, so staunt man mitRccht überdie Keckheit, mit der diese nordischen Völker ihreZüge unternahmen. Nachdem drittenBucheStra« bo's, nach Livius. Plinius, Sidonius Apollonius .'c. waren es anfangs ausgehöhlte Bäume, etwa wie die KauotS der Indiancrstämme. die oft bis zu dreißig Mann faßten und nur von einem Steuermann geführt 1l) Bauart der Fahrzeuge nordischer Völkerschaften. . si. Vnch. wurden. Dann verwandelten sie dieselben in solche, die aus Weiden zusammengefügt und mit Thicrsellen überzogen waren. eine Bauart, die ihnen besondere Leichtigkeit gab. So fand sie Cäsar im gallischen Kriege bei den Briten, und so wie er sie schilderte, erhielten sie sich noch im fünftenIahrhnndert bei Sachsen und Normannen. Sie hießen in der qothischen, angelsächsischen und altfränkischen Sprache: „Scipa, Scip, Sicff, Schiff." (Scipa) von „schieben" oder vorwärts treiben. Bald darauf änderten sie wieder ihre Bauart, legten sie auf einen hölzernen Stamm nnd beschlugen sie mit Eisen, und diese Fahrzeuge erhielten den Namen „Kiele" oder „Kcyle." Immer größer werdend konnten sie gegen zweihundert Mann fassen, und wnrdcn dann „Herskip" genannt. Die nordischen Sagen, namentlich dasVcrzcichniß der Seefahrten von Thomodr Torfäns, schildern ihre Gestalt fast wie die heutige. Im Ganzen oval. vorn und hinten aber rund, und zwar hier etwas erhöht, um den Wellen besser widerstehen zn können, oft das Hintertheil so hoch. daß es zu einem Eastelle dienen konnte. In dem mittleren tiese-ren Theile hielt sich die streitbare Mannschaft auf. und wich erst bei nachthciligem Gefechte aufs Hinterthcil zurück, dessen Höhe es leichter gegen Angriffe vertheidigen ließ. Das Innere war reich mit Waffen» verrathen verschen. Die Vordertheile waren stark vergoldet und mit dem Kopfstück eines Drachen, Auerochsen. Walfisch, Adler oder Schlange geziert. Dieser Schmuck mußte beweglich fein, denn die Landnama verkündete: „Das war der Anfang der heidnischen Gesetze, daß Niemand mit einem aufgesteckten Haupt in die See gehen sollte, und wenn er dieses doch thun würde, so sollte er dasselbe, ehe er Land erblickte, wieder abnehmen, und niemals mit einem Kopfe mit offnem Schluude oder aufgesperrtem Rachen an den Strand segeln, weil dadurch die Landgcister zurückgeschreckt werden könnten." Nach diesen Köpfen wnrde später die Gestalt der Schiffe gemodelt, und Schnitzwerkc. Verzierungen und Vergoldungen im Einklang damit angebracht; ein Verdeck ging über das ganze Schiffweg; oft erhielt es Masten mit Segeln und Ruderbänke, oft letztere allein zu zwanzig, vierzig und sechzig an der Zahl. Den Anker, vorn an demselben hängend bildete ein Stein mit einem hölzernen Doppelhaken; wo Taue waren, bestanden sie aus Seehundsfellen; wo die Planken mit eisernen Nägeln befestigt waren, schützte man die Fahr« 1. Kap.! Der Eompaß. - Tüchtigkeit deutscher Seefahrer. 11 zeuge durch Ueberzieheu mit Theer, in den Fugen aber durch Ausfüllung mit zerklopftem, rauhem Seeschilf gegen das Eindringen des Wassers. Auch Flaggen führten diese Fahrzeuge, die, wie die Segel, oft mit bunten Streifen, hellfarbigen Verbrämungen verziert, künstlich gewirkt und von Scharlach oder anderen kostbaren Stoffen gefertigt waren. Die Mehrzahl der erhaltenen Sagen lobt nnd beweist die große Gcschicklichkeit der nordischen Völker in der Echissfahrt. Zur Ausrüstung gehörten auch Walzen und Rollen, um die Fahr« zeuge auf dem Lande fortschaffen zu können, wenn die Naubzüge das erforderten. Sie verstanden mit halbein Winde zu segeln, wohin es weder die gnechischen noch römischen Schiffer gebracht hatten. Deshalb hielten sie sich auch nicht, wie jene. amUfer, sondern wagten sich auf's offne Meer, bei Unwetter und trübem Himmel sich auf ihre Macht übcr dieElemente und die Aufmerksamkeit ihres früh geregelten Nachtdienstes verlassend. Kenntniß einiger Gestirne und das Freilassen gefangener Vögel, die ihren Flug gegen das Land richteten, waren ihre Führer in der Wasser^ wüste. Uralte Abbildungen des Compasses auf den Wachtthürmen am Helgesunde, die der heilige König Claus von Norwegen errichtet, der Umstand, daß alle europäische Nationen seine zweiunddrcißig Punkte in deutschen Stammworten benennen, machen es wahrscheinlich, daß auch dieser eine alte nordisch-germanische Erfindung ist. Alle Ausdrücke des Seewesens sind noch jetzt in sämmtlichen europäischen Sprachen germanischen Ursprunges, weshalb Leibnitz in den „Gedanken von Vcrbes< serung der deutschen Sprache", die Deutschen als Lehrer der Schifffahrt für Europa auftreten läßt. Bis ins sechzehnte Jahrhundert behaup« tetcDeutschland. und in ihm das baltische Meer mit dem wichtigen Lü» beck, den Vorzng im Seewesen vor allen Ländern der Welt, und die Strandbewohner der deutschen Qstsecküstcn sind noch heutigen Tagcs auf den Schissen aller Nationen gern gesuchte Matroseu. Seit dem fünften Jahrhundert haben deutsche Seefahrer die meisten Länderent« decknngen im Westen, Norden und Osten gemacht. Ihnen hat die heu« tige Welt ihre ausführlichen Länderbcschreibungen und eine genauere Erdkunde zu verdanken, und erst in jüngster Zeit sind die Stamm» genossen britischer Zungen ihnen, wenn auch nicht zuvor, doch gleich gekommen. 12 Die Entdeckung Amerika'S durch einen Deulschen. >l. Vuch. Alle Winkel deü baltischen Meeres, den Ocean, das mittelländische und selbst das schwarze Meer besuchten die Bcwobner der Nordlande zu häufigen Streifereien nnd Luftfahrten. Im Süden nannte man sie. und nach ibucn alle Seeräuber. Corsaren, nach dem gleichbedeutenden gothischen Worte Knffarar, wie die Einwohner der Insel Oesel noch heut in esthnischer Sprache, „Cnrresaar" genannt werden. Lange vor Other's Reise, im nennten Jahrhundert, waren die Nordländer gewohnt, in das weiße Meer zu schissen, die Dwina zu befahren nnd an den Ufern Biarmiens zu fischen. Von Grönland aus war Winland, jetzt unzweifelhaft als Nordamerika festgestellt, durch Normänner, die allge» meine Bezeichnung der europäische» Nordbewohner, entdeckt. Und nachdem es wiederverloren, ward es erst 1485 abermals von einem Deut» schen, Martin Behaim. auss neue gefunden, der, nachdem er vom Kö» nige von Portugal mit der azorischen Insel Fayal belehnt, von dort nach Brasilien und Patagonicn gelangte, und als Vorläufer des Co» lumbus und Magelhaens diesen durch seine Karte ein Führer wurde. Die große Wichtigkeit der nordischen Seefahrt erhellt darans, daß cS im baltischen Meere eine Anzahl Könige gab, die keinen Fußbreit Lan» des besaßen, nnd dennoch über große Volksmaffcn zu gebieten hatten. Sie wurden Seekönige genannt und 8axo 6i-»mmnücu8 erzäblt ihrer Thaten in Menge; hänfig hatten sie mehr Nordmänncr auf der See, als am Lande zurückgeblieben waren, und das Schiffs- und Seewesen war so mit ihnen verwachsen, daß, wenn ein solcher Scchcld starb, sein bestes Fahrzeug entweder zu Lande mit ihm verbrannt, mit ihm begraben, oder auch die Leiche auf ihm ins Meer versenkt wnrdc. Nachdem wir die gemeinsamen Sitten der Bewohner baltischer Gestade betrachtet haben, wollen wir zu den einzelnen Staaten und deren Geschichte übergehen. Auf den Inseln des heutige» Dänemarks lebte die Bevölkerung ursprünglich in völligster Gleichheit und Freiheit; persönlich höherer Muth, kühnerer Unternehmungsgeist, mehr gestählter Körper und größerer Trotz gegen Gefahren, mit ihrem Gefolge des Glücks und der reicheren Beute, bewirkten die ersten Standesunterschicde, Bildung von Schutz» bedürfnißund Machtansbreitung. Die Wasserstraßen, welche die Inseln trennten, bedeckten sich mit kühnen Abenteurern, denen Kampf und 1. Kap.) Das Geschlecht der Ckjoldunger. 13 Nalib zur edelsten Beschäftigung wurde. Die reinere religiöse An» schanung von einem Welt und Götter ül'crlcl'cndcn Allvater wurde vcrduntclt; Göttcrgestalten traten auf und erzeugten ein Glaubensund Sittengcmisch, d«s nicht viel fehlen ließ, um die Katastrophe zu er« neuen, welche die Wanderung der Gothen, ron denen Tradition und Sage sie abstammen läßt, so traurig bezeichnete. Tic fnbltcn die wüste Unruhe, das Bedürfniß nach Aufregung und Bewegung, die das erste Erwachen einer Thatkraft barbarischer Volker in der ganzen Geschichte knndgicbt. Der Anblick der bewegten Ece erhitzte ihren Geist, und der Lanf der Ströme, an deren Usern sie wohnten, entflammte ihren Muth. ihnen hinaus in das Meer zu folgen, das ihre ausgczeich. uete Schwimmknnst und die Handhabung von Segel und Ruder nn, terjochte. Ein Sohn Odins, Skjold. der jedenfalls den Heldensagen des Nor« dens eine historische Grundlage bietet, wenn schon er, als ihr Mittel« puukt, äußerst schwer von der mythischen Hülle zu sondern ist, war der erste Däne, derdie verschiedenen kleinen Herrscher zur See und zu Lande sich unteiwarf, und als König über sie gebot. Sein Sitz war in Lethra aufSeeland, woauch eine lange Reihe seiner Nachkommen. dieSkjoldun« ger, thronten. Unter den letzteren zerfiel die Obermacht, und ein Königthum bestand nur noch nominell, bis im siebenten Jahrhundert Iwar Widfamue die Macht der wieder fast völlig frei gewordenen Seekönige brach, und auch einen Theil Schwedens unterjochte. Im achten Jahrhundert sank das Geschlecht der Skjoldunger aufs Neue von seiner Höhe herab, bis NagnarLodbrok es zu höherem Glänze erhob, die alte Macht gewann und befestigte, ehe er Gefangenschaft und seinen Tod bei einem Einfall in England fand. Nach ihm sank und theilte sich sein Geschlecht und sein Neich wiederum. Auch in Schweden schließen sich die Sagen an Odin an, und es zeigt die gleichen Verhältnisse verschiedener Herrschaften, auf der Basis zeitweilig gewonnener Macht über sonst gleich Freie. Zwei Hauptstamme zeigen sich daselbst, die Suioncn. deren Tacitus als „mächtig durch Menschen, Flotten und Waffen" gedenkt, denen Freyrder Sohn Odins, und selbst Asenkönig. den Thron und Haupttempel zu Upsala gegründet. Neben ihnen wohnten an dcn Ufcrn der Ostsee die Gothcn, deren ^H Die noldischcn Kustcnbcwobnel. ^I. Buch. Reich von jenen gestürzt wurde, nachdem Sigurd die Brawalla»Schlacht siegreich geschlagen. Das Herrscherhaus nannte sich nacl, Ungwc. dem Sohne Fieyr's, Unglinger; cs setzte die Einrichtungen desselben fort. ver» vollkommnete sie, und kämpfte siegreich gegen seine Nachbarn, namentlich nach Osten, die Wancu, Ioten und Finnen, bis Iwar Nid-famue, der Däne, sie unterwarf und vertrieb. In späterer Zeit wurde das vereinte Schweden uud Gothenland, Swithiod und Gauthiod. dem Helden Björn Iernside (Eisenseitc) als ein eigenthümliches, selbständiges Reich verliehen. Im Norden Skandinaviens, etwa von der Meerenge Quarten ab, und bis zum weißen Meere und um die Ostsee herum. wohnten finni» sche Stämme, dieein rohes Nomadenleben führten uudin stetem Kampfe mit de» Schweden lagen, denen sie oft zinsbar wurden, sich aber ebenso oft empörten. Die westlichsten derselben, dieBiarmicr. die bis zur Dwina und Wolga wohnten, trieben schon frühzeitig Ackerbau und waren in friedliche Verbindungen mit den Skandinaviern getreten. Im süd» lichen heutigen Finnland hausten die wilden, streitbaren und räuberischen Karelen, von Jagd und Viehzucht lebend. An dem Nordufer des finnischen Meerbusens entlang zogen sich die ackerbautreibenden Tava-ster, auch Finnen, und führten über die Aalandsinseln vielfachen Verkehr mit den Schweden. Den Südstraud des Golfs oder die esthnische, lie» vische, die kurische und lithauische Küste der Ostsee bewohnten gleich« falls Völkerschaften finnischen Ursplungs; Schlözer sagt von ihnen: „In unvordenklichen Zeiten hatte einst das Finnenvolk, ein mächtiger Stamm, reich an poetischem Gefühl und sinnigerAnschauung der Natur, geübt und erfahren in technischen Arbeiten, vor Allem im Bergbau und in der Schmicdekunst kampfmuthig zu Lande und zur See. wenn nicht durch abergläubigcs Zauberwesen verdummt, seine heimatlichen Höhen des Urals verlassen. und war in die weiten damals noch herrenlosen Ebenen des östlichen Europa's eingezogen. Hier mochte es sich geraume Zeit ungestört ausgebreitet, auch wohl schon früher nach Skandinavien übergesetzt sein. und sich der Küsten der Ostsee bemächtigt haben. Da drängten, von Süden herkommend. Slaven und germanische Stämme gegen die Finnen an, und zwangen sie durch Un^ geftüm und Uebermacht zum Weichen. Fortan zog sich die finnische i. Kap.) Die Völkerstämme Preußens und ostwärts der Weichsel. 15 Volksmasse immer weiter nach dem äußersten Norden zurück, und in die verlassenen Sitze derselben rückten im Osten die Slaven ein. wäb« rend Skandinavien den Germanen anheimfiel. Das geschah zu einer Zeit, von der nur Mythe und Sage weiß." —Der Gesammtnamc dieser Stämme war testier, aus ihnen tauchten die noch l,cnt in il>ren alten Sitzen am baltischen Gestade übrig gebliebenen Neste der Letten. Lievcn. Kurenundder mächtigste Stamm der Esthenanf. Sie lebten in freien Gemeinwesen, unterbcrrschendenAcltesten. ohne erbliche Könige, oft behelligt von den nach Abenteuern suchenden Skandinaviern, die über den Ladoga.und Ilmcnl. Buch. Zweites Kapitel. Karl der Große. — Normannenzüge. — Gnmduna, der Slavenreiche. — Alfred der Große. — Gründung der baltischen Städte. Solches war der Zustand der baltischen Lande, als die Zeit und einige günstige Umstände wieder allmälig einen neuen Tag mitten in der Düsterheit anbrechen ließen, welche die Welt bedeckte. Zum zwei» ten Male gaben die schönen Gestade, welche das mittelländische Meer badet, einer höheren Industrie und regerem Handel das Leben. Mit Byzanz. welches die Erinnerungen au die römische Größe bewahrte, wetteiferten die westlichen Seestädte; ja, als dasselbe in Verfall gerieth, traten diese, die ihre Wichtigkeit schon zu fühlen begannen, in ihr Erbtheil ein. Venedig erhob sich zu Macht und Reichthum aus dem Meere; Genua feierte seine Auferstehung aus der Asche, die ihren alten Glaliz verdunkelt hatte. Marseille, dessen Wohlstand und Macht sich zum größten Theile während der allgemeinen Erschütterung des Westens erhalten hatte, nahm den Vorrang bei der Wiedergeburt der Cultur und Verbreitung der gesellschaftlichen Zustände ein. Da trat gleich, zeitig der hervorragende Geist Karls des Großen auf, und gab den Völkern einen mächtigen Anstoß, dessen Wirkungen sich trotz der Ca. lamitäten, welche seiner denkwürdigen Negierung folgten, weithin ver« breiteten. Der Pflug zog seine Furchen in lange vergessene Felder; der Handwerker übte sich in den Künsten seines Gcwerks, und der Handel suchte sich neue Wege und Anknüpfungspunkte. Aber diese Neugestaltung der zerrütteten Verhältnisse mußte dcm natürlichen Laufe folgen und die Regionen des Nordens konnten nicht in gleichem Maße, wie die des Südens, daran Theil nehmen. Im Anfang des neunten und schon am Ende des achten Iahrhun. derts spricht die Geschichte viel von den Zügen der Normannen, unter welchem Namen sie das Gemisch der Bewohner der baltischen Gestade aus germanischem Stamme begreift. Sie trotzten auf ihren leichten Varken den Klippen und Stürmen, suchten allmälig die deutschen, französischen, italienischen und selbst die byzantinischen Küsten auf, um Raub und Beute zu gewinnen. Als. nach Eginhards Erzählung. Karl einst von seinem Lustschloß in Languedoc auf das mittelländische Meer 2. Kap.) Normannenzüge. 17 hinaussah, und dort eine Flotille von wenigen Fahrzeugen entdeckte, deren Bewegung die Absicht des Landens verrieth, erkannte er sie als jütländische Seeräuber und prophezeite mit Grund aus dieser kühnen Unternehmung seinen Nachfolgern gefährliche Folgen. Sein Ausspruch bewährte sich, deu» daß er den slavischen Obotritenstamm für die gegen die Sachsen geleistete Hilfe, mit dem Lande am rechten Elbufer belohnte, zog Karl dem Großen selbst eine feindliche Berührung mit dem König Gottrich von SüdMand zu. Dieser hatte die Obotriten angegriffen und Karl denselben Beistand gesendet. Gottrichs Flotte von zweihundert Segeln zerstörte Friesland, und nöthigte, nach Egin« hards Angabe. Karl zur Erbauung eiuel Flotte. Erst nach Gottrichs Erschlagung durch seine eigenen Genossen endete der Krieg und die Eider wurde die Grenze des Reiches der Deutschen und der Süd-Iüten. Die Nachfolger Karls des Großen konnten den erhabene» Fürsten nicht ersehen und seine Pläne verschwanden mit ihm; das bal, tische Land wäre dem Süden wieder entrückt gewesen, hätten nicht seine Bewohner selbst den Blick jetzt entschiedener auf denselben gerichtet. Unter Fürsten ohne Talent, ohne Energie, getheilt, wurde daS neue römische Neich deutscher Nation erschüttert; Rache und Haß zogen die Aufmerksamkeit von den wahren Pflichten der Regierung ab; unnütze, vergebliche Zwistigkeiten und abergläubische Beschäftigungen raubten dem Geiste die Kraft und Stärke, welche die kritische Lage, in derfichdas Reich befand, erforderte. Unordnung und Mangel an Zusammenwirken rissen in allen Theilen derVerwaltung ein und erschöpften deu Schatz; die festen Plätze sanken in Trümmer oder blieben ohne Vertheidigung. Von den baltischen Völkern hatte sich in diesem Zeitraume da« Conglomerat der Normannen in die Geschichte des deutschen Reiches gedrängt. Dieselben waren an den friesischen Küsten erschienen und hatten, vor keinem Widerstand zurückschreckend, eine reiche Bcute gemacht. Der Erfolg ermuthigte sie; sie kehrten in größerer Zahl zurück, drangen in die Seine ein, verheerten Roucn und die benachbarte Gegend, ja, sie trugen schließlich Schwert und Flamme bis an die Mündungen der Rhone, des Po und des Arno, Raub und Brand als ihre Spuren im ganzen Frankenreich zurücklassend. Karl der Kahle und Kalle- Dit Osts«. I. 2 lg Normannenzllgt. ft. Buch. mann sahen sich genöthigt, um sich der Normannen zu entledigen, ihnen einen Tribut zu zahlen, was jedoch nicht verhinderte, daß sie in stets neuen Zügen zurückkehrten. Karl der Dicke, der zwar Karl des Gro. ßen Reich wieder vereinte, aber nicht seine Macht besaß, mußte den Normannenkönig Gottfried mit Land und Gold besänftigen, wofür dieser das Christenthum annahm. Am Schluß des neunten Jahrhunderts sahen sich die Normannen in ihrem Siegeslauf gehemmt; Odo von Frankreich und Arnulph, Kaiser der Deutschen, schlugen und tödteten ihre Könige Gottfried und Siegfried, und warfen sie selbst in ihre Heimatlande zurück. Sie kehrten aber noch mehrere Male wieder und erneuten ihre Verheerungen. Unter Karl dem Einfaltigen gelangte ihr Führer Nollo oder Gangahrolf, der Sohn Raywalds, eines mäch« ttgen Norwegers und Sprößling eines Schwedenkönigs, nachdem er. Schrecken verbreitend, das baltische Meer durchsegelt und durch Raub und Brand sich den Bannspruch des Königs Harald von Norwegen zugezogen, in Folge der Schwache Karls des Einfältigen in die Provinz Neustrien, als deren Fürst er sich aufwarf, sich taufen ließ und den Namen Robert annahm. Obschon Lehnsträger Frankreichs, kümmerte er sich wenig um seinen Qberherrn, huldigte ihm auch nur mit Hand. schlag, indem er den üblichen Fußkuß an seiner Statt durch einen seiner Krieger verrichten ließ, der des Königs Fuß so heftig erhob, daß derselbe rücklings niederstürzte. Robert beherrschte in der Folge friedlich seine Provinz, die nach ihm Normandie benannt wurde, und wußte den Einwohnern Vertrauen und Respect einzuflößen; den nordischen Cha« rakter behielten die Einwanderer bei und zeichnen sich in ihren Nachkom» men noch heut durch festere Haltung und männlicheres Wesen aus, aber Sprache, Sitte und Gesinnung der Franzosen ging auf die vom Vatcrlande losgerissenen über. Einige Genossen Rolfs zogen weiter in die südlichen Meere, bewiesen ihre Kraft gegen die Sara« zenen und erwarben Reichthum und Ehren. Von ihren Nachkommen stifteten Guiscard und Roger. Söhne Tancreds. normannische Reiche als Herzöge von Calabrien und. Könige von Sicilien, auf die Wogen des mittelländischen Meeres das Treiben verpflanzend, das auf denen der Ostsee geboren, und mehr als einmal dem byzantinischen Kaiser» thron von Süden her Gefahr und Ungemach nahe bringend, welche 2. Kap.1 Gründung der Slavenreiche. zg andere Stammesgenossen von den baltischen Gestaden landeinwärts dorthin trugen. Die unter Karl dem Großen geschehene Vereinigung der roma« nischen und germanischen Stämme führte auch unter den Slaven das Bedürfniß einer Verbindung der einzelnen Gemeinden zur Abwehr und die Sehnsucht nach kräftigen Herrschern herbei. Vom baltischen Meere aus hatten die Skandinavier ihre Schiffe die Ströme hinauf in das Innere des lieutigen Rußlands geschafft, über das Festland bis zum Dnievr getragen und so das schwarze Meer erreicht. In zahlrei« chen Wikingszügen waren die einzelnen Volksstämme den Normannen zinspftichtig geworden, und diese hatten neben der reichen Beute die höchste Anerkennung ihres Manneswerths erworben. Bedrängt von anderen Seiten, lieferten die Slaven den in der Geschichte vereinzelt dastehenden Beweis nationeller Selbstverleugnung, aus ihren Unterdrückern sich die Herrscher zu erwählen. Drei Waräger, wie die Nor» mannen von ihnen genannt wurden, Brüder, gaben der slavischen Bitte nach und stifteten aus der Menge kleiner Republiken drei Reiche, die. von dem ältesten, Rurik, als Erben seiner Brüder, vereinigt, zu dem Ursprünge Rußlands führten. Von Nowogorod, seinem Sitze, aus. unterjochte der Stamm Ruriks. frühe schon zum griechischen Christen« thum bekehrt, die Nachbarstaaten slavischer Nation, und zog. von nach. rückenden Warägern verstärkt, feindlich nach dem Polänenstaat Kiew, brach seine Macht und vereinte ihn mit dem russischen oder ru« rikschen Reiche. Byzanz. dessen Kaiser Normannen zu ihrer Leibwache erwählten, verband sich auf friedlichem Wege mit Nußland, und die Kämpfe des letzteren wendeten sich nach Osten gegen die asiatischen Völker, nach Norden gegen die Finnen, oder wütheten im Innern des Reiches, stets zum. Siege geführt durch neu herbeigezogene skandina« vische Manneskraft. Auch nach dem Norden und Westen hin hatte sich die Macht der Normannen ausgebreitet. In England waren unter Egberts Scepter die sieben Königreiche vereint, welche die Angeln und Sachsen, die un» ter Hengift und Horsa den Vritanniern zur Hilfe gegen Picten und Scoten geeilt waren, dort gegründet hatten, als die Normannen, das Meer überschreitend, zuerst in der Themse und an den britischen Küsten 2' 2g Alfred der Große. ll. Vuch. erschienen. Egbert und sein Nachfolger Ethelwolf schlugen sich glück« lich mit ihnen, aber stets in wachsender Zahl zurückkehrend, sehten sie sich bald. namentlich im Norden, fest, hier vorzugsweise Dänen ge. nannt. Ethelbald und Ethelred, Söhne und Erben Ethelwolfs. verbrachten und verloren ihr Leben gegen die sich unaufhörlich wieder« holendenLandungenderDänen. Da bestieg endlich871 der jüngste der Brüder, Alfred, den Thron; er war ein Fürst, mit allen Eigenschaften bekleidet, welche große Herrscher bilden; trotz seiner Jugend, die Schön« heit und Lieblichkeit des Körpers auszeichnete, hatten die Spiele der Leibesübungen. Jagd, und Kriege gegen die Normannen, seine Kräfte gereift, und für höhere Bildung hatte ein Aufenthalt in Rom gesorgt. Umgeben von stolzen und habgierigen Großen, die sein Volk bedrückten, und nur ihre Macht und ihren Einfluß zu vergrößern suchte», sah er seine Kräfte nicht ausreichen und nahm zur List seine Zuflucht. Noch nie hatten die Dänen das Reich so überschwemmt, als jetzt; eine Landung raubgieriger Echaaren folgte der andern. Nicht weniger als acht große Treffen und viele kleinere Gefechte lieferte ihnen Alfred in einem Jahre, aber die Gefallenen wurden immer wieder doppelt er« setzt. Das dänische Heer eroberte Mercia und setzte dort einen abhän« gigen und zinspflichtigen König ein; dann unterwarf ein Theil dessel« ben Northumberland ; ein anderer wendete sich nach Süden. Alfred ge» wann anfangs einige Vortheile, aber 877 verlor er fast Alles; von sei« nen Unterthanen verlassen, griff er zur List, wo die Kraft nicht aus« reichte; er verbarg sich in einem ländlichen Aufenthalt, buk das Brot im Backofen und hütete die Heerdeu auf dem Felde, seiner Zeit harrend. Im Frühjahr durch günstige Nachrichten belebt, und der Ausführung seines Planes näher gebracht, verschwand er, und trat als Schäfer gekleidet, die Bardenharfe iu der Hand, im dänischen Lager auf. Die Soldaten durch seine Accorde und den Sang der altsächsischen Lieder und Sagen entzückend, behorchte er ihre Gespräche und beob« achtete die Schwäche ibres Lagers. Unentdeckt lam er zurück, und ließ durch treue Abgesandte alle streitbaren Engländer zu sich entbieten. Voller Freude, daß er noch lebe. eilten sie zusammen, und an ihrer Spitze zog er zu seinem Freunde, dem Grafen Oldune von Devonshire, der von den Dänen belagert, einen glücklichen Ausfall gegen sie gemacht 2. Kap.1 Britannien unter Ethelred und Sven. 21 hatte. Der vereinten Gewalt vermochten die Dänen, überrascht durch die, wie mit Zauberkraft neugeschaffene englische Heeresmacht, und ge« blendet von dem Glänze des Fürstenwerths Alfreds, nicht zu wider» stehen; sie wurden geschlagen; die Einen flohen über das Meer, die An« dern m einen festen Ort, wo der Hunger sie nachgiebig machte; es kam zu einem Vertrage; die neuen Eroberungen mußten herausgegeben werden, und in den alten erkannten die Dänen die Autorität des sieg. reichen Königs an. Ja, der Dänenfürst Guthrun trat, von Alfred be« kehrt, zum Christenthum über und herrschte als Vasall über Ostangeln, Northumberland und Mercia. Erst nach dessen Tode erhoben sich die Dänen aufs Neue. unterstützt durch eine «ngclmire Schaar normannischer Stammesgenossen, die Hastings in dreihundertunddreißig Schiffen aus Frankreich herüberführte. Drei Jahre hatte der Kampf gedauert; doch wußte Alfred wieder zu siegen, wie er zu herrschen wußte; England war für die Dauer seiner Herrschaft gegen die Einfälle der Dänen geschützt. Nach Alfreds Tode blieben drei Viertel eines Jahrhunderts hin« durch die Einfalle der Dänen unbedeutende Räubereien. Ihre Kühn» heit wuchs aber wieder unter der Regierung König Ethelreds, dessen Feigheit ihm allgemeine Verachtung zuzog. Gegen das Jahr 990 fielen zuerst wieder zwei dänische Häuptlinge in England ein, verheer» ten die Küsten, und berichteten bei ihrer Rückkehr den leichten Erfolg König Sven von Dänemark. Von der Sachlage unterrichtet, begab sich dieser selbst mit einer Flotte nach Britannien, und verbreitete dort einen solchen Schrecken, daß Ethelred. den Ausweg der Schwäche ergreifend, sich den Frieden durch Gold erkaufte. Die Einfälle wieder, holten sich durch Sven und König Olav von Norwegen und führten zu gleichem Erfolg. Die deshalb nöthige Summe wurde durch eine Austage unter dem Namen Dänensteuer erhoben. Was Kraft und wahrer Muth nicht vermochten, sich von den Dänen zu befreien, hoffte Ethelred durch Verrath zu erwirken : auf einen bestimmten Tag befahl er die heimliche Ermordung aller in seinem Staate befindlichen Dänen, und sein Gebot wurde mit entsetzlichem Eifer ausgeführt. Da erschien Sven, der in sein Reich zurückgekehrt war. von Neuem in England; von Rachegefühl belebt, sann er auf den Sturz Ethelreds und 22 Kanut, König von Britannien. ft. Buch. die Unterjochung seines Reiches. Nach mehreren Schlachten und der Verheerung einer großen Zahl Städte trug er den Sieg bis vor Lon« don. Ethelred, von den Seinen verlassen, von den Gegnern verfolgt, floh nach Frankreich; Sven nahm seine Hauptstadt und der durch die Erfolge erschreckte noch unbesiegte Theil des Landes erkaufte nach den langen Kriegsjahren den Frieden durch Unterwerfung. Im Jahre 1014 wurde dem König Sven von Dänemark auch als König von England gehuldigt; doch starb er noch in selbigem Jahre, und unter seinem Sohne und Nachfolger versuchten die Engländer aufs Neue, das Joch abzuschütteln. Anfangs im Glück, mußte Edmund, der Sohn und Erbe Ethelreds, verrathen und verlassen, die Hälfte des wiedergewonnenen Reichs Kanut zurückerstatten, der dann nach dem in wenigen Monaten erfolgenden Tode Edmunds Erbe des Ganzen wurde. Diesem Fürsten hatte die Natur einen thätigen Geist und eine erhabene Seele verliehen, aber er stand erst an der Grenze der Civilisation, und mehrere Acte nordischer Grausamkeit bezeichnen seine Regierung. Wenn seine Leidenschaften nicht erregt waren, überließ er sich nützlichen friedlichen Entwürfen und hörte auf die Stimme der Gerechtigkeit. Ja mit« unter hatte er wahrhaft große und edle Eingebungen, die eine überlegene Vernunft gebar; sein großmüthiger Charakter, Muth, Mäßi« gung, Klugheit und Frömmigkeit brachten es selbst dahin, daß ihn die Eroberten nicht haßten, und die Engländer unter ihm ruhiger und glücklicher lebten, als es lange unter dem angestammten Königshause der Fall war. Im Jahre 1035 endete Kanut sein Leben und noch zwei dänische Fürsten folgten ihm in England. Der letzte derselben starb ohne Nachkommenschaft; die Nachkommen des fächfischen Fürsten Ethelreds bestiegen den Thron wieder, jedoch nur, um nach zwanzig» jährigen inneren Fehden und Kriegen gegen kühne Abenteurer ihn an einen andern nordischen Stamm, unter Wilhelm dem Eroberer, zu verlieren. So sahen wir. wie am Schlüsse des vorigen und im Beginn des jetzigen Jahrtausends die Normannenzügc zwar belebend von den bal« tischen Gestaden nach allen Richtungen wirkten, aber in überströmen, der Kraft zu einem Drangsal für Europa wurden; doch der Geist, der über die Verkettungen der Ursachen und Wirkungen gebietet, bedient 2. Kap.) Innere Entwickelung der baltischen Länder. 23 sich zuweilen großer Katastrophen, um große Entwickelungen herbeizuführen. Wenn man die Geschicke des menschlichen Geschlechtes beurtheilen will, muß man seine Blicke auf die ganze Erde richten und eine lange Reihe der Jahrhunderte umfassen. Das Licht, welches wieder, geboren zu werden begann, wurde durch diese Kämpfe nicht erstickt, und konnte sich schneller von Süden nach Norden verbreiten. Obschon auch die germanischen und romanischen Völker Südeuropa's in jenen Jahrhunderten nicht auf einer hohen Stufe der Civilisation standen, waren sie doch in das Erbtheil ihrer Blüthenreste getreten und standen weit über denen der nördlichen Gegenden. Sie hatten feste Gesetze über mehrere Zweige der Verwaltung; Dörfer, Städte, Burgen ; sie richteten ihre Arbeit und Industrie auf gemeinsame Punkte, befleißigten sich des Ackerbaues, der Gewerbe, ja es keimten bereits einige Künste von Neuem bei ihnen, deren Zweck die Befriedigung des Luzus war; sie hatten kostbare Tempel, öffentliche Bau-werke, wenn auch nicht mit Geschmack, doch mindestens mit Reichthum geschmückt; Schulen, von Geistern wie Karl der Große und Alfred der Große errichtet, bestanden fort und verbreiteten Kenntniß und Wissenschaft. Die barbarischen Kämpfe hatten neben ihren unseligen Verheerungen das Gute gestiftet, die Schranke niedergebrochen zu ha-» ben, welche die beiden Theile Europa's von einander trennte; die Nordbewohner sahen für sie neue Gegenstande, und ihre geistigen Fähigkeiten empfingen einen gewaltigen Eindruck. Sie mischten, für sie selbst unmerklich, weiterblickende politische Absichten ihren bisher planlosen Raub- und Zerftörungszügen bei, und so erzeugten sich mitten unter den Seekämpfen, die von der Ostseewoge ausgingen, die Vortheile der Handelsbeziehungen. In Betreff der weiteren inneren Entwickelung der baltischen Länder sah man in dieser Zeit längs der Küsten Etablissements ent« stehen, vor denen sich die Flotten sammelten, wo man Waffen und Lebensmittel einschiffte und wo sich Alle niederließen, die am Handel Geschmack fanden und durch ihn ein ruhigeres Dasein fristeten. Die in Frankreich. Italien, Byzanz und England gemachte reiche Beute, Va« sen, Armbänder. Gold' und Silbernnge verbreiteten sich durch fried, liche Verbindungen von einem Stamme zum andern, und gleichzeitig 24 Oriindung dänischer Eolonien. ft. Buch. gingen im Austausch die einheimischen Producte der Jagd, Fischerei und Viehzucht zurück. Die Krieger gestanden den Handeltreibenden nicht nur Ruhe zu, sondern nahmen sie auch mitunter in ihren besonderen Schutz. Dänen, Schweden, die Bewohner Slaviens, die Wen« den und selbst die Preußen traten oft in wechselseitige Verbindung, und in den kurzen Zwischenräumen der feindlichen Heereszüge begaben sich auch normannische Schiffe nach England und Irland, um mit Kaufmannswaaren beladen zurückzukehren. Der Hauptmarkt des bal« tischen Landes war im 9. Jahrhundert das reiche Haethun (Hedaby, das heutige Schleswig) von wo ein lebhafter Verkehr nach den weft« lichen Slavenländern und dem Norden stattfand. Von hier aus ging in der ersten Halste des zehnten Jahrhunderts Hakin der Däne, Sohn Harald Blatands. nach Osten und gründete in Samland eine dänische Colonie, die bald in ihrem Selbststandigkeitsbeftreben aufs Neue unterworfen werden mußte. In Slavien hatten sich, trotz der schwankenden Obermacht und wechselnden Stellung der deutschen und slavischen Völker, schon im zehnten Jahrhundert die Städte Colobrega (Kolberg), Gdansk (Danzig) und Felgard hervorgethan; doch machte sich dänischer Einfluß in ihnen sichtbar. Das Haupt aller slavischen Handels« städte und der allgemeine Stapelplatz der umherliegenden Völker an der Ostsee, sowie in mittelbarer Verbindung mit den Arabern stehend, war Vinetha (Iummctha. Iumcn, Iulin), unter welchen Namen die alten Sagen die blühende Stadt erwähnen. Sie lag nach Einigen auf der Insel Usedom, war die größte Stadt des europäischen Nordens, von allen Völkern, selbst Germanen und Griechen, besucht und bewohnt; aber nach anderen glaubwürdigeren Deutungen hat sie an der Stelle des heutigen Wollin gestanden. Jede Nation hatte dort ihren Gottesdienst, die christliche natürlich ausgenommen; das Lob der Gastlichkeit, einer allen slavischen Völkern gemeinsamen Tugend, wird ihr Vorzugs» weise beigelegt Ihr Reichthum an Waaren. Seltenheiten und Kostbarkeiten zog die Aufmerksamkeit Harald Blatands aufsich, und er legte, nachdem er dieselbe seinem Gehorsam unterworfen hatte, zu ihrem Schuhe an der Mündung der Swine die berühmte Festung Iomsburg oder Teeburg an. In ihr stiftete der Sagenheld Palnatoke ein Reich des Heldenthums, d^s seiner Schilderung nach eine Art republikanischen 2. Kap.Z Gründung baltischer Städte. 25 Kriegerbündnisses zum Schutze der alten Götter, mithin ein Vorläufer der geistlichen Ritterorden war. Die Stadt hatte einen gewaltigen Umfang; in der Mitte lag der Hafen, der dreihundert große Schiffe fassen konnte; er war von einem Damme auf beiden Seiten eingefaßt, der vermittelst einer steinernen Brücke zusammenhing; der Bogen dieser Brücke bildete ein prächtiges Thor, das auf der Seeseite mit einem eisernen Fallgitter geschlossen werden konnte. Mitten auf der Brücke stand ein Thurm, worauf sich Maschinen zum Steinschleudern befan« den und die Burgwacht die ankommenden Schisse beobachten konnte. Die Städte Demmin, Stettin, Piritz, Kamin und Usedom treten erst im zwölften Jahrhundert hervor und vermittelten, durch Zwischenhandel die Skandinavier mit den unthatigeren Preußen und Letten verbindend und von den ritterlichen Polen nicht behindert, die festländische Verbindung zwischen Nord, West und Ost. In Preußen selbst hatte sich schon seit uralter Zeit, wohl auf den Bernsteinhandel mit Rom gegründet, Truso (Drausen. an der Stelle des heutigen Elbing) als berühmter Stapelort ausgezeichnet, und die Samländer trieben früh von hier aus Handel nach West und Nord. die Landwege über Oder, Elbe und Rhein nach Massilia, über Weichsel. Warthe, Kra-kau, durch Ungarn an die Waag nach Carnutum, und über den Pre« gel, Peipus, Borysthenes nach Olbia am schwarzen Meere nicht vergessend. In Skandinavien war schon im neunten Jahrhundert das alte Sumpfland Schonen berühmt durch Reichthum an Getreide, Waaren und streitbaren Männern: im Sunde erschien in jeglichem Sommer die Öresundsflotte. die von der fischreichen Küste Fracht erhielt, oder von Skanörs damals berühmtem Jahrmarkt im Herbste Honig, Malz und Weizen zurückbrachte; Helsigiaborg und Halsairi (Helsingborg und Helsingör), Hiostad Gstadt), vor allen aber Lund waren große Han, delsplätze. Schonen nebst Halland und Bleking gehörten nach anhaltenden Kämpfen bald den Dänen, bald den Schweden an; Öland und Gothland erwarb sich Schweden; Kalmar war schon im elften Jahrhundert als Hafen- und Handelsstadt berühmt; das zum Theil fruchtbare Smaland begrenzte den ungewissen Finnwald; das alte Wiken (Bohuslän) sendete aus dem Wenersee den Göthaelf'hmab seine Wi< 2g ' Christenthum und Heidenthum. sl. Vuch. kinasflotte; vom alten Bödöse und Kongahall holten sie Madmal, Salz, Hering, Korn und Malz. welches über Falköping und Skara nach dem inneren Westgothland befördert wurde. Von Skara ging der Handelsweg nach Westgothland und Talje nach Sigtuna am Mä-larsee. Letzteres lag im eigentlichen Svithiod, wie auch Aros, das heutige Upsala. In jenem, dem alten Sitze Odins, lag der Natioualtem« pel, und dies machte Sigtuna ebenso wie Birka, den sicheren Scheeren-hafen, von dem nur noch wenige Reste vorhanden, zum Hauptort für Dänen, Normannen und Slaven aller Stämme, die der wichtige und uralte Eisenbau, besonders in Upland erheblich, hier versammelte. Alle diese vereinzelten Elemente der Civilisation verbanden sich und entwickelten sich vortheilhafter, als die Einführung des Christen-thums sich unter blutigen Kämpfen vollendete, der göttliche Samen nicht mehr auf dem felsigen Boden zertreten, oder vom Winde verweht, oder vom Unkraut erstickt wurde. Auch dies war vorzugsweise eine Frucht der.Normannenzüge, oder wurde mindestens durch sie be» schleunig!. Mehrere der Helden hatten in den kriegerisch von ihnen heimgesuchten fernen Landen der überzeugenden Wahrheit nicht widerstehen können, und die christliche Lehre angenommen. Auch ward die Kenntniß derselben durch die Christen, welche als Gefangene im Ge» folge der Sieger ankamen, an die baltischen Gestade getragen. Der Predigteifer des Jahrhunderts beseelte die Priester und Mönche, die Ausbreitung ihrer Lehre auch zu den Ungläubigen des Nordens und Ostens zu tragen, von denen sie reden hörten, und deren götzendienerische Entweihungen der Heiligkeit des Christenthums sie sahen. Die Päpste und Bischöfe fachten den entbrannten Eifer an, um der römi» schen Kirche eine erweiterte Herrschaft zu sichern, und die Könige er« hielten ihn, in der Hoffnung, daß eine sanfte und friedvolle Religion die gewaltsamen, wilden Ausfälle der Barbaren mildern, und ihrem Raub- und Plünderungsgelüste einen Zaum anlegen würde. Der Denk« und Lebensweise der Nordbewohner stand das Christenthum schroff entgegen; das wilde Thatenleben mit einem Leben voll Frieden zu vertauschen, das Kampf und Rache als Sünde verschrie, behagte den Normannen durchaus nicht, uud trotz der weise benutzten mannich-fachen Anknüpfungspunkte, welche äußere scheinbare Uebereinftimmun» 3. Kap.) Willibrods Bekehrung der Dänen. 27 gen des Christenthums mit der nordischen Götterlehre darboten, hatte dasselbe bis zu seinem Siege fast zwei Jahrhunderte lang schwere und blutige Kämpfe zu bestehen. Drittes Kapitel. Willibrods Bekehrung der Dänen. — worm der Alte. — Harald Bla. land. — Axsganns. — Bekebnina, Schwedens. — Bekehrung der deutschen OstseelMen. — Vrnno's Bekehrung der unteren Weichsellande.— Bekehrung Masovicus, Preußens. Lithauens, Kurlands. Esthlands. Liev-lands. — Eaiuhard. Othercd, Wulfster, Adam von Bremen gehen über die Ostsee. Karl der Große hatte das Licht des neuen Glaubens auf der Spitze seines Schwertes bis zu den Sachsen über die Elbe und nach Holstein getragen; Ludwig der Fromme fuhr nach dem Beispiele des Vaters fort, an der Verbreitung des Christenthums unter den Norddeutschen und Dänen zu arbeiten. Einer der Apostel der schon bekehr« ten Friesen, Willibrod, drang in die Grenzen des heutigen Dänemarks predigend und lehrend ein. Vom Kaiser selbst wurden ihm im Jahre 822 der Erzbischof Ebbo von Rheims und der Mönch Halitgar nach. gesendet, und sie zogen, mehrere Taufen verrichtend, im Lande umher; doch blieb ihre Wirksamkeit ohne dauernde Folgen. Ebensowenig nachhaltigen Einfluß hatte die Bekennung des Heilandes durch einen lan, desflüchtigen Iütenkönig Harald Klak. der durch seine Taufe und Lehnsnahme bei dem Kaiser Ludwig dem Frommen dessen Beistand zur Wiedererlangnng seines Reiches erkaufte. Die wichtigste Folge dieser Taufe war jedoch die Sendung des heiligen Ansgarius nach Dänemark. Dieser edle, unermüdliche Apostel war in der Picardie ge« boren, dort von seiner frühesten Kindheit an im Kloster Corvey er. zogen, und zeichnete sich schon als Knabe durch seinen ernsten und stillen Charakter und durch die strengste Erfüllung der Klosterregeln aus. Oft zog er sich in tiefe Einsamkeit zurück, um sich göttlichen Betrachtungen hinzugeben, und empfing dann zuweilen Offenbarungen von den heiligen Aposteln und selbst von des Heilands göttlicher Person. 2g VekehnlngSreisen des AnsgariuS. ^l.Vuch. Er war nicht minder gelehrt, als fromm, und ward daher schon in sei. nem zwanzigsten Jahre zum Vorsteher der Schule im Kloster Neu1. Buch. zu einer in Unfreiheit betriebenen Bodencultur, während es nur den deutschen Ansiedlern gestattet war, in den Städten zu wohnen und Handwerte zu üben, wodurch es diesen Colonien gelang, trotz der nicht ganz zu vermeidenden Verschmelzung mit der vorgefundenen Be« völkerung, ihr Naturel. ihre Sprache und Bräuche zur Herrschaft zu bringen. Da sie größtentheils durch Vermittlung Lübecks und Hamburgs von den baltischen und Elbufern hierher gekommen waren, glückte es dem Hansabunde, die Beziehungen mit ihnen zu erhalten und sie für ihre Angelegenheiten zu interessiren. Die Großmeister und die Ritter er» kannten in ihrem kalten, klaren Verstande die Nützlichkeit dieser Verbindungen und erhielten sie gern aufrecht. In dem Maße, wie sich in ihren Staaten städtische Verbindungen entfalteten, erlaubten sie ihnen, sich der Hansa anzuschließen, die mit der Handelsentwickelung selbst die Uebereinstimmung in Bräuchen und Sitten herbeiführte. So gewannen aber auch gleichzeitig die Ordenshäupter einen großen Einfluß auf die allgemeinen Bundesangelshenbeiten, und sahen mehr« mals denselben den Monarchen gegenüber in Anspruch genommen, wie ihnen auch in Streitfragen zwischen einzelnen Hansagliedern das Schiedsrichteramt übertragen und stehende Gesandten bei ihnen beglau» bigt wurden. Ueberdies war auch das Ordensgebiet mit dem durch die Flußmündungen beherrschten Hinterlande Polen schon an und für sich ein dem Aus- und Einfuhrverkehr wichtiges Territorium, was die Aufmerksamkeit der Hansa nicht außer Acht ließ. Die russischen Staaten hatten in dieser Zeit zwar keine unmittelbare Verbindung mit dem baltischen Meere, näherten sich ihm aber durch mehrere schiffbare Flüsse, und durch die inneren Straßen Esth» lands und Lievlands. Handelsartikel boten ihre Wald-, Steppen» und Iagdproducte. Trotz der Störungen und Unglücksfälle, welche die Einfälle der Tataren seit dem Beginne des dreizehnten Jahrhunderts den moskowitischen Staaten bereitet hatten, waren zwei Städte, Ples» kow an der Wellika und Nowgorod am Wolchow, die Vortheile .ihrer Lage benutzend, zur Blüthe gekommen. Sie widmeten ihre ganze Kraft dem Handel, und mitten in dem allgemeinen Verfall conftitutr-ten sie sich zu unabhängigen Republiken, und Nowgorod spielte besonders eine gewichtige Rolle und erhielt den Betnamen, die „Große"; 4. Kap.) Machtzunahme und Einfluß der Hansa. 51 ja, sie trat erobernd auf und wendete sich gegen das weiße und baltische Meer. Sie wurde daher das Hauptziel der Speculation und der Mittelpunkt des hanseatischen Handels in Rußland. Eine deutsche Factorei wurde in ihren Mauern angelegt, die zu einem Viertel und endlich zu einer mächtigen Stadt in der Stadt erwuchs, die den ganzen Handel mit Nußland und dessen eigenen, wie den ihm aus seinen Hinterlanden zugehenden Producten, in der Hand behielt. Drei Straßen schuf sich die Ostsee durch die Vermittlung der Ostseewege nach Ples« kow und Nowgorod: die eine über Riga in das innere Lievland, die andere über Reval und Narva, die dritte durch die Newa, den Ladogasee und den Wolchow. Die ersteren waren die besuchtesten und führ« te» durch die cultivirtesten blühendsten, Gegenden. Ein anderes, nicht weniger ausgedehntes und nicht weniger wichtiges Feld der Thätigkeit vermittelte das baltische Meer nach Westen, dem damals in die drei Reiche Dänemark. Schweden und Norwegen zerfallenen Skandinavien. Dort vereinigte sich das Gebiet der Ost» see, des Kattegats und der Nordsee; ein reicher Fischfang, nützliche Metalle, Eisen, Kupfer und Silber harrten thatiger Arme und industrielle» Geistes, um aus den Eingeweiden der Erde hervorzugehen, und dem Handel nützliche Hilfsmittel zu werden, während andererseits der Einfuhr durch den Kindheitszustand der Cultur jener Lande ein weiter Spielraum geöffnet war. Die erwähnten drei Reiche hatten zwar festere Umrisse gewonnen, und ihre sociale Existenz hatte sich in mannigfachen Beziehungen ver. vollkommnet. aber doch waren noch viele Spuren der alten Rohheit übrig; dic Form der leitenden Gewalt hatte noch keinen Bestand, und die Völker, bald unter der fessellosen Anarchie verwildert, bald unter dem Joch des Despotismus unterdrückt, schritten nur langsam W Kün. ften und Industrie vor. Der Hansclbund unterhandelte mit den Koni. gen, die, von den Umständen geleitet, wechselweise gegen mächtige Familien und gegen die Masse kämpfend, des Geldes und der Hilfstrup. pen bedurften, und so leicht in die ihnen vorgeschriebenen Tractate willigten. So erwarb der scharfblickende Hansageift Privilegien, feste Etablissements für seine Agenten und selbst besondere Gerichts« barkeit. 4' «« Der HHlingSfang. Monopol der Hansa. ^l. Buch. In Dänemark, damals im Besitz auch Schönens und der West« Provinzen am Sunde, bildete der Häringsfang das wesentlichste Ziel der Bundesbestrebungen, und es gelang diesem, dort nicht nur die fremden Nationen, sondern die Dänen selbst von dieser Quelle des Reichthums zu vertreiben; indem bald Unterhandlungen, bald Dro« hungen dazu dienen mußten. Es wurde der baltische Häringsfang Monopol der Hansa, die alle Operationen desselben mit einer Strenge und Aufmerksamkeit überwachte, die ganz geeignet waren, ihr die Wohlthaten desselben zu sichern. Die Magistrate von Lübeck, Rostock und Stralsund begaben sich an die schonischen Küsten, um die Arbeiter zu überwachen und Lohn und strenge Strafen zuzumessen. Diesem Häringsfange verdankten die verbündeten Städte die Herrschaft in den Betten und dem Sunde, denn er erhielt fortwährend eine starke An« zahl von Schiffen in diesen Straßen, der die damals noch schwache dänische Marine sich in Nichts zu widersetzen vermochte. Der Sund« zoll war in jener Zeit noch nicht festgestellt; von wem er zu zahlen, und wie hoch, bestimmten die Könige von Dänemark nach den Umständen. Glückliche Zufälle hatten schon seit einiger Zeit die in Schweden verborgenen Metallschätze entdecken lassen und einzelne Bischöfe hatten den Bau und die Ausbeute der Minen begonnen, doch war dieser Industriezweig noch immer der fremden Hilfe benöthigt, um erfolgreich zu werden. Die Lübecker schickten Capital und Arbeiter, die in den böhmischen und sächsischen Gebirgen Erfahrungen gesammelt, nach Schweden, den Bergbau zu betreiben. Das Mineral wurde nach Deutschland geführt, um dort Verarbeitung zu finden. Die Silber« mine Sala in Westmannland gab damals einen besonders reichen Er« trag, von dem die Hanseaten den Löwenanthcil zum Nutzen ihres Han, dels nahmen. In Schweden selbst gewann die Verbindung der Städte zwar kein festes und unabhängiges Etablissement, aber sie fand andere Mittel, ihrem Handel dort große Vortheile zu sichern, und schließlich die Einwohner zu beherrschen. Die Städte mischten sich mit deutscher Bevölkerung, und diese wußte es zum Brauche zu erheben, daß die Hälfte städtischer Behörden deutscher Nation fein mußte, daß deutsches Recht und Gesetz in Streitfragen galt, und man sogar in den wichtig» 4. Kap.I Wichtigkeit des baltischen Handels. 53 sten Fragen an die Hansa als Schiedsgericht zurückging. Dieser mil. dere Weg. der übrigens ebenso sicher zum Ziele führte, paßte für ein Land von so weiter Ausdehnung, von so schwierigem Zugang während des größten Theils des Jahres, und bei einer auf jede fremde Herr. schaft, die sich als solche kundgab, eifersüchtigen Bevölkerung besser, wie jeder andere, und bewies die scharfschende Politik der Leiter des Bundes. In Norwegen, wo sich gleiche Schwierigkeiten, wie in Schwe« den. boten, entfaltete die Hansa, durch den reichen Fischfang in der Nordsee, den Handel mit Schottland, Island und Grönland gereizt, noch gewaltigere Mittel; hier gelang es ihr. sich des Hafens von Ber« gen zu bemächtigen, und in dieser Stadt eine fast noch unabhängigere Factorei, wie im fernen Nowgorod, zu gründen. Die Wichtigkeit des baltischen Handels und desjenigen seiner benachbarten Gewässer hing von den Beziehungen ab, die ihm eine thätige Industrie zum Abendlande und Süden geben konnte. So mußte sich der Handel zum Aufblühen Europa's entfalten, und die Hansa fübrte diese Entfaltung herbei. Das unaufhörlich berechnende Interesse, das sich furchtlos den peinlichsten Anstrengungen hingiebt, nnterstützt die Absichten der Natur, ohne es zu bemerken, und selbst ohne es zu wünschen. Es sucht nur Geld und Gold. aber es erfüllt gleichzeitig einen andern Zweck und die niedrigste Triebfeder wird be» merkenswetth durch ihren Einfluß aufdie Bestimmungen des menschlichen Geschlechts. Während die hanseatischen Kaufleute ihre Beziehungen zum Norden ausbreiteten und befestigten, sich in London und Brügge festsetzten, ihre Agenten nach Frankreich und Spanien schickten, um ihre Correspoudenzen dortbin zu ordnen und die Mittel eines gegen, seitigen Austausches durch die den Umständen am schnellsten und besten angepaßten Maßregeln zu erleichtern, führten sie auch von dorther eine sanftere, gemäßigtere Sitte und Lebensweise an den baltischen Gesta. den ein, und erzeugten auch hier einen Sinn für dieVerschönerung des Lebens durch die von der Kunst geläuterten Gegenstände des Lu;us, der in jenen in der Cultur weit vorausgeeilten Landen, bei allgemei. nem Wohlstande, zu dem Glänze führte, den ein Rembrandt und Ru« bens dem verhältmßmäßig schon nördlichen Flandern verliehen. Auch die dort schon im vierzehnten Jahrhundert entwickelten Grundzüge des 54 Wisby. li. Buch. Wechselrechtes und die Theorie der Seefchaden-Verficherungs-Gesell-schaften nahmen die Hansastädte schnell auf, und verpflanzten sie und mit ihnen die höhere Civilisation in die nördlichen und östlichen baltischen Länder. Von allen der Hansa verbundenen baltischen Städten hatte Wisby aufder Insel Gottland die wichtigste Lage. als Centralpunkt des Ganzen. Sie wurde daher als Ttationsvlatz für die nach Nord und Ost bestimmten Fahrzeuge erwählt, da die Bauart der Schiffe und der Mangel einer all» gemeineren Kenntniß der von Einzelnen gemachten Erfahrungen die Reisen nicht so schnell beenden ließen, als in unseren Tagen. Dadurch bildete sich Wisby gleichzeitig zu einem Hcmptstapelplatz der Handels, guter aller Art, was wiederum eine Bevölkerung herbeizog, die aus allen an dem baltischen Handel betheiligten Nationalitäten bestand. Mehr als ein Jahrhundert erhielt sich Wisby in dieser Blüthe, von deren riesiger Größe noch heute viele Reste Zeugniß geben, und groß war sein Einfluß auf die Entwickelung des nordischen Handels, umso« mehr, als sich das Deutschthum und die herrschende Auffassung derHan-delsbeziehungen hier am stärksten concentrirt hatten. In dieser Stadt hatte sich auch ein frühes Seerecht gebildet, das seit dem vierzehnten Jahrhundert der Codex aller schifffahrcnden Nationen des Nordens wurde. Das alte „(Ü0N8oIaw äel Alar" und das von Elionor von Aquitanien ihm nachgebildete französische Teerecht „N5!e ä'0Ierc>n" hatten diesem wohl als Muster gedient, doch war es durch Bestimmungen vermehrt, die von localen Umständen hervorgerufen waren, und eine weise Benutzung aller durch die Erfahrung an die Hand gegebenen Kenntnisse bewiesen. Es existirt dieser Codex von Wisby in niederdeutscher und schwedischer Sprache, und er ist die Basis der in den letzten Jahrhunderten in Dänemark und Schweden publicirten Seerechte und wurde noch spät in deutschen Rechtssprüchen angezogen. Auch die sich in jenem Jahrhundert entwickelnden anderen Mittel zu regelrechterer Leitung des Handels und zur Erweiterung der seinen Einfluß erhöhenden Operationen vernachlässigten die Hansaftädte nicht und wendeten sie mit großer Thätigkeit auf die bal< tischen und nordischen Länder an. So hatten sie schon seit dem dreizehnten Jahrhunderte angefangen, anstatt des bis dahin üblichen 4. Kap.) Münzsystemt, Maße und Gewichte. Ü5 Austausches der Waaren selbst sie repräscntirende Zeichen treten zu lassen. Lange Zeit waren es arabische Goldmünzen gewesen, welche die Beziehungen zur Levante nach Europa kommen ließen, und deren Werth sich nach dem in Deutschland festgestellten Fuß bestimmte; auch römische aus alter Zeit übriggebliebene Gold- und Silbermünzen gelangten durch inneren Handel an die baltischen Küsten, wo man sie noch heute in Pommern, Preußen, Süd-Schweden und selbst Rußland zuweilen findet. In dem Maße, wie die Minen sich ergiebig zeigten, vervollkommnete sich das Münzsystem und gewann die Entwickelung, der es bedürfte, um den Tauschhaudel zu verdrängen. Lübeck, das in vielen Beziehungen einen hervorragenden Einfluß auf die Hansa» entwickelung, die mit der baltischen gleichbedeutend ist. ausübte, zog viel Münzsilber aus den Minen von Sala in Schweden, prägte es und bestimmte die erste Aichung, den Werth und die Eintheilung des Gel, des. Sein System war lange in Dänemark, Schweden, Lievland und Esthland herrschend und erhält sich noch heute mindestens in Anklän« gen der Münznamen. Da aber jede Stadt sich ihr Recht, eigene Mün< zen zu schlagen, nicht schmälern lassen wollte, gelang es auchderHansa nicht einmal innerhalb ihres Bundes, ein einziges allgemein befolgtes System aufzustellen. Ebenso verhielt es sich mit Maß und Gewicht; man einigte sich wohl in Hinsicht auf einzelne Hauptgegenstände, kam aber nie damit zu Stande, den Sonderansprüchen und örtlichen Ideek gegenüber dem Allgemeininteresse den Sieg zu verschaffen, woher noch heut an den baltischen Küsten eine große Verschiedenheit in Geld, Maß und Gewicht herrscht. Die in frühester Zeit die Stelle der Posten vertretenden Boten zwischen den Hauptstädten wurden durch den von den Ordensrittern in Preußen eingerichteten regelmäßigen Stassettenrcitdienst verdrängt und von dorther nahmen die baltischen Gestade und die Hansastädte die Einrichtungen zur Erleichterung ihrer Korrespondenzen, die bis dahin in den Händen der die Waaren zum Schutze selbst begleitenden Kaufleute lag. an. und verbreiteten sie. Um Seeunglücksfallen zu be. gegnen, zündeten die an den Küsten und Flußmündungen liegenden Handelsstädte zuerst Leuchtfeuer an. setzten Seezeichen aus und ver. pflichteten die nordischen Fürsten zu gleichen Maßnahmen. Mehrere ^ Kämpfe der Hansa mit Dänemark. ^1. Buch. Städte erkannten auch die Wichtigkeit des Canalwesens und der inne» ren Echifffahrt an, und ließen dergleichen auf ihre besonderen Kosten construiren, um Verbindungen zwischen der Nord. und Ostsee, durch Oder, Elbe, Weser und Trave, herzustellen. Einige dieser Canäle ezi< stiren noch; andere bewährten sich nicht oder wurden durch Naturer» eignisse, oder durch Neid und Eifersucht zerstört. Vorzugsweise auf den Norden hatte die Hansa ihr commercielles System gestützt. Aus diesen Ländern und vorzüglich den baltischen zogen die verbündeten Städte Tauschartikel, dort konnten sie einen überwiegenden Einfluß ausüben und ihren Speculationen den hoch« sten Schwung verleihen. Auch war stets ihr Hauptaugenmerk auf die» sen Punkt gerichtet, sei es nun, daß sie ihre Vorrechte erweitern, oder dort begangene Verletzungen derselben rächen, oder fremde Rivalen verdrängen wollten. Der Bundesrath gewann, bald durch geschickte Unterhandlungen, bald durch Waffengebrauch, eine unwider» stehlichc Gewalt. Es erhielt sich dieselbe zwei Jahrhunderte hindurch und wich nur den Einflüssen der Zeit und dem Umstände, daß das Bündniß, dessen Wimpel die Meere beherrschten, zur Maschine und Combination des egoistischen Krämerthums hcrabsank, und nicht, wie früherhin, auf die Geistigkeit des deutschen Lebens gerichtet war, eine um so größere Nothwendigkeit, als die nordischen Völker allmälig aus der Unwissenheit und dem Joch, unter dem sie gelitten hatten, her» austraten. Von der Morgenröthe ihres Bestehens an legte diese deutsche Ver» brüdenmg Proben des Geistes ab, der sie in den Beziehungen zu den baltischen Staaten beseelen würde. Unter diesen Staaten näherte sich Dänemark Deutschland am meisten. Die Könige dieses Landes such« ten von früh her, ihre Herrschaft bis zur Elbe auszudehnen und sahen mit eifersüchtigem Auge auf die wachsende Blüthe Lübecks; aber die Bewohner dieser Stadt wachten über ihre Unabhängigkeit. Im Jahre 1234 lieferten sie den Dänen ein Seegefecht und bemächtigten sich eines Schiffes eisten Ranges, welches sie im Triumphe in ihren Hafen führten. Kurze Zeit darauf legte sich Erich IV. belagernd vor die Stadt und schloß den Hafen mit großen Ketten. Die Bewohner von Wisby wurden von der Lage ihrer Verbündeten in Kenntniß gesetzt und unter» 4. Kap.j Handelsvertrag Schwedens mit der Hansa. 57 handelten mit Schweden, woraufBirgerIarl, derberühmteste nordische Held des Mittelalters, den Lübeckern eine Hilfsflotte zuführte, die durch einen heftigen Wind über die dänische Barriere hinweggetrieben wurde und, in die Trave eindringend, die Stadt rettete. Nachdem einige Jahre vergangen, ließ Erich alle Lübecker Kauflellte in seinen Landen verhaften. Dies duldete die Obrigkeit ihrer stolzmuthigen Vaterstadt nicht unge« ahndet; eine Flotte stach, von dem furchtlosen Seemann, Alexander Saltwedel, der schon mehrere Siege erfochten hatte, befehligt, ins Meer, und besiegte die Dänen, reiche Beute davontragend. Gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts, 1284, unternahmen mehrere deutsche Städte eine Expedition gegen König Erich von Norwegen, der sich ihrer Schiffe bemächtigt, einzelne davon verkauft und sich vor< genommen hatte, ihre Marine zu vernichten. Lübeck, Wismar, Stral« sund, Greifswald, Wisby rüsteten eine gemeinschaftliche Flotte aus, die sich an die norwegischen Küsten begab und diesem Lande seewärts jede Verbindung abschnitt. Der König mußte, in der Furcht, sein Volk dem Hungertode preisgegeben zu sehen, die Vermittelung Schwe» dens annehmen und willigte in entschädigende Bedingungen, deren wichtigste das Privilegium für die Hansa war, daß bei Streitigkeiten zwi» schen Norwegen und Dänemark das Schiedsrichteramt der Städtever« bindung zustehen sollte. Im Beginn des vierzehnten Jahrhunderts ließ das Erlöschen der in Norwegen herrschenden Familie das Scepter dieses Landes dem Könige Magnus von Schweden zufallen, der auch Dänemark zu zwingen verstand, ihm die reiche'Provinz Schonen abzutreten. Magnus wollte auch die Hansa seine Macht fühlen lassen und unter» nahm es, ihre Privilegien im Umfange seiner Staaten zu beschränken, konnte aber seine Ansprüche und Drohungen nicht lange aufrecht» erhalten. Gegenstand der Eifersucht der großen Vasallen seiner beiden Reiche geworden, von Widerwärtigkeiten in einer Expedition gegen die Russen betrossen, während die Dänen eine andere Reichsgrenze bedrohten, war er gezwungen, von den Maßregeln gegen die Hansa abzugehen, und um ihre Hilfe zu gewinnen, bestätigte er nicht nur ihre alten Privilegien, fondern dehnte dieselben aus, und schloß einen Handelsvertrag mit ihr ab. gg Gewaltthat Waldemars III. >1. Buch. Ein kritischer Moment trat ein,«als Waldemar lll. auf den Thron Dänemarks stieg. Dieser Fürst vereinte das unter sechs Besitzer ge« theilte Reich, das durch eine Reihenfolge unglücklicher Negierungen aufs Aeußerste erschüttert war, stärkte es. führte die Großen, deren An« sehen immer höher gestiegen war und die sich in mehreren Landes» strecken fast unabhängig gemacht hatten, zum Gehorsam zurück, stellte die Monarchie wieder her, sehte sich von Neuem in den Besitz Schönens, und nachdem er in seinen und den deutschen Landen eine be« trächtliche Summe Geldes zusammengebracht, warb er Truppen, rü« stete eine zahlreiche Flotte und machte mehrere Expeditionen ins bal. tische Meer. Im Jahre 1361 erschien er vor der Stadt Wisby und forderte sie auf, sich zu ergeben. Die Einwohner griffen zu den Waf« fen, und von den Bewohnern Gottlands unterstützt, leisteten sie ehren, haften Widerstand, doch ohne Waldemar den Sieg rauben zu können; er nahm die Stadt mit Sturm, zerstörte ihre Mauern,.und ließ den Raub aus den reichen Magazinen nach Dänemark führen, dadurch die meisten Hansastädte arg verletzend. Magnus, der damals in Schwe« den herrschte, vermochte Nichts zu thun, um seine Macht über Gott« land wiederzuerwerben, denn die durch den Adel und die Geistlichkeit beförderten Unruhen paralysirten seine Hilfsquellen, und raubten ihm die Unterstützung seines Volkes. Die Hansa aber war umso thätiger, chre Interessen zu rächen. Die Aussichten Waldemars waren vorzüglich, und er schien die Macht wieder erlangen zu wollen, die vor anderthalb Jahrhunderten Waldemar II. besessen hatte; er schien auch nach der Herrschaft über das ganze baltische Gebiet zu trachten und gerade daher war es ihm wichtig gewesen, sich in eine Achtung gebietende Stellung im Mittel« punkte dieses Meeres zu versetzen. Wisby, die alte Verbündete der Hansa, war derselben, als dänischer Besitz nnd Versammlungsort der königlichen Flotte, eine gefährliche Drohung geworden. Entschei« dende Maßregeln mußten getroffen werden, um dem Bunde seine Un» abhängigkeit. seine Herrschaft in den nordischen Meeren und die Zukunft seines Handels zu sichern. Die Plünderung dn Wisbyer Ma« gazine wirkte auf fast alle einzelnen Bundesmitglieder zur Rache sta« chelnd nach und erzeugte große Anstrengungen. Lübeck, Rostock, 4. Kap.i Stellung Waldemars III. zur Hansa. 59 Stralsund und die preußischen Städte schrieben Steuern zur Bestrei« tung von Truppencontingenten und Armirung von Schiffen aus, und zogen die Herzöge von Holstein und Mecklenburg, den König Magnus von Schweden und Norwegen und seinen mit ihm in beiden Reichen herrschenden Sohn Hakon in ihr Interesse. Der Bürgermeister von Lübeck, Johann Wittemborg. erhielt den Befehl der Flotte und führte sie gegen die vom Prinzen Christoph befehligten Dänen. Es fand ein Treffen statt, in dem Wittemborg siegte und Christoph eine Todes« wunde empfing. Gleichzeitig wnrden Wisby und Gottland wieder, eingenommen, und unter schwedische Herrschast zurückgebracht. Doch mischte sich Trauer diesen Triumphen bei. Die Hanseaten landeten in Dänemark selbst, sahen aber ihre ungedeckt gebliebenen Schiffe überrascht und theils in feindliche Gewalt gerathen, theils im übelstzugerichteten Zustande mühvoll deutsche Häfen erreichen. Wittemborg wurde vor ein Gericht gezogen, vermochte sich nicht hinreichend zu rechtfertigen, und wurde verurtheilt, seinen Kopf auf dem Schaffot zu verlieren. Nachdem Waldemar gezwungen war, seine kriegerischen Pläne aufzuschieben, trat er in Unterbandlungen mit der Hansa und willigte in eine Uebereinkunft. Seinen Zweck aber nicht aus den Augen verlierend, gewann er Magnus und Hakon, indem er diesen mit Mar-garetha, seiner Tochter, die später eine so glänzende Rolle in dem Norden spielte, vermählte. Nachdem er diese wichtige und folgenreiche Maßregel getroffen, durcheilte er Europa, um Verbündete zu suchen und feine Hilfsquellen zu erweitern. Kaiser Karl IV. ließ eine Erinnerung an Lübeck ergehen, in welcher er befahl, die aufgelaufenen Reichs-steuern, die er von Lübeck zu fordern habe, an den König von Däne« mark zu zahlen; der Papst versicherte den dänischen König seines Beistandes und befahl den deutschen und schwedischen Bischöfen, den Blitz, strahl des Interdicts auf die Städte und Fürsten zu schleudern, die Waldemar angreifen würden. Ihrerseits bereiteten sich die Hansaftädte vor. ihre Ansprüche auf das Kräftigste zu unterstützen. Sie vereinten sich mit der Partei der unzufriedenen schwedischen Großen, die Magnus und Hakon vom Thron zu stürzen wünschten, und um sich einen mächtigen Beistand zu ^ Das Colner Blmdnlß. ll. Buch. sichern, schlugen sie Herzog Albrecht von Mecklenburg als Candidaten vor der spater auch wirklich die Krone erhielt. Ein enges Bnndniß, aanz besonders auf die Differenzen mit Waldemar bezüglich, wurde im Jahre 1364 durch die Abgesandten der siebzig Städte in Cöln abgeschlossen. Die Contingente waren geordnet nnd die Fahrzeuge standen auf dem Punkte, sich zu versammeln, sodaß die Hansa dem Könige von Dänemark eine feierliche Kriegserklärung zugehen ließ. Waldemar empfing diese Absage mit verächtlichem Lächeln und empfand keine Unruhe. Als er aber genauere Kenntniß der betracht» lichen Etreitkräfte erhielt, die sich zu entwickeln bereit standen, ließ er durch seine Minister über ein Abkommen unterhandeln, aus dem eine Bestätigung aller Hausaprivilegien im ganzen Umfange dänischen Be< sitzes hervorging. Indessen war das gestörte Vertrauen nicht wieder herzustellen; der König suchte sich fortdauernd durch Allianzen zu ver« stärken und die Hansa erköhte ihre Ansprüche. Im Jahre 1368 wurde das Cölner Bündniß erneut und die Städte wußten König Albrecht von Schweden, die Herzöge von Mecklenburg, die Holsteiner Fürsten und den insurgirten jütischen Adel zum Beitritt zu bewegen. Der Plan der Verbündeten ging dahin, das dänische Reich zu zer» stückeln, und die Fürsten, die zur Antheilnahme an den Raub seiner Provinzen bestimmt waren, verpflichteten sich, mit ihrer ganzen Kraft und Macht den Hansahandel zu beschützen. Nun erschien das Ungcwitter, welches über Waldemar hereinzu» brechen drohte, diesem Fürsten so beträchtlich, daß er im Geheimen fein Reich verließ und nach Deutschland eilte, theils um selbst Trup« pen auszuheben, theils um die Unterstützung des Kaisers herbeizufüli« ren; doch vermochte er nur eine kleine Zahl Krieger um sich zu sam« meln, und der Kaiser gab blos leere Versprechungen, deren Erfüllung von den Umständen abhing. Der Reichsrath von Dänemark schlug den Weg politischer Unterhandlungen ein, und es gelang ihm, einige Glieder der Verbindung abzureißen; aber die Hansastädte beharrten in Einigkeit und bestanden auf die Ausführung ihres Unternehmens. Sie ließen zuerst ihre Schiffe gegen Hakon agiren, der, nachdem er feine Autorität in Schweden verloren, sich auf die norwegischen Kräfte gestützt hatte, um Albert anzugreifen, der als Partisan der Hansa sich 4. Kap.1 Friedensschluß der Hansa mit Dänemai?. g^ auf dem schwedischen Throne behauptete. Die norwegische Küste be-.deckte sich mit Deutschen, die sie verheerte» u»d sich eines Theils der« selben bemächtigten. Dann zog die Hansastotte gegen die Küsten Dänemarks; Kopenhagen, Helsingör und andere Städte sielen in die Gewalt der Verbündeten, die eine beträchtliche Beute machten und den Norden mit dem Ruhm ihrer Thaten erfüllten. Sechzehnhundert Lübecker Bürger betheiligten sich persönlich an dieser Unternehmung, und besonders ihr Führer Bruno von Warendorp, Sohn eines regie, renden Bürgermeisters, entfaltete einen heroischen Muth, und blieb auf dem Schlachtfelde. Wiitemborgs Kopf war dem Kriegsunglück und der Rachsucht der Lübecker zum Opfer gefallen dem Warendorp veranstaltete die Eitelkeit derselben einen glänzenden Leichenzug und ein Begrabniß im Dome, wo sein Vildniß, Helm und Schild über sei« nem Grabe hängen. Die glänzenden Erfolge des Bundes erregten in Dänemark eine lebhafte Sensation. Der König blieb abwesend und der Reichsrath hatte nicht die nöthigen Mittel, um das Land zu vertheidigen; er trat deshalb in Unterhandlung mit den in Stralsuud versammelten Agen« ten der Hansa und schloß im Jahre 1370 einen Frieden. Es wurde darin stipnlirt, daß die Hansa fünfzehn Jahre hindurch im Besitz der festen Plätze Schönens bleiben sollte, daß sie während der Dauer die-serZeit die vollen Einkünfte der Provinz für sich beziehen, und daß ihre Handelsprivilegien im ganzen Umfange hergestellt werden sollten. Nachdem Waldemar es endlich wagte, wieder in sein Reich zurückzukehren, ra-tificirte er den Vertrag, trat außerdem noch der Hansa das feste Schloß Warberg ab, und verpflichtete sich, keinen Thronnachfolger ohne Zu. stimmung derselben zu ernennen. Lange Zeit fanden nun die sich vorzugsweise an diesen kriegen, schen Unternehnmngen betheiligenden Städte, Lübeck, Hamburg, Ro« stock, Stralfund. Danzig, kein der Entfaltung ihres baltischen Handels entgegenstehendes Hinderniß, und die übrigen Städte nahmen Theil an ihren Erfolgen und Triumphen. Alles von dem finnischen und bothnischen Busen bis zu den Ufern der Elbe folgte den Befehlen dieser neuen Karthaginenser. deren Kühnheit, kluge Politik und unermeßlichen Schätze den Sieg an sich gefesselt und das Glück unterjocht ß« Untergang der Vitalienbrüder. ^»Vuch. zu haben schien. DaS Bewußtsein von der Wichtigkeit ihrer Rolle sprach sich auch in der feierlichen Versammlung der Hansadeputirten, im Jahre 1383 zu Lübeck, aus. Auf dieser Versammlung erschien Margarethe, die nach dem Tode Waldemars den dänischen Thron be» stiegen hatte, in Person.ferner König Albrecht von Schweden, Herzog Erich von Sachseu-Lauenburg, Graf Adolph von Holstein, und andere Fürsten hatten vornehme Gesandten geschickt. Man zog die gegenseitigen Interessen des Bundes und der Monarchen des Nordens in Berathung, vereinbarte sich über die allgemeineren Handelsmteressen und die den Verkehr mit Preußen besonders betreffenden Gegenstände. Albrecht von Schweden und Margarethe, die bei Weitem die wichtig, sten Streitfragen unter sich zu entscheiden hatten, überließen dieselben willig der Entscheidung dcrHansa, der Macht und Weisheit dieser imponirenden Verbindung damit eine schmeichelhafte Huldigung dar« bringend. Indessen ließen sich die Ansprüche beider Potentaten nicht vereinigen, und bald nach der Lübecker Versammlung brach der Krieg zwischen ihnen aus. Die Königin von Dänemark, von ihren Völkern als großer, starker Geist geliebt, triumphirte über den König von Schweden, der ihr Gefangener wurde, in einem Kerkergewölbe des Koldinger Schlosses schmachtete und der Krone entsagen sollte. Durch Hilfe seiner alten Freunde, der Hanseaten, zu denen er noch immer Beziehungen hatte, gewann er schließlich die Freiheit wieder. Die Hauptstädte leisteten Caution für dieSnmme, die er zuzahlen versprach, doch nicht ohne zu verlangen, daß ihnen Stockholm als Sicherheit verpfändet und von ihren Truppen besetzt werde. Während des sieben Jahre währenden Kampfes der Parteien Al-brechts und Margarethe's hatte sich dadurch, daß des ErstercnStamm' land, Mecklenburg, in seinen Seestädten allen Denen eine Freistatte eröss. nete, welche die nordischen Küsten und Meere unsicher machen wollten, eine Bande Piraten gebildet, die man mit dem Namen „Vitalien. brüder" bezeichnete, weil ihr Ursprung auf eine Association von Rhedern zurückführte, die sich unter dem Vorwande, das belagerte Stockholm zu verproviantiren, bewaffnete. In Wismar und Rostock fanden sie bei den Albrecht verwandten Fürsten Schutz und einen Markt für ihren Raub. 4. Kap.1 Untergang der Nitalienbrüder. ßg Sie bemächtigten sich ohne Unterschied aller Fahrzeuge auf dem baltischen Wasser, ausgenommen derer der Städte, unter deren besonderem Schutze sie standen. Ihr Unwesen steigerte sich endlich so, daß die Hansa diese Schutzstädte aus der Reihe ihrer Glieder strich und Lübeck, Hamburg, Bremen und Danzig selbständig eine gut armirte Flotte ins Meer stechen ließen, um dieser Teeräuberei ein Ende zu machen. Die Vitalienbrüder vertheidigten sich mit Nachdruck; da aber die mecklenburgischen Schutzstädte Frieden mit der Hansa schlössen und sie ver» ließen, zogen sie sick auf die Inseln zurück, und es glückte ihnen, sich Gottlands zu bemächtigen. Die deutscheu Ritter sendeten aber Trup. pen dorthin, um sie zu vertreibet, und nachdem Margarethe ihre An» strengungen mit denen der verbündeten Städte vereint hatte, verschwanden um's Ende des vierzehnten Jahrhunderts die Vitalienbrü. der aus dem baltischen Meere. Aber sie fuhren darum fort, die Schifffahrt und den Handel der Hanseaten zu stören. Ihre Kühnheit hatte sie nur einen andern Schauplatz ihrer Thaten finden lassen; sie verbreiteten sich über's Nordmeer von Jutland bis nach Qstftiesland. An letzterer Küste fanden sie Schutz und die fast unabhängigen Feudalherren machten gemeinsame Sache mit ihnen, biö die ernstesten Anstrengungen Hamburgs, Bremens und der lettischen Städte, durch eine Sperrung der Weser- und Emsmündungeu und Truppensendung gegen Embden, Aurich und Leerort, die Schifffahrt des baltischen und Nordmeers von dieser Geißel befreiten, indem sie Qstftiesland den Frieden und Verweigerung des Schutzes für die Räuber abzwaugen, worauf diese selbst allmälig gefangen und gerichtet wurden. ß4 Margarethe und die Kalmarische Union. II. Buch. Fünftes Kapitel. Margarethe und die Kalmarische Union. — Haus Oldenburg in Däne» marl. — Der deutsche Orden und die Polen. — Iwan Wasu'jewitsch. — Verhältniß der Hansa zu England und Holland. — Innere Zustände Deutschlands und des Nordens. — Die Neligionslämpfe. — ChristianII. von Dänemark. — Gustav I. Wasa. In die letzten Jahre des vierzehnten Jahrhunderts fällt ein Er« eigniß von der höchsten Wichtigkeit für die Entwicklung der nordischen und baltischen Verhältnisse. Margarethe kam, nachdem ihr durch Erb« schaft der Thron Dänemarks und Norwegens zugefallen war, auch in den Besitz Schwedens und ließ im Jahre 1397 die ewige Union der drei Reiche in Kalmar zum Abschluß bringen. Durch diese politische Transaction bildete sich eine einzige und gewaltige Macht aus diesem weiten Länderumfange, der bisher in drei fast beständig rivalisirende und in ihren Interessen getheilte Reiche zerfallen war. Dieselbe Flagge sollte fortan auf den nordischen Meeren von den Belten und dem Sunde bis zum Eismeere wehen, und demselben Scepter die Küsten von Hol« stein bis Lappland unterworfen sein. Dem vereinigten Skandinavien schien ein großes Gewicht in Europa in Ausficht zu stehen. Die Hansa sah die Gefahr, die gerade ihr damit drohte, und ergriff die den neuen Umständen entsprechenden Maßregeln. Margarethen gegen« über beobachtete sie alle Rücksichten, und sie ihrerseits zeigte eine weise Mäßigung, die am besten geeignet schien, ihr großes Werk zu fördern. Aber schon unter ihrem Nachfolger wurden andere Principien befolgt, sowohl von der Hansa, als auch von dem Monarchen. Erich, unfähig, so weite Reiche, wie sein Erbtheil umfaßte, zu regiereu, schwankte un« aufhörlich zwischen Furcht und Schwäche, zwischen dem Ehrgeiz, zu herrschen und dem Kleinmuth, der die Herrschaft nicht auszuüben weiß. Zwanzig Jahre hindurch führte er den Kampf gegen die Hol« steiner Fürsten, ohne sie unterwerfen zu können; in Schweden kämpfte er gleichfalls mit Misgeschick bald gegen die Größen, bald gegen das Volk. Der Hansabund vereinte sich mit feinen Gegnern und bekriegte ihn neun Jahre hindnrch, in einem Kriege, in welchem das Glück der baltischen Völker zerstört wurde, ohne daß hervorragende Ereignisse für die Geschichte gewonnen wurden, deren wichtigstes Resultat jedoch 5. Kap.j Das Hans Oldenburg in Dänemark. ßg das war, daß die Hansa die Herrschaft auf den nordischen Meeren behielt. Christoph von Bayern, der erwählte Nachfolger Erichs, war gefährlicher oder strengte sich mindestens an, es zu werden. Er hatte häufige Zwistigkeitcn mit den Lübeckern, ohne sie je demüthigen oder in ihrer Macht beschränken zu können. Zur List seine Zuflucht nehmend, kam er durch dieses Mittel auch nicht weiter. Er bat, einige Tage mit seinem Gefolge in Lübeck weilen zu dürfen, und als es ihm bewilligt war, ließ er gleichzeitig eine große Anzahl Soldaten in Weinfässern in die Stadt führen, um sich auf das gegebene Signal mit seinem Ge-folge vereinen zu köunen. Während der Nacht brach eine Feuersbrunst aus; die Lärmglocke erscholl und die Bürger verbreiteten sich mit großem Geschrei in den Straßen; die dänischen Soldaten glaubten Christoph in ein Gefecht verwickelt, verließen ihren Versteck, wurden entdeckt und mußteu, um der Gefangenschaft zu entgehen, sich in die benachbarten Felder flüchten. Christoph stellte sich unwissend, heuchelte Unkenntniß und verbarg seinen Zorn. Bald darauf von einer todt« lichen Krankheit ergriffen, drückten seine letzten Worte fein Bedauern aus, sich nicht an den stolzen Hanseaten haben rächen zu können. Die Wirren, die nach dem Tode Christophs in der großen skan» dinavischen Monarchie selbst entstanden, und die sich stets erneuernden Schwierigkeiten, sich in den drei Reichen über die Wahl eines Nachfolgers zu einigen, die Rivalität der großen Familien, die Intriguen der Geistlichkeit, der Mangel au einer Verbindung der Völker, die sich des Gefühls ihrer volkstümlichen Besonderheit nicht entschla-gen mochten, dies Alles eröffnete der Politik der Hansa ein weites Feld. Sie wußte aus allen sich darbietenden Umständen Vortheil zu ziehen; bald bot sie ihre Vermittelung an, bald schlug sie sich auf die Seite des Stärkeren, und machte dann die von ihr geleisteten Dienste geltend. Die Erhaltung ihrer Privilegien und ihrer commcrcicllcnSu. prematie war daö Resultat ihres klugen Benehmens, und ihre Schiffe segelten längs Dänemarks, Norwegens und Schwedens Küsten ohne Concurrcnz. Christian, der erste Däncnkönig Oldeuburgcr Stammes, richtete sein Augenmerk auf die ihm cntgcmgcne schwedische Krone, die Di« vsts«. I, 5 6tt Fttllung des deutschell Erdens und del Hansa zu einander, ft. Buch. der kalmanschen Union zuwider auf Karl Knutsons Hanpt gefallen war und ließ die Hansa unbelästigt. Sein Sohn und Nachfolger, Johann der Erste, hatte gegen das Hans Sture, das Schweden mit Köniqsmacht. wenn auch nur unter dem Namen Reichsverweser, be» herrschte, zn kämpfen, entwickelte daher in seineu gegen die Hansa gerichteten Angrissen zu geringe Kraft, um Erfolge zu erzielen und sah seine Flotten geschlagen. Sein Thronerbe Christian der Zweite, der Schwager Karls des Fünften, wollte jedes seinem Ehrgeiz drückend erscheinende Joch abschütteln. und auf dcn Rath der Mutter seiner Geliebten, einer niederländischen Aepfelhändlerin Eigbrit. suchte erden eigenen Handel seiner Reiche zn fördern, um den Nationalreichthum und die königlichen Einkünfte zu mehren. Hier staud ihm die Hansa im Wege und er schritt mit Aufhebung ihrer Privilegien, Einsetzung von Zöllen und Erlaß von Verboten gegen dieselbe vor, scheiterte aber in seine» Plänen. Die durch fein Ungestüm und seine oft wilde, gransame Wuth herbeigeführten Begebenheiten und deren Re» sultat für die Hansa fallen in die folgende Epoche dieses historischen Abrisses. Im Osten des baltischen Meeres waren die Beziehungen der Hansa lange friedlich geblieben und keinen der Aufmerksamkeit werthen politi? schenVerwickelungen begegnet. Dort hatte sich der dcutscheOrden zur bestimmenden Macht aufgelchwungen. Einen echt dentschen Staat mitten unter Slaven bildend, hatten die Ritter, um sich selbst zu befestigen, nach Ausbreitung ihrer Macht streben müssen. Nachdem es ihnen gelungen, sich von d« Oder bis zum finnischen Meerbusen herrschend zu machen, schienen sie es als ihre Bestimmung erkannt zu haben, die baltischen Küsten auf immer bei deutscher Bildung und deutscher Ober» Herrschaft festzuhalten und die Slavenvölker so anf das Binnenland zu beschränken, daß von ihren Angriffen nichts mehr zu befürchten stand. Das vierzehnte Jahrhundert war der Glanzpunkt des Ordens, und in ihm hielt er vorzugsweise das Band mit der Verbrüderung der baltischen Seestädte aufrecht und schuf, durch diese gegenseitige Stütze gestärkt, eine solche Ordnung in seinem weiten Gebiete, daß dies der ein-zige Staat war, in dem in diesem Zeiträume das Faustrecht nicht galt, wo Prälaten, Adel und Städte ihre Streitigkeiten vor die Regierung 5. Kap.I Stellung der Hansa zu Nußland. ß? brachten, die auch stets Kraft genug besaß, ihre Entschlüsse geltend zu machen. Die von allen Seiten umschlossenen Russen gehorchten stets äußern Einflüssen; Plcskow und Nowgorod, so wichtig sie immerhin mitten unter den sie umgebenden halbcivilisirtcn Ttämmcu waren, konnten keinen unabhängigen Handel betreiben, und die Czarcn besaßen nur den Schatten der Souveräuetat über den Rest des Reiches, in dem die Tataren herrschten. Mit dem Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts führten verschiedene Zufälle eine Gelegenheit für die Hansa herbei, ihre politische Thätigkeit nach Osten hin zu entwickeln und die kräftigsten Maßregeln zur Sicherung ihres Handels zu ergreifen. Der deutsche Orden be« gann durch eigene Schuld an Kraft zu verlieren und sich seiner Auf. gäbe, dem Osten Europa's die Bahn seiner geschichtlichen Entwickelung vorzuschreiben, nicht mehr gewachsen zu zeigen. Die Großmeister, Städte und Bischöfe geriethen in Uneinigkeit, und ein Theil Preußens gab sich den Polen hin, wie sich auch Danzig und andere wichtige Orte unter den Schutz dieses Reiches stellten. Die deutschen Hansastädte arbeiteten eifrig daran, der Isolirung und Verletzung ihrer Interessen zuvorzukommen, indem sie wechselweise mit den Polen, Großmeistern und Städten Unterhandlungen anknüpften. Gleichzeitig begannen die durch holländische und englische Missionaire über manche ihrer Hau» delsinteresseu aufgeklärten Russen, sich zu beklagen und den Deutschen vorzuwerfeu. ihnen schlechte Waare geliefert zu haben, namentlich Tuche von geringerem Werthe und schlechterer Art. Im Jahre 1401 gingen sie soweit, zu ihrer Entschädigung eigenmächtig hanseatisches Eigenthum zu confisciren, und als ihnen nach einigerZeit nicht die ver. langte Genugthnung gewahrt worden, verjagten sie einen Theil der unter ihnen ansässigen Deutschen und schlugen die anderen in Fesseln. Die Hansa beschloß, diesem Aufstammen der Kühnheit und des Unab. hängigkeitsgefühls ein schnelles Ziel zu setzen Sie erklärte die mos. kowitischen Länder allen Handelsverbindungen verschlossen, verbot den lievischcn Städten, irgend welche Bczichuugen zu ihnen zu pflegen, und wußte auch durch strenge Maßregeln, die soweit gingen, daß um die Erlernung der russischen Sprache zu verhindern, keinem Auslän. 5' 22 Iwan Wafiljewltsch. ft. Buch. der der Aufenthalt in Lievland gestattet war, die Fremden abzuhalten, aus diesem Bruche Vortheil zu ziehen. Die russischen Städte . konnten nicht lange in dieser Lage bleiben und unterhandelten, trotz ihrer Unzufriedenheit, mit den Hanseaten, sich den Bedingungen unter, werfend, die diese ihnen in ihrer Uebermacht vorzuschreiben für gut fanden. , Im Jahre 1467 bestieg Iwan Wasiljcwitsch der Erste den Thron. Die Tataren, die mehrfach besiegt und unter sich getheilt waren. hat. ten viel von ihrem Ansehen verloren. Um aber ihr Joch gänzlich ab. zuschütteln und um das während zweier Jahrhunderte von Unglück aller Art heimgesuchte Kaiserreich wiederaufzurichten, bedürfte es einer beständigen Vereinigung aller Kräfte und einer einheitlichen Ver< waltung. Iwan unternahm es, sich diese Vortheile zu verschaffen. Er unterwarf sich aufs Neue die unabhängig gewordeneu Völker und ab« gesonderten Fürstenthümer, und nachdem er so seine Armee gestärkt hatte, beschäftigte er sich mit den Mitteln, die beiden Städte Pleskow und Nowgorod wieder zu unterwerfen. Diese waren weder den Republiken Venedig und Genua zu ver« gleichen, noch den deutschen unmittelbaren Reichsstädten nahezusetzen. Obschon sie die letztereu zum Muster ihrer innern Organisation genommen hatten, besaßen sie doch nicht deren Industrie und die ver» vollkommncten Institutionen, welche diese Industrie hervorgerufen hatte. Nowgorod, die Große, kannte noch im vierzehnten Jahrhundert keine anderen, als die kleinen durch die Deutschen in Umlauf ge« setzten Münzen, und vor dem Jahre 1383 dachten die Einwohner der» selben nicht daran, eine Brücke über die Wolchow, die ihre Stadt durchströmt, zu schlagen. Aber Nowgorod sowohl als Pleskow hatten eine starke Bevölkeruug und ein sehr ausgedehntes Territorium und konnten einen großen Einfluß auf die Handelsbeziehungen äußern. Iwan unternahm es daher, Pleskow zn unterwerfen und beeilte sich um so mehr, diesc Unternehmung auszuführen, als die Stadt, durch eine machtige Faction fortgerissen, dazu schritt, sich ganz von Ruß. land loszutrennen und sich Polen anzuschließen. Kurze Zeit darauf, 1471, ließ er Nowgorod auffordern, sich zu unterwerfen. Diese Stadt, mächtiger und reicher als Pleskow, leistete einen langen Widerstand; 5. Kap.1 Bündniß Dänemarks mit Nußland. ßg nachdem sie aber eingenommen und geplündert war, fiel sie dem Sieger bleibend in die Hände und erkannte seine Autorität an. Iwan ließ die größte Zahl der Bürger. Kaufleute und selbst Bojaren in andere Theile seines Reiches verschen und durch Moskauer und Bewohner der inneren Reichsstädte, in denen unbedingte Unterwerfung uuter den Willen des Herrschers seit alter Zeit eine Gewohnheit war, ersehen, um den stolzen Unabhäugigkcitssinn zu brechen. Diese in Pleskow und Nowgorod stattfindende Umwälzung war eine kritische Begebenheit für die Hansa; aber sie wußte mindestens für einige Zeit ihren Wirkungen zuvorzukommen. Da sie nicht erwar» ten konnte, durch die Gewalt ihrer Waffen etwas zu erreichen, gewann sie Iwan, indem sie geschickt das Motiv eines gegenseitigen Interesses geltend machte. Er erneute ihre Privilegien, behielt die Factorci bei und Nowgorod blieb noch, wenn schon in etwas veränderter Form, der Mittelpunkt des nordöstlichen baltischen Handels. Neue Stürme folgten indessen bald der wiedergewonnenen Ruhe. Durch die Hansa und noch mehr durch seinen Patriotismus, seine Ta« lente uud seinen Muth unterstützt, hatte sich Steil Sture als Reichs» Verweser Schwedens behauptet und Johann von Dänemark vergeblich sein Ansehen in diesem Lande wieder aufzurichten versucht. Indem er durch eigene Kräfte die von einem großen Manue geführten und auf die deutschen Städte gestützten Schweden nicht unter seine Gevalt zurückführen konnte, suchte Johann ein Bünduiß mit Iwan WaMwitsch nach und bot Rußland somit die erste Gelegenheit, einen wichtigen A»' theil an den politischen Umwälzungen des nördlichen Europa's zu nehmen. Der Ezar zeigte sich diesem Bündniß ebenso geneigt, da er die Absicht hegte, sich einiger Districte Ingcrmanlands und Finnlands zu bemächtigen, weil diese seine Staaten leicht mit dem baltischen Meere in Verbindung bringen konnten. Er begann den Krieg und machte einen Einfall ins schwedische Gebiet; Stcn Stnre hielt ihn aber auf und seine Waffen hatten keinen Erfolg. Em unruhiger Ehrgeiz hatte sich aber fortan seiner Seele bemächtigt und er gab sich anderen Plänen hin Lievland und Esthland waren das Ziel seiner Aufmerksamkeit geworden. theils wegen des Reichthums ihrer Producte, theils wegen der Häfen und Handelsbeziehungen. Auf die Unterstützung des 7l) Sieg des deutschen OrdenS über Wafiljewitsch. sl. Buch. dänischen Königs durste er rechnen, und der innere Hader, der die Länder bewegte, welche das Ziel ehrgeiziger Wünsche und der Spiel» ball intriguircnder Parteien waren, begünstigte gleichmäßig die Ans« führung seiner Pläne. Ein Zwischenfall beschleunigte den Moment der von ihm beabsichtigten Expedition. Zwei Moskowiter, die sich in Newal aufhielten. waren überfuhrt, falscheMünzen geschlagen zu haben und von den Behörden verurtheilt, verbrannt zu werden. Der durch diesen Urtheilsspruch beleidigte Czar verlangte eine Auslieferung der Richter, welche es gewagt hätten, dieses Urtheil ohne scincZustimmung zu fällen; man weigerte sich, seinem Verlangen zu genügen, und der Magistrat von Rewal erklärte stolz, gegen den Ezaven einen gleichen Spruch ergehen lassen zu müssen, wenn er sich in seinen Mauern gleicher Verbrechen schuldig machen würde. Hierauf erging der Befehl von Moskau, alle Deutschen im russischen Reiche zu verhaften, ihr Geld und ihre Waaren in Beschlag zu neh» men und sich ihrer Hänser zu bemächtige». Mord und Brand wurde von den moskowitischen Soldaten nach Lievland und Esthland getra» gen. Plottenberg, der Großmeister des Erdens, setzte seinen Muth, den Patriotismus der deutschen Bewohner dieser Provinzen und die Hilfsquellen ihrer reichsten Gemeinden dem verheerenden Ruine ent« gegen. Die deutschen Hansastädte schickten dem Großmeister keine Hilfe, sei es, daß sie nicht schleunig genug ihre Kräfte aufbieten könn» ten, sei es, daß sie geheime Eifersucht gegen die lievischen Städte hegten, die sich seit Kurzem weniger gefügig zeigten. Um so größer war dcr Triumph des seit der Tannenbcrgcr Schlacht und dem Thorner Friede», der die Abhängigkeit von Polen herbeiführte, in Verfall gerathenen Ordens; denn es gelang ihm, die Nüssen aNein zurückzuschla» gen und zu einem fuufzigjährigen Waffenstillstand zu bringen, in dem die Hansa jedoch nicht mit inbcgriffcn war. Es ging aus diesem Ausgang des Krieges ein höherer Aufschwung der Städte Riga, Newal, Dorpat und Narwa hervor; sie wurden wichtiger, da die dentschen Städte nun ihrer Vermittelung mehr benöthigt waren, um mit ihren Handelsartikeln in das Innere des moskowitischen Reiches zu dringen. Die Hansa hatte in dieser Zeit um so mehr Sorge auf die Erhal« wng ihrer politischen Interessen zu verwenden, als auch von andcrer 5. Kap.1 Verhältniß der Hansa zu Holland. 71 Seite gefährliche Rivalen eifrig daran arbeiteten, ihren Einfluß im Norde» zu zerstören. Holländer und Engländer erschienen im balti» scheu Meere und ließe» keine Gelegenheit vorübergehen, sichBeziehun» gen zu den Bewohnern dieser Lander zu verschaffen. Die nördlichen Städte Niederlande hatten seit der Hansa Ursprung zu ihr gehört, an den Handelsprivilegien derselben und den auf ihren Vortheil berechneten Unternehmungen Theil genommen; aber in dem Maaße, in dem sie sich vom deutschen Reiche losrissen und dem Einfluß des Hauses Burgund solgtcn, wendeten sie auch ein ihrer besonderen Lage entsprechenderes Handelssystem an und hörten auf. sich von dem Rath der nördlichen deutschen Städte leiten zu lasse». Statt diesen in dem Kriege gegen den dänischen König Erich den Pommer bei« zustehen, gingen sie eine besondere Verbindung mit diesem Fürsten ein, und unternahmen unter ihrer eigenen, von Dänemark als neutral anerkannten Flagge wichtige Expeditionen in das Nordmecr und die baltische Tee. Dieses Betragen verletzte besonders Lübeck. Rostock und Wismar, welche, im 1.1437, Kreuzer gegen die Holländer ausschickten und die von ihnen in ihre Häfen aufgebrachten Schiffe confiscirten. Die Holländer gebrauchte» Repressalien und nahmen 1438 zweiundzwanzig preußische uud lievischc Schiffe, die von lübischen und holländischen. Kricgsfabrzeugen begleitet waren. Dies führte eine Spaltung in der Hansa herbei, die keine Unterhandlung zu beseitigen vermochte. Die deutschen Städte beauftragten ibre Agenten, die Holländer aus ihren Etablissements zu entfernen, und ihnen besonders den Eintritt in Ruß. land zu verschließen. Die nach Bergen gehenden holländischen Fahrzeuge wurden genommen, und der Verkehr mit den deutsche» Hansastädten ihnen verboten. Nun unterhandelten die Holländer mit dem Dänen< könige und dem Ordens-Großmeister über Handelsprivilegien, und den schon im ganzen Norden erwachten Wunsch nach nützlicher Con« eurrenz ergreifend, wußten sie die Fürsten uud Völker zu ihreu Gun< sten zu intercssiren. Man sah Schiffe von Amsterdam, Rotterdam uud Dortrecht in Danzig. Riga und Kopenhagen ankommen und sich im nördlichen Ocean an der ganzen uonvegischeu Küste und nach Island ausbreiten. Die Engländer begannen um diese Zeit auch eigene kühne aben« Verhältniß der Hansa zu England. sl. Buch. t ndc Zügc. «m ihre Prodncte, namentlich Wollen, in den nordi. schen Mcerei, abzusehen, nud fuhren sclbstständig nach Schweden, Dä» nemark und Danzig, während die Heirath Erichs und Philippine'« von England der Tochter Heinrichs IV., einer ausgezeichneten, swats-klugen Frau, die während Erichs Abwesenheit die Zügel der Regie« rung führte, ihnen im baltischen Meere gute Aussichten verschaffte. Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts schlössen England und Däne« mark bestimmte Handelsverträge ab, und ersteres gründete ein festes Etablissement in Helsingör. Unkluge und rohe Raubzüge gegen Ber« gen und Island brachten Conflicte zwischen England einerseits und der Hansa und Däuemark andererseits hervor, in denen blutige Tha» ten zu gegenseitigem Schaden ausgeführt wurden, und die die Bedrückung der Deutschen in England, andererseits aber auch den Verlust des englischen Credits in Dänemark zur Folge hatten, da Christian I. mit der Hansa gemeinschaftliche Sache machte, sich an den von jeher übermüthigen Insulanern zu rächen. England machte aber eine andere Art von Prätensionen geltend. Da es den Deutschen Etablissements und Privilegien in mehreren sei> ner Städte bewilligt hatte, beanspruchte es die gleichen Vorrechte Deitens der Hansa, und verlangte die Freiheit der Ansässigmachung und des Freihandels iu den Städten des Bundes. Die Qrdensmei-ster unterstützten das Gesuch für Niga, Newal und Narwa, wo man englische Schiffe zuließ. In Lübeck. Rostock und Wismar Aufnahme zu erlangen, wurde ihnen nicht so leicht; diese Städte gaben zwar Versprechungen, fanden aber das Mittel, sich ihnen zu entziehen. Sie bewilligten keine positiven Rechte, keine formelle Stipulation. Endlich kam es im Jahre 1474 doch zu einem Tractat, der in Utrecht ratificirt und feierlich unterzeichnet wurde. In Gemäßheit dieser Acte sollte es den englischen Kaufleuten erlaubt sein, im ganzen Hansagebiet Handel zu treiben und in den deutschen und lievischcn Städten Gemeinden und Factoreicn zu gründen. Als jedoch die Rede davon war, den Tractat zur Ausführung zu bringen, brachte der Bund neue Hindernisse auf, sodaß sich die Resultate auf einzelne vorübergehende Concessionen für besondere Unternehmungen beschränkten, ans denen nichts Wichtiges für die Gesammtheit des Handels hervorgehen konnte. '». Kap.) Die Hansa in clilturhistorlscher Beziehung. 73 Erst ein Jahrhundert später und unter ganz veränderten Umständen, erlangte Elisabeth für die Engländer eine Factorei in Hamburg. So konnte die Hansa, wenn schon mehrfach in der Erhaltung ihrer Macht bedroht, diese bis zum Schluß des fünfzehnten Iahrhun. derts bewahren. Ihre alten Verbindungen in der ganzen Ausdehnung des Nordens, ihre diesem Theile Europa's benachbarte Lage, ihre immer disponiblen Capitalien, Früchte ihrer Ordnung und Sparsamkeit, und ihre Ausdauer in der Verfolgung der Grundsätze, die sie im Augenblick ihrer Geburt aufgestellt hatte, sicherten ihr große Vor« theile über ihre Rivaleu und setzten sie in Stand, lange Zeit mit Er« folg gegen den Einfluß der Jahrhunderte zu kämpfen, welcher neue Combinationen herbeiführte, deren Entwickelung sich früher oder spä« ter fühlbar machen mußte. Vielfach ist der Standpunkt, den die Hansa in culturhistorischer Beziehung einnimmt, verkannt, und sie nur unter den nngünstigsten Farben betrachtet worden. ja, lange Zeit hindurch wurde sie uns als Geißel der baltischen Völker geschildert, welche dieselben durch ihre eigensüchtige Politik tyrannisirt und zum Nutzen des eignen Han» dels, ihren Fortschritt gehemmt hätte. Man kann es auch in der That nicht iu Abrede stellen, daß dieser Bund vielfaches Unrecht gegen die nordischen Völker ausübte; er benutzte die Unmündigkeit derselben, um ihnen eine demüthigende Bevormundung aufzuerlegen; er fachte oft zwischen ihnen das Feuer der Zwietracht an und schürte die Flammen des Krieges; er ließ einen großen Theil der Reichthü« mer. die er durch seine kaufmännische Vermittelung schuf, in seinen Schatz fließen; aber es bleibt nichtsdestoweniger unbestreitbar, daß die allgemeine und bleibende Wirkung dieser Unternehmungen für ganz Europa höchst vortlicilhaft, insbesondere aber für die Entwickelung des Nordens segensreich war. Die Hansa mußte das baltische Meer und Land den commerciel-lcn Berührungen eröffnen, um die Absichten der Natur zu vollenden; sie mußte die noch iu barbarischer Rohheit versunkenen Menschen den Elementen der Industrie zugänglich und sie mit den Grundsätzen der Civilisation vertraut machen. Das war es, was die Hanseaten thaten, indem sie eine dem Geiste und Bedürfniß des Mittelalters ent- Die Hansa in cultnrhistolischer Vezlehung. sl. Buch. sprechende Verbindung stifteten. Ohne ihre Dazwischenkunft wurden noch mehrere Jahrhunderte verflossen sein, ehe das Kattegat und das baltische Meer die Mittel zur Beförderung eines regelmäßigen Handels abgegeben hätten, und ehe die diesen Nationen benachbarten Völker an der socialen Entwickelung des übrigen Europa's Antheil nehmen konnte». Der exclusive Gcift, die staatliche und corporative Eifersucht, die dabei zu Tage traten, müssen auf Rechnung der mensch, lichen Schwäche geschrieben werden und charakterifiren besonders die Zeit des Mittelalters. Sobald sich eine kräftige Concurrcnz «heben konnte, wurde sie auch geboren, und eine neue Ordnung der Dinge folgte den Misbräuchen und der Unvollkommenheit der vergangenen Epochen. Eine zuvor träge und stagnirende Masse ward durch die Hansa belebt; sie hatte den Grundstein zu einem prächtigen Bau gelegt, und ihre kecken Entwürfe hatten eine glänzende Bahn vorgezeichnet. Die Spuren des Kampfes und des kleinlichen Haders, die düstern Ausbrüche der Eifersucht und des Egoismus wurden seltener und näher» ten sich dem Verschwinden; die Zeit wollte auch sie in den Abgrund schleudern, in dem sich die Anstrengungen der kleinen Leidenschaften verlieren, in dem die engen Ansichten der weniger klaren Geister be» graben sind. Die großen Resultate aber sollten erhalten werden. Am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wurden das baltische, sowie die ihm benachbarten Meere, den weisen und vorsorglichen Absichten der Natur gemäß, eine Verbindungsstraße zwischen Süd und Nord. Zahlreiche Fahrzeuge mit reichen Frachten beladen, und von Männern geführt, die mit den Handelsbeziehungen wohl vertraut waren, wogten in diesen so lange von Piraten bedeckten Gewässern. Die nördlichen Gegenden, die durch nützliche Beziehungen mit denen verkettet waren, die ein günstigerer Himmel überwölbt, konnten leicht den Fortschritten der Künste und des Lichts folgen. Welcher Wechsel wurde in ihrer ökonomischen, bürgerlichen und moralischen Stellung herbeigeführt! Die weiten und dunkeln Wälder wnrdcn gelichtet und lieferten nebenher kostbares Matenal für die allgemeine Industrie; die wilden Thiere wurden vertrieben und die Jagd auf die, welche noch übrig blieben, trug dazu bei, die Handelsgegenstände zu vermehren. Reiche 5. Kap.1 Die Hansa in culturhistorischer Beziehung. 75 Korn«, Hanf-, Flachsernten bedeckten den Boden Dänemarks, Preu< ßens, Lievlands und Polens. Silber, Kupfer und Eisen wurde den Gin« geweiden der Erde in Schweden und Norwegen entrissen. Die Fischerdörfer und Nomadenhütten wurden durch Flecken und Städte, unansehnliche, massenhafte Burgen durch Schlösser im Styl einer geläu-terteren Baukunst ersetzt. Es gesellten sich zu den bedeutenderen Städ» ten mit geordneten städtischen Behörden, öffentlichen Märkten und Werkstätten einer höheren Kunst, in Preußen: Danzig, Elbing, Kö« nigsberg ; in Kurland: Licbau, Mietau, Windau; in Lievland und Esthland: Riga. Dorpat, Newal, Narwa; in Finnland: Abo; in Schweden: Gefle, Upsala, Stockholm, Kalmar, Linköping, Norrkö-ping; in Dänemark: Hclsiugör, Kopenhagen, Flensburg, Apenrade/ Schleswig. Die Sitten konnten sich mildern und die Genüsse sich vermehren. Die Nordbewohner waren nicht mehr mit Häuten und Fellen bekleidet, sondern brauchten Linnenzeuge, Wollenstosse, Baumwolle und selbst Seide. Der Mcth war nicht mehr die einzige Würze ihrer Mahle; Bier, Wein, Specereien und Früchte traten in die Reihe ihrer Verbrauchsartikel; Ordnung, Reinlichkeit und Ueberfluß wurde in ihre Wohnungen eingeführt und verschönerten ihre Existenz. Kaum war an den Ufern des Rheins die Buchdruckkunst erfunden, als sie auch schon in Schweden, Dänemark, Lievland und Preußen in Ausübung gesetzt wurde; die Gelehrsamkeit fand Zufluchtsstätten an der Weichsel, am Mälar, am Snnde und an den Betten, von wo aus sie sogar weithin leuchtende Strahlen aussendete; die bedeutenderen Städte mUerhieltcn alle Schulen oder Lyceen; Upsala und Kopenha« gen bekamen Universitäten, die mit denen Deutschlands wetteiferten. . Da entwickelten sich aber wieder neue Berührungen. Die Zeit kam heran, in welcher die baltische Schifffahrt und der Handel nach einem umfassenderen Plane geleitet wurden, und eine noch größere Wichtigkeit in der allgemeinen Bewegung der Industrie der Völker beanspruchen konnten. Seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts veränderte eine allgemeine immer weiter um sich greifende Umwälzung den Gesammtanblick des ganzen Europa's. Die Macht, die der öffentlichen Sicherheit als Stützpunkt diente, machte sich von den Fesseln des Feudal, -« Beginn des Verfalls der Hansa. si. Buch. sustems los, und die Administration der Staaten wurde nach neuen Principien organisirt, die ihnen mehr Schwung nnd größere Energie verleihen sollten. Die Isolirungen der Interessen und die ausschließlichen Ansprüche liefen ehemals der politischen Ordnung und dem Bedürfniß einer allgemeinen gegenseitigen Annäherung entgegen, der es aber gerade bedürfte, um eine höhere Civilisation zu erzeugen. Von anderer Seite her überließ sich der menschliche Geist kühnen Entwürfen und machte die wichtigsten Entdeckungen. Die Buchdruckkuust verbreitete Kenntnisse jeder Art; die Schiffer hatten den Compaß erhal-ten, um sich in der unermeßlichen Weite des Meeres zurechtfinden zu können; eine neue Straße führte nach Indien und Amerika war wie» der gefunden nnd bekannt geworden. Diesem Zeitraume gehört die Verkettung von Ursachen und Wirkungen an, deren Resultat die endliche Regeneration der Gesellschaft war. und welche die Völker von Schritt zu Schritt zur Erfüllung ihres Geschickes führte. Die Han< delsverbindungcn dienten dazu, das sociale System zu vervollkommnen, und dieses System erweiterte seinerseits die Aussichten, welche alle Künste beleben. Diese gegenseitigen Einflüsse haben die politische, bürgerliche wie moralische Organisation des ganzen modernen Europa's hervorgebracht. Der neue Impuls, der dem Lauf der Ereignisse nnd den Unternehmungen der Volker gegeben wurde, verbreitete sich schnell von Süden nach Norden. In Deutschland selbst und im Mittelpunkte seiner Beziehungen hatte die Hansa seit einiger Zeit begonnen, an Kräften abzunehmen. Die Abgabenfreiheit der deutschen Städte wurde von den Souverainen der Territorien, in denen sie zur Geltung gebracht worden, angefochten und der Hansarath vermochte nicht mehr mit derselben Kraft wie früher, dagegen aufzutreten. In dem Maaße, wie das Gesetz Maximilian I., das die Sonderfehden und Nachekriege verbot, und Gerichtshöfe an deren Stelle setzte, in Ausübung gebracht wurde, mußte der Bund, dessen Hauptzweck es gewesen war, eine ähnlicheStel-lung während der feudalen Anarchie einzunehmen, an ssredit und Wichtigkeitverlieren. Statt auf seine Intervention zurückzugeben, wendete man sich an den Kaiser und seinen Rath uud die Decrete derHansa wurden selbst kaum noch in Angelegenheiten, die nur auf den Handel Be« 5. Kap.) Innere Zustände Deutschlands und des NoidenS. 77 zug hatten, respectirt. Das in Deutschland vorgekommene denkwürdige Ereigniß, welches den Beginn des sechzehnten Jahrhunderts ausfüllte, verbreitete auch in den Hansastädten Elemente der Unruhe und streute den Samen der Zwietracht aus, wodurch der Geist der ull» gemeinen Verwaltung eine Aenderung erlitt und die Einheit der Ansichten zerstört wurde, welche die Hauptkraft der Blüthe und Macht des Bundes gewesen war. Die Meinungen Luthers durch« drangen die Mehrzahl der verbündeten Städte, uud ihre Bewohner gaben sich wechselweise den Eindrücken hin, die ihnen von ihier alte» treuen Priesterschaft oder den neuen Predigern, von ihren Magistraten oder den benachbarten Fürsten gegeben wurden. Nach Meinungskämpfen und Aufstanden, welche die Handelstätigkeit hemmten, blieb doch ein Theil der Städte dem überlieferten Glauben derVäter und der Kirche treu; die anderen, zum größten Theil die Seestädte, nahmen die Neuerungen an. Die Verschiedenheit der Lage, des Interesses, des Glaubens, ließ die Zahl der Hansastädte immer geringer werden und vorzüglich die bimienländischen rissen sich von einem Bande los, das für sie ferner keine Vortheile bot. Von nun ab bestand die Hansa vorzugsweise aus Seestädten, unter denen sich Lübeck, Hamburg, Bremen, Rostock und Danzig in der ersten Reihe auszeichneten. Zur selben Zeit bereiteten sich wichtige Umwälzungen in den nördlichen Ländern vor, die das große Ziel der Unternehmungen der Hansa waren. Im Jahre 1515 hatte der schon erwähnte Chri, stian II., Sohn Johanns, den Thron Dänemarks bestiegen; uud sich, obwol im Besitze großer Eigenschaften, hauptsachlich nur durch seine heftigen Leidenschaften, seine schuldvollen Verirrungen uud sein langes Unglück bemerkbar gemacht. Er verrieth sogleich, daß er die Absicht hatte, die erste Rolle im Norden zu spielen, wobei er sich vielleicht auf seine Verschwägerung mit dem mächtigen deutschen Kaiser Karl V. stützte; aber seine leidenschaftlichen Wuthausbrüche und die Heftigkeit seines Charakters verhinderten ihn, seine Pläne folge« recht uud nach reiflicher Erwägung zu betreiben. Ein Hauptaugen« merk richtete er, wie schon beiläufig bemerkt, auf den Handel, dem er in seinen Staaten eine Bahn vorzuzeichnen unternahm, die ganz «„ Christian II. von Dänemark. si. Buch. dazu geeignet war, ihn zu vergrößern. Seine Reisen in Deutschland und Frankreich und seine Heirath mit Isabelle lieferten ihm Gelegenheit, Vieles zu hören und seine Ansichten zu erweitern. Ein eigener Umstand näherte ihn den Holländern, und ließ ihn für diese Handelsnation ein besonders günstiges Vorurtheil erfassen. In Norwegen hatte ihn eine leidenschaftliche Liebe zu einer schönen Holländerin, Anna Dyveke. erfaßt, deren Mutter Sigbrit, eine ehemalige Apfelhändlerin, ein Gasthaus in Bergen hielt. Die schöne Dyvckc starb zwar in der Blüthe ihrer Jahre; aber trotz neuerLieb-schaften, trotz seiner Ehe mit Isabelle, konnte sich Christian über ihren Verlust nicht trösten; an der Stelle der Verstorbeneu erhielt deren Mutter ein unbegreifliches Vertrauen. Dieses Weib gewann eine solche Gewalt über ihn, daß sie die Seele seines Rathes wurde, und sich die Reichsräthe vor ihr beugen, und schweigend den Hollän» dern den höchsten Grad der königlichen Gunst zukommen lassen muß» ten. Eine Colonie ibrer Landslente bevölkerte die baltische Insel Amack; eine zweite sollte bei Helsingör gegründet werden, scheiterte aber in der Ausführung an den von den Bewohnern dieser Stadt erhobenen Schwierigkeiten. Um die Holländer dafür zu rächen, beredete Tigbrit den König, den Sundzoll von Helsingör nach Kopenhagen zu verlegen. Die Hansastädte beklagten sich über diese Maß« rege! und stellten das Nachtheilige derselben für ihre Interessen vor, indem sie ihre Fahrzeuge zu einem Umwege zwänge. Aber es half zu Nichts, das vielvermögende Weib wußte ihre Maßregel für einige Zeit um so eher durchzusetzen, als sie Christian bewog, Kopenhagen zur großen Etappe des ganzen nordischen Handels zu machen; ein Project, welches mehrfach wieder aufgegriffen wurde, ohne je zum Ziele geführt zu haben. Der Haß der deutschen Kaufleute gegen Sigbrit steigerte sich dergestalt, daß sie gegen dieses Weib zu der Anklage auf Zauberei, die sie mit Hilft eines dänischen Canonicus verüb/ habe, griffen l,nt> ein Gottesgericht verlangten. Christian sichr aber fort ihm, Natb in Anspruch zu nehme» und Holland auf Unkosten der Hansa zu begünstigen. Neue Unruhe befiel daher die letztere, als dieser ihrem Handel so wenig günstig gestimmte Fürst auch die schwedische Krone erhalten und Souverain des 5. Kap.) Gustav I. Wasa. 79 ganzen Skandinaviens geworden war. Sie suchte jedes Mittel auf, um seine Macht zu schwächen uud die Ausführung seiner Pläne zu hindern. Christian setzte aber selbst seinen Erfolgen und seiner Macht durch sein zugleich wahnsinniges und verbrecherisches Wütheu ein Ziel. Das Stockholmer Blutbad, welches er kaltsinuig mitte» unter rauschenden Vergnügungen und Festen anordnete, und durch welches er die durch ihre Würden, Verdienste, Talente und Verbindungen ausgezeichnetsten Schweden vertilgen ließ, rief bald die Rache auf sein Haupt herab, und bewaffnete einen furchtbaren Gegner wi-der ihn. Gustav Erilson Wasa. Sohn eines der Edlen, deren Blut durch den Henker vergossen worden war, wußte aus seinem Gesang» niß zu entkommen und faßte den Plan, sein Vaterland von dem fremden Druck zu befreien. Er fand Mittel, nach Lübeck zu gelangen und in dieser Stadt alle Gemüther gegen den neuen Beherrscher des baltischen Norden zu entstammen. Die Stadtbehörden versprachen ihm Beistand uud gabeu ihm ein Schiff, um ihn nach Schweden zu bringen. Der Muth Gustavs, seine Talente und seine Beredsamkeit ließen ihn schließlich entscheidende Erfolge erringen, und die Dänen, von allen Seiten augegriffen und besiegt, verließen Schweden. Die Repräsentanten der schwedischen Nation erkannten dem Sieger die Krone zu, die er mehr als vierzig Jahre mit Ruhm und Glanz trug. Seiner Autorität in Schwede» beraubt, wurde Christian es später auch in Dänemark und Norwegen, durch eine mächtige Partei, die scheel aus die Begünstigung des von ihm der persönlichen Freiheit entgegengeführten Bauernstandes sah, und die Ausbrüche seiner leidenschaftlichen Erbitterung gegen die Großen fürchtete. Herzog Friedrich von Holstein ersetzte ihn in beiden Ländern und erhielt, wie Gustav, die Unterstützung der sich mit dem iusurgirten jütländi« schen Adel verständigenden Lübecker. Bei seinem Tode führten die Schwierigkeiten, die man über die Nachfolge erhob, ein Interregnum herbei, wahrend dessen die dänischen Staaten sich in sehr kritischer Lage befanden. Die neue Religionspartei, welche gegen den Katholicismus ankämpfte, die Großen und das Volk geriethen hart aneinander; mehrere Prätendenten traten auf und endlich brach ein 2^ Wullenweber und Meyer. ^I. VuH. Krieg aus, an welchem Lübeck, im Einklang mit den deutschen Für« sten, welche Aussicht oder die Absicht hatten, zur Regierung zu ge. langen, einen sehr regen Antheil nahm. Lübeck war damals durch zwei hochstrebende Männer beherrscht, Wulleuweber und Meyer. Diese ehrgeizigen Demagcgen wollten neue Gesetze einführen, die denen schroff entgegengesetzt waren, wclche die Gewohnheiten der Jahrhunderte geheiligt hatten und riefen dadurch stürmische Verhandlungen hervor. Zu gleicher Zeit beabsichtigten sie, gestützt aus das Volk und deutsche Fürsten, die sich schmachvollerweise in ihren Sold begeben hatten, der Hansa ibren ganzen Glanz wiederzugeben und sie für die Beschimpfungen zu rächen, die sie im Norden zu erleiden gehabt hatte. Sie sprachen dictatorisch zur Regentschaft von Dänemark und als dieselbe dennoch den Holländern einige Zugeständnisse machte, brachen offene Feindlichkeiten aus. Nachdem die Hanseaten fremdeTruppen in das Land geführt und Schrecken und Verheerung verbreitet hatten, wagten sie es sogar, offen die dänische Krone auszubieten. Sie trugen sie Heinrich VIII. von England an und daun sogar demselben Christian, dem sie vorzugsweise durch den Ginfluß der Hansa geraubt war. Aber die Dänen, die vön ihren düstern Verirrungen zurückgekommen und durch die Gefahr vereint waren, erhoben den ältesten Sohn Friedrichs auf den Thron. Er herrschte unter dem Namen Christian III. und erhielt von Gustav Wasa, dessen Schwager er war, Hilfe, zur Befestigung seiner Autorität. Erschöpft von ihren ehrgeizigen Bestrebungen, beunruhigt über ihre Magistrate, kehrten die Lübecker wieder zu ihren alten Gewohnheiten zurück und suchten selbst um Frieden nach. Die beiden Demagogen sahen sich von ihren deutschen Parteigängern verlassen und von dem Haß der nordischen Fürsten verfolgt; ihr Ende war derVerlust ihrer Häupter auf dem Schaffotte. In früheren Perioden hatten die erwähnten Begebenheiten der nordischen Geschichte günstige Resultate für die Unternehmungen der Hansa haben können. Die deutschen Städte, die in diesen Umwäl» zungen eine so wichtige Rolle spielten, würden leicht große Privile« gien erlangt haben, oder mindestens in dem Genuß der alten bestätigt worden sein. Aber die Zeiten hatten sich geändert und mit ihnen die 5. Kap.) Kluges und festes Benehmen Gustav Wasa'S. 81 Ansichten der Fürsten wie die Intentionen der Völker. Ein neues Licht erhellte den Norden, andere Einflüsse machten sich daselbst gel« tend und die Völker zeigten sich dem Joche weniger gefügig. Die große Bewegung, das allgemeine Streben nach einer dem Volke einen Antheil an seiner Regienmg gestattenden Organisation, deren Vor« läufer und entschiedenste Beförderer die Lübecker und ihre Verbündeten waren, hatte sich für jetzt bernhigt, und für den baltischen Han» del begann ein neuer Zeitraum; die Völker des weiten skandinavi» schen Gebiets schritten mit einer rühmlichen Unabhängigkeit auf dem Wege der Industrie vorwärts. In Schweden bedürfte Gustav Wasa zu seinen staatlichen Zwecken der Reichthümer; das Luthcrthumund die religiöse Gleich-giltigkeit seiner Unterthanen kamen ihm zu Hilfe, und durch Annahme jenes gelangte er in den Besitz bedeutender Kirchenschätze. Ein Theil derselben wurde dazu verwendet, den Lübeckern die ihm geleisteten Darlehen zu erstatten. Sein ehrenwerther Charakter ließ ihn auch der Behörde dieser Stadt seine Dankbarkeit durch ein offenherziges und edles Benehmen beweisen. Aber er verweigerte aus Staatsklug' heit und Patriotismus beständig die Erneuerung der Privilegien, welche die Hansa einst iu Schweden genossen hatte. Die Klagen und Vorwürfe tönten laut im Nathe der Hansa und ein Krieg wurde gegen den König angestiftet. Ja man geht soweit, zu behaupten, daß von Lübeck aus ein Complot gegen Gustavs Leben gerichtet gewesen sci, was jedoch nicht erwiesen ist, obschon Lübecker Emissaire in Stockholm die Unzufriedenen um sich sammelten und ihnen ver» führerische Versprechungen machten. Alle diese Anstrengungen scheiterten aber an der Aufmerksamkeit und Festigkeit eines Monarchen, der, stets sein Ziel im Auge habend, nach einem bestimmten Plan vorschritt nnd sich durch Hindernisse nicht schrecken ließ. Die Schwierig, krite», die ihn von allen Seiten umgaben, verachtend, verfolgte er fest seine Absichten uud einer seiner gerechtesten Ansprüche aufeme bedeut' same Stelle in der Geschichte ist der, zuerst im Nordeu ein dem allgemeinen Fortschritt der Industrie entsprechendes Handelssystem entwickelt zu haben. Die Concurrenz wurde ohne Unterschied zwischen allen fremden Nationen eröffnet und die Schweden ermuthigt. selbst« Di« Ostscl. I. t) 82 Gründung der schwedischen und dänischen Kriegsmarine, ll. Vuch. standig an dieser Handelsthätigkeit Theil zu nehmen. Auf der einen Seite schuf der König Institutionen, welche nützliche Kenntnisse ver> breiteten und organisirtedic Arbeit der iudnstriellen Künste; aufder anderen unterhandelte er mit den Mächten Europa's und schloß Ver> trage mit Holland uud Frankreich ab, von denen der mit letzterem dnrch die Absicht. Karl V., als Schwager Christian II. und dadurch Widersacher Gustavs, ein Gegengewicht zu schaffen, zu einer engen politischen Allianz wurde. Es ist dies das erste Büudniß einer nordisch-balti« scheu und einer südeuropäischcu Macht; eine Vereinigung, die später anf die Geschicke Europa's bestimmend einwirkte. Sobald sich Dänemark von dem Zustande der Schwäche, in den es die inneren Unruhen gebracht hatten, nur in Etwas erholt hatte, wurden auch dort die in Schweden zur Geltung gekommenen Prin. cipien angenommen. Obschon Christian III. keinen besonders glän» zenden Geist besaß, ibm auch der unternehmende Muth Gustavs fehlte, fügte er dennoch der Macht der Hansa empfindliche Schläge bei. Er verminderte ibre Prärogative in Dänemark und raubte ihr durch kluge uud strenge Maßregel» die übermüthige Gewalt, die sie sich in Bergen in Norwegen angemaßt hatte. Sein Statthalter Chri» stoph Walkendorf bewaffnete die Norweger gegen die Deutschen, und diese, den Ausgang des Kampfes fürchtend, nahmen ihre Znflucht zu Vergleichen, die ilmen einen großen Theil ihres Einflusses raub« ten und denselben auf die Holländer uud Engländer übertrugen. In diesem Zeitraum legten auch Schweden und Dänemark die Grundsteiue zu einer geregelten Kriegsmarine, um ihre Küsten zu vertheidigen nnd ibre Flagge zu schützen. Christian III. schuf die däuische Flotte, indem er Schiffsbaumeister aus Bremen kommen ließ. welche Werften errichteten und Modelle großer Fahrzeuge lieferten. Gustav, gleichfalls von fremden Schiffsbaueru unterstützt, sah sich im Stande, mehr als zwanzig Kriegssegel in See stechen zu lassen, die einen ausgezeichneten Sieg über die Lübecker in der Nähe von Born. bolm davontrüge» uud der Sceräuberei dcrNussen in den finnischen Gewässern ein Ziel setzten. Diese Seemacht wuchs unter den fol< genden Regierungen derart, daß Schweden fortan stets dreißig be' wassnete Fahrzeuge kesaß; das Flaggenfchiss dieser Flotte hieß: 6. Kap.j Eifersucht zwischen Dänemark und Schweden. 83 ,MaKalü8" (die Unvergleichliche) und trug 125 Kanonen. Aber für die baltischen Wasser zu schwer, leistete es wenig Dienste nnd wurde 1564 von den Dänen, in dem Kriege zwischen Erich XIV., Sohn und Nach. folger Gustavs, und Friedrichs 11., Erben Christian III.. genom^ men. Die Rivalität dieser beiden Mächte war von Neuem ent« brannt, und ihre Kriegsflotten waren nicht allein verhindert, den friedlichen Handel zu schützen, sondern störten ihn, da sie in Verbindung mit den Armeen Schlachten liefern mußten, um die politischen Interessen zu unterstützen. Wie auch in den andern Meeren, sah man indem Kattegat und dem baltischen WasserdiesemaritimenPhalanxen erscheinen, deren lärmende, furchterregende Bewegungen und schreck« liche Stöße mit dem friedlichen Lauf der Flotten contrastiren, welche dem Austausche der Handelswaaren bestimmt sind. Sechstes Kapitel. Dle Ordtnsgeblete weiden weltliche Staaten. ^-Schwedens Ueberaewicht in der Ostsee. — Verfall der Hansa. — Der dreißigjährige Kneg. — Folgen desselben für die Ostsee. Von den fernsten Grenzen der pyrenäischen Halbinsel bis zu dem Polarkreisen sollten alle Veziehunge Enropa's in dem denkwürdigen Jahrhundert, welches das Mittelalter beschloß und die neue Zeit begann, ihr Aussehen verandern. Wenig später als Skan« dinavien zu einer so neugestalteten Existenz gelangt war, ereigneten sich andere wichtige Umwälzungen in den östlichen Landern, die von der baltischen Woge umspült werden. Der stolze politische Bau, der fich einst an den polnischen und russischen Grenzen erhoben hatte, war erschüttert und drohte, in seine kleinsten Bestandtheile zu zer-fallen. Der deutsche Orden hatte im Jahre 1511 den fränkisch, brandenbuigischcn Markgrafen Albrecht zum Hochmeister erwählt. EinSchwcstcrsohn desPoleukönigs Sigismund und Enkel des mächtigen Kurfürsten Albrecht Achilles, hegte er die Hoffnung, den Orden der polnischen Hobeit zn entziehen, versagte den Lehnseid und be. kriegte Polen. Fremder Hilfe baar und den Verfall des OrdenS 6' «4 Säcularlsatlon der Ordensgebitte. ^1. Vuch. erkennend. ergriff er im Unglück ein gewaltsames, von der Staats« kluqheit gebotenes Mittel, jene Lande vom gänzlichen Verderben und Untergang zu retten. Die alten Bande, die den Orden mit den be« stehenden Verhältnissen verknüpften, mußten schnell getrennt, der Or« den selbst aus dem ursprünglichen Grunde herausgerissen und ihm ein neuer Nechtsbodcn geschaffen werden. Dies war nicht anders zu ermöglichen, als durch Aenderung dcr Verfassung, der Eitte und des Glaubens; auf der Basis des Luthertbums wurde deshalb von ihm selbst der Herrschast des Ordens ein Ende gemacht, Frieden mit Po« len geschlossen und Preußen als weltlicher Staat Erbeigenthum Albrechts, der als Vasall der Krone Polcns die Herzogswürde aw nahm. Seine verwandtschaftlichen Beziehungen und Abstammungen von dem erlauchten und an Herrschcrtugenden hoch hervorragenden Fürstenhause, daS von dem Berge deö fernen Schwabens und dcr Burg zu Nürnberg sich schrittweise der baltischen Küste näherte, und mit seinem schwarz uud weißen Banner der Ordnnng und dem Wohl« stände den Weg vom Fels zumM eere bahnte, sicherten der neue» Gestaltung dieZukunft. Wenige Jahre daraus folgtedcrHecrmeister deS Schwertbrüderordens, Gotthard Kettler, dem Beispiele Albrechts und machte sich zum Erbherzog von Kurland und Scmgalleu unter polnischer Lehnshobeit, Lievland dafür dem Könige Sigismund II. überlassend. Dieses Ereigniß machte Lievlaud und Esthland zu dem Schauplatz eines langen und blutigen Kampfes; die Schweden be« müchtigten sich eines Theils dieser Provinzen und erwarben das sich ihnen freiwillig ergebende, früher mit Licvland verbundene Esthland, während die Insel Oescl an Dänemark kam, die Polen Lievlaud be» hielten und die von dem weißen Meere herabkommenden Moskowiter überall sengten und verheerten. Diese Begebenheiten blieben natürlich nicht ohne großen Ein. fluß auf die Länder, in denen sie sich ereigneten. Anfangs erzeugten sie einen Stillstand in der gewohnten Thätigkeit, und endlich war das darans hervorgehende Resultat eine zwischen den sich bekämpfen« den Machten offenbarende Verschiedenheit, oftmals sogar ein schroffer Gegensatz der Anschauungen, sodaß es für die Kaufleute sehr schwer war, ihre Unternehmungen darauf zu stützen. Die Hansa zeigte wäh» 6. Kap.1 Benehmen der Hansa gegen Nußland. 85 rend dieser Krisis eint große Geschicklichkeit und überlegene Intclli« genz. Ihre alten Beziehlmgen zum Osten benutzend,fuhr sie fort, mit den preußischen, kurischcn, lievischen Städten zu verkehren; Riga, Neval undNarwa bewahrten ihr, trotz mehrerer Uneinigkeiten, eine große Anhänglichkeit und dienten ihr als Glieder der Verbindung mit Rußland. Der Hansabund beobachtete dieses Reich noch immer mit der gespanntesten Aufmerksamkeit und vernachlässigte kein Mittel, um die Russen in tiefer Abhängigkeit zu erhalten. Iwan Wasiljewitsch ll. hatte 1547 Handwerker aus dem innern Deutschland in sein Reich gerufen und den Lübecker Magistrat dadurch so erschreckt, daß er auf dem Reichstage ein Decrct hervorrief, das diesen Handwerkern ver« bot, sich in deutschen Häfen einzuschiffen. Nichtsdestoweniger folgte nach kurzer Zeit eine große Zahl den lockenden Anerbietungen und zog auf Landwegen durch Polen und Preußen und selbst über das weiße Meer in verschiedene Theile des moskowitischcn Reiches, um als erste Kolonisten europäische Kunstfertigkeit dorthin zu verpfian» zen. Den Verboten Schwedens. Polens und Dänemarks entgegen betrieben die Hansastädte noch immer dcn Handel mit Narwa, als dem den russischen Provinzen Nächstliegenden Hafen und dem Mittel« punkt, gegen den sich alle weiteten Unternehmungen richteten. Als dieseStadt im Jahre 1588 in russische Gewalt gerathen war, worin sie bis 1591 blieb, traten die Agenten der Hansa sogleich in Unter« Handlungen mit dem Czaren und erlangten die Herstelluug der Fac» torei in Nowgorod mit großen Privilegien. Als sich später die Schweden Narwa's wiederbemächtigt hatten, benutzten dieselben Agen« ten, deren Aufmerksamkeit man nie den Vorwurf einer Erschlaffung machen konnte, die zwischen beiden Mächten eingegangene Friedens« convention und ließen sich mehrere wichtige Vortheile bedingen. Erst einmal Rußland näher gekommen, suchte die Hansa, das Band mit demselben zu verstärken und schickte Gesandtschaften mit reichen Ge« schenken an die Czaren, woraus ihr große Vortheile erwuchsen. Ja das Verhältniß wnrde später ein so inniges, daß der Czar Boris Godunow junge Russen nach Lübeck sendete, um uuter Leitung der dortigen Behörden erzogen zu werden. Die innern Störungen und aß Schwedens Uebcrgewicht in der Ostsee. ^1. Vuch. die Desorganisation des russischen Reichs ließen aber bald die glän» zenden Aussichten der deutschen Städte schwinden, und sie konnten um so weniger hoffen, vortheilhafte Beziehungen wieder angeknüpft zu sehen, als die lievischen und esthnischen Städte sich mehr und mehr von ihren Verbindlichkeiten gegeu die Deutschen losmachten und grundsätzlich den augenblicklichen Impulsen folgten, die ihnen von Schweden und Polen gegeben wurden. Schweden hatte insbesondere angefangen, eine große Gewalt über den Osten auszuüben und herrschte schon in den lievischen und finnischeil Gewässern, gleichzeitig dem ganzen Norden das Wachsen seiner Macht suhlen lassend. Dänemark hatte demselben den Krieg erklärt; der Lübecker Senat glaubte den Augenblick nutzen zu müssen, um seinen Einfluß anf die Politik der nordischen Fürsten Wiederzuge« winnen und vor Allem dem Laude, das Gustav Wasa in jeder Beziehung dem fremden Joch enthoben hatte, Gesetze vorschreiben zu können. Es vereinigten daher Lübeck und einige andere Städte ihre Streitkräfte mit Dänemark. Erich XIV., der seinem Vater Gustav gefolgt war. erbte zwar nicht die großen Talente dieses Fürsten und wurde von der düstern Schwcrmuth seines Charakters zuweilen zu den beklagenswerthesten Verirrungen tyrannischer Willkür hingerissen; aber seine Seele war nichtsdestoweniger erhaben und sein Geist un« gemein thätig; überdies besaß er mutbvolle Genercile, geschickte Ad« mirale und das schöpferische Genie Gustav Wasa's hatte der ganzen Nation die Schwungkraft und Energie verliehen, die sie bald so mächtig im Norden machte. Die vereinten Dänen und Lübecker schickten zahlreiche Flotten in das Meer; aber es herrschte keine Einigkeit unter ihren Führern und es erschien kein höheres Talent, um den Zwiespalt zu heilen. Die übrigen Hansaftadte beharrten nicht bei der Unterstützung der Lübeckschen Anstrengungen und beklagten sich sogar über die Verlegenheiten, in welche sie das Verfahren ihrer Senate gebracht habe. Nachdem die Schweden einige Verluste erlitten hatten, erhoben sie sich wieder und vor Allem trugen ihre Admi. rale die glänzendsten Vortheile davon. Die Flagge König Erichs wurde im Sunde aufgezogen und Schweden blieb in dieser Gegend herrschend, bald Lübeck und bald Kopenhagen bedrohend. Der Frie» 6. Kap.1 Verfall dci Hansa. 