Dro^or Glluarli Hi^Ie^llncli's Aeise um die Orbe. Nach seinen Tagebüchern und mündlichen Berichten erzählt von Ornft Aossak. Fnnft», mil äem Horilmt äe« Nrisnlfrlz uuä einer Aei^llllc vcrmellrte Rn!Iugc, Zweiter Vßeil. Das Rech, dtr Uebtrsttzung ist vorbehalten. sttlin!8?ß, Verlag von Otto Ianke. Inhalt des zweiten Theiles. Seite I. Hongkong. Wäscher und Schneider. Die Victoriastadt. Als Freßgevatter. Elfhundert Pfd. Sterling Priefporto. Nach Kanton. Vocca. Tigris. Whampoa. Blumenschiffe. Die innere Stadt. Die Pagode der fünf Genien. Kinderleichen 1 II. Die Tempel auf Honam und die heiligen Schweine. Die SchicksalZstäbchen. Die Tempel der Fruchtbarkeit und der Schrecken. Das Vettelsystem in Kanton. Tie Straße ein Sterbebett. Der reiche Patingua. Medicinische Reklame . 3 III. Die Aufnahme einer Straße in Kanton. Ein Feuenuacht-thurm. Ein Mandarin mit blauem Knopf. Tschau Tschau. Haifischflossen und Hachse von Raupen....... 16 IV. Ein Fachgenosse und sein Atelier. Im Gefängniß und vor Gericht. Der gesetzliche Hungertod. Zwei Theaterabende. Der Kaiser als „äeus ex inacliink" der chinesischen Komödie. Nach Macao. Der Wildpark von Ratten.......21 V. Die Praya granda. Der Tempel eine Theebude. Mein achtzigjähriger Enkel. Ein Nachmittag im Theater. Schreihälse. In der Spielhausstraße..........31 VI. Extrafahrten zwischen Kanton und Macao. Der erste Kunstfreund. Camoi^ns ohne Nase. Die Maler Je Chung und Wo Hang. Ein Theekoster. Die Ehre des Hauses.......39 VII. Fliegende Ameisen. Meuterei und Blattern. Die Piraten-strahe. Zopftoilette und Zopfspiel. Die Barbiere und ihre Kosmetik. Verkrüppelte Füße. Der Fächer. Verfehlte Sprach und Schreibstudcen. Das Drachenfest. Todesgedanken und Unruhen................47 VIII. Eine Ladung Leichen. Der erste Teifun. Gehängte Piraten. Festfeierlichkeiten der Ankunft. Eine Riesenspinne. Immer leidender. Mein Testament. Weggetrunken. Die „Gazelle" kommt. Die Reisdiebe. Nach Amoy........55 IX. Consulationen an Nord. Hundertundfünzig Ananas für einen Dollar. Die Opferdfchunks. Polussia Mandalin. Wie schwitzen Sie? Woosung und Shanghai. Der Tapferste der tapferen. Deserteure............. 63 X. Nach Japan. Flucht vor dem Teifun. Schönes Wetter und dreißig mit dcm Tauende. Der Vulkan Fusi Iama, Eine neue Höflichkeitsbezeugung. Ein Damenbad auf offener Straße. Grillen und Echreistiegen. Japanische Häuslichkeit . ... 70 XI. Papierne Sonnnerhäuser. Erdbeben. Ter Nachtwächter und seine Trommel. Brillenschlangen. Nationales Mißtrauen. Ein Vonze als Liebesagent. Die Ehe als Finanzquelle. Die Theehäuser und das Herrenhaus. Unleidliche Bevormundung. Kaufleute. Lohgerber und Scharfrichter. Die Frauen Japans. Musme. Die Feuerwehr auf der Leiter .... 79 XII. Erdbeben und Erbrechen. Der preußifche und holländische General-Consul. Ein Dieb verbrannt. Der Itzebu und die Vestalinnen Jokuhama's. Fussbäder im Speisehanse. Das Papier in der Toilette. Ein Vadehaus. Nach ^jeddo . . 37 XIII. Vei Snnodske. Die Burg des Taikun. Der unzugängliche Mikado. Ter Rath der Dreizehn. Japan und Venedig. Schwarz lackirte Häuser. Der Tempel der Empfängniß. Ringer. Ein unbestrafter Brandstifter. Pillenpraris. Iwanzigtausend Pfd. Sterling. Eine Selbsthinrichtung. Nach Kamatura 95 XIV. Fusi Aama-Pilger. Wallfahrtstempel. Scharfe Freudenschiisse. Dampfer-Earroussel. Soiree im Herrenhause. Die Kneter. Prinz Oranien-Festball. Nach Nagasaki. Die Flußdampfer auf hoher See. Blaue Rateten und sechs Stunden Arrest. Mr. Lewes................103 XV. Die Insel Destma. Nangasati. Consul Kniffler. Der Fisch-und Alumenmarkt. Ein Eolorist und seine Söhne. Demimonde von Ncmgasali. Niesensvinnen. Nach Shanghai . . 110 XVI. Gesundheitszustand, Leben und Sterben in Shanghai. Tugenddenkmale. Bezopfte Missionäre. Gastereien. Fidibus und Lunte. Dankbezeigung für ein Diner. An Bord des „Argus". Nach Tientsin................118 XVII. Der „Argus" und sein Karawanenthce. Ein falscher Zopf. Mttel gegen Flöhe Hungersnoth und Leck. Die letzte Ente an Bord. Eine Seeräuber-Dschunke. Die Lebensgeschichte eines deutschen Matrosen. Am Strande von Ehifou . . . 126 XVIII. Kriegsrath. Im Noot an's Land. Gerettet. Weih-Hei-Weih. Ein Bürgermeister-Mandarin. Holzeinkauf in Liu-Cung, Tcltt Chinesische Dorfbewohner und ihre Titten. Chifou. Hühner mit Entenfüßen. Fische mit Hundeköpfen. Drachen . . . 133 XIX. Vor der Barre des Peiho. Fort vom „Argus". Taku. Vom-Vom-Pidjen. Alles aus Schlamm Nach Tientsin. Der Kaiserkanal und seine schwimmenden Dörfer. Karrenfahrt. Opiumraucher in der Halbwcgskneipe. Glaube, bete und zahle! Chinesischer Pferdewechsel. In Stücke geprügelt. Kurz vor Peking...............141, XX. Durch die Vorstadt Sandnest und die östliche Bequemlichkeit in die Stadt Peking. Palast Jang kung fu. Sir Frederic Bruce. Herr Bismarck, Die verbotene Stadt. Thisbe. Die Tempel des Himmels und der Erde. Eiserne Cash. Fliegende Spielhöllen. Praxis zu Pferde......149 XXI. Die gepanzerte Kehrseite. Himmels-, Drachen und Tigergarde. Ein neunjähriger Kaiser, Prinz Kung. Der Adel im himmlischen Reiche. Der Ttaatsanzeiger von Peking. Der Sprachmeister, mein Mentor, Dejeuner in der Pagode. Eine schwarz-roth-goldene Leiche. Diebe mit falschen Zöpfen. Schlauberger. Die Koch- und Epeisestraße......15? XXII. Schlaf-Vons. Die Bettlerkaste. Sir Frederics Passepartout. Musikalische Kleinhändler. Vor Hunger gestorben. Eine Gebetmühle. Pfeifende Tauben. Ein Hochzeitszug. Man-ming-Juan. Buddha unter Äon;en und Schweinen. Pekings Kranzlei. Nicht alt genug. 1>r. Loähardt und mein hohler Zahn 165 XXIII. Aquarelle für Zahn. Schlaubergers Diener. Abgelohnt. Mistreß Reynolds. Kutschcrwechscl. Tartarus, Inferno und Ausspannung. Segelkarren. Ein umgefahrenes Haus. Mongolische Miethsklepper. Nach Ehialin. Die Stinkpots bei Taku 173 XXIV. Ein Tag auf der Schlammbank. Die „Swartow". Der Rhabarber-Reisende. Ein Laboratorium der Natur. Keine Spielkarten, ^ein Schreibpapier. Concert von Rheinländern. Capitän und Matrose. Die Ningpo-Pagode. Das Nachtmahl der Bonzen..............131 XXV. Opimnraucher. Die Wochenstube auf der Straße. Die Cabinets d'Aisance von Shanghai. Die Leber auf der Wag-schale. I)r. Meyer und sein Todter. Foh-Kien. Der Kaper „Alabama." Unter englischer Flagge. Miß B., australische Sängerin. Feuer! Fat-Iack. Eingepökelte Chinesen. Teller oder Krone. Die Bai von Fuchow........185 I. Hongkong. Wäscher und Schneider. Die Victoriaftadt. Als Freß- gevlltter. Vlfhundert Pfd. Sterling Briefporto. Nach Kanton. Nairn Tigris. Whampoa. Blumcnschisse. Tie innere Stadt. Die Pagode der fünf Genien. Kinderleichen. Die Sehnsucht, an's Land zu kommen, trieb mich schon um 5 Uhr Morgens Don meinem Lager. Die Maschine des Dampfers war seit einer Stunde geheizt, die Anker wurden gelichtet und erst einige tausend Schritte näher an der Stadt wieder ausgeworfen. Viele Hunderte von chinesischen Böten, alle mit Weibern „bemannt", hatten auf diesen Moment gewartet und boten uns in unbeschreiblichen Lauten ihre Dienste an. Die erste an Vord war eine kokette Chinesin in eleganter Toilette, die mit der Gewandtheit Blondins die Schiffswand hinankletterte und uns geschäftliche Offerten machte. Mich begrüßte sie mit den Worten: ,,Ooa«I inurnin^, 8ir, ins ^va^i ^ou master!" in -jenem gräßlichen Kauderwälsch (piä^u HnSii«k), in dem sich die Landeskinder mit den Fremden zu verständigen suchen. Das chinesische Fräulein war eine Wäscherin und legitimise sich durch ein Album englischer Zeugnisse, nach denen -ihre Sauberkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Ihr folgte mit gleicher Gewandtheit ein junger Mann, der sich mit den Worten: ,Me I^o. 1 pieci zahlen u. N. jährlich etfhundert Pfd. Sterling Briefporto. Die Zahl der Domestiken in unserem Hause beläuft sich auf vierzig Köpfe, unter denen sich eine chinesische Wittwe als „Jungfer" der Frau vom Hause befindet. Das ganze Corps steht unter dem Commando eines „Compradors" (Kellnerpräsidenten), der für das Betragen seiner Untergebenen alle Verantwortlichkeit übernehmen muß. Am 1". April Morgens 8 Uhr stachen mir auf dem nordamerikanischen Dampfer „Hankow" mit militärischer Pünktlichkeit in See. Die Verbindung zwischen Hongkong und Kanton wird von einer Vankee-KesellsctMt unterhatten. Die Fahrt kostet in erster Klaffe incl. des Frühstücks nur sieben Dollars, und das schnelle Schiff bringt es bis zu sechzehn Knoten in der Stunde. Die Einrichtung ist wahrhaft fürstlich; das Voudoir einer Prinzessin ist nicht sauberer und einladender als die Kajüte. Mit dem Frühstück hätte sich ein auf englischen Postdampfern heruntcrgehungerter Passagier wieder für acht Tage nerproviantiren können, fo reichlich waren die solidesten Nahrungsmittel vorhanden. AIs Würze wurde u. A. wieder Snrup herumgereicht, dessen sich zwei nordamerikanische Passagiere als Zuthat zu den Fischen und Beefsteaks bedienten. Nach monatelanger Entbehrung rührten mich die nach dein Dessert präsentirten Nassernäpfe und Zahnstocher fast zu Thränen. Meine Tischnachbarn, drei englische Opiumhändler, unterhielten sich damit, die neue, am Hose der Königin Victoria übliche Methode, Fische zu essen, einzuüben. Nach ihrer Behauptung bediene man sich nicht mehr ausschließlich der Gabel, sondern auch — des Löffels. Nicht recht im Einklänge mit dem sonstigen Comfort der „Hankow" steht die große Anzahl scharfgeladener Büchsen, Revolver und Korbsäbel, mit welchen dic ganze Langseite der Kajüte deconrt ist. In der Nai von Hongkong und auf dem Perlflusse, an dem Kanton liegt, mutz man jedoch stets auf einen Angriff der chinesifchen Piraten vorbereitet sein. Unfer Steuermann sieht, um einen besseren Ueberblick zu haben, in einem Glashause vorn auf dem Schiffe und setzt von hier aus durch einen Mechanismus das Steuer in Bewegung. Nachdem wir vier Stunden lang zwischen zahllosen kleineren und größeren, aber immer kahlen Inseln durchgesahren waren, erreichten wir um 12 Uhr die Nocca Tigris, d. h. die Mündung des Perlfluffes. Hohe schwarze, spärlich mit Moos bedeckte Felsen bilden die Ufer, doch werden diese weiterhin flacher und nehmen einen prosaischeren Charakter an. Um 1 Uhr zeigt sich die erste, nuf einem Hügel gelegene, siebenstöckige, chinesische Pagode. Das niedere Land verschwindet wieder und das Terrain wird welliger. In der blauen Ferne. 1* 4 Zeigen sich Berge von tausend Fuß Höhe; u>n 2 Uhr erreichen wir die erste Station Whamvoa, eine Art Vorstadt von Kanton, durchweg aus Bambusrohr erbaut. Wir halten hier einige Minuten lang, schiffen Passagiere aus und nehmen andere ein, baun setzt sich der Dampfer langsanier von Neuem in Bewegung; die Menge der Dschunken versperrt fast das Fahrwasser, trotz der majestätischen Breite des Flusses. Nahe am Ufer wird eine zweite Pagode sichtbar, und um 3 Uhr gehen wir, nach einer Fahrt von zwanzig deutschen Meilen in sieben Stunden, zwischen Kanton und der Insel Honam vor Anker. Das Gedränge der stets uon Weibern geführten Böte war beängstigend. Viele von ihnen hatten ihre kleinen Kinder bei sich, von denen die jüngeren mit einer Schnur an das Boot gebunden waren, um im Falle eines Sturzes in das Wasser gleich herausgezogen zu werden. Bei meiner Abneigung, Koffer und Aquarellensammlung in diesem wilden (Getümmel auf's Spiel zu setzen, blieb mir Ieit genug, das armselige Volk zu beobachten. Ihre Säuglinge tragen dic Vootsweiber in einer Bandage, wie die Frauen der Fliffaken, auf dem Rücken, Kindern von drei bis vier Jahren wird cin Tö'nnchen auf den Nacken gebunden, das sie über dem Wasser erhält. Häusig ist dasselbe aber schlecht befestigt oder durch die Balgereien der Kinder verschoben, und das fallende Kleine geräth mit dem Kopfe unter das Wasser. Mehreren Kindern waren auch Schweineblasen auf dem Nucken befestigt. Nachdem die Mehrzahl der Passagiere den Tampfer verlassen hatte, miethete ich ein mit vier Weibern bemanntes, etwa« größeres Boot und ließ mich in mein Ouartier rudern. Die älteste der Graben sprach einige Worte englifch und verstand, was ich wollte, die drei übrigen «erhielten sich schweigend und erschienen durch schwere Arbeit und Noth niedergedrückt. Zwei von ihnen trugen Säuglinge auf dem Rücken, Die armen chinesischen Weiber müssen häufig ihre Männer ernähren, die früh und spät auf der Bärenhaut liegen und Opium rauchen. Noch an demselben Abend machte ich dem preußischen Consul, Varon von Carlowitz, cine Visitc und besuchte in seiner Gesellschaft eine Anzahl sogenannter Blumenschiffe (Flowerboots). In Paris führt man den Fremden in die Gärten von Mabille oder Chateau des Fleurs: in Kanton sucht man ihm auf den Vlumenfchiffen eine Vorstellung von den Sitten der Hauptstadt beizubringen. Man erräth, daß die Lorctten und Grisctten Kantons auf diefen Vlmnenschiffen ihr Wesen treiben, doch kann ich nicht umhin, das Betragen dieser Damen zu rühmen. Es unterschied sich sehr zu ihrem Vortheil von der Zudringlichkeit der cmancipirten Schönen, welche die modernen Tanzlocale Berlins bevölkern und sich an die Fersen der einzelnen Fremden heften. Die gebotenen Unterhaltungen waren sehr einfacher Art, die roth ge« schminkten Damen sangen durch die Nase und begleiteten ihre Melodien auf einem nur einsaitigen Instrumente-, wir bewirtheten sie mit Thee oder süften Leckereien und wechselten einige Worte „Pidjcn«l5nglisch". Die chinesischen 5 Stammgäste, meistens ältere Herren, bewegten sich mit gleicher Zurückhaltung; . auf keinem der von uns besichtigten Blumenschiffe habe ich etwas Ungehöriges bemerkt. Eben so anständig betrugen sich die in einigen öffentlichen Localen versammelten Männer. Sobald wir eintraten, näherten sie sich und suchten uns eine Gefälligkeit zu erweifen, hätte diese auch nur in dem Anbieten eines trockenen Mlonenterncs oder einer Prise Opium bestanden. Der Balcon meines Zimmers im Eiemffen'schen Hause, einer Commandite des Hauptgeschäfts, ragt über den Perlstuß hinaus, und das ganze Panorama des Lebens auf dem Wasser, wie der eigentlichen Stadt Kanton mit den White Cloud Bergen, welche den Hintergrund bilden, breitet sich vor meinen Blicken aus. In dcn Morgenstunden des 14. April beschränkte ich mich, sobald der Nebel sich zertheilt, auf einige Vootdetailstudicn, später wurde über den Fluß gesetzt und ein Rundgang durch die Stadt unternommen. Zuerst besichtigte ich die vor mehreren Jahren im kriege von den Chinesen niedergebrannten Factorcicn der Holländer, dann durchkreuzte ich die Süduorstadt und gelangte durch das bei den Seeleuten so beliebte Schweinegäßchen und Südtho« in das Weichbild Kantons selber. Mein Begleiter, der Agent des Hauses Siemssen, übersetzte mir die Namen der Straßen; da gab es eine Südstraße, Drachenstraße, Himmelsgasse, geflügelte Drachenstraße, martialische Drachenstraße, goldene Blumenstraße, Apothckerstraße, Schatzstraße, Seidengasse und Goldstraße. Man ließ uns im Ganzen unbehelligt, nur hie und da beehrte man uns, wenn wir den Rücken kehrten, mit dem Echandtitel: „Fanquei" (rothe Teufel). Tie Unterschiede zwischen der Physiognomie Kantons und europäischer Handelsstädte sind so beträchtlich, und die Eindrücke so eigenthümlich, daß ich fast verzweifle, sie mit der Feder zu firiren. Die Straßen sind nur schmal und mit Ziegeln oder Fliesen gepflastert; von Kanalisirung habe ich nichts bemerkt. Der besondere Reiz einer Stadt, wie Kanton, in der so viele Reichthümer angehäuft sind, liegt in den Häuserfronten und den Schildern der Läden, Der Chinese liebt bunte Farben in grellster Zusammen-stellung und geht bei der Ausschmückung feines Hauses und Geschäftslocales Mit Gold und Silber keineswegs sparsam um. Strenggenvmmcn besteht die Außenseite der Häuser nur aus einer Combination von schmalen Schildern, die, etwas abstehend von der grauen Vacksteimnauer, in chinesischen Schrift-Zeichen den Beruf der Bewohner und ihr Waarenverzeichniß ankündigen. Der Anblick ist von unbeschreiblicher Pracht. Alle Läden stehen weit offen, und Niemandem wird es verwehrt, einzutreten, die Waaren zu besichtigen und, ohne etwas zu kaufen, sich wieder zu entfernen. Der höfliche Chinese empfängt und entläßt seinen Gast mit den beiden Worten: „Tschin, Tschin!" Diese sind ein Ausdruck absoluter Höflichkeit und bedeuten alles Oute, das ein Individuum dem anderen wünschen kann. „Tschin, Tschin" hat mich durch ganz China begleitet, mich am ersten Tage begrüßt und am letzten verabschiedet. 6 Nicht selten tränkt der gastfreie Kaufmann den Ankömmling mit Thee oder erquickt ihn mit Mandarinen-Orangen, auch erlaubt er, seine Waaren zu berühren. In den größeren und besseren Geschäften sind die Preise fest, den Kleinhändlern mag man getrost den dritten Theil der geforderten Summe bieten und wird ihnen doch nicht Unrecht thun. Viele Schilder tragen die drastische Inschrift: „In meinem Geschäft wird nicht betrogen." Die betreffenden chinesischen Signaturen prägen sich dein Gedächtniß ein, und ich habe dieselben am häufigsten vor den Läden der Tuchfabrikanten und Eeidenwaarenfabiikanten wiedergefunden. Das Gewimmel m den schmalen, aber durchschnittlich überaus reinlich gehaltenen Straßen gleicht dem Treiben der Ameisen. Der betäubende Wirrwarr trieb mich von Zeit zu Zeit immer in einen Laden, wo ich einige Minuten ausruhte. Wo etwas mehr Spielraum ist, z. V. an den Landungsplätzen der Vöte, sind meistens Kuchenbuden mit Glücksrädern aufgestellt, in denen die kleinen Leckermäuler ihr Geld verspielen. Fortuna lächelt dem jungen Kantonesen nicht freundlicher, als den Pointeurs auf dem Berliner Schützenplatze. Die innere alte Stadt, in die wir durch das erst feit drei Jahren dem Fremden eröffnete Kantonthor gelangten, ist von Festungswerken umgeben. Wir erstiegen ungehindert die Wälle und genossen die herrliche Aussicht auf das Innere Kantons, die grosie neunstöckige Pagode, die schon 1709 Jahre stehen soll, ihr fünfstöckiges Seitenstück, von wo aus fich eine Totalansicht auf den Fluß, dis Stadt und ihr Hinterland eröffnet, und ruhten im obersten Stockwerk der letztgenannten Pagode von unseren mehrstündigen Anstrengungen aus. Hier befand sich fünf Jahre vor meiner Ankunft eine Kaserne der französischen und englischen Truppen. Man erblickt von der Höhe im Hinter-lande sieben Hügel, die Todtenäcker der Bewohner von Kanton. Nachdem wir noch einen benachbarten Hügel erklettert, der das bisherige Panorama beträchtlich erweiterte, traten wir den Rückweg an, kamen bei vielen Opferhäuscrn vorbei, wo Papier und wohlriechende Stäbchen verbrannt wurden, und betraten einige derselben. Uebercill wurden wir höflich aufgenommen. In den gewöhnlich mit einem Gebethause verbundenen Schulen herrschte eine große Ordnung. Die Kinder saßen sittig, ein jedes vor einem kleinen Pulte, und arbeiteten. Die geräumigen Schulzimmer waren mit vielen Blumen und kleinen Palmen geschmückt. Wenn ich diese sauberen Räume und die elegante Einrichtung mit den Klassen der Bürgerschulen und Gymnasien unseres Vaterlandes verglich, mußte ich der chinesischen Pädagogik den Vorrang einräumen. Wir begaben uns nächstdem zu der schon erwähnten großen Pagode, erhielten indessen nicht die Erlaubniß, sie zu ersteigen. Das alte Bauwerk geht dem gänzlichen Ruin entgegen, der Thurm hat sich auf eine bedenkliche Weise geneigt, aber man fcheint gelassen den (iinstur; abzuwarten; von Reparaturen war kcine Spur zu bemerken. 7 Co nnide wir uns fühlten, meine fieberhafte Aufregung ließ mich nicht rasten, wir wanderten weiter Zu der Pagode der fünf Genien und besichtigten ihre große Glocke, aus der bei der letzten Belagerung der Stadt eine feindliche Kugel ein großes Stück gerissen hat. Der Tempel liegt auf einem Hügel und umfaßt mehrere ansehnliche Baulichkeiten. Die Wände sind mit vielen allegorischen Reliefs verziert, mit vergoldeten Götzensiatuen decorirt und roth, die Lieblingsfarbe der Chinesen, angestrichen. Die Dächer bestehen aus grünen glasirten Ziegeln. Die angrenzenden Straßen schienen immer prächtiger und stattlicher zu werden, wir passirten eine Menge von Triumphbogen und kamen an mehreren großen Mandarinenpalästen vorüber, die mit zehn Fusz hohen geharnischten Kriegern und sechzig Fuß langen Drachen bemalt waren. Auch hier verhinderte uns Niemand am Eintritt und an der Besichtigung innerer Räume, Höfe und Gärten. Die Mandarinen selber kamen nicht zum Vorschein, doch waren uns mehrere unterwegs theils in Palankinen, theils zu Pferde begegnet. Zwei von ihnen waren mit der Pfauenfeder geschmückt, eine dienstliche Auszeichnung, der bei uns eine der mittleren Klassen des rothen Adlerordens entsprechen möchte, die anderen trugen einen rathen und blauen Knovf; ich hoffe im Laufe der Zeit tiefer in das Verständniß dieser büreaukratischen Nuancen zu dringen. Die komisch geformte Kopfbedeckung der würdigen Beamten scheint gleichfalls cine amtliche Bedeutung zu haben. Die eleganten Damen, denen wir in dieser Etadtgegend häufiger begegneten, bedienen sich bei ihren künstlich verkrüppelten kleinen Füßen der Stöcke; sie würden, da sie auf den Zehen gehen, fönst fortwährend in Gefahr schweben, niederzufallen. Ich habe mehrere sehr hübsche, wenn auch bei den langgeschlitzten Äugen etwas seltsame Gesichter benicrtt. Den Charakter dieser Damen lehrte mich mein unermüdlich aufmerksamer Begleiter unterscheiden. Man hat nur die Haartracht zu beachten. Um verheiratete Frauen tragen eine Menge kleiner, über die Breite der ganzen Stirn nebeneinander geklebter, zolltanger Zöpfchen; zwei hinten herabhängende lange Zöpfe follen überdies noch große Heirathslust bedeuten. China ist einmal das Land der Wunderlichkeiten. Was würden z. V. unsere Nachtschwärmer zu den polizeilichen Verfügungen von Kanton sagen? Nach dem Wortlaut des Gesetzes hat ein loyaler Unterthan des himmlischen Reiches Nachts das Haus gar nicht zu verlassen, doch giebt es eine mildere Observanz. Erstens muß er mit gehöriger schriftlicher Legitimation versehen sein, zweitens eine Laterne tragen, auf der sein Name angebracht ist. Cs versteht sich von selbst, daß ihn nur die allerdringendste Nothwendigkeit zu einem nächtlichen Ausaange zwingen kann. Den phantastischen lichten Bildern, die an diesem Tage an mir vorübergezogen waren, fehlte es nicht an Schattenseiten. Schon auf der ersten Ueberfahrt waren nur mehrere im Strome schwimmende Kinderleichen nicht 8 entgangen. Später bemerkte ich in einem düstern Winkel der städtischen Fortification einen kleinen Schädel und ein Häuflein Knochen, zuletzt kamen wir an einem in zerrissene Matten gewickelten Päckchen vorüber, aus den: die herrenlosen Hunde ein Füßchen heruorgezerrt hatten. Schon in Hongkong hatte man mich auf diese schauerlichen Symptome der chinesischen Unfittlichkeit vorbereitet, angesichts der Wirklichkeit verlor ich jedoch beinahe die männliche Fassung. Vei der Uebervölkenmg des Landes und der Schwierigkeit, die nöthigen Subfistenzmittel für die Familie herbeizuschaffen, ist der Kindesmord an der Tagesordnung. Gemeinhin fallen ihm die neugeborenen Mädchen zum Opfer, namentlich wenn sie von schwächlichein Körperbau und uon unansehnlicher Gesichtsbildung sind. Die unnatürlichen Eltern werfen die Kinder in den Strom, oder setzen sie lebendig aus, eine Beute der Hunde und Schweine. In größeren Städten, die nicht am Wasser gelegen sind, wirft man die Leichen in einen aufgemauerten Behälter, in den von Zeit zu Zeit ungelöschter Kalt aufgeschüttet wird. Unsere Missionäre geben sich zwar alle erdenkliche Mühe, diesen Greueln zu steuern, allein ihre Anstrengungen verschwinden in der Menge der täglichen Unthaten. Es bleibt ihnen nichts übrig, als neugeborene Mädchen, wenn der Mord derselben Zu befürchten steht, den Eltern für eine Kleinigkeit (einen Schilling) abzukaufen und auf eigene Kosten zu ziehen. Bei den überaus geringen Bedürfnissen des Volksstammes sind sie schon im zwölften Lebensjahre im Stande, für sich selber zu sorgen. Der Lohn der Missionäre ist die schwache Hoffnung, durch die christliche Erziehung der geretteten Kinder allmälig auf Weltanschauung und Sitten der Chinesen veredelnd einzuwirken. II. Die Tempel auf Honam und die heiligen Schweine. Tic Schicksals- stäbchen. Tie Tempel der Fruchtbarkeit und der Schrecken. Das Bettelsystem in Kanton. Die Straße ein Sterbebett. Der reiche Potingua. Mcdicinifche Reclame. Am 15. April begann ich mit einem Frühmarsch durch die Insel Honam, dem gegenwärtigen Wohnsitz der in Kanton handeltreibenden Europäer. Einige malerisch gelegene Hügel hatten schon von unserem Hause aus meine Aufmerksamkeit erregt, und ich trug kein Bedenken, sie zu erklettern, da ich mich, der in Hongkong erhaltenen Namungen eingedenk, wohlbewaffnet hatte. Meine Vorsicht war unnöthig gewesen, jene Hügel waren nur mit zahllosen Grabstätten der Chinesen bedeckt und keine sterbliche Creatur begegnete mir in der frühen Morgenstunde. Nachdem ich von einem hervorragende»: Punkte aus die schönste Aussicht über den Strom nach Kanton und östlich nach Whampo» 9 betrachtet hatte, begab ich mich zu dem auf der Insel befindlichen Tempel und seinen zahlreichen Seitengebäuden. Strenggenommen ist es eigentlich falsch, von cinem Tempel zu reden, denn die gottesdienstlichen Gebäude bilden, genauer betrachtet, einen beträchtlichen Eomplerus von Eapellen und Wohnungen der Bonzen. Erstere liegen in kleinen Entfernungen hintereinander und nehmen mit den seitwärts cin Spalier bildenden Wohnungen dcr Geistlichen den Raum einer kleinen Stadt ein. Vor dem Eingänge einer jeden dieser Tempelparcellen sitzen auf niedrigen Postamenten abscheuliche Thierfratzen, bald Löwen, bald Drachen ähnlich, dem Eingänge gegenüber steht der Hochaltar Buddha's, die Wände sind theils mit kleineren Statuen dieser Gottheit, theils mit alten Waffen und Marterwerkzeugen, Trommeln und Tamtams oder ähnlichen Sinnbildern des Krieges und der Macht ausgeschmückt. Vor der Pforte des Haupttcmpels, der sich hinsichtlich seiner Größe kaum von den anderen unterschied, saß ein Unterüonze mit dcr Gelassenheit eines Oelgötzen und hielt eine brennende Kerze in der Hand. Die Andächtigen zündeten ihre Lichter oder Dpferstäbchen an und schritten in den Tempel, um die grellgefärbten vergoldeten oder versilberten Opferpapiere vor dem Altar zu verbrennen. Die Mehrzahl dieser großen Bogen, von denen ich eine Auswahl mitgebracht habe, ist von einem so brennenden Mennigroth tingirt, daß ein europäisches gebildetes Auge kaum die Gluth erträgt. Jeder Bogen, der hie und da mit echtem Schaumgold oder Silber bedeckt ist, zeigt in der Mitte eine Menge feiner paralleler Durchschnitte, die einen symbolischen Sinn haben mögen. Die Fanden der Tempel sind mit vielfachen Stuccaturarbeiten und moralischen Sprüchen und Sentenzen aus dein Schickfalsbuche mit Gold, rother, blauer, gelber und schwarzer Farbe geschmückt. Die chinesische Sprache ist, wie die Hieroglyphe n-signatur des alten Aegypten, eine Begriffssprache und gestattet mithin eine unglaubliche Knappheit des Ausdrucks. Der Himmel mag wissen, wie viele Schriftsätze auf diesen Wänden eng aneinandergereiht stehen. Das Innere aller Tempel ist mit bunten Lampen, hängenden, reich betroddelten Laternen und Porzellanuasen überladen. Auf dem Altar stehen in einem Becher die sogenannten Schicksalsstäbe. Noch war ich über ihre Anwendung in Zweifel, als mein junger Wirth, der mir gefolgt war, in den Tempel trat und auf meine Bitte: den priesterlichen Cicerone um Auskunft zu ersuchen, sogleich den Vecher ergriff und von den Schicksalsstäbchen Anwendung machte. Der Bonze, ein toleranter Mann, fchien durch die Dreistigkeit des ungläubigen rothen Teufels höchlich belustigt zu werden. Mcin Freund schwenkte den Becher leicht in der Luft, so daß einige Stäbchen über den Rand zu Boden fielen, das ihm zunächstliegcnde wurde aufgehoben und aufgerollt. Es trug eine Nummer, diese wurde in dein auf dem Altar liegenden Schicksalsbuche aufgesucht und der dabei stehende Spruch mitgetheilt. Ich mußte an das Versestechen in 10 der Bibel und die Betschwestern in unserem Vatcrlande mit ihren Stopfnadeln denken. Wir schritten, nachdem der Bonze durch einen schilling für seine Mühe entschädigt worden, wieder in's Freie und wurden zu einem etwas stallartigcn zoologisch duftenden kleinen Seitentempel zur Rechten geführt, in dem acht heilige Schweine es sich wohl sein ließen. Nir muhten von verborgenen Beobachtern umgeben sein, denn als wir das Geinach der Sauen verließen und lachend einige, den Frommen vielleicht anstößige Bemerkungen machten, flog uns ein Dutzend Steine von allen Seiten um die Köpfe, und wir hatten nichts eiliger zu thun, als uns aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen. Unser Führer, der Bonze, der, wie alle seine Umtsbrüder, einen grauen Rock trug und einen rattenkahl geschorenen Schädel präsentirte, spannte einen Sonnenschirm über sein unbedecktes Haupt und schritt voran in einen kleinen Garten, der mit den wunderlichsten Zwerggewächsen angefüllt war. Tiefe Gärtnerei schien die Mußestunden der Klosterbewohner auszufüllen. Meistens waren diese Pflanzen reichbelaubte Myrtensträucher, die in der Forin von Elephanten, Hirschen, Hunden, Vögeln und Vasen sauber zurechtgeschnitten waren. In der Nähe befand sich cin mit wunderschönen Goldfischen gefüllter Teich. Der große Newfoundlander meines Wirthes, der uns ohne Weiteres in den Tempel begleitet und alte Buddhas argwöhnisch beschnüffelt hatte, unterließ nicht, in den Teich zu springen und zum höchsten Entsetzen der Fische ein kaltes Bad zu nehmen. Die erschrockenen Thiere gewährten ein prächtiges Schauspiel, als sie, aus dem Wasser in die Höhe springend, im Schimmer der Sonne über dem Spiegel des kleinen Teiches einen Augenblick hindurch einen goldenen Schild bildeten. Die kleine Waldung uralter Banien-bäume, welche die Klosteranlagen begrenzt, war durch den letzten Teifun am 27. Juli des Jahres 1862 stark gelichtet worden. Das Unwetter hatte nach der Angabe der Europäer überhaupt in der Unigegend Kantons und auf dem Perlflusse furchtbar gehaust. Viele tausend Familien, die kein anderes Obdach hatten als ihre auf dem Fluh schwimmenden Böte, waren elendiglich zu Grunde gegangen. Die stromab getriebenen deichen hatten am Tage darauf den Umschwung der Räder des von Hongkong kommenden Dampfers gehemmt. Nachdem wir für unser Geld eine Tasse Thee in der benachbarten Bonzenwohnung getrunken, aber den Ankauf einer Partie Goldfische abgelehnt hatten, mit denen von den ,^losterleuten cin sehr einträglicher Handel getrieben wird, trennten wir uns von den frommen Männern in bester Freundschaft. Durch: schnittlich habe ich, um zu Chren des Buddhaismus, dessen Entartungen im himmlischen Reiche auf sich beruhen mögen, die Wahrhrit zu gestehen, in den chinesischen Priestern amgewcctte und gutgenährte Männer gefunden. Ve-sondcrs wohl aussehend und von gefälliger Tonrnüre fand ich die Bonzen in dem Tempel der Fruchtbarkeit, den ich erst einige Tage später bchlchte. 