87 den wurde 1568 zwischen Friedrich II. von Dänemark und Johann III. von Schweden, der seinen Bruder Erich uuterdem Vorwcmd des Wahnsinns entthront und in harte Gefangenschaft gesetzt hatte, abgeschlossen. Johann, der seiner ganzen Kraft bedürfte, um seine persönliche Auto« rität zu stärken und überdies die Dänen an den Grenzen Vortheile erringen sah, willigte in so wenig glänzende Bedingungen, daß es schien, er habe den Nuhm seines Vaterlandes aus den Augcu gelassen; aber bald zeigte er, daß er nur einen Augenblick den Umständen Rechnung getragen hatte. Lübeck errang keinen der Vortheile, die ihm ver« sprechen waren, und das von Gustav Wasa eingeführte System ratio, neller Concurrenz wurde in allen Stücken aufrecht erhalten. Karl IX., der seinem Brudersohn, dem polnischen Wahltönig Sigismund, Johanns Erben, unter vielerlei Vorwändcn mit Hilfe der Stände die schwedische Krone raubte, besaß großen Ehrgeiz und eine Charakterstärke, die kei» nem Hindernisse wich. Er erweiterte den Handel seiner Staaten und kriegte gegen Polen und Rußland. Die Hansa versuchte, ihn zu beherrsche» oder Feinde gegen ihn zu erregen, kam aber nie damit zum Ziele und wurde sogar genöthigt, sich große Mäßigung aufzuerlegen, um der Rache zu entgehen. Dies waren die letzten Anstrengungen der Hansa, um gegen die mächtigen Einflüsse anzukämpfen, welche sie ihrem Fall cntgegenführ-te». indem sie einen Wechsel in den Handelsbeziehungen der nordischen Völker verursachten. Die von der Nothwendigkeit geborene Verbin» dung hatte ihre Macht, ihr Talent, ihre Industrie und ihren Muth vcr. geblich dem Einfluß der Zeit. dem Wechsel der Ansichten, dem Geist der Jahrhunderte und den Umständen, die sich über alle geistreichen Combinationen hinwegsetzen und Ruinen häufen, um ein neues Ge< bäude darauf zu errichten, entgegenzustellen versucht. Während die Seestädte der Hansa im baltischen Meere so bedeutende Nebenbuhlerschaft zu bekämpfen hatten, verloren sie gleichzeitig ihre Vortheile in den andern Meeren, in Flandern und England. Im Beginn des siebzehnten Jahrhunderts ging von Lübeck ein Plan aus, der vortheilhafte Wirkungen herbeiführen zu können schien; es wollte alte Empfind« lichkeiten vergessen wissen und die Hansa mit der neuen Republik der vereinigten niederländischen Provinzen in Einklang bringen. Die ,88 Der dreißigjährige Krieg. si. Buch. Holländer nahmen ein Bündniß an, in welchem sie ein Mittel er« blickten, ihre Seekräftc zu verstärken nnd mit Erfolg gegen die spa» nische Macht aufzutreten; als aber die Rede von einer kriegerischen Verbindung war, konnten die deutschen Städte nicht zum Entschlüsse kommen; die Annäherung beider Parteien schwand wieder, nnd die alte Rivalität ging ihren Lauf. Noch hatte sich keine günstige Gelegenheit dargeboten, die Ange» legenheiten der Hansa wieder zu heben, als der dreißigjährige Krieg ausbrach. Der Schauplatz desselben verbreitete sich von der Donau und dem Rhein bis zur Elbe und den baltischen Küsten. Tilly und Wallenstein breiteten ihre Armeen in Pommern und Mecklenburg aus, verlangten von allen Städten ohne Unterschied, daß sie ihre Thore den Generalen des Ncichsoberhauvtes öffneten und legten Garnisonen in die Mauern Rostocks. Wismars und Greifswaldes. Nur das einzige Stralsund trotzte in edler Festigkeit des Selbstständigkcitsgefühls, wies, auf seine Wälle sich stützend, alle Aufforderungen Wallen, steins zurück, trat, schließlich der Hilfe bedürfend, in Unterhandlungen mit Schweden und nahm schwedische Truppen in seine Mauern auf, wodurch die glänzenden Wassentbaten Gustav Adolphs eingeleitet wurden. Inzwischen hegten Oesterreich und Spanien die Absicht, die See« krafte der Hansa zu benutzen, um sie den Holländern entgegenzustellen. Man versprach ihr mächtigen Schutz und reichen Antheil am indischen Handel, wenn sie einwilligte, ihre Kräfte mit denen des Kaisers zu einen, und diesen Monarchen als obersten Schiedsrichter ihrer Ver« bindung anzuerkennen. An commercielle Unabhängigkeit gewöhnt, und auf ihre bürgerlichen und religiösen Privilegien eifersüchtig, über-» dies die Rache der nordischen Könige fürchtend, verwarfen die Städte dieses Project und der Kaiser sah sich, als feine Truppen von den Schweden aus Norddeutschland zurückgeworfen wurden,-gezwungen, darauf zu verzichten. Gustav Adolph redete Worte des Friedens zu den Deputirten der Hausastädte, bewilligte ihnen aber Nichts, was einem Privilegium in Schweden ahnlich gesehen hätte. Nach seinem Tode machten sich die Kriegsbedrängnisse von Neuem in den Hansa« städten, wie im übrigen Deutschland, fühlbar. In derselben Zeit sa« hen diese Städte Christian IV. die entschiedensten Maßregeln ergrei« 6. Kap.) Folgen desselben für die Ostsee. gg fen, um die dänischen Staaten gänzlich von ihrer Abhängigkeit zu be< freien, und ihre alten Verbündeten, die preußischen und kurischen Städte, wurden unwiderruflich, die einen dem brandenburgisckcn Herrscher« hause, die andern Schweden und Polen unterworfen. Als nach dem wcstphälischen Frieden die verschiedenen deutschen Staaten sich dem neuen politischen Codex des Kaiserreichs gemäß ord« netcn, suchte die Hansa vergeblich einen Platz einzunehmen, der sie dem großen allgemeinen Systeme hätte anschließen können. Die met, sten Städte, welche bis zu dem Eintritt des Krieges il,re Abgesandten zu den Generalversammlungen gesendet hatten, sahen ihre Blüthe zerstört oder waren in die Gewalt der benachbarten Fürsten gerathen. Der Kaiser, welcher die Hansa nicht mehr zur Ausführung seiner Pläne zu benutzen wußte, überließ sie ihrem Schicksale, und während sie sich der Furcht und Ungewißheit hingab, bemächtigten sich Holland und England il^es Handelsglücks. Lübeck berief zwar Ge« neralversammlungen. aber es wurden keine Beschlüsse znm allgemeinen Wohle getroffen, und um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts sab sich der einst so mächtige Bund auf die Städte Hamburg. Lübeck und Bremen beschränkt, denen sich einige Male Danzig anschloß. Diese Städte gaben sich, jede für sich, den Unternehmungen hin, die ihnen ihre Lage und ihre Mittel vorschrieben, und zogen dabei Nutzen aus ihren Privilegien als nuabbangige nnd freie Städte, die sie sich bewahrt hatten; zu einem gemeinschaftlichen Handeln kam es aber nur in einigen politischen Zeitlagen, welche allgemeine Maß' regeln nöthig machten, oder eine größere Reihe der Verathungen erforderten. Durch ihre Fürsten crmutbigt, durch ihre Erfolge in mehreren industriellen Künsten unterstützt und gespornt, und fortgerissen von der in Europa allgemein herrschenden Bewegung, fühlten die Völker der baltischen Länder die Wichtigkeit der Handelsschifffahrt und wurden eifersüchtig auf die Vortheile, die sie ihnen gewähren konnte. Vorzugsweise trachteten die Dänen und Schweden danach, diese Vortheile zu erringen, wozu sie auch begründete Aussicht hatten, da ihre Flagge in den meisten Meeren zu wehen begann. Dennoch blieb für jetzt die Mitwirkung Fremder eine Nothwendigkeit, theils um eine nütz, I» Holland und England nach dem Tturz der Hansa. ^1. Vuch. liche Concurrenz hervorzurufen, theils um durch disponible Capitalien die spärlichen einheimischen Mittel zu unterstützen. Nach der Schwächung und dem Zusammensturz des Hansabundes spielten die Holländer dieHauptrolle, denn ihre Handelsunternehmungen hatten sich auf beide Indien ausgedehnt und ihre Marine war die thätigste in Europa. Ihre Lage näherte sie dem Norden und der Fischfang, der sie in weite Fernen führte, machte sie heimisch m den nordischen Meeren. Im Stande, den baltischen Ländern mit der größten Leichtigkeit die Gegenstände ihres Bedürfnisses zu liefern, konnten sie gleichzeitig einen bedeutenden Nutzen aus den Kauft mannswaaren ziehen, die der Norden lieferte. Ueberdies hatten die Holländer schon eine Masse verfügbarer Capitalien, die ihnen das Mittel an die Hand gaben, den nordischen Gegenden nützlich zu sein. Sie erwiesen Preußen, Dänemark und Schweden Dienste, die den Fortschritt der Cultur begünstigten und dazu beitrugen, die Producte zum gegenseitigen Vortheil zu vermehren. Seit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts hatten die Hauptstädte einen sehr thätigen und geordneten Handel in dem baltischen Meere betrieben, und schickten jährlich fünf- bis sechshundert Fahrzeuge, die reiche Frachten trugen, nach Kopenhagen, Stockholm, Danzig, Riga und Narwa; vor Allem lieferten sie die zur Erhaltung der Marine nöthigen Artikel, theils aus Holland selbst, theils aus anderen Landern. Die schon in derselben Zeit auf die See- und Handelserfolge aller Nationen eifersüchtigen und neidischen Engländer konnten eben« falls das baltische Meer ihrer Aufmerksamkeit nicht entgehen lassen und fanden in dem Wunsche der nordischen Fürsten, ihrer Völker Selbstthätigkeit durch Concurrenz auf ihren Märkteu zu wecken und spornen, ein willkommnes Mittel, sich diesen Völkern zu nähern. Man nahm sie in Preußen gern auf, und namentlich schenkte ihnen Danzig Vertrauen. Unter der Herrschaft Enchs von Schweden, dem lange mit der Hand Elisabeths geschmeichelt ward, kam eine große Zahl Engläw der nach Stockholm, gründete eine Colonie und erlangte mehrere Vor« rechte. Mit den durch den lievischen und russischen Handel gebotenen Vortheilen bekannt geworden, knüpften sie auch dort Beziehungen und Verbindungen an, und sendeten Agenten dahin, als ein unvorherge. 7. Kap.I Die Entdeckung des weißen Meeres. 91 sehenes Ereigniß einen Theil des baltischen Handels, den ihnen in der Ostsee selbst mehrere rivalisirende Nationen streitig machten, in einen neuen Weg lenkte. Siebentes Kapitel. Eotdeckuna des weißen Meeres. — Rußlands innere Entwickelung. — Christian 'iV. — ly„stav II. Adolpl'. - Der Siindzoll. — Karl X. Gu« ^,. __ Friedrich Wilhelm der Große. Die nordwestliche Durchfahrt hatte begonnen, die Gemüther Eu» ropa's zu beschäftigen und die Engländer zur Entdeckung des weißen Meeres und der aus dem Innern Nußlands kommenden Flüsse geführt. Iwan Wasiljcwiisch II., der. trotz seiner asiatischen Tyrannei und seiner bluttriefenden Grausamkeit, das Wohl seiner Nation wollte, zog Fremde in sein Land und kam den Engländern auf jede Weise entgegen, so-daß sich bald ein Handel über das Weiße Meer bildete. Derselbe erweiterte sich um so mehr, als die Schweden, welche bedeutende Vortheile über die Nuffcn errangen, durch den 1617 abgeschlossenen Frieden von Stolbowa die letzteren gänzlich vom baltischen Meere ausge» wiesen hatten. Das kaum drei Decennien alte Archangel wurde mit Moskau und Nowgorod in Verbindung gesetzt und dadurch zu einer wichtigen Handelsctappe. Vergeblich machten die Hansastädte, Da» nemark und Tchwcden große Anstrengungen, die engen Beziehungen der Nüssen zu England zu störe» ; die Verbindung erhielt sich durch die Zähigkeit der Einen und die Thätigkeit der Andern, die sich ver« mehrte, als die Holländer mit ihnen auch in den eisigen Gewässern des höchsten Norden concurrirten und mannichfache Vortheile an sich zogen. Diese Zeit begründete den Einfluß, den England später so oft auf das Geschick Nußlauds gehabt hat. und den erst die unter den Augen der jüngsten Generation sich entwickelnden Verhältnisse dauernd gestört zu haben scheinen. Dies war auch der Anfangspunkt der russischen Wiedergeburt; denn Iwans Ehrgeiz ließ ihn einen Theil seiner Kraft gegen die Tataren wenden, sich der Königreiche Kasan und Astrachan bemächtigen, und hierdurch, wie durch die Eroberung eines 92 Nußlands innere Entwickelung. si. Buch. aroßcnTheils von Sibirien Seitens des von den Wolgaufern verbann» ten Kosaken Iermak. wurden die Handclsaussichten erweitert. Rückwirkend erzeugte aber der Verkehr mit den Engländern einen Geschmack für die Marine, nud die kleinen mit echt russischem Nach» ahlnungstalcnt erbauten Fahrzeuge, mit denen sich die Moskowiter auf die Flüsse wagten, wurden die Vorläufer der Marine, die einIahr» hundert später an den iugermanischen Küsten geboren wurde, und Rußland einen beträchtlichen Theil baltischen Gebietes sicherte. Alle großen Wechsel in der bürgerlichen und industriellen Existenz der Völker sind lange vorbereitet und durch successive Anstrengungen herbeigeführt. Ohne Iwan des Grausamen Regierung hätte der große Peter nicht den Einfluß gewinnen können, der ihn charaktcrisirtc und ohne die Gründung Archangels wäre auch Petersburg vielleicht nie erbaut, Rußland keine europäische Macht geworden. Dieser Wechsel, der in den commercicllen Beziehungen zu Ruß. land eingetreten war, konnte indessen den allgemeinen Fortschritt des baltischen Handels nicht verzögern, und im siebzehnten Jahrhundert gewann derselbe eine bedeutende Ausdehnung, Mehrere russische Pro» vinzen fuhren fort, ihre Productc auf dem zunächst und natürlicher lie» genden baltischen Wege zu versenden. In Lievland, Esthland, überhaupt in allen dem Meere benachbart liegenden Gegenden wurde die Thätigkeit und Bewegung bedeutend vermehrt, der Verkehr dieser Ge» genden mit einander gleichfalls belebter, und ihre Beziehungen zu den fremden Nationen regelmäßiger geordnet. Das siebzehnteIahrhundert trat in den Gennß dcr Früchte des sechzehnten. Ein vervollkommneter Ackerbau erzielte in Dänemark, Preußen, Polen, Nuß land und Liev« land reiche Ernten; an Flachs und Hanf war Ueberfluß und die Bewohner der Provinzen, die das größte Quantum davon lieferten, befleißigte» sich selbst, ihrem Producte die erste Verarbeitung ange« deihen zu lassen und verfertigten Tauwerk und grobe Zeuge. Die über den größten Theil des baltischen Gebiets ausgebreiteten Waldungen wnrden regelmäßiger ausgebeutet und ihre Erzeugnisse traten nicht mehr lediglich als Rohstoff in den Handel, sondern erhielten eine Ver« arbeitung und mußten Theer, Pech nnd Pottasche liefern. Die Schwe. den hatten auch gelernt, auf Kupfer und Eisen zu graben und es zu ?. Kav<1 Aufschwung der Industrie, der Künste und des Handels. 9I verarbeiten, warfen sich mit einem brennenden Eifer auf die Beschäf. tigung mit diesen Metallen, und verschafften ihnen einen großen, dauernden Ruf auf allen europäischen Märkten. Die Wichtigkeit der meisten Producte des Nordens wuchs in eben dem Maße, als die ftem. den Machte ihre Werften vergrößerten und ihre Marinen entwickelten. Frankreich, Spanien und Italien füllten ihre Marincarsenale damit und die Holländer hatten ungeheure Depots derselben in Amsterdam, Rotterdam und Saardam, um sie selbst zu verbrauchen, oder sie den Ländern, die danach fragten, wieder zu verkaufen. Auf der andern Seite steigerte sich der Bedarf der Einfuhrartikel beträchtlich. Allerdings bildeten die Erzeugnisse der Elementar-Fabrica« tion nur noch einen kleinen Theil, da die einfachen Gewerbe in den balti. schen Ländern auf einen mindestens vollkommen genügenden Stand» punkt gekommen waren, aber dafür hatten diese Völker angefangen, den Luxus kennen zu lernen, und ihn lieb genonnen; wie aller Orten vervielfältigten sich ihre Bedürfnisse in dem Maße. wie ihre Thätigkeit an Ausdehnung gewann. Um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts passirten jährlich zweitausend Schiffe den Sund, um den Handel zu betreiben, und merkwürdigerweise waren mehrere dieser Fahrzeuge von sonst der Nhederci ganz fern stehenden Häusern in Cöln, Magdeburg und selbst Augsburg geheuert und befrachtet worden. Alles, was zur Organisation der Handelspolizei und zur Ilntechaltung der Schiff, fahrt diente, vervollkommnete sich in diescrZcit; die Leuchtfeuer wur» den vermehrt, wie sich auch ein eignes Küstenlootsencorps bildete; die Städte erhielten Handelsgerichte, Börsen und Wechselbanken. Gleichzeitig sah man die nordischen Sitte» und Gebräuche sich denen der anderen Länder nähern; in den großen Städten Kopen. Hagen. Stockholm. Danzig, Königsberg konnte der Reisende des Südens die Töne seiner Muttersprache vernehmen und Gebäude be« merken. die denen seiner Vaterstadt glichen. Die Fortschritte ketteten sich an einander und verbreiteten einen entschiedneren Hang für Unter« richt und Pflege der Wissenschaften und Künste. Es kamen mit den Schiffsladungen deutsche, französische und englische Bücher, und die den Astronomen, Gemnctcrn und Mechanikern nützlichen Instrumente in die nordischen Länder. Die Schifffahrt erleichterte das Reisen und g^ Verdienste Christian IV. si. Vuck». alle Arten Verbindungen ; die Entdeckungen und Erfindungen pflanz, ten sich ohne Mühe von Küste zu Küste fort. Man kann fast die ganze Communication zwischen Nord und Süd der Schifffahrt zuschreiben, da die Korrespondenz in jenen Zeiten noch nicht Allgemeingut, die Preffe leine Macht geworden war. Hauptsächlich wurde diese neue Bewegung im baltischen Leben von Dänemark und Schweden unterhalten und geleitet; den Umstän. den und Begebenheiten folgend, vermehrten und verminderten diese beiden Mächte den Einfluß und die Thätigkeit der handelnden Nationen. In Dänemark wurde die Herrschast Christian IV., die ei» halbes Jahrhundert dauerte, eine Epoche. Es hätte dieser Fürst gewiß den glänzendsten Platz in der Geschichte des Nordens und seiner Zeit ein» genommen, wäre er nicht ein Zeitgenosse Gustav Adolphs gewesen, dessen Tod, dem Stande der Verhältnisse gemäß, seinen Namen an diese Stelle setzte. Christian war nicht immer auf dem Kriegstheater glücklich gewesen, und mehrere seiner politischen Entwürfe scheiterten an den Hindernissen, die man ibnen entgegenstellte; aber er hatte einen großen Einfluß auf die nützlichen Arbeiten, denen seit einem Jahrhundert seine Nation den Weg eröffnet hatte. Das Seewesen und der Handel waren vor Allem Gegenstände seiner Sorgfalt, und er ließ dieselben einen gleichzeitig nützlichen und rühmlichen Aufschwung neh« men. Seine Flotte erregte durch Zahl, wie Größe der Schiffe und gute Haltung der Bemannung Erstaunen und gerechte Bewunderung. Er verstand es, sie selbst zu befehlen, und hatte sich über die kleinsten Details der Manoeuvres unterrichtet. Oft sahen ihn die Schiffszimmerleute auf den Werften erscheinen, um sie zu ermuthigen und ihre Arbeiten zu prüfen. Er schuf viele neue Häfen nnd setzte die wichtigsten in achtunggebietenden Vertheidigungsstand. Die Na« vigationsschule von Kopenhagen dankt ihm ihre Entftehuug und ersten Reglements. Sein Scharfblick umfaßte in commercieller Beziehung ein weites Feld, und er warder Erste, der die baltischen Wasser in geregelte und directe Verbindung mit fernen Gegenden brachte. Im Jahre 1599 verließ er mit einem Geschwader von zwölf großen Schis« fen die Rhede von Kopenhagen, das Nordcap zu umschiffen, und die 7. Kap.1 Christian IV. und der Snndzoll. 95 lappländische Küste bis zum Eingang in das weiße Meer und das russische Reich zu untersuchen. Kurz darauf sendete er Fahrzeuge nach Island und Grönland, um den Handel mit diesen Gegenden neu zu beleben und tüchtige Matrosen zu bildcl^. Auch nach Indien richteten sich seine Blicke, und durch den Erwerb einer Colonie wurde eine indi« fche Handelsgesellschaft begründet, während er gleichzeitig eine Ent. deckungsfahrt nach Norden veranstaltete, um den westlichen Durchgang aufzusuchen. Wichtiger als dieses Erscheinen der dänischen Flagge auf allen Meeren war für die baltischen Gegenden die Errichtung von Städten in Dänemark selbst und in Holstein. Am Schluß seiner Regierung gerieth dieser Fürst mit den Hol, lander» und Schweden über den Sundzoll in Uneinigkeit, und dieS wurde der erste Grund zu einem sür Dänemark ungünstigen Krieg, in dem Christian weder von seinen Verbündete» noch von seinen Genera» len gebührend unterstützt wurde. Der Ursprung des Sundzolls führt in sehr entlegene Ieiten zu. rück. Seit dem Beginn deS Mittelalters hatten die dänische» Fürsten denselben erhoben, um sich dadurch in den Stand zu setzen die Leucht, feuer zu unterhalten und die Schiffe zu schützen. Solange noch die Hansastädte fast die einzigen waren, die den baltischen Handel be. trieben, war die Sache sehr einfach und leicht zu ordnen; aber sie erschwerte sich in dem Maße, als fremde Nationen sich im baltischen Meere zeigten und die Schifffahrt wichtiger wurde. Um die Anerken. nung seines Rechtes mehr zu sichern ließ Friedrich II. die Festung Kronborg bauen und ordnete den Tarif nach gleichmäßigen und festeu Gruudsätzen an. Christian IV., der ost vergeblich von den Ständen seines Reiches verlangte, daß sie ihm die Mittel bewilligen möchten, welche das öffentliche Interesse verlangte, unternahm es, sich eine unabhängige Einnahme durch Erhöhung des Zolls zu verschaffen. Da er eine beträchtliche Marine besaß, und an den meisten europai« scheu Höfen ein großes Ansehen genoß, schmeichelte er sich. bei der Aus' führung dieser Maßregel nicht auf viele Schwierigkeiten zu stoßen und ohne Widerspruch in einer seine Staaten berührenden Durchfahrt eine souveraine Autorität ausüben zu können. Die schon unter der Regie« rung Friedrich II. verzehnfachten Gebühre» wurden zu einer noch hg Christa» IV. und Vorsitz Uhlfeldt. ll. Buch. viel beträchtlicheren Höhe gesteigert, und man erhob jetzt scho» zwei und ein halb Procent von dem Werth der Waare, sodaß, laut einer in Holland gemachten Berechnung, dieses allein jährlich gegen 600,000 Thaler bezahlte. Auch noch ein anderes für die Rhcder höchst lästiges Recht legte sich Christian bei: die ganze Ladung nach seinem Belieben zu dem Preise erstehen zu können, den die Schiffer in ihrn Declaration für die Waare angesetzt hatten. In dem ihnen wichtigsten Interesse verletzt, wendeten sich die Hollander an Schweden und schlugen demselben vor, gemeinsam den Dänen den Krieg zu erklären. Gleichzeitig entwarfen sie den Plan zu einem Canale,der, das innere Schwede» durchschneidend, Gothen» bürg und das baltische Meer verbinden sollte. Die Schweden sahen sich nicht im Stande, die vorgelegten Bedingungen anzunehmen und begnügten sich, ein Bündniß mit Holland abzuschließen, um im Ein» klang mit den auf den baltischen Handel bezüglichen Maßregeln zu handeln, und die Dänemark gegenüber getroffenen Schritte zu unterstütze». Diese Einigkeit zwischen beiden Mächten und die Vorstellung«« einiger deutschen Fürsten bestimmten Christian. Holland eine augenblickliche Genugthuung zu geben, indem er die Gebühren für einige Waaren verminderte. Aber der für kurze Zeit beigelegte Streit erhob sich bald wieder und nun nahm Schweden einen regeren Theil daran. Ein Mann von hoher Geburt, mit großen Talenten, aber mit noch größeren Stolz ausgestattet, Corfitz Uhlfeldt, setzte sich in der Gunst des Königs so fest, daß dieser ihm eine seiner Töchter von Christine Munck zur Frau gab und die Würde als Großmeister seines Hauses verlieh, mit der die Verwaltung der Staatsfinanzen, des Handels und der Zölle verbunden war. Stets des Geldes für den alternden König und seine eigenen Zwecke benöthig, ging Uhlseldt auf den Sundzoll zurück und führte in dem Tarif und den Reglements Neuerungen ein, legte den Holländern Contnbutionen auf und ließ selbst schwedische Schiffe, die kraft alter Stivulationen ausgenommen sein sollten, den Tribut zahlen. Der große Ozenstjerna stand damals an der Spitze des schwedi> schen Rathes. Seit langer Zeit wünschte die tiefe Politik, wie der Ehraeü dieses Ministers, die Macht, welche Christian in den Friedens» 7. Kap.) Muth und Umficht Christians. g? Unterhandlungen mit Deutschland gewonnen hatte, zu schwächen. Eine gegen Uhlfeldt gerichtete allgemeine Unzufriedenheit benutzend, bestimmte er Christian und den Reichsrath, mit Dänemark zu brechen und schickte im tiefsten Geheimniß den Feldzngsplan an Torstensohn, der damals als schwedischer Generalissimus auf deutschem Territorium stand. Im Jahre 1644 verließ Torsteusohn plötzlich Mähren uud Schlesien, eilte durch Brandenburg nach Holstein, nahm diese Pro« vinz und Schleswig ein uud drang bis Jutland vor. Auf die Nach« richt dieser Invasion verbreitete sich der Schrecken in Kopenhagen. Die dänische Regierung hatte durch einen langen Frieden ihren kriege» rischen Muth verloren und die Schiffe waren in mehrere Häfen ver« theilt. Das öffentliche Einkommen genügte kaum zu-den gewöhnlichen Ausgabe» und es war keine fremde Hilfe zu erwarten, die fest und mächtig genug gewesen wäre, gegen die Schweden zu agiren. Chri» stian versammelte den Reichsrath und die Neichsstände, stieß aber bei ihnen nur auf Furcht und Gleichgiltigkeit und keiner der Pläne, die er vorschlug, fand kräftige uud patriotische Unterstützung. Indeffen vermehrte sich die Gefahr und eine zweite Armee bedrohte die oäni< schen Staaten von der Sundseite. Von jeder Verbindung mit seinen Verbündeten abgeschnitten, konnte er weder auf den Rath noch den Beistand der Großen seines Reiches zählen; allein der greise Monarch naym jetzt nur zu sich selbst seine Zuflucht und fand seinen ganzen Muth wieder. Er führte selbst das Commando seiner Flotte und ließ sie so gut berechnete Bewegungen machen, daß die Feinde ihren Lan, dungsplan auf den Inseln nicht ausführen und das holländische Ge. sckwader, welches sich mit ihren Eeekiäften vereinigen sollte, nicht an sich ziehen konnten. Eine denkwürdige Unternehmung bezeichnete vor Allem den Werth Christians und ließ ihn die Lorbern eines glänzenden Sieges pflücken. Nachdem er die Regentschaft seinem Sohne über« gebe». vollzog er feierlichst alle religiöseu Pflichten, ordnete alle seine Privatangelegenheiten, und bestieg die Flotte, um den Schweden ent« gegenzugehen, deren Schiffe sich bei Fehmarn gesammelt hatten. Als das Gefecht begonnen, nahm der König den lebendigsten Antheil daran, gab seine Befehle in eisiger Ruhe. und behielt mitten im Feuer unter Todten und Sterbenden seine Geistesgegenwart. Ein Holzsplitter Di« Ostsee. I. 7 ng Vustav n. Adolph. ll. Buch. warf ihn so zu Boden, daß sein Blut aus Mund und Augen stoß; man glaubte ihn todt und es verbreitete sich allgemeine Bestürzung. Er er. hob sich, ließ seine Wunde verbinden, beruhigte die Matrosen und übernahm den Befehl aufs Neue. Christian war damals achtundsechzig Jahre alt und schon trug sein Körper mehr als zwanzig Wunden. Seine Unerschütterlichkeit und der Eifer der Officiere, die unter seinen Befehlen fochten, imponirten dem Feinde und zwangen ihu zum Rück» zuge, nachdem er mehrere Schiffe verloren. Aber trotz dieses Sieges und anderer Vortheile fonnte Dänemark keinen günstigen Frieden erlangen. Einige seiner Admirale stellten einen Theil der Flotte Christians blos und ließen sie in die Hände der Schweden fallen; die Generale waren nicht im Stande sich mit Tor» stensohn zu messen, und Holland neigte sich aus die Seite Schwedens. Im Jahre 1645 unterzeichnete man einen Frieden, durch welchen Da» nemark für ewig die Inseln Oesel und Gottland, sowie einige norwegi» sche Districte, nnd für dreißig Jahre die Provinz Holland abtrat, die schwedischen Schiffe von jeder Sundzollgebühr befreit wurden, und die holländischen einige Vortheile bewilligt erhielten. Schweden hatte schon seit der sonst so unglücklichen Regierung Erich XIV. sein Küstengebiet erweitert und seinen Einfluß im baltischen Meere vergrößert. Karl lX. setzte die Eroberungen in Esthland und Lievland fort, schuf neue Städte in Finnland und gründete Go« thenburg, um im Kattegat die in der Ostsee begonnenen Unterneh« gen zu decken. Bei seinem Tode ging der Scepter in die Hände Gustav Adolphs, seines Sohnes, über. Die Thaten dieses Fürsten sicherten und erweiterten die Grenzen des Reiches nach Osten und Süden; sein thätiger und umfusseuder Geist gab dem Handel seiner Nation einen neuen Aufschwung. Gustav Adolph beriefauch Fremde, um Hütten, Ham» merwerke und Werkstätten zu gründen, die hydraulischen Arbeiten zu vervollkommnen und die dem Fortschritt der Gcwerke nöthigen Kennt, nisse zu verbreiten. Er hob Gothenburg wieder aus den Ruinen, in die es noch zu Lebzeiten seines Vaters ein Brand gelegt hatte, und ließ außerdem mehrere neue Städte längs des bothnischen Golfs er bauen. In der Absicht, den schwedischen Handel enger mit dem Welthandel zu verbinden, gründete er eine Südhaudels-Comvagnie, welche 7- Kap.1 Verdienste Christine's. 99 nach allen Welttheilen Schiffe sende» sollte. Lange bestand sie nicht, da sie ihr Material zur Vertheidigung der heimischen Küsten leihen mußte, ihr ist aber die Anlage der Colonie Neu-Schweden und der Festung Christine am Delaware zu danken, die, wenngleich schon zur Zeit Karls X. an Holland verloren, doch noch bis jetzt bei allen ihren wandelbaren Geschicken Beziehungen zum Mutterlande aufrechterhält, den Cultus desselben bewahrt und ihren Geistlichen von demselben empfangt. Auch afrikanische Colonien wurden gegründet, aber an die Dänen zu einer Zeit verloren, als diese Macht in Europa dem glan« zenden Auftreten Karls X. beinahe erlag. Christine genoß die Früchte der Thaten ihres Vaters und der Generale, die ihn in seiner Feldhcrrngröße ersetzten. Eine bedeu, tendeKüstenerweiterung auf dem deutsch-baltischenUfer warder schwedische Antheil am westphälischen Frieden, wahrend derselbe große Schätze in das sonst arme Land führte. Unter verschiedenen Titeln fielen der Regierung mehrere Millionen Thaler zu, und die Generale und Officiere hatten sich gleichmäßig bereichert. Diese Hilfsmittel flössen in die Canäle des Handels und unterstützten die Industrie. Christine's und ihres Hofes Luxus und Prachtlicbe mochte wohl einige strenge und kalte Reichsräthe oder zelotische Schristgelehrtc verletzen, aber der Ackerbauer, Handwerker, Manufacturist und Kaufmann zogen daraus großen Nutzen, und gerade ihre Regierung entwickelte neue Thätigkeit des Friedens in dem ganzen schwedischen Gebiete, welches sich damals vom Kattegat bis zu dem lievischen, finnischen und bothnischen Busen ausdehnte. In diesem Zeitraum entstand die große Mehrzahl der herrlichen Anstalten zum Schmelzen und zur Verarbei« tung des Eisens und Kupfers, welche lauge Zeit die Hauptblüthen der schwedischen Production waren und sind. Diese eigenthümliche und höchst interessante Königin widmete auch dem Ha„dcl ihrer Staaten ganz besondere Sorgfalt; sie schuf einen eigenen Rath für diesen staatsökonomischen Zweig, ordnete die Hafenpolizei und schloß Tractate mit mehreren Seemächten. Der zehnte Karl oder Karl Gustav erschien m,r einen Moment am politischen Horizont des Nordens, aber dieser Moment hatte entscheidende Folgen. Seine Siege führten noch zu seinen Lebzeiten im Jahre 7' 1HH Echweden unter Karl XI. si. Nuch. 1653 den Vertrag von Roeskilde, und nach seinem Tode die beiden im Jahre 1660 geschlossenen Frieden von Kopenhagen und Qliva herbei. Schweden wurde dadurch im Besitz Esthlands und Lievlands bestätigt und erhielt die Provinzen Schonen, Blekiugcu und Halland, die den Sund begrenzen und seine baltischen und Kattegatküsten bedeutend er» wetterten. Die Herrschaft Karls XI. glänzte weder durch Eroberungen noch durch ehrgeizige Unternehmungen; aber sie wurde segensreich bezeich, net durch eine vermehrte Aufmerksamkeit auf Industrie und Handel und ihnen nützliche Maßregeln. Karl XI. verbesserte die Landstraßen in der ganzen Ausdehnung seines Ruches und ließ Schifffahrtscanäle graben. Er ernmthigte den Bau von Handelsfahrzeugen und vermehrte seine Marine in der Weise, daß sie am Schluß feiner Regierung über dreißig Linienschiffe zahlte. Als Station schuf er dieser Flotte, statt des bisherigen Stockholmer Hafens, der schwer zugänglich und von ungleicher Tiefe ist, den Hafen von Karlskrona, dessen große natürliche Vorzüge er durch die Kunst noch sicherer, größer und bequemer machte. Herr der Küste, auf welcher mehrere russische Flüsse ausmünden, ergriff auch er das oft erwogene Project, die Waaren Persiens und Indiens mittelst des caspischen See's und der russischen Flüsse in das baltische Meer zu ziehen. Im sechzehnten Jahr« hundert scheiterten die Genueser mit demselben, dem Czaren vorgeschlagenen Plan und im siebzehnten Herzog Friedrich III. von Holstein. Auch Karls Gesandter, Fabricius, fand in Ispahan zwar günstige Aufnahme und kehrte mit Geschenken und einer Anzahl armenischer Kaufleute mit Waaren durch Rußland zurück, aber der Handel gewann nie Ausdehnung und Regelmäßigkeit, der Weg durch Rußland bot zu viel Schwierigkeiten und Gefahren. Jetzt wo ein Herrscher von der baltischen Woge bis an die persischen Gebirge seinen Befehlen Gehör» sam zu schaffen weiß. läßt sich das Gebiet Indiens vielleicht für den Ostseehandel gewinnen, aber Schweden würde dieser Vortheil nicht mehr zu Theil werden. Während die Könige von Dänemark und Schweden so über die Herrschaft ini baltischen Meere kämpften. entwickelte ein Fürst, dessen Mittel nicht sehr ausgedehnt waren, der aber nach jeder Art 7. Kap.) Friedrich Wilhelm der Große. 101 des Ruhmes strebte und dessen Genie die Hilfsquellen seiner Macht bei Weitem überstieg, einen wichtigen Einftuß in diesem Gebiete. Es war Friedrich Wilhelm von Brandenburg, gerechter Weise von der Geschichte schlechtweg der «große Kurfürst" genannt. Brandenburg war durch die Kraft seiner mit allen Herrschertugenden ausgestatteten Fürsten, in deren Reihe Helden mit Organisatoren und Reformatoren wechselten, aus unbedeutendem kleinen Anfange zu einem schwerwie« genden Staat erhoben worden. Ein Theil von Pommern war Frie« drich Wilhelm zugefallen, wie er auch die Souverainetät in Preußen erlangt hatte. Durch seinen Aufenthalt in Holland mit allen zur See bezüglichenAngelegenheitcnvertraut.wollteerseinemLandedieVortlieile einer Handelsmarine zuwenden, und selbst im Seekrieg eine Rolle spie» len. Die in seinem Volke und besonders unter den preußischen Ständen ihm entgegentretenden Hindernisse überwand er. und mit Hilfe eines zu ihm geflüchteten hoNändischcnNathshcrrn, Benjamin Raule's, ließ er im Jahre 1ft76. während er mit Schweden im Kriege lag, in den preußischen Häfen ein Geschwader von drei Fregatten und sechs weniger beträchtlichen Fahrzeugen rüsten, die durch ihre gute Bewaffnung und den ächt brandenburgischcn Muth ihrer Bemannung bedeutend wurden. In den folgenden Jahren erneute er diese Ver« suche, wurde den Schweden in ihrem eigenen Fahrwasser sehr beschwer« lich und nahm ihnen sogar eine Fregatte von zweiundzwanzig Kanonen. Die Belagerungen Stettins und Stralsunds bewirkten branden-burgifche, theils erheucrte. theils auf der Werfte zu Havelberg gebaute Flotillen. wie sie auch die Einnahme von Rügen ermöglichten. Ja, der brandenburgische rothe Aar wagte seinen Flug noch weiter hinaus auf das Meer. und unter seinem Zeichen wurden überraschende Großthaten vollführt. Spanien schuldete Brandenburg noch Sub-sidien aus dem Kriege gegen Frankreich und gab dem Gesandten in Madrid kein Gehör, so daß sich Friedrich Wilhelm die Genugthuung selbst zu verschaffen entschloß. Er ließ im Haftn von Pillau sechs Fregatten von zwanzig bis vierzig Kanonen rüsten und sie in den Ocean ziehen, um überall, wo sie es vermöchten, gegen Spanien zu kämpfen. Dieses aus einem fernen baltischen Meerbusen auslaufende Geschwader kreuzte längs der englischen und französischen Küsten, drang <.^2 Friedrich Wilhelm der Große. lli. Buch. in die amerikanischen Meere vor, nahm in tapferem Kampfe ein spani< sches Sechzig Kanoncnschiff. nnd stand in rühmlicher Schlacht gegen zwölf wohlbewaffnete Kriegsfahrzeuge Spaniens. Im Jahre 1680 von Pillau ausgelaufen, kehrte es 1681 triumphirend dorthin zurück. Unter der Regierung dieses großen Kurfürsten, die nicht einem blendenden Meteore, sondern einem strahlenden, nachhaltigen Segen verbreitenden Gestirne am baltischen Horizonte zu vergleichen ist, er« hielten die preußischen Seestädte eine Organisation, die viel dazu bei« trug, ihren Handel blühend zu machen. Die Häfen von Pillau, Königsberg, Elbing, Memel wurden sorgsam gereinigt, mit Molen und Dämmen umgeben, und ein Küstenlootfencorps eingerichtet. Die inneren Schifffahrtscanäle belebten die allgemeine Thätigkeit und durch Auf» nähme fremder, ihr Vaterland verlassender Kräfte gab der Kurfürst der Industrie seiner Staaten einen erhöhten Aufschwung. Die preußischen Länder waren die ersten, welche im baltischen Handel zu den Rohpro» ductcn und primitiven Fabrikaten mehrere Gegenstände hinzuzufügen vermochten, die eine vervollkommneteManufactur bezeugten. Auch eine Handelsgesellschaft nach Amerika und Afrika begründete Friedrich Wilhelm, die dann zur Colonisation von Wcstafrika und einer Nieder« lassung auf St. Thomas führte, und fast allein dastehend in der Co, lonisationsgcschichte jener Zeiten ist das Factum einer friedlichen Vcreinbarun g mit den wilden Stammen und Anerkennung ihrer Mcnschenrechte auch unter der Farbe des Negers. Aber auch noch lange Jahre nachher, nachdem veränderte Politik diese Colonien von Preußen an Holland hatte übergehen lassen, wahrte der Negerkönig Kuni die alte Treue und verfocht auf grausam blutige Weise gegen die neuen Herren die brandenburgische Flagge. Die Beziehungen der nordischen Völker zu denen der anderen Theile Europa's hatten sich also durch den allgemeinen Fortschritt des Handels nnd durch mehrere besondere Einflüsse entwickelt. Das acht« zehnte Jahrhundert sah dieselben sich noch mehr entfalten und die bal« tische Schiffsahrt verband sich unter gan; neuen Bedingungen mit der der anderen Meere. Die Seekriege gaben den Producten der baltischen Gegenden höheren Werth, und die Stadtbewohner gewöhnten sich mehr und mehr an die Genüsse desLuzuö und suchten mit größerem 6. Kap.) Peter der Große. 103 Eifer die Erzeugnisse des Südens. Der Fortschritt des baltischen Handels wurde um so fühlbarer, als das weite Gebiet Ruß» lands durch die Eroberungen Peters des Ersten auf Kosten Schwc« dens jetzt unmittelbar mit diesem Meere verbunden war. Achtes Kapitel. Peter der Große. — Karl XII. — Katbarina II. die Große. — Die bewaffnete nordische Neutralität. — Alexander I. — Friedrich der Große. — Die Contincntalsverre. — Dänemark von Friedrich IV. bis zur Gegenwart. - Schweden von Friedrich von Hessen bis zur Ge» genwart. — Rückblick. Peter der Große hatte um das Ende des siebzehnten Iahrhun-derts den Czarenthron bestiegen. Die Natur hatte diesen Fürsten mit einer großen geistigen Thätigkeit begabt, ihm einen festen und entschiedenen Charakter und eine so brennende Ungeduld verliehen, daß Hindernisse ihn noch mehr anspornten, statt ihn auszuhalten oder abzuschrecken. Er faßte den Plan. in seinem Reiche eine Um» wälzuug zu bewirken und die Russe» eine wichtigere Rolle unter den Nationen spielen zu lassen. Um dieses Project durchführen zu können, bedürfte er vielfacher Verbindungen, und solche sich zu ver« schaffen, wurde der Hauptzweck der Arbeiten und Unternehmungen des Ezaren. Er richtete zunächst sein Augenmerk auf das weiße Meer und unternahm mehrere Reisen in die Gegenden, die es um» spült, sah aber bald ein, daß dieselben zu entfernt seien, und daß in ihnen die Einflüsse eines strengen Himmels den Anstrenguugen der Industrie zu viel Hindernisse entgegenstellten. Dann wendete er seine Blicke dem schwarzen Meere zu. das unter einem milderen Him. mel liegt, dessen Bcschiffung damals aber noch von der Eifersucht einer Macht behütet wurde, die sich vorgenommen hatte, dasselbe zu ihrem Allembesch zu machen. Ein Krieg entbrannte zwischen Nußland und der Pforte, in weläem derCzar nach mehreren Schlach. ten und einer hartnäckigen Belagerung Asow gewann. Hierauf beschäftigte er sich mit der Schöpfung einer Marine, bemerkte jedoch 104 Rastlose Thätigkeit Peter« de« Großen. ft. Nuch. bald, daß er selbst nock, nickt das nöthige Wissen besaß, dessen es zur Erfüllung seiner Zwecke bedürfte, verließ daher für einige Zeit sein Reich und reiste nach Deutschland, Holland und England. Holland stand damals auf dem höchsten Gipfel seines Glanzes; Peter wurde beim Anblick seiner Städte von Bewunderung ergriffen; die Häfen und Wersten, die Canäle und die industrielle Bewegung, die in Allem herrschte, entzückte ihn. Tief fühlend, was seinem Volke noch fehlte, was ihm selbst noch abging, suchte er eifrig Belehrung, verlor sein Hauptziel nie aus den Augen, und befleißigte sich vor Allem, die Details des Seewesens kennen zu lernen. Man sah ihn unter den Matrosen in den Werften arbeiten und seinen Rang ver« heble», um sich besser darauf vorzubereiten, ihn mit größerem Ruhm wieder aufnebmen zu können. Dann kebrte er nach Moskau zurück, mit Kenntnissen und Kunstfertigkeiten bereichert, ohne darum seinen ursprünglichen Cliarakter und seine Sitten geändert zu haben, aber doch mit einem erweiterten Kreise seiner Ideen, der ihm eine größere Gewalt über seine Nation verlieh und ihn befähigter machte, dieje. nigen zu leiten, deren er sich zur Ausführung seiner Absichten bediente. Wäbrend seiner Reise hatte der Czar auch einen großen Theil der baltischen Gegenden gesehen. Er hatte sich in Riga. Königsberg und anderen an dieser östlicken Küste liegenden Handelestädten auf. gehalten. Das Sckauspiel der Thätigkeit und des Wohlstandes die» ser Städte mußte seine Aufmerksamkeit umso mehr fesseln, als sie seinen Staaten benachbart waren; er lernte daraus die ganze Wich» tisskeit eines Meeres begreifen, dessen Beschiffung so in die Augen sprinqende Erfolge geleistet batte. Nicht weit von den Grenzen sei» ncs Reiches und im Begriffe dasselbe wieder zu betreten, traf er König August von Polen. Dieser Fürst hatte sich bei seiner Thron« besteigung verpflichtet, die ehemals von Polen besessenen Provinzen und besonders Lievland wiederzuerobern. Er sprach über diese Plane mit dem Clären, und schlug ihm eine Verbindung gegen Schweden vor, durch welche nach feiner Versicherung der König von Dänemark leicht zum Beitritt bewogen werden würde. Eine den An« sichten Peters entsprechende Perspective stellte sich der lebendigen 8. Kap.j Karl XN. von Schweden. 1t)5 Phantasie dieses Fürsten vor, und kaum in seine Staaten zurückge, lehrt, unternahm er beträchtliche Ruftungen. Die baltischen Küsten wurden der Punkt, auf welchen er alle seine Anstrengungen richtete. Karl XII. hatte im Jahre 1698 den schwedischen Thron bestie» gen und von seinem Vater eine gut disciplinirte Armee, eine be» trächtliche Flotte und einen so wohlgefüllten Schatz überkommen, daß er als der reichste galt, den je ein nordischer Monarch zuvor besessen. Aber er war jung. unerfahren, den Vergnügungen ergeben, und hatte noch keine Probe von den Eigenschaften abgelegt, die ihn später so berühmt machten. Ueberdies herrschte Unzufriedenheit im Adelsstande, den die strengen Maßregeln Karl XI. seines alten Ein» flusses beraubt hatten, und besonders ließen die großen Familien Lievlands Klagen und Drohungen laut werden. Die projectirte Ver« bindung kam zu Stande und König Friedlich IV. von Dänemark fing damit an. sie in Wirksamkeit treten zu lassen, indem er Feind« seligkeiten gegen die Staaten des Herzogs von Holstein »Gottorp, des Schwagers Karls XII., dem dieser Monarch den Genuß seiner Rechte garantirt hatte, eröffnete. Karl setzte den Norden und ganz Europa durch seine Kraft, seine Festigkeit und seinen Muth in Er« staunen. Er sammelte seine Truppen, ließ seine Schisse in Tee ste« chen und unternahm eine Landung in Seeland. Ein Feldzug von wenigen Monaten brachte Dänemark dabin. um Frieden zu bitten. Peter und August hatten inzwischen Esthland und Lievland angegriffen. Der junge König von Schweden eilte schleunigst in diese Provinzen und suchte sich erst die Russen auf. Er fand sie in der Zahl von 70 bis 80000 vor Narwa, und am 30. November 1701 schluq er sie mit 8 bis 10000 Schweden. Dann wendete er sich gegen die Polen, verfolgte August und entschloß sich. ihn zu ent- thronen. Wenn der Czar Peter einen weniger festen Willen, eine wem» ger entschiedene Zuversicht und Ausdauer gehabt hätte, würde der Tag von Narwa gewiß für immer seine Hoffnungen zerstört haben. Aber auch durch dieses Unglück ließ er fiä, nicht von seinem ihm stets vor Augen schwebenden Hauptziele, Nußland mit Europa zu verknüpfen, abbringen, und zwang das Glück, seine Absichten zu 10ß Einfluß der Deutschen auf Nußland. II. Buch. unterstützen. Er benutzte seine eigenen Fehler dazu, seine Taktik zu vervollkommnen, und zog schließlich Vortheile aus den Fehlern seines Gegners, der sich von dem Wege entfernte, den ihm die Klugheit vor« schrieb. Während Karl sich Polen unter feine Gesetze beugen ließ, und seine Armeen nach Sachsen führte, bemächtigte sich Peter In« germanlands, erbaute dort Festungen und legte daselbst den Grund zu seiner späteren Hauptstadt, der gewaltigen Klammer, die Rußland mit dem Meere, Europa und den Interessen der Zeit verbinden sollte. Ein Zusammentreffen günstiger Umstände ließ das kecke Unternehmen mitten im ncueroberten Lande gedeihen, und ihn im Jahre 1709 Tie« ger über die Schweden bei Pultawa werden. Da der schwedische Heros hierauf eine thatenlose Zeit in düsterer Zufluchtsstätte im osmani-schen Reiche verbrachte, faßte der Czar noch weiter gehende Pläne. Ingermanland war nicht mehr das einzige Ziel seiner Wünsche; das kräftige deutsche Leben. das unter der Ordenshcrrschast zum Schuhe gegen das Slavcnthum in Esthland und Lievland erblüht war, ver» stand er zu schätzen, und seinetwegen wagte er die Eroberung dieser Provinzen, die ihm 1721 abgetreten wurden. In wahrhafter Größe und politischem Scharfblick zerstörte cr das seiner Nationalität fremde Element nicht, sondern pflanzte gerade in ihm den Keim russi« scher Zukunft. Schon bei der Gründung Petersburgs hatte er die Nichtigkeit seiner moskowitischen Gewalt Europa gegenüber erkannt, und gefühlt, daß nur durch deutsche Geistesbestrebungen dieselbe in ein auch nach Westen achtbares Rußland gewandelt werden könnte. Darum hatte er die Masse astrachanischer Bauern und Bewohner aller Provinzen seines bis zur Grenze Chinas sich ausdehnenden Reiches, die er zur Gründung und Bevölkerung Petersburgs in die ingermanischen Sümpfe gepfercht hatte, durch Deutsche belebt, die, vielfach und hoch begünstigt, bald Führer der barbarischen Horden und Träger der russischen Macht wurden. Sie bildeten und bilden noch heut den Mittelstand, die Basis der Städte und Reichskrast, die Stufe zwi» schen Herren und Unfreien, und schufen erst die Gesammtheit, die eines europäischen Lebens fähig wurde, das neue Nußland. Durch sie wurde das politische System des Nordens von dem großen Peter vollkom« men verändert, und das Centrum der großen ncnen Interessen in die 8. Kap.) Aufbllihen Petersburgs. 107 kaum gegründete Stadt Petersburg verlegt. Gleichzeitig damit fand auch eine neue Bewegung im Handel des Nordens, der nun eine viel weiterreichende Sphäre umfaßte, und eine sociale Umwälzung im In, nern des Czarenreiches statt. Es sonderten sich darin die drei Elemente des moskowitischen, das in asiatischer Weise diente und kroch, des herrschenden und glänzenden russischen, und des still und prodnc. tiv zwischen beiden Extremen waltenden, die materiell und geistig rege Seite vertretenden deutschen Staatsgrundftoffes. Deutsche Natur verbreitete ihre Einflüsse immer weiter, und von Deutschland entzündete sich eine Civilisation unter Völkerschaften, welche sie bis dahin nur auf langen und entfernt liegenden Wegen hätte erreichen können. Wiewohl Rußland nun durch eine so gewaltige Umwälzung seiner äußeren und inneren Verhältnisse in Berühn,ng mitdem baltischen Meere gekommen war, so wurde dennoch die Woge desselben nicht so« gleich die ergebene Dienerin, die, sich des Czaren Willen beugend, den Handel in ein neues Bett führte. Die Gewohnheit beherrscht die Menschen auch hierin, wie in allem Anderen. Trotz der Vortheile, welche unleugbar die Lage Petersburgs bot, trotz der Einladungen und Ermuthigungen des Czaren, sichren die Kaufleute fort, ihre Expeditionen nach Archangel und in das weiße Meer zu richten. Peter aber wurde ungeduldig, das Resultat seiner Arbeiten zu sehen, und fügte den Versprechungen andererseits strenge Drohungen hinzu, die endlich die von ihm gegründete Stadt triumvhiren ließen. Archangel sah sich nun wieder auf eine beschränkte Thätigkeit zurückkommen und Petersburg blühte rasch auf. Das erste fremde Fahrzeug, welches in dem neuen Hafen anlangte, war ein reichbeladener Holländer. Der Czar wurde dadurch so hoch erfreut, daß er dem Capitain und seinen Nachkommen für die ganze Zeit der Dauer dieses Fahrzeuges völlige Zollfreihcit gewährte. Es wurde das alte Schiff so geschont und so sorgsam ausgebessert, daß es noch das Ende des Jahrhunderts er. lebte. Bis zum Jahre 1718 waren schon hundert Holländer in den neuen baltischen Hafen eingelaufen, uud die übrigen Nationen ge» wohnten sich dann auch an die neue Straße. Der Erwerb Lievlands und der Bau von Canälcn zur Vollendung des inneren Schiffahrts» systems eröffneten dem Handel Straßen durch ganz Nußland. jytz Katharina N. die Große. ^.Vuch. Seit der Herrschast Peters bemerkte man schon im Allgemeinen die Wirkungen dieser Verbindungen. Ueberall verbreitete sich der Ruf, daß ein ungeheurer weiter Schauplatz der Industrie und den Künsten im Norden eröffnet war. Es eilten Fremde jeder National!« tät dorthin und ließen sich. gut aufgenommen, in den Städten nieder, und namentlich deutsches Element verbreitete sich auch tief im inneren Lande, um die wichtigste der Künste, den Ackerbau, zu vervollkomm-nen. Holländer und Engländer übernahmen die Ingenieurposten, wurden Land- und Wasserbaumeifter. Instructeure und Osficiere der Flotte, die sie organisirten, wie Preußen die Armee verbesserten. Die Plane Peters wurden auch unter den folgenden Regierungen nicht aus den Augen verloren. Die Sckwankuugen. welche unter der Herrschaft Katharina's I.. Peters II.. Anna's und Elisabeths, sowie Peters lll., die politische Entwickelung des Reiches störten, hemmten auch die Fortschritte des russisch-baltischen Handels. Wichtig war der unumschränkte Einfluß, den Nußland im Jahre 1737 durch das Erlöschen des Kettlerschen Hauses in Kurland an dieser baltischen Küste gewann, wie auch die durch den Frieden von Abo von Friedrich I. von Schweden erlangten Abtretungen einiger Festungen und Grenzstriche in Finnland, die Peters des Großen dort gemachte Eroberun« gen vervollständigten. Die Herrschaft des an Staatsweisheit unerreichten Weibes, der großen zweiten Katharina, hat dem Fortschritte Rußlands, in Bezug auf Licht und Civilisation, den höchsten Glanz verliehen, und nächst Peter dem Großen das Meiste zu seiner europäischen Machtstellung beigetragen. Der Erfolg ihrer Waffen und Unterhandlungen im Sü, den. Osten und Westen gegen alle ihre Nachbarn verbreitete einen Ruhm um ihren Thron, der den Russen als Sporn diente und die Bewun« derung der Fremden erregte. Es mehrten sich nicht allein die Handels« gegenftände in sichtlicher Weise, sondern auch die Einwanderung erreichte ein solches Maaß. daß sie eine neue Bevölkerung von gegen 200000 Seelen in Rußland einführte. Freilich brachten sie auch bis dahin un. gekannte Laster und Auswüchse der Cultur mit in die neue Hcimath und schadeten derselben, doch war der von ihnen gestiftete Nutzen bei weitem überwiegend. PeterS Werk schien sich unter der Regierung 8. Küp.1 Die bewaffnete nordische Neutralität. 10g Katharina's II. über seine Wünsche hinaus erfüllt zu haben. Die Häfen hatten sich vermehrt und in ihnen herrschte rege Bewegung; Natur» und Kunstproducte zum Nutzen und zur Annehmlichkeit füllten die Magazine; die von ihm gegründete Flotte hatte ruhmvolle Erpeditionen bestanden, und aus dem baltischen Meere waren Schiffe ausge» laufen, um anderen Nationen auf dem Wege geographischer Entdeckungen keinen Vorrang zu laffen. In der Hauptstadt, in der Sumpfwüste des innersten baltischen Winkels hatten sich stolze Paläste und prächtige Tempel erhoben; die Bevölkerung war mit unglaublicher Schnelligkeit gewachsen, und besaß Akademien, Museen, öffentliche Bibliotheken, Theater und Institutionen jeder Art. Im ganzen Reiche war das asiatische Element zurückgedrängt, und selbst in dem alter Sitte treuen Moskau vernahm man alle europäischen Zungen. Aber derKern des Volkes war und ist noch heut in Kleidung und Sitte mehr asiatisch; viele europäische Institutionen hatten nur künstlichen Bestand und die geistige Bildung war oft mehr Schein als solide Wahrheit. In der Hauptstadt selbst wechselten noch ärmliche Hütten mit den prächtigsten Bauten; der Fortschritt war nicht Allgemeingut, nicht dem Bedürfniß entwachsen; von den Elementen der socialen Ordnung war die Nation, mit Ueberspringung der Zwischenstufen, auf die Höhe der vervollkommneten Civilisation gestellt, und den vielfachen Verbindungen, die das baltische Meer vermittelte, war diese außergewöhn< liche Form allein zu verdanken gewesen. Von hier aus wurde auch unter Rußlands Anführung im Jahre 1780 die schon vorhandene Uebermacht der englischen Seemacht gebrochen, indem die nordischen Staaten, zur Sicherung freien Verkehrs mit allen in Frieden mit ihnen stehenden Ländern, ein System bewaffneter See-Neutralität gründeten. Mit Gewalt sollte der Willkür des Stärkeren, welche England durch seine bedeutenden Kriegsflotten und die Menge seiner Kaper übte, Einhalt gethan und der Handel der Neutralen geschützt werden. Obschon ein Theil der Handelswaaren in der Nähe des weißen Meeres gewonnen ward, richtete sich doch die Straße, auf der dieselben in den Handel kamen, wie auch die der am schwarze» Meere erzeugten, das durch die Siege über die Türken den Russen geöffnet war. jetzt gegen die Ostsee, welche zum Hauptschauplatz russischer Thätigkeit wurde. In 110 Rußland« Handel unter Katharina der Großen. It. Buch. den Häfen Ingermanlands. Finnlands. Esthlands. Lievlands häuften sich durch Vermittlung der Ströme die Producte aller, auch der fernsten Provinzen, zur Ausfuhr, und auf demselben Wege kamen die Importartikel in das Land. Um die Mitte des achtzehnten Iahrhun« derts betrug der russische Export auf baltischem Wege zwölf bis drei, zehn Millionen Rubel, und die Einfuhr acht bis zehn; am Ende des. selben Jahrhunderts erreichte jener ungefähr vierzig Millionen, wah. rend diese sich auf dreißig erhob. Schon unter der Herrschaft Katharina's II. erschienen Ukasen zu dem Zwecke, durch Zölle die Einfuhrgegenstände zu verringern. Die Kaiserin glaubte^dadurch ihrem Lande eine Wohlthat zu erweisen und die russische Industrie zu erhöhen. Als das Gleichgewicht der Aus« und Einfuhr in den letzten Jahren ihrer Negierung durch die der Schifffahrt bereiteten Hindernisse und die Ueberschwcmmung mit Papiergeld für Rußland sich sehr ungünstig gestaltete, erließ die Kaiserin einen Ukas, durch welchen die Zölle vermehrt, die Einfuhrgebühren auf erlaubte Gegenstände erhöht und die Verbote ausgedehnt, über» Haupt die baltische Einfuhr auf die vier Häfen Petersburg, Riga. Ne« val und Liebau beschränkt wurde. Diese Maßregel wirkte aber dennoch nicht in dem Maße, wie sie gehofft hatte, denn die Handwerke und Manufacturen waren, wenn auch über die Stufe der Kindheit hinweggehoben, doch noch nicht auf dem Standpunkt angelangt, jene der westlichen Länder zu ersetzen. Auch unter den Negierungen Pauls, Alexanders und Nikolaus' hatte Rußland das merkwürdige Phänomen dargeboten, eine Kriegsmarine ohne eine Kauffahrteistotte zu besitzen. Petersburg wies eine unbedeutende Zahl Fahrzeuge auf, die das baltische Meer und den Ocean bchchren, und eine Anzahl Küstenfahrer, welche den Verkehr zwischen der Hauptstadt, Reval, Narwa und Wiborg vermitteln, oder den großen Fahrzeugen, welche Kronstadt nicht vassiren können, als Lichterschiffe dicncn. Die Werften außerhalb Kronstadt, selbst in Niga. sind mangelhaft, und die kleine Zahl russischer Rheder kauft oder baut ihre Fahrzeuge in fremden Häfen. Da aber jedes russische Schiff eine Minderung der Zollgebühren genießt, kauften Hamburger und Lübecker Rheder oft das Bürgerrecht in den Ostfceprovinzen und 8. Kap.) Maßregeln znr Hebung des russischen Seehandels. m ftlhren unter russischer Flagge. Die unter Alexanders Regierung fal. lende Erwerbung von ganz Finnland ist besonders in Bezug auf die Marine für Rußland wichtig geworden, da in den meisten Städten dieses Landes sich gute Werften und Handelsschisse befanden, und na» mentlich die Bevölkerung der Küsten gute Matrosen liefert, die mit den Gefahren des Meeres vertraut, in dem Seewesen bewandert und seit einem Jahrhundert auf dem baltischen und anderen Waffern gekannt sind. Das Nichtausreichende ihrer Handelsmarine zwang die Russen, ihre Zuflucht zu fremder Vermittelung zu nehmen. So ist noch jetzt ihr baltischer Handel in Danziger und namentlich Lübecker Händen, wiewohl auch die übrigen seefahrenden Nationen daran Theil nehmen. Die Engländer genossen lange Zeit einige Vortheile in russischen Häfen und hatten bis zum Jahre 1807 selbst eine Colonie in Petersburg, die mehrere Prärogative besaß. Die Holländer vermitteln fast den ganzen Handel Rußlands mit den südlichen Meeren. Die Gegenden, welche durchfurcht werden müssen, ehe die russischen Häfen erreicht werden, gehören zu den schwierigsten der europäi' schen Meere. Die Einfahrt in den licvischen Golf und der ganze finnische Busen sind mit zahlreichen Klippen. Felsen und Untiefen bedeckt, während daselbst dicke Nebel und heftige Stürme herrschen. Den Leuchtfeuern und Seezeichen widmete die russische Regierung deshalb ein aufmerksames Auge; doch sind sie kein genügendes Mittel, um Unfälle zu verhindern. Schissbrüche an den scharfen Felsen der Küste sind häufig und noch im Jahre 1833 verschlangen die Wogen im finnischen Busen das russische Kriegsschiff Arcis von 64 Kanonen. In der Absicht, diese Uuglücksfälle zu vermindern, schrieben belehrende Edicte den Küsteubewohnern Maßregeln vor, um die Schissbrüchigen zu unterstützen. Es wurde auch für den finnischen Meerbusen eine Compagnie Taucher gebildet, die längs dcr Küsten einige Depots von Instrumenten und Magazinen besaß, um in vorkommendeu Fallen Rettungen zu bewirken. Dcr vierte Theil der geretteten Waare gehört den Actionairen, die aber einen alten Feind an den Küsten- und In« selbewohnern und ihrem verjährten Straudrechte hatten, bis gerade diese 112 2rste russische Seeschlacht. II. Buch. Compagnie das Mittel wurde, die Nohheit und Harte derselben zu mildern und menschlichere Grundsätze zu verbreiten. Die Schöpfung einer Kriegsflotte war auch einer der großen Zwecke des Ehrgeizes Peters des Großen gewesen. Er fühlte, daß seine schwedischen Eroberungen dieser Stütze bedürfen würden, um auf festerer Grundlage zu ruhen. Seiner Kraft, Geduld und Mühe gelang es denn auch, eine Flotte, Werften und Arsenale zu schaffen, und sich nach der Schlacht von Pultawa mit beträchtlicher Schiffszahl im Sunde gegen Schweden aufzustellen. Unter den folgenden Re» gierungen wurde diesem Zweige der Staatskraft ebenfalls gebührende Aufmerksamkeit zugewendet, und unter Katharina II. und Paul zeigten sich russische Geschwader siegreich und drohend in den türkischen Gewässern; die den Schweden im Jahre 1789 gelieferte Schlacht von Hogland, deren Sieg sich beide lämpfende Parteien zuschrieben, gehört zu den glänzendsten Seethaten, die je die baltische Woge sah. In ihr, wie fast zu jeder Zeit, waren allerdings die Führer der russischen Seemacht Ausländer; ja es hat fast den Anschein, als ob es der Nation an dcm Material fehle, aus welchem sich gute Admirale bilden lassen. Wollte man jedoch wegen der Unthätigkeit der baltischen Flotte in dem letzten Kriege gegen die Nüssen den Vorwurf einer Feigheit er» heben, so wäre dies nur ein den völligen Unverstand beweisendes Ge« jchwätz, denn schnöden Ehrgeizes und eitler Ruhmsucht halber einem so vielfach an Kraft und Zcchl überlegenen Feinde zum Angriff entgegenzugehen und das kostbare und wichtige Kriegsmaterial in selb« stischer Absicht und zum Nachtheil des Staates aufs Spiel zu setzen, verdiente gleich strenge Ahndung von dem Urtheil der Geschichte, wie von dem des militairischen Rechts. Für die preußischen Staaten und die benachbarten Gegenden hatten im siebzehnten Jahrhundert die eminente Eigenschaften Frie. drich Wilhelms, wie schon erwähnt, eine blühende Zeit herbeigeführt. Sein Sohn und Nachfolger, der sich die Lebensaufgabe gesetzt, seinem Hause auch die äußeren Zeichen der langstverdienten Königswürde zu schaffen, ließ das Seewesen den eingeschlageneu Weg verfolgen und schaffte durch seinen Hang zu Glanz und Pracht, allerdings auf eine die Kräfte seiner Nation im Allgemeinen momentan verzehrende 8. Kap.) Preußen unter Friedrich Wilhelm N. iig Weise, den Gewerben und Künsten des Luxus einen höheren Auf» / schwung und brachte, indem er beharrlich bemüht war, den Urstamm seines Volkes durch fremde Kräfte zu erfrischen, stets neues Leben und Regen in die Bevölkerung seiner Staaten. Friedrich Wilhelm II., ein eiserner Charakter und nach festen Grundsähen baudelnder Fürst und Staatsmann, wußte die erschöpften Kräfte seines Reiches durch weise Maßregeln und heilsame Strenge wieder zu heben und durch das Schutz» zollsystem und Verbote fremder Waare, namentlich der Baumwollen, attikel, der inlandischen Industrie einen erhöhten Aufschwung zu ge« ben. Unredliche und schlechte Verwaltung der Marine und der alrika» nischen Colonien, deren Kostenaufwand den Nutzen bedeutend über» stieg, machten ihn denselben abhold und ließen ihn beide gegen ein« zelne Vortheile an Holland verkaufen, und seine ganzen Kräfte auf die Füllung des Staatsschatzes. Verbesserung der Einkünfte und Bildung eines Heeres verwenden. Das Steuerwesen brachte er auf einen neuen Fuß und befreite, ohne das Wohl des Landes außer Acht zu laffen, die durch Herbeiziehen vieler achtbaren fremden Kräfte vermehrte Bevölkerung von den drückendsten Auflagen. Aus den Trümmern der zusammenbrechenden schwedischen Macht erwarb er ein beträchtliches Küstenstück und den wichtigsten Theil von Vor» pommern, wodurch Preußen in die Reihe der größeren baltischen Staa» ten eintrat. Im achtzehnten Jahrhundert rief Friedrich der Große eine im» posante unerreichte Epoche des Ruhms für seine Staaten hervor. Er führte die seinem Scepter unterworfenen Völker zum Siege und ver» breitete unter ihnen und durch sie im deutschen Norden Licht und Kenntnisse. Unter ihm begann die schon von seinen Vorgängern ge» pflegte Hauptstadt, durch ihre Paläste, Monumente. Anstalten für Künste und Wissenschaften, öffentliche Erziehung und Gelehrsamkeit, durch die um ihn versammelten berühmtesten und weisesten Geister seiner Zeit die Aufmerksamkeit Europa's auf sich zu ziehen. Friedrich fühlte selbstverständlich auch die Wichtigkeit der Indu» strle und deS Handels. Seine Administration hielt mit Festigkeit und Sorgfalt die von seinem Vater und Vorgänger eingeführte Ord. D» vsts«. I. 8 114 Preußen unter Friedrich dem Großen. ^1. Buch. mmg aufrecht. Den durch die Kriege geleerten Schatz suchte er durch erhöhtes und strengeres Steuersystem, das allerdings bei dem bedrückten Volke Unzufriedenheit erzeugte, wieder zu heben. Der staatswirthschaftlichen Ansicht seiner Zeit huldigend, sollten Waarenverbote und Handelssperren einerseits, Ermunterungen durch Geschenke. Vorschüffe, Abgabenerlaffe und Monopolertheilungen andererseits den inneren Verkehr heben. Von den Ufern des Rheins und der Donau wurden Colonisten herbeigezogen, um durch bessere Me» thoden des Ackerbaues uncultivirte Länder in bebaute zu verwandeln. Die schon seit dem siebzehnten Jahrhundert durch fremde Einwanderer begründeten Manufacturen brachte Friedrich zu höherer Entfal« tung und fügte bisher fehlende Zweige des Kunstfleißes hinzu, wo« durch seine Staaten im Norden den Anblick einer Industrie boten, die nach Ausdehnung, Organisation und Trefflichkeit ihrer Producte der der südlichen Oegenden gleichgestellt werden konnte. Zur Beförderung des Handels wurde in Berlin eine Bank errichtet, zu welcher der Kö» mg einen Fonds von acht Millionen hergab. Die Seestädte erhielten Beihilfen zur Erhaltung ihrer Werften und Häfen, und vier Eanäle wurden zum Nutzen der inneren Schifffahrt ausgeführt. Eine Krieg«, marine zu begründen, verschmähte zwar dieser große Monarch, obschon gerade ihm 1744, nach dem Tode des letzten Fürsten von Ostfriesland, Karl Edzard, in Folge alter Nnwartschaft, dieses Fürfteuthum mit wichtigen Nordseehäfen zugefallen war; aber der Glanz seiner großen Thaten und seine entscheidende Macht in der allgemeinen Politik lie» ßen in allen Meeren die Flagge der preußischen Schiffe, die sich dem Handel widmeten, geachtet und respectirt werden. Dieser sehr bedeutende Verkehr würde gewiß noch viel wichtiger geworden sein, wenn Friedrich den indischen Handel, welchen er gering schätzte, oder dessen Unbequemlichkeiten er scheute, nicht ähnlichen Fesseln, wie die obengenannten, unterworfen hätte. Vermehrte Abgaben, zahlreiche Monopole und hohe Schutzzölle entmuthigten Die, welche sich an die Spitze wichtiger Unternehmuugen hätten stellen können. Die Kaufleute und Rheder fürchteten namentlich das königliche Institut der „Seehandlung," das mit machtigen Privilegien ausge. stattet war, manche Handelszweige ganz ausschließlich besaß, undkeine 8. Kap.^l Aenderungen im goNwesen. ^sK Concurrenz einer Pnvatverbindung austommen ließ. Der wichtige Zweig des Salzhandels wurde durch sie so beengt, daß die Hinter» länder preußischer Häfen diesen nothwendigen Artikel lieber aus kuri» schen und lievischen Häfen holten. Durch die auf allen Straßen erhobenen Zölle entmuthigt, beschäftigten die Polen sich ernstlich mit dem Projecte, ihre Producte dem schwarzen, statt dem baltischen Meere zu» zuführen. Friedrich Wilhelm II. ließ es eine seiner ersten Handlungen sein. nach dem Tode Friedrichs das drückende System zu mildern, die ge» hässigen Beschränkungen des bürgerlichen Verkehrs aufzuheben und die hohen Zölle herabzusetzen. Gründliche Aenderungen erfuhr das Zollweseu aber erst später durch die Umwandlung in der Stellung zu Polen und namentlich zu Danzig; denn die polnischen Hinterländer lieferten den preußischen Häfen den größten Theil der Ezportwaaren, wie sie auch vorzugsweise der baltischen Einfuhr bedurften. Danzig, das unter dem Schutze des deutschen Ordens seine Macht begründete, und unter den wechselndsten Geschicken auf diesen Theil des baltischen Landes sowohl durch die bürgerlichen und Handelsprivilegien, die es sich und seinem Territorium auch unter der polnischen Hoheit, die es seit dem fünfzehnten Jahrhundert anerkennen mußte, bewahrte, als auch durch seine Verbindung mit der Hansa, Einfluß geübt hatte, empfand zwar tief den Sturz dieses mächtigen Bundes, erhielt sich aber seine Thätigkeit und blühte unter den ungünstigsten Umständen stets wieder auf. War aber der Credit desselben auch vollkommen ge< sichert, so hing sein Handel nichtsdestoweniger doch von der Schifffahrt auf dem Flusse ab, durch den die Producte Polens zu seinem Hafen gelangten. In dem Maße, wie die Macht Preußens sich längs der Weichsel entfaltete, sahen sich die Danziger behindert und ihre Handelsthätigkeit auf ein immer engeres Gebiet beschränkt. Endlich der preußischen Monarchie einverleibt, wurde die alte Hansastadt in Bezug auf den Handel den andern Seestädten derselben völlig gleichgestellt. Nachdem die nothgedrungene Annahme des Danaergeschenks Napoleons, der hannöverschcn Lande, dem preußischen Handel, statt des voraussichtlichen Aufschwunges, durch den von der Räch. > sucht Fox' entzündeten Krieg zwischen England und Preußen, 8* ..ß Aenderungen mußten ihn aber meist auf Verlangen der privilegirten Städte wieder herabsetzen. Die größeren oder geringeren Freiheiten im Sunde gaben der Hansa gerade die überwiegenden Vorzüge vor den übrigen Nationen und schließlich ein solches Uebergewicht, daß sie selbst Dänemark, dem sie die Freiheiten verdankte, gefährlich wurde. Um ihr ein Gegenge« wicht aufzustellen, suchten die ersten Könige des Oldenburger Hauses andere handeltreibende Völker in die Oftsee herbeizuziehen, denen sie zu diesem Behufe ansehnliche Freiheiten gestatteten. So gaben König Johann II. 1491 in einem Vertrage England, und Christian I. und II. den Niederlanden ausgedehnte Vorrechte. Dies erregte die Eifersucht der Hansa und sie suchte dahin zu wirken, jene ganz aus der Ostsee auszuschließen; ihre Bemühungen hatten keinen Erfolg; im Gegen, theile führten sie dahin, daß Dänemark die alten, namentlich auf die Verträge der Jahre 1443 und 1477 basirten Freiheiten für „durch den Moder der Zeit aufgerieben" erklärte, und nur nach reichen Geschenken neu bestätigte, und schließlich im Jahre 1544 durch den Vertrag zu Speier die Niederlande im Sunde gewaltig bevorzugte, um sich dadurch des ungestümen Andrangens der Hansaftädte leichter zu erwehren. Durch diesen Vertrag von Speier war es den Dänen gelungen, dem aus altem Brauche hergeleiteten Verfahren der Zollerhebung für den Ein- und Ausgang in das baltische Meer die völkerrechtliche Basis zu verschaffen. In diplomatischer Weise wurde fortan der Sundzoll Gegenstand von Verträgen, die immer mehr die Unsicherheit, den schwankenden und zweifelhaften Charakter früherer Zeit verloren, jemehr sich der Handel über die Welt ausdehnte, jemehr Völker daran Theil nah« men und je näher die verbesserte und beschleunigte Schifffahrt dieLän« 9. Kap.I Der Vertrag von Speier. 1Z1 der zusammenführte. G anz u n b e sch ad et d e s R ech t s o d e r Un-rechtS seines Grundprin cips ist der Sundzoll seit dem Vertrag von Speier ein feststehendes Facium der Han. delspolitik; die Grundlage des Rechts des Stärkeren wurde vertauscht gegen die Basis staatlicher Ordnung, in der die Gewalt unter höhere Gesetze gestellt ist; das einmal errichtete Gebäude blieb aber unverändert er» halten. Dieser Vertrag ward von Christian III., König von Däne» mark, den Herzögen Johann, Adolph und Friedrich von Schleswig-Holstein und ihren Unterthanen einerseits und Karl V. in seiner Eigenschaft als Regent der Niederlande andrerseits abgeschlossen. Es ist da» rin beiden contrahirenden Parteien der gegenseitige Handel gestattet, unter der Bedingung, daß sie den gewöhnlichen, von Altersherbe« ftehendenZollsatz erlegen. Der Vertrag von Speier wurde, da der Sundzoll nicht speciell genannt war. auf alle dänischen Zölle an» gewendet. Er bestand in dem eigentlichen Zoll auf Salz und Wein und in dem Schiffsgelde, einer Abgabe für jedes einzelne Fahrzeug. Seit 1584 fand eine Erhöhung dieses Zolls statt, über die sich die Niederländer beschwerten, worauf der König von Dänemark jedoch mit einer Berufung auf das Privilegium jedes Souverains: die Zölle in seinen Staaten beliebig zu erhöhen, antwortete. In jener Zeit stellte sich auch schon die Unterscheidung zwischen privilegirten und nichtprivilegirten Nationen fest. Die letzteren: Englander, Schot« ten, Franzosen, die Bewohner der Stadt Emden und die Portugiesen, zahlten einen Rosenobel für das Schiff bei der Hin« und Rückreise. Der Waarenzoll betrug im Allgemeinen ein Procent des Werths und nurfür Wein I'/z Procent; die privilegirten: Niederländer und Hanseaten, zahlten von jeder Ladung Salz sechs Fässer gegen die Entschädigung von einem Gold. gulden, und verzollten rheinische und starke Weine. Ihre Privilegien wichen übrigens im Speciellen sehr von einander ab. Die sechs wen» dischen Städte, Hamburg. Lübeck. Wismar, Rostock, Stralsund und Lüneburg. genossen volle Freiheit für eigene Waare im eigenen Fahr« zeuge, erlegten aber für fremde Waare 1 bis 3 Nosenobel; die öfter» schen Hansaftädte, Greifswald. Stettin, Wolgast, Colberg, Danzig, 9' 132 Der Vertrag von Odens«. li. Auch. Elbing, Königsberg, Riga, Pernau, Reval, erlegten auch für eigne Waare im eignen Schiff einen Rosenobel, für fremdes Gut zwei Rosenobel; die wefterschen, westlich vom Sunde liegenden Hansaftädte, und die Niederländer, zahlten für die Fahrzeuge, je nach Größe und La. dung, einen bis zwei Rosenobel. Wein wurde, Amsterdam ausgenom. men, von allen Städten gleich verzollt. Die erste Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts bezeichnet der Be« ginn des Verfalls der hanseatischen Macht; Dänemark verletzte häufig die Privilegien und verfocht sein Verfahren mit aller Kraft seiner Waffen. Dieser Zustand führte den eisten speciell über den Sund zoll abgeschlossenen Vertrag herbei. Im Jahre 1560 schloffen Friedrich 1/., König von Dänemark, einer- und die ehrbaren Hansaftädte und der« selbigen Kaufmannen anderen Theils den Vertrag von Odense. Er führte entschiedene Vortheile für Dänemark herbei, indem er zwar die Zollfreiheit der Städte bestätigte, jedoch Kupfer als Zollgegenstand ausnahmsweise dem Wein uud Salz hinzufügte, serner eine Schreibe - Tonnengebühr, und die Verpflichtung, bei Strafe eines Rosenobels, Certificate über die Ladung und Seepässe zu sühren, den Fahrzeugen auferlegte. Drei Jahre nach dem Odenser Vertrag 1563 gewährte ein Krieg mit Schweden der Krone Dänemark Anlaß zu einer Steigerung der Sundzollabgaben, die sie auch auf die privilegirten Niederlande und Hanseaten ausdehnte, welche ihre Rechte vergeblich durchzusetzen versuchten. Schweden selbst, das schon seit Iahrhunder« ten eigenthümliche und umfassende Vorzüge vor andern Nationen hinsichtlich der Fahrt im Sund genossen, und als von dem Sundzoll befreit anzusehen war, da sich nach Auflösung der Kalmarischen Union die drei nordischen Reiche Dänemark, Schweden und Norwegen gegen-seitige Freiheit der Zölle zugesichert hatten. hatte bisher seinen Handel ganz in hanseatischen Händen gelassen, mischte sich aber nun entscheidender in die Sundzollangelegenheit. In dem Friede« zu Stettin ließ es sich die alte Uebereinkunft seit der Auslösung der Kalmarischen Union neu bestätigen, und im folgenden Friedensschluß zu Knäröd, 1613, die Sanction in noch detaillirterer Fassung wiederholen. Nichts' deftoweniger stellten sich bald neue Meinungsverschiedenheiten heraus, und statt des Sundzolls wurden einzelne Waarenabgaben erhoben, 9. Kap.) Der Friedensschluß zu Brömsebioe. 1II verschiedene Artikel mit Durchgangszöllen belegt, anderen der Durch» gang ganz verweigert, die Schiffe durchsucht und mit Beschlag belegt. — Auch für die übrigen privilegirtcn und nichtprivilegirten Nationen trat ein gleiches Verfahren ein -. die Zölle wechselten nach Willkür, in den elf Jahren, von 1629 bis 1640, achtmal; neue Lasten wurden trotz dieser Erhöhungen des ursprünglichen Zoll- und Schiffsgeldsatzes unter verschiedeneu Namen und Gründen hinzugefügt, und Christian IV. erklärte sich durch sein Hoheitsrecht über den Sund ermächtigt, den Durchgaug aller Waaren durch die Meerenge zu verbieten oder nur in Folge einer speciellen Genebmigung, die im Voraus und gegen die übertriebenste Steuer einzuholen war, zu erlauben. Dieses Verfahren veranlaßte die im Erftlingsgenuß ihrer errungenen Freiheit und Unabhängigkeit nach Tkaten dürstenden Nieder» lande, die in das gesammte Erbe des 1630 aufgelösten Hanfabundes eingetreten waren, einBündniß mit Schweden abzuschließen, das 1640 zu Stande kam, um ihre Beschwerden bei Dänemark zur Abhilfe zu bringen. Da Unterhandlunge» nicht zum Ziele führten, nahmen sie mit drohenden Demonstrationen zu Künsten Schwedens an dem Kriege dieser Macht und Dänemarks, der 1643 ausgebrochen, Theil, und das Erscheinen ihrer Flotte auf der Rhede von Kopenhagen zwang, neben der Ungunst der Waffen für Dänemark, in dem Friedensschluß zu Brömsebroe am 13. August 1645, diese Macht zur Anerkennung der vollkommenen Befreiung Schwedens vom dänischen Zoll und allen Nebenabgaben im Sund und den Betten, für alle seine Waaren und alle seine damaligen Besitzungen: jedoch gegen die Verpflichtung für die Schiffe, sich bei der Zollkammer über ihre Nationalität auszuweisen. In den Verhandlungen dieses Friedens wurde dem Principe des Anspruches auf die Herrschaft im Sunde zuerst scharf entgegengetreten, und freie und ungehiuderte Schifffahrt für alle Nationen, wie im offenen Meere, verlangt, solange keine Landung an der dänischen Küste bezweckt werde. Dänemark siegte aber mit Hilfe französischer Friedensvermittelung in seiner Erklärung: „Der Sund sei ein dänischer Canal, und der dort zu erlegende Zoll den Zöllen von Pillau, Danzig, auf den deutschen Flüssen, an der Scheldt-, Rhein-und Maasmündung zu vergleichen." Mit dem Brömsebroer Frieden wurde gleich- 134 Der Vertrag vcn sshn'stianovel. — Gtparatvtrträgt. sl. Vuch. zetttg am 13. August 1645 zu Christianopel ein Vertrag mit den Nie-derlanden abgeschlossen, worin Dänemark es durchzusetzen wußte, daß mit der Annahme eines specificirten Tarifs fur die Zollerhebung die erste formelle Anerkennung einer berechtigten Erhe« bung des Sund zolls seitens einer fremden Macht als Basis für eine nachfolgende Gesetzgebung gegeben war. Eine diesem auf vierzig Jahre festgestellten Tarif von Christianopel an< gehängte Clause!, wonach alle in voranstehender Liste nicht specificirte Waaren nach Kaufman nsgeb rauch, und wie es von Alters her allezeit observirt worden, berechnet werden sollten, bewahrte Dänemark außerdem das Recht, alle in dem Tarif nicht ge» nannten Waaren weit über ein Proccnt zu belasten. Die Verabsäumung der coutrahirenden Mächte. Dänemark die Verpflichtung aufzuerlegen, die Leuchtfeuer und andere Sicherheitsanstalten der Schissfahrt im Sunde zu erhalten, wurde diesem zu einer Handhabe der Erzwingung neuer Abgaben. Christian IV. ließ, in Folge der ihm durch den Chri-ftianopel'schen Vertrag verminderten Einkünfte, die Leuchtfeuer löschen und die Seezeichen wegnehmen, bis die von allen Seiten erhobenen Klagen zur Abschließung eines Separatzusatzes zu den Verträgen über den Sundzoll führte, wonach Dänemark die Wiederherstellung und Er» Haltung der Eicherheitsvorkehrungen, gegen eine Abgabe von vier Tha« ler Species für jedes Schiff in Ladling und zwei für jedes Schiff in Ballast, übernahm. Frankreich waren für die freundschaftlichen Vermittelungsdienste, die. es bei dem Abschluß des Vertrags von Christianopel Dänemark leistete, von diesem die gleichen Vortheile der Sundfahrt bewilligt, die Holland genoß, doch mit dem merklichen Unterschiede, daß die Frei' heiten auf keine Zeit beschränkt und auch auf den großen und kleinen Belt anzuwenden wären. Ein im Jahre 1662 abgeschlossener Han. dclsvertrag zwischen beiden Ländern erneuerte diese Uebereinkunft. Großbritannien hatte in dem 1654 mit Dänemark abgeschlossenen Frieden sich die volle und gleiche Theilnahme an den Rechten, wie sie den Holländern bewilligt waren, verschafft und 1670 den Vertrag er» neuern lassen. Auch brauchte der Zoll erst bei der Rückfahrt und, wenn das Schiff nicht wiederkehrte, erst nach drei Monaten gezahlt zu werden. 9. Kap.) Verträgt der Niederlande und Schwedens mit Dänemars. 135 Auf Grundlage des Chriftianopeler Vertrages und nach seinem Principe schlössen auch die übrigen Staaten Einigungen wegen der Snndfahrt und des Sundzolls mit Dänemark. Sie genoffen dadurch die Rechte privilegirter Nationen. d. h. sie sollten: „auf dem Fuß der meist begünstigten Nation," wie eS vor 1720 hieß, behandelt werden, und nach 1720 lautete es, es solle ihnen: „der Zoll festgesetzt werden, wie er den Niederlanden zukommt." Die gänzliche Zollfreiheit Schwe-» dens war hierbei selbstredend von jeder Assimilation ausgenommen. Wenige Jahre nach dem Vertrage von Chriftianopel, 1649, schloffen die Niederlande einen Ablösungbvertrag mit Dänemark, wonach sie mit einem jährlichen Tribut von 350,000 Gulden sich auf lechsunddreißig Jahre Befreiung vom Sundzoll erkauften. Aber schon nach vierjährigem Bestand wurde 1653 dieser Tribut aufgehoben und Alles nach dem alten Fuße hergestellt. Ein nach Ablauf des Christianopelsche« neu abgeschlossener Vertrag vom 15. Juni 1701, vorläufig auf dreißig aufeinanderfolgende Jahre, nach Scheiterung neuer Verhandlungen in den Jahren 1725 bis 1732 stillschweigend bis 1817. dann aber durch feierliche Anerkennung bis auf die jetzige Zeit verlängert, führte die Beschränkung für Dänemark herbei, nicht mehr als ein Procent von dem Werthe der Waaren zu erheben. Die Eroberungen schwedischen Gebietes, die der starre Eigensinn Karls XII. Dänemarks Waffen verschafft hatte, tauschte dieses willig und gern gegen die gänzliche Verzichtleistung Schwedens auf seine alte Freiheit vom Sundzolle, die fünf Sechstel der Einnahmen deffel« ben hinweggenommen, aus. Der Frieden zu Friedrichsburg bestätigte am 3. Juni 1720 diese Verhandlungen und schob Schweden zurück in die Reihe der meist begünstigten Nationen. Die Verträge von Iön-löving 1809 und von Kiel 1814 bestätigten die im Friedrichsburger Frieden enthaltenen Bestimmungen und ließen Schweden nicht wieder zur Sundzollsreiheit gelangen. In dem Kriege gegen Karl XII. ward am 30. Mai 1715 zu Stet« tin ein Vertrag zwischen Preußen und Dänemark über die Theilung der von ihnen besetzten deutschen Provinzen Schwedens abgeschlossen. Darin wurde den an Preußen fallenden vorpommerschen Häfen die .Hollfreiheit im Sunde und in den Bclten, sowohl für jetzt, als künf. 136 Vertrag und Verhandlungen zwischen Preußen ft. Vuch. tia," zugesichert. In einem zweiten, am 18. December 1715 im Feld» lager vor Stralsund geschlossenen Venrage wurde diese Freiheit, nicht aus den alten Hansarechten, sondern aus den von Schweden erworbe» nen, hergeleitet und dahin erklärt, daß „die vorpommerschen Unter« thanen auf eben die Weise gehalten, und selbige mit dem Zoll und anderen Auslagen im Sunde und Belt anders und weiter nicht als Ihrer K. M. in Dänemark selbsteigne Unterthanen belegt werden sol« len." Durch diplomatische Intriguen wurde der preußische Minister von Ilgen, der einlieftiger Gegner des neuen Vertrages, in Verthei' digung der alten Rechte der pommerschen Städte war, entfernt und bei einem Gastmahle von dem zu geringen Werth auf diesen Gegen« stand legenden Könige Friedrich Wilhelm I. die Unterschrift des neuen Vertrags erlangt. Alle späteren Verlangen desselben Königs, gebührendermaßen auf den alten Odenser Vertrag zurückzukehren, führten nur zu Verhandlungen und Federkriegen, denen sich Dänemark, wie es die jeweiligen Umstände erheischten, der Gewalt weichend, aber bei erster Gelegenheit stets auf das alte Ziel zurückkehrend, zu entwinden wußte, ohne auf eine Aenderung einzugehen. Selbst Friedrich des Großen energische Drohungen. Repressalien zu ergreifen, schüchterten Dänemark nur auf kurze Zeit ein, und es erwiderte: „Der Sundzoll sei der schönste Diamant in seiner Krone, sein Augapfel; die Anträge auf Befreiung machten nur Noth und Sorge, sodaß es bei Frankreich und England Hilfe und Garantie für denselben suchen würde." Spätere energische Noten und Reclamationen führten zu keiner Aenderung in dem Stande dieser Angelegenheit seit dem Vertrag vom Jahre 1715. Auf dem Wiener Congreß, der Europa eine verjüngte Gestalt und einen im Geiste der Neuzeit eingerichteten Zustand verleihen sollte, wurde bei Gelegenheit der Flußschifffahrt auch des Sundzolls gedacht. Die persönliche Anwesenheit König Friedrich VI. von Dänemark, die Theilnahme für seine schweren Prüfungen und Leiden, das Erwachen des englischen Gewissens wegen der Zerstörung der dänischen Flotte und des Bombardements von Kopenhagen und andere Rücksichten der höheren und niederen, äußeren und inneren Politik, erhielten statt der Regulirung des Sundzolls den 8lalu8 yua desselben aufrecht, und es 9. Kap.1 und Dänemark wegen des Sundzolls. 137 ließen die weisesten und erfahrensten Rathe der entscheidenden Groß« mächte vertrauensvoll Dänemark den verantwortungsschweren Platz des baltischen Thorwächters, den es seit grauen Zeiten eingenommen. Am 17. Juni 1818 schloß Preußen, das durch die Friedens« schlüsse von 1814 mit Dänemark und Schweden in den Besitz der ganzen pommerschen Küste gelangt war, einen Vertrag auf zwanzig Jahre ab. in dem es in Abgaben und Zöllen für Schisse und Waare im Sund und den Betten den meistbegünstigten Nationen gleichge, stellt wurde, und dem Eundzoll der Waaren der ChriftianopelscheVer« trag von 1645, und die Bestimmung, von den nickt darin verzeichneten Waaren ein Procent des Werthes zu zahlen, zu Grunde gelegt wurde. Die wichtige Lebensader, die Erhaltung des Sundzolls, in sei. ner Politik nie aus den Augen verlierend , wußte Dänemark stets die Zeiten zu benutzen, in denen die Nationen ihre Augen von demselben ab» und wichtigeren Gegenständen zuwenden mußten, um denTarifvon Christianopel zu seinen Gunsten zu deuten und auszulegen. Trotz der großen Veränderungen der mercantilischen Verhältnisse seit zwei Jahr« Hunderten, der Vermehrung des Waarenumsatzes und der Schifffahrt um das Dreißig« bis Vierzigfache, und der ganzlichen Veränderung der Waarenpreise wurden die Zollsätze jenes Tarifs, wo sie nicht will« kürlich erhöbt und nach, Belieben auf eine Menge Artikel ausgedehnt find, ohne jedes leitende und veröffentlichte Princip forterhoben. Im Jahre 1838, nach Ablauf des Vertrags von 1818, begann die preußische Regierung auf Ansuchen ihres Handelsstandes von Neuem ihre Operationen gegen das Fortbestehen der Belastung ihres Handels durch die lästigen Sundzollformen. Sie verband sich mit Schweden und leitete Verhandlungen ein. die Dänemark mit Erfolg hinzog und vereitelte, da es sich einerseits weigerte, sachkundige Mitglieder der Stettiner Kaufmannschaft zu den Verhandlungen zuzulassen, indem dies gegen seine Würde verstieße, und andererseits der König Friedrich VI. eigenhändige. Magenvolle Briefe, auf das weiche Gemüth König Friedrich Wilhelm III. berechnet, in den letzten Tagen des Mai 1839 an diesen richtete, worin er ihn flehentlich bat: „das Ende seines vielgeprüften Lebens nicht durch so peinliche Affairen zu verbittern." Dieser Schritt verfehlte seine Wirkung nicht, denn ihm 138 Antrag zur Ablösung des 3undzolls. II. Buch. und dem entschiedenen Verlangen Dänemarks: „Preußen soNe. vor Beginn der schließlichen Unterhandlungen, Dänemark das Recht zur Sundzollerhebung, durch die Versicherung dasselbe nicht anzugreifen, sondern nur die Art und Höhe der Erhebung zum Gegenstand der Verhandlungen zu machen, zugestehen" — gelang eS, die preußische Regierung zum Fallenlassen des ganzen Planes zu bringen. Nun fanden von Seiten Dänemarks selbst vertrauliche Eröffnun» gen statt und es schlug dasselbe vor: sämmtliche Ostseeftaaten soUten den Sundzoll ablösen. Preußen erklärte sich bereit, dies Anerbieten als Basis neuer Verhandlungen anzuerkennen, und die übrigen Oft» seestaaten, Mecklenburg und Schweden waren geneigt, sich ihm anzuschließen ; jedoch erklärte sich Rußland gegen dieses Project. Schweden erließ darauf eine Denkschrift bezüglich dieses Thema's, auf Anlaß deren 1841 die Kaufmannschaft von Hull eine Motion in das eng' lische Parlament einbrachte, eine solche Revision der Sundzölle zu verlangen, wie die Erleichterung des englischen Handels in den Oftseehäfen gebiete. Das englische Ministerium erklärte sich mit dem Antrage im vollsten Einverständniß und trat in diesem Sinne in die begönne» nen Unterhandlungen zwischen Dänemark und Schweden ein. Dieselben führten zu Ermäßigungen für einzelne englische Waaren und Be-willigung größerer Jahresbeiträge zur Erhaltung der schwedischen Leuchtfeuer und fanden ihre Bestätigung in einer am 13/23. August 1841 zu London und Helsingör zwischen Dänemark einerseits und England und Schweden andererseits abgeschlossenen Convention; dieser trat nach ihrer Natificinmg Rußland formell und ausdrücklich bei. Preußen, das, auf die mit klarer Bestimmtheit ausgedrückten Wünsche seines Handelsstandes, auf gänzliche Beseitigung des Sundzolls ohne Entschädigung durch Capitalifuung oder Aversionalzahlung, und im Nothfalle auf die Erhebung des Zolls in den Ostseehäfen, mit einem halben Procent, für dänische Rechnung, unter Beseitigung des Tarifs, hinarbeitete, mußte schließlich die bis 1845 fortgeführten Uuterhand» lungen abbrechen. Dänemark hatte, mit der auf Rußlands Beistand gestützten Zähigkeit seines Widerstands, demselben den einstweiligen Beitritt zur Convention von 1841 oder eine Ablö su n g des Zolls frei» gestellt, die es selbstverständlich, da es sich um eine Lebensfrage han« 9. Kap.) Gegens. staatliche Verpflichtungen bezüglich des Sundzolls. 1I9 delte, nicht erleichterte. Nach dem Abbruch der Negotiationen sollte der Handelsvertrag von 1818 stillschweigend anerkannt werden, und bei Verletzungen desselben Repressalien gegen Dänemark angewendet werden. Am 26. Mai 1846 erneuerte Preußen den Vertrag mit Dänemark durch seinen Beitritt zu einer inzwischen mit Rußland abge« schlossenen Convention, die mehrfache Tanfermäßigungen cntlnelt. und in diesem Beitritt erkannte es förmlich die Convention von 1841 an. Beide Uebereinkünfte liesen am 1. Juli 1851 ab, und im Falle der Kündigung von einer der beiden Regierungen sollte die Convention von 1841 nur noch zwölf, die preußische von 1846 nur noch sechs Monate in Wirksamkeit bleiben. Es gestalteten sich die gegenseitigen staatlichen Verpflichtungen in Bezug auf den Sundzoll nun folgenderweise: Die Verträge mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika vom 26. April 1826, mit Schweden vom 2. November 1826, mit England vom 13. August 1841, mit Oldenburg vom 31. März 1841, mit Sardinien vom 14. August 1843, mit Sicilien vom 13. Januar 1846, lauteten auf zehn Jahre. Die holländische Declaration vom 10. Juli 1817 erneuerte den Vertrag vom 15. Juni 1701, der nur für zwanzig Jahre galt; Frankreich hat im Vertrage vom 9. Februar 1842 nur provisorisch den Vertrag von 1742 erneuert, dessen Giltigkeit auf fünfzehn Jahre beschränkt war. Rußland ist durch die Verträge von 1782 und 1841 nur auf zwölf Jahre verpflichtet; Belgien durch den vom 31. März 1841 nur aus fünf Jahre. Preußen nach dem Veitrag vom 26. Mai 1846 nur bis zum 1. Juli 1851 und sechs Monate nach erfolgterKün« diguug. Alle diese Verträge sind mithin abgelaufen, oder verlieren ihre Wirkung in Folge einer Kündigung. Nach begonnenen vergeblichen Unterhaudluugen mit Dänemark, eine Befreiung vom Sundzoll herbeizuführeu, beschloß am 3. März 1855 Mitternachts der amerikanische Congreß in geheimer Sitzung auf dem Capitol zu Washington die Kiindigung desSundzoll-Vertrages, und sendete die in voller Cabinctssitzung ausgefertigte Acte des Präsidenten nach Kopenhagen. Dänemark beharrte in seiner Antwort bei seinem System, und zeigte keine Nachgiebigkeit in dem, was es als sein Recht beansprucht, sondern erklärte in derselben am 140 Kammeranträge bezNglich des Sundzolls. ^< Vuch. 17. April 1855, die Existenz und der Titel des Zoll rech. tes selbst seien gänzlich unabhängig von dem gekün« digten Vertrage, den es durch einen neuen, in Verhandlungen festzustellenden zu ersetzen bereit sei. Preußen, dessen Lage ihm die Bürde seines Handels, gegen die sich auch in Schweden im Iabre 1850 mächtige Agitationen erhoben, unerträglich erscheinen ließ, führte mit redlichem Gifer und Ernst, aber ebenso großer Loyalität nach Außen, seine Rolle als beharrlicher und entschiedener Bekämpfer des Sundzolls fort, und bot Alles auf und an, um die Fesseln abzustreifen, die seine geographische Lage und politische Stellung zu brechen geboten. Auf konstitutionellem Wege wurde durch fast gleichzeitige Anträge in beiden Kammern am 20. December 1854 und am 28. Februar 1855 das Ansinnen an die Regie, rung gestellt, die erste Gelegenheit zu ergreifen, Schritte zur Beseiti« gung und Abschaffung des Sundzolls zu thun. In den Commissions« fitzungen stellten sich auch die Königlichen Commissure auf die Seite des stets von Preußen behaupteten Princips: „die Annahme eines dänischen Hoheitsrechtes auf den Eundzoll sei durchaus unbegründet." In den Sitzungen der ersten Kammer am 29. März 1855 und der zweiten Kammer am 18. April 1855, in denen die Commissions« antrage des Inhalts: „keine geeignete Gelegenheit zur Abschaffung des Sundzolls ungenutzt zu lassen," mit großen Majoritäten an« genommen wurden, erklärte der Ministerpräsident von Manteuffel: „in dieser wichtigen Beziehung Nichts versäumen, und bei diesen Bestre» bungen immer im ausgesprochenen Sinne wirken, aber dabei stets mit voller Loyalität verfahren zu wollen." Diese Schritte Amerika's und Preußens erregten in der französischen Presse eine lebhafte Agitation gegen den Sundzoll, die in allen ihren Vorschlägen und den Resultaten derBesprechungen auf Kündigung der Verträge hinging, in denen allein die Grundlage des Eundzolls zu suchen sei. Dänemark hielt es für rathsam, eine Annäherung an den Kaiser Napoleon III. zu suchen, die aber auf kalte Höflichkeiten beschränkt blieb, da ganz imGegengcsatz zu diesem Verfahren das französische Cabinet dem preußischen auf officiellem Wege seinen Beistand in der Sundzollfrage anbot, welchen dieses jedoch ablehnte. 9. Kap.1 Vorschlag zum Snndzollcongreß. 141 Diese sich mehrenden Schritte, welche auf eine Entscheidung der Frage drängten, die so alt, als die Souveränetät Dänemarks, ist, und mehrere Jahrhunderte hindurch viele blutige Kämpfe veranlaßte, bewog endlich Dänemark, an alle Seemächte die Einladung ergehen zu lassen, einen Congreß. zu beschicken, der anfangs in London abgehalten werden sollte, dann aber, wegen feindlicher Aeußerungen des Lord Cla« rendon, nach Kopenhagen verlegt wurde. In dieser Einladung gab Dänemark die schon seit der Negierung König Christians VIII. herrschende Absicht, im Interesse der Fortschritte des Handels in kürzeren oder längeren Zwischenräumen Modifications des Tarifs eintreten zu lassen, als nur durch die Gestaltung der Politik der jüngsten Vergangenheit verhindert, zu erkennen. Den Plan zu einer Revision der Verträge, in Betracht der Stimmung gegen das Zollrecht, bei Seite legend, machte die däni. sche Regierung den Vorschlag, als Gruudlage d er Unterhand. lungen eine endgiltige Ordnung der Sundzollfrage hinzustellen, dem Congresse daher die Aufgabe zu geben, einen Ausweg zu finden, der den Zoll ganz aufhören lasse, ohne dem Rechte der dänischen Krone Abbruch zu thun; welches doppelte Resultat nur durch eine Capitalisation des Zolles zu erreichen sei. Jede separate Absindung in dieser Beziehung zwischen Dänemark und irgend einer anderen Macht, wurde zu gleicher Zeit von vorn herein abge. wiesen, die Ordnung der Angelegenheit von der Einigung und dem Zusammenwirken sämmtlicher Mächte abhängig gemacht, und ferner in den Vordergrund gestellt, daß die vorliegende Angelegenheit nicht als Geld oder Handels«, sondern als politische Frage betrachtet werden müsse. In der weiteren Ausführung des Planes einer Capi. talisation erklärte sich Dänemark bereit, seine Quote zu derselben bei-zutragen, obschon im Laufe der Zeit die dänische Flagge vielfache Be« günstigungcn erlangt hatte, dänische Producte zur Aus- und Einfuhr völlige Zollfreiheit im Sund und den Veiten genossen, und seit dem 1. April 1854 für alle direct vom Erzeugungsort in Dänemark eingeführte außereuropäische Producte der volle Suudzoll gekürzt war. Die Einladung selbst enthielt zugleich in dem Folgenden: „einen Umriß der Capitalisationsbasis. welche die dänische Regieruug als der Beschaffenheit der Einnahme», von deren Capitalisation die Rede 142 Vastt zur Eap . . 25,650 1,91 95,650 8,09 Italien ) Vereinigte Staaten von Nordamerika 29,650 2,79 64 650 5 47 von Südamerika 1,860 0,20 74,650 6^31 Andere Länder und Staaten 32,000 3,47 17,650 1,50 Summa 930,500 100,00 1,182,700 100,00 2) Von den Ostseeländern. 2) beim Erport nach außerostseeischcn Ländern durch den Sund und j beim Import von außerostseeischcn Ländern durch dcn Sund die Belte. und die Belte. Länder. Betrag. Procent- Betrag. P.ocent» Thlr. autheil. Thlr. antheil. Dänemark 3,600 0,39 118,300 9,96 Schweden 77,600 8,48 50,000 6,73 Rußland 536,300 58,58 700,000 58,91 Preußen 276,300 30,18 240,000 20,20 Mecklenburg 20,200 2,21 10,000 0,34 Lübeck 1,500 0,16 10,000 0,34 Ostsee im Allgemeinen— — 30,000 2,52 Summa 915,500 100,00 1,188,300 100,00 144 Der Capitaltsationöanschlag. ft» Buch. L. Schtfffahrtszölle. welche im Durchschnitt der Jahre 1851, 1852 und 1853 im Sund und in den Betten von jeder Nation bezahlt sind: Beim Ausgang aus der Ostsee Beim Eingang in die Ostsee Nationen Betrag Proc.- Betrag Ploc.- Summa 1) Pnvilegnte Thlr. Autbeil Thl,'. Antheil ' THIr. Vereinigte Staaten 850 0,595 876 0,620 1,776 Belgien 72 0,050 80 0,057 «25 Bremen 260 0,182 259 0,183 510 Dänemark 11,132 7,790 12,385 8,753 23,490 Großbritannien 34,762 24,326 35,731 25,309 70,493 Frankreich 2,530 1,770 2,528 1,791 5,058 Griechenland 6 0,004 6 0,004 12 Hamburg 645 0,451 451 0,319 1,096 Hannover 5338 3,735 4,925 3,488 10,263 Niederlande 14,338 10,033 14,462 10,214 28,800 Italien (Neapel) 366 0,256 396 0,281 762 Lübeck 1,102 0,711 1,020 0,723 2,122 Mecklenburg 8,200 5,738 7,284 5,159 15,484 Norwegen 19,326 13,523 17,959 12,718 37,282 Oldenburg 1,439 1,007 1,571 1,113 3 010 Portugal 46 0,032 55 0,039 101 Preußen 21,933 15,348 21,456 15,198 43,389 Nußland 8,467 5,925 7,583 5,371 1,650 Spanien 94 0,017 23 0,916 47 Schweden 11,054 8,435 12,173 8,597 24,191 Oesterreich 6 0,004 6 0,004 12 2) Nichtplivilegirte Buenos Ayres — __ 6 0M4 ß Peru 6 0,004 5 0,004 li Toscana 6 0,004 7 0,005 13 Summa 142,908 100,000 141,181100,000 284,089 Hiernach berechnet sich nach dem jährlichen Ertrage der Waarcnzölle — 2,113,200 Thlr. Reichsmünzc und dem Ertrag der Schiffszölle — 284,089 -bei einer Capitalifirung zum fünfundzwanzigfachen Betrage die zu ent« richtende Abfindungssumme für erstere auf 66,037,500 Thlr. Neichsmünze, für letztere auf 7,102,225 - im Ganzen auf 73,139,725 - < oder 54,354,793 . Pr. Cour. 9. Hap.I Der Sundzoll« Congreß. 14K Hiervon würden zu bezahlen haben; 1) England......12,780,332 Thlr. Preuß. Eour. 2) Rußland......11,891,25« „ 3) Preußen...... 5,661,271 „ 4) Schweden...... 3,940,000 ., 5) Die Niederlande. . . 1,887,000 „ 6) Frankreich...... 1,513,020 ., 7) Norwegen...... 1,172,475 ., „ „ 8) Die Vereinigten Staaten 878,940 „ 9) Mecklenburg..... 856,575 „ 10) Hamburg und Bremen 766,650 „ „ „ 11) Belgien....... 720,466 „ 12) Lübeck....... 255,415 „ Auf Dänemark selbst fallen 2.726,062 Thaler und die übrigen 10 Millionen Tbaler auf die anderen seefahrenden Nationen. Von den Vereinigten Staaten von Nordamerika wurde dieEin° ladung zur Beschickung eines Congresses abgelehnt, da das dänische Recht, das die Grundlage der Verhandlungen desselben bilden sollte, in seiner Existenz von ihnen in Abrede gestellt wurde, und sie nicht die Hand bieten wollten, die Frage in eine solche zu verwandeln, die das politische Gleichgewicht der alten Welt in Ordnung bringen sollte. Das preußische Cabinet beschickte den Congreß, jedoch unter Verwahrung gegen jede Anerkennung des Tundzolls, als eines inter« nationalen Rechts. und mit einem Seitenangriff auf den holsteinischen Tranfitzoll und den Schleswig.Holfteinschen Canalzoll. Am 4. Januar 1856 find die Sundzollconferenzen in Kopenhagen durch den Minister der auswärtigen Angelegenheiten Gebeim-rath von Scheele eröffnet worden, welcher erklärte, daß derSundzoll-director. Geheimrath Bluhme, bevollmächtigt sei, die dänische Regierung zu repräsentiren und sich darauf entfernte. Anwesend wa« ren die Repräsentanten von zwölf Mächten, unter diesen der außerordentliche Bevollmächtigte für Rußland. Tegoborski. Geheimrath Bluhme legte den Plan zur Capitalisirung des Sundzolls vor. bafirt auf den combinirten Maßstab von Ein. und Ausfuhr und die mit dem Sundzoll verknüpften Schiffsabgaben. Seine Eröffnungsrede ward an der Stelle, wo er Dänemarks Entgegenkommen schilderte, von dem russischen Bevollmächtigten unterbrochen, welcher äußerte. Di< Osticc. I. 10 146 Der Vnndzoll«Eongieß. l^ Nuch. daß es gerade Rußland sei, welches Dänemark entgegengekommen wäre, indem diese Macht den Sundzoll durchaus nicht abgelöst wünsche; eine gleiche Erklärung ist schon früher von Hamburg und Mecklenburg gegeben. Nach der Beantwortung der Bluhme'schen Rede durch den schwedisch-norwegischen Bevoll, mächtigten von Lagerbeim und der Aufnahme des Protokolls wurde, da das ganze Material, um eine Uebersicht des Belauft des Sund« zolls in den Jahren 1841 — 47 zu gewinnen, noch nicht zusam» mengebracht war, der Cougreß bis zum Schluß des Monats Januar vertagt. Allseitiges Entgegenkommen und ernster Wille der bethei» ligten Conferenzmitglieder führte dann die schließliche Einigung her« bei. und nachdem am 31. März 1857 ein englisches Schiff den letzten Zoll erlegt, vassirte in der Morgendämmerung des 1. April 1857 ein preußischer Kauffahrer zum ersten Male die Zolllinie des Sundes, ohne die alte Steuer zu zahlen, und eröffnete die neue Aera für den Handel der Oftseehäfen. Zehntes Kapitel. Mchtiakeit des Sundzolls für Dänemark. — Verkehr im Sunde, den Nelten und im Schleswig'Hulfteinischen Canal. — Zu-und Abnabme des Ostseehandels der verschiedenen Nationen. — Ertrag des Sundzolls fiir Dänemark. - Budget des Su«dzoN« für 1856. - Verhältniß der nichtprivilegirten und privilegirten Nationen. In den folgenden Daten wird ein leicht erkennbarer Beweis geliefert werden, wie die schon in den dänischen Verhandlungen mit dem Kaiser Karl V. gebrauchte Bezeichnung des Sundes als: die „Goldgrube Dänemarks" ein nicht unrecht gewähltes Bild war. Die außerordentliche Zunahme der Handelsbewegungen im Allgemeinen, die Hebung der Industrie und der materiellen Interes» sen in dem Laufe der Jahrhunderte. die fortwährend sich steigernde Entwickelung der commerciellen Verhältnisse Rußlands, die verschie» dene, wunderbar wachsende Theilnahme Preußens am Welthandel, in dem langen seiner Wiedergeburt folgenden Frieden, dies Alles 10. Kap.) Den Sund vasfirte Sckiffe. 147 schaffte dem Sundzoll eine ungeheure Ausdehnung und Blüthe und füllte die dänische Grube jährlich mehr und mehr, fodaß der energischste Widerstand dieser Macht gegen den Versuch, dieses Juwel aus seiner Krone zu brechen, vollkommen gerechtfertigt erscheint. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts gingen durch den Sund und die Belte ........... 3,455 Schiffe. gegen Ende des 18. Jahrhunderts, 1770 . 7,736 „ im Jahre 1800 . 10,221 „ „ ., 1830 . 13,212 „ ., „ 1840 . 15,662 ., Summa 18959 19020 19919 1-7572 21583 16373 15785 Durch die Belte zieht der Verkehr mit den jütischen, schleswig- schen und holsteinischen Hafen jährlich zwiscken 2 bis 3000 Schiffe und die fiachgehenden Fahrzeuge der Holländer. Oldenburger und Hannoveraner Passiren in sehr bedutender Zahl den Eider-Canal. Ein Blick auf die Flaggen, wie solche in den amtlisien Liften der fünf Jahre 1849 — 53, die von dem gegen Rußland geführten 10* Durch den Sund im Iah« 1ft49 1850 1851 1N52 1853 1854 1855 Englische 6885 5448 4811 3902 4665 2042 2424 Norwegische 2877 2553 2894 3020 3393 3328 2840 Schwedische 2191 1982 2255 2100 2007 2588 2463 Holländische 1960 1906 2060 1691 1875 1460 1593 - Preußische 1361 2391 2664 2319 3487' 3095 2864 Russische 1200 1138 1047 946 1202 166 7 Dänische 1154 1266 1518 1464 2095 1898 1621 Französische 364 314 288 283 345 91 125 Mecklenburgische 337 1031 1077 771 1103 873 737 Hannoverische 308 429 661 555 743 497 695 Amerikanische 121 106 135 76 96 3b 45 Oldenburgische 74 208 222 183 230 74 150 Italienische 56 62 43 48 50 23 53 Lübeckische 40 102 125 136 139 111 70 Belgische 13 4 7 2 22 li 11 Hamburgische 7 39 77 46 73 61 42 Bremische 7 34 33 22 36 II 29 Spanische 2 2 — 6 4 — — Portugiesische 2 5 — 2 18 12 IS Oesterreichische — .— 2 — — 6 — ^g Die dänische Sundzoll. Einnahme. st. Vuch. Kriege noch nicht gestört waren, aufgefülirt find, ergiebt, daß die Zunahme durch die Progression der Sckifffahrt von Norwegen. Preußen. Rußland. Dänemark, Mecklenburg und Lübeck entstand. Die starke Nachfrage nach den Aussulirproducten der Oftseeländer und die Rückwirkung des wachsenden Verkebrs mit anderen Welt« tbeilen, besonders Kalifornien und Australien haben diese Vermehrung veranlaßt; Holland und Frankreich baben in der Sundfabrt keinen Fortschritt gemacht, die Vereinigten Staaten von Nordamerika in den letzten Jahren bedeutende Rückschritte; England aber ist vor allen anderen in auffallender Weise zurückgeblieben: im Jahre 1850 um 1437, 1851 um 637, uud 1852 um 909 Schiffe gegen das jedesmal vorhergehende Jahr; 1853 stieg die Sckiffszabl wieder um 763, blieb aber noch immer um 2220 Schiffe gegen das Jahr 1849 zurück, und in den beiden Kriegsjahren sank sie 1854 wieder um 2623 Schiffe und stieg 1855 nur um 382 bis zur Zakl 2424, blieb also gegen 1849 noch um 4461 Schiffe zurück. Es ist mithin den baltischen Staaten, vorzugsweise aber der preußischen Industrie und der russischen Handelspolitik, gelungen, die englische Flagge aus dem ihr fremden Gebiete und Meere, das sie bis 1849 noch überwiegend beherrschte, zurückzuscheuchen. Auch der declarirte Werth der nach Rußland direct versendeten britischen Erzeugnisse, der im Jahre 1849 auf 1 Million 379.179 Pfund Sterling abgeschätzt war. verminderte sich seitdem im Durchschnitt jährlich um 96,212 Pfund Sterling. Die dänische Zolleinnahme hält im Wesentlichen dieselbe Scala mit der Anzahl der Schiffe. Im Jahre 1756 beschränkte sich der Ertrag auf 200.000 Thaler; 1770 war derselbe verdoppelt zu 450.890 Thalern. Er floß ursprünglich in die königliche Privat« kasse, wurde aber 1816 der Direction der Staatsschulden und des Tilgungsfonds angewiesen und betrug im Iabre1820 das Dreifacke des Jahres 1756, nämlich 1,500.000 Thaler. 1836 schon 1.937.000 Thaler, 1844 aber 2,432,000 Tl'aler und 1853 endlich dreizehn mal mehr, als 1756. nämlich 2.530.000 Thaler. Die Iabre1854 und 1855 bieten natürlich wegen der Kriegsoperationen in der Oft» see geringeren Ertrag, wie 1808, als während der Continentalsperre Hl) Kap.) Nachweise des Ertrages des Vundzolls. 149 alles unter englischem Convoy ohne Bezahlung des Sundzolls durch die Belte passirte, die Ginnahme nur 9704 Thaler betrug. Die nach verschiedenen Zwischenräumeu von Dänemark bewilligten Er» Mäßigungen schlugen stets zum Vortheil und Gewinn der eigenen Kassen aus. So wuchs die Revenue nach der Tarifänderung im Jahre 1841 bis zum Jahre 1844 um 174.000 Thaler, und die wegen der Ermäßigungen vom Mai 1846 im Budget für 1847 nur zu 1.832.000 Tbaler veranschlagte Summe lieferte in der Wirklichkeit 699.000 Tbaler mebr und war auf 2,531.000 Thaler gestiegen. Die Voranschläge des Vrtrages des Sundzolls und seiner Neben» abgaben, Baken- und Feuergelder, Sporteln und Nrmengelder betrugen nach den officiellen Finanzüberfichten: im Jahre 1830 — 2,107,000 Thlr. Reichsmünze — 2/z Thlr. preußisch Courant. „ „ 1831 — 1,966,000 Thlr. „ „ 1832 — 2,210,000 „ „ „ 1833 — 2,090,000 „ „ ., 1834 — 1,890,000 „ „ „ 1835 — 1,910,000 ., „ „ 1836 — 2,087,000 „ „ „ 1837 — 2,203,000 „ „ „ 1838 — 2,326,000 „ ., „ 1839 — 2.417,000 „ ^ „ 1840 — 2,401,000 „ „ „ 1841—2,258,000 ^ „ „ 1842 — 2,076,000 ^ „ „ 1843 — 2,294,000 ., ' „ „ 1844 — 2,432,000 „ „ 1845 — 2,361,000 „ 1846 — 2,160,000 „ " 1847 — 2.531,000 , 1848 — 2,250,000 „ 1849 — 2,150,000 „ ' " 1850 — 2,400,000 „ 1851—2,450,000 „ ^ ^ 1852 — 2,500,000 „ 1853 — 2,530,000 „ " ^ 1854—1,812,627 ., ., „ 1855 — 2,427,772 „ 150 Das Vudget des Sundzolls vom Jahr« 1856. ll. Vuch. Zu dieser Einnahme von jährlich circa zwei und eine halbe Mil« lion kommen noch an Ginnahmen der dänischen Commisstonäre. Fuhr« leute. Lootsen und an Porto jährlich circa 500.000 Thaler. Diese Summe von drei Millionen fallt der einen Hälfte nach dem russischen Handel, einem Viertbeile nach Preußen unh dem letzten Viertheile nach den übrigen Ostseelandern zur Last. Das officielle Vudget für 1856 über den Sundzoll lautete: 1) Einnahme. Sundzoll und Rosenobel bei Hclsingör .... 2,072,000 Thlr. Zoll im großen Belt............ 22,000 „ Zoll im kleinen Velt............ 4,200 „ 2,098,200 Thlr. Andere Einnahmen vom Sund - und Stromzollwesen: Leuchtfcucrgelder, Tonnen-, Hafengelder, Gedübren, Armen-, Strafgelder, Zinsen für und Abträge auf Capitalien des Ädmini-strationsfonds, Ueberschuß von dem elektrischen Telegraphen................ 328,122 Thlr. wovon eingehend, d. Zollamte Helsingor 294,412 Thlr. „ „ ., Nyborg 28,700 „ » « ., Fridericia 5,010 „ 328,122 Thlr. Von dieser Einnahme werden die Verwaliungs-losten bestritten, veranschlagt zu 31 «,426 Thlr.; der Ueberschuß von 11,696 Thlr. fällt dem zinstragenden Capital des Verwaltungsfonds zu. 2,426,322 Thlr. 2) Ausgaben. ^. In Helfinaör. ' 1) Gagen und Sportcln............... 84,302 Thlr. 2) Pensionen und Veihilfc zur Hausmiethe...... 16230 3) Comptoirgehalt, Inventar und ähnliche Ausgaben . 5^840 4) Oauausgabcn und Steuern............ 1280 5) Die Inspection und Controle........... 8425 6) Verschiedene die Schifffahrt betreffende Anstalten . 10575 7) Für die Vugsirdampfschiffe............ 38,200 ^ 164,852 Thlr. 10. itap.1 Das Budget des Sunbzolls vom Jahre 1856. 151 I.Hlu5 164,852 Thlr. 8) Veitrag zum Leuchtfeuer» und Bakenwesen in dem Kattegat, dem Sunde und den Veiten, sowie zur Reinigung des Fahrwassers.......... 79,500 „ 9) Vergütung an Schweden und Norwegen für gewisse Leuchtfeuer................ 27,000 „ !0) Zur quarantainemähigen Clarirung der Schiffe wegen der Cholera............... 1,000 „ V. In Nyborg. 1) Besoldungen.................. 8,188 „ 2) Verschiedene Ausgaben............. 2,219 „ 3) Für das Wachtschiff im großen Belt...... 8,000 „ C. In Fridericia. 1) Besoldungen................. . 9,178 „ 2) Verschiedene Ausgaben............. 518 „ 300,455 Thlr. Die Gagen und Sporteln der Zollbeamten sind von extremer Höhe, meist Belohnungen für Verdienste und Dänemark nicht lästig, da der fremde Schiffer und Kaufmann sie bezahlt. Es bezieht: Der Zolldirector........... 7000 Thlr. „ erste Kämmerer......... 4600 „ „ zwcitc „ ......... 3824 „ „ dritte „ ......... 3824 „ „ vierte „ . . . .-..... 3409 „ „ Zollinspector........... 8714 „ ^ Buchhalter............ 3188 „ „ Cassirer............. 6986 „ „ Wachtschiffchef. . ........ 4579 „ „ Secretair............ 2000 „ ßbef für das Translationscomptoir 2500 „ ^ erste ssontroleur......... 1800 „ „ zweite........... 1400 „ Sech<< Bevollmächtigte . . ^..... 4800 ^ Neun Assistenten........... 3600 „ Techs Eleven............ 1800 „ Alterszulage . ............ 1600 „ Der Pförtner und zwei Boten des Sund, und Stromzoll - Comptoirs..... 3360 ^ 1H2 Die vrivilegirten Nationen. II. Buch. Sämmtliche Schiffe müssen im Sunde die Flaggen aufziehen, die von Norden kommenden, bevor sie die Festung Kronenburg Passiren, die von Süden kommenden, bevor sie an dem anfderNhedevonHelsingör stationirten Wachtschiffe vorbeisegeln. Sie scheiden sich aber in die drei Kategorien der privilegirten. unprivilegirten und dänischen Die unprivilegirten Nationen find in Europa nur noch Portugal, der Kirchenstaat und die Türkei. Die Nachtheile der unprivilegir« ten Stellung sind in der Wirklichkeit nicht erheblich. Sie bestehen in bis zu einem Drittel böheren Verzollungen einzelner Artikel und einem Viertelprocent höherer Abgabe, sowie dem Zwange, sich der Un» tersuchung des Schiffs und der Ladung zu unterwerfen. Die däni» schen Schiffe genießen als Vorrecht Erleichterungen in Erlegung der Feuer- und Bakengelder. Zollkürzungen und völlige Zollfreiheit für die Producte der dänischen Colonien. In die Reihe der vrivilegirten Nationen traten: Belgien durch Convention vom 13. Juni 1841. Brasilien „ „ '„ 26^ April 1828. Bremen „ „ „ 5. November 1835. England „ „ 11. Juli 1670. und 13. August 1841. Frankreich „ „ vom 23. August 1742. Griechenland „ „ „31. October 1846. Hamburg „ „ „ 27. Mai 1768. Hannover „ „ „ 15. April 1844. Holland „ „ „ 13. August 1645. und 15. Juni 1701 und 10. Juli 1817. Lübeck durch Convention vom 14. October 1840. Mexico „ „ „ 19. Juli 1827. Mecklenburg,, „ « 25. November 1845. Vereinigte Staaten von Nordamerika durch Convent. „ 26. April 1826. Norwegen durch Convention „ 23. August 1841. Oesterreich „ „ „ 12. Februar 1834. Oldenburg „ „ „ 31. März 1841. la. Kap.) Die privilegirten Nationen. 153 Preußen durch Convention vom 17. Juni 1818. und 26. Mai 1846. Rußland „ „ vom 8. October 1782. und 14. October I831. Sardinien „ „ vom 14. August 1843. Sicilien „ „ „ 13. Januar 1846. Schweden „ „ „ 3. Juli 1720. und 23. August 1841. Spanien „ „ vom 25. Mai 1798. Venezuela „ „ „26. März 1838. Zweites Buch. Hydrographisch-naturhistorische Darstellung der Ostsee. Elftes Kapitel. Das baltische Becken und Meer. - Myemelne Züge und Begrenzung. — Entstebuna der Ostsee. — Eintbeilung und Penennungen. — Niveaulage und Grundtiefe. — Küstensäume. Wirft man den Blick auf ein Bild der Erdoberfläche in ihrer Gc« sammtheit. so erscheint das baltische Meer. trotz dieses stolzen Namens, als ein winziges Wasser, wie- jedes andere der Binnenmeere. Der größte Theil unseres Erdballs, etwa zwei Drittel desselben, ist vom Meere bedeckt, das die beiden großen Landvesten und vielen Eilande, die über seinen Spiegel hervorragen, rings umgiebt und eine einzige zu> sammenhängende Wassermcnge, ein Weltmeer, einen Ocean bildet. Das Becken desselben ist durch mannigfache Höhenzüge, bald auf dem Festlaudc in die Wolken ragend, bald sich senkend und unter dem Wasserspiegel verschwindend, in mannigfache Binnenmeere, Bu« sen, Buchten. Oolfe, Baien und wie die Unterabtheilungen alle heißen, zerlegt und zerschnitten. Aber diese Nebenbecken vereinigen, berühren, verbinden sich sämmtlich, wohl kaum mit Ausnahme des Steppen» beckens des Uralfee's und des kaspischen Meeres, welche alte Erdumwälzungen isolirt und der sichtlichen Beibindung beraubt haben. Durchbrüche, die auf dem Lande sich als Thaler darstellen, bilden als Engen und Sunde die Straßen, durch welche die Woge, die vom Aequator ausgeht, derjenigen entgegenzieht, die das Treibeis von den Polen herbeiführt. 11. Kap.) Die Binnenmeere. IKK Alle Nebenbecken, verschwinden sie auch ihrer beziehungsweise geringen Ausdehnung halber gegen die ungeheuerlichen Verhältnisse des Oceans selbst, sind dennoch in vielen Hinsichten würdig, die grö« ßere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Da sie sich enger mit den Län-dern verbinden, find ihre Erscheinung, ihre Erzeugnisse, ihre Lage interessant und zeichnen sich durch besondere Züge aus, die wichtige Da« ten zur allgemeinen Kenntniß des Erdballs liefern. Sich im Schooße der Festlande wie von der Hand der Natur selbst gegrabene Canäle darstellend, und eine große Anzahl von Flüssen in sich aufnehmend, sind gerade sie die Wiege der Handelsschifffahrt, und macht ihr Ein» fluß auf die Industrie und Civilisation der Völker — die sie velbin-den, nicht trennen, — Epoche in der Geschichte. An den Ufern dieser Binnen- oder mittelländischen Meere und an den Mündungen der Flüsse, welche sich in dieselben stürzen, begannen sich zuerst die verstreuten Stamme zu regelrechten gesellschaftlichen Verbanden zu sammeln; hier war es, wo der Tausch und Wechsel der Producte seinen Ursprung fand, der zu einem Tausch und Wechsel der Gedanken führen mußte, die herrschend geworden stete Neuerungen gebaren; von hier aus war es, daß sich der Schiffer, nach und nach mit den Winden und Stürmen vertraut geworden, hinauswagte in die anscheinende Unermeßlichkeit des Oceans, um die entfernten Gegenden zu erreichen. Europa ist vorzugsweise mit Meereswasser gesegnet, und diese Wasser sind in der Weife gelegen, daß sie die meisten Regionen des-selben berühren, sowohl die des Nordens, als des Südens. Die Binnenmeere scheinen überhaupt mit einer besonderen Absicht vertheilt zu sein. Von der einen Seite ist es das mittelländische Meer. dem der Name seiner Art auch zum Eigennamen ward. mit den verschiedenen Buchten, welche sich an dasselbe heften, auf der anderen das baltische Meer mit dem lievlandischen. finnischen und bothnischen Meerbusen, das ihm die Vortheile der Küstenbildung angedeihen laßt. Wenn Europa in jeder Hinsicht zu einer erhöhten Wichtigkeit über alle anderen Welttheile gelangt ist, so ist es hauptsächlich seinen Meeresbecken dafür zum Danke verpflichtet, welche, indem sie die verschiedenen Länder, aus denen es sich bildet, verbinden, und ihnen gleichzeitig Wege an Igß Das baltische Necken. ^2. Vuch. die fernsten Gestade eröffnen, die Handelsbeziehungen ebenso leicht als ausgedehnt gemacht haben. So ketten sich die Bestrebungen und Anstrengungen der Menschen immer an die Schöpfungen der Natur, um von ihnen den Charakter zu entlehnen, der über sie entscheidet, uud die industriellen Erscheinungen, wie die politischen und moralischen, gehen meist aus physischen Phänomenen hervor. Seit langer Zeit hat das mittelländische Meer, unter dem Herr» lichsten Himmel gelegen, und umringt von mächtig ergreifenden Erin« nerungen an eine große Vergangenheit, die Aufmerksamkeit an sich ge« fesselt. Man hat seinen Zusammenhang mit dem Ocean, seine Strö« mungen, die vulkanischen Heerde, die es birgt, seine großartigen Mu» schelbänke und die ungeheuren Marmorbrüche, an denen sich seine Wasser brechen, untersucht; von Anderen sind die Inseln beschrieben, welche die Mythologie mit Göttern und Heroen bevölkert hat. und welche die ersten Dichter, die vornehmsten Weisen Griechenlands be« wohnten; sie haben sich über die Expeditionen ausgesprochen, die die Völker lehrten, sich durch das Element selbst zu verbinden, wel» ches ein Hinderniß zwischen ihnen zu errichten schien; sie haben endlich glühend die berühmten Ufer geschildert, auf denen nach einander Ty« rus, Karthago, Alexandrien, Athen, Korinth, Syracus, Marseille, Genua und Venedig blühten. Das baltische Becken. Unter einem weniger günstigen Himmel ausgebreitet, umgeben von Ländern, in welchen man nicht jene Civilisation erwarten darf, die den Ruhm Griechenlands und Italiens ausmacht, hat das bal, tische Meer nicht dieselbe Berühmtheit erlangt. Indessen darf es auch dreist einen ausgezeichneten Platz in den Annalen der Natur und der Industrie beanspruchen, und bemerkenswerthe Umstände können es, auch ohne die Zufälligkeit eines momentanen Kriegsschauplatzes, zu einem Gegenstande allgemeinerer Aufmerksamkeit erheben. Das baltische Becken ist eins der beträchtlichsten des ganzen Weltballs; es dehnt sich vom 27. bis znm 55. Grade der Länge und vom 49. bis zum 69. Grade Nördlicher Breite aus. Die Gewässer desselben werden im Osten durch die waldaischen Höhen von denen li. Kap.) Allgemeine Züge und Begrenzung. 