11 aber gleich hier erwähnen will Die Andächtigen in dieser Oertlichkeit bestanden nur aus jungen hübschen Chinesinnen, auf deren überaus zierliche Händchen ich alle Touristen aufmerksam mache, und schienen nur die erwähnten Vonzen, so viel ich in der kurzen Zeit meiner Anwesenheit zu ergründen vermochte, ernstlich beflissen zu sein, die Bittstellerin in ihrem Kummer über den bisher mangelnden Ehesegen zu trösten und bei beharrlichem Besuche ihres Tempels auf eine bessere Zukunft hinzuweisen. Am Morgen dcs 16. April ließ ich mich stromauf nach dem Macao-Fort rudern. Nur in Begleitung eines chinesischen Kuli, meines Lohnbedienten, i>er etwa ein Dutzend kaun: verständlicher englischer Vocabeln inne hatte, ging ich, ohne Jemand um Erlaubniß zu fragen, in die Festung und skizzirte flüchtig Einzelheiten, ohne von der Mannschaft behelligt zu werden. Der Nachtdienst war mit mehr Comfort, als ihn europäische Nachtstuben aufweisen, verbunden. Mehrere Soldaten lagen in ihren Betten und schliefen hinter Mosquitonetzen, andere saßen bei Tisch und verzehrten mit Eßstäbchen ihr Frühstück. Man behandelte mich sehr zuvorkommend. Eben so freundlich gesinnt fand ich die Besatzung des Südthors (sout^ Fate) von Kanton; ich wurde sogar mit dem landesüblichen Thee erquickt, den ich oft in den elegantesten Gesellschaften des europäischen Continents nicht so fein und wohl-fchmeckend erhalten habe, als inmitten dieser abenteuerlichen Soldateska. Der Sonnenbrand vertrieb mich jedoch bald von der schattenlosen Stadtmauer, die ich der besseren Umsicht halber erstiegen hatte. Am Abend desselben Tages unternahmen wir Hausgenossen noch eine Excursion nach dem den Europäern neuerdings eingeräumten Stadttheilc im Wcstend von Kanton. Man ist fleißig mit dem Häuserbau beschäftigt, aber der fumpfige Boden inacht den Grundbesitzern viel zu schaffen. Nach einer Menge vergeblicher Versuche, Gebäude haltbar herzustellen, hat man sich zu ordentlichen Pfahlrosten entschlossen. Die neue englische Kirche, bei der man diese Vorsicht nicht beobachtet hatte, stürzte nach meiner Abreise sammt ihrem Thurm in Trümmer, nachdem noch eine halbe Stunde vorher darin Gottesdienst gehalten worden war. In Begleitung eines Neisvogels — mit diesem Spottnamen bezeichnen oie hiesigen Deutschen die Reiskaufleute — besuchte ich am 17. April die an das Ostthor Kantons grenzende alte Stadtmauer und eine Anzahl Tempel, unter ihnen die Pagode der fünfhundert Genien der Götzen. Das an deu Wanden aufgestellte vergoldete und gut erhaltene Bataillon reichte hinsichtlich der Größe des einzelnen Götzemnanncs nur um wenige Zoll über das preußische Militärmaß hinaus. Neben den meisten Tempeln befanden sich Gärten voller Zwerggewächse und Fischteiche- im Ertrage beider scheint ein Theil der Einkünfte der Geistlichkeit zu bestehen. Die Gegensätze rücken aber in asiatischen Landen hart nebeneinander; noch von dem heitern Eindruck dieser Oertlichkeit erfüllt, wurde ich in der nächsten Straße durch ein melancholisches Schauspiel 12 an die von den Ansichten und Empfindungen europäischer Völker ganz abweichende Weltanschauung der Chinesen gemahnt. Durch den prachtvollen Anblick eines auffallend bunten Ladenschildes gefesselt, stolperte ich über einen am Voden liegenden Gegenstand und wurde nur durch den kühnen Griff meines Neisvogels vor dem Fall bewahrt. Beinahe in der Mitte der Straße lag ein alter Mann, beide Arme kraftlos von sich streckend. Mit einein unsäglich dürftigen und schmutzigen Gewände bekleidet, schien er aus Schwäche niedergesunken und eingeschlafen zu sein. Als ich, so weit es mir der vorüberfluthende Menschenstrom gestattete, ihn näher in Augenschein nehmen und mitleidig etwas bei Seite an die Wand des Kaufmannsladens fchieben wollte, entdeckte ich meinen Irrthum. Der bräunlich gelbe Teint, der fich über Gesicht, Stirn und Schädel bis an den schneeweißen Zopf erstreckte, zeigte einen Stich in's Leichenfarbige, die Augen hatten eine seltsame Starrheit angenommen, der zahnlose Mund war halb geöffnet; der Alte lag offenbar im Sterben. Ich prallte entsetzt zurück, aber Niemand von den Vorübergehenden warf auch nur einen Seitenblick auf den Sterbenden, ja mit heiterem Lächeln trat der Ladcnbefitzer aus seinein Local und lud uns mit freundlichen Handbewegungen ein, die Waarenuorräthe zu besichtigen. Wir traten ein, kauften eine unbedeutende Elfenbeinschnitzerei, und mein Vegleiter erzählte mir, wie es oft genug vorkomme, daß hochbejahrte entkräftete Leute, wenn sie die Annäherung des Todes fühlten, sich mitten auf die Straße legten und mit heroischer Resignation das Ende ihrer Tage erwarteten. Die sittliche Motivirung dieses Verfahrens blieb der Berichterstatter mir schuldig. Ob die jammervolle Beschränktheit der chinesischen Wohnungen, oder die unwiderlichc Sehnsucht: angesichts des freien Himmels die Trümmer des sterblichen Leibes dem Walten der Elemente zurückzuerstatten, die Unglücklichen zu diesem Entschlüsse treibt, wage ich nicht zu unterscheiden. Die Polizei mag, außer Stande, die Lebensübcrdrüssigen daran zu verhindern, doch mit ihrem Verfahren nicht einverstanden sein. Mir wurde später ein eingepferchter Naum in einer etwas freier gelegenen Stadtgegend gezeigt, wo die Eterbelustigen unter amtlicher Bewilligung ihr Lager wählen dürfen. Die Vorübergehenden können hier durch den StacketenMm, wie durch das Gitter der Morgue zu Paris, die Todescandidaten betrachten, und es soll vorkommen, daß Verwandte und Freunde hier alte Angehörige und Bekannte wieder erkennen und sich zuweilen bemühen, sie ihren, verzweifelten Entschlüsse abwendig zu machen und am Leben zu erhalten. Wir achten das Dasein dem Goldc gleich i in den Augcn der Ostasiaten ist es nur ein unedles Metall. Ein anderer Greuel ist zu Kanton der polizeilich geduldete, ja organisirte Vettel. Die Iahl der von Almosen lebenden Einwohner übersteigt angeblich hunderttausend. Wohl die Hälfte derselben ist blind-, dem Vernehmen nach werden sogar viele Kinder armer Leute von ihren Eltern absichtlich geblendet. 13 um durch Betteln zur Erhaltung der Familie beizutragen und den Alten die Arbeit zu ersparen. Unter Anführung eines noch leidlich Sehenden ziehen kleine Trupps durch die Straßen und lassen sich durch das festgehaltene Stockende des vor ihnc» gehenden Gefährten leiten. Eie treten in die offenen Läden und Hausflure und klappern oder blafen auf einer fchrillen Pfeife so lange, bis der Eigenthümer sie durch eine kleine Gabe zum Abzüge bewegt. Selten erhalten sie mehr als einen Cash, eine durchlöcherte fchlechte Kupfermünze, den fünfhundertsten Theil eines Dollars, oft müssen sie selbst die Hälfte, ein Bruchstück herausgeben. Alle diese Bettler stehen unter einem Chef und bilden mehrere Associationen. Ihr Gefchäft wird planmäßig betrieben, sie treten am Morgen auf bestimmten Sammelplätzen an und begeben -sich von da nach verschiedenen Stadttheilen von Kanton. Tie Nacht bringen 5iese Unglücklichen, falls sie ganz obdachslos sind, in großen scheunenartigen Gebäuden zu. In der kühlen Jahreszeit wird auf die reihenweise ausgestreckten Schläfer eine große Decke herabgelassen, durch deren Schlitze jeder, um nicht zu ersticken, den Kopf zu stecken hat. Am Morgen ivird die Decke wieder in die Hohe gezogen und die Hauogenossenschaft vertrieben. Der Anblick dieser Unglücklichen ist häufig erschütternd. Einst begegnete ich einein noch jungen Menschen, in dessen leeren Augenhöhlen zwei blutige Charpiebündel steckten. Er schien erst vor Kurzem geblendet zu sein. Auf die Denkungsart der Chinesen erlaubt ihr kaufmännifches Verfahren Rückschlüsse. Im Kleinhandel ist auch für den Fremden eine Waage unentbehrlich. Erhält der Chinese beim Ankauf einer Waare einen Dollar, so wirft er ihn zuerst auf den dünnen Stein, der auf keinem Ladentische fehlt, dann wird das Geldstück sorgfältig gewogen, zu mehrerer Sicherheit schickt er den Dollar wohl noch zu einigen Nachbarn und bittet um ihr Gutachten. Natürlich nimmt er keinen Anstoß daran, wenn man ihn beim Herausgeben klingender Münze mit gleichein Argwohn behandelt. Ist ein Dollar von ihm als vollgewichtig anerkannt, so prägt er ihm seinen Stempel auf. Das Gepräge des mir vorliegenden Geldstückes ist durch zahllose winzige Stempel nicht nur total zerstört, sondern auch die Platte durch die heftigen Schläge so entstellt, daß in der Mitte cine tiefe Aushöhlung entstanden und der Rand brüchig geworden ist. Die ssragmente zerbrochener Dollars werden als Scheidemünze benutzt, da nur der gemeine Mann plumpe, auf einen Rinnen gezogene Kupfcrstücke bci sich führt. Die Zahl der Leihhäuser ist beträchlich; in allen Stadtvierteln zeigte man mir großartige Speicher, in denen die versetzten Waaren aufbewahrt werden. Je nach der Jahreszeit trägt der arme Mann bald seine Sommer-, bald seine Nintergarderobe dorthin; der geringe Iinsfuß der Anstalten soll ihm dies Verfahren erleichtern. In den späteren Nachmittagsstunden segelten wir den Perlfluß eine Viertelmeile weit oberhalb Kanton hinauf und besuchten den berühmten Garten 14 eines reichen Chinesen, des Herrn Potingua, ciner kaufmännischen Notabilität von Kanton. Tas Grundstück dieses Gentlemans ist ein seltsames Sammelsurium von Palästen, Brücken, Fischteichen, Pagoden, Blumenbeeten und Irr-gtingen, es fehlt sogar nicht an einein Theater und einer Holzschneidewerkstatt nebst Druckerei. In einem geschlossenen Raume wird ein zerbrochener Wagen als Rarität aufbewahrt. Tie schmalen Straßen Kantons, wie der Sumpfboden seiner Umgegend, verbieten den Gebrauch des Fuhrwerks; reiche Personen bedienen sich der Palcmkins und der Reitpferde. Potingua, ein überaus beleibter, von Fett glänzender Handelsherr, sah bei unserer Ankunft eine Menge (nur männlicher) Gäste bei sich, die von hundert bezopften Dienern umgeben waren, und feierte ein Gelage. Wir zogen uns rasch zurück, doch nickte uns der Gastgeber von seinem Sitze aus freundlich zu, als wollte er uns ermuntern, fein reiches Eigenthum gründlich zu betrachten. Wohl eine Stunde bedurften wir, um uns nur flüchtig in den Gärten umzusehen. Tie Promenade war zudem mühselig genug, da die schmalen, mit Fliesen gepflasterten Fußsteige uns zwischen den bewässerten Reisfeldern oft zum Balanciren nöthigten. Es blieb uns nichts Anderes übrig, als im Gänsemarsch vorzugehen. Tie Pfade waren bisweilen nicht viel breiter als die Schärfe eines Nasirmesfers. Die Besichtigung der chinesischen Läden hat für mich unbeschreibliche Reize; ich kann mich an diesen phantastischen Thceservicen, den Schnitzereien aus Lbenholz, den Stühlen, Eophas, Tischen und Bettstellen aus d^n kostbarsten Hölzern und einer Mosaik von rothen oder weißen Marmorstiften und Platten gar nicht satt sehen. Die Preise selbst für Kleinigkeiten, sind abschreckend hoch; ich habe durch meine späte Ankunft die beste Ieit zu Einkäufen verfehlt. Kur; vor Neujahr läht der Chinese am leichtesten mit sich handeln, da er um diese Zeit, wie auch andere Leute ohne Zopf, viel Geld braucht, (5'inige remarquable Vasen wurden mir im tiefsten Vertrauen von Landsleuten als Manchester- und Birmingham-Fabrikat bezeichnet, das von englischen Tpeculanten nur nach Kanton geschickt worden war, um durch den chinesischen Stempel die Vürgschaft der Echtheit zu erhalten. Minder anziehend als diese prachtvollen Vcuars sind die Wohnungen der Aerzte. Der bei uns wildwachsende Pfu'chdoctor hat hier noch nicht Play gegriffen; die chinesische Medicin führt unumschränkt das gros;e Wort. So viel ich zu ermitteln vermochte, bestehen die Medicamcnte meistens aus Pillen und Pflastern. Von letzteren wird die sonderbarste Anwendung gemacht. Fällt das lange getragene Pflaster endlich von dem Patienten ab, fo bedient fich der Ant seiner als Reclame. Unsere wildesten Mediciner, die Taubitze, Hoffs, Iacobis, Povps, Lampes und Dubarrys, drucken zu ihrer Empfehlung die Tankbriefe der Genesenen für fchweres Geld in den Zeitungen ab; die chinesifchen Heilkünstler wissen dergleichen billigcr herzustellen. Sie kleben oder nageln die Pflaster an die Fronten ihrer Häuser. Angehende Aerzte, deren Praris 15 noch in den Kinderschuhen steht, beginnen mit der Hausthür; die Wohnungen renommirter Doctoren sind bis an den ausgeschweiften Giebel, der widerwärtigste Anblick von der Welt, mit Pflastern bedeckt. Villionen Fliegen machen den Aufenthalt in der Nachbarschaft unerträglich. Die gelehrten Herren verstehen auch hier, sich äußerlich ein Ansehen zu geben. Sie tragen große Brillen und bauen ihre Häuser im Styl der Tempel. Auf meinen Spaziergängen, über denen die künstlerischen Arbeiten leider gar arg vernachlässigt werden, lerne ich täglich etwas Neues. Gewiß erinnert sich so Mancher, wie lebhaft ihrer Zeit die Frage der Vcdürfnißanstalten erörtert wurde, wie uneinig man noch jetzt in der preußischen Capitale über die Kanalisation oder die systematisch geordnete Abfuhr der Dungstoffe ist. In Kanton hat man längst den Werth derselben eingesehen. Die Besitzerinnen der sogenannten „Cabinets d'Aisancc" in Paris lassen sich von ihren Gästen einen Entgelt von fünfzehn Centimes zahlen; in Kanton verhält es fich umgekehrt. Der Inhaber jedes Erleichterungsinstituts fühlt sich verpflichtet, alle bei ihm vorsprechenden Personen ihren Leistungen gemäß zu honoriren. Für die Lieferung zahlt er, je nach ihrem Aggregatzustande und ihrer Substanzialität, < einen bis vier Cash. So geht der Landwirthschaft kaum ein Atom der städtischen Dungstoffe verloren, und die chinesische Gärtnerei zieht daraus die außerordentlichsten Vortheile. Im Großen und Ganzen verdient die Straßen-reinigung Kantons das höchste Lob. Die schmalen Straßen werden sehr sanber gehalten, und selbst die Fußpfade vor der Stadt find mit Granit-platten gepflastert, da man bei dem fetten Erdreich bei anhaltendem Regenwetter gleich knietief in den weichen Voden sinken würde. Ist die Hitze nicht zu erdrückend, so besuche ich auch Werkstätten und Fabriken und bewundere den rastlosen Fleiß und die Geschicklichkeit der Bevölkerung. Schon Kinder von sechs Jahren gehen ihren Eltern zur Hand und verrichten den Tag über unverdrossen irgend eine leichte, aber für das Geschäft unerläßliche Arbeit. In jedem Winkel Kantons, oft in Oertlichkeiten, die nur noch für den Aufenthalt des Ungeziefers geeignet zu sein scheinen, wird gesponnen, gewebt, geschnitzt, gemalt und gefärbt. Der Chinese ist unermüdlich; was Erholung heißt, ist ihm vollkommen unbekannt. Am 17. April wurde schon um 7 Uhr Morgens in Gesellschaft von fünf Landsleuten eine Wanderung in die Straßen der Stadt angetreten. Wir besuchten den „Tempel der Schrecken," Als abmahnendes Beispiel sind in diesem, um der Geschäftsüberhäufung der Eriminaljustiz nachdrücklich vorzubeugen, die furchtbarsten Todesstrafen durch Holzfigurcn vergegenwärtigt. C'in Delinquent wurde zwischen zwei Brettern zerfägt; ein anderer saß in einem mit Wasser gefüllten Kessel, unter dem Feuer brannte. Eine mir vollkommen neue Todesstrafe war das haarsträubende Verfahren, den Verbrecher zu Tode — zu läuten. Eine große Glocke wird über ihn herabgelassen und 16 einen halben Fuß hoch über dem Erdboden schwebend erhalten-, nun bearbeiten die Schergen das Metall so lange nut gewaltigen hämmern, bis das Opfer, von dem wüsten Lärm innerlich vernichtet, zu Boden sinkt und endlich den Oeist aufgiebt. Sind diesc Illustrationen zum chinesischen Strafgesetzbuch maßgebend, so werden im himmlischen Reiche Verbrecher auch wilden Thieren vorgeworfen. Vei meinein langen Aufenthalte in China werde ich mich genöthigt sehen, auf das Capitel der Rechtspflege, des Gefängnißreglements und der starken Nervensysteme der Chinesen wiederholt zurückzukommen. III. Die Aufnahme eincr Ttraße in Kanton. Ein Frurrwachtthurm. Gin Mandarin mit blauem Knopf. Tschau Tschau. Haifischflossen und Hachse von Raupen. Nach mehrtägigem Müssiggange mußte endlich daran gedacht werden, die Ernte für meine Aauarellsammlung zu beginnen. Unser Consul, Herr von Carlowitz, geleitete mich zu einer vorzugsweise pittoresken Straße und verschaffte mir die Erlaubniß, vor einem Hause medersitzen und malen zu dürfen. Der betreffende Viertelsmandarin würde dieselbe wahrscheinlich verweigert haben, hätte er ihre Folgen voraussehen können. Ueber meine persönliche Lage erlaube ich mir keine Bemerkung weiter; die Straße war nur vier bis fünf Fuß breit und die Hitze überstieg 30 Grad Ncaumur. Kaun: hatte ich Platz genommen und meine Utcnsilien ausgepackt, als die Neuigkeit sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Die Ladenbcsitzer traten vor die Thüren, die jüngeren Familienmitglieder erkletterten die Schilder, alle Fenster waren besetzt-. der Verkehr stoÄte und die Straße wurde von Seiten der Behörde für zwei Stunden abgesperrt. Nachdem es nur gelungen war, durch handgreifliche Pantomimen und Rippenstöße unter den Umstehenden eine Gasse zu öffnen, machte ich mich an die Arbeit, aber immer von Neuem drängte die schaulustige Mcngc heran. Ein kleiner Chinese trieb die Frechheit so weit, sich mit dem Ellenbogen aus meine Schulter zu stützen, um die Malerei zu betrachten. Meinen chinesischen Lohnlakai odcr Cicerone hatte ich zwar bei mir, allein auch diesem gelang es nicht, mich vor den Zudringlichen zu schützen. Ich war froh, als ich nach zweistündiger Arbeit die Skizze vollendet und nach einstündigem Rückzüge durch die engen Straßen das Ufer des Flusses und mein Boot erreicht hatte. Der Janhagel war mir in der süßen Hoffnung, der Tuschlasten könne noch einmal geöffnet werden, bis an das Wasser gefolgt. Ich ließ die Bootsleute eine halbe,Stunde weiter zu einer malerischen Gruppe von Blmnenböten rudern und gedachte diese zu Papier zu bringen, doch 17 erregte insin Beginnen auch hier gerechtes Aufsehen. Alle in den Zwingern der Galanterie aufbewahrten Damen wurden sichtbar und schnatterten unter einander über den dreisten Fremdling; ich bedauerte nur, einige der jüngsten nicht zum Sitzen bringen zu können: es befanden sich Schönheiten ersten Ranges, d. h. nach chinesischem Geschmack, unter ihnen. Als ich ihnen durch Zugeworfene Kußfinger meine Huldigung darzubringen suchte, brach der ge-sammte Chorus der Vestalinnen von Kanton in ein schallendes Gelächter aus. Ich darf nicht vergessen anzuführen, daß der Inhaber des nächsten Blumen-bootes einen Diener zu mir herübersandte und mich mit Thee labte. Es war «> Uhr, als mein Werk vollendet war, ich dinirte bei Herrn von Earlowitz, dann mietheten nur ein von den Damen geräumtes Blumenboot, fuhren den Perlfluß eine Strecke hinauf, gingen dort vor Anker, zündeten die Cigarren an und schlössen den Tag im Genuß der mild fächelnden Abendbrise. Um ^ 1 Uhr kehrten wir nach Hause zurück. Am nächsten Morgen unternahm ich die Besteigung des Feuerwachtthurms, von dessen Höhe ich mir eine vortreffliche Aussicht versprach, da alle diese Institute stets an einem ihrem Zweck entsprechenden Punkte erbaut sind, doch war es nicht leicht hinaufzukommen. Zuerst mußte von einem nahen Gurken -Händler eine hohe Bambusleiter geborgt und das Dach des Hauses erklettert werden. Der mich begleitende Feuerwehrmann hatte außerdem eine kürzere weiter mitgenommen und leistete mii dienstfertig alle nöthige Hülfe. Noch kletterten wir über mehrere angrenzende Dächer, als sich auch schon Schaarcn von Zuschauern versammelt hatten. Die besten Plätze aller Dächer waren beseht, Jeder wollte wissen, was der rothe Teufel im Schilde fiihre. Ueber schwankende Leitcrn auf die Spitze des Thurmes gelangt, wurden meine Erwartungen nicht getäuscht, mit jeder neu erkletterten Leiter gestaltete sich die Aussicht schöner' oben entfaltete sich ein wahres Panorama von Kanton. Der Wachthabende empfing mich, froh, einer unerwarteten Erheiterung theilhaftig zu werden, höchst zuvorkommend, ich richtete mich in seinem Zimmer sehr comfortabel ein und brachte in vollkommener, nach der Belästigung des gestrigen Tages doppelt schätzenswerther Abgeschiedenheit mehrere Bilder zu Stande. Das Hinabsteigen vom Thurme war auffallend schwierig. Ich war mit Mappe und Schirm beladen, die Zuschauer hatten in der gespannten Erwartung, noch müsse sich irgend etwas Unerwartetes zutragen, ihre Plätze nicht verlassen und begrüßten mich schon bei meinem Erscheinen auf dcr obersten weiter mit einem wilden Hohngeschrei; mich überfiel eine peinliche Befangenheit. So mag einem Trapezgymnasten, wenn er seine öffentliche Laufbahn beginnt, zu Muthe sein. Abgesehen von einigem Stolpern auf den brüchigen Leitersprossen, kam ich jedoch glücklich hinab und conservirte auf dieser bedenklichen Promenade sogar mein Uhrglas, dessen Einbuße mir am schmerzlichsten gewesen ware, da ich hier an einen Erfatz nicht denken konnte. Die Hildtbrandt'ö Ncisl um die Erde. N. 2 18 Zuschauerschast verabschiedete mich mit einem vocalen Mißtrauensvotum; ihre Erwartungen waren getäuscht worden. Einmal in dem Revier eines Feuer-wachtthurms, darf ich nicht verschweigen, daß Feuersbrünste in den chinesischen Städten trotz der engen Bauart und der verfänglichen Beleuchtung von Papierlaternen zu den Seltenheiten gehören, Versicherungsgesellschaften sind im ganzen Reiche unbekannt und jeder Hausbesitzer, auf dessen Grundstück Feuer auskommt, muß nicht allein eine Geldstrafe zahlen, sondern auch den etwaigen Schaden seiner Nachbarn ersetzen. Der Chinese wird mithin von Kindesbeinen an zur Behutsamkeit im Umgänge mit Licht und Feuer erzogen. Wieder auf sicherem Grund und Boden, denn der Nachtthurm, ein lockerer Aufbau von Bambusstäben war zugleich ein Wackelthurm, schlenderte ich langsam durch die Straßen und freute mich der heutigen Ausbeute und der rasch vollbrachten Arbeit, als sich plötzlich der Himmel verdunkelte und zehn Minuten später ein Platzregen losbrach. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als auf dem Flur des nächsten Hauses ein Unterkommen zu suchen. Mein Regenschinn war dieser Tündfluth nicht gewachsen. Mein Zufluchtsort war ohne Ladeneinrichtung, alfo auch ohne lebhafteren Verkehr, doch entging ich nicht der Aufmerksamkeit der Hausgenossen. Emissäre aus den oberen Stockwerken erschienen am unteren Ende der Treppe und statteten dann in der höheren officiellen Region Bericht ab, endlich erschien ein kleiner alter Herr mit unbeschreiblich heiteren» Gesichte und bat mich, ihm in seine Wohnung zu folgen. Man reicht in China einander zum Gruß niemals die Rechte, mein gastlicher Greis faltete nur beide Hände, drückte sie inbrünstig an die eigene Brust, verdrehte falbungsooll die Augen, flötete „Tschin, Tschin" und machte mit dein Haupte eine Wendung nach der Treppe. Ich konnte ihn nicht mißverstehen. Als wir in seinen renend geschmückten Zimmern es uns bequem geinacht und die Pfeifen gestopft hatten, erschien die unvermeidliche Theekanne, und die Unterhaltung begann. Unglücklicherweise stellte sich sogleich heraus, daß mein Wirth im Englischen nicht besser unterrichtet war als ich im Chinesischen, doch hinderte dieser mißliche Umstand das geschwätzige Männlein keineswegs, seine Plauderei fortzusetzen. Er schwadronirte chinesisch, ich antwortete ihm in deutscher Mundart und dennoch verständigten wir uns durch Gcberden, bejahende oder verneinende Grunzlaute und andere rhetorische Elementar-Hülfsmittcl ganz leidlich. Die reiche Ausstattung des Gemaches imponirte mir, ich dachte au die Appartements unserer Banquiers und Geh. Commerzienräthe und fragte den Alten in wohlgesctztem Deutsch: „Mit wein ich die Ehre hätte . . . ,?" Zugleich fügte ich, die Pantomimen heimischer Solotänzer zum Muster nehmend, eine Gcberde und Stellung hinzu, die ich von den Abenteurern Flick und Flock gelernt, als der Bergkönig mit seinem Gefolge sich ihnen näherte. Mein Wirth schien m begreifen, er tippte mit dem Zeigefinger auf die Brust, zog die schrägen Augenbrauen in die Höhe, 19 sah mich fragend an und verließ das Zimmer. Nach einigen Secunden kehrte er Zurück, er trug in der Rechten einen hohl ausgeschweiften, trichterartigen Hut, dessen Spitze mit einem blauen glänzenden Knopf und einer leichten Troddelgarnitur verziert war. Vor mir stand demnach ein Würdenträger des, himmlischen Reiches, ein Mandarin vom blauen Knopfe. Der gute Alte tonnte der Versuchung nicht widerstehen, sich einen Augenblick lang mit dem Rangsymbol zu bedecken, ich machte eine respectvolle Verbeugung, dann brachte er den amtlichen Hut wieder in sichern Gewahrsam und holte allerlei nationale Curiositä ten: hingehaucht zarte Porzellanschalen, Bilderchen, Schnitzereien, Schriftproben u. dgl. m., hervor, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich öffnete ei» wenig das Fenster, da die hiesigen Scheiben, geschliffene und polirte Muschelschalen, wohl Licht durchtasten, aber keine Aussicht gestatten; der Regenguß hielt an. Der Mandarin errieth meine Absicht, ihm nicht länger beschwerlich zu fallen und mich nothgednmgen auf den Weg zu machen, er schüttelte unwillig das 5?aupt und prononcirtc im „Pidjen Englisch" die ersten europäischen Silben. „Chow, Chow!" iTschau, Tschau) rief er mit kreischender Stimme und deutete auf die Nebengemächer, in deren einem ein Tisch servirt wurde. „Tschau, Tschau" heißt „Essen!", er lud mich zum Diner ein. Alle Sprößlinge von Culturstallten verstehen einander; ich deutete auf meine Garderobe, deren ursprünglich schon abgeschwächter Glanz bei der Nebersteigung der Dächer nicht gewonnen hatte. Der artige Beamte — ich verzichte nur ungern auf die Bezeichnung „Geh. Rath", fo liebevoll anheimelnd war fein Betragen — beruhigte mich durch Geberden, aus denen ich zu errathen glaubte, er stelle mir die eigene Garderobe zur Disposition: ich beschloß zu bleiben. Der würdige Mandarin sah einige Gäste bei sich, es nmr fein großes Diner, feine Universal-Abfüttenmg, fondern nur eine jener zwanglosen Mahlzeiten, die wir rothen Teufel: „Iunggesellenessen" nennen. Bald darauf fanden sich die sechs Gäste ein, lauter alte Standespersonen von dem Range meines lieben Wirthes, nur einer schien einen noch höheren Posten zu bekleiden; in seinem Benehmen, fo zuvorkommend es war, lag etwas von Herablassung; er erinnerte mich an unsere alten Aristokraten, die, wenn sie endlich in den Besitz eines Ordenssterns gelangen, sich das Air von Prinzen geben. Zugleich sah ich, daß die Hypothese eines Iunggcfellendiners falfch war. Sämmtliche Herren trugen schneeweiße Schnurr- und ,wiebelbärte, ein Beweis, das; sie im heiligen Ehestande lebten oder doch HMtwer waren. Räch dem chinesischen ^oes große und kleine Raupen. Der Durst wurde mit leichtem, etwas erwärmtem Weine gestillt; die Chinesen sind keine leidenschaftlichen Zecher, auch reizen die meisten Schüsseln nicht zum Trinken. Eine Menge Süßigkeiten bildet das Dessert, dazu gehörte Marzipan, angefertigt aus Zucker, Mandeln und -^ Schweineschmalz Sobald der Regen aufhörte, verabschiedete ich mich unter vielen Danksagungen, miethete vor dem nächsten Tuschladen einen Palantin und gelangte trockenen Fußes in mein Äoot. Der Magen eines Fisches, von dem ich kurz vor Aufhebung der Fasel aus Empfehlung des Gastgebers genossen, lag mir schwer im Magen; was hätte ich darum gegeben, wäre mir eine Gelegenheit geboten worden, mich gleich den NobUis in Bangkok nach dem schweren Diner auf dem Eopha auszustrecken und von den Sclaoinnen kneten )U lassen. Ich durfte mich nur an dem Anblick meiner Skizze weiden. Das Städtchen ist der liebste Zielpunkt meiner Ausflüge-, mit der Besatzung habe ich Freundschaft geschlossen und sogar schon das Talent eines-Schülers erweckt. Bei meiner letzten Ankunft brachte nur einer der Soldaten, ein Unterosficier, eine von ihm angefertigte Skizze der Umgebung, die ungeachtet der chinesischen Perspective Anlage verrieth. Ich corrigirte, da ich mich mit ihm nicht weiter verständigen konnte, die ärgsten Fehler, und die Veränderungen des intelligenten Gesichts geigten, daß der Mensch mich verstanden habe. Vom Süothor aus begab ich mich in das Innere der Stadt und stattete einen; dort wohnenden Fachgenossen einen Besuch ab. Ein Fllchncnllssc und sein Atelier. Im Gefängniß und vor Gericht. Der gesetzliche Hungertoll. Zwei Theaterabende. Ter Kaiser als .,6?u« «x waellinH - der chinesischen Komödie. Nach Macao. Ter Wildpark von statten. Wir leben jetzt in der Jahreszeit, wo die Kantanesen ihre Sommerwohnungen beziehen, d. h. auf dem Dache ein Mattenhaus errichten und darin die Nächte zubringen. In vielen Straßen waren die Bewohner der Hauler mit dem Bau dieser Zelte beschäftigt. Es ist das einzige Mittel für eine so arbeitsame Bevölkerung, sich in diesen enggebauten Stadtvierteln und niedrigen Häusern etwas frische 5/uft Zu verschaffen. Nach einigen Nachforschungen sand ich den mir bezeichneten Künstler, eine Notabilität der chinesischen Malerei. Er bewohnte ein zweistöckiges Haus und cmvfing mich mit großer Würde 22 in einem kleinen Zimmer des ersten Stockwerkes. Ein lang herabhangender grauer Schnurrbart verrieth seine Großuaterwürde, zwei Hauptschüler oder Famuli leisteten ihm Gesellschaft. Ein Schach- uud Tonunospiel bewies, daß die Künstler gelegentlicher Erholung nicht abhold seien. Nur der Meister malte an einer Staffclei, ähnlich der bei uns gebräuchlichen, die Schüler sahen vor kleinen Tischen und führten ihre Malerei an einem schrägen Brette aus, auf dem die zu illustrirende Fläche uon Holz, Leinwand oder Papier ausgebreitet lag. Neben Jedem standen dicke Holzscheiben mit den erforderlichen Farbenmirturcn. Der Chef allein bediente sich einer halbmondförmigen Palette; seine Pinsel waren von ungleicher Feinheit. Einige bestanden aus Borsten, andere aus Marderhaar oder feingespaltenem Bambus. Er beschäftigte sich eben mit der Vergrößerung einer kleinen weiblichen Photographie, die durch ein Ouadratnei) in Lebensgröße und zwar in Oel übersetzt werden sollte. Die chinesischen Maler sind in dem letzten Decennium mit den Oelfarben bekannt geworden und arbeiten darin noch äußerst schülerhaft. Was der alte Raphael mit dem glühenden Zinnober und Indigo auf seiner Platte im Schilde führte, war mir unerklärlich. Weislich hütete ich mich, mein Handwerk zu verrathen, und geberdete mich lediglich als Kunstfreund und Kunde. Ner Kopf des Porträts näherte sich der Vollendung, war aber durchaus unähnlich; die Halskrause und der Faltenwurf des kleiden in ihrer sclavischen Nachahmung konnten wohlgerathen heißen. Ich durfte nicht längcr zweifeln; die als ^adcnschilo »or dem Hause stehende lebensgroße Figur des edlen Washington war ein Werk dey Meisters; ich erkannte die Würde der Zeichnung, vereint mit der Tollkühnheit des Eolorits; die Aehnlichlcit des Frauenzimmers, an dem er arbeitete, mit dem Befreier Nordamerikas bildete sich immer deutlicher heraus. Auf meine Vitte, mir seine Galerie zu zeigen, - der Meister war im Stande, sich in „Pidjen-Englisch" auszudrücken — holten die Gehülfen eine, mit den stereotypen chinesischen Bildchen gefüllte Mappe und breiteten ihre Schätze vor mir aus. Es waren Ansichten der Insel Honam und der dortigen Consulatsgebäude vorhanden, mit der Ausführung der viel zu großen Flaggen hatten die Maler sich die „leiste Mühe gegeben. Von Perspective war wie immer keine Spur zu entdecken. Zur Erinnerung wollte ich ein halbes Dutzend dieser auf Quartblätter von Neispapier gemalten flüchtigen Vedutten mitnehmen und sragte nach dem Preise. Jetzt wurde der Kunstsenior gesprächig; er forderte für jede dieser Schludereicn die unverschämte Summe oon acht Dollars. Auf mein skeptisches Kopfschütteln spielte ihm seine künstlerische Reizbarkeit einen Streich. Er hob die Rechte, streckte den mageren Daumen aus und schrie: „Xumbol one !,aiiä»uni" (imindoi on»- !,2,nä3omo) „Nummer eins, vortrefflich!" und wiederholte die Worte „Numb«I one" im Crescendo mehrmals. Anfangs verstand ich ihn nicht gleich, dann erinnerte ich mich, daß die Chinesen das It nicht aus- 23 zusprechen vermögen, und begriff, was er sagen wollte; er sei der erste Maler im Lande China. Der Abschluß des Geschäfts wurde vorläufig aufgeschoben; der Meister suchte mich durch einige an den Wänden hängende Proben seines Talents zu Bestellungen zu ermuntern. Außer einem abermaligen Washington, der jedoch mehr in Essig, als in Oel gemalt schien, waren mehrere start decolletirte Schönheiten vorräthig, Liebesbriefe lesend, mit Spatzen tändelnd oder von bejahrten Chevaliers im Vade belauscht, sämmtlich Covien französischer Lithographien. In einem geheimen Cabinet war für ein kleines Entree cini: chinesische Venus zu sehen. Im zweiten Stockwerk hausten die geringeren Schüler oder Lehrburschen der berühmten Firma. Das ganze Atelier war nicht größer als ein <>ühnerstall, in der Mitte stand ein iiochapparat, auf dem die Theekanne dampfte, einer der unglücklichen Jungen saß auf dem andern, keiner war älter als fünfzehn Jahre. Alle arbeiteten, wie der unsterbliche Meister im ersten Stockwerk, an Copien. Die Theilung der Arbeit war vollkommen ausgebildet. Der Erste malte auf den Figurenbildern den Oberleib, der Zweite den Unterleib, der Dritte den Faltenwurf, der Vierte die Schuhe, der Fünfte den Fußboden, der Sechste die «dände u. s. w. Die Farben trocknen schnell auf dem Rcispapier, die Arbeit schritt rasch vorwärts; nur die Gesichter fehlten auf allen Blättern. Der Gesichtermaler war an der Dysenterie erkrankt. Ich hielt mich bei der Betrachtung der Kunstwerke nicht lange auf; das Atelier duftete nicht nach Veilchen oder Rosen. Unten im Laden wurden die Fabrikate der Firma feilgeboten. Einem 5er Jünger lag der Tagvertauf ob, er saß in einem dunkeln Winkel und inalte nach einer Photographie eben den schwarzen Leibrock der Copie. Kein Augenblick durfte ungenutzt verstreichen. Der Laden war jedoch nicht allein Kunstgescläft; er diente auch irdisch gemeineren Handelszwecken. Mehrere kleinere Geschäftsleute hatten sich als Miether in den spärlichen Raum getheilt. Hart neben dem Bilderhändler verkaufte ein Cigarrenhändler außer Tabak: (.'^tur oil (Ricinusöl), links saß ein Verkäufer von lebenden Fifchen und dicht an der Thür eine Geldwechslerfamilie. Im Heraustreten sah ich erst, daß die Straße nicht zu den saubersten der sonst gar reinlichen Stadt gehörte. Das Geschäftsleben mochte in ihr florircn, aber das Ameisengewimmel der hastigen Menschenmenge war beängstigend. Bald kam ein zu Pferde sitzender Mandarin vorüber, dein Alle in die Läden auswichen, bald ein Arzt mit riesengroßer Brille; am meisten gemieden wurden die Exporteure, Männer, die an einem auf der Schulter balancirenden Bambusstäbe zwei gestrichen volle Eimer frische Dungstoffe aus den Thoren schaffen und durch ein lautes Wehgchml alle Vorübergehenden vor einer unvorsichtigen Annäherung warnen. Ich pries mich glücklich, sobald ich durch eine Seitenstraße, in der mir drei-inal der .^ut vom Kopfe gerannt worden war, den Tempel der fünf Genien erreicht hatte und erschöpft auf den Stufen des Portals ausruhen konnte. 