157 deS kaspischen Stevpenbeckens, ferner durch den Wolchonski-Lies und durch die Höhen von Niedoborzec, im Süden aber durch einen Theil der Karpathen und einen Theil der Sudeten von den Wassern des schwarzen Meeres getrennt. Von hier folgt die Wasserscheide dem Riesengebirge, geht dann über den Berg Landeskrone, folgt dem Land« rücken und endlich dem ganz stachen Lande, welches das Halbeiland Jutland, den cimbrischen Chersones, bildet, auf dem es sich als Segeberger Haide, Dänenwald und Aalhaide zum Meeresgrunde verstacht. Von den waldaischen Höhen nördlich zieht sich die Grenze dieses Beckens längs des Manselkä-Rückens, dann westlich des Haldefjälls und endlich dem Hauptzuge der Kiölen folgend, dessen südlicher Theil auch Sewo genannt wird, und der sich unter dem Namen Kinne-Kulte zum Meere hin verflacht, um sich in den Eilanden Seeland. Laland und Fünen wieder aus demselben zu erheben, und so, bis auf die Durchbrüche, wieder mit Jutland in Verbindung zu treten. Die tiefsten Stellen dieses Beckens werden von der Oftsee, einem der wichtigsten aller Binnenmeere, ausgefüllt. Sie bietet geographische und physikalische Züge dar, deren Kenntniß für die Gesammtheit der Erscheinungen, welche den Norden Europa's charakterisiren, wichtig sind. Durch die Schifffahrt, welche sie hervorrief, öffnete sie, nach der Wiedergeburt der Kunst, die nördlichen Lande den Handelsbeziehungen, und wurde zum Beförderungsmittel ihrer Civilisation. Ohne sie würden Dänemark, Schweden, der deutsche Norden. Preußen und ein großer Theil Rußlands nicht den Anblick einer Cultur darbieten, die den Handel erhält und in Wechselwirkung wieder aus ihm ihre Nahrung zieht; ohne sie würde der Kampf der Barbarei mit der Gesittung, bis zu ihrer Blüthe, der Kunstentwicklung, sich an den nördlichen Gestaden um mehrere Jahrhunderte verlängert haben, und ganze Nationen, die jetzt der höheren gesellschaftlichen Ordnung unterworfen sind, würden vielleicht in unseren Tagen, wie ihnen unfern benachbarte Völkerschaften, nomadisirende Stämme geblieben sein. Eine Betrachtung der Ostsee und der Gegenden, die sie badet, wird sich daher nicht auf ihr Becken allein beschränken können; sie wird sich von selbst auf die Beziehungen ausdehnen müssen, in welche sie die Natur und der Mensch zu den angrenzenden Ländern versetzte; sie 158 Die Entstehung der Ostsee. I?. VuH. wird dieselbe nur als den Mittelpunkt eines weitläufigen Ganzen ver< schieden« Gegenstände darstellen, die alle von ihr Leben und Bewe. gung empfangen. Die Entstehung der Oftsee. Wie bereits erwähnt, stellt der Anblick des baltischen Meeres, im Verhältniß zn den dasselbe umgebenden Gebirgsreiben, die den Was» servorrath seines Kessels begrenzen, dieses unleugbar als einen wirklichen, alten Theil des Oceans dar, der Büffons Meinung widerlegt:, „daß die Oftsee nur ein großes Blnnenwasser wäre, das aus dem Zusammenströmen der nordischen Flüsse tn ein tiefes und weites, gemein, schaftliches Bett entstanden sei." Es ist ein wahrhaftiges mittelländi« sches Meer, so gut wie das im Süden Europa's und andere zu dem großen Ganzen des Oceans gehörende, und hat seineGrenzen undUm. risse, wie die anderen Meeresbecken, in Folge der großen Revolutionen unseres Erdballs erhalten. Gewiß haben sich diese Grenzen und Um« risse seit den ursprünglichen Zeiten verändert, und die Ufer der Ostsee find nicht dieselben geblieben; aber ebenso gewiß ist es aus der geologischen Entwickelung der sie umgebenden Länder bewiesen, daß ein Meeresbecken an dieser Stelle zur Aufnahme des Flußwassers hat ezi« stiren müssen, seitdem die Erdoberfläche im Ganzen unter den jetzigen Verhältnissen besteht, das heißt, in der ganzen Periode, in der sie von Menschen bewohnt wird. Wie sie im Verhältniß zu anderen Meeres» theilen einem entscheidenden Wechsel unterworfen war, ist noch nicht hinreichend aufgeklärt, und ihre scheinbare Verbindung, heute mindestens noch Annäherung, mit der Nordsee durch den cimbrischen Chersones, mit dem schwarzen Meere durch die weiten polnischen Ebenen, mit dem weißen Meere durch jene Theile Finnlands und Rußlands, die noch jetzt mit Landseen und Morästen in großer Ausdehnung bedeckt find, bilden noch viele zu lösende Probleme. Letztere Verbindung be< hauptet Büffon, verfuhrt durch die Namenähnlichkeit, mittelst des Onega.Flusses und Onega°See's. Sind diese Wechsel aber auch den Blättern der Geschichte entgangen, so ist, bei dem heutigen Stande d« Wissenschaft, an eine sichere Aufklärung ihrer Gründe und Fortschritte nicht mehr zu zweifeln, da jene Umwandlungen, die von der Menschen» 11. Kap.) Die Entstehung der Ostsee. zM geschichte verschwiegen werden, aus ihren Spuren an den Ufern selbst sich dem sinnig grübelnden Geiste verrathen müssen. Sind auch Jahrtausende bereits verronnen, seitdem die Natur, ohneZeugen, dieim Stande gewesen wären, das Andenken an ihre Arbeiten zu bewahren, die Grundzüge zur Gestaltung der heutigen Ostsee festsetzte, so haben doch Geister wie Leopold von Buch, Forchhammer, Schouw und Andere jenes verborgene Wirken ans Licht gezogen. Forckhammer, dessen Anficht wir hier vorzugsweise zu Grunde legen, gestaltet die Oftsee vor der Umwandlung, die dem europäischen Norden seine jetzige Gestalt verliehen hat, zu einem langen Thale am Ostiande des skandinavischen Urgebirges, das durch Durchbrüche in das jetzige Meer verwandelt wurde. Zu Beweisen eines Durchbruches früheren Zusammenhanges gehört Gleichheit der inneren Beschaffen» heit benachbarter Küsten - eine solche fehlt der Oftsee zwischen Jutland und Norwegen, läßt sich aber bestimmt nachweisen bei Seeland und Schonen, ist ferner zu erkennen zwischen Rügen und Möen, zwi» schen Laaland, Falster, mit Seeland einerseits und der Küste von Schleswig, Holstein und Mecklenburg andererseits. Dies giebt ihm die Richtung des ursprünglichen Meeresthales an. wenn wir diesen Ausdruck gebrauchen dürfen. Solche Thäler, oder mehr oder minder große Klüfte, in denen sich zertrümmertes Gestein, Sand und Erde finden, liegen stets zwischen zwei Gebirgszügen verschiedenen Alters, da die Gebirge dort, wo sich die heterogenen Massen gegenüberstehen, am meisten verwittern. Dies ist auch hier bei dem älteren skandinavi« schen Gebirge der Fall, und am deutlichsten dort, wo dasselbe gegen Süden endet. Hierdurch läßt sich das ursprüngliche baltische Meer als ein großes Thal an der Grenze zwischen älteren und neuereu Ge« birgen betrachten, das mit dem Kattegat, welches mit Ausnahme einer Strecke vor Schonen ein ähnliches Thal ist, zusammenhing. Die Südufer der Oftsee find jüngere Bildungen, Flötzgebirge und aufgeschwemmtes Land; das bothnische Meer dagegen und die vielen dasselbe umgebenden Landseen liegen in einer Uebergangsfor» mation, die ins Urgebirge förmlich eingeklemmt erscheint, und beweisen dadurch, daß sie sehr alter Entstehung und schon in der Bildung des Urgebirges als Becken begründet sind. Noch jetzt erscheint das both' zgo Die Entstehung der Ostsee. l2. Vuck. nische Meer gewissermaßen als eine Nrt großer Landsee, denn die zahl. lose Menge von Scheeren, Inseln und Klippen an den Ufern von Schweden und Finnland bestehen alle. aus einer gleichen Gestein« masse, v. Engelhardt sucht sogar zu beweisen, und nicht gezwungen, sondern ziemlich klar und einleuchtend, daß das bothnische Meer in frühe« ren Tagen durch den Wener-See in die Nordsee seinen Ausstuß ge, nommen habe, und in jener Zeit die Granite der Aalands'Inftln mit denen Schwedens und Finnlands vereint gewesen seien. Dergleichen gewaltsame Sprengungen des Urgesteins kommen noch oft vor. und zwar lediglich durch die Macht des gefesselten Elementes selbst und ohne die Einwirkung gewaltsamer iunerer Revolutionen. So sprengte im Jahre 1818 der Souvado eine granitne Scheidewand von einer Werft Breite, die ihn vom Ladoga trennte, und reducirte so seine Länge von vierzig bis auf fünfzehn Werste. Die tiefen Busen vonDanzig und Kö< nigsberg müssen dann als eine Wirkung jenes Durchbruchs des both« nischen Meeres zu betrachten sein, und ihre Lage und Richtung be» weisen in der That auf das vollkommenste den Weg, den ein so gewal» tig vermehrter Wasserlauf nehmen mußte. ^. Dem finnischen Meerbusen, der seinen Umrissen und seiner For« mation nach dem bothnischen entspricht, liegt auch eine ähnliche Bucht gegenüber, nur ist sie kleiner, wie es die geringere Wassermasse und das festere Uebergangsgeftein hinreichend erklären. Unentschieden muß es bleiben, ob jene beiden Durchbrüche zu gleicher Zeit und aus glei« cher Ursache entstanden, oder ob nur die Seitenwände durch den Druck gewaltsam andrängender Wassermassen gesprengt find. Gleichzeitig scheint der Durchbruch aber dennoch stattgefunden zu haben, da der aus der finnischen Vucht herausbrechende östliche Strom durch eine Richtung nach Süden bedeutend modificirt ist. Dennoch ist derselbe mit so furchtbarer Gewalt gegen die einst vereinten Inseln Gotland und Oland angedrungen, daß er sie ausejnanderriß und für die Ewigkeit trennte. Beweise für diese Behauptung finden sich auf der Nord< ofttüfte Bornholms und in dem inneren Bau jener beiden Inseln. Diese Nordoftküste von Bornholm ist nämlich nur aufeinandergethürm« ter Granit'Grus. den jedoch bis zu einer Höhe von 250 Fuß über den jetzigen Meeresftand Lehmschichten bedecken, die unzählige Bruchstücke li. Kap.) Entstehung der Ostsee. Ißz von Uebergangsschiefer, Sand «und Kalkstein, wie sie noch heuti. gen Tages auf Oeland und Gottland feststehen, aufweisen. Da sie sich nicht höher auf Bornholm, oder auf dessen West« und Subtilsten vorfinden, bevor man dort das feste Uebergangsgebirge betritt, lie« fern sie für jene Ereignisse ein lautes, leicht verständliches Zeugniß. Zwischen Gottland und Bornholm scheint sich der Strom wie« der mehr nach Westen gewendet zu haben, wie es der tiefeingehende und weite Busen von Christianstadt in Schonen, zwischen Karlslroua und Cimbrishamn, andeutet, und der tiefe Sund zwischen Born» Holm und Schonen, durch den wohl der Hauptftrom sich über ein Kreideplateau ergoß, dessen Ueberreste noch in Bornholm, der Süd» küfte Schönens, Stevensklint und selbst noch in Saltholm bei Ko« Venhagen zu finden sind, noch klarer zeigt. Diese entschieden west« liche Richtung läßt sich völlig ungezwungen durch die Macht des hier» .her wirkenden Rückstromes aus der Danziger Bucht erklären. Die Kreidebildung des erwähnten Platecms fängt im westlichen Bornholm an, indem die Westküste ganz daraus besteht, senkt sich aber bald in die Tiefe und wird vom Meere bedeckt. In Schonen hebt sie sich wieder, und zeigt sich hier und dort zu Tage tretend; der Boden von Amack, desgleichen ein Theil der Kopenhagener Grundlage und Umgebung, und die Insel Saltholm gehören ihr an. wenngleich sie hier nicht so deutlich und klar hervortritt, als in Stevensklint, dem romantischen Südende des Sundes. Sie bildet große Ebenen, in denen das Gestein eine geringe Senkung nach Südwesten zeigt. Weiter gegen Westen erhebt sich eine neue Kette kalkiger Ge» steine zu bedeutenderer Höhe; es ist dies die Mergelkreide von Möen, Wittow und Iasmund, und noch weiter gegen Westen wechseln luv» penförmige Lager von Mergel, Sand und Thon und bilden den fruchtbaren Boden von Mecklenburg. der Ostküste von Holstein und Schleswig, Fühnen, der kleineren dänischen Inseln und den Süd« wefttheil Seelands. In diesem westlichen Theile des baltischen Meeres sind die Wir. tungen der Fluth verschiedenartig sichtbar, entsprechend der jedes» maligen Richtung ihres gewaltsamen Vorschreitens und des mehr oder weniger starken Widerstandes, der ihr an den verschiedenen Stel» Die Osts«. I. 11 162 Entstehung der Vuchten im baltischen Meere. s2. Vuch. len gelelftet wurde. So ist die Mergellreidcnkette von Rügen und Möen an zwei Orten durchbrochen, jedoch nur der eine Durchbruch geblieben, während der andere zwischen Arkona und Stubbenlammer wieder versandete. Die tieft Bucht von Prästöe, im Norden Moens, auf der Insel Seeland, entstand auf gleiche Weise, nur daß es hier, wie ebenfalls in der Kjögebucht, nicht zum völligen Durchbruch kommen tonnte, weil die regelmäßig gelagerte Kreide des erwähnten Plateaus dieser Gegend viel stärkeren Widerstand zu leisten im Stande war, als jene Mergeltreide Rügens und Möens. Den, Durch, bruche zwischen diesen beiden Inseln entspricht wieder der mit völ> ligster Klarheit als Beweis dienende tief in das Land eingreifende Meerbusen von Travemünde. Es ist dieser ein Erzeugniß desselben Stromes, der in ihm hier endlich die Grenze seiner zerstörenden Wir« lung fand, und nun nach Norden gewendet, als Rückstrom zahmer und milder gemacht, theils durch Lokalverhältnisse begünstigt, und auderntheils durch die nachgeschobenen Wassermassen neu gestärkt, die nlannichfachen Föhrden, Baien und Busen Holsteins und Schles« wigs bildete, und beide Belte durch das beutige Dänemark schnitt. Ein großer Theil der Gerölle auf den Küsten Mecklenburgs, auf Laaland , Falfter und selbst an den Ufern deS großen Belts, die dem Uebergangsgeftein von Bornholm gleichen und angehören, dienen dafür als Belege. Wann,— wirst sich nun die Frage auf,— trug sich diese Ver» änderung des europäischen Nordens zu, die jenes lange Thal am Rande des skandinavischen Urgebirges in ein tiefes Meer verwandelte, Gottland und Oeland. Bornholm von Schweden, Rügen von Möen, und Seeland von Schonen trennte? Die Jahrhunderte lassen sich bet der Beantwortuug allerdings nicht bestimmen; immerhin kann man jedoch diesem Ereignisse ohne den Vorwurf zu großer Keck« heit engere Grenzen ziehen. — Es ist die BildOlg der baltischen Geröllformation jedenfalls jünger, als die der eigentliche» Kreide und die Zeit der riesenhaften Amphibien. Diese Bildung fand auf dem Boden des Meeres statt, der sich dadurch erhöhte und umformte, und sie setzte sich bis in eine späte Zeit fort. was die Muschellager beweisen, welche Reste von Mollusken enthalten, die noch in den ge« ll. Kap.I Einfluß der Meeresströmnngen auf die Flora. Ißg genwärtigen Tagen an denselben Küsten leben. Diese Muschellage läßt sich durch ganz Skandinavien verfolgen und erreicht eine Höhe von zweihundert Fuß über dem jetzigen Meere, ist an der Küste von Norwegen häufig, zeigt sich deutlich bei Uddewalla in Schweden, wo noch zu dieser Stunde Balanen an den Felsen fitzen, wird an mehreren Stellen Iütlands sichtbar, ebenso auf den höchsten Punk-ten des Haiderückens von Holstein, unweit von Bornhövd. Diese Muscheln einer noch lebenden Art erlauben es nicht, an eine Ueber« schwemmung zu denken, sondern sie scheinen beim ruhigen Stande des Meeres abgesetzt zu sein. Wie sich der Meeresboden so heben konnte, ist räthselhaft; die Idee einer Erhebung des gesammten Nordens findet auch große Schwierigkeiten, trotz der unleugbaren Beobachtungen, die es wahr« scheinlich machen, daß sich ganz Schweden langsam erhebt, und zwar um etwa vier Fuß in einem Jahrhunderte, was sich übrigens nicht südlicher als bis zum Sund von Kalmar zeigt und worauf wir spä« ter noch zurückkommen werden. Klar ist aber aus allen diesen ein« zelnen Daten hervorleuchtend, daß die heutige Ostsee erst entftan« den ist, nachdem die sie umgebenden Länder schon gebildet waren. Die Pflanzenvertheilung im westlichen Theile des baltischen Meeres bezeichnet gleichfalls jenen Durchbruch als unter jetzigen klimatischen Verhältnissen der Oberflache stattgefunden. Mecklenburg, und ebenso Lauenburg, die beiden Länder, vor denen die Wuth des nördlichen Wasserftromes gebrochen wurde, in denen keine gänzliche Zerstörung des Grundbaues, sondern nur eine Ueberschwemmung ihres Bodens stattfand, zeichnen sich durch eine nördliche Flora aus. In nordischen Breitegraden heimische Pflanzen, wie sie ganz Däne« mark nicht auszuweisen hat, sind dort häufig, während die übrigen Verhältnisse des Bodens keineswegs sehr abweichend von denen be« nachbarter Länder sind. Und im Gegensatze sind wieder die süd« lichen Küsten der dänischen Inseln sehr reich an südlichen Pflanzen; ja, es zeigen schon die entfernten Ufer des Lübecker Busens, Olden« bürg und Mecklenburg eine solche wunderbare Umkehr der natür« lichen Verhältnisse. Es ist dies jedenfalls nur als eine Wirkung des Hauptftroms und des darauf folgenden Rückstroms erklärlich, und 11' 464 Eintheilung und Benennung del Ostsee. p. Vuch. darin also abermals der Beweis zu finden, daß jene Katastrophe eintrat, als die Erde schon für den Menschen bewohnbar, und auch wahrscheinlich schon von ibnen bewohnt war. Ei nth ei lung und Benennung. Soweit die überlieferte Geschichte des Nordens reicht, hatte die Ostsee fast dieselben Verhältnisse, wie jetzt. Tacitus nennt das bothnische Meer ein „märe pissi-um", und noch heutigen Tages ist dasselbe nicht besser zu bezeichnen : er erwähnt ferner, daß die Sonne zeitweise dort nicht untergehe, spricht von der Erscheinung des Nord« lichts «. und beweift uns dadurch, daß der Meerbusen sich damals, wie heute, bis in die arttischen Regionen erstreckte. >. Das Becken der Oftsee in ibrer jetzigen Gestalt ist von einer bedeutenden Ausdehnung, indem die Wasserscheiden desselben, die in der Einleitung bereits erwähnt wurden, bei den beiden größeften Stromläufen, der Oder und Weichsel, in directer Linie sechzig Mei« len südwärts von der Küste entfernt bleiben, und um die Buchten und Busen herum auch nach den andern Himmelsgegenden ihr nicht näher als dreißig Meilen zu treten pflegen. Das Areal dieses theil» weise trocken gelegten Meereskessels ist ungefäbr dem des schwarzen Meeres gleich. Der tiefste Theil des Beckens, den noch heute die Wogen bedecken, und der seinen nördlichsten Punkt bei Tornea. im 65 Grad 51 Mim», ten, also in nächster Nachbarschaft des nördlichen Porlarkreises er. reicht, während der südlichste. Ewinemünde. am Eingang des Stetti. ner Haffs unter 53 Grad 50 Minuten, mithin in gerader Linie etwa hundertundachtzig Meilen von ihm entfernt liegt, und im Osten feine Grenze bei Petersburg, im Westen aber an der holsteinischen Küste findet, in der Breite natürlich sehr wechselnd, enthält noch immer einen Wasservorrath. der ihn auf das bestimmteste den wirk« lichen großen Meeren zugesellt. Der ganze Flächeninhalt desselben, oder der im Allgemeinen Oftsee genannten Wasseransammlung be. trägt etwa 6800 Quadratmeilen, wovon der eigentlichen freien See. fläche 400 und den drei großen Meerbusen. Bothniens Finnlands und Riga's, 2800 angehören. 1l. Kap.^ Eintheilnng und Bemnnung der Ostsee. Ißg Bei dieser bedeutenden Ausdehnung ist es natürlich, daß die Schiffer die Gewässer, so innig diese auch zusammenhangen, in den einzelnen Gegenden von einander sondern und mit eigenen Namen belegen. Die sonderbare Gestalt der Meeresgrenzen oder manche an» dere Eigenthümlichkeiten erleichterten dies hier und ließen scharf bestimmte Unterabtheilungen feststellen. So heißt der Theil zwischen dem Sund, den dänischen Inseln, der holsteinischen, mecklenburgi» schen und pommerschen Küste bis zu dem Breite« und Längegrade Bornholms die „untere Ostsee." Sie ist ein ruhiges und mildes Meer, daö dem der Vertheilung deö Landes in ihm kundigen See» fahrer nur dann Gefahr droht, wenn sorglos unbeachtet gelassene Winde ihn aus dem gewohnten Fahrwasser treiben und den Küsten und Untiefe» nahebringen. Die zweite Abtheilung zieht sich bis Gottland hin, ist die brei« teste unter allen, und durch die Heftigkeit ihrer Strömung vor den übrigen ausgezeichnet. Diese stürzt sich mit größter Gewalt von der preußischen Küste aus nach der schwedischen Küste hin, an dem zwischen Schonen und Blekingen gelegenen Busen, — dem wahrscheinlichen Werk dieser fortgesetzt wirkenden Macht, — die größten Dünen und Sandbeige Schwedens aufhäufend, und von der Miin« dung derHilgea landeinwärts den sonst hier fehlenden 8onciiu8 92. lustig, eine Pflanze derOdermüudung. verbreitend. „Untergottlän« disches Meer" ist der Name dieser Abtheiluug; „obergottländisches" oderauch „obereOstsee" jener der folgenden, welche an Heftigkeit der Strömung der andern kaum nachsteht, und sich füglich als Central« theil der Ostsee ansehen läßt. In diesem Meeresabschnitte strömen die Wogen fast von allen Punkten der Begrenzung des dreiarmigen Ostscekreuzes. — der finnische, der bothnische Meerbusen und die ersterwähnten Abtheilungen bilden einzeln für sich diese Arme, — gegeneinander und, aufgeregt durch die von den Grcnzvunkten irgend eines dieser Arme meist heftig webenden Winde, wird die Oberfläche desselben weit mehr beuurubigt. als irgeudwo anders; von Zeit zu Zeit sckwellt sie so beftig an, daß sie die nicht ganz unbedeutend an« steigenden Küftengeftadc Ostgottlands oft tagt' und wohl gar wochen« lang überschwemmt. In Folge eines so bedeutenden Ansteigens dringt .^ Höhenlage und Tiefe der Ostset. 12. Vuch. wohl das Seewasser bisweilen durch den Scheerengarten Stockholm« bis tief in den Mälarsee hinein, der dann, zum Kummer der schwe. bischen Hausfrauen, denen die Seife nicht mchr schäumen will. sein süßes Wasser mit dem salzigen vertauschend, zum vierten, dem fin« Nischen Golfe gerade gegenüberliegenden Arm des Ostseekreuzes wird. Die vierte Abtheilung, das „bothnische Meer" genannt, be« ginnt nördlich von den Älandsinseln und gebt bis zur Enge Quar. ken, die von der zwischen Wasa auf der Ostlüste und Umea aus der Westküste liegenden Scheereureihe bezeichnet wird. Jenseit derselben aberfolgt, als fünfte Abtheilung, der „bothnische Busen" im engeren Sinne. Jene ist. von der Alandsgruppe ab. mit Ausnahme der allernächsten Küstenstrecke, fast ganz insclfrei und viel weniger ge> salzen, als alle anderen Abtheilungen der Ostsee; diese aber, der Busen, ist gleichsam ein geschlossener Sack, und erscheint, von ziem» lich ebenem, sumpfigem Lande, mit dürftiger einförmiger Vegetation umgeben, beinahe wie ein Landsee.— Der finnische Busen, der nach Osten zu weit inö feste Land dringt, an seiner nördlichen Grenze sich schlangenartig durch eine Menge von Klippen und Inseln win» det, ist eine sechste selbständige Abtheilung. Höhenlage und Tiefe. Lange Zeit hindurch nahm man als gewiß an, daß das baltische Meer höher läge. als der benachbarte Theil des Oceans, die Nordsee. Vielfache Sagen über das Verhältniß und den natürlichen Zusammenhang beider im Südtheile der cimbrischen Halbinsel haben sich erhalten und geben noch ebensoviel Gelegenheit zur Forschung, wie die Behauptung der großen cimbrischen Fluth. Gewiß ist übrigens, daß eine solche Verbindung in historischer Zeit noch bestanden hat, aber wahrscheinlich, daß sie schon damals, wie jetzt durch den von 1777 bis 1784 erbauten holsteinischen Canal, ein Werk der Kunst und nicht der Natur gewesen ist. Sie hatte, mittelst der Eider, des See's Flemhud und des Flüßchens Lewenzau. das in denBusen von Kiel mündet, stattgefunden. Wann sie aufhörte ist ungewiß, doch findet sich schon 1660 ein Plan zu ihrer Wiederherstellung. An den Schleusen der heutigen Verbindung gelang es geschickten Geographen, 11. Kap.) Höhenlage und Tiefe der Ostsee. 167 bis zur Unumstößlichkeit den Beweis festzustellen, daß die Niveaus beider Meere im gewöhnlichen Zustande dieselben sind, und daß die geringe Verschiedenheit, die man einige Male bemerken kann. gewiß aus zu« fälligen und vorübergehenden Gründen herrührt, da keinerlei andere Spur, als die wechselnde Aus- und Einströmung des baltischen Was« sers in das Kattegat, eine Erhebung des Bassins vermuthen läßt. Nach Professor Schouw ist das Verhältniß der Tage, an denen das Wasser zur Ostsee einströmt, zu denen, an welchen es ins Kattegat hinaustreibt, wie 1: 2,4. Zum Theil wenigstens wird dies durch den Ueberschuß des zuströmenden Wassers über das durch Verdampfen ver» schwindende hervorgebracht; jenes Zuströmen aber hat seinen Grund in der Abdachung des Landes im nordöstlichen Deutschland. Preußen, Polen. Rußland, Schweden und Dänemark. Die dichterische Phrase vom „tiefen Meere" ist auf das baltische durchaus unanwendbar, sobald man es mit andern g»oßen Armen des Oceans vergleicht. In sich selbst sehr verschieden, bemerkt man gleich eine Tiefenabnahme, sobald man aus der Nordsee, wo überall 120 bis 150 Faden von der Lothleine ablaufe», in das Kattegat fährt, und findet sie bei dem Eingehen in die wirkliche Ostsee noch in die Augen fallen, der. In keinem Theile des Westens. zwischen Kopenhagen und Born« Holm, erreicht die Sonde eine Tiefe von dreißig Faden. Unter dem Parallelkreise von Memel findet sie ihre äußerste Grenze immer noch unter sechzig Faden, und die Tiefe ist im Allgemeinen um Vieles ge« ringer. Weiter hinauf nach Norden wächst sie. und erlangt als Maximum, zwischen der Insel Gottland und der russischen Küste, 150 Faden; weiter nach Norden und auch im finnischen Golfe aber noch nördlicher mindert sie sich. Südwärts dieses Busens, wo der Handelsverhältnisse halber die Frage nach seemännischer Bequemlichkeit den höchsten Werth hat. giebt es keinen Hafen, der ein Schiff aufnehmen könnte, das mehr als'zwanzig Fuß Tiefgang hat. und die meisten sind schon Schiffen ver-schlössen, die mehr als fünfzehn bis sechzehn Fuß im Wasser gehen. Daher wird auch der Handel selbst mit den entferntesten Gegenden in ver. haltnißmäßig kleinen Fahrzeugen, oder durch Weitersendung der Frach. ten in Lichterschiffen aus nur vermittelnden Häfen betrieben,— in allen Fällen ein augenscheinlicher Nachtheil für die Handeltreibenden. Ißg Höhenlage »nd Tlefe der Ostsee. l2. Vuch. — Die nördlichen Häfen sind tiefer, aber sie gehören Gegenden an. die geringeren Werth hinsichtlich ihrer Producte haben und daher nur wenig auswärtigen Handel treiben. Die Baien und Buchten wechseln schnell in ihrer Tiefe zwischen zwanzig, fünfzehn, zebn. sechs vier und zwei Faden; in der „oberen Oftsee" finden sich zwei Aus« nahmestellen, an denen man die Sonde hundertundzehn und hundert» undfunfzehn Faden ablaufen lassen kann. Diese allgemeine Seichtigkeit oder mindestens Untiefe der Ostsee wird mit großer Wahrscheinlichkeit den ungeheuren Massen von abge-spülten Landtheilen zugeschrieben, welche die Stlöme. die sich beson. ders auf der skandinavischen Teite in größerer Anzahl, als in irgend ein anderes Becken gleicher Ausdehnung, in sie ergießen, als Schlick und Grand mit sich bringen. Die oft ganz plötzlich und ohne jeden Uebergang bemerkbar werdenden Ungleichheiten des Grundes haben dagegen wohl jedenfalls ihren Ursprung in jener Revolution gefunden, die das erste Bett des baltischen Meeres an der Ostseite des fkandina« vischen Urgebirges grub; denn sie rühren von dem Geröll her, welches das Urthal mit Blöcken und riesenhaften Bruchstücken besäte, die jetzt als Inseln, Bänke, Klippen ihre Gipfel aus der Oberfläche des Wassers theilweise hervorstrecken, und anderntheils sich gefahrdrohend darunter verbergen. Mitunter in gewissem Sinne lange, ausgedehnte Ketten bildend, wenn auch zerrissen und unterbrochen, und sich selbst den Gebirgen, Hügelreihen und steilen Gestaden des Festlandes in lhrer Richtung anschließend, scheinen diese Zeugen der gewaltigen Um« wälzung in allgemeinen. großen Zügen die Richtung ihres Sturzes zu verkünden. — An der Austeichung, wenn man diesen Ausdruck ge< brauchen darf. der gemeinschaftlichen Tiefe, arbeiten zweihundertund-funfzig Ströme, die in mehr oder minder langem und heftigem Lauf ihren Weg in die Ostsee finden. Selbst die anscheinend unbedeutend, sten unter ihnen haben tiefe Betten und gleichen mächtigen Strömun. gen. namentlich in der Frühlingszeit, wenn die rückkehrende Wärme die hoch aufgehäuften Schneemassen, welche die ganze Oberfläche des Nordens im Winter bedecken. schmilzt und flüssig macht. Sie füt/ren dann eine ungeheuere Masse von Schlamm und Sand durch ihr reißen, des Wasser hinein in das gemeinschaftliche Becken, und sehen sie an It. Kap.1 Die Kiistensäume der Ostsee. 4ßy ihren Mündungen als Bänke und Untiefen ab, die dann von den an, dringenden Salzwogen weiter vertheilt werden. Küstensäum c. Im Widerspruch mit anderen Binnen - oder Mittelmeeren bieten die Ufer des baltischen einen Wechsel der verschiedensten Ansichten dar. Jene sind, wie z. B. das südeuropäische mittelländische Meer, das rotheMeer, der persische Golf und alldere, gewöhnlich in nur geringer Entfernung mit mächtigen Gebirgsreihen umgürtet, oder von hohen Tafelländern begrenzt, die meist ihre jähen Abhänge dem Tpiele der Wogen darbieten; die baltischen Küsten haben aber nirgends eine wirk« lich große Erhebung und kühne und rauheKlivpen sind nur Ausnahme von der an der Uferlinie herrschenden Regel. Das Hochlandssystem der skandinavischen Halbinsel hat freilich eine beträchtliche Höhe er« reicht, und bildet eine scharf gezeichnete, leicht erkennbare Grenze, aber der höchste Kamm seiner Gebirgszügc fällt nur nach Westen bin plötzlich und jäh ab, während sie stufenweise, wie versteinerte, riefen« artige Meercswellen, von der östlichen, baltischen Seite aus aufstei« gen. Die Klippen. Inseln. Inselchcn und Fclftnmaueru. die der schwedischen Küste vorliegen, sind ebenfalls nur eine niedere Stufe zu dem sich gleichsam wellig erhebenden Kamme Norwegens und haben keine Höhe von der geringsten Erheblichkeit, gestalten aber das Meer in bunten: Wechsel zu langen, schmalen Armen, breiten Kesseln. Becken Golfen, Baien und Engen, bald stillen Landseen, hald reißenden Strömen gleichend. Die am tiefsten einschneidenden Busen Bothmcns und Finnlands sind von niedrigen, sumpfigen oder sandigen Gegenden breit umsäumt, u»d der Nordosten und Osten zeigt keine andere Er» Hebung bis zum Ural, als in weiter Ferne die kaum sichtbare des stromscheidenden Manselkarückens und Waldaiwaldes. Der Rest der baltische» Küsten rundum, von der Bucht von Riga bis zu den Vclten und dem Sunde, ist, die Höhenverhältnisse des baltischen Meeres selbst zum Maßstabe genommen, eine flache, nur von Dünenhügeln, versprengtem Geröll und ungeheuren Kesselschickten bedeckte, schwach markirte Grenze des Meeres gegen die große europäische Ebene. die südoftwärts und südwärts dann durch den Wolchonski-Lics, das Hoch, 179 Die Kllstensäume der Ostsee. 12. Vuch. «birg« der Karpathen, die waldreichen Sudeten, und nach Südweft und West durch den nackten Haiderücken Hannovers, Lauenburgs und das Moorland Holsteins, Schleswigs und Iütlands geschlossen wird. Diese Abwesenheit schützender Hochlande erklärt viele der schon ober« stächlich berührten Eigenthümlichkeiten der baltischen Region, die zahlreichen Ströme, die ungeheuren Schneemassen, die Sandbänke und Dünenreihen, den verhältnißmäßig schwachen Salzgehalt des Meer« wasserS. Den Südwestwindcn, die mit warmer Feuchtigkeit vom atlantischen Ocean geschwängert herüberwehen, ebenso frei ausgesetzt, wie den trocknen und kalten Stürmen, die vom Eismeere über die weiten schneebedeckten Ebenen des nördlichen Rußland und die wüsten asiatischen Steppen brausen, ist sie der Schauplatz der Kämpfe beider um die zeitweise Obermacht, und leidet unter ihrem häufigen und plötzlichen Wechsel an einer Ueberfülle von Niederschlag, der sich der herrschenden Jahreszeit entsprechend in der Form von Schnee oder Regen darstellt. Zwölftes Kapitel. Phänomene: Wasserabnahme.— Küstenernebung. — ssluth und Ebbe.— Meeranschwellung. — Strömungen. — Strudel. Welle und Woa,e. — Vrandung. — Winde. — Niederschlag und Wasserhosen. — Wasserfär» bun«. — Nebel. — Spiegelung. — Meeresleuchten. — Chemische Beschaffenheit des Wassers. — Wassertemperatur. — Meereis. — Dauer der Winter. — Steinwanderungen. — Nachtheile. — Jahreszeiten. — Thauwetter. — Klimatischer Einfluß auf die Vegetation dcS Küstenlandes Phänomene. Wie bei allen Meeresbecken die Phänomene in vielfachen Beziehungen der Aufmerksamkeit würdig find, find sie es auch bei dem bal-tischen, ja bei ihm in Folge ihrer Eigenthümlichkeit mehr als bei anderen. Der Physiker muß sie studiren, um ihre Verbindung und ihren Zusammenhang mit den Phänomenen des umgebenden Landes, um ihr wechselseitiges Verhältniß, ihre Ursache und ihre Wirkung zii ergründen, und so die Gesetze der Natur sicherer erkennen und begreifen zu lernen; der Schiffer aber muß fie beobachten, um seine Fahrt nach t2. Kap.j Phänomene: Wasserabnahme. 171 der Kenntniß derselben einzurichten und der Folgen seiner klug be< rechneten Manoeuver sicherer zu werden. Viele dieser baltischen Phä. nomene erzeugen Wirkungen, von denen die Phantasie und das Ge< müth des Menschen gewaltig ergriffen werden muß und die den Dichtern und Malern herrliche Bilder zu liefern vermögen. Wasserabnahme. Die merkwürdigste Naturerscheinung, welche das baltische Me« darbietet, ist unstreitig jene, welche man seit wenig mehr denn einem Jahrhundert durch Beobachtungen zu Resultaten geführt sah. während schon früherhin Andeutungen davon in einzelnen Werken zu finden waren, die aber dennoch angefochten, bestritten und geleugnet wurden und einen Kampf für und wider erregten, welcher sich bis weit in unser Jahrhundert hinein fortsetzte. Es ist dies die Wasserabnahme dieses Meeres oder das allmälige Sinken seines Niveaus. Nach Berechnung der Physiker sollte diese Verminderung seit zwei Jahrtausenden bestehen und noch ungefähr viertausend Jahre fortdauern, ehe der ganze baltische Kessel trockengelegt wäre. Eine solche Voraussicht, die natürlich schon lange vor diesem drohenden Zeitpunkte die baltische Schiffsahrt in immer engere Grenzen bannen müßte, war wohl geeignet, die Gei» fter zu entstammen, Parteien und berühmte Gegner zu schaffen, die Aufmerksamkeit ans die allgemeine Verringerung dcs Meereswaffers zu richten, und immer wieder vorzugsweise den baltischen Regionen zuzu« wenden. Wirtlich haben auch die nördlichen Küsten des baltischen Meeres sich des gesteigerten geologischen Interesses werth gezeigt, und sind zum Beweise eines bis zum gegenwärtigen Augenblicke fortdauern» den, allmäligen Processes geworden, der die stufenweise Veränderung der relativen Höhe der Meeres- und Landesoberftäche erzeugt. Die auf der ganzen Erdoberfläche sich darbietenden und auch für denUngelehrten augenfälligen Spuren des ehemaligenVorhandenseins von Meereswasser in beträchtlichen Höhen hat von jeher den mensch, lichen Geist bestimmt, über den Ursprung der Dinge zu grübeln. Die unverkennbaren Reste von Seethieren auf den hohen Gebirgskämmen und Berggipfeln regten aber nicht allein die kindliche Neugierde zu sehr phantastischen Annahmen über die Entstehungsgeschichte der 172 Andreas Celsius. 12. Vuch. Erde und ganz abenteuerlichen Kosmogonteen an, die den verschiedenen Religionssystemen zu Grunde liegen, sondern führten auch den mehr logischen als dichterischen Denker zur richtigeren Kenntniß der Natur. So wurden die secundairen Gebirgsketten mit ihrer großen Ausdehnung als klar bewiesene und unleugbare Arbeit der Meeres« wogen erkannt und man erhob zur Gewißheit, daß mehrere wechselnde Revolutionen die Begrenzungen der Continente und Meere geändert hatten. Da diese Revolutionen in jene Zeitabschnitte hinaufsteigen, aus denen keine historischen Monumente mehr übrig blieben, so liefer« ten gerade sie den Conjecturen und Hypothesen ein weites Feld. Andreas Celsius, ein gelehrter Schwede, aus einer Familie stammend, die ihrem Lande mehrere Größen im Reiche des Geistes schenkte, beobachtete zuerst genau eine wirklich noch anhaltende Verän» derung des baltischen Meeresniveaus; erwarb dazu angeregt durch die seinem beobachtenden Blicke nicht entgehenden Arbeiten der Natur selbst. Jene vor ihm schon vorhandenen Andeutungen dieser Thatsache, die sich in einzelnen Schriften vorfinden, können ihm seinen Ruhm nicht streitig machen, denn nicht Der, welcher zuerst einen Gedankenkeim hat. und auch selbst Der nickt, welcher ihn in der Stille ausbildet und selbst zur praktischen Anwendung bringt, sondern allein Der, welcher diesen Gedanken zur völligen Klarheit für sich und Andere gebracht, seine ganze Bedeutung erkannt, und Kraft und Muth genug gehabt bat, öffentlich damit aufzutreten, der alle Zweifel und Einwände er« duldet und durch Beweise entkräftet, der nur zu oft Täuschungen über die Anerkennung der Zeitgenossen erfahren hat, Der, der ist es, dem die Ehre einer Entdeckung oder Erfindung zukommt. Sie gebührt also Celsius, denn die Niveauveränderung des Meeres im Verhältniß zu Schweden ist eine bewiesene Thatsache, wenn schon die Gründe derselben von ihm nicht erkannt wurden*). *) Andreas KelfiuS war 1705 ,u Upsala, als Sokn eines Professors der Astronomie, geboren. Er stndirtc mit großem Eifer und Erfolg die mathematischen Wissenschaften und wnrdc im Alter von 25 Jahren Professor der Astronomie. Nachdem er 1732 in das Ausland gereist war. hielt er sich in Paris auf. und wurde znr Begleitung der Expedition nach Maryland erwäblt. die von Manpertuis. Clailaitt.'Le Monnier und Nuthier ausgeführt wurde. Celsms mußte dazu in London die Instrumente besorgen. Ludwig XV. gab ihm wegen der dabei geleisteten Dienste 12. Kap.) Beobachtungen Celsius' liber Wasserabnahme. 173 Beobachtungsreisen, welche Celsius 1724 entlang den Küsten des bothnischen Oceans unternahm, gaben ihm die Gewißheit, daß sich die« selben in historischer Zeit und selbst nach dem kleinen Maßstabe mensch, lichen Gedenkens so trocken gelegt hätten, daß die Städte Huddiks» wall, Pitea, Lulea, Tornea, dem Leben und Blüthen erzeugenden nassen Elemente nachgerückt werden mußten. Der 1620 angelegte Ha. fen von Tornea lag jetzt weit vom Meere entfernt und diese Thatsache sehte ihn in Verwunderung. Auf seine eifrige» Erkundigungen versicher» ten ihm alte Schiffer, daß dort, wo sie jetzt kaum mit kleinen Kähnen landeten, früherhin große Fahrzeuge gelegen. Weitere Untersuchungen führten auf die Entdeckung von Schiffstrümmern, von Ankern, von in Felsen angebrachten Ringen, an denen einst Schiffe befestigt worden wa» ren, in und neben den fern vom Meere befindlichen Sümpfen beiLangela, Wasa und anderen Orten Finnlands. Hierin sah nicht allein Cel. sius die Gewißheit, daß die Salzftuth dem Festlande einen Theil ihres Terrains zu überlassen genöthigt worden war, sondern er wagte auch, anknüpfend an die Lage des Hafens von Toruea, und an Felsen, aus denen Seehunde, die nie das Niveau des Nassers übersteigen, ge« tödtet worden, zu einer Berechnung der Wasservermtnderung zu schrei» ten. Die Felsenspitze von Numskär, nahe der Insel Iggan, war der historisch festgestellte Platz, auf welchem 1563 durch einen Bauer Ricknits ein Eeehund getödtet worden, und 1731 ergab sich, daß dieser Stein nach genauester Untersuchung bei mittlerem Wasserstande volle acht Fuß über der Meeresfläche lag. Dies und ähnliche Beobachtun. gen, die bei Löfgraud und Steeubeck veranstaltet wurden, führten nun Celsius zu der Veröffentlichung des Resultats, daß: „Seit undenklichen Zeiten eine Verringerung der Meereswassei stattgefunden hätte, sich allmälig in der Dauer der Jahrhunderte fort. setzte, und zwar in dem Maße von 45 Zoll in hundert Jahren." eine Pension von 8000 Livrct jahrlich. Aus Lappland zurückgekehrt, baut« Celsius auf seine Kosten in Np,ala ein Observatorium. Knrz darauf gab er den Plan und die Instruction fnr dcn Entwurf der Seekarten von Schwe» den heraus. Außer seinen Denkschriften über die Mcereövcrrinaerung (Ne-eueil üe 1'^eaäemie äez 8eionce8 äe 8tockr»o1m 1744) ,chrieb er la« teinische Beobachtungen über das Nordlicht; noer die Rückkehr der Ko. Mtten; die Revolutionen der Hinmulölörper lc. «. Lr starb 1744. 174 Celsius' Theorie nber Wasserabnahme. s2. BuK. Bet dem mächtigen Ruf, den Celsius durch seine lappländische Reise, die Begründung des Observatoriums zu Upsala. die Leitung der physikalischen und mathematischen Studien daselbst genoß, und der ihn als ein Licht seines Vaterlandes und Jahrhunderts betrachten ließ, verfehlte diese Behauptung nicht, in Schweden wie in der gan« zen mit den Naturwissenschaften befreundeten Welt das höchste Aufsehn zu erregen. Anhänger strömten augenblicklich seiner Meinung zu und wurden eifrige Parteigänger für dieselbe. Der berühmteste Lands, mann ihres Begründers, der die Natur in ihren Tiefen erfassende Linue, pflichtete ihr bei, und machte sie. wie er selbst, zur Grundlage wei-terer geistiger Speculationen *). *) Ermuthigt durch seinen Erfolg nahm der Geist des Celsius einen nock kühneren Flug, und schwang sich zu der Vebauptung des endlichen gänzlichen Verschwindens alles Wassers auf. Von dieser Annahme war nur ein leichter Schritt zu dem Versuche, den Widerspruch in den Vorstellungen beider Haupttheorien der Geognosie zu löse», oder wenigstens die Grundsätze der Vnlkanisten und Neptunisten über die Veränderungen, denen die schon vorhandene Erde unterworfen, bis sie ihre jetzige Gestalt erreichte, zu einem sich ergänzenden Ganzen zu vereinen. Er stellte sich eine periodisch wechselnde Ueberschwcmmung und Verbrennung unseres Erdballs, sowie der übrigen Planeten, vor, mit einem Mittclzustande zwischen diesen beiden äußersten Extremen. Die Flüssigkeiten verringern sich all» mälig; der ausgetrocknete Planet erhitzt sich bis zum schlicßliclien Lntftam« men; eine unermeßliche Menge von Dämpfen wirbelt aus den Flammen empor und löst sick endlich wieder in Wasser auf. das herabströmcnd von Neuem die festen Theile überschwemmt. — Unsere Erde befindet sich jetzt in diesem Miltelzustaude. Wenn das Wasser fortfähit. sich in demselben Maßstabe zu verringern, der sich bis jetzt beweisen läßt, dann dauert für . sie dieser Mittelznstand stets sechs Jahrtausende. — „Merkur ist der Sonn« zu nahe. als daß wir" — fügt Celsius, hinzu — „seinen Zustand zu er« kennen vermöchte». Mit Venus ist das nicht der Fall; ihre Arbeit ist unveränderlich; die Oberfläche ist ausgetrocknet, die sie umgebende 3uft reiner; es befindet sich dieser Planet änch in eine», Mittelzustande, aber der Verbrennung näher.^ Die Arbeiten des Mars sind weniger beständig. Er hat noch etwas Wa»er. das ihm aus der Ueberschwemmung geblieben, ist aber der Entflammung schon näher stehend, als die Erde. In» piter ist ungefähr mit unserem Erdball aus gleicher Stufe. Die Ttrei« fen. die wir in ihm entdecken, sind Meere, deren aufsteigende Dämpft nns zuweilen seinen Anblick rauben. Der Ball des Saturn ist möglicherweis« der Keru eines größereu Planeten, dessen Rinde oder verbrannte Oberfläche den Ring gebildet hat. Die dunkle iiinie, welche ihn in zwei Theile zerlegt, kann ein festerer Theil, als die übrigen, sein. der noch nicht gebrannt hat. Eassini hat beobachtet, daß die Streifen in weiterer Entfer» nung von dem Planeten liegen; es sind Wolken, und da man leine wei» tere Arbeit in dem Saturn zu entdecken vermochte, ist es wahrscheinlich. l2. Kav.1 Olaus Dalins Beobachtung über Wasserabnahme. 17K Auch ein anderer hochgeschätzt« Gelehrter Schwedens erkannte die hohe Wichtigkeit der Celsius'schen Entdeckung augenblicklich an, trat ihr bei, und bekräftigte sie durch ein als gewichtig von den Zeit« genossen anerkanntes Zeugniß. Es war dies Olaus Dalin, gerade damals mit der Abfassung der Geschichte seines Vaterlandes beschäf. tigt. Er wies nicht allein durch Ortsnamen für Städte und Dörfer auf festem Lande, die nicht unmittelbar am Meer und an Flüssen lagen, und dennoch auf die Bezeichnungen: Vik (Bucht), Sund, ForS und Ström ausgingen, das frühere Vorhandensein eines höheren Meeresspiegels nach, sondern brachte auch einen scheinbar historischen Beweis dafür bei. Auf einem nicht weit vom Meere entfernten Felsen entdeckte er eine Inschrift, die von einem gewissen Isloy oder Isle zur Bezeich« nung des Meeresniveaus in das Gestein gegraben war. aber 1746, wo Dalin sie abschrieb, sieben und eine halbe Elle über den Wasser« stand erhoben war. Eine Iahrzahl enthielt die Inschrift nicht, aber genaue und mit aller historischen Kritik angestellte und gesichtete Er» daß dieser Planet übeychwemmt ist. Unser Mond befindet fich ungefähr auf demftlben Punkte, wie die Benus; man sieht in ihm weder Meere noch Flüsse: man entdeckt daselbst nur weite Höhlen, tiefe Thäler, und Gebirge von ungeheurer Hohe; er hat eine sehr reine Luft. ohne Dämpfe und Gewölk." — Auch die Kometen, die übrigen Sterne und selbst die Sonne säucnen Celsius denselben Wechsel uni regelmäßige Perioden der Verbrennung und Ueberschwemmung zu haben. sinne ließ sich auch hierin von Celsius, seinem Genossen und Freunde, leiten und stellte seine hochpoetiscke Erdumwaudlungstheoric auf diesem Boden auf. Nach ihr hatten die Wasser, über denen der Geist Gottes schwebte, den Ball der Erde bedeckt, sodaß nur unter dem Aequator eine Insel aus der wogenden Fläche emporragte. In ihrem Mittelpunkte be« fand sich ein hohes Gebirge, welches von seiner Grundfläche bis zum Gipfel alle Gradabstufungc» der Temperatur besaß. In diese» verschie» denen Klimate« wurden die Gewächse aller Arte» geboren, und ein Pär« chen jedes Thieres geschaffen. Auf diesem Gebirge hielt der Allvater die Schau über seine Schöpfungen ab, und benannte sie. Bald ab»r began« neu von hier ab, die Wasser sich in feste Theile zu wandeln. Die Erde vermehrte und das Feuchte verringerte sich; neue Gebirge entstanden so und beherrschten die Meere. Die Thiere konnten sich vervielfältigen; die Flüsse die Winde, die Oceane trugen die Vamen der Pflanzen vom Ae« quator'bis zu den Polen. Der Thon ist der Boden,ak des Wassers, der Sand die Krystallisation desselben; durch anderweitige Modisuatlonen und Amalaamirungen ist der Sand zu Steinen umgebildet. DaS Verrinnen und die Umwandlungen des Wassers find dauernd, «nd daher die von Celsius festgestellte Wasserverminderung. ..^ Streit über Wasserabnahme. ft. Vuch. Mittelungen führten an dieser Stelle im dreizehnten Jahrhundert auf einen Mann, derGisleElinson hieß. Diese Entdeckung dünkte Dalin wichtig genug, um die Meinung des Celsius zur Grundlage einer «euen Chronologie zu erheben. Indem er ein Bild der Urzeiten entwarf, stellte er die skandinavischen Lande zum größten Theile bis zu dem ersten Jahrhundert des christlichen Zeitalters unter den Fluthen begraben dar, und behauptete, daß man den sicheren Ursprung der Bewohner nicht höher als in jenes Zeitalter hinaussetzen könne. — Die Anhanger des Celsius leiteten aus dem tiefen Wissen und dem hohen Talente Dalins Nutzen für ihre Doctrin ab. Von einer andern Seite her erhoben sich aber Gegenbehauptun« gen; man führte, um die von den Verfechtern der Wasserverminde« rungstheorie angezogenen Beweise abzuschwächen, gewichtige Autori» täten, wiederholte Ersahrungen und vorzugsweise in Holland ange« stellte Beobachtungen an. Eine besondere Stütze des Widerspruchs bil« deten die Gesetze des Gleichgewichts, nach welchem die Oberfläche eines Meeres sich an einer bestimmten Stelle weder fortgesetzt heben, noch senken kann, ohne dies verhaltnlßmäßig auf der ganzen Oberfläche der Erde ebenfalls zu thun. Der Streit wurde so allgemein, daß sich selbst die Stände des Königreichs Schweden an dem wissenschaftlichen Processe betheiligteu. Die beiden Classen des Adels und der Bauernschaft woll» ten zu keinem Ausspruche schreiten, aber die Geistlichkeit schleuderte wie sooft in Schweden neuen gewichtigen Aufklärungen gegenüber, der ausgesprochenen Theorie ein Decret der Misbilligung entgegen, dem der Bürgerstand, in Furcht für seine behagliche Ruhe, beipflichtete. Im Allgemeinen begnügte man sich damit, die Proben, die durch Linien und Löcher, welche an ruhigen Tagen in der Höhe des Wasser« standes mit der Bezeichnung des Datums in Felsen gemeißelt wurden (schon 1731 begann Celsius selbst damit, und zwar an einem Stein Svartfidan pa viken, auf der Nordseite der Insel Löfgrand, an welcher Dali» 1746 die Bestätigung seiner Beweise fand), angestellt waren, zu verdächtigen und in Miscredit zu bringen; aber auch würdige wis» senschaftliche Behandlung fand die Frage. Browallius, der Bischof von Abo. stellte sich die Aufgabe, Celsius und seine Anhänger zuwider« legen. Er genoß, neben theologischer Gelehrsamkeit, weit ausgreifende l2. Kap.I Phänomene: Wasserabnahme. 177 physikalische und naturhistorische Kenntnisse, und bediente sich ihrer bei der Abfassung einer Abhandlung, die, mit den Resultaten seiner Untersuchungen versehen, nicht allein die Theologen, sondern auch mehrere ausgezeichnete Physiker für sich gewann. In Upsala und der schwedischen Akademie bekämpften zwei Parteien einander in äußerst lebhafter Weise, aber nicht, wie vor längerer Zeit einmal der Fall ge« Wesen, in unwürdiger Weise, sondern wie der mildere Geist der Zeit verlangte mit den Waffen des Geistes; sie suchten Beistand in Däne» mark und Deutschland unter den Gelehrten. Auch historische Beweise wurden im Interesse beider Parteien aus den Urquellen herbeigezogen, und verdanken diesem Streite ihre wich« tige und entscheidende Untersuchung. So sollte in Venedig eine Karte ezistiren, die nach den Berichten eines italienischen Reisenden, der den Norden mehrmals durchstreift hatte, gezeichnet sei, und auf der das baltische Meer eine viel bedeutendere Ausdehnung gehabt habe. als man jetzt an demselben kennt. Der Geograph Varenius behauptete, daß sich das Meer zurückgezogen habe, und vorzugsweise längs der preußischen Küste. Pontoppidan. ein trefflicher dänischer Schriftsteller, versicherte, einen ahnlichen Wechsel an dem Meeresftrande seines Vater, landes gefunden zu haben. An der schwedischen Küste hatten sich ehemals unter dem Waffer verborgene Felsen sichtlich und beständig über die Oberfläche desselben erhoben. Auch eine von dem preußischen Schriftsteller Hartknoch angeführte alte Tradition, daß einst in uralter Zeit das Meer sich bis zur Stadt Kulm erstreckt habe, und daß Danzig sich noch zweihundert Jahre vor ihm so nahe au dem Meere befunden habe, daß die Salzwogen zeitweise in den Straßen der Stadt gestuthet Hütten, führte man als Beweis an. Diesen und den schon vorher angeführten Argumenten des Celsius wurden von den Gegnern die hier folgenden Betrachtungen entgegengestellt. Der vor mehreren Jahrhunderten in Italien angefer« tigten Karte, deren Ursprung ungewiß ist, war um so weniger Werth beizulegen, als erst seit kürzester Zeit in Schweden selbst gezeichnete Karten die Buchten und Busen des baltischen Meeres richtig wiedergaben. Die Anschwemmungen und Terrainerhöhungen längs der Küste Dit Ostset. I. 12 476 Negative Veweise gegen s2. Buch. können ein Erzeugniß der unaufhörlich arbeitenden Wogen sein, oder Depots, welche die Macht des Winters als Reste des von den Flüssen herbeigeführten Eises hier zurückließ; als solche zeigen sie sich denn auch häufigen Veränderungen unterworfen, beweisen aber dadurch um so weniger eine allgemeine und constante Verringerung des Meeres« Niveaus, oder eine Wasserabnahme, als sie oft die Ursachen von Ueber« schwemmungen und gewaltsamen Einbrüchen an correspondirenden Landesftellen find. Dieser Ansicht sollten nach der Aussage Sucno Brings, auch die schwedischen und finnischen Lootfen sein, die eine Tiefeverminderung von fast drei Fuß innerhalb fünfzig Jahren zwi« schen den Scheeren behauptet hatten, und welche Celsius als Beweis angezogen. Was die an den Felsen eingegrabenen Höhenmarken betraf, hatten die Angreifer allerdings nur die schwache Waffe des VorwnrfS einer Ungenauigleit. es sei gar nicht festgestellt worden, ob die Strö« mungen und das periodische Wachsen des Meeres, als die zur richtigen Beurtheilung der Veckenoberftäche des baltischen Meeres so wesentlich nötbigen Phänomene, auch gehörig beobachtet wären. Anders mußten sie jedoch die Erhöhung jener Felsen betrachten, von denen es historisch feststand, daß sie einst den Phoken zum Ruheplatz gedient hatten, um aufihnen die Strahlen der Sonne wollüstig zu genießen, und desgleichen die Thatsache, daß Klippen, die den Wasserspiegel kaum in einzelnen Spitzen überragten, und ehemals von noch lebenden alten Leuten mit einem Hute bedeckt werden konnten, sich jetzt höher und inselartig als lange verbundene Steinreihcn oder Felsenrücken darstellten. Ihnen wurde entg eg net, daß fie dem mächtig einwirkenden Meere zu nahe seien, ihr Zusammenhang mit dem felsigen Grunde, also die Solidität ihrer Basis zu wenig bewiesen wäre. um sie in der That als ein so gewichti» ges Zeugniß betrachten zu können, als sie es auf den ersten Anblick zu sein schienen. Es können Geschiebe sein, die vom Meere hin und her gewälzt werden, uud wenn es wirklich zu beweisen ist, daß die Mehr« zahl, oder gar alle Klippen und Scheeren der baltischen Küsten nicht die Häupter eines fortlaufenden Gebirges, sondern lose, ungeheuere Blöcke find, die ihre Existenz von der furchtbaren Katastrophe datiren, welche auch die Westküste Norwegens zertrümmerte, so wäre Bedemar Vargas' Behauptung, daß die meisten nur an einzelnen Punkten auf l2. Kap.1 die Wasserabnahme. ' 179 dem Meeresgrunde lägen, auch zugleich eine Erklärung ihrer Erhebung über das Meeresniveau. Von den Wogen herbeigeführter Sand oder Geröll kann den Grund unter den hohlliegenden Stellen ausfüllen und den ganzen Block allmälig und im Fortschreiten unsichtbar heben, oder das bis zu dem Grunde reichende Eis eines scharfen Winters, das sich dicht an die Steinmasse anschließt und sie rundum umgiebt, nimmt, wenn es sich zum Thauen neigt, mit der gewaltigen Kraft, welche die Eisdecken der baltischen Fjorde mit donnerühnlichem Getöse steigen macht, den nicht mit seinem Stützpunkte verwachsenen Block plötzlich in die Höhe, und giebt ihm eine andere Lage. Solche Hebun» gen und Wanderungen in der Eisdecke eingehüllter Steine kommen auch auf den trockenen Stellen des baltischen Kessels, in den jetzigen Süß« Wasserseen der Provinz Ostpreußen, noch häufig vor, und an der schot, tischen Ostküste wirft das Meer oft Geschiebe auf die Ufer, die an Größe und Schwere vielen Klippen und Scheeren des baltischen Meeres gleichen. Die Leuchtthurmwachter und Lootsen kennen sie genau und nennen sie, wohl wissend, daß sie nicht Erzeugnisse ihrer Hoch« lande sind /„Travellers", d. h. Reisende. Die Boots« und Schiffstrümmer, Ankerreste und dergleichen mehr wurden gleichfalls als beweiskräftige Zeugnisse verworfen; sie konnten die zufälligen Ueberrefte einer einstmaligen innern Schiff« fahrt auf den Landseen und Flüssen Finnlands sein, und andererseits weiß man ja auch, daß bis in das Mittelalter hinein die Helden des Nordens, welche auf Seezügen Ruhm und Beute suchten, in ihren Fahrzeugen liegend, von kostbaren Schätzen umgeben, beerdigt wur» den. Die oben erwähnten preußischen Traditionen wurden mit Recht als höchst unbestimmt außer Acht gelassen, da ja auch die ältesten Chroniken das allgemeine Aussehn des Landes so darstellten, wie man es noch in unseren Tagen findet, und da alle Veränderun. gen vorübergehend und local waren, und in der Regel nur die Mündungen der Flüsse betrafen. Auch die authentisch bewiesene Nachrückung der Städte Huddickswall, Pitea. Lulea. Tornea war lein wirtlich brauchbares Zeugniß, da diese sämmtlichen Häfen nicht jähe nach dem Meere zu gesenkt sind und daher eine Versandung derselben um so mehr zuließen, als auch überall in ihnen kurz". 12* Igo Positive Btwtise gegen 12. Vuch. aber raschläufige Flüsse, oft mit starken Stürzen aus den Gebirgen kommend, die mitgeführten Sandmassen nicht in ihren Betten als Niederschlag absehen konnten, und sie vielmehr mit den Bestandthei» len, die das Meer durch seine ewige Oscillation vor den Mündungen derselben häufte, verbanden. Bei jäh abgesenkten Häfen fand nirgends eine Nachrückung der Anlagen statt. Die sich auf Wick, Sund u. s.w. endigenden Namen von der Küste entfernter Orte, wurden mit Recht wenig beachtet, da die Namengebung oft von Zufälligkeiten abhängt und nicht selten Sache der Laune ist. Außer diesen negativen oder Entkräftungsbeweisen schritten die Gegner der Verringerungstheorie auch zu positiven oder Bekräfti' gungsbeweisen des physikalisch unumstößlich festen Grundsatzes, daß wenn das Meer an einer einzelnen Klippe sinke, hydrostatisch noth» wendigerweise an der ganzen Küste ein Gleiches geschehen müßte, was aber nirgend beobachtet war. So zog man die Angabe des Snorro Tturleson an, nach welcher König Olaus von Norwegen in den Mälarsee eingedrungen war, und seine Schiffe dort durch eine aus Baumstämmen und Steinen zwischen diesem und dem Meere er« richtete Schranke festgehalten sah, bis er durch Graben eines Canals den Ausgang wiedergewann. Nach den trefflichen von Sturleson mitgetheilten Details hat man nun Berechnungen angestellt, aus denen hervorgeht, daß im elften Jahrhunderte, in welchem diese Ez« pedition stattfand, das Niveau des baltischen Meeres sowie das des Mälais dasselbe war, wie es sich jetzt zeigt. Der gelehrte Marelius hat die gegenseitigen Beziehungen beider Wasserbecken durch die ge» naueften Untersuchungen festgestellt und bewiesen, daß sie seit der Zeit, von welcher man Kenntniß haben kann, keiner Veränderung unter« legen find. Ebenso verhält es sich nach ihm mit den anderen Landseen Schwedens, die ihren Ablauf in das baltische Meer haben, und man kann daraus schließen, daß keine fühlbaren Revolutionen in den Be> grenzungen des Wassers und Landes stattgefunden haben. Dieses Argument gewinnt eine neue Bekräftigung, wenn man die Betrachtung daraufrichtet, daß der Fall der Flüsse derselbe geblieben ist, daß sie weder langsamer noch heftiger strömen, sich auch nicht in ihrem Lauf oder in ihrerAusdchnung merklich geändert haben, und sich 12. Kap.1 die Wasserabnahme. Igz auch keineswegs mit starken Wasserfallen in das viel tiefer liegende Meer ergießen. Auch die Brunnen, welche längs der bewohnten Küsten gegraben sind. haben sich immer in derselben zum Wasserspiegel des Meeres und der Landseen bezüglichen Tiefe erhalten. Reverdyl, ein gelehrter Schweizer, der sich lange Zeit in Kopen« Hagen aufhielt, wählte die Insel Saltholm, die wir schon erwähnten, zu interessanten Beobachtungen, welche er in seinen Briefen über Dä< nemark gegen die Celfius'sche Theorie veröffentlichte. Saltholm ist regelmäßig, im Herbst und Winter dauernd überfluthet und bietet nur im Sommer ein reiches Weideland den herrlichen, glatten Rinderheerden der Amacker Bauern dar. Seine Lage ist also der mittleren Höhe des Meeresspiegels gleich. Nun ezistirt, eine Urkunde, nach welcher bereits im Jahre 1230 Saltholm dem Bischof von Roeskilde abgetreten wurde, und eine andere, die im Jahre 1280 den Einwohnern von Kopenhagen erlaubte, die Steine von der Insel wegzuholen, die der Boden derselben enthielte. Der Hypothese des Celsius zufolge, müßte Saltholm nun entweder eines viel jünger« Ursprunges sein, als ihm jene Uikunden unzweifelhaft beilegen, oder nach jenem für das Sinken angenommenen Maßstabe mindestens zwanzig Fuß unter dem Wasserspiegel gelegen haben, da jetzt nur noch eineVermin« derung um wenige Fuß es ganz gegen Überschwemmungen schützen würde. In einer Epoche, in welcher man sich gerade wieder mit der groß» ten Wärme der Discussion über das Sinken oder Nichtsinken der Meere hingab, veranlaßte der Professor Peter Adrian Oadd, Physiker und Chemiker an der Universität Abo in Finnland, eine wichtige Unter« suchung, deren schlagendes Resultat er veröffentlichte. Er ließ auf der finnischen Küste, unweit von Abo, auf sehr festem Boden eine Anzahl Eichen und Tannen fällen. Es ist bekannt, daß sich an dem Holze dieser Bäume ihr Alter durch die innere Structur nachweisen läßt. in. dem dasselbe jährlich eine stets erkennbar bleibende Schicht ringförmig ansetzt. Gadd ließ nun die gefällten Bäume sorgfältig durchsägen, die Jahresringe genau zählen, und sie ergaben für die verschiedenen Bäume ein Alter von zweihundcrtfunfzig bis dreihundertzehn Jahre. Die Höhe ihres Standpunktes über dem Meeresspiegel zu ihrer Fal- 1ß2 Die Wa sserabnahme. p. Vuch. lunaszeit betrug zwischen einer Viertelelle und zwet Ellen. Entweder lonnten also die Bäume, wie es ihre Natur beweist, hier nicht wachsen, denn schon feuchtes Terrain vertragen sie nicht, viel weniger ein Em« vorschießen aus dem Meeresboden selbst, oder man ist zu dem Schluss« berechtigt, daß diese Stellen, zu der Zeit, in welcher sie keimten, und die von ihren Jahresringen hinreichend genau bezeichnet ist, schon ebenso gut über der Wasserfläche lagen, als heut zu Tage. An ande« «n Orten wurde das Experiment wiederholt und führte zu gleichem Resultate; man sah sogar unter dem Meeresspiegel einen Eichenstubben, in welckem ein altes Messer steckte, und der somit ein Steigen des Wassers an dieser Stelle bewies. Was trotz aller dieser Untersuchungen noch immer viele Gelehrte an der Idee der baltischen Wasserverminderung festhalten ließ, war der Glaube, daß das Niveau dieses Meeres höher läge, als das der Nordsee. Admiral Nordcnanker betrachtete daher die Hypothese aus diesem Gesichtspunkte. Er stellte sich die Ostsee als eine größere Art Landsee, der höher als der Ocean läge, vor, und der eine so unge» heuere Menge Flußwasser empfinge, daß er sie in seinem engen Becken nicht behalten könne. Er datirt dann die begonnene Verminderung aus jenen alten Zeiten, in denen sich durch eine der großartigen Erd» Umwälzungen die Communicationcn mit dem Kattegat bildeten, und gewährt ihr nur eine so lange Dauer, bis sich die beiden Niveaus in ein vollkommenes Gleichgewicht gesetzt hatten, sei es nun durch allmäli« ges Verlaufen, oder durch eine Ausdehnung der Grenzen desselben. Aber ungefähr zur selben Zeit, als Nordenanker diese Meinung aus-sprach, vernichteten die schon erwähnten trefflichen Beobachtungen bei Kiel und Tönningcn, durch die unumstößliche Conftatirung, daß eine solche Niveauverschiedcnheit dieser beiden Meere nicht stattfände, die» selbe in ihrer Geburt. Schulten, ein Schüler Nordenankers, neigte sich auch wieder dem Systeme der Verminderung des Wassers zu, gestand indessen ein, daß die angezogenen Beweise bis jetzt nicht hinreichend gewesen seien. Besonders behauptet er, daß die an den Felsen angebrachten Marken der Solidität und Genauigkeit entbehrt hätten. Die in einer ordentlichen Reihenfolge beobachteten befanden sich alle am bothmschen Meerbusen, 12. Kap.j Constatirung der Wasserabnahme. zgg wo Nordenanker und Schulten bei der trigonometrischen Vermessung desselben an ihnen folgende Resultate nachwiesen: Bei Ratan unterm 64. Grade der Breite in 36 Iahen 17 Zoll Verminderung ; An demselben Orte in ferneren 11 Jahren 5^ Zoll Verminderung; Bei Rebb, nahe Pitea, in 34 Jahren 17 Zoll Verminderung; „ Vargöe. nahe Waft, in 30 Jahren 14^ Zoll Verminderung; „ Löfgrand, im Nordweften von Gefle in nicht bestimmter Zeit 29 Zoll Verminderung. Die hohe Wichtigkeit dieser Beweise nicht verkennend, hat Schulten selbst neue Marken gezogen, und zwar an den Felswänden von Gottland und einigen andern Inseln, die durch ihre Lage in der Mitte der See geeigneter find, bestimmte Daten zu liefern, als die Felsen längs der Küsten in den verschiedenen Busen. Den genaueren Beobachtungen konnte es natürlich nicht entgehen, daß an der Skandinavien gegenüberliegenden deutschen Küste die baltische See, statt dem Lande zu weichen, erobernd in fremdes Ge< biet drang. Es schien eine Meeresbewegung von Nord nach Süd mit der Wasserverringerung zusammenzugehen, zu Gunsten Finnlands und des schwedischen Nordlands auf Unkosten des deutschen Bodens. Es wurde die cimbrische Fluth, die Mecklenburg und Dänemark einst unter Wasser legte, trotz ihrer hypothetischen und wenig soliden Exi» stenz, als Basis der neuen Behauptung aufgestellt. Es wurden die'' Schicksale Vinetas uud Julius, die von den Wellen verschluugen die Zeugnisse alter Cultur und reicher Kunstentwickeluug begruben, zu Beweisen genommen, und zwar vouMännern, wie Büsching, und, durch viele deutsche Zeugnisse verführt, auch Büffon, der sie unter die großen Erdrevolutioneu neptunischeu Ursprunges mit aufnahm. Seitdem aber schärferblickende Augen das Gestein an den Küsten Usedoms, das dichterischem und phantastischem Geiste als Ruine Vinetas gegolten, in ähnliche Granitblöcke verwandelten, wie sie den trockenen südlichen Boden des baltischen Kessels bedecken, seitdem sehr überzeugend klin, gende Raisonnements überhaupt das einstige Dasein Vinetas in Zweifel gestellt hatten, bedürfte man anderer Argumente, anderer That. fachen für diese Behauptung; aber sie fehlten nicht, und wurden durch ^n^ Vordringen des baltischen l2. Nuch. Beobachtung und auf wissenschaftlichem, streng kritischem Wege, mit deutscher Gründlichkeit, bis zur unwiderruflichen Gewißheit festgestellt. So ist es erwiesen, daß die Inseln Wollin und Usedom an der pommerschen Küste jährlich wcitergreifenden Überschwemmungen un. terworfen sind, und daß ein Theil ihrer Ufer, im betrübenden Gegen« satze jener Nordseeküften, die von dem durch die Wogen herbeigeführ« ten Landes- und Schlammtheilcn vermehrt und befruchtet werden, mit Diinensande bedeckt wird. den die auf« und abrollenden Wellen in Form und Lage verändern und weiter vorschieben, fodaß er grünen Wiesen die saftigen Gräser raubt, und nur dem Strandhafer dürftiges Wachsthum gestattet. Die Sandbank, welche sich jetzt vor dem Hafen von Swinemünde ausbreitet, ist noch in historisch klarer Zeit eine Landzunge von Usedom gewesen, und die nach Süden strebenden und mächtig kämpfendcn Fluthen erfordern beständige Ausbesserungen der Hafenarbeiten. Längs der benachbarten Küsten waren mehrere Ortschaften in unfeiner Zeit so häufig durch Überschwemmungen bedroht, daß sie weiter auf das Festland versetzt werden mußten, und einige wurden sogar ein Raub derselben, ehe sie geschützt werden konnten. Die jetzige kleine Insel Rüden, von Dünen und Untiefen umge« ben und auf einen sehr geringen Umfang beschränkt, hatte ehemals Häfen, Ankerplätze und eine Ausdehnung, die beträchtlich genug war, um mehrere große Dorfschaften zu enthalten. Im vierzehnten Jahr« hundert, 1308 oder 1309. bemächtigte sich das Meer. durch das Mittel einer Springfluth, einer Landzunge, welche Rüden mit der zu Rügen gehörigen Halbinsel Mönchsgut, verband, und erzeugte durch diese Überschwemmung die Seeftraße „Neuetief," die eine Aus« dehuung von fast zwei Meilen hat. Noch 1625 riß eine andere Fluth, von Norden her andringend, ein Stück Land von Rügen los, um es an einer anderen Stelle anzusetzen. Revolutionen ähnlicher Art hat. ten in der Umgegend von Barch, der ehemaligen Halbinsel Zingst, dem Kap Dars, an der mecklenburgisch - pommerschen Grenze statt. Auch an der preußischen Küste drang das Meer weiter vor und verschlang Ortschaften und Landesstrecken. Das heutige Samland ist nur noch ein Bruchstück seiner ehemaligen Ausdehnung, und die Be< wohner des Strandes klagen über jährliche Abnahme ihrer Aecker nach 12. Kap.) Meeres nach Süden. 185 der See zu. Ein klarer Beweis der Begründung dieser Behauptung ist durch die St.'Adalbertskirche geliefert. Sie ist Ausgangs des fünfzehnten Jahrhunderts durch den samländischen Bischof Johann den Ersten erbaut worden, und zwar nach den unbestreitbaren Ur« künden in der Entfernung von einer Meile zum Meeresufcr, während jetzt die Ruinen nur etwa noch hundert Schritte von demselben lie« gen. Auch die Küste von Schonen ist, wie bei der Bildung der Ostsee bemerkt wurde, nicht von den hier geschilderten Wirkungen des Mec» res verschont geblieben. Nuch einige Versandungen um die Insel Hwen herum, und in der Umgegend derselben, scheinen die Spuren einstiger Ueberschwemmungen. Von Ystadt bis Landskrona verdankt das Ufer seine Ausbiegung dem Wasser, und in geringer Entfer-nung des letzteren Ortes hat man gut erhaltene Bäume im Meere gefunden, die erst in unfernen Zeiten versunken zu sein schienen. An der in das Kattegat gehenden Küste von Schonen bis nach Norwegen hin sollen sich im Gegensatze zu der erwähnten Erscheinung Anschwemmungen abgelagert haben, und die Natur des dorti» gen Bodens, namentlich in der Umgegend von Uddewalla, in der schwedischen Provinz Bahus, macht dies sehr glaublich. Derselbe ist nämlich mit Muschelschalen und Resten von Secpflanzen bedeckt, die lebenden Arten zugehörend und nothwendig in der uns naheliegenden Zeit dort abgesetzt sein müssen. Diesen Punkten gegenüber fin< det man aber an den jütischen Küsten, und namentlich an der äußersten Spitze dieser Halbinsel, unter dem Wasser nicht nur Baume, sondern auch die Spuren einer alten Cultur. Der große Busen Lymfjord verengert und verbreitert sich wechselweise und seine Tiefen sind großen Aenderungen unterworfen. Aus allen diesen Beobachtungen hatte es sich der Gelehrtenwelt unleugbar herausgestellt, daß auch noch nach dem Schlüsse der großen Revolutionsepoche, die unserm Erdballe die jetzige Gestalt gab. mannigfache . die Verhältnisse verrückende. Aenderungen vorgekommen waren, die man nun einer Abnahme der ganzen Wassermasse zuschrieb. Wodurch fand aber eine solche statt? Durch Verfliegen vieler Wassertheile aus der Atmosphäre unserer Erde, und durch allmälige Verwandlung des Wassers in Erde, — lauteten die Antworten, Igß Vuch's Theorie der Küstenerhebung. 12. Buch. welche ein Räthsel durch Hypothesen zu löse» versuchten. Aber selbst bei Vertheidigung der ersteren, und wenn man die Aufzehrung der Wasserbestandthcile durch Vulkane, das Dasein der Vegetabilien, oder die Umwandlung in Dämpfe zugestand, die sich in frcmdc Sphä-ren verlören, blieb die Frage noch unentschieden und verwickelt genug. Da dämmerte im Jahre 1-802 in Playfair zuerst der Gedanke, daß möglicherweise nicht das Wasser, sondern das Festland der Grund des geänderten gegenseitigen Verhältnisses beider sei. Küste nerhebung. Sechs Jahre später, 1806, entschloß sich der tiefe, forschende Geist Leopolds von Buch, der nächst Werner der Schöpfer und Vater der Geologie zu nennen ist, die Frage gründlich und erschöpfend zu studireu. Zwei Jahre hindurch, bis 1808, durchstreifte er Skandi» navien nach allen Richtungen, und machte die Beobachtungen des Cel» fins undseiner Anhänger zum Fundament seiner Prüfungen. Die Spuren, welche die früheren Erdrevolutionen hinterlassen, verwarf er von vorn herein und ließ es sich um Beweise handeln, die aus den historischen Zeiten datiren. aus jenen Epocdcn, in denen die ver« schiedenen Theile unserer Erdkugel die Gruudzüge ihrer jetzigen Formen und Grenzen erhielten, in denen der Mensch seine Thätigkeit schon entwickeln, und gleichzeitig die Erinnerung an merkwürdige Begeben» hciten bewahren konnte. So fand er. von Lootscn und Fischern Bc« lehrung suchend, und selbst die Felsenmarken und Muschellager der lebenden Spccien auf den Küsten erforschend, daß die Beobachtungen des Celsius richtig seien. Da er aber das Sinken des Oiiseespiegcls allein als hydrostatischen Gesetzen zuwider erkannte, kam er, der ge< diegenfte Kenner des Erdbaus, von der Natur selbst und den von ihm erforschten geognostischen Grundgesetzen geleitet, leicht zu der den bisherigen Behauptungen entgegenstehenden Erklärung des Fac« tums. zu seiner Erhebungstheorie, die, so kühn sie anch Anfangs klang, sich später aufs Glänzendste bewahrheitete, und sein eminentes Talent ebenso, wie die Genauigkeit des von Celsius angeführten Maaßes der Veränderung herausstellte. Leopold von Buch vertun« dete, als neu gewonnene Ueberzeugung: „daß die ganze Gegend, 12. Kap.1 Bestätigung der Küstenerhebung. 187 von Frederikshall in Norwegen bis nach Abo in Finland und viel, leicht auch sogar bis St. Petersburg sich langsam und unfühlbar erhöbe." Er stellte es ferner auf: „daß die Erhebung Schwedens mächtiger im nördlichen, als im südlichen Theile stattfände." Alle folgenden Beobachtungen baben zu denselben allgemeinen Schlüssen geführt, und ihre Genauigkeit wurde durch vielfache Pro» ben bestätigt. Im Laufe derIahre 1820und 1821 wurden die alten Felsenmarken auf das sorgfältigste noch einmal untersucht, und zwar unter der vereinten Oberleitung der königlichen schwedischen Akademie und des russischen Ministeriums der Marine. Die mit der Unter« suchung beauftragten Officiere theilten die gewonnenen Resultate dahin mit, daß die Vergleichung der Meeresoberfläche zur Zeit ihrer Beobachtung mit den älteren Marken ihres Standes einen niedrigern Stand jener an gewissen Stellen gezeigt hätte, daß aber der Belauf dieser Aenderung in dem gegenseitigen Standpunkte wäh-rend der gleichen Zeitabschnitte nicht überall derselbe gewesen sei. — Diese Officiere gruben neue Marken in die Felsen, welche zukünftigen Untersuchungen als Anhaltepunkte dienen können. Im Jahre 1834, also vierzehn Jahre später, wurde Sir Charles Lyell, der in Bezug auf dies Phänomen noch völliger Zweifler war, in Folge einerUnter-suchungsreise durcb Schweden ebenso vollkommen befriedigt und überzeugte sich entschieden von der Wirklichkeit derselben; durch neue und mit eigenen Augen unternommene Prüfung der jüngsten Felsenmarkcn erkannteer schon jetzt daß die See sichtlich unter mehreren der bezeichneten Punkte im Norden Stockholms zurückgeblieben sei. Er bezeichnete gleichfalls, an dem berühmten Fels von Löfgraud, der auch die ältc» sten Marken des Celsius trägt, die Wasserhöhe zur Zeit seines Be, suchs, und zwar war sie zwei Fuß sieben Zoll unter einer in, Jahre 1731 eingegrabenen; und ungefähr sechs Zoll unter der frischen Marke des Sir Charles Lyell fand 1849 Mr. N. Chambers die Höhe der See. Im Laufe von 118 Jahren bat sich daher der ganze Wechsel der relativen Oberflächen auf mehr als drei Fuß herausge« stellt, eine überraschende Bestätigung der Nichtigkeit des von Celsius angegebenen Maaßes für den Wechsel. Es muß bemerkt werden, daß die harte Textur derFelsen dieses Küstenstriches und die Abwesenheit Ißg Bestätigung der KNstenerhebnng. l2. Vuch. der Fluth die genaue Bestimmung des Mittels oder gewöhnlichen Wasserftands erleichtern. Wie erwähnt, vermindert sich, vom baltischen Meere aus. je« mehr man nach Süden hinabkommt, dieVeränderung der Oberflächen und ist schon um Stockholm berum seln gering. Weiter nach Süden aber hört die Landerhebung ganz auf, und hier tritt dann das klar bewiesene entgegengesetzte Factum eines Sinkens ein. Hier fehlen die schlammigen Lagunen, finden sich keine Molluslenveste und Mu< schelschaalen noch exiftirender Gattungen; hier find wohlbekannte, historisch festgestellte Landmarken jetzt der Wasserlinie näher, als früher. So bezeichnete der große Linne selbst 1749 einen breiten Stein, dessen Entfernung von der See er selbst gemessen, bei Trel. leborg an der Küste von Schonen, und 87 Jahre später. 1836, hatte sich diese Entfernung um hundert Fuß vermindert. Hier be« weisen schließlich Häuser und ganze Straßen in Seestädten durch ihre Stellung solche Beziehungen zum Meere, die sie nie erlangt haben würden, hätten dieselben Verhältnisse zwischen beiden schon zur Zeit ihrer Erbauung bestanden. In vielen Fällen reichen sie noch unter die niedrigste Wasserhöhe des baltischen Meeres, und sind fast überall einer Ueberschwemmung ausgesetzt, wenn der Wind die Wogen des» selben auch nur im geringsten Maaße thürmt. Diese so hinreichend festgestellte oscillirende Bewegung, auf« wärts im Norden und abwärts im Süden, ist um so überraschender, als kein Theil unseres Erdballs, seit dem Beginn der authentischen Geschichte, weniger, als der baltisch» nordische Kesselrand, bestigen physischen Störungen ausgesetzt war. Wie langsam und stufenweise die Erhebung und das Sinken übrigens auch stattfinden mögen, so müssen doch unvermeidlich große Aenderungen in der Gestaltung der Halbinsel im Lause der Jahrtausende herbeigeführt sein und werden. Vielleicht ist diese, sonst völlig unerklärliche langsame und geräusch. lose Oscillation, gleich einem dahinsterbenden Athem, die letzte ver« löschende Kraftäußerung jener erschütternden Explosion, deren Wirkung die ungeheuer großen geologischen Veränderungen der alten, unserer Zeitmessung entrückten. Vergangenheit des Erdballs find. 12. Kap.I Fluth und Ebbe. 189 Fluth und Ebbe. Von den allgemeinen Meereserscheinungen bleibt unbedingt das interessanteste Phänomen jenes, welches halbtägig die Wasser desselben hebt und senkt. Es ist dies eins der merkwürdigsten Schauspiele, welches der Mensch aus dem großen Schauplatz der Elemente betrachten kann; ein dumpfes Geräusch läßt sich längs seiner Gestade hören; die Flu« then rücken vor, schwellen allmälig an, und scheinen endlich die Länder verschlingen zu wollen; auch die Flüsse nehmen an der Bewegung des Meeres Theil, wachsen ebenfalls und drohen an mehreren Punk« ten, nahe ihren Mündungen, über ihre Ufer zu treten. Oft führt auch wirklich diese Arbeit der Gewässer trübe Katastrophen herbei, indem das Meer die Küsten zerreißt, unter heftigen Stürmen achtzehn und zwanzig Fuß steigt, die Flüsse ihr Bett verlassen macht, die fruchtbaren Gefilde verheert, die Einwohnerschaften begräbt und den Schrecken noch weit über den Schauplatz seiner Verheerungen verbreitet. Aber nicht lange bleibt die Scene eine solche; der Macht gehorchend, die eine Behauptung des allgemeinen Gleichgewichts ver« langt, verlassen die Wasser den Besitz, dessen sie sich neu bemächtigt haben, und das überraschte Auge sieht statt der gehäuften Wogen nur feuchten Sand und glänzend erscheinenden Schlamm, bis ihn eine neue Ueberschwemmung, nach einer etwa zwölf Minuten langen Ruhe im niedrigsten Stande, oder tiefer See, durch langsames sechs» stündiges Steigen, wjeder bedeckt, um. nach abermaliger Ruhe von zehn Minuten im höchsten Stande, als volle See, sich in gleicher durch die Natur unabänderlich festgestellter Zeit zurückzuziehen. Wohl begreiflich ist es, daß die Alten, nachdem ein kühner Entschluß sie die Schranken der Herkulessäulen durchbrechen ließ, bei dem er« sten Anblick der einer Ebbe folgenden Fluth so überrascht waren, daß sie dieselbe einem Wunder gleich achtete«, und ihre Flotten durch eine höhere zürnende Gewalt verfolgt glaubten. Von ihrer Ueber, raschunq zurückgekommen, studirten sie diese Erscheinung und suchten deren Ursache zu ergründen. Ihrem aufmerksamen, forschenden Geiste wie noch heute dem des schlichtesten Seefahrers, konnte un-möglich der Zusammenhang zwischen dieser Bewegung des Meere« und der des Mondes entgehen. Die Perioden der Fluch und Ebbe 190 Fluth i,nd Ebbe. 12. Buch. sind auch gerade die Perioden des Mondlaufs. Das Meer erhebt sich, wenn der Mond durch den Meridian geht, foglich dem Scheitelpunkt am nächsten oder am weitesten von ihm entfernt ist. (5s erhebt sich stärker, wenn der Mond neu oder voll ist; stärker bei der Annäherung der Mondbreite an die Breite des Orts; stärker endlich, wenn der Mond in der Erdnähe ist. Diese Uebereinstimmung muß anf eine nähere Verbindung deuten, und so finden sich denn auch in den Wer» ken des Aristoteles Spuren, daß sein durchdringender Oeist diese Ver« l'indung geahnt, daß er und andere Philosophen des Alterthums, un« ter denen Pytheas von Massilia geradezu den Mond für die Ursache des Phänomens hielt, die Theorie der Anziehungskraft der Himmels« körper in ihren ersten Grundriffen feststellten, welche später von Kevv« ler und Newton als eine vereinte Wirkung der Sonne und des Mon« des für alle Naturkundige befriedigend erklärt wurde. In den große» Meeresbecken, wo diese Einflüsse der Sonne und des Mondes ohne Hindernisse wirken können, entwickelt sich natürlich auch die Fluth und Ebbe in ihrer größten Stärke und Majestät. In den Binnenmeeren, welche eine durch die Länder beschränktere Ober» stäche darbieten, wird ihre Erscheinung weniger fühlbar und hört sogar ganz auf sich zu zeigen. Die Meerengen dienen den Binnenseen zur Verbindung mit dem Oceane; sie sind auch gleichzeitig die Straßen, durch welche sich die Bewegung fortpflanzt, aber diese tritt dann nicht mehr als wirklich regelmäßige und ausgedehnte Fluth und Ebbe auf. Die des mittelländischen Meeres ist so unbedeutend entwickelt, daß sie der Aufmerksamkeit der Alten ganz entging; und, wennschon das Phänomen in dem weiten deutschen Meere so regelrecht periodisch und so heftig und großartig und an den Küsten Ostjütlands ist als in irgend einem andern Oceane, so vermindert es sich doch in seiner Mäch» tigkeit bereits im Kattegat. sodaß an einer großen Strecke seiner Kü« sten nur schwache, mehr oder weniger unregelmäßige Schwankungen erzeugt werden. In den Belten und auch im Sunde find die Spuren noch fühlbar und selbst sichtlich, schwinden aber, wohl in Folge der spitzen Winkel, in denen sich die Straßen von der Ostsee aus- und in das Nordmeer einbiegen, immer mehr und mehr, je weiter man in dies Binnenmeer eindringt. Unsern von Kopenhagen bemerkt man bei völlig l2. Kap.1 Fluth und Ebbe. 191 ruhigem und beständigem Wetter durch einen Wechsel von wenigen Zollen in derHöhe des Wafferstandes das seltene Schauspiel einer regele rechten Fluch, aber weiter südwärts schwindet schnell jede fichtliche Spur, oder ist wenigstens durch eine Verbindung mit anderen in dem baltischen Becken herrschenden Schwankungen nnmerllich geworden. Was aber t>M Auge des Schiffers zu entgehen vermochte, konnte der Wissenschaft mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln nicht verbor« gen bleiben; ihr waren jene unzweifelhaft vorhandenen Aenderungen im Stande der Oftsee durch Fluth und Ebbe, so klein sie auch sind, genügend, um sich ihrer Wahrnehmung nicht zu entziehen, und zu dem Versuch aufzufordern, ihr regelrechtes Dasein klar und entschieden genug nachzuweisen. Das abwechselnde Aus- und Einlaufen, welches, soviel bekannt, allen in die Ostsee mündenden Flüssen eigenthümlich ist, war ein stets an die Möglichkeit dieses Versuchs mahnender Um» stand. Mögen immerhin die Winde und ihr Wechsel auf diese Erscheinung einen großen Einfluß üben, so findet doch der Wechsel des Aus« und Einlaufens so häufig, täglich mehrere Male, selbst bei unverän« derten Windrichtungen statt, daß es nicht wohl zulässig erscheint, denselben allein aus der Wirkung der Winde zu erklären. Ganz ungezwungen und natürlich hingegen erklart sich diese Erscheinung, wenn man eine Einwirkung von Fluth und Ebbe als vorhanden annehmen darf. Es laßt sich gegen diese Erklärungsweise auch nicht einwenden, daß das Aus- und Einlaufen viel zu unregelmäßig wechsele, als daß man es auf Rechnung von Fluth und Ebbe schieben könne, denn da jedenfalls die Letzteren ihre Wirkungen kaum merklich äußern würden, so folgt daraus von selbst, daß jeder nicht zu schwache Wind hinreichen muß, die sonstige Regelmäßigkeit jener Wirkungen zu stören und zu verwischen. Das statistische Bureau von Mecklenburg ließ an dem Pegel des Hafen von Wismar Beobachtungen anstellen, die sich über den Zeitraum von sieben und einem halben Jahre erstrecken, und die, auf die charakteristischen und unverkennbaren Merkmale der Wirkungen von Fluth und Ebbe, uämlich: der täglich zweimaligen Hebungen und Senkungen des Wasserspiegels, der Abwechslung in Hebung und Sen. kung und nahezu je nach sechs Stunden, der gleichen Größe beider Hebungen und Senkungen und der gleichen Entfernung der Hebungen 192 Meeranschwellung. ^2. Vuch. und Senkungen von dem mittleren Wasserstande, und endlich der Ab« hängigkeit der Hebungen und Senkungen, in Bezug auf ihre Zeit, von der Kulmination des Mondes (d. h. der Jahr aus Jahr ein immer sehr nahe der gleichen Anzahl von Stunden nach der Culmination des Mondes erfolgenden höchsten Hebung bei Voll« und Neumond), ge« stützt, zu folgenden Resultaten führte: ^ Die Aenderungen im Stande des Wassers, die man im Hafen zu Wismar bemerkt, lassen sich aus zufalligen Ursachen, namentlich aus den Wirkungen des Windes nicht erklären. Mehrere Tausende stehen gegen Eins, daß andere gesetzmäßige Kräfte Theil an jenen Aenderungen haben. Daß diese gesetzmäßig wirkenden Kräfte keine anderen sind als Fluth und Ebbe, ist, wenn auch nicht unumstößlich gewiß, doch so wahrscheinlich, daß Fünshundertundfunfzig gegen Eins dafürstehen. Diese Beobachtungen ergaben fernerhin sür den Hafen von Wis» mar als die mittlere Fluthhöhe, d. h. den Unterschied des höchsten und tiefsten Standes der Fluthwelle. 3,43 rheinländische Zolle; als den höchsten Stand der Ostsee aber, im Juli und September, drei Zoll über dem Mittel, als den tiefsten Stand, im December und April, aber zwei Zoll unter demMittel. Die Differenzen zwischen dem höchsten und tiefsten Stande betragen daher im Mittel 8,43 Zoll. Die mittlere Ha« fenzeit, d. h. die Zeit, die von der Culmination des Mondes bis zum Eintritt der höchsten Fluth verstießt, ergab sich als fünf Stunden und dreiunddreißig Minuten. Meeranschwellung. Diese erwähnten Schwankungen, welche ähnliche beträchtliche Ver» änderungen wie Fluth und Ebbe in anderen Meeren in der Wasser» höhe hervorbringen, können jedoch keineswegs denselben oder verwand» ten Ursachen zugeschrieben werden. Das baltische Meer bietet äußerst auffallende Erscheinungen in dieser Art dar. In mehr oder weniger Zeit und näheren oder ferneren Zwischenpausen wachsen die Gewässer plötzlich in einer solchen Weise, daß sie mitunter drei und einen halben Fuß über ihrer gewöhnlichen Höhe stehen. Dies Factum ist ein schon lange bekanntes und war von den schwedischen Naturforschern, die sich, l2. Kap.) Meeresanschwellung. 193 wie das ganze Volk der Skandinavier durch scharfe Beobachtungen auszeichnen, festgestellt und geschildert. Obschon dieses Anwachsen des Waffers sich in allen Jahreszeiten zeigt, so beobachtete man es am häu» sigsten im Herbste, sobald der Himmel mit Gewölk bedeckt ist und die Zeit der kalten, anhaltenden Regen vorherverkündet. Wenn das Phänomen im Winter eintritt, hebt es die an den Küsten angesetzte Eis» decke und giebt ihnen eine convexe Form, oder spaltet sie mit einem Getose, das dem Donner ferner Geschützsalven gleicht. Es findet ohne Unterschied bei der vom Orkan gepeitschten oder von lauen Lüften kaum gekräuselten Meeresoberflache statt, im letztern Falle eher einem ruhigen und zusammenwirkenden Wachsen der ganzen flüssigen Masse eines gewissen Areals, als einem stürmischen Anschwellen gleichend. An den äußersten Theilen der Buchten und vorzüglich an den Küsten der Engen und Straßen verursacht es immer schäumende Wirbel und brausende Strömungen, erzeugt stete Bewegung auch bei mangelndem Winde, und veranlaßt oft selbst Ueberschwemmungen. Die Dauer dieser Erscheinung ist sehr ungleich und häufigen Wechseln un. terworfen; die Wasser senken sich bald nach wenigen Tagen, bald bleiben sie aber auch in ihrem mehr oder weniger erhöhten Zustande fül die Dauer von einigen Wochen. Diese Meeresanschwellungen geben dem Wasser der Seen und Haffs, welche mit dem Meere in Verbindung stehen, einen salzartigen Geschmack. Im Mälar wird diese Art des Salzens oft so stark, daß die Frauen Stockholms sich seines weichen Wassers zu jeglichem häuslichen Gebrauche beraubt sehen, da es weder genießbar bleibt, noch die Seife sich in ihm zur Wäsche auflöst. Die Winde, welche der Er-scheinung vorhergehen, sie begleiten oder ihr folgen, find nach den ver« schiedenen Seegegenden auch verschieden. Im bothnischen Meere geht dem Nordwinde das Sinken des Meeres voraus; um die Alandsinseln herum, um Stockholm und seine Nächstliegende Küste folgt derselbe aber dem Steigen des Wassers. Man hat diesem Phänomen mehrere Erklärungen zu geben versucht; die Einen schrieben es den Winden zu, welche die Wogen vor sich hertrieben und in den Busen und längs des Ufers zusammendrängten. Sollte aber ein solches Zusammendrän, gen im Stande sein. eine mehr oder weniger anhaltende Erhebung um D« Ostsee. I. 13 194 Hypothesen bezüglich der MeertSanschwellung. l2. Buch. mehrere Fuße hervorzubringen? Würde die Wasserschwere und ihre Neigung, sich ins Gleichgewicht zu sehen, die Ungleichheit der Ober« stäche, die von der Thätigkeit der Winde erzeugt war, nicht bald wie», der verschwinden gemacht haben? Ueberdies hätten, wenn dies die Ursache des Wachsens gewesen wäre, diese Erscheinungen immer im Gefolge eines heftigen Windes auftreten und auch mindestens so lange anhalten müssen, als sich derselbe seine Starke bewahrte; aber die Erfahrung lehrt, daß oft die Erhebung des Wassers dem Sturme vor. ausgeht, und andererseits fich wieder vermindert oder auch ganz schwin« det, ehe sich derselbe beruhigt und legt. — Andere schrieben dann wieder das Anschwellen der Masse fremder Wasser zu, die ihren Weg in das baltische Meer nehmen, indem sie der längere Zeit hindurch von West oder Südweft bewegte atlantische Ocean in dasselbe drängt. Man weiß es aber, daß hier ein Tag und eine Nacht genügt, um eine Erhebung von zwei Fuß hervorzubringen, die sich in der Folge schnell auf drei und drei und einen halben vermehrt. Und als man die Breite und Tiefe der drei die Nord» und Ostsee verbindenden Straßen unter« suchte, ergab die Berechnung, daß es beinahe voller fünfTage bedurft«, um durch diese Passagen eine Wassermenge hereinzulassen, die eine Erhebung von nur zwei Fuß hervorbringen könnte, und daß folglich mehr als acht Tage ununterbrochener Einströmung nöthig wären, um das Wasser um drei und einen halben Fuß anwachsen zu lassen. Diese Berechnungen wurden mit größter Sorgfalt von dem Schweden Schul» ten angestellt, der sich als Hydrograph und Physiker gleich ausgezeich» net hat, und oft das baltische Meer, das Ziel seiner besonderen Stu« dien, durchfurchte, um gute Karten desselben zu liefern. Die Unzulänglichkeit der bisherigen Erklärungen führte Schul« ten auf eine neue, die fich zur vollsten Ueberzeugung bestätigte. Wah« rend seiner Reisen im baltischen Meere und längs-der Küsten desselben, beobachtete er nämlich genaue Beziehungen zwischen dem Barome« terftand und dem Wachsen des Wassers, und zwar in der Art, daß, wenn die Wasser zu steigen beginnen, das Barometer fällt, und wenn jene wieder sinken, dieses zu steigen anfängt; mit dem Nebenumftande. daß die Meeresbewegungen denen des Barometers etwas vorangehen. Der Beobachter schloß daraus, daß er die Ursache des Anschwellen« m 12. Kap.) Schulten« Erklärung der Mceresanschwellung. zgK dem ungleichen Drucke der Atmosphäre auf verschiedene Theile des Mee» resbeckenS zu suchen habe, einem Drucke, welcher verhindere, daß die allgemeine Oberfläche der Gewässer nicht in gleicher Höhe bleibt, obgleich die Flüssigkeiten die natürliche Tendenz behalten, sich in eine horizontale Lage zu setzen. „Die größte Varometerhöhe in den nördlichen Ländern Europa's/ sagt Schulten, „beträgt ungefähr sechsundzwanzig und einen halben Zoll, und die geringste ungefähr vierundzwanzig Zoll. Die Differenz zwischen diesen beiden äußersten Punkten, die zwei und einen halben Zoll beträgt, entspricht fünfunddreißigZoll oder drei und einen halben Fuß Wasser. Wenn die angegebene Ursache eines Anwachsens des Meereswassers begründet ist, so kann sich der Unterschied zwischen dem hohen und dem gewöhnlichen Wasser auf nicht mehr als drei undeinen halben Fuß erheben, und dies ist genau derselbe Unterschied, den die Beobachtungen als äußersten Punkt angeben. Die Ausnahmen, welche stattfinden können, müssen besonderen und locale» Gründen zugeschrieben werden. Die Orte, welche im Hintergrunde eines Busens oder einer lang gedehnten Bai liegen, wie z. B. Petersburg und andere, weiden dann und wann bedeutendere Anschwellungen verspüren, wenn etwa ein stark contrairer Wind das Verrollen der Meereswasser verhindert, oder wenn eine beträchtliche Masse Flußwasser aus dem Innern deS Landes hereinftrömt; und im Gegensahe dazu wird um die Inseln und Felsen, die sich in der Mitte der See befinden, wie z. B. um Gottland und Sandöe, die Anschwellung des Meeres nicht einmal den als höchsten bezeichneten Grad erreichen, indem das Ablaufen dort anhaltender und leichter ist. Außerdem hat man auch noch nicht hinreichend aufgeklärt, bis zu welchem Punkte die Anziehung der Sonne und des Mondes auch im baltischen Meere eine Art von Ebbe und Fluth hervorbringt, die, so schwach sie auch sein möge, doch dazu beitragen würde, die Veränderungen, welche dieses Meer in seiner Oberfläche erfährt, zu vermehren oder zu vermindern." Schulten beobachtete noch weiter, daß sich diese Veränderungen auch mit dem Anwachsen der Flüsse und den Wirkungen der Winde, die im Oceane herrschen, verbinden können. „Gemäß den verschiedenen Verbindungen." sagt ei. «und dem mehr oder weniger hohen Grade, 13' 196 Bestätigung der Erlläiung Schultc'ns. s2. Vuck. in dem sie stattfinden, können die Beziehungen des Barometers zu der Erhebung der Meercswaffcr abweichen. ohne daß man daraus einen Beweis gegen die ausgesprochene Meinung über das Anwachsen des MeereSwaffcrs herleiten darf." Spätere und allgemeinere Beobachtungen bestätigten Schultc'ns Annahme vollständig, und schufen (über die Grenzen des baltischen Mee« res weit hinausgehend, und das Steigen nnd Fallen des caspischen Meeres, mehrerer Gegenden des Kattcgats, einiger norwegischer Buch. ten und Landseen, das sich in mehr oder weniger starkem Maaße und größeren oder kleineren Zwischenräumen bemerkbar macht, mit in ihre Betrachtungen ziehend.) eine Theorie, die »och zu wichtigen Resultaten führen kann. Hiernach hat man sich die Erscheinung in der Art vor« zustellen, daß Luftsäulen von verschiedener Dehnbarkeit mit einem un-gleichen Gewichte auf die verschiedenen Theile des nachgebenden Flui' dums drückend einwirken; das Einsinken der zusammengepreßten Ober« stäche auf dem einen Punkte, durch die größere Schwere der Luft, muß natürlicherweise an einer correspondirenden Stelle, auf der eine leich« tere Luftsäule steht, ein Steigen des Wassers, als einfache Folge her« beiführen. — Selbstverständlich muß jede Wasseroberfläche, ob sie einem Süßwassersee oder dem Meere angehört, in gleicher Weise von dieser Grundursache berührt werden; das Phänomen wird sich aber doch nur da bemerken lassen, wo die Atmosphäre besonders großen und heftigen Wechseln und Uebergängen unterworfen ist. Der große Ocean ist in seiner Ausdehnung zu breit, und zu mächtigen, aus an« deren Ursachen herrührenden Bewegungen unterworfen, um aufsein« Oberstäche den Effect eines solchen Anwachsens bemerklich werden zu lassen, doch hat auch er dem aufmerksamen Beobachter längs seinen Küsten eine von atmosphärischem Druck herrührende Höhenänderung der Fluth gezeigt. Ein niedrigerer, die leichtere Atmosphäre beweisen« der Barometerstand läßt die Fluth stärker und höher, und umgekehrten Falls der höhere Barometerstand die schwächere und niedrigere Fluth erwarten. Im britischen Canale erhebt sich dieselbe um mehr als acht Ioll über ihre gewöhnliche Höhe im Falle von ungefähr anderthalb Zoll Unterschied des Barometerstands. Eine glänzende Bestätigung erfuhr TchultenS Theorie durch die l2. Kap.) Die Meteorologie und die Zukunft. 197 Erklärung, welche de Sauffure dem in seiner Aeußerung vollkommen gleichen Phänomen der Schweizer Seen angedeihen ließ, und die des Ersteren Meinung völlig analog ist. Vorzugsweise auf dem Genfer See ist die Erscheinung so häufig, daß ein eigener Ausdruck „Ie8 8edies (8eiolis8)" diese plötzlichen Erhebungen und Veränderungen einzel» ner Theile der Wasseroberfläche bezeichnet. Merkwürdig ist es, wie die sich mit der Fischerei und der Schiff, fahrt beschäftigenden Küstenbewohner, aus dem Wachsen des Meeres« wassers den Regen und die Stürme mit überraschender Genauig« keit vorhersagen, und daß diese Kunst ihnen ein sicherer Führer bei allen ihren maritimen Unternehmungen ist. Die Erfahrung hat ihnen Combinationen an die Hand gegeben, die sie besser zu nützen, als zu erklären verstehen. Was aber kann die zur Wissenschaft erhobene Me» teorologie unter Männern wie Humboldt, Dove und Anderen aus einer Theorie machen. deren Basis mindestens festgestellt ist? Werden nicht eifrige Beobachtungen und fortgesetzte Forschungen früher oder später zu den nützlichsten Entdeckungen führen? Nird nicht vielleicht der menschliche Geist, dem es bereits gelang, die Bewegungen der Gestirne zu berechnen und vorherzubestimmen, eines Tages auch im Stande sein, die Combinationen zu ergründen, welche in den luftigen Räumen die Erscheinungen gebären und entwickeln, die einen so mächtigen Einfluß aufden Erdball ausüben, wie die Negen, die befruchtend auf den in sei« nem Schooße schlummernden Samen niederrauschen, den Schnee, der sich in den Gebirgen häuft, um die segenspendenden Ströme zu speisen, die Winde, welche die Festlande und die Meere kühlend und reinigend durchziehen? Dann werden die anscheinenden Anomalien, die uns jetzt in Verwunderung setzen, verschwinden; die Unordnung, die wohl dann und wann in der Oekonomie der Natur zu herrschen scheint, wird sich vor unsern Angen regeln; die nützlichsten Künste und Wissenschaf, ten werden einen sicherern Schritt vorwärts thun; die Meinung der erleuchteten Beobachter wird die Unternehmungen des Ackerbaues, der Fischerei und Schifffahrt gegen die Zufälle schützen, die jetzt so oft mit schmeichlerischen Hoffnungen spielen. ^« Stlbmungen oder Stromgang. p. vuch. Strömungen. Außer diesen allgemeinen Bewegungen des Oceans giebt es noch eine andere, die sich schwerer erklären läsit; es ist dies das Phänomen, welches man unter dem Namen „Strömung oder Stromgang" kennt. Es macht sich in einer größern oder geringer» Breite und Länge, mit mehr oder weniger (Geschwindigkeit, in mancherlei Richtungen, oft mitten in den Gewässern des Meeres wie in einem Bette fließend und ohne sich an das übrige Wasser zu kehren, fühlbar, und ist in allen Meeren, vorzüglich aber inBinnenmeere,,. wo es sich vervielfältigt und vervollständigt von der höchsten Wichtigkeit. Man theilt diese Strö. mungen in beständige, die immerfort fließen, und veränderliche, die entweder nur zu gewissen Zeiten oder bald vor.. bald rückwärts flie. ßen. Die letztern hängen mehr von den Winden der verschiedenen Jahreszeiten ab, und folgen ilmen, sowie es die Lage der Ufer erlaubt. Noch sind weder die Ursachen völlig entwickelt, noch das Dasein der Strömungen, die sich häufig nur durch später in den Schiffsrechnun« gen entdeckte Fehler muthmaßcn lassen, erschöpfend festgestellt. Die Schiffer fürchten die Strömungen des baltischen Meeres, die an Ge« fährlichkeit denen des Archipelagus, des Hellespont, des schwarzen und casvischen Meeres wohl gleichkommen. Erzeugt werden sie wahr« scheinlich von den vielen Strömen, Flüssen und Bächen aller Größen, die sich von jeder Seite her diesem Meeresbecken zuwenden und oft mit großer Gewalt und Heftigkeit in dasselbe stürzen. Man zählt deren mehr denn zweihundertundvierzig', ihr Netz verbindet sich mit Land» seen von großer Ausdehnung, und das Schmelzen des Schnees und Eises giebt denen, die aus den nördlichsten Gegenden Europa's kom, men in dem kurzen Zeiträume einiger Monate drei aufeinanderfolgende Anschwellungen, die, mit der allgemeinen Bewegung jedes Meeres nach Westen, mit Inseln. Klippen. Untiefen. Vorgebirgen, Meerengen und überhaupt jedem Widerstände, der sich der allgemeinen Bewegung entgegenstellt, hinreichende Ursachen der beständigen Strömungen sind. Die allgemeine und Hauptrichtung der Strömungen, welche durch den Impuls der Flüsse erzeugt werden, geht von Norden und Nordoften nach Südsüdwest, da sich die größte Masse Flußwasser in 12. Kap.j Die Strömungen 1g SptMcht 3chwere,des MeerwasserS. s2. Vuch. Artikel für die schuldlose, den Kriegsthaten fernstehende Bevölkerung zu erflehen. Mit dem Salzgehalte hängt natürlich auch die specifische Schwere des Wassers so genau zusammen, daß sich letztere mit dem erster» im gleichen Maße in den verschiedenen Wassern vermindert. Nach Mu« schenbroek verhält sich die eigenthümliche Schwere des Meerwassers.— von welchem ein Cubikfuß 66 Pfund 9 Loth wiegt. — zu dem des Regenwassers, wie 103:100, und zum dcstillirten süßen Wasser, wie 4242:4189. Die des baltischen Meeres stellte sich, in welchen Theilen seines Beckens man immer die Probe angestellt hat, auch leichter als die des Oceans heraus. In der Umgegend von Landskrona fand Wilcke fie bei Stille und Westwind um ^^ weniger wiegend, als gefallenen Schnee, beim Oftwind aber nur um ^'„„ weniger. Ein anderer Beobachter fand, daß das Gewicht in der Mitte des offenen Meeres im Verhältniß zu dem des süßen Wassers sich von 10,041 mehr, und 10,038 weniger zu 10.000 verändere. Professor Thompson stellte nachstehende Tabelle der relativen specifischen Schwere des Oceans und der Oftsee auf: Spec. Schwere. Wasser vom ibo rii-lk ol?0llk.........1,02900 ., „ Cap Skagen.............1,02037 aus dem Sund..............1,00701 „ von Tunaberg (in der Nähe von Stockholm) 1,00476 So stellte sich die geringste Dichtigkeit für den nördlichsten Be« obachtungspunkt Tunaberg heraus, und wuchs in dem Maße einer Annäherung an den Ocean. — Dieselbe Autorität zog aus 1000 Gran Wasser folgendes Salzgewicht heraus: Mran Salz. Wasser vom lks Urlk «l?oltk 36,6 „ „ Cap Skagen . . . 32,0 „ aus dem Sund .... 11,2 „ von Tunaberg..... 7,4 Danach ergtebt das Wasser vonTunaberg kaum den fünften Theil des Salzgehalts der britischen See; das des Sundes enthält weniger 12. Kap.1 Specifische Schwere des Meerwassers. 217 als ein Drittel, und die Verschiedenheit ist selbst am Cap Skagen im Kattegat noch beträchtlich genug. Vielleicht ebenso viel, wie die zahl» reich einstuthenden Süßwassermassen, trägt zur Herabdrückung auf den untergeordneten Grad Salzgehalt die in der Regel nach außen ge< richtete Strömung bei, im Verein mit der Enge der Straßen, die den Eingang aus dem Ocean bilden, und dessen leichtes Einströmen verhindern. Auch die Windrichtung hat eine wahrnehmbare Wirkung aus die baltischen Wasser-, im Allgemeinen vermindeln die Nord- und Nordostwinde in den südlichen Gegenden, denen sie die im gewöhn« lichen Zustande geringer gesättigten Wasser des Nordens zuführen, den Salzgehalt, und umgekehrt vermehren ihn die Süd« und Südweft-winde, die ein Eindringen des Oceans erleichtern und befördern. — Wilcke prüfte die specifische Schwere vergleichend unter verschiedenen atmosphärischen Bedingungen. Obschon er keine Localitat seiner Prü, fungen angab, ist doch anzunehmen, daß er, als Bewohner Stockholms, dieselben wahrscheinlich in der ungefähren nördlichen Breite die« ser Stadt vorgenommen. Er gewann folgende Resultate: ^ Spec. Schw. Spec. Schw. Ostwind . . 1,0039 Sturm aus West 1,0118 Westwind . 1,0067 Nordwcstwind . 1,0098 Dies ergab also das Minimum der Dichtigkeit oder Salzproportion beim Ostwinde, aufsteigend bei Westwind und Nordwestwind, aber das Maximum erreichend beim Sturm aus Westen. Diese Ver« schiedenheit ist leicht erklärt und bekräftigt nur die vorhin angedeuteten Gründe; die östlichen Winde unterstützen augenscheinlich mit ihrer ganzen Kraft die regelmäßig nach außen gehende Strömung und hemmen so den Einfluß des Oceans, oder stoßen ihn gar, je nach ihrer Stärke, zurück; während umgekehrt die West- und in noch höherem Grade Nordwestwinde, das Auslaufen der baltischen Wasser aufhalten und dem Ocean Beistand leisten, Zugang in das Binnenbecken zu gewinnen. Im Sunde haben Beobachtungen festgestellt, daß die Winde zwischen West und Nord nickt die Außenbewcgung des Wassers aufhalten, sondern, wenn sie scharfund anhaltend wehen, seine Nich. tung ändern und es oft gerade zur entgegengesetzten Strömung nach innen zwingen. Es ist dazu weder nöthig, daß die erwähnten Winde. 2ig Specifische Schwere deS MeerwasserS. 12. Buch. um uns des seemännischen Ausdrucks zu bedienen, „nach Hause blasen," noch daß fie an dem von ihrer Wirkung berührten Orte selbst thätig find. Es genügt, daß ein Sturm aus dieser Richtung über die Nord« see gefegt ist, der mehrere Tage währte. Wie wir weiter oben gesehen, siegt aber schon in der Tiefe von sieben Faden die Macht des baltischen Wassers, und führt, wenn auch äußere Einflüsse von beträchtlicher Stärke eine oceanische Strömung auf seiner Oberfläche nach innen wenden, die ungeheuren Vorräthe der sein Becken umgebenden Land« gegenden nach außen. Die Analyse des baltischen Wassers von zwei deutschen Gelehrten, Herrn Halem in Nurich in Oftftiesland und Vogel in Rostock, correspond dirend veranstaltet, ergab die nachstehenden Bestandtheile und das Verhältniß zum Wasser des deutschen Oceans wie folgt: Die Einheit von drei deutschen Pfund Wassers der Nordsee ent» des valtlsclien Meeres entbielt Man: hielt Gran: Kochsalz oder salzsaure Soda (Muriate von Soda) ............263 522 Epsom Salz oder salzsaure Magnesia .111 1981/. Selemt oder schwefelsauren Kalk (Sulfate von Kalk).......... 12 23 Glaubersalz oder schwefelsaure Soda (nklrum 8u1pkunaum)...... 1 1^ Rückstand.............. . 1________ i'/z 389 Gran 747^ Gr. Auf dieses Verhältniß hin gründet sich auch die geringere Wirksamkeit der vielfachen Ostseebader im Gegensatz zu denen des deutschen Meeres, die oberflächlich in der Regel dem schwächeren Wellenschlage zugeschrieben wird. Wassertemperatur. Die in den verschiedenen Seebecken herrschende Temperaturver-schiedenheit wird zwar von mannigfachen Umständen berührt, doch hat ohne Zweifel die mehr oder weniger nördliche Lage derselben den groß. ten Einfluß auf den Wärmegrad ihres Wassers. Man hat die Bemer« kung gemacht, daß die baltischen Fluchen selbst in der Mitte des Som< mers kälter, als die der meisten anderen Meere Europa's, sind. Diese Temperatur wird aber an den Küsten und in der Nähe von Untiefen l2. Kap.) Wassertemperatur. 219 eine mildere, und es kommt sogar mitunter vor, daß hier das Wasser eine höhere Temperatur hat, als selbst die Atmosphäre. Der Schwede Jean Bladh hat in den Memoiren der Stockholmer Akademie eine in« teressante Reihe Details hierüber zurückgelassen. Er begab sich im Jahre 1773 zur See, von Stockholm nach Wasa am bothnischen Meerbusen. Vom 12. bis 15. September fand er die Wassertemperatur 13 bis 15 Grad Reaumur; vom 19. bis 20. October hatte sie zwischen 9 und 10 Grad, während die Luft nur noch 4 bis 6 Grad Reaumur zeigte. Im Jahre 1776 unternahm derselbe Gelehrte eine Reise von Stockholm nach Christianstadt, am Eingang des bothnischen Busens; am 27. Juli hatte um fünf Uhr Nachmittags die Luft neben der Küste im Schatten 25 Grad Wärme, und das Wasser auf seiner Oberfläche 21 Grad. Am selben Tage, um 9 Uhr Abends, zeigte die Luft 20 Grad und das Wasser 17 Grad. Diese Temperatur war eine außergewöhnliche und von trockenen Nebeln, die mehrere Tage vorher geherrscht hatten, prophezeit worden, und deren Einfluß durch Windstille weder vermindert noch abgewendet. Während dieser beiden Reisen fand Bladh das durch Beobachtungen sichergestellte Resultat, daß die unteren Wasserschichten immer einige Grade weniger warm, als die oberen. Nach Bergmann wechselt der Warmeunterschied, den ver< schiedenen Tiefen folgend, bei Karlskrona um 8 Grad. doch sind diese Beziehungen aus vielfachen Gründen häusigen Veränderungen unter« worsen, und Halland, ein Schwede, der sich lange in Tornea aufhielt, berichtet in den Memoiren der Stockholmer Akademie, daß in dem bothnischen Golfe das Wasser nach starken Stürmen an der Oberfläche viel kälter zu sein pflegt, als in der Tiefe. — Eine im Monat August veranstaltete Messung der Wassertemperatur ergab für den Sund folgendes Resultat: GradNcanmur. Lustwärme. . ..................... 16,8 Wasscrwärme an der Oberfläche des Canals....... 16,0 Wasserwärme an der Oberfläche niedriger Küsten .... 22,4 Wasserwärme an der Oberfläche, zwei Meilen von der Küste 16,0 Wärme des 4 bis 5 Fuß tief geschöpften Wassers, überall 15,2 Wärme dcs 20 Fuß tief geschöpften Wassers, unweit Hwen..................... 7,2 220 Meerels. l2- Buch. Dieser ziemlich gleiche Wärmegrad an den Meeresoberflächen, der namentlich mlr langsamen Abwechslungen unterworfen ist, zeigt das Seewasser als einen schlechten Wärmeleiter, die Schwere desselben bricht die Gewalt der Sonnenstrahlen nnd läßt sie nicht tiefer als 45 Klafter, nach Bonguer allerdings 113 Klafter, eindringen. Alles tiefere Wasser mnß daher vollkommen finster sein. Die größere Wärme des Was« sers, im Vergleich zur Lust, in den gemäßigten Zonen, hängt mir von vorübergehenden Zufälligkeiten ab, und schwindet stets mit der große» ren Tiefe. Nach Perons Beobachtungen nähert sich die Temperatur des Oceans, je mehr man in die Tiefe dringt, auch mehr dem Ge« frierpunkte. Bei starker Bewegung durch heftige Stürme soll das Meer innerlich wärmer sein, als die Luft. Die bisherigen Versuche zeigen nur einen Unterschied unter den verschiedenen Stufeu der Temperatur von 42 Grad Fahrenheit, nämlich von 26 bis 68 Grad, der gegen den Unterschied der Luftwärme unbeträchtlich erscheint. Dieses hindert aber nicht, daß das Meer nicht in den kalten Zonen und bei hohen Kältegraden zu Eis gefrieren könnte. M e e r e i s. Die Wirkungen der Macht des Winters in den Polarmeeren haben im Gegentheile die interessantesten Schilderungen berühmter Reisenden hervorgerufen. Sie erwähnten der einzelnen Eisblöcke, die man selbst in den gemäßigten Zonen und mitten im Sommer umher« treiben sieht, die an Anzahl und Größe immer zunehmen, je mehr man den Polen sich nähert, bis man endlich, bald auf einer höhern, bald auf einer geringern Breite, an ein zusammenhängendes und feststehendes Eisfeld gelangt, welches die Küsten umhüllt und die wei< tere Schifffahit ganzlich verhindert. Jene schwimmenden Inseln oder feststehenden Vorgebirge gleichen den Klumpen gediegenen Eises, als Eisberge oder Treibeis bekannt, haben verschiedene, zum Theil unge. heuere Größe, und ihr Anblick macht einen unbeschreiblichen Eindruck, der alle Erwartung übertrifft. Oft sind sie ein bis zwei englische Meilen lang und reichen über hundert Fuß hoch in die Luft. obgleich nur ein kleiner Theil derselben hervorragt, wieviel? weiß man nicht genau, wenigstens der achte, höchstens der fünfzehnte Theil. Wenn aber 12. Kap.) Mee«is.l 221 nur ein Zehntheil des Inhalts sich über dem Wasser zeigt, so enthält doch ein Stück Eises, das nur eine englische Meile lang, eine Viertel, meile breit und hundert Fuß über dem Wasser, folglich neunhundert Fuß unter dem Wasser tief ist, gegen 7000 Millionen Cubikfuß festen Eises. Diese Eisberge bilden sich theils dadurch, daß die Eisblöcke von den Wellen über einander geworfen weiden, theils durch den darauf fallenden Schnee. Ihre Formen und Gestalten find so mannigfach, daß die regste Phantasie von ihnen übertroffen wird, und die Kunst aus ihren Gebilden kolossale, groteske und selbst liebliche Mo, tive zu schöpfen vermag. Ihre Menge und Größe wird, trotz der Lang, samkeit ihrer Bewegungen, oft den Schiffen äußerst gefährlich. Ein Theil dieser gefrorenen Massen übersteht den Wechsel aller Iahreszei« ten, schöpft aus ihm nur die Mittel zur Aenderung seiner äußeren Form und bildet so jene Barrieren, die bisher auch dem kühnsten For« scher eine unüberfteigliche Schranke entgegenftemmten. Ein anderer Theil wird in mildere See geführt und erliegt dem Einfluß der Sonne, erweicht nach und nach, löst sich allmälig auf, zerschmilzt langsam, oder stürzt, vom Meerwasser zerfressen, mit gewaltigem Krachen in sich zusammen, kleine Trümmer um sich umherschleudernd; oder erhält durch den Verlust eines beträchtlichen Theils einen neuen Schwer« puukt, und schlägt um, die bisher in die Luft ragenden Theile nun m die Tiefe der Fluthen versenkend. Die Eisfelder sind, von den Eisbergen verschieden, am Rande mit kleinen Brocken einer durchlöcherten, schwammigen Eismasse umgeben, weil die Wogen des Meeres beständig an ihrer Zerstörung arbeiten. Darauf folgen unabsehbare Flächen eines festen Eises, und dazwischen stehende und darin eingefrorne ungeheuere hohe Eismassen, wie Hügel und rauhe Berge, oder Felsen und andere seltsame Gestalten, mit« unter durch die Aehnlichkeit mit Häusern, Festungswerken und Thürmen ein trügerisches Bild bewohnter Gegenden hervorzaubernd. Hier ist das Meer entweder bis auf den Grund gefroren, oder das Treibeis hat sich zwischen zwei Küsten gestemmt, und ist in eine aneinanderhän-gende Masse zusammengefroren. In vorzüglich warmen Sommern und unter zufälligen günstigen klimatischen Verhältnissen lösen sich die Eisfelder auf und gehen als Treibeis hinweg, wie die Eisberge, » ,»» Meerels. 12. Vuch. wohin fi« kommen, eine empfindliche Kälte um sich her verbreitend. In manchen Jahren trifft man daher an der Stelle solcher Eisfelder eine reine und fahrbare See, aber es bleiben doch immer sehr große Strecken des Oceans von ihnen bedeckt, und der Weg zu den Polen ist wahrscheinlich auf ewig durch sie versperrt. Sie verbreiten einen weithin sichtlichen Widerschein am Himmel, den die Schiffer den „Eisblink" nennen. Ueber das Entstehen dieses Meereises ist viel gestritten worden, um so mehr, da es. wie wir bereits erwähnten, wenn es geschmolzen wird. stets reines, süßes Waffer giebt. Man glaubte, das Seewasser lönne nicht gefrieren, oder wenn es ja geschähe, müßte das Eis im, mer die Salztheile enthalten, und schloß daraus, das Meereis werde auf dem Lande oder in Flüssen, oder doch von frischem oder süßem Wasser an den Küsten erzeugt und ins Meer getrieben. Allein die Un« Möglichkeit dieser Entstehungsart ist bei der ungeheueren Meuge des Treibeises, in Sonderheit im südlichen Eismeere, wo gar kein Land. wenigstens keins das frisches Waffer und Flüsse enthalten könnte, vor. Handen zu seinschemt, nicht nur an sich einleuchtend, sondern Ersah run. gen und Versuche aller Art haben unleugbar bewiesen, daß das Meer. wasser, selbst ohne einen Ruhepunkt am Lande zu haben, und der Be« wegung des Meeres ungeachtet, wiewohl weit schwerer als süßes Wasser, zu Eis gefriere, und daß dieses Eis beim Schmelzen süßes Wasser gebe. Es müssen sich also beim Frieren die Salztheilchen durch eine uns bisher noch unbekannte Operation der Natur vom Wasser ab. sondern. Vielleicht gehen sie in das noch offene Waffer über. denn bei den angestellten Versuchen wurde das übriggebliebene Meerwasser schwerer als anderes Meerwasser gefunden. Wenn schon den Polen entrückter, liefert das baltische Meer doch oft ein Bild, das wenigstens in den großen Zügen den beschriebe, nen Wirkungen annähernd gleicht. Nach Osten gewendet, und den herben Einflüssen der Winde, die von Sibirien bis Petersburg Herr. schen, Preis gegeben, nur im Besitz eines geringen Salzgehaltes, in seiner eigenen Bewegung durch das schon in geringerer Kälte ein< tretende Gefrieren der ihm zuströmenden Flüsse gehemmt, in der Ver« bindung mit dem wärmeren Wasser des Oceans gehindert, und an 12. Kap.1 Meereis. 223 und für sich von geringerer Tiefe, unterliegt es leichter der Macht der Kälte, als die anderen Meeresbeckeu, die es berührt oder die unter gleichen Breitegraden liegen. Während die meisten Gegenden des Kattegats und der norwegischen See, so wie des englischen Meeres, noch der Schifffahrt offen bleiben, und selbst in den härtesten Win. tem nicht die Neigung zu einer dauernd festen Gestalt verrathen, be» decken sich mehrere Arme der Ostsee schon bei gewöhnlicher ihrer Lage entsprechender Kälte, und in Jahren wo dieselbe eine stärkere und län« gere Wirksamkeit angenommen hatte, zeigten sich Phänomene, die völlig denen der Polarregionen entsprachen. Beide nördliche Busen sind häufig auf vier oder fünf Monate des Jahres, in der ganzen wei» ten Ausdehnung ihres Areals, mit einem feste« Eisboden bedeckt. Auch die Küsten der südlichsten Theile werden umsäumt von weiten Eisfeldern, und die Straßen, welche die Ostsee mit dem Meere ver« binden, werden durch die in ihrer Ausfahrt gehinderten Massen Treib« eises unbrauchbar gemacht. Und in strengen Wintern mehrt sich die Anhäufung dieses Treibeises dergestalt, daß nicht nur diese Straßen sondern auch beträchtliche Strecken der offenen See vollkommen zuge« froren sind. Historische Erinnerungen in Beziehung auf den Zustand des Wetters, seit nahezu einem Jahrtausend, wurden aus alten Chroniken entlehnt, im vorigen Jahrhundert in Wien veröffentlicht und enthielten über die baltische See folgende Details, die aus nordischen Quellen vervollständigt sind: Im Jahre 1269 war das Kattegat zwischen Jutland und Nor-wegen gefroren. Im Jahre 1292 dehnte sich eine Eisschicht zwischen Jutland und Norwegen aus, über welche Reisende passirten. Im Jahre 1323 war der Winter so strenge, daß Reisende so« wohl zu Fuß, als zu Pferde über das Eis von Dänemark nach Lübeck und Danzig reisten. Diese Verbindung wurde sechs Wochen lang er« halten, und entlang der neuen Straße hatte man Schenkbuden aufge» schlagen. Im Jahre 1333 wiederholte sich dieses Ereiguiß auf kürzereZeit. Im Jahre 1349 war die Ostsee zwischen Stralsund und Däne» mark gefroren und das Eis auf dieser Strecke vasfirbar. 224 Meerels. s2. Buch. Im Jahre 1399 fand ein ähnliches Frieren statt. Im Jahre 1402 dehnte sich wieder eine passirvare Eisdecke zwi. schen Pommern und Dänemark aus. Im Jahre 1408 zeigte sich der Winter als einer der kältesten, welche Europa jemals erlebt hat. Die ganze See zwischen Gottland und Aland, und zwischen Norwegen, Jutland und den dänischen In« seln war zugefroren, sodaß Wölfe über das Eis aus den norwegischen Gebirgen und Wäldern nach Jutland kamen. Im Jahre 1423 war sowohl die Nordsee, als das baltische Meer auf großen Strecken mit Eis bedeckt, sodaß Reisende auf dem. selben zwischen Lübeck und Danzig, Mecklenburg und Dänemark hin und her kreuzten. Im Winter 1459 zu 1560 war die baltische See gefroren und wurde zwischen Dänemark und Schweden zu Fuß und zu Pferde über« schritten. Im Jahre 1548 war der Winter sehr kalt und lang, und eine regelmäßige Schlittenverbindung wurde mit Pferden und Ochsen auf dem Eise zwischen Dänemark und Schweden erhalten. Im Jahre 1658, Ende Januar, zog KarlX. Gustav von Schwe. den aus diesem Phänomen einen Vortheil, der beinahe den Fall eines Königreichs herbeigeführt hätte. Friedrich III. von Dänemark hatte in Benutzung des Augenblicks, in welchem KarlX. Gustav nach seiner Meinung in Polen durch Kampf, dreihundert Meilen weit von Kovenha. gen, gefesselt war. dem Nachbarstaate den Krieg erklärt. Karl eilte mit der Schnelligkeit des Blitzes durch Deutschland, und erschien, nachdem er sich einen Weg durch Holstein, Schleswig und Jutland gebahnt hatte, mit einer Armee von 20.000 Menschen an den Ufern des kleinen Belts. Dort fand er eine spiegelglatte Eisebene vor sich, und faßte schnell den Plan. sie mit seineu Truppen zu überschreiten. Indeß war er noch un« gewiß und unentschlossen, und versammelte mitten in der Nacht seine Generale, um ihre Meinungen im Kriegsrathe zu vernehmen. Sie alle widersehten sich dem gefahrdrohenden Uebergange, mit Ausnahme eines Einzelnen, des braven und treuen Dalberg, der aus einem Nichts, nur durch eigenen Fleiß und Verdienst, es zur Grafenwürde, l2. Kap.) MeereiS. 225 zum Feldmarschallsamt und dem Gouvernement von Lievlaud brachte und oft den Gefahren und Mühen des Krieges getrotzt hatte. „Das Unternehmen ist kühn", sagte er,— „aber es wird gelingen, ich stehe mit meinem Kopfe dafür ein." Pachdem er, der anerkannte Ingenieur, das Eis hinreichend untersucht, stattete er einen detaillirten Bericht an den König ab, und dieser befahl, den Marsch anzutreten. Die Armee ruckte, den König und Dalberg an der Spitze, in mehreren Colonnen mit Pferden, Kanonen und Gepäck vor; sie schlug sich sogar auf dem Eise gegen die dänischen Detachements, welche sie aufhalten wollten, und Sieger über die Feinde, wie über die Elemente, drang sie in gühuen ein. Am entgegengesetzten Ende der Insel fand Karl das Wasser gleichfalls durch die Kälte erstarrt, aber der große Belt bot einen noch ungleich schwieligern Uebergang dar, und neue Vorstellungen wurden von den Generalen erhoben, um den Monarchen von dem kühnen Gedanken abzubringen. Karl entschied sich dennoch zu dem Wagniß, aber nicht blindlings, sondern, von seiner Feldherrnweisheit geleitet, unter den nöthigen Vorsichtsmaßregeln. Statt den directen Weg zwischen den Inseln Fühnen und Seeland einzuschlagen, ließ er die Armee auf Umwegen über die Inseln Langeland, Laaland und Falstcr marschiren. Hier mußte er noch mehrere Gefechte liefern, in denen er, Dalberg an seiner Seite, Wunder der Tapferkeit leistete, die den Muth seiner Soldaten höher entflammten; eine vor ihm ein, schlagende Kugel schleuderte ihm die Splitter des zerschmetterten Eises ins Gesicht. Endlich erreichte er die Insel Seeland, und seinen Marsch auf Kopenhagen richtend, verbreitete er Schrecken in dieser Hauptstadt. Friedrich III. hatte die Hilfsquellen und vermessenen Pläne, den uner« schrockenen Muth und die weise Ausdauer Karls erkannt, und griff begierig zu dem Mittel der Unterhandlungen; der Friedensschluß zu Roeskilde war die Frucht des waghalsigen Unternehmens, sich die Na. turlrafte dienstbar zu machen, und in ihm trat Dänemark gern einige Provinzen ab, um nicht ganz auS derReihe der unabhängigen König, reiche zu verschwinden. Aber welcher menschliche Scharfsinn vermöchte die Launen des Schicksals zu durchdringen und die Geschicke der Völker vorherzusagen? Hätten es die Schweden wohl mitten in ihren Erfolgen und den gläu« Die vsts«. l. 15 226 MeereiS. ft. Buch. zenden Vortheilen, die sie errangen, glauben mögen, daß der Tag lommen würde, au welchem ihre eigene Hauptstadtsich in derselben Lage befinden sollte, in welche sie die dänische versetzt hatten, und von der sie nnr ein durch eine Revolution im Indern des Reiches herbeigeführter Herrschaftswechsel befreite? — Während des Krieges zwischen Ruß. land und Schweden im Jahre 1809 führte Barclay dc Tolly in einer ähnlichen Weise eine russische Armee aus Finnland über den engsten Theildesbothnischen Busens, die Meerenge Quarten, die hier acht Meilen breit 'ist. Schwierigkeiten und Gefahren begleiteten in solcher Menge diese Expediten, daß sie wohl schwerlich noch einmal wiederholt werden dürfte, ungeachtet der Winter dieses Jahres einer der strengsten war, und die Eisbrücke bis Ende April die Festigkeit besaß, um auch die schwersten Lasten zu tragen. Möglicherweise haben bei vielen dieser Berichte Uebertreibungen der Chronisten das ihrige beigetragen, um die Wirkungen derPhäno« mene großartiger erscheinen zu lassen; wenigstens sind. obschon in den beiden letzten Jahrhunderten recht lange und strenge Winter vorkamen, keine Beispiele einer so ausgedehnten und mächtige» Eisbildung im baltischen Meere anzuführen. Andererseits ist es aber auch wohl glaub» lich, daß das Klima des nördlichen Europa's unter den allgemeinen Fortschritten der Cultur ein heitreres und angenehmeres geworden ist, und daß die Einflüsse derselben auf die Temperatur groß genug sind, um derartige Phänomene nicht mehr in ihrer ganzen Kraft auftreten zu lassen, dazu haben beigetragen die Minderung und Lichtung der Wälder, in welche nun die Sonnenstrahlen dringen und den Boden erreichen wodurch dauerhafte Wärme erzeugt wird, sowie die Trockenlegung derSümpfe und Moräste durch Ableitung der stockenden, aus» lallenden Wasser: mit einem Worte der Fleiß des Menschen und die großartig fortgeschrittene und sorgfältig ausgeübte Pflege des Bodens üben unverkennbar ihren Einfluß. Doch sind auch jetzt noch die Wirkungen derKälte mächtig genug, um. im Einzelnen geschildert, ein großartiges Bild von der Macht deS nordischen Winters abzugeben. Gegenwärtig ist die Schifffahrt im baltischen Meere gewöhnlich vier oder fünfMonate hindurch geschlossen und die nördlichen Häfen, die Engen und Baien sind vom December !2. Kap.) Meereis. 227 bis zum April mit Eis gefüllt. In dem finnischen und bothnischen Busen beginnt das Einfrieren am frühesten und endet am spätesten, und breitet sich die Eisdecke über die größte Fläche aus. Im Hinter« gründe dieser beiden Golfe, besonders des bothnischen, werden die Gewässer zuerst davon ergriffen und verwandeln sich allmälig in große Eisberge längs der Küsten und zwischen den Klippe». Durch heftige Stürme losgerissen, rücken diese Eisberge im wirren Durcheinander weiter in die Mitte der Bucht vor, stoßen und reiben sich gegenseitig, bis sie endlich durch eine dauernde, sehr strenge Kalte fest an einander« geheftet und in eins verbunden werden, sodaß sie eine ungeheuere Eis« fläche darstellen, deren unregelmäßig gewölbte Form die Arbeit der Wogen in jener Zeit verräth, in der sie zu einer festen Masse ver« torpert wurden. Ost breitet sich dieselbe über die Ausdehnung der , Busen aus, und nimmt beträchtliche Raume nach Westen hin ein, selbst Stockholm erreichend. und nach Osten hin die Inseln Dagöe uud Oesel in ihr Bereich ziehend. Das große Becken des Alands. Archipelagus, und alle die benachbarten Passagen von Schweden bis nach Finnland, bleiben mehrere Monate hindurch eingefroren und man überschreitet in Schlitten diese Meeresarme, in einer Ausdehnung von sechzehn bis zwanzig Meilen, dieInseln natürlich mit einbegriffen. Der Weg win» det sich schlangenförmig zwischen Eisblöckcn hindurch, die eine Höhe von fünfzehn bis sechzehn Fuß haben, nnd bald Felsen gleichen, die ein Erdbeben wüst über einandergeworfe» hat, bald wie Prachtbauten erscheinen, welche der Zahn der Zeit zernagt oder das Eisen der Feinde gewaltsam verheert hat. Die Elemente entfalten ihre Macht auf das gewaltigste und umgeben mitunter Diejenigen, welche ihr Gebiet zu überschreiten wagen', mit den größten Gefahren. Schneewirbel rasen in den Lüsten umher, und verschütten niedersinkend die Wege, oder verbergen die von Entfernung zu Entfernung ausgesteckten Leitpfähle. Wüthend heulen die Winde; entferntes Getöse und Gekrach läßt sich vernehmen, und hier und dort bemerkt man Spalten und Risse, deren Gefahren man nur dadurch entgehen kann, daß man sie in einem Nachen überschreitet, oder, ihnen ausweichend, eine andere Richtung einschlägt. Indessen können in dieser eisigen Wüstenei sich auch we. niaer schreckliche Scenen enthüllen, und weniger erschütternde Bilde, 15' 228 Dauer dtl Winter. 12. Vuch. darbieten. Wenn die Ruhe dem Sturme folgt, und die von den Nebeln freie Luft die Sonnenstrahlen durchdnngcn läßt, verbreiten sich überall sehr verschiedene und glänzende Farben, und die Phantasie glaubt sich in das magische Reich der Genien und Feen versetzt. DieTchnee. teppiche sind mit glitzernden Edelsteinen und Perlen besetzt; das Eis. mit glänzendem Lichte bekleidet, nimmt die Gestalt entzückender Pa« laste an, und fern am Horizonte schmückt purpurglühendes Gewölk die Wölbung des Himmels. Diese merkwürdigen Einflüsse der Kälte, die wir schilderten, be« schränken sich übrigens nicht immer auf die nördlichsten Gegenden der Ostsee. Sei es. daß die Eisberge der beiden großen Busen ihren ge« wohnlichen Grenzen entrückt werden, sei es, daß sich in den südlicheren Theilen des Meeresbeckens selbst dergleichen bilden, genug es ereignet sich. daß sie die Wasser längs der Küsten von Lievland und Schweden auf eine Strecke von mehreren Meilen anfüllen. Ja. während deS Winters von 1709 hatte die Eisfläche an der Küste von Preußen eine solche Ausdehnung, daß das Auge von den höchsten Thürmen den Raum, den sie ausfüllte, nicht zu übersehen vermochte. Oft ist es mög» lich, aus der Provinz Smaland auf Schlitten und Wagen die Insel Oeland zu erreichen, und zwischen dieser und Gottland pflegen sich selbst in nur mäßig strengem Winter die Eisberge anzuhäufen, und auf mehrere Monate jede Communication zu verhindern. Daß der Sund zwischen Kopenhagen und Maluwe. und selbst zwischen Helsin« gör und Helsingborg, trotz der starken Strömung, zuweilen auf meh» rere Tage gefriert, und selbst die Belte durch eine feste Decke oder Eis« ftopfungen unfahrbar werden, zeigten wir bereits. Dauer der Winter. Auch in einer andern Beziehung wollen wir nun das Eis des baltischen Meeres betrachten. Der Uebergang der einen Temperatur tn die andere, die Winde, das Wachsen des Meeres und die Ström»»»» gen bringen verschiedene Wirtungen auf die Eismassen hervor. die alle der Aufmerksamkeit werth sind. Bald öffnen sich kleine Löcher, aus denen das Wasser quettartig hervorsprudelt, oder gar springend in 12. Kap.1 Dauer der Winter. 229 die Höhe steigt, um kurze Zeit darauf wieder in kleinen Massen zu gefrieren, die dann höchst sonderbar gestaltete Figuren bilden; bald spaltet sich aber auch die gefrorne Masse in einer beträchtlichen Aus« dehnung, sodaß man Rinnen entstehen sieht, die den Furchen gleichen, welche der Landmaun in den Feldern zieht. Mitunter ereignet es sich auch, daß die Eisflachen, welche an den Küsten angeheftet find, eine plötzliche Erschütterung erleiden, die sie hebt und bricht; oft begleitet diese Erschütterung ein donnerähnliches Getöse und die Gewalt, mit der des Eises Widerstand gebrochen wird, schleudert einzelne mächtige Stücke desselben bis zu einer Höhe von fünfzig Fuß in die Luft; gleich, zeitig wird oft die ganze Küste erschüttert, und Sand. Steine und selbst Bäume werden weit umhergeschleudert. Die erschreckte Bevölkerung erblickt darin das Wirken übernatürlicher Mächte, und bebt, wie ihre Vorfahren bebten, die im gleichen Falle die Meeresgötter in Zorn und Rache zu sehen glaubten. In den südlichen, östlichen und westlichen Eeestrecken findet das Schmelzen des Eisce gewöhnlich im Monat April sein Ende; aber im Norden und Nordwesten, in dem bothnischen und finnischen Busen, währt es oft noch bis znm Ausgang des Mais, während die Sonne schon sechzehn bis siebzehn Stunden am Horizonte ist. Wenn schließ, lich das allgemeine Schmelzen beginnt, verbreitet sich noch einmal eine empfindliche Kälte über alle baltischen Gegenden und verursacht einen langen Verzug der schönen Jahreszeit, besonders in Finnland, Schwe« den und Lievland. Die Nordoftwinde, die bis zum Monat Juni zu herrschen pflegen. halten die Wirkung der Sonnenstrahlen auf. und die Vegetation sucht vergeblich über die ihr Wachsthum beschränken-den Hindernisse zu triumphiren. Oberst Jackson hat in einer Mittheilung an die ko^al 6eoFl2plu. ca! Sociely, interessante Details über das jährliche Frieren der Newa bei St. Petersburg und daS Sprengen ihrer winterlichen Bande für den Zeitraum von 117 auf einanderfolgenden Jahren gegeben. Aus dieser Schrift geht hervor: 1) daß von 117 Malen der Strom nur ein einziges Mal erst am 14. December zugefroren ist; 2gy Steiuwandenlngell. l2. Buch. 2) daß er 13 Mal im October, 95 Mal im November und 8 Mal im December zufror, und daß die durchschnittliche Zeit zwischen den 5. und 20. November fällt; 3) daß von jenen 117 Malen das Eis nie früher als am 6. März aufging, mit alleiniger Ausnahme eines einzigen Falles; 4) daß es 18 Mal im März und 99 Mal im April brach, und die allgemeine Zeit des Eisgangs zwischen den 5. und 15. April fällt; 5) daß fast ganz regelmäßig ein Jahr um das andere die Schifffahrt sich sieben Monat offen und fünf geschlossen zeigte; 6) daß in den Südtheilen der Ostsee die Eisbildung regelmäßig später eintrat, und das Treibeis stets früher verschwand. Letzteres wurde durch die Strömungen sehr selten vor Neujahr und kaum jemals vor Weihnachten ins Kattegat geführt. Die Periode sei« nes völligen Verschwindens ist sehr verschieden und hängt ganz« lich von dem Zustande des Eises in den nördlichen Theilen des baltischen Meeres ab, namentlich correspondirend mit dem zwi» schen Vornholm und Schweden liegenden Sunde, der oft bis zu den Frühlingsäquinoctien eine feste und überfchreitbare Eisdecke behält, wenn auch die übrige See schon mehr eisfrei ist. Wenn es sich aber auch mitunter bis im April, und gewöhnlich bis im März zeigen mag, so hört es doch gemeiniglich schon im April auf, der Schifffahrt gefährlich zu sein. — Solange übrigens noch von dem Leuchtthurme des Cap Skagen Treibeis zu sehen ist, bleibt auf demselben eine weiße Flagge mit einem blauen verticalen Streifen aufgehißt. Steinwanderungen. Im Verlauf der Jahrhunderte hat das Eis des baltischen Meeres auch die geologischen Bedingungen desselben in nicht unbeträchtlichem Umfange geändert. In den nördlichen Theilen der See, in denen das Wasser am wenigsten gesalzen ist, friert es von der Oberfläche bis in eine Tiefe von fünf oder sechs Fuß. Riesenhafte Steine und von den benachbarten Gebirgsstöcken abgesprungene Felsenspitzen ragen von dem Grunde der See herauf, und werden mit in die gefrorne Wasser« masse eingebettet. So von der strengen Hand des Winters erfaßt, l2.Kap.^ Steinwanderungen. 231 werden auch sie mit aufgehoben, wenn durch das Schmelzen des Schnees im Frühlinge das Wasser steigt und sich hebt, und mit den schwimmenden Eisinseln ziehen auch sie hinweg, bis ihr Gewicht die Tragkraft der Schollen übersteigt, und sie in mehr oder weniger fernen Gegenden ihres ursprünglichen Ruhepunktes abgesetzt werden. In ähnlicher Weise wandern auf der Oberstäche des Eises kleine Felsftücke und Steinplatten, welche durch die Sprengkraft des Frostes und den verwitternden Einfluß der Regen und Winde von den Klippen gelöst werden, und unterliegen dem gleichen Wechsel ihres Platzes. Es giebt einige höchst wunderbare, jedoch authentisch verbürgte Beispiele die« fes Fortführungsprocesses. Professor v. Bär erwähnt in einer Mit. theilung an die Akademie von St. Petersburg einiger Granitblöcke, deren einer ein Gewicht von Millionen Pfunden hatte, welche in dem Winter von 1837 zu 38 mit dem Eise aus Finnland zu der In» sel Hogland hinübergeführt wurden, wahrend zwei andere ähnliche Blöcke zwischen den Jahren 1806 und 1814, nach dem Zeugniß vieler vollkommen glaubwürdiger Lootsen und Einwohner, mit dem zu» sammengebackenen Treibeise sich große Strecken weit an der Südküste von Finnland hinbewegt hatten. Als 1821 der Niemen aufbrach, kam eine bedeutende Eismasse den Strom herab, die, auf das Land gewor« sen, ik ihrem Schoose ein großes fast dreieckiges Stück Granit von un» gefähr zwei Fuß Durchmesser zeigte, das vollkommen dem rothen Gra» nit von Finnland glich. — Ein einfacherer, aber diesem Phänomen verwandter Umstand wird von dem Doctor Forchhammer in Kopen» Hagen folgendermaßen berichtet: „Im Jahre 1807 flog, zur Zeit des Bombardements der dänischen Flotte, eine englische Kriegsschaluppe, die auf der Rhede von Kopenhagen vor Anker lag. in die Luft. Im Jahre 1844, also fiebenunddreißig Jahre nach dem Ereignisse, stieg einer unserer Taucher, der als ein völlig glaubwürdiger Mann bekannt war. in die Tiefe, um zu versuchen, das, was etwa noch in dem Schiffswrack geblieben sein möchte, zu retten. Er fand den Raum zwischen beiden Decks völlig mit Steinblöcken von sechs bis acht Cubikfuß Größe bedeckt, an einzelnen Stellen sogar mehrere der-selben übereinandergchäuft. Er bestätigte dies Factum dann auch noch durch die Mittheilung, daß alle die gesunkenen Schiffe, welche er 2r hohen Sommertemperatur kommt der Wein, def« sen erfolgreicher Anbau im Westen seine Grenze in der Höhe der Loire« mnndnng findet, in der südlichen baltischen Ebene in einer weit be« trächtlicheren Breite noch zur völligen Reife. Sobald man aber die See überschreitet und nordwärts in Schweden vordringt, liefert der plötzliche Wechsel der Vegetation sehr schnell den Beweis einer durch die Strenge und lange Dauer des Winters herabgedrückten mittleren Jahrestemperatur. Die Maulbeere, Wallnuß und Kastanie reifen noch im südlichsten Stricht Schönens. Natürliche Buchenwaldungen hören mit der Breite von Kalmar gänzlich ailf, und in ihr findet auch die Nachtigall ihre nördlichsten Wohnsitze; überhaupt nimmt die lieb« liche Lebendigkeit der gefiederten Sänger von hier aus immer mehr und mehr ab; bald schweigen auch die Finken, die Lerche trillert nicht mehr, und nur der Schlag einer Droffel unterbricht das von den Küsten hertönende Geschrei der Möwen und das heisere Gelrächz der Raubvögel. Die blaue Pflaume oder gemeine Zwetsche trägt noch bis nördlich von Geste, oder etwa zwanzig Meilen nördlicher als Stockholm. Die Eiche. Linde und Ulme hören auch als einzelne Bäume unter dem 61. Paralleltreise auf, zu gedeihen; Aepfel, allerdings der gröberen Sorten, und ebenso Birnen, werden noch mit Erfolg bis Sundsvall unter dem 62. Grade gepflanzt, während Kirschen, Ellern und Ahorn sich, wo sie guten Boden finden, noch im 63. Breitengrade behaupten; der Weizen ist, wenn schon mit Schwierigkeiten kämpfend, noch in Inger« manland, unterm 64. Parallellreise, verbreitet, wo auch der feinere Gemüse« und Gartenbau seine allgemeine Grenze findet; auch Hafer reift sehr selten in höherer Breite; Roggen, Hanfund Gerste. Kar« toffeln, Kohl und Rüben, ferner Stachelbeeren, von Bäumen Birken, !2. Kap.! Einfluß auf die Vegetation des Kilstenlandes. 241 Tannen, Fichten, Föhren. Wasserweiden und Bergeschen dehnen sich bis zu dem äußersten Punkte des bothnischen Meerbusens aus; ja. sie reichen selbst bis weit in den arktischen Cirkel hinein, freilich verkrüv« pelnd und sich in bloses Strauchwerk verwandelnd, zwischen welchem kleineres Gesträuch mit herrlichen Beeren wuchert, während an der Erde fortranlende Pflanzen, Farren und Moose dasselbe verbinden, umschlingen und an den Stämmen emporkriechen. — Bei Enontekis, unterm 68. Grade 30 Min. nördlicher Breite, dem äußersten Punkte des baltischen Beckens, in der Tornea« Lappmark, ist die mittlere Iah. restemperatur 4 bis 5 Grad unter dem Gefrierpunkte, und man er» langt im Durchschnitt nur in jedem dritten Jahre eine lohnende Ger» stenernte. t« ofis«. l. 16 Drittes Buch. Das thierische Leben und die Productionen der Ostsee. Dreizehntes Kapitel. Vögel. — Philen. Wale und Delphine. — Fische: Lampreten, Quer« der, Lanzettfisch. Nasen-, Hai-. Frosckfisck. Stör. Sterlet. Nadelfisch. Meerhaase, Sumpftöder. Schwertfisch. Teewolf. Schleimfisch. Drachen» fisch. Schellfisch. Makrele. Stichlina., Nothseder. Seehahn. Krovffisch, Plcuronelten, Barsch, Hering, Sprotte. Anschovi. Salm, Lachsforelle, Seeforelle. Aesche. Hecht. — Wirbellose Thiere: Auster. — Vliesmuschel. — Schnecken. — Krustenthiere. — Zoophyten. — Polypen. — Seepflanzen. — Bernstein. Vögel. Das Princip der Fruchtbarkeit und des Lebens, welches die Erde mit so vielen verschiedenen Wesen bevölkert, herrscht nicht weniger auf dem Grunde der baltischen Wasser, wie längs ihrer Gestade. Ja, es scheint hier fast noch thätiger zu sein und wahrhaft unerschöpfliche Quellen zu besitzen. Erzeugnisse, ebenso überraschend durch ihre Zahl als durch ihre Verschiedenheit, bereichern die Flüsse, Seen und das Meeresbecken und stellen sich der Bewunderung des Menschen dar. oder rufen seine Industrie hervor. Betrachten wir auch diese und den Nutzen, den die Bewohner der benachbarten Lande aus ihnen zu ziehen wissen. Wenn endlich die sanften Einflüsse der Sonne sich über die weiten Gefilde verbreitet haben, die der Winter so lange beherrscht, wenn das Eis nnd der Schneeteppich verschwunden sind. um dem grünen Schmuck der Baum» und Pflanzenwelt Platz zu machen, wenn die !3. Kap.) Vögel. — Schnevfen; Bekassinen:c. 24.^ Gewässer ihre Beweglichkeit und Durchsichtigkeit wieder gewonnen haben, und sich im spiegelnden Glänze frei in ihren Becken bewegen, dann wird auch die traurige Stille, die in der Natur herrschte, ge« brochen und Leben und Bewegung folgen ihr. Eine Menge von ver, schiedenen Vögeln schwingt sich im Walde von Ast zu Ast und wirbelt jubelnd auS den Feldern in die Luft, und eine nicht weniger zahlreiche Menge andeier versammelt sich an den Ufern der Flüsse, Seen und Meere. Sie haben sich mit der Jahreszeit verjüngt; ihre Stimme ist stärker, sonorer geworden; wechselsweise streichen sie über die Oberfläche der Wellen dahin und erheben sich hoch in die Lüfte, sich endlich mit munterem Freudengeschrei am Ufer und auf benachbarten Felsen nie» Verlassend. Einigemale gefallt es ihnen auch wohl sich auf die Eis» stücke zu setzen, die noch liier und dort in den Mündungen der Flüsse, in den Baien, Buchten und Eugen schwimmen und einen hübschen Contrast zwischen dem Bilde des Frühlings und den Erinnerungen des Winters liefern. Die Zahl der Vögel, welche das baltische Meer besuchen, ist unge» mein groß und sie gehören zu Geschlechtern, die wohl der Aufmerksam, keit würdig sind. So find zuerst die Schnepfenarten und Bekassinen wegen ihres hohen Werthes als Küchengcftügel zu nennen, dann die Strandläufer, und darunter namentlich der Kibitz mit den so schätzens» werthen Eiern, derRegenvogel. Säbelschnabler, Austernfischer. unter den Pelikanen der Cormoran oder Seerabe, dann die Eeeschwalbe und andere Möwenvögel, der Sturmvogel. Enten. Taucher, Alken und Pinguine, und alle anderen Familien uud Arten von nordischen Strand« und Schwimmvögeln. Auch sieht man längs der Ufer und über den Buchten und Busen mehrere Sorten Falken und Adler im kühnen und graziösen Fluge schweben. Ein Theil dieser Vögel hält sich das ganze Jahr hindurch an den baltischen Gestaden auf. wie z. V. die Falken, Enten, Taucher; ein anderer verschwindet bald nachdem die Zeit des Brütens verflossen ist; unter ihnen sucht ein Theil, wie die Entenarten, den Norden, während ein anderer, die Möwenvögel, in die südlichen Gefilde zieht; die Schnepfen und Strandläuferarten aber begeben sich tiefer in das Land, um an See« und Flußgestaden das verwandte Element 16' 244 Der Schwan. ' 3. Buch. zu finden. Indessen find diese Wanderungen nicht für alle hier leben« den Arten förmlich festgestellt und geregelt, und es ist schwer ihren Weg mit Genauigkeit anzugeben. Professor Oedmann zu Upsala, ein gelehrter Naturforscher des Nordens, hat genaue Beobachtung über diesen Gegenstand während eines mehrjährigen Aufenthaltes auf den Stockholm benachbarten Inseln angestellt; er sah die Vögel derselben Art bald früher kommen, bald später wiederkehren, in einem Jahre im Herbste, im andern schon im Sommer verschwinden, und endlich auch im anderen Jahre hindurch ganz dortbleiben. Unter den Entenvögeln, welche die reichste und verschiedenartigste Familie bilden, zeichnen sich vorzugsweise der Schwan und die Eider aus. Jener besucht häufig mehrere Theile des baltische» Meeres, scheint sich aber vorzugsweise in den Wassern zu gefallen, die zwischen Scho» nen und den dänischen Inseln fiuthen. Dort entfaltet er mit der größten Befriedigung die Schönheit seines edlen Anstands und den Reich» thum und die Reinheit seines Gefieders. Wenn man ihn in diesen engen Straßen, die von Ortschaften umsäumt und mit Schiffen bedeckt sind, in Gruppen ziehen sieht, welche annähernd der Menge gleichkom« men, die, durch königlichen Schutz und treffliche Pflege ins Unglaubliche gesteigert, die silberne Fluth der Havel um die preußische Som» merresidenz beleben, muß man sich zu der Annahme geneigt fühlen, daß er Zeugen seines Glanzes suche und sich zu Anstrengungen sporne, um den Beifall der Beschauer zu erringen. Der hohe Werth seines Gefieders vielleicht ebenso sehr als die Absicht, dem königlichen Vogel seiner Familie, ja der ganzen Ordnung der Schwimmvögel, den Schutz der gesetzlichen Macht angedeihen zu lassen, hat in fast allen Landen den Schwan zum Regal erhoben, und ihn dadurch davor bewahrt, wie so viele andere Vögel, ein trauriges Opfer der Mord- und Beuteluft gewöhnlicher Jäger zu werden. Man darf ihn nur bei feierlichen Ge> legenheiten und auf höheren Befehl verfolgen. Die Annalen der vom königlichen Hofe von Dänemark gegebenen Feste berichten von groß. artigen Schwänejagden auf der Insel Amack. In Schonen muß eine Anzahl der Fischerfahrzeuge ihre Steuer der Provinzialregierung in Schwanenfedcrn abstatten, was früher in dem ausgebildeteren Lehns» Verhältniß eine Abgabe gewisser Vasallen dieser Provinz gewesen ist. 13. Kap.j Die Eiderente; der Bläßling. — Slrandvögel. 245 Die Eiderente hat zwar ihr Hauptvaterland im höchsten arktischen Norden, in Grönland. Lappland, Nowaja-Semlja und Island, geht aber, wie nach der Nordküfte Schottlands, auch zuweilen sowohl in große« ren Mengen, als in einzelnen verirrten Exemplaren in die baltischen Gegenden. So zeigt sie sich jährlich unter den Felsvorsprüngcn der Insel Bornholm, auf den hohen Vorgebirgen der Insel Gottland und vorzüg. lich in dem steilen Felslabyrinthe, welches den bothnischen Golf be« herrscht. Die Schweden bezeichnen durch besondere Namen den männlichen und weiblichen Vogel, die in der That auf den ersten Anblick zwei ganz verschiedene Arten zu bilden scheinen, da das Weibchen ein un« schönes graues, das Männchen aber ein glanzend weißes und roßbrau« nes Gefieder hat. Es ist wohl allgemein bekannt, daß sich das Weibchen von den Brüteftecken des Unterleibes die Dunen ausreißt, um damit ihr Nest zu durchwebcn und die Eier zu bedecken; die Zartheit dieses Dunengesieders, das für den Luxus und die Verweichlichung unseres Jahrhunderts ein so wichtiger Artikel ist, machen den Vogel so kost. bar, daß man ihn dort, wo er in den Spalten der Felsen nistet, mit Lebensgefahr aufsucht. Die Eiderjagd und Nestberaubung find in staatsökonomischer Weisheit durch strenge Gesetze geregelt, um zu ver» hindern, daß die Gier der Jäger nicht der Fortpflanzung des Ge> schlechis schädlich werde. Derselbe Instinct, welcher die Eiderente die Felsen und Gebirge der den Polen benachbarten Lande suchen läßt, führt auch den Blaß, ling odcr Papagcientaucher in diese Gegend, wo dieser Vogel mit Vorliebe die Stelle für sein Nest sucht. Die Strandvögel der Säbler und Austernfischer gefallen sich mehr in den südlicheren baltischen Gegenden und auf flacheren Ufern, und suchen daher vorzugsweise die dänischen Inseln, Schonen, Preußen, Gottland und Oeland auf. Die gewöhn« lichen Enten, Taucher und Möwen sind allgemein in der ganzen bal. tischen Region. Die eigentliche Mantelmöwe, die zahlreichste Art ihrer Familie, überschwemmt als geselliger Vogel vorzugsweise den Südwesten der Ostsee. In dem langen. tief in das Land eingehenden Busen der Schlei ist eine etwas über die Meeresoberfläche erhobene Insel, die sie vorzugsweise zum gemeinsamen Aufenthalt und Brüte« platz erwählt, sie hat deshalb den Namen ..Möwenberg" erhalten, auch 24« Dle Mantelmöwe; die Schmaiotzermöwe. s3. Vuch. wird dort jährlich eine allgemeine Jagd abgehalten, die beliebt ist und den Charakter eines beliebten Volksfestes trägt. Im Frühlinge versammeln sich diese Vögel bereits in großer Schaar, und da der ihrem Fleische und selbst den Eiern anhaftende Thrangeruch und Fisch, geschmack sie wenig genießbar macht und das Gefieder keinen hohen Werth hat. so vervielfältigen sie sich, geschützt gegen die Habgier der Menschen, und durch drei Legezeiten begünstigt in einer solchen Weise, daß, wo sie sich erheben, die Luft wie von schwarzem Gewölk verdunkelt erscheint. Während der Blütezeit läßt eine milde Verordnung denMö» wenberg in der Schlei gegen jeden Angriff schützen, aber Ende Juli verkündet der Magistrat von Schleswig im officiellen Umzüge durch drei Flintenschüsse die Eröffnung der Jagd, und Tausende von Lieb« habern, von nah und fern herbeigeeilt, geben sich dem Vergnügen des Mordens hin; denn so schlau und vorsichtig der einzelne Vogel sich ge« berdet und das Erlegen zu einer interessanten Jagd macht, so hinder» lich wird die Menge der gern versuchten Flucht. Wie in China die Scharben zum Fischfange abgerichtet werden, soll eS am baltischen Gestade mit dem dort überall verbreiteten großen Säger (mer^us mei-Fanger), einer eigenen Gattung der Eutenvögel, der Fall gewesen sein. Jetzt scheint die Kunst der Dressur dieses Fischer« Vogels, wie jene derDressur des Falken, verloren gegangen zu sein; doch wenn derselbe auch nicht mehr dem Herrn seine Beute bringt, leistet er doch durch einen natürlichen Instinkt den Fischern seinen Dienst, indem er sich schreiend über deu Buchten und Baien bewegt, in denen sich ge« rade die längs der Küste ziehenden Fische aufhalten.— Ein interessantes Schauspiel gewährt es oft, wenn die Strunt» oderSchnuirotzermöwe im Fluge eine der anderen Möwen umkreist und ängstigend unter lautem Geschrei auf sie losfährt, bis sie die Beute aus ihrem Schna» bel entgleiten läßt, die dann, noch bevor sie das Wasser erreicht, mit Blitzeseile von dem schmarotzenden Diebe gefangen wird. Die Möwen find im Allgemeinen sehr neidisch und gierig, und so werden sie oft über dem Lande schwebend und sich verfolgend angetroffen, wo dann meist die gemachte Beute der Einen zu Bodcn fällt und dem Küsteube» wohner zu Theil wird, der an manchen Orten ohne jede Mühe auf trockenem Boden einen ergiebigen Fischfang hat. 13. Kap.1 Der Belbussard. 247 Der stolzeste und gierigste Beherrscher des Luftkreises über dem baltischen Meere ist der Belbussard (laloo kalmeluä), einTagraubvogel der Falkenfamilie. Aehnlich wie der Adler sich in den Lüften über Ebenen und Thälern wiegt, schwebt der Belbussard in großer Höhe über dem Meere; allmälig steigt er herab, und nachdem er in Zwischenräu« men mit seinen Flügeln schlug, um den Fisch zu blenden, stößt er mit Geschwindigkeit auf seinen Raub, den sein durchdringender Blick schon ersehen hat. Sobald er ihn ergriffen, schwingt er sich mit ihm auf einen benachbarten Felsen, um ihn zu verzehren. Der Belbussard erbaut seinen Horst nie weit vom Ufer, zwischen den Zweigen großer Bäume, am liebsten der Tannen, und zwar mit solcher Festigkeit, daß er den härtesten Stürmen widersteht und sich eine lange Reihe von Jahren erhält. Wenn er für die Jungen zu sorgen hat. verdoppelt sich seine Habgier und oft ist sein Nest so voller Vorrath, daß die Ve» wesung darin vor sich geht und die Reinheit der Waldluft mit verve» ftendem Gestank erfüllt. Diese Schwärme von Vögeln, mit denen die baltischen User be» völkert sind, beweisen die Güte der Schöpfung, welche stets die Mittel fand, durch die Natnr selbst den Ländern, für andere Hilfsquellen, die sie ihnen versagte, Ersatz zu bieten. Unter den der üppigen Vegetation des Südens beraubten Felsen, auf den Dünen und sandige» Haiden, wie in den Mooren und Sümpfen der baltischen Küsten scheinen diese zahlreichen Familien der nordischen Vögel sich vorzugsweise gern auf. zuhalten; sie liefern den Bewohnern einen Zuschuß zur Nahrung, und erleichtern die Noth und den Mangel, die in ihren nahen Hütten Herr» schen. Das Fleisch dieser Vögel dient ihnen, — wenn es auch nach unserm verwöhnten oder mindestens anders gewöhnten Geschmack nicht schätzenswert!) ist, — zur Nahrung; die Federn werden ein Handels, gegcnstand; die Eier— von vielen Arten kostbare Leckerbissen— wer. den auf eine und andere Art. als eigene Nahrung oder als Tauschwaare gegen andere nöthige Lebensbedürfnisse verwendet. In manchen Küstenstrichen des hoben Nordens ist die Sorge des Sammelns und der Erhaltung der Eier die große Aufgabe der Industrie der Bewoh. ner. und man hat Verrathe aus Jahre hinaus. Ohne Zweifel war es diese vorzugsweise Nahrungsquelle der Eier wilder Vögel, welche 248 Phoken: Seehunde. 13. Vuch. die alten Schriftsteller von dem den Polen benachbarten Volke der „06on«8" (Eieresser) reden ließ. Tacitus, Plinius und Pomponius Mela erwähnen seiner, wenn schon unter der Reihe der Hippopoden, die Pferdefüße, und der Panoten, die so große Ohren hatien, daß sie ihren ganzen Körper darin einhüllen konnten. Die Wichtigkeit der Meeresvögel stachelt den Fleiß und ocn Muth der Insulaner und Kü« stenbewohner an; fie stellen ihnen bald mit dem Netze, bald mit der Flinte nach, und durchstreifen die Felsen, Halden, Sümpfe und Dünen mit einer unermüdlichen Geduld. PHoken. Wale und Delphine. Mitten unter den beflügelten Schaaren, welche über den nordischen Meeren schwärmen, sieht man oft jene Seesäugethiere oder Flossenfüßer, deren Formen und Sitten so mannigfach verschieden find. als ihre Benennungen. Nmphibienartig halten sie sich zwar vorzugsweise in den Gewässern auf. die ihnen zur Darbietung des Lebensunterhaltes angewiesen sind, aber auch des festen Elementes find fie bedürftig und ersteigen die Klippen und Ufer, sich munter und in ergötzlichem Possen, spiel auf den Felsen sonnend, oder mühsam durch das Buschwerk und den Sand des Strandes schleichend. Die Robben und Walrosse kom-men nur selten oder nie in das baltische Meer, und verlassen nur als in der unermeßlichen Weite der Meeresfluthen verirrte Wanderer die Polarregioneu; dafür aber hat das baltische Meer eine zahl- und geschlechtreiche Familie von Seehunden oder Phoken, die vorzüglich seine nördlichen Regionen erheitern und beleben. Sie sind an Größe, Ge« ftalt und Gewohnheiten verschieden; man sieht sie während scharfer Winter und zur Gebärzeit in Schaaren ihre tiefer gelegenen Rückzugs» orte in dem finnischen und bothnischen Busen, in den Baien Gottlands, Oelands und Bornholms aufsuchen. Dem die Oftsee befahrenden Reisenden bieten diese Seehunde ein heiteres und interessantes Schauspiel dar, wie er es in der Einförmig» keit des Seelebens wohl kaum erwartet; mögen fie belehrend mit ihren auf dem Fels der Ufer geborenen Jungen spielen, sich aufgerichtet im Wasser der Gewalt der Wogen anscheinend im tiefsten Schlafe über« lassen, oder jagend eine große Verheerung im Fischreiche anstellen, sich l3. Kap.I Seehunde. ' 249 in der Eifersucht ihres Herzens um die Gunst der Weibchen wüthende Kämpfe liefern, oder die Fahrzeuge und die Menschen darin dreist in den Kreis ihrer Spiele ziehen. Noch in der dichtesten Nähe derSckiffe und Boote ihre nackten Mäuler aus den Wellen emporsteckcnd, tauchen sie Plötzlich mit Blitzesschnelle unter, um in einer Minute in der Ent« fernung von zwei - bis dreihundert Fuß wieder emporzuschnellen. Auf den Kämmen der Welle suchen sie die aus dem Wasser hervorragenden Felsen zu erreichen, und lassen sich in dem Maße höher schieben, in welchem sich die Wogen mehr und mehr erheben, oder sie ergreifen mit den Füßen und dem Munde vorspringende Zacken und scheinen mit großem Genusse in der Luft zu hängen. Wahrhaft rührend istdicLiebe und Sorgfalt, die sie ihren Jungen beweisen, die Wachsamkeit, die sie ihnen widmen, wenn sie ihnen den Schwimmunterricht ertheilen, indem sie denselben zur Seite bleiben und mit Aufmerksamkeit ihre Bewegungen beobachten. Bei dem Herannahen der geringsten Gefahr nehmen sie dieselben auf ihren Rücken und beeilen sich, sie'in Sicherheit zu bringen. Oft von den Fischern des Nordens gefangen und mit geringer Mühe an sie gewöhnt, entwickeln die Seehunde einen bildungsfähigen und gutmüthigen Charakter und leben mit dem Menschen, dem sie sich so nützlich erweisen, in einem gemüthlichen Zusammensein. Die baltischen Küftenbewohner, denen die Natur und Industrie noch andere Hilfsquellen angewiesen hat, leben nicht gerade vorzugsweise von dem Seehunde, wie die armen Grönländer, die von ihm das Fleisch zur Nahrung, das Oel zu Licht und Wärme, das Fell zur Kleidung, die Eingeweide und Knochen zu Gerathen und Utensilien empfangen, wissen aber doch aus seinem Fette und namentlich aus dem Felle, das sie zu verschiedenen Arten von Bedeckungen zu verwenden verstehen und in den Handel bringen, Nutzen und Erwerb zu ziehen; jedoch überläßt man sich der Jagd auf die Seehunde, auch in den nördlichsten baltischen Winkeln, jetzt nur noch vorzugsweise des Vergnügens halber, und läßt sie sich oft so vermehren, daß sie unbequem und selbst schädlich werden. Im Mittelalter gestaltete sich das Verhältniß anders; denn ein altes Gesetz verordnete für die Gegenden der Alandsinseln den Zehnten der erlegten Phoken für die Geistlichkeit, um sie in den Stand zu setzen, die 250 Fang der Seehunde. ^. Buch. Kirchen besser zu erhalten und die Wohlthätigkeit gegen Seefahrer und Reisende zu üben. Der Fang der Seehunde in der Ostsee und auf ihren Ufern wird verschiedenartig betrieben. Man harpunirt sie. fängt sie in Netzen, schießt sie mit der Büchse nnd erschlägt sie mit Knütteln. Einzelne Jäger wissen ihre Beute durch eine einfache List zu vermehren. Auf den Felsen verstecken sie sich unter Sechundsfellen, oder daraus gefer« tigten Röcken und ahmen das Geblaffe dieser Thiere nach, die dann augenblicklich aus der Fluth auftauchen und auf den vermeintlich lei. denden Gefährten zueilen, um von ihm den Todesstreich zu empfan» gen; stürzen sie dann auch noch sterbend ins Wasser zurück, ist die Beute doch nicht verloren, da der wiederauftauchende todte Körper leicht ans Ufer zu ziehen ist. Ein geschickter Jäger dieser Art wird mit einer fast heiligen Ehrfurcht von den übrigen Küstenbewohnern betrachtet. Aber noch merkwürdiger ist die Jagd, wie sie die Bauern der Insel Gotttand und die Scheerenbewohner des finnischen und both« nischen Busens betreiben. Im März und April, wenn das Eis zu brechen beginnt, versammeln sich'die Bauern in Schaaren und ziehen auf Segelfahrzeugen, deren Kiel mit starkem Eisen beschlagen ist, und denen leichte Nachen beigesellt sind, in das Meer hinaus. Sie sind mit Lebensmitteln, Pulver und Blei, Flinten und Keulen, und auch mit Harpunen bewaffnet. Wenn die Durchfahrten noch zu eng find, ziehen sie ihre Boote auf das Eis und bewegen sie durch die Kraft ihrer Arme weiter. Die Nachen weiden unterdessen in die engsten Durchfahrten gebracht, und dressirtc Hunde verbreiten sich nach allen Seiten, um die Beute aufzuspüren. Wenn die Jäger den Phoken noch auf dem Eise begegnen, erschlagen sie dieselben mit ihren Knütteln, bevor sie ihre Schlupfwinkel wieder erreichen oder sich ins Wasser werfen können; sobald sie aber noch sich zu verbergen oder unterzutauchen vermögen, wird die Jagd schwieriger. Einzelne verfolgen sie in dem Nachen und suchen sie zu Harpuniren; Andere, die auf dem Eise bleiben, schießen ihre Flinten auf sie ab und ziehen das erlegte Thier mit Netzen ans Ufer. WennderSchuß gefehlt hat, läuft der Jäger Gefahr, von den wüthend gemachten Thieren angegriffen und oft schwer verwundet zu werden, da sie, so sanft und friedlich, ja so schüchtern sie sonst sind, sich mit Muth l3. Kap.1 Gefahren beim Scehnndfnng. 251 und Schnelle auf den Jäger im Hintergrunde ihres auf dem Eise gebil» deten Verstecks werfen. Außer dieser Gefahr drohen aber dem Jäger noch andere. Die Durchfahrten, in die er sich in Verfolgung des fluch, tigen Thieres mit Böten und Nachen wagte, sind oft labyrinthartige Gänge in riesigen Eisflächen und bedecken sich mitunter schnell mit einer nenen leichten Eisdecke, die den zusammengewehten Schnee sam» melt und die beiden getrennten Schollen aneinanderbäckt und zu einer ungangbaren Fläche verbindet. Wenn sich Stürme erheben, spalten und brechen sich diese Eisebenen und bilden schwimmende Blöcke; der Jäger, der sich auf den Schollen befindet, wird mit ihnen weit in das Meer hinausgetrieben und erliegt dem Hunger und der Kälte. Im Jahre 1623 wurden vierzehn gottländische Bauern von den Küsten ihrer Insel auf diese Weise in die Bucht von Stockholm getrieben, nachdem sie vierzehn Tage auf einer Eisscholle der Macht des Windes und der Wellen überlassen waren und keine andere Nahrung, als das rohe Fleisch und Blut der erlegten Phoken, gehabt hatten. Die Umstände müssen sehr günstig sein, wenn allen diesen Mühen und Gefahren, außer dem Bewußtsein eines echten nordischen Männer« lebens, noch ein anderer Lohn erblühen soll. Wenn in den neuesten Zeiten die Theilung der Beute stattfand, belief sich der Gewinn meist nur auf acht bis zehn Thaler für den Theilnehmer, der überdies noch die Kosten seiner Jagd zu zahlen hat. Es ist schwer zu begreifen, wie ein Industriezweig, der gleichzeitig so gefährlich und so wenig lukrativ ist, Reize haben kann. Aber die harte Erziehung, das durch Entbehrungen gestählte Temperament, und die Gewohnheit der Gefahren seit der zartesten Kindheit verleihen den nordbaltischen Insu-lanern eine Keckheit, welche sie mit den gewagtesten Unternehmungen spielen läßt, und zu einem herrschenden Charakterzug, zu einer Leiden, schaft wird. dic ebenso anspornend wirkt, wie das Bedürfniß und das Interesse. So ist es bei den Seehundsjägern der nördlichen Ostsee, wie bei den GemSjägern der Schweizcralpcn; die Lust dazu erbt von Generation zu Generation, selbst in Familien, in denen mit dieser Iagdlust der in ihrer Befriedigung gefundene Tod vererbte. Diese Jagden verleihen den ihnen leidenschaftlich ergebenen Bauern einen eigenthümlichen physiognomischen Ausdruck; ihrBlick ist äußerst belebt. 252 Seehunde in Landseen. — Wale. 13- Buch. ihre Stimme stark und rauh; ihre Gesten zeigen sich oft drohend, und ihre ganze Haltung verräth einen ebenso furchtlosen als harten Charakter. Sie sind die entschiedensten Menschen, auf die man in dieser Gegend stößt. Ein merkwürdiger Zug in der Naturgeschichte des baltischen Nor< dens ist das Vorkommen der Phoken in einigen Landseen in der Nähe seines Meeresbeckens. Der Ladoga < und Onegasee haben Seehunde, während andere dem Meere benachbartere Seen sie nicht haben. We» der im Malar- noch in den Binnenseen Preußens kommen sie vor. Wären jene,, die von derselben Art find, wie die des benachbarten Meeres, die Nachkommen einzelner, von den Menschen hierher verbannter Individuen? Oder sind es, wie es sich in Grönland ereignet, von ihrem ursprünglichen Territorium durch Naturereignisse, die vor den Jahrhunderten unseres Gedenkens liegen, abgeschnittene Familien? Man verfolgt sie auch hier, um ihre Felle und ihren Speck zu ver« werthen. Die Grenzen des baltischen Meeres find trotz ihrer Ausdehnung doch noch zu beschränkt, um den riesigen Cetaceen oder Walthieren, die von der Natur in das weite Becken des nordischen Oceans gepflanzt find, als beständiger Aufenthalt zu dienen. Ja es kommt sogar selten vor, daß ein einzelnes Individuum, von Winden und heftigen Strö» mungen getrieben, sich bis ins Kattegat und von dort, geängstigt, ins baltische Meer verirrt; doch strandeten schon Walfische an der Küste Schönens, Curlands. Lievlands und selbst im bothnischen Busen. Man bewahrt noch in einer Kirche, am Eingang dieses Golfs, das Gerippe eines Walfisches, welcher im fünfzehnten Jahrhundert sich hier einfand. Die alten schonischen Gesetze enthalten eine Vorschrift über die zu ergreifenden Maßregeln, wenn sich ein solches Thier an der Küste zeigt. In der Mitte des Juli 1811 wurde bei Gallftröm im bothnischen Golf ein 'solches von siebzig bis achtzig Ellen Lange gesehen, dessen Höhe die Meeresoberfläche fünf bis sechs Ellen über» ragte; es warf Wasserstrahlen von einer großen Höhe aus, die dem Getöse eines Kanonenschusses ähnlichen Lärm verursachten. Als der Wal an der Küste sichtbar wurde, verbreitete sich eine Art panischen Schreckens längs derselben. Sein außerordentlicher Umfang, der !3. Kap.) Wale: Walfische: — Delphine. 253 Schaum, den er ausspritzte, seine völlige Unbeweglichkeit, als er auf der Küste gestrandet war, dies Alles erschien den Bewohnern wie ein düsteres Phänomen, da ihre Augen noch nie ein ahnliches Schauspiel gehabt hatten, und ihnen überdies die nöthigen Werk-zeuge fehlten, um sich zu ihrem Nutzen des erschreckenden Gastes zu bemächtigen. Ein kleinerer Walfisch, der Delphin oder das Meerschwein (äel-plünus pkoeaong,), ist dem baltischen Meere auch als beständiger Be« wohner eigenthümlich und verheert die Fischvorrathe desselben auf gewaltige Weise. Wohl kein Schiff kann die dänischen Inseln und die schonische Küste umsegeln, ohne ihm, der in großen Gesellschaften meist an der Oberstäche des Meeres lebt, und nur wahrend seiner Jagd der Beute nachtaucht, öfters zu begegnen. Während der im Sommer eintretenden Paarungszeit verfallen die männlichen Thiere in einen Zustand so leidenschaftlicher Verblendung, daß sie, keine Gefahr erken« nend oder fürchtend, in der Verfolgung der Weibchen gegen segelnde Schiffe anrennen, und ohne es zu bemerken sich auf das trockene Ufer stürzen. Die Fischer, die im dänischen Reiche und namentlich den Bel» ten zu ihrem Fange eine privilegirtc Genossenschaft bilden, üben gegen sie, als die größten Feinde und gefräßigsten Verfolger der Heringe, keine Schonung, und gewinnen aus ihrem Speck ein im Handel ge« suchtes Ocl, während das im Mittelalter hoch geschätzte und in Grön. land und Island noch heut als Leckerbissen verzehrte Fleisch, von ihnen verachtet wird. Fische. » Dem Ichthyologen bieten die zahlreichen Familien von Fischen, welche das baltische Becken bevölkern, vielfachen Stoss; und die überraschende Größe ihrer Fortpflanzungsgabe beweist es vorzüglich, wie die Hilfsquellen der Natur, ihre belebte Schöpfung zu erhalten, inker Tiefe der Gewässer ebenso unerschöpflich sind. als auf der Oberfläche der Erde. Man hat die Beobachtung gemacht, daß die Meere des Nor» dens an Fischen die reichsten sind, und daß gerade darin den nordischen Völkern ein wesentlicher Ersatz für andere ihnen versagte Naturgeschenke gegeben ist. Die Wichtigkeit dieses Ersatzes bietet noch schla« ?54 Mscht. l3.v«H. gendere Momente dar, wenn man einen Blick darauf richtet, wie die Länder des Nordens von Seen, Strömen und Flüssen durchschnitten sind, die sich alle gleich fischreich erweisen. So ist denn auch lange Zeit hindurch die Fischerei eine Hauvtnahrungsquelle Dänemarks, Schwedens, Finnlands, Lievlands und selbst Preußens gewesen. Ehe die Be« wohner mit Hilfe der Industrie ihren Boden daran gewöhnt hatten, Brotkorn und Gartcnfrncht zu tragen, nährten sie sich in dem Maße von Fischen, daß sie sich oft dadurch eine verheerende Krankheit zuzo-gen, die sich in schmerzhaften und comvlicirten Erscheinungen kundthat, und die unter dem Namen „Nadesyge" noch heute namentlich um die Ufer der bothnischen Bucht traurige Verwüstungen anrichtet. Die Fortschritte des Wissens und die gesteigerten Bedürfnisse des Menschen lehrten sie auch jetzt, auf verschiedene Weise die reiche Naturgabe zu benutzen, ohne sie gerade zum ausschließlichen Nahrungsmittel zu macheni sie find unmittelbar in die Reihen der Tausch- und Han» delsartikel der verschiedeneu Völker eingetreten, und mittelbar liefern sie Fette und Ocle, welche die vegetabilischen Erzeugnisse des Südens vollkommen ersetzen, während die Ueberrefte sich als trefflichen Dung für die magern und kalten Felder beweisen. Obschon das baltische Meer dem großen Ocean sowohl in Zahl als Artenreichthum der Fische gewaltig nachsteht, ist es in Bezug auf den Fischfang dennoch von höchster Wichtigkeit. Es läßt sich dieser Industriezweig mit der verhältnißmäßig größten Leichtigkeit in den Buchten, Baien und Meerengen ausführen, die, so viel ihrer find, natürlichen Fischkästen mit unerschöpflichem Vorrathe gleichen. Größere Unternehmungen und ausgedehntere Fischzugsfahrten, die auf das hohe Meer hinausgehen und überreiche Ernten liefern, finden auf mehreren Punkten statt. Vor Allem muß man die Fischeretablissements Scho» nens, Schleswigs, Pommerns, Preußens, Finnlands und Norrlands bemerken, aus denen Flecken und Städte im Genuß eines großen Wohlstandes geworden sind. Diese Fischereien haben vorzugsweise Kopen. Hagen, Stockholm, Petersburg, Königsberg, Stettin, Lübeck und an. dere zahlreich bevölkerte Städte mit Lebensmitteln versorgt. Ja jetzt, wo die eisernen Schieueunctze die Hauptorte des Binnenlandes der See näher rückten, ißt man nicht allein in Berlin, sondern auch noch l3. Kap.) Fische. 255 tiefer im Innern Deutschlands, die frisch aus dem Wasser in dieKüche geführten Seefische, die sonst nur geräuchert, gesalzen oder marinirt auf zeitraubendem Landwege dorthin und namentlich weit nach Polni hinein drangen. Lange Zeit hindurch befolgten die baltischen Fischer nur höchst unvollkommene Methoden und bedienten sich mangelhafter Instrumente zum Fang und zur Bereitung der Fischarten, bis die Rathschläge erfahrner Männer und die klugen Maßregeln der Obrig. leiten auch sie aufzuklären vermochten, sodaß jetzt ihre Industrie jener der geschicktesten Fischer des Südens an die Seite zu setzen ist. Hier und dort hört man an den baltischen Gestaden laute Klagen über die Verminderung der Fische dieses Meeres und düstere Prophezeiungen über das Erlöschen der Hilfsquellen, welche daraus für die Erhaltung der Bewohner gezogen werden. Aber es find hier, wie überall, Geister, die sich zu unglückverheißenden Wahrsagungen hingezo» gen fühlen, und sich einreden wollen, daß Alles aus die allmälige Ab» schwächung und ZerstöVMg des menschlichen Geschlechtes hinausläuft. Einigen Beobachtern zu Folge soll eine sonderbare Ursache daraufEin« ftuß geübt haben, das baltische Meer zu entvölkern, und den benach» barten Nationen einen ihrem Glück und Wohlergehen so wesentlichen Reichthum zu entziehen. Die Fische dieses engumschlossenen Meeres sollen sich andere Asyle gesucht haben, seitdem die Seegefechte dort häusiger geworden sind, und der Kanonendonner sich selbst öfters in den Baien und Meerengen hören ließ. Man hat während des russisch, schwedischen Krieges von 1789 außerordentliche Bewegungen unter den kleinen Heringen und Strömlingen des finnischen Busens bemerkt. Indessen hat die Fischerei noch immer hinreichende Ernten geliefert; weder der allgemeine Marktpreis, noch die Handelsberichte haben einen Unterschied ergeben, der beunruhigen könnte. Viellcicht hat auf ein« zelnen Punkten die Gier der Fischer der Fortpflanzung geschadet, und an anderen der Instinkt der Fische sie längere Reisen unternehmen lassen, um reichlichere Nahrung zu finden, und so mag der Fang zeit« weise dort weniger ergiebig gewesen sein. Aber diese geringeren Erfolge stören nicht, im Geringsten die allgemeine Oekonomie und sind bald wieder ausgeglichen, durch die unerschöpflichen Hilfsquellen und viel. fachen Verbindungswege der Macht, welche seit dem Beginn der Zei< 256 - MG«. l3. Buch. ten die Lebenskraft und Fruchtbarkeit der Welten erhält. Der Einfluß des Schlachtenlärms auf die stummen Bewohner des Meeres ist übn« gens durch eine bewiesene Thatsache Lügen gestraft. Ein stets an über« reichem Erfolg und Artcnverschiedenheit gleicher Fischfang hat ohne Unterbrechung seit mehreren Jahrhunderten im Sunde, zwischen dem Vorgebirge Kullen und der Insel Seeland, stattgefunden, und dort sind nicht allein gewaltige Seeschlachten geliefert, sondern auch seit einer langen Reihe von Jahren täglich die Salutschüsse zwischen der Festung Kronborg und den vorüberfahrendcn Handelsschiffen gewech-selt worden, von denen bei günstigem Winde der Widerhall der Berge kein Ende finden zu wollen schien. Visher waren die baltischen Fische nur in weiten Umnffen und oberflächlicher Art geschildert. Pennant und Andere gaben die diesem Meere eigenthümlichen Arten auf neunzehn bis zwanzig an, weil sie nicht hinreichende Unterscheidungszeichen fanden. Mehrere tüchtige neuere Ichthyologen des Nordens versichern iizdessen, daß sie bis auf mehr als siebzig stiegen; doch mögen nationaler Eifer und wenig treue Berichte der Fischer, die, ohne im Stande zu sein die wahren charakteristischen Merkmale zu unterscheiden, nach der äußern Erschet« nung die Fische in ihren verschiedenen Alters- und Zeitgewändern mit verschiedenen festen Namen belegen, viel dazu beigetragen haben, diese Zahl zu steigern. Zuweilen ereignet es sich auch, daß Strömungen und Stürme Fische aus dem Ocean in das baltische Meer treiben, die hier nicht heimisch sind, und in ihren gewohnten Aufenthalt zurückkehren, sobald sie ihrem natürlichen Instinct ungehindert folgen können. So liest man in einer Chronik des Nordens, daß man im fünfzehnten Jahrhundert im Sunde einen Fisch gefangen habe, der seiner Gestalt nach völlig einem Mönche geglichen, sodaß er auf Befehl des Königs von Dänemark feierlich beerdigt worden sei. Wahrscheinlich war es einer jener Delphine, die sich in südlicheren Meeren finden, und von einer Art Capuchon an ihrem Kopfe den Namen „Meermönche" erhielten. In Uebereinstimmung mit den besten Werken der Fischkunde eines Bloch, Bosc, Grafen Lacepcde, Dumenil und des schwedischen, leider zu früh gestorbenen Gelehrten Doctor Quensel ist der Fischreichthum 13. Kap.) Lampreten; Querder; Lanzettfisch. 257 der Oftsee auf sechzig Arten festgestellt, die in achtundzwanzig Familien zerfallen. Wir werden sie den interessantesten Zügen ihrer Na. turgeschichte, ihrer Nützlichkeit und ihrem industriellen Werthe nach betrachten. Von Lampreten, der in ihrer Erscheinung fast ekelhaften und dem Geschmacke nach so gepriesenen, dennoch niedrigsten, beinahe auf der Stufe der Würmer stehenden Fischart, die sich, gleich den Blut» egeln. oft an andere lebende Wesen festsaugen und von den ausgezoge. nen Flüssigkeiten und abgenagten Körpertheilen ihrer Beute, die sie vor dem Tode derselben nicht verlassen, das eigne Leben fristen, kommen beide Arten, die See« und die Flußlamprete, vor. Jene hält sich den größten Theil des Jahres im Meere selbst auf und geht nur im Frühling in die Flüsse, um zu laichen; sie ist es, die durch die Hochachtung, die ihr als Leckerbissen gezollt wird, das deutsche Sprich, wort entstehen ließ, wonach von dem unzufriedenen, stets nach Besserem verlangenden Geiste gesagt wird: er wolle stets Lampreten essen. Die Flußlamprete füllt die pommerfchon und schwedischen Flüsse, namentlich jene Dalekarliens, in ungeheuren Massen, und ist ein reicher Er« werbszweig der Bewohner ihrer Ufer, da sie aus einfache Weise mari« nirt, unter dem Namen Neunaugen oder Pricken weithin nach Süden versendet wird. Zu derselben Ordnung der Rundmäuler gehörend, belebt noch ein kleiner, kaum sechs Zoll langer, wurmartiger Fisch, der Querder, die Küstengewässer, und dient den Fischern zum trefflichen Köder für andere, größere Gattungen, namentlich der Aale, die sein schlimmster Feind find. Ferner fand sich seit etwas über zwei Jahrzehnte an weniger tie« fen Orten der schwedischen Küste ein Fisch, der seiner Kleinheit halber lange übersehen ward und. durch Pallas entdeckt und zu denWeichthie-ren gesellt, ein so großes Aufsehen erregte, wie kaum noch ein in unseren Zeiten'gefundenes Thier. Varell erkannte 1831 das Thier als Fisch, deutsche und schwedische Naturforscher untersuchten ihn und bezeichne, ten ihn als auf der niedrigsten Stufe aller Skeletthiere stehend. Er besitzt weder Schädel noch Hirn. einen sehnigen Streifen alsRückgrad, und einen Nervenfaden als Rückenmark; von Sinnesorganen liefert Dlt Oftl«. l. 17 2gß Rochen; Hai. ^3. Vucl». ei keine Spur; sein Körper ist fast durchsichtig, prismatisch gestaltet, fünf- bis siebeneckig und höchstens anderthalb Zoll lang; man legte ihm den Namen Lanzettfisch (^mpniox^ lancoolaluZ) bei. Rochen (raja clavtUa) ziehen in mehreren Unterarten im Sommer und Herbst längs der baltischen Küsten, und verlassen erst mit Eintritt der stürmischen Jahreszeit die sandigen Untiefen, um im hohen Meere Zuflucht zu suchen. Sie haben, obschon die Mehrzahl eßbar ist, nicht viel Wichtigkeit mehr für die Fischerei, da die Liebhaberei, die früher für sie gehegt ward und in einigen Gegenden wie bei einzelnen Feinschmeckern noch besteht, bei anderen ganz wich und nicht mehr nach ihnen verlangt. Die in ungemein viele Arten zerfallende Familie der Haie bringt den Menschen wenig Nutzen, ist dagegen sehr schädlich und selbst gefährlich und, ein, wenn auch seltener, doch unwillkommner Gast im baltischen Meere. Der Dornhai (sr/max aeantliiÄ») ge» langt mitunter in Verfolgung der Wanderfische dorthin, und wird dann in Menge gefangen, um Ersatz für den Schaden zu bieten, den er an Heringen und Stinten angestellt; das Fleisch wird oft ge« dörrt genossen und soll weder übelriechen. noch sehr thranig sein; die Leber wird zur Thranbereitung und das Eingeweide zur Düngung der Felder benutzt. Auch dcr grimmige blaue Menschenhai (carolia-na« Altweu8)setzt seine gefährlichen Raubzüge mitunter bis in die Ost» see fort, und wird. mehr aus angestammter Feindschaft, als des Nutzens wegen, den er nur in geringem Grade befriedigt, verfolgt. Selbst der den Hai und Rochen verbindende Sägefisch. der Todfeind der Walfische, verläuft sich mitunter in die Ostsee; so wurde nach einem Zwischenraum von mehreren Jahrhunderten, im August des Jahres 1810. von den Fischern zu Heubude in der Nahe von Danzig bei der Herausnahme ihrer Netze ein Fisch von einer ungeheuern Größe ent» deckt, dcr bereits einen Theil der Netze in Stücke zerrissen hatte. Die Anstrengungen, die derselbe gemacht hatte um sich zu befreien, und der Wassermangel, da er auf eine Sandbank gerathen, hatten ihn bereits so erschöpft, daß es keine große Mühe und Anstrengung kostete, ihn zu todten. Es ergab sich darauf, daß es ein Sägefisch war. der vier» hundert Pfund wog und zwölf Fuß Länge hatte. Die Sage, oder die 13. Kap.) , Froschfisch: Stör. 259 schnabelartige Verlängerung des Oberkiefers, maß anderthalb Ellen und die eingekeilten, sehr harten Zähne derselben waren anderthalb Zoll lang. Von den Lophien, jener Fischfamilie. die ihren griechischen Namen der Menge der Rückenflossen verdankt, die man an ihr bemerkt, giebt es gleichfalls nur einen Vertreter. Die Art derselben, die sich l»i bal, tischen Meere findet, ist der Frosch fisch, in Italien und England Meerteufel genannt, und in Frankreich mit dem Spitznamen mattin peckeur belegt. Er ist sehr groß, aber die Art seiner Bildung gestattet ihm nicht, sich durch Stärke oder Geschwindigkeit seiner Beute zu bemächtigen. Er wendet List an, verbirgt sich im Schlamm und läßt Nichts von sich sehen, als die langen Bartfasern, mit denen ihn die Natur versah, und die andere Fische als Beute anlocken; sobald diese sich ihnen nähern, öffnet er seinen breiten Rachen und verschluckt sie mit einem schnellen Zuge. In der Ostsee wählt der Froschfisch eine Station, die vortrefflich geeignet ist, sein natürliches Geschick für den Hinterhalt zu entfalten: er hält sich beim Eingang des Sundes zwischen dem Vor» gebirge Kullen und der Insel Seeland auf, an den Grenzen des Kat» tegats, wo der Grund immer mit kleinen Fischen bedeckt ist, und wohin die Strömungen unaufhörlich von allen Richtungen her große Züge führen. Der St ö r(aclpen8er) tritt im Frühjahr und Herbst aus der tie» feren Ostsee, in der er beständig lebt, in die Flüsse, um seinen Laich abzusetzen und geht weit bis ins Binnenland hinauf. Ein vorzugsweiser Reichthum an Stören zeigt sich im frischen Haff bei Pillau. Zu zwei Zeiträumen, im März und April, und von Ende des Augusts bis gegen die Mitte des Septembers, wird er unweit dieser Stadt gefan. gen. Es ist dieser Fischzug zu einer Art Volksfest geworden, das eine große Menge von Neugierigen aus den benachbarten Gegenden dorthin zieht; auch datirt sich dasselbe schon aus alter Zeit, da das Wap. pen der Stadt Pillau ein sich auf den Wogen schaukelnder, gekrönter Stör ist. Diese Haffstöre, wennschon an Menge und Güte den russi. scheu nachstehend, sind doch hochgeschätzt; ihr dem Kalbfleisch ähneln« des Fleisch wird an Ort und Stelle gern gegessen, und ihr Roo. gen giebt einen bei geschickter Behandlung vortrefflichen Kaviar, der 17' 260 Sterlet; Nadelsisch; Metrhaafe. 13. Buch. oft unter dem Namen astrachanischen Caviars für das Erzeugniß sei» nes Verwandten, des Hausen, in den Handel kommt. Die feinere Art des Störs, der Sterlet (»elpe^er rutkenus), welcher auf den Tafeln der russischen Gourmands, und zwar mit vollstem Rechte eine so große Rolle spielt, daß er von Courieren und mit Relais» Pferden unter großen Schwierigkeiten und Kosten lebend Hunderte von Meilen weit transportirt wird, verläuft sich mitunter auch einmal in das baltische Meer, ist aber jedenfalls sehr selten von den Fischern zu fangen. Im Anfange des vorigen Jahrhunderts erschien ein Sterlet tn den Scheerenwassern von Stockholm, und schon damals wurde dieses Erelgniß als ein so seltenes betrachtet, daß es in die Chroniken auf« genommen wurde. König Friedrich von Schweden hatte den Versuch gemacht, diesen kostbaren Fisch in den Mälarsee zu verpflanzen, aber die ganze Zahl derselben, die er mühsam dorthin bringen ließ, starb aus, ohne sich fortzupflanzen. Der Nad elfisch (8^Fng,lKu8) ist ein zwar kleiner, zwei bis drei Fuß langer und werthloser, aber durch Lebensart und Gestalt interes» santer Bewohner des baltischen Meeres, dessen genaue Kenntniß man skandinavischen Forschern verdankt. Er hat einen länglichen, wurm« artigen, mit knochigem, aus Schienen zusammengesetzten Panzer um» gebenen Körper, der ihn als ein siebenkantiges Prisma erscheinen läßt. Das Hauptintereffe verdient er dadurch, daß das Weibchen den Laich in eine am Bauche des Männchens befindliche Tasche legt, dieser so» mit die Brütung desselben übernimmt, und auch den noch unausge» wachsenen lebenden Jungen bei annähernder Gefahr die Rückkehr in dieselbe gestattet. Er bewohnt felsige mit Seetang überwachsene Un. tiefen und bleibt auch oft bei unerwartetem Zurücktreten des Wassers zwischen den Steinen liegen, schwimmt aber sonst sehr behend und schlangelt sich, wie die Würmer, hin und her. Der Meerhaase(eM0i)t6lU8) ist ein kleiner Fisch, derin seinen Flossen die Eigenschaft besitzt, durch Aufrichtung und Niederlegung derselben einen luftfreien Raum zu bilden, mittelst dessen er sich an Felsen, Schiffen, großen Fischen, namentlich den Haien, und der ihn ergreifenden Hand festsaugen kann, wodurch er sich selbst Schutz zu verschaffen weiß. Seine Fruchtbarkeit ist ungeheuer; man fand 13. Kap.1 Sumpflöder; Schwertfisch ; Schleimfisch; Drachenfisch. 261 allein in einem Weibchen dreimalhunderttaufend Eier. Genießbar ist er nicht. Sumpfköder (ammo^wg) nennen die baltischen Fischer eine sehr kleine Fischart, die sich an den sandigen Meeresufern spiralförmig hin und her bewegt, und die trefflichste Lockspeise an den Angeln für größere Fische abgiebt. Der Schweitfisch sxipkias Flaäiu») ist in beträchtlicher Größe einigemale im baltischen Meere gefangen worden, darf aber immer nur als fremder Eindringling betrachtet werden. Ebenso verhält es sich mit einem kecken Raubfisch, dem nordischen Seewolf (HnareKiLkaZ lupus), dessen Gier und gewaltiges Gebiß ihn nicht nur der Fischerei, sondern auch den Fischern gefährlich machen. Von Schleimfischen (dlennms) kommeil hier nur zwei Arten vor, die Gunnel oder der Butterfisch, und der augenfleckige Schleimfisch, den eine Reihe schwarzer Flecken, die von einem weißlichen Kreise um« faßt sind, längs der Rückenflossen auszeichnet. Diese Thiere find häu, fig, aber trotz ihrer fast fußlangen Größe, verschmäht sie der Fischer, da sie, wenn auch eßbar, doch wegen ihres widrigen Schleimüberzuges nicht gesucht werden. Dem Anatomen find sie interessant, weil das Weibchen das befruchtete Ei so lange im Bauche behält, bis es das vollkommen ausgebildete Junge, von der Eihülle befreit, gebiert. In Salzwasscrpfützen unter Steinen und im Seegrase find sie leicht zu finden, entwinden sich aber den greifenden Händen mittelst ihres schleimigen Ueberzuges: in tiefem Wasser schwimmen sie schnell, ent« kommen in die kleinsten Felsspalten und find schwer zu fangen; am Lande können sie in feuchtem Seegrase verhältnißmäßig sehr lange er« halten werden. Von den Drachenfischen kommt allein der ll-aeliinuz 6raeo oder Meerdragoner vor. der nicht allein der Mühe der Nachstellung nicht werth geachtet, sondern gemieden wird, da seine mit schneiden» den Stacheln versehenen Rückenflossen noch nach seinem Tode tiefe Wunden verursachen können. Von der reichen Familie derSchellfi sche, diesen interessantesten und nützlichsten, wie es scheint unverttlgbaren Bewohnern nordischer Meere, die „das Manna" der Polarfischer genannt wurden, tritt der 262 Schellfische; Makrele; 3t8) findet sich rings um die baltischen Küsten. Uebcrall kennt man den schätzenswerthenWohl< geschmack des kleinen orangegelbeu ThierchenS in seiner violetten eiför» migen Schaale; an einigen Orten betrachtet man sie jedoch mit Mis-trauen, indem nicht selten auf den Genuß sehr unangenehme Zufälle folgten, die als Vergiftung gedeutet wurden. Vermuthungen und Er» klarungsversuche fehlen nicht; bald soll der Aufenthalt auf kupferfüh» renden Bänken das Thier gefährlich machen; bald soll dieses nur zur Zeit der Fortpflanzung, wo es von Eiern strotzt, eine organische Ver» änderung erleiden und giftige Säfte entwickeln. Es scbeint indessen, daß die bei dem Wohlgeschmack leicht erklärliche Unmäßigfeit im Genusse des an sich schwer verdaulichen Geschöpfes die Hauptursache des ohnehin selten ernsten Uebelbefindens gewesen ist. An einzelnen Küstenstrecken will man nie daS Vorkommen von Krankheit bemerkt haben. Aus den mühsam in hinreichender Menge und Güte zu sammelnden Byssusfä» den, durch welche die Muscheln sich anheften, verfertigt man hier und dort kleine Spielereien, die durch ihre braune, gold, und grünglän« zende Naturfarbe und Weichheit jedes andere Gewebe an Zartheit über» 13. Kap.) Schnecken. — Die Krnstenthiere. Hummer. 279 treffen; der hohe Preis, den ihre schwierige Verarbeitung nöthig macht, schließt aber jeden Gedanken an eine gewerbmäßige Fabrication oder Verwerthung des Byssus aus. An einzelnen Stellen leben die Mies< Muscheln in größerer oder geringerer Tiefe oft zu Tausenden aus kleinem Raume, die Mehrzahl an flacheren Orten, und zwar an Steinen, Sandschichten. Muscheltrümmern lc. befestigt, und so unvollkommen haftend. daß schon der stärkere Wellenschlag sie dem Fischer in das Netz treibt, was um so vortheilhafter ist, als sie, von ihrer Stütze frei geworden, nicht sterben, sondern sich im Gegentheil irgendwo neu anzuheften suchen. Die Buchten von Npenrade und Kiel bieten die besten Muschelfischereien des baltischen Meeres dar, und alle Pfähle, mit denen die Küste dort besetzt ist, sind stark mit diesen Thieren bedeckt. Ferner kommen in der Ostsee noch vor: eine kleine Art der Son» nen« oder Tellmuscheln (lellma); von konohelixen die gemeine euro» päische Porzellanschneckc, mit kugeligem, aschgrauem ode, röth. lichem. dicht weißgeripptem und mit weißen Rückenstreifen und drei schwarzen Flecken gezeichnetem Gehäuse; dann einige gewöhnliche Neri« tinen und andere Seeschnecken. Die Kruftenthiere. Von Krustenthieren werden Hummer in großer Menge in mehre, ren Theilen des Kattegat« gefunden und man ißt um Gothenburg her« um ganz vorzügliche; in der eigentlichen Oftsee kommen sie aber nicht vor. werden aber mehr als hinreichend durch die unvergleichlich feineren und verdaulicheren Krabben oder Garneelenkrebse ersetzt, die sehr zart und klein sind. und jetzt bei den schnellen Transportmitteln, allerdings unmittelbar am Ort des Fanges in Scewasser gekocht, weit verschickt werden. Ihre Fruchtbarkeit übersteigt jede gewöhnliche Erwartung, denn außer den ungeheuren von Menschen vertilgten Zahlen — nicht blos als Speise, auch als Köder und Dung benutzt man sie. — erliegen andere den Verfolgungen einer Menge von Seefischen und Schwimm, vögeln, die zum Theil fast nur von solchen Krabben leben. Einzelne Stellen sind von ihnen vorzugsweise geliebt, und an diesen pflegen auch die größeren Krabbenarten häufig zu sein. die weit weniger wohlschmeckend, als die Garneelen sind. DaS Volk bezeichnet dieselben 2go Ivoplmten; Polypen. l3. Vuch. als „Seespinnen". Die Velte und viele Buchten an der schwedischen Küste, namentlich aber die Umgegend der kleinen Stadt Eödertelje, in der Nähe von Stockholm, bilden treffliche Fundorte. Zoophyten. Von den so interessanten Zoophyten bieten einige Gegenden, be. sonders im Süden der Ostfee, verschiedene Gattungen dar, z. B. Medusen, Seewalzen oder Holothurien, die zwar nicht gegessen werden, aber eßbar sind, obschon wahrscheinlich die Delicatesse der Chinesen, die „Holothuria Trepang", wohlschmeckender ist, als die baltischen See« igel, Seesterne und mehrere Gattungen Quallen. Polypen. In Bezug auf Polypen ist das baltische Meer auch keineswegs verwaist. Im Jahre 1741 unternahm Linne eine Reise nach derInfel Gottland, um das Klima, den Boden und die Producte derselben zu untersuchen. Anter den erforschten Orten zog besonders der Hafen Cavelshamn seine Aufmerksamkeit auf sich, wegen der Menge korallenartiger Substanzen, welche er dort bemerkte: „Wir bewundern", sagte er in einer Anwandlung pratriotischer Wärme, „die Korallenufer Indiens, aber man glaube.mir, allein der Hafen von Cavelshamn über» trifft den Reichthum des Orients; ich habe dort dichte Korallenbänke gesehen, die sich über mehrere Meilen Breite ausdehnen."— Der große Naturforscher gab dann eine detaillirte Beschreibung der Korallen her» aus, und aus dieser und den später gemachten Beobachtungen stellt sich fest, daß sich an den baltischen Küsten und Inseln bedeutende Mas-sen korallenartiger Substanzen vorfinden, unter denen die Familie der Madrcporen die zahlreichst vertretene ist. Ob sie aber leben nnd in der beträchtlichen Tiefe des Wassers, in der sie sich finden, sich im Zu» stände der Vegetation erhalten, das entschied bisher weder Linnc noch einer der ihm nachfolgenden Forscher. Seepflanzen. Diesem Plinius des Nordens schuldet man auch die ersten genauen Beobachtungen über die wahre Pflanzenwelt des baltischen Meeres, welches in dieser Beziehung dem Ocean nicht an Reichthum gleich- !3. Kav.1 Seepfianzen. — Vernstein. 281 kommt, wiewohl doch eine große Mannigfaltigkeit in den Vegetabilien herrscht, welche seine Wasser an seinen Ufern und auf dem Grunde seines Beckens nähren, da der geringe Salzgehalt sie oft fast dem Wasser der Landseen und Flüsse gleichen macht. Linne und neuere Bo, taniker des Nordens beobachteten mehrere Fucus-. Ulven-, Conferven-, Charas-, Scirpen-, Zosteren-, Trigloclunen-, Kalien oder Salzkräuter-. Salikornen-, Littorellen- und Etaticenarten. Mehrere dieser Pflanzen dienen den Küstenbewohnern zu verschiedenen ökonomischen Zwecken. So liefern die Fucus einen vorzüglichen Dung. vorzüglich den Inseln Gottland und Oeland. an deren Küsten die Wogen eine große Menge absetzen. Die dem Feuer, übergebenen Ulven find eine gute Unterstützung für die Armen im Kampfe gegen die harte Win. terkälte, und an einigen Orten weiß man die Salztheile aus den Ka« lien in großer Menge zu gewinnen. Bernstein. Die Besprechung der Pflanzenproduktion des baltischen Meeres führt zu dem Erzeugniß vergangener Perioden des Erddaseins. dessen Ursbrung die Physik und Chemie vielfach beschäftigt hat. ohne il,n jedoch bisher mitGewißheit ergründet zu haben, nämlich dem des Bernstein, auch Succinit oder Agtstein genannt, eins der merkwürdigsten Natur« Producte aller Zeiten und Lander, gleich bekannt wegen seiner elektrischen Eigenschaften, als auch wegen seiner Schönheit und Brauchbarkeit zu allerlei Zier- und Nutzgegenständen. Die erste Kunde davon giebt uns die hellenische Poesie, Homer in seiner Iliade, wo er von den Trojanerinnen erzählt. daß sie „köstliche" Armbänder aus ..Elektron" (Bernstein) getragen hätten. Trojaner und Griechen erhielten dies Elektron roh. nie verarbeitet, von dem Handelsvolk der Vorzeit, dem Urbild der Briten aus den Tagen des grauen Alterthums, den Phöniziern, die es von der Bernfteinküste holten. Diese Bernsteinküste deutet man. ans vielen Gründen, als das Land zwischen den Mündungen jener Ströme,^welche hent zu Tage die Namen Weichsel und Memel führen. Für diese Annahme spricht erstens auch die von Herodot adop« tirte Angabe der phönizischen Finder, daß die Bernsteinküste von den Zinninseln (England und die benachbarten kleineren Scillyinseln) nach 282 Flindoite des Bernsteins. l.3. Vuch. Morgen läge; hauptsächlich aber der Umstand, daß später die Römer, die den Bernstein besonders hochschätzten, ihn nach dem Zeugnisse des Tacitus und Plinius von daher, — zumeist durch gallische Handels« leute. welche sich mitten durch die germanischen Stämme bis zur Küste des baltischen Meeres wagten, — bekamen. In den Zeiten vor Christi Geburt hielt man es keinem Zweifel unterworfen, daß der Bernstein, welchen die Mythe aus den Thränen der in Pappeln verwandelten Schwestern des Phaeton entstehen ließ, ein Mineral sei. Aber nicht blos in vorchristlicher Zeit war man dieser Anficht; man huldigte ihr auch bis in das Mittelalter hinein, obschon Plinius der Aeltere, ein seine Zeit, das erste Jahrhundert nach der Geburt Christi, überragender Naturforscher, bereits dieMei« nung ausgesprochen, das Elektron möge wohl vegetabilischen Ur« sprunges, nämlich „hartgewordenes Fichtenharz" sein. Diese Anficht kommt der Wahrheit sehr nahe, erreicht sie aber nicht ganz/ Nach den neuesten wissenschaftlichen Forschungen, die unser gründliches Jahr« hundert an die Stelle geistreicher Hypothesen setzt, floß er nämlich aus dem zur Abtheilung der Coniferen gehörigen Bernsteinbaume. Nie aber ist dieser von der Oberfläche unseres Planeten verschwunden? Bedeckte er einst die Theile des baltischen Meeres, in dem jetzt die Wogen frei spielen, in großer Menge? Wurde er von Wind und Welle, die jetzt seine Reste dem nachkommenden Geschlechte wieder zuführen, langsam und im Laufe der Iahrhuuderte bis zum Erlöschen seiner Familie vernichtet, oder hat eine jener plötzlichen Naturkatastrophen, der die Erdkugel umgestaltenden Revolutionen, ihn gänzlich verschlungen? Dies sind Räthsel, deren Lösung noch den forschenden Geistern aufbewahrt blieb. Zu der Annahme, daß der Bernstein ein Baumharz sei, trug der Umstand viel bei. daß namentlich die Küstenlande und Hauptfund' orte am baltischen Meer mit dichten Wäldern harzhaltender Nadel« Hölzer bestanden waren, deren Reste noch in unseren Tagen in den sinnländischen Halden vorhanden sind, und für deren ^Vorhandensein auch auf den Nehrungen der lettische Name.Menäonienn« (Tannen« Vorgebirge) für die kurische Küste spricht. In diesen Gegenden aber arbeitete das Wasser vorzugsweise heftig und brachte Revolutionen 13. Kap.l Fundorte des Bernsteins. 283 hervor, deren Spuren sich noch heute zeigen. Während der Ueber« schwemmungen, die stattfanden, soll nach jener Annahme das Baumharz besonderen Einflüssen unterlegen und durch die Wirkung des Seewassers in Verbindungen getreten sein, die es in die Form des Erdharzes brachten, als welches es ausgezeichnete Eigenschaften annahm, deren Ursprung in ein Naturgeheimniß gehüllt schien. Professor Hasse in Königsberg wurde zu der Behauptung hingerissen, das Succinit sei tzie Frucht der Bäume aus dem goldenen Zeitalter, deren Arten mit dem Sündenfall derMenschen verschwunden seien. Seine Phantasie hatihn die Hesperidenäpfel mit dem Baume des Paradieses vermischen lassen, und seine Vaterlandsliebe ließ ihn Preußen als das Land betrachten, wo es diese kostbaren Producte ehedem im Ueberflusse gab, als Erzeug« nisse einer Temperatur, welche die Revolutionen der Erdkugel seitdem verwandelten, wo mit einem Worte das Paradies gelegen hatte. Genaue chemische Analysen haben dargethan, daß der Bernstein aus mehreren Harzen, einem ätherischen Oele (Bernsteinöl, 0wum sueoini) in geringer Menge, und einer flüchtigen Säure (Bernstein« säure), welche durch Sublimation und Behandlung mit Alkalien als ..Bernsteinsalz" (zal «ueeini) gewonnen, und in der Medicin angewen» det wird, besteht. Seine Farbe ist in der Regel schön honiggelb, bis« weilen mehr weißlich, zuweilen auch gelbbraun oder ein wenig ins Röthliche spielend; auch giebt es als seltene Spielart Stücke mit grün» lichen und bläulichen Adern. Man findet Bernsteinstücke in der Nordsee, auf den Dünenufern der Ostlufte Iütlands. in dem schlcswigschen Districte Eiderstedt, an der Ems, wo die Insel Ameland den meisten Ertrag liefert, an den niederländischen Stranden, an der Nord- und Westküste Frankreichs und Spaniens; das mittelländische Meer liefert ihn bei Genua, An« cona und an den sicilianischen Küsten; nicht minder findet er sich in den Braunlohlenlagern Grönlands, Pennsylvaniens, der sarmatischen Ebene und den brandenburgischen Marken; den meisten und schönsten Bernstein hat man aber von jeher im baltischen Meere gefunden, wo er in den Belten, an der mecklenburgischen und südschwedischen Küste, im bothnischen Golf bei den Alandsinseln in geringerer Menge und Güte, mit besserem Ertrag aber bei Stolpe an der pommerschm Küste 284 Das Schöpfen und Stecken des Bernsteins. s3. Buch. und als ergiebigste Ernte im Küstenlande zwischen den Mündungen des Weichsel- und Memelstroms gefunden wird. Die Ostsee wirft auf dieser ganzen langen Strecke bei Nord - und Westwind Bernstein an das Land, vornehmlich auf dem Theile der samländischen Küste, welcher sich auf eine Länge von drei und einer halben Meile, nordwärts Pillau, der Hafenfeste der Städte des frischen Haffs, bis zum Dorfe Großhubnicken erstreckt. Der an das Land geworfene Bernstein wird von eigens dazu bestellten Personen — „St ran breiter" genannt, obwohl sie ihre Patrouillen öfter zu Fuß. als zu Pferde abmachen,— regelmäßig in den ersten Tagesstunden aufgesucht. Ist nun dieQuan-iität, gegen die Beute früherer Zeiten bedeutend geschwunden, noch immerhin nicht ganz gering, so ist es doch stets nur der bei Weitem kleinste Theil. Viel mehr wird durch Schöpfen aus der See und durch Nachgrabungen im Innern des Landes gewonnen. Das Schöpfen (Fischen) und das sogenannte „Stechen" des Bernsteins aus der See wird unmittelbar nach einem Sturme, sobald mäßiger Wellengang eingetreten ist, vorgenommen. Die Leute sind hierzu mit einem Hamen. „Kätscber" genannt, versehen. Sie schreiten, soweit es ohne Gefahr thunlich, in die See und schöpfen den mit den Wellen zum Lande treibenden Seetang (^,imi8m^i-!limu8) heraus, der am Ufer ausgebreitet und von welchem dann durch Weiber und Kinder der Fischer der daran sitzende Bernstein abgelesen, gesammelt und den Strandreitern gegen eine bestimmte kleine Vergütung abgeliefert wird. Größere Tangmassen werden auch in Netzen gefangen oder mit Enterhaken auf das Land gezogen. Das „Stechen" des Bernsteins ist ein sorgfältiges Suchen am Strande der ruhigen See, mit denselben Mitteln und bis zu einer Tiefe von vier bis vier und einen halben Fuß. Auf ähnliche Art wird derselbe im Winter, wenn das Meer am Nande zugefroren ist. durch eingehauene Oessnungen (Wuhnen) gewonnen. Mit einer langen dünnen Stange, an deren Ende eine kleine eiserne Schaufel befestigt ist, werden die im Sand zwischen den Steinen befindlichen Bernfteinstücke losgemacht und in einen kleinen Kätscher geschoben, der an einem langen Seile befestigt ist. Da es aber möglich ist, bei ruhiger See die Gegenstände in einer Tiefe von zehn bis zwölf Fuß (mitunter noch mehr) deutlich sehen zu können, so benutzt 13. Kap.j Bernsteingräberei. 235 man auch, nach Durchforschung des Wassers in unmittelbarer Nähe der Küste, nicht selten kleine Fischertähne, um den in größerer Entfer-nung vom Nande lagernden Bernstein in Sandbänken und zwischen Steinen aufzusuchen. Gewöhnlich befinden sich drei Mann im Nachen: der eine rudert ihn langsam vorwärts, von Zeit zu Zeit Halt machend, während die beiden anderen, zur rechten und zur linken Seite desKah. nes mit ihren einfachen Instrumenten sorgsam über Bord spähend, nach der kostbaren Meeresgabe suchen. Die in ihrem schwierigen Handwerk scharf bewachten Fischer sind in der Negel sehr starke und kräftige Leute, wurden aber früher, wegen der geringen Zahl von Männern die sich so harter Arbeit um geringen Lohns halber unterziehen wollten, von der Last der Conscription befreit, bis die Wehrpflicht in Preußen zu einem allgemeinen Ehrenrechte wurde. Aber nicht die Wellen allein sollte« die launischen Agenten des ganzen Bernsteinbedarss bleiben, denn zufällige Entdeckungen bei Ausgrabung von Brunnen, Grundgraben zu Häusern lc. geben den Beweis, daß nicht nur in den Tiefen des Meeres und an dessen Nandc, von den Stürmen herbeigetragen, Bernstein zu finden sei, sondern man ihn auch aus dem Schooße der Erde selbst ausgraben könne. Solche Bernstemgräbcreien findet man zwar meist in unmittelbarer Nachbar« schaft des Meeres, zuweilen aber auch auf Meilenweite von demselben entfernt; — der letzte sehr bedeutende Fund wurde im vergangenen Jahre bei Prenzlow in der Uckermart gethan. >— Während die ergic« bigste Bcrnstemfischerei von den Anwohnern des Vorgebirges Brüsterort (nordwestlichster Punkt des Samlandcs im Regierungsbezirk Königs« berg) betrieben wird, ist es auch dieselbe Gegend, welche den Bern« stein grabern die meiste Ausbeute gewährt; vorzugsweise die nächste Umgegend des Dorfes Großhubnicken, nordöstlich von der Hafenstadt Pillau. Das Grabendes Bernsteins ist viel jünger, als das Fischen desselben. Zu jeuer Zeit, als noch der deutsche Orden auf der großen Landstrecke, welche heut zu Tage die Provinz Preußen bildet, gebot, scheint dieses Verfahren zur Bernstemgcwinnung nicht angewendet worden zu sein; wenigstens geschieht desselben in den Chroniken nicht früher als im Jahre 1556 Erwähnung, also zu einer Zeit, wo West» Preußen schon seit hundert Jahren dem polnischen Scepter gehorchte, 286 Bernsteinweife. ' s3. Vuch. und Ostpreußen auch bereits aus einem Ordenslande ein weltliches Herzogthum geworden war. Veranlassung war der Umstand, daß man seit dem Beginne des sechzehnten Jahrhunderts, — früher scheint es nicht der Fall gewesen, oder nicht darauf geachtet worden zu sein,—wiederholt beim Beackern des Bodens Bernsteinftücke, zum Theil in ziem» lich weiter Entfernung von dem Küstensaume, fand. Was war nun wohl natürlicher, als daß man, bei dem hohen Werthe, welchen der Bernstein damals hatte (und zum Theil noch jetzt hat), an solchen Stellen weiter suchte. das heißt nachgrub. Länger als zwei Jahr« Hunderte hatte man auf diese Weise durch den Spaten des kostbaren Fossils sich zu bemächtigen gesucht, und in der That eine nicht unbe» deutende Menge zu Tage gefördert. Da diese Arbeit mit der Zeit aber immer geringern Gewinn brachte, namentlich mit dem Beginne des dritten Viertels des achtzehnten Jahrhunderts die Menge des alljährlich durch das Graben gewonnenen Bernsteins auffallend abnahm, so wurde der Vorschlag gemacht, den Bernstein auf völlig bergmännische Weise durch Schachte und Stollen zu gewinnen. Friedrich der Große genehmigte diesen Vorschlag seiner Königsbergcr „Kriegs < und Do» mainenkammer" und so ward denn im Jahre 1782 bei Großhubnicken versuchsweise das erste Bernfteinwerk angelegt. Da man, namentlich durch einige vorzüglich schöne Siücke, anfanglich einen nicht ganz unbedeutenden Uebeifchuß über den Kostenaufwand gewann (in den Jahren 1783, 84 und 85 durchschnittlich 1200 Thaler jährlichen Ueberschuß), so kam man schon auf den Gedanken, ein zweites Bernstein» Bergwerk anzulegen; allein die mit dem Jahre 1786 eintretende Ab» nähme der Ueberschüsse des Ertrages, welcher schon nach zehn oder zwölf Jahren die Betriebskosten nicht mehr deckte, verhinderte nicht nur jenes Project, sondern hatte auch die Aufhebung des Großhubnicker Bergwerks zur Folge. Seitdem hat man, wie es scheint, nicht nur den Gedanken, den Bernstein auf bergmännische Art zu gewinnen, gänzlich fallen lassen, sondern auch die seitdem ausschließlich wieder stattfindende „AufdeckearbA" — bei der man nämlich durch Scharren oder Abstechen der Oberfläche mittelst der Spaten zu dem Bernstein zu gelangen sucht — beschränkt sich fast überall blos auf die Strand. Hügel, und nur in der gebirgigen Gegend nordwestlich von Danzig, 13. Kap.I Nufdeckearbeit. - 237 bei den Dörfern Gluckau und Materne, geht man etwas tiefer ins Land hinein. Bei diesen Dörfern, sowie bei den an der samlandischen Küste liegenden Orten Hubnicken, Laupönen, Rauschen und dem Bade« orte Neukuhren, wird eine starke, in manchen Jahren recht ansehn, lichen Gewinn abwerfende, in vielen jedoch nur die darauf verwendeten Kosten deckende Gräberei getrieben. Man stellt dabei die Arbei» ter, je nach Beschaffenheit und Höhe des Berges, mit Spaten in ange« messencr Entfernung vom Naude desselben auf, läßt den festen Boden — mit Beachtung einer nothwendigen Böschung nach der See zu — abstechen, und befördert die Erde mit Karren so weit weg, daß sie, so« bald man auf das Lager des Bernsteins gelangt ist, die fernere Arbeit nicht behindert. Wo es irgend möglich ist, vermeidet man es, die höchsten Stellen zu bearbeiten. Der halb kesselförmige Raum läßt nur eine geringe Anzahl von Arbeitern zu, die von Aufsehern streng überwacht werden, welche den Bernstein sammeln und vorläufig sortiren. Wüh. rend die geübten Arbeiter in mehreren'Reihen terrassenartig mit etwa zwei Zoll breiten Spaten den schwarzgrauen Boden behutsam los. stechen, zertheilen, die Erde siebe» und so die kleinsten Theile des Bern« steins aufsuchen, — dabei aber beim Graben selbst sorgsam sich in Acht nehmen, nicht etwa größere Stücke zu trennen oder zu zerstoßen — werden die übrigen Arbeiter anderweitig verwendet. Jene ersteren Ar» beiter erhalten in der Regel neben ihrem Tagelohne noch kleine Prämien für die von ihnen zu Tage geförderten Bernsteinstücke, und stehen sich bei ihrer Arbeit recht gut. Freilich ist diese aber auch nicht blos eine mühsame, sondern nicht selten eine lebensgefährliche. .In den so blosgelegten Lagern, die fast nie eine Mächtigkeit von drittehalb bis dreiFuß übersteigen, findet sich das Euccinit gewöhnlich unter fossilem erdharzigen (bituminösem) oder kiesartigem (pyritösem) Holze; an eini. gen Stücken dieses Holzes hat man eine A,t Früchte erkannt, welche die Form einer Mandel haben; der Bernstein selbst ist, zum Unterschiede von dem dnrch die Wellen angespülten, der rein und nur in einige Seekräuter gehüllt ist. mit einer harten Rinde umschlossen. Ist ein Lager vollständig erschöpft, so wird es verlassen, zugedeckt und das Graben beginnt an einer anderen Stelle. Die Ausbeute des kostbaren Fossils ist der Concurrenz des Pri» 2gg Der Bernstein als Regal. M Kap. vatunteinehmens vollständig geschlossen. Schon zur Zeit der Ordens» Herrschaft über diese Küsten wurde Bernstein als ein Regal betrachtet, und da sein Aufsammeln unter harter Leibes-, im Wiederholungsfalle sogar bei Todesstrafe verboten wurde, zogen die Großmeister daraus eine ganz beträchtliche Einnahme. Als Preußen ein weltliches Herzog« thum wurde, blieb das Monopol für den Herrscher aufrechterhalten und durchlebte alle Wechsel der Zolleinmacht. Der große Kurfürst er» ließ in den ersten Jahren seiner neuen Regierung eine neue Strandordnung, worin aber auch noch die harten Strafen beibehalten wurden. Allein vergebens; wiederholte Leistung des „Strandeides" und zahl« reiche Galgen auf den hohen Seebergen für die Uebertreter desselben, vermochten nicht zu schrecken, dienten vielmehr nur um zu heimlicher Entwendung zu reizen, und eine rohe, tiefe, nicht selten in blutigen Gewaltthaten sich Luft machende Erbitterung gegen die Strandwächter hervorzurufen. Vernfteindiebstahl galt nun einmal im Sinne des Volks nicht als Unrecht. „Das wilde Wasser wirft ihn aus," meinte der Strand« bewohner, „darum gehört er uns, die wir am Meere wohnen." Gegen diese Logik half keine Strafe, kein Eid, der noch unter Friedrich dem Großen — welcher übrigens die übermaßig harten Strafen in Etwas milderte — geleistet werden mußte, und der mit den Worten schloß: „Da ich auch sehen oder spüren würde, daß mein eigener Vater oder Mutter, Sohn, Tochter, Geschwister einige Untreue mit dem Bern« steine verüben sollten, ich solches nicht zulassen, sondern fördersamst ge» treulich anzeigen werde." Dabei waren die Strandbewohner dem wi« dernatürüchsten Zwange unterworfen: sie durften, wenn sie zum Fischen auszogen, sich nicht von ihre» Booten entfernen, sich nach dem Dunkelwerden nicht am Strande ertappen lassen, und dergleichen mehr. Frein« den war der Strand gänzlich verschlossen und selbst das Spazierengehen bei hoher Geld - eventualiter Gefängnißstrafc verboten. Dieser unnatürliche, traurige Zustand dauerte bis in die neueste Zeit. Denn obwohl 1807 die Invasion der Franzosen, und 1808 die in diesem Jahre erfolgende Verpachtung des Rechtes zum Bernsteinsammeln an Privatpersonen, — wobei auf das natürliche Nccht der Strandbewohner denn doch einige Rücksicht genommen wurde— einige Erleichterungen herbeiführte, so lag es doch in der Natur derVerlM« l3. Kap.I Größe und Werth deS Bernstein?. 289 nisse, daß jeneLeute nicht in den vollkommenen Genuß der persönlichen Freiheit kamen. Dies geschah erst im Jahre 1837, wo die Nutzung des Bernfteinregals den Strandbewohnern selbst in Pacht gegeben wnrde. Dabei wurde auch zu Gunsten des Publikums, welches bisher ohne specielle Erlaubniß des Generalpächters oder seiner Beamten den Strand nicht betreten durfte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, wegen versuchten Diebstahls behandelt zu werden, der unbehinderte Besuch desselben freigegeben. Erst seit dieser Zeit datirt sich der zahlreiche Besuch der Seebäder an der samländischen Küste und auf der Nehrung. Die durch Auswerfen des Meeres, Fischen oder Graben gewonnenen Bernsteinstücke werden für den Handel und diedcmnächstigeVer« arbeitung nach Farbe. Form und Größe, sowie nach ihrer Reinheit und Durchsichtigkeit sortirt. Die Größe ist sehrverschieden; das Haupt-stück in der Bernfteinkammer des Königsbcrger Schlosses mißt über einen Fuß im Durchmesser. Vollkommen durchsichtige Stücke sind in der Regel die geschätztesten; zumal wenn in ihnen ein fremd er Körper, wie Wassertropsen, Sandkörner, ein Insect oder Fischreste, eingeschlossen sind, dergleichen jedoch durch Naffinirtheit der Bearbeiter und ein ge» heimnißvolleS Mittel von außen durch ls'rweicknmg trügerisch hinein;«' schaffen sein soll; von undurchsichtigen Stücken erhalten die milchweißen den Vorzug. In den beiden Hauptstädten der Provinz Preußen, in Danzig und Königsberg, ist folgende, meist von derGröße hergenommene Eintheilung üblich. Die größeren, festen und reinen Stücke, von dem Umfange einer Haselnuß an, heißen „Sortiments"- oder „Arbeitssteine," die weniger großen „kleine Waare." Die ersteren sind entweder durchsich« tig, undurchsichtig oder durchscheinend, dann „Bastard" genannt. Letzte» rer macht den Hanpthandelsartikcl aus. führt vorzugsweise den Namen „Sortiment" und wird vornehmlich nach dem Orient verkauft. Der Preis ist je nach der Größe ein sehr verschiedener. Während z.B. von dem durchsichtigen Bernstein bei Stücken von acht und mehr Loth das Pfund mit 60 bis 80 Thalern und noch mehr bezahlt wird, lostet es bei Stücken von unter einem Lotl' nur 7 bis 8 höchstens 10 Thaler. Der blos durchscheinende Bernstein hat etwa zwei Dritthcile des Werthes des vollkommen durchsichtigen, nach denselben durch die Größe der Stücke bedingten Werthabstufungen, und der undurchsichtige den Hal« Di« Qstl«. I. 19 290 " Bearbeitung und 13. Buch. ben Werth des durchscheinenden Bernsteins. Zu kunstvollen Bernstein, arbeiten pflegt man Steine von weniger als einem halben Loth nicht zu benutzen; vielmehr ist dies die äußerste Grenze der „Arbeitsstein e"; auf diese folgen die „Grundsteine," von denen die ein bis zwei Quentchen schweren „eigentliche Grundsteine." diejenigen aber von we« niger als einem Quentchen „Knibbel" mit dem technischen Ausdrucke genannt werden; aus beiden werden noch Perlen gedreht. «Abgänge" heißen die zur Bearbeitung nicht mehr tauglichen Stücke und Splitter von einem halben Quentchen und darunter, welche man zur Bereitung von Firniß, Oel und Säure benutzt. Wichtig ist nämlich auch die Benutzung des Bernsteins zu Lackfirnissen (durch Auflösung in Terven« tinöl, worin er vollkommen löslich ist), welche als schöner, glänzender und dabei luft. und wasserdichter Ueberzug für Holzwerk und andere Dinge gebraucht weiden. Bernsteinöl und die flüchtige Bernsteinsäure, welche, wie erwähnt, als 8al guceim durch Sublimation und BeHand« lung mit Alkalien gewonnen werden kann, sich aber auch in manchen Terpentinen vorfindet, dienen als reibende, nervenstärkende, krampf. stillende Mittel; Vernsteinbähungen werden bei Podagra, Gicht und Rheumatismen, Bernsteinräucherungen bei pestilenziösen und andern ansteckenden Krankheiten angewendet. In früheren Zeiten trug man Bernstein bei den zuerst aufgeführten Uebeln als ein Amulet bei sich, wie denn auch heut zu Tage noch in Danzig, Königsberg und in ande» ren norddeutschen Städten bei den ungebildeteren Volksclassen dieMei-nung ziemlich allgemein verbreitet ist. daß Bernstein-Perlenschnüre, den Kindern um den Hals gehängt, das Zahnen derselben erleichtern. Be< sonders viel Räucherbernftein geht in katholische Länder, wo er in den Kirchen neben dem Weihrauch benutzt wird und nach dem Orient, weil Türken, Perser und Chinesen den Geruch des Bernsteins dem nach unseren Begriffen schöneren der bei ihnen einheimischen aromatischen Stoffe vorziehen. Vormals kamen Türken und Griechen, ja selb st Armenier und Perser nach Danzig und Königsberg, um hier, die geschätzte Waare dicht bei ihrem Fundorte, einzuhandeln. Jetzt gehen sie nur noch bis Frankfurt am Main und Leipzig, wohin von den genannten Städten,— die aber auch direct nach dem Orient handeln,— derBernstein gebracht wird- <^.. :.,.^., 13. Kap.) Vertrieb deS Bernsteins. 291 Die mechanische Benutzung des Bernsteins ist so alt, wie die Kenntniß desselben, nach dem erwähnten Zeugniß des Homer. Heut zu Tage wird vorzugsweise in Danzig. Königsberg, Stolpe und Paris, außerdem auch nocb in Lübeck, Wien, Catania und einigen anderen Orten der Bernstein auf vielfache Weise verarbeitet. Gewöhnliche, meist aufAnfertigung von Korallen oder die kulpigen Tschibukmimdstücke, — einen Hauptartikel des türtischen Handels — sich beschrankendeBernfteindreher treiben ihr Gewerbe handwerksmäßig nach Art der Holz- und Horndrechsler mit einfachen, mangelhaften Werkzeugen. ..Kunstdrechsler" und „Bernstein, schnitzer" dagegen, welcke mit Feile. Meißel. Grabstichel wohl umzu. gehen verstehen, liefern— was besonders von den in Paris ansäsfi, gen gilt,— die zierlichsten, freilich aber auch sehr kostspieligen Waaren. Diese bleiben bei Weitem zum größten Theile im Abendlande, während nach dem Oriente nur die gröberen Vernsteinarbeiten gehen und zwar zumeist von Danzig aus, wo dieser Handel sich in den Händen einiger israelitischen Großhändler concentrirt. >N'i 'I'll . !, 19' Viertes Buch. Das Flußnetz des baltischen Meeres. »ff'.' Vierzehntes Kapitel. Hü, , ,, . Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse. Wenn man die nördlichen Theile Amenta's ausnimmt, giebt es keine Gegenden, die so reich durch Wasseradern genährt find wie jene des nördlichen Europa's. Vorzüglich in Rußland, Schweden und Norwegen überrascht die weite Ausdehnung der Gewässer, ihre verschiedenartige Form und die Bewegung, die sie dem Lande verleihen. Gemäß dem überall herrschenden Naturgesetze, sucht die Mehrzahl einen Abfluß in die Meeresbecken. Die einen richten sich gegen das schwarze und caspische Meer, ihren Lauf unter dem schönen südlichen Himmel beendend, während sie ihn in Schnee und Eis des Nordens begannen; die andern rollen ihre Wogen dem weißen Meere und dem nördlichen Ocean als Tribut zu, nachdem sie zuvor wilde Felsmassen sprengten und düstere Wälder durchrauschten. Noch andere endlich, und dies ist die größte Zahl derselben, begeben sich auf mehr oder weniger verlängerten Wegen in's baltische Meer und befruchten Länder, deren größter Theil durch angestrengte Arbeit einem harten und strengen Klima zum Trotze tragbar gemacht wurde. So empfängt das baltische Meer gegen zweihundert, mit ausgedehnten Landseen zusammenhän» gende Ströme und Flüsse, und außerdem noch eine Menge von Wald-büchen und Gebirgsstuthen, die aus kaum fichtbaren Wasserrinnen zur Zeit des Schnee- und Eisschmelzen« zu reißenden Fluthen an< schwellen. 14. Kap.1 Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse. 293 Wir müssen unsere Betrachtung auf diese Tributflüsse des balti' schen Meeres ausdehnen, ihre Quellen aufsuchen und sie bis zur Mim» dung verfolgen. Gleichzeitig müssen wir auch dieCanäle kennen lernen, die sie unter einander verbinden und mit Flüssen vereinigen, welche einem anderen Meeresgebiete angehören und die von ihnen vermittelten Com-municationen vervielfachen. Die Begrenzung des baltischen Kessels vom cimbrischenChcrsones durch die benachbarten deutschen Lande,Preußen. Rußland, Lappland und Skandinavien verfolgend, finden wir im Sü» den das Gebiet der Oder und der Weichsel, im Südosten das desPre« gel und der Memel. im Osten die Gebiete der Düna, Narowa und der Newa, im Norden die Gebiete des Kemi und des Tornea, im Nordweften die Gebiete des Lulea, Pitea und des Umea. endlich im Westen die Gebiete der Angermana, der Indals, dcr Ljusna, der Dal. elf und des Mälarsee. Zwischen ihnen liegen viele Küstenflüsse und eine unendliche Menge von Landseen, die ihren Abfluß direct ins Meer nehmen. Die ganze Gegend, die sich von Jutland durch Schleswig, Hol« stein und Mecklenburg bis nach Pommern ausdehnt, ist ohne in die Augen fallende Erhebungen, eine völlige Ebene. Nichtsdestoweniger durchziehen sie einige Terrainwellen, die durch ihre Abhänge den inne^ ren Wasserläufen einen beschleunigteren Lauf und die regelmäßige Nich» tung des Abflusses geben. Die einen begeben sich in die Nordsee, sei es auf directem Wege, sei es durch Vermittelung der Elbe; die anderen strömen der südlichen Ostfee zu. Diese Gewässer haben mcist keinen sehr ausgebreiteten Lauf, sind aber fast alle schiffbar, und einige dien. ten dazu, künstliche Verbindungen zu vermitteln, die von großer Wich« tigteit für den Handel wurden. Es hatte schon früher eine natürliche Verbindung der Nord. und Ostsee ezistlrt, die durch Schleswig und Holstein von der Eider, dem FlemhuderSee. dem kleinen Flüßchen Lewensau und dem Kieler Busen gebildet war. Es ist nicht bekannt, wann und wie diese Verbindung aufhörte, nutzbar zu sein. Um das Jahr 1660 beschäftigte sich Herzog Friedrich III. von Holstein Gottorp mit dem Projecte, durch einen Ca» nalbau die alte natürliche Verbindung wiederherzustellen. Dieser ebenso thätige als erleuchtete Fürst begründete nahe der Eider und Treene 294 Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse. s4. Vuch. die Stadt Friedrichsstadt, in der er in kluger Toleranz flüchtigen religiösen Sectirern Aufnahme gestattete, und die, da die Mehrzahl aus Holland kam, noch heut ganz dasAnsehen einer äckt holländischen Stadt trägt, und sendete eine Gesandtschaft nach Persien, um dies Land durch Rußland mit dem baltischen Meer und durch die Eider mit der Nordsee in Verbindung zu bringen. Die materiellen Mittel dieses kleinen Fürsten reichten leider nicht so weit, wie sein Geist und Scharfblick. Die Beziehungen der Höfe von Ispahan und Gottorv hatten keine soliden Resultate und erhöhten die Wichtigkeit des baltischen Meeres ebensowenig, wie sie beide Meere wieder verbanden. Dieses letzte Unternehmen wurde um so schwieriger auszuführen, als die Provinzen, die der Canal durchschneiden sollte, zwischen den Gottorper Herzögen und dem dänischen Königshause getheilt waren, und die Be« sitzer des Landes in allen Beziehungen verschiedene, sich entgegen« stehende Ansichten hatten. Im Jahre 1773 trat der König von Däne» mark, der schon seit einiger Zeit Herr des ganzen Schleswigs war, auch in Besitz des herzoglichen Holsteins, das Land Oldenburg dafür hingebend. Die großen politischen Hindernisse der Herstellung eines Canals, dessen Wichtigkeit nie verkannt war, da er die lange, gefahrvolle UmschissungIütlands umgehen ließ, und den benachbarten producten-reichen Landern einen leichten Ausgang eröffnete, der sie dem Mittelpunkt einer großen Handelsbewegung näherbrachte, waren nun verschwunden; die Arbeiten wnrden 1777 begonnen und waren 1784 beendet. Um das Unternehmen besser überwachen und seine Ausfüh-rung beschleunigen zu können, übernahm die dänische Regierung selbst die Kosten, die sich auf mehr als zwei und eine halbe Million Thaler beliefen. Diese Anstrengung hatte denn auch eins der Monumente zur Folge, durch welche die Regierungen und Nationen sich selbst ehren, deren Nützlichkeit sich während der Dauer der Jahrhunderte er-hält und vermehrt, und die durch ihren Einfluß auf den allgemeinen Glanz und Wohlstand die Kosten. die sie verursachten, doppelt auf« wiegen. Der Schleswig-Holsteinische Canal hat seine östliche Mündung im Kieler Busen, zwischen der gleichnamigen Stadt und der kleinen Festung Friedrichsort an der Mündung des Flüßchens Lewensau. Er 14. Kap.) Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse. 295 geht bei Holtenau, Knoop und Ratmausdorf vorüber, vereinigt sich mit den Gewässern des Flemhuder See. zieht die der obern Eider an sich und durchschneidet die Stadt Rendsburg. Die Schifffahrt seht sich dann im Bette der niedern Eider fort, die, sich zwischen den Districten von Eiderstedt undDitbmarschen hindurchwindend, in geringer Entfer» nung von der kleinen Stadt Tönningcn das deutsche Meer gewinnt. Der Canal hat durchweg cine Tiefe von zehn Fuß, eine Breite von vierund« fünfzig Fuß auf dem Grunde und hundert auf der Oberstäche. Seine Länge bis zur Vereinigung mit der Obereider beträgt ungefähr fünf Meilen und bis Rendsburg etwas über sechs' es wurde an mehreren Punkten das Nett der hohen Eider erweitert, um schiffbar zu werden. Der Theilungspunkt der Wasser liegt bei dem Flemhuder See. Die« ser hat eine Erhebung von siebenundzwanzig und einem halben Fuß über dem baltischen Meeresspiegel, und zweiundzwanzig über der nie» deren Eider. Von der östlichen Mündung bis zu diesem See werden die Fahrzeuge um acht Fuß und einige Zoll durch drei Schleusen ge« hoben, und drei andere Schleusen lassen dieselben von dem See bis' zur niederen Eider wieder hinuntersteigeu; die beiden ersten jede um acht Fuß und die letzte um vier bis sechs Fuß, je nachdem die Fluth, höhe ist. Die Schleusen haben eine beträchtliche Länge und Breite und ihre Tiefe beträgt fünfundzwanzig Fuß. Sie sind mit vieler Festig, keit construirt und ihre Thore mit norwegischem Marmor bekleidet. In Rendsburg führt eine Brücke über den Canal und verbindet die holstei. nische Neustadt mit der schleswigschen Altstadt. Die kleinen neben den großen angebrachten Schleusen dienen dazu, die überflüssigen Wasser, die zuweilen von der Eider und Lewensau herbeigeführt werden. un« schädlich verlaufen zu lassen. Es ist der Canal selbst in wasserarmen Zeiten in seiner ganzen Ausdehnung für Schiffe von hundertundvierzig Tonnen brauchbar. Größere müssen ausladen, finden aber längs des Canals Magazine, von denen ihr Cargo auf anderen Wegen in den Handel gebracht wird. Im ersten Jahre passtrten die neue Straße nur vierzig bis fünfzig Schiffe; die Benutzung nahm aber in jedem Jahre zu, sodaß sie jetzt oft mehr als zweitausend beträgt. Die Länge der Fahrt vom Kieler Golf bis zur Eidermündung umfaßt achtzehn bis zwanzig Mcile,n. An dem Eidercingange find Seezeichen und Baken 2yß Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse, ft. Buch. auf Regierungskoften errichtet. Die Mündung des Flusses hat bei Tön. ningen eine Breite von hundertundfunfzig und eine Tiefe von vierzehn bis fünfzehn Fuß. Von Tönningen bis zum Meere zählt man etwas über fünf Meilen. Der Hafen dieser Stadt ist einer der besten der schleswigschen Westküste, und in geringer Entfernung befindet fich eine geräumige Nhede. Der erstere verdankt seine jetzige Ausdehnung den Arbeiten, welche im Iabre 1613 der Herzog Johann Friedrich von Oottorp unternehmen ließ und auf dle er über 30,000 Thaler ver> wandte. Die kleine Stadt, als Ausfuhrplatz nach England seitdem Jahre 1848 und Eisenbahnpunkt sehr im schnellen Wachsen begriffen, betreibt lebhaften Handel und ist der Hauptort der von drei Seiten vom Meereswasser umspülten Halbinsel Eiderftedt. die aus Anschwemmungen besteht, welche kunstvoll eingedeicht, von den Bewohnern in die üppigsten Felder und Wiesen verwandelt wurden. Sie, wie die Kieler Gegend und das dahinter liegende baltische Land verdanken dem Hol« steiner - Canale eine erhöhte Thätigkeit und Bedeutung. Nicht weit von Kiel hat ein Fluß seine Quelle, der, seinen Lauf nach Süden lenkend, trotz geringer Ausdehnung desselben, in den Büchern der Geschichte des Welthandels zu hohem Ruhme gelangt ist: es ist dieTrave. Nachdem er einige Theile Holsteins bewässert, wendet er sich Lübeck zu, um dann in das baltische Meer zu fallen. Seine etwa zwei Meilen von dieserStadt entfernteMüntung ist breit und ticf und bildet einen weiten und sichern Hafen. Bei Lübeck selbst vergrößert sich die Trave durch die Waffer der Wakenitz, und höher hinauf empfängt sie die Stcckenitz, die, ihrer Quelle zu. sich der Elbe nähert. Auf diesem Punkt des deutschen Gebiets und in den benachbarten Gegenden entwickelten sich im 14. Jahrhundert die ersten Anstrengungen deutscher Industrie, um durch Canalifirungen die wohlthätigen Ein« fiüsse einer innern Schifffahrt zu erhöhen. ":' Der Hansabund, der den Plan eines ausgedehnten Handels erfaßt hatte, suchte mit ebensoviel Thätigkeit, als mit großartig verwandten Mitteln ihn zur Blüthe zu bringen. Mehrere Städte, die zu diesem mächtigen Bunde gehörten, beschlossen mit Hilfe der Flüsse, an denen sie lagen, fich durch künstliche Straßen zu verbin-den. Venedig, Genua, Pisa hatten schon im dreizehnten Jahrhundert 14. Kap.j Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse. 297 das erste Beispiel gegeben, ihren inneren italienischen Handel durch kunstvoll erbaute Canäle zu erweitern, und in den Niederlanden ent-standen in Nachahmung dieses Beispiels enge Beziehungen zwischen den Städten Brügge, Gent, Antwerpen und Rotterdam. Hier im deutschen Lande stießen die Ausführungen der Canalisirungspläne auf große Schwierigkeiten; einestheils fehlten den kühnen Entwerfern noch die meisten Hilfsmittel, welche die Kunst in den südlichen Län» dem schon lieferte: anderntheils waren sie den zerstörenden Angriffen mehrerer ihre aufblühende Macht beneidenden Neichsvasallen ausge» setzt. Aber ihre Beharrlichkeit und Festigkeit triumphirten schließlich über alle Hindernisse. Gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts wurde ein Canal gegraben, um die Flüsse Leine und Weser zu vereinigen und eine ununterbrochene Schifffahrt zwischen Hannover und Bremen herzustelle.n. Ungefähr zur selben Zeit grub man denNecknitz-Canal, um dieses Flüßchen mit der Elbe zu verbinden. Es gab Festlichkeiten und Freudenbezeigungen, als 1398 dreißig mit Salz und Kalk beladcne Barken auf dem neuen Nege zwischen Lauenburg und Lübeck passirten. Mecklenburg hat Terrainabhänge gegen die Elbe, welche die Havel und die Elde anzeigen und andere gegen das baltische Meer, die hauptsächlich durch die Warnow, Recknitz und Peene bemerkbar werden. Die Warnow erreicht das Meer eine Meile unterhalb Rostock und ihre Mündung bildet den Hafen Warnemünde. Die Recknitz mündet, durch die Wasser derTrebel und derTollenseverstärkt, beiDammgarten in die See. Die Peene wendet sich, nachdem sie sich in Mecklenburg mit mehreren Seen vereint hat, nach Pommern, empfangt einige kleine Zuflüßchen aus dieser Provinz, erweitert sich bei Anklam, dem sie einen Hafen verschasst, beträchtlich, bildet eine Wasseranhäufung, welche die Bezeichnung Achtcrwasscr führt, und ergießt sich in das größere Becken des Haffs, während ein Ausstuß den Namen Peene behält und sich bei Peenemünde, unweit Wolgast, mit dem baltischen Meere vereint. Die Peene. die Ryk bei Greifswald und die Ucker bei Uckermündc sich in die See stürzend, entströmen Echebnngen des Terrains, von denen nach anderen Richtungen bin einige Zuflüsse der Oder ihren Lauf nehmen, und deren entgegengesetzte Seite einige Gewässer zur Elbe sendet. 298 Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse, s.4. BuA ' Zwischen der Mark Brandenburg und der Lausitz beginnt da« bisher flache Land sich zu erheben; erst findet man Hügel und Berge, die sich dann zum Landrücken aneinanderreihen, und endlich in die Gebirgsgabel des schlesischen Ricsengebirges und der mährischen Sudeten verwandeln. Diese Gebirgszüge haben eine Höhe von drei bis viertausend Fuß, und mehrere ihrer Gipfel find viele Monate mit Schnee bedeckt. Sie gebären drei große Ströme: die Elbe, Oder und Weichsel. Die Elbe zieht sich durch Böhmen. Sachsen, Brandenburg, Hannover, Meklenburg, Lauenburg, und geht. als wichtigste Wasserader Nord« deutschlands. über Hamburg in die Nordsee. Die Oder umfaßt ein weites Gebiet, das im Osten durch einen flachen Landrücken, der von den Karpaten ausgeht, begrenzt, im Süden durch die Sudeten vom Donaugebiet getrennt wird und im Südwesten seine Wasserscheide in der Hauptwasserscheide des ganzen baltischen Beckens selbst findet. Sie hat in diesem Gebiet einen über hundertdreißig Meilen langen Lauf von ihrer Quelle zur Mündung zurückzulegen. Sie entspringt in den Sudeten in der Nahe von Ollmütz auf mährischem Gebiete, fließt in nordwestlicher Hauptrichtung, mit einer starken Nusbiegung nach Westen und zuletzt ganz nördlich, Schlesien. Brandenburg und Pommern durchschneidend, und dieStädte Oderberg. Ratibor, wo sie schiffbar wird, die Festung Kosel, Opveln, Vrieg, Breslau, die Festung Glogau. Krossen, Frankfurt, die Festung Küftrin, Schwebt, Garz und Stettin berührend, die ihr alle ihre an< genehmen Lagen und höhere oder niedere Blüthe verdanken. Auf ihrem langen Laufe empfängt die Oder den Tribut vieler Flüsse und Wassersysteme; auf ihrem rechten Ufer fließen ihr zu: die Olsa oder Elsa von den Karpaten, die Klodnitz, die Malapane, die Stober; die Weida. die Bartsch mit den Abflüssen mehrerer Landseen, dieWarthe, die sich selbst durch die Wasser der Prosna, der Lutiwia, der Mas-zynskie. der Rogezna, der Obra und die Netze oder Noter aus dem Goplosee. welche vorher die Küdda und Drawarder Drage aufnimmt, bereichert und bei Küftrin einmündet, dann die Plöne, die Ihne und andere unbedeutende kleine Flüßchen. Vom linken Oderufer mischen sich folgende Gewässer mit diesem Flusse: die Oppa, die Glatzer Neiße, vom Schneeberge der mährischen Gebirge kommend, mit der Arata, der 14. Kap.) Die Gebiete der deutschen und preußischen Flüsse. I99 Steine und der Viele, die Ohlau. die Lohe, die 3Peiftritz, selche aus dem Strigauer und dem Schweidnitzer Wasser zusammenläuft, die Katzbach, der Bober mit der Sprottau, dem Queis und der Vriesnitz, die böhmer oder wüthende Neiße. In den hohen Gegenden Schlesiens stießt die Oder mit einer solchen Schnelligkeit, daß sie Bäume, Steine und Sand mit sich fortreißt, die oft gefährliche Untiefen m dem untere» Strome erzeugen. Aber in den brandenburgischen und pommerschen Ebenen mäßigt sich der Lauf; gleichzeitig wird der Fluß auch breiter, entfaltet sich mit mehrMajestät und begünstigt die Schifffahrt in höherem Grade. In der Mark sendet sie westwärts ihres jetzigen Bettes einen alten versandeten Arm ab, an dem Wriezen und Vcr Gesund-brunnen Fretenwalde in hügeliger Gegend liegen, und der früher der Hauptarm war. Auf der pommerschen Grenze theilt sie sich in mehrere Arme, durch welche viele Werder entstehen; der Hauptarm behält den Namen Oder; die anderen erhalten den der Parnitz uud der großen und kleinen Nedlitz. Nachdem alle diese Wasser dann noch den Damm-schen See und das Papenwaffer gebildet haben, werfen sie sich in das größere innere Becken des Haffs, das durch die drei Mündungen Peene, Swine und Divenow ins Meer abläuft. In dem brandenburgischen Gebiete nähert sich das Odergebiet bedeutend dem der Elbe; es ist dies der größte Vortheil, den die Natur dem sonst wenig begünstigten Lande verliehen hat. Er wurde auch von den umsichtigen Bewohnern des Landes nicht verkannt, und zog schon früh die Aufmerksamkeit auf sich, sodaß bereits im dreizehnten Jahrhundert die Industrie hier ihre Anstrengungen begann und manche Städte schuf. Einige derselben schlössen sich sogar dem Hansabund an, und ihre Haudelsthätigkeit unterstützte den Ackerbau. Aber der verheerende dreißigjährige Krieg zerstörte die mühsame Arbeit vieler Generationen. Als nach der Beendigung desselben Friedrich Wilhelm, der ächte Hohenzoller. mit dem gerechten Beinamen der große Kurfürst, die Zügel der Herrschaft ergriff, fand er sein Land verwüstet; den Feldern fehlte es .an Armen; die Städte waren unter Ruinen begraben und der Handel war gänzlich vernichtet. Diese traurigeLage ergriff den Kurfürsten um so lebhafter, als er,eine erhabene Seele mit weitblickendem Geiste verband, und den Beruf in sich fühlte, sein Land und sein JOY Die Gebiete der deutschen «nd preußischen Flusse. l^.Buch. Fürstenhaus mit an die Spitze der nordischen Mächte zu stellen. Er nahm von der Antrittsstunde seiner Regierung an ein Administrations-system voller Weisheit auf, befolgte es mit Ausdauer und stellte sich ebenbürtig den hervorragendsten Herrschern nicht nur seiner, sondern aller Zeiten zur Seite. Der Ackerbau und das Fabrikwesen erhielten große Ermuthigungen. und die religiöse Duldung, die, um des Glau« bens willen bedrängte thätige Unterthanen fremder Länder unter sein schützendes Scepter aufnahm, pfropfte neue segensreiche Kräfte auf den alten Stamm, und brachte, verbunden mit der strengen Oekonomie des Fürsten, das fast erschöpfte Land bald wieder zu neuem Gedeihen und Aufblühen. Friedrich Wilhelm verlor die Vortheile nie aus den Augen, welche seinen Landen durch die Schifffahrt erwachse» konnten, wenn er auch später in seinen Seehandelsplänen von dem baltischen Meere absah und sich nach Emden und der Nordsee wendete; dieser Gegenstand beschäftigte ihn um so mehr. als. er sich lange in Holland aufgehalten hatte, und hier die vervollkommneten und seit mehreren Jahrhunderten entwickelten hydrotechnischen Arbeiten zum Vortheile seiner Staaten genau studirte. Da er in dem von ihm beherrschten Reiche nicht die Leute fand, die im Stande gewesen wären, ihn in seinen großartigen Absichten mit Erfolg zu unterstützen, war er groß, herzig genug, seine Zuflucht zu Fremden zu nehmen. Ein Franzose, Philipp de Clmse, wurde an die Spitze einer wichtigen Unternehmung gestellt und führte sie mit Erfolg durch. Er leitete den Bau des Friedrich-Wilhelms,^ Weiter im Süden ergießen fich die Flüßchen Trosa, Nyköplng in 16. Kap.1 Die Flußgebiete Skandinaviens. I29 der Nähe des Mälar »md noch südlicher die Röneby, die Mörum und die Abflüsse des Helgesee's durch die Helgen ins Meer. Sie verschönern sämmtlich die Districts welche sie durchströmen und begünstigen dieAr» beiten mehrerer Fabrikanlagen; aber ihr Lauf ist zu wenig ausgedehnt und ihr Bett in der Regel zu sehr mit Felsen erfüllt, um der Schifffahrt nützlich zu sein. In Bezug auf diese nimmt der große Wettersee, in dessen Becken sich nahe an vierzig Flüsse ergießen und der mit mch. leren andern Steppenseen in Verbindung steht, die erste Stelle ein. In den smaländischen Bergen, inmitten einer traurigen und wilden Natur, entspringt ein Strom, der, nachdem er öde Steppen und zwischen Felsen ausgebreitete Haiden durchschnitten, in offnes und cultivirtes Land tritt, um seine Wasser mit denen des Wettersee'S zu mischen, und ihn nebst den andern kleinern Flüssen zu speisen. Dieser bedeutende uud wichtige See bewässert die vier Provinzen Smaland, Oester» und Wefter-Gothland und Nerike; er hat eine fast ovale Form. mit einer Lange von nahe an fünfzehn Meilen, von Südwest nach Nordost gemessen, und einer Breite von etwa vier Meilen; am nördlichen Ende bildet er mehrere Buchten und sendet schmale Arme nach Oft und West. Seine Erhebung über den baltischen Spiegel beträgt dreihundert zweiundneunzig Fuß. In ihm befinden sich reißende Strömungen und er ist oft durch heftige Stürme bewegt, aber seine Wasser sind klar und tief, seine Ufer flach, und die Schifffahrt ist während eines großen Theils des Jahres gesichert. Es befinden sich wenige Inseln in ihm, und unter denselben hat nur Visingsö. in seinem südlichen Theile, einigermaßen eine Ausdehnung. Der See hat nur einen einzigen Abfluß, der sich aus seiner nördlichen Hälfte nach Osten Bahn bricht und als Motalaelf, nach einem Laufe von etwas über fünfzehn Meilen, nahe der Stadt Norrtoping in den Busen Bävik mündet, nachdem er vorher noch, sich über Felswände hinabstürzend, malerische Caöcaden bildete. Diese Gegenden um den Wettersee und den Motala sind angenehm gelegen und erfreuen sich einer alten Cultur, von der Wad-stena, eine der ältesten nordischen Städte, das wichtige und volkreiche Iöntöping. derSih eines hohen Gerichtshofes und berühmter Waffen, fabriken. und Norrköping. ein Centralpunkt aller Handelsbewegung nach außen und innen, Zeugniß ablegen. 936 Die Flußgebiete Skandinaviens. lft.Nnch. »lnü Die Wichtigkeit dieses mnttn Beckens ist aber durch den Bau mehrerer Canäle, welche es mit dem Wenersee und mittelst mehrerer kleiner Seen sicherer und directer mit dem baltischen Meere verbinden, bedeutend erhöht. Es ist hierdurch, sowie durch den Trollhätta.Canal der den Abfluß des Wenersee's schiffbar macht, eine Communication er« öffnet, die aus dem Kattegat, quer durch die bevölkertsten Provinzen Schwedens, nahe der Hauptstadt in das baltische Meer führt. ' - ' Während der Kriegsunruhen, die um das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts Skandinavien durchtobten, sahen sich mehrere schwedi« sche Provinzen dem Mangel der nothwendigsten Subsistenzmittel und besonders des Salzes ausgesetzt, weil die Schwedens Partei begünstig genden Fahrzeuge den Sund, dessen beide Seiten Dänemark damals beherrschte, nicht pasfiren konnten. Iohan Vrask, Erzbischofvon Lin« köping, der mit seinen theologischen Kenntnissen die Talente und den Scharfblick eines Staatsmannes verband, erfaßte den Plan. sein Va< terland von dieser Fessel zu befreien, indem er innere Communicationen begründete, mit deren Hilfe die Kanfmannsgüter, die in die Häfen des Kattegats geführt würden, in die vom baltischen Meere begrenzten Provinzen gebracht werden könnten. Aber unter den inneren ftaat« lichen Umwälzungen, die Schweden während der Herrschaft Gustav Wasa's und der seiner Söhne bewegten, konnte der entworfene Plan nicht realifirt werden. Die Anerbietungen, welche einige Holländer der Königin Christine in Bezug auf eine innere Schifffahrt ans dem Kattegat ins baltische Meer machten, führten gleichfalls zu keinem Resultate. Nährend dcr Kriege Karls XII. empfand Schweden von Neuem eine große Schwierigkeit, sich Salz und andere Import-» Waaren auf dem Sundwege zn verschaffen; seine Marine war ge« schwächt, und die Dünen hatten sich zu Herren aller Passagen gemacht. Erik Benzellus, der Sohn eines Erzbischofs von Upsala. welcher in der Folge auch selbst Erzvischof wurde, entdeckte damals unter den Manuscrlpten einer Bibliothek orn von Iohan Brask redigirten Plan und ließ ihn zur Keimtniff Knrls XII. gelangen. Schweden besaß damals ein ausgezeichnetes mechanifcheslGenic: Christoph Polhem. Er war am Ende deS siebzehnten Jahrhunderts geboren, und durch einen unwiderstehlichen Hang zum Stlchium der.Mechanik getrieben, dem er 16. Kapil Die Flußgebiete Skandinavien«. II1 nur durch Ueberwindung großer Schwierigkeiten Genüge leisten konnte. Nachdem er durch Neisen in Deutschland, Frankreich. Holland und Eng» land seine Anschauungen erweitert und seine Vaterlandsliebe dadurch bethätigt hatte, daß er Peters des Großen glänzenden Anerbietungcn widerstand, auch seine Kenntnisse durch Erbauung deS Karlskronaer Hafenbeckens «ud Errichtung oder Verbesserung der Bergwerksmaschi» nerien in Falun und Danemora bewiesen hatte, erhielt er sogleich den Austrag, den Plan auszuführen, durch welchen Brask seinem Genie ein Monument gesetzt. Die Arbeiten begannen eben, als die Laufbahn des Königs in Norwegen gewaltsam beendet wurde, worauf nothwendigere und dringendere Sorgen die Aufmerksamkeit in An» sp'ruch nahmen. Nachdem indessen der Friede und die innere Ordnung wieder fest hergestellt waren und die Regierung erkannt hatte, wie wichtig es sei, die Verluste welche das Königreich erlitten hatte durch die Industrie zu ersetzen, wurde auch das Project der innern Schifffahrt wieder aufgenommen und mit dem wesentlichsten Theile, der Schiffbarmachung des Göthaelfin seiner ganzen Ausdehnung, begonnen. Es tritt dieser Fluß bei Wenersborg aus dem Wenersee, um sich nach einem Laufe von ungefähr zwölf Meilen in südsüdweftlicher Richtung bei Gothenburg ins Kattegat zu stürzen. Sein Bett ist mit schroffen Felsen erfüllt, welche gewaltige Wasserfalle erzeugen, deren ge» fährlichste unter den Namen Trollhätta (Hezenheimath) bekannt sind. Sie folgen in kurzer Entfernung von einander und sind vier ihrer Zahl nach. Das Schauspiel dieser Katarakte zwischen Ufern, die reich an Wechsel wildschöncr und herrlicher Aussichten sind, ist wahrhaft impo« sant und majestätisch, und Alles vereint sich, um auf die Phantasie zu Wirken und einen tiefen Eindruck zu machen. Die Heftigkeit und Masse des Wassers, der wildeAnblick der Felsen, die dunklen Tiefen derWal-dungen, welche die Ufer säumen, der sich unaufhörlich erneuende Lärm, das ganze Zusammenwirken dieses auf dreitausend Fuß ausgedehnten Schauspiels entbehren in allen baltischen Landen ihres Gleichen. Die ganze Höhe der Fälle beträgt hundertundzwölf Fuß die schönsten sind der erste oder Gnllö Fall. der ungemein breit ist und fechsundzwanzig Fuß herabstürzt und der zweite, engere, dessen Fall vierundvierzig Fuß 332 Die Flußgebiete Skandinaviens. 14. Buch. mißt. Nachdem der Fluß südlicher noch auf mehrere Hindernisse gestoßen ist, wird sein Lauf ruhiger und endlich langt er sanft am Meere an, nachdem er zuvor üppige Felder und Wiesen und anmuthige Wohn» sitze bespült hat. Die oberhalb und unterhalb Trollhatta befindlichen Fälle waren leicht durch Dämme und Schleusen zu bändigen gewesen, aber diese vier großen Katarakten beanspruchten ausgedehntere Combinationen und umfassendere Anstrengungen. Polhem, durch die Kühnheit seines Genies, und seinen unerschütterlichen Muth, der der Charakter aller seiner Pläne ist, fortgerissen, unternahm es den Ungestüm der Gewässer direct zu bekämpfen und sich im Bette des Flusses selbst zum Herru der Strömung zu machen. Seine Arbeiten begannen ums Jahr 1750 und drei Schleusen von der allergrößtsten Festigkeit wurden erbaut; ein gewaltiger Damm sollte ihnen zum Schutze dienen, und vielleicht wäre Alles geglückt, hätte Polhem Arbeiter gefunden, die Fähigkeit genug besaßen, seinem (bedanken mit der That zu folgen; aber noch vor Vollendung des Dammes schwollen die Wasser über ihre Ufer. rissen das schon Vollendete ein und führten selbst die Schleusen fort. Die noch heut fichtbaren verstreuten Trümmer des Werkes stoßen dem Be« schauer Bewunderung ein und lassen es bedauern, daß dies kühne Un» ternchmen nicht von besserem Erfolg gekrönt war. Nun wuide der Plan geändert und man beschloß, zur Seite der Katarakten einen Canal durch den Fels zu sprengen; indessen ruhten die Arbeiten bis zum Jahre 1793 gänzlich. Um diese Zeit hatten glückliche Umstände dem Handel eine große Thätigkeit gegeben; man beschäftigte sich ernstlich mit dem Projecte, dessen Ausführung schon zu lange verzögert schien, und es bildete sich eine Gesellschaft, um die nöthigen Mittel aufzubringen. Im Jahre 1794 wurde der Canal begonnen und im Jahre 1800 passirten ihn die ersten Barken unter dem jubelnden Zurufe der beiwohnenden Menge. Man mußte die Solidität der Arbeit und die weisen Combinationen des Talents bewundern, die eine sichere und nützliche Schifffahrt neben diesen Wassern, deren Ungestüm nnr Verwüstung und Zerstörung zum Zweck zu haben scheint, erzeugten. Der Canal beginnt oberhalb des ersten Falls und verlängert sich über eine Meile weit, bevor er sich wieder mit dem Fluß vereinigt. 16. Kap.) Die Flußgebiete Skandinaviens. 333 Seine Breite beträgt zweiundzwanzig Fuß und seine Tiefe sechs und einen halben. Er ist mit acht Schleusen versehen, deren jede eine Länge von hundertundzwanzig Fuß hat, besitzt feruer ein Bassin, welches als Reservoir dient, und mehrere andere Bassins, welche die Passage erleichtern, wenn sich die Barten begegenen. Die Mehrzahl der Schleusen und einige Theile des Canals selbst sind nur mit dem Gra» nit ihres Bettes, die anderen mit festem Maucrwerk bekleidet. Der Abfall des Wassers beträgt hundertundzwölf Fuß. Dieses Werk, so imposant wie nützlich, hat über eine halbe Million preußischer Thaler gekostet, aber auch großen Wohlstand über die Provinzen verbreitet, die der Göthaelf und der Wenersee berühren. Dieser See hat eine noch beträchtlichere Ausdehnung, als der Mälar; seine Länge beträgt mindestens achtzehn Meilen, seine Breite fast neun und sein Flächeninhalt über fünfzig schwedische Quadrat^ meilen. Er breitet sich in unregelmäßiger Form, meilenlange schmale Arme namentlich nach Westen, doch auch nach Süden und Norden ins Land sendend, und mit ausgebauchten Ufern zwischen den Pro» vinzen Halland, Würmlaud und Weftergothland aus. Der Anblick seines klaren und durchsichtigen Wassers ist durch mehrere Inseln, die einen selbst meilengroßen Umfang haben, an Wechsel reich. Seine Erhebung über den Meeresspiegel beträgt huudertuudsiebenundvierzig Fuß. Er nimmt eine große Anzahl Flüsse auf, worunter der Klaraelf, der aus Norwegen kommt, wo er den Namen Tryfild führt, und Wermland, eine der eisen- und holzreichsten Provinzen Schwedens, durchströmt, der« bedeutendste ist. An seiner Mündung liegt der wichtige Handelsort' Carlstad, der eine zahlreiche Flotte auf dem See hält und den Ver. mittler zwischen dem Handel und dem Bergwesen abgiebt, nächstdem Christianhamn. Mariestad und Lidköping. die alle für den innern Ver. kehr Wichtigkeit besitzen. Nachdem der Trollhättacanal vollendet war, schritt man zur Aus« dehnung dieser Binnenwasserstraße bis ins baltische Meer und erbaute' mit Benutzung der vorhandenen natürlichen Hilfsmittel den Götha, canal. Mehrere künstliche Bauten führen zuerst bei Sjötorp aus dem nördlichen Wenersee nach Osten in die Bucht Wicken, dann in de»! Botteusee, in den Wettersee, den Boren, den Noxen und den Asplan» 334 Dle Flußgebiete Skandinaviens. l4. Auch.» gen und mit Hilfe der Motala und eines längs derselben gesprengten Canals bei Mem, südlich der Bucht Slätbake» und der Stadt Söder< loving, in das fünfundzwanzig und eine halbe Meile entfernte baltische Meer, wo sich der Weg durch den 1819 vollendeten Canal vonSöder« telje zur Vermeidung des Stockholmer Schärengartens in den Mälar fortsetzt. Dieser ganze Göthacanal durchläuft achtundfunfzig größere Schleusen, von denen achtunddreißig von dem baltische» Meere bis zur Wiekenbucht dreihundertundacht Fuß über das Niveau der Oft. see aufsteigen, die übrigen zwanzig, im Verein mit den Schleusen des Trollhättacanals, wieder ins Kattegat hinunterleiten. Ueberall ist der dreizehnundeinehalbe Meile Mauerwerk enthaltende Canal, der durchweg zehn Fuß Tiefe und am Boden fünfundvierzig Fuß Breite hat, mit allen seinen Schleusen und Bauten vom Baron Platen treff« ltch ausgeführt und ebenso die Quais und die vierundzwanzig unter dem Canale gemauerten Abzugsgewölbe und die vierundzwanzig Wasserleitungen desselben. Vierunddreißig Brücken, wovon fünfzehn von Eisen, befördern die Communication über denselben; die ganze Wasserstraße von Gothenburg bis nach Stockholm beträgt achtzig und eine Viertelmeile und hat im Ganzen zweiundsiebzig kleine und große Schleusen, vier Schiffsdocks, dreiundzwanzig Schiffsbecken an den Stationen, au den Mündungen fünf sichere Häfen und kostete Schweden neun Millionen Reichsthaler. Es liegen dicht an dem Canale,, zwischen den Seen Boren und Wettern, Motala mit seinen berühmten mechanischen Werkstätten für Dampfmaschinen :c. und dort, wo der Bottensee sich durch ein schmales Wasser in den Wettern ergießt, die, wichtige Centralseftung Schwedens, Carlsborg. > Südwärts dieser Seegebiete und ihrer Zuflüsse herrscht zwar keine Wasserarmuth, doch verdienen die von den wenig hohen Ber« gen Hallands, Alekingens und Schönens herabrieselnden Bäche und, Flüßchen, in Folge ihrer zu beschränkten Ausdehnung, keine besondere Betrachtung. -!. Nachdem wir nun das ganze baltische Flußgebiet durchmessen ha< ben, fanden wir, daß überall die Ströme zu den Hilfsmitteln einer in-, nern Thätigkeit geworden sind, und vielfache Straßen ins Meer vmzeichneten, welche Menschenkräfte vervollkommneten und erwei« l6. Kap.) Die Flußgebiete SlandinavienS. IIK terten. Aber auch wenn die Natur fie in Fesseln legt, wenn Eis« massen ihr Leben in starren Tod verwandeln, dienen sie noch in der ihnen vom Schöpfer angewiesenen Weise. In jenen von der Cultur noch weniger berührten Gegenden des Nordens und Ostens bedecken sie sich vorzugsweise mit dem wohlthätigen Echneeteppich, auf dem dann lange Reihen von Schlitten in fliegender Eile hinsansen, um die Producte der fernen Gegend an die Stapelplätze zn bringen, von wo das Waffer des Sommers sie weiter an den Ort ihrer Bestimmung tragt. M««'scht Vuchd»ucktie< (Lall ». Loll) lu Ltipji«. Zweiter Theil, Die Afer der Ostsee. Die Qftstt. 22 Fünftes Buch. Die dänischen Ufer. Siebenzehntes Kapitel. Das Kattegat. Lap Stage«. — Die Nord- und Ostküste Iütlands. — Die norwegische Subtilste. — Der Christianiafjord. — Christiania. — Die Südwestküste Schwedens. — Gothenburg. Dort, wo die Südspitze Norwegens,' an welcher sich der Südarm desKiölengcbirges im Cap Lindesnäs mit jähem Abfall in's Meer versenkt, nach der Nordspitzc Iütlands hinüberdeutet, auf welcher im Cap Skagen die Aalheide endet, ist der Eintritt in das Kattegat. Westwärts von ihm tragen die Gewässer den Namen Skagerrack, nach einem ausgedehnten Rack oder Riff, welches hufeisenförmig das auf schmaler Landzunge nach Nordwesten gerichtete Skagenhorn umgiebt. Sie sind es, welche aus dem Kattegat mächtig herausströmend im Verein mit den Nordwcststürmen der Nordsee, auf der flachen, sandigen Küste, die viele Meilen weit keinen Hafen darbietet, oft zersplitterte Trümmer von Masten und Gerippe der gestrandeten Schiffe gleich einer Palisaden-linie aufpflanzen. Viele der nochbedrängten Fahrzeuge treiben, wenn sie dem Sturme nicht zu widerstehen vermögen, mit vollen Segeln absichtlich auf die sechszchn bis siebenzehn Meilen lange Bank, wo das Schiff sich tief in den Sand einschneidet, aber wo doch meist eine Möglichkeit vorhanden ist, die Mannschaft und einen Theil des Schiffsgutes zu retten. Als ein großer Busen zieht sich das Kattegat nach Süden hinab, an der einen Seite vom Osten Iütlands, an der andern von einem Theile Norwegens und mehreren Provinzen Schwedens begrenzt. Die Tiefe ist ungleich- die Strömungen sind heftig, wandelbar und oft 22* 340 Das Kattegat. 15. Buck. einander entgegengesetzt; die Stürme anhaltend, mächtig und beeinflußt durch seine Küsten und daher doppelt gefahrdrohend, besonders in den späteren Jahreszeiten. Die Wichtigkeit dieses Beckens jedoch (es ist die einzige Verbindung des baltischen Meeres mit dem Ocean,) läßt die kühnen Schisser allen Gefahren trotzen. Seine Wogen spülen an Küsten, die wichtige Producte erzeugen, und seine Häfen, sowohl die des Ostens als die des Westens, haben den Vorzug, der Handelsthätigkeit den größten Theil des Jahres offen zu stehen. Der jütische Strand ist fast in seiner ganzen Ausdehnung flach, nur im Süden erhebt er sich zu schön bewaldeten Hügeln. Er beginnt im Norden mit Skagenhorn, mit dem Städtchen Stagen. Die Sandbank, die das Horn umgiebt, streckt sich mehrere Meilen weit. Der Voden der Landzunge ist unfruchtbarer Sand, daher ihre Bewohner auch nur Fischer und Lootscn sind. Etwas südlicher als Tkagen liegt Frederikshavn, der Uebcr-fahrtsort nach Norwegen, von drei Bastionen vertheidigt; noch weiter nach Süden hin der kleine Flecken Sä bye, berühmt als ein Fundort herrlicher Kreide. Von hier ab beginnt das Meer beträchtliche Einschnitte in das Land zu bilden und soweit einzudringen, daß sie von der Nordsee nur noch durch schmale Erdzungen getrennt werden. Der Liimfjord zieht sich in dieser Weise sechszehn bis siebenzehn Meilen weit durch Jutland und theilt sich, der Westküste schon nahe, nach Süden weiter greifend, in zwei Arme. Eine 1825 durch die Fluth geöffnete und später durch Kunst verbesserte Verlängerung, der Aggcrcanal, bildet eine Verbindung mit der Nordsee und schneidet den nördlichen Theil Iütlands als eine Insel ab. Mehrere Eilande umfaßt der Fjord, deren Ufer fruchtbare und lachende Oasen in der sonst öden Haidcgegcnd bilden. Die Fahrzeuge, welche den Liimfjord besuchen, finden, nachdem sie sich bei dem von einem Fort beschützten Städtchen Hals, dem Schlüssel des Busens, erleichtert haben, gute Häfen bei dem Amts- und Bischofssitz Aalborg, bei Nibe und Lögstöer. Aalborg ist der wichtigste Hafen des Fjords und zugleich die zweitbcdeutendste Stadt Nordjütlands, die Rhederei und directen Handel selbst mit Grönland und Island betreibt. Andere Busen des Kattegats bilden die Häfen bei Mariager; Randers, dem Hauptorte für die Fabrikation der berühmten dänischen Handschuhe; Ebeltoft; Aarhuu s, die Haupt-Station der Uebelfahrt nach Kallundborg auf Seeland; Horsens, der Tuchfabrikation halber wichtig, aber nur im Stande kleine Fahrzeuge aufzunehmen; und endlich Weile. Letzterer Hafen ist schon dem kleinen Belte benachbart und trägt bereits den Stempel der fast paradiesischen Schönheit, die Süd-Iütlands sowie Schleswigs Ostküste charaktcrisirt. Auf der norwegischen ebensowohl als der schwedischen Seite zeigt 17. Kap.) Die norwegische Küste. Ktzi die Küste eine beträchtliche Erhebung und besteht aus einer langen Neihc von Spitzen, Vorgebirgen, Caps, Inseln und Schecren, einige mit Waldung bestanden und angebaut, andere unfruchtbar und öde. Eine Menge von Golfen, Baien und kleinen Buchten liefern Ankergründe und bieten mehrere geschützte Häfen dar, die in der Mehrzahl jedoch einen schwierigen Zugang haben. Das Cap Lindesnäs ist eine Halbinsel, die ein Isthmus von nur geringer Breite an das Festland knüpft; weit ragt es in's Meer hinaus, ewig gepeitscht von wilden Wogen. Einige kriechende Pflanzen zeigen sich hier und dort zwischen den Felsen und Steinen; aber ein Baum vermag auf ihm seine Nlätterkrone nicht zu entfalten. Lootsen und Fischer sind die Bewohner dieser undankbaren Erde und sie finden auf den Fluthcn die Unterhaltsmittel, welche der Boden versagt. Mandal und Christiansand sind die dem Cap benachbarten Häfen; letzterer in der Mündung der Aa tteraa, in einer geräumigen und sichern Bucht, die ganze Kriegsflotten bergen kann. Zwischen beiden liegl Fleckeröe,*) dessen Fort Frederiksholm in Ruinen zerfallen ist und den Sund, der es vom festen Lande trennt, offen daliegen läßt. Weiter hin trifft man auf Arendal, eine neben schroffen Felsen auf Pfählen im Meere erbaute Stadt, deren Straßen hölzerne Brücken sind und deren Hafen die Insel Tromöe deckt; ferner Nisöcr, Krageröe; Skcen. mit ergiebigen Eisen- und Kupferwcrken; Frederiksvärn oder Stavärn.") Letzterer Ort enthält einen befestigten Hafen und die nöthigen Bauten für die Construction von Kanonenbooten und anderen kleinen Fahrzeugen der Scheercnflotte. Von den benachbarten Höhen kann der hinausschweifcndeBlick Laurvig***) an dem gleichnamigen Busen erreichen. Das Städtchen hat einen lebhaften Handel, vorzugsweise mit Stabeiscn, ist bekannt durch seine Gußwaaren und durch seine Kanonengießerei, verdiente es aber in höhcrem Grade zu sein durch die fesselnde Schönheit seiner Umgebungen, die freilich noch durch den benachbarten Christianiafjord verdunkelt wild, dessen Ufer mit sauberen und betriebsamen Städten bedeckt sind. Dieser Fjord dringt mehr als zwanzig Meilen tief in das Land ein und theilt sich in mehrere Arme. Seine Umrisse sind sehr verschieden; bald sieht man ihn gleich einem Flusse sich winden, dann wieder gleicht er einem lieblich abgerundeten See, oder einem von Menschenhänden ') Ö e ist das dänisch-norwegische Wort für Insel. Holm heißt ein klciuerco Eiland. **) Die Endung Värn bedeutet: Schuß. *'*) Big. Vik heißt im Dänischen nnd Schwedischen Bucht, und ist auch in Norddeutschland gebräuchlich. 342 Der Chnstianiafjord. lä. Buck. durch felsige Engpässe mühsam gesprengten Canal. Die Farbe seines Wassers wechselt nach der Verschicdenartigkeit des Bodens vom tiefsten Ultramarin bis zu lichtem Grün. Die Ufer sind eine malerische Verkettung von Gebirgen und Thälern. Der schönste Aussichtspunkt ist der Gipfel des Paradiesberges unweit der Landeshauptstadt Christiania. Läßt man von ihm den Blick landeinwärts schweifen, dann enthüllt sich eine reiche Landschaft, überall verschieden, aber überall anziehend; hier schroffe Berge und tiefe Thäler, liebliche Landhäuser wohlhabender Kaufleute, die norwegisch „Lücken" genannt weiden; dort reiche Getreide« felder und mitten darinnen die Wohnungen der Ackerbauer in dem landesüblichen rothfarbenen Anstrich und mit grasbepstanztc» Dächern; dazwischen erheben sich schöne Baumgruppen, und uicht weit von dieser Herrlichkeit zeichnet sich der breite Arm des Fjords, der den Namen Björvig-Fjord führt, silbern auf der dunklen Umgebung ab; große Fahrzeuge durchfurchen, alle ihre Segel entfaltend, die Wogen. Inseln, zum Theil mit Nadelholz bewachsen, zum Theil nur wilde, romantische Felsen, zum Thcil bebaut und bewohnt, erhöhen die Reize der Landschaft. Von dem Christianiafjorde ging die Civilisation Norwegens aus und hier wurde seine Industrie geboren. Hier lag Opslo, die erste Residenz der norwegischen Könige, der erste Mittelpunkt der politischen und religiösen Beziehungen der Nation. An seinen Verzweigungen entstanden in neueren Zeiten betriebsame und wohlhabende Städte; hier liegt Tönsberg; der Stapelplatz des einzigen Salzwcrks Norwegens, Wallöc; Holmestrand, auf einer so schmalen Landzunge an hohen, senkrechten Basaltsäulen angelehnt, daß die Stadt fast nur eine Straße bildet, und der Mangel an Ackerland dic Einwohner zwingt, auf steilen Treppen ihre Todten die Felsen hinauf zu dem wcitentlegencn Fricdhof zu tragen; Dram men, die Dreistadt, welche halbmondförmig die Mündung des schönen gleichnamigen Stromes umfaßt, dessen breites, silberglänzendes Band den kleinen Flecken Bragernäs. Stromsöe uno Tangen zu einer so nährenden Lebensader wurde, daß sie zu der jeßt reichen und wichtigen Stadt zusammenwuchsen; Fr cderiksstadt; Moß, an der Südspiße des von Nord nach Süd sich abzweigenden Folden-Fjord reizend gelegen, und reich durch Fabrikation von Tuchen, durch Holzhandel und ein Eisenwerk. Eine theils mit Wald bestandene Landzunge, fast von der Länge einer Meile, liefert der Stadt und den sie umgebenden Gärten so sicheren Schuß, daß, begünstigt durch den fcl-Ngen Boden, der die Sonnenstrahlen reflcctirt, ,md durch die von dem Meere stets mit Feuchtigkeit geschwängerte Luft, edle Früchte im Freien gedclhen, und selbst die Trauben reifen. Moß gegenüber liegt Horten, dic Hauptstation der norwegische» Flotte. Christiania, seit <7pslo's Verfall die Hauptstadt und Nesidcn; des l7. Kap.j Christiania, OpSlo. 