24 Das Südthor ist erfahrungsinäßig der bequemste Ausgangspunkt für uteine Studienrnndgänge; ich kehre daher häufig zu meinen militärischen Freunden zurück und stelle von ihrem Nachtlokal aus meine Untersuchungen der Straßen von Kanton an. Der niemals stockende Menschenstrom läßt mich nur langsam vorwärts gelangen, und selten entgeht ein beachtenswerther Gegenstand meiner Aufmertsamkeit. So erregte vor einein stattlichen, jedoch etwas düster aussehenden Gebäude ein Haufe uon Individuen, die sämmtlich mit Ketten belastet waren, an denen sie obenein etwa fünfzig Pfund schwere Steine hinter sich her herschleppten, meine Verwunderung. Das Gebäude war ein Gefängniß, und die Kettenträger feine Vewohner. Im Gegensatz zu dem sonstigen furchtbaren Criminalverfahren der Chinesen schienen die Sträflinge mit leidlicher Milde behandelt zu werden. Da eine Menge von ihnen vor der Hausfront auf der Straße lustwandelte oder auf dein Pflaster der Höfe umherlungerte, lieh sich nicht wohl annehmen, die Spazierstunde der Gefangenen habe begonnen i den Gefangenen mochte in: Ganzen größere Freiheit gegönnt werden als in Europa, wo die Wachtposten fie nicht aus den Allgen verlieren dürfen. Von Niemandem aufgehalten, durchschritt ich mehrere Hofe und kam im dritten derselben endlich vor die Thür der Gerichtshalle des Criminal-gefängnisfes. Sie stand zwar offen, doch waren alle Unberufenen durch eine zwischen den Pfosten ausgespannte schwere eiserne Kette ausgesperrt. Corn mußte eine Verhandlung stattfinden, denn der Saal war mit Menschen gefüllt, und so weit ich sehen tonnte, lagen einige Subjecte auf dein Bauche und drückten die Nase auf den Fußboden, muthmaßlich also Angeklagte. Einer der Richter, gleichviel ob Rath oder Hülfsarbeiter, in dessen Gesichtskreis ich gerieth, durchbohrte mich mit so ingrimmigen Vlicken, daß ich für gerathen hielt, mich zu entfernen, um fo mehr, als meine Anwesenheit den Mob uon Kanton anzog und ein Theil der Zuhörer sich um mich versammltc. Es war nicht schwer, sich die fernere Procedur auszumalen; die lieben Landsleute hatten nur genug davon erzählt, und ich wurde später wiederholt unfreiwilliger Augenzeuge. Die chinesischen Richter plagen sich nicht mit feinen Untersuchungen, ob in einein gegebenen Falle Gefängniß oder Geldstrafe ;u verhängen sei. Ist der Angeklagte seines Vergehens schuldig erklärt, so ergreift der Vorsitzende unverzüglich einen vor ihm stehenden Vecher voll Schicksalsstäbchen, wirft durch eine rasche Schwenkuug eine gewisse Anzahl zu Voden^ läßt sie zählen und dem Verurtheilten die entsprechende Summe von Hieben mit einem Bambusrohr verabreichen. Die Prügelstrafe ist in China nicht mit entehrenden Vorstellungen verbunden. Selbst höhere Veamtc werden bei geringeren Verschuldungen nicht gleich vor einen Disciplinargerichtshof gestellt, dessen Ausspruch vielleicht ihre ganze künftige Carriere zu Grund richten würde; der Chef des Departements läßt den straffälligen Staatsdiencr auf dem Fußboden ausstrecken, jenen comeruativen Körver:heil entblößen, den . 25 Eulcnspiegel so oft zu höhnischen Ostentationen zu mißbrauchen liebte, und denselben in ausreichender Weise mit Bambus bearbeiten. Ob die Eollegen sich vorkommenden Falls diese büreautratischen Gefälligkeiten untereinander erweisen, oder ob man sich dazu besonderer Subalternen bedient, vermag ich nicht anzugeben. Da jede derartige Tracht Prügel die an anderen Orten landesübliche „Nase" vertritt, wird jedenfalls alljährlich eine Menge unnöthiger Schreiberei erspart. Daß dem ganzen Verfahren nur väterliche Gesinnung, zu Grunde liegt, geht aus dem Schlußact der Ceremonie heroor. Der Abgestrafte hat dem Richter für richtigen Empfang seinen Dank auszusprechen. Gemeine Verbrecher werden noch anderweitig bestraft; man fpannt sie in einen schweren hölzernen Halstragen (spanische Fiedel), steckt sie in einen engen Käfig, in dcm sie weder sitzen nach ausgestreckt liegen tonnen, und hängt sie »lit hinten zusammengebundenen Händen und Füßen an einem leichtgezimmerten Gestell auf. In der Vollziehung der Todesstrafen theilt mau nicht die Scheu europäischer Gerichtshöfe. Die im Laufe eines Jahres in Kanton vollstreckten Hinrichtungen werden aus mehr als tausend veranschlagt. Die übliche Farm ist die Enthauptung. Der Henker ergreift den Zopf des vor chm tnieenden Delinquenten, zieht den Kopf an seinen Unterschenkel und schneidet ihn mit einem breiten Schwert vom Rumpfe. Auf raffinirtere Todesarten tomine ich wahrscheinlich später zurück. Eine derselben ist die Verurtheilung zum Hungertode. Der Verbrecher wird mit einem schweren, tonnenähnlichen Hol^geW umgeben, aus dem nur sein Kopf hervorragt, und vor eine vielbesuchte Restauration gesetzt. Vei Todesstrafe ist es allen Vorübergehenden verbaten, ihn mit Speise und Trank zu erquicken. Durch den Duft der Speisen zur Verzweiflung gebracht, muß der chinesische Tantalus in dieser Lage verschmachten. Für die Abendstunden desselben Tages wurde unter deutschen Landsleuten der Vesuch eines Theaters verabredet; eine renommirte umherziehende Schauspielergesellschaft war angekommen. Die hiesigen Vorstellungen beginnen schon um s, Uhr Abends und dauern nicht selten bis 4 Uhr Morgens, roir versäumten daher nicht viel, wenn wir uns erst um k Uhr auf den Weg »nachten. An einem Abende werden gewöhnlich zwölf bis fünfzehn kleine Stücke gespielt. Wir hatten eine weite Strecke zurückzulegen. Nach einer halbstündigen Bootsfahrt mußten wir noch eben so lange landein marschiren, und zwar auf nur fußbreiten Pfaden über eine Menge schmaler Steinplatten und Brücken zwischen Reisfeldern. Es war bereits stockfinster, und die vor uns her getragene Papicrlaterne gewährte eine äußerst fpärliche Beleuchtung. Jeder mußte sich vorsehen, nicht auszugleiten und in den Lumps Zu fallen; eines gleich unangenehmen Theaterganges wußte ich mich bis dahin nicht zu erinnern. Glücklicherweise war ich der Letzte unserer Reihe. Das Theater selbst stand mitten in einein Teiche und war auf Pfählen unmittelbar über der Wasserfläche erbaut, wahrscheinlich in der Absicht, die Temperatur des Innern 26 zu verbessern und den Zuschauern, wenn Feuer ausbrechen sollte, Gelegenheit Zu bieten, ohne Weiteres alls den Fenstern zu springen und sich durch Schwimmen zu retten. Liner Baustelle auf dem culturfähigen Festlande schien man das Kunstinstitut nicht für werth zu halten. Das Material der Wände bestand aus Bambusstäben von verschiedenem Durchmesser, das Dach aus Matten von Palmblättern i ein Hängewerk verlieh ihm größere Sicherheit. Der Zuschauerraum war ungemein groß und konnte, obgleich nur ein^ogen-rang vorhanden war, dach mehr als fünftausend Personen aufnehmen, die sich freilich der Mehrzahl nach in dem das ganze Erdgeschoß umfassenden Parterre und stehend an einander pressen mußten. Das Eintrittsgeld für den ersten Rang betrug nicht mehr als zwölf Silbergroschen nach unserem Gelde- der Stehplatz im Parterre kostete nur cinen Silbcrgroschen, doch war auch im ersten Range für Sitze nur nothdürftig geforgt. Als wir diese „Nobelgalerie" auf einer Bambusleiter mühselig erklettert hatten, wies man uns statt Fauteuils niedrige, sieben Zoll breite Fußbankchen als Sitze an. Das Publikum unseres Ranges war nicht sonderlich zahlreich, desto starker aber das Parterre besetzt. Ich hockte an dem Geländer auf ein Bänlchm nieder, hielt nur weislich die Nase zu und blickte verdutzt in den Zuschaucrraum hinab. Ais dicht an die Rampe der Bühne war der weite Raum mit kahlen bezopften Schädeln gefüllt, die an den Inhalt eines Beinhauses erinnerten. Sämmtliche Kunstfreunde hatten schon vor dem Eintritt in's Parterre die Oberkleider abgelegt, denn der Raum reichte nickt hin, im Hause selber es sich bequem zu machen. Die nackte Menschenmasse — die Orientalen tragen k^ine Hemden! — konnte füglich einem Kirchenmaler als Vorbild für die Auferstehung der Todten am jüngsten Tage dienen. Aus der Tiefe stieg ein mevhitischer Qualm empor, der für civilisirte l^eruchsorgane nicht hätte empfindlicher sein können, wäre jeder einzelne Zuschauer zugleich Minie und von den Aengsten eines ersten Auftretens bedroht gewesen. Auf den Bambuystabchen des comvlicirten Hängewerks unter dem Dache ritten Hunderte von Kerlen, die zwischen den Palm-blätter-Matten durchgekrochen waren und der Vorstellung gratis beiwohnten. So gefährlich die Positionen dieser zerlumpten Turnliebhaber aussahen, Unglücksfälle schienen nicht vorzukommen- die Zuschauer des Parterre nahmen von den über ihren Köpfen baumelnden Eindringlingen nicht die geringste Notiz, sondern widmeten ihre ganze Aufmerksamkeit nur der Vorstellung. Eben so wenig bekümmerte sich das Dienstpersonal des Theaters oder die Beamten der Sicherheitspolizei um diese verwegenen >Nlnstfreunde - der Direction war unverkennbar Alles an einem überfüllten Hause gelegen. Unser Laternenträger hatte, nebst den übrigen Bedienten, mit uns ohne Entree den ersten Nang bestiegen und sich unter die Zuschauer gemischt, dann waren sie nach längeren Berathungen wieder hinabgcklettert und an die Kasse gegangen. Wie ich svätel erfuhr, war es ihnen gelungen, von dem Kasfirer eine kl>nn>: 2? Provision für unsere Zuführung zu erpressen. Das Publikum ersten Ranges bestand aus Bewohnern Kantons der bemittelteren blassen. Die Herren waren mit Kochherden und Theekesseln versehen, sie rauchten Cigarren, tranken Thee, und von Zeit zu Zeit wurde aus den mit Victualien gefüllten Buden vor dem Theater mannigfaltiger Proviant herbeigeschafft. Frauen waren weder im ersten Range noch im Parterre zugegen, auch alle weiblichen Rollen in den Stücken wurden von Jünglingen und Knaben allsgeführt. Nach chinesischein Geschmack war die Bühne glänzend decorirt, doch entsprach nichts davon unseren theatralischen Gebräuchen. Die Hinterwand, eine mit wüsten Fratzen bemalte Gardine, blieb in allen Stücken unverändert, der einzige Scenenwechsel bestand darin, daß die auf dem inmitten des Theaters stehenden Tische liegende Decke umgedreht, die beiden rechts und links aufgestellten Stühle etwas näher oder etwas weiter gerückt wurden. Vor der Hinterwand ist die Capelle aufgestellt, doch hat ihre Zusammensetzung nichts unseren Orchestern Analoges. Ist das Streichquartett die Basis des europäischen Instrumentale, sa sind die hauptsächlichsten Tonwcrlzeuge der Chinesen: Tamtam, Gong, Schellen und eine große Glocke. Die Capelle begleitet mit ihnen sowohl den Gesang, wie den Dialog der Acteure-, das Stück war mithin ein Mittelding von Melodrama und ^iederspiel. Ob der Tert sich für eine derartige musikalische Behandlung eignete: das zu entscheiden, mus; ich der chinesischen Kritik anheimgeben. Die Hauptperson war ein Mandarin, der vielfach seine Amtsbefugnisse überschritten hatte und nach dein dumpfen Veifallsmurmeln der Menge im Parterre ein stehender Typus des nationalen Theaters zu sein schien. Er häufte das Mas; seiner Schandthaten durch körperliche Mißhandlung aller Hausgenossen und selbst eines Ankömmlings, den er durch die anzüglichsten Redensarten beleidigte. Jetzt zeigten sich unter unseren denkenden ^ogennachbarn Spuren sittlicher Entrüstung, aber gleichzeitig Zeichen froher Erwartung einer strengen Abstrafuug des Verbrechers. Das Stück war bekannt und beliebt. Sehr bald gab sich der beschimpfte Ankömmling als Kaiser von China zu erkennen, der nach der Sitte des Khalifeu Harun Alraschid umherstrich und Zustände und Persönlichkeiten seines Reiches kennen zu lernen suchte. Was blieb dem gütigen Monarchen übrig, als den Verbrecher mitten durchsägen zu lassen? Die Bitten des Schuldigen sind vergebens, schon werden die Vorkehrungen zur Execution mitten auf den: Theater getroffen, da humpelt die junge Gattin des Mandarinen auf ihren verkrüppelten Füßchen links aus der Coulisse auf die Vühne. Der junge Schauspieler bediente sich der üblichen Krückstöcke und verstand den unbehülsiichen Gang der feinen Chinesinnen geschickt nachzuahmen. Natürlich hat die Mandarine gehorcht; sie weiß Alles, wendet sich mit einer kläglich bewegten Rede an das Herz des Kaisers und inacht wirtlich Eindruck auf sein Gemüth. Der Verbrecher n'ird begnadigt-, der Kaiser aber begicbt sich mit der schönen Bittstellerin in das Seitengemach, 28 vermuthlich nur, un: ihre Danksagungen für die Rettung des Gemahls entgegen zu nehinen. Der zurückgebliebene Ehemann hält diesen Moment für geeignet, in inehreren Couplets seinen angenehmen «batten-Empfindungen Aufdruck zu verleihen und >nit ihnen unter einein barbarischen Lospauken auf die Instrumente schließt das Stück. Die Theaterfprache der Chinesen be« steht in einem fortwährenden widerwärtigen Fistuliren, das sich mit einen: eben so unnatürlichen Pathos vereint. Dein Stoffe lag, wie ich anfangs glaubte, ein historischer Vorgang zum Eirunde, doch überzeugte ich mich in späteren Vorstellungen, daß ein alccrthümliches, reiches Costüm, wie es alle Mitwirkenden trugen, überhaupt zur chinesischen Nühnen-Etikette gehöre. Der Kaiser suchte sich durch ausfallendes webcrdenspiel vor allen minder einflußreichen Personen auszuzeichnen. Sobald er sich z. V. auf einen Sessel niederließ, sehte er die Beine breit auseinander und stemmte beide Fäuste drohend auf die Oberschenkel. Das nächstfolgende Theaterstück beschäftigte die Section der Springer und Athleten der reisenden Gesellschaft. Der Inhalt des ^uasi-Vallets blieb mir unverständlich, doch werde ich wohl nicht weit neben denc Schwarzen der Scheibe vorbeischießen, wenn ich die Vermuthung ausfpreche, es habe sich um die Rettung einer zwischen dem guten und böfen Princip bedenklich schwankenden Seele gehandelt, denn geflügelte Engel und Teufel, kämpften unabläfsig um ihren Vesih. Die Seele gehörte zu den Haupt-springern und Matadoren der Truppe, auf allen Vieren laufend machte sie einen Satz über Tifch und Bänke, überschlug sich in der Luft zwischen einem Spalier uon Schwertern und Lanzen und warf mit unfehlbarer Sicherheit mit haarscharfen Dolchen um sich. Das gaine Publikum sympathisirte mit der Seele. Während dieser Forcetouren schwebten große Flammen quer über die Vühne, ohne daß man den sie bewegenden Apparat zu erkennen vermochte. — Das lärmende Schauspiel hatte uns betäubt, der KnoblauchZgeruch wurde bei der steigenden Hitze immer unerträglicher, wir brachen auf, erstanden vor dein Theater Jeder eine brennende Fackel und gelangten so ohne Unglückssall über die schmalen Pfade und Vrückchen bis an das Ufer des Perlilusses und unser Boot. Ich will hier gleich bemerken, daß unsere Gesellschaft bei dem Mangel au anderweitigem Unterhaltungostosf schon am nächsten Abend das Theater abermals besuchte. Mir lag vornehmlich daran, das seltsame Vild meinen« (Gedächtniß fest einzuprägen. Ich wußte noch nicht, daß die Theaterliebhaberei in den Städten Chinas ebenso zu den Leidenschaften der Einwohner gehört, wie in unserem Welttheile, und daß ich auch künstig nicht der Gelegenheit entbehren würde, nur ähnliche Zerstreuungen zu verschaffen. So viel ich bei meiner Untenntniß der Sprache begriff, war das Hauptstück des zweiten Abends eine größere Localposse mit l^scmg, der freilich wieder, wie in ähnlichen Kunstprodukten unserer Heimath, an Wohllaut und technischer Geschmeidigkeit viel zu wünschen übrig ließ. Die Hauptpersonen des Sitten^ 29 yemäldes von Kanton waren: ein Nachtwächter, ein Fischhändler, ein Halunke, Riemchenstecher, Bauernfänger oder sonst etwas, drei junge Mädchen, ein schartiges Messer, ein Mann, dem das Haus durch eine schmutzige Frau verleidet wird, einige Mandarinen, ein Gerichtsbeamter und ein Chor von Oe-sindel. Die kräftig aufgesprochene, moralische Tendenz tonnte Niemanden verborgen bleiben. Nicht nur die Katastrophe entsprach den strengen Forderungen des angeborenen Nechtsgefühls, sondern auch in den meisten Einzelscenen suchte jedes gekränkte Individuum durch körperliche Züchtigung seines Gegners die Aufrechthaltung des Rechtsiustandes zu fördern. In dem gesammten Don Duirotc kommen nicht so viel Prügeleien vor, wie in dieser Posse. Heute nahinen wir uns die Freiheit, auf die Bühne zu gehen und Alles in der Nähe anzusehen, ohne doch etwas Ungewöhnlicheres zu entdecken. Tie Zahl der in Danton, d. h. auf Honam ansässigen Europäer übersteigt nicht vienig, die der deutschen Handelsfirmen nicht nenn. Ta'iU kommen noch mehrere Missionare und ein englischer Geistlicher, der mit seiner permanenten, weißen Cravatte und einem melodischen Baßorgan sich zu einen: Liebling der kirchengängerinnen emporgeschwungen hat. Bei dem Sonntags-, eine ganze Heerde dieser Nagethiere aus den Spalten der Wände herbeigelockt; ich ließ sie gewähren und unbehelligt die Koffer beschnuppern, doch beschloß ich, meine beiden Äedienten auf die Ergiebigkeit der Rattenjagd aufmerksam zu machen. Schon an Bord des „Spark" hatte ich aus einem Gespräch mit dem Steuermann erfahren, daß die Ratte wirklich zu dem beliebtesten Wildpret der niederen Jagd in China gehöre, Der Bestand der Küstenreviere ist so stark, und der Bedarf unter den niederen Klassen so massenhaft, daß die Nattenzufuhr in der zu Hongkong erscheinenden, regelmäßige Correspondent aus Macao bringenden Zeitung eine stehende Rubrik des Marktberichts bildet. Die locale Gourmandise Unterscheidet, wie die Zoologie zwischen Land- und Wasserratten; erstere sollen sich durch ihren Wohlgeschmack auszeichnen und werden daher theuer bezahlt. Das Hallswild wird mit einer sauersüßen Vrühe oder Senfsauce zubereitet. Die Bedienten waren vor Freuden außer sich, als ich ihnen meine Mittheilung machte und absolute Iagdfreiheit im ganzen Hausbezirk gewährleistete. In dein alten Palast konnte ein geschickter Rattenfänger durch Fleischausbeute und Pelzwert viel verdienen. Die Praya granda. Der Tempel eine Theebude. Mein achtzigjähriger Enlcl. Ein Nachmittag im Theater. Tchrrihälse. In der Tpiclhaus- ftraßc. Am frühen Morgen des 26. April machte ich mich, mit einem Revolver in der Tasche und einem stämmigen Bambusrohr in der Hand, auf den Weg und eine Runde um Macao. Das an der offenen Bai gelegene portugiesische Stadtviertel ruft in mir die Erinnerung an Rio Janeiro und Madeira zurück, so groß die Terrainunterschiede sonst sein mögen. Die gebirgige Bodengegend ist von malerischer Mannigfaltigkeit. Mehrere alterthümliche Forts und auf Höhepunkten gelegene Kirchen blicken sinster durch die üppige tropische Vegetation auf den glühend indigoblauen Ocean herab, defsen Vorfluth ?u schwellen beginnt, auf der mächtigen Wallung schwimmt ein Hauch kühler Morgenluft, die Brust des gequälten Menschen hcbt sich höher, sein Auge füllt sich mit Thränen — nennt es Nervenschwäche, Einwirkung des Klimas, wenn ihr wollt — ich nenne es Religion. Hinter der alten portugiesischen Stadt erstrecken sich weithin die chinesischen Viertel, Der verlockendste Spaziergang für den Touristen ist die „Praya 32 yranda", eine halbmondwrnige Straße au: Mcer, auf der andern Seite von stattlichen palastartigen Häusern eingefaßt. Einige der verwitterten Bauwerke sollen noch au5 der Mitte de5 sechzehnten Jahrhunderts stammen, denn die erste Ansiedelung der Portugiesen datirt aus dem Jahre 1539. So melancholisch der Eindruck ist, den diese gleich den Palästen am Canal grande Zu Venedig ',ur Hälfte leer stehenden Gebäude hervorrufen, findet sich in der Prana granda gegen Abend doch der Corso von Macao zusammen, und die portugiesische Musitbande trompetet bis Sonnenuntergang. Von dem bleiernen Druck der Atmosphäre von Bangkok und Danton befreit, schöpfte ich hier frischen Lebensmut!). Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes war ich so glücklich, die Bekanntschaft einer liebenswürdigen portugiesischen Familie hart am Haien zu machen. Die Damen gestatteten mir, so manchen Tag in ihrer Gesellschaft zuzubringen. Dann sitze ich mit der Bleifeder ant offenen Fenster und fahnde auf pittoreske Chinesen. Die stärkende Seeluft wirkt nicht allein auf den Humor des schönen Geschlechts, sondern auch der goldenen Jugend des Handelsstandes höchst vortheilhaft ein. Nicht nur Alles, ivas in animalischer oder vegetabilischer Richtung an Entartung streift, nimmt in den Tropen riesige Dimensionen an, auch in moralischer Hinsicht begeht der Mensch hier leichter Excesse, als in der gemäßigten Region. Von der Icidenfchaftlichen Verlogenheit der reichen iungen Ansiedler habe ich schon gesprochen; in Macao wurde alles Bisherige überboten. In Gesellschaft zweier Gehülfen großer Finnen lustwandelte ich Abends am Meeresstrandc; einer der jungen Herren hatte an Wortwitzen schon Hervorragendes: „Je Dollar (toller), je besser!" geleistet. Jetzt blieb er plötzlich sinnend stehen und sagte: „Nissen Sie, :neine Herren, wir verschreiben alljährlich für tausend Pfd. Sterling Dinte!" Das war dem Eollegen zu arg, er packte heftig meine Schulter und rief: „Und wir ersparen durch bloße Weglassung der I-Punkte an zweitausend Pfd. Sterling für Dinte!" Der Reisende, gleichviel ob er in dem engeren Bezirk einer Stadt oder in Provinzen und Bändern sein Wesen treibt, immer eine den Menschenbeobachter fesselnde, wenngleich häufig auch ärgernde Gestalt, schießt in dieser Zone wildwuchernd in's Kraut. Hier verirren sich seine ästhetischen Eigenschaften, seine alle anderen Urtheile niederdonnernde Redekunst und Unfehlbarkeit bis in das Ungeheuerliche. Wer einen tropischen Handelstouristen belauscht hat, wenn er zur Mandoline sang oder in unbewachten Momenten die Flcdusc beseelte, wird mich nicht der Verleumdung hoffnungsvoller Dilettanten be-Zichtigen. Da ich mich von einer noch aus Europa stammenden Schwäche nicht sreMmcM have uud mit derarÜaM rnu^Mchen und rcdncrMen Vor-trägen nicht zu befreunden t'crmag, ziehe ich in m'ewi Killen dcr Gesellschaft dieser ausstrebenden Millionäre die der Eingeborenen vor. 33 Die Unterschiede zwischen den Bekennern der Religionen des Vuddha und Confucius, die m den chinesischen Provinzen neben einander bestehen, treten nach meiner Wahrnehmung hier deutlich hervor. Die Anhänger der Lehre des Confucius stehen in Macao nicht im besten Geruch. Aus ihnen rekrutiren sich Schmuggler, Piraten, Opiumraucher, Spieler, Diebe und Gauner. Begehen sie ein Verbrechen, so machen sie sich unverzüglich aus dem Staube und suchen auf dm benachbarten kleinen Inseln eine Zuflucht. Die maritime Umgegend von Macao ist die hohe Schule der chinesischen Piraterie. Mehrmals habe ich Gelegenheit gefunden, zu Macao in die Tempel der Confucius-Aekenner zu gelangen und ihr Treiben zu swdiren. Unmittelbar neben den Altären wird Thee getrunken und Kuchen dazu gegessen, Tabak geraucht und Domino oder Karten gespielt. Träte der Stifter dieser Religion in einen solchen Tempel, er griffe sicherlich, wie seiner Zeit Christus im Tempel zu Jerusalem, zur Geißel. Die Buddhaisten betragen sich in ihren Vethäusern und Klöstern ungleich sittiger. Am 28. April besuchte ich mit meinein Malerapparat einen alten, merkwürdigen Schiffertempel. Er ist von riesigen morschen Banienbäumen beschattet und zwischen großen Felsblöcken errichtet' neben dem Tempel standen mehrere Gruppen Bambusrohr. Eine Partie derselben war mit sauber ausgeschnittenen Papierstiefeln, Geldkisten und Hüten behängt. Man erklärte sie mir als Opfer oder Weihgefchenke andächtiger Frauen. Von hier aus fuhr ich zu Waffer nach dem etwa eine Stunde entfernten Vuddhakloster. Ueber wesentliche Abweichungen von der herkömmlichen Bauart wüßte ich nichts zu berichten, nur eine überdachte Gartenhalle überraschte mich. Mehrere hohe und umfangreiche Väume reichten mit ihren Stämmen und Wipfeln weit über die offene Decke des Saales hinaus, innerhalb der reich decorirten Wände wurden köstliche Blumen in Fülle gezogen. Im blühenden, betäubend duftenden Rofengebüsch saß zwischen den Baumstämmen ein achtzigjähriger chinesischer Bonze; vor ihm stand die dampfende Theekanne. Er war in sein Gebetbuch vertieft, erhob aber bei meiner Annäherung das Haupt und begrüßte mich nuf zuvorkommende Weise. Der würdige Herr, vielleicht einer der einflußreichsten Geistlichen des Klosters, sprach etwas Englisch und schien hocherfreut, seine Sprachkenntnisse erweitern zu können. Ich muhte mich erst geduldig in sein Nothwälsch hineinhören, ehe es mir gelang, einige Silben zu verstehen. Die Zunge des Alten war schwer, seine Zähne hatte er sämmtlich verloren. Ueberaus höflich, wie alle gebildeteren Chinesen, beeiferte er sich, mich mit Complimenten zu überhäufen. Da vorgerücktes Alter das höchste Ansehen im himmlischen Reiche genießt, kann ein artiger Chinese dem andern nichts Angenehmeres erweisen, als wenn er seine zurückgelegten Jahre rühmt. Der achtzigjährige Greis entblödete sich daher nicht, zu mir zu sagen: „Du bist gewiß schon sehr alt?" Die Höflichkeit gebot nuf diese Frage die Antwort: „Nicht Hilb:l»r»nbt'« «list um die Wrbl. n. 3 34 halb so alt, wie Du, mein Vater!" Der überhöfliche Bonze ergab sich noch nicht: „Mein theurer, lieber Vater!" fuhr er fort, „sprich die Wahrheit, gewiß könntest Du mein Großvater sein!" Nun war nichts mehr zu sagen, ich proteftirte nicht weiter gegen die mir octroyirte Orotzvaterschaft, schwieg refignirt und trank mit meinem kopfwackelnden „Enkel" eine Tasse Thee. In einer benachbarten Cavelle, in welche mich ein zwischen Gesang und Oewinsel, schwebendes Geräusch menschlicher Stimmen lockte, fand ich vicr jüngere Bonzen. Sie saßen an ciner Art Tisch vor einem vergoldeten Buddha und lasen, sangen oder grunzten aus aufgeschlagenen Büchern Gebete im Quartett. Der Aelteste von ihnen schlug mit einem Stäbe fortwährend auf eine große Glocke, die einen dumpfen Ton von sich gab. Als ich nach Besichtigung des Kloster-gartens, der einen seltenen Reichthum von Zwerggewächsen enthielt, wieder in's Freie trat, kam nur eine Schaar armer Kinder entgegen, die sich inzwischen Bettelns halber versammelt hatten. Keins von ihnen war ohne irgend ein Gebrechen. Ein Drittel war blind, die Uebrigen waren durch Hasenscharten und Knochenfraß des Nasenbeins entstellt. Die beiden letztgenannten Uebel sind in ganz China verbreitet, und ich bin hie und da in Seitenstraßen mancher großen Städte gerathen, wo man vergeblich die höchsten Preise auf eine unversehrte Nase gesetzt hätte. Ich vertheilte alle kleine Münze, die sich in meinen Taschen fand, an die unglücklichen Kinder und glaubte jetzt unbehelligt davon zu kommen, aber hinter den Kleinen lauerten die herrenlosen Hunde des Klosterreuiers auf mich und stimmten ihr Kriegsgeschrei an. Aus Furcht, von ihnen angefallen zu werden, zog ich den Revolver und spannte den Hahn; es war nicht nöthig, an die Bestien einen Schuß zu verschwenden. Kaum holten sie das Knacken, als sie sich sämmtlich in eine ehrerbietige Ferne zurückzogen; ihre Genossenschaft schien üble Erfahrung mit Feuerwaffen gemacht zu haben. Sie begleiteten mich jedoch mit klagendem Geheul bis zur nächsten Hundeftation, wo ich auf ähnliche Weise bewillkommnet und verabschiedet wurde. Mein häusliches Leben gestaltete sich ungleich angenehmer, als ich erwarten durfte. Morgens zwischen 5 und 6 Uhr holt einer meiner beiden chinesischen Diener aus dem Haushalte des Generalkonsuls eine Tasse Thee und ein Brötchen, dann werden die häusliche,: Angelegenheiten besorgt, die Kleider und Zimmer gereinigt; um 10 Uhr begebe ich mich zu Herrn von Rehfues und nehme mit ihm und Herrn von Radowitz das Tiffin ein. Oft verleitet uns die anregende Unterhaltung länger bei Tische zu sitzen, als unsere Geschäfte erlauben; um 5 Uhr finden wir uns zu einem Svaziergange in der Prava granon ein und kehren um sechs Uhr zum Diner in die Wohnung des Herrn von Nehfues zurück. In Gefellfchaft der geistreichen und liebenswürdigen Cavaliere schwinden die Stunden wie Minuten. Sie sind unerschöpflich in charakteristischen Mittheilungen über chinesische Eigenthümlich- 35 leiten und geben mir die wichtigsten Fingerzeige, wie und wo ich meine Beobachtungen anzustellen habe. Zuweilen besuchen wir das hiesige, erst seit einigen Tagen mit dem Beginn der Regenzeit eröffnete Theater. Es unterscheidet sich nicht weiter von dem zu Kanton befindlichen und ist wie dieses lediglich aus Bambusrohr und Palmblatter-Matten erbaut. Von Nägeln weiß diese Baukunst nichts; alle Nestandtheile werden durch Flechtwerk und Knoten von gespaltenem Rohr verbunden. In einer Höhe von ungefähr fünfzig Fuß über dein Parterre hingen auch hier wieder in dem Rohrgebält des Dachstuhls viele Oraiiszuschauer, ohne dah Jemand von ihnen Notiz nahm. Die hiesige Gesellschaft liefert für ein Eintrittsgeld von zwölf Silbergroschen im ersten Range Vorstellungen von sechszehnstündiger Dauer, die schon Vormittags beginnen; ich habe daher die günstige Gelegenheit benutzt, mich schon um 2 Uhr einzufindcn und in aller Gemächlichkeit eine Aquarelle der Aühne und des Zuschauerraumes anzufertigen. Meine Arbeit wurde nicht durch die Zudringlichkeit der Neugierigen, fondern allein durch die mich Zerstreuenden Vorgänge auf der Bühne unterbrochen. Die Gesellschaft führte ein Spectakel-stück auf, das mit prachtvollen Costümen, gellender Musit und ohrenzerreißendem, Fistelgesang ausgestattet war. Die Mannigfaltigkeit der Prügel war sehr groß. Ohrfeigen, Fußtritte, Hiebe mit Bambusstöcken und flacher Klinge wechselten unaufhörlich untereinander. Ein häusig angebrachter Effect, den ich zu Gunsten der Hebung unserer Schaubühne den Theatern zweiten Ranges nicht verschweigen darf, erschien mir eben so nachdrücklich wie sinnreich. Sobald ein Acteur eine Maulschelle erhielt, wurde hinter der Scene ein Kanonenschlag abgebrannt, der Geschlagene stürzte jählings zu Boden, sprang aber sogleich wieder aus und floh hinter die Coulissen. Der Zusammenhang der Handlung blieb mir unverständlich, nur so viel begriff ich aus Peripetie und Katastrophe, daß die Heldin des Stückes eine treulose Gattin war, die in: Finale ihre Strafe erlitt. Ihr Gemahl, der Arzt feiner Ehre, geberdete fich jedoch dabei nicht so romantisch, wie sein College im spanischen Trauerspiel. Die Schuldige wurde auf den Rücken gelegt und empfing eine Anzahl Hiebe mit der flachen Klinge auf den Bauch. Um die unangenehmen Empfindungen auszugleichen, kehrten sie die Schergen alsdann um und applicirten dieselbe Dosis jenem Theile, der zu ihrem Empfange physisch ungleich berechtigter war. Dabei hatte es indeß noch nicht sein Bewenden. AIs die Büttel fertig waren, machte sich ein Scharfrichter über die arme Sünderin her und trennte mit einem breiten Schwerte den künstlichen) Kopf vom Rumpfe. Ein großer rother Lappen stellte das in Strömen sließende Blut uor, doch lieh sich da5 Opfer dadurch nicht abhalten, aufzuspringen, einen Purzelbaum zu schießen und blitzgefchwind davon ;u laufen. Während der Hinrichtung wurde ein brillantes Feuerwerk abgebrannt. Meine Aquarelle war glücklicherweise fcnig, al5 ich durch einm 3* 36 losesten umgegangen worden. Die aus Europa mitgenommenen Stücke haben sich noch nin besten gehalten, ein nachträglich in Calcutta gekauftes halbes Dutzend wollener Hemden war überhaupt dem asiatischen Waschverfahren nicht gewachsen. Gleich nach dem ersten landesüblichen Reinigunsproceß waren sie dergestalt eingelaufen, daß ich kaum noch hineinzukriechen vermochte. Die chinesischen Hände haben ihnen den Rest gegeben. Jetzt bestehen sie eigentlich nur noch aus zerfaserten Knopflöchern und abgerissenen Knöpfen. Mit meinem Waschmann darf ich nicht grollen; das Hemd ist im himmlischen Reiche ein unbekannter Gegenstand. Bei der lieblichen Temperatur war die Vormittagspromenade auf dcr Praya granda ungemein angenehm; ich wurde mehreren Herren vorgestellt ^ deren Bekanntschaft ich bisher noch nicht gemacht hatte. Unter ihnen befand sich auch ein Publicist, wenngleich in Macao keine Zeitung existirt und die Einwohner ihre literarischen Bedürfnisse durch die zu Hongkong erscheinende Zeitung decken. Besagter Herr, ein reicher Engländer, hatte eine kleine Broschüre über ein mir nicht bekanntes Thema geschrieben und ließ diese in der portugiesischen Druckerei zu Macao veröffentlichen. Schon die Anfertigung des Satzes war jedoch mit großen Schwierigkeiten verbunden, an ts und 15 war ein empfindlicher Mangel vorhanden, und der Verfasser äußerte gegen mich Besorgnisse, diese Buchstaben durch andere, nicht zu unähnliche ersetzen zu müssen. Das Gemüth des gelehrten Mannes war schwer belastet, dennoch drang ich mit meinem Vorschlage: die Broschüre in Hongkong drucken zu lassen, nicht durch. Er ändere täglich und müsse das zu setzende Manuscript fortwährend unter Augen behalten. Nächstdem wurde ich mit dein amerikanischen Viceconful bekannt, so viel ich weiß, dem einzigen Kunstsammler in Vorder-und Hinter-Indien und China. Ich begleitete ihn in sein prachtvoll gelegenes und eingerichtetes Haus und nahm die dort aufgestellte Galerie in Augenschein. Sic bestand aus einigen zwanzig schlechten Copien mittelmäßiger Bilder, stümperhaften Bleistift- und Federzeichnungen und mehreren sechs oder acht Zoll hohen und breiten Oelstizzen, Arbeiten eines englischen Dilettanten, der sich längere Zeit in Macao aufgehalten. Die Augen des Viceconsuls verklärten sich, als wir in diesen Kunsttempel traten, die Prosa des kaufmännischen Daseins blieb weit hinter ihm zurück; hier lebte er in der reineren Sphäre der Kunst. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als seine Schätze ;u loben, und ich hatte die Genugthuung, meine Begeisterung herablassend aufgenommen -u sehen. Der neue Mäcenas erbot sich, nur die Nleistiftstümpereien eine Zeit lang zum Studium zu überlassen, und schien säst ungehalten, als ich versprach, in einer ipätercn Zeit von seinem gütigen Anerbieten Gebrauch zu machen. Nur mit Mühe entging ich der Einladung zum Diner. Auf die Empfehlung meines kunstsinnigen Gönners besuchte ich noch an demselben 41 Vormittage das Atelier eines chinesischen Malers, dessen Talent mir von dem Viceconsul empfohlen worden war. Ich bereute den etwas weiten Gang um so weniger, als ich eine für mich durchaus neue Beobachtung machte. Jeder Chinese hält den Zopf, obgleich sein Stamm ihn erst seit zwei Jahrhunderten tragt, nicht allein für ein nationales Abzeichen, sondern auch für ein Attribut der Schönheit. Der Künstler, dessen Stärke in Copien alter Kirchenbilder zu bestehen schien, hatte daher für nöthig erachtet, allen von ihm nachgebildeten Aposteln und Heiligen — einen Zopf anzusetzen. Sogar das auf dem Schootz einer Madonna mit geschlitzten Augen sitzende Christkind trug ein niedliches Iöpflein, und der naive Raphael hatte außerdem die heilige Jungfrau durch die verkümmerten Füßchen der Chinesinnen zu verschönern gesucht. Selbstverständlich war in allen diesen Machwerten keine Spur von Kunstsinn zu entdecken, der gewissenhafte Copist hatte selbst den zolldicken Schmutz, der das Original des letzten Bildes bedeckte, treulich nachgeknechtet. Mein asiatischer College theilte sein Verkaufslocal mit fünf Schuhmachern, die still und zufrieden unter den bezopften Heiligen saßen, aus Filz dicke Sohlen schnitten und das Ober- und Hackenleder daran nähten. Die erwähnte literarische Begegnung hatte mich rechtzeitig an den großen portugiesischen Dichter Camoens erinnert, der in Macao die traurigen Tage seiner Verbannung durch die Schöpfung seiner Lusiade, der epischen Verherrlichung der Thaten des Vasco de Gama, erheitert hat. Noch zeigt man ein kleines Gebäude mit einer unermeßlichen Aussicht auf den Ocean, die Stätte, ivo Camoens besonders seinen dichterischen Träumen nachgehangen haben soll. Wir wandelten in den späteren Nachmittagsstunden durch den verwilderten, aber hochromantischen (Zarten, der den ehemaligen Wohnsitz des unglücklichen Sängers umgab, schrieben unsere Namen in das an der Pforte ausgelegte Fremdenbuch, da das Grundstück zum Priuatbesitz einer portugiesischen Familie gehörte, zahlten ein Eintrittsgeld von zwei Schilling für die Perfon Und besichtigten schließlich die in einer Grotte aufgestellte Büste des Tichters. Das Mißgeschick, welches ihn im Leben unausgesetzt verfolgt, hat sich auch lluf sein Abbild erstreckt. Es war nicht genug, daß Camo^ns bei einer königlichen Pension von fünfundzwanzig Thalern jährlich fein Leben nur mit Hülfe eines aus Indien mitgebrachten Sclaven zu fristen vermochte, der Nachts für seinen unglücklichen Gebieter bettelte; Jahrhunderte nach Camoens' Ab-lebe,! hat sich ein Engländer seiner Büste erbarmt, den Knebelbart iich lasse es dahingestellt sein, ob nicht auch die Nase) abgeschlagen und als Andenken an den Sänger der Lusiadc mitgenommen. Am nächsten Tage, während dessen die frische Temperatur anhielt, machten :uir eine Land- und Nasserpartie zu den sogenannten klingenden Felsen 'linssin^ rock?). Wir sehten über die innere Bai, wanderten vom Strande aus durch ein idyllisches Thal, in dem ein munterer Naldbach mehrere klappernde 42 Reismühlen lustig trieb, und kamen endlich in eine öde Landschaft, die weithin mit dunkeln Felstrümmern bedeckt war. Es bedürfte längerer Nachforschungen unter dem brüchigen Gestein, ehe unser chinesischer Cicerone die Stellen aufgefunden hatte, welche, heftig mit einem andern Stein angeschlagen, einen metallisch hellen Klang von sich gaben. Das akustische Phänomen gewährte keinen Ersatz für die anstrengende Expedition. Die chinesischen Bootsmädchen, die nur eine Alte zurückgelassen und uns in das Innere des Landes begleitet hatten, schienen uns die Verstimmung anzumerken. Eie entwickelten alle Künste der Circe, um uns zu trösten, und wir waren schließlich zu handgreiflichen Zurechtweisungen gezwungen, da die Grazien im felsenfesten Vertrauen auf ihre Rei^e auf eine lästige Weise zudringlich wurden. Während der Rückfahrt hatten wir bei der tiefen Windstille Gelegenheit, den Reichthum dieser spiegelglatten Meeiestiefe an Fischen zu beobachten. Sehr viel soll der Eifer dazu beirraa.cn, mit dem die Chinesen den gefräßigen Haifischen nachstellen, die, keine Kostverächter, Alles verschlingen, was ihnen zu nahe kommt, den elenden Stint so gut, wie den über Vord fallenden kleinen Chinesen mit dem Rettungstönnchen auf dem Rücken. Vei der Kostspieligkeit der Haifisch-siossen, als cms der feinsten Leckerbissen, ist der Fang dieser Raubthiere sehr lohnend und trngt uicl zur Schonung der Fischzucht bei, obgleich die Haifische in den Gewässern von Hongkong mid Macao noch immer so zahlreich sind, daß alle Landsleute mich dringend warnten, in offener Tee, sei es am Strande, sei es neben dem Voote, zu baden. Heute kam uns keines der Ungeheuer zu Gesicht, die Bewohner der Tiefe führten nur den gewöhnlichen kleinen Krieg um die Eristenz, sie blieben von den Anfechtungen des Meerrynumen verschont, der sie bei seinem Heißhunger massenweise verschlingt. Die Ermittelung einer passenden Schisfsgelcgenheit zur Fortsetzung meiner Reise forderte meine Rückkehr nach Hongkong. Am 15. Mai Mittags 12 Uhr machte ich mich auf den Weg und erreichte nach einer herrlichen, vom Monsoon beflügelten Fahrt schon um 4 Uhr den Ort meiner Bestimmung. Unterwegs hatte ich mich sehr gut unterhalten. So klein der amerikanische Dampfer war, fo groß war sein Eapitän. Nach den angestellten athletischen Proben schien er persönlich der Maschine seines winzigen Schiffes noch um anderthalb bis zwei Pferdekräfte überlegen zu sein. Ich habe weder vorher noch nachter einen riesigeren Mann gesehen; auf dem Verdeck lag nichts, das er nicht aufzuheben oder doch in Bewegung zu setzen vermochte. Nach den stillen 3agen in Macao überraschte mich das Leben auf der Rhede von Hongkong. Wir sind in einem dichten Walde von Schiffsmasten vor Anker gegangen, und ich selber habe wieder in den: Kreise der liebenswürdigen Familie Wiese (Siemssen und Comp.) gastliche Aumahme gefunden. Die Neuigkeit des Tages war die eben von Kanton eingetroffene Nachricht: die neuerbaute englische Kirche sei eingestürzt. Freudiger üb.'rrafcht wurde das Publikum der Abend» 43 börse durch die Ankunft eines dänischen Pinkschiffes, das schon vor hundertacht Tagen von Java ausgelaufen und auf Grund seines lange» Ausbleibens seit vier Wochen in Dänemark als „todt" gemeldet morden war. Nach dem Seemllnnsausdnick hatte das Schiff durch seine Ieiteinvuße eine Menge Geld „zurückgefahren". In Geineinschaft mit Herrn van Nadowitz, den gleichfalls Geschäfte nach Hongkong geführt, wurde am 14. Mai bei regnerischem, aber angenehmem Wetter eine große Tour um die Stadt veranstaltet. Das bunte Treiben vor dem stattlichen Tempel am Marktplatz fesselte uns fast eine Stunde, dann wurden einige bedeutende Anhöhen der Umgebung Hongkongs erklettert und die Umrisse der hohen Gebirge des benachbarten Festlandes Coivloon flüchtig ui Papier gebracht. Wir behielten noch Zeit übrig, einen Kunstgenossen in seinem Atelier zu besuchen. Den Meister selber fanden wir nicht nach gewohnter Weise im ersten Stockwerk. Die Räumlichkeit mochte ihm zu dunkel sein: er hatte nur die Eleven darin untergebracht Die Leistungen der Jungen sowohl wie ihres Principals erhüben sich nicht über den Standpunkt der Anstreicherei. Etwas besser sah es in zwei Ateliers aus, die ich am folgenden Tage heimsuchte. Der Kunstzweig jedes Malers wurde durch große Aushängeschilder angezeigt. Die Kundschaft der Heiden Herren beschränkte sich wohl nur auf ein-gewanderte Kunstfreunde, denn die Inschriften waren im „Pidjen-Englisch" abgefaßt. Herr Ae Chung war „Landschaftsmaler und Portrait" (I.lmä»cÄi>o Mmter Hnä portrait), Herr Wo Hang „Landschaftsmaler und Schiff" (I,anä8cupß pamtsr anä ^iiz) train Danton). Letzterer war sehr stark beschäftigt. Zur Erinnerung an ihre Reise bringen alle Schiffscapitäne gern ein in China verfertigtes Vild ihres Fahrzeuges nach Europa zurück, in dem Laden des Herrn Wo Hang war also eine Anzahl von Seestückcn bis auf das Schiffsportrait selber vorbereitet. Ich unterschied zwei Klassen von Hintergründen: eine stille See und ein vom Teifun bewegtes Meer, beide wie durch diö Schablone gemalt. Je nach der Bestellung des Kunden wird das Schiff desselben mit ungeheuerlich großer Flagge hineingemalt. Gewohnlich lassen die Schiffscapitäne beide Sockn anfertigen. Wo Hang war eifrig beschäftigt und behandelte mich, nachdem er sich vergewissert, daß ich keinen Auftrag für ihn hatte, wenn auch höflich, doch etwas geringschätzig. Er lächelte verächtlich, als ich ihn auf die unbehüljliche Art der Chinesen: den Pinsel in der Faust und nicht mit dem Daumen und Zeigefinger zu halten, aufmerksam machte, und belehrte mich, sich pathetisch aussteifend, das; dies die einzig richtige Methode sei, Gemälde „numdel one" (Nr. 1) zu vollenden. Bei Herrn ?1e Chung gerieth ich mitten in eine Sitzung. Ein deutscher Schiffscapitän hatte sich bei ihm malen lassen und das Portrait näherte sich feiner Vollendung. Der würdige Seemann gedachte das Vilo seiner Frau 44 zu senden und erkundigte sich, wie ich damit zufrieden sei. Es wäre ein Frevel gewesen, dem Landsmanne zu verschweigen, daß die Aehnlichteit noch Manches zu wünschen übrig lasse. Wundersamerweise schien mein Urtheil den Auftraggeber eher zu befriedigen, als zu betrüben. Er setzte mir auseinander, wie es durchaus nicht darauf ankomme, daß feine Frau ihn gleich im ersten Moment wieder erkenne; es läge ihm Alles daran, sie zu — überraschen', die Freude sei desto größer, wenn die Aehnlichkeit erst allmälig herausgefunden würde! Die weitere Debatte über diesen neuen künstlerischen Standpunkt und seine Logik schien mir überflüssig. Der gute Landsmann war mit der Malerei ^e Chung's so zufrieden, daß er ihn bewogen hatte, auch die Ehegattin — nach mündlicher Beschreibung zu malen. Mein Freunds Professor Richter in Berlin, braucht vor der Concurrenz nicht zu zittern. In Netreff des männlichen Portraits hatte sich Je Chung leidlich der europäischen Gesichtsbildung bequemt, wiewohl in der Haltung des Kopfes und Körpers das steifleinene Chinesenthum durchblickte; in den, Conterfei des Ehegesponstes war ihm die Nationalphantasie mit dem Pinsel durchgegangen. Madame mußte von Jedermann für eine echte Chinesin gehalten werden. Das Portrait war im Ganzen fertig, nur die Augen fehlten noch. Der Ehegatte tonnte sich ihrer Farbe nicht erinnern und zögerte deshalb mit der Anweisung; es gewährte ihm einigen Trost, daß seine Gemahlin über die Farbe seiner Augen nickt besser unterrichtet sein werde. Wir verließen das Atelier zu gleicher Zeit und ich begleitete den Cavitän zu einem benachbarten Schuhmacher, der nach einem vorgelegten Muster für ihn ein Paar neue schwarze Lackstiefel angefertigt hatte. Der Kostenpreis betrug achtzehn Dollars. Ob die Arbeit diesem hohen Preis entsprach, wage ich nicht zu entscheiden; der Lack des Leders ließ aber Alles hinter sich, was Europa in dieser Hinsicht zu liefern vermag. Man weiß, wie weit China und Japan uns in der Lackfabrikation überlegen sind, aber erst an Ort und Stelle lernt man die Bedeutung dieses zierlichen Deckstoffes für die Ornamentik kennen. Es ist Irrthum, wenn man glaubt, daß der Chinefe sich zum häuslichen Gebrauch des Porzellans bedient. Teller und Tassen, Schüsseln und Trinkgefähe werden aus Holz angefertigt und lackirt. Der Lack ist so dauerhaft, daß er sogar unter der Siedehitze nicht leidet. In China wird Alles lackirt. Hat ein Handwerker von einigein Wohlstand es so weit gebracht, in seiner Wohnung, statt des gewöhnlichen Fußbodens von Lehm oder Bambusscheiten, einen Vretter-Estrich zu erschwingen, das Ideal seines Comforts, so überzieht er ihn sogleich mit dem köstlichen ^ack. Die Thüren, die Wände und Decken stehen damit überall in: Einklänge. Nach längerem Aufenthalte in Kanton, Hongkong und Macao bin ich dahinter gekommen, daß auch der Chinefe gewisse immer wiederkehrende Namen im nationalen Namenslexilon zählt. Vei uns heißen sie Schmidt, Lehmnnn, 45 Müller und Schuhe; in China Ah on und Sing Ping. Ich glaube bemerkt zu haben, daß Neide sich vorzugsweise gem, ivenn auch nur nebenbei, mit dem Branntwein beschäftigen. Oft las ich aus Schildern: Ahon, Loot-maker »na bllmä^, Sing Ping, I^-Ior and ^piritZ. Auf unseren Fußtouren machen wir oft die seltsamsten Entdeckungen. So fanden wir einen Berliner, Herrn Ladendorff, als Vorsteher eines Instituts für Besserung elternloser und verwahrloster Kinder. Der Menschenfreund hatte dasselbe schon vor Jahren gestiftet und manche glückliche Erfolge erreicht. Wir warten auf Sr. Majestät Schiff, die „Gazelle", und unsere Geduld wird stark in Anspruch genommen. Im Leben der großen Handelsherren beruht ein hochwichtiges Moment in der richtigen Ankunft ihrer Schiffe. Gegen Sonnenuntergang findet man daher stets einige von ihnen auf Höhepunkten an der Küste. So erwartete Herr Wiese am 17. Mai ein mit Reis beladenes Schiff aus Bangkok. Falls das Schiff an dem contractlich bestimmten Datum nach Sonnenuntergang ankam, brauchte der chinesische Abnehmer für die Ladung zwölftausmd Tollars weniger zu entrichten; mein gütiger Wirth hatte daher gerechte Ursache, nach seiner Dschunke scharf auszuschauen. Wir steigen schon um .') Uhr Nachmittags, mit Fernröhren bewaffnet, die Höhe hinan und musterten eifrig den Horizont, aber die Sonne sank, die Dunkelheit brach herein und das Schiff blieb aus. Erst zwischen U und N> Uhr verkündete es durch Leuchtfeuer seine Annäherung: zwölftausend Dollars waren eingebüßt. Herr Wiese ertrug den Verlust mit so guter Manier, wie nach der Erzählung des Ritters Hans von Schweinichen der Millionär Fugger in Augsburg den Verlust eines Schiffes aus venetianischem Glase, das. Mm Tafelaufsatz bestimmt, beim Hereintragen von einem ungeschickten Diener zu Boden geworfen wurde. Das Wetter ist, da der Passatwind Monsoon) gegenwärtig seine Richtung (von Nordost nach Südwest) wechselt, sehr stürmisch; in Macao ist nach den letzten Meldungen der Sturmwind sogar scholl in einen formlichen Teifun ausgeartet. Die Hitze nimmt zu, und die Ankunft des ersten, nach einer Seefahrt von fünf Monaten aus New-Iork anlangenden Eisschiffes wird von der europäischen Bevölkerung mit Entzücken begrüßt. Es wurden für die laufende Saison noch zwei andere erwartet, allein später erfuhr ich, daß beide von dem südstaatlichen Kaper „Alabama" mit Beschlag belegt und in dm Grund gebohrt worden seien. Die Flagge des Schisfes wehte vom halben Mast herab. Der Capitän war vor drei Tagen von einem Matrosen erstochen worden. Auf Befehl des Steuermanns hatte die Mannschaft den Mörder in Eisen gelegt, der Leichnam des Capitäns war zur Erhärtung des Thatbestandes in der Kajüte eingeschlossen geblieben; man wird sich den Zustand der Leiche ausmalen können. Der Mörder wurde der Gerechtigkeit übergeben, allein die Engländer hielten sich nicht für competent; sie beschlossen, den Verbrecher 46 mit dem nächstanlangenden Schiffe wohlverwahrt in seine Heimath zurück-zuschicken und den Nordainerikanern das Cnminaluerfahren anheimzustellen. Die Vorkehrungen, welche gegen die demnächst zu erwartenden Teifune getroffen werden, find geeignet, dem Unbefangenen Besorgnisse einzuflößen. Die Unterschiede in den beiderseitigen Weltanschauungen treten deutlich hervor. Die Europäer machen Alles met- und nagelfest, die Flaggenstangen auf den Consulatsgebäuden werden abgenommen, die Dachluken hennetisch verschlossen und die Läden aller leerstehenden Zimmer fest zugemacht; die Chinesen eilen in ihren Tempel, verbrennen Opferpapier, werfen Feuerwerk in die See und befuchen die Gräber ihrer Vorfahren! Die Eigenthümer großer Gebäude forgen dafür, dem gefürchteten Wirbelwinde so wenig Widerstand wie möglich entgegenzusetzen. Die Chinesen halten in solchen Fällen für wirksamer, einige bemalte Talglichter mit vielen Verbeugungen vor den Götzen anzuzünden, ein Bündel brennender Opferstäbchen (^0^3 stick») in ein Sandgefäß zu stecken und eine Portion Reis und Schweinebraten nebst dazu gehöriger Visitenkarte auf die Grabstätten der Ahnen zu legen. Sind sie bei Kasse, so werden noch einige Dutzend Schwänner vor dem Tempel abgebrannt. Meine Handelskenntnisse werden nebenbei bereichert; von diesen un-aufhörlichen Unterhaltungen über Opium, Seide und Thee bleibt doch immer etwas sitzen. Die Bildung meiner Zunge für die Unterscheidung der Sorten des Nationalgetränks macht Fortschritte, doch bin ich noch weit von der Ergründung der letzten Geheimnisse entfernt. Von welchem Gewicht für das Geschäft die Feinheit der Zunge ist, erhellt daraus, daß ein Theekoster erster Qualität ein Iahrgehalt von tausend Pfd. Sterling nebst freier Wohnung und Station erhält. In dieser Geldwelt, unter diesen Großhändlern, die nach Anhäufung von vielen Millionen, die ihnen den Genuß aller geistigen Güter der civilifirten Heimath sichern würden, doch in dem bösartigen Klima aushalten, um, wie sie sagen, nun noch einige Jahre lediglich „für die Ehre des Hauses" zu arbeiten, überfällt mich nicht felten ein unvhilosophifcher und untünstlerischer Kleinmuth. Bei derartigen Gemüthszuständen slüchte ich in die Gesellschaft der Frauen; den Hauch der Poesie wissen sie in ihrem Gespräch länger zu erhalten als die Männer. Ich bin schon zufrieden, den Posten eines Vorlesers betleiden zu können und so dem Thee und Opium zu entgehen. 47 VII. Fliegende Ameisen. Meuterei und Blattern. Tie Piratenstraße. Zupftoilette und Zspfspiel. Tie Barbiere und ihre Kosmetik. Verkrüppelte Füße. Ter Fächer. Verfehlte Tprach- und Tchreibftudien. Das Trachenfeft. Todcsgcdanlen und Unruhen. In der Annahme des längeren Ausbleibens der „Gazelle" mache ich mich auf einen mehrwöchentlichen Aufenthalt in Hongkong gefaßt und treffe danach meine Vorkehrungen. Die Arbeit im Freien wird nur zu meinem gerechten Kummer durch das Klima des unglücklich gelegenen Ortes erschwert. Die Seebrife ist durch die Bergwand im Rücken der Ctadt abgesperrt, und die Hitze mahnt mich oft genug an die Temperatur von Calcutta und Bangkok. Meine Achtung vor den asiatischen Insecten steigt mit jedem Tage; die Vielseitigkeit dieses Geschlechtes, höher organisirten Nesen Leiden zu bereiten, ist Unerschöpflich. In meiner Häuslichkeit habe ich bei der Ordnung und Reinlichkeit einer annähernd europäisch organisirten Wirthschaft über das Ungeziefer keine Klagen zu führen; denn selbst die Cockroaches zeigen sich nur einzeln, als Versprengte; die letzten regnerischen Tage haben uns eine neue Plage gebracht. Die Ameisen befinden sich in ihrem Umwandlungsproceß und durch alle Fenster dringen dichte Wolken der jetzt geflügelten Infecten. Zwar plagen sie uns nicht mit Stacheln, aber auch ihre unbewaffnete Zudringlichkeit ist unerträglich. Sie besteheil hartnäckig auf ihrem Niederlafsungsrecht im menschlichen Gesicht und sind, da sie sich in ihren gegenwärtigen geselligen Neigungen immer paarweise ansiedeln, schlechterdings nicht zu vertreiben. Es bleibt zuletzt nichts übrig, als sich durch ein Selbstmaulschellirungs-Verfahren ihrer ;u entledigen. Tie Unsicherheit der hiesigen Zustände wird nur täglich ;u Gemüthe geführt; ungeachtet der englifchen Gerichtshöfe fühlt man das Walten des Faustrechts heraus. So kamen am 19. Mai allein zwei Processe wegen Meuterei auf Schiffen europäischer Nheder vor. Auf dem ersten hatten die Matrosen und der Steuermann dein Capitän mit in der Luft wirbeln und weiß damit fliegende Käfer und Schmetterlinge zu treffen, Hunde und patzen werden kurzweg mit dem Zopfe gezüchtigt, und dann wieder in der gefellschaftlichen Unterhaltung die zierlichsten Spiele mit demselben getrieben. Für eine empfindsame Schöne mag es fchwer fein, dieser Koketterie Widerstand zu leisten. Wäre unseren Stutzern die verführerische Gewalt des Zopfspieles bekannt, sie würden sich unfehlbar dieses chinesische Leibmobel aneignen. Ein junger Mann von Phantasie könnte bei unserer Kleiderpracht überdies noch die Frackschöße zu Hülfe nehmen, z. A. auf Bällen in Cotillontouren die eigenthümlichsten Combinationen zu Stande bringen und ähnliche malerische Effecte, wie Künstler im antiken Costüm durch fein be« rechnete Drapirung erzielen. Gelegenheit zum Studium der höheren Zopftoilette wird mir in der Piratenstraße zwar nicht geboten, desto häufiger bin ich Augenzeuge der üblichen jnaps- oder Grogmarken. Man wird leicht errathen, daß bei der jedesmaligen Verrechnung immer neue baare Dollarn aus der Tasche der Durstigen gelockt werden und die Matrosen fortwährend an den Fässern und Kannen derselben Wirthe hängen bleiben. Ist der Durst der Seefahrer vorläufig geloscht, so regt sich ihre Schaulust. Eine Fuhpromenaoe wäre bei den Nachwirkungen der genossenen (Getränke nicht anzuempfehlen, Wagen stehen nicht mr Verfügung, die Beförderung durch einen Palankin entspricht ihrer Langsamkeit halber nicht dein seemännischen Geschmack, zudem sind alle Seefahrer von Veruf die leidenschaftlichsten Reiter; die Pferde-vermiether stehen mithin stundenlang in Neseroe und bringen jetzt ihre Klepper herbei. Cine Pferdeschau in Hongkong müßte die Mitglieder jedes Vereins gegen Thierquälerei zur Verzweiflung bringen. Die besseren etwas reputirlicher aussehenden Thiere werden zum Gebrauch der Officicre aufbewahrt, der Ausschuß ist für die Matrosen bestimmt. Gewöhnlich bringt der chinesische Stall? ineister gleich eine Vambusleiter zum Aufsteigen mit. Ist der Reiter bei guter Laune, so bedient er sich ihrer ohne Widerspruch, im entgegengesetzten Falle bort er den Stallmeister in den Sand, springt allein in den Sattel und fällt auf der andern Seite zu Boden. Die Reitübungen der Herren bereite«: mir großes Vergnügen, ich verfolge sie von meinem Fenster aus mit dem Fernglase und stelle sie weit über die künstlichen Scherze der Circus-Elowns, obgleich es nicht immer ohne Beschädigungen von Mann und Roß abgeht. Im Uebiigen gleicht der gezwungene Aufenhalt an einem solchen Orte dein Lager auf einer Folterbank. Das Thernwmcter zeigt sehr bald wieder den herkömmlich hohen Stand, und selbst der herabfallende Regen scheint im ersten Moment die.Haut zu verbrühen. Ich lese, um doch meiner Einbildungskraft eine Abkühlung zu verschaffen, Beschreibungen von Polarerpeditionen und Gletscherfahrten; eine schöne Landsmännin, Madame >>,, mit der ich zuweilen zusammenkomme, hat mir dieses Mittel anempfohlen. Sie selber liest, um ihren gesunkenen Appetit zu schärfen, ein französisches Kochbuch und behauptet, erhebliche Besserung zu spüren. Für anderweitige gelegentliche Zerstreuung sorgt der Zufall. Das Ungeziefer entwickelt in der heißen Jahreszeit eine außerordentliche Regsamkeit. Die mir neue Species fingerlanger Käfer, eine äußerst menschenfreundliche Insectcnsorte, macht Morgens und Abends Vorsichtsmaßregeln nothwendig. Bettstatt und Kleider müssen immer erst durchsucht und ausgeschüttelt werden. Neulich machte ich die persönliche Bekanntschaft einer handgroßen Spinne. Das liebenswürdige Geschöpf saß auf der Fensterleiste und fchien in Betrachtungen über die Probleme des Spinnendllseins versunken; ich hielt es für angemessen, sie durch sanfte Berührung mit einem Halme zu ermuntern, aber o Wunder! die Kleine theilte nicht die bekannte Nervosität ihrer Stammverwandten. Statt krampfhaft zu- 59 sammen zu fahren und spornstreichs davon zu rennen, machte sie nur einen trotzigen Ruck und stemmte sich, wie ein bissiger Hund, fest auf die haarigen Hinterbeine, als sei sie gewillt, Widerstand zu leisten. Verargt man es einem Müßigen Kranken, wenn er cm Opferstäbchen hervorlangte, es anzündete und der drohenden Feindin näherte? Sie wartete indeß die Berührung mit dem glimmenden Stäbchen nicht ab, schon der brenzliche Geruch mochte sie zur Abrüstung bewegen. Rasch machte sie kehrt und lief auf die Veranda hinaus. Am 5>. Juli genoß ich die unbeschreibliche Freude, ein Schreiben der Meinigen vom 15. Mai aus Stettin zu erhalten. Der Brief war nach Shanghai adressirt, auf der Post aber, wo ich mich so oft nach Briefen erkundigt und meinem Namen nach bekannt war, angehalten und mir zugestellt worden. Näre er nach dem Norden gegangen, so hätte ich ihn erst vierzehn Tage später erhalten. Die Ankunft des Schreibens traf mit der meines Doctors zusammen. Nach seiner Diagnose entwickelt sich in mir das locale Leberleiden, und seine Rathschläge beschränken sich auf eine radicale Ortsveränderung. Nie unsere Berliner Doctoren in dergleichen Fällen Meran, Montreur oder Nizza, empfiehlt er mir Südaustralien; Singapore sei nicht mehr ausreichend sür eine Verbesserung meines leiblichen Zustandes. Rm meine Reiselust anzuregen, sucht er mich sogleich zu einem kleinen Spaziergange zu bewegen, und ich hielt es für meine Schuldigkeit, ihm Gehorsam zu leisten. Nach einigen hundert Schritten schwanden jedoch meine Kräfte, ich schleppte mich wieder nach Hause, kroch, denn „steigen" kann ich es nicht nennen, die zu meinen Zimmern führenden zwei Treppen hinauf, legte mich zu Bett und brachte eine entsetzliche Nacht zu. Mein Kopf schien bersten zu wollen, und von Zeit zu Zeit wurde die Folge meiner Gedanken unterbrochen. Am Morgen des "- Juli ging es etwas besser, ich benutzte daher den günstigen Augenblick, meine Aquarellen zu ordnen, einzupacken und zu versiegeln. Nach einer kurzen Siesta erhob ich mich von Neuem und brachte meinen letzten Willen zu Papier. Ich hatte von meinem gütigen Gönner und Freunde, Hern: Wiese, die Vollstreckung desselben erbeten und eine Anweisung zum Ankauf von sechs Fuß Erde auf dem Kirchhofe zu Hontong hinzugefügt. Noch war ich mit der Ab-sassung des kläglichen Schriftstückes beschäftigt, als aus dem Comtoir die Nachricht anlangte, die Feindseligleiten zwischen der englischen Flotte und den Japanesen hätten begonnen. Die Hiobspost, welche alle etwaigen weiteren Reiseuläne zu vereiteln drohte, machte auf mich keinen Eindruck mehr. Die deutschen Freunde wollten meine Niedergeschlagenheit nicht gelten lassen, sie zwangen mich zu einem Ausflüge nach Pokefoloon, auf der andern Seite der Insel, ich wurde in einen Palankin gepackt und einige hundert Fuß hoch über die Küste für mehrere Stunden an einer Stelle ausgesetzt, wo erfahrungsmäßig ein frischer Luft;ug wehte. Die Aufrichtung eines Landhauses, das hier auf Kasten eines japanischen Großen zusammengesetzt wurde, zerstreute mich einiger- 60 maßen. Die Bauhölzer nebst allem Zubehör waren fertig zugehauen von Japan herübergeschasft wordeil, und die Arbeit der Handwerker war so weit vorgerückt, daß die Villa in den nächsten Wochen bezogen werden konnte. Als wollte mir das Glück wieder lächeln, traf am nächsten Morgen ein Brief aus Macao ein, in dem der preußische General-Consul auf meine früher abgesandte Zuschrift antwortete: „ich möge mich nur noch wenige Tage bis zur Ankunft der „Gazelle" gedulden, die Corvette befinde sich längst auf hoher See und sei beordert, nach kurzem Aufenthalt in Hongkong nach Japan aufzubrechen." Gegen Abend ließ ich mich bewegen, wenn auch nur als Zuschauer, nicht als Mitkämpfer, einem Diner beizuwohnen, das Herr Wiese als Rheder sieben Schifss-Cavitänen gab, die mit eben so vielen Schiffen in den nächsten Tagen nach Europa in See stechen sollten. Statt einer ausführlichen Beschreibung des lucullischen Abschiedsmahles vermerke ich nur den technischen Gcschäftsausdruck für jede derartige Ceremonie. Die Cavitäne werden „weg» getrunken", sagt man in Hongkong. Die Unterhaltung bei Tische drehte sich nur um Schiffbrüche und hitzige Getränke. Aeachtenswerth war noch eine andere technische Formel. Kein Capitän sagte: ich führe Porter, Ale u. dgl. m. an Bord, sondern: ich fahre Cognac, Claret, Arak u. s. iv. Während der Mahlzeit wurde von einem chinesischen Hundebändiger ein hübscher aus Manila gebürtiger Köter in den Speisesaal gebracht und zum Verlauf ausgeboten. Der Besitzer forderte den unverschämten Preis von fünfzehn Dollars, lieh ihn aber für den dritten Theil meinen: Tischnachbar, da ich ihn versicherte, für eine sa hohe Summe bei den schlechten Zeiten selber bellen und beißen zu wolle». Die schnöde Bemerkung wurde von der Gesellschaft als Symptom wiederkehrender Lebenslust aufgefaßt, man füllte die Humpen mit Champagner und Brandy, brachte stürmisch meine Gesundheit aus, und das vierbeinige Manila stimmte, entsetzt über die Löwenstiinmen der Seefahrer, mit ein. Das Galadiner endete um Mitternacht; ich hatte mich drei Stunden früher in meine Appartements zurückgezogen. Am 10. Juli war die ersehnte „Gazelle" in Sicht, am Nachmittage warf sie Anker. Der Tennin meiner Erlösung aus dieser Bratpfanne nickt heran. Herr Varon von Aot hwell, der Capitän der Corvette, ein höchst angenehmer Mann und Erbe eines historischen Namens, dmirte mit uns; am 11. Juli machte ich ihm und feinen Officieren um 11 Uhr Vormittags meine Aufwartung. Die damit verbundenen Anstrengungen wurden mir aber unsäglich schwer, die Corvette ankert etwas hoch auf der Rhcde, die Sonne brannte gleich einem weißglühenden Cisen, meine gesunkenen Kräfte reichten kaum aus, die Schiffstrcppe zu erklettern; ich war froh, ohne Sonnenstich davon ge-lommen zu sein. Sogleich entspann sich zwischen unserer großen Firma und dem Dfsiciercarps der „Gazelle" ein artiger Verkehr, Visiten wurden abgestattet,- und schon am !2. Juli um '> Uhr gab Herr Wiese dem Capitän 61 >n Gesellschaft von fünf Seeofficicren und uier Cadetten ein solennes Diner, das sich bis II Uhr ausdehnte. Wahrscheinlich suhlten sich die chinesischen Niiuber durch den Lärm ermuntert, man fand wenigstens am andern Morgen den Reisspeicher des Dauses erbrochen, den dort stntionirten Wächter geknebelt und, mit einem Haufen Reissäcke bedeckt, dem Tode nahe: seinen Mund hatten die Schurken mit Baumwolle verstopft. Tie sollten sich ihrer Äeute nicht freuen, noch am Vormittage gelang es durch Angebereien, die Schuldigen zu ermitteln und in Haft zu bringen. Einer fürchterlichen Tracht Prügel dürfen sie sich mindestens getrosten. Der Ankunft des Herrn General-Consuls von Macao fehen wir mit jeder Stunde entgegen, ich bitte für alle möglichen Fälle Herrn Wiese, meine Aquarellen — ich habe es beinahe Zu anderthalbhundert gebracht — unter seiner Obhut m behalten, und ersuche ihn im Scherze, nach Meinem Ableben die Trauerzeit nach chinesischer Sitte durchzumachen, d. h. das Zopfende mit rothem, blauein, grauem und weißem Vande, je nach der Dauer der Trauer, zu durchstechten. Wirklich trafen die Herren von Nehfues und Radoniitz am 14. Juli ein und gingen ohne Weiteres an Vord der „Gazelle". Ich athme auf, obgleich aus dein projectirten Seitenausfluge nach Formosa neueren Bestimmungen zu Folge nichts wird. Zur ersten Station ist Am on bestimmt. Dic Herren Diplomaten waren in unserem Hause noch M Gast, aber schon am 14. Juli früh 4 Uhr wurde ich aus dem Schlafe geschreckt, Herr von Bothwell hatte ein Boot von der Nhcde geschickt, mich ab? Mholen. Ueber Hals und Kopf packte ich meine Effecten in die Koffer, eine Menge chinesischer Tuinmillerien, die bestimmt waren, im Hause zurückzubleiben, M eine Holzkiste, und fuhr athemlos von der Hast der Arbeit an Bord. Die Abreise verzögerte sich jedoch, ich kehrte in Gesellschaft der Herren nochmals nn's Land zurück, wohnte dem Nbschiedsthee des Herrn Wiese bei, und erst am 1',. Juli, um 9 Uhr Morgens, wurden die Anker gelichtet. Ein chinesischer Lootse steuerte uns glücklich durch die bedenkliche Passage Leimoon. An das Leben auf einem Kriegsschiffe muß der Eivilreisende sich erst gewöhnen. Der eigentliche Zweck aller Räumlichkeiten besteht darin, so rasch als thunlich -zum Gefecht klar gemacht werden zu können; das Nachtlager kann daher nur in einer Hängematte bestehen. Herr von Nehmes und Baron Vothwell campiren in der Hauptkajüte, Herr von Radowitz und ich in der Vorkajüte. Meine Hängematte schwankt über einein eisernen schweren Geschütz, wenn ich nicht irre, einen» Vierundscchzigpfünder, die Etückpforte steht offen uno der Nachtwind treibt sein loses Spiel mit meinen Haaren, doch murre ich nicht gegen die Vorsehung. Ich preise mich glücklich, wenn es mir gelungen ist, den Steuerbord meiner Hängematte erstiegen ^u haben, ohne über den Backbord hinauszufallen. Um 4 Uhr Morgens wird Reveille geschlagen, o. h. getrommelt und gepfiffen. Die ernsten Musikkenner rümpfen unfehlbar b'e Nasen, wenn ich bekenne, daß mir der regelmäßige preußische