343 Landes, liegt an dem nördlichsten Punkte der Bucht, dem Björvig-Fjord, halbmondförmig dem Strande folgend und von einem Amphitheater grüner von Flüssen zerschnittener Berge umgeben, in deren Mitte der Egeberg sein stolzes Haupt erhebt. Sowohl in Bezug auf die Schönheit ihrer Lage, als auf das Eigenthümliche in botanischer, zoologischer und namentlich gcognostischer Hinsicht bietet die junge nordische Königsstadt viel Interessantes dar. Der stets belebte Hafen hat leichte Zugänge und ist ganz frei von unterseeischen Klippen; die Schiffe genießen in ihm sicheren Schutz und werfen.die Anker dicht neben den Magazinen und Bauplätzen aus. Die Stadt ist gut, regelmäßig und meist ganz von Steinen erbaut, eine Seltenheit im Norden, und eine Folge der schrecklichen Feuersbrünstc, die sie oft verheert haben. Der schönste Theil der Stadt am Hafen heißt die Quartale, die Vorstädte Grönland, Pebervig, Hämmersborg und Fjerdingen. An hervorragenden Bauwerken ist sie arm, und das königliche Schloß, ein Geschenk der Nation an 'den König Karl Johann, dessen große Kosten den Gebern Reue und dadurch widerwärtige Storthings-Debatten veranlaßten, zeichnet sich trotz seiner kolossalen Dimensionen lediglich durch seine wahrhaft entzückende Lage aus. Nordwestlich reiht sich das alte Dorf Agger an die Stadt an und im Tüdosten vereint sich mit ihr die alte Stadt Opslo. Sie wurde schon um 1050 von König Harald Hardraade gegründet, und durch ihre Lage bald der Centralpunkt des söndcrfjcldschen Landestheils. Unter den Flammen der Bürgerkriege und Biüdcrtä'mpfc um den Thron hatte sie drei Jahrhunderte lang viel zu leiden, wurde später um die Mitte des 15. Jahrhunderts Residenz des Königs Christoph von Baiern, und 1514 die Christian des Zweiten. Grund und Zeit ihres Untergangs war die Einführung des Lutherthums, welches die kirchlichen Einrichtungen, die der Stadt großes Ansehen und Wohlstand verliehen, aufhob und verlegte, und so ihre Lebensader unterband. Dreißig Jahre vcgetirte sie noch, bis sie 1567 durch die eigenen Bürger in einem siebenjährigen Kriege mit den Schweden niedergebrannt wurde. Das spärlich Wiederhergestellte verheerte 1624 abermals des Feuers Wuth, und so gab sie dem keimenden Christiania Wachsthum und Gedeihen. Von dem Dome, von den vielen Mönchs- und Nonnenklöstern, den beiden Bischofspalästcn, findet man kaum noch einige Spuren. Christiania selbst und alle diese alten und neuen Vorstädte werden von der Festung Aggcrshuus beherrscht. Sie liegt auf einer in den Fjord hineinspringenden Klippenspitze, und hatte in den vielen Kriegen zwischen Dänen und Schweden mannigfache Belagerungen auszuhalten. 1716 mußte der Eiscnkopf Karl XII., nach vergeblichen Versuchen die Festung zu nehmen, unverrichtctcr Sache abziehen. 344 Die schwedische Küste. >5. Vuch. An der schwedischen Grenze befindet sich ein zweiter Einschnitt von großer Lieblichkeit und Ausdehnung. Seine Richtung ist anfangs nordöstlich, dann mit scharfer Wendung fast von Nord nach Süd, wenig zum Osten geneigt. Die Enge führt den Namen Svinesund und ist ein maritimer Paß, von hohen und steilen Felsen umschlossen, und einige Male bis zu dem Grade verengt, daß die Masten der schwankenden Schiffe mit ihren Raacn die Wände beinahe berühren. An der innern Bai, die den Namen Idefjord führt, liegt die Stadt Frederikshald, ein betriebsamer Ort, nach-wiederholten Feuersbrünsten geschmackvoll auf sanften Hügeln angelegt, die von der hier mündenden, reizenden Tistedalelfbenetztwcrden. Ueber demselben thront, auf wild angehäuften Bergen, die Festung Fred c rikssteen, in ihren Werken der natürlichen Form der Bergkroncn folgend. In den gegen sie errichteten Laufgräben traf am elften Dezember 1718 Karl XII. die Kugel, welche seinen Entwürfen und Tagen ein Ende machte. Seit 1814 ist die Slelle, wo Karls Leiche gefunden ward, durch ein einfaches Denkmal, aus roh behaucnen Granitblöcken, bezeichnet. Die Inschrift lautet: „I beieirin-Fen mol rre6«llk88leen diel Kit (^arl XII. 11. December 1718." Der dem Svinesund zunächst liegende schwedische Hafen ist Strömst ad, bekannt durch seinen ausgedehnten Hummerfang. Der folgende Fjord ist tiefer eingeschnittcn und besser geschützt, daher auch der in ihm liegende Hafen Uddevalla häusiger besucht und von zunehmender Wichtigkeit. Die Stadt, von einer Elf durchströmt, liegt reizend auf felsigem Boden, dicht neben ihr ein beliebtes und modernes Seebad der südschwedi< schen vornehmen Welt, Gustavsberg. Bis hierher hat die Küste einen überwiegend lieblichen und heiteren Anblick gewährt, nun aber nimmt sie einen rauhen nnd wilden Charakter an, indem die Tanne als Hauptbaum auftritt und ein Labyrinth von Inseln oder Felsen den Zugang versperrt. Vorzugsweise überraschen diese Züge bei dem nächsten Hafen' Marstran d. Schroff ausgezackte und jäh abfallende Felsen, scharfe Vorsprünge, gegen die ungeheure Wellenberge wüthend peitschen, scheinen jede Verbindung mit der eigentlichen Küste an diesemOrte zu verbieten. Und doch ist die eine Meile vom Fcstlande entfernte Inselstadt ein Freihafen und Stapelort, dem der Schiffer trotz der Klippen und tobenden Fluthen oft und gern naht. Nicht weit von demselben erhebt sich die Bcrgfestung Karlsteen. Mehr im Süden an der Mündung der Göthaelf liegt Göteborg oder Gothenburg, die zweite Stadt im Neiche und erste Handelsstadt. Der Hafen ist umgeben von einer großen Zahl kleiner Inseln und kahler Felsblöcke. Die Citadelle Elfsborg, der Schauplatz des heldenmüthigen Tordenstjoloschen Uebcrfalls, auf einer Insel im Strome selbst, wie schon der Name bezeichnet, schützt den Eingang des Hafens, 17. Kap.j Gothenburg. 345 im Verein mit den östlich und westlich dcr Stadt befindlichen Schanzen Göta Lejon und Kronan. Dcr Hafen ist groß und tief genug, um cincm Theile der Orlogsflottc zur Station zu dienen; er liegt mit den Schiffswerften unterhalb dcr Stadt, zu der eine lange, an schroffe Felsen sich lehnende Vorstadt führt. Gothenburg ist, nachdem es oftmals durch große Fcuersbrünste gelitten hat, jrtzt größtcntheils massiv erbaut mit schönen breiten Straßen und wird von dem kleinen Flusse Mölndal und die durch sein Wasser gespeisten Canäle durchschnitten, auf welchen die kleineren Fahrzeuge unmittelbar vor die Speicher gelangen. Ursprünglich war die Stadt auf der ihr jetzt gegenüberliegenden, den Strom der Göthaclf in seiner Mitte theilenden Insel Hisingcn angelegt, wurde aber, nachdem sie 1611 von den Dänen verbrannt war, durch Gustav Adolph an der jetzigen Stelle wieder erbaut. Nennt sie gleich dankbar diesen König ihren Gründer, und ist das stolze Denkmal des Meisters Jogelberg, das in seiner ersten Ausführung dem Strandrecht Helgolands zum Opfer ward, gewissermaßen hier gerechtfertigt, so verdankt sie doch eigentlich den Ursprung ihres Gedeihens nur dem Handel und darf ihn nicht hinter den Beginn des achtzehnten Jahrhunderts und Karl XI. zurückversetzen. Ihr Handel verzweigt sich in alle Theile der Welt; er wird wesentlich gefördert durch den Götha-Canal, der die Verbindung mit dem Innern des Landes vermittelt. Zwischen Marstrand und Gothenburg liegt, zwar nicht unmittelbar am Mecre, doch an dcr nördlichen Mündung des breiten Stromes, eine kleine Stapclstadt Kongelf oder Kongshall. Unweit von ihr ra.U ein steiler, nackter Felsblock in fast regelrecht viereckiger Gestalt, so das, man versucht sein würde, ihn für ein Menschenwcrk zu halten, wenn die Dimensionen nicht so kolossal wären, riesenglcich aus dem Strome. Seine Krone ziert ein viereckiger, ungemein fester Thurm aus mächtigen Quadern, umgeben von einer gleichfalls aus Quadern aufgemauerten Brustwehr. Es ist die ehemals wichtige Grenzveste des alten Gothenreichs, Bahus, die der Provinz den Namen lieh. Von Gothenburg südlich folgen die Häfen und Stapelorte Kongs-backa, Warberg, Falkenberg, und Halmstad, wegen seines Lachsfanges aufgesucht, an der Mündung des Nissa-Flüßchens, dessen reißendes Gefalle die kostbaren Fische stromaufwärts lockt. Außer kleinen längs den Küsten gereihten Inseln und Seeland und Fühnen, deren nördliche Strande es umspült, birgt das Kattegat noch einzelne in der Mitte seines Beckens. Die bemerkenswcrthcsten sind Lessöc, Anholt undSamsöe. Letztere hat eine Größe von gegen vier Quadratmeilen und ist gleich weit von Jutland und Fühnen entfernt. Der Boden ist ungemein fruchtbar uud ernährt mehr als sechs» tausend Einwohner. Sie gab den Sprößlingen königlicher Liebe, dem 346 Der kleine Velt. 15. Buch. Grafengeschlechte mit dem stolzen Namen Danncstjöd die Einkünfte und den Zunamen Samsöe, und zwei noch lebende Tochter derselben sind die Gemahlinnen des Herzogs von Augustenburg und seines Bruders des Prinzen Friedrich. Achtzehntes Kapitel. Die Bcltc. Der kleine Belt. — Die ssöhrdeu des südlichen Iiitlands und Schleswigs. — Kolding. — Haderslebcn. — Apcuradc. — Alsen und der Alösnnd. — Flensburg. — Der große Belt. — Kallundborg. — Nvborq. — KoN'öcr. Zu der Betrachtung der Eingänge, die aus dem Kattegat in das baltische Meer führen, vorschreitend, wollen wir uns nun von Weit nach Ost wenden, von Jutland über die Inseln nach Schweden über? gehen, mit dem kleinen Velt beginnen, zum gro ß en schreiten und mit dem Sunde, der berühmtesten der drei Wasserstraßen, den Beschluß machen. An den südlichen Grenzen Iütlands nicht weit vom Vcilc-Fjoro, reicht ein breites Vorgebirge in die See hinein; auf ihm errichtete König Friedrich III. von Dänemark die Festung Fridericia, als einen bewaffneten Wächter der jütischen Küste und des kleinen Belteinganges. Diese westlichste der drei Straßen scheidet die Insel Fühnen von dein südlichen Jutland und dem nördlichen Schleswig. Als Weltstraße unbedeutend, ist diese schmalstc der drei Engen dagegen sowohl für den dänischen Binnenverkehr höchst wichtig, als auch reich an Naturschöu-heiten. Die Befahrung des kleinen Belts ist, zufolge der Strömung, die in reißendster Schnelle aus dem baltischen Meere in das Kattegat, vom Süden zum Norden zieht, gefährlich. Außerdem giebt es in dem Wasser desselben Untiefen und Bänke. Neun bis vierzehn Faden ist die an den meisten Stellen gemessene Tiefe, doch kommen auch Stellen von vier und sechs und andere von zwanzig bis zweiundzwanzig Faden vor. Die Länge des Veltes beträgt sieben Meilen. In seinem südlichen Theile erreicht er die größeste Ausdehnung, und die Breite beträgt mehr als zwei und eine halbe Mette; nordwärts treten die sich gegenüberstehenden Küsten aber wieder näher zusammen, so daß sie am nördlichen Eingänge nur tausend Ellen von einander entfernt bleiben. Wenn man einige Höhen an der jütischen Grenze ausnimmt, dacht sich das Terrain in wcllenförmigenHügcln sanft ab. Die tiefgehenden Einschnitte, Föhr-den, scheinen das Bestreben der langsam den Thon des Ufers zernagenden Welle, sich mit dem großen Oceane auf näherem Wege zu vereine», >u beweisen. 18. Kap.1 Fridericia. Kolding. I47 An der Südgrenze Iütlands errichtete, wie bereits erwähnt, König Friedrich III. die Festung Frideritia, die den Eingang zum Belte beherrscht. Der Hafen ist weder tief noch gut gegen Wind und Wetter geschützt, und konnte die Stadt nie durch den Handel zur Blüthe erHeden, weshalb die Bewohner sich lieber den Gewerben zuwandten. Die Festung ist in großem Maßstabe angelegt, aber nie vollständig ausgeführt, obschon auch bei ihrem jetzigen Zustande das Nehmen derselben große Schwierigkeiten bietet, wenn man die Zugänge von der Sceseite nicht beherrscht. Schon im Jahre 1657 wurde sie von den Schweden unter Gustav Wrangel erobert, und 1848 bewohnte wieder ein Wrangel das Hauptquartier seines großen Ahnen, nachdem die Festung den Preußen ohne Schwertsircich überlassen worden war. Am sechsten Juli 1849 brachte das Kriegsglück die Dänen durch ihren Sieg über die sie belagernden Schlcswig-Holsteincr unter ihren Wällen und Mauern wieder zu dem Waffenruhme, der seit der Zeit des Tages von Schleswig von ihren Fahnen gewichen war. Die Küsten auf beiden Seiten dieser Strecke bieten auf etwa zwei Meilen, bis zu der hervorspringenden Halbinsel Hindsgavl auf Fühnen und der Insel Fänöe, an der Mündung der tief in Fühnen einschneidenden Gamborg-Föhrdc, einen ununterbrochenen Wechsel der reizendsten Landschaftsbilder. Das Land ist wellenförmig, hügelig, kraus und uneben wie ein verdichtetes Meer, die Hügel drängen sich, sind dicht aufeinandergeschoben und zwischen ihnen schroffe Schluchten und tiefe, lesselförmigc Thäler, wie Gruben gestaltet. Der Belt selbst, kaum eine Viertelmeilc breit, gleicht mehr einem großen Strome, und bei heiterm 'Himmel und stillem Wetter das Bild der Ufer spiegelnd, einem fischreichen See, als einer Mecresstraße voll dräuender Gefahren. Von beiden Ufern sieht man hier im jütischen Dörfchen Snoghöi, dort im fühnischen Städtchen Middclfart gleichzeitig ein reges Leben herrschen, hervorgerufen durch die hier stattfindende Ucberfahrt mittelst Fähren und leichter Boote. Bis Kolding zeigt das jütische Ufer eine Reihe schöner Hügel, mit Gehöften bedeckt und bekleidet mit dem Prunkgewand der herrlichsten, weich und harmonisch, kuppelartig gewölbten Buchen, hier und dort mit Eichen vermischt. Kolding selbst ist eine kleine Handelsstadt am Ende der anderthalb Meilen langen und eintausend bis dreitausend Schritt breiten, tiefen Kolding-Bucht. Mit dieser bildet die hier einmündende Königsau die Grenze von Jutland. Die Stadt wird von einem malerischen und großartigen Schlosse beherrscht, das einst mehreren Königen Dänemarks zur Residenz gedient hat, dem Schwedenkönige Albrecht von Mcklenburg aber, in seinem tiefsten Keller, ein Gefängniß bot, in welchem ihn seine ungroßmüthige Siegerin Margarethe 346 Die Föhrden Schleswigs. 15. Buch. schmachten ließ, um die dreifache skandinavische Krone ruhig tragen zu können. Jetzt liegt das Schloß in schönen Ruinen, da die Fahrlässigkeit spanischer Truppen unter Vernadotte's Oberbefehl es 1808 in Flammen aufgehen ließ. Südwärts von Kolding ist die schlcswigschc Küste immer mehr durch tiefereingreifende, schmale Vuchten zerklüftet, an deren Endr gewöhnlich die dem Busen den Namen gebende Ortschaft hufeisenförmig erbaut ist. Beinahe alle diese Föhrden bilden gute Häfen und prangen mit üppigen Wäldern und lachenden Feldern. Nahe der Grenze ragt über die holzreiche Umgegend der dreihundertdreiundsechszig Fuß hohe, höchste Punkt der füdcimbrischen Halbinsel, die Skamlingsbank, hervor, auf der die bekannten dänischen Volksfeste jene Stimmung hervorrufen halfen, welche eine Gegenströmung in Nottorf fanden und die Ereignisse des Jahres 1848 erzeugten. Der nördlichste der bedeutenderen Meerbusen ist die nach Haders-lebcn führende, zwei Meilen lange Föhrde. Sie windet sich in mannigfachen Krümmungen und ist nicht besonders tief, weshalb nur Mittelschiffe befrachtet bis zur Stadt gelangen können. Die Lage derselben wird durch einen im Westen der Richtung der Föhrde entsprechenden Landsee, von langer, schmaler Form, der durch eine kleine Au in das Meer abfließt, sehr geboben. An diesem See erhebt sich dcr schön be-holzte Hügelzug Erlevbanke. Haderslcben ist der Hauptverkehrspunkt für eine weite und fruchtbare Umgegend, der Sitz der meisten Beamten Nordschleswigs, und hat eine im edlen Style gehaltene gothischeKirche. Die alten Burgen Haderslevhuus und die Hansburg sind bis auf die Spuren, die ihre Stellen noch kenntlich machen, verschwunden. Ge-' wissermaßen ist die Stadt die Wiege des dänischen Königshauses, denn in ihrem Schlosse wurde 1448 der Graf Christian von Oldenburg zum Könige erwählt. Südlich bildet die Haderslebener Föhrde, mit dcr tief eingehenden und breit geöffneten Gjenner Bucht, die durch Hügelreichthum und wechselvolle Schönheit entzückende Halbinsel Näß, von wo der Verkehr mit Assens auf Fühnen unterhalten wird. Die nun folgende Bucht ist die schönste der schleswigschen Küste, cinundeincviertel Meile lang, eine halbe Meile breit und ungemein t,ef, im Halbkreis umgeben von herrlichen Buchenwäldern. An ihrem Ende erhebt sich die alte Stadt Apenrade. Schiffbau und Rhedcrei machten sie bedeutend, und ihre eigene Flotte erreichte fast die Zahl von hundert Schiffen mit fünftausend Lasten, während Apcnrader Schiffs-füdrcr durch die ganze Welt gesucht werden und vorzugsweise das mittelländische Meer befahren. Von nun ab wird der kleine Belt durch die Insel Alsen getheilt; 18. Kap.! Die Föhrden Schleswigs. 349 die Hauptstraße zieht sich an der östlichen Seite der Insel herum und mündet zwischen dieser und der Insel Arröc in die eigentliche Ostsee. Die Insel Alsen ist fünf bis sechs Meilen lang und zwei bis drei Meilen breit. Sie ist zu allen Zeiten gleich berühmt gewesen durch die Schönheit ihres Klima's und die Fruchtbarkeit ihres Bodens. Ihre lachenden Felder erzeugen einen Ucberfluß an Getreide, während sie die Obstcultur in Wäldern betreibt und dem reichen Wildstandc dennoch mcilenweite Buchenhölzungen überläßt Neben einer reichen Zahl von Dörfern erhebt sich amphitheatralisch die Stadt Tonderburg. wie der corrumpirte Name von Sönderborg (Südburg) jetzt allgemein lautet, an der schmalsten Stelle des Alssundes. Der Hafen der Stadt ist gut und sicher, und unmittelbar an ihm erhebt sich, von Ruinen alter gra-nitner Festungsmaucrn umgeben, das große verwitterte, jetzt als Ca« serne dienende Schloß. der Stammsitz der Augustenburger Linie, die von dem 1564 abgesonderten jüngeren Nebenzweige der königlichen Linie des Hauses Oldenburg abstammt und mit diesem zeitweise an der Vefeindung des zwanzig Jahre zuvor abgetrennten Gottorfer Astes Theil nahm. Die Thürme des Schlosses sind abgebrochen, 1754 der, in welchem der Gottorfer Friedrich I. den entthronten König Christian II. siebcnzehn Jahre lang in strenger Haft hielt. Die Umgebung Sondcrburgs ist der Natur dieser ganzen fruchtbaren und reichen Gegend entsprechend. Eine Meile von ihm entfernt liegt der Flecken Augusten bürg, mit einem 1651 erbauten und von einem Lustwald umgebenen Schlosse. Vor dem Ausbruch dcr Feindlichkeiten von 1848 bewohnte es die herzogliche Familie, die nach demselben den Namen Augustcnburg, der Stammmutter des Sonderburger Nebenzweiges zu Ehren führt. Die Wichtigkeit der militärischen Lage Alsens ist von jeher anerkannt, die Insel folglich auch oft ein Zankapfel der kriegführenden Mächte gewesen. So ward sie im Jahre 1658 erst von den Schweden, dann von den kurfürstlich-brandenburgischen und dann wieder von den schwedischen Truppen erobert. Auch in den Kriegen Tilly's und Wallcn-steins gegen Christian IV. spielt die Insel eine wichtige Rolle. Im Jahre 1848 war sie daher auch der erste Punkt, den sich die Dänen zu sichern beschlossen, und von dieser durch die Natur schon starken Festung, die durch die Kunst noch bedeutender gemacht worden war, und die sie durch eine Schiffbrücke mit einem starken Brückenköpfe auf dem Festlande verbunden hatten, war es ihnen leicht, beliebig in Sunde-witt einzufallen und sich wieder in Sicherheit zurückzuziehen. Von hier wiesen sie Halkelt mit seinen Bundestruppcn 1848 zurück, weshalb auch Prittwitz 1849, nachdem er in einem lebhaften Gefechte am dreizehnten April die Düppeler Höhen besetzt, bei seinem Vorgehen nach 350 Alscn und der Alssund. 15. Buch. Jutland, hier ein bedeutendes Beobachtungscorps zurückließ, um die dänische Macht auf Alsen zu ncutralisiren. Es wurde aber hierbei die Möglichkeit der Benutzung des Seeweges nicht abgeschnitten, wodurch sich die Dänen im Stande sahen, unbemerkt ihre ganze Macht von der Insel weg und nach Fridericia zu führen, ohne welches der Tag des Ausfalls das trübe Ende für die schleswig-holsteinische Armee nie genommen haben würde. Der etwa fünf Meilen lange Alssund ist auf der breitesten Stelle gegen zwei Meilen, aber zwischen Sonderburg und Düppel, wo jetzt eine stehende Brücke errichtet ist, nur zweihundert Ellen breit; seine Tiefe gestattet durchgängig den größten Orlogsfahrzcugen die Passage. Er trennt die Insel von der Halbinsel Sundcwitt, deren westliche Wasserbegrenzung das Nübelnoor, ein Zwcigbusen der Flensburgcr Föhrde ist. Das ganze Sundcwitt hat denselben lieblichen Charakter wie Alsen. An der Küste des Noor, dem Sundewltt gegenüber, liegt der Flecken und das Schloß Graven stein, von hohen, dichten, buchcnbewachsenen Hügeln und fischreichen Teichen umringt. Berühmt ist Sundcwitt durch den Bau des im sechszehnten Jahrhundert aus Holland hierhcrver-pflanzten Gravensteiner Apfels, der durch intelligente Züchter zur größten Trefflichkeit gebracht, schon Hunderte von Familien ernährt Hal. Zwischen Alscn und Föhnen einerseits und Langeland andrerseits bildet die Insel Arröe die Grenze des kleinen Belts nach Osten. Ehemals mit dichter Waldung bestanden, zeigt sie jetzt nur spärlich angepflanzte Obstbäume. Aber ihr Boden liefert reichen Ertrag, und gesegnete Ernten an Korn, Flachs, Gemüsen und gutes Weideland, lassen Schifffahrt und Fischerei sich nur als Nebenbeschäftigung mit dem Ackerbau verbinden. Die Sprache auf Arröe und Alsen ist ein Gemisch des Dänischen und Deutschen, doch jenes vorwiegend. Der im Süden von Alscn in Schleswig einschneidende Meerbusen, die Flcnsblirger Föhrde, ist nicht allein der tiefste Eingriff des Meeres in die Landmasse der Herzogthümer, sondern auch ohne Zweifel die schönste Ostscebucht Dänemarks; schon der bedeutende Waldreichthum seiner thonigen Ufer, die mit Ziegeleien reich versehen sind, giebt ihm vor allen seinen Geschwistern den Vorzug, lleberall von den sanft abfallenden Beigen rieseln eine Menge Quellen in das Thal hinab und bedecken sie jährlich mit überreichen Ernten, und sprudeln in Brunnen in der Hauptstraße der Stadt lustig empor. Sechs Meilen weit dringt das Meer in das feste Land, anfangs eine nordwestliche Richtung nehmend, und führt dann in einem schmalen Arm seine Fluthcn erst nach Norden und nachdem es sich verbreiternd nach West und Ost gleichmäßige Zweigbuscn, — das schon erwähnte Noor, — bildete, während der Hauptarm eine Landspitze der fetten Wiege von Old.England, des 1«. Kap.) Flcnsbulg. Igl gesegneten Erbes der Angeln, umfaßt und sich scharf gegen Südwest richtet, wo Flensburg im tiefinnersten Winkel seinen Hafen umsäumt. Derselbe ist tief und im Allgemeinen rein. Die größten Kriegsfahrzeugc könnten hier stationircn. Auf einem Schiffe in diesem Busen starb die berühmte Dänenkönigin Margarethe, als sie sich zu einer Unterhandlung mit der Herzogin Elisabeth, der Wittwe Gerhards VI., begab. An dem Eingänge in den Südwestarm der Föhrde liegt auf der erwähnten Landzunge voll schöner Adelssiße, Gravcnstein gegenüber, das alte Schloß Glücksburg, das der Holsteiner Nebenlinie, — die durch Königswillen und das Londoner Protokoll zur dänischen Thronfolge bestimmt ist, — ihren Namen gegeben hat. Es zeigt sich, in gothischer Bauart mit vier Thürmen verschen, mitten in einem See liegend, vom Meere aus fast imponirend. Ursprünglich war es der alte berühmte lWercienser-Sitz, Ruh- oder Nudkloster, ein Asyl der Wissenschaften auf der cimbrischen Halbinsel. Flens burg, das mit den in dasselbe hineingewachsenen vorstadtartigen Orten über 16000 Einwohner zählt, ist die dritte Stadt des dänischen Staates. Mit über hundertfünfzig großen Schiffen, darunter mehr als dreißig Westindienfahrer, treibt sie Handel und hat namentlich die Grönlands-Geschäfte ganz in ihren Händen. Der Eindruck, den die Stadt macht, ist vollkommen der einer deutschen Hansestadt. Bald breite, bald enge, an beiden Stadtendcn steil abschüssige Straßen, große Häuser und Speicher, auf tiefen Grundstücken mit schmalen Fronten und endlos langen, waarenbcdeckten Höfen; hohe Giebel und Dächer, liefe gewölbte Keller, halbverwitterte, starkgewölbtc und mit hohen Stockwerken überbaute Innenthore geben ihr den Charakter und das Colorit aller übrigen Handelsstädte am baltischen Strande. Das Alter der Stadt reicht weit zurück, ihre städtischen Rechte datiren aus dem Anfange des dreizehnten Jahrhunderts. In Flensburg herrscht ein äußerst lebendiger, geräuschvoller Verkehr, dcr in jüngster Zeit noch bedeutend gewonnen hat, da ein von priviligirten englischen Capitalisten erbauter Schienenweg von Tön-ningcn und Husum aus die Nord- und Ostsee verbindet und sich der über Rendsburg von Süden herausführenden Eisenbahn anschließt. Gesprochen wird größtentheils deutsch, nichtsdestoweniger herrschte selbst in der erregtesten Zeit der letzten Kriegsjahre der dänische Geist über den deutschen. Die sich vereinenden Mündungen des Alssundcs und der Flcns-burger Föhrde bezeichnen den Eintritt des kleinen Belts in den großen, schon zur eigentlichen Ostsee gehörigen Südwestbusen, der den Namen der Kieler Bucht führt. 352 Der große Belt. <5. Buch. Wir wenden uns nunmehr der zweiten, mittleren Einfahrt aus dem Kattegat in die Ostsee zu. Es ist dies der große Belt, welcher die Insel Fühnen von Seeland trennt. Bei acht Meilen Länge hat er auch die größeste Breite der drei Straßen, die jedoch von vier Meilen bis auf zwei wechselt. Seine Ufer sind im Allgemeinen von geringer Erhebung und in Baien und Buchten zerschnitten. Obschon das Fahrwasser durch eine Menge kleiner Inselchen und eine große Zahl gefährlicher Bänke und Untiefen beinahe überall zu einem verwickelten Cours nöthigt, ist die Tiefe doch hinreichend, um die größten Schiffe, wenn sie den Küsten fern bleiben, aufnehmen zu können. Bei abweichender Tiefe hat man doch durchschnittlich acht bis sechszehn, hier und dort zwanzig und vierundzwanzig Faden Wasser. Schon in frühern Zeiten durchsegelten bedeutende Flotten mit Hilfe der Sonde und günstigen Windes diese Straße. So warfen 1659 vier größere Geschwader von zusammen 150 Schiffen hier gleichzeitig Anker. Admiral Gambier schlug 1807 mit einem Theile der englischen Flotte, welcher die Occupationsarmee trug, diesen Weg ein, und Admiral Sir Charles Maurice Pole, der Nelson im Befehle der baltischen Flotte folgte, leitete seine Linienschiffe sogar in Schlachtordnung und gegen widrigen Wind durch den großen Belt. Am 26. März 1854 führte aber Admiral Napier, begeisterungsberauscht, auf den größesten Schiffen, welche die Ostsee bisher getragen, seine „Jungen mit dem scharf gewetzten Messer" hier durch, und im Herbste dic-selben etwas weniger geräuschvoll zurück. Nahe bei dem Eintritt in den großen Belt streckt sich auf seelän-discher Seite die Landzunge Själlcmds-Oddc hinaus in die See. Der Commodore Iessen stieß hier am 22. Mai 1808 mit dem Linienschiff Prinz Christian von achtundscchszig Kanonen auf zwei englische Linienschiffe. Drei Stunden kämpfte Iessen gegen diese Uebermacht und zwang die beiden Engländer sich auf einige Zeit aus dem Kampfe zurückzuziehen; als sie aber mit noch drei Fregatten den Angriff von Neuem begannen, ließ der tapfere Däne nach verzweifelter Gegenwehr das zerschossene Wrack auf den Grund laufen und strich dann erst den Danebrog. Die Nordwestküste vonSeeland mit der Stadt Kallundborg, von wo aus lebhafte Dampfschiffverbindung mit Jutland herrscht und Handel nach Norwegen betrieben wird, zeigt eine ziemlich jähe Abdachung zur See, ohne des Malerischen viel zu bieten. Fühncns Ostküste dagegen mit dem Städtchen Kjcrteminde hat ungefähr denselben Charakter mit der schleswigschen Küste. Plätze von besonderer Wichtigkeit an der Küste des großen Betts sind nur Nyborg in Fühncn und Korsöer in Seeland, die beide etwa auf halbem Wege und ungefähr zwei Meilen von einander entfernt lie- 18. Kap.) Der große Belt. I5I gen, und zwischen denen die Reisenden die Meerenge übelschreiten. Alle Linien des gesammtcn Postsystems der Inseln und des nördlichen dänischen Festlandes lomentriren sich hier in einem Hauptknoten, der auch dem Telegraphennetze Skandinaviens und des Festlandes zum Vcrbindungspunktc wird. Durch Fortsetzung der sccländischen Eisenbahn ist Korsöer als natürlicher Ausgangspunkt der Verbindungen mit Deutschland jedenfalls bestimmt dereinst eine wichtigere Rolle zu spielen. Den Personenverkehr vermitteln jetzt Dampfschiffe, die an Stelle der früheren kleinen einmastigen Fahrzeuge „Smaken" getreten sind. Ungefähr auf dem halben Wege liegt mitten im Belte eine kleineInsel, unfruchtbar und daher früher nur von wenigen Schiffern bewohnt; Sprogöe ist ihr Name. Bei heiterem Wetter beachtet man sie wenig, und bemerkt in dem Sicherheitsgcfühl, das ein guter Wind einzuflößen pflegt, kaum den Telegraphen, der sich am Rande eines kleinen Hügels erhebt. Erheben sich aber Stürme und drohendes Unwetter, oder wogen bei erregter See die Schollen des brechenden Eises wild an einander, dann richten sich allc Vlicke auf ein neues Gebäude, das die Regierung alsPosthaus, und gleichzeitig Gasthaltcrei zurBequcm-lichkeit des Publikums errichtete, das oft von allen zusammentreffenden Richtungen hier bis zur Zahl von mehreren Hunderten gebracht wird. Am häufigsten ereignet es sich in milden Wintern, in denen der große Belt vorzugsweise stark mit Eisschollen zu gehen Pflegt, die oft die Communicationcn versperren, indem sie sich zu Barrieren auf ein« anderschicben, oder jcdes Fahrzeug, auf das sie stoßen, zu zerquetschen drohen. Die Versuche die Uebcrfahrt zu unterhalten, werden dann mit Eisbötcn gemacht; dies sind nämlich stärke Böte, neben deren Kiel zwei eiserne Schienen laufen, so daß sie bald als Seefahrzcug, bald als Schlitten benutzt werden können. Oft gelingt es aber auch in dieser Weise nicht, und schon kam es vor, daß Reisende wochenlang dies Asyl benutzen mußten, ehe Thauwetter eintrat oder stärkere Kälte eine stehende, feste Eisdecke bildete. Korso e r hat ein festes Schloß, das aber jetzt von keiner Wichtigkeit ist. Nyborgs Hafen zählt mit zu den besten, die der baltische Norden aufzuweisen hat, er ist breit, tief, rein und trefflich gegen Wind und Wetter geschützt. Im Mittclaltcr besaß die Stadt einige Wichtigkeit und entbehrt auch jctzt, da sie befestigt ist und eine regelrechte Dampfschiffvcrbindung eingerichtet hat, des Ansehens nicht. Von den, den großen Velt passenden Kauffahrteischiffen wurde hier der Stromzoll gezahlt. Mehrfach gelangte Nvborg auch zu kriegsgeschicht-licher Vcdeutung, namentlich in den Kriegen KarlsX. Gustav. In dem strengen Winter von 1657 zu 1658, wo derselbe mit 3000 Mann Infanterie und 9000 Mann Cavakric und dazu gehöriger Artillerie Dic Osts«. 23 354 Der große Belt. lb. Buch. nebst Troß, eincn kühnen Zug über das Eis der Ostsee ausführte, lieferte hier die schwedische Reiterei unter Wrangel ein erfolgloses Treffen gegen den dänischen Schissscommandeur Brcdal, der mit vier Orlogs-fahrzeugen eingefroren lag. In dem darauf folgenden Jahre beobachtete Karl X. Gustav, von dem Kirchthurmc in Korsöer aus, die für ihn so unglückliche Schlacht unter den Kanonen Nyborgs, in der seine Schweden von den Dänen, durch Hilfe der ihnen verbündeten Vran-denburger unter Eckstein und der Polen unter Czarnecki, auf das Haupt geschlagen wurden. Bei dieser Schlacht wirkte auch der berühmte Hol« länderadmiral de Ruyter von der See aus mit. In der Napoleonischen Zeit ward Nyborg durch den spanischen Marquis de la Romana einige Zeit lang behauptet, bis derselbe hier die Fahne des Corsen verließ, und mit seinen Truppen auf einer englischen Flotte Zuflucht suchte. An der südwestlichen Küste von Seeland erweitert sich der Belt in südöstlicher Richtung zu der durch Laaland, Falster und Möen fast abgerundeten Wordingborgcr Bucht, die von einem kleinen Hafenstädtchen auf Seeland den Namen entlehnt. Sie mündet durch den Guld-borgsund, zwischen Laaland und Falster, den Grönsund, zwischen diesem und Möen, und den Ulfsund, zwischen Möen und Seeland, in die eigentliche Ostsee. Auf der östlichen fühnischcn Seite theilt sich der große Belt bei seiner Ausmündung gleichfalls in zwei Seewege, deren einer zwischen Fühnen einerseits undLangcland nebst den kleinen, hohen,, mit herrlichen Buchenwäldern bewachsenen Inseln andererseits mündet und dem Binnenverkehr eine wichtige und zu gleicher Zeit an Naturschönhciten außerordentlich reiche Straße öffnet, gegen welche der zweite zwischen Langcland und Laaland in der geradesten Richtung der Ostsee zuströmende in Beziehung auf malerische Schönheit nicht zu nennen ist, seiner Breite, Tiefe und Reinheit halber jedoch ftets von großen Fahrzeugen gewählt wird. Neunzehntes Kapitel. , Der Sund. Das Kullcngebirge. — Einfahrt in den Sund. — Helsingöer mit der Kronenbunii. — Helfingborg. — Die schwedische und die dänische Küste.— Hven. — Malmoe. — Koveuha^u. — Beschreibung und Geschichte der Straßen. Die dritte Einfahrt der Ostsee vom Kattegat aus trennt die größte ter Inseln des Königreichs Dänemark von der schwedischen Küste, es ist dies der Sund. Der Name gilt im gewöhnlichen Leben nur als Bezeichnung der Meeresstrecke, die sich etwa vier und eine halbe Meile 19. Kap.) Das Kullengebirge. gg5 lang und abwechselnd cinc halbe bis vier Meilen breit zwischen Kopenhagen und Kronenburg auf dänischer, und Malmöe undHelsingborg auf schwedischer Seite dehnt. Der Seemann aber und der dänische Geograph versteht unter der Bezeichnung Sund, odcrÖresund. die ganze östliche Verbindungsstraße der Nord- und Ostsee, von ihrem Anfangspunkte Kutten bis Falstcrbo in Schweden, und von Natkehoved bis Steves Klint auf Seeland. Dieser ganze Seearm hat eine Länge von vierzehn und eine halbe Meile, beginnt mit einer Breite von zwei zu drei Meilen, verengert sich zwischen Hclsingöer und Hclsingborg dann bald zu einer halben Meile, und verbreitert sich wieder so. daß von Kopenhagen aus das schwedischc Städtchen Malmöe etwa vier Meilen entfernt liegt; die größte Breite beträgt aber zwölf Meilen. Die kleinen Inseln Hven, Amack und Saltholm, sowie eine Anzahl umgebender Bänke, nehmen einen Theil dieses Seestrichs ein und machen seine Tiefe ebenso unregelmäßig, als seine Breite. Sie wechselt von vier und fünf bis zu neunzehn Faden, doch sind der bedeutenderen Tiefen nur wenige und sehr beengt. Die Einfahrt in den Sund gewährt dem von Norden Kommenden einen bei weitem großartigeren Anblick, als der Anfang der beiden andern Kattegatstraßen. Die seeländische Küste erhebt sich zwar nur zu anmuthigen Hügeln, gewährt aber einen wohlthuenden Anblick durch das lichte Grün, in welches die sanften Abhänge bis zum Nande des Meeres gekleidet sind, und zu dem die Buchenwälder, die mit nur geringen Unterbrechungen durch Gärten oder bewohnte Plätze bis nach Kopenhagen sich erstrecken, cinc tiefcreSchattirung bilden. Anders gestaltet ist das schwedische Ufer. Die nördliche Grenze der Provinz Schonen streckt sich in den kühnen und jähen Formen eines Granitgebirges in das Meer, und bildet zerklüftet und von schäumenden Wogen umspült einen imposanten Punkt. Die Höhe desselben beträgt in dem Gipfel, den ein Lcuchtthurm krönt, zwar nur 360 Pariser Fuß, erscheint aber durch seine Isolirtheit viel größer. Das Fehlen eines jeden grünen Baumes, der geringsten Spur einer freudigen Vegetation'auf den scharfen, ausgezackten Spitzen des Vorgebirges, das den Namen Kul-len schlechtweg führt, (obschon derselbe eigentlich jedem niederenBcrg-zuge, der aus Gestein besteht, zukommt,) giebt ihm den Ausdruck eines dunklen, wilden Schauplatzes eines frühen Elementarkampfes, bei dem die nackten Felscnmassen wild übereinander geschleudert sind. Das Schauerliche des Kullengebirges wird zur nächtlichen Zcil durch die südlich von ihm den Horizont glühroth erhellenden Feuerscheine erhöht, welche die Kohlengruben des benachbarten Fleckens Höganäs bezeichnen, die sich weit unter dem Meere hinziehen, und über denen man mitunter die Wogen desselben brausen hört. Von hier ab verliert das 23 * 356 Einfahrt in den Sund. ft. Buch. User den Charakter des Gebirges, hat bei Helsingborg nur noch mäßige Anhöhen und verflacht sich nach Süden zu vollkommen. Auf Seeland bietet „Odins Höi" reizende Aussichten auf die gegenüberliegende schwedische Küste dar. Die unbedeutenden Ruinen des Schlosses Söeborg, auf dem der König Waldemar seinen bischöflichen Namensgenosscn, der im Verein mit dem Grafen Adolph von Holstein die Waffen gegen ihn erhoben, zwölf lange Jahre gefesselt bielt, haben ein Interesse gewonnen, da sie nicht nur durch ihren Namen, sondern gewichtiger durch Ausgrabungen, die der König Friedrich VII. selbst leitete und in einem Werke beschrieb, beweisen, wie das Meer seit Beginn des dreizehnten Jahrhunderts hier um achtzig Ellen zurückgewichen ist, ein Geschenk an Land gewährend, das es an anderen Stellen wieder an sich zu reißen wußte. Dort, wo die sccländische Küste aus der bisherigen Richtung nach Osten plötzlich sich gerade nach dem Süden wendet, verengt sich die Meerenge rasch. Eine im Jahre 1830 veranstaltete genaue Ausmessung ihrer Breite ergab zwischen Hclsingöcr und Helsingborg 4602 englische Aards, oder 6341 Ellen, mithin ungefähr eine halbe deutsche Meile. Aber diese beiden Städte liegen etwas schräg einander gegenüber, und die directe Linie des engsten Theils im ganzen Öresund, von Kronborg aus nach einem steinernen Thurm auf schwedischem Ufer gezogen, beträgt nur 4328 Aards. Durch diese Verengerung entsteht hier, wie es auch bei anderen bedeutenden Meerengen der Fall ist, oft die eigenthümliche Erscheinung einer doppelten Strömung, indem diese, gewöhnlich aus der Ostsee kommend,— in dem Verhältniß von durchschnittlich zehn unter vierzehn Tagen,— bei westlichem und nordwestlichem Winde auf die Einströmung aus dem Kattegat trifft, die sich sodann, über erstere hinweg, ihre Bahn bricht. In geringer Entfernung von der Wendung nach Süd liegt der Badeort, ehedem königliches Lustschloß Maricnlyst, mit einem terras« sirten Garten und einer Fülle der reizendsten Aussichten. Die britti-schen Zugvögel mit den rothen Murray'schcn Handbüchern versäumen natürlich nicht die drei aufeinandergelegten Steinblöcke, die Hamlets Grab bedeuten, gläubig zu betrachten. Den Wendungspunkt selbst bezeichnet eine scharfe, weit in das Meer hinausgreifende Landzunge, sie wird von dem SchlosseKro ncnb urg eingenommen, das an die Stelle der früheren festen Orte Flynderborg und Krogen getreten ist. Es ist ein im regelmäßigen Viereck ausgeführtes Gebäude von bedeutender Ausdehnung, und seine Thürmchen, Zinnen und Giebel sind weit in die See hinaus sichtbar. Von Friedrich II. 1574 angelegt, zeigt es in seiner Grundidee den gothischen Styl, dem jedoch Christian IV. bei seiner Vollendung viel byzantinische Aenderungen bei- 19. Kap.1 Kronenburg. 357 fügte, die seine Bauwerke im ganzen Dänenreiche vor andern kenntlich machen. Verthlidigungscinrichtungcn, wie die Armirnng der fünf Thürme, die Umgebung mit Wällen, Mauern und davor liegenden Gräben, und die Gediegenheit seines Materials, gehauene Granit-quadcrn, verleihen ihm neben dem Glänze und der Pracht eines Palastes den Anschein der Stärke einer Festung. Aber thatsächlich ist es mehr Schein als Wirklichkeit, dcnn trotz seiner Zugbrücken, unterirdischen Gänge und bombenfesten Kasematten, und der ein Kronwerk bildenden sechs Bastionen nach der Landscite hin, hat es als Festung wenig Werth, da die umliegenden Hügel es dominiren. Auch seewärts fehlt ihm, um mit Sicherheit die Meerenge zu beherrschen, die cor-respondirende Festung auf dem jetzt schwedischen Ufer, denn seine Kanonen vermochten wohl in Friedenszeiten vergeßlichen Kauffahrcrn ihre Pflicht ins Gedächtniß zurückzurufen, aber keiner ernstgesinnten Flotte den Durchgang zu verwehren. Historisch belegte diese Ansicht der holländische Admiral Opdam, der 1658 nach einem blutigen Treffen gegen eine überlegene schwedische Flotte, trotz der Landvertheidigung, den Durchgang erzwang. Noch deutlicher und uns näher liegend, spricht der Naubzug Parkers und Nelsons, Sie segelten am 30. März, nachdem sie geduldig den günstigsten Wind abgewartet, mit dreiundfünfzig Schiffen nahe der schwedischen Küste, ohne grosien Schaden zu erleiden, an Kroncnburg vorüber. Ohne eine Untiefe, den „Diskcngrund", der das Fahrwasser theilt, und die breitere und reinere Hälfte nach Kronenburg hinüberdrängt, würde die Durchfahrt noch leichter sein. Das Innere des Schlosses bietet jetzt, ausgenommen die Capelle mit edlen marmornen und alabasternen Säulen und Ornamenten, wenig Interessantes dar, weckt aber lebhafte Erinnerungen an das unglückliche Geschick der Schwester Georgs III. von England, der Königin Karoline Mathilde. Hierher wurde sic I772 in der Nacht ihrer Verhaftung geschafft, bier mußte sie schmachbedeckt und duldend mehrere Monate vertrauern, um dann in die Verbannung nach Cellc zu gehen, wo sie nach drei Jahren in jugendlichem Alter in das Grab stieg. Der nördlichste der fünf Schloßthürme trägt ein Leuchtfeuer, und von seiner Plattform, zu der 153 Stufen hinaufführen, genießt man eine entzückende Aussicht. Etwas beschränkter, doch immer noch unvergleichlich schön und großartig, ist der Blick von der Batterie herab, über welche des Danebrogs weißes Kreuz auf rothem Grunde weht, nnd von wo aus.Buch und Rechnung über die Zahl und Landsmannschaft der vorüberfahrcnden Flaggen geführt wurde. Nach altem Sec-brauche muß natürlich jedes Fahrzeug seine Farben am Top des Vormastes aufhissen, und die Kriegsschiffe senden der Festung ihren donnernden Ehrengruß entgegen, den die Batterie zurückgiebt. 358 Helfingöer und Helsingborg. l5. Buch. DieStadt H elsin g ö er liegt unmittelbar südlich neben Kronborg; sie hat eine offene Rhede, die mit geringen Kosten und Arbeiten zu einem der besten Häfen der Ostsee verwandelt werden kann und soll. Wennschon die Einwohnerzahl kaum 7000 Seelen erreicht, so machte die Stadt bisher doch den Eindruck eines qroßen Wohlstandes, und die in den hübschen.Straßen sichtbaren Wappen und Flaggen der zahlreichen Consulate und Viceconsulate, sowie dieZollkammer und andere hervorragende Gebäude, verliehen dem Orte einen gewissen vornehmen Anstrich, neben welchem die durch beständiges Gehen und Kommen der Fahrzeuge und Reisenden erzeugte rege Bewegung belebend wirkte. Die Erwerbs- und Lebensquellen bot lediglich das Meer, trotz des fruchtbaren Bodens, der sich landeinwärts um Helsingöcr ausbreitet; Marine - und Proviantbeamte, die Officierc des Zoll - und Quaran-taineamts, bildeten neben den mit fremden Consulatsgcschäftcn betrauten Kaufleuten den bedeutendsten Theil der Stadtbevölkerung, die sich nebenher auch in ihren niederen Classen reichen Verdienst aus dem Clariren, Aerproviantiren und Lootsung der Schiffe zu erwerben wußte. Eine Zahl von incorporirten Fährleuten ist mit sicbenzig Booten, die abwechselnd mit Nuder und Segel bewegt werden, zurUeberfahrt nach Schweden bereit, und stets auf dem Sprunge schnell hinauszucilen, wenn auch drei an einer Stange am Hafendamme aufgehißte Kugeln beweisen, daß es mit Lebensgefahr verbunden sei, sich in die See zu wagen. Die Ucberfahrt über den Sund zwischen Helfingöer und Hclsing-borg pflegt ohne störende Gegenwinde höchstens eine halbe bis drei Viertelstunden zu beanspruchen. Die schwedische Küste fesselt die Blicke durch waldbedeckte Höhen, von einzelnen kahlen Felsen unterbrochen. Helsingbora, selbst ist wenig einladend und unbedeutend, und zählt etwa halb so viel Einwohner, als Helsingöcr. Die Straßen lehnen sich theilweise an einen Hügel, theilwcise erklimmen sie ihn. Der Hafen ist klein, aber sicher und gut; in der Form eines Sechsecks, aus behaue-nen Granitquadern erbaut, öffnet er sich nach dem Meere zu; er ist das Werk Karls XIV. Johann, der hier am 20. October 1810 zum ersten Male als erwählter schwedischer Kronprinz den Boden seines Reiches betrat. Zum Andenken an diesen Augenblick schrieb er sogleich mit einem Stücke Kalk seinen Namen auf einen der steinernen Pfeiler an der Rhede^ der nun mit den tiefnachgemeißelten Buchstaben den Hel-singborgern ein bleibendes Denkzcichen wurde. Blutig ist der Name dcr Stadt in die Tafeln der Geschichte geschrieben durch die Schlacht vom 2. Februar 1710. in der General Stenbock die Dänen aufs Haupt schlug. Im Winter 1715 zu 1716 hatte Karl XII., nach fünfzehnjähriger Abwesenheit in sein Reich zu- 19. Kap.I Schönheiten der Scenerie. IKg rückgelehrt, hier ein bedeutendes Heer versammelt, um es, wie früher Karl X. Gustav, über das Eis des Sundes nach Seeland zu führen. Dies war von Truppen entblößt, da die Dänen in Pommern standen, und Seeland wäre verloren gewesen, hätte nicht im letzten Augenblicke, als bereits Alles vorbereitet und die Kanonen schon auf Schlitten gelegt waren, Thauwettcr und heftiger Sturm die Eisdecke zertrümmert und die Insel gerettet. Auf der Spitze des Hügels, an welchen sich die Stadt lehnt, erhebt sich ein altes, morsches, viereckiges, thurmartiges Gemäuer „Kjärnan" (der Kern), als letzter Rest des uralten Men Schlosses des Königs Hclsing. Beim Abgraben des Hügels fand man Muschelschaalen und andere Seeerzeugnisse in seinem Gestein, deren Gleichheit mit den auf Seeland gefundenen, ebenso wie die Structur der Küsten der Wissenschaft zum Beweise eines einstigen Zusammenhanges dienen muß. Dieser Hügel, wie die ganzen, Helsingborg umgebenden Vergreihen, sind durch Arbeit und Cultur zu einem einzigen großartigen terrassirten Garten umgcschaffen. In dem Maße, wie man steigt, wechseln die reizendsten Fernsichten. Endlich von der Spitze des Berges und dem, nicht ohne Gefahr zu erklimmenden Gemäuer, stellt sich ein Schauspiel dar. dessen Schönheit den Blick in Erstaunen setzt. Die Meerenge wird in ihrer ganzen Ausdehnung sichtbar, und an den beiden äußersten Enden entfalten sich die breiten Bassins des Kattegats und des baltischen Meeres, an den Grenzen des Horizontes das liefe Azurblau ihres Wassers mit der lichteren Bläue des Himmels vermischend. Die Insel Seeland rollt sich, einem reich geschmückten Tep« pich gleich, vor den Blicken auf, man sieht ihre fruchtbaren Ebenen, durchschnitten von, in munterem Lauf blitzenden Bächen und dunklen Geholzen, ihre schönen Dörfer und mehrere ihrer Städte, unter denen man Kopenhagen an der Menge der Thürme, die aus ihrem Schooße aufsteigen, erkennt. Längs der schwedischen Küste erscheinen einerseits die Thurmspitzen von Landskrona, während andererseits, nach Norden zu, die düstern Felsen des Kullenvorgebirges sichtbar werden, die in solcher Entfernung, umhüllt von blauem Dunste, die Täuschung, als sei es eine ferne Hochalpc, erzeugen. Den erhöhten Reiz erhält dieses Rundgemälde aber durch die Lebendigkeit, die ihm die Schifffahrt verleiht. Fahrzeuge aller Größen wiegen sich spielend auf den Wellen, oder kämpfen mächtig gegen die höhergehenden Wogen; die Matrosen feuern sich auf den Raaen durch muntere Gesänge zur Arbeit an, während der Wind im Tauwerk pfeift. Man vernimmt den Ton derFeuer-schlünde, welche die Festung begrüßen, oder von Kronborg aus den Gruß dankend erwiedern, und das Echo wiederholt längs beiden Ufern den Lärm. nur langsam verhallend. Wenn der Handel in voller Thätigkeit 360 Die Insel Hven. ^-Vu ch. ist, in der Hochsommcrzeit, ereignet es sich öfters, daß zwei« oder dreihundert Fahrzeuge, durch einen Gegenwind aufgehalten, sich vor dem Eingänge der Enge befinden. Wenn dann der günstige Augenblick gekommen ist, trennt sich die Flotte, entfaltet die Segel und eilt vorwärts, darauf bedacht, wer zuerst den Vortheil des Windes benutzt. Anfangs gedrängt, können die einzelnen Schiffe nur wenig Tuch ausspannen und schreiten langsam vorwärts, weithin sichtbar die Striche ihres Kielwassers bezeichnend. Aber nach und nack lichten sich, dem hohen Meere näher, ihre Reihen mehr und mehr. ihre Manöver werden kühner uno die Fahrt'geht schneller. Endlich erscheinen alle diese schwimmenden Masten nur noch als ferne zerstreute Punkte, verlieren sich in der Wellenlinie des weiten Horizontes, und das Auge, welches sie lange Zeit verfolgte, sucht sie noch immer und ist überrascht keine Spur mehr von ihnen zu entdecken. Fast halbwegs zwischen den Helsingstädten und Kopenhagen liegt mitten im Sunde die Insel Hven. Sie spielt in der Geschichte, im wechselnden Besitze Schwedens und Dänemarks, eine Rolle, und ist auch für die Culturgcschichtc des Nordens von großem Interesse, da sie der Schauplatz der wissenschaftlichen Eroberungen Tycho de Brahe's war. Er erhielt die Insel am Schlüsse des scchszehntcn Jahrhunderts durch Friedrich II., nebst einem Iahrgehalt, verliehen, und erbaute daselbst ein phantastisches Schloß „Uramcnborg" und eine unterirdische durch Nachgrabungen 1823 wieder entdeckte Sternwarte „Stjcrneborg". Im Grundrisse dem Sitz eines alten Häuptlings der Fcudalzeit gleichend, mahnt es in den Details an die Vorstellungen, die wir uns von dem Aufenthalte eines weisen morgenländischen Magier bilden. Hier thronte er, im Besitze der besten Instrumente, die seine Zeit zu liefern vermochte und die er bedeutend verbesserte, in Gesellschaft eines plebejischen Weibes und eines Lieblingshundcs, verfolgte den Lauf der Gestirne, crgrübelte die Gesetze der Natur. Der heftige Charakter Tycho's und seine Neigung zu Spöttereien hatte ihm Feinde zugezogen, und nach dem Tode seines königlichen Wohlthäters, Friedrich II., brachten ihn verächtliche Intriguen in eine üble Stellung zum Hofe und der Vormundschaftsregierung, und 1597 kam es so weit, daß Tycho den Ruf Kaiser Rudolph II. annahm und sein Vaterland verlassend nach Prag übersiedelte, wo er sein Grab fand. Die Monumente seines Fleißes und Eifers und der Ruhm von Uranienborg erloschen mit ihrem Begründer. Unter den ihm nachfolgenden Besitzern wurde das Him-melsschloß vernachlässigt und verfiel ebenso, wie die von ihnen, die sich nicht um die Sterne bekümmerten, ganz unbeachtete Warte, deren Instrumente weit und breit zerstreut wurden, unter der zerstörenden Gewalt der Zeit, und als ein halbes Jahrhundert später Hven in die 19. Kap.1 Malmöe. gßi Hände der Schweden siel, und im Jahre 1716 zum Ueberflusse hier noch ein 16,000 Mann starkes russisches Heer landete, unterstützten Haß und Neid dieselben in ihremVorhaben in derWeise, daß jetzt nur noch wenige Ruinen auf der Ostscite der Insel die Gegend bezeichnen, wo einst dicLicblingsresidenz des hervorragendsten Mannes seines Zeitalters gestanden hat. Hven gegenüber liegt auf dänischer Seite das Fischerdorf V edbek, bei dem 1807 die Landung der Engländer geschah. Auf der schwedischen Küste, die sich hier als flache, sandige Ebene, ohne allen Holzwuchs, ausbreitet, zcigtsich Lands krön a, ein kleines altehrwürdiges Städtchen, von etwa 4000 Einwohnern. Einige Befestigungen, darunter ein altes Schloß als Citadelle, decken seinen Eingang, den ein <5anal mit einer weitläuftigen Rhedc verbindet. Wenige Meilen weiter südlich liegt in ebenso einförmiger Strand-gcgend Malmöe mit einer der Zahl zehntausend sich nähernden Seelen« menge. Die Stadt ist zwar unbedeutend im Vergleich mit ihrer einstigen Größe, doch als Handelsplatz durch den Verkehr mit Kopenhagen, den bis zur Zeit des Eisgangs Dampfschiffe täglich vermitteln, nicht unwichtig, da sie in zwei Stunden die hier etwa vier Meilen breite Fläche des Sundes durchschneiden. Die jetzt verfallene Festung nach der Landseite hin war einst wichtig, und vielfach ist sie belagert, bald von Dänen, bald von Schweden. Einige Ueberreste derselben find erhalten und das Schloß Malmöehuus zur Gefangenen - und Arbeitsanstalt umgewandelt; der dritte Gemahl der Maria Stuart, der heftige und lasterhafte Graf Bothwell, vertrauerte in diesem Schlosse einige Jahre im Wahnsinn und Elend der Gefangenschaft. Der Einwohnerzahl nach ist Malmöe die sechste Stadt Schwedens. Die schwedische Küste nimmt nun mehr und mehr den Anstrich eines nur -mäßig bebauten und bevölkerten Flachlandes an, das sich in eine Landzunge hinausstreckt, mitdem ganz unbedeutenden Städtchen Falsterbo, dessen vor Bänken und Untiefen warnender Lcuchtthurm die Südostgrenze der Meerenge bezeichnet. Zwischen Malmöc und Kopenhagen ist der Sund durch Untiefen und Bänke für Schiffe mit größerem Tiefgang nicht leicht zu passiren. Elne kleine nur ein Drittel Quadratmcile große Insel, Saltholm, die so wenig über den Meeresspiegel erhaben ist, daß sie bei nur einigermaßen hoch gehender See in ihrer ganzen hügellosen Fläche von Wasser bedeckt ist, liegt in diesem Theile. Die zwischen Malmöe und dem Ost-rande dieses Eilands liegende Straße, Malmöer Enge oder auch Flindtrenden (Flintrinne) genannt, ist breit, aber durch wandelbare Sandbänke sehr gefährlich. Ein einziges Mal hat sich eine Kriegsflotte durch sie gewagt, als Karl XII., wider den Rath seiner Admiräle, durch 362 Die Rhede von Kopenhagen. P- Vuch. sie ging, und seinen unklugen Eigensinn in diesem Falle mit Glück gekrönt sah. Im Westen von Saltholm liegt die gleichfalls stäche Ini'el Amager oder Amack, von etwas mehr als einer Quadratmeile, auf der ein Theil von Kopenhagen, Christianshavn, stekt. Vcide Eilande trennt die Straße „Drogdcn", eine nur 1200 Ellen breite, aber 23 Fuß tiefe Rinne, die das gewöhnliche Fahrwasser bildet. Zwischen dem Westufer von Amack und dem Ostrande von Seeland zieht sich wiederum eine enge Straße hin, die jedoch nur für kleine Fahrzeuge zugänglich ist und den Namen „Kallebostrand" führt. Im Norden der Straße Drogden erschwert die Einfahrt von Kopenhagen eine drei Viertelmeilen lange und über eine Viertclmeile breite Sandbank, die in Kriegs« zeiten wieder den Vortheil gewährt, die Vertheidigung des Hafens bei gehöriger Benutzung zu stärken. Sie ist den Schiffern als der höchst gefährliche „Mittelgrund" bekannt und läßt auf ihren beiden Seiten nur eine schmale Durchfahrt, deren östliche, Taltholm benachbarte, die „Holländertiefe", am häufigsten benutzt wird, da die westliche „Konge-dybet" (die Königstiefe) schmaler und ohne Lootsen schwer zu passiren ist. Von hier aus macht der Anblick der dänischen Hauptstadt mit ihren Thürmen, hervorragenden Gebäuden und den Masten der Schiffe in ihren Canälen, einen bübschen jedoch nicht imponirenden Eindruck, besonders zur Zeit des Hochsommers, durch die dichten grünen Waldmassen, die ihr neben den im Wesentlichen seestädtischen Zügen das Eigenthümliche verleihen, welches sie vor andern königlichen Resil'en«. zen auszeichnet. Die Nhede, welche sich nordöstlich der Stadt ausdehnt, ist bei einer durchschnittlichen Tiefe von sieben Faden, einer Breite von 100 bis 240 und Länge von 1200 Ellen, eine der schönsten und sichersten, die man in den Meeren des Nordens zu finden vermag. Die Natur selbst hat sie in ihren Umrissen gezeichnet, und der menschliche Geist durch seine Kraft und die Arbeit seiner Hände sie noch mit einer Schutzwehr umgeben. Die ganze Hauptstadt ist nach und nach mit Befestigungswcrkcn umgürtet, die sie nach der Landseite zu mit Wällen und Gräben umschließen, nach der Seeseite hin aber durch eine Citadelle und Batterien, die im Meere ruhen, vertheidigen. Es bilden diese Fortificationen fast einen Kreis von nahezu ein und drei Vicrtclmei-len Umfang und etwas mehr als eine halbe Meile Durchmesser, bestehen aus fünfundzwanzig Bastionen, aus Mauerwerk und mit nassen Gräben versehen, in denen hier und da vor den Courtincn, Ravelins und Fleschen liegen. Im Norden schließen sich dieselben an die ßita« delle (Castellet Frederikshavn), ein von dem holländischen Ingenieur Ruse van Sawert angelegtes regelmäßiges Fünfeck, nach dem Lande zu mit doppellen Wällen und Gräben versehen. Eine Reihe Flcschcn, l9. Kap.1 Die Schiffswerfte. 363 die sogenannte lange Linie, verbindet sie mit der berühmten Drei-Kronen-Batterie und der Lunette, die beide auf Sandbänken, welche die Kunst in Inseln umgestaltete, zum unmittelbaren Schutze des Hafens, sich aus dem Wasser erheben und die Rhede nach außen zu abschließen. Mochte die Anlage des ganzen Werks der Kenntniß damaliger Zeit entsprechen, so ist bei den jetzt so weit vorgeschrittenen Kriegswissenschaftcn und gewaltigeren Angriffs - und Zerstörungsmitteln die Unzulänglichkeit desselben sowohl nach der Land- als nach der Seeseitc zu anerkannt, und man geht deshalb mit dem Plane um, die ganze Befestigung in ein neueres, zweckentsprechenderes System zu ver, wandeln. Der Hafen von Kopenhagen entspricht in seinem Werthe vollkommen der äußeren Rhede, er liegt in dem Theile des Sundes, der die Inseln Seeland und Amack trennt, und zerfällt in einen Kauffahrtci-und in einen Kricgshafcn. Jener ist 3800 Ellen lang, 50 bis 100 Ellen breit und besitzt eine Tiefe von mindestens zwölf, aber bis zu zwciundzwanzig Fuß ansteigend; Canälc von zehn bis fünfzehn Fuß Tiefe laufen aus ihm in die Stadt hinein und umfassen die wichtigsten Theile derselben, den so gebildeten Inseln die schönsten Anlegestellen verschaffend; die Gesammtlänge dieser Ankerplätze beträgt 10,990 Ellen, und es ist also nicht überraschend, daß 5000 Fahrzeuge sichere und geschützte Lage vor Kopenhagen zu finden vermögen. DerKricgs-hafen „Flaadens Leie" (das Bett der Flotte) ist bei einer Länge von 1650 Ellen 220 Ellen breit und an seinen seichtesten Stellen noch zwciundzwanzig Fuß tief. Beide Häfen sind durch eine fliegende Brücke vom Meere getrennt, die hinüberführt nach der äußersten der in ihm liegenden Inseln und Halbinseln, auf welchen die Werften, die im Allgemeinen „Holm" genannt werden, aufgeführt sind. Viele derselben sind untereinander durch Pfahlwerk verbunden, wie auch ein solches die beiden Häfen von einander scheidet. Diese Holme, mit der sich auf ihnen entwickelnden Thätigkeit, mit ihrer Aussicht über die Batterie Drei-Kronen, die Lünette, und die Bastionen auf dem Nhholm selbst, die, zwar abgetakelt und unter Schutzdach liegende Flotte, den vollen Handelshafen, den Sund, dies Alles gewährt einen schönen und imposanten Anblick. Hier und auf dem sogenannten Gammel-Holm befinden sich das Admiralitätsgcbäude, das Archiv der Flotte, das Marineministe-rium, ein Modellhaus, Takelhäuser, Magazine, Werkstätten, in denen die größesten Vorräthe wohlgeordnet daliegen und Ordnung und Fleiß sichtlich herrschen. Hier stehen Kolosse halbfertig auf dem Stapel, oder in den drei riesigen Bauschuppcn, auf deren Dielen die Risse zu den Schiffen in natürlicher Große vorgezcichnet sind, um danach das Zuhauen zu erleichtern. Hier ist der Dock, worein die größten Schisse einlaufen und auf völlig trocknem Grunde rcparirt werden können. Hier 364 Kopenhagen. 15. Buch. auch liegen endlich die Provianthöfe mit Verrathen von Lcbcnsmittcln . für Ausrüstung der Flotte und zum Bedarf der festen Mannschaft der Marine, die in einem nahegelegenen eigenen Stadttheile „Nybodel" casernirt ist. Derselbe, aus lauter einstöckigen Häusern bestehend, ist Anfangs des siebenzehntcn Jahrhunderts durchChristian IV. erbaut, bildet dreiunddreißig kleinere und größere Straßen und ist ein originelles kleines Städtchen in der Stadt. Als Residenz und Hauptstadt eines Königreiches betrachtet, hat Kopenhagen es nur zu einer gewissen Mittelmäßigkeit gebracht und macht eher den Eindruck des Anständigen und des Annehmlichen, als des Glanzes und der Großartigkeit. Die Dänen betrachten sie natürlich mit besonderem Interesse, weil sie die alleinige wirkliche Stadt ihres Reiches in der modernen Bedeutung des Wortes ist. Ihre Lage gewährt aber dem Besucher ein ganz besonderes Interesse, da sie die einzige wirkliche Insclhauptstadt Europa's ist. Constantinopel, Lissabon, Venedig, Edinburg, Danzig, Stockholm sind doch vorzugsweise materiell und moralisch durch den continentalcn Zusammenhang zu der Wichtigkeit gelangt, die sie besitzen; Kopenhagen aber ist nicht allein von dem» Festlande vollständig isolirt, sondern auch von dem beträchtlichsten Theile der dänischen Kronlande selbst abgesondert, und zwar so, daß vorübergehende Hemmungen gelegentlich die Verbindung vollkommen unmöglich machten. Bis zur Zeit, in welcher der siegende menschliche Geist lernte, sich den Blitzstrahl dienstbar zu machen und zu Botendiensten zu verwenden, gab es allwinterlich Wochen, in denen die Lage Kopenhagens in Bezug zu dem übrigen Europa beinahe einzig dastand, indem Treibeis die freie Communication nach allen Seiten verhinderte. Dann mußten König, Hof und Bürgerschaft in Unwissenheit über Alles bleiben, was in London, Paris, Berlin und Petersburg geschehen, als sei ihre Hauptstadt plötzlich an den Nordpol versetzt. Der Haupttheil der Stadt, die Alt- und Neustadt, jene in Folge eines Brandes jünger, als diese, bedeckt eine westwärts ausschießende Landspitze Seelands; ein anderer Theil, Christianshavn, ist auf der Insel Amack erbaut; der trennende Canal ist, wie erwähnt, der Hafen, über den die Communication durch Zugbrücken vermittelt wird. In der Altstadt, dem Geschäftsquartiere, sind die Staßen im Allgemeinen eng, die Läden klein und die Häuser schlicht, jedoch verleiht ihr der Ucbcrsiuß an Canälcn, welche sie in verschiedenen Richtungen vom Hafen aus durchdringen, eine große Anmuth. Die Neustadt, der Sitz der Aristokratie, der historischen Erinnerungen und des Geldes, hat vortheilhaftcie äußere Einrichtungen, die Straßen sind breit, regelmäßig und bequem und die Häuser ansehnlich. 19. Kap.) Das altnordische Museum. Iß5 Den Löwenanthcil an Interesse nimmt die königliche Residenz, Christiansborg, auf dem Slotsholm, der seit den Tagen Absalons manche Schloßgebäude trug und jetzt noch Spuren der alten festen Burg Axelhuus zeigt, in Anspruch. Das ältere Schloß des sechsten Christian wurde mit seiner Ueberfülle von Pracht und Eleganz ein Raub der Flammen. Die heutige Residenz ist ein großartiges Gebäude in italienisch-französischem Geschmack und macht in ihren mächtigen Dimensionen einen imponirendcn Eindruck. An Sammlungen besitzt Kopenhagen neben manchem Guten zwei Perlen erster Größe, das al t-nordischc Museum und Tborwaldsen's Gallerie. Erstere übertrifft an Vollständigkeit und systematischer Anordnung alle seines-gleichen. Bereits l807 gegründet, aber erst seit den vierziger Jahren zum Aufschwung gelangt, umfaßtes jetzt mehr als 13,000 Nummern und wächst jährlich um circa 500, da Beamte, Prediger und Gutsbesitzer den heimathlichen Boden sorgfältig bewachen, daß nicht unbcfugteAlter-thümlcr die Grabstätten durchwühlen, und jeden Fund, der klugerweise neben dem Mctallwerth noch nach der Seltenheit bezahlt wird, abliefern. Das Interesse für die Sache hat alle Schichten der Bevölkerung durchdrungen, und der Bauer selbst weiß seine gelegentlichen Ausgrabungen beim Durchfurchen der Aecter mit Vorsicht zu behandeln und dcs vaterländischen Stolzes mehr, als der durch Prämien gespornten Gewinnsucht halber am rechten'Orte abzuliefern. Das die Uebersicht so herrlich erleichternde System zerlegt das Ganze in zwei Perioden, die Urzeit, und die Zeit des Katholicismus; jenc zerfällt wieder in die Epoche dcs Steinalters, wo die Kenntniß der Metalle noch entbehrt wurde, und die bis etwa ein halbes Jahrtausend vor Christi Geburt währte, und Gräber in Stcinkammcrn mit sich führte, welche reiche Fundgrube derartiger Schätze in Dänemark wurden; ferner in und Alterder Vronccanwendung,in dem das Kupfer das Eisen verdrängte, das die Todten verbrannt und ihre Asche in Urnen undKrügcn bewahrt wurde; und endlich das Eiscnalter, mit einem halben Jahrtausend nach der Erscheinung des Heilands beginnend, und eine gänzliche Umwälzung der Cultur bezeichnend, die Quelle ihrer Kenntniß stammt aus den Geschlechts- und Grabhügeln der dänischen Ebenen. Mit dem zweiten Jahrtausend nach Christo beginnt die katholische Periode, die in älteres und neueres Mittelaltcr zerlegt ist. — Eine abgesonderte amerikanische Alterthumösammlung bietet herrliche Anhaltpunkte zur Verglcichung und erhellt die Geschichte des vorcolumbianischen Zusammenhanges Amerika's und des standinavischcn Nordens, wäbrend das ethnographische Museum sich lehrreich über die Culturentwickelungsgeschichte aller Nationen verbreitet. Eö theilt sie in dic, welche Mcialle nicht verarbeiten, mit zonenweiscn Untrrabtheilungen, ferner die. 366 Thorwaldsens Museum. l.5. Buch. welche znzar das Metall kennen und nützen, aber noch der Literatur entbehren, und endlich die Nationen, welche auch im Besitz einer solchen sind. In nicht ganz glücklicher Lage, da es von dem Schloßgcbäudc fast erdrückt erscheint,erhebt sich das Thorwaldsen'schc Museum. Als der große Bildnermeister, der seinem Volke ein Ersatz ist für die fehlenden Kunstresie einer Vergangenheit, ein liebevolles Kind des Nordens in die Arme der Mutter zurücklehrte, nachdem er ein halbes Jahrhundert unter dem ewig blauen Himmel und auf dem geschichtlichen Boden des klassischen Alterthums gelebt hatte, legte er in dankbarer Vaterlandsliebe alle seine reichen Schöpfungen Dänemark in den Schooß. Diesem kostbaren Geschenke verdankt der Gedanke, seinem Ruhme einen eigenen würdigen Tempel zu errichten, seine Geburt. Nationalsammlun-gen brachten in freiwilligen Beiträgen die Summe zusammen, um das von König Friedrich VI. geschenkte Gebäude durch den Architekten Bin-desböll in den jetzigen Bau umzugestalten. Mit ernstem Aeußern erhebt er sich, in halb ägyptischem, halb griechischem Style. Nach außen, so wie nach innen, einem den antiken Rennbahnen gleichenden Hofe, sind die Wände in herkulanischer Weise gelb und schwarz in große Felder eingetheilt, mit ernsten, sinnreichen Figuren eingelegt, die durch ihre gehaltene Düsterheit in Zeichnung und Farbe d,e zwiefache Idee des Tempels andeuten, eine Kunsthalle und ein Mausoleum zu sein; denn in der Mitte des Hofes befindet sich das Grab des Meisters, und in ihm die irdischen Neste des großen Schöpfers mitten unter den Werken, die ihm die Unsterblichkeit gebracht. Neben 648 Originalwelken und Skizzen Thorwaldsens befinden sich hier 550Handzeichnungcn von ihm, circa 460 nach ihm und seinen Angaben, und seine reichen Sammlungen an Antiquitäten, Kunstwerken und Büchern, und aller Schmuck des Gebäudes in Sculptur wie Malerei ist selbstredend auf ihn bezüglich. Gleichfalls durch die Fülle Thorwaldscn'scher Originalwcrke eine Kaaba für jeden Kunstfreund, ist die Metropolitankirche des dänischen Reiches, die Frauenkirche, geworden. Das mit überreicher Pracht ausgestattete Gebäude, in dem zur katholischen Zeii in fünfundzwanzig Capcllcn demHerrn gedient wurde, war schon durch Gewitter .n,d Feuer vielfach beschädigt, als es mit seiner 350 Fuß hohen Thurmspitze 1807 von den Engländern zum Ziele ihres Bombardements genommen, so zertrümmert wurde, daß es bis auf die Grundmauern einstürzte. Jetzt erhebt sie sich, als ein Oblongum in römischem Style, mit viereckigem Thurm, unbedeutendem dorischen Portal und rundem griechisch gekuppelten Thore. Im Innern erzeugt harmonische Einfachheit, verbunden mit dem Schmuck, der sie jeder andern Kirche der Christenheit voranstellt, einen großartigen Eindruck. Längs beider Seiten des Schisses 19. Kap.) Die Frauenkirche. Iß7 stehen in carrarischem Marmor in übernatürlicher Größe die zwölf Apostel. Hinter dem Tische des Herrn, breitet der Christus die Arme aus, in stummer Beredsamkeit Trost und Erquickung verkündend allen Denen, die mühselig und beladen. In dem Chore, über dem Beichtstuhl, der Sakristei, hinter dem Altar, über der Armenbüchse sind Reliefs, im Frontespice über dem Eingänge die berühmte Iohannisgruppe, kurz eine Fülle von Meisterwerken angebracht. Keine der vollendeten Arbeiten aber erreicht die in der Mitte des Chors befindliche, denn der kniecnde Engel mit dem Taufbecken, in Form einer Muschclschaalc, ist die schönste Poesie, die je in Marmor ausgeführt wurde. Ein zweites kirchliches Gebäude von Interesse ist die Trinitatis-kirchc durch ihren runden Thurm, der sich mit einem Durchmesser von 48 Fuß bis zu HöFußHöhe erhebt. Sein Material besteht aus Backsteinen, und in seinem Innern windet sich ein neun Ellen breiter Schneckengang ohne Stufen, theils auf der äußeren Mauer, theilsauf einem Hohlpfeiler, in dessen Mitte ruhend, bis zu seinem flachen Dache. Seit alten Zeiten befindet sich ein astronomisches Observatorium hier. Aus dem Thurme führt ein Eingang in einen großen Saal über dem Kirchen-gewölbc, in dem die Universitätsbibliothek ihren Platz fand, bis das eigene für dieselbe bestimmte Gebäude, das jetzt in Verbindung mit der Universität errichtet wird, vollendet sein wird. In Beziehung auf Reichthum an literarischcn und antiquarischen Denkmälern, so wie an Vereinen und Gesellschaften zur Ermuthigung der Künste, Wissenschaften und allgemeinen Bildung können sich wenige Städte gleichen Ranges mit Kopenhagen messen. Und schon lange ist es auf der Höhe der Civilisation des nördlichen Europa angelangt, so daß die dänische Hauptstadt nicht mit Unrecht mit dem Namen des nordischen Athens geschmückt ist. Unter den berühmten Namen begegnet man dem Erfinder des Elektro - Magnetismus Oersted, Hornemann, Tchouw, Forchhammer, Claussen, Madvig, Rask, dessen linguistische Forschungen ihm ein ewiges Denkmal setzten, Molbcch, Grundtvig, Petersen, Finn Magnussen; die Poeten Oehlenschläger, Ingemann, Heibcrg, Hertz, Winther, Paludan Müller, Holst, Andersen und viele, viele Andere, Gleichberechtigte. Die litcrarischen Hilfsquellen der Stadt sind reich und gut, und mit Einschluß der königlichen Bibliothek, die ihre Bandzahl einer halben Million nahe bringt, mit großer Liberalität den Lernbegierigen eröffnet. In der letztgenannten Sammlung befindet sich eine große Sammlung von Manuscripten, theils orientalische, die nur denen der Pariser Bibliothek an Werth nachstehen, theils emzig vorhandene isländische, so wie die ausgezeichnete Kupferstich-sammlung. 368 Christianshavn. l5. Vuch. Die Inselvorstadt Kopenhagens, Christi ans ha on, hat ein ganz anderes Aussehen als Kopenhagen selbst, und erscheint verglichen mit der Lebendigkeit auf den Canälen und in dem ihm zunächstliegenden Theile der Altstadt, öde. Einsehr schöner Thurm auf der Erlöscrkirche und die benachbarte Börse auf demSchlohholme, ziehen jedoch die Aufmerksamkeit des Reisenden auf sich. Vor etwa drei und einem halben Jahrhunderte, unter Christian II., führte Königin Isabella von Dänemark, eine Prinzessin der Niederlande und Schwester Karls V., eine Anzahl ostfriesischer Familien nach Amak, um den dänischen Landleuten eine kunstgerechtere Ackerwirthschaft beizubringen. Ihre Nachkommenschaft, die noch jetzt ihre eigenthümliche Tracht und Sitten erhalten hat, wuchs auf dem ihnen übergebenen Eilande auf etwa 7000 Seelen an, und sie nehmen als Gemüse- und Blumenzüchter zu Kopenhagen dieselbe Stelle ein wie die Bevölkerung der Vierlande zu der bamburger, nur mit strengerer Sittlichkeit unter ihren weiblichen Gliedern. Durch die charakteristische Industrie ihrerNationalität haben sie die flache, sumpfige Insel zu einer außerordentlichen Fruchtbarkeit erhoben und sie in den Meierhof und Küchengarten der Hauptstadt verwandelt. Kopenhagen („Kjöbenhavn" Kaufmannshafen) hat alle Stufen, von einem kleinen Fischerdorfe, als welches es noch um die Mitte des zwölften Jahrhunderts erwähnt wird, bis zur Königsresidenz langsam und allmälig erstiegen. Die erste Wichtigkeit erhielt das Dörfchen durch die feste Burg, welche sich der Bischof Absalon, nachdem er dasselbe von König Woldemar I. als Geschenk erhalten hatte, auf dem heutigen Schloßholm anlegte. Es war dies das erwähnte „Arelhuus", und in ihm lag der Grund zur Benennung „url)8 adZalonicÄ" sAxelstad) unter der Eaxo Grammaticus vom heutigen Kopenhagen spricht. Ein Jahrhundert später, 1254, wurden ihr des blühenden Handels halber bedeutende städtische Privilegien nnd der Name I'nNu8 mercÄlorum verliehen, der sich in <^38lrum ä« Hainia, Hafn und Kjöbenhafn verwandelte, bis er seine heutige Form annahm. Durch Absalon war das Schloß Axclhuus, das dazu gehörige Dorf und die Umgegend dem Bischofsstuhle von Roeskildc vermacht, wodurch es die häufige Residenz von dessen Kirchcnfürsten wurde. Christoph Hl., der Baier, erbob sie 1443 zur Königsstadt, indem er die Residenz von Roeskilde aus hierher verlegte. Wenige europäische Städte haben eine so lange Leidensgeschichte auszuweisen, als die dänische Hauptstadt. Pest und Feucrs-brünste haben sie nicht verschont; 171 l raubte eine Seuche ihr mehr als 30,000 Einwohner, und die Cholera richtete 1855 entsetzliche Verwüstungen an; 1728 brannten etwa 1700 Häuser, darunter die Universität und fünf Kirchen ab; 17U4 verzehrten die Flammen die 19. Kap.1 Schicksale Kopenhagens. Ißg Christiansburg, und ein Jahr darauf legten sie wieder nahezu 1000 Häuser in Asche. Kriegerische Heimsuchungen hat sie wie keine zweite Hauptstadt in Europa ertragen. Des untüchtigen Erichs von Pommern Gattin, Königin Philippa, rettete sie 1428 nur mit Mühe aus den Händen der Hansa und der holsteiner Fürsten. In dem Bürgerkriege des entthronten Christian II. und Friedrich I. erschien zum letzten Male und erfolglos eine feindliche Hansaflotte vor ihr. Christian III. eroberte sie durch seinen Feldherrn Johann Rantzau. Im Jahre 1658 unternahm Karl X. Gustav einen Belagerungszug über das Eis des großen Belt gegen sie. Der Sturm wurde unter Leitung Friedrichs III. selbst abgeschlagen, noch ehe der Entsatz durch die holländische Flotte, unter Admiral Opdam, die Belagerung aufhob. Im Jahre 1700 suchte dann Schweden mit Hollands und Englands Flotten und einem unter Karl XII. in den Norden Seelands eingedrungen«! Landheere durch ein Bombardement Kopenhagen heim, und nur der Traoendalcr Friedensschluß rettete die Stadt und Dänemark. Der schreckliche Kampf gegen Nelson und Parker am 2. April 1807 schlug tiefe Wunden, die nur der erworbene Kriegcrruhm weniger herbe fühlbar machte. — Weit empfindlicher, weil das sittliche Gefühl aufs tiefste verletzend und empörend, waren dic Folgen des Raubzugcs des Lord Cathcart und Admiral Gambiers 1807. Angeblich aus Furcht, daß Dänemark auf Rußlands und Frankreichs Andringen England den Krieg erklären und seine schöne Flotte Napoleon zur Verfügung stellen könnte, beschloß der edle Britte die unerhörteste Verletzung alles Völkerrechts und Kriegsbrauchs. Ohne Kriegserklärung sandte er eine Flotte von 54 Kriegs- und 500 Transportschiffen nach Kopenhagen und verlangte die Auslieferung der Flotte, um sie während des Kriegs in Verwahrung zu halten. Auf die abschlägige Antwort landeten am 16. August 1807 unter Cathcart 33,000 Mann. Nach einem schrecklichen Bombardement in den Nächten vom 2. bis 5. September mußte die von Militair entblößte Stadt capituliren. In Folge dessen wurde den Engländern eine Flotte von 16 Linienschiffen, 1? Fregatten, 16 Briggs und 26 Kanonenbooten mit circa 2200 Kanonen zu Theil, in einem Werthe von 12 Millionen Thalern. Aber nicht zufrieden mit diesem Raube, wurden die großen Vorräthc, die man nicht mitnehmen konnte, zerstört, das Arsenal geleert, und die angefangenen Schisse vernichtet oder verdorben. Unmittelbar südlich der Hauptstadt öffnet sich die Kjö gebucht, die einen elliptischen Bogen mit einem Durchmesser von etwa vier Meilen bildet und zwei Meilen tief in das Land einschneidct. Ihre Küsten sind flach und bieten dem Auge keine Schönheiten dar. Etwa in ihrer Die Ostsee. 24 370 Die Kjögebucht. 15. Vuch. Mitte liegt das Städtchen Kjögc, an das sich die unrühmliche Erinnerung einer Niederlage der Milizen im Jahre 1807 knüpft. Im Süden wird die Bucht, dem schwedischen Vorgebirge Falsterbo gegenüber, durch eine 80 bis 120Fuß hohe, jähcKreidcwand, die den Namen „Stcvns Klint" führt und dem Sunde wenigstens einen malerischen Abschluß verleiht, begrenzt. Die Kjögebucht zeichnet sich zwar durch unangenehme, furze, stoßende Wellenbewegung aus, bildet aber durch ihre Weite und den herrlichen Untergrund eine vorzügliche Station für die größesten Flotten. Dies machte sie auch zu einem so oft gewählten Kriegsschauplatz, daß ein bekannter Geograph kindlich naiv von ihr schrieb i „Hier pflegen die Dänen ihre Seeschlachten zu liefern." Schon unter Harald Hildetand, im achten Jahrhundert, war sie die Station der Flotte, auf der er mit einer zahllosen Schiffsmenge gegen Schweden segelte. Unter Christian V. schlug der dänische Admiral Iuel in ihr die berühmteste Seeschlacht der nordischen Geschichte, am 11. Juli 1677, gegen denAd< miral Wachtmeister, der Karls des Elften von Schweden Flotte führte. Ohne die niederländische Verstärkung, die ihm Tromp zuführte, abzuwarten, griff Iuel die mckr als doppelte Zahl schwedischer Schisse an und trug nach heldcnmüthiger Vertheidigung derselben den glänzendsten Sieg davon, bei dessen Erkämpfung er dreimal das Commandoschiss wechseln mußte. In dem Coalitionskricgc gegen Karl Xll. wurde die Bucht Zeugin einer unsterblichen Ginzelthat. Die Flotten lagen sich wieder in ihr feindlich gegenüber, doch ohne daß es zu mehr als Plan« leleicn kam. Das äußerste Schiff der dänischen Avantgarde war das Linienschiff „Danebrog" von 82 Kanonen, von Ivar Hvitfcldt befehligt. Es wurde von drei Schiffen, worunter das schwedische Admiral« schiff, angegriffen und gericth in Brand. Hvitfeldt konnte sich retten, wenn er die Ankertaue kappte und aufs Land trieb, aber er brachte dadurch die dänische Flotte in Gefahr. Im Einvcrständniß mit der Besatzung beschloß er daher vor Anker auszuharren und den Kampf bis zu dem Augenblicke fortzusetzen, wo das Feuer die Pulverkammer erreichen würde. Dies währte denn auch nicht lange, und mit Ausnahme von sechs Mann, die sich in einem Boote gerettet hatten, flog die 700 Mann starke Besatzung in die Luft. Nelson sammelte 1807, nach dem Kampfe vor Kopenhagen, in dieser Bucht seine Flotte und wählte sie zu seinem Ankerplatz; und im Frühling des Jahres 1855 lag Sir Charles Napier mit neunzehn Schiffen hier und empfing die officiellc Benachrichtigung von der Kriegserklärung gegen Nußland; in ihr theilte er am 4. April seinen Fahrzeugen durch Signale die Vollmacht mit,Sveaborg und Kronstadt in Trümmer zu legen, und erhielt von ihnen die Antwortsignale: „Wir sind willig und bereit." Hier sah er im Lenzcsgrün mit geistigem Auge aus den 20. Kap.) Seeland. g?1 blutigen Schutthaufen St. Petersburgs den Siegeslorbeer für sich erwachsen, und wenige Monden später ankerte er mißmüthig, angefeindet und verkannt, so daß man selbst seine früheren Verdienste vergaß, nachdem der thatenlos verbrachte Sommer den üppigen Hoffnungsbaum welk gemacht hatte, wieder in der Kjögebucht. Zwanzigstes Kapitel. Der dänische Archipel. Seeland. — Nocökilde. — Leire. — Moen. — Fühiien. — Odense. — Laiigcland. — Laaland. — Halfter. — Voricholm. Bevor wir unsere Rundreise längs der Südküste der Ostsee fortsetzen, müssen wir zuerst einen Rückblick auf den dänischen Archipelagus werfen. Wenige Meere sind im Verhältniß zu ihrer Ausdehnung so mit Inseln angefüllt als das baltische, und keine Strecke in ihm so sehr als die des dänischen Archipelagus. Die Inseln steigen sämmtlich, mit Ausnahme einiger Küstenstrecken, wenig über das Meer empor. Häusig finden sich vor ihnen Muschelbänke und Korallenstoffc in Kalklagcrn gebettet. Auf den Inseln selbst sind diese mit Thonschichten, Sand und Kiesel gemischt, und fast überall mit herrlicher fruchtbarer Erde bedeckt. An einigen Orten haben, sich in ziemlich bedeutenden Tiefen große massenhafte Granitblöcke gefunden, doch gehören sie schwerlich zu einer allgemeinen Basis aus Urgestein und sind wahrscheinlich, wie schon angegeben wurde, durch eine Revolution hierher versprengt worden. Das Klima der dänischen Inseln ist ein weiches, feuchtes, aber in Hinsicht der hohen Breitengrade, unter denen sie liegen, ungemein mildes; es begünstigt die Vegetation, die daher auch reicher als in allen benachbarten Ländern ist. Dcr Ackerbau, die Viehzucht und der Fischfang liefern den Bewohnern die wichtigsten Hilfsquellen nicht allein für ihre eigene Erhaltung, sondern auch zu reichlicher Ausfuhr und für den fremden Handel. Auf diesen Inseln wurde die Civilisation und Industrie der dänischen Nation geboren, und auf ihnen ist auch seit längst verflossenen Zeiten der Siy der Regierung gewesen. Die Insel Seeland, deren Ost-und Westküste schon bei der Schilderung des Sundes und großen Bells beschrieben wurden, hat einen Umfang von ungefähr siebenzig Meilen, ihre Ausdehnung von Nord nach Süd beträgt etwa fünfundzwanzig und von Ost nach Wcst cmundzwan-zig Meilen. Der höchste Punkt von Seeland erhebt sich in der Nähe 24* 372 Production m,d Cultur auf Seeland. 15. Buch. der Stadt Ringstcd, die auch beinahe den Mittelpunkt der Insel bezeichnet und deren Umgegend sich nach allen Seiten hin in sanften Abhängen zum Meere senkt. Längs der Küsten zeigt sich in einigen steilen Gestaden eine Kalkschicht, gewiß die eigentliche Grundlage des breiten, niedrigen Dammes, durch dessen in verschiedenen Perioden erfolgten Durchbruch diese einzelnen Inseln entstanden, über den neueren, jüngeren, nicht zur Kreidcformation gehörenden Erdgebilden, und trägt dort, wo sie schon dem ersten Blick felsartig entgegentritt, den dänischen Namen „Klint". An der Südostseite dieser Insel erreicht sie im Stevns-Klint mit 120 Fuß über demSeespiegel ihre größte Höhe. Dieser Fels ist aus Kalkstein, Kreide, Kiesel und Flint, in verbindende Massen gehüllt, zusammengesetzt. Die Lager dieser Substanzen wechseln unter einander ab und enthalten eine Menge animalischer Versteinerungen. Im Osten der Insel bietet der Fels von Grumpcrup und im Süden der von Faroe ungefähr die gleichen Phänomene. Viele Binnenseen, und malerische größere und kleinere Moorstrecken bewässern das Innere der Insel namentlich im Norden. Ein kleines Flüßchen, die, „Nessaa", durchschneidet in hufeisenförmigem Lauf die Südhälfte, während andere, freilich nur durch Boote zu befahrendc unzählige Bäche sich mit lieblichen Seen verbinden und viel zur Fruchtbarkeit des Bodens und zur Annehmlichkeit des materiellen Lebens beitragen. Gut bebaute Felder bringen alle Arten Getreide und vorzugsweise Gerste hervor, die jährlich in großen Massen nach Norwegen ausgeführt wird. Auf de» üppigen Wiesen weiden zahlreiche Viehheerden. Die Pferdezucht ist zu hoher Vollkommenheit gediehen, und die ohne Hilfe fremder Beschäler veredelte inländische Race ist, wenn sie auch keine Renner erzeugt, im Auslande wegen ihrer Stärke und des schönen Baues ihres Körpers, als Pferd für schwere Cavallerie, als Zug-und Arbeitsthier sehr geschaßt. Die berühmte Schimmelrace, die persischen Ursprungs sein soll und schon seit grauem Alterthum in Dänemark heimisch ist, und besonders im Mittelalter für die Nittcr-damen gesucht war, existirt jetzt nur noch in wenigen Exemplaren. Die Regierung hat durch Gestüte und auf andere Weise Sorge für die Con-servirung der eingebornen Racen getragen, die einen wichtigen Handelszweig bilden. Die ehedem großen Forsten und Wälder der Insel sind jetzt selten, die Kultur lichtete sie und ließ sie fast gan; verschwinden, nur hier und dort sieht man noch Gruppen riesiger, altersgrauer Buchen und Eichen mitten in Wiesen und Feldern. Wild, hohes und niederes, belebt die Landschaft, und die Küsten, Seen und Bäche sind reich an Fischen, auch hat die Kunst hierin noch nachgeholfen, und vielfach sind Karpfenteiche angelegt, um den Geschmack der Kopcnhagcner zu be-friedigen. 20. Kap.) NoeSlilde. Leire. 373 Die älttstc und nächst Kopenhagen sthenswerthcste Stadt Seelands ist Roeskilde (Noes Quelle), vier Meilen von der Hauptstadt entfernt, an dem östlichen Arm des Isscfjoids, dem sie ihren Namen leiht. Durch die im Sommer 1847 eröffnete Eisenbahn ist dieser alte Königs-und Bischofssitz der neuen Residenz ganz nahe gerückt. Hierher verlegte Harald Blauzahn im Jahre 980 den Königssitz, und einige Jahre später wurde es auch der Sitz der katholischen Bischöfe. Ihren Namen entlehnte die Stadt dem königlichen Heros, Hroar oder Roc, und dem Ruhme, den sie ihrer schönen Quellen (Kilde) halber genoß, auch führt noch heute eine Quelle in der Umgegend den Namen „Hroarsquellc". Etwa fünfhundert Jahre, bis auf den König Christoph von Baiern, blieb die Stadt Königsresidcnz und Bischofssitz, bis die Annahme der lutherischen Religion sie der Mitra und des Krummstabes beraubte. Auch Roeskilde erlebte, wie viele Residenzen, die Nechsclfälle der Zeiten. Knud der Große, die Waldemare und Margarethe haben von hier aus ihr mächtiges Scepter über den Norden gestreckt; die Pracht des Hofes, die Ritler- und Licbesthaten des Mittelaltcrs wurden hier vollbracht; der pomphafte Cultus der römischen Kirche hatte hier seinen. Hauptaltar, den Dom, früher die Metropolitanlirche des Reiches, — jetzt die stille Ruhestätte der dänischen Könige. Es ist ein alter, ma« jestätischcr Bau, mit einem herrlichen Chor, das aus dem Ende des elften Jahrhunderts herrührt. Der Naustyl ist kein völlig reiner, sondern der gothisch-byzantinischen Ucbergangsepochc angehörend, soweit er dem Plane der Gründer, Knud des Großen und des Bischofs Wilhelm, treu gehalten ist, aber später durch Anbaue von Christian dem Ersten und Vierten und Friedrich dem Fünften entstellt; dennoch bleibt der Dom das großartigste Erzcugniß alter Baukunst auf den dänischen Inseln, dem höchstens die Kirchen in Ringsted und Odense auf Fühnen nahe kommen. Mit wenigen Ausnahmen ruhen alle Könige des dänischen Mittclaltcrs in dieser Kirche. Gleichsam als habe die Zeit Ehrfurcht vor diesem reichen Schatze der Kunst und der Erinnerung gehabt, ist dieser Dom das Einzige, was der Stadt aus ihrer Blüthezcit geblieben ist. Ihre anderen reichen Gottestempcl und scchs-undzwanzig Klöster, sämmtliche königliche Wohnungen, Alles hat ihr nagender Zahn zerstört. Eine halbeStunde von Roeskilde entfernt liegt Leire oder Lethra. Hier thronten die Dänenkönige von Anfang bis auf Harald Blauzahn; wie im Roeskilder Dom sich die hohen Bogen über die Leiber der christlichen Könige, so wölben sich hier die Hügel über die Asche der heidnischen. Es ist die Wiege der Kraft und Poesie des nordischen Alterthums; Hrolf Krake mit seinen zwölf Riesen, und Skjold haben hier gewohnt und gewirkt; das Thing wurde hier unter offnem Himmel 374 Ningsted. 15. Buch. von freien Bauern mit ihrem Könige gehalten, Fehden geschlichtet. Gesetze gegeben und Wickingszügc beschlossen; Thor und Freia haben hier gewaltet, und noch heute zeigt die ganze Gegend die kolossalen Grabhügel der vorchristlichen Dänenkonige, die Repräsentanten des in Staub zerfallenen Heidenthums. Ein kleiner Fluß „Leire Aa" schlangelt sich durch diesen nordisch-classischen Boden, und schöne Buchen-kronen werfen hier und da ihre mächtigen Schatten als der heilige Hain mit seinem Herthathal und weißen heiligen See. Hier stieg Hertha, wie schon Tacitus wußte, zu Zeiten aus dem See hervor, um segnend in einem mit weißen Kühen bespannten Wagen durch das Land zu fahren; in diesem See wurde ihr Bild, nachdem sie wieder hlnabge. stiegen war, wie das der Kimmerischcn Diana, abgcwaschen, die Leute aber, welche diese Abwaschung verrichteten, wurden von dem See verschlungen und ihr außerdem noch neunundneunzig lebende Geschöpfe jeder Gattung, darunter auch neunundneunzig Menschen geopfert. Die nächste bedeutendere Stadt auf Seeland ist Ring stcd, in deren Kathedrale auch einige sicbenzig prunkhafte Fürstcngräbcr sind, .und wo unter einem einfachen Grabmale der Eckstein der nordischen historischen Wissenschaft Saxo Grammaticus seine Ruhestätte fand; ebenso birgt sie die irdischen Reste des großen Erzbischofs Absalon, der gleich erhaben dasteht als geistlicher Obcrhirt, als Feldherr und Staatsmann, der unter Waldcmar dem Großen und seinem Sohne Knud dem ' Sechsten an der Spitze dcr Verwaltung des Reiches stand, das von der Eider bis zur Weichsel und über große Theile von Preußen und Esthland sich streckte, derHecrcszüge veranlaßte und leitete und daneben den ersten Stein zur Aufführung eines geordneten und geregelten Staatsgebäudes legte, der den Wissenschaften eine Bahn im Norden brach und dem unweit seiner Asche ruhenden Saxo es ermöglichte di« Geschichte Dänemarks zu schreiben. Alle übrigen Städte Seelands haben nur geringes allgemeines Interesse; die Ostküste zwischen Hclsingöcr und Kopenhagen, namentlich in der Nähe der Hauptstadt, ist die volkreichste. Dieser ganze Theil der Insel ist mit Schlössern, Lusthäusern und hübschen Dorfschaften bedeckt. Da liegt Friedrichsburg, ein altgothisch erbautes Schloß mitten in einem See, Fredensburg, Hirschholm, Charlottcn-luud, Sorgenfri, und andere Schlösser und Lustorte mehr; dort sind die schönsten Dörfer und wichtigen Städtchen Sellcröd, Lyngbye, die Waffcnfabrik Frederiksvärk, das Schloß Vcrnstorf, früher bewohnt von den beiden Ministern dieses Namens, welche unter zwei Negierungen für den Ruhm und den Vortheil Dänemarks gearbeitet haben. Nicht weit vom Schlosse erhebt sich ein Obelisk, den die Bauern seines Gutes dem Grafen Ernst Vcrnstorf, Minister Friedrich 20. Kap.1 Möen und Fühnen. I?5 des Fünften, errichteten, um das Andenken ihrer Dankbarkeit für den großmüthigen Geber des freien Genusses des Bodens, den sie bebauten, zu erhalten. In der Nähe von Kopenhagen erhebt sich eine ähnliche Freihcitssäule, die im Jahre 1788 als Monument für die Gesetze errichtet wurde, welche dem dänischen Bauer zum Theil gleiche Rechte mit den übrigen Staatsbürgern verliehen, nachdem sie Jahrhunderte hindurch unter dem Druck des Adels geseufzt hatten. Auch sie verherrlicht, neben Christian dem Siebenten und dem damaligen Kronprinzen Friedrich dem Sechsten, den Grafen Andreas Bcrnstorf, dessen Rathschläge im Erlaß dieser Gesetze befolgt wurden. In dem nördlichen Theile der Insel liegt das Schloß Iägcrspriis, in dessen Garten durch Aufstellung von Monumenten für berühmte Männer Dänemarks eine Art Walhalla gegründet ist. Unter den weniger bedeutenden Inseln, die sich dem größeren Seeland am meisten nähern, findet sich im Südosten die Insel Möen, die ihrer herrlichen Lage halber den Beinamen „Amöna" erhielt. Möen ist vier Meilen lang und zwei Meilen breit. Das Innere ist eine angenehme und fruchtbare Ebene; auf der Ostküstc erhebt sich aber eine das Auge erfreuende Ncihe malerischer Höhen, die ihren Glanz > und Gipfelpunkt in dem 460 Fuß hohen „MöensKlint" erreicht. Er gehört zu der erwähnten Kalkschicht, die hier wie auf Seeland die Geröll-und Geschiebe-Formation, sowie die sie an anderen Stellen unmittelbar bedeckenden Erdschichten, durchbrach. Möens Klint steigt schroff aus dem Meere auf und ist hauptsächlich aus reiner Kreide gebildet. Einzelne Theile sind völlig nackt und lassen ihre weißen Massen schon in weiter Ferne schimmernd zu Tage treten, andere sind mit Rasen bedeckt und mitBaumgruppcn bestanden. Hier ist der Fels zerklüftet und zerschnitten, wie in Radeln und scharfe Spitzen zerspalten, deren bedeutendste die vereinzelt stehende „Sommerspirct" ist, dort hängt er in weiten Wölbungen über die Wasser oder droht einzelne keck vorgeschobene Blöcke hmcinzuschlcudern. Der höchste Punkt trägt den Namen, „Kongebjerget und auf ihm ragt der „Königsstuhl" über das Meer hinaus. Die Insel ist von einer so ungcmeincn Fruchtbarkeit, daß sie nicht nur in vollem Maße Alles hervorbringt, um ihre Einwohnerzahl zu ernähren, sondern daß von hier aus noch jährlich eine verhältnihmäßig bedeutende Getreideausfuhr stattfindet. Außer den isolirtenLandwirth-schaftcn zählt die kleine Insel über fünfzig Dorfschaften und ein Städtchen, Stege. Fühnen, von beiden Bclten umfaßt, ist die zweitgrößeste der dänischen Ostsceinseln, etwa fünfzehn Meilen lang und dreizehn breit. Von der Kattegatseitc her zerschneidet ein langer Busen, die Bucht 376 Odense. 15. Bnch. von Odense genannt, das Laud, und vom kleinen Belle her graben mehrere kleine Golfe ihre Netten in die Küsten. Der Voden wird von vielen kleinen Flüßchen bewässert, von einigen Seen gebadet und durch Hügelreihen anmuthig gewellt. Der höcksle Punkt erhebt sich in dem Kirchspiele Sailing und erhielt von den Bewohnern den Namen „Belvedere". Und in der That verdient ihn diese Stelle, denn man sieht von ihr aus in weiter Ausdehnung den bunten Wechsel von Feldern, Wiesen, schattigen Gehölzen, die Thürme von dreiunddrcißig Kirchspielen und die stattlichen Gebäude einer großen Zahl Herrenhäuser. Fühnen hat bei Weitem über hunderttausend Einwohner, deren große Mehrzahl sich auf einzelne kleinere Landsitze und Bauerngehöfte vertheilt hat. Der Ackerbau blüht hier ungcmein, da das Klima der Insel sehr mild und der Boden gut ist, und Gräser, Futtcrkräutcr, jede Getreideart kommen zu reicher Ausfuhr; und mit ebenso großem Erfolge beschäftigen sich die Bewohner dieser Insel mit Viehzucht, Vie-nenpsiege, Obst- und Hopfenbau. Die Buchten, Flüsse, Seen und Bäche liefern ihnen in reichlicher Menge die leckersten Fische und Kru-stcnthierc. Einige Theile der Insel sind mit Buchen und Eichen bestanden. Od ense ist die Hauptstadt der Insel und will ihre Gründung bis zu den grauen Zeiten der ersten Ankunft des Heros Odin hinaufgeführt wissen, verräth aber durchaus keine Spur eines wahrhaft alten Ursprungs. Ihre Lage ist freundlich, ihr Inneres reinlich und ihre einfachen Gebäude sind gut unterhalten; die Bewohner ernähren sich durch Handel und Manufacturwesen. Ein mittelst eines Canals in seinem ganzen Laufe schissbar gemachtes Flüßchen erhält die Stadt in Verbindung mit dem Meere. Das Wasser dieses Flüßchens eignet sich vorzugsweise zur Lederbcreitung und hat die Gerberei, welche durch die nahen Eichwaldungen besonders begünstigt ist, zum Hauptzwcig der Odenscr Industrie gemacht. Die aus dieser Stadt hervorgehenden Ledersortenwerden zu den berühmten dänischen Handschuhen, zu Geschirren und dem zur militairischen Ausrüstung gehörenden Reit« und Zaumzeug verarbeitet und weit und breit geschätzt und gesucht. Die sieben anderen Städte Fühncns, sämmtlich an die Küsten vertheilt, sind ver-hältnißmäßig unwichtiger. Bei Svendborg, der südöstlichsten, trennt ein schmaler Arm die kleine, nur fünfViertelquadratmeilen große Insel „Taasing" von Fühnen, die reich bevölkert ist, schöne Wälder, reiche Güter enthält und neben Ackerbau und Viehzucht Fischerei und Handel treibt. Der Reichthum des Bodens, die Sanftheit des Klima's und die Annehmlichkeit der Lage hat von jeher die reichen und mächtigen Familien des dänischen Staates nach der Insel Fühnen gezogen, und viele 2«. Kap.1 Langeland. 377 haben dort ihre Rittersitze gegründet. In wenigen Gegenden des Nor» dens, vielleicht Ostholstcin ausgenommen, findet mnn eine so große Zahl schöner Dörfer und Herrenhäuser. Unter ihnen ragt koch hervor, weniger durch seine äußere Schönheit, als durch den stillen Segen, der sich von ihm aus weit über die Insel unk das Land verbreitete, „Brahctrolleborg", der Hauptort einer Baronie, die jetzt im Besitze der mächtigen deutsch-dänischen Familie der Grafen Rcventlau ist, die so viele edle Blüthen an ihrem alten Stamme trieb. Bis in das erste Decennium unseres Jahrhunderts hinein, wo der Tod seinem herrlichen Leben ein Ende machte, hatte Graf Louis Reventlau dieses Gut zum Mittelpunkt seiner thätigen Philanthropie gemacht. Er bewilligte hier seinen Gutsangchörigen die vortheilhaftcstcn und ausgedehntesten Prärogative, hier gründete er Werkstätten für die Armen, schuf Arbeit und eröffnete Schulen, die dem ganzen Staate zum Muster gedient haben. — In der Culturgeschichte Dänemarks spielt Fühnen überdies eine größere Rolle, da sie die Wiege der dänischen Kirchenvcrä'nderung war. Hans Tauscn, der den Beinamen des „dänischen Luther" erhielt, war in einem unbedeutenden Dorfe der Insel geboren und in der Domschule zu Odense erzogen. Hier auch versammelte 1527 der König Friedrich der Erste, der Holstciner Herzog, der mit Hilfe des Adels seinen Neffen, den Tyrannen und dabei dennoch Volksfreund Christian den Zweiten, vom Throne gestoßen, den Reichstag, welcher der oppo-nirenden Religionspartci zu politischen Zwecken völlige Gewissensfreiheit bewilligte, die Abhängigkeit der Bischöfe vom römischen Stuhle aufhob und die Krone mit dem Rechte der Bestätigung ihrer Wahl durch die Kapitel bekleidete. Ein Schritt, dem unter König Christian dem Dritten, seinem Sohne, die plötzlich und an einem Tage im gan« zen Reiche ausgeführte Verhaftung der Bischöfe, ihre Absetzung und die Einziehung ihrer großen Besitzthümcr zum Vortheile der Krone folgte. Zu einem Stiftsamte mit Fühnen und Taasing gehört die Insel Langeland, die ihren Namen ihrer Gestalt und Längenausdchnung von gegen zwölf Meilen auf eine Breite von höchstens zwei Meilen verdankt, und im Südostcn Taasing und Fühncn deckt. Ihre Küsten erheben sich rundum zu lieblichen Hügeln; sie hat wenig Waldung, aber so ungemcln fruchtbare Triften und blumenreiche Wiesen, daß Ochlenschläger sie einen „in das Wasser geworfenen Rosenzwcig" nennt. Ihre kleine Hauptstadt Rudkjöbing, an der, im Gegensatz zu dem fast ganz geradlinigen Oststrande. eingebuchteten Westküste, hat einen Hafen, der dem Handel der Insel reichlich genügt. Einige Stunden von dieser Stadt entfernt liegt auf einer Höhe das Schloß T a-nekjär. der Stammsitz der gräflichen Familie Ahlefeldt. Die Bucht 373 Laaland und Falster. 15. Buch. westwärts von Langeland nach Arröe und Alsen hinüber ist übersäet mit kleinen, oft grotesk geformten und mit herrlichen Buchenwäldern bewachsenen Inselchen. Ein breiter Seeweg trennt Langeland östlich von der Insel Laa« land oder Lolland. Diese ist nahe an zwciundzwanzig Quadratmcilen groß und hat von Ost nach West über noch einmal so große Ausdehnung, als von Süd nach Nord. Im Westen und Nordostcn schneidet das Meer tiefe Busen; im Süden und Südosten liegen nahe ihrer Küste zwei ziemlich bedeutende Landseen. Die ganze Insel ist so ungemein niedrig und flach, daß das Meer die Küsten oft übersteigt; dessen, ungeachtet ist ihr Boden aber so fruchtbar, daß er für den productiv« sten aller dänischen Inseln gilt Dichte Eichwaldungen liefern herrliches Bauholz und Eicheln zur Mast einer bedeutenden Menge Schweine. Der Fischfang ist ergiebig, und die Jagd, besonders auf Mecresvögel, von denen die Südküstc Laalands mehr als alle andern oäni,chen Inseln bevölkert ist, lohnend und an Interesse reich. Da das Wasser der Insel aber schlecht und das Klima überhaupt nicht gesund ist, ernährt und beherbergt sie bei Weitem nicht so viele Bewohner, als sie es vcr» möge ihrer Fruchtbarkeit wohl im Stande wäre. Die Bevölkerung steigt noch nicht auf 40,000 Seelen und ist in einzelne Ortschaften und fünf Städte vertheilt, deren bedeutendste und betriebsamste Natstov an einer tief eingehenden Bucht der Westküste liegt. Die Insel enthält drei Grafschaften und drei Baronicn, die zu den reichsten des Landes gehören und als von Christian dem Fünften errichtete mit Privilegien versehene Kronlehen bei Erlöschung des Mannsstammes der Krone wieder zufallen. Einige sechszig Edelhöfe theilen sich außer ihnen in den Boden, und einige darunter zeichnen sich durch schöne Gärten und Schlösser aus. Mit Laaland bildet ein eigenes Stiftsamt die Insel Falster. Fälst er, von Laaland durch die Meerenge „Guldborgsund", die sehr schmal, aber von beträchtlicher Tiefe ist, geschieden, ist acht und eine halbe Quadratmeilc groß; sie zieht sich von Nord aus nach Süden hin neun Meilen lang und hat in ihrer höchsten Breite zwei lus drei Meilen. Die Form der Insel ist höchst eigenthümlich, indem ihre zerschnittene, viele schmale Landzungen ausstreckende Nordseite sich nach Süden ganz schniälert und in zwei noch nicht eine Viertelmcile breite Streifen Landes endet, deren westlicher halbmondförmig den östlichen umfaßt und ein« lange Bucht bildet. Hier auf dem südlichsten Punkte bildet die Insel ein ziemlich hohes und schroffes Vorgebirge. Giedser-Odde, sonst ist sie durchweg flach. Was Falstcr vorzugsweise auszeichnet, ist die große Menge Obstbäume edler Arten, die ihr den Namen des „dänischen Fruchtgartcns" zuzogen, ferner genießt sie den Vorzug 20. Kap.1 Dänische Cultur. I79 des trefflichsten Wassers, außerdem erzeugt sie, wie alle übrigen dänischen Inseln, mehr Getreide als sie bedarf und besitzt beträchtliche Heer« den und Wildprct. Die Bewohner sind in übcr hundert Dörfer, viele isolirte Gehöfte und Güter, sowie in die beiden Städte Nykjöbing an der Westküste und Stubbkjöbing an der Nordküste, beide mit genügenden Häfen und belebtem Handel, vertheilt. Da die Inseln dieses Ostseetheiles, soweit die Geschichte einen sichern Leitfaden in die Vergangenheit bildet, den Mittelpunkt des Königreichs Dänemark bildeten, ist natürlich ihre Bevölkerung auch nationaldänisch. Man spricht das Dänische mit der größestcn Reinheit in Fühnen, wo sich auch der Nationalcharaktcr im Allgemeinen noch in den interessantesten Zügen offenbart. Im Ganzen kann die Insellzevöl-kerung ihre Abstammung vom germanischen Ursprünge nicht verleugnen und zeigt sich als phlegmatischer Menschenschlag, der viele natürliche Anlagen besitzt und einen guten Seemann und Soldaten abgiebt. Gesunde Fassungskraft, Empfindung, ruhige Urtheilskraft und Ausdauer kann man ihm nicht absprechen, aber er ist zu sorglos, zu wenig thätig. Mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts trat Dänemark durch den Genius Holbergs, des Philosophen und Dichters, in die Reihe der Staaten mit einer über ibre Grenzen hinausreichcnden Bildung und Literatur; aber ein halbes Jahrhundert stand er allein. Dann traten in allen Zweigen der Wissenschaften und der Dichtkunst hervorragende Geister auf, die mit raschen Fortschritten zur ko'heren Cultur, mächtig gegen die von den Machthabern immer vermehrten und verstärkten Preßgesetze des „Danste Lov", des alten Reichscodex, ankämpften. Die von dem Ministerium Struensec 1770 verliehene vollständige Preßfreiheit hatte ihre kurze Rolle mit dem Jahre 1772, in welchem er bei seinem Sturze auch sein Leben verlor, ausgespielt. Strenge und Willkür traten an ihre Stelle, so daß die begabten schaffenden Geister entweder des Landes verwiesen wurden, oder im gerechten Unwillen verstummten. Im Anfang unseres Jahrhunderts weckte der Kampf mit den Engländern die schlummernden Kräfte in Etwas, und von Deutschland aus machte sich das neue tiefere philosophische Element im geistigen Leben Dänemarks geltend und übte gewaltigen, Einfluß aus. Baggesen und Oehlcnschläger gehören auch der deutschen Literalur. Nach einem neuen Zeitraume des Schlummerns tauchten seit «830 etwa eine ganze Reihe von Dichtern und Gelehrten jedes Zweiges auf, die namentlich die dänisch-ästhetische Literatur zu einem, jeder anderen nationalen ebenbürtigen Range erhob. Und wie dic Wis. senschaftcn haben auch die schönenKünste reiche Blüthen getrieben, und Musiker, Maler und vcrhältnißmäßig eine ungemein reiche Zahl von 380 Bornholm. P. Buch. Bildhauern verherrlichen Namen, die sich in dem Altmeister Thorwald» sen gipfeln. Das Treiben und der Verkehr der Inseln unter einander hat sich namentlich in letzter Zeit zur größten Lebhaftigkeit erhoben und steht m Harmonie mit ihrer lachenden Natur; alle Wasser und Wogen , die sie umgeben, sind mit Fahrzeugen jcdcr Größe bedeckt, die den Per« sonen- und Productenverkchr vermitteln. Die Straßen im Lande, lange vernachlässigt, können jetzt, besonders auf Seeland, als Muster von Schönheit und Brauchbarkeit angeführt werden und bieten mit ihrem reichen landschaftlichen Ncchsel ein anziehendes und heiteres Bild des dänischen Landes dar. e _________ Ehe unsere Betracbtung den dänischen Archipelagus verläßt, müssen wir unseren Blick noch auf Born Holm richlen, obschon cs sich beträchtlich von der übrigen Inselgruppe entfernt und seiner Lage und Naturcigenthümlichkeit nach zu der naheliegenden Küste Schwedens gehört. Die Insel hat die Gestalt eines Rhomboides, liegt allein von allem dänischen Ostscebcsitz in offener See unter dem 32. Grad östlicher Länge und 55, Grad nördlicher Breite. Ihr Flächenraum beträgt etwas über zehn Quadratmeilcn, die westöstliche Länge sechs bis sieben und die südnördlichc Breite drei bis vier Meilen. Ihre Entfernung von der Provinz Schonen belauft sich höchstens auf sechs Meilen, während sie von StcvnsKlint auf Seeland neunzehn und eine halbe mißt, und die Insel Rügen ihr nur acht oder neun Meilen fern liegt. Bornholm trat schon in der frühesten Geschichte des Nordens in den Vordergrund und wurde der Schauplatz eines wilden Kriegslebens, und ein Normannenhäuptling, Namens Vesct, hauste hier in vorchristlicher Zeit, den eignen und der Insel Namen in die Sagen seines Vaterlandes verwebend. Wie die heut südschwedischcn Provinzen, war auch die ihnen benachbarte Insel bis zu dem Frieden von Kopenhagen, 1660, ein steter Zankapfel zwischen Dänemark und Schweden. Aber die Bornholmcr haben treue Anhänglichkeit an Dänemark bewiesen, und obschon die Schweden unter Wrangel im Jahre 1645 die ganze Insel eroberten und dieselbe ihnen auch im Frieden zuNoeskildc, also zwei Jahre vor der endlichen Uebergabc an Dänemark, feierlich abgetreten wnrde, wußten sich die Bewohner doch selbständig der Herrschaft Schwedens zu entziehen, verjagten die schwedische Besatzung und übergaben dem dänischen Könige Friedrich III. durch Abgesandte die Erklärung, daß sie fortan nur von ihm und seinen Erben abhängig sein wollten, obschon das übrige Dänemark noch ein Wahlreich und nicht erblich beim Königs- 20. Kap.1 Bornholm. Igl hause war, wohingegen sie aber die Bedingung aufstellten, daß sie nie von der Krone getrennt werden dürfen. Friedrich bewilligte ihnen bei dieser Gelegenheit mehrere Privilegien, von denen sich unter Anderem noch heut das Recht erhalten hat, daß Bornholm in militairischer Beziehung einen eigenen Bezirk mit nur eingeborncn Truppen und Ofsi« cicren aller Waffengattungen bildet. Das Meer an den Küsten Bornholms ist der Schauplatz so man-chcr heißen Seeschlacht gewesen. Schon zu den Zeiten Harald Blaa-tands — um die Mitte des zehnten Jahrhunderts— fanden hier mehrere Seegefechte zwischen seinen Flotten und denen seines Sohnes, des nachmaligen Königs Svend Tveskjäg statt, und unter Bornholm sandte der Häuptling Iomsburgs, Palnatoke, dem König Harald den vcr« rätherischen Pfeil, der ihn, wie die alten Chroniken berichten, als er sich über ein wärmendes Wachtfeuer bog, in den Nucken traf und durch den Mund wieder herausfuhr. Im Jahre 1511 wurde ein heißes Gefecht zwischen der dänischen und hanseatischen Flotte hier geliefert; 1535 besiegte in der Grafcnfchde, die die Hansa unter Lübecks un. ruhigem Bürgermeister Wullenweber gegen Christian den Dritten zu eigenen Zwecken und, zu Gunsten Christian des Zweiten führte, Peder Skram, den man den „Wagehals des steiches Dänemark" nannte, erst eine schwedische Hilfsflottc und nahm dann noch in demselben Jahre hier zehn lübeckische Kriegsschiffe. Aber auch die Schweden errangen in diesen Gewässern mehrere Siege; so schlug in dem siebenjährigen Kriege zwischen Erich dem Vier« zehnten von Schweden und Friedrich dem Zweiten von Dänemark, am 30. Mai 1563, der schwedische Admiral Jakob Bagge, früher ein dänischer Unterthan, den dänischen Admiral Brockenhuus und nahm ihn gefangen; und in einer späteren blutigen Schlacht zwischen diesen alten Nebenbuhlern um die Ostseeherrschaft siegten gleichfalls die Schweden unter Klas Horn über die dänische Flotte unter Otto Rud und führten den Admiral, nachdem von den 900 Mann seines Flaggcnschiffcs nur 150 übrig geblieben waren, gefangen nach Schweden. In geognostischcr Hinsicht macht Bsrnholm eine entschiedene Ausnahme von den übrigen dänischen Inseln, indem hier die Grundlage des Landes Granit, und auf sechs und eine halbe Quadratmeile ihres zehnmeiligen ganzen Umfangs die schnellen Uebergängc von felsigen Einöden zu fruchtbaren Feldern es verrathen, daß hier die Bodenformation vulkanischen Ursprungs ist. Außer den kalkigen Substanzen und den Thonschichtcn, welche Vornholm mit dem übrigen Dänemark und den Inseln, die sich der deutschen Küste nähern, gemein hat, findet sich hier Sandstein, Schiefer und mehrere andere verschiedenen Ur-> sprung beweisende Steinartcn. Im nördllchcn und östlichen Theile 382 Bornholm. sd.Buch. herrschen Granit und Gneis vor, die noch 250 Fuß über dem Meeresspiegel eine felsige Hochebene bilden, welche ungefähr im Mittelpunkt der Insel im „Reiterknecht" mit etwa 800 Fuß den höchsten Punkt erleicht; im Uebrigen verräth sich auf der ganzen Insel die Uebergangsform , und es scheint Bornholm eine vermittelnde Stelle zwischen dem skandinavischen Urgebirge und dem Muschelkalk« und Sandboden Dänemarks und Norddeutschlands einzunehmen. Die Bornholmer Sandsteine sind zum Vau geeignet und soweit sie nicht auf der Insel verbraucht werden, ein in Kopenhagen gesuchter Handelsartikel. Zur Nutzbarmachung des Kalkes sind mehrere Brüche und Oefen eingerichtet, und der dunkle blaue Marmor, der auf der Insel gebrochen wird, eignet sich gut zu architektonischen Ornamenten. Der Thonarten giebt es sehr verschiedene, sowohl in Bezug auf Farbe, als auch auf Fettgehalt und Zähigkeit; man zählt mehr als fünfzehn Arten, deren sich die Industrie zu ihren Zwecken bedient. Steinkohlen finden sich in hinreichender Menge, aber man hat bisher vergebliche Versuche gemacht dieselben zu fördern und in den Handel zu bringen. Mehr als vierzig Flüßchen oder Väche durchschneiden die Insel und ergießen sich nach kurzem Lauf ins Meer. Ihre Waffer befruchten die Felder und Wiesen und liefern überdies eine große Menge wohlschmeckender Fische, wie der Fischfang auch längs der Küsten nicht weniger bedeutend ist, und nach der reichlichen eignen Versorgung noch zu einem Hauptausfuhrartikel wird. Vorzugsweise der Kabeljau ist der Seefisch des Bornholmer Handels. Das Klima von Vornholm ist trockner als das der anderen dänischen Inseln, und nach dem häufigen Vorkommen des Gleisenalters zu schließen, muß die Luft auch sehr rein sein, obschon die Einfachheit der Sitten jedenfalls ihren Einfluß auf diese Verhältnisse ausübt. Der Boden, den die Cultur schon in Angriff genommen und nutzbar gemacht hat, bringt Getreide, Gemüse, Kümmel, Flachs und Hanf hervor. Der Viehstand ist zwar sehr reich, aber die Thiere nicht schön; die auf der Insel gezogenen Pferde stehen jedoch in großem Rufe wegen ihrer Leichtfüßigkeit und Stärke. Regelmäßige Ortschaften oder Bauerndörfer giebt es auf der Insel nicht, und selbst die Städte sind ohne Form und Schick erbaut, und die Häuser scheinen nachlässig und wie durch Zufall umhcigcstreut. Längs der Küsten nähern sich die Gehöfte mitunter, sonst stehen sie einzeln und oft weit von einander getrennt. Die Bevölkerung, die in etwas hohem Grade von Insulancrstolz beseelt ist, belauft sich jeßt in Bornholm auf etwa 28,000 Seelen, von denen nur 2000 die Hauptstadt Rönne an der Westseite der Insel bewohnen. Rönne ist Sitz des Gouverneurs und im Vesih eines guten 2l. Kap.1 Bornholm. Igg Hafens, der wichtigste Punkt der Insel und mit einigen Batterien umgeben, die seine Einfahrt vertheidigen. Es steht so lange es die Jahreszeit erlaubt in regelmäßiger Verbindung mit Kopenhagen und betreibt mit eigenen Schissen Handel und Fischfang in der Nordsee. Auf der Südostseite liegt Nexöe, die zweite Stadt der Insel, in der man treffliches Bier braut, weshalb sie ein blühendes Geschäft mit den die baltische See befahrenden Handelsschissen betreibt, die gewöhnlich an der Stadt anlegen und reichliche Vorräthe mitnehmen. Svanike an der Nordost-, Hasle an der West- und Hammer auf der Nordküste der Insel sind kaum Städte zu nennen, doch ist letztere im Besitz der herrlichsten Schloßruinc Hammerhuus auf einem hohen Fels am Meere. Das dänische Territorium endet im baltischen Meere übrigens nicht mit Vornholm, sondern reicht noch etwas über zwei Meilen weiter nach Nordost hinaus, wo sich eine kleine Insel« und Klippengruppe befindet , die zusammen den Namen „Ertholmc" lErbseninscln) führt. Es sind mehr als zwanzig solcher Eilande, die vielleicht von anderthalbtausend Seelen bewohnt werden. Als Productionsorte haben diese Lieblingsaufenthaltsorte der Seehunde und der Eidergänse gar keinen Werth, wohl aber dadurch, daß sie die Nordküste von Bornholm durch einen Gürtel von Felsen und Klippen schützen, die eine feindliche Annäherung von der offenen See her sehr erschweren. Drei dieser Inseln haben eine verhältnißmäßig größere Ausdehnung, nämlich Christiansoe, Fredcriksöe und Gräsholm. Christiansoe gilt gewöhnlich als Bezeichnung für alle drei, die durch ein Fortificationssystem zu einer stark geglaubten militairischcn Position verbunden waren, welche jetzt jedoch als unnütz aufgegeben wurde. Einundzwanzigstes Kapitel. Die Kieler Bucht. Die Schlei. — Schleswig. — Hcthabye. — Eckernföhrde. — Die Kieler Bucht. — Kiel. — Fehmarn. — Die Colberger Heide. Den dänischen Archipel verlassend, haben wir, bevor wir in die eigentliche Ostsee eintreten, noch erst das Bassin zu betrachten, welches im Norden durch Laaland und die Fühnensche Inselgruppe, im Westen durch die Schlcswigschc Küste und im Süden durch die Holsteinische Küste und Fchmarn abgerundet wird und den Namen Kieler Bucht und Colberger Heide führt. Von tieferen Einschnitten oder Föhrden bietet es nur noch zwei dar. Zuerst die Schlei, die mehr einem Flusse gleicht, da sie bei sehr ge- 384 Schleswig. . 15. Buch. ringer Breite etwa fünf Meilen lang nach Südwesten und dann eine halbe Meile lang scharf nach Westen zieht. Verächtliche Anhäufungen leichten Sandes, dieVäche und Regengüsse von den benachbarten Höhen hcrabspülen, haben nach und nach den Wasserstand so seicht gemacht, daß der in früheren Zeiten lebhafte Hafen von Schleswig, der den landinnerstcn Punkt der Schlei umfaßt, bedeutender Arbeiten bedürfte, um der Schifffahrt nicht ganz verschlossen zu bleiben. Ein zwölf Fuß tiefer Canal ist aber doch nicht im Stande, Schleswig das Recht zu geben, zu den Hafenstädten der Ostsee zu zählen, worauf jedoch das in der Nähe der Ausmündung reizend liegende Städtchen Cappeln, mit zwar nur 2—3000 Einwohnern, Anspruch machen kann, da es einen lebendigen Handel mit einer verhältnißmäßig großen Menge eigener Schiffe führt und in seinen „Speckbücklingen" einen bedeutenden Handelsartikel besitzt. Die Stadt Schleswig, die einstige Hauptstadt des Hcrzogthums, während jetzt der Sitz aller Behörden in Flcnsburg ist, hat auch jene erwähltte Hufeisenform, im Orunde der Bucht und nimmt mit ihren Vorstädten eine Länge von mehr als drei Vicrtelmeilen ein. Sie hat eine sehr gesunde und außerordentlich reizende Lage, da sie sich amphi< theatralisch auf schönen Hügeln erhebt und eigentlich nur aus einer einzigen fortgesetzten Straße besteht, in der noch viele Häuser isolirt in Gärten stehen. Manche derselben tragen palastartiges Aeußcre zur Schau und verrathen durch ihren Wappenschmuck, daß Schleswig einst eine alte Residenz und Fürstenstadt gewesen. Von Gräben umgeben, in denen das Wasser der Schlei trübe hinschleicht, und durch Dämme, die dieselbe durchschneiden, mit dem Südthcile der Stadt verbunden, erhebt sich das Schloß Gottorf, die Wiege des edlen Fürstenhauses, aus dem das Brüdcrpaar Alexander und Nikolaus stammt. Das stolze Gebäude im Rolkokostyle erhielt seine jetzige Fcstungsform im Jahre 1703 von dem Herzoge Friedrich dem Vierten, dem tapfren Schlachtgenossen des schwedischen Soldatenkönigs, der bei Clissow den Heldentod fand; jetzt dient es als Kaserne. Jeder Schritt in der Stadt und Umgegend Schleswigs verräth die reiche Geschichte des Landes. Nebcrall stößt man auf Kirchen und Kapellen und in der Umgegend auf alte Burgrestc. Auf dem Hcstcrbcrge ze,gt sich die Hattersburg Erichs von Pommern; hier auch besiegte Herzog Gerhard der Große 1325 den Dänenkönig Christoph den Zweiten. Am Südufer der Schlei aber, wo 1848 der Kampf tobte, erhebt sich die alte Kirche Haddcbye, das alte Hethabye oder Haethum, die erste Kirche des Landes und vom heiligen Ansgarius selbst um 850 gegründet. Auch mitten auf einer kleinen Insel in der Schlei, dem Möven« berge, verrathen sich Trümmer, die der alten Hcrzogsresidenz Iurisburg 21. Kap.1 Die schleswigsche Küste. Igg angehören und jetzt zahllosen Mövcn zum Brüteplatz dienen, welche alljährlich im Juni durch eine allgemeine und eigenthümliche Jagd Anlaß zu einem Volksfeste geben. In dem im Nordwesten der Stadt liegenden Holze Poel braust des König Abels, des ruhelosen Brudermörders, wilde Jagd einher, denn hierhin verlegt die historische Tradition sein freilich noch unaufgefun-denes Grab und die Stelle, wo 1250 König Erik von ihm ermordet wurde. In der verbrecherischen Absicht, sich dieObermacht zu erwerben, hatte Abel mehrfach versucht seinen Bruder Erik des dänischen Thrones . zu berauben, da er aber seine Absichten stets scheitern sah, schien er die Hoffnung auf Erfolg aufgegeben zu haben. Scheinbar versöhnt trafen beide Brüder in Schleswig zusammen, Abel schlug Erik eine Spazierfahrt auf dem Meerbusen vor; die Barke wurde gegen einen Weiler geführt, wo die Könige an das Land stiegen und Abel den Leuten seines Gefolges den Befehl und das Zeichen gab, dem Waffen- und'wehrlosen Erik, der keinen Widerstand versuchte, das Haupt abzuschlagen und den blutigen Körper in den Busen zu werfen. Lange blieb er aber nicht im Genuß der durch Unthat erworbenen Macht, auch er verlor durch eine ähnliche blutige Katastrophe Thron und Leben. Auf einer Expedition, die er gegen die Friesen in Schleswig unternommen hatte, wurde er erschlagen, nachdem er zuvor schimpflichen Mißhandlungen untcrwor» fen war. Die letzte der schlcswigschcn Ostseebuchtcn ist die von Eckernföhrde, von zwei Meilen Länge und einer halben Meile Breite und einer Tiefe von fünf bis zwölf Faden, so daß die größten Kriegsschiffe bis dicht an die Stadt hineinsegeln können. Hierauf fußend, gingen im Jahre 1849 das Limenschiff Christian der Achte von 84 Kanonen und die Fregatte Gefion bis dicht an die Stadt hinan. Unvorherzusehende Unglücksfälle, Windumspringcn und gegenseitige Behinderung ermöglichten es einigen schwachen Landbattericn, den Christian den Achten in die Luft zu sprengen und die Gefion zur Streichung des Danebrogs zu zwingen. Die südlichste Bucht, die durch ihre Lage auf der Grenze von Schleswig und Holstein zugleich politisch wichtig ist, schneidet weit nach Südwestcn ins Land, als tiefer und weiter, den größten Schiffen zugänglicher, von malerischen Höhen umgebener Busen. Ihre Mündung wird durch eine vom nördlichen Schleswiger Ufer stark hcreinschießendc Landzunge verengt, und um den Schutz, den sie acgcn Wind und Wetter bietet, auch gegen Menschen zu stärken, wurde auf derselben die kleine Festung Friedrichöort angelegt. Ihr Gründer war Christian der Vierte, der seine Absicht durchzuführen wußte, trotz des laut erhobenen Widerspruchs der Gottorfer Herzöge, die mit Rccht darin ein beabsichtigtes 386 Kiel. l5. Buch. Mittel zur Sperrung des Kieler Hafens sahen. Auf holsteinischer Seite wird sie von einer Seebatterie Laböe unterstützt. Die Wichtigkeit der Kieler Bucht ist nie den wachsamen Augen ihrcr Territorialbesitzer entgangen, und lange, bevor die Eisenbahn sie in directe Verbindung mit Hamburg setzte, eröffnete eine Erweiterung und Verlängerung der Eider bis in dieselbe die Wasserstraße zwischen Nord- und Ostsee. BeiHoltenau mündet der vier und eine halbe Meile lange, von West direct nach Ost gehende Canal, der in den Jahren von 1777 bis 1784 für 3 Millionen Thaler Courant erbaut wurde. Im Jahre 1644 war die schwedische Flotte in der Kieler Bucht eingeschlossen und der dänische Admiral Peder Galt beauftragt, sie zu bewachen. Er ließ sie jedoch entschlüpfen und mußte dafür mit dem Leben büßen. Hier schiffte sich auch im Jahre 1658 der schwedische König Karl X. Gustav mit 9200 Mann ein, und hier versammelten sich in neuester Zeit die stolzen Geschwader Englands und Frankreichs vor ihrcn rühmlosen Jagden nach russischen Fischerfahrzeugcn. Eine wenig ruhmvolle Erinnerung für die Geschichte Dänemarks knüpft sich auch an die Stadt Kiel, durch den Frieden, den Dänemark hier am 14. Januar 1814 mit England und Schweden schloß und wobei es Nor» wegen verlor. Die Stadt ist ein eigenthümliches Gemisch von kleinstädtischem Wesen, etwas alten deutjchcn Hansaresten und neuem heiteren, zu-kunftverheißcndcn Leben, hauptsächlich durch die das Meer wie einDeich umfassende Eisenbahn und ihrcn Anhang an Gebäuden, Fabriken?c., und eine Zahl von Dampfschiffen, die den Personen^ und auch einigen Waarenverkehr als Speditionshandcl über die ganzeOstsee vermitteln-, die selbständigen Handelszweige sind wenig vertreten.' Die Altstadt, an einem schmutzigen, ficthartigcn Meerbusen mit Brackwasser, der sie als Halbinsel umschließt, erbaut, und der alte Markt mit interessantem, gothischem Rathhause und eine alte Klosterkirche. die das einzige bekannte Grab eines Fürsten des edlen Schauenburger Hauses, Graf Adolph des Vierten, des Siegers von Bornhöved, der hier als Franziskaner-Mönch sein selbstucrleugncudes Leben beschloß, 'm ihrcn Mauern birgt, rcpräscntircn dic alte Holstcngcschichtc., Das Schloß am Nordende der Stadt in seiner jetzigen Gestalt durch Kaiserin Katharina die Zweite unschön erbaut, diente als Residenz des Gottorfcr Hauses, nachdem es aus Schleswig vertrieben war, blieb bis zum Austausch Sitz der Regierung für den großfürstlichen Antheil von Holstein und ist jetzt vom Herzog Karl von Holstein-Glücksburg und seiner Gemahlin, der, Tochter König Friedrich des Sechsten von Dänemark bewohnt. In seinen wissenschaftlichen Sammlungen und seiner im Jahre 1665 vom Herzog Christian Albrecht gestifteten Universität ruht die eigentliche 21. Kap.) Das Land Oldenburg. 387 Bedeutung Kiels für die Herzogthümer, in welche Ende des vorigen Jahrhunderts, durch die Fülle von bedeutenden Geistern, die sich in Holstein und dem nahen Hamburg geschaart, das geistige Streben und deutsche Gemüthsleben geflüchtet hatte und in dem unter dem Scepter des Königs von Dänemark stehenden Lande gastliche Aufnahme und Unterstützung fand. Etwas östlicher als die Kieler Bucht schneidet ein nicht unbedeutender Busen von großer Tiefe in der Nähe der alten, ursprünglich noch slavischen Stadt Lütjenburg in die Küste; ihren jetzt unbedeutenden Hafenplatz beabsichtigte Christian der Vierte mit richtigem Scharfblicke einst in eine große Stadt umzuwandeln. In einer eigenthümlichen Art nach Nordost hinausspringend trennt sich das Land Oldenburg vom übrigen Holstein und sendet seinerseits eine schmale Landzunge in gleicher Richtung nach Fehmarn zu. Die nach Nordwest fließende Bräkau und ein nach Südost gerichteter künstlicher Graben, der sie mit dem in die Ostsee mündenden Gruber See verbindet, macht dieses Land Oldenburg gleichfalls zu einer Insel und zwar zu der interessantesten dieses Ostseetheils, da auf ihr der Hauptsitz des wendisch-wagrischen Reichs lag. Oldenburg selbst heißt nichts anders als die „alte Burg", „Stari-grad" (Stargard), und die Gegend um die Stadt mit ihrem riesigen Burgwalle und dem seit 1590 in prächtigen Ruinen liegenden Schlosse, beut die interessantesten Alterthümer früherer slavischer Cultur, und auch das Christenthum fand hier eine frühe Statte und zeigt die Reste seiner Wiege; schon im zehnten Jahrhundert ward hier das später 1163 nach Lübeck verlegte Bisthum, errichtet. Das jetzt versandete und wasserarme Flüßchen Bräkau und der von ihm durchströmte Westsenker See war ehemals schiffbar und bildete einen Hafenort, in den die Schiffe bis dicht an die alte Burg zu kommen vermochten. Die Halbinsel unterscheidet sich übrigens merkwürdig vom anderen Holstein, indem sie eine von demselben ganz abweichende Flora und so gut wie gar keine Waldung hat. Ihre Küsten sind sandig und an ihnen, wie im Innern des Landes, wird, Bernstein gefunden. An der Nordseite liegt die Stadt Heiliqenhafen mit einem leidlichen Hafen, in baumloser, unaussprechlich kahler Umgegend, die am reichsten von allen Landestheilen an Alterthümern ist und Hunderte von Ricsenbctten und Hünengräbern noch unaufgcdcckt im Umkreise von einer halben M^ile von der Stadt birgt. Die sogenannte Colberger Haide, eine nackte und von Häfen entblößte Landzunge, die mit der heiligend, afener und westfehmarnschen Küste eine weite nach Westen geöffnete halbmondförmige Bucht bildet, führt hinüber zu der Insel Fehmarn, die zu Schleswig gehört und nur durch den schmalen, unreinen und durch wechselnde Tieft unsichren Sund vom Festland getrennt wird. Die Insel ist etwa drciundcindrittel 25' 388 Die Insel Fehmain. 