Trommel- 62 schlag wohlthut und die kleinen Pickelflöten so lieblich klingen wie die Meyerbeer'schen Flöten im Schlefischen Feldlager. Meinem armen Gehör ist in Bangkok, Kanton und Macao zu viel zugemuthet worden. Ich verstehe den alten Zelter, wenn er, Spontini's „Ulcidor" entflohen, vor dem Opernhause vom Zapfenstreich empfangen, freudig ausruft: „Endlich Musik!" und doch habe ich ungleich Härteres erduldet. Tie Mannscha't der „Gazelle" beläuft sich, ohne u^,s drei Passagiere, auf dreihundertachtzig Köpfe: Officiere, Toctoren, Cadetten, Soldaten und Matrosen. Von Dampf und günstigem Winde getrieben, hatten wir an: ersten Tage eine gute Fahrt gemacht, am Abend entspann sich eine große Regsamkeit an Bord. Der Himmel war dicht umwölkt, das Wetterglas gesunken, ein Feuerregen von Blitzen fiel am Horizont, wir machten uns weislich auf einen Umschlag der Witterung gefaßt. Nach einer halben Stunde war das stattliche Schiff Sr. Majestät sturmtüchtig, und ich ging mit vollkommener Gemüths-ruhe zu Bett. Die Veforgniffe waren unnöthig gewesen. Nachdem das bedrohliche Wetterleuchten bis gegen Morgen angehalten, erheiterte sich der Himmel und drehte sich der Wind nach Norden. Die schraube der (5orvette legte sich energisch in's Mittel, und mit ihrer Hülfe brachten wir es zu acht Knoten in der Stunde. Ich mache einen Nundgang auf dem schönen Schiffe und freue mich über die militärische Präcision der Manöver, die Sauberkeit des Verdecks und der Mannschaften. Tie Dimensionen der „Gazelle" sind nicht unbedeutend, die Höhe des Mittelmastes, vom Kiel bis zur Flaggenfpitze gerechnet, beträgt hundertzweiundncunzig Fuß. Sie führt achtundzwanzig Geschütze an Bord, darunter mehrere von einem Kaliber, dem auch ein stärkerer Gegner weichen möchte. Die Herren Officiere halten es mit der Strenge des Dienstes immer noch vereinbar, den Soldaten und Matrosen vierfüßige Stuben-kameraden zu gönnen. Auf dem Vorderdeck fand ich noch einige vierzig Affen, die größtentheils in Brasilien das Licht der Welt erblickt hatten. Anfangs war ihre Zahl weit höher gewesen, allein die lange Ueberfahrt hatte die Reihen der Südamerikaner stark gelichtet, und noch jetzt mußte mancher wackere Landsmann sich von dem theuren Reisegefährten trennen, den er bis in die Heimach zu bringen gedachte. Seit Hongkong hatten wir unausgesetzt hohes Land in Sicht, ließen die Infel Formosa zur Linken liegen und denken noch heute, 16. Juli, Amoy zu erreichen. Am Abend lain ein chinesischer cootie von sehr intelligentem Aussehen an Bord. Der junge Mann sprach für einen Eingeborenen zu gut englisch und bediente sich dieser Sprachfertigkeit, um seine unverfchnmte Forderung von achtzig Dollars den „rothborstigen Barbaren" plausibel zu machen. Da er bald in dem Capitän einen ihm gewachsenen Gegner erkannte, ließ er mit sich handeln und machte sich anheischig, die „Gazelle" für fünfzig Dollars in den Hasen und später aus demselben zu lootsen. Um ^ Uhr lagen wir vor Anker, aber schon um .'' Uhr ging der 63 Heidenlärm auf Deck wieder los. Die Maschine wurde geheizt, und die «Gazelle" legte sich im Binnenhafen vor Anker. Der hier domicilireude preußische Viceconsul kam aus der etwa noch eine halbe Stunde entfernten Stadt herüber, frühstückte an Äord, lud uns zu Tische ein und wurde mit einem Salut von fünf Schüssen verabschiedet. Unsere Ankunft ist ein Ereignis; der ganze Gewerbestand von Nmoy hat sich auf die Äeine gemacht, um uns seine Dienste anzubieten, die neugierige Noblere des Ortes einen Nassercorso nach der „Gazelle" arrangirt. In diesem Hafen soll noch nie ein so großes Kriegsschiff vor Anker gegangen sein. IX. Cunsultationen an Bord. Hundertfünfzig Ananas für einen Tollar. Die Tpscrdschunle. Pülusfm Mandalin Wir schwitzen Tie? Woosuug und Shanghai. Tcr Tapferste der Tapferen. Deserteure. Die europäischen Seefahrer im Hafen zu Amoy leiden unter den Einflüssen der Hitze nicht weniger, als ihre Gefährten zu Hongkong. An Bord der „Gazelle" befinden sich zwei Aerzte, und beide werden von Kranken der in der Nachbarschaft ankernden Fahrzeuge bestürmt und um Nath gebeten, llnser Stabsarzt zuckt mitleidig die Achseln, wenn ich den vielgeplagten Mann mit meinen Klagen behellige, und vertröstet mich auf die wohlthätigen Einwirlungen der Seeluft und eines milderen, d. h. kühleren Klimas, dem wir uns nähern. Die Mannschaft der „Gazelle" befindet sich, ungeachtet ihrer Echwelgereien in Südfrüchten auf der Rhede von Singapore, ganz vortrefflich. Ihr Ananasverzehr wird in dem Wirthschaftsbuch binnen vier Wochen auf uchtzehntausend Stück berechnet, aber selbst ein haushälterischer Capitän kann seinen Matrosen diesen körperlich zuträglichen Genuß erlauben, da für hundert bis hundertfünfzig Ananas je nach der Größe nur ein Dollar bezahlt wird. Um 3 Uhr wurde an's Land gefahren und der Arzt gebot mir, an der Vartie teilzunehmen. Wir hatten iimncr noch beinahe eine Stunde zu rudern, ehe wir zu der hübschen, mit einem luftigen Valcon versehenen Villa des preußischen Consuls gelangten. Die jungen Herren EeeoMiere bestiegen die Hügel der Umgebung, wir Aelteren blieben zurück und labten uns an dem "°n halbnackten Chinesen kredenzten Sodawasser. Die Aussicht auf einen chinesischen Strand und das rege Treiben der Vootsbewohner gewährt immer Unterhaltung. Unweit des preußischen Consulats lag eine sogenannte Opfer-(I°ss-) Dschunke vor Anker. Sie war auf Kosten eines reichen Chinesen aus den, kostbarsten Material angefertigt und zur Aufnahme von Tpfergaben bestimmt, ^eder durfte feinen: Goitc eine Gabe darbringen, auch die geringste 64 Kleinigkeit, cine Handvoll Reis, ein Bissen Fleisch oder Fisch war zulässig, daneben lagen schwere Seiden- und Goldstoffe. Ist das Fahrzeug bis an den Rand mit Weihgeschenken gefüllt, so läßt der fromme Spender es auf die hohe See hinausrudern und dort, ohne Mannschaft, Steuer und Ruder, ein Spiel der Wogen und Winde, weitertreiben. Eine Sühne menschlicher Vergehen, gehört es den unsichtbaren Mächten der Höhe und Tiefe. Vor einigen Jahren war cin englisches Schiff so glücklich, eine dieser Opferdschunken aufzufifchen und unversehrt nach England zu bringen, wo sie für Geld gezeigt wurde. Um 7 Uhr wurde das Diner servirt, bei dem ich mich nur als Zuschauer betheiligte. Nach Tisch hatte der aufmerksame Wirth für eine den Officieren neue Unterhaltung gesorgt. Unten uor der Veranda war ein Theater aufgebaut, auf dessen Bühne ungefähr dreißig Mimen eine bis 10 Uhr Abcr.ds dauernde Vorstellung gaben. Zuerst kam eine mit haarsträubendem Pathos im alten Mandarinen-Dialekt vorgetragene Tragödie, die gewiß für jeden sinologischen Feinschmecker ein literarischer Leckerbissen gewesen wäre, an uns rothborstigen Barbaren aber spurlos vorüberging. Die Darsteller arbeiteten sich mit ihrer Declamation im Fistelton so selbstvergessen ab, das; ihnen der Schweiß in Meßbächen über die Gesichter rann und die Schminke tief durchfurchte. Dann folgte eine gymnastisch-athletische Vorstellung, die uns bei der Bequemlichkeit unseres Zuschauerraums höchlich ergötzte. Auch diesmal überzeugte ich mich abermals, daß die Chinesen, wie der Tanz an sich nicht zu ihren geselligen Vergnügungen gehört, ron Tanzkunst und Ballet nicht die geringste Vorstellung haben. Einer der Athleten hatte seinen Kopf in den unteren Falten des Oberkleides verborgen, einen nachgemachten Kopf zwischen den Beinen befestigt, und ging eine Viertelstunde hindurch auf den Händen, während er mit den Füßen alle jene Bewegungen ausführte, welche wir mit den Händen verrichten, u. A. mit Eßstäbchen Speisen in den Mund der aufgesetzten ^arve schob. In Europa hatte ich noch nichts Aehnliches gesehen. In einer gleich eigenthümlichen Art von Gymnastik zeichnete sich ein Anderer aus. Er schwang sich auf eine horizontal befestigte Bambus-siange, befestigte seinen Zopf daran und ließ sich nun herab, indem er, daran hängend, eine Menge grotesker und dein Gesetze der Schwere scheinbar hohnsprechender Evolutionen ausführte. Das Finale bestand in der herkömmlichen Schlägerei mit Säbeln, Lanzen, Prügeln und Zöpfen nebst einem Feuerwerk. Ueber die Musik lege ich mir Schweigen auf. Die Vorstellung war zu Ende, die Künstler hatten sich mit tiefen Verbeugungen entfernt, aber unter den Zuschauern war der Geschmack an Feuerwerk angeregt worden. Nie durch Zauberei stieg Thec, Champagner und eine dampfende Punschbowle aus dem Boden des Valeons in die Höhe, und von dem Geländer aus wurde eine Menge Leuchtkugeln, Feuerräder und Schwärmer abgebrannt. Es war halb 65 12 Uhr vorbei, als wir zurückruderten, aber des Feuerwerks sollte heute kein Ende werdeil. Als wollte der Himmel uns« kindliches Fuukenspiel be-Ichämen, schössen einige der großartigsten Sternschnuppen durch das tiefe Dunkel der Nacht. Am nächsten Morgen des 18. Juli wurde wieder in See gestochen. Ich bedauerte, durch meine körperliche Schwäche verhindert gewesen zu sein, mich näher über Amoy zu unterrichten. So viel ich von der Wohnung des Consuls aus zu übersehen vermochte, ähnelt die alte Stadt auch in ihrer Vodenbildung Macao. Häuser und Tempel sind zwischen Felsen erbaut, die Zahl der Einwohner wird auf zweihunderttausend angegeben. Ihr Typus unterscheidet sich wesentlich von dem der Bevölkerung Kantons. Die Hautfarbe ist dunkler und die hiesige Kopfbedeckung dem Turban der Muselmanen ähnlich. Da wir mit Gegenwind zu kämpfen haben, ist die Maschine geheizt und wir dampfen langsam vorwärts. Wir befinden uns in der Nähe der Insel Formosa und kommen Nachmittags dicht bei der kahlen, nur von Piraten bewohnten Dchseninsel vorüber. Die Ortsangehörigen versammeln sich auf Kuppen am Ufer, sind aber weit entfernt von einein Conat auf unser Schiff. So viel ich durch den Tubus sehen kann, flößt ihnen die „Gazelle" unsäglichen Respekt ein. Die preußische Flagge hat sich in den chinesischen Gewässern trotz ihrer kurzen Anwesenheit schon Achtung verschafft. Das solide, stramme und doch wohlwollende Wesen der Officiere und Mannschaften gefällt den Ostasiaten. Als der Lootse von Amor» uns aus den: Hafen in das offene Fahrwasser hinausgesteuert hatte und sich verabschiedete, widmete er dem General-Consul Herrn von Rehfues seine ganz besondere Huldigung. Er titulirte ihn dabei ,,?o1u88ia AHnäaiin pich'en man numdel one" (preußischer Mandarin Geschäftsmann Nr. 1); man wird sich erinnern, daß kein Chinese das 15 auszusprechen vermag. Am 19. Juli, Morgens 8 Uhr, erblickten wir die nördliche Spitze von Formosa, wir steuern absichtlich so weit gen Osten, um den südlichen Passat zu gewinnen; doch gelingt es uns nicht, es herrscht au,f der ganzen Route fortwährende Windstille. Das Wetter ist wunderschön, in der kühlsten Stunde Morgens halb 4 Uhr, zeigte das Thermometer sogar nur auf 25 Grad Reaumur. Nach dem Kalender schreiben wir Eonntag, und um 10 Uhr tritt Baron von Vothwell unter die in Paradeuniform aufmarschirten Soldaten und Matrosen und hält fürchterlich Musterung. Darauf folgt der Gottesdienst in der Batterie. Bei der anhaltenden Windstille ist die schwebende Hitze unerträglich. Ich bin jetzt in jenem Stadium der Hautentwickelung angelangt, das mir schon in Calcutta viel Stoff zum Nachdenken bot, wenn Einer den Andem gleich beim ersten Zusammentreffen fragte: „Wie schwitzen Sie?" Alle Poren meiner Haut scheinen verstopft zu sein, sie ist glühend aber Hilrebvanbt's Reise um ble Erde, II. 5 66 trocken, ein innerer Vrand verehrt meine Eingeroeide, und doch habc ich längst allen Reizmilteln und nährenden Speisen entsagt. Neun Wochen hindurch habe ich kein Fleisch mehr genossen, ich friste mein Leben mit Reiskörnern, Brocken Zwieback, Grütze, Thee und Sodawasser. Die Güte meiner militärischen Landsleute kann ich nicht genug rühmen. Vor der Thür der Vorkajüte wandelt Tag und Nacht ein Soldat mit gezogenein Seitengemehr auf und ab. Brauche ich Hülfe und klingele, so steht er, wie der Geist des Ringes oder der Lampe, vor meiner Hängematte und betrachtet mich erwartungsvoll. Sein Name ist mir unbekannt, ich nenne ihn: Posten! Der Vortrefflichkeit dieser Einrichtung wird Jeder gerechton Beifall zollen, aber der Ort meiner Lagerstätte bringt denn doch auch einige Uebelständo mit sich. Ueber meinem Kopfe hängen, außer dem Barometer und Thermometer, noch einige andere „Meter", die der Seemann zur Wohlfahrt des Schisses und seiner Besatzung nicht aus dem Auge verlieren darf. 3o geschieht es, daß Tag und Nacht alle halben Stunden ein wachthabender See-cadett in meiner Kajüte erscheint, die Instrumente scharf beobachtet, die Grade notirt und später ill dein dienstlichen Register verzeichnet. Da er sich nach Einbruch der Dunkelheit dabei einer Laterne bedient, kann er seine Beobachtung nicht anstellen, ohne dabei nicht an meinem Gesicht vorbeizufahren und mich regelmäßig aufzuwecken. Unser Capitän studirt fleißig Bücher und Karten; unser großer Meteorologe Dove gilt mit seinem tiefsinnigen Calcül der Luftströmungen für den guten Genius der Seefahrer. Kein Tag vergeht, an dem seiner nicht in Ehren gedacht wird. Der militärische Dienst ist unerbittlich und am Tage machi kein Vorgesetzter der leiblichen Bequemlichkeit seiner Untergebenen Concessionen; nach Einbruch der Dunkelheit wird Nachsicht geübt. Wir entledigen uns alsdann bis auf ein unentbehrliches Kleidungsstück der gesummten Garderobe, lustwandeln oder sitzen auf dem Verdeck und rauchen Tabak. Eine Badewanne befindet sich an Bord, ich nehme täglich ein mir vom Stabsarzte verordnetes halbstündiges Bad zur Pflege meiner verkümmernden Haut. Sie ist nicht einmal mehr im Stande, die landesüblichen regulären Hitzblattcrn zu Stande zu bringen. Uni einige Abwechselung in meine Mahlzeiten zu bringen, darf ich von jetzt an einige Tropfen Citroncn-säure in meine Graupen träufeln. Am 21. Juli waren wir dem Festlande sehr nahe, das Fahrwasser ist gefährlich und der Capitän geht mit höchster Gewissenhaftigkeit zu Werke. Er blieb die ganze Nacht hindurch auf dem verdeck und lies; nach Mitternacht vier Raketen und Leuchtkugeln steigen, doch wahrte es bis Tagesanbruch, ehe ein englischer Lootse an Bord kam und die „Gazelle" in die Mündung des größten Flusses Chinas, des Yangtseliang, steuerte. Die Entfernung vom Festlande war gröker gewesen, als wir sie abgeschätzt hatten. Die zwölfte Stunde rückte heran, ehe uns das Feuerschiff zu Gesicht kam, und 67 meine Uhr zeigte auf Zwei, als mir zu Noosung (Wusung), dem Vorhafen von Shanghai, den Anker fallen ließen. Der General-Consul und Herr von Nadowitz traten in einem gemietheten chinesischen Fahrzeuge sogleich die Reise nach Shanghai an, wohin sie durch dringende Geschäfte gerufen werden; der Verfall meiner Kräfte verbot mir, mich ihnen anzufchließen. Ich tröste mich mit der Hoffnung, in dem Klima Japans zu genesen, einige Monate später hierher zurückzukehren und dann das Verfäumte nachzuholen. Tie Herren haben bis Shanghai noch drei Stunden stromauf zu fahren. Der Jangtsekiang, der blaue Fluß oder Kiang, wie er schlechtweg genannt wird, ist hier mindestens anderthalb deutsche Meilen breit, und wechseln Ebbe und Fluth wie auf dem Ocean selber. Das unermeßliche Gewässer gleicht einer lehmigen Jauche und schwemmt eine unberechenbare Menge fester Bestandtheile in die See; die Natur strebt überall nach Abplattung, Nivellirung der Berggipfel und Füllung der Abgründe. So weit das bewaffnete Auge reicht, sind beide Ufer flach, wie in den Niederlanden. Man erkennt nur Reisfelder und niedriges Gebüsch. In meinen unfreiwilligen Mußestunden sitze ich traurig auf dem Verdeck und blicke dem von Westen heranströmenden wilden Nasserschwall entgegen; es ist möglich, von hier aus in einen: Tage bis Nanking zu gelangen, aber die Erpedition wäre selbst bei vollkommenem Wohlbefinden nicht rathsam. Die Rebellen (Taipings) haben sich der Stadt Nanking bemächtigt und Niemand kann anschlagen, in wieweit die bisherigen diplomatischen Vereinbarungen des officiellen China und der europäischen Seestaaten auch von ihnen anerkannt werden. Von der Schönheit Nankings habe ich während meiner Anwesenheit in China viel vernommen, der Stoiz der Chinesen, der Porzellanthunn Thu, ist freilich von den Rebellen zerstört und dein Erdboden gleichgemacht worden. Nach älteren Verichtcn, denen ich hier folge, stammte der Porzellanthurm nicht, wie so manche ähnliche Denkmäler, aus den Zeiten der Einführung des Buddhaismus in China letwa um Christi Geburt) her, sondern gehört zu den Bauwerken der jüngeren Jahrhunderte. Der Kaiser Tschmg-tsu-wen-ti aus der Ming-Dynastie wird> als sein Erbauer genannt. Die Errichtung fällt in die Jahre 1403 bis 1425. Seiner religiösen Idee nach war der Porzellanthurm ein Tempel des Dankes-und der höchsten Erkenntlichkeit. Nach von Klöden's trefflichem Handbuch der Erdkunde, der sich auf Pauthier stützt, stand der Porzellanthunn auf einem Ziegelunterbau, der mit einer Marmor-Valustradc umgeben war. Der als Tempel dienende untere Saal hatte hundert Fuß Tiefe, empfing aber fein Licht nur durch drei kolossale Thore. Der Thurm hatte neun Etagen und eine Höhe von zweihundertdreiundfünfzig Fuß. Der Durchmesser des Van« Werts verjüngte sich mit zunehmender Höhe. Der Thurm war außen mit vielfarbigem glasirten Porzellan bekleidet, das im Lause der Jahrhunderte durch Negen und den zerstörenden Einfluß der atmosphärischen Chemikalien. 5' 63 viel von seiner anfänglichen Herrlichkeit verloren hatte. Aus der achten Etage erhob sich ein mächtiger Mast als Gipfel des Ganzen, Eisenbande umschlangen ihn; auf der Spille lag eine gewaltige vergoldete Kugel. Noch heute sprechen die Chinesen von ihren: Heiligthum, wie unsere Schriftgelehrten von de» Wundern des alten Aegypten. Der Kaiser hat seine Residenz van Nanking nach Peking verlegt, aber die ehemalige Hauptstadt bewahrt standhaft den Nuf der Intelligenz und Gelehrsamkeit. Ihre Arbeiter sind die geschicktesten, die Sprache und ihr Accent sind hier besonders rein; Nanking ist das Athen der Chinesen. Der Ort scheint sich überdies durch seine Billigkeit und sonstige angenehme Lebensweise auszuzeichnen. Ich schließe dies aus dem Umstände, daß sich zu Nanking, wie w Görlitz in Schlesien die preußischen Pensionäre der Armee, die zur Disposition gestellten Mandarine niederlassen und bei dem Reichthum der Vibliothetcn ihre Muße durch wissenschaftliche Studien erheitern. Die Doctoren Nankings werden als die besten des himmlischen Reiches gerühmt. Ich las mit schwerem herzen die Beschreibung der Herrlichkeiten und gewährte meiner Phantasie uolle Freiheit, sie mit den riefen« mäßigen Grabbildsäulen und Thiergeftalten zu bevölkern, die noch heute in der Umgegend der Stadt gefunden werden follen. Unsere Tafelrunde wird immer kleiner, denn auch Capitän von Vaihwell verläßt uns, um in Shanghai eine Summe von fechzigtausend Dollars ein-zutassiren. Doch kommt Mancherlei an Äord vor, das einein hülflosen Patienten einige Zerstreuung verschafft. Ein Matrofe fiel über Bord, ward aber durch Anwendung der Rettungsboje und eines Vootes auffallend rasch wieder in's Trockene gebracht. Am -_'4. Juli war erst Musterung, dann folgte cin großes Seemanöver. Der Mannschaft wurde eine Lection im Entern ertheilt, die Gelehrigkeit und Geschicklichkeit unserer Landsleute war bewunderns-uierth; die militärischen Uebungen schlössen mit der Fiction eines ausbrechenden Feuers. Es wurde Sturm geläutet, denn in der mir angewiesenen Vor-klljüte sollte es brennen. Aei den geringen Schwierigkeiten, die Feuersbrunst zu löschen, ging das Manöver rasch vorüber, und die Mannschaft ließ sich im Bewußtsein befriedigten Pflichtgefühls Abends den ucrlheilten Grog ausgezeichnet schmecken. Wüthet auch am Lande die Cholera auf das Entsetzlichste und treiben stündlich Leichen vorbei, die man weit im Inlands, außer Stande, alle Todten zu begraben, in den Strom geworfen haben mag, so haben wir an Aord der „Gazelle" doch keine Todten zu beklagen, so viel dcr Gesundheitszustand dcr Mannschaft sonst zu wünschen übrig lasseil mag. Und doch ist bis icht Keiner am Lande gewesen. Wir ankern in Mitte eines förmlichen lheschwadew von Schiffen der Amerikaner, Engländer, Hamburger und Dänen, unter denen fast ein täglicher Wechsel stattfindet, und das Verdeck der „Gazelle" hat sich in den Sprcchsaal einer Mimt verwandelt, so haben sich die Vesuche der Leidenden vermehrt. Die Thätigkeit unserer beiden Doctoren 69 ist wahrhaft übermenschlich, nie ward ärztlicher Rath bereitwilliger und ohne weniger Eigennutz ertheilt. Unter den aus Europa und Amerika gebürtigen Patienten befand sich auch ein chinesischer Soldat, der indessen die Hülfe unserer Aesculape nicht gegen ein klimatisches Uebel, sondern nur gegen eine Krankheit in Anspruch nahm, die auch diesseitigen Militärärzten viel zu schaffen macht. Bekleidete er eine höhere Charge, oder hatte er sich in einem Gefechte hervorgethan, auf der Rückseite seines Gewandes prangten außer der Nummer seiner Abtheilung einige Charaktere, welche „der Tapferste der Tapferen" bedeuteten. Später erfuhr ich, daß dergleichen Roctinschriften die Stelle unserer Orden und Medaillen vertreten. Weschalb dergleichen Aus' Zeichnungen, wie z V. das furchtbare Motto der „Allesnwrdende", aber gerade auf dem Revers der Heroen angebracht werden, wo der dadurch in's Bockshorn zll jagende Jäger sie erst erblickt, wenn der „Blutdürstige" Reißaus nimmt, habe ich nicht ermitteln können. Am 29. Juli ist Herr von Vothwell von Shanghai zurückgekehrt, und drei Schritte von meiner Hängematte sind seitdem in sechs Kisten die bewußten sechzigtausend Dollars, also hunderttausend Thaler in Silber, aufgestellt und der Wachsamkeit eines allstündlich abgelösten Postens, meines Vertrauten, anheimgestellt. An demselben Tage wurden auch einige Exercitien an den beiden auf Deck stehenden gekupferten Kanonenbooten unternommen. Jedes derselben vermag hundert Mann und ein Geschütz schwersten Kalibers zu tragen. Der Tennin unserer Abfahrt ist immer noch unbekannt und hängt uon der Rückkehr der Herren von Rehfues und von Radowitz ab. Die Langeweile scheint auf unsere Matrosen demoralisirend einzuwirken, fünf derselben haben den schönen Abend benutzt, zu desertiren, nachdem jeder einen der in offenem Gestell aufgespeicherten Revolver zu sich gesteckt. In der darauffolgenden Nacht entwischte noch ein Sechster, ein wagehalsiger Geselle. Da die Revolver sogleich eingeschlossen worden waren, hatte er sich mit keiner Waffe versehen können und war in der Hoffnung, ein benachbartes Schiff durch Schwimmen erreichen zu können, einfach über Bord gesprungen, nachdem er die beiden Enden eines zerbrochenen Ruders unter den Achseln fest gebunden. Der Unbesonnene hatte nicht an Ebbe und Fluth gedacht, die Ieit der ersten war da, und der unwiderstehliche Wasserdran^ des Jangtsekiang trieb ihn unaufhaltfam in den Ocean hinaus. Er war schon zwei Stunden umhergcschwommcn, als sein Jammergeschrei einen hcranlavirenden Amerikaner aufmerksam mncbt?, d:r ihn denn auch glücklich auffischte, vormittags zeigte der ehrlicbende Amerikaner uns durch einige Signale den unoermutheten Fischzug an. Capita« von Nothwell entsandte ein Boot, und der Deserteur^ sowie einer seiner gestrigen Vorgänger, liegt gegenwärtig in Eisen. Die Antecedentien des Flüchtlings sprechen nicht für ihn. Schon vor acht Monaten in Rio Janeiro, hat er verfucht zu entwischen und sich bei feiner Verhaftung 70 dadurch der weiteren Etrafe entzogen, daß er mehrere Wochen lang sinnlos betrunken gewesen zu sein behauptete. Sa lange ein Kriegsschiff vor Anker liegt, befinden sich derartige Verbrecher in festem Gewahrsam, nuf hoher See werden fie wieder in Freiheit gesetzt und verrichten ihren Dienst. Erst in der Heimath übergiebt man sie dem Kriegsgericht; unser muthwilliger Fahrtenschwimmer darf ciner Festungsstrafe von zwei bis drei Jahren gewiß sein. In Folge dieser Fluchtversuche ist die Ordre, das Schiff nicht zu verlassen, noch verschärft; die Officiere fürchten die Einfchleppung der Cholera, an der, wenn schon nicht in Woosung, aber doch in Shanghai, täglich achthundert bis neunhundert Eingeborene sterben. Am 39. Juli Abends trafen endlich die Herren von der Gesandtschaft ein. Prinz Wittgenstein, der sich bis dahin in Shanghai aufgehalten, hatte sich zu ihnen gesellt und gedachte die Reise nach Japan mit uns fortzusetzen. Ich ließ mich von den Herren zu einem Ausflüge nach dem Städtchen Woosung bereden, das an der Mündung des gleichnamigen Nebenflusses des Zangtsekicmg liegt, vermochte aber nichts Sehenswürdiges zu entdecken. Bemerkenswerth war nur die Menge der Dschunken, die theils, nn'e unsere Voardinge, die neuen Thees an Bord der fremden Schiffe führten, theils das importirte Opium landein und stromauf verschifften. Mir wurde u. A. eine Polizei- und Criminalgerichts-Dschunke gezeigt, die eben von einer Inspectionsfahrt in der Mündung des Kiang, und zwischen Woosung und Shanghai, zurückgekehrt war. Das grell angemalte Fahrzeug sah keineswegs einladend aus. An seiner Spitze stand ein Galgen, ein auf Zwei Pfeilern ruhender Querbalken, dcn man vor Kurzem seiner Früchte entledigt haben mochte. Noch hingen an zwei Haken die Stricke, und seitwärts lehnte eine Bambusleiter. Die Strompolizei macht mit Piraten kurzen Proceß. Unter dem Galgen saßen mehrere Beamte und wehten sich mit Fächern Kühlung zu. Die mit einer Luntensiinte bewehrte, auf und ab wandelnde Schildwache hatte den Fächer hinten in den Nacken gesteckt, wo er wie der Stiel einer Pfanne hervorragte. X. Nach Japan. Flucht vor dcm Teifun. Schönes Wetter und dreißig mit dem Tauende. Der Vulkan Fnsi Mma. Eine ncur Höflichlcite- bczcugung. Gin Damenrad auf assener Straße. Grillen und Tchrei- fliegen. Japanische Häuslichleit. Früh 5 Uhr am 8),. Juli werden die Anker gelichtet und wir stechen nach 3>eddo in Japan in See. Der anschwellenden Fluth entgegen, fahren wir stromabwärts unsäglich langfam - doch hatten sich um 4 Uhr Nachmittags 71 1>ie wilden Wasser wieder verlaufen und der Capitän trug Bedenken, bei dem niedrigen Wasserstande und dem Tiefgange der „Gazelle" die Varre des Aangtsckiang zu pasfwm; die Anker wurden daher nochmals ausgeworfen. (55 ist heute Freitag, und in allen Winkeln des Schiffes stecken die Matrosen die Köpfe zusammen und tuscheln; eine Abfahrt an einem Freitag sei noch nie zu einein glücklichen Ende gediehen. Die Zeit zu ferneren abergläubischen Betrachtungen war ihnen nur karg zugemessen, um halb 3 Nhr Nachts dampften wir rasch über die gefährliche Barre, und von einer frischen Brise angehaucht, eilten wir mit einer Schnelligkeit von acht Knoten nach Norden vorwärts. Der Athem des Windes erstarb nach vierundzwanzig Stunden und am 2. August, Sonntags, war eine solche Windstille eingetreten, dafz nach dem Gottesdienste Varon von Vothwell uns den Vorschlag machte, ein Noot zu besteigen und eine Nuderfahrt zur Feier des Sabbaths zu veranstalten. Eine Stunde lang genossen wir den Anblick der prächtigen Corvette und des unbegrenzten Ocean-Panoramas, dann kehrten wir zurück und setzten mit Dampf die Reise fort. Mein Tagebuch gewahrt in den chinesisch-japanischen Gewässern nur spärliche Ausbeute, der Schiffsverkehr ist sehr gering-, seit der Abfahrt von den chinesischen Küsten haben wir nur cin Schiff in der Ferne erblickt. Unsere Gesundheit hat sich sehr verschlechtert, der Caviätn leidet von allen Officieren am heftigsten an der Dysenterie; die Bildung eines Graupen-u^reins wäre angemessen. Die Stelle eines Alterspräsidenten könnte mir, der ich am längsten mit dem Uebel kämpfe, ohnehin nicht entgehen. Am Z, August erhielten wir Gesellschaft. Mehrere Walfische von mittlerer Größe tauchten tausend Schritte vor dem Schisse auf, bliesen Wasserstrahlen aus den Nasenlöchern und schäkerten untereinander auf etwas hahnebüchene Weise. Den Fischlein schien im kühlen Grunde unsäglich wohl zu sein. Bald darauf schwamm ein verschlossener chinesischer Sarg an der „Gazelle" vorüber; wie er in diese Regionen gekommen sein mochte, war uns Allen unbegreiflich. Um Z Uhr erblickten wir in weiter Ferne Land, die japanische Insel Udsi Sima, eine malerische Vergformation von ungefähr zweitausend Fuß Höhe, und gegen Abend begegnete uns die erste japanische Dschunke, der wir jedoch keine weitere Aufmerksamkeit schenkten, da das Barometer plötzlich zu fallen begann und angesichts der Küste sogleich die nöthigen Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden mußten. Der Wind wurde von Stunde zu Stunde stärker, und Cavitiin von Vothwell hielt es für rathsam, in Gesellschaft der Officiere die Nacht hindurch auf Deck zu bleiben. Durch meine körperliche Schwäche gezwungen, hatte ich mich in der Vorkajüte niedergelegt, aber die gewaltigen Bewegungen des Schiffes ließen mich nicht schlafen. Ich kroch aus der Hängematte und begab mich zu den Officieren. Die See ging himmelhoch; im Verhältnisse zu den heranrollenben Wasserbergen schien die stattliche „Gazelle" zu einer Wallnuß- 72 schale zusammengeschrumpft zu sein. Die höchste Vorsicht war geboten, deim in allen Richtungen umgab uns Land. Nördlich am Himmel tauchten die kahlen, nur hie und da grüngefleckten Felsen Japans auf, gcn Süden zeigten sich mehrere kleine gebirgige Inseln, deren eine, Kuros i ma, in einen rauchenden Vulkan von zweitausendzweihundert Fuß Höhe auslief. Die See ging immer höher, und endlich mußten alle Kajütenfenster und Stückpforten geschlossen werden. Da ich zu einer dreistündlich zu nehmenden Mixtur verurtheilt war, hatte ich mich rittlings auf das Geschütz in meinem Boudoir gesetzt und führte eben den Löffel zum Munde, als eine Welle durch die Oesfnung schlug, nicht nur die Medicin beträchtlich verdünnte, sondern mich auch durch ein Sturzbad erfrischte und alle Utensilien nebst Gepäck unter Wasser setzte. Die Kajüte mußte mit Eimern wieder trocken gelegt werden. War die Hitze in der geschlossenen Kajüte des Capitäns unerträglich, so stürzte der Negen auf das Verdeck in Strömen herab. Um 6 Uhr wollte die Corvette „keine Fahrt mehr machen". Der hohen See und der Wucht des Sturmes war die Kraft der Schraube nicht gewachsen. Unaufhaltsam trieb die „Gazelle" rückwärts. Eine Stunde später fuhr eine französische Corvette, wahrscheinlich von Aeddo kommend, mit dichtgerefften Marssegeln in südlicher Richtung an uns vorüber. Der Versuch wurde angestellt, mit Flaggensignalen eiuc Unterhaltung anzuknüpfen, aber das eilige Kriegsschiff gab keine Antwort. Capitän von Bothwell beschloß jetzt, da das Barometer immer tiefer sank, dem Beispiel des Franzosen zu folgen und den Wirbeln des drohenden Teifun auszuweichen. Das Kriegsschiff mochte, nach dem Verlust beider Bramstengen zu urtheilen, dem Teifun nur mit genauer Noth entgangen sein. Auch unsere Marssegel wurden gerefft, wobei einige Leinwandstücke wie Papierfetzen zerrissen über Bord flogen, und resignirt kehrten wir dahin zurück, woher wir gekommen waren. An Unglücksgefährten fehlte es uns nicht. In den Mittagsstunden des 4. August kam uns eine große, sehr elegant ausstafsirte Dschunke in Sicht, die bei ihrer unbehülflichen Vauart noch ganz anders wie wir, hin-und hergeworsen wurde. Mit Hülfe des Fernglases erkannte ich auf Deck des Schiffes vier höchst martialisch aussehende Japanesen und ein kleines Frauenzimmer, die sich sämmtlich mit vieler Fassung in ihre Lage fanden. Gar gern hätte ich das Schauspiel länger beobachtet, man rief mich jedoch schleunig in die Kajüte; meine Effecten hatten durch die Sturzsee abermals Schiffbruch gelitten. Koffer, Morgenschuhe und Stiefelknecht 'schwammen umher; der Posten leistete mir bei der Rettung freundschaftliche Hülfe. Der Morgen dcs 5. August brach noch immer stürmisch an, abcr das Barometer begann langsam zu steigen; wir waren über dreißig Meilen zurückgeworfen worden. Der Wind drehte sich nach Westen, und der frühere Cours wird von Neuem aufgenommen. Obgleich die See den Anschein hat, als wolle sie uns unter den von Südwest gegen den Spiegel der Corvette hcranrollenden 73 Wellen begraben, sieht der Himmel doch etwas freundlicher aus. Vor meinen Augen schwankt Alles, ich bin nicht seekrank, aber ich werde in meinem jammervollen Zustande noch von fir.en Ideen verfolgt. Die ganze Nacht hindurch wand ich mich in der glühenden Stickluft der Kajüte in meiner Hängematte und konnte den Gedanken nicht los werden, wie glücklich ich sein würde, läge ich jetzt im Winter zu Hause neben dem geheizten Ofen, mit einer Wärmflasche im Vettc. Der logische Widerstand gegen diesen aufdringlichen Gedanken, der mir nicht recht einleuchten wollte, verursachte mir unbeschreibliche Qualen. Jetzt saß ich auf dem Verdeck, und um mich drehte sich ein dunkelgrauer, mit Seeofficieren, Teifunkarten und Regenwolken bedeckter Himmel. Da sich der Wind noch mehr nach Süden wandte, kamen wir rasch vorwärts. Am 6. August hatte sich die See etwas beruhigt, wir konnten in dcn Kajüten gehen und stehen, ohne zu Boden geworfen zu werden, und Capitün von Bothwell mochte das Wetter für geeignet halten, um einen Act der der Gerechtigkeit vorzunehmen. Die Dfsiciere und einige als Zeugen dazu commandirte Matrosen versammelten sich um 9 Uhr in Gala-Unifonn, und einem Gehorsamverweigercr werden mit einein Tauende dreißig Hiebe officiell aufgezählt. Ungeachtet des günstigeren Windes haben wir nach den am 7. August angestellten Berechnungen weniger „Fahrt gemacht", als zu erwarten stand. Erst in den Mittagsstunden bringen wir es mit Dampf zu einer Geschwindigkeit von acht bis neun Knoten in der Stunde und passiren Nachmittags die Region, wo der unglückliche Schooner „Frauenlob" von seinem Schicksal ereilt wurde. Unsere Entfernung vom Lande wird auf acht geographische Meilen abgeschätzt. Nei Sonnenuntergang segelt und dampft ein von Norden kommendes Geschwader von acht großen und kleinen Kriegsschissen an uns vorüber. Der Flaggengruß und eine flüchtige Corresvondcnz mittelst Signalen wurden durch die schleunig hereinbrechende Dunkelheit verhindert; wir waren immer noch eine Meile von der Flotille entfernt. Die Fahrt wurde mit höchster Vorsicht fortgesetzt, und am 8. August, um 6 Uhr Morgens, tauchte in einer Entfernung von sechszehn bis zwanzig Meilen der schon mehr im Innern Japans gelegene Vulkan Fusi Hama, der heilige Verg der Japaner, aus der Tiefe auf. Der Himmel war wolkenfrei und die malerischen Umrisse des Gipfels traten scharf hervor, auf der Spitze sah man deutlich mehrere Schneeschichtcn. Die Höhe des Fusi Mma, d. h. des großen Berges, wird sehr verschieden zwischen zwölftausend bis vierzehntausend Fuß angegeben. Nach einer neueren Messung von Alcock soll sie uierzehntausend dreihundert-sechsundfünfzig Pariser Fuß betragen. Der ausgebrannte Vulkan, der nach den Behauptungen der Japanesen im Jahre ^86 vor Christi Geburt plötzlich entstanden sein soll, ist der Stolz der Eingeborenen. In allen ihren landschaftlichen Abbildungen suchen sie seine rauhe Pyramide im Hintergrunde 74 als höchsten Effect anzubringen. Meine Hände gitterten vor Schwäche, doch durfte der günstige Augenblick nicht verloren gehen, ich holte meinen Malerapparat und fertigte, da die Wuth der Wasser endlich beschwichtigt war und die Schwankungen der Corvette meine Arbeit nicht hinderten, glücklich eine Aquarelle an. Kaum hatte ich den Pinsel ausgewischt, als eine plötzliche Trübung des Dunstkreises mir bewies, wie Recht ich gethan, keine Zeit zu versäumen. Etwa um 9 Uhr spann sich der majestätische Verg in einen dichten Wolkenschleier. Wir näherten uns inzwischen den pittoresken Küsten der herrlichen Bai von Aeddo. Das Erste, was wir von japanischem Leben und Treiben bemerkten, waren drei größere Dschunken, jede mit zwanzig stämmigen Landeskindern bemannt, die dem Walfischfangc oblagen. Tie Jagd mochte höchst ergiebig sein, denn während meiner Arbeit hatte ich nach und nach reichlich ein Dutzend hiranwackisender Walfisch-Fohlen oder Kälber — ich bin in der Fischer- und Jägersprache nicht bewandert — gezählt, die sich mit kindlicher Nasew,.'isheit der „Gazelle" näherten, aus dem Ocean mit ihren riesigen Leibern hervorschnellten und Wasserstrahlen emporstnidelten. Meine poetischen Empfindungen wurden durch den unerwarteten Umstand, daß aus Deck „Alles" Zum Gefecht klar gemacht wurde, etwas herunter gestimmt. Die „Gazelle" war eincs freundlichen Empfanges in Kana gawa, das wir Abends zu erreichen hofften, nicht ganz gewiß und mußte sich auf alle Fälle vorbereiten. Schon gestern hatte mich ein längeres Uebungsmanöver von kriegerischem Anstrich befremdet. Selbst die diplomatischen Herren Passagiere besichtigten ihre Revolver. Im Lame des Tages geschah indessen nichts, was unsere Besorgnis; steigern sollte. Eine Anzahl Dschunken, die wir einholten, schienen mir zwar nicht so bunt und malerisch, wie die gleichnamigen Fahrzeuge der Chinesen, aber von praktischerer Bauart. Sie waren nicht so unbehülstich, als mir die vom Sturm hin- und hergeworfene Dschunke erschienen war, segelten trefflich vor dem Winde, und ich gab im Stillen den japanischen Zimmerleuten eine Ehrenerklärung. Bald eröffnete sich uns die Aussicht in dic wcite Bai von Aeddo. Die Landschaft ist unvergleichlich schön und das Glück lächelte unserer Ankunft. Dit Sonne hatte alle Nebelgespinnste zerstreut; die tiefblaue Bai und ihre Ufer lagen wie ein gekröntes Preisbild in goldenem Rahmen vor uns. Vielleicht veranschauliche ich den weiten Prospect am besten, wenn ich die felsigen, bald kahlen, bald bewaldeten Erhebungen von mäßiger Höhe und die darin gebetteten freundlichen Hafenstädte mit einer Zusammenstellung thüringischer Vedutten vergleiche. Es war dieselbe musikalische Harmonie dcr Formation, dieselbe Frische, nur erschien mir das herrliche Ensemble mehr von südlicher Wanne der Farbe angehaucht, und das ferne Kolosfalgebilde des Fusi Aama brachte einen fremdartigen Ton hinein, dcr nach Asien hinüber modnlirtc. 75 Einige Minuten vor Sounenunterganna, hatte die „Gazelle" Aokuhama erreicht. Kaum ivar der Anker gefallen, nls die Ojficiere der in der Nähe ankernden amerikanischen, englischen und französischen Schisse ihren Vegrüßungs-besuch abstatteten. Einer der Ersten an Bord war der preußische Consul Herr von Brand. Die Dunkelheit brach so rasch herein, daß wir uns der willkommenen Gäste nicht lange erfreuen konnten, ja selbst der für das französische Admiralschiff bestimmte militärische Gruß von dreizehn Kanonenschüssen mußte bis auf den nächsten Morgen verschoben werden. Leider hatte sich unsere Tafeldecker-Mannschaft nicht genügend darauf vorbereitet und den zum Tiffin gedeckten Tisch nicht „zum Gefecht klar gemacht"; der Teller- und Mäseroorrath der „Gazelle" erlitt folglich durch die Lufterschütterung, welche das Abfeuern der Vierundzwanzig-Winder verursachte, eine empfindliche Einbuße. Für gewöhnlich müssen vor jeder Kanonade an Bord alle zerbrechlichen Geschirre in Kisten oder Körbe festgepackt werden. Um 9 Uhr Morgens ruderten wir an's Land und standen nach einer halben Stunde auf japanischem Boden. Die Herren von Mehfues, von Radowitz und Prinz Wittgenstein beziehen Zimmer im Hause des Herrn von Brand; mich nimmt die Firma Reis und Schulze auf, ein Bremer Handelshaus. So eindringlich man mich zur Vorsicht gemahnt hatte, nicht allein zu weit in den Straßen Uokuhamas vorzudringen, vermochte ich doch nicht, meiner Neugier zu widerstehen. Zudem hatten sich meine Kräfte etwas gehoben und mehrere Stunden ruhigen Schlafes in der letzten Nacht meine Nerven erfrischt. Das Klima Japans ist immer noch warm genug, aber bei der freien Lage der Bai, in der wir ankern, kühlt sich die Atmosphäre beträchtlich ab; die Gesammt-Temperatur wird dadurch ungleich angenehmer und wohlthätiger für das leibliche Befinden, als zu Hongkong. Erleichterten Herzens begab ich mich in die Straßen Jokuhanias, kam aber nicht weit, da immer nach vier bis fünf schritten hundert neue Gegenstände mich fesselten und zwangen, mit offenem Munde stehen zu bleiben. War ich bisher in China durch meine Nachahmung der landesüblichen Höflichkeit überall gut fortgekommen, fo hielt ich es für verständig, unter dein Vruderstcnnme ein ähnliches Verfahren zu beobachten, und kann dasselbe allen meinen deutschen Nachfolgern anempfehlen. Gleich in den ersten Zehn Minuten meines Streifzuges wurde mir ein sehenswerthes, von Allem, was ich bisher in der Praris des Eeremoniells erlebt, weit abweichendes Schauspiel gewährt. Ein vornehmer Mann ritt, von seinem aus Fußgängern bestehenden Gefolge begleitet, durch die Straße. Er trug zwei Schwerter und die einem Weiberrock ähnlichen weiten Hosen, die nur der Adel anlegen darf. Der Reiter, wenn er nicht ein Da'imio war, was ich in Aokuhama nicht voraussetzen durfte, mußte also wohl dem „Sio-Mio", d. h. dem Erbadel, oder einer andern der ersten vier Klassen, den Jakonins, angehören. Das Volk bewies ihm außerordentliche Ehren. 76 An orientalische Höflichkeitsbezeigungen gewöhnt, befremdete es mich nicht weiter, daß alle Vorübergehenden sich zu Vodcn warfen und ihrc Häupter zur Erde neigten. Visher hatten sie aber der vornehmen Person, welche« die sclauischen Huldigungen galten, immer den Kopf und die ehrerbietig ausgestreckten Hände zugekehrt; hier verhielt es sich umgekehrt. Alle warfen sich mit abgewandtem Haupte auf die Kniee, verbargen die Gesichter und ließen den hochgestellten Beamten oder Militär nur ihre Kehrseite, und zwar im schärfsten Gegensatze zum Antlitz, sehen. Denn da die Mannigfaltigkeit der Garderobe unter den Japanesen, wie ich schon in den Minuten meiner Promenade bemerkt hatte, außerordentlich groß ist und die unteren, arbeitenden Kasten in der Sommertracht einhergingen, die nur in einem um ^eib und Oberschenkel geschlungenen schmalen Bande besteht, konnte es nicht fehlen, daß dem Mkonin eine Menge jener ausdruckslos geformten Körpertheile in ihrer Blöhe zugekehrt war, die wir Europäer deshalb aus ästhetischem Zartgefühl sorgfältig unter unseren Kleidern verbergen und die nur die ruchlosen Spaßvögel entschwundener, unhöflicherer Jahrhunderte unter schmachvollen In-muthungen unverhüllt vorwiesen. Es war nur unmöglich, bei dem frappanten 'Anblick einer so eigenthümlichen Esplanade ein lautes Gelächter zu unterdrücken, und da ich vor dem langsam heranreitenden Jakonin hösüch den Hut lüftete und eine leichte Verbeugung machte, bezogen Se. Ercellenz mein Gelächter als europäischen Ehrengruf; auf ihre Person und dankten mir durch Handschwcnkungcn und Kopfnicken auf zuvorkommende Weise. Je weiter ich ging, desto einleuchtender wurde mir, wenn irgendwo, so habe man die verkehrte Welt in Japan zu suchen. Sa fiel mir in mehreren, nach der Straße offenstehenden Tischlerwerkstätten die Art des Hobelns und Sägens auf. Die Arbeiter stoßen nämlich das Handwerkszeug nicht, wie bei uns, von sich, sondern ziehen es und zwar mit vieler Leichtigkeit an sich. Ein großes Brett wurde nach dieser Methode eben so schnell glatt gehobelt, wie nach europäischem Gebrauch. Selbstverständlich schreiben die Japanesen von rechts nach links und beginnen ihre Bücher «uf der letzten Seite des Bandes, aber auch die Pferde stehen in ihren Ställen mit den Köpfen nack> vorn gekehrt, wo man in unseren Ställen nur ihre Schweife erblickt. Jeder Leser des Alten Testamentes weiß, welches Unheil durch die unzeitige Wißbegier jener ältereil Herren angerichtet wurde, welche die schöne Susanne und Bathseba in einem Augenblicke belauschten, wo jedes weibliche Wesen sich den Augen des starken Geschlechts zu entziehen sucht. Meinen japanesischen Kollegen, den Historienmalern, kann die Culturgeschichte ihrer Heimath nie einen gleich dankbaren Vonvurf liefern. Vor der Thür jedes japanischen Hauses steht, zum ersten Nothbehelf bei Fcuersgefahr, ein nut Wasfer gefüllter großer Bottich, dessen Inhalt surtiuährend erneuert und von der Polizeibehörde streng beaufsichtigt wird. Der Bottich ist zugleich die Badewanne der das Haus 77 bewohnenden Familie und die offne Straße: ihr Nadegemach. Wie erstarrt blieb ich stehen, als ich, hinter einem in das Haus biegenden Packträger hervortretend, plötzlich vor einem jungen Mädchen stand, das, im Costüm unserer Urgroßmutter C'va, aber selbst ohne die Feigenblätter-Garnitur, auf einem über dem Rand des Bottichs gelegten lackirten Brette saß, Nacken und Brust mit Wasser übergoß und wie eine Ente mit den Füßen darin plätscherte. Ich wich in der Furcht, eine unerhörte Tactlofigkeit begangen zu haben, verlegen zurück: da mich aber die badende Schöne nur eines gleichgültigen, flüchtigen Blickes würdigte und keiner der Vorübergehenden sie beachtete, beruhigte ich mich mit dem alten Sprüchworte: Ländlich, sittlich! und schlenderte unbekümmert weiter. Wirklich war das öffentliche Bad keine Äu5nahme von der Regel gewesen, die Vormittagsstunde mochte zur Toilette bestimmt sein, und schon einige Häuser weiter traf ich eine Mutter mit zwei Töchtern bei derselben Beschäftigung. Die Damen fühlten sich durchaus nicht unangenehm berührt, als icy auf und ab wandelnd Augenzeuge der gegenseitigen Nebergießungen und des späteren weitläufigen Haarschmückungsprocesses war. Ich bekam danach eine sehr vortheilhafte Meinung von der Reinlichkeit, wenn auch nicht von der Schamhaftigkeit der Japanesen und habe leine Veranlassung gefunden, sie später zu berichtigen. Der Inselbewohner steht in dieser Hinsicht weit über dem Chinesen. Die Bauart der aus Fichten-, Cedern- und Pinienholz errichteten Häuser ist schr gleichförmig und kasernenartig. Eine lange Straßenfront scheint oft nur ein einziges zweistöckiges Haus zu sein und doch zerfällt sie in eine Menge einzelner Gebäude, die freilich durch ein gemeinschaftliches Dach aus schwarzen Ziegeln verbunden sind. Eben so gern malt man die Wände schwarz an, was den Straßen durchweg ein düstres Ansehen giebt, ungeachtet nach hiesigen Vorstellungen die schwarze und purpurrothe Farbe der Heiterkeit geweiht sein soll. Neiß ist, wie in China, cmch in Japan die officielle Trauerfarbe. Glasscheiben kennt man in Japan eben fo wenig als im himmlischen Reiche. Nur in Aeddo sollen einige Daimios Zimmer ihrer Paläste mit Glasfenstern geschmückt haben. Die Fenster bestehen aus hölzernen Gittern, die mit dünnein Papier überklebt werden, das so viel Licht durchläßt, um dabei arbeiten, les«n und schreiben zu können. Will der Japanese auf die Straße sehen, fo fährt er mit dem Finger durch eine der kleinen Papierscheiben; der Schaden wird durch ein überklebtes Blatt schnell wieder ausgebessert, doch erhalten die Fenster durch diese häusig wiederholten Operationen zuletzt ein gar zerlumptes bette!Haftes Aussehen. Das zweite Stockwerk der gewöhnlichen Häuser tritt, wie unsere Mansarden-Etagen, etwas zurück. Hier pflegen sich die Schlafgemächcr der Familien zu befinden. Die Promenade hatte mich sehr ermüdet und ich kehrte nach Hause zurück, nicht ohne aus den Mienen mehrerer nur begegnenden Iakonins zu errathen, 78 daß die Besorgnisse der Landsleute vor unberechenbaren Gewaltthaten nicht ungerechtfertigt seien. Alle diese Herren, deren verschiedene Orade oder basten ich nicht zu unterscheiden vermochte, trugen zwei Schwerter und schienen ihren bärbeißigen Gesichtern nach große Lust zu haben, die Schärfe eines derselben an meinem Bauche zu erproben. Die Antecedently dieser Herren können nach europäischen Begriffen nicht die besten sein; die Einwanderer aus anderen Welttheilen leben hier unter einein stillschweigend erklärten Belagerungszustände. Bei einem Besuch läßt man eher die Uhr, die Vörse oder das Taschentuch zu Hause, als den Revolver. Vom Säbel trennt man sich so ungern, wie vom Zahnstocher und dem Augenglase. Und doch widerspricht dem die Lage und leichte Zugänglichkeit meines Zimmers in Herrn Reis' Hause. Das einzige Fenster desselben im Parterregeschoß ist nur durch ein schmales Vor-gärtchen oder einen mit Iweiggewächsen und Vlumen ausgestatteten Gang und einen sechs Fuß hohen Staketenzaun von der Straße getrennt. Gleich dem Italiener bewegt sich der Iapenese in den heißen Sommermonaten Nachts gern im Freien und meine Lagerstätte, an deren topfende auf dem Tische eine große Lampe stcht, ist von der Straße aus Iedermnnn sichtbar und zugänglich, da der Staketeiuaun sich leicht überklettern lassen würde. Nichtsdestoweniger lächelt Herr Neis und beruhigt mich über meine Klagen über mangelnde Sicherheit: keinem seiner Gäste sei noch in diesem Gemache etwas Uebles zugestoßen. Wirklich wird mcine Nachtruhe weniger durch die zweifüßigen, als die mehrfüßigen Einwohner von Jokuhama gestört. Unter jedem Breitengrade lernt man neue Quälgeister aus dem Insettenvolke kennen. Hier giebt es in den Zimmern eine Menge Grillen, deren Nachtgesang nicht verstummt, man mag anstellen, was man will. Noch beschwerlicher ist eine mir neue Species riesiger Fliegen, — die Landsleute nennen sie Schreifliegen — die bei ihrem Umherschwärmen ein Geräusch hervorbringen, als striche Jemand mit angefeuchtetem Finger auf dem Rande eines feinen englischen Glases. Das Nocturno eines solchen Chors zirpender Grillen und wild umhersausender Fliegen schreckt mich mehrmals in jeder Nacht aus dem Schlummer auf. Hector Vcrlioz wäre entzückt gewesen, hätte er dieses Musikstück anhören können, denn hier brachten die unvernünftigen Creaturen mit ihren natürlichen Hülfsmitteln ganz denselben Lffect hervor, den der Pariser Tonsetzer in dem Queen Mab Scherzo seiner berühmten Symphonie „Romeo und Julie" erst durch die abenteuerlichsten Instrumental-Combinationen erzielt. So trefflich die Gemüse in China und Japan sind, das in beiden Landern gezogene Obst hat mir niemals munden wollen. Die im heutigen Dessert herumgereichten Aepfel und Pfirsiche hatten, wenn ich so sageil darf, einen Wildgeschmack, der Holz und Säure verrieth; die Stämme mochten schlecht gepfropft sein. Unsere Tischgesellschaft bestand außer den zahlreichen Hausgenossen des Wirthes aus einigen Sccofficieren. Tie Herren geübten mir 79 die höchste Artigkeit zu sagen, wenn sie ernstlich betheuerten, die „Gazelle" bei ihrer Ankunft verkannt und für ein englisches Kriegsschiff gehalten zu haben. Nach aufgehobener Tafel ivurden die Häuser einiger reichen Landesbewohner besichtigt. Sie waren sämmtlich von einem Staketenzaun umgeben und lagen in kleinen, sauber gepflegten Gärtchen. Links von dem Haupt-oingange wohnte in einem besonderen Häuschen der Portier, Wächter oder Herold; wenigstens vereinigte er in seiner Person alle Functionen dieser Aemter. Je nach dem Stande der Einlaß Fordernden wirft er sie entweder unverzüglich mit sicherem Griff wieder auf die Landstraße, oder meldet sie an und führt sie auch wohl unter vielen Bücklingen persönlich vor seinen Gebieter. Jeder Fremde hat durch den Thürklopfer am Thor seine Ankunft zu melden, der Portier besichtigt ihn und läßt ihn vorkommenden Falles ein. Die geringen Leute begeben sich durch eine kleine Seitenthür in das Haus, wo sie von höheren Domestiken in Empfang genommen werden-, die vornehmen Prrsonen treten durch die hohe Mittelthür ein und werden der Herrschaft durch einen weithin schallenden Schlag auf eine dünne Metallplatte angemeldet. In diesen feinen Standesunterschieden ist Vieles, was mit den aristokratischen Hausgebräuchen in England und Frankreich übereinstimmt. XI. Papierne Tommcrhäuscr. Erdbeben. Der Nachtwächter und seine Trommel. Brillenschlangen. Nationales Mißtrauen. Ein Bonze als Liebesagent. Die Ehe als Flnanzquelle. Die Theehäuser und das Herrenhaus. Unleidliche Bevormundung. Kaufleute. Lohgerber und Scharfrichter. Die Frauen Japans. Musme. Die Feuerwehr auf der Leiter. Eine sehr finnreiche Vorkehrung fand ich in mehreren geräumigen Salons. An bestimmten Stellen der Wände waren schmale Tafeln in dieselben geschoben, welche, nebeneinander herausgezogen, größere oder kleinere Wände bildeten und den Einwohnern gestatteten, den umfangreichen Saal in mehrere Cabinete zu theilen. Die fpanifchen Wände oder Schirme, die bei ihrer Leichtigkeit sich von einem Kinde bewegen ließen, waren mit goldenen Schriftzügen, heiligen Hähnen, Schildkröten und Schlangen oder unanständigen Bildern gefchmückt. Die Auswahl seines Mobiliars macht felbst dem begüterten Japanesen nicht so viel zu schaffen, wie dem Europäer, der sich nicht nur in der Toilette, sondern auch in dem Wechsel der Tische, Stühle und Schränke stets auf der Höhe des Zeitgeschmacks behaupten will. Er bringt sein Leben auf dem platttm Erdboden zu. Eine sehr saubere Matte, 80 aus den verschiedensten rohrartigen Stoffen geflochten, ist über denselben aus-gespannt; will sich der Japanese setzen, so kniet er nieder und ruht auf den Unterschenkeln; die Matte ist sein Nachtlager. Nur ein gepolstertes Kopfkissen, das einige Aehnlichkeit mit den kleinen Fußbänkchen unserer Damen hat, wird zur Hülfe genominen und unter den Nacken geschoben. Die Bequemlichkeit dieses Hausgeräths ist mir immer höchst zweifelhaft geblieben. Wie ich schon bemerkt habe, sind die japanesischen Häuser in Betracht der häufigen Erschütterungen des vulkanischen Bodens sehr leicht gebaut; es giebt sogar Sommerhäuser, die nur aus Holzrahmen mit Papierwänden bestehen. Menschen und Gebäude sind an Erdstöße gewöhnt, und noch uier Tage vor unserer Ankunft hatte ein ziemlich starkes Erdbeben stattgefunden. Tie leichte .Bauart begünstigt incht die nächtliche Ruhe, nebenbei giebt es noch mannigfache Störungen, die mit den localen Gebräuchen und den kriegerischen Zeitumständen zusammenhängen. Die europäische Ansiedlung von Zokuhama ist von Wachthäufern und Truppenabtheilungen der Japanesen umgeben, die angeblich zu unseren: Schutze dienen sollen, in der Wirklichkeit aber wohl nur unserer scharfen Beaufsichtigung wegen da sind. Um uns von ihrer Wachsamkeit zu überzeugen, feuern die Vedetten und Patrouillen zur Nachtzeit häufig Gewehrsalven und Kanonenschüsse ab, ein Lärm, der trotz der Entfernung einen sensiblen Kranken sofort aus dem Schlafe aufschreckt. Fast noch widerwärtiger ist der Nachtwächter des Reviers. Theils um sich selber munter zu erhalten, theils um die Unterthanen des Mikado nicht in eine zu tiefe Lethargie versinken zu lassen, kündigt dieser würdige Beamte seine Runde durch Trommeln an. Und bei einer derartig zusammengesetzten Nachtmusik soll nun ein Reconvalescent von der Dysenterie seine gesunkenen Kräfte, wieder herstellen! Wir Europäer entbehren übrigens nicht durchaus des militärischen Schutzes; in unserer Ansiedlung liegt eine Abtheilung uon vierhundert Mann Franzosen, Engländern und Nordamerikanern, die bei der heiligen Scheu der Eingeborenen vor der europäischen Kriegskunst wohl zu unserer Vertheidigung ausreicht. Da ich einmal von der Nachtruhe rede, darf ich cine gewisse Sorte unliebsamer Nettgenossen nicht übergehen, vor denen man sich, ehe man das Lager besteigt, zu sichern hat. Die Brillenschlange ist in den Hafenstädten Japans sehr häufig und besitzt eine Vorliebe für die menschliche Bettwarme. Man wird daher wohlthun, alle möglichen Vorsichtsmaßregeln gegen das giftige Kriechthier zu nehmen, wenn man sich nicht über die furchtbaren Radicalmittel wider ihren Biß, Ausbrennen der Wunde mit einein glühenden Eisen oder Ausschneiden derselben mit einem Rasinnesser, wegzusetzen vermag. In meinen künstlerischen Arbeiten stoße ich, abgesehen von meiner physischen Kraftlosigkeit, auf unerwartete äußere Hindernisse. Mit meinem gütigen Wirth, Herrn Reis, dem hiesigen Principal der /virma Reis und 81 Schulze stelle ich, da er als Leberleidender täglich mehrere Stunden lustwandeln muß, zwar regelmäßige Spaziergänge in die Umgegend von Zokuhama an, wir dürfen uns indessen nicht zu weit von der Stadt entfernen, so be-kannt Herr Reis in der Umgegend ist und so fertig er sich, nach einem mehrjährigen Aufenthalte, der Landessprache bedient. Der überaus argwöhnische Charakter der Beamten und Bevölkerung erhält uns in fortwährender Be--sargniß vor Gewaltthätigkeiten. Kaum einige tausend Schritte von den letzten europäischen Unsiedlungen begegnet man gleich mehreren mit zwei Schwertern bewaffneten Hakonins, deren Mienen nichts weniger als einladend aussehen. Nährend meiner Anwesenheit in Japan habe ich nach und nach eine Menge Abbildungen in Aquarellfarben und Holzschnitten dieser mächtigen Staatsbeamten aufgekauft, aber immer gefunden, daß der darstellende Künstler nur darauf bedacht war, das martialische Aussehen so kräftig als möglich auszuprägen, als läge ihm Alles daran, durch die Portraits Furcht einzuflößen. Als Beispiel führe ich gleich das erste Blatt aus einem Büchlein von Holzschnitten an, in deren Behandlung ich den Einfluß holländischer Techniker zu entdecken glaube, fo sehr die Japanesen von Hause aus den Chinesen in der Zeichnung, namentlich in der Kenntniß der anatomischen Körperverhältnifse, überlegen sind. Das mit außerordentlicher Feinheit geschnittene Blatt enthält bei kleinem Octavformat acht Abbildungen van Iakonins, die theils stehend, theils auf den Knieen hockend oder sitzend, mit Haß und Verachtung in die Welt ihrer Subalternen blicken. Dem Künstler oder seinem Auftraggeber hat nicht die officielle Bewaffnung mit zwei Schwertern genügt! er hat die Heroen Japans noch mit befonderen Emblemen der Gewalt ausgestattet. Jeder hält einen riesigen Bogen, eine Streitaxt, eine mehrellige eiserne Stange, einen langen Spieß oder ein zweihändiges Schwert als Attribut einer milden Civilverwaltung in Händen; der Achte trägt sogar, dem Gesetze der Schwere zum Höhne, einen Kanonenlauf von seiner eigenen Länge unter dem rechten Arme. Sein Haupt ist mit einem dreieckigen Spitzhut bedeckt, auf dessen Vorderseite das Staatswappen und Nannerzeichen des Reiches prangt, eine rothe Scheibe im weihen Felde: d. h. die am Himmel aufsteigende Sonne. Der unbemalte Raum rings um jede Gestalt ist mit unsäglich feinen Schriftzeichen, wahrscheinlich den Lebensbeschreibungen der großen und furchtbaren Männer, gefüllt. Mein Bedauern, durch die mißtrauischen Beamten an der Arbeit verhindert zu sein, steigt mit meiner genaueren Kenntniß der reizenden Gegenden. An idyllischer Schönheit läßt die Küste der Bai von Jeddo alles Aehnliche hinter sich. Der Abwechselung wegen veranstaltete Herr Reis am 11. August eine Bootfahrt nach Kanagawa, einer kleinen, zwischen Ieddo und Jokuhama gelegenen Küstenstadt, wir hielten uns aber, da man zu unserer Ankunft äußerst scheel sah, nur kurze Zeit auf, warfen einen flüchtigen Blick in die HUbebrandt's Reise um die Eide. I. V 82 am Strande ausmündenden Straßen und stachen dann wieder in See. Vor unserer Abfahrt hatte ich zufällig die Sitten des Bandes von einer neuen Seite kennen gelernt. Ein Bonze war mit uns bis an das Meeresufer gegangen, um uns ein ihn begleitendes junges Mädchen, vielleicht seine Tochter, Verwandte oder Mündel, für einen Monat gegen eine Gcldentschädigung anzubieten. Nach den Anfragen des Herrn Reis war der Nonze bereit, uns die Schutzbefohlene für ein Pauschquantum von dreißig Dollars anzuvertrauen. Sprach er die Wahrheit, fo hatte diese davon achtzehn Dollars als Abgabe an die Staatskasse zu erlegen, und nur der Rest war ihr rechtmäßiges Eigenthum. Es war nicht leicht, den frommen Mann loszuwerden, denn er folgte uns bis an die Kniee in's Wasser. Herr Reis, ein genauer Kenner der Landesgesetze und Bräuche, gab mir während unserer Wasserpartie die nöthige Ausklärung. In den Anschauungen der Japanesen sind die Unterschiede zwischen Ehe und Prostitution in einer Weise gelockert, die dem Angehörigen eines civilisirten Staates fast unbegreiflich und wie cine moralische Unvollkommenheit erscheint. Es widerstreitet nicht der Würde der Regierung^ sowohl das Institut der Ehe als die Prostitution zu einer Einnahmequelle der Finanzen zu machen. In vornehmen Familien werden die Ehen zwischen Angehörigen, wie in den diesseitigen Fürsten- und hohen Adelsgeschlechtern, durch diplomatische Uebereinkunft geschlossen, und die pactirenden Theile zahlen, analog unserer Erbschaftssteuer, eine dem Betrage des gemeinschaftliche!: Vermögens entsprechende Heirat hssteuer. Aehnliche Einnahmen enielt das japanesische Finanzsystem durch die amtlich sanctionirte Prostitution, cin Wort, dessen ich mich nur bediene, da mir kein milderes, der üebens-anfchauung des seltsamen Volles entsprechendes zu Gebote steht. Ein armer Hausvater — und die Mehrzahl der Japanesen ist aus Gründen, über die ich mich später verbreiten werde, blutarm — kann gegen eine gewisse Summe seine Töchter dem Staate verkaufen. Dieser übernimmt sie fchon in den zartesten mnderjahren und damit zugleich die Verpflichtung ihrer Erziehung. Sie lernen lefen, schreiben, nützliche Handarbeiten und etwas Klimperei auf den landesüblichen Saiteninstrumenten. Herangewachsen, siedeln sie in die Blumen- oder Theehäuser über. Io nach ihren körperlichen und geistigen Vorzügen werden sie in Häufer verschiedener Kategorien gethan. Das Viertel, in dem diese Staatsinstitutc liegen, heißt das Herrenviertel, das ansehnlichste derselben, zu dein das Eintrittsgeld ungefähr zwei Tollars beträgt, wurde, ich weiß nicht ob nur von den Ansiedlern, „das Herrenhaus" genannt. Dem geringen Mann ist der Zutritt erleichtert. Durchschnittlich beträgt sein täglicher Verdienst drei Tempos, eine große, ovale, in der Mtte viereckig durchlöcherte Münze von feiner Bronze. Mit einem dieser Geldstücke hat er sogleich seine Einkommensteuer zu entrichten, das zweite reicht uu Deckung seiner Bebens- 83 bedürfnisse hin, mit dem dritten Tempo kann er den Einritt in eins der Theehäuser untersten Ranges erlangen. Die japanesische Regierung in ihrer gemüthlichen Weltansicht betrachtet den Staatsfonds als die Sparkasse der Unterthanen und sucht ihnen das erworbene baare Geld, wie Unmündigen, so rasch als möglich abzunehmen. Tie Theehäuscr sind daher die Mittelpunkte des geselligen Verkehrs im Lande, Der Europäer darf damit durchaus keine entwürdigenden Nebenvorstellungen verbinden, die Mehrzahl der armen Japanesen wählt ihre Ehefrauen aus diefen Theehäuscrn, und die Vergangenheit derselben verkümmert keineswegs das häusliche Glück, das, wie man mir so, oft wiederholt hat, in diesen nach europäischen Begriffen auf so un-angeme'lcne Weise geschlossenen Ehen herrschen soll. Zudem steht das Betragen der Bewohnerinnen dieser Theehäujer weit über dem der weiblichen Gäste jener europäischen Vergnügungslocale, deren Wirthe, ein Seitenstück der japanesischen Finanziers, unter dem Schutze der Polizei große Reichthümer erwerben. Nirgends habe ich etwas Ungeziemendes bemerkt, in den Salons von Mabilc und Chateau dcs fleurs, geschweige denn in der Closcrie de lilas zu Paris beträgt man sich weniger anständig. Dem Japanesen ist eine officielle Abgemessenheit angeboren. Nach der Versicherung meines Lands-mannes Reis bewegt sich die Unterhaltung stets in den Grenzen des Anstandes. In dem sogenannten „Herrenhause", in dem ich mehrmals in Gesellschaft europäischer Kaufleute Thee getrunken habe, machte ein Mkonin in großer Gala im Empfangssalon die Honneurs, ebendaselbst war ein amtlich gc-stempeltes Beschwerdebuch ausgelegt. Tie Autorisation der Regierung trat deutlich zu Tage. Gar eigenthümlich, aber durchaus dem merkwürdigen Finanzsystcm consequent, ist die Ttellung der Vchärde zu den vorkommenden Fällen ehelicher Untreue. Die Schuldige, und wenn sie selbst im Einvernehmen mit ihrem Ehegatten gehandelt hat, erhält eine bestimmte Anzahl Stockprügel. Der Staat betrachtet ihr Vergehen in seiner Naivetät keineswegs als eine Verletzung höherer, zum Schutze der menschlichen Familie gegebenen Gesetze, sondern einfach als Zolldcfraudation, als Beeinträchtigung, der ihm durch den Vesuch der Theehäuser zustehenden Einnahmen. Verlust der bürgerlichen Ehre ist, ganz wie bei den heimischen Verletzungen der Steuergesetze, nieder mit dem angeführten Vergehen, noch mit dcr Strafe verbunden. Je mehr ich mich über die Eigenthümlichsten des Landes unterrichte, desto unbegreiflicher erscheint mir das Verfahren der Regierung. Zuweilen glaube ich auf einen anderen Planeten versetzt zu sein. Die Bevormundung übersteigt alle Grenzn. Den Rhedern und Schiffsbaumeistcrn wird die Größe und Form ihrer Dschunken nach polizeilichem Gutachten vorgeschrieben. Kein japanesisches Fahrzeug darf sich über die Nachbarmsc! Japans hinaus entfernen und das asiatische Rußland oder China besuchen. Einige Zeit vor unsereu 34 Ankunft war in ^okuhama ein russisches Kriegsfahrzeug eingetroffen; es hatte sechzehn Japanesen an Aord, die iin Jahre vorher, durch Stürme verschlagen, mit ihrcr Dschunke an die russische Küste getrieben worden waren und dort gastliche Aufnahme gefunden hatten. Außer in der russischen Sprache waren sie in mancherlei Fertigkeiten unterrichtet worden, die man sehr wohl hätte mit ihrer Hülfe iu Japan weiter verbreiten können; aber das besetz verbietet die Wiederaufnahme auch des unfreiwilligen Auswanderers. Ohne den Schuh des russischen Befehlshabers wären sie ohne Weiteres hingerichtet worden. Es blieb ihnen nichts weiter übrig, als in die Fremde zurückzukehren. Fast zu derselben Zeit hatte ein englischer Schiffscavitän, der ein iunges Mädchen als Gesellschafterin nach China mitgenommen, dasselbe nach Zoluhama zurückgebracht — das unglückliche Wesen war verbrannt worden. Wenn die Mitglieder des Kaufmannsstandes in uüferem Jahrhundert und innerhalb der europäischen Staaiseinrichtungen sich durch ihre Befitzthümer, dem Gemeinwohl nützliche Speculationcn und der Negierung geleistete Dienste bis zu fürstlichem Range emporschwingen und die höchsten Auszeichnungen ge-niehen können, nehmen sie in Japan den untersten Rang der Gesellschaft ein. Da sie nach der Definition der Eingeborenen nicht selber arbeiten, sondern nur die Früchte fremder Thätigkeit verwerthen, werden sie allen übrigen Klassen nachgesetzt. Gewiß trägt diese verschrobene Auffassung, da die Mehrzahl der Ansiedler aus Kaufleuten besteht, viel dazu bei, alle Europäer geringschätzig zu behandeln. Nur Eonsuln und Militärversonen