15. Buch. Quadrat-Meilen groß und hat 8000 Bewohner theils wendischen Stammes, theils deutscher Colonisten, die ausDitmarschen nach der gräßlichen Verheerung im Krieg gegen Holstein durch den Unionskönig Erik, der aus Reue in Wahnsinn verfiel, hier einwanderten, und bewahrt vieles Eigenthümliche an Sitte, Sprache und selbständiger Verfassung. Der Hauptort ist die Stadt Burg mit dem ehemals besuchten Hafen, die Burger Tiefe, der jetzt verschlammt ist, doch in neuerer Zeit wieder verbessert wurde und dabei zur Entdeckung großartiger Hafcnbauten aus alter Zeit fühlte; an ihm liegen auch auf einer Landzunge die Ruinen des alten Hauptschlosses der Insel, Glambcck. Ein besserer Hafen ist im Westen bei den wohlhabenden Schifferftecken Orth und Lemkenhafen, welcher letztere im Mittelalter eine durch Kornhandel nicht unberühmte Stadt war. Auf dem nordöstlichsten Punkte, von wo die Ueberfahrt nach der Insel Laaland stattfindet, steht bei Puttgaarden ein schöner, hoher Leuchtthurm, die Marienlcuchte. Fehmarn ist wie die Insel Alsen eine sehr wichtige militärische Position, die einem rechtzeitig detachirten Corps Gelegenheit giebt, im Rücken einer in Schleswig vordringenden Armee zu operiren. Die Colbcrger Haide ist von einigen der berühmtesten Seeschlachten der nordischen Geschichte Zeuge gewesen. Hier schlug im Jahre 1644 König Christian der Vierte nach zehnstündigem Kampfe die schwedische Flotte, obwohl der siebenund« sechszigjährige König im Kampfe sein rechtes Auge verlor und außerdem noch verwundet wurde; im Jahre 1677 siegte hier Niels Iucl vollständig über den schwedischen Admiral Sjöblad, und 1715 vernichtete Admiral Gabel eine große schwedische Flotte, bei welcher Gelegenheit Peder Wessel, später als Admiral „Tordenstjold" berühmt, den schwe« bischen Admiral Wachtmeister bei Bull gefangennahm, an demselben Ort, wo im Jahre 1850 die damalige schleswig-holsteinische Marine ihre jungen Kräfte gegen das dänische KriegsdampfschiffHekla versuchte. Sechstes Buch. Die südlichen Gestade. Zweiundzwanzigstes Kapitel. Die Lübecker Bucht und die Mecklenburgische Küste. Ciömar. — Travcmimde, — Lübeck. — Der Glanz der Hansa. — Die Küste bis Stralsund. — Dobberan und der. heilisse Damm. — Insel Poel. - Wismar. — Rostock. Von der Südbucht des sandes Oldenburg ab wendet sich die Ost-sceküste in scharfer Richtung nach Südwesten, als der tiefe und breite Meerbusen von Lübeck. Die nördliche, holsteinische Küste bietet durch Fruchtbarkeit und Waldreichthum den lieblichsten Anblick dar, den man irgendwo genießen kann. Bei Cismar schneidet eine kleine Bucht tief in das Land ein und verbindet sich mit den süßwafferreichen und waldigen Partien dieses ehemals berühmten Cistercienscrklosters, das noch viel Sehenswerthes bietet, zu dem sinnigsten Park, den der schaffende Geist eines Gartcnkünstlers kaum annähernd wiederzugeben vermag. Die Klosteibucht ist in der Blütezeit der Lieblingsaufcnthalt wilder Schwäne, die hier zahlreich gejagt werden. Die ganze Küste ist fortan mit hübschen kleinen Gehöften bestreut, die sich terrassenförmig an dem Ufer erheben, bis sie sich zu der nicht unbeträchtlichen Ortschaft Neu. stadt sammeln, die einen guten und geräumigen Hafen hat, weshalb dort ein nicht unbedeutendes Korngeschäft blüht. Die Stadt ist alt, war früher Festung, hieß ehemals Nyenkrempen und erhielt schon um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts Lübisches Recht. Mit ähnlichem Charakter geht von Neustadt aus die Küste bis Hafkrug, einem geschätzten Badeort, in derselben Richtung, wendet dann aber nach Südost zur Mündung der Trave, eine besondere, schmale und untiefe Bucht noch weiter nach Südwest bis Dassow hineinsendend, die in früherer 390 ' Lübeck. l6. Buch. Zeit wichtiger und der Aufenthalt der berühmten Lübecker Flotte war, und noch heute ihre Trümmer auf ihrem Grunde bergen soll. Lübeck, die freie Stadt, liegt ein paar Meilen aufwärts des schiffbaren Travestüßchens in mähiger Höhe und hat als Hafenort den Flecken Trave münde, der zugleich ein beliebtes Seebad ist und im Sommer von Besuchern der Umgegend wimmelt, die sich des Küstenlebens erfreuen Im Winter steht das Oertchen wie die ganze, durch reiche Cultur ausgezeichnete Ufergegend der Trave mit ihren Hunderten von Land-und Gartenhäusern leer und wird nur von Fischern und Lootsen, die der Bedienung des Lcuchtthurms obzuliegen haben, bewohnt. Lübeck selbst, obschon seiner alten Größe, als Haupt des Hansa-Bundes, völlig baar, besitzt doch noch immer einen beträchtlichen Transito-Handel, reiche Bürger und strotzt von augenfälligen Erinnerungen an seine verlorene Größe. Da der ganze finnische Handel und überhaupt der russische Pro-ductenumsaß in seinen Händen ruhte, litt Lübeck am bedeutendsten unter dem Kriege, der das brittische Doppelkreuz und die kaiserliche Tricolorc diesen harmlosen Handel mit seiner ganzen Macht zerstören ließ. In den letzten Jahren lag daher der Hafen fast ganz todt und beschränkte sich das Leben darin lediglich auf die Passagier-Dampfschifffahrt. Das Sein und Aussehen der Stadt trägt noch ganz den gemüthlich breiten Charakter deutschen Mittelalters; historisch gewordene Verbindungen, Häuser, alt, luftig und malerisch, mit den Giebeln der Straße zugewendet, Kirchen mit Thürmen und Spitzen außerhalb der Lothrcchten, reich verzierte Faeadcn und Holzschnitzeleien und Reste feudaler Befestigungen verleihen allen Straßen ein besonderes Interesse. Der Dom, mit Fresken, einigen trefflichen Gemälden aus der alten deutschen Schule von Meister Hemling und reichen Gräbern der Lübecker Patrizier und Bischöfe, die Marienkirche mit zwei riesigen Glockenthürmen und dem höchsten, 132 Fuß hohen SchiffDeutschlands, sind beides rein gothische Bauwerke des zwölften Jahrhunderts. Letztere enthält außer einem sinnigen Todtentan;, der beliebten deutschen Satyrc über die Eitelkeit alles menschlichen Wesens, und der künstlichen Spielerei, die mit dem Glockenschlage Zwölf auf einer riesigen Uhr die zwölf Apostel hervortreten und einen Umzug halten läßt, kostbare Kunstwerke Tischbeins und Ovcrbecks, den die Pietät für seine Geburtsstadt die Stätte des kalten protestantischen Gottesdienstes mit den warmgefühlten Erzeugnissen seiner convertirten Kunst schmücken ließ. Das Rathhaus, wenn schon es durch moderne Restauration etwas entstellt ist, bleibt dennoch eins der schönsten thurmartigen Bauwerke des gothischen Styls aus dem fünfzehnten Jahrhundert; in dem jetzt leider in mehrere Stockwerke getheilten , aber noch immer durch Malerei und Schnitzwerk ausgezeichneten Audicnzsaale versammelten sich einst die Deputirtcn der 22. Kap.) Früherer Glanz. 391 fünfundachtzig Hansastädte zu ihren Versammlungen. Jetzt tagen die Stadtbehörden darin, die mit Zähigkeit an den alten Formen kleben und das Gedächtniß an ihre frühere Wichtigkeit aufrecht erhalten, durch Bewahrung eines taum noch verständlichen Amtsstyls und ihrer hoch« trabenden Titel. Vier alte Thore der Befestigung waren bis vor Kurzem noch erhalten, dem Sinn der Neuheit und seinem so häufig gegen histovischcKunstschätze barbarischenRepräsentanten, demNutzgcist,mußte das schönste derselben. das „Holstenthor", zur Anlage einer Eisenbahn und eines Bahnhofes weichen. Auch das Flußbett. der Hafen und die riesigen Wälle der alten Befestigung wurden von den schmalen Schie« ncnsträngen verdrängt und in andere Richtungen gewiesen; letztere sind schon seit längerer Zeit zu anmuthigen Anlagen umgewandelt worden. Die Einwohnerzahl Lübecks nähert sich jetzt kaum 30,000 Seelen Gegründet wurde Lübeck vom Grafen Adolph dem Zweiten von Holstein, etwa um die Mitte des zwölften Jahrhunderts. Bald darauf wurde es Heinrich dem Löwen, dem Sachsenherzoge, überlassen, der es mit Wällen umgab, die Behörden einsetzte, Handelsprivilegien vcr« lieh und das berühmte „Lüb'schc Recht" gründete, einen Codex, den später viele andere Städte als Muster annahmen. In der Folge mußte sich die Stadt den Dänen unterwerfen, 1226 aber erhoben sich ihre Bürger, vertrieben ihre dänische Garnison und stellten sich unter den Schutz des Kaiser Friedrich des Zweiten, der ihre Privilegien bestätigte und Lübeck zur freien deutschen Reichsstadt erklärte. Aus dieser Periode datirt sich ihr schnelles Wachsthum an Macht und Wichtigkeit für den Handel, und bald war sie das Haupt-Emporium baltischer Regsamkeit. Sie ergriff die Zügel des Hansabundes, und es erkennend, wie es in einer Zeit, in der die See noch durch Piraten unsicher gemacht wurde, von größter Wichtigkeit war, eine sichere Landverbindung zwischen der Ostsee und Nordsee zu besitzen, durch deren Vermittelung die lange und schwierige Sundpassage vermieden werden konnte, verkündete der Magistrat von Lübeck schon 1304, in einer Zeit wo Wegewesen und Sicherheit im Norden Deutschlands noch indeiKindheit lag, daß er auf städtische Kosten zweiunddrcißig Reiter halten und gegen gewisse Abgaben zum Schuy der Handelsleute und ihrer Waaren, diesen das Geleit nach Hamburg übertragen werde, wobei auch letzteres es mit acht Reitern unterstützen wolle. Ferner führte er Gleichheit des Geldes, Maßes und Gewichts mit Hamburg ein. In dem Hansabund wußte Lübeck sich stets eine Auszeichnung auch vor den anderen Kreis-Hauptstädten zu bewahren; sein Rathhaus führte das Archiv und in ihm versammelten sich fast immer die Deputirten, und der regierende Bürgermeister der Stadt, der Vorsitzende im Hansarathe, hatte die Hauptleitung der Geschäfte auch in dcn Bundesangclegenhcitcn, für die gß2 Die Mecklenburgische Küste. l6. Buch. Zeit in der die Versammlung nicht tagte. Daß um die Mitte des vie:-zehnten Iahunderts die Pest des schwarzen Todes ihr achtzigtauseud Bürger rauben konnte, ohne sie auf die Hälfte zu reduliren, und daß zwei Jahrhunderte später, 1530, zwischen fünfzig- und sechszigtausend waffenfähige Bürger gezählt wurden, setzt eine Bevölkerung von min, destens zweimalhunderttauftnd Seelen voraus. Der Verfall Lübecks ging gleichen Schritt mit dem des Hansabundes und rührt von dem Fortschritt der gesellschaftlichen Verhältnisse im Allgemeinen her. Die lehte, dem gänzlichen Untergange des alten Bundes vorausgehende Zusammenkunft wurde 1630 noch in Lübecks Mauern gehalten, doch war die Mehrzahl der Deputirten hauptsächlich nur zu dem Zwecke erschienen, ihren förmlichen Rücktritt von demselben anzuzeigen. Der Name lebt noch durch den auf dem Wiener Congreß Lübeck, Bremen und Hamburg zuerkannten Titel Hanseatische Republik des deutschen Bundes. Die deutsche Küste von Lübeck ab bis Stralsund ist in ihrer großen Ausdehnung niedrig, sandig und mitSteingcröll bedeckt, welches größere und kleinere Fragmente von Pyriten, Jaspis, Porphyr und Granit enthält. An einzelnen Stellen formen diese, offenbar von den benachbarten standinavischen Gebirgen losgerissenen Gerölle eine förmliche Art von Dämmen. Der höchste und ausgedehnteste ist der von Dobbcran, welcher den Namen „heilige Damm" führt, den die Sage mit der Gründung der herrlichen Bencdictincrabtci Dobberan in Verbindung bringt, deren noch erhaltene rein gothische Kirche eins der schönsten Baudenkmäler am baltischen Strande ist. Der Damm besteht aus einem bunten Gemenge der mannigfachsten Granitbrocken, die in verschiedenen Größen und Farben, von der wogenden See abgerundet und je» der scharfen Ecke beraubt, geglättet und oft glänzend polirt sind. Unzweifelhaft scheint das Ganze ein Werk von Menschenhänden. Die Länge des heiligen Dammes beträgt fast eine halbe Meile, die Breite nahe an dreißig Fuß und seine Höhe zwölf bis sechszchn Fuß. Mehrere größere und kleinere Inseln liegen der Küste vor, doch so nahe, daß sie nur durch schmale Straßen und Baien von ihr getrennt sind. So die Insel Poel in einer Bucht, die sich ziemlich tief nach Süden fast in der Form eines Dreiecks, an dessen Spiße Wismar liegt, nach Mecklenburg hineinzieht; sie ist ein kleines, flaches Eiland, dessen üppige Fruchtbarkeit es zu einer wahren Kornkammer stempelt und auf einem kleinen Flächenraum fünfzehn Dörfer mit reicher Bevölkerung zusammendrängte. Auch von einer mehr östlichen, der „Barther Bin-nenbuchl", welche die Küste vielfach auszackt und eine nach Nordost gerichtete schmale Landzunge von ihr trennt, liegt eine gleichfalls schmale und flache Insel, Zingst, mit fruchtbarem Boden und mehreren Dörfern. Außer diesen beiden Buchten schneidet eine kleinere bei der Warne- 22. Kap.) Wismar. Rostock. 393 mündung, dem eigentlichen Hafen Rostocks, und eine bedeutendere, die DassowerSee, bei Travemünde in das Land ein. Letztere, sich seit einer geraumen Zeit immer mehr verflachend, nimmt eine südöstliche Richtung und ihr Brackwasser bildete einst den Lübecker Flottenhafen. Mecklenburg hat zwei Häfen, unter denen der westliche, Wismar, in der erwähnten Bucht allen Fahrzeugen guten Schutz gewährt, aber durch Versandungen leidet. Die Stadt ist im mittelalterlichen Style erhalten, mit Mauern und Gräben, die in Promenaden verwandelt sind, umgeben und treibt einen lebhaften Seehandcl. Von 1648 bis 1803 gehörte Wismar zur Krone Schweden, ward aber schon 1803 auf hundert Jahre an Mecklenburg verpfändet und ist bald darauf ganz in den Besitz desselben übergegangen. Rostock ist, obschon nicht die Hauptstadt des Landes, entschieden von der größten Wichtigkeit und übertrifft Schwerin auch m der Einwohnerzahl. Sein eigentlicher Hafen ist zwei Stunden oberhalb bei Warnemünde. Die Stadt ist alterthümlich gebaut, mit alten Be, festigungswerken umgeben. Unter ihren Baulichkeiten zeichnet sich der Petrithurm wegen seiner luftigen Bauart und beträchtlichen Höhe aus, und die Marienkirche hat gute Gemälde, eine astronomische Uhr und anderen werthvollcn, mittelalterlichen Kirchenbesitz; in ihr fand die sterbliche Hülle des berühmten Grotius ihre Ruhestätte, bis sie nach Delft in Holland versetzt wurde. Nachdem er Schweden verlassen, trie, ben ihn Stürme im baltischen Meere hin und her und nöthigten ihn endlich hier seine Zuflucht zu nehmen. Die Ermattung, in welche ihn die Seekrankheit, Anstrengung und Angst, die Wuth der Winde und des Regens versetzt hatten, war aber so groß, daß er nach wenigen Tagen sein Leben in einem Eckhause am Markte schloß, das noch heute als Sehenswürdigkeit dem Besucher Rostocks gezeigt wird. Die Universität ist die einzige der beiden mecklenburgischen Herzogthümcr und schon 1419 begründet, aber im Ganzen wenig besucht, obschon sie ganz tüchtige Lehrkräfte und in einer 80,000 Bände starken Bibliothek, Cabinetten, Museum und botanischen Garten gutes Hilfsmaterial besitzt. Wallenstein machte sich in der kurzen Zeit seiner Herzogsschaft um sie verdient, indem er den berühmten Astronomen Kepplcr an dieselbe berief. Der Blücherplatz, mit dem ehernen Standbilde Blüchers, ver-herrlicht das Andenken an die 1742 hier erfolgte Geburt des Helden« marschalls. Noch jetzt hat Rostock aus älterer Zeit herstammcnde große Vor, rechte, unter anderen die Führung einer eigenen Flagge und das Münzrecht, welches der Rath der Stadt durch die Prägung von „Witten", einer kleinen kupfernen und silbernen Scheidemünze, aufrecht erhält, während die übrigen Münzen in Schwerin geschlagen werden. 394 Rügen. l6. Buch. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Die Pommersche Küste und Rügen. Beschaffenheit der Knste. — Rügen. — Natnl'gcschicbte Nilgens. — Stral- sund. — Greiftwald. — Usedom und Wollin. — Das Haff, — Stettin. — Swinemünde. — Colberg. — Cöslin. Wo der Grenzfluß Recknitz in die Bartber Bucht mündet, liegt der erste preußische Hafenort Dammg arten mit einem alten Schlosse. Die preußische Küste wendet sich ostwärts von der Insel Ziugst scharf nach Südost bis zur kleinen Bucht von Eldcna, dann nach West bis zur Mündung der Peene. In diesen Gegenden wird die Schifffahrt um so schwieriger, als die Wasser, schon an und für sich vielfach untief, noch durch leicht bewegliche Sandmassen auf dem Boden des Meeres und der nahe liegenden Küste sehr oft verändert und die Einfahrten der Häfen daher vom Wind und Wetter abhängig werden und mitunter so versanden, daß ihre Wiedereröffnung kostbare Arbeiten erfordert. Die Meeresbewegung is: überdies hier so heftig, daß die stärksten Dämme, die festesten Molen in der kurzen Zeit von wenigen Stunden verrückt und zerstört weiden können. Je weiter nach Osten hin, je mehr nimmt diese Gewalt der Wogen zu, und die Anstrengungen, welche die preußische Regierung mehrere Decennien hindurch machte, um den Hafen von Swincmündc gegen diese Verheerungen zu schützen, haben doch immer nur zu theilweisen Erfolgen geführt. Nur durch einen kaum eine halbe Meile breiten Sund, die Straße „Gellen", von dem Festlande getrennt, liegt diesem Küstenstriche die größte deutsche 17 Quadratmeilen umfassende und 30,l)(W Bewohner zählende Insel Rügen vor. Ihre Umrisse sind höchst unregelmäßig und senden Vorsprünge und Ausläufe aller Art in das Meer hinein, während tiefe und seltsam geformte Einschnitte im Norden und Westen und weite Buchten im Osten die heftige Arbeit der Wogen in dieser Gegend bekunden. Mehrere Inselchen umgeben sie in größerer oder kleinerer Entfernung und längs aller ihrer Ufer erheben sich Dünen in reicher Zahl. Das baltische Meer bietet wenige so malerische und anziehende Anblicke als die Insel Rügen dar. Massen von Felsen, im blendendsten Weiß der Kreide, an ihrem Fuße mit einem smaragdenen Saume frischer grüner Büsche umgeben, erheben sich unmittelbar aus der dunkelfarbigen See; sie sind stellenweise fast regelmäßig in Pyramiden und Säulen zerschnitten, so daß sie den Ruinen eines riesigen Tempelbaues gleichen. Nur an der Nord- und Nordwcstseite zeigt sich diese Formation, während der Südtheil der Insel sich der ihm nahen pommerschen Küste an- 23. Kap.I Gestalt und Theile. 395 schließt. Die Insel zerfällt in den eigentlichen Kern oder Rügen und die im Osten derselben befindliche, in verhältnißmäßig geringer Breite sich von Süd nach Norden ausstreckende Halbinsel Iasmund.; nach Südcn hin hängt sie mit dem eigentlichen Rügen durch die „schmale Haide," cine mit Seckieselsteincn und dergleichen bedeckte Landenge, zusammen, und im Norden geht halbmondförmig nach Nordwesten zu ein Erdfaden, „Schabe" genannt, der an manchen Stellen so schmal ist, daß den auf seinem Dünensande fahrenden Wagen auf der einen Seite der Schaum der Wogen des Tromper Wiek und auf der andern des Iasmunder Boddens entgegensprißt, und verbindet sie mit der Halbinsel Wittow, die wieder einen Kern mit drei Auslaufen bildet, deren einer nach Nordost, die beiden andern aber parallel nach Südcn zichcn, denen sich ähnliche von dem Nordrand des eigentlichen Rügen entgegenstrecken. Im Südostcn ragt eine breitere Halbinsel „Mönkgut" in die weite Putbuser Vucht hinein. Die größte Längcnausdebnung dieser so bunt geformten Masse betrag! elf bis zwölf Meilen von Süd nach Nord und die Breite zehn Meilen in westöstlicher Richtung. DerBoden ist durchweg hügelig und cr-hebt sich an mchrercn Stellen zu nicht unbeträchtlichen Höhen, und die als waldiges Bcrgiand im Meere thronende Halbinsel Iasmund endet in ihrer nordöstlichen Spihc, bei Stubbenkammer, mit einem imposanten Vorgebirge. Es besteht aus Kreidefelsen, die von einer unabschäßbaren Masse von Muschel- und Korallenresten durchsetzt sind. Die einen sind ganz nackt und spiegelblank, die anderen mit üppigem Grün bekleidet. Eine Schlucht zwischcn zwci Pfeilern, die durch eine zerklüftete Krcide-wand gebildet sind, zerschneidet das Vorgebirge in Groß- und Klcin-Stubbenfammer. Der höchste Punkt des grotesken Felsens Groß-Stubbcntammcr heißt der „Königsstuhl" und eine «00 Stufen zählende Treppe führt zu seinem 409 Fuß hohen Gipfel. Das Plateau der Halbinsel selbst ist mit herrlichstem Buchcn- und Eichwald bestanden und heißt die Stubnitz. Inmitten eines starkstämmigcn, dichtbelaubten Buchcnhaines, von Hügeln umgeben, in dcncn Aschcnurnen und Todtengebeine, oft von merkwürdiger Größe, ausgcgrabcn wurden, dehnt sich ein ovalgcformter Lands« aus, dessen düstre grünschwarze Färbung ihm eine Romantik verleiht, die den Gefühlen des Aberglaubens, mit denen ihn die Landlcute Rügens noch heute betrachten, eine genügende Erklärung giebt. Man sagt sich unwillkürlich, wenn man ihn betrachtet, daß hier der Aufenthalt irgend eines alten Häuptlings der Rugier gewesen sein muß. Unweit des Sees selbst zeigt sich auch ein unbedingt von Menschenhänden errichteter Hügel, der von einem Steinwalle umgeben, und dessen höchster Punkt den Spiegel der See 490 Fuß überragt und in dessen Nähe ein großer Granitblock, roh beHauen und mit einer 5 Zoll tiefen Vlut-Rmnc verschon, ihn als Opferstcin verräth. 396 Rügen. 16. Buch. Von einer Burg oder einem Hcrthatempel, der auf diesem Hügel gestanden haben soll, finden sich aber keine Spuren mehr, nur die Aeste und Zweige der uralten Buchen berühren diese Monumente vergangener Jahrhunderte. Die Halbinsel Wittow endet gleichfalls mit einem Vorgebirge, das in einen bedeutend niedrigeren, nur 173 Fuß hohen Kalkfclsen ausläuft, auf dessen Spitze ein von Schinkcl erbauter schöner Leuchtthurm, ein menschenfreundliches Geschenk Friedrich Wilhelm des Dritten für den hier oft bedrängten Schisser, den nördlichsten Punkt deutschen Bodens bezeichnet, der hier, traurig genug, nur aus Dünensand mit maigrüncm Strandhafer und Binsen bewachsen, besteht. Acht Meilen weit leuchten die siebenzehn Revcrbcren der mächtigen Laterne des Thurmes, von der man die Insel Hiddensee und das weite Meer überblickt und bei klarem Wetter selbst Möen schimmern sehen kann. Unweit Arkona erhebt sich auf Wittow der Rest der „Iaromars - Burg," ein alter ringförmiger Wall der zu den Wcndenzeitcn berühmten Festung der Insel. Im Innern, wo jetzt ein Kornfeld seine Aehren lieblich wogen läßt, stand der hochgeschätzte Svantewittempcl, der II (,8 durch den Eifer des Königs Waldemar des Ersten zerstört wurde. Die kreidige Beschaffenheit des Bodens herrscht nur auf Iasmund, der Kalk hier in der äußersten Spitze Wittows vor. sonst ist der Boden eine Abwechslung von Sand, Thonschichten und Kicsellagern, und un-gcmcin fruchtbare Erde. Hier und dort finden sich in dem Sande, selbst in den Dünenstrichen und unfruchtbaren Haiden, große Granitblöcke und die ganze Nordküste ist vorzugsweise mit Feuersteinen in sonderbaren barocken Gestalten, mit Muschel-Versteinerungen und koralligcn Massen, Jaspis-, Basalt- und Porphyrstückcn bedeckt. Zu Bergen erhebt sich noch die waldige Gegend der Granitz an der Ostküste des eigentlichen Rügens und die Umgegend der Stadt Bergen, wo der Rugard, eine 840 Fuß über dem Meere erhobene Anhöhe, auf welcher vor Zeiten die 1316 zerstörte Burg der Rugier - Fürsten gestanden haben soll, den höchsten Punkt der ganzen Insel bildet. Der Boden Rügens ist von so ausnehmender Fruchtbarkeit, daß er alle Getrcidearten, Gemüse und Nutzpflanzen im Uebermaße hervor-bnngt; der herrlichsten Waldungen gedachten wir schon und die Viehzucht ist, durch hinreichende Weiden unterstützt, in gutem Zustande. Das Meer und die Bäche der Insel sind reich an Fischen, so daß der Fang derselben neben der Landwirthschaft einen Hauptnahrungszweig abgiebt; in guten Jahren erscheint namentlich der Häring so zahlreich, daß ein Wall, 80 Stück, im rohen Zustande zweiundeinhalb Silbergroschen kostet. Die Halbinsel Wittow ragt noch über die anderen 23. Kap.) Bevölkerung und Ortschaften. 397 Gegenden durch Fruchtbarkeit hervor und man rechnet dort auf den sechszehn- bis zwanzigfachen Kornertrag. Bei solchen Vorzügen des Bodens ist es natürlich, daß trotz des starken Druckes, unter dem der Ackerbauer hier lange schmachtete, doch seit einer geraumen Zeit ein allgemeiner Wohlstand auf der Insel herrscht. Die Mehrzahl der Landbewohner sind in Rittergütern oder Bauerdörfern vereint, deren einige beträchtliche Ausdehnung haben und die mehr Reinlichkeit, Ordnung und Geschmacksausbildung verrathen, als sonst in manchen norddeutschen Dörfern zu finden ist. Ihre Zahl beläuft sich auf mehr als 500 und in vielen sind gut gebaute Adels-schlöffer und Herrenhäuser. Das mächtigste und interessanteste ist das des preußischen Standcsherren Fürst Malte Putbus, mit dem das alte gräfliche Geschlecht gleichen Namens, das seine Abstammung von den heidnischen Herrschern der Insel ableitete, vor wenigen Jahren im Manncsstamme erlosch. Es ist ein im italienischen Styl ausgeführtes Gebäude, das viele Kunstschätzc in alten und neuen Gemälden, Werken von Thoiwaldscn, Rauch ?c., Alterthümern und Raritäten birgt, aber noch höheren Werth durch seine Lage an einer reizenden, mit hohen waldbewachsenen Ufern umgebenen Bucht empfängt. Eine Capelle aus dem Ende des sechszehnten Jahrhunderts hängt mit dem Schlosse zusammen, dessen Aussicht so ist, daß sich im Norden Deutschlands kein Fürstensitz mit ihm vergleichen läßt. Ein Flecken, mit allen Annehmlichkeiten die fürstliche Munisicenz zu verleihen vermochte, wie ein Pädagogium, gute Bibliothek, Theater und eine Seebadeanstalt, schließt sich dem Schlosse, nur durch einen herrlichen Park von ihm getrennt, an. Andere interessante Schlösser sind im Besitz der fürstlichen Familie, so eins auf dem Tempclberge in der erwähnten Waldbergkette der Granitz; es ist ein mit fünf Thürmen versehenes Jagdschloß neuesten Geschmacks, von dessen Zinnen man das Meer zu seinen Füßen hat, dessen Nähe die dichte Waldung seiner Umgebung sonst nicht ahnen läßt; und auf der Halbinsel Iasmund das alte Schloß Spicker, in der Nähe der aus der ersten christlichen Zeit herrührenden Kirche Bobbin, und von vielen Hünengräbern umgeben. Das alte Schloß ist von dem schwedischen Feldmarschall Wrangel während des 30jährigcn Krieges in Form eines Oblongums, an dessen Ecken vier starke, runde, die Fronten ftankirende Thürme stehen, erbaut; sie und die ungeheure Dicke der Mauern zeigen deutlich an, daß der Gründer an die Möglichkeit einer Vertheidigung dieses Besitzes dachte. Zwei mit städtischen Rechten versehene Ortschaften hat Rügen noch aufzuweisen; im Süden Garz und im Norden Bergen. Jene, 1500 Einwohner zählend, ist dadurch merkwürdig, daß in ihr der Tempel dreier Götzen der slavischen Heidenzeit gestanden hat, nämlich des 398 Rügen. <6. Buch. Porewit, Rügewit und Porenut, und daß die Stadt aus der alten wendischen Festung und Residenz „Karcnze" entstanden ist. Noch zeigt man einen alten Burgwall, der von einem Landsee berührt wird und wie jetzt das neue einst das alte Garzer Schloß umgeben haben soll. Bergcn ist die Hauptstadt der Insel, zählt etwa 3000 Seelen und zeichnet sich als Sitz der Behörden aus; seine Kirche mit einem nicht geradezu geschmacklosen Thurme liegt so hoch, daß sie fast auf der ganzen Insel gesehen werden kann. Unter den Dörfern beansprucht eines, A l-tenkirchen auf Wittow, ein größeres Interesse, weil es die sterblichen Reste des Dichters der Inscl, Koscgarten, birgt. Am Strande von Wittow erhebt sich bei dem Dörfchen Witte ein kleines Bethaus, das Koscgarten und einer eigenthümlichen Sitte fein Dasein verdankt. Die Bewohner der Gegend treibeil vorzugsweise den Fischfang und zurZeit der Häringszüge hält sie ihr Handwerk die größte Zeit auf der See, um aber den Trost und die Ermunterung des göttlichen Wortes nicht zu entbehren, lag dem Pfarrer die Verpflichtung ob, vom Strande aus den in ihren Kähnen versammelten andächtigen Fischern eine Predigt zu halten; um dieser Sitte mit mehr Bequemlichkeit genügen zu können, ließ Kosegarten dieses Bethaus errichten. Auf der Halbinsel Mönkgut haben sich die Reste slavischer Sitte und Abstammung in vollst« Reinheit auf der Insel erhalten, da man hier weniger mit der fremden Außenwelt verkehrt. Die Art der Wohn-sitzeinnchtung, der Dialekt, ein Plattdeutsch mit breiter, gedehnter Aussprache und Worten slavischen Stammes, das Kostüm des schönen, starken Menschenschlages: viele übereinandergezogenc weiße Hosen und weite Jacken von schwarzem Tuch und rothem Futter, die bis zu sechs übereinander getragenen Röcke der Weiber, der kürzeste oben und der längste nur bis zur Wade reichend, braun mit schwarzen Streifen, und Alles Erzeugniß des eigenen in jedem Hause zu findenden Webcstuhls, dies Alles verräth deutlich die Verwandtschaft mit den weitzerstreuten slavischen Resten der Biestowcr bei Rostock, der Kassubcn an der Leba, der Liezerwinkler auf Usedom, der Wenden der Lausitz und vielleicht Altenburger und Egercr in Böhmen. Eine der merkwürdigsten Sitten ist das Filiien des Weibes um den Mann; eine bunte, vor das Fenster gehängte Schürze deutet die Hcirathslust der Jungfrau an, und die Freier, aber auch nur die, deren ernster Entschluß die Ehe mit der betreffenden ist, ziehen unter gewissen Formalitäten bei dem Fenster vorüber, und das Fallenlassen der Schürze zeigt dem Betreffenden an, daß er der Begehrte sei. Der Ausfuhrhandel Rügens nimmt seinen Weg über Stralsund, da die Häfen der Insel keinen Schutz gewähren; nebenbei sind die Ströme der Besucher zur reichen Einnahmequelle geworden. 23. Kap^ Religiose Umwälzungen. IY9 Nach diesem Ueberblick der physischen und geographischen Erscheinungen der Insel Rügen müssen wir einen Blick auf die nicht weniger interessanten politischen und religiösen Revolutionen werfen, deren Schauplatz sie gewesen ist. Wenn man einzelnen Quellen Glauben schenken darf, war Rügen in der Zeit seines ersicn Auftauchens aus der gänzlichen Verborgenheit von den Herulern bcwobnt und sah auf seinen Gestaden den berühmten Odoaker, der dem weströmischen Kaiserreiche vor vierzehn Jahrhunderten ein Ende machte. Eine vorurtheils-frne und gesunde Kritik giebt ihr aus den bekannten und geprüften Urkunden und Annalen freilich kein so hohes Alter in dcr Geschichte. Als sich Karl der Große den Südufcrn des baltischen Meeres näherte, war Rügen von einem Stamme der slavischen Bevölkerung, durch welche die ganze Breite von der Ostsee bis an das adriatischc Meer überströmt wurde, und die als „Wenden" Mecklenburg und Pommern innc hatten, bewohnt. Seit dem zehnten Jahrhundert hatte auch dieser Stamm die Aufmerksamkeit der Deutschen auf sich gezogen. Das west-phälische Kloster Korvei, der heilige Herd, auf dem der Feuereifer für die Verbreitung der göttlichen Lchre in Ost und Nord stets neu geschürt wurde, sandte seine frommen Mönche auch nach dcr Insel Rügen, um doit das Christenthum zu predigen und zu Ehren des heiligen Veits, ihres Patrons, eine Kirche auf ihrem Gestade zu errichten. Nach dcr Rückkehr der Bekehr« ging aber das angenommene Christenthum, das nur in äußerer Ceremonie bestand und mit dem Verständniß seines Geistes auch dos festen Haltes entbehrte, wieder unter, und die Bewohner Rügens kehrten zu ihrem Heidenthume zurück, die einzige Spur der gepredigten Lchre darin bewahrend, daß eine Untergottheit, die mit dem Schutzheiligen dcr Apostel, Sanct Veit (Vitus), idcntisicirt wurde, den Namen und Dienst desselben in „Svantewit" corrumpirt erhielt und die bisherigen drei höchsten Gottheiten Wodan, Biclbog und Czernebog an Ansehen überragte. Wie der Glaube an eine Fürbitte der Heiligen und die bildliche Darstellung derselben zum rohestcn Götzendienst ausartcie, enthalten die deutschen und dänischen Chroniken. Sie schildern das hölzerne Idol Svantcwits als eine menschliche Gestalt mit vier Köpfen, die in der eincn Hand einen Bogen, in dcr anderen ein Horn hielt, welches der hohe Priester alljährlich mit Wein füllte, um durch die Verdunstung desselben prophetisch die Fruchtbarkeit des Jahres bestimmen zu können. Nach jcdcr Ernte wurden dem Idole Opfer dargebracht, die aus friedlichen Fcldfrüchten und Hausthicrcn bestehend, endlich zum Hinschlachten von christlichen Gefangenen ausarteten. Das Heiligthum des Soantcwit lag in dcr Burg von Arkona und war von einem hölzernen Wallt umgeben; es war dasselbe ncbcn seinem religiösen Zweck auch der Zufluchtsort der 400 Rügen. 16. Auch. Rügen«, wenn sie im Kriege mit ihren mächtigen Nachbarn auf der eigenen Insel bedroht wurden; häufiger aber führten die Kriege sie von der Heimath fort in dic fremden Lande und sie galten vorzugsweise als Stütze der wendischen Macht, da sie durch ihre wilde Leidenschaft für Unabhängigkeit und kriegerische Thaten, trotz ihrer sonstigen Tugenden ursprünglicher Völker, die Fortschritte der Cultur in den baltischen Gegenden aufhielten. Als im Anfange des zwölften Jahrhunderts der tapfere polnische Herzog Voleslaus Krzywausty dem Hcidenthum auf dem pommerschen Festlande ein Ende machte, concentrirtc es sich unter König Kruko am Svantewittcmpel zu Arkona um so fester. Da setzte aber der Ehrgeiz und religiöse Eifer eines mächtigen Nachbarn den Thaten und der Unabhängigkeit der Rügcner ein Ende. Waldemar der Erste, der große Dänenkönig des zwölften Jahrhunderts, faßte, beunruhigt durch ihre feindlichen Einfälle, den Gedanken sie zu unterwerfen, und auch noch ein zweites Motiv bestimmte ihn zur Ausführung seines Projectcs. Der heilige Vater hatte als Oberhaupt der Kirche einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen geboten, dic Fürsten und Großen des Südens begaben sich nach Palästina, um den Muselmann zu bekämpfen, die des Nordens, aber bewaffneten sich gegen die Heiden, die in den dichtesten Gründen und Spalten der Wälder, auf den Felsen und Inseln ihre Götzen anbeteten. Waldcmar nahm es auf sich, die NügencrmitFeuer und Schwert wieder zu bekehren, und rüstete im Jahre 1168 eine große Flotte aus, um die Segnungen des auch durch solche falsche Wege und Mittel nicht zu schwächenden Christenthums dem schönen Eilande zu bringen. Er stellte sich selbst an die Spitze der Expedition, dem Erzbischof Absalon, gleich ausgezeichnet in seiner Prälatenwürde durch apostolischen Eifer, wie in der Stellung eines Fürstenrathcs durch politischen Scharfblick und unternehmenden Muth, dem treuen Anhänger der kirchlichen Interessen, wie dcr seines Monarchen und seines Staates, die Regierung des Landes überlassend. Die ersten Anstrengungen der Dänen richteten sich gegen die Wälle von Arkona, der Hcldcnmuth ihrer Vertheidiger ließ sie aber weder erklettern noch einbrechen und umstürzen; nach mehreren vergeblichen Vcr-suchen warfen daher die erbitterten Angreifer Feuer hinein. Durch die Macht der verheerenden Flammen wurden die Belagerten dann bewogen zu capituliren und versprachen sich zum Christenthumc bekehren zu lassen; gleichzeitig hatten die Dänen eine andere feste Burg „Karenza" eingenommen und die Häupter der dort versammelten Heiden, Totilas und Iarimar. zur Taufwilligkcit und Anerkennung einer, Lehnshoheit des Königs Waldemar und seiner Nachfolger gezwungen, die von ihnen auf dem Evangelium beschworen wurde. Um das in Opfern vor ihm 23. Kap.) Geschichte. 40^ vergossene Blut der Christen zu rächen,,hatten die Dänen das Bild Svantewits zerschlagen, es zu Asche verbrannt und in der abergläu-bigcn Befangenheit ihrer Zeit dieselbe mit sich genommen, um ihre Aeckcr und Geräthc dadurch zu segnen. Absalon eilte nach Rügen und beschäftigte sich sogleich damit den christlichen Cultus zu organisiren, ließ Gotteshäuser erbauen, ernannte und weihte Priester, beschenkte sie reich mit Ländercien, die früher zur Erhaltung des Götzencultus bestimmt waren, und fügte die Insel Rügen der geistlichen Herrschaft seines Bisthums Roeskilde zu. Waldemar befestigte durch mehrfache weise Maßregeln die geistliche Macht über dies neuerworbene Bcsitzthum Dänemarks und kehrte mit dem Bischöfe nach seiner Residenz zurück, um andere Kriegszüge vorzubereiten. Im vierzehnten Jahrhundert ging die Insel durch eine Convention mit Dänemark unter die Herrschaft des unter polnischer Landeshoheit entstandenen Herzogthums Pommern zurück. Als das Haus der eingeborenen Herzöge mit dem Verscheiden Bogislas des Vierzehnten erlosch, erhob Schweden seine Ansprüche auf Rügen und erhielt beim westphäli-schen Friedensschluß 1648 den Besitz desselben, unter dem Titel eines Fürstenthums, mit dem die Würde des Groß-Jägermeisters des deutschen Reiches verbunden war, zugesprochen. Unter den mannigfachen Kämpfen, welche um die Insel geführt wurden, ragt die Einnahme derselben durch Brandenburgs großen Kurfürsten, der, ein weitblickender Fürst, des baltischen Meeres WiH-tigkeit und die große Vermehrung seiner Macht durch den Besitz einer Flotte zuerst erkannte, hoch hervor. Nachdem er in den herrlichen Iuni-siegen des Jahres 1675 die eigenen Lande von den Schweden gesäubert hatte, verfolgte er, im Bündniß mit Dänemark, die Flüchtigen, entriß ihnen fast ganz Pommern und landete am 13. September 1678 auf der Insel Rügen, wo er durch seine eigene und Marschall Derfflings Gegenwart die begeistert begonnene Eroberung zum raschen Ziele führte. König Friedrich Wilhelm der Vierte ließ zum Andenken an jene Begebenheit ein ehernes Standbild des Helden und ein zweites dem König Friedlich Wilhelm I. errichten. Gustav IV. rettete sich imIahrei808, nachdem er die Stadt Stral-sund den Franzosen überlassen hatte, mit den Trümmern seiner Armee nach Rügen, von wo er bald nach Schweden zurückkehrte. Rügen war dann eine Zeitlang von Franzosen besetzt. Die Dänen hatten während der fünfIahrhunderte ihrer Herrschaft wenig Niederlassungen auf dieser Insel gegründet; sie hatten die Ordnung mehr und mehr ausgebildet und eine große Zahl Deutsche herbeigezogen, denen das slavische Element bald erlag. Die niederdeutsche Sprache gewann den Sieg, und der vom deutschen Reich aufgenommene Die Ost,'««. 26 402 Hiddensöe. Rude«. 16. Buch. und in seinen Sitten von den hervorragenden slavischen Familien nach, geahmte Adel führte die Feudalherrschaft ein, an Stelle der früheren politischen Verfassung, die in Absonderung kleiner Gemeinden unter einem erwählten Nichter bestand. Die Ackerbauer, eingeboren oder eingewandert, wurden allmälig in die Knechtschaft zurückgeführt und den Bauern des pommerschen Festlandes gleichgestellt. Gustav IV. von Schweden erwarb sich 1805 während seines Aufenthalts in Stralsund das Verdienst, durch ein Edict den Druck der Knechtschaft in allen deutschen Besitzungen Schwedens aufzuheben. Er hatte auch den Plan gefaßt, das schwedische Gesetz einzuführen, aber die Intriguen, die im Jahre 1809 seiner Herrschaft ein jähes Ende setzten, machten den Vorarbeiten, die zur Ausführung dieses Projects begonnen waren, ein unerwartetes Ende. Unter den kleinen Inseln im Westen Rügens muß vorzugsweise Hiddensöe genannt werden, nicht wegen ihrer Größe und Wichtigkeit, da sie nur 500 Einwohner dürftig ernährt, sondern wegen eines auf ihr erhaltenen sehr rauhen Dialectes , der durch seine übermäßige Menge corrumpirter dänischer, schwedischer, alt-niederdeutscher Wörter und Wendungen sich wesentlich von dem Plattdeutsch der benachbarten Küsten unterscheidet und zu einem schwer verständlichen Patois wurde. Die Hiddensöer hängen mit einer merkwürdigen Zähigkeit an diesem Dialect und haben ihn, um darin das Andenken an ihre seeraubenden Verfahren zu erhalten, mit einigen volksthümlichcn Melodien verbunden, die sie gewissenhaft bei jedem ihrer Feste singen. Das Leben auf der Insel ist trübselig und kümmerlich, da der Sandboden harte Arbeit erfordert und vorzugsweise auf Ziegelbrennerei und Fischfang als Er-werbszweigc hinweist; eine geringe Rindvichzucht dient außer zum Milch - und Käseerzeugniß noch zur Vermehrung des Brennmaterials durch den Mist der Kühe, da die ganz von Holz entblößte Insel hierzu sonst nur Tang und Dünenhafer liefert. Dem Ausfluß der Peene in die Ostsee gerade gegenüber liegt die kleine Insel Rüden. Die Meeresrcvolutionen, die sie von der Halbinsel Mönkgut losrissen, sind schon bei Gelegenheit der Wasserver-minderung des baltischen Meeres erwähnt; sie haben die Befestigung der isolirten Insel herbeigeführt, um die durch jene Ueberschwemmung entstandene zwei Meilen lange Lagune und den Zugang zu dem „neuen Tief" durch Schanzen zu decken. Die Insel ist auch auf den Tafeln der Geschichte eingetragen, indem Gustav II. Adolph von Schweden hier zuerst deutschen Boden betrat. Im Angesicht seines Heeres warf er sich, sobald er das Ufer betreten hatte, auf seine Kniee nieder, um im Verein mit den Truppen den Beistand Gottes zu dem Werke zu erflehen, das er, seinem Glauben nach, zur Ehre desselben unternahm. 23. Kap.j Stralsund. Greiftwald. 40I Südwärts von Rügen in der Meerenge Gellen liegt das kleine, erst seit 1851 zum Kriegst)afen der Küstenflotille bestimmte Eiland Dänholm, das durch ältere darauf errichtete Schanzen den Hafen Stral-sunds, der ehemaligen Hauptstadt schwedisch Pommerns, decken sollte; derselbe ist übrigens durch seine geringe Tiefe und der Einfahrt vorliegende Sandbänke ohnehin in seiner Wichtigkeit beschränkt. Die Festung Stralsund liegt mitten in großen Landsern und Mooren. Die Bauart der Stadt ist alt, die Straßen sind winklig und eng, die gothischen Kirchen und das Rathhaus durch Aenderungen und Neubauten entstellt. Im dreißigjährigen Kriege erlitt Stralsund große Drangsale. Des Friedländers vermessenes Wort: „Stralsund muß fallen, und wär' es mit Ketten an den Himmel gehangen!" ist wohl allgemein bekannt, wie auch, daß er trotzdem 1628 die Belagerung unverrichteter Sache aufheben mußte. Dem großen brandcnburger Kurfürsten vermochte sie gerade fünfzig Jahre spater weniger erfolgreich zu widerstehen, denn ohne so geräuschvolle Drohungen, wie die Wallensteins, zog Friedrich Wilhelm 1678 an der Spitze seiner Truppen siegend in ihre Mauern ein. Andere merkwürdige Belagerungen hatte sie 1715, 1758 und 1807, wo sie in die Hände der Franzosen gerieth, zu bestehen. Auch als Schauplatz eines der romantischen Abenteuer des, das Wohl seiner Lande der Lust seines Soldatenherzens nachstellenden Karl Xll. machte sich Stralsund einst bekannt. Im Jahre 1809 fand am 31. Mai der deutsche Frciheitsheld Tchill, der auf eigene Hand den Parteigänger-krieg gegen Frankreich fortsetzte, heldenmüthig kämpfend in Stralsund den Tod. Ein Stein in der Fahrstraße bezeichnet seit dem Jahre 1835 die Stelle, wo er siel; der Samt Jürgen Kirchhof nahm seine Gebeine auf; sein Kopf aber ist in Braunschweig in der Schillskapelle beigesetzt; der Säbel wurde mit Einnahme der Festung Fridericia, deren Zeughaus ihn barg, im Jahre 1848 aus dänischem Besitz wieder in preußischen zurückgebracht. Unweit Stralsund, vier und eine halbe Meile nach Ost, liegt an einem schiffbarenMceresarme, „Rick" genannt, der dasKüstenfiüßchen Hilde aufnimmt, die Stadt Greifswald und die Mutter derselben, die Cistercienser Abtei Sanct Hilda, jetzt, wo sie verlassen und in herrlichen Ruinen liegt, „Eldena". Im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts stifteten fromme Rügische Fürsten dies Asyl, und unter denSteintrüm-mern und in dichtem Buschwerk versteckt liegt eine Reihe von Grabsteinen ihrer Aebte. Die Stadt Greifswalde wurde durch nicdersäch-sische Ansiedler, die dem Schutze des Klosters vertrauten, 1233 an dem Ufer des damals eine halbe Meile weiter das Land überschwemmenden Bodden gegründet, und zwar in so trefflicher Weise, daß ihre kirchlichen wie bürgerlichen Bauwerke noch heut ein interessantes alterthüm, 26' 404 Das Stettiner Haff. 1^6. Buch. liches Aeußere bewahrt haben. Ursprünglich mit Wällen und starken Befestigungen umgeben, benutzte Herzog Wratislav IX. von Pommern wohlweislich dcn Bann, mit welchem die Baseler Kirchenversammlung Rostock belegt hatte, und gründete eine Universität, die er reich dotirte, und die, nachdem sie 1456 durch eine Bulle des Papstes Calixtus III. bestätigt worden und die Beistimmung Kaiser Friedrichs III. erhielt, sehr bald Rostock überflügelte. Durch die in Pommern herrschende Pest im Anfang des sechszehnten Jahrhunderts fast dem Erlöschen nahe gebracht und gänzlich verarmt, trat sie 1633 durch Herzog Bogislav XIV. in das Besitzthum der aufgehobenen Abtei Eldena, deren Aebte jeder Zeit viel für sie gethan, mit deren einundzwanzig reichen Dorfschaften, und wurde zu einer rein evangelischen Lehranstalt erllärt. Nachdem Greifswald dann an Schweden gekommen, bestätigte die Königin Christine in ihrer Liebe zur Wissenschaft der Universität für ewige Zeiten ihren Güterbesitz, ebenso Karl XII. 1702 und Gustav IV. Adolph 1796. An Preußen übergegangen, übernahm diese Krone die alten Verpflichtungen aufs genaueste und hob neben dem materiellen Wohl der Universität auch noch durch Verbesserungen der Verordnungen, Sammlungen und Einrichtungen ihren Werth als wissenschaftliche An» stalt, so daß sie jetzt nicht mehr blos ihrer reichen Stipendien halber bedeutend ist. Neben der geistigen Thätigkeit herrscht ein reges Fabrik-leben in Greifswald, und der Handel und Schissbau der Stadt ist durch einen guten Hafen bei dem Dorfe Wyck am Bodden erleichtert. Einige Meilen weiter nach Osten schneidet die Ostsee, die Nord-kusten der Inseln Used om und Woll in rundend, einen tiefen Busen aus, der von Vielen mit dem innern Wasserbecken, welches die Oder im Verein mit anderen Flüssen bildet, und das, wenn auch eigentlich fälschlich, „Haff" genannt ist, zusammengeworfen, und zu einem großen Meerbusen gestempelt wird. Ein solcher ist dies innere Becken, welches noch mehrere Scitenseen im Süden nach Osten und Westen hin bildend, in das kleine, und von der bedeutenden Erweiterung bei Neuwarz ab, in das große Haff getheilt wird, unter keinen Umständen, da es völlig süßes Wasser enthält. Die Schissfahrt auf diesem Flußbecken ist aber trotz seiner bedeutenden Ausdehnung und hinreichenden Tiefe unangenehm und selbst gefährlich. Seine westöstliche Ausdehnung beträgt etwas über sechs und die südnördliche mehr als fünf Meilen. Den Ausfluß bewirkt das Haff, nachdem es am rechten Ufer dieIhna und am linken die Ucker und Pecne aufgenommen hat, durch drei engbcgrcnzte, deutlich den Flußcharakter tragende Mündungen. Im Westen die Peene, die vor ihrer Ausmündung sich erst zu einer drei Meilen langen und drei Viertelmeilen breiten Straße, das Achtcrwasser, erweitert, an dessen linkem Ufer das Schifferstädtchen Lassahn und Weiler nach Norden 23. Kap.1 Kammin. 405 Wolgast mit den Trümmern eines herzoglichen Schlosses, das schon im zwölften Jahrhundert als Festung erwähnt wird, liegen; die mittlere Mündung ist die Swine, die den Hafen von Stettin bildet, und die östliche dieDivenow, an deren rechtem Ufer im nördlichen sich beträchtlich erweiternden und Inselchcn und Buchten bildenden Theile die Stadt Kamm in liegt. Die Erweiterung des Divenowstromes, welche durch Eindringen der See meistens mit Brackwasser gefüllt wird, heißt der Kamminer Bodden und umfaßt eine kleine waldbestandene Insel Gri-stov, in der Zeit als diese Gegend noch katholisch war, Sanct Chri« stoph genannt. Kammin ist jetzt ein unbedeutendes aber hübsches Fischerund Fabrikstädtchen, malerisch an einen Bergrücken gelehnt, und in der Geschichte Pommerns nimmt es eine hervorragende Stelle ein, da in seinen Mauern die erste christliche Kirche, nach drcihundertjährigem Bemühen seit den Taufvcrsuchen in Pommern, erbaut wurde. BischofOtto von Bamberg, der glückliche Apostel des Herzogthums, kam auf seiner Rückkehr von Pyriß, wo er im Jahre 1124 die Wassertaufe der willig gewordenen Heiden bewirkt hatte, nach Kammin. Auf seine milde aber ernste Mahnung entließ der dort residirende Herzog seine vierundzwanzig Beischläferinnen, ließ sich von ihm zum zweiten Male taufen, da die erste von einem Mönche vollzogene heilige Ceremonie nicht vor dem Zurücksinken ins Heidenthum bewahrt hatte, und gestattete den Bau eincrKirche, womit 1171 begonnen wurde. Die verhältnißmäßig reich dotirie Kirche wurde zu einem Dom erhoben, mit vielen noch vorhandenen Reliquien beschenkt und Kammin der Sitz eines Bisthums, in dem bis zur Täcularisirung im siebenzehnten Jahrhundert vierunddreißig Bischöfe refidirten, deren letzter Herzog Bogislav von Croix in der Stolper Kirche ruht. Bis zum Jahre 1812 erhielt ein hier residiren-des evangelisches Domcapitel die Erinnerung an die vergangene Herrlichkeit und Frömmigkeit Kammins aufrecht. Der nicht gute Hafen und namentlich die schwierige Einfahrt in die Divenowmündung hemmten das Aufblühen zu einer mächtigen Handelsstadt, wozu der Grund durch das Privilegium der Freiheit vom Sundzolle gelegt war. Die beiden Inseln des Haffs liegen sehr wenig über den Meeresspiegel erhoben, und leiden daher häufig durch Ucberschwemmungcn, die nicht selten ihre Umrisse beträchtlich verändern. Die westliche. Use-do m, hat einen Flächcnraum von sieben und eine achtel Quadratmcile, wird von mehreren hohen Sanddünen durchschnitten und hat gute Wälder, aber nur wenigen wirklich ergiebigen Kornboden, so daß der größte Theil der männlichen Bevölkerung seinen Erwerb aus der See zieht und auf ihr sein Leben verbringt, während dem Weibe die Besorgung des Ackerbaus und der Viehzucht überlassen ist. Die Form Usedoms ist durch Buchten und Einschnitte, die nur schmale und lange Landzungen 406 Die Insel Usedom. l6. Buch. zwischen sich lassen, höchst eigenthümlich; im Süden beträgt ihre west, östliche Ausdehnung fünf Meilen, und nachdem sie sich nördlicher auf noch nicht eine halbe Meile geschmälert, wird sie ganz im Norden wieder nahezu drei Meilen breit; die äußere Meeresküste geht in scharfer Richtung von Nordwest nach Südost und ist sieben Meilen lang. Die höchsten Punkte der Insel sind der Golm bei Swinemünde und der Streckelberg. Von letzterem reißen heftige Orkane oft mächtige Wände ein, und in den frisch zu Tage tretenden Seiten bemerkt man schwarze Schichten, die sich als regelmäßige Lagen von Baumtrümmern ausweisen und oft eine nicht unbedeutende Bernsteinausbeute darbieten. Eine Wolgast gegenüberliegende Landzunge, die Halbinsel Geest, im Norden von der Struminbucht, im Süden vom Achterwasser umspült, ist dem Ornithologen wichtig, da sich auf ihr und den sie umgebenden schwankenden Rohrinseln eine Unzahl von Wasservögcln sammelt, so daß oft Hunderte an einem Tage geschossen und zu einem ertragreichen Handelsartikel werden, der bis nach Berlin geht. Einige zwanzig Ortschaften und Güter und neuerdings angelegte Festungswerke befinden sich auf der Insel, darunter bekannte und besuchte Seebäder, wie Swinemünde und Heeringsdorf. Die Stadt Usedom, die der Insel selbst den Namen gab, etwa 1000 Einwohner hat und am Usedomer See, einem tiefen Einschnitt in der Südküste, liegt, ist ein uralter wendischer fester Ort gewesen, und in dem Landstrich zwischen der Peene und dem See, dem sogenannten Usedomer Winkel, so wie in dem Liezer Winkel, einer sechs Dörfer umfassenden, etwas nördlicher liegenden Halbinsel, hat sich, wie auf Mönkgut bei Rügen, slavische Tracht und Sitte erhalten, und spricht sich, wie auch dort, namentlich bei Hochzeits- und Bcgräbniß-bräuchen und in der eigenthümlichen Erscheinung des Freiens von Seiten der Mädchen aus. Auf der nördlichen Spitze der Insel liegt an der Mündung der Peene eine alte Verschanzung zum Schutze eines Hafens, der hier im Jahre 1759 unbrauchbar gemacht wurde und den daran gelegenen Ort Pcenemünde zu einem ärmlichen Dorf herabsinten ließ. Hier sehen die begeisterten Augen pommerschcr Alterthümlcr und der vhantasiereiche Fischer in dem durch die Fluth hcraufschimmerndcn Gestein des ziemlich tiefen Seebodens Säulentrümmcr, Pyramiden und Pflastcrrestc des einst so reichen und wichtigen Handclsortes Vineta, der fabelhaften Hauptstadt des Wendenrcichcs. Die östliche Insel Wollin hat die Form eines fast gleichseitigen Dreiecks, dessen Spitze nach Süden gerichtet und dessen Südseite wenig ausgeschweift ist und nach Nordost eine schmale Erdzungc in die Dive-nowmündung ausstreckt, die hier einer ähnlichen vom Festlande nach Südwcsten sich ausdehnenden begegnet. Die Insel enthält vier und eine halbe Quadratmeile, und im Norden ist sie sechs Meilen, im Süden 23. Kap.1 Wollin. Stettin. 407 aber kaum eine Achtelmeile breit. Etwa 6000 Einwohner ernähren sich durch Viehzucht, aber mitunter werden die Wiesen von Flugsand überdeckt; auch ist die Fischerei ergiebig. Letztere geht namentlich in der kleinen Bucht Pritter vorzugsweise auf Aale und Hornaale, die in verschiedenen Weisen zubereitet, marinirt oder geräuchert als Spickaale mit großem Ruf und Lohn weit nach Deutschland hinein versendet werden. Unter einigen zwanzig bewohnten Stellen befinden sich mehrere Seebäder, wie Misdroi, Ost- und West-Divenow und die jetzt sehr unbedeutende Stadt Wollin, auf der südlichsten Spitze der Insel und durch eine stehende Brücke mit dem östlichen Festlande verbunden. Einige Geographen und Geschichtschreiber verharren noch bei der Meinung, daß Wollin auf den Ruinen Iulin's erbaut sei, dem blühenden Hauptort des Wendcnrciches aus dem zehnten und elften Jahrhundert. Man hat behauptet, daß auch die Iomsburg, das letzte Asyl des nordischen Hcidenthums, aufWollin erbaut gewesen sei, und jene kühnen Eroberungszüge, von denen die Chroniken der Isländer reden, von hier aus unternommen scicn; andere Gelehrle aber behaupten, daß die Namen Iomsburg und Iulin nur verschiedene, vielleicht skandinavische und slavische Bezeichnungen für dieselbe Burg gewesen seien. Möglicherweise auch, daß Palnatoke seiner berühmten Rittcrbrüderschaft, in welche aufgenommen zu werden nur dem gestattet wurde, der durch ausgezeichnete Thaten zur See und zu Lande seinen Werth bewies, das harte Gesetz, kein weibliches Wesen in den Umkreis ihrer Burg zu bringen, durch die Anlage derselben neben den Mauern der blühenden Wendenstadt, dercn Weiber wohl nicht weniger schön waren, als die „dun-kelschattiggcäugten Mädchen" derselben sonst geschildert werden, mildern wollte. Die Zerstörung der Iomsburg durch Styrbjörn Olavsson mit einer Flotte von scchszig Schiffen und einem Heer von auserlesenen Kriegern wird, als das Ergebniß einer blutigen Schlacht, ins zehnte Jahrhundert gesetzt und muß allerdings neben der gänzlichen Vernichtung der zu so kecken Unternehmungen vereinten Genossenschaft gründlich gewesen sein, da alle Spuren nicht nur von dem Boden der Stätte, sondern auch aus dem Gedächtniß der nachfolgenden Geschlechter auf der Insel geschwunden sind. Stettin, die Haupt- und wichtigste Stadt Pommerns, ist eine starke Festung und jetzt die wichtigste Handelsstadt an der Ostsee, da durchschnittlich in ihr Jahr aus Jahr ein 350,000 Centner Waaren lagern, worunter ebenso viel russische Producte als selbst Riga ausführt. Sie liegt auf und an den Abhängen zweier Hügel und auf beiden Ufern der Oder, bevor sich dieselbe zum Haff erweitert. Die Stadt hat enge und krumme Straßen, wenig freie Plätze und nichts Charakteristisches in den Gebäuden. Auf dem höchsten Punkte liegt ein im 408 Stettin. 16- Buch. fünfzehnten Jahrhundert durch einen italienischen Meister erbautes Schloß, das restaurirt und der Sitz mehrerer Behörden wurde, aber bis zum Tode Bogislavs XIV. Residenz der mit ihm 1638 erlöschenden Pommernherzöge war. In der katholischen Kirche des Schlosses befindet sich die Gruft dieser Herzöge mit reichem und schönem Schmuck an verschiedenen Monumenten. In jüngerer Zeit wurden in Stettin zwei russische Kaiserinnen geboren, Sophia Auguste Fricdcrike, Prinzessin von Anhalt-Zcrbst, der Mit- und Nachwelt unter dem Namen Katharina die Große bekannt, und Sophia Dorothea, nachmals die edle, ächt weibliche Kaiserin Maria Feodorowna, Gemahlin Pauls I., die ihr langes Leben durch Wohlthun und stille Segnungen bezeichnete und großen Einfluß auf die Regierungen ihrer Sohne Alexander und Nikolaus hatte. Beider Väter waren Gouverneure von Stettin in preußischen Diensten. Unter den kirchlichen Gebäuden nimmt die alte, kleine Wallkirche das höchste Interesse in Anspruch, da Otto von Vamberg, der von Wollin fliehend in Stettin Schutz und auf ernstes Zureden Voleslaus von Polen auch in feinen Nekehrungsversuchen Erfolg fand, sie im Jahre 1124 selbst gründete; die dreiundsechszig Jahre jüngere Iacobikirche imponirt durch ihre Größe und die Höhe ihres Thurmes. Der eigentliche Hafen Stettins istSwinemünde auf Usedom, denn nur Schiffe mittler Größe gelangen bis zur Stadt; den lebhaften Seehandel verdankt Stettin seiner Lage an der Oder, die es einerseits mit dem Meere und andererseits mit Warthe, Netze, Weichsel, Spree, Havel und Elbe in Verbindung setzt. Die Hauptausfuhrartikcl sind Bauholz, Leinen und Früchte; der Import Wein aus Frankreich und Spanien, Colonialwaarcn, Häringe und Leinsamen. Die Fabrication Stettins besteht in Branntwein, Tuchen, Leinen, Gewebe, Seife, Talg, Leder, Oel, KorkwaarcnMsig und Papier und Siegellack für die Ausfuhr. Erwähnt wird die Stadt schon in sehr alten Urkunden unter dem Namen Scdinum, Sidinum, Stitin, Stetinum. In vor- und nachchristlicher Zeit war dieselbe mehrmals bedeutenden Angriffen ausgesetzt, am heftigsten 1121 durch Herzog Bolcslaus von Polen, um so mehr, als derselbe ganz unerwartet des Nachts über den geftorncn Dammschen See vor den Mauern der Stadt anlangte. Stärker jedoch als die, selbst von dem großen Dänenkönig Waldcmar respectirten Wälle war der Muth von Stettins Bürgerschaft, der ihnen glücklich aus der Gefahr half. Von der Divenowmündung bis zur Grenze Hintcrpommerns, das mit dem rechten Oderufer beginnt, behält die Küste scharfe Nordostrich-tung bei, ist flach und nur zwischen Cöslin und Rügenwaldc mit ein paar unbedeutenden Buchten versehen, die mit schmalen Landzungen, 23. Kap.1 Colberg. 409 wie sie die östlicheren Haffs umfassen, geschlossen sind. Dünenketten aus nacktem kleinkörnigen, oft blendendweißen Flugfand bestehend, charakterisiren diesen Küstenstrich, der etwas Oedes und Trauriges hat, und über den nur die Möwe und der Adler kreisen. Die Städte, die an dieser Küste liegen, haben meist ihre Lage an schissbaren Küstenflüßchen und sind daher für den Handel mit dem dahinterliegen-den Lande nicht unwichtig. Am westlichsten, etwa fünf Meilen von der Divenowmündung liegt Trcptow, eine Meile von der Küste entfernt an dem Flüßchen Rcga. Drei Meilen weiter nach Osten liegt Colberg, eine etwa 8000 Einwohner zählende Stadt und Festung, deren Name so lange hoch dastehen wird, als Treue und Muth für Tugenden gelten. Die Stadt, von mächtigen Wällen umfaßt, liegt an der Persante und ist durch eine eine Viertclmeile lange Vorstadt mit der Münde, dem Ausfluß derselben in die See und dem recht guten Hafen Colbcrgs, verbunden. Das Rathhaus, im Jahre 1830 nach Schinkels Zeichnung erbaut, wird in seiner architektonischen Schönheit kaum von einem Gebäude zu ähnlichen Zwecken übertroffen, an der Nordscite desselben sind einige wunderschön conftruirte, alterthümliche Säulen aus einem früheren Bauwerk erhalten. Die Marienkirche ist sechshundert Jahre alt und imponirt durch ihr Verhältniß zu den umliegenden Häusern; in der katholischen Zeit mit den Rechten eines Doms begabt, war sie bis 1812 auch dcr Sitz eines evangelischen Domcapitels. Der Handel Colbergs ist nicht unbedeutend und ward gehoben durch das alte Privilegium der Freiheit vom Sundzoll. Eine Saline und der äußerst ergiebige Lachs - und Neunaugcnfang geben den Bewohnern reiche Erwerbsquellen. Der Hafen, der gleichzeitig ein beliebter See- und Soolbadeort ist, wird auf seinem östlichen Ufer durch einen hart an die See herantretenden schattigen Wald begrenzt und am linken Ufer durch eine im römischen Style erbaute Fortification, das Münder Fort, gedeckt. Jetzt durch die Kunst zu einem wirklich festen Orte geworden, hat es sich jederzeit als solcher dem Feinde Preußens und jedem seiner Angreifer erwiesen. In ältester Zeit zwang bei Colberg, damals Collabrega genannt, ein Pommernheer durch tapfern Wider-stand den Pölenhcrzog Boleslav Krzywusty zu einem unerwünschten Aufenthalt auf seinem Siegeszugc. Die merkwürdigsten Belagerungen der Neuzeit waren die von 1758, 1760 und 1806 bis 1807, in welcher letzteren hier das Schill'sche Corps entstand, Gneisenau durch Vertheidigung jedes Fußbreits Erde seinen Ruhm begründete, und die mit den blutigsten Niederlagen und erfolglosesten Angriffen der Franzosen verbundene Erhaltung der leichten, schnell aufgeworfenen Außenschanzen durch das Grenadierbataillon von Waldenfels, unterstützt durch die Bürgertugenden der Bewohner, angeregt und beherrscht 410 Cöslin. 16. Nuch. von Nettelbcck, Einem der Ihren, Epoche in der Kriegsgeschichte machte und Colbergs Namen als unvergänglichen Stern preußischen Ruhms älterer und neuerer Zeit hinstellte, wie er denn auch auf den Helmen und Fahnen der besten preußischen Truppentheile ehrenvoll glänzt. Etwa sechs Meilen ostwärts von Colberg und anderthalb von der See entfernt, liegt die Stadt Cöslin, der Sitz eines pommerschen Regierungsbezirkes, an dem Flüßchen Niesebeck und dem Fuße desGol« lenberges. Auf geringe Fabrication und Binnenhandel beschränkt und durch Feuersbrünste mehrfach verzehrt, verdankt die Stadt ihre jetzige Gestalt der Fürsorge Friedrich Wilhelms I., dem sie dafür in dankbarer Huldigung auf dem Markte ein Standbild errichtete. Großes Interesse verdient sie in der pommerschen Geschichte, indem sie ihre Gründung einer Niederlassung der Sachsen mitten unter der slavischen Bevölkerung verdankt. Schon l 168 wird sie alsCüsalin und sehr fest erwähnt. Eine Burg Cossalitz schützte die Ansiedlung, ist aber bis auf die Gewißheit ihrer ehemaligen Lage verschwunden; im dreizehnten Jahrhundert war sie und Cüsalin Eigenthum des mächtigen Klosters Belbuc; späterhin erwarb beides der BischofHcrmann von Kammin, der den Ort zur Stadt erhob, sie mit dem lübschen Recht begabte und, nachdem die Burg verschwunden, zwölf Jahre später. 1278, ein Kloster der Cister-cienscr hier gründete. Das fünfzehnte Jahrhundert füllen blutige Kriege zwischen Colbcrg und Cöslin aus, durchweiche die neue Stadt, jetzt schon Cöslin genannt, genöthigt wurde, sich mit einer Mauer, die scchsund« vierzig deckende Thürme trug, zu umgeben. Als die Religionsveränderung in Pommern Wurzel faßte, gerieth das Closter in Verfall und starb 1532 aus, worauf der Herzog Johann Friedrich 1569 es abbrechen und durch ein neues Schloß ersetzen ließ, das auch seinerseits jetzt wieder spurlos verschwunden ist. Dicht an der Stadt im Nordosten einer Seebucht zugewendet, erhebt sich derKöslin mit Trinkwasser speisende Gol-lenberg, obwohl nur 458 Fuß über den Meeresspiegel aufsteigend, der höchste Punkt in Pommern, und da er ganz isolirt dasteht, großartiger erscheinend als er wirklich ist. Er ist mit hochstämmigem Buchwald bestanden und gewährt einen herrlichen Blick über das umliegende Land und Meer; seinen entwaldeten Gipfel krönt auf thurmartigem Unterbau ein kolossales 40 Fuß hohes Kreuz zum Andenken an die Tapferkeit der 1813 bis 1815 gefallenen pommerschen Krieger, von den Kreisständen Pommerns errichtet und mit passenden Inschriften versehen. 24. Kap.j 411 Vierundzwanzigstes Kapitel. Die Danziger und Kurische Bucht. Pauhig. — goppot. — Oliva. — Danzig. — Die Weichselmimdunaen. — Das frische Haff. — Elbing. — Königsberg. — PiNau. — Die frische und die Kurische Nehrung. — Memel. — Polangen. Der Theil der Ostsee ostwärts der pommerschcn Küste ist gewissermaßen als Mittelpunkt derselben zu betrachten, da er nicht nur die beträchtlichste Wafscrausdehnung einnimmt, sondern auch die größten Tiefen enthält, indem die Sonde hier auf sechszig, siebenzig und hundert Faden hinabgeht. Nach Süden zu bildet sich eine Bucht, die zehn Meilen tief das Land ausschneidet und von West nach Ost an den nördlichsten Küstenpunkten gemessen fünfzehn Meilen Breite einnimmt. Man nennt sie gemeiniglich die Danzig er Bucht. An der Westküste derselben schießt eine nahezu fünf Meilen lange und noch nicht eine Viertelmeile breite Landzunge hakenförmig nach Südosten aus und erzeugt so eine Bucht in der Bucht, die ihren Namen „Pautziger Wiek" von dem Städtchen und Schloß Pautzig oder Putzky am südlichen, festländischen Ufer erhielt. Ihre südliche Küste ist ein üppiges und reizend gruppirtes Hügelland mit theilweise schönem Waldbestande und von einem klaren, schnellströmenden Flüßchcn, der Liala, durchstossen. Die nördliche Halbinsel der Landzunge ist fast durchweg unfruchtbarer weißer Dünensand, höchstens von Strandhafer und kriechenden nutzlosen Schlinggewächsen gebunden und mit mageren Kiefern bestanden, und nur in dem einen Dorfe Heisternest und ferner an ihrer äußersten östlichen Spitze finden wir eine fleißige Bevölkerung in dem Städtchen Hela zusammengedrängt, die durch Fischerei und Arbeit auf den großen nach Danzig bestimmten Fahrzeugen, die meist hier anlegen, und um die Fahrt auf der als tückisch verschrieenen Danziger Bucht zu vermeiden, ihre Ladungen auf Lichterschiffen weiter versenden, ihren Unterhalt verdient. An der Südseite des Danzigcr Busens schmücken im Westen der wichtigen preußischen Handelsstadt mehrere Ortschaften die Küste, darunter in wahrhaft reizender Lage das beliebte Seebad Zoppot und dicht dabei das Kloster Oliva. Die üppig bewaldeten und theilweise jäh und schroff abfallenden Hügel dieser Gegend erheben sich über 350 Fuß und gewähren entzückende Aussichten über Land und Meer; in der geistreichen Weise, welche die praktische Frömmigkeit der Cisterciensermönchc überall auszeichnet, haben dieselben sich auch hier der reich gebotenen Reize bemächtigt und sie in Wechselwirkung durch die Anlage berühmter und kunstreicher Gärten und prachtvoller Gebäude ihrer Abtei noch erhöht. Das erst vor wenigen Jahren mit einen» uralten 412 Danzig. , 16. Vuch. Ordensbruder gänzlich erloschene Kloster, das in seiner Kirche eine weltberühmte Orgel besitzt, knüpfte an seinenNamen eine der wichtigsten politischen Handlungen des siebcnzehnten Jahrhunderts. Am dritten Mai 1660 wurde von den Bevollmächtigten Schwedens, Polens, des Kaisers und Brandenburgs ein Friede geschlossen, der die Staaten-Verhältnisse des Nordens feststellte, Polens Macht brach, Schwedens zeitweises Uebergewicht unter den baltischen Reichen befestigte und durch Anerkennung der Unabhängigkeit des weltlichen Herzogthums Preußen den Keim zu der europäischen Großmacht Preußen legte. Danzig selbst, eine der wichtigsten und reichsten Städte des Königreichs Preußen, etwa 65000 Einwohner zählend, liegt am linken Ufer des westlichen Hauptarms der Welchsel, am Einflüsse der durch die Ra-daune verstärkten Motlau in diesen Strom, etwas weniger als eine Meile von der eigentlichen See entfernt. Ein guter Canal von genügender Breite und Tiefe führt aus der Weichsel und der Stadt zu dem Flecken Ncufahrwasser an seinem, linken Ufer, welcher den eigentlichen Hafen von Danzig bildet. Gegen äußere Feinde schützen ihn Fortificationen und die auf dem rechten Ufer desselben liegende Citadelle Weichselmü'nde, und gegen die Einwirkungen der Stürme die natürliche Lage, gute Molen und andere künstliche Bauten. Die Lage Danzigs in seiner hügeligen, waldreichen Umgebung und mit seinem Wasserrcichthum ist so schön als bekannt, und verschaffte ihr einen Rang unter den sieben bestgelegenen Städten der Welt, oder mindestens Europa's. Von allen Seiten naht man sich ihr in prächtigen Alleen von Linden- und KaNanienbäumen und durch reiche Vorstädte mit von Gärten umgebenen und alle Behäbigkeit des städtischen und kaufmännischen Luxus verrathenden Landhäusern. Die Stadt selbst hat, ohne die Vorstädte, etwas über eine halbe Meile im Umfange und ist unregelmäßig und winklig gebaut, überall das Gepräge des Mittelalters fast unverändert zur Schau tragend. Allein Nürnberg vermag mit ihr zu wetteifern in Reinheit jener unnachahmlich schönen alt» deutschen Bauart mit den vielkantigen und ausgezackten Thürmen, den mit Spitzbogen verzierten Fenstern und den hochemporragcnden Zinnen, die nur dieser soliden und königlichen Kunstentfaltung eigen sind. Die Giebel und ganze Vorderseiten sind oft sehr reich mit Sculpturen geschmückt, unter denen manche, vermöge ihres wahren Werths, eher den Anspruch auf selbständige Kunstwerke, als auf architektonische Orna« mente erheben können. Fast alle alten Häuser sind vorn mit Terrassen, hier Beischläge genannt, verziert, die Blumen wie Oleander, Springen und selbst Orangen in großen Kübeln schmücken und zum Lieblings' aufenthalt der Bewohner machen, wodurch die Stadt einen südlichen Charakter erhält und die Straßen oft sehr malerische und romantisch- 24. Kap.1 Danzig. 413 schöne Ansichten darbieten, die in vielen von Canälcn durchschnittenen Gegenden sogar an Venedig, und da wo in Nebengassen Zwischcnthore und Backsteinmatcrial vorherrschend sind, an holländische Städte erinnern. Einen höchst eigenthümlichen Eindruck erzeugt auch die Speicherstadt; auf einer ganz unbewohnten Insel, von den sechs besonderen Stadtvierteln umschlossen, erheben sich riesenhohe Kornspeicher und nehmen sich namentlich des Abends zwischen den hellerleuchtcten Stra« ßen gespenstisch aus, da aus nöthiger Vorsorge auf die Insel selbst weder Feuer noch Licht gebracht werden darf. Unter den merkwürdigen Gebäuden ragt die zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in zierlichem gothischen Style aus Backsteinen erbaute Marienkirche, das Rathhaus mit einem schlanken Thurm und Glockenspiel und der Artushof, die jetzige Vörse, hervor. Dieser altgothische Bau ist in einer einzigen großen Halle ausgefüllt, die seit alter Zeit der Versammlungsort der Gilden war und noch ihre in Reime gebrachten Gesetze, zwischen zierlichem Schnißwcrk, alten Gemälden an den Wänden und unter Modellen, Trophäen und Waffen von dem Gebälk herabhängend, aufbewahrt hat. Vor dem Artushof steht ein Brunnen mit einer schönen, aus Erz gegossenen Gruppe, Neptun von See-pfcrden gezogen. Der Stadttheil, auf dem sich das meiste Leben Danzigs conccntrirt, ist der Langemarkt, ihn schließt ein schönes gothisches Gebäude, das grüne Thor, die Residenz der polnischen Könige, wenn sie in Danzig waren. Von neuen Gebäuden zeichnen sich die königlichen, namentlich militairischen, das Schauspielhaus, Navigationsschule:c. aus. Danzig hat, abgesehen von dem Treiben als Handelsstadt, etwas Großstädtisches und Selbstbewußtes von jeher bewahrt und reges Interesse für Kunst und Wissenschaften in allen Zeiten bewiesen. Es besitzt städtische und private Kunstsammlungen, Museen und Cabincte, gute Bürger- und gelehrte sowie Handels-Schulcn und Akademien, eine öffentliche Stadtbibliolhek, wissenschaftliche Clubs, eine naturforschendc Gesellschaft, eine Sternwarte lc. :c. Auf seinen Werften herrscht reges Leben und ist noch bedeutend durch den Umstand erhöht, daß es der Hauptplatz für die hoffnungsreiche, junge preußische Marine ist. Auch in Hinsicht auf Fabrik und Manufakturwesen nimmt Danzig eine nicht unbedeutende Stelle ein; vorzugsweise ragt darunter die Branntwein- und siqueur-Brenntrci hervor, unter deren Erzeugnissen sich das Goldwasser, der Lachs und das Rosenwasser einen weit reichenden Ruf erwarben; nächstdem sind nenncnswerth Gold- und Silber-Tressen, Tuche, Wollenstoffe, Vitriol, Stahlarbeiten und Massenfabrikation, Eisengußwaaren, Oel, Pottasche, Seife, Stärke, Zucker und andere Erzeugnisse des Gcwcrbfieißcs; ein Commerz- und Admiralitä'ts-Eollegium überwacht den ganzen Geschäftszweig. Als Seehandelsstadt 414 Del Kornhandel ^6. Nuch. ist Danzig nächst Stettin die bedeutendste Stadt Preußens, und keine andere rivalisirt mit ihr. Dcr wichtigste Zweig des commerziellen Lebens ist hier unstreitig dcr Kornhandel. Im Laufe eines einzigen Jahres hat Danzig schon oft mehr als eine halbe Million Quarter Weizen verschifft und kann also, da noch beträchtliche Mengen feinen Mehls, Roggen, Gerste, Hafer, Leinsamen und Flachs hinzukommen, begründete Ansprüche erheben, an der Spitze aller Kornhäfcn zu stehen. Die in ihrem Laufe von Krakau ab, 81 Meilen von der Mündung entfernt, schissbare Weichsel sammelt den Kornertrag dcr fruchtrcichen russischen Provinzen Podolicn, Volhynien, Lithauens und Polens selbst, um sie dem Meere zuzuführen. Die Verschiffung auf dem Strome geschieht in flachen, offnen Barken, die roh und nur leicht aus Tannenholz zusammengeschlagen sind und mit ebenso leichten und rohen Stroh« matten bedeckt wcrdcn. Das Getreide ist ohne jede weitere Vorsicht auf ihnen gehäuft und während der langen Reise allen wechselnden Einflüssen des Wetters preisgegeben. Die kunstlosen Fahrzeuge sind dem Treiben durch die Strömung überlassen und nur mit Rudern an ihrem Kopf und Stern versehen, um sie von den zahllosen und häufig ihre Lage wechselnden Sandbänken und Untiefen im Strome wegzubringen und glücklich unter den Brücken hindurch zu steuern. Gewöhnlich geht einer vereinigten Flotille solcher Kornbarken, dic oft auch durch Flöße mit leichter Bretterbedcckung ersetzt werden, ein klemes Boot vorauf, dessen Mannschaft sich mit der Sondirung des Fahrwassers abgiebt. Dank dieser primitiven Art der Schifffahrt, währt die Reise oft mehrere Wochen und selbst Monate. Wenn in warmen Sommern viel Regen fällt, so verursacht dics leicht das Keimen dcr Körner, und die auswachsende Frucht giebt der Ladung den Anschein einer kleinen schwimmenden Wiese. Die sich in einander verfitzenden Fäser-chen und Halme bilden dann bald eine so dichte Decke, daß gerade in ihnen die untere Masse einen Schutz findet, indem die Nässe verhindert wird, in eine gewisse Tiefe zu dringen. Wenn diese Barken dcn Außenhafen erreichen, wird die grüne Decke von der Mannschaft abgenommen und weggeworfen, die Ladung an den bestimmten Uferstcllen ausgeschüttet und die Fahrzeuge selbst werden auseinandergeschlagen und als Holz verkauft. Die Bemannung aber schaart sich inZügcn und wandert zu Fuß den weiten Weg in ihre Heimath zurück. Interessant ist es, diese Gruppen schöngebauter und kräftiger Leute jeden Alters, mit ansprechenden Zügen und edel geschnittenen braunen Augen, Leibeigene irgend eines russischen Großen, der sie zu dieser Arbeit verdingte, die Straßen der Stadt und Umgegend durchziehen zu sehen. In dem einfach malerischen Costüm, eine leinene, weite Hose, ein Hemd darüber herunterhängend und mit dem Gürtel um die Taille geschlossen und mit 24. Kap.) auf der Weichsel. 415 der Pelzmütze auf dem Kopfe, folgen sie heiter und glücklich in ihrem geringen Bedürfnisse und durch den kargen Verdienst befriedigt dem er« wählten Führer, der eine rohe Geige oder Harmonika spielend, dem Zuge voranschreitet, oft auch im Chore ihre wehmüthigen, heimischen Melodien singend. Wenn der frisch angekommene Weizen lange genug der Sonne und Luft ausgesetzt gewesen ist, wird er endlich in die Speicher geschafft, die, wie bereits erwähnt, auf einer von der Motlau umfaßten Insel im Herzen der Stadt liegen. Sechs und sieben Stockwerk hoch sind diese Speicher; das Hinaufschaffen des Getreides erfordert daher keine geringe Mühe. Lange Reihen Luken nach allen Seiten hin erlauben zwar den Winden bei trocknem Wetter den Durcbzug durch die Speicher, aber trotzdem bedarf das Korn doch noch einer Umschüttung, und dreimal in derWoche erfolgt sie, wobei das Getreide so hoch geworfen wird, als es die Gewölbe gestatten. Diese schwierigen Arbeiten, die natürlich gut gelohnt werden müssen, erzeugten denn in den Speicherarbcitern eine eigene, an Kraft ihres Gleichen wohl vergeblich suchende Menschen-klaffe, die nicht leicht zu lenken ist. Zu ihrer Eigenthümlichkeit gehört, daß sie, mit noch so großen Lasten beladen, nie schreiten, sondern, meist einförmige Rhythmen singend, in stetem Trabe laufen. Die in ziemlicher Entfernung von den Speichern anlegenden Fahrzeuge werden durch eine ihrer Größe entsprechende Rotte in drei bis vier Stunden mit einem Kargo von 500 Quarter Weizen beladen. Da, wie auch schon berührt, die Speichcrinsel von keinem Menschen bewohnt und dem Feuer und Licht gänzlich verschlossen ist, wird sie mit Einbruch der Dunkelheit geräumt, die dorthin führenden Zugbrücken werden aufge« zogen, und zwanzig bis dreißig von ihren Ketten gelösten, großen und bissigen Hunden wird neben den, die den Zugängen naheliegenden Straßen beaufsichtigenden Wächtern der Schutz der Insel gegen Raub und Dicbstahl überlassen. — Seit Aushebung der brittischen Korn-gcsetze ist der Werth des Danziger Exports bedeutend gestiegen und wird auf sechs bis sieben Millionen Thaler geschätzt, während der Import etwa ein Drittel davon beträgt. Der Ursprung der Stadt wird fabelhaft beinahe fünfhundert Jahre vor Christi Geburt, jedoch nachIornandes erst ins erste Jahrhundert nach Christus gesetzt. Lange wechselte sie mit dem Lande, in welchem sie liegt, die Besitzer. Historisch wird sie im Anfange des elften Jahrhunderts, indem sie unter das Scepter des mächtigen Polenkönigs Boleslav des Tapfern kam und die Residenz der polnischen Vasallen, Fürsten von Po-merellen, wurde. Diese Fürsten machten sich im zwölften Jahrhundert unabhängig, ikre Dnnastie erlosch aber im Jahre 12^4, und Danzig sollte anPolen zuriickfallei,. doch bemächtigten sich die brandenburgischen 416 Danz Buch. Markgrafen desselben durch List und Verrath. Der schwache König von Polen, Vladislaus Lokietek, vermochte sich die Stadt nicht zu unterwerfen und ricf den Schutz der deutschen Ritter an, denen dann 1310 Danzig zur erwünschten Beute wurde, da Polen die für die Eroberung desselben festgesetzte Entschädigung nicht zahlen konnte. Im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts trat Danzig auch dem Hansabundc bei und wurde 1449, nach Wisby's Zerstörung, Quartierstadt, unbeschadet der Oberherrschaft des deutschen Ordens. Trotz fortgesetzter Kriege um ihre Freiheit gegen Dänen, Schweden, Pommern und den Orden, stellte die Thätigkeit der Einwohner den verminderten Wohlstand immer wieder her, vergrößerte die Stadt, so daß sie bald zu einer der bedeutendsten Handelsstädte des Mittelaltcrs aufblühte. In dem dadurch in der Bürgerschaft erzeugten Kraftgefühl machte sich Danzig zur Thcilnchmerin an dem zur Nbwcrfung der Ordensherrschaft geschlossenen preußischen Bunde, brach diese Herrschaft, der sie den größten Theil ihrer öffentlichen Gebäude und trefflichen Anstalten verdankte, erklärte sich 1454 für unabhängig von dem Orden und unterwarf sich als selbständige Republik, nebst dem übrigen Westprcußcn, dem Schutze des Königs von Polen. Unter die Privilegien und Vergünstigungen, die es sich bewahrt hatte, gehörte das eigene Gesetzbuch der Stadt, „die Danziger Willkür," das Münzrecht, welches jedoch dadurch beschränkt war, daß die Münzen des Königs von Polen Bild tragen mußten, die Repräsentation am Königshofe in Warschau und die Stimmberechtigung durch Abgcoroncte bei Reichstagen und Königswahlen-, wofür ein Glied des Stadtrathes, das wechselte, unter dem Titel Burggraf den König von Polen repräsentirte. Aus der pomerellischen Fürsten- und Ordcnszeit her nach der Landseite stark und schwerfällig befestigt und nach der Weichsel zu durch Wälder, Moräste und die leicht zu überschwemmende Niederung beinahe unzugänglich, hatte Danzig neben seinem politischen Werth, den der Besitz von dreiunddreißig reichen Dörfern und die Halbinsel Hela noch «höhte, auch einen militairischen, der ihm gefährlich wurde. In den 340 Jahren der Verbindung mit dem schwerfälligen polnischen Reichskörper, in welchem im Innern Aristokratismus und Bürgerschaft sich bekämpften und dreimal die Verfassung des Staates änderten, hatte es nicht nur viele Angriffe der preußischen und polnischen Stände auf seine Privilegien und Vorrechte abzuwehren, sondern wurde auch durch viele Kriegsstürme und Belagerungen erschüttert. So wurde es 1431, noch unter dem Orden stehend, von einer hussitischen Raubhordc in Diensten König Iagcllo's von Polen, und 1520 von den deutschen Truppen des Hochmeisters Albrecht von Preußen gegen König Sigismund I. von Polen; 1577 von König Stephan Bathori, den Danzig nicht als rechtmäßigen 24. Kap.) Vergangenheit. 417 Polcnkönig anerkannte, belagert. Sein Außenbcsitz wurde in den fast zwei Jahrhunderte langen Kriegen zwischen Polen und Schweden von letzteren verheert und geplündert, besonders in den Jahren 1626, 1703 und 1704. Und als die Danziger 1731 den verfolgten König Stanislaus Lesczynski in Schutz nahmen, zog sich die Stadt eine vom Februar bis Juni währende Belagerung durch Nüssen und Sachsen zu, die nach der Flucht des Königs durch eine freiwillige Ucbergabe beendet wurde. Den gcfä'brlichsien Feind hatte Danzig in der Annäherung der preußischen Grenzen. Durch die erste Theilung Polens war die Stadt ganz von preußischem Gebiet umschlossen, die Weichsel und das Fahrwasser waren in preußischer Gewalt; die hohen Zölle drückt'en schwer; Wohlstand, Handel, Kunstfieiß und Bevölkerung sanken und der letzte König von Polen erklärte, daß er Danzig seinem Schicksale überlassen müsse. Als dann Preußen dessen Unterwerfung verlangte, mußte der vernünftigere Theil der Einwohner, dem ein Schatten von Unabhängigkeit lästiger war als ihr gänzlicher Verlust, leicht über die wenigen Familien Meister werden, die bis jetzt regiert hatten. Vertragsmäßig besetzten die Preußen am 28. Mai 1793 die Außenwerke. Das Volk griff zu den Waffen, ein kurzer Kampf erhob sich, endigte jedoch nach wenigen Tagen mit Unterwerfung der Stadt, die unter Preußens Herrschaft schnell wieder aufblühte und bis zum Ausbruch des preußisch-französischen Krieges in günstigen Verhältnissen blieb. Der Marschall Lefebvre umschloß im März 1807 Danzig mit ungeheurer Ucbermacht, und durch Munitionsmangel, widrige Zufälle und starkes Bombardement gezwungen, kapitulirtc die schwache Besatzung nach tapfren und blutigen Ausfallkämpfen am 27. Mai unter ehrenvollen Bedingungen. Marschall Lcfebvre erhielt den Titel eines „Herzogs von Danzig", und die Stadt wurde im tilsitcr Frieden als Freistaat mit dem Besitz von 2Lieues Umkreis, die Napoleon willkürlich auf zwei geographische Meilen ausdehnte, unter dem Schutze Preußens, Frankreichs und Sachsens anerkannt. In der That war der Stadt aber nur der Name der Freiheit wiedergegeben, denn als französischer Waffenplatz konnte sie nie ihrer Unabhängigkeit froh werden, da fortwährend ein französischer Gouverneur mit starker Garnison darin blieb, 1808 eigenmächtig der Code Napoleon eingeführt und durch das Continental-system der Hauptnahrungszweig, der Handel mit England, unterdrückt wurde. Nach der für die Franzosen unglücklichen Wendung des russischen Krieges wurde am 31. December 1812 die Festung Danzig in Belagerungszustand erklärt, ihre Besatzung aus Spandau und Magdeburg und mit den fliehenden Trümmern des zehnten französischen Armeccorps verstärkt und auf 30,000 Mann gebracht. Ende Januar 1813 erschien ein russisches Velagerungscorps von 6000 Kosaken, das bald von Di« Ostsee. 2? 4ig Danzigs Befestigung. l6- Buck. einem andern Corps von 9500 Mann und 60 Feldgeschützen abgelöst, die im Juni durch 8000 Preußen und von der Secscite durch ein englisches Geschwader verstärkt wurden. Nach blutigen Ausfall < und Angriffstämpfen, Beschießung der Stadt und Eröffnung der zweiten Parallele kam am 17. November eine Kapitulation auf ehrenvolle Uebcr-gabc am 1. Januar 1814 zu Stande, die vom Kaiser Alexander nicht anerkannt, von dem französischen Gouverneur General Rapp unter un« vorlhcilhaftercn Bedingungen und Gefangengabe der ganzen französischen Garnison am 2. Januar 1814 zur Ausführung kam. An diesem Tage kehrte Danzig unter Preußens Regierung zurück, und der milde Herrscher-siab heilte bald die Wunden, die des Krieges Stürme geschlagen. Hatte die lange Besetzung durch französische Truppen und die elf« monatliche Belagerung, um ihr die Freiheit wiederzugeben, der Stadt furchtbare Leiden und Schaden zugefügt, so hatte der Landesfeind ihr andrerseits doch erst zu dem Werthe einer Festung ersten Ranges ver-holfcn, indem er die Außenwerke zweckmäßiger in den Kreis der Forti« ficationen zog und namentlich auf das Fort Hagelsberg eine Summe von 11 Millionen Franken verwandte. Dieser Berg und der in den Jahren 1827 bis 1833 mit einem Aufwande von 230000 Thalern durch Errichtuna einer bombenfesten Kaserne verstärkte Vischofsberg schließen den Halbkreis von Außenwelken vollständig ab und setzen sie in Verbindung mit den innern Fortisications-Werkcn der Stadt. Nach der Sceseitc hin ist Danzig durch die Befestigung einer Insel dicht hinter dem Einfluß der Mollau in die Weichsel, und erneute und verbesserte Fortisicationen der Strommündungen bei Neufahrwasser und Weichsclmünde gegen frühcr bedeutend verstärkt. Letzteres ist schon im Jahre 1379 unter der Regierung des Hochmeisters Winrich vonKnip-rode angelegt und in mannigfachen Kämpfen durch Zerstörung und Erneuerung zu seiner jetzigen Gestalt gelangt. Die eigentliche Mündung der Weichsel, welchen Namen der westliche der drei großen Arme beibehält, geht direct in die Ostsee, während die Ostweichsel und Nogat das Haff aufsuchen, grub sich aber im Laufe der Zeiten verschiedene Betten. Bis um die Mitte des sechs-zehnten Jahrhunderts bediente sich die Schifffahrt eines jetzt östlich von Wcichsclmünde liegenden Thalgangcs, das alte Fahrwasser oder die Norderfahrt genannt, seitdem dieselbe aber 1550 durch Anlegung des Mägdegrabens bei der Montaner Spitze, der den größten Theil des von Polen kommenden Wcichsclwassers in die Nogat geleitet hat, nach und nach völlig versandete, ist sie jetzt kaum lwch für kleine Böte fahrbar. Schon seit dem Anfange des sicbenzehnten Jahrhunderts mußten Schiffe, die aus der Weichsel in die See gelangen wollten, östlich oder westlich eine Durchfahrt suchen, je nachdem die momentan herrschenden 24. Kap.) Die Wcichscluumdimgc,,. 419 Stürme hier oder dort den Boden tiefer ausgehöhlt und dadurch Canäle gegraben hatten, die man durch eingeschlagene Pfähle und daran angebrachte Vcrtonnungen kenntlich machte. Unter diesen Canälen fand man den, der zwischen dem westlichen Fcstlandsufcr und der seit 1634 von den Meereswcllcn aufgeworfenen Sandbank, die Platte genannt, entstanden war, am sichersten und nutzbarsten, weshalb man denn auch sorgfältig darauf dachte, ihn gegen Stürme und Fluchen zu schuhen, und daher fleißig den nachsinkenden Sand herausbaggcrte und zur Erhöhung der Platte benutzte. ImIahre1698 aber, als ein unglücklicher Eisgang den Canal mit völliger Zernichtung bedrohte, sing man an ihn mit Bollwerken einzufassen und durch eine Schleuse gegen die Eisschollen des Stromes zu sichern, und so entstand nun das „neue Fahrwasser" oder die „Westcrfahrt." Die ursprüngliche Schleuse und Befestigung des Canals wurde mehrfach erneut und verstärkt und durch Fürsorge der preußischen Regierung im Jahre 1826 durch Aufmauerung steinerner Molen, die zu den Riesenwerken der Baukunst gehören, völlig gesichert. Die Benutzung der Westcrfahrt schuf aber auch an ihrem linken Ufer den jetzt so lebhaften Schisser- und Lootsenflecken Neufahr-wasser. Drei Meilen südostwärts von der Stadt Danzig theilt sich die Weichsel bei dem sogenannten Danziger Haupt in zwei Arme, von denen der rechte, die fahrbare Weichsel, direct nach Osten in das frische Haff strömt, der linke sich nach Nordwesten unmittelbar zur See wendet. Beide Arme umfassen die Danziger Nehrung, die in Außen- und Binnen «Nehrung zerfällt, und durch welche sich erst kürzlich, im Jahre 1840 vonEisstopfungen verursacht, dieWestweichscl einen neuen Aus» stuß bei dem Dorfe Neufähr bahnte, der demselben mehrere Häuser kostete, indem sie sich ein Bett von fünfzehnhundert Schritt Länge und mehr als fünfhundert Schritt Breite grub, das jedoch bald wieder durch Versandung für die Schifffahrt geschlossen wurde. Diese Nehrung hat zum Theil am Gestade des Meeres vielen Sand und in den Anhöhen am Strande vielen Bernstein, längs der beiden Weichselarme aber enthält sie fruchtbare Marschen, die zahlreiche Viehhecrden nähren, reiche Getreidefelder einschließen und mit wohlhabenden Dörfern bedeckt imd. Im Osten schließt sich die frische Nehrung, eine neun Meilen lange Sandbank, die das frische Haff vom Meere scheidet, an die Danzigcr an, hakenförmig nach der See gewendet, in nordnordöstlicher Richtung laufend und in ihrer Breite ziemlich gleichmäßig und höchstens zwischen einer und zwei Meilm wechselnd. Dieser Landrücken, als dessen ticferliegende Bestandtheile an einzelnen Stellen Grabungen kalkige Substanzen, Kiesel, Muschelreste und vegetabilische Stoffe erkennen ließen, ist auf seiner Oberfläche 27* 420 ' Die Danziger Nehrung. l6. Vuch größtentheils mit hohem Sande bedeckt, auf dem sonst Nichts gedeiht als eine ausgedehnte Waldung von Nadelholz, vornehmlich Kiefern, zwischen denen eine Anzahl Fischerdörfer zerstreut liegt. Auf der Meeres« seite bildet dieser Sand eine Kette von Hügeln oder Dünen, welche ihre Gestalt und Lage nach jede;- Richtung des Windes ändern. Sie drohten damit nicht nur die ganze Erdzunge unbewohnbar zu machen, sondern auch sowohl die Elbingcr als Danziger Weichsel völlig zu versanden; denn sie drangen allmählich immer weiter in das Innere der Nehrung hinein, viele Häuser wurden von ihnen verschüttet, die Kirche von Ncukrug mußte, um nicht ein gleiches Schicksal zu erleiden, abgebrochen und auf eine andere Stelle verlegt werden, und die zu Vohn-sack konnte man nur durch öfteres Wegschaufeln des vorgeschütteten Sandes zugänglich machen. Allein seit 1795 wird mit sehr großem Koftenaufwande daran gearbeitet, diese Dünen durch Bepftanzung mit Kiefern und Seegräsern zum Feststehen zu bringen, und schon ist ein großer Theil der Erdzunge dadurch gerettet worden. Die Entstehung dieser Nehrung und des dahinter liegenden Wasserbeckens ist unbekannt. Schon in der Beschreibung der im neunten Jahrhundert auf König Alfreds Befehl unternommenen Entdeckungsreise im baltischen Meere findet sich das Haff beschrieben, wie es sich uns jetzt noch zeigt; und in der Lebensschilderung des heiligen Adalbert, die schon vor dem Jahre 1190 niedergeschrieben wurde, wird erzählt, daß derselbe im Jahre 997 aus der Gegend von Danzig auf die Nehrung (in AolinFkm) gekommen sei. Die Verbindungspunkte des Haffs und des Meeres find aber häufiger und leicht dem Wechsel unterworfen; die Oeffnung, durch welche das Waffer des frischen Haffs sich mit der Salzfluth verbindet, hat in historisch beglaubigter Zeit, im 14. und 16. Jahrhundert, mehrfach ihre Stelle verändert. Erst befand sie sich bei Lochstädt, ganz im Nordosten der Nehrung, dann ungefähr in der Mitte der Landzunge zwischen den Dörfern Fogle und Schmeergrube, der Stadt Fraucnburg gegenüber, und wurde hier in dem Jahre 1311 und nach anderen Chroniken 1395 durch heftige Nordweststürme mit Sand ausgefüllt, und es bildeten sich darauf erst bei Rosenberg und dann bei Alttief, Balga gegenüber, Durchbrüche. Auch sie versandeten und die Fluchen wendeten sich von der Mitte der Landzunge ab wieder nach der Nordostecke bel Altpillau sich einen neuen Weg öffnend, aber auch er schloß sich bald wieder, wohingegen eine Springflut am 16. September 1510 das noch heut benutzte Fahrwasser, das „Pillaucr Tief" oder „enge Gatt", eröffnete. Es hat diese Straße 3000 Fuß Breite und ihre Tiefe von zwölf bis fünfzehn Fuß gestattet Fahrzeugen mit einer Ladung von 200 Last den Einlauf. 24. Kap.! Das frische Haff, Versai'.dungspioceß. 421 Das frische Haff selbst nimmt zwischen der Weichselmündung und Königsberg cine Länge von vierzehn Meilen und eine Nreite von an« dcrthalb bis zwei Meilen ein, und seine Tiefe gestattet kleineren Fahrzeugen beladen die südlichen Häfen aufzusuchen. Die Festlandsküste ist hier und dort ausgebuchte! und zieht sich nach Nordnordost, in ihrem nördlichen Endpunkte sich bis auf vier Meilen und darüber von dem Meere entfernend. Im Jahre 1839 veranstaltete Ehrenberg Untersuchungen über den Bodensatz, den die Flüsse in diese landumschlossenen großen Wasserausdehnungen niedergelegt, und den er vermittelst Vaggermaschinen hatte heraufholen lassen, und machte eine überraschende Entdeckung in Betreff ihrer Zusammensetzung. Es fand sich nämlich, daß derselbe größtcntheils aus lebenden mikroskopischen Organismen und aus leeren Schaalen von todten Individuen in einer haarigen Masse eingehüllt, bestand. Er stellte Vergleiche mit dem Bodensatz der verschiedenen Hafen und Flüsse an, woraus sich unter Anderem ergab, daß der Hafen von Pillau in seinem vom Wasser abgesetzten Grunde, von einem Zwanzigstel bis zu einem Viertel seiner ganzen Masse aus solchen unbedeutenden lebenden Infusorien gebildet ist, der von Wismar ihm aber fast gleich koimnt. Swincinünde, der Hafen von Stettin, ergab in einer seiner Moddcrbänke das Verhältniß von einem Drittel bis zu einem Halb von unterschcidbaren organischen Körpern. Es erhellt also, daß, mindestens in gewissen Fällen, die Verstopfung der Häfen und Flußmündungen,— ein gerade in der Ostsee in reißender Schnelle vorkommender Proceß, der an verschiedenen Stellen den beständigen Gebrauch von Baggermaschinen benöthigt, um schädliche Ansammlungen zu verhindern, — nicht allein durch den mechanischen Transport fester Erdtheile, sondern zum Theil auch durch Infusionsthiere gebildet wird. Nahe der Südküste des Haffs liegt, durchströmt vom gleichnamigen Flusse, die Stadt Elbing. Ein Canal, der Kraffuhl, verbindet sie mit der Nogat etwa eine Meile südwärts ihrer Mündung ins Haff, und führt kleinere Schiffe unmittelbar bis an ihre Straßen. Die Stadt war einst Mitglied der Hansa und früher viel wichtiger und reicher; weniger bedeutend sind Frauen bürg, Braunsberg, Heiligen-beil und Balga. Von hier gelangt man etwa eine Meile von dem nordöstlichsten Winkel des frischen Haffs an den Pregcl nach Koni g s b e r g, der zweiten Hauptstadt Preußens, mit über 80,000Einwoh-nern. Die in vierTheilo zerfallende Stadt hat fast zwei Meilen im Umfange, wird von dem hier 270 Fuß breiten Pregel durchschnitten und Uegt auf unebenem, zum Theil bergigem Boden. Ihre ursprüngliche Gründung verdankt sie Ottokar II. von Böhmen im Jahre 1255. Nach dem Thorner Frieden ward sie 1446 Residenz der Hochmeister 422 Königsberg. ^6. Buch. des deutschen Ordens und blieb es auch unter den Herzögen vonPreu« ßen. Im Jahre 1656 kam hier der Vertrag zwischen Karl X. Gustav von Schweden und dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg zu Stande, in Folge dessen Letzterer das Herzogthum Preußen zu Lehn nehmen mußte. Widersetzlichkeit der preußischen Stände bewog diesen großen Regenten zur Anlegung der Citadelle Friedrichsburg, seinem Zwingprcußen, und einer Befestigung der Stadt durch Wälle, Gräben und regelrechte Werke gegen äußere Feinde. An diese anlehnend wird seit einigen Jahren die Stadt neu verstärkt und zur Festung höheren Ranges nach den Ansprüchen der Gegenwart erhoben. Unter den Sehenswürdigkeiten zeichnet sich die Domkirche im Knciphof aus; ihr Schooß birgt die Grüfte deutscher Hochmeister und der Herzöge von Preußen, unter denen sich ein prächtiges Marmormonumcnt des Stif« ters der Universität, Markgraf Albrecht, befindet. Auch ruht in ihr der Ergründer des kategorischen Imperativs, der berühmte Philosoph Immanuel Kant, der hier 1724 in der Prinzcssinnenstraße geboren ward, lebte und 1804 starb, ohne daß sein Körper je Königsberg verlassen hätte, während sein Geist von dort aus sich über die ganze civi-lisirte Welt verbreitete. Ein einfacher Stein mit der Inschrift „Xgntti zepulcruln" deckt die Ruhestätte des schlichten Mannes, an,der äußeren Seite der Kirchenmaucr. Neben der Domkirche liegt die 1545 gestiftete Universität, Collegium Albcrtinum, die neben guten Samm' lungcn eine reiche Bibliothek mit vielen handschriftlichen Merkwürdigkeiten besitzt. An der Sternwarte derAlbettina lehrte bis vor wenigen Jahren, wo ihn der Tod dahinraffte, die, von Gauß abgesehen, größte astronomische Berühmtheit unseres Jahrhunderts, Professor Vessel. Das Schloß, ursprünglich von Otlokar von Böhmen 1257 gegründet, wurde in der gediegenen Weise der Ordensburgen im fünfzehnten Jahrhundert zum Hochmeistersitz ausgebaut. Aus dieser Periode rühren die weiten und tiefen Kellereien her, ein charakteristisches Kennzeichen der Ordensbautcn, in denen sich jetzt eine harmlose Wein-Handlung unter dem schauerlichen Namen „Blutgcricht" etablirt hat. Ueber der Schloßkirche befindet sich der aus neuerer Geschichte berühmte Moskowitersaal von 265 Fuß Länge und 57 Fuß Breite. Da der Pregel in der Stadt nur zwölf Fuß Tiefe hat, überdies zwei Sandbänke das Haff schwieriger zu befahren machen, bildet Pillau am Eingänge des frischen Haffs den Hafen für Königsberg, wodurch auch dieses Städtchen mit in das Wachsthum und Gedeihen des Hinterlandes hineingezogen ist. Es liegt auf dem nur noch etwa anderthalb Meilen langen Nehrungstbcile, der seit dem Durchbruch des engen Gatts von der größeren Hälfte abgetrennt wurde, ist freundlich und reinlich im holländischen Geschmack erbaut, mit herrlichen Linden« 24. Kap.) Samland. Fischhausen. 423 alleen in den Straßen, und wird durch eine Festung, im regelmäßigen Fünfeck erbaut, geschützt. Ihr Hafen gestattet Schiffen von 200 Lasten mit voller Ladung einzulaufen. Nördlich vom frischen Haff dehnt sich eine fünf Meilen breite Halb« inscl aus, die im Süden von den zahmen Wogen des süßen Wassers umspült wird, während im Westen und Norden die Fluchen der Ostsee brandend toben. Sie zeichnet sich nicht nur gegen die Unfruchtbarkeit der Nehrungen, sondern auch gegen ihre Umgegend aus und gewährt so hohe landschaftliche Reize, daß es sehr begreiflich ist, wie man ihr den Namen des „preußischen Paradieses" gegeben hat. Beträchtliche Verge, freilich nur aufgeschwemmten Landes und an den Küsten» aus Dünensand bestehend, aber mit Geröll und verirrten Blöcken von Granit und anderem Urgestein dicht besäet, durchgehen das Land, an dessen Küsten die reichsten Bernsteinfischereien betrieben werden, wie man ihn bei Großhubnicken am Ostseestrande auch bcrgn'crksartig dem festen Lande abgewinnt. Gut bebaute Ackerstrecken, reiche Forsten, darunter die Kapora'sche Fichtcnhaide in der noch das Elchwild haust, füllen das Innere dcr Halbinsel, die im Hauscnbcrg und im Galtgarbcn ihre höchsten Punttc (500 Fuß) erreicht. Die Nordküste des frischen Haffs macht drei Meilen westlich von der Pregclmündung eine über eine Meile in das Land dringende Vucht, die „schöne Wiek", an welcher das offene Städtchen Fisch hausen, dcr Sitz des Bernsteingerichtes, liegt. In ihm verbindet sich mit dem Interesse und Reiz dcr Lage die Erinnerung an die vergangenen Jahrhunderte, denn Fischhauscn war der Sitz des Samla'ndischcn Bischofs. Hier war es auch, wo die alten litthauischen Bewohner des Samlandcs eins der Hauptheiligthümcr ihres Cultus besaßen und ihre feierlichen Feste zu Ehren ihrer Götter feierten. Der heilige Adalbert, Sohn eines böhmischen Großen, dcr sein Bisthum Prag um der rohen Sitten sei« ner Landsleute willen verließ, und nach frommem Wandrerlcben in Italien, Deutschland und Ungarn zum Herzog Boleslaus von Polen nach Gncsen zog, gründete Fischhauscn. Ein Traum, der seinen apostolischen Eifer von Neuem entflammte, trieb ihn aus Gncsen fort, zur Bekehrung der Preußen. Nachdem er in Dauzig zu taufen begonnen, ließ er sich durch eine wenig gastliche Aufnahme nicht zurückschrecken, sondern machte am 23. April 997 einen zweiten Versuch, den hartnäckig an ihrem Glauben hängenden Preußen :as Christenthum zu predigen. An den Ufern des frischen Haffs fand er zu heidnischem Feste versammelt zahlreiche Mengen der Bewohner des Samlandes und richtete an sie seine heißen Ergüsse. Die apostolische Stimme aber ward überhört und von wilden Drohungen der heidnischen Priester erstickt; man umringte ihn, und als er in begeisterter Blindheit dcr Gefahr trotzte und sich 424 Die kurische Nehrung. ^6. Buch. neuen Schmähungen des Heidcnthums überließ, tödtete ihn der Lanzenstich eines verzückten Priesters, als Opfer seines Eifers. Sein Leichnam wurde von Voleslaus von Polen zurückverlangt und von den Preußen gegen Bewilligung seines Gewichts in Golde ausgeliefert, endlich im Dome zu Gnesen beigesetzt. Ostwärts der Nordfüste dieser Halbinsel des Samlandes schließt sich die lurischc Nehrung an, eine zusammenhängende Landzunge loser Dün enbcrgc, die eine Flächt von über vierzehn Meilen Länge und eine halbe bis eine Meile Breite bedecken. Ihre Richtung ist entschieden nordnordöstlich und sie macht einen nur wenig nach der See geöffneten Bogen. Die Boden- und Nahrungsverhältnissc sind auf ihr ganz dieselben, wie auf der frischen Nehrung. An einigen Stellen ist sie so schmal, daß bei scharfen Weststürmen die Mecreswogcn über sie hinweg in das Haff schlagen. Waldungen konnten auf diesem lockern Sande nicht festen Fuß fassen. Die Bäume, die stehen blieben, sind zum größten Theile ihrerAcste und Zweige beraubt und gleichen Pfählen mit starken Köpfen. Sandwirbel thürmen sich an ihren Stämmen auf und verschütten oft die dahinter liegenden Häuser lawinenartig; im sicbcnzchnten Jahrhundert warf ein heftiger Sturm, verstärkt durch die Wucht des Sandes, zwei Dörfer auf diese Weise ins Meer. In je« dem Herbst und Frühjahr, zur Zeit der Tag- und Nachtgleichen, wechselt der Boden seinen Anblick, Hügel werden zu Ebenen und auf diesen thürmen sich wieder Hügel auf. Einiges Damwild und Hasen fliehen scheu durch diese ungastliche Oede, die sonst nur von einer übermäßig großen Schaar Raben und Falken bevölkert wird, auf welche die Bewohner der nahen Städte eine gern betriebene Jagd veranstalten, und deren Zehentabgabe frühcrhin das Einkommen des Nchrungsprcdigcrs war. Das durch diese Landzunge von derOstsee getrennte Haff, welches dem Glauben nach älteren Ursprunges als das frische Haff ist, hat die Gestalt eines beinahe rechtwinkligen Dreiecks mit nach Norden gerichteter Spiße, und bei dem die Nehrung die lange Seite bildet. Seine südnördliche Länge beträgt fünfzehn, seine Breite im Süden sieben und im Norden kaum eine halbe Meile; der ganze Flächeninhalt desselben bildet einen Wasserspiegel von achtundzwanzig und eine Viertelquadratmeile. Die Tiefen in demselben sind sehr verschieden und wechselnd durch den mehr oder weniger hineingetriebenen Flugsand. Fast das ganze innere Becken ist ohne Strömung und das Wasser so ruhig, daß es sich gleichzeitig mit den nahen Landseen mit einer Eisdecke belegt; in der Nähe der Rußmündung aber, die eine verhältnißmäßig nicht unbedeutende Bucht in der Ostküste bildet, wird die Fluth reißend und wirbelnd, so daß in dieselbe gerathcnde Fahrzeuge häufig auf die Untiefen geworfen werden, die den Strand umgeben. Das „Memeler 24. Kap.1 Memel. 425 Tief", die nach Nordwest gehende Ausströmung des Haffs in die Ost« see, ist eine nur dreitausend Fuß breite Enge von zwölf Fuß Tiefe, weshalb nur geringere Fahrzeuge beladen in das Haff gehen können. Den Namen kurischcs Hass gab die Wissenschaft dem Wasserbecken nach dem alten Stamme der Kuren, der in »ordentlichen Zeiten seine Sitze bis rund um seine Ufer ausgedehnt haben soll; im Munde der Umwohner aus dem Volke heißt und hieß es aber schlechthin der „Mümmel". Memel, die äußerste Stadt Preußens, liegt am Einfluß dcr DangcindaskurischcHaff, da, wo dieses seinen Wasservorrath in die See ergießt. Diese bildet selbst eine weite prächtige Rhcdc mit vollkommenem Schuß für die größten Fahrzeuge und in dem großen Becken des Scetiefs einen guten Hafen, in welchem dreihundert Schiffe von 300 Lasten liegen können, und dem sich noch ein zweiter, der Stromhafcn, an dcr Dange anschließt. Früher häufigen Versandungen unterworfen und im Jahre 1800 bis auf nur fünfzehn Fuß Wasserticfc ausgefüllt, hat die Negierung ihn seitdem reinigen lassen und durch kostspielige Arbeiten gegen den beweglichen Sand geschützt. Die über 8000 Einwohner zählende Stadt ist befestigt, von einer Citadelle geschützt und sieht jetzt, nachdem sie im Jahre 1853 durch eineFeucrsbrunst gänzlich zerstört wurde, auch einer den Ordnungs- und Schönheitssinn befriedi« gcndcn Auferstehung entgegen. Mcmel ist dcr Centralpunlt dcs baltischen Handels mit Holz, das auf dem gleichnamigen Strome aus den lit-thauischcn Waldungen, zum großen Theil ein Bcsitzthum der fürstlichen Familie Nadzivil, heruntergcflößt wird. Dic Quais und Straßen dcr Stadt bieten in der Handelszeit ein lebhaftes Bild und bun-tcs Durcheinander dar, dcutsche und russische Kaufleute, Engländer, Franzosen, Schiffer, Capitaine und Matrosen, litthauischc Bootsleute, Bauern, Forstleute, Pächter, jüdische Hausirer und Trödler und gelegentlich auch einige Frauen und Mädchen in ihrer eigenthümlichen Nationaltracht, dem Nest der samaitischcn Sitten in den benachbarten Gegenden Samogiticns, wogen hin und her. Diese letzteren verrathen in ihrem ganzen Gepräge noch auf das Entschiedenste ihre Abstammung von einem versprengten Zweig der finnischen Race. Sie tragen noch heut den selbstgefertigtcn unansehnlichen aschgrauen wollenen Mantel und sind so klein von Gestalt, wie die Diminutivrace der Pferde, die sie besitzen. Dcr noch übrige Theil der preußischen Ostsccküste nordwärts Me-mcl, nicht ganz drei Meilen betragend, ist niedrig, mitSteinen bedeckt, wenig fruchtbar und von Düncn nach Außen hin umgeben. Mehrere Stranddörfer dchnen sich lang an dcr Küste aus, ihre Bewohner durch Fischerei und Bcrnstcinschöpfcn ernährend und wenigen Ackerfeldern und mageren Fichtenstrecken mühselig den nothwendigsten Ertrag abgewin- 426 Die preußische Grenze. 16. Vnch. nend. Das Dorf Witte, fast unmittelbar an Memel grenzend, zeich« net sich vor den übrigen durch einen sehr ergiebigen Neunaugcnfang aus. Unter dem 55. Grade 52 Minuten 24 Secunden der nördlichen Breite liegt hart am Meeresufer das Dorf „Nimmersatt", der nörd« lichste Punkt des königlich preußischen Besitzthums, in einer Wüste lockern Sandes, die nach Westen nur das Meer und nach den anderen Himmelsgegenden magere Fichtcnstrccken begrenzen. Hier erhebt sich auf dem ebenen Boden weitbin sichtbar ein schwarz und weiß gestreifter Schlagbaum, die Grenzmarke Preußens. Etwas neutraler Boden führt zu einer zweiten Barriere mit russischen Farben, an der die Lanze des Kosaken dem Fremden entgegensteht und ihn bei Uebcrschreitung derselben in das eine halbe Meile nördlicher liegende Ufcrstädtchen P o-langen führt, um den Beweis der Erlaubniß des Czarcn zum Eintritt in seine Staaten zu prüfen. Durch die Neutralität Preußens in dem Kriege zwischen dem Osten und Westen gewannen seine östlichen Häfen, namentlich aber Memel, eine reiche Ernte, Dank den gegenseitigen Bedürfnissen beider sich bekämpfenden Theile. Die geräuschvolle Vlokade der russischen Häfen vermochte wohl den kleinen Verdienst einer bcdaucrnswerthcn Küstcnbcvölke-rung zu vernichten, aber nicht den auswärtigen Handel Rußlands zu zerstören; es griff nur zu dem Mittel eines andern Betriebs desselben, und wie Handclswegc, die einmal gebahnt, gern erhalten werden, wird möglicherweise diese Interimsstraße zu einer bleibenden werden, natürlich mit Ausnahme der Holzaus - und Kohleneinfuhr, deren Material zu schwer und unbequem für den Ueberlandtransport ist. Von Petersburg und Riga nach Mcmel und Königsberg hatte sich ein Karawanen-systcm gebildet und ist mit ziemlicher Regelmäßigkeit fortgeführt worden. Die für Rußland bestimmten Güter, Baumwolle, Zucker, Weine, Tpecereien und andere (5olonialproducte wurden in den preußischen Häfen gelandet und von dort aus per Achse weiter an die Orte ihrer Bestimmung geführt; dieselben Wagen, welche sie hinbrachten, kehrten aber mit russischen Productcn beladen zurück, und führten Hanf, Flachs, Talg. Borsten, Leinsamen und Korn, zur Ausfuhr nach Großbritannien, Frankreich, Holland und Belgien, in Preußen ein. So gewann der preußische Kaufmann am Commissions- undSpeditionshandcl und die Regierung durch die auf den Waaren lastenden Eingangszölle. Siebentes Buch. Die Russischen Ufer. Fünfundzwanzigstes Kapitel. Die Esthnische, Livische und Kurischc Küste. Küste von Kurland — Polanqcn. — ?iba„. — Windan. — Domesnas — Küste von Livland. — Die Nigaiscke Bucbt. — Riga. — Nuuöc. — Ocscl. — Dagoe. Fast unmittelbar hinter Memel beginnt die russische Küste des ehemaligen Herzogthums Kurland. Sie dehnt sich etwa fünfzehn Meilen nach Nordnordost, wendet dann eine kurze Strecke nach Ost und seht darauf in der alten Richtung abermals zehn Meilen weiter bis nördlich von Windau. um sich dann nach iDsinordost dem Vorgebirge Domesnäs auf zehn Meilen Ausdehnung zuzuwenden. Die Küste ist fast in ihier ganzen Länge mit hohen Dünen umgeben, die das Land gegen das Andringen des Meeres schützen, theils sind aber auch die sandigen Ufer flach und verbreiten Feuchtigkeit über die nachstgelcgenen Gegenden. Wie auf der preußischen Küste finden sich auch hier Kiesellager und kalkige Substanzen in einzelnen Landstrcckcn, die einerseits mit denen Livlands und andererseits unterseeisch mit der Insel Gothland zusammenhängen. Auf dieser Küstensirecke liegt hart an der preußischen Grenze das Städtchen Polangen, nur als Zoll- und Grcnzort bekannt und fast von lauter Vernsieinhändlern jüdischer Race bewohnt. Einige Meilen weiter nördlich findet sich der Hafen Lib au mit dem ersten der dreißig russischen Leuchttbu'rmc der baltischen Küsten. Der Hafon, der, wennschon klein, doch lief und sicher ist, hat für Nußland eine gewisse Bedeutung, da er gewöhnlich drei Wochen früher als die Häfen des Riga'schen und finnischen Busens und sechs Wochen früher als Petersburg eisfrei wird, und genießt den zweiten Vortheil, daß kein großer 428 Lib««. Windau. ^7. Buch. Fluß durch den Eisgang seiner Mündung neue Gefahren für die Schifffahrt bereitet; woher auch in der Regel der Handel mit Süd, fruchten über Libau geht. Der westliche Theil von Kurland und Nord-litthauen oder Samogitien und Schamaiten sind das Libauer Hinterland und könnten durch ihre hinreichenden Exportartikel den Reichthum der Stadt bedeutend heben, wenn der Mangel an Landwegen und Fluß-communication nicht fast den ganzen Transport auf die winterliche Schlittenfahrt beschränkte. Wenn Eisenwcge nach Mitau, Riga und so weiter, wogegen keinerlei territoriale Hindernisse ankämpfen, die Verbindung erleichterten, dürfte das jetzt nur wenig bedeutende Ocrtchen ein gewaltiger Handelsrival Memels werden. Das Städtchen ist unregelmäßig aber freundlich gebaut, in dem allgemeinen nordisch-baltischen Baustyl, der durch das Klima und das naheliegende Material, Holz, bedingt und gleichwcit von der gothischen großartigen Bauart der mittelalterlichen deutschen, wie der glatten zierlichen und doch reichen der neuen russischen Städte entfernt ist. Niedrige, lange Häuser mit weitläuftigen und bequemen Räumen nehmen diesen nordischen Städten das äußere Ansehen, ersetzen es aber durch innere Behaglichkeit, Freundlichkeit und Wärme. Fast der ganze Kaufmannsstand Libau's ist noch deutsch, und in dem niederen Volke, das von der See seinen Erwerb bezicht, ist Plattdeutsch, allerdings mit fremden Ausdrücken gemischt, das herrschende Idiom. Wind au ist die nördlichste Stadt Kurlands und als Hafen in jeder Beziehung das Abbild von Libau, doch weniger bedeutend als jenes. Hier durchbricht die Windau, ein Kurland von Süd nach Nord durchströmendes Flüßchen, in nordwestlicher Richtung die Dünenkette und bildet einen kleinen natürlichen Hafen. Die Handelsverhältuisse sind fast dieselben wie die Libau's, und auch dieser Stadl wäre eine Zukunft zu verheißen, wenn das mehrfach gefaßte, aber trotz leichter Rcalisirung stets wieder aufgegebene Project einer Canalverbindung der Windau-quellen und des unweit davon entfernten schon schiffbaren Niemen ausgeführt würde. Die Winterspcrre des Windauer Hafens dauert nur um ein Geringes länger, als die des Libaucr, allein auch hier bieten bedeutende Sandbänke der Einfahrt noch größere Schwierigkeiten, und namentlich^sperrt eine Untiefe den Hafen und macht die Rhedc unbrauchbar. Im Frühjahr und Sommer ist sie gewöhnlich von der Mündung des Hafens weit entfernt, so daß diese zwölf bis achtzehn Fuß Tiefe hat, im Herbst aber schieben sie die anhaltenden Südwestwinde oft als mächtigen Riegel unmittelbar vor die Ausmündung und verringern die Wassertiefe bis auf fünf Fuß. Die Stadt ist schlecht und unregelmäßig gebaut, hat eine überwiegend kurischc Bevölkerung, die sie auch lettisch „Wente" nennt. 25. Kap.) Die Küste Kurlands. 429 Der nördlichste Punkt Kurlands ist das scharf nach Nordnordost gerichtete Vorgebirge Domesnäs. Von dem sich zu einer dic Umgegend dominirenden Spitze erhebenden Lyserort dehnt sich eine Art Landzunge von etwas mehr als dreißig Quadratmeilcn Flächeninhalt mit fünf Meilen Küste an ihrer West- und ebensoviel an ihrer Ostseite ins Meer hinaus, um in dem berüchtigten Punkte zu enden, den die Holländer, mit Schrecken sich der Leiden so manches Schiffbruchs erinnernd, „de Kursche Vorst van de blaue Barg" nennen. Der Strand dieser Landzunge, die ihren Namen dem Schlosse Dondangen entlehnt und ein Fideicommiß der Familie von Sacken ist, bietet an sich keine große Gefahr dar, und zeigt sich öde, sandig und flach und mit wenigem Birken-gestrüpp bedeckt. Die Schrecken, die des Schiffers hier harren, bieten aber die Fortsetzungen des Vorgebirges dar, die als dichte, langgestreckte Sandbänke unter der Oberfläche des Wassers weit in die See hinausziehen und um so drohender werden, als westwärts derselben von Swa-verort, der Südspitze Oesels, eine ähnliche sich südwestwärts nachLyscr-ort auf der kurischen Küste richtet. Fast alle Riga aus- und einlaufenden Fahrzeuge müssen die hier zwischen den Sandbänken gebildete Meerenge passiren, eine schwierige Arbeit für die aus dem Sunde mit günstigen Winden heransteuernden Fahrzeuge, die unter ihnen entgegenwirkenden Luftströmen den Cours aus Süden in den aus Nordm ändern müssen. Auf der Ostseite der Halbinsel Dondangen und namentlich bei Domesnäs selbst verursachen die verschieden gerichteten Strömungen des rigaischen Meerbusens und der eigentlichen Ostsee Wirbel, die der Schifffahrt sehr gefährlich sind. Eine Eigenthümlichkeit des kahlen, wald- und baumlosen kurischen Strandes oder vielmehr der kurischen Edelleute ist es, daß im Monat Juli und August sich alles Leben und aller Genuß am Strande con-ccntrirt. Vorzugsweise um Libau, aber auch um die anderen Städtchen, Dörfer und Güter an der See gruppiren sich fröhliche Kreise des dann fast ganz ausgcstorbenen flachen Landes, um im Scebade neues Leben, Stärkung und Genuß zu suchen, und wohl kaum ist irgend eine andere Seeküste Europa's dann so durchweg bevölkert, als die Kurlands. Zwischen Domesnäs in Kurland und Swaverort auf der Insel Oescl liegt die schmale Einfahrt in den livischen Busen, den drittgrößtsten, den die Ostsee bildet. Sackförmig nach Süden in das Land dringend, badet er einen Theil der kurischcn Küste, ganz Livland und breitet sich bis hinüber nach Esthland aus, enge Canäle zwischen den Inseln Oesel und Dagöe und dem Festlande bildend. Da seine Umrisse sehr unregelmäßig sind, ist es schwer, die Ausdehnung desselben genau zu bestimmen. Zieht man eine Linie vom Cap Domesnäs nach der esthnischen Grenze in nordöstlicher Richtung, so findet man eine Entfernung 430 Riga. I?. Vuch. von etwa fünfzehn geographischen Meilen und eine gleiche Weite von dieser senkrecht auf den südlichsten Punkt Dünamünde gemessen. Die Einfahrt zwischen Domesnäs und Swaverort hat eine ungefähre Breite von acht Meilen, die aber an der Spitze von Oesel durch eine Klippen -reihe und bei Domesnäs durch eine veränderliche Sandbank um mindestens drei Meilen verengt wird. Die innerste Vertiefung des livischen Busens, welche die Wasser der Düna empfängt, trägt'den besonderen Namen „Bucht von Riga" und bildet die Rhede der gleichnamigen, zweitwichtigsten russischen Handelsstadt an der Ostsee. Die Mündung des Stromes vertheidigt eine jetzt dem Vernehmen nach zur Schleifung bestimmte Festung Dünamünde, die gleich hinter dem Einfluß der aus Kurland kommenden Bolder-Aa auf dem linken Ufer der Düna liegt, und als deren Fortsetzung ein fast eine Werst langer Steindamm, unter der Kaiserin Katharina der Zweiten erbaut, anzusehen ist, und auf dessen Spitze einLcuchtthurm steht. Hinter ihr befindet sich ein seit 1852 vollendeter großartiger Winterhafen mit einer Speicherstadt, wo die Schisse sich den Paß. und Zoll-Untersuchungen zu unterwerfen haben. Riga selbst liegt etwa zwei Meilen weiter nach Südwest, an dem Flusse, der im Gegensatz zu den anderen von Süd und Ost in das baltische Meer mündenden Flüssen seinen ganzen Wasservorrath in einem Strome zusammenbehält und das ununterbrochenste Mündungsgebiet, in dem nur zwei kleine Wasseransammlungen übrig blieben und auf jeder Seite ein selbständiges Flühchen dem Strome zufließt, vorgeschoben hat; das aber auch jenen anderen fruchtbaren Deltalanden entgegengesetzt eine wahre Wüstenei ist, die nur der edlen Iagdlieb-t>abcrei durch ihren ornithologischen Reichthum als gelobtes Land gilt. Die Stadt selbst besitzt noch in der an dieser Stelle 1600 Fuß breiten Düna einen guten Hafen, der von kleineren Fahrzeugen besucht wird. Eine achthundert Schritt lange Floßbrücke vermittelt seit 1701 die Verbindung beider Ufer in der Stadt. Diese liegt in einer öden, ursprünglich sandigen und flachen Gegend, ist aber nach allen Seiten hin mit Wällen, starken Bastionen und mit tiefen Wassergräben versehen, und hat unterhalb am Strome neben sich die gehörig befestigte Citadelle mit einem reichvcrschenen Zeughause. Die Stadt theilt sich in einen alten Kern und Vorstädte, deren ersterer ganz deutsch und hanseatisch erscheint und enge, finstre Straßen, mit Tack- und Quergäßchcn, Durchgängen mit thurmhohcn Giebelhäusern:c. zeigt. Hier liegt die, trotz der alten Häuser, die viele Generationen schwinden sahen, geringe Menge sehenswürdiger mittelalterlichen Gebäude, das Rathhaus, das Versammlungshaus der schwarzen Häupter, einer ursprünglich bürgerlichen Wassengenosscnschaft zu Schutz und Trutz, die diesen Gegenden eigen« 25. Kap.) Riga. 431 tbümlich sich noch in ihren Resten erhalten hat, aber lediglich zu einer Trinkgenossenschaft herabsank. Die Vorstädte sind das gerade Gegentheil der alten Stadt, haben weitläufige, regelmäßige luftige Straßen und viele kaiserliche und städtische schöne Amtsgebäude, wenn schon der Festungsgcsetze halber nur aus Holz gebaut, um, wie es bei der drohenden Annäherung einer französischen Division im Jahre 1812 durch die Bewohner selbst geschah, leicht zerstört werden zu können, damit sie mit ihren Verrathen den Feinden keinen Vorschub leisten. Der Heldenzeit Rußlands während der Kriege 1312 bis 14, dem Kaiser und Riga selbst, wurde wegen der muthigen Haltung derBü'rger-schaft und des bewiesenen Patriotismus, durch die Kaufmannschaft ein Andenken errichtet, das in einer ehernen Victoria besteht, die sich auf einem der Plätze auf luftiger, granitner Säule erbebt. Unter den Bauwerken zeichnet sich die Residenz des General-Gouverneurs mit dem Sitz der Landcsbehörden aus, die, wenn schon mehrfach erneuert, aus dem Jahre 1515 stammt und von Walter von Plettenbcrg, dem tapfren Heermeistcr, dessen Standbild noch hoch an einer Mauer zu sehen ist, gegründet wurde. Unter den Kirchen ragt die St. Peterskirche hervor, deren Thurm der höchste im russischen Reiche sein soll. Der Dom enthält die Gräber der ersten rigaischen Bischöfe von dcm Bremer Albert und seinen Nachfolgern ab, die als stolze Kriegs - Priester auszogen, die Heiden mit Kreu; und Schwert zu bekehren. Die Geschichte Riga's ist in allen ihren Epochen reich an Interesse. Gegründet 1201 am Rigcbache, wo er in die Düna mündet, durch Bischof Albert von Apeldorn, erst vierzig Jahre nach der Entdeckung Livlands, blieb es bis 1562 gemeinsames Eigenthum des Kirchenfürsten und des von ihm ein Jahr später gestifteten Schwertbrüdcr-ordcns. Schon fünf Jahre nach dem Beginn der Rcligionsänderung schloß sich Riga derselben 1522 an. Als Gotthard Kcttler das Heer-meisterthum Livlands 1562 gegen das weltliche polnische Lchnsfürsten-thum Kurland vertauschte, erkämpfte sich Riga eine ungefähr zwanzigjährige Freiheit, erkannte dann aber die polnische Schutzherrschaft an. Im Jahre 1621 eroberte Gustav II Adolph die Stadt nach langer Belagerung und hartnäckiger Vertheidigung. Schwedisch geblieben, brachte sie die Belagerung August des Zweiten 1700 in harte Be« drängniß, bis der schwedische Löwe, Karl XII., sie 1701 entsetzte. Nach der Niederlage dieses Helden bei Pultawa, ergab sich die durch schwere Pest und eine harte Belagerung fast decimirte Stadt am 14. Juli 1710 dem Feldmarschall Scheremetiev und verblieb seitdem unter russischem Scepter. Wenn auch seit dieser langen Zeit von äußerem gewaltsamen Kriege verschont geblieben, entspann sich ein um so interessanterer innerer, der noch bis heute fortwährt und wenn auch leine blutigen. 432 kNlga. ^7. Buch. doch immerhin empfindliche Niederlagen für das Deutschthum herbei« führt. Es wurde schon der äußere Unterschied des Stadtkerns und der Vorstädte erwähnt, in jenem hat sich nun auch ein altes, echt deutsches Leben mit strengem Luthcrthum verschanzt und kämpft für seine alten Bürgerrechte, sein Zunftthum, seine aus der min schon l4ll Jahre alten Kapitulation herrührenden Privilegien gegen die fortschreitenden Russen, die auf Gleichgenuß aller Rechte und Umsturz der alten rigacr Verfassung dringen. Die Regierung unterstützt selbstverständlich im Ganzen die russischen Ansprüche, und mehr und mehr schwinden die Spuren der alten reichsstädtischen Republik unter dem Ansehen einer russischen Gouvcrnementsstadt. Einer der gewichtigsten Siege des Russenthums war die Gründung eines griechisch-russischen Erzbis-thums und Errichtung eines geistlichen Seminars unter einem Archi, mandriten. Der lebhafte Handel in der Jahreszeit, wo die Schifffahrt Riga's frei ist, und der ziemlich allgemeine Reichthum und feine Lebensart macheu den Aufenthalt in der Stadt angenehm und belohnend. Große Reihen stattlicher Fahrzeuge liegen im Sommer an der Düna-Brücke und erzeugen durch das Laden und das Löschen ihrer Waaren einen so regen Verkehr, wie ihn nur eine Stadt des Welthandels bietet, während auf und an dem oberen Strome die Hanf-Ambarren und Strusen sowie die Holzstöße einen eigenthümlichen Zug dem Gesamnu-bilde hinzufügen. Getreide, vorzugsweise Roggen, Leinsamen, Hanf und Flachs sind die Productc, welche der 200 Meilen lange, schöne Strom aus dem Herzen der productivstcn Provinzen Rußlands dem auswärtigen Handel zuführt und dafür seewärts die fremden Products und Luxusartikel des Südens einbringt. Daß der rigaischc Flachs die erste Stelle der Welt in diesem Zweige behauptet, ist allgemein bekannt; weniger aber, daß Riga einen reichen Gemüsebau- und Fruchthandel treibt. Südfrüchte kommen in großer Menge an, und Acpfel, Virnen, Melonen und Trauben bezieht Riga, mit der Zwischenstation Moskau, landwärts aus den südlichsten Provinzen des Reiches, um sie wieder nord - und westwärts zu versenden. Die Kaufmannschaft besaß beim Beginn des Krieges 1852 zehn Dampf» und zweiund-sechszig Lastschiffe; der Werth der Ausfuhr betrug neunzehn Millionen, der der Einfuhr sieben Millionen Silberrubcl, und der Wechsel der Schiffe überstieg die Zahl von 2000. Die größeren Handclsetablisse-ments und die Fabriken, zwciundsechszig an der Zahl, sind fast alle in den Händen Deutscher und Fremder; der Kleinhandel aber wird von den Russen getrieben, die sich auch der verschiedenen Professionen bemächtigten. Die stehende Bevölkerung beträgt gegen 70,000 Seelen, im Sommer aber ist sie großen Schwankungen unterworfen, da der Früh- 25. Kap.1 Pernau. 4IZ ling gleich nach dem Aufbruch des Eises zahllose wandernde Arbeiter, die mit einem Worte von unentschiedener Ableitung undBedeutung,Burläk, bezeichnet werden, herbeiführt. Meist sind es beurlaubte Leibeigne ferner Provinzen, hartgcwöhnte, starke Männer, die unempfindlich gegen den Thau und die schneidende Kälte der Frühjahrsnächtc, von schwerer Arbeit aller Art unter Thorwegen und an Straßenecken übernachten und an ihren langen Värten, breiten Rücken und gekniffnen Zügen leicht als Nationalrussen kenntlich sind. Die Mehrzahl wandert im Herbst zurück, aber ein Rest bleibt als Rekruten für den Pöbel und die Verbrecherwelt der Stadt. An der Ostküste des livischen Busens, die ziemlich glatt und ohne Einschnitte nach Nordnordost zieht, liegt etwa in gleicher Höhe mit Domesnas das Städtchen Salis mit einem festen Schlosse und einem einst guten, jetzt aber durch Versandungen ganz verstopften Hafen. Acht Meilen weiter nach Norden mündet die Perna u. Dieser kleine Fluft verheißt dem an seinem Ausflusse erbauten Städtchen, jetzt von 6000 Einwohnern bewohnt und durch Spiegclfabrikation und Weberei bekannt, ehemals aber ein nicht unwichtiger Kriegshafen, eine Zukunft, wie sie Libau in Kurland in Aussicht hat, indem mit geringen Canal-bauten sick eine Wasscrvcrbindung mit Narwa für selbst größere Fahrzeuge herstellen läßt. Die immer für Flöße, Balken und Bäume schissbare Pernau hängt in ihrem westlichen Theile bereits mit dem See Warzjerve durch das Flüßchen Fellin zusammen, und aus diesem tritt die Embach noch Osten aus und führt das Wasser desselben über Dorpat in den Peipus>See, der sich bekanntlich seines Uebersiusses als Narowa direct in den finnischen Meerbusen entledigt. Die Stadt ist von jetzt verfallenen Befestigungen umgeben und im Besitz eines kaiserlichen Schlosses, doch ohne irgend welchen militairischcn Werth. Ursprünglich lag sie auf dem rechten Ufer, ging aber im blutigen, offnen und geheimen Kriege mit einer Colonie „Neu-Pernau", die am linken Ufer entstand, eigene städtische Nechte beanspruchte und die Hilfe der schwedischen Könige gewann, im Laufe eines Jahrhunderts so vollkommen unter, daß an ihre Wicdererbauung auf dem „verfluchten und verbotenen" Platze nie mehr gedacht wurde und sie jetzt ganz in Ncu-Pernau aufgegangen ist. Von der Pernaumündung schießt die Küste drei Meilen weit nach" Westsüdwesten vor und zwar in gerader Verlängerung und gleicher Richtung der kurischen Küste westlich von Domesnas. Genau in einer gedachten Verbindungslinie beider Küsten liegen etwa zwei Meilen von der livischen Küste die kleinen Klippeninseln Kunöcr, und in der Mitte zwischen Domesnas und der äußersten Grenze der Küste Livlands, etwa zwölf Meilen nördlich von Dünamünde, die Insel Runöe. Die Ostsee. 