bilden vermöge ihrer Standesabzeichen und Nniformen eine Ausnahme; schon eine blaue Tuchmütze mit cincr Goldborte reicht hin, den Japanesen Respect einzuflößen. Zunächst über den inländischen Kaufleuten stehen die Lohgerber und Scharfrichter. Von den Standesunterschicden der niedrigeren Klassen wird der Fremde im Ganzen nicht viel gewahr. Die Vorliebe der Regierung für baares Geld zwingt den Japanesen, auch wenn er sein Schäfchen in's Trockene gebracht, den armselige,: Mann weiter zu fpielen. Er vergräbt sein Geld und geht in abgetragenen Kleidern einher. Kommt die Negierung hinter seinen heimlichen Besitz, so belegt sie zwei Drittel desselben, oder die ganze Summe, unter Farm eines Zwangsdarlehns auf Nimmerwiedergeben mit Beschlag. Um die Zeit doch nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen, hatte Herr Neis mir, bei der Unmöglichkeit, im Freien zu arbeiten, die Erlaubnih eines Privatmannes ausgewirkt, von dem Fenster seiner Wohnung aus einen landschaftlichen Prospect aufzunehmen. Der Herr und die Frau vom Hause empfingen mich sehr zuvorkommend; ich wurde mit Thee, Kuchen und einer Pfeife bewirthet, und es wurde nur die vorteilhafteste Stelle des sehr anmuthig gelegenen Hauses eingeräumt. Neben mir stand die eben dem Vackfischthum entwachsene Tochter des Hauses und wehte mir mit einem Fächer Kühlung zu. Ich ivürde mich ciner Unwahrheit schuldig machen, 85 wollte ich verschweigen, daß der Entwurf und die Ausführung meiner Aquarelle-unter einer Nachbarschaft litt, wie sie mir in Asien noch nicht vom Glück beschieden worden war. Mama nannte ihr Kind schlechtweg „Musme" ^Schäfchen), eine beliebte Bezeichnung fur hübsche junge Mädchen, und ich nahm bei der Redseligkeit dcr wackeren Frau immcr die Gelegenheit wahr, meine Blicke von der abzuconterfeienden legend auf Musine zu richten und meiner Phantasie ihre entzückend lieblichen Züge einzuprägen. Wer die Schönheit dcr Japanesinnen nur nach den in europäischen Sammlungen vorhandenen, von hiesigen Malern angefertigten Bildern beurtheilen wollte, würde eine ganz falsche Vorstellung erhalten. Dic einheimischen Künstler legen den Nachdruck nur auf die genaue Nachahmung der Kleiderstoffe, ihres nationalen Schnittes und der glühenden Farben, der Haartracht und der sonstige Schmucksachen. Alle Gesichter sind einander so ähnlich, wie durch dieselbe Schablone gestrichen, der allerdings nicht das nationale Hauptgeuräge fehlt. Der Typus der Japanesinnen der feineren Stände kommt dem der Anda-lusierinnen nahe. Nicht wenige sind ihrem Teint nach so zart, wie norddeutsche oder englische Frauen und Mädchen; verdunkelt sich der Ton der Gesichtsfarbe ein wenig, so geht er doch nicht über den der Albanerinnen und Südfranzösinnen hinaus. Der kaum merkliche stumpfe Winkel der Augenbrauen giebt den schönen Gesichtern einen unbeschreiblichen Reiz. Hände und Füße, die man in Japan nicht verunstaltet, sind wie die Körperformen von tadelloser Regelmäßigkeit und Zartheit. Selbst die abenteuerlichsten Frisuren, ein Aufsatz, um den das üppige schwarze Haar, an den Schläfen und an der Stirn glatt zurückgestrichen, um kunstvoll gepreßte, vergoldete, weit vom Kopf abstehende Hornstrcifen geschlungen wird, vermögen diese Schönheiten nicht zu entstellen. Die Gewänder, ein' langes Kleid, das sich, unähnlich den europäischen Crinolinen, in der Kniegegend verengert, dann aber noch iu einer reichen Schleppe endet, darüber ein gestickter Paletot aus kostbaren farbigen Stoffen, stimmen herrlich zu der anziehenden Gesichtsbildung und dcn zierlichen Gestalten. Der Gang der Japanesinnen ist etwas unsicher, denn sie tragen unter den Sohlen zwei Zoll hohe, stelzenartige Klötzchen. Die Füße selber sind unbedeckt und die Sohlen mit bunten Bändern daran befestigt. „Musme" war unglaublich zuthulich; die Malerei rückt also nur langsam vorwärts. Inzwischen hatte der Hausherr zu allen Verwandten und Nckannwr geschickt, und diese trafen allmälig ein, um dcn Frcmdling und s«n Werl näher in Augenschein zu nehmen. Die Honoratioren von Muhama rückten mir so nahe auf den ^eib, daß ich kaum noch die Ellbogen bewegen konnte;, ich muhte die Arbeit für beendet erklären. Wir verabschiedeten uns, und der höfliche Wirth verehrte mir als Andenken an den Besuch einen Tuschkasten^ 86 Lie reizende „Musmc", ein Abbild Pepita's in ihren Vlüthejahren, war ver« schwunden, ich habe sie nicht wieder geschen. Obgleich wir uns in den heilsten Tagen des hiesigen Sommers befinden und das Th rmometer mitunter noch um Sonnenuntergang auf 30 Grad zeigt, bessert sich doch allmälig mein Gesundheitszustand. Tie körperliche Bewegung strengt mich richt mehr so peinlich an wie früher, der Appetit kehrt zurück und der Schlaf bessert sich. Von meinem Landsmann Reis habe ich einige japanesische Vocabeln und Redensarten erlernt, die mir bei Ankäufen in Läden gar gute Dienste leisten. Mit jedem Tage werde ich vertrauter mit den Einrichtungen der Stadt. Polizeistationcn giebt es an allen Ecken und Enden. Die einzelnen, oft nur winzigen Häuserreuiere werden Abends durch Gatter verschlossen. Tie Zahl der Feuerwächter ist sehr beträchtlich und ihr jedesmaliger Standpunkt der Verantwortlichkeit ihres Amtes vollkommen entsprechend. Ter Wächter ersteigt nämlich eine hohe Leiter an der Straßenecke und setzt sich auf ew schmales Vrett des Mauerrandes. Schläft er ein, so fällt cr hinunter und bricht das Genick. Für einen Wasservorrath hat jeder Hauswirth zu sorgen. Die in den Läden feilgebotenen Waaren sind unverschämt theuer; die Unterthanen werden von der Regierung instruirt, die Fremden möglichst zu übervortheilen. Doch läßt der Japanese, wenn es unbemerkt geschehen kann, mit sich handeln. Es ist mir sogar gelungen, eine Landkarte von Japan und einen Plan von Jeddo zu kaufen. Dem Wortlaut des Gesetzes nach hätte der Händler beide einem Ausländer nicht einmal zeigen dürfen. Die Schnitzereien und lackirten Waaren sind wahre Wunderwerke von Solidität und Sauberkeit. Dem Straßenverkehr ist bei der grundsätzlichen Zurückhaltung der Japanesen ein Dämpfer aufgesetzt; selbst die hiesigen Pferde sind Leisetreter. Den Veschlag mit eisernen Hufeisen kennt man nicht, aber die Hufe werden mit festen Strohschuhen betleidet, ohne daß die raschen Gangarten darunter leiden. Mit meiner Nachtruhe muß ich seit dem 13. August mich immer haushälterischer einrichten, denn nicht nur die Japanesen ererciren und manövriren in der kühlen Nacht, auch unsere Preußen sind hinter ihre Schliche gekommen. Die Marine-Abtheilung der „Gazelle" ist am Lande und beginnt ihre Uebungen mit einem kräftigen Hörnersignal,'das sogleich eine Anzahl früh erwachter Zuschauer anlockt. Die Officiere und Soldaten dcr Corvette haben sich jetzt „landfein" geinacht und sind unbestritten die Löwen von ^Mhama. Der Exernrplatz liegt in der Nähe des Reis'schcn Hauses, die Fenster meines Schlafzimmers stehen Tag und Nacht offen, mir entgeht also kein lautes Wort der Krieasgebietigen. Wir find alle Soldaten gewesen und wissen, daß es nnter den Rekruten immer Capacitäten giebt, die über gewisse mathematische Grundbestimmungcn erst langsam zur Klarheit gelangen. So lag ich neulich im Bette und war Dhrenzeuge folgender mnemotechnisch - wissenschaftlicher 87 Auseinandersetzung eines Unterofficiers, die mich sofort in die theure Heimath, «ill) macht eine Reise um die Erde im Auftrage seines kunstliebendcn, allerhöchsten Gönners, er e.hält als Honorar und Kosten: zwanzigtausend Pfd. Sterling." So ungereimt die Notiz mit der hohen Summe sein mochte, fortan verbesserte sich meine Situation in den chinesischen und japanesischen Gewässern. Nicht der Landschaftsmaler, aber der Empfänger von zwanzigtausend Pfd. Sterling Honorar und Reisegeld wurde ungleich mehr als früher respcctirt. Die 'Aufzeichnungen in meinein Tagcbuche am 27. August sind nicht tröstlicher Natur. Die japanesische Regierung hat uns Europäern gestern gain unumwunden sagen lassen: wir möchten uns sobald als möglich zum Teufel scheren, und die Engländer haben, trotzdem nmfundzwmnig Kriegsschiffe ihrer Flotte vor Anler liegen, erklärt, den am Lande befindlichen Europäern keinen Schutz gewähren zu können; sie seien außer Stande, eine allgemeine Nieder-metzclung zu verhindern. Mir bleibt daher gleichfalls nichts übrig, als statt m meinen halbMligen Pillen von uicrzchntägigem Nachgeschmack wieder zu Revolver und Schleppsäbel zu greifen. Zudem machten sich zwei Pakonins mit nur einen schlechten Spaß. Sie griffen, an mir vorübergehend, plötzlich nach dem Säbel, sprangen auf mich los und schrieen: >,^iiata odeio", d. l). «Ich grüße Dich!" Damit war die Sache abgethan. In den letzten Tagen hat auch der Sohn des Fürsten Mita den gesetzlichen Selbstmord an sich vollzogen. Die englische Regierung hatte schon seit geraumer Zeit mit den japanesischen Behörden über die Zahlung einer Entschädigungssumme für die Ermordung des Mr. Richardson, die Ursache des gegenwärtigen Krieges, unterhandelt, letztere aber nicht dazu bewegen können. Allerdmgs handelte cs sich um die hohe Summe von fast einer halben Million Pfd. Sterling. Die Japanesen suchten noch immer etwas abzuhandeln, die Engländer bestanden auf ihrer Forderung. Es ist mir unbekannt, durch welches Mißverständniß jener unglückliche Beamte, der Verwalter einer Finanzkasse, veranlaßt wurde, die Summe ohne Autorisation der Regierung in ^eddo an England auszuzahlen. Die Strafe für seine Unbesonnenheit folgte ihm auf dem Fuße; das Todesurtheil wurde über ihn ausgesprochen. In Europa ist noch die Meinung verbreitet, daß die Ver-urtheilten, um ihren Hinterbliebenen Ehre lind Vermögen zu erhalten, selber zum Schwerte greifen und sich mit trcuzweistn Schnitten den Unterleib aufschlitzen. Dieser Brauch besteht schon lange nicht mehr. Der Taiknn sendet dem Staatsverbrecher, dessen sich der hohe Rath der Dreizehn entledigen will, nur eine zierliche Handwaffe, das Symbol deo Todes. Nach ihrem Empfange ist er verpflichtet, wenn er sich und seine Angehörigen nicht den Folgen einer gewaltsamen Hinrichtung durch Henkcrshand, d. h. wegen Beschimpfung des Namens und Eonfiscation an Hab und Gut, aussetzen will, seinem Leben vor Sonnenuntergang ein Ende zu machen. Gemeinhin veranstaltet der Verurtheilte 101 ein AbschiedZmahl und freut sich mit Verwandten und Freunden des Lebens^ so lange noch das Lämpchen glüht. Im letzten Augenblick begiebt er sich in das Innere der Gemächer. Nur sein Busenfreund und einige Zeugen begleiten ihn. Er kniet nieder, entblößt den Unterleib und deutet mit der osficiell übersandten Waffe den Kreu',schnitt an; in demfelben Augenblick versetzt ihm nach Verabredung der Freund mit dein großen Schwerte, das jeder Jakonin bei sich führt, einen todtlichen Streich in den Nacken. Aus diese Weise hatte auch, nach der einstimmigen Versicherung aller Europäer, der Sohn des Fürsten Mita geendet. Der wissenschaftliche Ausdruck dcr Japanesen für diese Art der Todesstrafe ist: Harikiri. Die Warnung der Engländer und die barschen Zumuthungen der Regierung schüchterten nur die Kaufleute Hokuhama's ein, die Mitglieder des hier anwesenden diplomatischen Corps kümmerten sich wenig darum, sondern beschlossen, da dcr hohe Barometerstand anhaltend gutes Wetter versprach, eine größere Landpartie über Kanazawa nach der früheren Haupt- und Residenzstadt Kamakura. Von Seiten der Regierung wurden natürlich, nachdem die vorschriftsmäßige Anzeige gemacht war, viele Einwendungen erhoben; sie bereitete die Harren auf einen Ueberfall vor und erklärte sich für unfähig, sie schützen zu tonnen. Unlängst sei ein Hakonin von einem Engländer niedergeschossen worden und das Volt im höchsten Grade gereizt. Der Gouverneur von Kanazawa, einer der drei Fürsten, die im Jahre 1^62 als Gesandte in Nerlin waren, stattete dem holländischen General-Consul sogar einen Vesuch ab und suchte ihn durch ein Geschenk von zwei Schweinen, einein Korbe Hühner und mehreren Gefäßen voll Obst und Gemüsen von der gefährlichen Partie abzubringen. Ter Conful erwiderte indessen das Geschenk und bestand auf dem Ausflüge; die Gefahr mochte ihm nicht so groß erscheinen. Tie Gesellschaft bestand aus fünfundzwanzig deutfchen Herren und zwanzig deutfchen und holländischen Matrostn, die zum Tragen der Effecten, Speisen und Getränke bestimmt und gleich den Gentlemen bis an die Zähne bewaffnet waren. Mir liefert der Ausflug eincn lehrreichen Veitrag zu meinem Satze, daß die Hauptschuld des schlechten Einvernehmens zwischen Eingeborenen und Europäern dem Ucbermutl) und der Rücksichtslosigkeit der letzteren zuzuschreiben sei. Am ."<,». August um 2 Uhr Nachts schifften wir uns -in und fuhren nach Kanazaiva. Als wir um .'i Uhr Morgens hier anlangten, verweigerte man uns in dem einzigen, am Strande gelegenen Thcehause die Aufnahme. Ein kleineres Local war, um der Zudringlichkeit der Fremden zu wehren, au> obrigkeitlichen Befehl niedergerissen worden. Die Comite-Mitglieder der Landpartie wußten sich zu helfen. Den Matrosen wurde befohlen, die Hausthür mit einem Balken einzustoßen; darauf wollte es jedoch die Hcroergsmutter nicht antommen lassen. Sie öffnete freiwillig und machte ihrer Wuth nur durch einen thierischen Schrei Lust, als das Corps der Rache in den Flur W2 stürmte und ein paar der Herren ihr die Pistole auf die Brust setzten. Ein o garstiges altes Weib hatte ich in Japan noch nicht gesehen. Unsere Matrosen besetzten sogleich die iiüche, zündeten Feuer an und bereiteten Kaffee; ich besichtigte das geräumige Local etwas näher. Gleich dei unserem Einbruch war mir eine Anzahl kleiner Mädchen aufgefallen, welche mit Schwertern in 5>en Händen eine Scitentreppe hinabschlichen und die Waffen in einer Kammer 5>es Erdgeschosses verbargen. Argwöhnisch stieg ich die Treppe hinan und fand in einem Salon einen Trupp Hakonins, die uns erwartet haben und zum Widerstände entschlossen gewesen sein mochteil, bei unserer Uebermacht aber für rathsam erachteten, klein beizugeben und sich mit Hülfe der Unmündigen felbst ihrer Waffen zu entledigen. Mehrere der Herren waren mir gefolgt, und wir fanden die Jakonins, arglos wie eine Schaar Turteltauben, aus der Matte fitzend und uns gastlich anlächelnd. Glücklicherweise kam es nicht zu Streitigkeiten' der Kaffee erhitzt nicht das Geblüt. Tie nöthigen Pserde waren schon am vorhergehenden Tage gemiethet worden, und um 6 Uhr setzten wir uns mit großem Geräusch in Trab, durchritten die Stadt und passirten eine Reihe von Dorfern oder Weilern, die im Verein mit der malerischen Terrainbildung von Thälern, Berghohen und Schluchten dem Wege nach Kamakura beständig Abwechselung verleihen. Auch an dem Landsitze eines Prinzen kamen wir vorüber. Die Villa lag in einem herrlichen, musterhaft gepflegten Garten, nur die Umgebung entstellte die sonst so einladende Villeggiatur. Statt durch eine Heue oder durch einen Zaun war das Grundstück durch eine förmliche Enceinte von Festungswerken geschlitzt. Der Besitzer konnte einer kleinen Belagerung die Stirn bieten. Nach ein gen Stunden hatten wir die heilige Stadt erreicht und begaben uns in den Rayon der zehn Tempel, der berühmtesten des Reiches der aufgehenden Sonne. Wir wußten, daß nur in einem derselben uns der Zutritt gestattet würde, und suchten durch vorweg auf den Boden gewonene Geldspenden das Wohlwollen der Priester n: erwerben. Die an den Tächern der Tempel befestigten, Echlittengcläuten ähnelnden Glockenspiele klangen lieblich im Hauche des vom Gebirge kommenden Morgenwindes; im Innern sah die dienstthuende Geistlichkeit mit den Tabakspfeifen im Munde beim Thee. Ein sehr reputirlich aussehender älterer Japanese erlegte soeben ein halbes Dutzend Iyebus — wie wir der General-Consul sagte, um sich die Mühe des eigenen Debetes zu ersparen. Gegen eine entsprechende Vergütigung beten die Priester für zahlungsfähige l' laubige mit bestem Erfolge. Es wäre unanständig gewesen, hätten wir Ehristen den frommen Männern nichts zu verdienen gegeben; der General' Consul ging uns mit gutein Beispiel voran. Auf dem Hauptaltar standen zwei heilige, offenbar gezähmte Hähne. Wer einen Tempo (15 Pf.) entrichtete, durfte den Federbusch und Rücken der schönen Thiere streicheln. Es wird 1W für ein gutes Zeichen angesehen, wenn die heiligen Vögel dabei krähen, doch thaten sie uns nicht den Gefallen, so viel Tempos wir auch als Opfer darbrachten. XlV. Fusi Yama-Pilger. Wallfahrt^tempel. Tcharfe FreuÄcnschüsse. Dampfcr- Carroussel. Toir«'c im Herrcnhausc. Tic Knctcr. Prinz Oranicn« Feftball. Nach Nagasaki. Tie Flußdanipfcr aus hoher Tee. Älaue Wateten und sechs Stunden Arrest. Mr. ÜeweS. Tie religiösen Gebräuche der Japanesen schreiben den vom Fusi Aama zurückgekehrten Pilgern vor, auf einem Rundgange alle zehn Tempel von Ra>nakura zu besuchen und an jeder dieser Stationen gewisse Gebete ,u verrichten. Das Glück begünstigte uns, wir waren noch im Tempel mit den heiligen Hähnen beschäftigt, als eine Schaar dieser frommen Männer eintrat, der Reihe nach an einer seitwärts aufgestellten Metallschale vorüberzog, jeder ein Stück Geld hineinwarf, um sich dadurch die Erhörung seiner Gebete zu sichern, und dann an eine große Glocte schlug. Sobald sie sich überzeugt haben mochten, der Fimmel nehine von ihrer Anwesenheit im Tempel Notiz und die nöthige Alissicht auf Gewährung ihrer Bitte sei vorhanden, begannen sie mit großem Eifer die geistlichen Uebungen. Indessen liehen sich die Pilger dadurch nicht abhalten, kleine Handelsgeschäfte mit uns anzuknüpfen. Sie boten uns die um ihre Hände geschlungenen Rosenkränze zum Verkauf an, die wir denn auch sämmtlich in unsern Vesch brachten. Die Aehnlichkeit derselben mit jenen, welche ich einst von Wallfahrern in der Grabeskirche zu Jerusalem erstanden, war unverkennbar. Das Costüm der Fusi Iama-Pilger war von eigenthümlicher Beschaffenheit. Vorschriftsmäßig trugen sie sämmtlich weiße Gewänder, die jedoch über und über mit rothen Stempeln bedeckt waren. Diese werden nämlich nach dem Besuch jedes Tempels von den Priestern den Gewändern gleichsam als officielle Bescheinigung aufgedruckt und erhöhen später das Ansehen des Japanesen unter seinen Mitbürgern. Zu meinem Kummer darf ich nickt verschweigen, daß das Netragen meiner Gesellschafter keineswegs über allen Tadel erhaben war, und daß wir uns zuletzt von den Pilgern und Priestern in einer etwas gereizten Stimmung verabschiedeten. Unter unbedingter Zustimmung der Marine-Officiere, ihrer Vorgesetzten , machten die englischen Matrosen einen solchen Heidenlärm auf der Tempelglocle, daß ich aus den Gesichtern der Japanesen unschwer errathen tonnte, ihre Gottheit werde den Spectalel als persönliche Velcidigung betrachten und sie selber, als Ortsangehörigc, dafür verantwortlich machen. Es kam 104 jedoch nicht zu unangenehmen Erörterungen; wir tratm ungehindert den Rückweg an. Die Gesellschaft hatte schon unterwegs, spät« sowohl in als auch vor dem Tempel, den mitgenommenen Getränken stark zugesprochen; es kamen daher mancherlei thörichte Ausschreitungen vor. Fortwährend wurden zum Entsetzen der Pferde Büchsen und Revolver abgefeuert, bei unserer lediglich aus scharfen Patronen bestehenden Munition ein höchst gefährliches Vergnügen. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß ein Matrose einen Streifschuß am Unterleib erhielt und einem holländischen Capitän der Schenkel zerschmettert wurde. Erst jetzt legte sich die Aufregung, aber sie zeigte sich von Neuem, als wir, am Strande angelangt, von den Pferden stiegen und uns den Böten näherten. Einer unserer reitlustigen Matrosen wollte, nachdem sein Capitän abgesessen war, noch einwenig die Gelegenheit beuutzen, hin und zu her galopviren, stieß nber bei dem Besitzer des Gaules auf Widerspruch. Da brüllte der Capitän mit Löwenstimme: „Sitz auf, mein Sohn, und wenn er sich noch ein Wort erlaubt, haust Tu ihm auf nieine Verantwortung über den 5!eib, sitz auf!" Der Japanese ließ dem Burschen seinen Willen, aber ich zweifle, daß wir bei unserer Abfahrt unter den Pferdephilistern von Kanazawa einen vortheilhaften Eindruck der europäischen Gesittung und Billigkeit hinterlassen haben. Etwa eine halbe Meile vor Iotuhama wurde uns nach ein sehr ergötzliches Schauspiel zu Theil. Schon von fern hatten wir einen kleinen Kriegsdampfer bemerkt, der fortwährend int Meise herumfuhr. Als wir näher kamen, sahen wir daß das ganze Verdeck mit Japanesen bedeckt war, welche sich mit uns durch die verschiedensten Zeichen der Hülflosigkeit zu verständigen suchten, aber von Seeofficieren und Matrosen ausgelacht wurden. Der wie ein Pferd im Circus umherjagende Dampfer war eins jener kleinen Schiffe, welche dcn Japanesen in den letzten Jahren von den Engländern verkauft worden waren. Sie hatten die Maschine geheizt und waren in See gestochen, aber Keiner von ihnen verstand sich darauf, die Maschine zu stoppen, und so blieb ihnen weiter nichts übrig, als unablässig im Kreise umherzufahren, bis das Feuer ausging und der Dampfer mit Booten in den Hafen bugsirt werden tonnte. Wie die Herren Seeofficiere versicherten, wiederholen sich derartige Scenen von Zeit zu Zeit. Bei ihrem angeborenen Dünkel glauben die Japanesen, mit den Dampfern zugleich die Kenntniß ihrer Maschinenleitung erworben zu haben, und sträuben sich beharrlich, dieselbe europäischen Ingenieuren anzuvertrauen. Die Anwesenheit so vieler Militärpersonen wirkt sehr vorthcilhaft aus die Geselligkeit ein und verschafft mir eigenthümliche Genüsse. Mein gütiger Gönner, der holländische General-Consul, gab zu Ehren der europäischen Gäste eine glänzende Soiroe, obgleich man mit Fug und Recht auf dieses Fest die vekanntc Phrase „sie tanzen auf einem Vulkan!" anwenden konnte. Nährend die Einladungskarten durch Kotzkeis und Bartenführer den Gästen üocrbracht 1^5 wurden, hatte der General-Consul ein Schreiben aus Zeddo erhalten, worin er von amtlicher Seite gewarnt wurde, sich abermals dort blicken zu lassen, da die Regierung bei der gereizten Stimmung des Volkes seine Sicherheit nicht verbürgen könne. Tie Zahl der europäischen Damen in Aokuhaina beträgt nur acht, der Generalkonsul hatte bei der Majorität von dreißig Herren, Seeosficieren, Consuln verschiedener Nationen und Großhändlern, daher vorgezogen, diese zum größeren Theile nicht mehr jugendlichen Schönen gar nicht einzuladen und seine Soiree in die Sphäre der jauaneslschen Gesellschaft zu verlegen. Demgemäß konnte sie nur in dem sogenannten „Herrenhause" lÄantiro) veranstaltet werden, wo dem Gastgeber ein unvergleichlicher Tamenflor zur Verfügung stand. Der Kostenpunkt war von unserem splendiden Wirthe weiter nicht beachtet worden, er hatte die von der japanesischen Regierung geforderte hohe Summe entrichtet, das ganze Local mit seiner Bevölkerung für den Abend und die Nacht mit Beschlag belegt und so den gewöhnlichen japanesischcn Zuspruch feineren Schlages ausgesperrt. Mir steht nicht die stylistische Freiheit eines altgrichischen oder römischen Schriftstellers zu Gebote; meine Festbeschreibung mutz sich folglich den Porwurf der Lückenhaftigkeit gefallen lassen. Vorausschicken muß ich, daß wir uns sämmtlich bis an die Zähne bewaffnet eingcfunden nnd alle Eingänge des Herrenhauses mit Posten besetzt hatten. War doch die Gelegenheit für tie Japanesen, einen entscheidenden Schlag zu führen und alle Häupter der europäischen Hydra zu vertilgen, gar zu verführerisch. Dem wurde durch förmlich militärische Maßregeln vorgebeugt. Auch ich hatte außer einer weißen Cravatte den bewußten Revolver, den Pfahl . in meinem Fleische, auf daß es mir nicht zu wohl werde, angelegt. Die Soiröe begann mit einer Theatervorstellung, die nur von dcn Schönen, des Institutes ausgeführt wurde. Mit vielem Geschick fanden sich die zarten Wesen in die Männerrollen und wußten mit wirklicher Komik die Eigenthümlichkeiten und Schwächen der Europäer nachzuahmen, denn die aufgeführten Stücke bestünden in einer Reihe burlesker Scenen, Begegnungen zwischen Einheimischen und Europäern, durch welche sie uns zu ergötzen gedachten. Spiel und Gesang standen nicht auf einer höheren Stufe, als in chinesischen Theatern; die Instrumentalmusik war von gleicher Verworfenheit. Die Pracht der Costume, insofern solche überhaupt noch vorhanden waren, machte der Direction des Institutes die höchste Ehre, aber freilich entäußerten sich einzelne Actricen selbst des Feigenblattes der niederländischen Maler. Der Tarstellung folgte eine Art Vallet. Wie den Ehinesen, ist auch den Japanesen die eigentliche Tanzkunst unbekannt, und das Ganze ging nicht über wiegende Bewegungen des Oberkörpers hinaus, bei denen freilich mehr die seltene Formenschönhcit der Gymnastinnen, als ihre Anmuth Wohlgefallen erregte. Analog manchen stehcnden Manieren unserer Tänzerinnen war nur die Gewohnheit dcr 106 Japanesinnen, als Zeichen herausfordernder Fröhlichkeit mit den flachen Händen auf die unuerhüllten Oberschenkel zu schlagen. Tie Beleuchtung war höchst naiv eingerichtet. Da das ganze Local nur durch bunte Papierlaternen erhellt war und in einem magischen Halbduutel schimmerte, waren besondere Vorkehrungen nothwendig, die Äctricen und Tänzerinnen in ein vortheilhafteres Licht zu stellen. Jeder folgte eine Gefährtin mit einer großen Latcrne und bemühte sich, auf alle bemcrkcnswerthen Attitüden cin grelles Streiflicht fallen zu lassen. Der Vorstellung folgte ein Souper, an dein auch die Damen theilnahmen. Für die Weine hatte der General-Consul gesorgt, die Speisen waren in der Küche des Hauses zubereitet. Sie wurden in sauber lackirten viereckigen Kästchen servirt und mit Stäbchen gegessen. 'Aus Besorgnis;, incognito bereiteten Blutegeln zu begegnen, die hier zu den Delicatessen gehören, beschränkte icki meinen Verkehr auf Fisch. Mehrerer Bequemlichkeiten halber uiird jeder kleinere gebratene Fisch an ein Stäbchen gebunden, man reifst ein Stück nach Belieben ab, legt den Rest in das Speisekästchen und reicht ihn dein Nachbar. Die Japanesinnen tranken zumeist den landesüblichen leichten Neisbrcmntiuein (Saki); doch schien ihnen auch der credenzte Champagner zu munden; die Heiterkeit der Gesellschaft stieg zusehends, und nach dem Dessert forderten die Ccwaliere, ohne an der unzureichenden Toilette der Tänzermnen Anstoß zu nehmen, ihre Tischnachbarinnen zu einem Galopp auf, für den diese hervorragendes Talent verriethen. Ich für mein Thcil bedauerte nur, lein Zeichenmaterial bei der Hand zu haben, um das Ensemble, des Saales mit der Wasserkunst am Einlange, den vergoldeten Wendeltreppen in den Ecken, den bunten und glänzenden Ornamenten der Wände, dem Wirbel der nackten Ddalisken mit ihrem phantastischen Kopfputz festzuhalten. Es war tief in der Nacht, als wir unter dem Vortritt unserer Wachen, beim Schimmer der mit den verschiedenen Landeswappen bemalten Consulats-Laternen, in Palankinen, ohne durch einen Anfall behelligt zu werden, nach Hause zurücklehrten. Das Wetter war sehr schlecht, es regnete und stürmte, und die nächtliche Nuhe wurde mir durch rheumatische Schmerzn verkümmert, die sich neuerdings zu meinen übrigen Leiden gesellt haben. Ich beschloß daher am Morgen, die Hülfe nicht eines eingeborenen Arztes, sondern nur eines „Knetcrs" m Anspruch zu nehmen. Diese Leute, gemeinhin Vonzen, durchstreifen die Straßen der sapanesischen Städte, stoßen auf einer Pfeife einen Laut aus, der an den Gesang der Eule in Weber's „Freischütz" erinnert, und verkünden dadurch ihre Gegenwart. Da sich auch Frauen und Mädchen der vornehmeren Rangklafsen ihrer bedienen, werden die Blinden unter ihnen vorgelogen, und es sollen deshalb viele Fälle simulirter Kurzsichtigkeit oder Blindheit vorkommen. Ich rief den ersten besten Hcilgehülfen dieser Klaffe von der Straße herauf, ließ ihn sorgfältig unter dem Beistande ni'.ines Kotzkei die Hände reinigen und stellte mich ihm 107 alsdann ,mr Verfügung. Nachdem mich meine Diener entkleidet, wurde ich auf der Matte ausgestreckt, ein ausgehöhltes Bänlchen unter meinen Nacken geschoben und mit dcr heilgymnastischen Operation begonnen. Schon in Bangkok hatte ich die englische Manipulationen eines Kneters, der einem siamesischen Granden Erleichterungen nach einem schweren Diner verschaffte, mit angesehen, und war nicht ohne Vesurgniß, der japanesische College werde mit mir eben so unnachsichtig «erfahren. Der gelehrte Herr behandelte mich jedoch mit ungleich größerer Milde. Nachdem cr sich durch einige kühne Griffe, aus denen ich ersah, daß unter Umständen Blindheit des Operateurs den männlichen Angehörigen der Kunden ganz erwünscht sein müsse, überzeugt hatte, daß mein Magen nicht an Ueberfüllung leide, ging er nach einer starten Pression der Weichen auf die Behandlung der Arm- und Beinmuskeln über. Sein Verfahren war ein Mittelding von Zupfen, Drücken und Kneifen, nach und nach wurde dadurch die Haut meines ganzen Körpers gerathet, und der bisherige zuckende Schmerz wich einem wohlthuenden Wärmegefühl. In einer Viertelstunde war das ganze Verfahren beendet; mit einein Niertel-Ihebu königlich belohnt, entfernte sich der Kneter seelenuergnügt, der nervösen Aufregung folgte eine unsäglich süße Abspannung, und auf der Matte liegen bleibend, uon dem Kotzkei nur mit einem Plaid bedeckt, versank ich in einen mehrstündigen Schlaf, aus dem ich mit bestem Appetit erwachte. Van Herzen bedauerte ick), mich dieses nervenstärkenden Verfahrens nicht schon früher bedient zu haben, und bin geneigt, die körperliche Fülle und «Gesundheit, deren sich die Bevölkerung mittlerer Jahre in Japan erfreut, demselben zuzuschreiben. Am 5. September wohnte ich dem holländische» Prinz Oranien-Festball bei, zu dem auch die anwesenden acht Damen gezogen waren. Wenn ich sage, daß die Iahl der Herren zweihundert überschritt, wird man ermessen können, daß die Schönen sich über Mangel an Tänzern nicht zu beklagen hatten. Eine den Vierzigern nahe stehende Donna schien den letzten Hauch auf dem Tanzboden daran setzen zu wollen, und ich darf nicht uerchweigen, wie ihr Ehe-Herr, weit entfernt, Widerspruch einzulegen, sie vielmehr durch Zufuhr immer neuer Tänzer in ihrem Selbstmordversuche unterstützte. Ich zog mich in den durch Zahlosc Laternen feenhaft erleuchteten Garten zurück. Je weiter das Jahr vorrückt, desto ähnlicher wird das Klima dem Herbste des unteren Italien. Wir benutzen die herrlichen Septembertage zu weiteren Spazierritten in das Innere des Bandes, nur suche ich davon alle herausfordernden Persönlichkeiten auszuschließen und verhüte so jeden Conflict mit den Eingeborenen. Der Abgang des Dampfers nach Nagasaki rückt heran, und ich bringe am l). September bis 3 Uhr Nachmittags meine Zeit damit M, die Koffer zu packen; vor Sonnenaufgang am nächsten Tage sollen die Anker gelichtet werden. Ich wollte schon um 2 Uhr Abends an Vord, allein nicin güügcr Hausherr mochte sich nicht so bald von nur trennen. Ungeachtet 108 aller Einreden wurde ich bis nach N Uhr am Lande festgehalten lind kam erst los, als der Seegang immer höher wurde und pechschwarzes Gewölk heraufzog. Endlich waren meine sechs Gepäckstücke in die Nußschale von Boot gebracht, und nach einer halben Stunde war ich, bis auf die Haut durch» näßt, glücklich an Bord des Dampfers gelangt. Bei der Ungeschicklichkeit der Zootsleutc hatte ich nothgedrungen selbst Hand angelegt und so auch meine Koffer gerettet. Der größte und werthvollste wäre beinahe in's Meer gefallen. An Schlaf war nicht zu denken, denn der Capitän und die Passagiere befanden sich im letzten Stadium der Besoffenheit. Um ihrem Enthusiasmus einen entsprechenden Ausdruck zu verleihen, veranstalteten sie sogar ein Feuerwerk und bedienten sich da^u blauer Raketen. Nun muh man aber wissen, daß Raketen und Signale «on dieser Farbe unter den Seeleuten „Schiff und Mannschaft in Gefahr" bedeuten. Natürlich wurde sofort auf allen Kriegsschiffen dcr englischen Flotte Alarm geschlagen, und in den ConsulatZgebäuden von Äokuhama machte man sich nach den überall erleuchteten Fenstern kämpf-fertig; man vermuthete einen meuchlerischen Ueberfall der Japanesen. Die Feuerwerker wurden durch die auf der Rhede ausbrechende Unruhe noch nicht zur Besinnung gebracht, erst als eine Schaluppe vom Admiralschisf eintraf und auf Befehl des Admirals den vergnügten Capitän abholte, stutzten die des Anstifters beraubten Passagiere und ließen sich zu Vette bringen. Die Abfahrt des Steamers war dadurch in Frage gestellt, denn der Admiral gedachte den Lustfeucrwerter achtunduiorzig Stunden in Arrest zu legen, auf die Fürsprache der Consul« ließ er es jedoch bei sechs Stunden und einem scharfen Verweise bewenden, und um 1 Uhr Mittags lichteten wir wirklich die An.er. Das kleine Schiff „Carthage" ist ein Priuat-Handclssteamcr und gehört der schon erwähnten reichen Firma Iardins. Angeblich liegt den Besitzern nicht viel an Passagieren, und unsere Beförderung wird nur als Gnadensache angesehen. Nichtsdestoweniger hat Jeder von uns für die Strecke von hundertsechzig Seemeilen bis Nagasaki das erkleckliche Sümmchen