28 434 , Nunöe. l?» Vuch. Dieses Eiland, das nur aus einem einzigen dreiviertel Meilen langen und eine halbe Meile breiten Kalkfelscn besteht, bietet mannigfache interessante Züge dar. Mittcn unter den Insel- und Küstcnbevölkcrun-gen esthnischen, livischcn und lettischen Stammes wurde diese Klippe von Skandinaviern bevölkert und getauft, und hielt sich seine Einwohnerschaft in Sprache, Sitte und Charakter so gesondert, wie die Wellen sie physisch von den benachbarten Ländern trennen. DieInsel ist sandig und eben, bringt hinreichend Getreide und Gemüse hervor, um die geringe Menschenmenge zu ernähren und Weide für das Vieh zu bieten, das zu denselben kleinen Naccn gehört, die man auf den anderen baltischen Inseln findet. Wild und Wald hat die Insel nicht und höchst selten verirrt sich ein Wolf oder Fuchs über das Eis auf dieselbe. So arm aber das Land an Producten, so reich ist das Meer an Fischen und Seecrzcugnisscn, und daher auch der eigentliche Schauplatz des Lebens dieser Insulaner. Im Norden, Süd und Osten auf ein bis zwei Meilen Breite von Untiefen und Sandbänken umgeben, fangen die Runöer-Fischer zur Sommerzeit Butten, Dorsche und Strömlinge und bringen sie in ganz kleinen Fahrzeugen mit großer Kühnheit nach Riga, Pcrnau und den übrigen livischen, sowie esthnischen und kurischenKüstcnorten. Im Winter aber ziehen sie auf dem Eise dem Seehunde bis zu jenen Stellen entgegen, wo sich die See offen erhält, und erlegen ihn in steten Kämpfen mit den Elementen und oft auch mit den Thieren selbst. Diese Jagden und Fischzügc sind gemeinsame Unternehmungen, und daher auch der Ertrag gemeinsam. Von dem gelösten Gelde wird der Ankauf aller wirklichen Bedürfnisse der Inseln gemeinschaftlich besorgt und der Rest des Geldes im Verhältniß unter den Thcilnehmern der Expedition getheilt. Ebenso steuern sie auch ihre Abgaben an die russische Regierung gemeinschaftlich, und Einer steht dabei für den Andern ein. Standcsunterschiede giebt es auf Runöe nicht, und nie besaß ein Edelmann einen Schritt Landes daselbst, weshalb es auch dort niemals Leibeigenschaft gab. Ihre Abgaben sind gering, und Privilegien, die wie alle-sie betreffenden Verordnungen auf Pergament geschrieben, verbrieft und versiegelt sind und von ihnen ihr „eiserner Brief" genannt werden, erleichtern ihnen das Leben., Das wichtigste Recht darin ist, daß sie von der Rckrutirung befreit sind und daß nie ein Russe auf der Insel ansässig werden darf. Sie haben nur einen Beamten, den Hakenrichter, und der ist stets ein Deutscher. Eine eigene Gerichtsbarkeit übt die Versammlung der Aeltcstcn und der Hakcnrichtcr, und sie straft mit Verbannung von der Insel, die von den russischen Oberbehörden re-spectirt wird und den früheren Brauch des In die Secwcrfens erseht. Die Sprache der Insulaner, auch im Verkehr mit den Landesbchörden, ist schwedisch; der Menschenschlag stark und stämmig, zartfarbig, hellblond 25. Kap.1 . Die Insel Ösel. 4gg und blauäugig. Sie haben Geschick, verfertigen sich eigenhändig alle ihre Geräthe, selbst Büchsen aus Eisendrähten spiralförmig gewunden und damascenerartig zusammengeschweißt, bauen sich selbst ihre zweckmäßigen, reinlich und ordentlich gehaltenen Häuser, die, den esthnischen entgegengesetzt, Schornsteine haben, und zwar aus Stein, und tragen eine eigene Tracht, zu der durchweg Stiefeln gehören, die der Esthe und Lette nicht kennt. Ein grautuchener bis aufs Knie gehender Rock wird von einem ledernen Gürtel gehalten, in dem das kurze Messer „ToUeknif" hängt, und auf der Brust sitzt eine lederne Tasche, während ein brcitkrämpiger Hut den Kops deckt; kurz, Farbe und Schnitt gleichen vollkommen den Trachten, wie sie sich in den schwedischen Gebirgsthälern und in den norwegischen Alpen erhalten haben. Die Runöer sind auch bis heut wegen ihrer Sittcnrcinheit und großen Rechtlichkeit gerühmt, haben aufgeklärten Geist und hellen Verstand und, so fern sie auch der Außenwelt stehen und stehen wollen, einige Nildung, da in den Schulen auf der Insel alle Kinder schwedisch schreiben und lesen lernen. Vor dem livischen- Busen selbst breitet sich eine Gruppe größerer Inseln aus, die sich der Küste von Esthland nähert und wohl ursprüng» lich mit idr vereint, durch den Einschnitt des Meeres in seinem Süden erst von derselben und unter einander getrennt wurde. Die westlichste und größte ist die Insel Ösel, von ihren Eingeborenen Küre-Saar oder auch Saarema genannt. Sie hat eine nur von wenig Hügeln unterbrochene Oberfläche, aber hohe Ufer aus kalkigen Substanzen bestehend , die sich mit Sandstein, Sand und Thonerde mischen. Ihre Größe beträgt etwa fünfzig Quadratmeilen; ihre Form ist ein längliches Viereck, das sich von Südwest nach Nordost zieht und etwa zehn Meilen lang und fünf breit ist. Die Küste, so gut sie auch gegen die anschlagenden Wogen des Meeres durch ihre Höhe geschützt ist, wurde doch durch die Zeit und wegen des weichen Materials ungemein zerrissen und zerklüftet, so daß sie viele Buchten einschließt und mehrere Vorgebirge bildet, die sich aber nirgends zu einer beträchtlichen Höhe erheben. Wie an der Südküste eine langgedehnte Zunge dem Cap Domesnäs gegenüber in dem Kap Swaver-Ort endigt, schiebt sich an der Nordküste eine ähnliche. Palmer-Ort, der Insel Dagöe zu. Das Innere von Osel wechselt mit wellenförmigen kleinen Anhöhen, Seen, Flüssen und Wald ab, es hat zwar keinen Fluß, aber auf der ganzenOberftäche vertheilt kleine Seen, Bäche und Quellen. Das Klima ist weit milder als auf dem Festlandc und zeichnet sich durch die Menge heiterer Tage, nicht heiße Sommer und milde Winter aus, weshalb die Menschen hohes Alter und die Thiere Kraft und Stärke erreichen. Die Wälder der Insel sind trefflich und es gedeiht in ihnen selbst die Eiche. Die 40,000 28' 436 Mdön. l?. Buch. Einwohner Osels nähren sich vom Ackerbau, da das Getreide und die Gemüse in dem milden Klima vorzüglich gedeihen, und von der Rindviehzucht, Milchwirthschaft, sowie der Schafzucht, die mehr im Schwung ist als auf dem nahen Festlande. Für die Küstenbcvölkerung kommt Fischerei und Robbenschlag hinzu, weshalb die Bewohner der Strandorte, ein rohes, wildes und räuberisches Volk rein esthnischer Abstammung, in kleinen Booten beständig auf dem Meere liegen, theils um zu fischen, theils gestrandete Sachen zu suchen. Die Jagd auf der In. sel ist unbedeutend, da dieWasservögcldie nahen kleinen Felseilandc zu ihrem Aufenthalt vorziehen, doch werden in jedem Sommer eine Anzahl Schwane geschossen. Die Insel enthält in ihrer Bevölkerung alle Stande, darunter 160 Ndelsfamilicn mit ebenso viel Rittergütern, und freie Bauern, nur sehr wenig Russen, im Adel und Klerus vorzugsweise Deutsche, einige Schweden, und als Stamm der Bevölkerung Esthen; alle bekennen sich zum lutherischen Glauben und sind außer der Hauptstadt in zwölf Kirchspiele gepfarrt. Diese Hauptstadt, zugleich die einzige Stadt auf der ganzen Insel, liegt an einer den Hafen bildenden Bucht der Südküste und heißt Arensburg, wird aber auf esthnisch „Saarcma Küre -Saar" genannt. Sie zählt noch nicht.ganz 3000 Einwohner, ist schlecht gebaut, besitzt aber in dem ehemaligen bischöflichen Schlosse eine herrliche Ruine aus der Zeit des Schwert-ritterthums. Der Handel, den die Stadt betreibt, ist unbedeutend und beschäftigt etwa fünfzig eigene Schisse. Nur durch einen schmalen Sund von Ösel getrennt liegt vor der Ostküste desselben ein kleines zwei Meilen langes und anderthalb Mei. len breites Eiland Möön oder Moen, von dem livischen Fcstlante durch einen größern Sund von fast anderthalb Meilen Breite geschieden. Es ist zwar völlig bäum- und waldlos, doch so fruchtbar, daß die kleine Fläche in zwölfGütcr getheilt ist, die alle reichen Ertrag liefern; die Bevölkerung besteht aus lauter Esthen, die neben dem Ackerbau und der Viehzucht an der Küste Stiömlingsfischcrei betreiben und sich vom Strandsegen nähren. Felsen beengen das Fahrwasser und gestatten nur ganz kleinen Schiffen die Küstenfahrt, da manche Stellen nicht mehr als zwei Faden Tiefe besitzen. Diese Inseln, sowie der Grund der See und das dahinter liegende Land, sind mit mächtigen erratischen Granitblöcken, die in den Ostseeprovinzen „Vullersteine" genannt werden , wie übersäet. Der .Selosund, eine in ihrem engsten, dem Palmerort gegenüber liegenden Theile nur eine Meile breite Straße, trennt dieInsel Dagö e von Osel; sie ist vierzehn und eine halbe Quadratmeile groß und hat sehr unregelmäßige, zerklüftete Umrisse, nach Süden einen zweiMeilen langen und anderthalb Meilen breiten Landstrich von der Hauptmasse, 25. Kap.1 Die Inseln Dagöe. Worms. 437 die einem länglichen Viereck gleicht, vorschiebend und nach West und Südwest schmale Zungen hinausstreckend. Sie hat eine wellenförmige Oberfläche, die nur von einigen geringen Anhöhen durchbrochen ist, starke Waldungen und auf der Östscite einen fetten und fruchtbaren Vodcn, der Korn, Gartenfrüchte, Flachs, Hanf und Obst erzeugt , während die Nordküstc durch gute Wiesen die Viehzucht fördert, und der magere Sandboden der Westküste ihre Bewohner mehr auf Fischerei und den Bau kleiner Küstenfahrzeuge hinweist. Mehr als 10,000 Seelen bewohnen Dagöe, die dem größeren Theile nach esthnischer, dem kleineren nach schwedischer Abstammung sind; letztere sind Ackerleute und Fischer, jene aber haben als geschickte Wagner, Gold- und Silberarbeitcr, Uhrmacher :c. der kleinen Insel einen hier seltenen Ruf der Industrie verschafft. Einen anderen Ruf, aber übler Art, verdankt sie der Unthat eines darauf ansässigen Edelmanns, eines Baron Ungern-Sternberg, der bei stürmischem Wetter in dem Thurme seines auf der Küste von Dagöe liegenden Schlosses falsche Leuchtfeuer anzündete, um sich mittelst des Stranorechts der Habe der dadurch irre geleiteten und verunglückten Schiffer zu versichern. Wie die Schuld sich neu gebärend fortpflanzt, führte auch ihn das Bedürfniß Verschwiegenheit zu erzielen, zur Ermordung der beraubten Schiffer, bis endlich einmal ein verschwundener Capitain todt in seinem Schlosse gefunden wurde und zur Aufdeckung des lange verfolgten Treibens führte. Sein Proceß fand erst vor einigen vierzig Jahren ein Ende, und er erschien dabei an Händen und Füßen gefesselt und im Bauernkittel vor den Landräthen, deren Amtsgenosse er bis dahin gewesen war. Er wurde nach Sibirien geschickt und sein Name von der Adelsliste gestrichen. Die Kunde von seinen Unthaten scholl laut durch das ganze tultivirte Europa und gab den Stoff zu Balladen, Novellen und Romanen, und in den Häfen Englands verkaufte man Plakate, auf denen zur Warnung für die Schiffer die Worte standen: „Hüte sich jeder vor Ungern-Sternberg, dem Strandräuber!" , Im Westen von Dagöe liegt ein fast zwei Quadratmeilen großes und von anderthalb tausend Einwohnern bevölkertes Eiland Worms, auf dem sich ein eigenthümlicher schwedischer Dialekt erhalten hat, der von den dort ansässigen Ackerbauern und Fischern gesprochen wird. Zwischen Worms und dem Festlande liegt dann noch eine von 500 Seelen bewohnte Insel von der Größe einer halben Quadratmcile, Stucköe, und um sie herum, namentlich im Süden, viele kleinere Klippen. Alle diese kleinen und größeren Inseln nennen die Esthen in ihrer Sprache mit dem Gesammtnamen „Sarri-ma" oder das Inselland. Alle Erinnerungen und Einrichtungen ihrer Bevölkerungen, die sämmtlich lutherisch sind, beweisen es, daß Finnen und Letten, wo sie 438 Die esthnische Küste. I?. Vnch. sich auf ihnen vorfinden, spätere Einwanderer sind, und die ursprüng« lichc Bevölkerung aus Skandinavien kam, möglicherweise schon zur Zeit der Warägcrzüge nach dem schwarzen Meere. Die westliche Festlandsküste der Provinz Esthland, zu welcher diese Inseln sämmtlich gehören, geht von der Einmündung des livischen Busens bis zu der des finnischen direct sechszehn Meilen weit, wovon jedoch noch zwei Meilen zu Livland gehören, in nördlicher Richtung. Die ziemlich zerklüftete Küste hat ungefähr in der Hälfte ihrer Ausdehnung, doch mehr nach Nord, eine tief eingreifende Vucht, die „Einwiek" genannt, m welche der „Kassavenfluß", von Ost nach West strömend, mündet. Unweit des Ausflusses am Südufcr der Bucht liegt in magerer, sandiger Gegend der Marktflecken Leal, der geringen Handel betreibt, und zwei Meilen nordwärts der Einwiek, wo die Fcstlandsküste mehrere Meilen scharf nach Osten zurücktritt, liegt südwärts der Insel Worms in einer zweiten Bucht, Hapsal, mit einem kleinen aber guten Hafen, der geringste über das baltische Meer handeltreibende Ort der Ostseeprovinzen. Sechsundzwanzigstes Kapitel. Die Südküste des finnischen Meerbusens. Die Naasser Wiek. — Baltischport.— Ncval. — Narwa. — Die Krön« städter Bucht. — Die Kesselinscl. — Kronstadt. — Krouslot. — Fort Mcutschitosf. — Oranienburg. — Peterhof. Fünf Meilen nordwärts von Hapsal wendet die esthnische Küste nach Osten und bezeichnet mit diesem Wendungspunkte und dem gegen« überliegenden südwestlichen Vorgebirge Finnlands Hangöudd den Eingang in den finnischen Meerbusen, der sich achtundvicrzig Meilen lang und in abwechselnder Breite von fünf und ein halb zu zwölf Meilen nach Nordosten ausdehnt. Seine Tiefe ist seht verschieden, strichweise zwischen fünfzig bis sechszig, aber auch nur zehn, sechs und vier Faden, die sich in der Bai von Kronstadt sogar auf zwei und noch weniger verringern. Seine Wasser drängen sich namentlich auf der Nordseite zwischen einer Menge kleiner Inseln und Felsen hindurch. Auf der Südseite verengen mehrere der esthnischen Küste vorliegende Bänke und Untiefen die Einfahrt. Nicht nur die ganze Nordküste Esthlands, sondern der Südsaum des finnischen Busens in seiner vollständigen Ausdehnung hat den Charakter eines hohen Tafellandes, das fast durchweg sich 150 bis 200 Fuß über die Mceresfiäche erhebt, nach Osten zu verflacht, aber in steilen Klippen zur See abfällt. Das Gestein ist 26. Kap.) Die Naager Wiek. 439 Kalk, dic Höhe einzelner Felsenkuppen erreicht 400 Fuß; die Wogen tosen an ihrem Fuße,.höhlen sie aus und waschen und zerklüften das Gestein, daß sich große Massen desselben durch die Machines nordischen Winters schnell verwittert lösen, und übereinander stürzend ungeheure Werkstücke auf den Meeresgrund thürmen. Kleine Inseln, die dieser Felsküste, welche im Lande selbst „Klint oder Glint", — wieder ein Zeugniß früher Anwesenheit nordischer Bevölkerung,— genannt wird, vorliegen, zeigen deutlich, daß sie durch die Revolutionen früherer Erd-perioden von dem Grundstock abgetrennt und isolirt sind. Im Ganzen genommen ist die Klint sebr einförmig und geradlinig gestaltet und zieht sich fünfunddreißig Meilen weit bis zur Narowamündung genau von West nach Ost, ohne große Biegungen und Abweichungen; im Einzelnen und Kleinen ist sie aber vielfach zerrissen. An sehr vielen Stellen der esthnischen Küste hat die zurücktretende See einen schmalen Saum niedrigen Vorlandes zurückgelassen, der wie die ganze Bedeckung des Plateaus aus Lehm und Sand besteht, durch den Reichthum an Feuchtigkeit und den Dung der Mcercsvcgetation aber zu einer fetten Fruchtbarkeit gebracht wurde, welche von den schützenden Klippen de« Gestades eingeschlossen einen üppigen Baumwuchs erzeugte, unter dem sich namentlich die Schwarzesche in unerreichter Pracht hervorthut. Da das Meer an der esthnischen Küste nur sehr allmälig und in einiger Entfernung von der Klint an Tiefe gewinnt, fehlt es hier an guten Häfen. Etwa sieben Meilen von der Einfahrt und gleichweit von dem Hauptort der Küste, Reval, liegt eine etwas bedeutendere Bucht, die RaagerWiek. Sie hat eine beträchtlichere Tiefe und ist von den kleinen Naager-Inseln umgürtet. Es ist schwer begreiflich, daß die schiff-fahrtkundigen Dänen, welche unter König WaldemarlL.in dem ersten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts diese Küste bevölkerten, diese treffliche Bucht zu übersehen vermochten. Peter der Große hatte mit seinem scharfen Blick ihre ganze Wichtigkeit erkannt und beschloß sie zu dem Hauptslüßpunkt der baltisch-russischen Flotte zu machen: seine ebenfalls große Nachfolgerin, Katharina II., griff auch diesen Gedanken Peters auf und ließ die nach dem Tode desselben unter den innern Stürmen um den Besitz des Throns vernachlässigte^ Arbeiten wieder beginnen und sie durch den freilich schon in dem seine Energie brechenden Greiscnalter stehenden Feldmarschall Münnich betreiben. Es ging ihr Plan dahin, dem unvergleichlich tiefen Hafen eine entsprechende Ausdehnung zu geben, zu welchem Behufe sie den Zugang zu demselben durch einen riesigen Damm, der das Festland mit dem über eine halbe Meile entfernten Hauvtciland der Raag-Inselgruppe verbinden sollte, schützen, die im Innern des Beckens liegenden Klippen weg« sprengen und die äußeren Inseln und die Küste mit Fortisicalionswerken 440 Baltischport. 17. Buch. besehen ließ. Die Kraft der Wogen und die Stellung der Fclsenmas, sen haben sich der leichten Ausführung dieses Vorhabens widerseht, und bei der Menge der Unternehmungen, die ihren vielumfassenden Geist beschäftigten, wurde diese nicht beendet, und man begnügte sich mit Errichtung von Batterien und leichten Befestigungen auf einigen der Inseln und Hafeneinrichtungcn, die gerade nur hinreichten einer Flotte vorübergehend Schuß zu verleihen. DieStadt Baltischport, früher ein elendes Fischcrncst, an der Mündung des Flüßchen Paddis, jetzt als Badeort in jedem Sommer ein Vereinigungspunkt der esthnischen vornehmen Welt, datirt aus dieser Periode. Sie verstand die kaiserliche Fürsorge, welche sie zu einer glänzenden Zukunft ausersah, so wenig, daß sie sich mit einer dringenden Bittschrift an Katharina wen» dete, ihr das verliehene Stadtrecht wieder abzunehmen, da es eine zu kostspielige Ehre sei, um in den Wünschen der Bewohner zu liegen. Auch jeht hat sie sich noch nicht einmal im Handel zu höherer Blüthe und regerer Thätigkeit aufschwingen können, obschon hier im Spätfrühling die in den finnischen Busen gehenden Südfahrer löschen, und namentlich tausende von Kisten mit Citronen und Apfelsinen hier lagern, um dann zu 3ande nach Petersburg befördert zu werden. Den Hauptnahrungszweig liefert derStrömlingsfang, der hier in der größten Vollkommenheit betrieben wird, aber zeitweise durch die mit der Bereitung des Fisches als Handelswaare verbundenen Ausdünstungen die ganze Atmosphäre verpestet. In der Nähe von Baltischport ereignete sich im Jahre 1810 eine interessante Waffenthat, indem sich russische Schiffe im offenen Kampfe mit englischen maßen. Einem in der Ostsee kreuzenden Geschwader von zehn schwedischen und zwei englischen Schiffen, dem „Implacable" unter Sir Byam Martin und dem „Centaur" unter Sir Samuel Hood, wurde eine von Hangö heransegelnde russische Flotte signalisirt. Die beiden englischen Fahrzeuge segelten ihren Verbündeten voraus und griffen das stärkste Schiff der russischen Flotte, den „Sewolod" unter Befehl des Capitain Roudneff an, welcher nach einer halben Stunde kampfunfähig wurde. Der Feind suchte zu entfliehen; um dies zu verhindern, wollten die Engländer die noch zehn Meilen seewärts entfernten schwedischen Schiffe herbeiholen, aber unterdessen wurde ihr besiegter Gegner von einer Fregatte ins Schlepptau genommen. Dies veranlaßte die beiden Schiffe zu einem nochmaligen Angriffe, durch welchen sie die Fregatte vertrieben, worauf sie von der russischen Flotte von neuem angegriffen wurden. Dies hielt sie jedoch nicht ab, den jetzt auf der Rhcde von Raagerwiek auf den Grund gerathenen Scwolod zu verbrennen, ftine ganze Besatzung gefangen zu nehmen und mit ihrer Beute zu entkommen. Unter den der Bucht von Baltischport vorliegenden Inseln sind 26. Kap.^ Reval. 4^ Odinsholm im Westen und Groß- und Klcin-Raag bewohnt. Zwei hohe steineine Leuchtthürme verkünden die Nähe des wichtigen Ostseehafens Neva l. Eine einschneidende Bucht bildet eine weite Rhede, die nur stellenweise Untiefen hat. Von dieser Rhede aus, die ungefähr Helsingfors gegenüber liegt, bis zu dem Cap Porfala auf finnischer Seite ist nur eine Entfernung von sechs bis sechs und eine halbe Meile, und von der Mitte des Fahrwassers aus lassen sich bei schönem Wetter deutlich beide Küsten der Bucht wahrnehmen. Der bei der Stadt befindliche Kricgshafcn ist tief, wcitläuftig und gut geschützt und verdankt seine Entstehung schon der Absicht Peter des Großen, auch hier eine russische Marinestation anzulegen. Er hat ftch noch bis heut als solche erhalten und ist der Sitz einer Admiralität und einer halben Division der aus drei Divisionen bestehenden Ostsccflottc. Große kascmattirte Batterien, vor denen im Meere selbst die berühmten sogenannten Kes-selbattcrien mit 62 Geschützen liegen, denen sich noch Vcrthcidigungs-werke auf der kleinen Karls-Insel und auf Nargen mit 96 Geschützen anschließen, vertheidigen ihn. Die Tiefe in diesem geschützten, über eine Meile breiten Becken, dem sich ein bequemer Handelshafen anschließt, ist nirgends unter sieben Faden. Die Stadt an der zur Bucht sich verengenden See und dem theilweise schroff, theilweisc sanft abfallenden Landrücken hat eine angenehme Lage; sie ist mit Mauern, Gräben und Wällen umgeben; Außen- und Innenthore, hohe massive Gebäude mit gothischen der Straße zugewendeten Giebeln geben ihr den Typus deutscher Sitten, wie sie auch einst der Hansa angehörte. Sie besteht auch aus zwei in Bezug auf die Verwaltung getrennten Theilen, die Ober- und Unterstadt; jene umschließt den Dombcrg, eine felsige Anhöhe, auf der sich schon vor 1219 eine Festung, Lin-danissc, befand, und die der sagenreiche Esthe für deu Grabstein des „Kallewc" und seines Sohnes „Kallewiporg", des Rolands seines Volkes , ausgicbt. Als Bauwerk ist der stille Dom, auf einem fast rund erscheinenden Felsen in seiner isolirten Lage zwischen tiefen Ebenen einem Festungswerke gleichend, jeder Anziehungskraft entkleidet. Lange war die Kathedrale den unadelig Geborenen ganz verschlossen, wie noch heut der Domberg aristokratischer Boden ist, auf dem kein Fußbreit Raum im Besitz eines Bürgerlichen sich befindet. Außer der Kirche und den daranstoßendcn alten Schloßruinen, dem neuen Nittcrschaftshause oder Gebäude des Senats, eines Körpers aus dem esthnischen Adel gebildet, dessen Namen in ihm auf weißen Marmortafcln, die der für das Vaterland Gefallenen auf schwarzen, an den Wänden aufgehängt sind, fanden auch viele neue Bauwerke der Regierungsbehörden und zu gemeinschaftlichen Zwecken, das heißt in der Begrenzung ihres Standes, errichtete Bauwerke auf dem Domberge Platz. Steile und 442 Ncval. 17- Vuch. zwischen engen Mauern hinführende Wege, die Fußgänger oft in Gefahr bringen den Fuhrwerken zum Opfer zu fallen, führen in die Unterstadt, deren Straßen dieTreppcn- und Thorwegausbauten, auf denen sich an schönen Sommerabendcn die Bcwokner versammeln, scl,r verengen. Die mittelalterlichen Gebäude wechseln mit kaiserlichen und städtischen öffentlichen in einer mehr modernen Bauart, die mit den düstern, ehrsamen Straßen stark contrastiren. Neben Schulen, Theater, Bank, Kasernen :c. finden sich alte Innungshallen, in denen Geschäfte betrieben wurden, das Schwar;häupterhaus, Rathhaus, kurzum der ganze Apparat der allen mächtigen Hansastadt und Spuren ihrer Wichtigkeit als esthnische Hauptstadt. Unter den deutschen, esthnischen, schwedischen lutherischen, russisch < und römisch-katholischen Kirchen zeichnet sich die alte Olavskirche, die zwischen 1320 und 1820 achtmal vom Blitze zerstört wurde, vorzugsweise aus, da ihr stets in gleicher Höhe und Form erneuter Thurm, einer der bedeutendsten der Christenheit, mit seiner Höhe von 429 Fuß dem Schiffer bei Tage weithin als Landmarke dient. Der Handel Revals ift ziemlich bedeutend und würde es noch mehr sein, wenn ein schissbarer Fluß es mit dem Hinterlande in Verbindung seßte; so besteht er mehr aus Einfuhr und ist in den Händen deutscher Häuser. Unter den 24,<)<)<) Seelen herrscht übrigens frischer Bü'rger-finn. der sich durch Wohlthätigkeit bethätigt, und reges geistiges Stre« ben, das sich hauptsächlich um die Erhaltung nationell esthnischer Erinnerungen dreht. Die Zeit der Gründung fällt in das Unbestimmte. König Erich von Dänemark, Bruder Kanut des Heiligen, wollte in Folge einer Vision dort ein Kloster gründen, wo mitten im Sommer bis an das Knie reichender Schnee einen Bogenschuß lang und breit zu finden sei, und seine Sendboten bezeichneten ihm eine Stelle inmitten esthnischer Ansiedlungcn an der Stätte der heutigen Stadt. Die Kirche, ein damit verbundenes Iungfrauenklostcr und das erste dänischeSchloß standen auf dem Felsenrisse dei Klint, woher man den Namen „Reval" von Nessel (Riff) ableiten will. Der alte russische Name des esthnischen Hafens, denn die Nowgoroder kannten ihn vor dieser, Zeit, war „Kolnvan", obschon die Esthen selbst ihn damals „Lindanisse" und jetzt „Tallin" sauch „Davelin" und „Tamilini") nannten, was so viel als Dänenstadt bedeutet. Die Letten übersetzten die Be« zeichnung nur in ihre Sprache und nennen Reval „Dahncpils" oder „Dahni-Pillis". Schon von Waldcmar dem Zweiten von Dänemark wurde Reval 1210 mit den Rechten einer regelmäßigen Stadt begabt, und schon dreißig Jahre später, 1240, erhob der Papst es zu einem Bischofssitze; die Aufnahme des schnell zu Handclswichtigkeit gelangenden Ortes in den Hansabuud erfolgte 1248 gleichzeitig mit der 26. Kap.) Veval. 443 Verleihung des lübischen Rechts durch Ench Plougpennig. Unter mehr oder weniger Botmäßigkeit der Dänen stehend, erlebte es seine glän« zendste Periode unter der Königin Mutter von Dänemark, Margarethe Sambiria, die Esthland zu ihrem Wittwcnsihc wählte und der Stadt große Privilegien und Freiheiten verlieh. Im Jahre 1347 nöthigte Geldmangel die Dänen die Oberherrschaft über Reval dem livischen Ordcnsstaate zu überlassen, aus welcher es, seit 1524 zum Lutherthum übergetreten, ausgeschieden und in Folge des schwankenden Kriegsglücks 1561 schwedisch geworden, schließlich 1710 mit dem benachbarten Lande in die Gewalt Peter des Großen fiel. Dieser Czar faßte eine Neigung für die Stadt, baute sich selbst ein Haus darin und ließ in der nächsten Nähe desselben am Meere und dem Abhangt des Laaks-berges für seine Gemahlin einen Park und Palast „Katharinenthal" anlegen. Die etwa dreißig Meilen lange Festlandsküste bis zur Narowamündung, welche gleichzeitig die politische Grenze Esthlands bezeichnet, behält den Charakter der Klint vollständig bei, jedoch sich merklich nach Osten verflachend. Die Zerklüftungen nehmen zu und bilden größere und kleinere Buchten, wie die Kolkabucht. die Paponwick, die Mark-wick und Kasperwiek. In der Nähe der Narowa erhebt sich die Klint zu drei eigenthümlich geformten mächtigen Höhen, die Waiwariberge, die dem Schiffer bei Tage als Landmarke dienen, und östlich von ihnen bezeichnet ein 70 Fuß hoher fester Leuchtthurm die Narowamündung auch für die Nacht. Von der Narowamündung ab beginnt das ischorische Gebiet, oder die alte Provinz Ingermannland, die mit Karelen vereint das Gouvernement Petersburg bildet und im Nordwesten durch Finnland begrenzt wird. In ihm macht der finnische Busen seine Böschung, in deren tiefster Spitze, der Kronstädtcr Bucht, die Kamrstadt liegt. Die Narowa, der Abfluß des wasserreichen Peipussees, strömt in reißendem Laufe bei Narowskaja in das eine guteRhedc bildende Meer, welches Fischerdörfchen dadurch zu der Stellung eines Hafcnortes für das noch fast zwei Meilen südlicher an dem Strom liegende Narwa selbst gelangte. Der Fluß kann bis zur Stadt, in der ein geräumiger Hafen angelegt, mit großen Fahrzeugen befahren werden, und weder die Lage derselben, noch die leicht zu beseitigenden Sandbänke unter« halb und der nur eine Werst entfernte, die Fahrt oberhalb verhindernde zwölf Fuß hohe Wasscrfall des Stromes haben den Handel der einst blühenden HBnsastadt so vernicklet, daß kaum noch 5000 Seelen dieselbe bewohnen; lediglich der Anlage Petersburgs, das gegen zwan« zig Meilen entfernt ist und Narwa allein auf sem Hinterland im Gebiete des PeipussceS beschränkte', hat es diesen Umstand zuzuschreiben. 444 Narwa. 17. Buch. Die eigentliche Stadt liegt auf dem linken steilen Flußufer und ist in drei durch eigene Mauern umfaßte Theile, Altstadt, Hakelwcrk und Neuwerk, getheilt. Wälle und Mauern, die namentlich an dem engen Flußthale besonders hoch und fest sind, umgürten die Stadt wie ein enger Panier. Jenseits des kaum zweihundert Schritte breiten Flusses, über den jetzt eine hölzerne Brücke führt, liegt auf noch höherem Felsufer das alte Schloß Iwangorodok mit in Trümmer versunkenen Mauern und Thürmen, und rundherum die russische Vorstadt Narwa's. Gleich Reval von dem Dänenkönig Waldemar gegründet, blieb Narwa doch stets ihrem eigentlichen Wesen nach eine völlig deutsche Stadt, und Factor« der Hansa für den Handel ins südöstliche Nußland. In Bezug auf die Oberhoheit gehörte es zu Esthland und theilte mehrere Jahrhunderte dessen Geschick, fiel den Schwcrtrittern zu und wurde von ihnen an Schweden abgetreten Als Grenzstadt aber gegen Rußland mußte es mehr wie das ganze esthnische Land leiden und wurde der stete Schauplatz der sich erneuenden Schlachten und das häufige Rendezvous der Unterhändler mancher gebrochenen Verträge. Belagerungen, Bombardements und heldenmüthigc Vertheidigungen des völkcrscheidcnden Flusses bilden eine lange Kette von der Gründung der Stadt bis zu der des Jahres 1700 und der hochbcrühmten Schlacht, welche am 30. November jenes Jahres der zwölfte Karl mit seinen 8000 alterprobten schwedischen Kriegern, in kluger Benutzung eines dem Feind ins Gesicht webenden Schnecsturms, als blutige Lehre den schnell zerstreuten 60.000 Russen gab. Vier Jahre später wurde die Stadt Narwa aber von Peter dem Großen trotz der unglaublichsten Energie und Tapferkeit ihrer Bürger im Sturme wiedergenommen. Von Narowskaja ab gebt die Küste viele Meilen weit direct nach Norden, eine Landzunge von einer Meile Breite und sich in zwei Arme gabelnd noch weitere zwei Meilen in gleicher Richtung vorscndcnd. Ostwärts von dieser wendet sie sich nach Nordosten und bildet durch eine über eine Meile breite und lange Halbinsel zwei herrliche Buchten, darunter die trotz ihrer ungemeinen Tiefe fast ganz unbenutzte Luschski-Bucht, in der zehn Meilen langen mit Wald und Gärten gekrönten hügeligen KüNenstrccke. Die hier in einem Vorgebirge endende Klint, die sich nach dem Mündungslande der Newa zu ganz verflacht, nähert sich einem ihm entgegenkommenden Vorsprung des nördlichen finnischen Ufers bis auf drei Meilen und bezeichnet den Eingang in die Bucht von Kronstadt. Diese dehnt sich von West nach Ost sieben Meilen, hat im Ganzen ziemlich gerade Küsten und bildet nur auf ihrer nördlichen Seite in der Hälfte ihrer Länge einen halbmondförmigen, über eine Meile tiefen Einschnitt in das Land. Die Wasscrtiefe der ganzen Bucht ist wechselnd und nirgend sehr bedeutend, und mehr noch hindert die 26. Kap.) Kessel-Insel. 445 Schifffahrt, daß der Busen den ganzen Winter hindurch mit Eis belegt ist und das starke Einströmen des Flnßwassers den ohnehin geringen Salzgehalt des Meeres noch mehr schwächt. In dcr Mitte der Kronstadt« Vucht liegt ein Eiland, cine und eine drittel Meile lang, von West nach Südost, und eine fünftel Mile von Süd nach Nord, in der Form eines Dreiecks, dessen Basis der östlichen Böschung der Bucht zugewendet ist. Die Insel besteht aus einem Kalk-felsen mit flach geebneter Oberfläche, welche im Westen etwas Wald und Gebüsch, sonst aber nur Sandstrecken und Moräste bedecken, die natürlich mehr und mehr durch die fortschreitende Ackercultur besiegt werden. Jene großen irrenden Granitblockc, die auch dem benachbarten Festlande eigenthümlich sind, finden sich gleichfalls auf ihr zerstreut und liefern das prächtige Material zu den Czarenbautcn, denen nur die der Römer gleichzustellen sind. Die im Detail stark zerklüfteten Inselküsten laufen im Allgemeinen fast parallel denen des Festlandes, und da ihre Entfernung von dem nördlichen, finnischen Ufer nur etwa zwei Meilen, und von dem südlichen, ingermannländischcn wenig mehr als eine fünftel Meile beträgt, so kann von dem Eilande aus das Fahrwasser nach Petersburg auf beiden Seiten bcstrichen werden, doch gehen die Schiffe nur südwärts desselben durch, da die Straße auf der nördlichen Seite wegen vieler Klippen und Untiefen schon an sich kaum zu befahren ist. Die Insel spitzt sich westwärts in der dem offenen Meere zugewendeten Seite zu einem Vorgebirge ab, welches durch einen Leuchtthurm bezeichnet ist, der sich auf der Klippe Tolboukin erhebt. Zur Zeit, wo die Krieger Peter des Großen die russischen Waffen erobernd zuerst in diese Gegend trugen, führte die Insel noch ihren finnischen Namen „Retusari" oder „Ratten-Insel". Es lebte auf ihr cine Fischerbevölkerung karelischen Stammes, und die Schweden hatten unter dieser eine kleine Garnison als äußersten Vorposten aufgestellt. Diese wich den von Osten herandringendcn Russen aus, ließ aber, aus guten Soldaten bestehend, bei ihrem Rückzüge nichts liegen, was den Russen als Beute erschienen wäre, ausgenommen einen mächtigen Feldkessel. Diesem legten aber die Eroberer die Bedeutung einer Siegestrophäe bei und zogen, den eisernen Topf auf einer großen Stange vor sich Her-tragend , im Triumph zurück und nannten ihre Eroberung nach demselben in russischcrSprache„Kotlinoi Ostrow", zu deutsch „Kessel-Insel", welchen Namen sie noch heut führt. Dcr (5zar Peter besuchte die neue Eroberung und fand sie trefflich geeignet zur Anlage einer Festung, zum Seeschutz für seine neugeschaffene Hauptstadt; wie bei seinem Charakter das Erkennen und das Beginnen des Rechten unmittelbar auf einander folgte, schritt er auch hier sogleich zur Grundlegung von Kronschloß 446 Kronstadt. 17. Buch. und zum Entwerfen der Baulichkeiten, welche sich unter seinen Nachfol, gern zur Festung und Stadt „Kronstadt" erweitert haben. Diese Stadt ist als das Wasscrthor von St. Petersburg zu betrach, ton, da hier auch in Friedenszcitcn die meisten seewärts ankommenden Schiffe vor Anker geben und nach dem Clariren ihre Ladung auf kleine Lichterfahrzeuge löschen, welche sie dann in dic Newa selbst führen, wenn es die Nhcder nicht vorziehen die Waaren in den zu Kronstadt erbauten Magazinen der Petersburger Kaufleute zu speichern. Die Stadt, der Mittelpunkt der Befestigungen und die größte baltische Flöt» tenstation, liegt drei und dreifünftel Meilen westlich vor der Hauptstadt. Das dazwischen liegende Wasser ist ein untiefer Brackbusen, in dem das Peilen des Untergrundes bei schwerer Strafe verboten, aber das Fahrwasser sorgfältig durch über den höchsten Wasserstand hervorragende Pfähle abgesteckt ist. Im strengen Winter, der hier oft vom October bis Mai dauert, eilen freilich klingende Schlitten im fliegenden Laufe über Untiefen und Fahrwasser hinweg, von der Nord- zur Südküste der Kronstädtcr Vucht oder von dem Außcnthor zur Hauptstadt, auf der sichern und bleibenden Eisdecke schnell improvisirteErfrischungs-häuscr vorfindend. Die Wasscrtiefc wechselt in demselben Verhältniß wie die Windrichtung, sie wächst mit starkem Westwind, der die Wogen aus der finnischen Bucht eintreibt, und mindert sich bei der umgekehrten östlichen Thätigkeit der Luftströmungen. Im Durchschnitt bleibt sie etwas unter zwölf Fuß, aber ungefähr eine fünftel Meile oberhalb des Hafens zieht sich eine lange Sandbank, die Barre, der Ncwamündung entgegen und vermindert die Wassertiefe oft bis auf neun und gar sie» ben Fuß. Hierdurch sind denn thatsächlich die in dem Kanal mit dreißig Fuß Tiefe, ohne jede Beschwerlichkeit seewärts nach Kronstadt gekom» mcnen großen Fahrzeuge gezwungen, dort ihre Anker auszuwerfen. Die Stadt breitet sich in der Form eines unregelmäßigen Dreiecks aus, dessen breite Seite gegen das Innere der Insel gekehrt, hier mit sechs starken Bollwerken, Ravelincn und einem breiten Graben, über welchen zwei Brücken in das Freie führen, umgeben ist; aber auch die nördliche nach der See gewendete Seite, sowie die Spitze hat mächtige Wälle und Festungswerke, und die Häfen auf der Südseite umzieht ein stark befestigter Molo. Die Stadt ist in zwei Theile, den Admiralitätsund Commandantentheil zerlegt, hat drei Tborc und auf dem Lande, außerhalb der Werke, eine Vorstadt, die immer mehr und mehr anwächst und schöne Landhäuser besitzt. Die Straßen sind weit und regelmäßig, rechtwinklige Quartiere und Märkte und freie Plätze bildend, meist mit einstöckigen Häusern, deren Zahl 2000 weit übersteigt und worunter auch außer den kaiserlichen viel steinerne befindlich sind, auf beiden Seiten gleichmäßig besetzt. Im Sommer herrscht in ihr ein 26. Kap.1 Kronstadt. 447 äußerst lebhafter Verkehr; der Handel zieht dann eine Bevölkerung von 40,000 Seelen in die südlich von dcr Festung liegende Stadt, die ihre Nahrung fast allein von der Flotte und den anlegenden Kauffahrteischiffen zieht; sie sind theils Krämer, Kaufleute, Handwerker, Lootsen und Fischer, und außer den Fabriken, die für die Flotte arbeiten, giebt es auch Werften, wo Handelsschiffe gezimmert werden. Aber ein so reges Leben dann hier herrscht, so todt ist Alles im Winter, und die Zahl dcr Kronstädter schwindet bis auf 10,000 Einwohner, die der Garnison, dcr Marinestation unddemBcamtcnstandc angc» hören. Selbst die gesellschaftlichen Vergnügungen müssen in St. Petersburg gesucht weiden. Der Hafen, im Südtheile der Stadt, besteht aus drei abgesonderten gegen alle Winde gesicherten Bassins, die mit einander verbunden sind und sich von West nach Ost, wie folgt, aneinanderreihen. Der äußerste westlichste ist der sogenannte Handelshafen, der zur Aufnahme von gegen tausend Kauffahrteischiffen bequem eingerichtet ist, und in den jährlich gegen 3000 Schiffe aus- und einlaufen. Nächstdem folgt der „Mittelhafen", dcr zum Ausrüsten dcr Kriegsschiffe bestimmt ist, da die Rümpfe derselben meist auf den Docks der Hauptstadt, unter den Augen des Czaren, gebaut werden. Dcr Transport der Rümpfe über die seichte Kronstädter Bucht in diesen Hafen geschieht mit großer Mühe durch Lichterschiffe; dic Einrichtungen zur Ausrüstung und Armirung, sowie des zur Ausbesserung der Schisse bestimmten besonderen Theils, des Echisssbauhafens, sind zweckmäßig und allen neueren Ersindun» gen der mechanischen Nissenschaft entsprechend. Oestlich unter diesem liegt endlich der eigentliche Kriegshafen, die Hauptstation der Ostsee-stotte, welche ihrer Räumlichkeit nach bequem dreißig bis vierzig Schiffe aufnehmen kann, und durch einen 450 Faden langen Hafendamm, der stark befestigt ist, gegen den Wellenschlag des Meeres geschützt wird. Während jene ersten beiden Häfen ihre gehörige Tiefe haben, ist dieser durch Verschlammung bereits so seicht geworden, daß kein großes Kriegsschiff ungefährdet mit voller Ladung hineinsegeln kann. Von dem Mittel- und dem Kauffahrteihafen führen zwei große Canäle in die Stadt, deren Quais wie die der Häfen aus Granit bestehen, und mit denen sich wenige anderer Städte messen können. Der große Pe-terscanal, welcher zwischen beiden Häfen quer in die Stadt tritt, der durchaus mit Werksteinen gefüttert, 2160 Fuß lang, 56 breit und 26 lief ist und die Form eines Kreu.es hat, das in der Mitte ein Rundecl bildet, damit die Schiffe wenden und nach den Seiten anfahren können, dient zum Bau und zur Ausrüstung, er wird vermittelst mehrerer Schleusen, mit Wasser gefüllt, wenn die Schiffe hinein, oder herausgebracht werden sollen, und das Wasser wird nachher 448 Kronstadt. 17. Buch. durch Dampfmaschinen wieder ausgepumpt. Neben demselben liegen verschiedene Docks, die Gießerei, Taufabrik, Pechküchc :c. Die prächtige Docke, die ebenfalls aus Granitblöckcn erbaut, zehn Schiffe zu gleicher Zeit aufnehmen und mittelst einer Dampfmaschine in zwei Tagcn trocken gelegt und in sechs Stunden wieder gefüllt werden kann, steht auch mit ihm in Verbindung. Der Katharincncanal ist 1880 Faden lang und setzt die Schisse in Stand sich dicht unter die verschiedenen Proviant« und Munitionsmagazine anzulegen^ und die Vorräthe direct aus ihnen zu beziehen. Beide Canälc sind Werke, des Kaiser Nikolaus, doch schon von Peter und Elisabeth in erster Anlage begonnen. Es lei-det aber diese Marincstation an Ucbclständen, welche menschliche Hilfe nicht zn heben vermag. Der starke und mit großer Heftigkeit in das Meer tretende Strom raubt demselben schon weit von dem Hafen seine salzigen Bestandtheile, so daß das Wasser in den umschlossenen Bassins eigentlich ganz süß ist, was den Nachtheil herbeiführt, daß sich die Schiffe kürzer zu halten pflegen. Auch das alljährliche Einfrieren beschädigt in wenigen Monaten die Fahrzeuge so stark, wie es sonst kaum zwei Jahre Gebrauch thun würden. Trotz dieser Ungunst ist Kronstadt als Handelshafen von Petersburg der Mittelpunkt des Handels von Nordrußland und vermittelt nicht nur die Ausfuhr der zu Lande auf den Canälen und durch Küstenschifffahrt aus den russischen Ostseehäfen ankommenden Producte nach dem Westen, sondern dehnt hinsichtlich des Absatzes der zur See eingeführten fremdländischen Erzeugnisse sein Gebiet selbst bis nach den südrussischcn Häfen aus. Als Hauptzollstation müssen auch alle den europäischen Verkehr mit Petersburg vermittelnden Dampfschiffe bei Kronstadt anlegen. So groß aber auch die Wichtigkeit Kronstadts als Handelsstadt und Flottcnstation ist, so übertrifft diese doch noch ihr Werth als Fe« stung und Schlüssel der Hauptstadt. Anscheinend kann dieselbe auf beiden Wegen, die nördlich und südlich von Kronstadt die Insel Kotlin umfassen, erreicht werden, aber die breite nördliche Passage, zwischen der finnischen Küste und der Insel, ist von Seiten der Regierung unterstützt durch natürliche Hindernisse mittelst Verpfählungen, versenkte mit Steinen gefüllte Schiffe, Felsblöcke und anderes Material gesperrt, und nur für die allerkleinsten Fahrzeuge offen gelassen. Der einzig brauchbare Zugang zur Newamündung ist daher der südliche, bei den Hafen vorüverführende; er ist zwar beinahe eine Meile breit und heißt darum die „große Straße", wird aber durch die Oranienbaumer Bank so zusammengedrängt, daß nur ein 2000 Schritt breiter Canal, welcher Anfangs nur fünf Faden tief ist, aber später eine Tiefe von sieben Faden erreicht, als Fahrwasser übrig bleibt. Seewärts sich nähernd hat das heransegelnde Schiff schon in der großen Straße zu 26. Kap.) Festungswerke. 449 beiden Seiten imMcerc erbaute Festungswerke vor sich. Fort Alexander erscheint zuerst zur Linken in einer Entfernung von 800 Schritt; es ist in elliptischer Form aus schweren Granitblöcken errichtet, hat in seiner Front vier Schießschartcnrcihen, in den Flanken deren nur drei, aber einen Schutzwall mit aufStückbänken liegenden Kanonen, und im Ganzen 1l6 acht- und zehnpfündigen Geschützen in geräumigen'Kasematten. Zunächst diesem auf der rechten Seite folgt, etwa 800 Schritt entfernt, das Fort Risbank, unter Kaiser Paul dem Ersten erbaut; dasselbe ist, da seine Kanonen nicht zu umgehen sind, gewissermaßen als Schlußstein des ganzen Befestigungswcrks der Bai anzusehen. Es ist ein oblon-ges Gebäude auf ziemlich niedrigem Felsen, so daß die unterste der drei lasemattirten Geschührcihcn, in denen scchszig Geschütze des schwersten Kalibers befindlich, gerade über den Wasserspiegel hinstreift. Der Canal wird nun immer enger, bis seine Breite nur noch 300 Schritte beträgt, und jetzt gelangt ein hercindringcnder Feind in den Bereich der Kanonen der Mittclbastion des Forts Peter der Erste. Dieses liegt auf der linken oder nördlichen Seite und hat drei durch Courtinen verbundene Bastionsthürme, von denen der erste die Strecke bis zum Fort Alexander bcstreicht, während die anderen beiden den eigentlichen Canal beherrschen. Sie enthalten 28 Kanonen in Kasematten, und darüber ebenso viele auf Stückbänken und in den Courtinen 20 Geschütze auf Stückbänken. Ihm gegenüber liegt die Festung Kronsloi. Es ist dies der Keim der nach und nach so sehr verstärkten Befestigung. Peter der Große ließ schon im Jahre 1710 hier ein starkes Fort erbauen, auf dem später der Leuchtthurm errichtet wurde. Jetzt ist die rund vom Meer umftuthete Klippe mit einem starken Steindamm und drei Bastionen an ihren Enden gedeckt, die jede mit 12 Geschützen in Kasematten und 10 auf Stückbänken montirt sind. Die sie verbindende Courtine trägt 20 Kanonen. Die Insel Kotlin selbst wurde gleichfalls von Peter dem Großen zu befestigen begonnen und zwar durch cineKronflot gegenüberliegende Citadelle, deren detachirtc Forts unter der Kaiserin Elisabeth durch den Architekten Kokorinow vollendet wurden. Die „kleine Straße", welche in die Insclhäfen selbst führt, liegt so, daß, selbst wenn die Festungswerke der großen Straße schon genommen wären, dieser viel engere Canal noch vertheidigt werden kann. Von dem tausend Schritte langen granitnen Damm des westlichen Hafens bestreichen 70 Kanonen und 12 Mörser die Einfahrt von der linken Seite der Breite nach, deren Geschützbcdeckung allerdings nur durch passage« Erdwerke zu erzielen ist, und direct vor derselben liegt das FortMentschikoff in der Weise, daß jedes ansegelnde Schiff von ihm, gerade auf der verwundbarsten Seite, dem Buge, genommen werden kann. Dieses Fort ist Di« vsts«. 29 450 Oranienbaum. Peterhof. I?. Vuch. vier Etagen hoch und mit 44 Kanonen besetzt, in der Rückseite gegen die Stadt hin allerdings offen, aber nach Nordwesten hin mit einer aus granitnen Blöcken erbauten Batterie correspondirend. Das südliche Ufer derInsel ist der Westspitze zu, wenn schon Sandbänke jede Schiffs-annäherung verbieten, durch das Fort Constantin, auf einem Felsen im Meere, und von dem FortPeter und der Redoute Michael auf der Küste vertheidigt. Auf der Nordküste erhebt sich an dem westlichen Ende der Riesenbau des vierstöckigen Forts Nlexandrcwsky, das allein eine Besatzung von 750 Mann aufnimmt und mit !20 zweiunddrcißigpfün-digen Kanonen armirt ist. Es liegt ziemlich außerhalb des übrigen Vertheidigungssystcms der Insel und beherrscht das ohnehin durch die gerade hier nie zu vernichtenden Sandbänke und Untiefen gesperrte Fahrwasser zum Schutze des Dorfes Sü st er back am finnischen Ufer, das durch seine Gewehr- und Ankcrfabrikcn berühmt und wichtig ist und etwa eine Meile nordwärts von der Landzunge Lisi-Noß am finnischen Ufer liegt. Die von allen Herrschern erweiterten und verstärkten Fortificationcn, deren jetzige Vollendung das Werk des Kaiser Nikolaus ist, der bekanntlich persönlich mit zu den besten Ingenieuren seines Reiches zählte, haben unermeßliche Summen gekostet, die aber klein im Verhältniß zu dem Vortheil erscheinen, Petersburg von der Seeseite uneinnehmbar gemacht zu haben, denn so muß ihr Resultat betrachtet werden. Kronstadt gegenüber zeigt sich zuerst die Stadt Oranienbaum in malerischer Lage am Meerbusen, aus dem ein schnurgerader Canal zu der steilen Anhöhe führt, deren Krone das berühmte Lustschloß Mentschikosss, seit seiner Verbannung Staatseigenthum, schmückt. Etwas mehr als eine halbe Meile östlicher zeigen sich dann die vergoldeten Thürme und schattigen Parkanlagen des Schlosses Peterhof, auf einer kleinen Anhöhe hart am Gestade des Meeres liegend. Die Lage dieses Lusthauses Peter des Großen, dessen Anlage durch Verschönerungen und Wasserkünste zum Marly und Versailles von Petersburg erhoben wurde, machte es zum Lieblingsaufcnthalt ihres Gründers, der von dieser kalkigen Klippe oft seinen Vlick über die weite Aussicht nach Kronstadt und der finnischen Küste hinüberschweifen ließ. Das glänzende Gewand, in welches der einfache Bau Peters sich jetzt gehüllt zeigt, ist das Werk der großen Katharina, die im Geiste ihres Jahrhunderts es mit Pavillons, Cottages, Eremitagen ?c. umgab und durch Gartcnanlagen und Alleen mit der Hauptstadt verband. Reich an historischen Erinnerungen, ist es der stille Zufluchtsort Kaiser Nikolai's gewesen, der hier vor seiner Berufung zum Thron die glücklichste Zeit seines Lebens verbrachte. Von Peterhof ab wcrden die Ufer ganz flach und verstecken sich in einem Gemisch von Häusern und Grün, bis end« 27. Kap.j Petersburg. 451 lich am Horizont ein in der Sonne funkelnder Punkt und ein hoher schlanker Thurm, der nadelgleich aus dem Wasser emporzusteigen scheint, die Hauptstadt verkünden, die so flach liegt, daß sie sich kaum über den Wasserspiegel erhebt und man erst die theils öden, theils mit den freundlichsten Lustgärten bekleideten Inseln, deren die Newamündungen gegen vierzig enthalten, hinter sich gelassen haben muß, um sie in ihrer Eigenthümlichkeit unterscheiden zu können. Siebenundzwanzigstes Kapitel. Fort Nycilschantz. — Gründung St. Petersburgs. — Wassili Ostrow. — Die Newa. — NcberschwcmnnmglM. — Klima. — Umfang. — Bemer- lenswertheste Gebäude. — Sammlungen. — Gemeinnützige Anstalten. St. Petersburg, dieser „I^vori 8»n8 merile" nach Nlgarotti's Ausspruch, die nordische Wundcrstadt des mächtigen Kaiserreichs, die stolze Parthenope auf dem Newadelta, ist die einzige Metropole Europa's, deren Existenz in spätere Tage als das frühe Mittelaltcr zu setzen ist, und mit einziger Ausnahme Calcutta's ist sie das jüngsteMit-glicd der großen Städte in der alten Welt. Wenig mehr als anderthalb Jahrhunderte sind verflossen, seit diese Gegend noch ganz dem trüben Wasser der Newa und der sumpfigen Vegetation ihrer Ufer überlassen war, an denen sich kaum einzelne Hütten finnischer Jäger und Fischer erhoben, die ihren Schuß in dem kleinen und rohen Fort „Nyenschantz", dem lebten Außcnpoiten schwedischer Macht, fanden. Die jetzt ebenso kolossale 11 ls schöne Stadt, die ein arktischer Magnet der reisenden Europäer wurde, ist ein Denkmal der intellectuellen Größe und unbesiegbaren Energie ihres Gründers, Peter Alcxiewitsch, der schon den Beinamen der Größe verdient durch den Gedanken, seinen Sitz auf dieser „ile mar6c2zeu8L, ineulle el clä8erl6 yui n'elkil, ^u'un ama8 66 dou« ponclllnl I« court 6l6^ el 6an8 l'k>ver gu'un etanss Flaoe" — wie der bittre Witz Voltaire's sie treffend schilderte, — zu errichten, um von hier aus dereinst seinen Nachkommen das Eingreifen in die Interessen des europäischen Lebens zu ermöglichen. Es legt ein Zeugniß für seinen klaren und unbeschränkten Herrscherverstand ab, daß er inmitten des Barbarismus, der ihn umgab, die Civilisation des westlichen Europa's zu begreifen und zu schätzen vermochte und darnach trachtete, den Vortheil derselben seinem eignen Vaterlande zuzuwenden, indem er mittelst der Ostseewoge eine directe Verbindung mit derselben herstellte. Sie zu sichern war sein Hauptzweck bei der Anlegung eines kaiserlichen Hafens an den baltischen Küsten, mitten im neucroberten 29' 452 Petersburg. l"7. Buch. Feindeslande. Die Bodenbeschassenheit konnte ihn nicht locken oder durch dargebotene Vortheile sein gigantisches Unternehmen erleichtern, sondern zeigte sich demselben entschieden abgeneigt. Kein Gestein irgend einer Art lieferte die Umgebung des ausersehenen Platzes zum Bau der neuen Stadt, ja es konnte bis in die nur irgend erreichbare Tiefe kein fester Grund zur Errichtung von Gebäuden gefunden werden, und dcr feuchte, schwammige Erdboden mußte durch künstliche Mittel gefestigt werden. Troß alle dem ließ sich aber der Eisenwille des Herr-schers, nachdem er nun einmal die Errichtung einer neuen Hauptstadt seines Reiches an dieser Stelle beschlossen hatte, nicht durch die Schwierigkeiten der Ausführung zurückschrecken, sondern schickte sich selbst mit der ihm charakteristischen Hitze und bewundernswerthen Ausdauer zu ihrer Ueberwindung an und erzielte einen Erfolg, den man, trotz der grausamen Art dcr Erzwingung seines Willens, welche über 100,000 Menschen das Leben kostete, anstaunen muß. Die wirkliche Begründung der Stadt nach den vorbereitenden Arbeiten fällt in das Jahr 1703 ; die neue Hauptstadt wurde dem Apostel Petrus gewidmet und empfing ihren Namen von demselben. Eines der ersten Bauwerke, ein kleines Fort, wurde auf einer Insel errichtet, nahe dcr Stelle, auf dcr sich jetzt die Akademie der Wissenschaften erhebt. Wassili Dcmetriewitsch, ein Artillcriehauptmann, war zu ihrem Commandanten ernannt. Der Monarch sendete ihm schriftliche Befehle, zu, welche die Adresse trugen: „VVa^ili na Oslro-w" (An Wassili auf der Insel). Hiervon empfing dieselbe den Namen Wassili Ostrow, den sie noch heute führt. Damals mit niedrigem Buschwerk und hohem Gras bedeckt, trägt sie jetzt cins der wichtigsten Quartiere der Hauptstadt, mit herrlichen regelrechten Straßen, majestätischen Gebäuden von reichen Kaufleuten bewohnt, die Börse, das Zollhaus und andere öffentliche Paläste. Die ursprünglichen Gebäude bestanden natürlich aus Holz, aber schon im Jahre 1710 wurde auf des Gründers Befehl das erste Steinhaus errichtet, und 1712 wurde die Residenz des Czaren aus Moskau hierher an das Meer verlegt, wodurch auch das bärtige Altrufscnthum,-das noch heute scheel auf Petersburg herabsieht, gezwungen wurde, mindestens einen Theil des Jahres hier zu verbringen; und im Jahre 1715 bestimmte ein Generalbefehl, daß Man alle Häuser aus Stein errichtet und mit Ziegeln gedeckt werden sollten. Die Lage der neuen Stadt kam dem Willen Peters zu Hilfe, sie auch schnell zu einem Handelsplatz zu machen, mehr aber noch zwei zu ihren Gunsten erlassene Ukase, deren einer alle für das innere Rußland bestimmten Waaren über Archangel einzuführen untersagte, während der andere jedem Kaufmann befahl, ein Drittel seiner Waaren über 27. Kllv.1 Gründung und Ansehen. 45g Petersburg auszuführen. Wenige Monate waren übrigens erst seit der Gründung der Stadt verflossen, als Peter benachrichtigt wurde, daß ein fremdes, niederländisches Schiff in der Strommündung vor Anker läge. Vom ersten Jahre seiner Existenz bis 1720 sah Petersburg jährlich 12 bis 50 fremde Schiffe einlaufen; von 1720 bis 1730 belief sich dicZahl schon auf 200 bis 250, und von 1730 bis 1750 schwankte die Durchschnittszahl der ankommenden zwischen 300 und 400, während sie im gegenwärtigen Jahrhundert die Zahl von nahe an 2000 erreicht. In der Zeit ihrer Gründung nahm die Stadt nur das nördliche Stromufer und einen kleinen Theil der Inseln ein. Eine alte, das Datum 1738 tragende, Karte zeigt ihre Ausdehnung kaum so groß, als das Admiralitätsviertel auf dem Südufer, wo jetzt der Haupttheil der Stadt mil den schönsten Gebäuden liegt. Die Ncwski-Perspective ist auf der Karte schon in ihrer jetzigen Richtung angegeben, doch nur als eine Vaumallee. Die Großartigkeit der heutigen Metropole schreibt sich aus der Regierungszeit der Kaiserin Katharina der Zweiten her, die ihren Günstlingen stolze Paläste errichtete, Canäle grub und die erste Anlage der herrlichen Granitquais begann. Aber noch zu den Zeiten Kaiser Alexanders war die Pflasterung der Bürgersteige unterblieben. Der Boden um St. Petersburg ist flach, sumpfig, kalt und undankbar, der Anblick der Nachbarschaft bis zum Entsetzen öde, in seinem natürlichen Zustande eine graue moorige Erde, die hier und dort sparsam mit Fichten und Birken bedeckt, andernthcils jetzt mit großen Kosten in Gemüsegärten, die den Bedarf der Stadt liefern, verwandelt ist. Es mag einige Uebertreibung darin liegen, daß um St. Petersburg mehr Geld in der unterirdischen Anlage vergraben liegt, als die schönen Paläste auf der Oberfläche losten und werth sind; aber in Bezug auf Gebäude, die eine gewisse Masse und Last repräsentiren, stehen die Kosten zur Sicherung des Fundaments gewiß in einer Annäherung zu denen des Oberbaus. Verpfählungen müssen bis in eine oft ungeheure Tiefe eingetrieben werden, zuweilen fünf und sechs Reihen übereinander, ehe ein zum Bauen genügend fester Grund gewonnen ist. Und uner-achtet aller Vorsicht sind Fälle des Sinkens und Berstens durchaus nichts Ungewöhnliches. Zweimal barsten bereits die granitnen Um« Wallungen der Citadelle, oft trennten sich Freitreppen von den Palast-frontcn, zu denen sie führten, und die herrlichen, gleichfalls granitnen Quais des stolzen Stromes stürzten an manchen Stellen ein. und sich selbst überlassen dürfte St. Petersburg in wenig Jahrhunderten spurlos von der Erde verschwunden sein. 454 Petersburg. l?. Vuch. Die Newa ist der große und einzige Abfluß des Wasserüberschusses der vier großen Becken des Onega. Ladoga, Ilmen und Saima, deren letzteres wieder mit drei anderen Reservoiren in Verbindung steht. Vierunddreißig Ströme und Flüsse, und die unzähligen periodischen Sumpfabflüsse vereinen so ihren Wasservorrath in dem einen, dic Sladt durchfließenden Strom, der, nach genauen Berechnungen, über 116,000 Cubikfuß Wasser in einer Secunde in den finnischen Golf führt. Bei alle dem ist die Wasscrmengc nicht im Stande, die vor dem Ausfluß in den Busen gebildete Sandbarre zu überwinden. Die beiden Hauptarme, in die sich der Strom in der Stadt theilt, heißen „große Newa" und „große Newka". Ersterer, der südlickeArm, ist der Hauptslrom und erreicht in seiner größten Ausdehnung die Themscbreite in London. Eine Schiffbrücke führt in der Nähe der Citadelle über dieselbe und hat 2350 Fuß in der Länge. Jeder dieser Arme sendet wieder einen anderen nach Südwcstcn ab, die „kleineNewa" und die „kleine Newka". Es sind dies geringere Stromverzweigungen, die im Vereine mit dem Stadtgraben und drei anderen Hauptcana'len, Fontanka, Moika und Katha-rinencanal, die südliche Stadt in beinahe halbkreisförmige Thcilc zerschneiden und durch querlaufende kleinere Lanäle dieselbe zu einem Inscllabyrinthe machen, das durch melir als 152 fcsti> steinerne und gußeiserne Brücken verbunden ist. Unter diesen, die Zahl vierzig erreichenden Inseln, sind einige von ziemlichcrAusdchnung noch in völligem Naturzustand. Wohl mit Recht ist der gewaltige Strom der Stolz der Petersburger; ist er doch der einzige Schmnck, den die Natur ihrer Localität verlieh. Sein Wasser ist wunderbar blau und durchsichtig. Die eingeborenen Städter loben die Eigenschaften desselben übermäßig und stellen es in ihrer Achtung über jedes andere Wasser der Welt. Bei der Rückkehr von längeren Reisen pflegt man es zu dem Gegenstand der Beglückwünschung zu machen, wieder im Stande zu sein, das Ncwawasser zu genießen; bietet auch dem geliebten Familiengliede, das wieder in die Heimath zurückkehrt, zuerst einen klaren Trunk des theuren Stromes im kostbarsten Becher des Hauses. Ein Grund für solche Verehrung mag es mit sein, daß thatsächlich kein Ersaß für dieses erste Lebensbedürfniß, das zum häuslichen Gebrauche geeignet wäre, in der Nahe der Stadt zu fin5cn ist, denn auf Meilen weit ist vergeblich nach der kleinsten Quelle geforscht worden. Andrerseits muß das Wasser unbedingt eigenthümliche Eigenschaften besitzen, da es auf Fremde und Reisende bei dem ersten Gebrauch als Getränk Einfluß äußert und selbst unan< genehme, krankhafte Wirkungen erzeugt, während es im Gegentheil den daran gewöhnten Mägen seiner Schmackhaftigleit halber unersetzlich und auch entschieden gesund ist. 27. Kap.1 Die Newa. Hgg Zur Zeit, wenn die Macht des Winters den Strom in die stärksten Fesseln geschlagen, wird er jährlich die Scene eines glänzenden Schauspiels. Gemäß dem Ritual der orthodoxen griechischen Kirche wird nämlich am Tage der Epiphanie, dem 6. Januar alten Styls, das Fest der Wasscrwcihe in einem auf dem Strom erbauten Pavillon mit allem Glänze der Kirche und des Kaiserreiches gefeiert. Der Metropolit taucht ein Cruzifix in eine Oessnung des Eises, schöpft selbst in den goldenen Gefäßen von dem so geweihten Wasser, sieht den Segen des Himmels auf den Strom herab, besprengt den Kaiser und seine Umgebung, und namentlich die Fahnen der in Parade aufgestellten kaiserlichen Truppen mit demselben und sendet einen Geistlichen zu gleichem Zwecke in das gegenüberliegende Winterpalais, wo die Kaiserin mit ihren Damen am offnen Fenster der Ceremonie beiwohnt, die nach abgehaltenem Hochamte durch eine Revue der versammelten Truppen beendet wird. Gelegentlich wird die Newa eine Quelle großer Gefahr und ein Gegenstand des Schreckens der Stadtbewohner, wenn auf längere Zeit ein Weststurm aus dem finnischen Busen herweht und die Stadt dem Unheil einer Ucberschwcmmung ausgesetzt ist. Der Westwind hemmt nämlich nicht allein den Ausfluß des Stromes, sondern treibt oft die Wogen des Meeres wüthend in das Bett desselben und die engen Ca-näle, so daß die ungeheuren Wassermassen in wenigen Stunden die flachen Ufer überstuthen und die ganze Stadt aus ihren Grundvesten zu heben und mit ihrer halben Million Bewohner zu verschlingen drohen. Der höchste Boden in der Stadt ist nicht mehr als zwölf bis vierzehn Fuß über den Ncwaspiegel erhoben, folglich würde eine Ueber-schwemmung bis zu dieser Höhe ihre ganze Bodenfläche unter Wasser setzen und die niederen Straßen und Wohnungen zerstören. Zwanzig Fuß Wasser würden Häuser und Besitzthümer wegschwemmen und die Riesenstadt mit Allem, was darin, in ein nasses Grab versenken. So wahrscheinlich ist ein solches Resultat, daß bei jedem nur etwas anhaltenderen Westwinde der Wasserstand des Flusses durch die Polizeibehörden von Stunde zu Stunde sorgsam beobachtet wird. Das ver-hängnißvolle Steigen des Stroms wird den Bewohnern unmittelbar durch Signale mitgetheilt, damit sie bci Zeiten Maßregeln treffen mögen, ihre Besihthümer und ihr Leben zu sichern. Eine von Stunde zu Stunde abgefeuerte Lärmkanonc und weiße Flaggen auf den Kirchthürmen deuten an, daß die äußersten Punkte der Inseln unter Wasser stehen; ein in jeder Viertelstunde sich wiederholender Schuß, daß die Wogen die niedrigsten Straßen erreichen, und die schnellere Folge des Signals bezeichnet die wachsende Gefahr. Unter den Überschwemmungen war die Katastrophe am 19. No« 45g Petersburg. l?. Buch. vember l824 die farchterlichste. Ein Wcststurm wogte über das ganze baltische Meer und del: finnischen Golf hin, die Küsten mit Wracks bedeckend und die Häfen zerstörend. Das Ereigniß voraussagend, wurde der Ndmiralitätsthurm schon in der Nacht des 18. mit Lampen umhängt, um das Volk zu warnen und zu mahnen, die niedrigen Wohnungen zu verlassen. Früh am folgenden Morgen wurden die Wasserflaggen gehißt, und Kanonen, in kurzen Zwischenräumen abgefeuert, verkündeten der Stadt die wachsende Gefabr, die schon ein schrecklich schönes Schauspiel darbot. Der Strom rauschte durch die Straßen, drang durch die Fenster und füllte in allen Stadttheilen aus dem Boden hervorbrechend die Erdgeschosse der Häuser, Die Väume wurden entwurzelt, Brücken, Holz- und Steingebäude zerstört, große Fahrzeuge über die Quais hinweg in die Straßen und auf die Plätze geschleudert. Dabei hielt der Sturm mit eisigem, starkem Wehen an, so daß die Eiscntafeln der Palastbedachungen wie Papier aufgerollt wurden. Das Entsetzen und der Schrecken waren unbeschreiblich, die Lebens- und Eigenthumsliebe war in derAngst erstickt und hatte der Gleichgiltigkeit Platz gemacht. Der Verlust des Lebens hatte viele Hunderte, des Hab und Guts viele Tausende betroffen; Häuser, Läden, Kanfmannswaaren siuthetcn mit den ablaufenden Wassern hinaus in's Meer und bedeckten die finnische Küste. Der Schaden belief sich auf mehr als hundert Millionen Rubel. Eine rothe Marke an jedem Hause bezeichnete lange die schreckliche Höhe der Fluch, deren Nachwehcn alle großartige Hilfe und selbst Aufovfe, rung des Kaisers, seiner Familie und alle» Stände nicht ganz verwischen konnten. Obschon nicht die nördlichste Hauptstadt Europa's, ist Petersburg doch die kälteste. Die Temperatur schwankt sehr und ist plötzlichen Aenderungen unterworfen. Im Sommer steigt der Thermometer bis auf -»- 30 Grad Reaumur und im Winter sinkt er bis auf — 24 Grad. Auch höhere Grade von Kälte sind schon häusig vorgekommen, und es ist daher nur eine nothwendige Einrichtung, daß kleine transportable runde Gebäude auf den Straßen und Plätzen eingerichtet werden, in denen große Feuer den Kutschern und Leuten, deren Geschäfte sie zum Aufenthalt unter offnem Himmel zwingen, die nöthige Wärme spenden. Der Uebergang vom Winter zur bessern Jahreszeit ist in der Regel schnell, und das Thauen geht rasch vor sich. Ein Murmeln unter der Eisdecke verkündet deren stellenweises Bersten. Das herausdringende Wasser trennt sie von den Ufern und zeigt an, daß es schon zu porös und bröcklig geworden ist, um mit Sicherheit überschritten zu werden. Endlich wird ein starkes allgemeines Getöse gehört, die ganze Masse bricht auf und fluthet mit der heftigen Strömung hinaus in die See. Einige Zeit später kommen ähnliche Massen aus den oberen Stromtheilen und 27. Kap.) Klima und Größe. 457 dem Ladoga-See herabgetrieben, doch schmilzt der größte Theil des See- und Flußeiscs schon auf dcm Wege und in den eignen Becken. Sobald die Fahrt für die Boote frei ist, wird dies durch ein Kanonensignal von der Madelle verkündet und dic Schifffahrt wird mit einer großen Ceremonie feierlich eröffnet. Der Festungsgouverneur mit seinem Stabc schifft sich in einer festlich geschmückten Barke ein und rudert hinüber nach dem Winterpalast, um dem Czaren einen Becher voll des wiederbefreitcnStromwassers zu überbringen, wofür er früher den Becher mit Dukaten gefüllt zurückerhielt, was jedoch jetzt in eine feststehende Summe verwandelt wurde, da der Becher immer wuchs, so daß der Kaiser jährlich mehr Wasser trinken und mehr Dukaten zahlen mußte. Die Stadt nimmt ein Areal von anderthalb Quadratmcilen und fast vier Meilen im Umfang ein; ihre größte Längenausdehnung beträgt anderthalb und die größte Breite einundcinedrittel Meile, ist jedoch erst zu einem Dreizehnte! dieses Raumes bebaut. Sie zählt 450 Straßen mit nahezu 9000 Gebäuden und Grundstücken. Die Hauptstraßen laufen meist in geraden Linien, werden aber von vielen anderen in bald rechten, bald stumpfen, bald spitzen Winkeln geschnitten. Die von der Admiralität ausgehenden Straßen sind namentlich lang und breit. Die Newski-Perspective hat eine Länge von 14,350 Fuß, ist aber mit ihren minder eleganten, doch schnurgeraden Fortsetzungen eine Meile lang und 120 Fuß breit. Prächtige Granitplatten bilden breite Fußwege auf beiden Seiten, die eine Lindenreihe von den Fahrwegen trennt. Die meisten Straßen sind 70 Fuß breit, die engsten 42; die befahrensten sind mit Holzquadern gepflastert und haben Granitfußwege. Die Wohnungen der Reichen sind prächtig aus Granit und Marmor erbaut, im italienischen Styl mit einerMcngc von griechischen Säulen und Mastern und meist mit stachen Dächern. Die der niederen Klassen sind fast durchweg Holzbauten, aber in der Absicht, das Material zu verstecken, mit Oelfarbe angestrichen und spiegelrein erhalten, da den Besitzern die Pflicht obliegt, den Anstrich jährlich zu erneuern. Alle Häuser, groß und klein, sind mit Doppelfenstern, deren äußeres im Sommer entfernt wird und deren inneres trefflich schließt, und überhaupt mit guten Sicherheitsmaßregcln gegen die Kälte versehen. Die Admiralität ist ein ungeheures Gebäude, das als Mittelpunkt der Stadt anzusehen ist, da die Hauptstraßen direct auf sie zulaufen; seine Vorderfront ist tausend Schritt lang und trägi einen Thurm, dessen Kuppel wieder in eine riesige, nadelarrige Spitze endet, an oer eine Wetterfahne in Gestalt eines Schisses befestigt, die mit dem feinsten Dukatengoldc belegt, im Sonnenschein weithin strahlt. Nach der Newa hin ist das kolossale Gebäude offen und mit großen Bassins versehen. 458 Petersburg. ^7, Bnch. und von ihm dehnen sich nach rechts und links die herrlichsten Granit« auais aus, mit den prächtigen kaiserlichen und nicht weniger schönen Privatgebäuden besetzt. Ihre Länge beträgt über 4000 Fuß, die in regelmäßigen Intervallen durch breite Treppensiuchten unterbrochen wird, an der in der Schissfahrtszeit Dampfbootc und Segelschiffe von fast allen Nationen vor Anker liegen. Ungemein breite Fuß« und Fahrwege erhöhen den Prachteindruck des an architektonischer Großartigkeit wobl unübertroffenen Platzes. Von dem westlichen Flügel der Admiralität übersieht man den Platz mit der vielbcschriebencn Reitcrstatue Peter des Großen. DemOstflügel der Admiralität benachbart, erhebt sich die größte kaiserliche Residenz Europa's. Sie nimmt eine Front von 700 Fuß in der Länge ein, steht der Newa zugewendet, hat einen offnen Hof im Centrum, den gigantische Säulen fast im regelmäßigen Viereck umfassen. Die Kaiserin Elisabeth legte im Jahre 1754 den Grundstein, und Rastrelli, der Architekt, erhielt die Grafenwürde für sein 1762 vollendetes Werk. Siebcnzig Jahre lang sammelten und häuften die russischen Souveraine die seltensten und kostbarsten Gegenstände in dieser Residenz, welche in der Nacht vom 29. December 1837 durch eine zufällige Feuersbrunst in einen Aschenhaufcn verwandelt wurde. „Heute über ein Jahr will ich wieder in meinem ZimmerimWinter-palast schlafen," sprach der Kaiser, und der General Kleinmichel übernahm es, seinen Willen auszuführen und that es, wenn auch nur mit großen Opfern an Menschen und Geld. Das glänzende Gebäude war mit dem Ende December 1838 vollendet und wurde zu Ostern 1839 bereits vom Hofe bezogen, aber ein hober Preis hatte der Erfüllung des kaiserlichen Wunsches gezahlt werden müssen. Um die Mauern zu trocknen und der klimatischen Einwirkung zu begegnen, war das Gebäude übermäßig geheizt worden, und dadurch wurde die Gesundheit der Arbeiter, die dem Temperaturwcchscl unterworfen waren, gefährdet, wie andrerseits auch viele durch die Dämpfe im Innern betäubt wurden, lind mehr als einer die Arbeit mit dem Leben zal'lte. Und in dem Augenblicke, wo die kaiserliche Familie nach der ersten Ve-sichtigung einen der Hauptsäle verließ, brach die Decke, durch die schweren Kronleuchter niedergezogen, und begrub alles im Saal Vc-sindliche unter Schutt. Der Palast bedeckt einen Flächenraum von 654,237 Quadratfuß, die Hauptfaoadc ist 550 Fuß lang und zählt 53 Fenster, die Tiefe beträgt 380 Fuß und die Höhe 76 Fuß. gehn . prachtvolle Säulen, die sich über dem Portale erheben, schön geformte Statuen und eine Ballustrade vom trefflichsten Marmor tragen nicht wenig zum imposanten Eindruck dieses Bauwerks bei. Der Winterpalast steht in unmittelbarem Zusammenhange mit der 27. Kap.) Die Hauptgebäude. 45g Eremitage, so daß diese als scineFortsetzung am Newaufer zu betrachten ist, die ihm auch kaum an Größe undPracht nachsteht. Es sind eigentlich drei Gebäude, aus denen die Eremitage besteht, doch verbinden sie bedeckte, auf gewölbten Bogen ruhende Gallerien unter einander und mit dem Wintcrpalast. Jetzt dienen sie als Local für die mit kaiser-licher Munificenz über den ganzen, weiten Umfang der Künste ausge» dehnten Sammlungen. Der der Ncwascite abgewendeten Front gegenüber sleht vor dem Hotel des Gencralstabcs auf weitem Platze das herrliche Denkmal Alexander des Ersten. Nicht weit von der Eremitage am Schloßquai befindet sich das Marmorpalais und dem Flußlauf ostwärts folgend der taurische Palast, mit dem Sommergarten zwischen ihnen. Beide ließ Katharina für ihre Günstlinge, jenes für^rloss, dieses fürPotemkin, erbauen, aber durch Kauf von den Erben wurden sie wieder an die Krone gebracht. Der schöne S 0 m m ergarten mit üppigem Grün, tropischen Gewäch'en , Orangerien, Fontaine», Pavillons?c., contrastirt angenehm mit den ihn umgebenden Baukolossen. Ein prächtiges, 16 Fuß hohes Eiscngittcr mit vergoldeten Spitzen schließt ihn ^ur Newa ab, in einer Länge von über 1000 Fuß. Es ist dasselbe zur Pfingstzcu der Schauplatz einer Brautschau, indem die heiratsfähigen und chelustigen Töchter der unteren und selbst mittleren Klassen im stattlichen Aufzuge, oft auch sonderbar herausgeputzt erscheinen, mit der Absicht, sich den zur Ehe passenden Junggesellen verführerisch darzustellen. Durch die Vermittlung der begleitenden Verwandten oder Freunde finden gegenseitige Besichtigungen und Vorschlage statt, und das Geschäftliche der Angelegenheit wird mit demselben Ernst und Eifer betrieben, wie auf jedem wohl organisirten Handelsmarkt. Die Newa verfolgend schließt an der Annitscbkow-Brücke der gleichnamige Palast die Neihc der kaiserlichen Residenzen. In derIngenieur-siraßc lieg«, von einem Garten begrenzt, das neue Miehael'sche Palais, von Nikolaus seinem jüngern Bruder erbaut, durch innere und äußere Alisschnniclnng die künstlerisch reinste und eleganteste bauliche Zierde Petersburgs, vom jetzigen Kaiser als Großfürst Thronfolger bewohnt. Unweit beider befindet sick die Bibliothek mit prächtigen, zweihundert Fuß langen und hundert Fuß breiten Sälen. Sie enthält 450,000 Bände und eine herrliche Manuscriptensammlung, wie persische, mala-barische, chinesische, tibetanische, sanskritische:c., eine Anzahl seltener Incunabeln und Autographen. Auch über den Fluß hinweg erhebt sich auf Wassili Ostrow eine Ncihe der herrlichsten Gebäude, dem Handel, der Kunst und Nissenschaft gewidmet, wie die Börse mit dem großen Zollhausc, den Packhäusern 450 'Petersburg. ^7. Vuck». und Magazinen, die Palästen gleichen; die Akademien der Wissen» slbaften, schönen Künste, die russische Akademie, der Collegienpalast, Cadettcnhäuser, die Universität und viele andere Unterrichts- und Wohlthätigkeitsanstalten. Nichtsdestoweniger ist aber die Insel noch nicht ganz bebaut und ihre Stadttheile verlieren sich in eine Wald-sireckc, die zu dem Galeerenhafen auf ihrem Wcsttbeile im Kronstädter Busen führt. Das Hauptinteresse gewähren die Bergakademie und die der Wissenschaften. Seit 1726, dem Begründungsjahre, haben die Register der meteorologischen Beobachtungen die Maxima und Minima des Barometerstandes, die Zahl der Negcn- und Schneetage, so wie die Fluth- und Nordlichtserscheinungen jedes Jahres aufbewahrt; seit 1769 ist die Barometerhöhe täglich bemerkt und monatlich das Mittel dieser Beobachtungen gezogen; seit 1781 ist der Thermometer täglich Morgens und Abends beobachtet, seit 1803 sogar dreimal täglich, und seit 1822 werden alle meteorologischen Erscheinungen der Hauptstadt an jedem Tage auf das genauste des Morgens um sieben Uhr, Nachmittags um zwei Uhr und Abends um neun Uhr aufgeschrieben. Neben ethnographischen, botanischen und mineralogischen Schätzen besitzt die Akademie eine Sammlung von fossilen Knochen erloschener Thiergeschlechter, und darunter das berühmte Skelett des an der Mündung der Lena in Sibirien gefundenen Mammuth, von 9 Fuß 4 Zoll Höhe,16Fuß 4Zoll Länge, ohne die Zähne, die längs der Krümmung 9 Fuß 6 Zoll messen. Die Bcrgakademic, mitder zugleich eine Erziehungsanstalt für die dem Bergwesen gewidmeten Kinder, von schrzartem Alter ab, verbunden ist, besitzt die größte und beste mineralische Sammlung und eine belehrende Reihe Proben von Nlluvial-Gold aus dem Ural, von der Größe einer Erbse bis zu dem berühmten Stück von achtzig Pfunden, das, im Ieka-therinburger District gefunden, bis zur Entdeckung der australischen Gruben das größte der Welt war. Unter andern merkwürdigen Stücken befindet sich hier auch das bedeutendste bekannte Stück gediegener Platina, von zehn Pfund Gewicht, aus den Minen der Familie Demidoff; ein riesiger Block reinen Malachits, gegen 4000 Pfund wiegend, dann der Block Meteor-Eisen, den Pallas in einem Schiefcrgebirge Sibiriens fand, und der noch jetzt, nachdem er fast alle europäischen Cabincttc mit Bruchstücken versah, eine Masse von drei Cubikfuß bildet. Von gleichem Interesse und der größten Belehrung ist eine Modellsammlung von Bergen und Minendistricten und allen Apparaten zum Erzgewinn und der Behandlung der Metalle. Die Börse ist gleichfalls ein diese Insel schmückendes, herrliches Gebäude, um welches eine Halle von vierundvierzig dorischen Säulen läuft und vor dem sich zwei über hundert Fuß hohe Rostralsäulen aus 27. Kap.) Die Hauptgebäude. 4ß1 Granit erheben, die inwendig hohl sind und in denen man bis zur Spihe hinaufgehen kann. Durch eine Brücke über die kleine Newa mit Wassili Ostrow verbunden, liegtziemlich als Mittelpunkt der Stadt die Citadelle, ein aus Steinen aufgeführtes Scchseck,Mt Kanonen stark besetzt, und darunter das Saint Denis der russischen Souvcraine, die Kaisergruft in dcr Kathedrale St. Peter und Paul und das schon erwähnte kleine Haus Peter des Großen, in dem er die Erbauung der Stadt überwachte. Die Stadt enthält gottcsdienstliche Gebäude aller in Europa herrschenden und anerkannten Religionen und Confessionen; griechisch-russische, armenische, römische, protestantische und rcfornürtc Christen haben ihre Kirchen, der Islam seine Moscheen, die Juden ihre Synagogen. In fünfzehn Sprachen wird die Allmacht Gottes gepredigt. Allein auf dem Ncwski--Prospect stehen die Gotteshäuser von sieben verschiedenen Confcssionen, so daß ihm der Scherzname „Toleranz-Straße" beigelegt «st. Der byzantinische Styl mit seinen einfachen oder zu fünf gehäuften Domen und Kuppeln ist bei allen diesen Kirchen vorherrschend, doch mischten sich griechische und römische Züge bei den hervorragenderen entschieden ein; so ist die Kirche der Mutter Gottes von Kasan eine im Allgemeinen mißlungene Nachbildung St. Peters in Rom. Die Isaakskirche in der Nähe der Admiralität, die auf einem Rostfundamcnte ruht, das über eine Million Silberrubcl kostete, ist ein Denkmal Peter des Großen, das vom Blitz zerstört, von Katha« rina aber in großartigem Maßstabe zu restauriren begonnen wurde. Nachdem es viele Millionen verschlungen, suchte Paul es in schlechtem Materiale zu vollenden, seine Nachfolger brachen dies Gebäude jedoch wieder ab, um es in dem ursprünglichen, unerreichten, großartigen Maßstabe ^erzustc'l/c«. Von ihrer Erhabenheit mag es zeugen, daß das ganze Material jetzt Granit und Marmor ist, daß die Kuppel von 87 Fuß Durchmesser, wie die Gewölbe der Kirche, aus bronzirtcm Eisen bestehen, daß achtundvierzig polirte dorische Granitsäulen, finnische Monolithen von 56 Fuß Höhe, den Porticus tragen. — An Gold, Edelsteinen, prachtvollen Säulenwerkcn aus Jaspis, Malachit, Reli-quienlästen, Gefäßen aus Elfenbein, Bernstein, Gemälden, prächtigen Gewändern und Stoffen, kurz allem Schmuck des Pracht und Glanz liebenden Cultus sind sämmtliche Kirchen und Klöster überreich. Die Peter-Paulskirche in dcr Festung enthält, als die Ruhestätte des Hauses Romanow, viele Fahnen und Trophäen, namentlich aus den Türken-kriegcn; die Herrschersärge sind einfache, steinerne Sarkophage, mit sammtncnDecken, auf denen dicNamcn oderInitialen der darin ruhenden Personen angebracht sind; Peter dcr Zweite, der in Moskau starb, ist der einzige Czar, der nicht in diesen Räumen ruht. Die irdischen 462 ' Petersburg. l?. Buch. Reste Suwarows und vieler anderen ausgezeichneten Russen liegen in der Kirche der Verkündigung, die mit dem Alexander Newski Kloster, dem Sitze des Erzbischofs, verbunden ist; Kutusow ruht in einem schönen Grabmal unter 107 den Franzosen abgenommenen Adlern und Fahnen in der Kasanschen Kathedrale, und der Franzose Moreau in der römisch - katholischen Kirche. An nichtkirchlichen Denkmälern befindet sich das Suwarow'sche auf dem danach benannten Platze, ein lebensgroßes bronzenes Standbild aus einer allegorisch verzierten Säule; ferner ebendaselbst das Rum-janzow'schc, ein graumarmorncr Obelisk auf rothmarmornem Piedcstal mit passenden Inschriften; in der Säulenhalle vor der Kasanschen Kathedrale die ehernen Standbilder Kutusows und Varklay de Tolly's, und endlich zwei große Triumphpforten an der Rigaer und Moskauer Straße. Viele Hospitäler, Armcnanstalten, darunter vor Allem das wahrhaft großartige und unübertreffliche Findelhaus, alle Arten Schulen und Anstalten, zeichnen die Kaiserstadt ans. — Die Märkte und Plätze bieten an und für sich Interesse und sind die besten Gelegenheiten zur Beobachtung des Lebens der mittleren und niederen Volksklassen. Wie jede Stadt des ganzen Kaiserreichs hat auch Petersburg seinen Gostinnoi Dwor, oder Bazar, Kaufhallen, in denen die Waaren im Detail zum Kauf ausgeboten werden, ein Nest aus der Nomadenzeit, wo die Handelsverbindungen der slavischen Völker noch nicht geregelt waren. Hier ist der Gostinnoi Dwor eine weite Halle mit Unter- und Obergeschoß, die einen offenen Hof mit einem Wasserbecken umschließt, an die Zeit erinnernd, wo die angelangten Karawanen hier ihre Thiere von ilirer Bürde befreite» und tränkten. Für jede Waare giebt es besondere Räume. Von der Morgen- bis zur Adenddämmerung herrscht eine gro^e Lebendigkeit, dann aber tiefe Stille, da außer den Wächtern, die mit Unterstützung starker Hunde den Schutz der Waaren ausül'en, kein Mensch dieHallen betreten darf. Für alle Arten Lebensmittel giebt es besondere Märkte, und einen Hauptmarkt für sämmtliche Speiseartikel und Viehfuttcr, „Sennoia Pluschad" oder Hcumarkt. Er bietet besonders zur Weihnachtszeit ein interessantes Schauspiel dar, wo er dann dicht mit Schlitten bedeckt ist, die Fleisch und andere Waaren oft aus den entferntesten Theilen des Reichs herbeiführen, und die Verkäufer unter großen Anstrengungen von dem wie im Leben dastehenden, steif gefrorenen todten Vieh mit An und Säge die wenigen verkauften Pfunde des knochenharten Fleisches ablösen müssen. ' Beim Tode seines Gründers 1725 zählte Petersburg eine Bevölkerung von 75,000 Seelen, meist Fremder; sicbcminddreißig Jahre später, bei Katharina der Zweiten Thronbesteigung, war dieselbe schon auf 100,000 Seeleu angewachsen, und gegenwärtig beträgt sie eine 28. Kap.) ' Bevölkerung. 4ßg halbe Million. Keine andere Stadt wechselt so häufig als Petersburg ihre Bevölkerung, da nicht nur das Militair, sondern alle Beamten in ihren verschiedenen Carrieren häufigen Versetzungen in den weiten Grenzen des Reiches ausgesetzt sind, und die untersten Klaffen meist aus Leibeigenen sich rekrutiren, die nur zeitweise« Urlaub erhalten, um sich und ihren Herren in der Hauptstadt höhere Einkünfte zu erzielen. Die Majorität der Stadtbewohner ändert sich daher in zehn Jahren und nur eine kleine Minorität, meist aus Nichtrussen bestehend, bleibt beständig ansässig. Bei aller imponirenden Größe hat Petersburg doch keine Züge, die den Fremden an und für sich lange zu fesseln vermögen, und wenn die ersten Eindrücke der Ucberraschung vorüber sind. langweilt es oder stoßt es ab. Es verräth zu< sehr seine Entstehung durch den höheren Machtspruch, und erkältet daher, statt das Interesse mit jedem Schritte neu zu erregen, und Wärme und Begeisterung einzuflößen, wie die übrigen Städte des baltischen Ufers, die eine Frucht des socialen Fortschrittes sind. Selbst die Russen lieben nur zum Theil ihre Hauptstadt, und eine große Zahl sieht in ihr nicht den Ausdruck der russischen Metropole, sondern nur die Residenz der mächtigen Romanows, das Fenster ihres Hauses, durch welches sie hinausschauen nach der Luft der europäischen Civilisation, die der Altrussc nicht liebt, und vor der er sich nach Moskau mit seinen Zügen asiatischer Architektur und Cultur zurückzieht, und wo er die fortdauernde Anwesenheit des das Fortschreiten seines Volkes wollenden Czaren nicht wie ein stetes Alpdrücken empfindet. Achtundzwanzigstes Kapitel. Die finnische Südküste. Die Schären. — Wiborss. — Hossland. — Geologisches. — Frederiks- hamn. — Lovisa. — Borga. — Skweusksund. — Helsingfors. — Bwea- borg. — Hangö. Die von der Newamündung aus nach Westen gehende Nordküste der Kronstädter Bucht ist eine nur mit Moos, Sumpf und Gebüsch bedeckte Wüste, worin kein Kornfeld, kein Fruchtbaum das Auge erfreut; etwa anderthalb Meilen von der Hauptstadt entfernt, wendet sie sich, Peterhof gegenüber, bei der nach West aussvnngcnden Landzunge Lisi« Noß nach Norden und behält etwa zwei Meilen weit diese Richtung bei, bis sie, die Kronstädtcr Insel bogenförmig umfassend, im Westen, der Klint gegenüber, ein Vorgebirge zum Abschluß dieser Bucht im finnischen Busen vorfindet. Auch dieser Küstenstrich hat außer dem d^irch 464 Die finnische Südki'iste. I?. Buch. seine Gewehr- und Ankerschmicden höchst wichtigen Dorfe Süster-back, das an dem Böschungspunkt des sich von Nord wieder nach West wendenden Users liegt, keine nennenswerthen Ansiedlungen, sondern Birken- und Erlenwälder, die sich bis zum Strande ziehen und in denen noch der Bär, der Wolf und das Elenn hausen. Von nun ab nimmt aber die Landschaft einen völlig andern Charakter an, indem die ganze Nordküste des finnischen Meerbusens aus nacktem zerklüfteten Fels besteht, der sich entschieden als ein weit auslaufendcr und unter dem Meere mit dem Hauptstock zusannnenl'ängender Zweig des Urgebirges Skandinaviens verräth. In buntestem Gemisch liegt vor dem vielfach ausgezackten Ufer ein Schärengürtel, dessen unzählige Eilande bald als nackte kahle Klippen kaum über den Meeresspiegel hervorragen und von jeder Woge schäumend bespült werden, bald nur noch durch wildkochende Sirudel der Wellen, als im Meeresgrunde vorhanden, angedeutet werden, bald nadelförmig Hunderte von Fuß aus demselben hervorragen, und bald wieder hochebncnartig mit Erde bedeckt und selbst mit Birken- und Nadelwald bestanden sind. Bei der so ungemein ausgezackten Küste ist es auffallend, daß die größeren und weit einschneidenden Buchten, entgegengesetzt den Föhrdcn an der holsteinischen Ostküste, nicht schmale, lange Einschnitte bilden, sondern meist beckenartig gestaltet sind. Und wie, aus der Vogelperspektive betrachtet, das ganze Land mit seinen Bcrgspitzen, Höhen und Kuppe», seincu krausgeformten, kurzen, schlammigen Thälern und mannigfachen Seen, dem riesigen Abbilde der Schärenwelt gleichen würde, findet sich meist in jeder der größeren Buchten ein kleineres Spiegelbild derselben und ihrer Küstenformation; vorspringende Landzungen bilden Nebenbuchten und abgesonderte Kessel, deren Fluth wieder von vielfachen Inselchen und Landvorsprüngen zertheilt wird. Auch verschieden von den deutschen Föhrdenstädten, sind die Wohnplätze in diesen Buch ten nicht in ihrer innersten Böschung, dieser folgend, angelegt, sondern liegen auf ihrer westlichen Begrenzung, wo sie Schutz gegen die vorherrschenden starken Winde finden. Bei der Küstenwcndung und dem schon erwähnten Dorfe Süster-bäck beginnt in gouvernementaler Beziehung das eigentliche Finnland. Drei kleine bewaldete Eilande Vikom oder Biskopsö, Turesari und Björkö, bilden einen nach Nordwest gerichteten Sund, den Björkö-Sund, durch welchen das enge Fahrwasser zu dem größten Einschnitt des finnischen Festlandes, der Bucht von Wiborg, führt. Sie schneidet etwa fünf Meilen weit in das Land nach nordöstlicher Richtung ein. Die Fahrt in dieser Bucht ist, obschon ihre Tiefe hinreichend, nicht gefahrlos , da einö Björkö parallel laufende Landzunge von Südosten her.drei Meilen weit in dieselbe vorschießt und ihr nur eine etwa eine 28. Kap.1. Wiborg. 4ß5 Meile breite Einfahrt mit stark reißender Fluth gestattet. Hinter derselben nimmt die Bucht wieder eine Breite von vier Meilen an, verengt sich aber nach Nordottcn zu unausgesetzt und durch gegenseitige Annäherung beider Küsten so, daß sie schließlich dort, wo die Stadt sich ausbreitet, nur ein schmaler Hafen bleibt. Etwas mehr als anderthalb Meilen vor der Stadt Wiborg treten unter der Menge kleiner Inseln, bald Schärenklippen, bald bewachsene grüne Eilande hervor, die von hier aus das Innere der Bucht erfüllen; zwei größere, Naran-saari und Ravansaari, liegen dicht an einander und bilden den Trang-Sund, eine enge Einfahrt in den sich dahinter ausbreitenden, als Hafen zu betrachtenden Theil des Busens. Die beiden Küsten der außerhalb des Trangsundcs liegenden Bucht sind sehr verschieden; die des Nordwesten vielfach und stark ausgezackt, fast überall mit runden, von Kuppen umgebenen, tiefen Kesseln, und darin oder davor kleinen Inseln mit gleichfalls runden Hügeln, die des Südosten aber bildet schmale lange Felsenzungen mit verhältnißmäßig ticfeinschneidcnden föhrdenähnlichen Buchten. Beide Ufer bildet der schönste Granit und Syenit, der, wo er von den Wellen gewaschen und polirt ist, einen porphyrartigen Glanz und flcischroth und dunkelgrün gesprenkelte Farbe hat, und beide sind mit düsterm Nadelwalde bestanden. Die Stadt Wiborg, auf einer Landzunge der Südostküste malerisch gruppirt, gewährt mit ihren Holz« und Steinhäusern, die hell und lebhaft, mitunter, wie namentlich ihre Kirchenkuppeln, grün angestrichen sind, einen angenehmen Anblick. Die vicrtehalbtausend Einwohner bilden ein Gemisch eingewandert« Nationalitäten, nämlich Schwedische, Dänische und Deutsche; letztere bilden die herrschende Klasse, wie auch Deutsch, wennschon in sehr verdorbenem Dialekt, die Umgangssprache ist; durch die große russische Garnison mit ihrer bedeutenden Officier« und Bcamtenzahl ist das russische als neues Element hinzugetreten und bereits so weit gediehen, daß es schon mit dem deutschen wetteifernd kämpft. Der mit Wällen und einer Ringmauer umgebenen Stadt gegenüber erhebt sich im Nordwestcn, auf einer in ihrer größten Länge quer durch die Bucht gehenden Insel, die Citadelle. Bei der Nähe von Petersburg, nur zwanzig Meilen beträgt die Entfernung, und dem guten Hafen, den der innere Wiborger Busen bildet, war es, so lange noch nicht ganz Finnland in russischen Händen war, wichtig, eine starke Festung aus der günstigen Localität zu schaffen. Die Citadcllinsel beherrscht ganz den schmalen Eingang zwischen ihr und der Stadt. Der Mcercsarm zwischen dem nordwestlichen Fcstlande und der Citadellinsel ist breiter, in ihm liegt aber auf einem Felsen „Korsaari" eine ältere von der Kaiserin Anna 1758 unter dem Namen „(uouronno ä'^.nno" erbaute Die Ostsee. 30 4tzg Meer und Küste ^7. Luch. Befestigung, deren unterer Theil zu Staatsgefängnissen benutzt, während der obere durch frühere feindliche Angriffe zerstört ist. Gegründet wurde Wiborg schon 1293 durch die Schweden unter dem Reichsmarschall Torkel Knutson, der sich und dcm Christenthum damit mitten im feindlichen Lande einen Schutz für seine Herrschaft begründen wollte; Trümmer auf einer der Inseln im Surencnwcdenpohja (dcm innersten Theil der finnischen Bucht, in Uebersctzung des finnischen Wortes) bezeichnen noch den Punkt dieser Anlage. Im Jahre 1403 verlieh Erich der Dreizehnte den Ansiedlungen unter den Mauern des Schlosses das Stadtrecht. Karl der Elfte beschränkte die Handclsprwilegien,'und die unter den häufigen Kriegen zwischen Schweden und Nußland stets von Unglück betroffene Stadt litt so, daß diese, einst blühende Hauptstadt Karclicus, zu völliger Werthlofigkcit und dcm Besitz eines einzigen Schisses hcrabsank, aus welchem Zustande sie sicherst erholte, nachdem ganz Finnland vereint unter russisches Scepter kam und ihr das Stapelrccht verliehen wurde; im Jahre 1850 besaß sie schon wieder zwanzig Fahrzeuge, darunter ein auf ihrcrWcrftc erbautes Dampfschiff. Im Jahre 1790 wurde am 3. Juli in dcm Niborgsundc eine berühmte Seeschlacht geliefert. Gustau der Dritte hatte sich mit seiner Flotte dorthinein gewagt, und sah sich durch die russische Flotte unter den Admiralen Tschitschagow, Kruse und dem Prinzen von Nassau die Ausgänge versperrt, und im Rücken von Niborg selbst bedroht. Mit dem kühnsten Heldcnmuth unternahm er das ungeheuerste Nagniß aller bekannten Seekriege und erzwäng sich, gegen die lleberzahl einer feindlichen Flotte und die auf den Schären errichteten Batterien, gegen den ihm hinderlichen Südwind, der seine Brander zu seinem Verderben zurücktrieb und die eigenen Linienschisse entzündete, einen Ausweg. Furchtbar war der Verlust, den er erlitten; neun Linienschiffe, drei Fregatten und mehr als zwanzig Galliotcn und Transportschisse der Schärenflotte, sechs« bis siebentausend Mann und Kriegsmaterial im Werth von einundvierzig und einer halben Tonne Goldes hatte er eingebüßt, aber unvergängliche Kriegsehrc erworben, als der entkommene Theil durch einen glänzenden Sieg seine Heldenthat noch krönte. — An Rußland siel Wiborg mit dem dazu gehörigen Län bereits im Nystadcr Frieden 1721. Von den Inseln des Meerbusens nennen wir hier noch die in der Mitte zwischen beiden Küsten liegende Hogland, ein fast nacktes Felseneiland, das sich durch mehrere Süßwasscraucllen auszeichnet. Es wurde berühmt durch die Seeschlacht, in der sich die schwedische Flotte unter Karl von Södcrmannland gegen die russische, unter Admiral Greigh, am 17. Juli 1788 in mehr als sechszehnstündiger unentschiedener und nur von der Dunkelheit beendeter Schlacht maß. 28. Kap.) bei Wiborq. 4ß7 Der von Wiborg nach Westen gelegene Theil der Festlandsküste bietet ungemein interessante geologische Züge dar; er gehört wie dieser ganze Theil Finnlands zur Granitformation, ist aber außerdem noch übersäet mit jenen schon erwähnten Findlingen oder zerstreuten Blöcken, in größeren und kleineren Stücken, so daß diese den anbaufähigen Boden, der sich auf der Oberfläche der Inseln und Halbinseln gesammelt HHt, bedeutend vermindern. Manche solcher Findlinge wiegen hundert bis vierhundert Tonnen. Sie sind meist mit üppigen Moosen und Flcch, ten von grüner, purpurner oder gelber Farbe bedeckt, und Farrcnkräuter wachsen zu bedeutender Höhe zwischen den Trümmern dieser Massen, auch wohl Wachholdersträuchern und Nadelholz Raum gebend, welche Wurzeln in die Spalten und Risse des Gesteins zwängen. Man unterscheidet hier deutlich zwei Arten der Findlinge, eine abgerundete und eine scharfkantige. Jenen sieht man es an, daß sie in früheren Perioden hin und her gerollt und gegen einander geworfen sind, so daß sie ihre ursprüngliche Gestalt verloren, besonders wo sie nicht auf weichem Grunde liegen und stark der atmosphärischen Einwirkung ausgesetzt wurden. Die letzteren sind scharfkantig und haben rauhere Oberflächen, so daß sie neueren unmittelbarer hicrhcrgcschleuderten Bruchstücken eines Granitgcbirgcs gleichen; ihre Größe und Form weicht sehr von einander ab, oft bilden sie Würfel, in anderen Fällen aber auch Pyramiden und Obelisken. Die Fortbewegung dieser ist der Kraft des Winters und dem brechenden Eise zuzuschreiben. Von Wiborg bis Hclsingfors liegen diese Findlinge im buntesten Durcheinander und ungeheuren Massen, auf der Küste ein schönes, wildes Schauspiel darbietend, und im Meere selbst Gefahren erzeugend. Einzelne dieser Blöcke sind in ihre eigenen Trümmer gebettet, eine Folge der Gramtfäule, der krankhaften Zersetzung, der dieses Gestein unterworfen ist, wenn es lange der Einwirkung der Atmosphäre ausgesetzt ist und in seiner ursprünglichen Zusammensetzung viel der Oxydirung unterworfene Mctalltheile enthält. Oft birgt aber eine verwitterte Oberstäche einen Kern des Gesteins von der festesten Textur, der mit dem gewachsenen Granit dieser Küste wetteifern kann. Letzterer wird im großartigen Maßstabe zu baulichen Zwecken aus den Felscnwänden des Eilands bei Pytterlack, in einer kleinen Bucht der Festlandsküste, gebrochen. Es hat das Gestein eine zwar grobkörnige Strmtur, ist aber schöner Politur fähig, und zeigt vine zarte roscnrothc Farbe mit grünlich schwarzen Flecken, so daß er nicht nur dort, wo man einer Masse bedarf, die großer Widerstandskraft fähig ist, wie zu den herrlichen Newaquais in Petersburg, sondern auch zur Alcxandcrsäule und den achtundvierzig Fuß hohen Monolithen, durch welche die beiden Hauplportale der Isaaks-kirche verschönert werden, verwendet ist. In zwei Brüchen wird das 30* H/:a Frederikshamn. I?. Vuch prächtige Material gewonnen, von denen der eine noch von den Wogen des Meeres umspült wird, der andere sich aber schon mehr als zwanzig Fuß über die Oberfläche desselben erhebt. Fast genau im Norden der Insel Hogland liegt auf einer landzungenartigen Halbinsel in dem Hintergrunde einer schmalen Bucht die befestigte Stadt Frederikshamn. Sie hat, trotzdem 184 ft eine schreckliche Fcuersbrunst, deren Spuren noch ersichtlich sind, sie in ih«r Vlüthe knickte, ein hübsches Ansehen, wozu ein kreisrunder Markt, auf dem acht Straßen zusammenstoßen, das Seinige beiträgt, besitzt vier Kirchen, ein Cadettenhaus und riesige Kasernen. Seine Einwoh» nerzahl erreicht 4000 Seelen. Frederikshamn datirt erst aus neuerer Zeit und wurde von dem Schwedenkönig Friedrich von Hessen 1722 als Festung angelegt und nach ihm benannt. Fast ganz von den Schweden selbst zerstört, fiel es 1742 in die Hände der Russen und wurde ihnen durch den Vertrag von Abo ganz überlassen, da dieser die Grenzlinie bis zum Kymmene vorschob. Die schnell wieder erbaute Stadt hatte schon im Juni 1788 eine Belagerung durch Gustav des Dritten Truppen auszuhalten, die durch das schimpfliche Benehmen der verschworenen schwedischen Officiere aufgehoben werden mußte. Aber im Jahre 1790 erfocht der König, der trotz der Winterstürme die Fahrt durch das Klip« peneis bis unter ihre Mauern gewagt hatte, am 15. Mai mit seiner Schärenflotte einen Sieg über die Russen unter dem Prinzen von Nassau, und zerstörte die noch im Hafen liegenden Fahrzeuge. Der am 5. September 1809 abgeschlossene Präliminarfriedensvcrtrag zwischen Schweden und Rußland wurde am 17. desselben Monats in einem alten, jetzt zerstörten massiven Thurme der Stadt unterzeichnet und dadurch das ganze schwedisch - finnische Gebiet mit dem russischen Theile wieder vereint und als Großfürstenthum dem Czaren unterworfen. Gegen fünf Meilen westwärts von Frederikshamn mündet der Kym-meneflnß, der eine Zeitlang die Grenze Rußlands gegen Schweden bezeichnete, und unweit seines Auslaufs einen durch einen Fels getheilten herrlichen Fall bildet, dessen Anblick im Winter entzückend ist, da sein Bett ober- und unterhalb durch Eisgcwölbe überbrückt wird, aus dem die Fluihen brausend hervorstürzen. Mehrere Inseln, die von seinen, ein Delta bildenden, Armen umschlossen werden, tragen Befestigungen zum Schutze des herrlichen Kriegshafens Ruotsinsalmi. Eine Citadelle, die den Namen Kymmene führt und kasemattirtc Kasernen für 14,000 Mann und große Magazine für Takclwcrk und Munition enthält, erhebt sich auf einem Eilande, so daß alle Zugänge zu dem tiefen und geräumigen Hafen, welcher der ganzen Galeeren, und Ruderftotle, sowie vierzig Linienschiffen Raum bietet, vollständig geschützt sind. Ein mit hundert Stücken Geschütz schweren,Calibers besetztes Fort «la (llaire" 28. Kap.) Lovisa. Borga. 489 correspondirt in der Vertheidigung mit der Citadelle, und ein anderes, das Fort „Elisabeth", beherrscht einigermaßen die weite Außenrhede. Die Stadt Ruotsinsalmi selbst liegt auf einer anderen, „Kotka" genannten Insel, hat aber außer durch die Marineetablissements keine Bedeutung. Die nächsten wenig tiefen und wenig weit in das Land greifenden Buchten, unter denen sich der Abborfors-Busen durch den großen Reichthum wildromantischer Schönheit auszeichnet, schützten einst die jetzt als nutzlos verfallenden schwedischen Forts Kymmcncgorod, Lakola und Utti. Dann, etwa wieder fünf Meilen von dem Stromdelta entfernt, schneidet ein ausnahmsweise ungezackter, schmaler Meeresarm, wie eine Föhrde des Westens über zwei Meilen weit direct nach Norden in das Land. An seiner innersten Böschung erhebt sich amphitheatralisch, am AbHange eines Hügels, die ehemalige schwedische GrenzstadtD e g erby, die dann der Königin Louise Ulrike zu Ehren ihren alten Namen in Lovisa änderte. Sie gewährt einen schönen Anblick, obschon die Gegend um sie herum wüst und unfruchtbar und mit so ungeheuren Find» lingen übersäet ist, daß der Fürst Galißin sie den Ruinen einer Riesenstadt vergleicht. Die Stadt hat über 3000 Einwohner, ausschließlich schwedischen Geblüts, wie auch in ihr nur schwedisch gesprochen wird; der Handel nimmt sehr ab, da der Hafen so seicht geworden ist, daß größere Schiffe ^sich nur auf eine halbe Meile dem Molo nähern können. NachdcmÄboer Frieden 1743 wurde auf der Insel Swartholm mitten in dem Hafen ein Fort zum Schutz der Einfahrt angelegt, aber bei dem ersten Angriff im Jahre 1808 erwies sich die Anlage schlecht, und nach kurzer Vertheidigung ging das Fort in russische Hände über, die, nach dem Wegfall der Nothwendigkeit eines Grenzschutzes, Swart» Holm so verfallen ließen, daß jetzt nur noch wenige Mauern mit Schießscharten vorhanden sind. Nach einem etwa sieben Meilen langen Küstenstrich, dem die von Fischern bewohnten Schären Hammö, Wätzkör, Strömö, Keiffalör. Pellinge vorliegen, folgt wieder ein tieferer Einschnitt, die Bucht von Borga, in der, wie bei Lovisa, zwischen Klippen und Felsen ein kleiner Strom mündet. Die Stadt im Hintergrunde der Bucht ist zwar eine der ältesten schwedisch-finnischen Städte, ein Bischofssitz und im Besitz einer Kathedrale, aber ein ärmliches und schmutziges Oertchen. Feindliche Angriffe und zufällige Verheerungen durch Feuer und Krankheit haben auch Borga häufig heimgesucht; im Jahre 1708 vertheidigte sich die Stadt durch das planlose Zaudern in der Kriegführung des schwedischen General Lybecker mannhaft gegen die Russen, mußte sich aber schließlich doch ergeben und wurde aus Rache geplündert und ein« geäschert. Am 15. März des Jahres 1809, während noch der schwedisch-russische Krieg im Westen nicht beendet war, eröffnete der Kaiser 470 Sweneksund. 17. Buch. Alexander in Person in Borga einen Landtag, auf dem er mit Vertretung der Ständ-c eine Verfassung vereinbarte, die der Provinz ihr Bekenntniß , altes Recht und Gesetz garanlirte und sie als besonderes Großfürstenthum mit seiner Monarchie vereinte, worauf er sich den Eid der Treue und Huldigung leisten ließ. Nur wenig westwärts von der Aorgabucht schneidet der Swensk-sund in das Land, wo unter der gleichnamigen Schärcnfcstung der Prinz von Nassau mit der russischen Küstcnftotillc die schwedische Schärens! otte unter Ehrenswärd angriff. Der sich entspinnende Kampf dauerte c!f Stunden. Die eine Division der russischen Flotte fiel der schwedischen von Kutsalö her in den Rücken, wurde aber zurückgeschlagen; doch dem Prinzen von Nassau gelang es, den Ranjansari-sund zu forciren, in oen Swenstsund einzudringen und die schwedische Flotte mit einem Verluste von fünf genommenen, einem in die Luft gesprengten und einem kampfuntüchtig gemachten Schiffe, sowie von 45 Officieren und 1300 Mann um neun Uhr Abends zum Rückzug nach Swartholm zu zwingen. Aber im folgenden Jahre wurde dieserSund, den Namen des „schwedischen" vorzugsweise tragend, zum Schauplatz einer der schönsten Sectkaten, die auf den baltischen Wo» gen je ausgefochten wurden. Mit dem durch seine maßlose Kühnheit aus der Wiborger Bucht geretteten Flottenüberrcste hatte sich König Gustav unter der Festung Swenflsund gesammelt. „Hier ist Schwedens Grenze; hier soll man mir einen Grabstein oder einen Siegesstein setzen!" lauteten die Worte, mit denen er die Befehle zur Erwartung eines Angriffs des ihm folgenden Prinzen von Nassau schloß. Am 9. Juli traf dieser vor Swcnsksund ein und fand die Schweden schon in Schlachtordnung aufgestellt; er versuchte die Passage von Musta nach der damals noch nicht durch die Forts von Kymmene geschützten Stadt Ruotsinsalmi und der Insel Kotka zu erzwingen; aber zwei seiner Angriffe wurden durch die von Gustav selbst commandirtc schwedische Flotte mit großem Verlust zurückgeschlagen, worauf die Nacht die Kämpfenden schied. Am Morgen des folgenden Tages begann das Gefecht abermals und endete mit dem vollständigen Sieqe der schwedischen Waffen. Der überlegene Feind verlor fast seine ganze Schären-fiotte, <)3 Schiffe theils durch Sinken, Verbrennen und Erobern; 700 Kanonen und 8000 Gefangene fielen in die Hände der Schweden, und 6000 etwa blieben dem Tode und Wunden verfallen. Nach dieser glänzenden Schlacht war der weitere Krieg für beide Flotten für dieses Jahr unmöglich, und der Sieg im Swenflsund führte außer der strahlenden Kriegsehre den Frieden von Wäräla, einem nahen Dorfe, herbei, der die alten Grenzen und Verträge bestätigte und Finnland noch einmal bei Schweden erhielt. 28. Kap.l Helnn.n'ors. ^47^ ^ Bei kleineren und drei größeren Schären vorüber gelangt man, fünf Meilen westlicher, zu dem von Petersburg vierzig Meilen entfernte« Helsingfors. der Hauptstadt des Großfürstenthums, Sitz des Gouverneurs, des Regierungsraths und der Universität. Die weit in das Land einschneidende Bucht bietet einen geschützten, breiten und tiefen Ankerplatz dar; die Bucht selbst nimmt die Richtung nach Nordwest an und wird durch eine sich ostwärts ausbreitende Landzunge von dreiviertel Meilen Länge und kaum eine achtel Meile Breite, auf der ein Theil der Stadt erbaut ist, in zwei kleinere Buchten zerlegt, deren westliche ein über dreiviertel Meilen breiter und beinahe eine Meile langer Festlandsvorsprung, Esin äs genannt, von einer anderen Bucht des offnen Meeres trennt. Die ganze Hauptbucht, wie das außen sie und die Halbinsel in ihrem Westen umschließende Meer, sind mit größeren und kleineren Felsinseln so durchsetzt, daß ein Labyrinth entsteht, durch das nur ein erfahrener Lootse die Schiffe zu führen im Stande ist, um so mehr, als das Fahrwasser nur an einer einzigen Stelle genügende Tiefe für Orlogsfahrzcugc besitzt. Auf diesen Schären ist nun die kaum weniger als Kronstadt starke Festung Sweaborg erbaut, durch die eine Einfahrt in die schönen Häfen zu erzwingen völlig unmöglich gemacht wurde. Die Stadt Helsingfors bietet einen interessanten Anblick dar, obgleich ihr Aussehen es ausspricht, daß sie das Werk der neuesten Zeit und die Schöpfung nicht des Bedürfnisses, sondern des gebieterischen Willens eines Einzigen ist. Im Jahre 1819 zur Hauptstadt Finnlands und dem Sitz der Regierung bestimmt, wurde ein bestimmter Plan für die Neuerbauung der Stadt entworfen, der keine Rücksicht auf Fels und Thäler, die gesprengt und gefüllt wurden, nahm, mit den größten Schwierigkeiten kahle, aller Vegetation entbehrende Ufer mit Gartenanlagen und lieblichem Grün bekleidete, und durch die Energie des Herrschers und der Nation, in wenig Decennien Wunder schuf. Auf der westlichen, die Helsingfors-Bucht begrenzenden Halbinsel liegt inmitten üppiger Parkanlagen und Gärten, das Seebad und die Nrunnenanftalt Ulrikasborg, und unmittelbar dahinter erhebt sich auf ansteigenden Felsen die Stadt, deren Haupttheil nach Norden gerichtet und überall vom Meer umgeben, ein Rechteck von fast einer halben Meile bildet und die erwähnte Landzunge nach Ost sendet, die den Hafen in Süder- und Norderhafen theilt; jenem nähert sich ein Einschnitt des Meeres von Nordwesten nach Südost gerichtet, so daß der Eingang zur eigentlichen Stadt selbst sich in wcnige'Straßcn concentrirt. Die Stadt wird auf ihrem höchsten Felsen im Norden von Ulrikasborg durch das thurmartige Observatorium der unter Argelanders Leitung errichteten gut dotirten Sternwarte überragt, während den fernen Horizont dunkelgrüne Nadelwaldungen und scharfkantige, vegetations- 472 HelsmgforS. l7- Vuch. lose Felsen umgeben, die lieblich mit dem lichten Grün und den heiteren Villen an der Küste und auf den Scharen contrastiren. Der Hafen ist allseits von großartigen Gebäuden umgeben, die theils Regierungs-Pa» lä'ste, theilsPrivathäuser des finnischen Adels und reicher Kaufleute oder Hotels sind. Die sehcnswürdigsten sind die Universität, das Senatsgebäude mit einem prächtigen Thronsaal, das Rathhaus, die Bibliothek, dieKlinik mit dem anatomischen Theater, das russische Hospital und die russische Kirche, und vor Allem die einem Palast ähnlichen Kasernen der Garnison. Im Mittelpunkt der Stadt erhebt sich auf einem hohen Felsen, weithin von der See sichtbar, die in dem Jahre 1830 begonnene und noch nicht lange vollendete kolossale Nikolaikirche, mit der griechischen Kuppel zwischen vier Eckthürmchen und den von korinthischen Säulen getragenen Seiten. Eine Hauptzierde der Stadt ist die Esplanade, eine breite, mit vier Reihen Ahornbäume bepflanzte Straße, die ausschließlich schöne Hauser trägt; das Baumaterial ist fast überall Stein, oft der röthliche Granit der Küste, und die Holzhäuser sind meist verschwunden. Eine weitgestreckte Sumpfgegend, die von Nordwestcn her in die Stadt reicht, Gloiit genannt, bietet jährlich neue Strecken zur Austrocknung und Anlage von Gärten und Baumpartien; die beiden Häfen verbindet ein die erwähnte Landzunge durchschneidender Canal, über den sich eine granitne Brücke wölbt. Auf der Landzunge selbst dehnt sich eine niedrige, ärmliche Vorstadt Skatudden, auf kahlem Fels aus, die zu der herrlichen Kaserne der sinnischen Seeequipage auf ihrem südlichsten Punkte führt. Der tiefe Norderhafen, den im Westen die sich nach Norden ziehende, ärmliche Vorstadt Rothenbergenund im Osten die sich gleichfalls nordwärts ausbreitende Skatudden vollkommen schützt, birgt die Orlogsschiffe. Er ist von prächtigen Granitquais eingefaßt, und auf ziemlich steilen Abhängen erhebt sich neben ihm terrassenförmig in drei Straßen übereinander derStadttheilKrono-hagen, dessen Bewohner fast alle in Beziehungen zur Marine stehen. In der Nähe des Hafens steht auf einem Markte ein Obelisk zum Andenken an einen 1833 stattgehabten Besuch der Kaiserin Alexandra. Außer der in Friedenszeiten sechstausend Mann starken Besatzung von Helsingfors bewohnen die Stadt etwa 13,500 Seelen. Das zahlreiche Bcamtenchum, der reiche Adel und die Garnison haben das russische Element eingeführt^ und zur Herrschaft gebracht, so daß selbst die nach dem Brande von Abo 1827 hierher verlegte Alexanderunivcrsität, deren Kanzler Alexander der Zweite, als Großfürst Thronfolger, war, als russische zu betrachten ist; doch hat sich, gegenüber den von jenem Theile auch dem Petersburger Leben äußerlich nachgebildeten Sitten, im Handelsstand und der Bürgerschaft schwedische Sitte, Sprache und Religion erhalten. Die ursprüngliche Gründung der Stadt wurzelte in 28. Kap.) Sweaborg. , 473 dem Geiste Gustav des Ersten Wasa, der Schweden von Lübecks Handelsvormundschaft befreit hatte und Finnland dadurch zur Blüthe bringen wollte. Er legte im Jahre ,1550, etwa eine Meile nordöstlich von der gegenwärtigen Stadt, eine Ortschaft an, der er den Namen der altschwedischen Provinz „Helsing", im Verband mit„Fors" (Wasserfall), wegen einer an dieser Stelle befindlichen Kaskade des Wanda-siusses, verlieh. Sie kam nicht zum Gedeihen, hat sich aber noch bis jetzt unter dem Namen „gammel Stad" als Colome aus jener Provinz Schwedens erhalten. Nachdem die neue Anlage dann auf einer, über anderthalb Meilen von Skatudden südöstlich entfernten Insel, Sand-hamn, zum zweiten Male mißglückte, fand sie im Jahre 1639 den noch heut von ihr eingenommenen Platz und bevölkerte sich aus Einwände« rern der andern finnischen Städte, die von der Absicht der Regierung, hier eine Nebenbuhlerin des blühenden Reval zu schassen, gelockt wurden. Durch das edle Streben des Statthalters Pehr Brahcs während der Minderjährigkeit Chriftinens zur Blüthe gehoben, brachten große Calamitäten, eine dreifache Hungersnoth in den Jahren 1695 bis 1697, Feucrsbrünste 1764 und 1809 die Stadt sehr herunter, bis die Er« Hebung zur Metropole sie 1819 wie ein Phönix aus der Asche erstehen ließ. In dem unglücklichen Kriege, den Friedrich von Hessen gegen die Russen in Finnland führte, verbrannten dieSchwedenHelsingfors selbst und übergaben es erst am 4. September 1742 durch eine ehrenvolle Capitulation, nachdem ihr Commandeur Löwenhaupt sich überall ein. geschlossen sah, worauf es, da inzwischen Sweaborg zu seiner Deckung erbaut war, von den Flotten 1788 nicht angegriffen weiden konnte. Schon von den hohen Punkten der StadtHelsingfors aus übersieht man die ernsten und düstern, grauen Mauern Sweaborgs, seine granitnen Wälle, hier und dort mit fahlgrünem Rasen zur Verhinderung der Ricochettirungen betleidet, und die rothen Dächer der mit Ankern und Verkettungen festgelegten, zur Vertheidigung und als Kasernen benutzten Orlogsschiffe zwischen den Schären, dazwischen einzelne Gartenanlagen, Baumgruppen und Kornfelder. Die ursprüngliche Anlage dieser mächtigen Seeveste datirt^wenig mehr als ein Jahrhundert zurück, und verdankt dem Frieden von Abo, der Schweden auch seiner Grenz, festungen. beraubte, seine Entstehung; Lovisa mit Swartholm wurden die Vorposten und Helfingfors mit dem natürlichen Hafen und der trefflichen Rhede das Kriegsdepot, der Sammelplatz und die Deckung des noch schwedisch gebliebenen Finnlands. Es war die Frucht einer Arbeit des halben Jahrhunderts und der Kosten von mehr als zehn Millionen, als es in die Hände der Russen überging. Graf Ehren« swärd und unter ihm der berühmte Wasserbaumeister Thunberg began, nen 1746 die vorbereitenden Arbeiten mit Lichtung der Wälder und 474 Sweal'orss. l?. Buch. dergleichen, 1748 wurde der Grund desWargöcastells gelegt, das 1758 vollendet war, aber nach dem siebenjährigen Kriege, dcr Ehren-swärds Erfahrungen bereichert hatte, noch durch neue Befestigungen der nächstgelegenen Schären verstärkt wurde. Gleichzeitig damit ging die Anlage von Magazinen, Arsenalen, zwei in den Fels von Wargö gesprengten Docks, die durch ein Vogengewölbc von einander getrennt, und durch ein Göpclwerk leicht auszuschöpfen smd, und mit denen ein von Dämmen geschütztes Galecrendock, an dessen Eingang eine Fallschleuse befindlich. durch eine von Thoren durchbrochene Mauer verbunden ist, und direct zu den Takelage-und Munitionsmagazinen führt. Die Wälle der, von den Russen noch bedeutend verbesserten Festung, die das „Gibraltar des Nordens" genannt wird, haben achtundvicrzig Fuß Höhe, sind theils von gewachsenem Fels, andererseits aber im Norden auf einen aus dem schlammigen Meeresboden aufgebauten Quai als senkrechtes Maucrwcrk gestellt. Die befestigten Inseln umfassen in einem Halbkreis die drei Viertelmeilen entfernte Stadt; die ihr zunächst liegende große östlichste ist Degerö, dann folgt eine andere nicht viel kleinere, südlich von ihr, San dhamns-Land, der frühere Standpunkt der Stadt, westlich dieser Back Holm, die andern dominirend und durch Rußland stark befestigt, alle drei mit Windmühlen, Kornfeldern, Gemüsegärten, Bäckerei, Getreidemagazin, Hospitälern, Werkstätten , Manufacture« und Anstalten ähnlicher Art versehen, um einer langwierigen Belagerung auch hinsichtlich der Verpflegung gewachsen zu sein. Nordöstlich dieser folgt eine kleinere Gruppe, wenig westlicher und sich nach Norden ausbreitend. In der Mitte derselben liegt die Haupnnsel Nargö (Wolfsinsel), vor ihrer Südspihc Gustav ssw ärd, im Osten Stora-ÖNerswartö, im Norden darüber Lilla - Öster-swartö und westlich neben dieser Wcster-Swartö. Zwischen dieser Gruppe und dcrFestlandspitzcUlrikasborg die isolirte Insel Langörn. Diese Wargögruppc bildet die heut in ihrer Gesammtheit einer mächtigen Stadt gleichende Festung Sweaborg. Der Kern der Werke ist die Ehrenswärdische Citadelle auf Wargö selbst, auf ihr befinden sich die Matroscnschule, Commandantur, Zeughaus, dieHauptwache und bom« benfeste Magazine, eine Schule und Kirche. Hier erhebt sich auch das schöne steinerne Denkmal Ehrenswärds mit der Inschrift: „Hier ruht Ehrenswärd, umgeben von seinen Werken und seiner Flotte." Auch Thunberg und den taufenden von Arbeitern, deren Schweiß diese Mauern befestigte, sind Dcnttafeln hier errichtet. Die Granitklippen der Insel find geebnet und theils mit fruchttragender Erde bedeckt, die Klüfte in Docks verwandelt und Brücken und Mauern zu den kleineren Inseln hinübergeführt. Gustavsswärd und Backholm bestreichen vollständig die zwischen ihnen liegende einzige schmale Einfahrt in den Hafen, der 28. Kar.^ , Sweaborg. 475 zwischen Stora-Österswartö und der durch Mauern und Brücken mit ihr verbundenen Wargö liegt, und siebenzig bis achtzig Linienschiffen Raum und Schutz gewährt. Lilla-Ostcrswartö und Wcstcrswartö vertheidiqen den Hafen nach Ost, Nord und West und bestreichcn ihn selbst. Langörn beherrscht die schon durch Klippen und Untiefen verhinderte Annäherung an die Landspitze Estnäs und correspondirt mit den Schanzen von Ulrikasborg. Alle diese Inseln genießen den unschätzbaren Vorzug eigener Brunnen, und Gustavsswärd besitzt einen größcrn, der das wohlschmeckende Wasser, das in vielen kleinen Quellen aus den Felsen sickert, sammelt und für eine Besatzung von 10,000 Mann genügend bietet, also auch die übrigen mit ihm durch Brücken verbundenen Inseln reichlich versehen kann. Die eigentlichen Festungswerke sind aus an Ort und Stelle gesprengten harten Granitmaffen erbaut; sie bilden doppelte und dreifache Batterien, die sich terrassenförmig über die Oberfläche des Golfs erheben, im Ganzen gegen 2000 Kanonen zählen sollen, und in jeder Batterie einm Ofen besitzen, in dem dreihundert Kugeln gleichzeitig glühend gemacht werden können. Die Besatzung Sweaborgs beträgt im Frieden 5 bis 6000 Mann, und die Kasematten allein bieten für 7000 Raum, während noch außerdem innerhalb der Werke Baracken für 12,000 Mann in Gärten aus hierher geschafftem Erdreich errichtet sind. Die nicht mit der Garnison wechselnden Bewohner belaufen sich auf 3000 Seelen, größtentheils Handwerker, Schiffbauer und Kaufleute. So fest und fast unüberwindlich wie Sweaborg erschien, ging es doch im Anfang Mai des Jahres 1808 durch Capitulation in die Hände der Russen über. Der Admiral Cronstedt, der es zu vertheidigen hatte, sah seit dem 6. März sich von den Russen belagert, die mit sechsundvierzig Geschützen auf den Schären und dem Mecreseise vostirt, die Festung beschossen. Da übergab Cronstedt, nack der Meinung Einiger aus feiger Unwissenheit in dem ihm nicht bekannten Festungskrieg, nach der Anderer aus niedriger Rachsucht gegen den König, und wieder Anderer aus eklem Geiz gegen gezahltes Gold, die Festung den vier Bataillonen und zweihundert Reitern russischer Truppen unter General Suchtclen, die sie im tiefen Schnee und Eis von der Landseite lernirtcn. Frcflich hatte dieser durch kluge Maßregeln, wie Wegfangen und Verfälschen der Korrespondenzen und Zeitungen, die Belagerten in den Glauben versetzt, Rußland habe aller Orten gesiegt und Swcaborg sei der einzige noch nicht unterworfene finnische Platz; aber ob dies die frühere, oft bewiesene Energie und den Muth des Admirals gebrochen, oder ob ein anderes Motiv das Räthsel der Capitulation lösen könnte, ist ungewiß. Cronstedt starb in tiefster Abgeschiedenheit vom Leben wenige Jahre darauf in Helsingfors arm und an gebrochenem Herzen. 476 Der Barö« Sund. . l^- Buch. Am 8. Mai 1808 wehte zuerst die russische Flagge über Ehrenswärds Grabe, und cin Te Deum nach griechischem Ritus ertönte in den schwedischen Mauern. Mit der Festung zugleich betrug die Beute der Russen 58 metallene, 1975 eiserne Geschütze, 2000 Centner Pulver und einen entsprechenden Vorrath an Kugeln und Waffen, 2 Fregatten, 6 Sche-becken, 1 Brigg, 6 Kricgsyachten, 25 Kanonenboote, 51 Kanonenjollen, 51 Barken und Schaluppen, 19 Transportschiffe und einen ungeheuren Vorrath an Marinegegenständen. 208 Officicrc und 7386 Unterofsiciere und Soldaten wurden gefangen genommen. Die russische Streitmacht erreichte nicht 9000 Mann, so daß sie kaum genügend zur Besatzung der Werke und Bewachung der Gefangenen war; sie hatten im Ganzen 1565 Schüsse gethan, die st gut als gar keinen Schaden verursacht hatten, sondern unschädlich von dem Fels abgeprallt waren, und nur eigenes Mißgeschick hatte eine fürchterliche Explosion auf Wargö herbeigeführt. Mit Sweaborg war Finnland an Rußland gefallen. Im Juni und Juli 1854 beschränkten sich die vereinigten engli» schen und französischen Ostseeflotten auf eine Recognoscirung Swea-borgs, und 1855 ermannten sie sich zu dem Bombardement, welches im Verhältniß zu den aufgewendeten Mitteln und Kräften geringen Erfolg hatte, aber immerhin den Russen großen Schaden zufügte. Die vier Meilen weiter nach Westen sich auf etwa drei Meilen südlich wendende Küste bildet eine weite Bucht mit herrlichem Ankergrunde, den Barö-Sund; verwickelte Canäle führen in dieselbe, und flache, niedrige Felseneilande, von denen manche kaum die Meeres-fiäche überragen, und sich nur durch Schaum und Gischt verrathen, umgeben sie nach allen Seiten. Hier war das erste Rendezvous der vereinigten Napier-Deschenes'schen Flotten zu dem glänzenden Feldzug gegen die Küstenfahrer, die das arme Finnland mit Salz versorgen wollten. Unter den zahlreichen Scharen zeichnen sich Stora Räntan auf der Westseite der Landzunge Estnäs, Wormö, Porsö, Elgsjö, Oerö, Hermannsö, Odcnsö, Surdö, und im Busen von Bromarf, die mit sieben Fischerdörfern bebaute Kojerö, und endlich Ronstjär im Bars. Sund mit einem Leuchtthurm aus, von dessen Balkon man die Fahrt bis nach Sweaborg überschauen kann. Von nun an wkd die Küsten, lime eine der interessantesten und eigenthümlichsten des baltischen Meeres; Insel und Inselchen werden zahllos und treten auf allen Seiten in Sicht, bald schmale Canäle zwischen grauem Geklipp, bald stille, umschlossene und spiegelglatte Buchten bildend, die von grünen Usern umschlossen, klaren Landsecn gleichen; bald tost an schroffen mit Tannen gekrönten Felsenwänden eine schäumende Brandung, bald zieht sich ein tiefer enger Einschnitt föhrdenartig, aber trügerisch still über felsigen 28. Kap.z Hangö. 477 Boden weit in das Land hinein. Oestlich der hervorschießenden Landzunge von Hangöudd zieht sich eine lange, gekrümmte Föhrde in das Land, die auf einer kürzeren Landzunge an der Ostseitc das Städtchen Ekenäs trägt, das sich von Handel und Fabrikation ernährt, aber in dem Eingang seines Hafens nur 7 bis 8 Fuß Tiefe hat. Hier verrich» teten die englischen Orlogsfahrzcuge „Arrogant" und „Hecla" in Verfolgung der Barke Augusta ihre von eigner Seite hochgerühmte Heldenthat. Mit geringem Verlust, den ihnen ein Infanteriebataillon aus den beide Ufer bestehenden Wäldern zufügte, zogen sich die Sieger nach gräßlicher Zerstörung der Wälder, Felsen und des Ackerlandes durch unglaubliche Verschwendung von Bomben und Kanonenschüssen mit ihrer Prise zurück. Auf der Landzunge, die den Eingang in den finnischen Meerbusen bezeichnet und ihn gegen die Ostsee abgrenzt, liegt das Städtchen Hangö, an und für sich unbedeutend, aber ein wichtiger Ort für kriegerische Operationen. Das Fahrwasser dorthin führt zwischen den auf Felsen erbauten Forts Gustavs - Warn und Gustav Adolphs Veste hindurch, und auf der Landspitze selbst erhebt sich die kleine Militair-station Drottningsberg. Im Jahre 1809 fand hier ein Zusammenstoß russischer und englischer Streitkräfte statt. Es lag eine starke russische Flotille längs dieser Küste und hatte eine Hauptstation bei Portkalla Näs, ungefähr halbwegs zwischen Hangö-Udd und Sweaborg. Als die Engländer unter Führung des Lieutenant Hawker sich zum Angriff ordneten, nahmen die Russen eine Stellung ein, deren Flanken durch Felsinscln gedeckt waren, und die ein zerstörendes Feuer gegen die Angreifenden zu richten gestattete. Das Gefecht wurde lebhaft und auf beiden Seiten mit großer Kaltblütigkeit und wahrem Muthe ausgefochten, da aber die Russen gleich beim Beginn der Affaire ihren Führer verloren, endete dieselbe zu ihrem Nachtheile, und von ihren acht im Gefecht gewesenen Booten mit 32 - und 24pfündigcn Geschützen war eines gesunken, eines entkommen und sechs, sowie zwölf mit Pulver und Provision für die Russen beladcne Fahrzeuge unter Convoi wurden gefangen genommen. 478 Kimito. Abo. I". Buch. Neunundzwanzigstes Kapitel. Das Alandsmeer. Zoo. — Die Aura. — Die Älandsgrnppe. — Aland. — Bomaisund. — Geschichtliches. Jenseits Hangöudd umspült dieOstsee selbst wieder die steile Küste Finnlands, es nimmt dieselbe eine nordwestliche Richtung auf etwa zwanzig Meilen Entfernung an, bildet aber eine unglaubliche Menge zerklüfteter geringerer Buchten und einige größere Föhrden, und ist von zahllosen Inseln und seiner Klippenwelt erfüllt, die zum Theil bewohnt, zum Theil nur nackter Felsen ist, welcher sich hoch erhebt und auf der Küste zu verhältnißmäßig nicht unbedeutenden Bergen aufsteigt. Unter den Inseln zeichnet sich das Eiland Kimito durch seine Größe und Bedcutendhcit aus. Es liegt drei Meilen von Hangöudd nach Nordwcsten, jedoch von ihm durch größere und kleinere Schären und Landzungen, sowie die nicht unbedeutende Insel Finnby getrennt, und hat die Form eines fast gleichschenkligen Dreiecks, dessen Spitze nach Nordost in einer ihrer Gestalt entsprechenden tiefen Föhrde des Festlandes endet. Die Umrisse Kimito's sind ebenso zerklüftet, wie die des Festlandes, bilden Buchten und Landzungen; ihre größte Länge von Südwest nach Nordost beträgt sechs und die größte Breite von Süd nach Nord drei Meilen; die Insel enthält zwei größere Dörfer, ein eignes Kirchspiel mit einem Marktflecken, und ist wichtig durch einen ansehnlichen Kalksteinbruch, dessen Gestein an Schönheit dem Marmor gleicht, ein Eisenwerk und beträchtlichenStrömlings- und Lachsfang. Achtzehn Meilen in gerader Linie von Ekenäs und zwciundzwanzig auf geradem Landwege von Hclsingfors, sechszig von Petersburg entfernt, liegt Abo, die ehemalige Hauptstadt des Großfürstcnthums, eine gesunkene Größe, an den beiden Ufern des sein schmutziggelbes Wasser träge durch eine sandige Niederung wälzenden Aurajoki (Ioki, kleines Flüßchcn), etwa drei Viertclmeilcn vor seiner Ausmündung in das Meer. Die Siadt, die westlichste des ganzen Finnlands, besitzt keinen eigentlichen Hafcn, und die Tiefe der Aura selbst nimmt so schnell ab, daß nur kleine Passagierdampfer und Küstenfahrer bis vor die hölzerne Mole der Stadt gelangen können, größere aber auf der äußeren Nhede bei dem Vackholm und dem Dorfe Borholm vor Anker gehen müssen, wohin jedoch- auch der Eingang schon durch Klippen mühsam und be> schwerlich wird. An der Mündung dcs Stromes liegt auf dem linken Ufer das alte, durch Versetzung der Universität verwaiste Observatorium und ihm gegenüber auf dem rechten Ufer das feste Schloß Abo- 29. Kap.I Abo. 479 hus, auf einem malerischen von drei Seiten mit Wasser umgebenen Felsen. Dasselbe hat einen kleinen Hafen, ein Arsenal und eine Schloßkirche und dient, da die jetzige Art der Kriegführung es unwichtig macht, um so mehr, als die nahe Felseninsel Hirvinsala es dominirt, nur zur Aufbewahrung von Strafgefangenen und als Kaserne des halben Bataillons Infanterie, dem die Bewachung derselben obliegt. Hier im Schlosse mußte Johann von Finnland sich dem Heere Erichs des Vierzehnten ergeben, dessen Hoheit er nicht hatte anerkennen wollen, und erhielt von jenem die Freiheit wieder, um dem Bruder die scinige mit der Krone gleichzeitig zu rauben, und hier mußte auch Erich selchst seine Tage vertrauern, bis ihn sein grausamer Bruder nach Kastellholm auf Aland versetzen ließ. VonBackholm und Hirsinwala, den Inseln auf derRhede, führt ein Canal zur Vermeidung des klippenreichen Untcrstroms in die Stadt und Aura. Es ist diese die älteste und neueste des Landes, und datirt aus der Einführung des Christenthums in Finnland, wo sie aus sich selbst entstand und sich um das 1160 vollendete Schloß, wie um einen schützenden Punkt erbaute. Äbo's Nähe von Schweden, die Inselverbindung mit dessen Küsten, die mit Hilfe kleiner Fahrzeuge fast wie auf einer festländischen Brücke herzustellen ist, ließen die Stadt allmälig aufblühen, und schon am Anfang des dreizehnten Jahrhunderts war sie durch schwedische Capitalien und Privilegien eine reiche Handelsstadt geworden. Erich der Heilige hatte das Kreuz auf der Schwcrtesspitze hierhergctragen und^Abohus gegründet; die entstandene Stadt hieß der Markt, lolF, von Abohus und erhielt daraus den finnischen Namen „I'uiku". Die ganze umliegende Gegend wurde zu einer sich auf Abo stützenden Colonic, wovon der Provinzname Ny-Land (neues Land), und die Wiege des finnischen Christenthums und Zeuge der blutigsten Glaubenskämpfe. Unfern der jetzigen Stadt bei Rädämaki wurde die erste christliche Kirche und im dreizehnten Jahrhundert der Dom zu Abo erbaut. Von der Zeit ihres ersten Aufblühens an suchten alle möglichen Unglücksfälle die Stadt heim; Feuersbrünstc verheerten sie fünfmal, die bedeutendsten durch Blitze entzündet 1458 und 1473; dann wieder 1545, 49 und 1552, welchem 1509 eine Zerstörung und Plünderung durch die Dänen vorausgegangen war. Auch Hungersnot!) und Pesten verschonten dieselbe nicht. Noch mehr als dies Alles, trug aber der innere Kampf zwischen der schwedischen Macht und dcm Dänenthum unter Christian dem Zweiten und die durch sein Interesse und staats-klugc Berechnung gebotene Einführung des Lutherthums durch Gustav I. Wasa, welches Abo die Macht seiner römischen Bischöfe raubte, deren letzter der edle Arwid Kurck, 1521, während der Belagerung durch die Dänen unter Junker Wolf, im südlichen Quarken ertrank, zur Vernich- 480 Hbo. I?. Vuch. tung der Bedeutung Abo's bei. Die Klöster verschwanden, aber der Bischofssitz blieb und wurde in einen lutherischen verwandelt; durch Gustav II. Adolph wurde 1626 die Universität begründet, aber erst durch die Vormünder Lhristinens, Oxenstjerna und de la Gardie, 1640 wirklich ins Leben gerufen und russischer Seits 1812 bestätigt, um schließlich nach Helsingfors versetzt zu werden. Von der verheerenden Feuersbrunst vom 4. September 1827, welche fast die ganze Stadt in Asche legte, datirt die neue Stadt, die nach regelmäßigem Plan des Kai« sers angelegt, mit breiten gut gepflasterten Straßen und Märkten ver, sehen, einen Raum einnimmt, der dem Dresdens gleichkommt, obschon die Seelenzahl nur eben 14.0W erreichen mag. Von alten Gebäuden existiren nur noch wenige, wie das Senatshaus und die Universität. Der alte Dom ist in seinen äußern Mauern von den Flammen verschont geblieben und durch patriotische Bürger von Neuem wieder hergestellt. Er ist ein ansehnliches Bauwerk, jedoch von schwerfälligem Aeußcrn, und birgt in seinen Mauern die aus den Trümmern wieder aufgerichteten Grabmäler einer Reihe der großen Männer Finnlands und Schwedens. Eine schöne griechische Kirche erhebt sich jetzt in der Nähe des Doms, obschon die Stadt noch durchaus eine protestantische zu nennen ist und wenig Bckenncr des orthodoxen Glaubens zählt. Auch das linke Flußufer zog der neue Plan mit zur Stadt und verband es mit dem rechten durch zwei Brücken über die Aura. In ihm liegen bedeutende Werften, wo die Handelsgesellschaft nach Amerika die Sitkafahrer bauen läßt und von^denen selbst Orlogsschiffc ihren Ablauf nahmen. In Abo wurde der durch die fehlerhafte Kriegführung der schwedischen Generale Löwcnhanpt und Buddenbrock, die beide dafür auf dem Blutgerüst endeten, unglücksvolle Krieg mit Rußland durch den Tractat vom 4. Juli 1743 beschlossen, die russische Grenze bis zum Kymmcne vorgeschoben, das übrige Finnland, das schon durch Lascy's Sieg bei Willmanstrand am 5. September 1741, in Rußlands Händen war, zurückgegeben und schwedischer Seits Adolph Friedrich von Holstein Gottorp die Krone gesichert. Hier fand auch am 27. August 1812 die denkwürdige Zusammenkunft zwischen dem Kaiser Alexander und Karl XIV. Johann statt, die Schwedens Eintritt in den europäischen Bund gegen Napoleon zu Wege brachte und ein zweideutiges Licht auf die Motive zu dieser Politikwirft, die dem Lande die Hoffnung auf den Wicdcrgcwinn seiner alten Provinz raubte, der durch die geschickte Russificirung, wozu die Entsetzung Abo's von ihrer Würde als Haupt, und Ccntralstadt der Behörden, als zu nah an Schweden und zu reich an dorthin führenden Erinnerungen, das Seinige beitrug, wohl fast unmöglich gemacht ist. Westwärts von Abo setzt durch die ganze Breite der Ostsee, gewisser« 29. Kap.) Die Alandsgruppe. 481 maßen als Verbindungsglied zwischen ihrer Ost« und Westküste eine Inselgruppe, die einen Raum von einem Breiten- und zwei und einem Drittel Längengraden einnimmt, den bottnischen Busen von dem übrigen baltischen Wasser abschneidet und nur eine Verbindung durch verhält-nißmä'hig enge Seepässe mit ihm gestattet. ^ Es ist diese Gruppe AlandsSkärgarden oder auch schlechthin Aland genannt; und die breiteste Verbindung der südlichen Ostsee mit dem nördlichen bottnischcn Busen heißt das Alandshaff, sie trennt die westlich liegende schwedische Provinz Upland und ihre vorliegenden Schären von der Alandsgruppe und hat eine Breite von fünf geographischen Meilen, woher es auch eines besonders strengen Winters bedarf, um sie durch eine Eisbrücke vom Festland zum Inscllande zu verbauen, was jedoch zuweilen vorkommt. Auf der entgegengesetzten östlichen Seite trennt eine schmalere Wasserstraße von einer zwischen vier und kaum drei Viertelmeilen wechselnden Breite Finnland und die Inseln; sie führt den Namen Wattuskiftet oder schlechtweg Stiftet. Zwischen dem Insellabyrinthe selbst ziehen sich zwei andere engc Scepässc, Delet undLappwähr, hindurch, die in jedem Winter, wie auch die engen Theile von Stiftet, regelmäßig zufrieren. Der ganze Archipelagus bedeckt einen Flächenraum von zweiundzwanzig und einer halben Quadratmeile, und in ihm vertheilen sich etwa achtzig bewohnte und mehr als zweihundert unbewohnte Inseln, Klippen und Felsen, in welche die See überall Baien und Buchten bildet, so daß eine Fülle von Vorgebirgen, Spitzen, Landzungen, hoch oder wenig über den Wasserspiegel herausragcnd oder unter dem Meere sich versteckend, dadurch erzeugt werden, denen dann wieder andere kleinere, Blöcken gleichende Klippen anhangen, die, wollte man auch sie als isolirte Eilande zählen, die Zahl auf mindestens dreitausend bringen würden. Die ursprüngliche Entstehung der Inseln datirt aus gleicher Periode mit Finnlands Bildung, wie dort finden sich hier auf den größeren Inseln überall Felsenzüge mit theilweisc nadclförmigen Gipfeln und mit Höhlen angefüllt; das Grundgcstein ist rother Granit, mit vorherrschendem Feldspach, aber auch Glimmer und Quarz, Schichten von Muschclcrde, oft tausend Fuß über dem Meere, Kalkstein und Bcrgkrystall und selbst Bleierze. Thon, Kiesel-und Pftanzcnerdc bedecken diese Grundlage, und an den Küsten finden sich große Massen Feldspathkics. Das Klima der Inseln ist milder alö das der benachbarten Festländer, aber plötzlichem Wechsel unterworfen; das Frühjahr kommt spät und ist turz, der Sommer heiß, trocken und schön, der Hcrbst feucht und mild, währt oft bis zum December und zeichnet sich durch furchtbare Octt'bcrstürme aus, die viele Schiffbrüche verursachen. Die Naturphysiognomie Alands ist durchaus nordisch; Nadelholz und Birke herrschen in den Wäldern vor; Eiche, Linde, Esche, Ahorn und Ha- Die Ostsee. 31 482 Die Alandsgrnppe. l?. ^uch. selnuß kommen nur einzeln an geschützten Orten vor; Weizen gedeiht fast nirgend, Roggen und Gerste sindet sich zur Genüge; das Gras ist kurz und mager und nur an den Küsten, wo die feuchte Ausdünstung des Meeres die Vegetation begünstigt, üppiger. Rindvieh gieb» es in Menge, aber die Race ist klein und die Kuh ungchörnt; wo sich die Berge häufen, werden viel Ziegen gezogen, in den flacheren Gegenden schlcchtwollige, schwarze Schafe. In den Wäldern haust der Wolf und zieht in strengen Wintern in Schaaren von Schäre zu Schäre; das sonst häusige Elenn hat wilde Iagdlust ausgerottet; das Meer liefert eine große Menge von Fischen, ebenso dieLandsecn undFlüßchen, doch fehlt der Lachs und der Aal, aber der Strömling an den Küsten bleibt die Hauptnahrungsquelle, auch die Seehunde nähern sich den Küsten in zahlreichen Heerdcn; und ebenso ist der Fang der unzähligen Wasservögel auf den Klippen einträglich. Jagd, Fischfang und Viehzucht sind die Hauptnahrungszweige der Insulaner, doch schreitet der Ackerbau auf Kosten der Wälder stets vor, und namentlich macht sich die Kartoffel immer heimischer. In seiner Ausfuhr durch Zollschranken von Schweden abgestoßen und auf Finnland verwiesen, beschränkt sich der Erwerb auf die eignen Landesproducte und den Transport der Waaren zwischen Schweden und Rußland im Dienste der sinnischen Kaufleute, doch beginnen die Aländer durch die vorzugsweise brauchbare Fichte ihrer Wälder und die eigene Gcschicklichkeit, die sie zur Ausübung aller Handwerke ihres Bedarfes führte, auf den Inseln selbst Schiffsbau zu treiben, wie sie auch als geschickte Lootsen, die schon als Knaben das Steuer führen und Richtung und Merkmale zwischen den Klippen und Riffen festzuhalten lernen, in kleinen Fahrzeugen das Meer befahren. Wenn es auch keinen Reichthum auf den Alandsinseln giebt, ist doch Noth und Elend nicht bekannt. Jeder hat sein eigenes freies Besitz-thum, und nur drei Staatsdomainen, Kastelholm, Grelsby und Hapa, sind vorhanden und in Erbpacht gegeben. Die Wohnungen, die in innerer Einrichtung ganz den schwedischen gleichen, sind einzeln zerstreut und in Kirchspiele vertheilt; zusammengebaute Dörfer giebt es wenige, und Städte gar nicht, da auch Kastclholm kaum einem Flecken gleicht und nur in Eckerö, Skarpans und Degcrby mehrere steinerne Zoll-und Postgebäude beisammenliegen; aller Handel und alle Geschäfte zur See werden von denjenigen Häfen und Buchten aus unternommen, die den Wohnungen der betreffenden Landleute zunächst liegen. Die etwa 16,000 Bewohner sind schwedischer Abstammung, viele Worte und Namen deuten aber auf finnische Mischung und eine wahrscheinlich lappische Urbevölkerung. Religion, Sitte und Sprache weisen noch entschiedener auf Schweden zurück, ja letztere hat sich fast ganz rein erhalten, und wird nur auf einzelnen Inseln zu einem Dialekt 29. Kap.) Die Insel Aland. 48I verdorben, und je näher dem östlichen Festlande, je mehr mit finnischen Worten verwebt; wie auf Wartsala bereits ganz finnisch gesprochen wird. Auch äußerlich verrathen blaue Augen und helles Haar, und innerlich frischer, lebensfroher, leichter Sinn, oft bis zur Ausgelassenheit gehende Lustigkeit, leichte Reizbarkeit, Stolz neben Dienstwillig-keit, reger Erwerbssinn entschieden schwedische Charaktcrverwandtschaft. Ein Mißtrauen und Zurückhaltung gegen Fremde ist die Folge der Geschichte der alandischen Inseln, an deren Vedculnng die Bewohner mit einer Zähigkeit hängen, die nur von der frommen Treue übertroffen wird, die sie in einem religiösen Sinne dem alten strengen Lutherthum beweisen, ohne zum Pietismus Finnlands und zum Sectenwesen Schwedens zu neigen Obschon zu den schwedischen alten Sitten, in Hinsicht auf Einrichtung der fast durchweg rothgeftrichencn hölzernen Häuser, der Mahlzeiten und Art der Nahrungszubereitung, mancher finnische Brauch, wie das unentbehrlich gewordene Dampfbad, kam, wollen die Älander weder Finnen noch Schweden, ^ sondern „Äländer" heißen, wie sie ihre Hauptinsel auch das „Festland Aland" nennen. Diese größte Insel Aland, die der ganzen Gruppe ihren Namen lieh und von etwa 10,000 Einwohnern belebt ist, hat eine im Ganzen beinahe runde Gestalt von zwanzig bis einundzwanzig Meilen Umfang, sieben bis acht Länge und sechs bis sieben Breite, ist aber vielfach zerschnitten und durch Einbuchten, die sich fast berühren, zerrissen; ihr Flächeninhalt faßt sieben Quadratmeilen. Sie ist ziemlich wald - und fruchtreich und gewahrt, wie alle diese Inseln, namentlich nach Westen einen hübschen Anblick durch grüne Wiesen, Fischerhü'tten zwischen Feldern und Gärten, grcllroth angestrichene kleine schmalcWindmühlen und das lebhafte kleine Vieh, das die Küsten belebt, während die kahlen Klippen umher, die überall eine weitere Aussicht hemmen und jedetSpur eines menschlichen Daseins entbehren, einen merkwürdigen Kontrast erzeugen ; die Insel enthält fünf Kirchspiele, die dem Visthum Abo un< terworfen sind. Im östlichen Theile dieser Hauptinscl liegt Sund und Kaftclholm mit einem Krongut und Postcomptoir, da die schwedisch-russische Post sich durch das Inscllabyrinth winden muß; dann folgt im Nordostcn Saltwik; im Westen liegen Finström mit der Kapelle, Geta und Hammerland; im Süden aber Iornala, wo Itternäs einen sichern Hafen mit trefflichem Ankerplatz bietet, der die ganze russische Flotte aufnehmen kann und neben der politischen Bedeutung, welche die Älandsgruppe als Hauptwaffe gegen Schweden und Vorposten Finnlands hat, zur Anlage des für 60,000 Mann mit kasemattirten Räumen versehenen festen Bomarsundes fühlte, das vor etwa zwanzig Jahren durch Kaiser Nikolaus auf einer Landzunge der Nordostküste nahe bei dem Flecken Skarpans begründet ist. Bomar ist der Name eines 484 Vomamuid. - l'> Vnch. in dem genannten Sund an einer von mäßig hohen und bewaldeten Küsten umschlossenen halbrunden Bucht gelegenen Dorfes. Der Ort wurde zum Hauptquartier dieses Außenpostens der militairischen Macht des Czarenthums bestimmt, und ist durch die Befestigungen, welche vor ihrer Vollendung den Angriffen der Uebermacht erlagen, so schnell berühmt geworden, da der angestrebte Zweck durch Einnahme ^und Sprengung des Werks und den ewigen Frieden mit seinen auch Aland betreffenden Bedingungen wenigstens aufgeschoben ist. Die Werke bestanden aus einer Hauptfestung mit der Front nach der See zu, einem riesigen tonnenartigen Bau von Granit und Eisen, der nach der Landseite noch unvollendet und nicht bewaffnet war: zwei dctachirte runde Thürme, die Forts Tzee und Nottich, nahmen zu seiner Unterstützung die hervorragenden Punkte der Flanken ein. Sie waren zusammen mit 120 Kanonen verschiedenen Kalibers armirt, und enthielten eine Garnison von 2300 Mann. Zehntausend Arbeiter sollen in dem kurzen Theile des Jahres, der in diesem strengen Klima zu sicherem Bau bemißt werden kann, mit Errichtung der Befestigungen beschäftigt gewesen sein; der Plan des ganzen Werkes wird dem Kaiser Nikolaus, der bekanntlich selbst ein ausgezeichneter Ingenieur war, zugeschrieben. Unzweifelhaft lag es in dem Gedanken ihres Begründers, die vorgefundenen Fortifica-tionen zu dem Keim und Mittelpunkt eines ausgedehnten Systems zu machen, das in seiner Vollendung der in dem Labyrinth dieses Archipels aufgenommenen Flotte zu einer unangreifbaren Position verholfen hätte, aus der es ihr leicht geworden wäre, das skandinavische Festland mit seiner an derKüste gelegenen Hauptstadt anzugreifen und vielleicht auch dem ganzen Norden Europa's Gesetze vorzuschreiben. Es sollten nach diesem Plane eine Hauptfcstung und elf dctachirte Forts die zugängliches Straßen decken nnd respective sperren tonnen, und vollendet würde Bomarsund Kronstadt, Sweaborg und Scbastopol an die Seite zu setzen gewesen sein. Von Wind und Netter begünstigt, drangen die Schiffe der vereinigten Westmächte mit allerdings külmem Wagniß, wenn nicht geführt durch Verrath der über die russischen Zwingburgen entrüsteten Insulaner, am Abend und in der mondhellen Nacht des 7. August 1857 in die bisher nur von Handelsschoonern und Briggs besuckte.n Insclcanälc. Nach drei und einer balben Stunde hatten 10,000 Mann die Insel betreten und lagerten bei dem Dorfe Starpans, in dem der General Äaraguay d'Hillicrs sein Hauptquartier aufschlug. Nach viertägigen Vorbereitungen, wie Anfüllung von Sandsäcken, Schanzkorb- und Faschinenftechten, wurden die Angriffe von den inzwischen errichteten und bewaffneten Batterien eröffnet, und drei Tage hielt die 2300 Mann starke Garnison den fürchterlichsten Kugelregen aus, und strich erst die Flagge, als der Granit zn Splittern zermalmt 29. Kav.1 Geschichte der Älandsqrupre. 485 und seine, den schweren Geschützen der Feinde gegenüber, leichten Kanonen zum Schweigen gebracht waren. Am Morgen des 13. begannen die Franzosen den Angriff auf das Fort Tzee mit vier metallenen 15-pfündern, vier Mörsern, 600 Mann Infanterie und 100 Chasseurs. Zwölf Stunden erwiederten die russischen Geschütze das Feuer und ergaben sich erst am folgenden Tage. Am 15. griffen die Engländer mit 100 Matrosen, 60 Marine-Artilleristen, drei 32pfündern und vier 12pfündigen Haubitzen und 200 Marinesoldaten das Fort Not-tich an, und nach acht und einer halben Stunde war dasselbe durch eine Bresche gezwungen sich zu ergeben. Zwei englische und französische Stücke unterhielten fortwährend ein schweres Feuer gegen die Flanke der Hauptfcstung, welches zu unterstützen schon eine neue Batterie bereit war, während ihre Front von den Breitseiten der Flotte unausgesetzt beschossen wurde, als am Morgen des 16. der Commandant General Bodisko das Feuer auf allen Seiten schweigen und die weiße Fahne zum Zeichen der Unterwerfung wehen ließ. Die Geschichte der Alandsinseln, die als Tradition in dem Munde der Bevölkerung lebt, geht ins graue Alterthum hinauf und spricht von eigenen Königen des Inselreichs. Im vierzehnten Jahrhundert erwähnen die Urkunden desselben als Grafschaft, die zu verschiedenen Zeiten theils als Lehen, theils als Leibgedinge im Besitz schwedischer Prinzen und Königinnen war, die dann in Kastelholm residirten, von wo aus noch in späteren Zeiten jährlich im Herbste munterer Iagdruf der schwedischen Großen erscholl, bis das Elenn und der Bär von hier vertrieben wurden. Das Schloß soll von Birger Iarl gegründet sein und war eins der Gefängnisse des unglücklichen Erich des Vierzehnten und Residenz der Gouverneure bis 1634. Gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts war Eric Iohnsson Wasa, der Vater Gustav des Ersten, mit Aland belehnt, und dieser große König selbst verlebte seine Jugendzeit unter den Insulanern, die wohl mit veredelnd auf des Kindes Charakter gewirkt hatten, durch dessen Entschiedenheit schon 5er neunjährige Knabe dem Dänenkönige so große Besorgnisse einflößte, daß er ihn unter seinen eignen Augen am Kopenhagener Hofe verweichlichen zu lassen trachtete. Dies fah Stcn Sture der Alte voraus und ließ den Knaben mit seinem Vater heimlich nach den Inseln hinüber-schasscn, was den König Johann bei dem bekannten Charakter der Insulaner zu der Aeußerung brachte: „Mir ist das Wölfchen aus dem Netze gegangen." — Im Jahre 1714 bewies Peter der Große in den Aland benachbarten Gewässern dem erstaunten Europa durch einen Seesieg über die Schweden, daß er sick thatsächlich eine Flotte geschafft. Mit dreißig Fahrzeugen, die er selbst mit Apraxin als Viceadmiral befehligte, griff er die in dcr Minderzahl befindliche schwedische Flotte 486 lyeschicbte dcr Alandsgruppe. l'- Buch. an, schlug sie, führte die Fahrzeuge nach Kronstadt, zog im Triumph, mit dem schwedischen Admiral Ehrenstiöld in seinem Gefolge, in Petersburg ein; kehrte bald darauf zurück, bemächtigte sich dcr Inseln, plünderte und verheerte sie, die Bewohner, die nicht geflüchtet waren, als Gefangene mit sich nehmend. Bis zum Jahre 1722 blieben die Inseln völlig öde und dienten nur der russischen Flotte, wie in früheren Jahr« Hunderten kühnen normannischen Piraten, zum momentanen Zufluchtsort und Sammelplatz zur Bedrohung der nahen schwedischen Küste. Als Czar Peter und Karl XII. sich näherten, versammelten sich auf der Insel Wardö Bruce und Ostermann russischer und Gyllenborg und Baron Görtz schwedischer Seits zu Friedensunterhandlungen, die durch den meuchlerischen Schuß vor Fricdrichshall beendet wurden, worauf der Krieg von Neuem entbrannte. Der Nystädter Frieden gab Aland 1721 wieder an Schweden zurück, aber erst 1727 kam die schwedische Bevölkerung abermals dorthin, und noch heut bildet die Flucht den Ausgangspunkt dcr Zeitrechnung Mancher. In den Jahren 1742 und 1808 wurden die Inseln abermals von den Russen besetzt, die Insulaner organisirten selbständig eine Gegenwehr, überrumpelten dic Russen und befreiten ihre Inseln und sich selbst durch einen hcldenmüthigen Kampf, bei welchem sie den russischen Garnisonscommandantcn Major Neidhardt gefangen nahmen. Im Jahre 1809 aber wurden die Inseln wieder von den Russen erobert, und da ^abermals, wie in den Jahren 1709 und 1799, der Winter selbst das Alandshaff in eine feste, haltbare Eismassc verwandelt hatte, brausten am 1!).März russische leichte Reiterschaaren, Husaren und Kosaken. vonEckerö hinüber in das schwedische Städtchen Christinchamn, den Schrecken bis in die Hauptstadt tragend. Der Friedrichshamner Friede vom 17. September 1809 sicherte den Besitz auch dieses wichtigen Landcstheils dem mächtigen Czarenreiche. Dreißigstes Kapitel. Der bottnische Busen. Die Beschaffenheit der Kststen. — Die finnischen Städte. — Wasa. — Meaborg. — Tornea. — Die Mitternachtssonne. Im Norden dcr Alandsgruppe beginnt mit dem 60. Grade der Breite der bottnische Meerbusen, der bis zum 66. Grade hinaufreicht. Seine Richtung nimmt er nach Nord zum Ost, und in seiner Form gleicht er zwei Ovalen, deren größeres im Süden und etwas westlicher, als das mit ihm durch eine Verengerung verbundene kleinere, liegt. Die 30. Kap.) Der bottnische Busen. 497 Längcnausdehnung des bottnischcn Meerbusens beträgt ungefähr neunzig Meilen; seine größte Breite im Süden etwas mehr als fünfund-dreihig Meilen und, nachdem er sich jenseits' des „Quarten", der sich unter dem 63. Grad 15 Minuten durch Annäherung der Küsten zwischen Inseln und Sandbänken auf acht Meilen Breite verengt, wieder erweitert, etwa fünfundzwanzig Meilen; seine Tiefe geht, wo dieGe« Wässer frei liegen, im Allgemeinen bis auf 20 Faden, erreicht auch 50 Faden, wo aber Inseln, Klippen und Felsen liegen, vermindert sich dieselbe oft zu sechs und vier Faden, und Sandbänke und Untiefen reichen bis an den Wasserspiegel. Diese Untiefen, sowie die unsichern Einfahrten rauben der prächtigen Mecresausdehnung, trotz der großen Anzahl von Rheden, Häfen und Ankerplätzen, cinen Theil ihrer Wichtigkeit, sowohl für Handels- als kriegerische Zwecke, und würden zu ihrer Befahrung eine unverhältnißmäßig große Menge Leuchtfeuer nöthig machen. Klimatische und geologische Verhältnisse erschweren die« selbe überdies noch in hohem Grade. Das schon besprochene Phänomen der Hebung beider baltischen Küsten durch vulkanische Einwirkung tritt hier und namentlich an der finnischen Küste am bedeutendsten hervor, und Sandbänke und sich neu bildende Untiefen, sowie irrende von der Macht des Winters und der Kraft des Eises bewegte Felsblöcke, erschweren die Anfertigung zuverlässiger Karten. Die Küstenbildung dieses Meerbusens, der in seinem südlich der Quarkenstraße gelegenen Theile das bottnische Meer, und nördlich desselben die bottnische Wick oder Bucht genannt wird, ist ungcmein verschieden; das finnische Südost-ufer gehört noch offenbar der Stcilküstenbildung an und hat eine Unzahl Inseln, Schären und Klippen vor sich; je mehr nach Norden, je sanfter dacht sich die Küste ab und setzt sich in den Fluthcn selbst all-mälig fort, die Busen schneiden nicht so tief ein und gestatten dem Meere oft Sandablagerungon, die Inseln nehmen mehr und mehr und endlich ganz ab; das westliche, schwedische Ufer bleibt durchweg zerklüftet und ist fast gezahnt zu nennen, es bietet überall einen rauhen, wilden Anblick dar, sich an einigen Stellen zu förmlichen Alvenzügen erhebend, die durch Klippen und Felsen die Schifffahrt gefährlich machen, da man ohne gewandte Lootsen sie meist erst entdeckt, wenn das Fahrzeug darauf strandet oder daran zerschellt. Die vielen fischreichen Gewässer, die aus Schweden und Finnland sich in diesen Busen ergießen, bewirken, daß das Wasser desselben fast gar nicht salzig, in der größten Hälfte des Jahres durch Eismasscn unfahrbar gemacht und im Winter mit einer so festen Decke belegt ist, daß beide Ufer eine dauernde Schlittencommunication eröffnen. Im Süden behauptet sich namentlich in den durch Fclsinscln geschützteren Föhrden noch einiges Laubholz, weicht aber ebenso schnell dem Nadelholz, wie das übrige 488 Die Meerenge Quarken. l 7. Buch. Getreide dem Hafer, und endlich schrumpft die Waldvcgetation zur Zwergbirke und kriechende,,« Knieholz, die des Feldes und der Wiesen zu saurem Sumpfgrase und üppigen Moosen zusammen. Die an dem Ostufer des bottnischen Meeres liegenden Städtchen Nystadt, Raumo, Björneborg, Christinastadt sind alle unbedeutend. Vierzehn Meilen von letzterer nach Norden entfernt, wendet sich die östliche Küste des Meerbusens entschieden nach Nordnordost, welche Richtung das ihr gegenüberliegende schwedische Ufer schon früher eingeschlagen hatte, die dadurch entstandene Verengerung vermehren Untiefen und die dem finnischen Ufer vorliegenden Eilande Wargö, Björkö, das ziemlich beträchtliche Walgrund, und das mit einer Kirche versehene Replö, und bilden so die erwähnte nur sechs Meilen Fahrwasser bietende Straße „Store Quarken." Hier liegt die viertausend Seelen zählende Handelsstadt Wasa (Nikolaistadt). Fast jährlich baut der Winter eine Straße über Quarken, deren Dauer und Festigkeit jedoch nicht zu trauen ist. Der russische General Barclay de Tolly trat am 17. März an der Spiße seiner Armee einen Marsch über dieselbe an und erreichte Umea erst am 20., nach einem Wagnisse, dessen Details einer Polarexpedition gleichen. Seine Truppen mußten, nachdem ihre Führer im Schneegestöber und Unwetter oft ihren Weg zwischen den fürchterlichen Eismassen verloren, die Nächte bivouakiren. Durch Stangen und Pfähle abgesteckte Colonnenwege für die mit Distanzen marschircnden Truppen waren schnell verweht und die Marken durch den Sturm entführt; breite Spalten und Nisse in dem Eise, die wie Flüsse übersetzt und von den Transport- und Bagageschlitten mit weiten Umwegen umgangen werden mußten, verzögerten auf unberechenbare Weise das Vordringen, welches durch anhaltende strenge Kälte allein zur Durchführung gebracht werden konnte, und nachdem es eben glücklich beendet und Umea erreicht, brachte ein Courier dem Comman-direnden in Folge eines abgeschlossenen Waffenstillstandes den Befehl zum Rückzug. Bedeutender als die jetzt folgenden Städtchen Ny-Carlcby, Iakobs-stadt, Gamla-Carleby und Brahestadt istUlead org, die Hauptstadt des alten Oesterbottn und nach Abo und Helsingfors die bedeutendste Stadt Finnlands. Der aus einem See strömende Uleä-Fluß bildet noch unmittelbar oberhalb der Stadt einige der seinen ganzen Lauf auszeichnenden Stürze und Fälle, die seine Befahrung nur stromabwärts und unter Führung genau bekannter Lootsen gestatten. Die eigentliche Stadt Uleaborg, vorzugsweise die finnische Stadt dos Grohfü'rsten-thums, da hier fast nur finnisch gesprochen, gelebt und gedacht, ja auch eine finnische Zeitung gedruckt wird, heißt in der Sprache des Volks „Oulu" und ist schon im fünfzehnten Jahrhundert als Markt- 20- Kap.) ' Ulcaborg. 489 flecken erwähnt. Nachdem eine Feuersbrunst 1822 die kleinen Holzhäuser und engen Gassen fast ganz zerstört hat, ist die Stadt in breiten, freundlichen und regelmäßigen Straßen neu erbaut. An der Stadt selbst liegt ein schöner, von Magazinen und Ladenreihen eingefaßter Granitquai „Hathigera" genannt, der als Hafen für kleinere Fahrzeuge dient, während größere durch die gänzliche Versandung des eigentlichen Stadthafens gezwungen sind eine halbeMeile unterhalb der Inseln auf der Rhede von Toppila vor Anker zu gehen. Eine Brücke hat Uleaborg nicht, und eine stehende Fähre vermittelt, zwischen Pikisaaii und Schloß, Holm, die Verbindung beider Ufer. Ein Gesundbrunnen und das Seebad erhöht auch hier das sommerliche Leben, obschon dasselbe für die 5500 Seelen zählende Einwohnerschaft im Winter nicht weniger bedeutend ist, da dann lange Schlittenreihen, oft mehrere Hunderte an einem Tage, alle Producte Nordsinnlands und selbst lappische Erzeug, nisse hierherbringen. Namentlich concentrirt Uleaborg den Planken«, Latten-, Bretter-, Pech- und besonders Thecrhandel, nebenbei sind noch Butter, Talg und Fische, besonders schöne Lachse, als Ausfuhrartikel wichtig, und das ganze Hinterland versorgt sich von hier aus mit den nöthigen Colonialwaaren und dem eingeführten Salze. — Im Jahre 1854 führte der englische Admiral Plumridge die Flotille, der die Wälle von Kronstadt zu fest erschienen, auch nach dieser offenen Stadt. In der Nacht zum ersten Juni diangon scchszehn Boole des Leopard, Odin, Valorous und Vultur mit 300 Soldaten in den Strom ein und bemächtigten sich. ihre Mannschaft in der Mitternachtsstunde ans Land scßend, Uleaborgs. Bald darauf vollbrachten sie ihr Werk durch Verbrennung der ungeheuren Holzvorräthe, der Schisse auf der Werfte, dcr flotten und unvollendeten Küstenfahrzeuge, die hierher gerettet waren, zwischen fünf- und sechstausend Tonnen Pech und Theer, kurz alles dessen, was ihnen Staatseigenthum oder in Feindes Händen schädlich werden zu können schien; die Windrichtung und das Schneegestöber bewahrten dieStadt selbst vor der Entzündung durch die fürchterliche Gluth, der die Verursacher derselben kaum, und nicht ohne allen Schaden entkamen. Von der Ulcabucht ab wendet sich dcr bottnische Busen seiner in« nersten Biegung zu und geht anfangs vier Meilen nach Norden bis zu dem Sima, an dessen Mündung das gleichnamige große Fischerdorf liegt, schlägt dann einen fünf Meilen weiten Bogen nach Nordwest zum Kemistrom, der bei der nach ibm benannten Ortschaft mündet, und macht darauf die wenig ausgeschweifte, von Ost nach West acht Mei. len messende Wendung, an deren nördlichstem Punkt, ^drei Meilen von Kenn entfernt, die nördlichste baltische Stadt Tornea liegt. Hier ist der bottnische Meerbusen, wie die ihm zuströmenden Flüsse, mit Fels- 490 Tornea. I"?. Buch blocken übersäet, und die Wasserfläche von Inseln und kahlen Schären unterbrochen, die bald kleine nackte runde Kuppen, bald bewaldet sind und bessern Baumwuchs als beide Fcstlandsufcr zeigen; die bedeutendsten darunter sind Kallstär im Südost und Maleronö im Süden von Tornea. Dieses unter dem 65. Grad 50 Minuten 50 Secunden liegende Städtchen von etwa 800 Einwohnern, bietet mannigfaches Interesse dar. Es ist in schwedischer Art aus rothangestrichcnen einstöckigen Holzhäusern, hier und da auf einer Unterlage von Granitblöckcn ruhend, erbaut und hat zwei Kirchen. Ein Theil der Stadt liegt auf der Halbinsel des rechten Stromufers, Svensaar, und der andere auf der Insel Vjörkö; von derselben bis zum Meere dehnt sich ein Deltaland von fünf Viertelmeilen aus, dessen Wasserzüge jetzt so versandet sind, daß alle Fahrzeuge vor der Mündung des Stromes bei Reutehamn ihre Ladung löschen müssen. Die Straßen der Stadt sind nicht gepflastert und im Sommer dicht.mit Gras bewachsen, das sogar in ihnen gemäht wird; das Klima ist im Verhältniß der hohen Lage minder rauh, als man erwarten sollte, doch herrscht im Winter ungeheurer Schncefall vor, so daß oft wenige Stunden hinreichen, um die Communication nur durch Ocffnungen in den Hausdächern zu gestatten. Trotzdem und trotz der fast ununterbrochenen Dämmerung in den kurzen Wintertagen leben die Einwohner, die außer den wenigen Beamten und der kleinen Garnison von dreißig bis vierzig Mann durchweg schwedischen Ursprungs sind, sebr gesellig und munter, und gerade in der traurigsten Jahreszeit belebt sich die Stadt am meisten, da dann die Lappen aus den nördlichen Gegenden, die im Sommer nur den Handel auf ihren inländischen Märkten betreiben, mit zahlreichen Renthierschlitten die Stadt besuchen und ihre Waaren, namentlich die geschätzten Renthierzungen, Käse, Felle und Wolle, aus denen in Tornea Handschuhe genäht und Taschen gewebt werden, bringen und ihre Bedürfnisse dagegen einhandeln; der sonstige Export der Stadt ist gering und besteht meist aus Holz, Pech und Theer. An dem russischen PostHause steht nach der allgemein üblichen Sitte die Entfernung von Petersburg angegeben; sie beträgt 1735 Werst. Die Gegend von Tornea war schon in früher Zeit ein wichtiger Handclspunkt für den norrländischen und lappländischen Handel und hieß damals finnisch „Satama", was die Bedeutung „Schiffshafen" hat. Schon im Jahre 1350 wurde dort eine christliche Kirche durch denErz-bischof von Upsala geweiht. Die jetzige Stadt wurde jedoch erst auf Befehl Karls des Neunten, der 1602 diese Provinz bereiste, gegründet, und Gustav II. Adolph beschenkte sie 1621 mit städtischen Privilegien; Karl der Elfte besuchte sie 1694, um von ihrem Kirchthurm aus 30. Kav-I Tornea. ^I^ das erhabene Schauspiel der Mitternachtssonne am Mittsommcrabende zu genießen. Feuelsbrünste verzehrten auch diese Stadt mehrmals, und selbst ihre entlegene Lage schützte sie nicht vor den Stürmen des Krieges; sie wurde 1715 durch die, Armfelt bis in den äußersten Norden verfolgenden Russen verheert, und sah am 23. März 1809 dieselben Feinde wieder in ihren Straßen; im Frieden zu Fredrikshamn wurde sie mit zu Rußland geschlagen, und ein im Westen der Stadt fließender, alter Arm des Tornea, der mit Granit zu einem Canal eingefaßt und überbrückt ist, bildet seitdem die Grenze zwischen Schweden und Rußland auf ihrem alten Stadtgebiete. Trotz seiner geringen Ausdehnung und schwachen Hilfsmittel ist dieser Ort doch durch ein merkwürdiges Phänomen ebenso berühmt geworden, wie irgend ein Punkt der baltischen Küsten. Wenn die Be-obachtcr staatlicher Verhältnisse und Entwickelungen, Freunde des Glanzes und der Pracht, Kopenhagen, Stockholm, Petersburg besuchen, eilen die Naturfreunde hierher, sich an dem Schauspiel der in vierundzwanzig Stunden nicht untergehenden Sonne zu begeistern. Gleichzeitig bewundern sie die malerischen Gegenden, die lachende und selbst üppig und kräftig grün erscheinende Vegetation der Küste, den Reichthum an Wald- und Sumpfbecren und lebenden Geschöpfen, die diesem Polar-lande und dem durchsichtig klaren, ewigem Eise entströmenden Flusse den Anschein einer unter günstigstem südlichen Himmel liegenden Gegend verleihen, den die senkrecht gegen den Horizont in phantastischen Formen aufsteigenden Felsen, welche einem künstlich errichteten Mauer« werke zur Bildung vonPalästcn gleichen, noch erhöhen. Karl der Elfte war bei seinem Besuche dieser Gegend von der großartigen Schönheit derselben zur Mittsommerzeit so ergriffen, daß er, besonders durch eine lappländische Wasserpflanze entzückt, oft mit einem Exemplar derselben in der Hand zu sehen war und ihr den poetischen Namen „Karls Scepter" (pedicular^ 8ceplrum Oai-ollnuin) verschaffte. Er beschloß auch das Phänomen des Solstitium durch die Gelehrten seines Landes beobachten zu lassen, und schickte im Jahre 1695 die beiden schwedi« schen Mathematiker Billberg und Spole nach Tornea, die beide ihre wichtigen Beobachtungen in lateinischer Sprache veröffentlichten. Es wurden dieselben im Jahre 1736 vervollständigt, als Ludwig der Fünfzehnte die französischen Gelehrten Maupcrtms, Clairaut, Lemonnicr und andere Mathematiker der königlichen Akademie von Paris hierher sendete, um den Grad des Meridians zu messen. Es geschah mit in der Absicht, ein Zeugniß für die Ncwton'sche Doctrin über die Abplattung der Erdgcstalt zu gewinnen. Die Gesellschaft erreichte den bott- ' Nischen Golf im Sommer und vereinigte sich mit Celsius. Sie wählten das weite Torneathal zu ihrer trigonometrischen Station und maßen 492 Die Mitternachtssonne. s7. Vuch. im folgenden Winter eine Basis auf dem Eise des Stromes in einer Länge von 740? Toisen. Das gewonnene Resultat war, daß ein Grad des Meridians im 66. Grad N. Br. einen Breitengrad von Paris um 512 Toisen übertrifft. In den Jahren 1800 und 1801 haben zwei schwedische Gelehrte, Svanberg und Overbom, sich mit Unterstützung der schwedischen Akademie der Wissenschaften abermals nach Tornea begeben, die Maupertuis'schen Beobachtungen zu revidiren und noch genauer die Verhältnisse des Erddurchmessers festzustellen. Das Schauspiel der Mitternachtssonne vereinigt auch noch jetzt jährlich heitere und wißbegierige Gesellschaften in dem Städtchen Tornea, als dem leicht zugänglichsten Punkte, von welchem es am Mittsommerabende beobachtet werden kann; die Mehrzahl eilt jedoch nach dem etwa einen halben Grad nördlicher liegenden Dorfe Ober-Tornea, da einmal hier der auf russischem Gebiet ostwärts des Stromes sich etwa sechshundert Fuß erhebende Berg Awalasaxa, durch seine ganz freie Lage, und ferner die längere Dauer des Phänomens, hier vom 16. bis 30. Juni, sicherer auf wolkenfreien Horizont rechnen lassen. Achtes Buch. Die Schwedischen Küsten. Ginunddreißigstes Kapitel. Die N ordo st k liste Schwedens und dasSchären-Land. Karl-Iohaunsstadt (Haparauda). — Lulca. — Pitea. — Gesie. — Die Schälen. — Einfabrt nach Stockholm. — Der Mälarsee. — Waxholm. — Stockholm; Geschichte und Beschreibung. Wie oben erwähnt, hat der Friedensvertrag von Fredrikshamn den alten Arm des Tornca zur Grenze Schwedens bestimmt; an seinem rechten, westlichen Ufer, unmittelbar derStadtTornea gegenüber, wurde gleich nach dem Abschluß dieses Friedens eine neue Grenzstadt Karl-Iohannsftadt gegründet, welchen Namen der Volksmund jedoch nicht anerkannte und die neue Anlage nach der Beschaffenheit des Ufers Ha-paranda (steiles Ufer) taufte. Die ncueColonic bevölkerte der Patriotismus , der sich mit der neuen Herrschaft nicht befreunden konnte, und schon gewann das 400 Seelen zählende Städtchen eine mir Tornea wetteifernde Wichtigkeit. Das innigste Verhältniß herrscht übrigens zwischen beiden Städten, die, wenn auch durch einen Grenzstrom geschieden, gleiche Interessen haben; sie bewiesen dies im Jahre 1354, als Admiral Plumridge auch hierher eine Landungstruppe auf den Booten des Leopard und Valorous sendete, um sich der Stadt zu bemächtigen. Die schwedischen Behörden hatten die russischen in Kenntniß gesetzt, daß sie jeden Angriff aufTornca als einen auf ihre eigene Stadt betrachten, und an ihrer Vertheidigung Theil nehmend ihr natürliches Recht höher als das staatliche und völkerrechtliche Herkommen erachten würden. 494 Die Kuste von Wcstcrbottmen. >A. Buch. Von derTorneamündung ab behält die bottnische Küste etwa zwölf Meilen ihre Richtung nach Westen bei, und wendet dann nach Südwest in fast gerader Linie zwanzig Meilen entlang streichend, springt um fünf Meilen nach Südost vor und zieht sich abermals bis zur Südgrenze der Provinz Wcsterbottnien zwanzig Meilen nach Südwest. Die ganze Küstenstrecke trägt, namentlich aber im nördlichsten Theile, der ja schon der Polarregion benachbart ist, den Stempel der wildesten Natur. Die Ausläufer der skandinavischen Alpen senken sich zum Meere herab und umsäumen es mit kleinen schroffen Anhöhen, mit welchen unabsehbare Haiden, grundlose Moräste, ungeheure Seen und undurchdringliche Wälder wechseln, zwischen denen sich schäumende Flüsse und Bäche mit wildem Ungestüm in das Meer senken, wenn sie nicht der neun Monate lange Winter mit seiner sechs Monate währenden Dämmerung unter einer Eisdecke erstarren läßt. Auf dieser Küsten-streckc haben wir von Städtchen zu nennen Lulea, wo durch das langsam abfallende Ufer die Landcserhebung so sichtbar ist, daß es auch dem schlichten Landvolk in die Augen fiel, wie in den letzten achtund-zwanzig Jahren das Meer zweitausend Schritte weit scheinbar zurücktrat; ferner Pitea, die Hauptstadt der nördlichen Provinz, aber im äußern Ansehen und an Einwohnerzahl Lulea nachstehend. Hier wurden die ersten Anstrengungen gemacht, die Lappen ihrem Nomadenleben abwendig zu machen und der Cultur zuzuführen, Gustav II. Adolph richtete eine Schule für sie ein und vertraute ihre Leitung dem Nikolaus Andrea an, der auch selbst einige schwedische Bücher ins Lappische übersetzte. Die südlichste Stadt Westerbottniens ist Umea, die Hauptstadt der südlichen Provinz und der Sitz der Behörden, in einer lieblichen und geschützten Lage, so daß selbst Erbsen, Gurken und Radieschen gedeihen, regelmäßig erbaut. Im Jahre 1809 wurden hier am 22. März und 26. Mai mit den Russen, die Barclay de Tolly von Nasa aus über das Eis des Meeres geführt hatte, Conventionen abgeschlossen, die aber erst nach blutigen Gefechten am 18., 19. und 20. August zur Räumung Westerbottnicns durch dieselben führten. Vor Umca findet die Verengerung des bottnischen Meerbusens zur Nord-Quarkenstraße statt, und außer mehreren Untiefen liegen zwei größere Eilande H o lmö e und Angöe, durch die schmale „Westerauarken" von demFcstlande getrennt, vor diesem Küstenstriche. Der um drei Meilen nach Westen zurücktretende, etwa fünfundzwanzig Meilen genau nach Südwest streichende Küstenstrich Angermannlands und Medelpads, mit den Städtchen Horncfors, Hernösand und Sundevall, ist ein schönes, malerisches, terrassenförmig aufsteigendes Land, von prächtigen breiten Strömen zer-chnitten,mit starkem Nadel- und Birkenwald, üppigen Wiesen und 3l. Kao.) Gefie. 495 Kornfeldern bedeckt; die Küste selbst ist zerrissen, mit Dünen, Klip, pen und vielen Schären umgeben, Hunderte von Fiorden und Busen bildend, unter denen der Nordmaling-, Deger- und Kringerfiord die beträchtlichsten sind. DerKüstenstrichHelsinglands undGä'striklands wendet sich in einem sehr wenig ausgeschweiften Bogen fast direct nach Süden und hat eine Ausdehnung von etwa fünfundzwanzig Meilen, bis er sich von Geste aus noch zehn Meilen weiter nach Südost dem Ulandsmeere zu, zieht; das Fcstlandsufer ist hier auf dieselbe Weise ausgezackt wie weiter im Norden, aber die vorliegenden Schären gleichen mehr Dünenlande und erheben sich meist nur wenige Fuß über den Meeresspiegel, der Boden ist abwechselnd sandig und mager, oder morastig und mit Steingcschieben bedeckt; unter den vielen Fiordcn sind der Hudiks-valler, Stara - und Södra-, der Liusna-, der Iättcndale- und der Hamrungefioro die ansehnlichsten. Bedeutender als Hudiksvall und Söderhamn ist Gcfle, mit 8000 Einwohnern, die siebente Stadt des Reichs nach der Seclenzahl, aber ihrer Betriebsamkeit und Gewcrbthä-tigkcit nach die dritte und nur von Stockholm und Gö'thaborg über« troffen. Sie ist längs des Geflestroms, welcher das Wasser des Storsjö und anderer Seen in breitem Bette hier dem bottnischen Busen zuführt, erbaut und von dem Strome durchstossen, der sich bei seiner Mündung in drci Arme theilt, die durch zwei kleine, zu der Stadt gehörige und mit ihr durch Brücken verbundene Eilande Adlerholm und Islandsholm gebildet werden. Der Strom ist ihr von großem Nutzen, da er die nur wenig erleichterten Schiffe und kleinen Fahrzeuge bis an den Markt hinaufführt. Den Hafen bildet eine Mule von 1600 Ellen Länge, die von dem Eilande Adlerholm, worauf Waagen, Magazine, Packhäuser, Seilerbahn:c. errichtet sind, in den Geflefiord hinausführt; sie ist mit Granitblöcken ausgesetzt und bildet, mit Bäumen bepflanzt, einen schönen Spaziergang. Die achtzehn Fuß Tiefe besitzende Rhedc ist durch mehrere Schären gesichert, die vor dem offenen Meere liegen, aber den Eingang erschweren. Es giebt zwei Einfahrten, die beide an den gefährlichen Finngründen und an der Festung Fricdrichsschanze vorbeiführen, von denen die sogenannte alte Fahrstraße auch für die größten Fahrzeuge hinreichende Tiefe hat. Vom Lande aus müssen alle Waaren Per Achse nach Gefie gebracht werden, da die Wasserfälle des Stroms denselben wenig oberhalb der Stadt nicht mehr beschissen lassen. Mit dem Geflcsiord findet Nordschweden seine Grenze, und die Provinz Upland, zu Mittelschweden gehörig, tritt an das bottnische Meer mit einer vcrhältnißmäßig glatteren Küste, einem einzigen tiefer nach Süden gehenden Einschnitt und wenigen einzeln liegenden Schären. An einer kleineren Bucht, östlich neben der Einmündung der 496 Wacholm. P. Vnch. Dalelf, liegt Elfkarleby, durch einen berühmten Wasserfall der Dalelf und einen beträchtlichen Lachsfang bekannt, und wenig weiter östlich der Marktflecken Löfsta mit berühmtem Schloß, Garten und Bibliothek der Familie de Gcer. Die nun beginnende Inselwelt, welche fortan die ganze Uplands-küste begleitet, heißt das Stockholmer Schärenland. Sie bildet eine natürliche Verfperrung der sonst offen am Meere liegenden Hauptstadt Schwedens und füllt mit einem dichten Labyrinthe eine tiefe Bucht der Ostsee aus, welche die Festlandsküste bildet, die von der Landzunge Simpnäs, durch die der Singöfiord im Süden begrenzt wird, nach Südwest acht Meilen weit in das Land greift, und dann, nachdem d,er Mälar seine Wasser mit der Sce vereint hat, fünf Meilen nach Ostnordost geht, um sich auf fünfzehn Meilen ihrer Hauptrichtung nach Südwest wieder zuzuwenden. Der Charakter dieser Hunderte von Schären und Inseln ist sehr verschieden, im Osten und Norden sind sie von durchaus felsigem Charakter und bilden in ihrer kahlen Oede, häufig selbst des Holzbestandos entbehrend, und ohne jedes Zeichen einer menschlichen Nähe, von nackten, kaum die Wasserfläche überragenden, spitzen Gneisklippen umgeben, einen merkwürdigen Contrast gegen die südlicheren, von dichter Waldung gekrönten und mit malerischen Wiesen, Feldein und Fischerdörfern bedeckten Inseln, zwischen denen sich Fahrzeuge und Dampfschisse aller Größen drängen. Alle durch dasInsellabyrinch nach Stockholm führenden Wege con-centriren sich in einer engen Straße, vor welcher die Insel Warmdöe liegt, auf welcher die Russen am 13. August 1719 in einer Stärke von 6000 Mann landeten, um gegen Stockholm zu operircn, jedoch mit einem Verlust von 500 Mann vertrieben wurden. Früher führte eine zweite Straße, das Oxdjup (die Ochsentiefe) von hier aus nach der Hauptstadt, und zu ihrer Vertheidigung wurde auf der Nordwestseite von Warmdöe die Festung Fredriksborg angelegt; die Vertheidig gung dieses Punktes ist aber jetzt, wo Fclsvcrsenkungen diese Straße unfahrbar machten, unnöthig. Die fahrbare Straße führt bei der Insel Waxöe vorüber, auf der sich die Stadt Wax Holm mit etwa 1200 Einwohnern befindet. Auf einer Felsenspitze, der Stadt unmittelbar gegenüber, erhebt sich eine starke Festung, deren kasemattirtc Batterien die Straße leicht vertheidigen, da ihre Enge keinem Fahrzeuge gestattet, mehr als 300 Schritt von ihren Kanonen entfernt zu bleiben. Die Einfahrt ist nicht nur der Breite, sondern auch die Straße hinter derselben der Länge nach besnichen, und kann außerdem noch durch Ketten und Sperrbäumo geschlossen werden. Schon Svante Sture legte im Jahre 1510 eine Schanz auf dem Punkte an, den jetzt die Festung Waxholm einnimmt, allein die häufig wiederholten Landungen der 3l. Kar.) Stockholm. 497 Dänen und dic blutigen Schlachten und Scharmützel, welche in Folge dessen in der Nähe des aufblühenden Stockholm stattfanden, namentlich die Festsetzung Sören Nordby's im Fahrwasser der Hauptstadt, bewogen Gustav I. Wasa 154!) zur Anlage der regelrechten Festung, die später vielfach erweitert, 1612 den ersten und einzigen feindlichen Besuch, welchen ihr Christian IV. von Dänemark mit der von ihm persönlich geführten Flotte abstattete, zurückwies. Neun Meilen weit führt der krumme Weg zwischen Waxholm und Ridö'c hindurch, an zahlreichen Schären und dem reizenden Eiland «idingöe von einer Meile Länge und einer Vicrtclmcile Breite, auf dcmDj urs h o lm, das Stammschloß der Familie Bane'r und der Geburtsort des berühmten Generals und Freundes Gustau Adolphs steht, vorüber nachStockholm. Die Haupt- und Residenzstadt des Königreichs, Sitz der höchsten Centralbehö'rden ?c. hat eine so herrliche Lage, daß sie zu den sieben schönsten Städten Europa's gerechnet und vielleicht nur von Constan-tinopel wirklich übertroffen wird. An dem südlichen und nördlichen Gestade des langgestreckten reizenden, tiefblauen Mälarsccs thront sie wie eine Königin auf runden Vergkuppcn, dort, wo dieser Binnensee sich mii ciuer Bucht des baltischen Meeres vereint, und sieht einen Theil ihrer Häuser von der Salzfluth benetzt, während die süßen Wasser den anderen umwogen. Auf zwei Halbinseln und mehreren größeren und kleineren Eilanden breitet sich die Stadt aus und bedeckt einen Raum von dem Umfang von zwei Meilen. DieserRaum ist jedoch nicht überall bebaut, sondern wechselt theils mit nackten oder mit Vegetation bedeckten, meist schroff und grotesk ausgezackten Felsen, theils mit Kanälen und mit breiteren und schmäleren Wasserstrcifen ab, und gewährt eben dadurch einen entzückenden malerischen Anblick, wie ihn keine zweite Residenz des europäischen Nordens darbietet. Die Gcbirgs-art, woraus die Grundlage der Stadt besteht, ist Gneis und Granit. Die verschiedenen Inseln und Halbinseln, worauf diese Fclsenstadt erbaut ist und die sämmtlich durch Brücken zusammenhängen, sind: Staden, oder die eigentliche Stadt, auf einer ziemlich großen Insel mitten im Mälarsec, wo derselbe mit dem Salt-Sjön, einem Busen des baltischen Meeres, zusammenhängt, und seinen Ausfluß in den Nor-der- und Södcrstrom abtheilt; diese Altstadt hängt durch die Schloßbrücke mit dem Norrmalm, und durch ein kostbares Schleuscnwerk und cine andere steinerne Brücke mit Södermalm zusammen. Sie hat nur einen geringen Umfang und nur massive, aber geschmacklose vier- und fünfstöckige Häuser in langen, schmalen, krummen und sehr finstern Gassen, die fast alle parallel laufen und durch überwölbte Quergassen mit einander verbunden sind; diese führen als Wasscrthore auf den Quai des Meeres hinaus, auf dem stets reges Leben und Treiben herrscht. Die Ostsee. 32 498 Stockholm. 18. Buch. da die Handelsschiffe unmittelbar an demselben laden und löschen. In den engeren Theilen schlecht gepflastert, ohneTrottoirs und mit Gossen in der Mitte, erscheint dieser Stadttheil schmutzig und unschön bis auf seinen Schloßplatz und Markt. Auf diesem erhebt sich die deutsche oder Gcrtrudenkirche mit ihrem stattlichen Thurme; auf einem anderen Markte, der mit einem eisernen Standbilde des Königs Gustav I. Wasa geschmückt ist, steht das Rathhaus, in dem sich die vier Stände zu versammeln Pflegen, und worin Gustav II. Adolph von seinem Volke Abschied nahm, als er nach Deutschland zog. Weitere hervorragende Gebäude sind der Palast des Oberstatthalters, das Hosgericht, das PostHaus, die Börse am großen Markte, die Bank, das Münzgcbäude; der schönste Schmuck ist aber das kolossale Schloß, die Wohnung des Monarchen und seines Hauses. Es erhebt sich im Nordosten auf einer zum Meere abfallenden und die Stadt beherrschenden Anhöhe, und wurde in denIahren 1698 bis 1751 durch die Grafen Tessin in einem edlen neuitalienischen Style in Backstein auf granitnem Erdgeschoß erbaut. In seinem Aeußern sauber und frisch erhalten, bildet es ein Rechteck, welches einen prächtigen Hof umschließt und dem sich nach der Hafenseite zwei niederere Flügel anschließen, die einen schönen und geschmackvoll angelegten Garten umfassen, während nach der entgegengesetzten Seite zwei ähnliche, halbrund zusammenschließende, dieWacht-und Stalllocalitätcn enthalten. Die dritte mit einem Reichthum an Säulen gezierte Front wendet sich dem Markte mit der großen Kirche zu, der sich nach dem Meere senkt, einen Obelisk trägt und mit einer Freitreppe nach dem Hafen endet, vor welcher sich ein ehernes Standbild König Gustav des Dritten befindet. Die vierte mit griechischen Pilastern gezierte Faeade steht auf einem steilen AbHange, der durch schräge Auffahrten, die mit kolossalen ehernen Löwen geziert sind, den Eingang in das Schloß gestattet, und sieht gerade auf die prächtige Schloßbrücke. Das überall den Gesichtspunkt bietende und eine Fülle entzückender Aussichten darbietende Gebäude steht auf derselben Stelle, wo sich die zu Vertheidigungszwccken um 1250 von Virger Iarl an» gelegte Burg Agncfit erhob. Es enthält im Innern neben dcnKönigs-wohnungcn eine Kapelle, einen imposanten Reichssaal, die Bibliothek, die zugleich zu den Sitzungen der Akademie dient. Münz-, Antiken-, Gemälde- und Sculpturensammlungcn :c., und darunter die besten Arbeiten Scrgells, Byströms und Fogelbergs. — Von der Stadtinsel führt eine massive fünfhundert Schritt lange und zweiunddreißig Schritt breite granitne Brücke^ hinüber zu dem Norrmalm. Sie ruht in ihrer Mitic auf der Helge Andsholmen (heilige Geist Insel), doch so hoch über derselben, daß sich ein lieblicher bewachsener Fleck.Strömparierren und ein elegantes Vergnügungslocal unter ihr und zwischen ihren Pfei- 3l. Kap.j Etadtlheile. 499 lern hindurchgeht. Die Insel trägt die königlichen Marställe. Im Westen hängt der Riddarholm mit Staden zusammen, von der ihn 'nur ein schmaler Canal, über den eine breite steinerne Brücke führt, trennt. Auf ihm steht an Stelle eines alten Klosters eine Kirche, die im bunt-zusammengewürfelten Styl durch Um- und Anbauten aller Zeitalter keinen schönen Anblick gewährt, aber als Ruhestätte alter berühmter Geschlechter interessant ist. — DcrSkcppsholm liegt im Nordosten der Stadt im Meere und trägt das Admiralitätsgebäudc, das Arsenal, Magazine und dergleichen mehr. Er hängt mit vielen kleinen Klippen zusammen, die mit ihm gemeinsam den Hafen für einen Theil der Schä-renfiotte bilden; im Südosten ist er durch eine Brücke mit dem Kastellholm verbunden, der ein kleines Fort mit zwölf Kanonen, ein Scclazareth und auf seiner äußersten Klippenssitze eine Kirche trägt; ein isolirtes Eiland Beckholm im Osten des Kastcllholm dient gleichfalls zu den Zwecken der Orlogsmarinc, und die größere Insel Kungsholm, die cm breiter Canal vom Festlande scheidet, aber eine sehr lange und eine kleinere Insel mit Norrmalm verbindet, ist nur im östlichen Theile bewohnt, und mit der Ulrike-Eleonorakirche, dcmScraphincnlazareth, der chirurgischen Akademie, dem Garnisonskrankenhaus, der neuen Münze und anderen öffentlichen und Wohlthätigkeitsanstalten geschmückt. Auf dem Festlandc liegen Norrmalm und Södcrmalm ; jenes ist die nördliche Vorstadt, auf einer von Norden her in den Mälar abfallenden Halbinsel erbaut; in ihr mündet die prächtige sie mit Staden verbindende Brücke auf einem von zwei sich entsprechenden Palästen, dem Opernhause und Garnisonspalast, begrenzten Plaß, den eine Reiterstatue Gustav II. Adolphs schmückt. Es ist dieser Stadtthcil der Sitz der Aristokratie und bietet die schönsten Aussichten auf das Schloß, beide Häfen, die See und den Mälar und die steilen den Süden begrenzenden Gebirge dar. Sechs Plätze schmücken den Stadttheil, in dem sich die stattlichsten Häuser und Paläne erheben, darunter der mit Bäumen bepflanzte Paradeplatz, auf dem sich eine Statue Karls des Dreizehnten befindet. Hier liegt auch die Adolph-Friedrichskirche mit dem Descartes Denkmal. Die Straßen sind in diesem Theile lang und schmal, die Drottning-Gatan mißt über 2000 Schritt, und die Häuser sind bis auf die äußersten Entfernungen massiv gebaut. Das Ladugardslandet und der Djurgardcn schließen sich im Nordosten und Osten als Vorstädte unmittelbar an den Norrmalm an; jenes enthält Kasernen und Garnisonsetabliffcments und ist wenig und mit schlechten Holzhäusern bebaut, und gleicht mit den schmutzigen schlecht gepflasterten Straßen mehr einem Dorfe, als einer Stadt; doch schließt sich seiner Nordwcst-seite ein schöner und großcl Garten, der Humlegarden an; Djurgarden war einst ein wirklicher Thiergarten, ist aber seit den Zeiten Gustav 32* 5yy Stockbolm. P. Buck. dcs Dritten, wo Bcllmann, der schwedische Anakreon, dessen Vüste ihn° ziert, ihn zum Schauplatz seiner Freuden und der Geburtsstätte seiner Lieder machte, ein Lustgarten, mit Theatern, Gaukelbuden, Restaurationen, Kaffees und dergleichen mehr, der Sammelplatz der städtischen und ländlichen Vergnügungen und besonders dcs Sonntags lustig und belebt. Die Reichen und Vornehmen haben hier ihre Landhäuser, welcher Sitte sich Karl XIV. Johann anschloß und das hübsche Schlößchen Rosendal erbaute, das an wahrer Schönheit und an Werth aber weit übertreffen wird durch die marmorne Zierde, die dcr Bildhauer By-ström in seiner Villa herpflanzte. Auch drei Gesundbrunnen entströmen den Hügeln dcs Norrmalms und seiner Anhänge, zu welchen noch der Blasiiholm, eine Insel vor der südöstlichsten, Landspitze Norrmalms, gehört, auf der die Schlachthäuser und Packhofsgcbäude liegen und die mit Skeppsholm und Ladugardsland durch Brücken verbunden ist. — Dic südliche Vorstadt Södermalm ist gleichfalls eine Halbinsel, die durch einen schmalen Isthmus mit dem südlichen Fcstlande dcr Provinz, durch eine Zugbrücke und Schlcusenwerk aber mit der Stadt zusammenhängt, und im Nordwesten vom Mälar, im Nordost von der Ostsee, im Osten von der Hammerbysjö, im Süden von der Ärstavijk, imSüd-wcst von der Hornsvijk, lauter Mälarbuchten, umschlossen wird, die vielfach einschneidend weitere Halbinseln und Inseln bilden, auf deren einer Langholmen, die eine Brücke mit Södcrmalm verbindet, das Spinnhaus und die Zollbude, wo alle vom Mälar heraufgehenden Schiffe den Stadtzoll erlegen müssen, sich befinden. Die Vorstadt hat nur bei ihrem Eingang gute massive Gebäude, die bald hölzernen Platz machen, drei Marktplätze, zwei Kirchen und einige öffentliche, Handclszwccken dienende Häuser, wie das Stadthaus und die großc Eiscnwaagc, in welcher alles von Stockholm zur Ausfuhr bestimmte Stabeisen gestapelt wird, und eine große Schiffswerfte. Es ist dieser Stadtthcil ursprünglich nur ein wildes Gebirge, das sich schroff und steil der Stadt gegen-über emporhebt, so daß die Häuser wie Vogelnester an den Bergen zu kleben scheinen und vom Mälar aus nur eine einzige fahrbare Straße, sonst lauter enge Treppen hinaufführen. Der Scheitel des Gebirges ist aber ziemlich eben und umfaßt sogar einen kleinen See, Fatburn Sjön. Auf dem höchsten Punkte liegt die Katharinenkirche in schönster Lage. Von dem Thurm derselben und von einer Felsenhöhle,Mosc-backe" bietet die scheinbar auf dem Meere schwimmende Stadt mit ihren Inseln, Brücken und ihrem Wald von Masten, da die Schiffe aus beiden Seen aus - und einlaufen und auf den durch Mecresarme gebildeten Canälcn im Osten und Westen unmittelbar vor den Häusern anlegen, ein unübertroffenes Panorama dar, das sich durch den Rah- 31. Kap.) Größe und Verkehr. 501 men von dunklen Wäldern und Bergen, die bis an die Thore der Stadt herantreten, noch mehr hervorhebt. Stockholm zählt jetzt etwa 7000 Häuser und 94,000 Einwohner, nimmt aber sehr langsam in seiner Bevölkerung zu, da merkwürdigerweise, obschon die Stadt eine keineswegs ungesunde Lage hat, die Zahl der Gebognen der der Gestorbenen jährlich nachsteht. Die Zahl der ausländischen Einwanderer ist gering, so daß der Zuzug schwedischer Landleute und Arbeiter den Ucberschuß der Bevölkerung erzeugt. Der herrliche Hafen mitten im Innern der Stadt und die Fruchtbarkeit der, als Hinterland, an die Hauptstadt grenzenden Provinzen, die Wasscr-vcrbindung mit den nahegelegenen reichen Wäldern und crzhaltenden Gebirgen machen die Residenz auch zu der wichtigsten Handels- und Slapclstadt des Landes. Zu ihrem Import gehören alle Colonial» und Luxuswaaren, die sie theils durch Zwischenhandel an die kleinen Küstcnhäfen und theils auf dem Landwege weiter vertheilt. Unter dem Export nehmen die Erzeugnisse des Bergbaus und namentlich dasEisen in allen ftinen Formen die erste Stelle ein, und dann erst folgen die Waldproducte, chemische Erzeugnisse :c. An einem regen geistigen Le« ben fehlt es natürlich nicht. In seinen Vergnügungen gleicht Stockholm im Winter jeder Residenz, im Sommer aber bietet es mehr als jede an» dereHauptliadt durch den großartigen Wechsel an landschaftlicher Schönheit in seiner nächsten und weiteren Umgebung. Die Cadettenanstalt Karlbcrg, in einem schönen Schlosse an einem Mälararm, mit prächtigem Park, der sich unmittelbar im Westen an Norrmalm anschließt, die Lustschlösser Haga, Mriksdal, China, Drottningholm, Rosenberg, viele Dörfer, Adclsschlösser und Wirthshäuser an den Buchten des Mälar und auf den Schären der See und auch die weiteren Orte Sigtuna und Upsala sind in steter Verbindung mit der Hauptstadt, und Dampffahrzeuge aller Größen gehen täglich hin und her, die Wasserflächen munter belebend, wie sie selbst innerhalb der Stadt die Verbindung der einzelnen Stadttheile vermitteln, die außerdem in den Händen der Rudermädchen aus Dalarnc ist, welche ihre kleinen Boote mit Drchrädcrn, Ziehschaufeln und Rudern kräftig und gleichmäßig zu führen verstehen und in ihrer bäurischen Volkstracht einen hübschen Anblick gcwäbrcn. Die Geschichte Stockholms ist so zu sagen die Geschichte Schwedens selbst. Die Mglingasage erzählt, daß die Genossen des König Agnc, des zwölften aus dem Ynglingergcschlecht, sie auf der Stätte, wo Agne durch die finnische Königstochter Skialfva ermordet wurde, dem Felseilande Agnesnäs, gründeten. Die Stadtrechtc und Organisation datircn aus dem Jahre 1250 durch Birger Iarl. gy2 Die Küste von Ostergotbland l^> ^uch. Zweiunddreißigstes Kapitel. Die Südost-und Südlüstc Schwedens. Glfsnabben. — Nyköping. — Norrköping. — Söderköping. -^- Kalmar. — Die Kalmariscke Union. — Karlßkroua. — Ustad. — Falsterbo. Im Osten des Stockholmer Schärengartens erheben sich etwa zwölf Meilen weit von der Stadt entfernt, im offenen Meere, die sehr gefährlichen Klippenreihen Svenska Höger, Svenska Stenarna und Svenska Björnan. Die Festlandsküste seht sich auch unterhalb Stockholm in demselben Charakter der zerklüfteten Ausfascrungen fort, bedeckt sich aber mel,r und mehr mit grünem Waldwuchs. Unter den Schären zeichnen sich hier Musköe und Utöe aus, die eine der herrlichsten und geräumigsten Rheden des baltischen Meeres, die sogenannte „Elfsnabben", welche Platz für große Flotten und durchweg guten Ankergrund bietet, umschließen. Ehe Karlskrona erbaut war, pflegte sich die schwedische Flotte zu ihren Kriegszügen auf dieser nur drei Meilen von der Hauptstadt entfernten Rhcde zu versammeln, und Gustav II. Adolph lief im Jahre 1621 von hier nach Riga und im Jahre 1630 nach Pommern aus', und im Jahre 1854 versammelte am 21. April Napier hier seine Schisse und stattete dem Königsbausc von Schweden einen Besuch ab. Die nun beginnende Södcrmanlandsküste prägt den eigenthümlichen Charakter der schwedischen Küste in noch höherem Grade aus und gewährt ein höchst romantisches Ansehen. Nicht nach einer, sondern nach allen Richtungen kraus durcheinander ausgezacktes und förmlich zerfetztes Gestein bildet dasFcstlandsufer, das sich als ununterbrochene Kette gefährlicher Felsenriffe und Sandbänke unter dem Waffer weit hinzieht, und an dem sich die Wogen schäumend brechen, die von den waldigen Inseln und Schären in der weiteren Umgebung zurückprallen. Nylöpin^g, die Hauptstadt dcrProvinz am Byfiord, in den hier der Nyköpings A mündet. ist schön gelegen. Der Hafen leidet aber durch Versandung, die kostspielige Baggerarbeiten erfordert. Von der Bravik, die auf der Grenze von Södermanland sechs Meilen westwärts ins Land schneidet, behält die schwedische Küste die gerade Richtung nach Süden, bis zu der kleinen Landzunge Thorshamn Odde im Osten Karlskrona's. Der nördliche Theil dieser Küstenstrecke, das Ufer Ostergothlands, ist ein schöner romantischer Landstrich, von waldbestandenen Holmen und einigen größeren, sowie unzähligen kleinereu Scharen umgeben- der südlichere, das Smalandsufer, taucht 32. Kar.) und Zmalcmd. 5YI der Insel Öland gegenüber einen Bergzug in das Meer und hat ein von vielen Buchten zerrissenes Gestein, das eine Menge Schären, wenn auch nicht s» zahllos wie die Upplandsküstc, bildet; die bedeutendsten Buchten sind die Waldemarsvik, die Grenze vonOstgothland, dieSyr« sansvik und die Wcstervik. In der Bucht selbst liegt Quarsabo, und wo am innersten Theile dieMotalaelf in dieselbe stießt, die Stapelstadt Norrköping. Die Stadt zeichnet sich durch tressliche Armen -, Kran» ken«, Waisen- undSchulhäuscr, sowie überhaupt ein reges öffentliches Leben aus und gilt für die strebsamste Fabrikstadt Schwedens, der Handel tritt dagegen mehr in den Hintergrund. Die Einwohnerzahl erreicht 12,000 Seelen, und es sind so viele Deutsche darunter, daß dieselben eine eigne Kirche besitzen. Die an dem Slatbaken Fiord liegende Stapelstadt Söderköping an der Miuiduna, des Tvara ist ein kleiner ärmlicher !Drt, von mcht viel mehr als 1000 Seelen, die nur zu nennen ist, weil hier der vierzehn Meilen lange, die innere Verbindung der Nordsee und des baltischen Meeres vermittelnde Ostgötha-Canal mündet. Von hier ab gefährden eine Menge Sandbänke und Untiefen die Küstcnfahrt und bieten nur unbedeutende Häfen und Ankerplätze dar, von denen wir blos Westerwik nennen. Fünf Meilen im Süden von Wcstcrwik bezeichnet ein dreihundert Fuß aus dem Meere aufsteigender Felsen, die Jungfrau, auf dessen Krone sich ein Leuchtthurm erhebt, den Eingang des Kalmar-Sundes, einer vierzehn Meilen langen und beim Ein - und Ausgange zwei und eine halbe Meile breiten, sich aber bis auf drei Viertelmeilen verengernden Straße zwischen dem Fcstlande und der Insel Öland. Kalmar liegt fünf Meilen vor der südlichen Ausfahrt. Es ist die Hauptstadt der Provinz und eine der regelmäßigsten Städte Schwedens, in einer malerischen Lage auf einer Insel des Meeres „Quarnholm" genannt, erbau«, und mit dem Fcstlande durch eine Brücke verbunden. Bis zum Jahre 1047 , wo eine verheerende Fcuersbrunst die alte Stadt in Asche legte, stand sie auf dem Fcstlande, und war, wie das noch bestehende berühmte Schloß, stark befestigt, während jetzt von den Werken nur noch die Wallgräben erhalten sind. In der Stadt bildet die auf Karl des Elften Befehl von Nikodemus Tessin dem Jüngeren in Ölander Marmor im reinsten Style erbaute Domkirchc, — eins der edelsten Bauwerke des Nordens, — mit ihrem äußeren und inneren Schmucke einen hervorragenden Anziehungspunkt; leider hat eine im Jahre 1810 wüthende Fcucrsbrunst ihr gewaltig geschadet. Die Stadt ist uralt, und als Stapelplatz ungcmein wichtig gewesen, da die Geschichtschreiber sie als die Wiege der Kultur eines großen Theils des gy4 Kalmar. O. Buch. Nordens betrachten, jeht nährt sie ihre 6000 Einwohner. Der Hafen versandet immer mehr und erlaubt großen Schiffen mit über 11 Fuß Tiefgang schon jetzt nicht beladen bis zur Mole zu kommen. Vor demselben befindet sich auf einer kleinen Insel „Grimjkär" eine jetzt verfallene Schanze, die den Eingang desselben früher deckte. Auf dem Fcsilandc liegt etwa eine Viertelmeilc westlich von der jetzigen Stadt das alte berühmte Schloß Kalmar, dessen hoher Thurm sich auf vier bis fünf Meilen sichtbar macht. Es ist ein düsteres, massenhaftes Gebäude mit Vorsprängen und Gicbelthü'rmcn, spitzen Dächern und Kuppeln, auf drei Seiten vom Meere umgeben, auf der Landscitc durch doppelte Gräben geschützt, und bildet mit starken gemauerten Wällen ein regelmäßiges Viereck mit einem runden Thurm in jeder Ecke. In den frühen Zeiten, in welchen Schonen und Blekingen noch zu Dänemark gehörten, hatte Schweden kein anderes Mittel seine Grenze zu sichern, als durch Errichtung von Forts auf den bedeutendsten Punkten, und so entstand auch dieses festeSchloß, das einst als„Schlüssel dcsGothen« reichs" galt und oft der Sitz der schwedischen Könige war, jetzt aber verfällt und theils zum Arbeitshaus, theils zur Aufstellung einer dem Gymnasium gehörigen Bibliothek und eines naturhistorischcn und Münzkabinettes dient, auch wird in der alten Schloßkirche noch Gottesdienst gehalten. Stadt und Schloß Kalmar sind durch viele Reichstage, Verträge und Belagerungen denkwürdig geworden. Indem mächtigen aber finstern Reichssaale versammelte 139? die große Margarethe, Tochter Waldcmars, die Abgesandten Dänemarks, Norwegens und Schwedens um sich, um das politische Bündniß zwischen diesen drei stammverwandten Völkern abzuschließen, nnd sah ihre Wünsche nach achttägiger Versammlung am 20. Juli durch Unterzeichnung der „Kalmarischen Union", die alle drei Kronen auf ihrem Haupte vereinte, vollständig erfüllt. Der Thronsessel, auf dem Margarethe die Huldigungen entgegennahm, eine der würdigsten nordischen Reliquien, wurde imIahrc 1730 um wenige Thaler verkauft. Zweimal, am 10. Juli 1438 und durch König Johanns Reccß am 8. September 1483, wurde die Union in Kalmar wieder erneuert, aber schon am 7. Juni 1523 sagten sich die Schweden durch den Beschluß von Strengnäs von dem Bündniß los, das dann durch den Releß von Malmöe am 1. September 1524 vollständig aufgelöst wurde. Während der Unionskriege batte Kalmar mehrere Belagerungen, bald von den Schweden, bald von den Dänen, zu bestehen. Im Jahre 1504 wurde es von Svante Sture eingenommen und elf Jahre lang von Johann Mansson und später von seiner Wittwe AnnaBjelke behauptet. ImIahre 1520 landete Gustav Eriksson Wasa bei seiner Rückkehr nach Schweden auf der kleinen Landzunge Sttnsöe vor der Stadt, woselbst ihm Ludwig XVIII. von Frankreich 32. Kap.1 Karlekronll. 505 ein Denkmal errichten ließ,— und hielt sich längere Zeit hier auf, und in den Jahren 1596 bis 98, in den Kriegen König Sigismunds von Polen und Schweden gegen seinen Oheim Herzog Karl und die schwedischen Stände, wurde es hart aber vergeblich von den polnischen Truppen belagert. 1611 eroberte Christian IV. das Schloß. Kalmar war auch der zeitweise Aufenthaltsort Ludwigs XVIII. von Frankreich und des Grafen vonArtois, nachmaligen Karl X., und der königlichen Familie, und von hicr datirten sie den Protest gegen die Thronbesteigung Napoleons. Unmittelbar südwärts von Kalmar wird die Küste flach und eben, bietet jedoch durch die Waldungen und üppigen Felder, die sie umsäumen, wie einzelne Herrensitze und Schlösser am Meere, darunter Varnanäs, wo einst der große Oxenstjcrna seinen Lieblingssih hatte, Abwechslung; auf einer Insel in der Brömsa, nahe dem Meere, liegt das alte berühmte Schloß Brömsebro, wo 1645 der Friede zwischen Schweden und Dänemark unterzeichnet wurde. Der Südspitze Ölands gegenüber, schon zu Blekingcn gehörig, liegt Christianopel. Christian IV. gründete 1608 hier eine Festung, die er, wie der Name „Etyr Kalmar" besagt, zu einer starken Zwingburg für dieses zu machen beabsichtigte, aber schon 1611 eroberte Gustav II. Adolph als Kronprinz den Plaß, hemmte die dänischen Pläne, und 1677 begann das beabsichtigte Werk schon ganz zu verfallen, und ist nie wieder zu militairischer Bedeutung gelangt. Vier Meilen weiter nach Süden bezeichnet Thorshamn-Odde den Wendepunkt der Küste naä, Westen. Ein balbmondförmiger Busen, die Hanöbucht, dessen Endpunkte Thorshamn-Oddc und Cimbiis-hamn sicbenzchn Meilen von einander entfernt liegen, schneidet sieben Meilen tief ins Land. Die Küste ist zwar verhältnißmäßig flach , hat aber in der Gegend von Karlskrona noch immer den echt schwedischen Charakter mit felsigem, schroffem Ufer des Festlandes und mit Schären und kleinen Inseln umgeben, die zuweilen öde und unfruchtbar, oft aber auch bewachsen und mit üppigen Wäldern bestanden sind, und das dahinter liegende Land gegen die andringenden Fluthen gut schützen. Die untere Hälfte des Bogens beginnt aber schon einen ganz anderen Anstrich zu zeigen, der Fels weicht dem Sande und die Schären haben sich in zusammenhängende Dünenketten und einzelne Sandbänke verwandelt, und auch die Fcstlandsküste ist eine flache Sandebene, die jedoch von kleinen Anhöhen und buschigen Hügelreihen, üppigen Auen und blumenbedeckten Anlagen durchschnitten wird. In dem östlichsten Winkel dieser großen Hanöbucht liegt an einer hervorspringenden Landzunge, sowie von einer Kette größerer und kleinerer Inseln geschützt, der wichtige Kriegshafen Kalskrona, Haupt- 506 Karlökrona. lA. Buch. stadt der Provinz und Sitz des Admiralitätscollegiums und der vornehmsten Marinebeamten. Sie liegt auf fünf, mit einander durch Brücken und mit dem Festlandc durch eine Eindämmung verbundenen Inseln, die noch von mehreren zu den Werken herbeigezogenen Schären und Klippen umgeben sind. Der eigentliche, vorzugsweise „Staden" genannte Stadttheil liegt auf der größten Insel Trossöe. Ursprünglich wie alle schwedischen Städte aus Holz erbaut, legte sie im Jahre 1790 eine verheerende Feucrsbrunst in Asche, aus der sie wieder in Stei-. ncn erstand. Die Stadt hat regelmäßige, gerade, breite Straßen, die freilich wegen der felsigen Beschaffenheit des Bodens nicht ganz eben sind. Von der Stadt durch eine Mauer geschieden, bildet die Admiralität ein eigenes Quartier. Sie enthält den Admiralitätsmarkt mit dem Scearscnale, der alten Admiralitätskirchc, ferner ein Marinekrankenhaus, Proviant- und andere Magazine, Ankerschmiedc, Modellkam-mcr mit den Schiffsmodellen von der eigenen Hand des berühmten Chapmann, dessen Fahrzeuge ganz Europa als Muster dienten, Werften, Invenlarienkammcrn für Tauwerk und Segel, kurz alle Baulichkeiten, die ein Kriegshafen erster Klasse und Bauplatz von Orlogs-fahrzeugen erfordert. Bemerkenswerth sind darunter die Docken. Die alte ist nach einem Plane von Karl Sheldon unter Karl XII. angelegt und in den Jahren 1715 bis 1724 für ungeheure Summen errichtet. Sie wurde 80 Fuß tief und 200 Fuß lang in den Felsen gesprengt und gilt noch heut als ein Meisterwerk der Baukunst. Sie steht mit dem Hafen in Verbindung, und ein in den Fels gesprengter Canal und zwei Schleusen, die sich durch denselben Mechanismus öffnen und schließen, führen die größten Linienschiffe in dieselbe, denen sie eine hinreichende Wasserticfc bietet, um darin aufgetakelt und ausgerüstet zu werden. Ein anderer in den Fels gesprengter Canal leert die Docke und führt das Wasser in einen tiefen Brunnen, wo früher Kettenpum« pen dasselbe in zwölf, jetzt aber zwei durch Dampf getriebene Schöpfwerke in sechs Stunden in ein Reservoir leiten, das einen Abfluß ins Meer hat. Im westlichen Theile des Wcrfts befinden sich in der Bucht zwischen Trossöe und Björkeholm eingedämmt die 1775 von Gustav III. begonnenen beiden neuen Docks, zu denen dann noch zwei kamen, die ebenfalls theilweise in den Felsen gehauen und theilweise aus kolossalem Mauerwcrk errichtet sind, und mit einem Kostenaufwand von zwei Millionen Thalern eingerichtet wurden. Auch Gustav IV. Adolph legte 1801 den Grundstein zu einer Docke, die jedoch unvollendet blieb und erst 1846 wieder in Angriff genommen wurde. Ein vom König Oskar errichteter eiserner neuer Mastkrahn hat eine Höhe von 138 Fuß und gehört zu den schönsten und solidesten Arbeiten dieser Art. — Zu der Admiralität rechnet man noch den isolirten Stumpholm, auf dem das 32. Kap.1 Ystadt. 597 sogenannte Stupssjnl, das im unteren Stockwerke alle Barkassen, im oberen die Schaluppen birgt, und außerdem noch die Kronbäckerci und Tonnenbinderwerkstätten belegen sind. Diesen Haupttheilen des ganzen Karlskrona schließen sich noch innerhalb der Befestigungen, die nur seewärts gerichtet sind und die Landseitc ganz offen lassen, die Vorstädte Wämmöe, Panter- und Pottholm an. Der Hafen Karlskrona's ist als Station allcr großen Orlogsschiffe Schwedens der beste des Landes. Er liegt zwischen den Eilanden Has« selöe, Aspöe, Tjurköe und Störköe, ist sicher und kann wohl hundert Linienschiffe gleichzeitig bergen; der Molo, an dem sie liegen, hat eine Länge von 1500 Fuß. Die Inseln im Westen und Osten schützen die Forts Kongshall und der Gothcnlöwe. Von der Tccscite ist der Hafen auf mehreren Seiten zugänglich; das Hauptfahrwasser führt durch den Aspöesund, an der mit dunklen Waldungen besäumten Insel Aspöc und den Küsten von Tjurköc vorüber, und wird durch Untiefen wieder in drei Straßen getheilt: die Kö'nigsticfe, die Wester-und Österfahrt. Die Königstiefe wird durch die Batterien der Forts Kungsholm auf Aspöe und Drottningstär auf Tjurköc bestrichen, und sie allein bietet den großen Schiffen erforderliche Tiefe; die Nebenstraßen sind westlich der Argösund, und östlich der Skällasund, die leicht zu sperren und unfahrbar zu machen sind. Den Kern der Befestigung bildet eine Citadelle mit zwanzig Fuß hohen Granitwällcn und zweihundert Kanonen bestßt. Die Anlage der Stadt und Festung ist das Werk Karl des Elften, der schon im Jahre 1679 hier die Hauptstation der Flotte errichten wollte. Er hatte sogleich sein Augenmerk auf Troffo'e gerichtet, das dazu erforderliche Terrain gehörte aber einem Bauer Vittus Anders-son, der um keinen Preis sich zur Abtretung desselben bequemen wollte, ja sogar dem Könige auf seine wiederholte Anforderung grob antwortete, so daß er des Verbrechens der beleidigten Majestät halber in dic Festung Karlshamn gebracht wurde, wo er bald, um seine Begnadigung herbeizuführen, in den Abschluß des Handels willigte. Der Admiral Graf Hans Wachtmeister betrieb den Bau so lebhaft, daß schon im Jahre 1689 der Hafen dreißig Linienschiffe und zehn Fregatten aufzunehmen vermochte. Auf dem jetzt folgenden Küstenstriche haben wir nur die unbedeutenden Städtchen Karlshamn, Sölvitsborg, Christianstad und Cim-brishamn zu nennen. Von hier aus wendet die Küste dreizehn Meilen weit genau nach Westen, zwei flach ausgeschnittene Buchten bildend, die erstere sieben, die andere fünf Meilen zwischen ihren Endpunkten messend. An jener liegt die Stapclstadt I st a^d t, ein schlecht gebauter, doch als Smtionsort der directen Dampfschisfverbindungcn der schwedisch-deutschen und dänischen CommuiücanonMmen jährlich! zuneh- 508 Die Insel Öland. ls. Buch. mendcrOrt von 5000 Einwohnern. Der alte Hafen war klein und unsicher, eine 670 Fuß lange Mole und künstliche, mit großen Kosten errichtete und mit dem Lande verbundene Wellenbrecher, schufen aber einen neueren sicheren für Fahrzeuge mit 11 bis 12 Fuß Tiefgang. An der kleineren Bucht liegt der unbedeutende Handel und Fischerei treibende Flecken Trälleborg mit einem leidlichen Hafen und etwa 800 Einwohnern. Westlich von ihm springt genau nach Westen zwei Meilen lang, eine Vicrtclmeile breit und von seiner Spitze aus einen Arm nach Norden sendend, der den Busen Höllwik umfaßt, das Vorgebirge Falstcrbo vor mit den Städtchen Skanör und Falst erbo. Auf der äußersten Spitze des Vorgebirges steht der Lcuchtthurm Falsterbor Fyrdie gefährliche Einfahrt in den Sund bezeichnend. Dreiunddreißigstes Kapitel. Oland und Gottland. Blakulla. — Öland. — Borgholm. — Gescl,icl,tliches. — Gottland. — Natur und Volk. — Wisby. — Die alte Wisborg. — Geschichtliches. Auf unserer Rundreise um die Küsten der Ostsee wieder an unseren Ausgangspunkt, den Sund, zurückgekehrt, bleibt uns noch die Beschreibung der zwei in der Ostsee liegenden schwedischen Inseln Öland und Gottland übrig. Die erstere ist das oft besungene, honigreiche romantische Waldparadies des baltischen Meeres. In höchst eigenthümlicher Gestalt zieht sie sich in nordöstlicher Richtung, als östliche Begrenzung des, wie erwähnt, nur anderthalb Meilen breiten Kalmarsundes , beinahe achtzehn Meilen lang und ist in ihrer größten Breite nur anderthalb Meilen breit; im Süden spitzt sie sich ganz zu, und die nördlichen acht Meilen schmälern sich gleichfalls zu nur einer Meile Breite und ihre Osttüste ist ausgezackt. Der nördlichste Punkt gabelt sich in zwei Landzungen aus, und ihm liegt anderthalb Meilen nordwärts im Kalmar-Sundcingange eine bewachsene Klivpengruppc Vla-kulla (blaue Berge) vor, zu der der 300 Fuß hohe, nur mit schwarzem Moose bezogene Fels, die Jungfrau, gehört. Diese von keinem lebenden Wesen bewohnten Klippen sind ein schauerlicher Aufenthalt, den die nordische Mythe zum Sitz der Dämonen erkor und der christliche Aberglaube zur Heimath der Teufel machte. Es ist der schwedische Brocken, wo am grünen Donnerstage alle Hexen und Zauberer dem Satan ihre Aufwartung machen. Die Gegend rund herum steckt voller Klippen und ist sehr gefährlich, besonders da die aufsteigenden Meeres« 33. Kap.) Kroße und Natur. 509 nebcl, welche den gelben Lychcnen des Gesteins in der Entfernung den bläulichen Schimmer leihen, der den Namen „Blakulla" hervorrief, diese lederen meist in einen undurchdringlichen Schleier hüllen. Die Klippen haben übrigens auch für den nicht zum Aberglauben geneigten Besucher viel Schauriges, wenn der Wind sie heulend umtost und mit den Aesten der ihre steilen Abhänge mit knorrigen Wurzeln umfassen» den Birken peitscht, ohne die Gipfel derselben beugen zu können. Auf den niederen Abhängen haben auch Eichen und Buchen Wurzel geschlagen und oft benetzt der Schaum der Wellen ihr Laub. Die Seeleute der Umgegend scheuen sich den Namen Blakulla auszusprechcn und betrachten die Felsen mit heiliger Scheu auch uom fernen Festlandc her; sie wenden stets den Namen „Iungfraunberge" auf die ganzeGruppe an. Die Insel Öland selbst enthält einen Flächeninhalt von achtnnd, zwanzig Quadratmeilen, auf der 40,000 Seelen leben. Ein Bergrücken „Alvar" genannt durchzieht sie, bis zu 140 Fuß sich erhebend, plateauartig ihrer ganzen Länge nach und fällt nach beiden Seiten mit mehr oder weniger steilen Abhängen dem Meere zu; ein sandiger, oua-lerNcrgzug, der jedoch stellenweise sehr niedrig ist und Landborg heißt, umgiebt sie nach Osten, wahrend die gleichfalls sandige Westküste flach ist. Die allgemeine Basis der Insel besteht aus einem Kalklager, welches theils ein schöner röthlicher, sehr harter und politurfähiger Stein mit grünen Adern, anderntheils eine hellgrauere weichere Sorte bildet; hier und dort findet sich aber auch Sandstein, Alaunschicfer, Granit und Porphyrblöckc, einige Arten Krystalle und eine große Menge Muschelschalen und koralligcr Substanzen. Der ganze erhabene Theil ist nur mit einer sehr dünnen Erdschicht bedeckt, steinig, des Anbaus unfähig, und dient blos als Weide für Schafe. Nur wenige Striche, die „Mitlandsdal" heißen, haben besseren Boden und sind bebaut. Aber auf den Abhängen und am Strande erheben sich Wälder, wogen Felder im Winde, lachen Wiesen und zeigen sich Dörfer. Die natürlichen Bewässerungen der an Quellen und Bächen, die von dem Plateau herabriesel», reichen Insel und die Ausdünstungen des Meeres machen diese Strandstrichc einer glänzenden und wcchselreichen Vegetation fähig. Die Eiche, die Buche, der Haselsttauch und selbst die welsche Nuß gedeihen und bilden bald dicht belaubte Gehölze, bald angenehme Büsche, in denen die Nachtigall und Drossel im Juni ihren melodischen Gesang ertönen lassen. Obstbäume fehlen, werden aber durch den Reichthum der Wald- und Feldbceren einigermaßen ersetzt. Die Felder bringen allc Getieidearten hervor, die in dem milderen Klima vierzehn Tage früher als auf dem Fesilande zur Erntereifen, und in dem Strandsande gedeiht die zur Ausfuhr gezogene Karde oder Wcbcrdistel; und die Weiden nähren Rindvieh, das eine einträgliche Milchwirthschaft 510 ' Die Insel Oland. O. Buch. und großartige Butterfabrikation hervorrief, mittelmäßig feine Schafe, deren Wolle fast ganz auf der Insel selbst verarbeitet wird und die Tuchcinfuhr zur Kleidung der Bewohner unnöthig macht, und Pferde, den reichen Handelsartikel Ölands. Die alte bekannte kleine Race, die Ölandskleppcr oder Königspferde, die ibrcr Lebhaftigkeit und Gut-müthigkcit halber allen anderen Ponys vorgezogen wurden, sind jetzt fast ausgestorben und durch Kreuzung mit Holstciner Hengsten in einen mittelgroßen Schlag verwandelt. Wild giebt es in Menge, vorzugsweise Damwild, Rehe, seltener und nur im Norden Schwarzwild; bis 1802 war ganz Öland ein Jagdgebiet der Krone, Die Fischerei liefert Ausfuhrproductc, namentlich Dorsche und Strömlinge. Wäb-rend der nördliche Theil der Insel an Holz Ucberfluß hat, ist der südliche so arm daran, daß man sich des Kuhmists zur Feuerung bedient; die besten Steine werden im Norden gebrochen, namentlich ein hellgrüner, der zu Tischplatten, Zicrtrcppcn, Fliesen und Mörsern und dergleichen mehr verarbeitet wird. Die Bewohner zeichnen sich durch mäßiges, einfaches Leben, trotz allgemeinen Wohlstandes, sowie Abhärtung, muthvollcs, biederes Wesen und große Körperkraft aus. Die einzige Stadt auf der Insel istBorgholm, die erst im Jahre 1317 angelegt ist und noch nicht mehr als 400 Seelen zählt. Sie liegt auf der Westküste, und neben ihr erhebt sich die Ruine eines prächtigen königlichen Schlosses, dessen Ursprung sich in die früheren Zeiten verliert. Eine durch Ruchlosigkeit oder Fahrlässigkeit 1806 entstandene Feucrsbrunst vernichtete es und schuf die schönste Ruine Schwedens. Auf einem senkrecht ins Meer hinabtauchenden Felsen erhob sich das Hauptgebäude, ein Rechteck von imposanten Formen und von vier runden Thürmen flankirt, und ward von niedrigeren Flügeln, Erkern und bald runden, bald eckigen, den Fclsvorsprüngcn folgenden Ausbauten zu einem bedeutenden Umfang gebracht. Wie an die ganze Insel Öland und das Schloß Borgholm, knüpfen sich auch schon an diese Secgcgcnd historische Erinnerungen des Interessanten und Romantischen zur Genüge. In der Gegend des auf der Südspitze der Insel erbauten Leuchtthurmcs, des langen Erichs, haben während der dänisch-schwedischen Kriege eine Menge blutiger Kämpfe stattgefunden. Am 11. September 1563 sah man hier von dem Morgengrauen bis zur Abenddämmerung einen mörderischen Kampf zwischen dem schwedischen Admiral Jakob Bagge mit achtzehn Schissen und der siebenundzwanzig Segel starken und noch durch sechs Lübecker Fahrzeuge verstärkten dänischen Flotte unter Admiral Skram wüthen, ohne daß er einen entschiedenen Ausgang hatte. Am 30. Mai 1564 traf Vagge mit seinem unter Erich XIV. erbauten herrlichen Flaggenschiffe „Makalös" (der Unvergleichliche) von 173 Kanonen, darunter 33. Kap.1 Geschichte. giz 125 metallene, wieder mit der dänisch-lübeckischen Flotte zusammen und focht abermals einen Tag mit unentschiedenem Ausgange, sah aber bei dcm am folgenden Morgen erneuerten Gefecht den Makalös Feuer fangen, und sich gezwungen seine Flagge zu streichen. Die Lübecker besetzten sogleich das schöne Schiff, aber nur um, 300 an der Zahl, mit der ganzen übrig gebliebenen schwedischen Besatzung von 800 Mann in die Luft zu stiegen.— Noch unglücklicher endete am i.Iuni 1767 hier eine Seeschlacht für die Schweden. Admiral Crcutz führte ihre Flotte gegen Wind und Wetter heran, und gerieth in Unordnung, die durch ein zu unrechter Zeit im heftigsten Sturm und dicht am Lande ertheiltes Signal zum Wenden entstand und die traurigsten Folgen herbeiführte. Sein eigenes Schiff „Stora Kronan" von 130 Kanonen führte das Manöver aus, kenterte durch die Wucht des Segeldrucks und ge, riech, auf der Seite liegend, in Brand und sprang, mit 800 Mann am Bord, in die Luft. Commodore Uggla, auf dem Schiff „Svärdet" übernahm den Befel,l und wurde vom Admiral Tromp mit der Uebermacht hart bedrängt. Sein Schiff verlor alle Masten und es hing sich ein Brander an seine Seite, dennoch verweigerte Uggla die Ucbergabe mit den Worten: „Wer sah je eine Eule (Uggla) am hellen Tage gefangen werden?" Als das Schiff ganz in Flammen stand, warf sich Uggla, als Letzter an Bord, der Mannschaft nach ins Mecr, und versank mit seiner am Mäste ungestrichen verbrennenden Flagge. Auch die Insel selbst, so uralter schwedischer Besitz sie auch war, gerietb mehrmals in Feindes Hände. Als Grafschaft war sie schon im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts Sitz des Herzogs Waldemar, und nachdem er nebst seinem Bruder Erich 1318 durch Hinterlist des Königs Birger gefangen und in Nyköping eingekerkert war, wurde seine Wittwe, Herzogin Ingeborg, Herrin der ganzen Insel, und schuf ihren Unterthanen ein goldenes Zeitalter. — In späterer Zeit wurde das Eiland auf zehn Jahre an Lübeck verpfändet; und zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts suchte der dänische Feldherr Sören Nordby hier vergeblich einen modernen Wikingerstaat zu gründen. Nährend des schwedischen Bauernkrieges bemächtigte sich Niels Dale der ganzen Insel und des Schlosses, und herrschte tyrannisch auf derselben. Gustav I. Nasa wurde ihr erst wieder ein milder Herr, und Karl IX. ertheilte ihr einen Beweis seiner väterlichen Liebe in einer sclbstverfaßtcn Belehrung über den Nattenfang und die Anfertigung brauchbarer Rattenfallen. Auch rcsidirtc im sechszehnten Jahrhundert noch der fast blödsinnige Herzog Magnus auf Borgholm, und Johann III. ließ es vielfach ausschmücken.— Im Jahre 1611 war Borgholm Zeuge einer der ersten Wassenthaten Gustav II. Adolphs, der hier, an der Spitze von 600 Schweden, 800 Dänen niederhieb und 100 gefangen nahm. Obschon 512 Die Insel Gvttland. ^. Auch. die Dänen im folgenden Jahre über das Eis nach Öland gingen und es, trotz des tapfersten Widerstandes der Schweden unter Hammarstjold, wieder eroberten, so fiel es doch endlich im Frieden zu Knäröd 16l3 Schweden wiederum und zwar auf immer zu, denn der Versuch der vereinigten Dänen und Holländer, die Insel 167? wieder zu erobern, endigte nur mit einer kurzen Plünderung, da sie von den Schweden sofort vertrieben wurden. Während der Negierung Christinens war Karl Gustav von der Pfalz-Zwcibrücken, ihr erkorener Nachfolger, mit Öland belehnt. Er verlebte hier in Gesellschaft seines treuen Freundes und Kriegslehrers, Oberst Würtz, ein idyllisches Leben, fern von dem Abgrunde der Intriguen und sich bekämpfenden Leidenschaften an dem Hofe der zwar liebenswürdigen aber launischen Königin. Er ließ Borgholm herstellen und erweitern, legte Ottcnby an und zog eine zehn Fuß hohe Mauer quer über die ganze Insel und hielt sich so klug von jeder Einmischung in Regierungsangelegcnheiten zurück, daß man ihn nur ländlichen Beschäftigungen zugcihan wähnte und ganz Schweden erstaunte, ihn vom Augenblick der Ergreifung des Scepters in einen so kriegsmuthigen König verwandelt zu scben. Schon auf Öland hatte cr mit seinem Feldobersten Würtz die Pläne geschmiedet, die Polen unterjochten, ihn über das Eis der Velte führten und Dänemark einen großen Theil seines Besitzes raubten. Hätte nicht der Tod seiner Regierung schon nach fünf Jahren ein Ziel gesetzt, wer weiß, ob er nicht die politische Lage des europäischen Nordens verwandelt hätte'. Etwa sieben Meilen östlich von Öland, höchstens zehn von der schwedischen Festlandsküste entfernt, liegt ungefähr in der Mitte der Ostsee, nicht ganz zwanzig Meilen Breite zwischen sich und der kuri-schen Küste lassend und umgeben von einem zwanzig Klafter tiefen Meere die Insel Gottland (Gothland, Gutland), das „Auge der Ostsee" genannt. Sie dehnt sich in einer im groben Umriß eiförmigen Gestalt in nordöstlicher Richtung aus, mißt in dieser Länge sechszebn Meilen und in der westöstlichen Breite fünf Meilen ; nach Süden sendet sie eine drei Meilen lange, eine Meile breite, in einem Vorgebirge endende Landzunge, im Westen hat sie mehrere kleinere Föhrdcn und Ausschnitte, deren bedeutendster der kleine Busen Vursvik ist, mit schwach bewaldeter Küste, die von der Näsodde geschützt wird, im Nordosten eine größere halbmondförmige Bucht, deren Endpunkte sechs Meilen von einander entfernt liegen und die zwei Meilen weit ins Land schneidet. Vor der Nordostspitze dehnt sich, nur durch einen schmalen Sund getrennt, die Insel Faroe in Form eines Rechtecks von vier Meilen Länge von Südwtst nach Nordost und zwei Meilen Breite von Südost nach Nordwest aus, auf ihrer Nordostspitze Holmodde ein Leuchtfeuer tragend. Vor der Westküste des südlichen Gottlands liegen 33. Kap.) Größe und Bodencharakter. 5,3 die Karls - Inseln, zwei Eilande, die aus unförmlichen, eingestürzten Mauern ähnelnden Massen von Kalksteinen bestehen, auf denen kaum hier und dort ein einzelner Baum gedeiht. An ihnen erlitt Erich XIII. 1433 einen gefährlichen Schiffbruch. Die größte derselben hat eine ziemlich hohe Lage und enthält eine weite und tiefe Höhle, die Diebshöhle genannt, in der über hundert Menschen Raum haben sollen. Nördlicher als sie, Wisby gegenüber, findet sich das Eiland Ubiholm. Von der Nordküste Faroe's weitere sieben Meilen nach Norden liegt von Sandbänken umgeben eine anderthalb Meilen breite und eine Meile lange unbewohnte aber bewaldete Insel Sandöe oder GottskaSandöe, und in ihrer Nähe nach Osten, Südosten und Nordwesten gerichtet die gefährlichen Klippen „Kopparstenarne", die aus nur zwei bis elf Fuß unter dem Wasserspiegel befindlichen hellen Kalkfelsen bestehen, welche man bei klarem Wetter deutlich heraufschimmern sieht, die aber bei stürmischer Witterung eine gefährliche Brandung verursachen. Vor der Ostküste Gottlands selbst liegen die Eilande Eneholm, Östergarnsholm, Furilcn, Kullei, Klafen und andere, die nur als Viehweiden benutzt werden. Alle diese Inseln bilden eine eigene Provinz Schwedens von siebcnundfünfzig Quadratmcilen, wovon fünfzig auf die Hauptinsel kommen, und die von 45,000 Seelen bewohnt ist. Die Insel Gottland selbst stellt sich als ein großes Plateau dar, dessen Höhe durchgängig 80, aber auch 150 und zuweilen 200 Fuß den Meeresspiegel überragt. Hier und dort senkt sich das Hochland in einem sanften Abhang gegen das Gestade hin, an andern Stellen ist es steil und schroff abgeschnitten und gleicht einer zusammenhängenden, durch menschliche Kunst hergestellten Mauer. Im Osten ragt der Thorsbcrg, im Süden das Vorgebirge Hobcrg unter den Bergen hervor. Jenes ist ein nackter, 150 Fuß die Ostküste dominirender Fels, scharfund steil abgeschnitten, auf dessen Gipfel sich eine 4000 Fuß lange und ebenso breite Ebene ausdehnt, auf der sich stets stehendes Wasser angesammelt findet. Der Hobcrg im Süden erreicht nur 140 Fuß Höhe, duldet wie iener auf seinem nackten Stein keine Spur von Vegeta^ tion und enthält in seinen steilen Wänden eine Menge Vertiefungen und Höhlen, deren eine sich mit einem vom größten Fleiße und Genauigkeit ausgeführten Menschenwcrkc vergleichen läßt und der Volksphantasie viel Nahrung gab, so daß sie im Munde der Inselbewohner das „Schlafgemach des Alten vom Hobergc" heißt. Die Grundlage der Insel besteht aus Schichten von Kalk und Sandstein, welcher letztere nur auf der Südspitze zu Tage aussteht. Aber das mächtige Kalklager ist der Zusammensetzung seiner Substanzen nach sehr verschieden; der Hauptbestandtheil ist wirklicher Kalkstein, aber auch Marmor, selbst bunter, wie die echte Breccia, Kalkspath und petre- Die Ostsee. 33 514 Die Insel Oottland. ft. Buch. factenreicher Muschelkalk, in Lagern vertheilt, denen sich oft Roggen, stein (Oolith) mischt, sind nicht selten. An anderen Stellen finden sich ganze Massen von Encriniten- und Trilobitenfragmcnten so gehäuft, daß es scheint, als seien diese fossilen Reste erloschener Geschlechter der Meercsbewohner hier in Mausoleen vergangener Zeiten gesammelt. Der erwähnte Sandstein ist hart, enthält Glimmer, hat eine kalkige und thonige Verbindung und nimmt eine schöne Politur an, weshalb er gern zu architektonischen Zwecken benutzt wird. Die Küste hat das Meer mit ganzen Riffen koralliger Substanzen umgeben, die sich besonders in der Gegend von Kapclshamn immer mehr ansetzen und wenig zerrissen sind. Die Mehrzahl derselben gehört zu der Gattung der Madreporen. Man findet hier und dort auch Räderstein (Entroqucn), Bohrmuscheln und Schnecken (Anomicn und Mytilcn) im Zustande höherer oder geringerer Versteinerung, ferner Karneolen, Achate und Gra-nitfragmcnte, die wie durch Zufall unter die anderen Vcstandtheilc verloren erscheinen. Die oberen Schichten, welche das productive Erdreich bilden, sind verschieden im Norden und Süden, die ersteren sind hart, compact und bedecken sich nur mit harzigen Bäumen; die anderen bestehen aus Sand, Thon und Düngcrerde und bringen verschiedene Arten von Bäumen und Pflanzen hervor. Die Waldungen haben noch Reichthum an Holz, namentlich Eiche und Fichte, deren Wuchs der leichte Kalkboden vorzugsweise dort, wo ihn die Menge der Bäche hinreichend bewässert, besonders günstig ist, und deren Holz seiner Dichtigkeit und Festigkeit halber sehr geschätzt wird. Das Klima Gottlands ist ein durchaus gemäßigtes, und der Kältegrad erreicht nie eine solche Höhe, wie in den unter gleicher Breite liegenden Provinzen des Festlandes; das Obst, obschon es wenig gebaut wird, gedeiht, und die Wallnuß und die Maulbeere reifen ihre Früchte; man gewinnt Getreide aller Arten, baut Hülscnfrüchte, viel Kartoffeln und betreibt allgemein den Gartenbau, sodaß ganze Schiffsladungen von Gemüsen, besonders Rüben, nach Stockholm gehen. Die Viehzucht ist ein Haupterwerb, vorzugsweise hält man große Hecrden von Schafen, die zu zweierlei Racen gehören, deren Widder vier und sechs Hörner tragen, und die man mit aus Spanien eingeführten Merinos zur Verbesserung der Wolle kreuzte. Das Rindvieh wird fett, giebt aber schlechte Vutter und Käse, Ziegen sind über die ganze Insel im verwilderten Zustande verbreitet, und auch verwilderte Pferde gesellen sich zu dem Wild der Wälder. Die Fischerei liefert Dorsche, Strömlinge und Flundern, und auf den kleinen, die große Insel umgebenden Eilanden macht man hausig Jagd auf Robben und Eidergänse. 33. Kap.) Producte, Klima, Bevölkerung, Häfen. Zig Die Gottländcr unterscheiden sich in Charakter und Sitte wenig von den Schweden des Festlandes, deren Sprache sie auch, wenngleich mit Abweichungen im Accent, in den Endsylben und den provinziellen Ausdrücken, reden. Da sie mit den Deutschen lange in Berührung und engen Verbindungen gestanden haben, sind viele Gebräuche derselben in ihre Lebensweise übergegangen. Ihre Verfassung und selbst ihre Landesbewchrung weicht von der des übrigen Schwedens ab. Sie stellt nur ein schwaches Landcontingent, 3500 Mann, aber eine große Zahl guter Matrosen zur Flotte. Es giebt keinen Adel und keine großen Gutsbesitzer auf der Insel, alles Eigenthum ist unter den Landleuten vertheilt, und sie leben fast durchweg in gleichem Wohlstande, sich fast Alles, was sie brauchen, selbst verfertigend, und sogar ihre zierlichen und fast überall von Stein aufgeführten Häuser allein erbauend. Die Lage Gottlands ist für Schweden von höchster strategischer Wichtigkeit, und unbegreiflich würde es bleiben, wenn nicht der Mangel an Geld und Leuten eine naheliegende Erklärung wäre, daß die Regierung diesen Außenposten, der nicht mit Unrecht ein „Vorlegeschloß des finnischen und bottnischen Golfs" genannt wird, nicht auch durch alle Mittel der neuern Kriegskunst verstärkte und haltbar machte. Weitsehende Vorsicht Karl X. Gustavs hatte anch Gottland zu einem Stützpunkt seiner kühnen Pläne gemacht, und er legte aus diesem Grunde an der waldigen, sanft sich abdachenden Ostküstc auf dem Eilande Eneholm die Festung Karlssvärd an, die ein Hauptstationsort für die Flotte Schwedens werden sollte. Des Hcldenkönigs früher Tod ließ von dem umfassenden Plane nichts weiter zur Ausführung gelangen, als diese Citadelle, und eine den sicheren, tiefen und geräumigen Hafen Slitöhamn, der unbedingt einer der besten der ganzen Ostsee ist, deckende Redoute mit fünf Bastionen, die den Namen Karlsbelte (Karlsgürtel) führt. Wie Slitöhamn im Nordosten, hat auch Kapellnhamn im Nordwesten einen tiefen und geräumigen Hafen, und im Süden der Insel liegt Klintehamn, ein gleichfalls brauchbarer und im Mittelalter befestigt gewesener Hafen, der den Wisby's auf der Westküste bedeutend übertrifft, da er beträchtliche Tiefe und Raum für eine große Anzahl Schiffe hat. Der Wisbyer Hafen i.st für zwanzig bis fünfundzwanzig Schiffe von sechs bis neun Fuß Tiefgang geeignet, von einem festen Steindamm geschützt, und durch einen nach Südwesten geöffneten Eingang von 114 Fus; Breite mit einer halbkreisförmigen Rhede von achtzehn bis fünfundzwanzig Faden Wasser verbunden. Wisby, am Fuße einer Anhöhe, sich über einen gewaltigen Raum ausbreitend, dem seine geringe Einwohnerzahl von 4600 Seelen bei Weitem nicht entspricht, gewährt in der Nähe der fast senkrechten Wände der Staf-Klint und der Hög-Klint mit ihrer abgebrochenen 33* 516 Moby. l«. Vuch. Spitze und dem höhlenreichen Lilja Berge mit seinen sich in dem Meere spiegelnden Mauern schon von Weitem einen interessanten Anblick. Das Innere der Stadt steht einzig im Norden Europa's da, und der Eindruck derselben ist von schwedischen Schriftstellern, mit der Uebertreibung der Vaterlandsliebe dem von Rom u»d Athen verglichen, gewährt aber jedenfalls in seiner Ruinenmasse ein überraschendes Schauspiel, das man eher in dem Oriente als mitten im baltischen Meere vermuthen darf. Die köstlichsten Marmorsäulen, prächtige Facade» der Mit Sculpture,, und reichen Holzschnitzeleien bedeckten Giebel, vergoldete Pfeiler, eiserne Thore und Gitter der reichen Kirchen und des einst so festen Thurmes „Blackcngra", das berühmte Außcnwcrk des festen Schlosses Wisborg, das mit Ehren so manchem Sturme widerstand, verschwanden fast gänzlich, da der van« dalische Eigennuß das, was die äußeren Feinde übrig gelassen, zerstörte und zu Neubauten verbrauchte, oder in Kalköfen schleppte. Doch er« heben sich noch fünfunddrcißig Thürme. Kuppeln oder hervorragende Gebäude in malerischen Ruinen. Die alten in mittelalterlicher Weise nach Laune und Bedürfniß angelegten Straßen schneiden und durch« kreuzen einander in allen Richtungen. Die Häuser sind im bunten Gemisch, alte hohe düstre Giebelhäuser deutschen Styls und kleine armselige Hütten, mitten unter wunderbar schönen, großartigen Ruinen, Gemüsegärten, Korn- und Kartoffelfeldern. Eine alte Mauer umfaßt die ganze Stadt, welche Innenthore, Gewölbe, runde und achteckige Märkte und Plätze in Menge, wenn auch keinen einzigen wirklich großen, besitzt; sie ist noch nirgends zerstört und größtentheils gegen dreißig Fuß hoch. Auch von den fünfundvierzig Thürmen, die sich auf ihr erheben, sind die meisten noch unversehrt, einige neu überdacht, alsMa« gazine, Gefängnisse, Waarenhäuscr und Werkstätten benutzt. Ein Graben liegt ihr nicht vor, da sie auf dem nackten, kaum mit Erde bedeckten Fels errichtet ist, und ihm in allen seinen Unebenheiten, aus der See auf der einen Seite aufsteigend und die alte Stadt umfassend, auf der andern Seite sich wieder in dieselbe senkend, folgt. Es sind drei Thore in der Mauer, die noch durch eine innen an dieselbe angebaute zwette Mauer verstärkt gewesen zu sein scheint. An der Nordseite der Stadt finden sich gleichfalls noch die Trümmer einer zweiten äußeren Mauer. D,e,e Befestigung wurde schon im Jahre 1288, also ohne Rucksicht auf die Feuerwaffen, angelegt. Achtzehn Kirchenruinen, meist aus dem elften und zwölften Jahrhundert, bieten zu den schönsten Studien der kirchlichen Baukunst Gelegenheit. Die bedcutendsteKirche war die St.Nllolai, 109? im rcingothischcn Style vollendet und mit einem hohen luftigen, jetzt in Trümmern liegenden Thurme geschmückt, den zwei berühmte hochrothe Edelsteine zierten, die der Sage zufolge „des 33. Kap.j Wlöby. 517 Nachts so hell wie die Sonne bei Tage glänzten und den Schiffern als Leuchtfeuer dienten." Die Zeit der Gründung Wisby's verliert sich ins graue Alterthum, aber alle von den Alterthümlern auf Gottland gefundenen Runensteine weisen doch immer nur mit Sicherheit auf das erste christliche Jahrhundert des skandinavischen Nordens zurück, in dem die Insel aber unbedingt schon innige Beziehungen zum schwedischen Festlande hatte, weshalb einige Gelehrte eine gothische Urbevölkerung hierher verlegen und sie zur Wiege des Gothenthums machen, woher sie auch den Namen „Gothland" schreiben. Bereits um das Jahr 936 predigte auf der Nordhälfte Gottlands der Mönch Unna das Christenthum und erbaute die Allcrheiligenkirche, um die sich allmälig die Häuser der Bekehrten schaarten. Die neue Stadt erhielt den Namen Wisby, weil man diese erste Kirche auf der alten heidnischen Opferstätte errichtet hatte (Wi ist Opfcrplatz — Vy ist Stadt, daher Wisby, heilige Stadt). Schnell wuchs die Stadt durch ihre günstige Lage, und vom Jahre 1032 bis 1249 erhoben sich aus Privatmitteln in ihr sechszchn Kirchen von behauenen Steinen mit Portalen und Säulen von ge-schliffenem Marmor. Als eine Uebcrschwcmmung Vineta auf Uscdom zerstörte, zogen sich ihre flüchtigen Bewohner nach Wisby und machten dies zu einem frühen Sitz des Handels; namentlich wurde es der Sta» pclplatz des nordischen und russischen Handels und der durch Karawanen aus Asien nach Nowgorod gebrachten Waaren, die hier von den Käufern des Südens und Westens abgeholl wurden. Nach Olaus Magnus hatte schon im dreizehnten Jahrhundert die 12,000 Einwohner zählende Stadt ihre Fremdenvicrtel, und Norweger, Schweden, Russen, Dänen, Preußen, Angeln, Schotten, Flandrer, Gallier, Finnen, Wenden, Sachsen, Lieven, Spanier und Griechen bewohnten jede ihre eigene Straße, hatten ihr eignes Versammlungshaus und ihre Kirchen. Aus dem Jahre 129? ezistirt eine Sammlung von Localvorschriften über das Ladcn und Bergen der Waaren im Hafen von Wisby, und ein von der Stadtbehörde verfaßtes „hohes Seegesetz von Wisby", das aus sechszehn Artikeln bestand und 1505 in Kopenhagen gedruckt war, machte sich als herrschendes Recht im baltischen Meere geltend. So schnell wuchs die Stadt, daß sie binnen Kurzem der mächtigste Ort des Hansabundes war; doch ebenso schnell wie Wisby sich empor geschwun. gen hatte, sank es auch wieder von seiner Höhe herab, theils durch Krieg, theils durch andere Unglücksfälle, wie eine Pest, die in einem Sommer 8000 ihrer Einwohner hinraffte. Den ersten empfindlichen Schlag gegen ihre Blüthe führte im Jahre 1361 der Dänenkönig Wal« demar III. Attertag. Er landete bei Klintchamn, eroberte binnen drei Tagen ganz Gottland, erstürmte die Stadt, wobei 1800 Bürger 518 WcchselvoNe Schicksale 1^8. Buch. fielen, plünderte und zerstörte sie, raubte die Edelsteine des Samt Nikolausthurmcs imd ließ die erbeuteten Reichthümer auf ein Schiff bringen, welches mit allen seinen Schätzen im Westen der Rhede von Wisby an dem Eilande Ubiholm scheiterte und von den Wellen verschlungen wurde. Bis zum Jahre 1312 hatte Gottland seine eigenen Herrscher, und kein schwedischer König hatte trotz der Beziehungen zu diesem Lande ein Besitzthum auf der Insel. König Birgcr war der Erste, dem es gelang, ein solches, eine Baustelle am Markte zu Wisby, käuflich an sich zu bringen, auf welcher er das sogenannte Kalbfellhaus, das späterhin in eine Börse umgewandelt wurde, aufführen ließ. Als Birger jedoch einige Jahre später, um den Stolz der Insulaner zu demüthigen, mit einem Heere in Slitöhamn landete, ward er gefangen und nach Wisby abgeführt, wo er in allen Einzelheiten die Privilegien der Insel feierlich bestätigen mußte. Waldemarlll. Attertag brachte, wie erwähnt, ganz Gottland 1301 auf kurze Zeit unter dänischen Scepter, und 1363, wo Wisby schon zu sinken begann, mußte es dem Herzog Albrecht von Mecklenburg als seinem Könige huldigen. Im Jahre 1390 landeten die Vitalicnbrü« der auf der Insel und bemächtigten sich, da sie hier einen sichern Haltpnnkt und Schlupfwinkel fanden, 1392 Wisby's und allmälig der ganzen Insel. Ihre Räubereien riefen die Rache aller baltischen Küstenbewohner wach, und selbst ihre ehemaligen Beschützer, die Herzöge Johann II. und Erich von Mecklenburg, mußten in einen Kampf gegen dieselben willigen und nahmen in den Jahren 1393 und 97 an der Wiedereroberung Theil. Nach des letzteren Tode verpfändete sein Vater, der vertriebene König Albrecht von Schweden, seinen Antheil an Gottland für 20,000 englische Rosenobel an den deutschen Orden in Preußen. Dieser eroberte nun 1393 unter dem Hochmeister Konrad von Iungingcn die ganze Insel. Der Scharfblick der großen Marga-retha, die inzwischen in den Besitz der nordischen Reiche gekommen war, verkannte die ihrer Macht erwachsende Gefahr durch dic Festsetzung eines so mächtigen Staates in ihrer nächsten Nachbarschaft keineswegs, und rcclamirtc das Pfand, das nach langen Unterhandlungen 1408 für !)000 Rosenobel, die durch eine außerordentliche schwedische Steuer aufgebracht wurden, zurückerstattet wurde. Sie sendete ihren Neffen und unwürdigen Nachfolger, Erich von Pommern, nach Gottland, dem von den Insulanern feierlichst gehuldigt wurde, und der im Südwesten von Wisby im Jahre 1410 seine Residenz erbauen ließ. Nach seiner Absetzung durch die schwedischen Stände fand Erich, seiner drei Kronen beraubt, in diesem Schlosse eine letzte Zufluchtsstätte, wo er sich mit Seeräubern verband und zehn Jahre ein kümmerliches Räuberleben 33. Kap.1 der Insel Gottland. Z19 fristete, von welchem ihn Christoph von Bahcrn, sein Nachfolger in den drei Reichen, vergeblich durch eine persönliche Zusammenkunft zurückzubringen versuchte, bis er vor den ernsten Maßregeln Karls VIII., der nach Christophs Tode sich wider Willen der Dänen der Herrschaft in Schweden bemächtigt, nach Pommern fliehen mußte, wo er arm und verachtet im Kloster zu Nügenwalde verstarb. Obschon alter schwedischer Besitz, erklärte nach der Auflösung der kalmarischen Union Dänemark Gottland für sein Eigenthum, und Sten Sture dcrAcltcre bemühte sich vergeblich sich desselben zu bemächtigen. Christian I. von Dänemark behauptete die Insel namentlich durch den Verrath des schwedischen Feldherrn Green, und auch unter Christian II. verblieb sie bei Däne» mark. Gustav I. Wasa, der der Union faktisch den Todesstoß gab und alles einst schwedische Gebiet seinem Scepter wieder zu unterwerfen suchte, sandte 1524 seinen Feldherrn Bereut von Mclen und ein Jahr später, 1525, eine schwedisch - lübeckische Flotte zurErobcrung der Insel aus. Auf Gottland commandirtc der Däne Sören Nordby, ein muthiger und unternehmender Mann, der eine selbständige Rolle im Norden zu spielen gedachte. Er erklärte die Insel in seinem Besitz für unabhängig, gewann Mclcn für sich, und die Flotte zog unverrichteter Sache von Goltland ab. Trotz der Anerbietungen, die Sören Nordby ihm machte, fürchtete Gustav I. Wasa seine Nachbarschaft und rüstete wiederholt gegen ihn, woranf Nordby dem inzwischen in Dänemark zur Regierung gelangten König Friedrich Gottland wieder übergab. Die Kämpfe um den Besitz der schönen Insel währten nun zwischen beiden Mächten fort, und am 21. August 1503 schlug der dänische Admiral Peder Skram die schwedische Flotte an ihren Küsten, aber diese 1566 eine vereinigte dänisch-lübeckische, deren zwölf mit Noth der Schlacht entkommene Fahrzeuge wenige Tage darauf vor Wisby strandeten. In den faktischen Besitz Schwedens trat Gottland erst durch den vom großen Oxenstjerna in Folge der Siege Torstcnsons dictirten Frieden vonBrö'm-sebro am 23. August 1645, und der im Jahre 1675 gemachte Versuch der Dänen, sich Gottlands wiederum zu bemächtigen, führte nur zu der Zerstörung der Festungswerke von Wisborg, ohne ihnen die Insel län« ger als bis 1679 in zweifelhaften Besitz zu verschaffen. In dem Kriege mit Schweden landeten 1720 die Russen auf Gott» land, wurden aber von der tapferen Landeswchr unter Philander wieder vertrieben; und am 22. April 1802 zum zweiten Male zu einem Angriffe landend, sahen sie sich am 14. März auf derselben so bedrängt und gefährdet, daß sie mit dem Contrc- Admiral Cederström cavitulir« ten und abzogen. Im Jahre 1807, unter der Herrschaft Gustav IV. Adolphs, war, Gottland auf dem Punkte wiederum eine eigne Stellung zu erlangen. 520 Mottlaud. l«- Vuch. Paul I. von Nußland war bekanntlich nach der Entkleidung des Baron von Hompesch von dieser Würde Großmeister des Sanct Iohanniter-ordens geworden. Während seines Aufenthaltes in Petersburg war der König von Schweden unter die Zahl der Malteser-Ritter aufgenommen und unterhielt von diesem Augenblicke ab enge freundschaftliche Beziehungen zu diesem Orden. Nach dem Tode Pauls beschränkte sich Kaiser Alexander darauf, den Titel Protector des Ordens anzunehmen, und nun faßte Gustav IV. Adolph das Project, die Ritter in das baltische Meer zu versetzen, ihnen Gottland als Lehn mit eigener Souvc-rainität des Ordens zu übergeben und dagegen die Verpflichtung aufzuerlegen, schwedische Fahrzeuge in das Mittelmeer zu geleiten und gegen die Barbarcsken zu vertheidigen. Die in Stockholm und Sicilicn, wo die Ordensvorstände residirtcn, gepflogenen Unterhandlungen gc-riethen durch Gegenstände von größerer Wichtigkeit, die Gustav IV. Adolph ins Auge faßte, ins Stocken, und beinr Ausbruch des rufsich. schwedischen Krieges, dem am 13. Mai die schmachvolle Palastrevolution folgte, die dem unglücklichen Könige das Scepter kostete, gingen die Hoffnungen des Ordens ganz zu Grabe, und Gottland blieb bisher im ungestörten Besitze Schwedens. Nics'sche Buchdiuckcici (2 >> r l N, ?orck> in Lechzig. Besonders empfehlenslverthe Werke theils für die Jugend, — theils für Erwachsene. Verlag nun G. Senf's Buchhandlung in Tiipsig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. Ländergeschichte. »>-. A. Geitzler's Weltgeschichte der alten - mittleren — neueren — und neuesten Zeit. In biographischer Form. 3 Bände. Neue elegante Ausgabe. 1865. 2 Thaler. Dasselbe Wert in 3 elegante Halbfrzbände gebunden 2 Thlr. 2l) Ngr. Geschichte von Belgien. Von H e n d r i k C o n s c i e n c e. Mit Stahlstich: Leopold I. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Dänemarks bis aus die neueste Zeit. Von F. A. Allen. Mit dem Portrait Christian's IV. nach K. V. Mandern. Neue sehr elegante Ausgabe. 1860. 1 Thaler. Geschichte Norwegens. Von Andreas Faye. Mit dem Portrait Peter Tordenskioldh nach Dcnncr. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thlr. Geschichte Frankreichs. Von E. de Äonnechose. Mit dem Portrait Richelieu's nach Phil. Champagne. Reue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler^ Geschichte Spaniens. Von Ascargorta. Mit dem Portrait Philipp's II. nach van der Wcrff. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Geschichte des russischen Neichs von I. H. Schnitzler. Deutsch von Dr. Ed. Vurckhardt. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte des osmanischen Reiches von Poujoulat Mit dem Portrait Abdul Mrdschid's nach Dussault. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte der nordamerikanischen Freistaaten. Von E. Milliards. Mit dem Portrmt Washington's nach Longhi. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte von Indien von Th. Keightley. Ueberseht und bis auf die neueste Zeit fortgeführt von I. Seybt. Neue sehr elegante Ausgabe in 2 Bänden. 1866. Preis 1 Thlr. 10 Ngr. Geschichte einzelner Abschnitte. Der Hansabund. Von Dr. Gustav Gallois. Mit dem Portrait Jürgen Wullenweber's von Mllde. Neue sehr elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Geschichte der engl. Nevolution bis zum Tode Karl's I. Von Franz Guizot. Mit dem Portrait Karl's I. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Nich. Cromwell's und der Wiederherstellung des Köniatuums in England. Von Franz Guizot Mit dem Portrait des Generals Monk. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Geschichte Oliver Cromwell's und der englischen Nevublik. Von Franz Guizot. Mit dem Portrait Cromwell's. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. 2 Geschichte einzelner Abschnitte. Geschichte der französischen Revolution. 1789 — 1813. Von F. A. Mia net. Mit dem Portrait Mirabeau's nach Raffet. Neue schr elegante Ausgabe. 18<»5. 1 Thaler. Geschichte der Februar-Nevolution. Von A. de Lamartine. Mit dcm Portrait Lamartine's. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte Italiens. Aus dcm Englischen res R. H. Wrightson. Mit dem Portrait Pius ix. 1865. 1 Thaler. Aus dem Feldlager in der Krim. Priese des Tlmescorrespon- dcntcn W. Russell. Deutsch bearbeitet von Iul. Seybt. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte der Kalifen. Vom Tode Mohamed's bis zum Einfall in Spanien. Von Washington Irving. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Garibaldi's Feldzug in beiden Sieilien. Bericht eines Auaen- zeugen. Von Cap. ssorbcs. Deutsch von I. Seybt. Neue elegante Ausgabe. 1865. V« Thaler. Das Türkische Neich in historisch-statistischen Schilderungen von Molbech. Chcsncy und Michclsen. 1865. 1 Thaler. Biographie. Attila und seine Nachfolger. Von Amede'e Thierry. Deutsch von l)i-. Ed. Vurcthardt. Ncue schr elegante Ausgabe in 2 Bänden. 1866. 1 Thaler 10 Ngr. Geschichte Karl's dcs Großen. Von Ioh.ssr. Schröder. Mit dcm Portrait Karl's dcs Großen nach Albrecht Dürer. Neue scbr clcgante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. ^ '"" Geschichte Kaiser Maximilian's I. Von Karl Haltaus. Mit dem Portrait Maxmulmn's nach Albrecht Dürer. Neue eleaante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. " Ioyanu Hutz und das Eoncil zu Eostnitz. Von G. de Vonne-chose. Mit dcm Portrait Johann Huß'. Neue elegante Ausgabe i86.'). l, Thaler. ' Geschichte dcs Kaisers Karl V. Von Ludwig Storch. Mit dcm Pmtrait Karl's nach TiMn. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thäler. Geschichte Kaiser Ioscpb's II. Von A. Gro^-Hoffingcr. Mit dcln Portrait Ioicph's. Neuc lehr elegante Ausgabe. 1865 1 Thlr Er,l,erzog Karl von Oesterreich. Von A. Grofz-Hoffinaer' Mit dein Portrait dcs Erzherzogs Karl. Neue elegante Ausgabe.' Geschichte Karl des Zwölften. Von Andr. Fryrell Mit dem Povtmit Karl's. Ncuc schr clcgante Ausgab? 1865 1 Thalc? Geschichte Gustav Adolph's. Von Andr. Fryrell Mit dem NVc.^!' ?TlN."^ ^"on van öyk^ Neue ellgante Geschichte des Herzogs von Marlborough und des svaniscnen Geschichte der Königin Maria Stuart. Von ss A Mia net NH" N'"i UK" "^ ^5"", «°F sehr- ttZam'e Nelson und die Seekriege von »?N3-l8l3. Von ^. de la Graviöre. Mit dem Portrait Nelson's nach Abbott. Neue sebr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. '" Biographie. 3 Geschichte des Kaisers Napoleon. Von P. M. Laurent. Mit dem Portrait Napoleon's nach Delarochc. Neue sehr elegante Ausgabe. 1805. 1 Thaler. Geschichte Peter's des Grausamen von Castilien. Von Prosper Mörimec. Mit dem Portrait Peter's nach A. Carnicero. Neue sehr elegante Ausgabe. I860. 1 Thaler. Geschichte Franz Sforza's und der italienischen Eondottieri. Von Or. Fr. Steger. Mit dem Portrait Sforza's. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Leben Lorenzo de' Medici genannt der Prächtige. Von Will. Noscoe. Deutsch von Frdr. Spiel Hagen. Mit dem Portrait Lorenzo's. Neue sehr elegante Ausgabe. 1865. V« Thaler. GeschichteVeter's des Großen. Von Eduard Pelz (Treumund Wclp). Mit dem Portrait Peter's nach Le Roh. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Geschichte des Kaisers Nikolaus I. Vom Grafen de Veaumont- Vassy. Mit dem Portrait Nikolaus', gestochen von Weger. Neue sehr elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Der falsche Demetrius. Von Prosper M«rim6c. Eine Episode aus der Geschickte Rußlands. Elegante Ausgabe. I860. 1 Thaler. Das Leben Mohamed's. Von Washington Irving. Mit dem Titelbild Mohamed's. Elegante Ausgabe. K66. 1 Thaler. Die Begründer der französischen Staatseinheit. — Der Abt Sugcr. — Ludwig der Heilige. — Ludwig XI. — Heinrich IV. — Richelieu. — Mazarin. — Vom Grafen L. de Carn6. Deutsch von I. Seybt. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Lander- und Völkerkunde. Drei Neisen um die Welt. Von James Cook. Neu bearbeitet von Fr. Steg er. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Eine Weltumsegelung mit der schwedischen Kriegsfregatte „Eugenie." Von N. I. Andersson. Deutsch von Kannegießer. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Die Krim und Odessa. Reise-Erinnerungen von Prof. Dr.Karl Koch. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Süd-Nutzland und die Donauländer. Von V. Oliphant, Shirley Brooks. Patrik O'Brien und W. Smhth. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Tbaler. Reise-Grinnerungen aus Sibirien Von Prof. Dr. Christoph Hansteen. Deutsch von 0i-. H. Seoald. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Die Kaukasischen Länder und Armenien. Von Curzon, Koch, Macintosh, Spencer und Wilbraham. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Wanderungen durch die Mongolei nach Thibet von Hue und Gäbet. Deutsch 'von Karl Andree. 1866. 1 Thaler. Wanderungen durch das chinesische Reich von H uc und Gab et. In deutscher Bearbeitung von K. Andree. 1866. 1 Thaler. Mungo Park's Reisen in Afrika von der Westküste zum Niger. Neu bearbeitet v. Dr. Fr. Steg er. Elegante Ausgabe. 1866. 1 THIr. Die afrikanische Wüste und das Land der Schwarzen am obern Nil. Vom Grafen d'Escayrac de Lauture. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. 4 Liinder- und Völkerkunde. Südafrika und Madagaskar geschildert durch die neuen Ent- dcclungsrcisenden namentlich Livingstone und Ellis. Neue elegante Ausgabe. 185.5. 1 Thaler. West-Afrika. Seine Geschichte, seine Zustände und seine Aussichten. Von I. Lclghton Wilson. Elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Die Ostsee und ihre Küstenländer. Geographisch, naturwissenschaftlich und historisch, geschildert von A. von Etzel. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler IN Ngr. Reisen im Nordpolmeere von F. El isha Kent Kane. Uebers. von I. Seybt. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Wanderungen durch Texas und im mexikanischen Grenzlande. Aus demssnglnchcn des F. L. Olmsted. Elegante Ausgabe. 1866. I THlr. Buenos-Ayres und die Argentinischen Staaten. Nach den neuesten Quellen. Herausgegeben von Karl Andree. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Central-Amerika (Honduras, San Salvador und dieMoskitoMe.) Von Sauler. Deutsch herausgegeben von Karl Andrer. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Wanderungen durch Australien von Oberstlieutenant Charles Mundy. Deutsch bearbeitet von Friedrich Gerstäcker. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler Zwei Neisen in Peru. Gegenwärtiger Aufschwunq und Zukunft dieses Landes nach den neuesten Entdeckungen geschildert von Clemens N. Markham. 1865. Preis 1 Thaler. Naturkunde. Der Geist in der Natur. Von H. C. Oersted. Deutsch von Prof. Dr. Kannegießer. Mit Portrait. Neue elegante Ausgabe in 2 Bänden. 1866. 1 Thaler 10 Ngr. Naturschilderungen von I. F. Schouw. Deutsch von H. Zeise. Mit Biographie und Portraitdcs Verfassers. 1865. 1 Thaler. Ehemische Bilder aus dem Alltagsleben. Nach dem Englischen .des James Johnston. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thaler. Die Witterungslehre zur Belehrung und Unterhaltung für alle Stände von Or. O. U Iahn. Neue elegante Ausgabe. 1865. 1 Thlr. Naturlehre. Von Dr. E. C. Brewer. Nach der 8. Aufl. des engl. Originals v.Di-.O.M a rbach. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Elasfiker und Volksliteratur. Sophokles. Deutsch von O. Marbach. Nebst einführender Abhandlung. Die griechische Tragödie und Sophokles mit erläuternden Einleitungen und Anmerkungen. Elegante Ausgabe. 1866. 1 Thalcr. Uebersetzuna von Oswald Mar bach. Nebst einführender Abhandlung. Das Nibelungenlied und die altgermanische Volkssage mit Anmerkungen und ausführlicher Inhaltsangabe. Neue elegante Ausgabe. 186«. 1 Thaler. Westslawischer Märchenfchatz. Ein Charakterbild der Böhmen. Mahres und Slowaken, m ihren Märchen, Saacn, Geschichten. Vo/ksae,angen und Sprichwörtern. Deutsch bearbeitet v. We nzig. M,t Musikbellagen. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thaler. Esaias 3egn6r's Dichterwerke. Inhalt: Die Frithiofssage. — Axel. — Die Nachtmahlskinder. - Gedichte. — Deutsch von Edmund Lobedanz. Mit Biographie und Portrait des Dichters. Neue elegante Ausgabe. 1866. 1 Thalcr. Dluck von s. V. ?l«um»nn w ?t!pz>s» . Druck von C. <». Naumann in Leipzig