von hundertzehn Dollars erlegt. Nicht viel mehr als all den Passagieren scheint dem Hause an dem Dampfer selber gelegen zu sein. Ncu bemalt und gestriegelt war er im ^>afen von Hotuhama schon zum Verkauf ausgeboten worden, ohne bei der hohen Forderung einen Abnehmer zu finden. Wie unter den an Vord befindlichen fünf englischen Kaufleuten gemunkelt wird, ist die „Carthage" gar nicht für die Fahrt auf hoher Sec construirt, fondern nur ein invalider Flußdampfer. Vei seinen: geringen Tiefgange wird das elende Schiff in dein wilden Wetter gleich einem (Jummiball hin- und hcrgcworfcn. Zwei Stunden nach unserer Abfahrt lagen wir sämmtlich seekrank in den Kajüten. In diesem trostlosen Zustande verblieben wir die ganze Nacht hindurch, doch beruhigten sich am 14. September um 7 Uhr Morgens meine empörten Magennerocn so wcit, daß ich mcmen für zwölf Silbergrofchen sechs Pfennige in Hokuhaina Ü09 erstandenen papiernen Regenmantel anlegen und eine Promenade auf Deck veranstalten konnte. Veim Tiffin, das aus Eiern von zweifelhaftem Alter und steinhartein gebratenem Speck bestand, war ich außer dem Eapitän und Steuermann der einzige Tischgenosse. Während dcr Mahlzeit erhielt mein neues Neisegewand die erste Oelung. Tie Steuerbordseite der „Carthage" erhob sich plötzlich so hoch, daß die Assiette mit Eiern und Speck auf den papiernen Regenmantel slog und ihm ein unvcrtilgbares Fettma! aufdrückte. Der Brandyflasche entging ich; der Cupitän hatte noch im letzten kritischen Augenblicke danach gegriffen nnd sie dann, um ferneren Unglücksfällen vorzubeugen, rasch auf den letzten Tropfen geleert. Wäre der erste Steuermann nicht noch bei Besinnung, dieser Trunkenbold stürbe Schiff, Ladung, Mannschaft und Passagiere in'6 Verderben, Tie Fahrt in den japanesischen Gewässern ist, wie an den chinesische»: Küsten, bci dem Mangel aller Leuchtthürme höchst gefährlich, außerdem ist es den Eingeborenen bei Todesstrafe verboten, auf europäischen Schiffen Lootsendienste zu leisten. In den letzten Tagen des August war ein Einwohner von Kanazawa dieses Verbrechens niegen enthauptet worden. Wie glücklich wäre ich gewesen, hätte mir nach dem traurigen Tiffin ein „Kneter" zu Gebote gestanden; es blieb mir nichts übrig, als durch Aufzeichnung meiner letzten Beobachtungen und Erlebnisse in Aokuhama die Langeweile zu vertreiben. Von den Landslcuten auf der „Gazelle" hatte ich mich schon am 8. September verabschiedet und dort ein paar höhere japanesische Offici^re getroffen, die sich ungcmcin für die Iundnadelgcwehre der Seesoldaten interessirten und bei ihrer Intelligenz sehr wohl den Vortheil der .Hinterladung begriffen. Sie entblödeten sich nicht, der Schildwache auf Deck fünfzig Tollars ;u bieten, wenn sie ihnen ihr Gewehr verkaufen wolle! Die Passagiere erholen sich ungemein, kriechen aus ihren Hängematten und rauchen in der Kajüte, cin unerhörtes Beginnen mr eil englisches Schiff, schlechte Manila-Cigarren; unsere Gesellschaft wird durch ein Dutzend Hunde verstärkt, die nicht ganz von dcr Seekrankheit verschont bleiben und in ihrer Herzensangst die wunderlichsten Verstecke aufsuchen. So waren zwei Pinscher von der Saphalehnc auf die vorspringende Tccke eines Wandschranks gestiegen, uon wo sie wenige Minuten später einem reichen Seidmhändler auf den Kopf fielen und ein Paar verschimmelte Wasserstiefel in ihren Sturz verwickelten. Auch Mr. Lewcs, mein alter Freund und Fachgenosse, kam aus seiner Koje abgezehrt und hohlwangig zum Vorschein. Nach Vollendung des Portraits beider Könige uon Eiam hatte er sick) nach Japan cingeschisft, um den Großen des Reiches seine künstlerischen Dienste anzubieten, vielleicht gar das Portrait des Taikun anzufertigen. Mr. Lewes' Talente haben keinen fruchtbaren Voden sefunden, von allen Seiten waren seine Anerbietungcn abgelehnt worden. Wie dcr Moslem, besitzt dcr Japanese ein Vorurthcil gegen die Abbildung 110 lebender Personen. Der fahrende Portraitmaler wird auf allen englischen Dampfern nicht nur kostenfrei befördert, sondern genießt auch freie Zeche und lohnt seinen Wirthen durch geistreich? Conversation bei Tische. Jetzt kel,rt er nach Calcutta zurück, wo sein Pinsel noch immer die sicherste Beschäftigung findet. Gutem Vernehmen nach zählt auch eine Dame zu den Passagieren, wir haben aber weder sie selbst, noch ihren Mann und Sohn zu (Besicht be« kommen. Einer der Engländer, ein gesangskundiger Jüngling, zieht aus ihrem Stöhnen und Röcheln in hoher Sopranlage einen Schluß auf ihr Geschlecht. Die ganze Familie scheint sich der Seekrankheit ergeben zu haben. Nei der abscheulichen Kost an Nord sind die aus Japan mitgenommenen Weintrauben unsere einige Erquickung, die Birnen stehen weit hinter der geringsten europäischen Sorte zurück. Am 12. September um 3 Uhr Nachmittags stieg aus dem Ocean ein so dichter Nebel auf, daß wir kaum die Hand uor Augen sehen konnten. Der Dampfer ist in eine Strömung gerathen, und wir treiben dem rechts gelegenen Lande, einer felsigen Küste zu. Vor Schreck war der Capitän sogleich nüchtern geworden, und da der Nebel sich für einige Minuten lichtete, gelang es aus der Nähe des Landes fortzukommen. Wir waren nur noch cine Viertelmeile davon entfernt gewesen. Zu unserem Heile hatten wir rechtzeitig die hohe See erreicht, denn mit Einbruch der Dunkelheit brauste ein Teifun heran, der. wenn auch nicht einer der rasendsten, doch die Kräfte unserer armen „Carthage" weit überholte. Ich bereitete mich zum Tode vor; der schwache Flußdampfer konnte im nächsten Moment kentern. In einer wahren Geistesverwirrung machte ich mich über meine Koffer her, packte die weithvollsten Gegenstände in eine Ledertasche, schnallte sie um den Leib, ohne zu bedenken, daß ich bei einem Sturz in das Wasser eben durch ihr Gewicht in den Abgrund gezogen werden müßte, und verhüllte mein Haupt mit dem Plaid. Tie gütige Vorsehung hatte unsern Untergang noch nicht beschlossen, gegen Morgen klärte sich der Himmel, der Orcan ließ nach und der Kang des Dampfers wurde ruhiger, aber wir waren moralisch und physisch durch die todesbange Nacht so erschüttert, daß der Thee und Zwieback unberührt in die Küche zurückgetragen werden mußten. XV. Die Insel Desima. Nagasaki. Consul Knissler. Ter Fisch- un» Nlumcn« martt. Ein Colorist und jcine Söhne. Drmimundc vun Nagasaki. Meseuspinnen. Nach Shanghai. Der Tag endete freundlicher, als er begonnen hatte; um Sonnenuntergang warfen wir in der herrlichen grünen Vai von Nagasaki, zwischen malerisch geformten kleinen Inseln und angesichts wunderlicher, winziger, mit Kanonen Ill gespickter Forts, vor dcr Insel Test ma Anker. Tie wörtliche Uebersetzung dieses japcmesischen Wortes lautet „Fächerinsel", und ihre Gestalt hat allerdings eine Aehnlichkeit mit einem aufgespannten Dächer, dessen breite Seite die osscnr See umspült. Desima ist eine holländische Ansiedelung. Das Glück wollte mir wohl, ich wurde von dem preußischen Consul Herrn Kniffler sehr freundlich empfangen und genoß das Vergnügen, die Nacht nach meiner Ankunft in einem guten Nette zu schlafen, doch wurde meine Ruhe mehr als billig durch vienüßige Mitbewohner des Gemachs beeinträchtigt. Die Ratten-und Mäusezucht scheint unter dem Breitengrade von Nagasaki in hohem Flor, und dieses Geschlecht von Nagethieren mit dem Menschen auf höchst cordialem Fuß zu stehen. Die Kleinen hatten gerade mein Lager zum Tummelplatz ihrer nächtlichen Spiele ersehen, und unzählige Male wurde ich durch die über mein Gesicht huschenden Mäuse oder die Saltomortales der Ratten auf meinem Leibe aus dem Schlaft aufgeschreckt. Am 14. September besichtigte ich einen Theil der Stadt, deren Plan und Bauart mich ungemein an Jeddo erinnerte. Zu dem aristokratischen Viertel Nagasaki's, das auf einer ^errainerhöhung gelegen ist und in dem sich auch das Hotel des Prinzen Gouverneur befindet, führen Treppen hinan. Hier sind auch die meisten Häuser von schönen Gärten umgeben. Die Straßen sind mcistentheils gepflastert, der Bürgersteig zieht sich in der Mitte hin. Außerhalb der Stadt besuchte ich die wahrhaft romantisch situirte, beinahe fürstliche Behausung des Herrn von Sybold, und besichtigte das reich ausgestattete Vibliothekzimmer und den mit Palmen und Bananen geschmückten Garten, von dem aus sich ein unvergleichliches Panorama der Bai erschließt; den würdigen Gelehrten selber fand ich nicht zu Hause. Er war auf einer naturwissenschaftlichen Excursion abwesend. In der Nähe bewunderte ich die Ueberreste eines abgebrannten großen Tempels, zu dessen Aufbau von der Negierung die nöthigen Fonds allmälig zurückgelegt werden. Das großartige Bronzeportal und eine riesige Treppe waren noch erhalten, und ich beeilte mich, wenigstens ihre pittoresken Umrisse mit einigen Strichen zu Papier zu bringen. Auf die Zeichnung der nahestehenden Kamphor- und Wachsbäume, die einigermaßen unseren Eschen gleichen, mußte ich verzichten, da die Einwohnerschaft der Umgegend mein Vorhaben mit großem Mißtrauen betrachtete. Mein gütiger Wirth empfing mich bei der Rückkehr mit offenen Armen. Herr Kniffler ist ein geborener Rheinländer und besitzt alle angenehmen Eigenschaften dieses lebenslustigen und aufgeweckten Menschenschlages. Unsere Mahlzeiten nehmen wir immer gemeinschaftlich ein, und zwar in Gegenwart einer Menge von Zuschauern. Wir speisen parterre bei offenen Fenstern, die jedoch der Vorsicht halber mit eisernen Gittern »erwahrt sind, und locken dadurch alle Japanesen an, die aus dem Innern des Landes nach Nagasaki kommen und noch keine Europäer, oder wie sie sich mannigfaltig ausdrücken, Ü12 die „preußischen Holländer", die „französischen Holländer", oder die „Holländer von England" gesehen haben. Nach ihren Begriffen ist nämlich Europa mit Holland vollkommen gleichbedeutend. Sie versammeln sich vor dem Hause und stützen sich auf die dasselbe umgebende Mmpe, betragen sich aber durchweg manierlich. Die Insel Desima, auf der wir wohnen, wird von den Bewohnern Nagasaki's als eine Menagerie angesehen. Der Consul ist unerschöpflich in treffenden Wihen über die abenteuerlichen Gesichter und l^eberden dieses Publikums. Leine Hünengestalt von sechs Fuß Höhe ist übrigens dazu angethan, auch dem kecksten Japanesen Respect einzuflößen. Gern zollte ich der Liebenswürdigkeit des theuren Landsmannes noch größere Anerkennung, ver-urtheilte mich dieselbe nicht bei meiner Körperschwäche zu einer schweren Po'nitenz. Herr Kniffler ist seiner schadhaften Leber wegen verurtheilt, täglich mehrere Stunden zu lustwandeln, und läßt mich nur imgern von seiner Seite. Vei seinen langen Äeinen und dem Couriertempo des Marsches kommt diese Promenade für mich einem Wettlauf mit dem Oger in Eiebenmeilenstiefeln gleich. Nach näheren Erkundigungen ist der preußische Consul der gefürchtetste Spaziergänger auf Defima. AIs Beitrag zur Charkteristik der Einträglichkeit hiesiger Speculationen will ich gleichzeitig ein kaufmännisches Unternehmen anführen, von dem sich mein Wirth viel verspricht. Er hat in Hacodade ein Schiff mit Seetang befrachtet und nach China geschickt. Der Werth der Ladung wird von ihm mit vierzigtauscnd Dollars, der Neingewinn mit zwanzigtausend Dollars veranschlagt. Auf unseren Epazierläufen haben wir uns nicht über Mangel an Er-listening zu beklagen. Der Consul spricht japanesisch und überseht mir alle Ansprachen der Eingeborenen. Hielt man mich in Jokuhmna für einen Arzt, fo fieht 'man mich in Nagasaki für einen Schriftgelehrten, Sadduclier oder Pharisäer an. Nar allen Anderen haben es die Vonzen auf mich, ihren vermeintlichen College«, abgesehen. Sie vertreten mir häufig den Weg, reichen mir ein Päckchen kleiner Papierblätter und erfuchen mich, etwas in meiner Muttersprache darauf zu schreiben. Habe ich ihren Wunfch erfüllt, so entfernen sie sich nach vielen Dankbezcigungen mit solcher Zufriedenheit, daß ich sie im Verdacht habe, sie halten diese Schriftproben für zauberkräftigc Amulctc. Nicht in der Lage, meine Phantasie zu erhitzen, beschränkte ich mich auf die einfachsten Autographen: „Schiller und Goethe, Müller und Schulze, Jenny Lind und Vullrich, Kladderadatsch und Palmerston" stehen auf der Tagesordnung. Im Verlauf der Zeit bin ich dahinter gekommen, daß nicht allein Wißbegierde oder Aberglauben die frommen Männer veranlaßte, mich um meine Handschrift z« bitten. Bei japanesischen Trödlern habe ich neben englischen und holländischen Arieffragmenten später mehrere der von mir beschriebenen Blätter wieder gefunden- sie werden, wie bei uns ähnliche Curiositäten, von Privatsammlern aufgekauft. 113 Gegen die Zudringlichkeit der Ratten und Mäuse sind jetzt Vorkehrungen getroffen worden. Mein Vett ist mit einer Enceinte von Fallen umgeben, und selbst in demselben, am Kopf- und Fußende, stehen zwei Mausefallen. Es geht keine Nacht vorüber, in der nicht in jeder sich mindestens ihrer drei fingen. Die hiesige Species ist fast durchgehende weiß. Am Morgen findet vor der Hausthür dic Hinrichtung statt. Mit derselben sind mehrere kleine Rattenfänger betraut, die, ohne eine der Friedensstärinnen entwischen zu lassen, mit der Abfchlachtung in unglaublich kurzer Ieit fertig werden. In meiner Abwesenheit pirschen zwei der kleinen Jagdhunde in meinem Zimmer und bringen nur bei der Rückkehr die erlegten Ratten als Veute dar. Ich bedauere, daß dieses Wild hier nicht als (Gegenstand der Feinschmeckers geschätzt wird, so reich ist der Bestand des Jagdreviers. Ein Morgenspaziergang, den ich in der Absicht, meinen Appetit zu schärfen, etwas weiter, als meine Gewohnheit zu sein pflegt, ausdehnte, führte mich auf den Fischmarkt von Nagasaki und machte mich an der Reinlichkeitsliebe der Japanesen etwas irre. Visher hatte ich keine Ahnung davon gehabt, welche Fülle von Gerüchen Fischen abgewonnen werden könne. Es duftete auf diesem vielseitigen Platze nach gebratenen, gekochten, gesalzenen, geräucherten getrockneten, marinirten, vo? Allem ab?r nach — faulen Fischen. Nicht fünf Minuten vermochte ich in dieser Pestluft auszuhalten und floh spornstreichs. Tie Aromen des benachbarten Vlumcnmarktes gewährten den schwerbeleidigten Geruchsnerven einige Genugthuung. Ich wappnete mich mit einem Strauß gegen «lle ferneren Miasmen und setzte meinen Weg durch eine breite und stattliche Straße fort. So frühe an» Tage es noch war, es wurde doch schon, und zwar unter freiem Himmel, Komödie gefpielt. Die Decorationen bestanden nur in einer auf dem Pflaster ausgebreiteten Decke, der einfachen Ausstattung entsprach die Zahl der Mitglieder; ich sah nur drei Personen: einen Krieger, einen Kleinbürger und eine „Musine", die sich das kleine Stück hindurch nicht von den Knieen erhob, nichtsdestoweniger aber die beiden Herren durch ihre Zoten und Lazzi erheiterte. Selbst Improvisationen kamen vor, und wurden dazu die scheußlichsten Abbildungen auf dem Schilde eines Arztes benutzt, vor dessen Hause die fliegende Aufführung stattfand. Nei nllsdem war der Inhalt des kleinen Stückes tragisch. Dic Tempel, an denen ich vorüberkam, sehen, so viel Aufwand in den Ornamenten getrieben ist, einander zum Verwechseln ähnlich. Ein alter Japanese hatte sich mir angeschlossen und erklärte mir in gebrochenem Chinesisch alle Merkwürdigkeiten. Der gute Mann mochte dieses Idiom für eine Weltsprache halten, in der man sich, wie bei uns im Französischen, jedem wohlerwogenen Wanne verständlich machen könne. Sehr lästig waren.die bettelnden Kinder und Greise, die unser Gefolge bildeten. Ich hatte die Unvorsichtigkeit begangen, eine Handvoll kleiner Münze unter sie zu vertheilen, und dadurch Hildtbrllndt's Reise um di« Erbe. II. 8 114 den Schwärm so vergrößert, das; ich in dem Gedränge mich kaun: vorwärts bewegen konnte. Consul Kniffter war mein Netter. Vesorgt über mein langes Ausbleiben, kam er mir entgegen und theilte die Menschenmasfe wie ein schnellsegelnder Klipper die Meereswogen. Wir statteten, ehe wir zum Tiffin zurückkehrten, noch einem der berühmtesten hiesigen Oenremaler oder vielmehr „Coloristen", wie ich ihn in der plumpsten Bedeutung des Wortes wohl nennen darf, einen Vcsuch «b und trafen die Künstlerfamilie, einen Vater und seine drei Söhne, cinen immer dümmer als den andern, eifrig beschäftigt in ihrem, Atelier. Sie hockten hintereinander auf dem Fußboden und malten auf Fußbänken mit Wasserfarben. Tie letzte Nacht wurde mir wieder durch die Mttcn verbittert, ich habe mir daher einen grohon Prügel zugelegt und schlage von Zeit ;u Zeit mit vielem Lärm um mich. Anscheinend schüchtert diese hochpathetische Demonstration das Ungeziefer ein. Nach jedem Fortissimo halten sie eine Stunde vollkommen Ruhe. Den Ratten gesellt sich noch ein bohrender Zahnschmerz zu, der mich schon unterwegs verfolgt hat, jetzt aber den höchsten Grad erreicht. Ich ließ mich am 17. September dadurch nicht abhalten, eine, wie ich glaube, gelungene Aquarelle von Tesima zu malen und später die japancsische Itegierungs-Eisengießerei wie die projectirte Schiffswerft zu besichtigen. Consul Kniffler, der mir das Geleit gab, machte mir den Vorschlag, eine der berühmtesten Schönheiten des ,^ites, ihres Zeichens „^orette", zu besuchen. Meine gesteigerten Erwartungen wurden in der That nicht getäuscht', die gefällige Grazie befriedigte hinsichtlich der Fonnenvollendung und des Zaubers der Gesichtszüge die Forderungen selbst eines wählerischen Künstlers. Nur ein mehrmals um den Hals geschlungenes, 'dickes, weißseidenes Tuch entstellte die Wangen und Schultern; ich ersuchte fie, es zu entfernen. Anfangs weigerte sie fich, als aber auch der Conful darum bat, löste fie den Knoten, und nun zeigten sich am Halse einige nicht leichte Verletzungen, die von Messerschnitten herrühren mochten. Die beklagenswerthe Schöne gestand dem Consul, daß eine Nebenbuhlerin ihr diese Verletzungen zugefügt habe, jedoch von der Polizei dabei betroffen worden sei. Gewiß lag für den Dichter der Demimonde von Nagasaki ein gar ergiebiger Theaterstoff nor. Der 18. September machte mich mit einer großen Merkwürdigkeit bekannt. Eine Scgelbarke von Korea war angelangt, um auf Tesima Einkäufe zu machen. So schmutzige und verkümmerte, in das Assenthum hinüberstreifende Menfchengebilde hatte ich nicht fiir möglich gehalten. Der Tag sollte noch andere Curiosa bringen. Wir waren nach der seitwärts von Nagasaki an, Strande gelegenen englischen Niederlassung gefahren, wo ich eine Aquarelle zu Stande brachte. Zwischen den Bäumen hingen in großen Radnetzen ungeheuerliche Spinnen, die Einem Entsetzen einflößen konnten. Der District war überhaupt allen Spinnen zuträglich, denn bald erblickten >uir auf 115 dem trockenen heißen Seesande eins dieser faustgroßen Geschöpfe, das zu lustwandeln schien. Wir riefen unsere beiden Rattenfänger, die niemals Bedenken trugen, über allerhand llcines Gethier herzufallen und ihm den Garaus zu machen, und hetzten sie auf das haarige Scheusal. Eine derartige Attaque lag indeß außerhalb der Berufsthätigkeit der Köter. Kaum hatten sie die Spinne er-bliclt, als sie die Schwänze einkniffen und mit lautem Iammergeheul ausrissen. Die gefürchtete Arachne fetzte ihrerseits gelassen ihre Promenade fort^ ohne sich um unsere Berührungen mit Stöcken m'el zu kümmern. Abends sand in unserer Behausung noch ein kleines Souper statt, zu dem der Consul auch einen russischen Botaniker geladen hatte. Tie Unterhaltung bei Tische drehte sich um die leichtfertigen Landessitten^ und ich hattc fchon genug ssesehen und gehört, um sie nicht allzu frivol zu finden. In dem Hausstande jedes unoerheiratheten Europäers findet sich eine „Musine", > der im Garten ein kleines japanesisches Häuochcn errichtet wird, in dem sie in Gesellschaft ihrer Tienenn den Tag zubringt und die Mußestunden des Gebieters ausfüllt. Tie ihr zugestandene Entschädigung hat sic mit der Behörde zu theilen. In der Wirthschaft macht sich die besagte Camelliendame weiter nicht nützlich, die Besorgung derselben fällt lediglich der männlichen Dienerschaft anheim. Nach den Angaben der Herren pflgcn die Geldanfprüche dieser Japanesinnen nur mäßig zu sein. Mancherlei wurde ferner über die Abneigung der Eingeborenen gegen die christliche Religion erzählt. Vor beinahe hundert Jahren roar es der Betriebsamkeit holländischer Missionäre gelungen, zweihunderttausend Japanesen zum Christenthum zu bekehren. Tie Regierung hatte schon lange dazu scheel gesehen und viele Gläubige, :vo es geschehen konnte, heimlich bei Seite schaffen lassen, bis sie sich endlich uicht entblödete, eine förmliche Christenverfolgung zu veranstalten. Tie Bekenncr unseres Glaubens find jetzt wohl unter den Landesangehörigen vollständig ausgerottet. Auf der Neisausfuhr steht gleichfalls Todesstrafe, und wer in Japan Opium zu rauchen wagt, wird verbrannt. Viel besprochen wurde ein amerikanischer Steamer, den ich schon in Veddo bemerkt hatte und der Niemanden außer Japanesen an Bord kommen licß, denen er Revolver, und zwar zu unerhörten Preisen verkaufte. Er sollte ganz nutzerordentliche Geschäfte machen. Tie Bevölkerung von Nagafati fcheint gutartiger, oder vielmehr durch-europäische Ungebühr und Mißhandlungen nicht so gereizt zu sein, wie die Einwohner von Zeddo, Vokuhama und kanazawa. Ich bewege mich ungezwungen unter der Menge und werde überall mit Wohlwollen behandelt, man gestattet mir sogar die Architektur der Tempel abzuzeichnen. Ein Leichenzug veranlaßte mich, den Sarg, der in einem Kübel bestand, in dem die Leiche wie bei Lebzeiten hockte, und das weiß mit rothen Schleüen trauernde Gefolge allein nach dem Kirchhof zu begleiten. Hier zeigte mir 116 ein Japanese, der einige Brocken Englisch und Holländisch verstand, den Richtplatz und die Grabstätten der armen Sünder. Jede war mit einem grohen Feldstein bedeckt, den eine Nummer bezeichnete, ^ein Grab, das des reichsten Blumenschmuckes entbehrt hätte. In Nagasaki und auf Desima leben nur zwölf Deutsche; die Vetann-schaften sind also ohne Unbequemlichkeiten zu machen. Mit vier der Herren hatten wir eine Soiree in einem eleganten Theehause verabredet, die der Landessitte gemäß arrangirt war. Wir tändelten mit unseren schönen Tisch-Nachbarinnen, den Kostgängcrinnen des Hauses, tranken ihnen und dem die Honneurs machenden Äakonin in Champagner '^u, wunderten uns bei dem Menu eines neuen Gerichts, „Lotoswurzeln" und kamen nach Mitternacht glücklich nach Hause, ohne Hals und Veine zu brechen. Während unserer Abendunterhaltung war ein kleiner Teifun mit Regengüssen ausgcbrochen. Testo schöner und stiller war das Wetter am folgenden Morgen, am 21. September. Alle Schisse hatten, ein fabelhaftes Schauspiel, ihre Segel zum Trocknen ausgebreitet und die angenehme Witterung erfreute uns um so mehr, als wir bei dem Prinzen Timodsi zmn Dejeuner eingeladen waren. Nach der gestrigen Tamensoir^e fanden wir Beide die officielle Abfütterung 2r. Hoheit etwas ledern. Prinz Timodsi war überaus zugeknöpft und sprach nur das Noth» wendige, nicht das Neberflüssige. Der Tag schloß mit einem lang ausgesponnenen, asiatisch üppigen Diner bei den Gebrüdern Adrian. In Erinnerung der gestrigen Mißhelligkeiten und Strapazen wurden wir durch ein Corps von japanesischen Dienern, deren jeder eine unanständig bemalte Papierlaterne trug, nach Hause begleitet und sangcn unterwegs: „Des Deutschen Vaterland." Mein Aufenthalt in Japan geht zu Ende, die Jahreszeit rückt vor und ich muß den für Shanghai bestimmten Dampfer benutzen, wenn ich nicht anderthalb Monate verlieren will. Das Schiff sollte am »'2. September, Mittags 12 Uhr, in See stechen, ich stand daher um <> Uhr auf, packte meine Sachen und ging eine halbe Stunde uor der Abfahrt, von Herrn iMiffler begleitet, unter preußischer Flagge an Bord. Der Dampfer „Ta Hiiang" ist eigentlich nicht für den Postdienst bestimmt. Eine amerikanische Firma hatte ihn auf Speculation in der Hoffnung gebaut, der Taikun von Japan werde das kleine, -lierlichc Schiff -,u Lustfahrten kaufen; die Negierung hatte es indessen zu theuer gefunden. Nachdem „Ta kiang" in allen japanesischen Häfen wie cinc Ballkönigin kotcttirt, ohne unter die Haube gebracht zu werden, blieb endlich nichts Anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen, Passagiere an Bord zu nehmen und einen Käufer in China zu suchen. Schon als wir Desima verließen, wurde mir klar, daß der Wirkungskreis des „Ta Kiang" die hohe See nicht sei; der kleine Steamer flog wie ein sogenannter „Seelenverkäufer" (Klotzkahn, Einbaum) über die hohen Wogen. Wir sind unser fünf Passagiere, deren jeder sechzig Dollaro gezahlt hat, doch 117 erschien nur einer derselben bei Tisch, die drei Anderen waren schon einen Knoten von Desima der Teekrankheit erlegen. Die Verpflegung war gut, „Ta mang" führt einen correcten Cognac, und zum Dessert wurden wir mit der japanesischen Frucht „Kakki" bewirthet, einer sehr wohlschmeckenden Obst? sorte, die einen emvfehlenderen Namen verdient. So schön das Wetter den ganzen Tag über war, ging ich doch schon um 8 Uhr Abends zu Bett, da in: strengsten Sinne des Wortes kein Platz vorhanden war, bequem zu sitzen oder umher zu spazieren. Die Nacht verging ruhig, ich habe vortrefflich geschlafen und ge ieße mit stiller Resignation eine Tasse elenden Kaffees und ' einen Toast, dessen Butter unzweifelhaft schon mehrmals die Linie passtrt hat, ohne davon dieselben Vortheile gezogen zu haben, wie der Dry Madeira. Als das warme Frühstück erschien, gingen mir die Augen über; die gestrige Mahlzeit war nur der letzte Nachklang des Marktes von Nagasaki gewesen. ,.Ta Kiang" erschien in seiner ganzen Größe, die gebratenen Speckschnitte setzten menschlichen Zähnen hartnäckigen Widerstand entgegen, die Eier waren zur Hälfte faul, der Rinderbraten mit ranzigen: Vrcnnöl angemacht. Zum Glück hatte eine riesige Welle mit mir Erbarmen, sie hob den „Ta Kiang",, wan ihn dann auf die Seite und die gcsammte Mahlzeit vom Tisch; ich flüchtete auf Deck und nahm meine Zuflucht zur Cigarre. Da die übrigen Passagiere das bessere Theil erwählt und vermöge ihrer Seekrankheit auf das Essen ganz verzichtet haben, werden gar keine Anstalten getroffen, uns durch das Mittagessen zu entschädigen. Der Rinderbraten vom Tiffin erschien in einer neu durchgesehenen, vom Staube des Fußbodens gereinigten Auflage in Begleitung einiger Sardinen, nur das Ale war lobenswcrth, doch wurde es in zu geringer Quantität credenzt. In Betracht, daß mein Aopetit sich mit jedem Tage bessert, meine Kräfte zunehmen und einer der Passagiere, ein junger Engländer, auf Deck erscheint und die ersten Spuren von Eßlust, zeigt, stelle ich nähere Untersuchungen über den vorhandenen Promant an. Iu meinem Trost hängt auf dem Quarterdeck ein Schwein und das Hintertheil eines Hammels; unsere Subsistenzmittel sind folglich gesichert. Zum heutigen Tiffin gab es sogar „Kalbscotclettes", zu denen das Nüsseloieh das Fleisch geliefert hatte. Die Passagiere kommen, je mehr wir uns der Mündung, des Äantsekiang nähern, allmälig zum Vorschein und sprechen von Seide und Thee. Nach ihren Angaben liegen die Geschäfte total darnieder und sie berathen untereinander, ob man sich nicht lieber zurückziehen solle. Ich gehe dem brutalen, gcldstolzen Gesinde! aus dem Wege. Um halb N Uhr am 24. September fuhren wir an dem englischen Feuerschiff im ^lantsekiang vorbei und die Lebenslust der Passagiere kehrr zurück; sie schreien, wie dcr Hirsch nach frischem Wasser, nach „Brandy und Sodawasser". Der lehmfarbene Fluß ist hier drei deutsche Meilen breit und so tief, daß die Masten eines mit Thee befrachteten, vor einigen Tagen ver- 118 -unglückten Vollschisses nur noch mit den höchsten Spitzen aus dem Wasser hervorragen. Gegen 2 Uhr kamen wir an der kleinen Stadt Woosung vorbei und steuerten in den gleichnamigen Fluß. Das Treiben der Kauffahrer vor 'dem an sich nur armseligen chinesischen Orte ist ein sehr bewegtes. Der Spiegel des Flusses ist mit englischen, schwedischen, preußischen und Hamburger Schiffen, nebst unzähligen Dschunken bedeckt, am Ufer wehen die Consulats-flaggcn. Ueberall sind die chinesischen Fischer dabei, den Bedarf für die Hauptmahlzeit des Tages Zu fangen-, unser „Ta Kiang" hält sich nicht auf, der Capitän will pünktlich um 5 Uhr in Shanghai eintreffen. XVI. Gesundheitszustand, Leben und Sterben in Shanghai. Tugenddentmale. Be apjte Missionare. Gastereien. FiVibus und Lunte. Dantbezeigung für ein Diner. Un Bard des „Argus". Nach Tientsin. Wiewohl mir ein Unterkommen in der Commandite der Firma Siemssen Zu Shanghai gesichert war, kam es doch zuerst darauf an, vom Ankerplatz aus die Stadt zu erreichen und das >>aus aufzufinden. Diese Aufgabe war bei einem starken Gegenwinde, der Ebbe und der Zudringlichkeit des chinesischen Schifsergesindels keine leichte. Länger als eine Stunde mußte gegen das stromab siuthende Wasser der Lobe mit äußerster Anstrengung gerudert werden, zudem war der Samvoon, in den die Chinesen, ohne mich viel zu fragen, meine acht Gepäckstücke und Kosfer geschleppt hatten, nicht seetüchtiger und geräumiger als ein Waschfaß größeren Umfanges, ich halte also zwischen den beiden werthoolisten Stücken Platz genommen, entschlossen, wenn das Ver-hängniß so wollte, mit meinen Besitzthümern und Arbeiten zu Grunde zu gehen. Bei der Landung entstanden neue Schwierigkeiten, die Kulis, in ihrer Gier, ein wenig Oeld zu verdienen, fielen über meine Sachen her und ich mußte selber Hand anlegen, wenn ich den Kasten voller Aquarellen, Farben und Papier vor einem kalten Bade retten wollte. Mit dem Nasche- und Klciderkosfer waren die Kulis davongcrannt, brachten ihn jedoch zurück, als ich in meiner Noth einen Polizeimann zu ihrer Verfolgung aufforderte. Froh, wieder das Festland unter meinen Sohlen zu haben, sank ich in Siemssens Hause ath^i los in einen Kessel, Eine ungestörte Nachtruhe von acht Stunden stellte meine Kräfte wieder her, ich stattete dem preußischen Vice^onful am 25. September einen Besuch ab und ließ mich dann nicht durch Kopf- und Zahnschinerzen abhalten, an wein künstlerisches Tagewerk ;u gehen. Shanghai ist einer der ungesundesten Drte der Welt, Hunderte von Quadratmeilen sind nichts als der erdige 119 Niederschlug des ungeheueren Stromgebiets, welches sich in die chinesischen Gewässer ergießt. Der Boden ist hier noch in einem Entwicklungsprocesse begriffen und der gewöhnliche Gesundheitszustand der europäischen Ansiedler wird scharf durch die bei jeder Begegnung übliche Frage charakterisier: „Geht es Ihnen heute etwas besser?" Nur selten erhält man die Antwort: „Ich bin ja gar nicht krank gewesen!" Gemeinhin erfolgt al^ Bescheid eine förmliche Krcmkheitsgeschichte und Litanei ron Klagen. Tie Eingeborenen erfreuen sich nach der Zahl der Todesfälle keines besseren Befindens «ls die Europäer. Gleich auf meinem ersten Spaziergange begegnete ich alle zehn Minuten einem Leichenbegängnis;. Die Särge wurden vor die alte, mit einer hohen Mauer umgebene Stadt hinausgetragen und hier am Nande der Gräben niedergesetzt. Sie waren zum Theil so lose verschlossen, daß es den wilden Hunden gelungen war, die Deckel zu entfernen und die Leichen aufzufressen. Die Reinlichkeit der Straßen und Plätze Shanghai's vermag ich nicht zu loben; auf den Fisch- und Fleischmärkten verbreiteten die umherliegenden Abfälle einen pestilenzialischen Gestank, doch hält derselbe die Chinesen und auch wohl die anwesenden europäischen Damen nicht ab, ihre Morgenpromenade dorthin zu verlegen und die neueste Toilette zur Schau zu stellen. Unweit der Thore Shanghai's sielen mir zwei, im Stile von Triumphbogen geformte, wunderlich verschnörkelte, kraus gehörnte Denkmäler auf. Nach eingezogenen Erkundigungen waren sie dem Andenken tugendhafter Frauen der Stadt gewidmet, ein Umstand, der wohl geeignet war, tadellose Sittlichkeit unter den Frauen der Stadt nur als eine seltene Ausnahme anzusehen. Beide Monumente waren aus rosenfarbenem Sandstein angefertigt und mit Inschriften bedeckt. Der große alte Tempel Shanghai's erinnerte mich durch die von der Decke herabhängenden zierlichen Modelle von Dschunken an den Artushof in meiner Vaterstadt Danzig, der Verkehr in dem Tempel selber hatte freilich in der Mittagsstunde nichts mit dem kaufmännischen Treiben in dem mittelalterlichen Vörsensaal gemein. Die reichen oder aristokratischen Damen mochten um diese Zeit ihre Andacht verrichten, ich traf vor den Altären mehrere Chinesinnen von Distinction, die von den Priestern mit aller erdenklichen Beflissenheit bedient wurden. Eine derselben stammte, nach ihren überaus kleinen Füßen, aus einer der vornehmsten Familien. Sie that alles Mögliche, diese verkrüppelten Glieder auf eine kokette Weise zur Schau m stellen, und bombardirte mich mit gefallsüchtigen Blicken, als ich Mappe und Tuschkasten öffnete und zum Pinsel griff. An den Fingern der Schönen zählte ich siebenunddreifzig kostbare Ringe, und die langen Nägel waren mit goldenen Futteralen bedeckt, die sonstige Kleiderpracht mag der Leser sich nach chinesischen Modebildern selber ausmalen. Unweit des Tempels begegnete ich Zwei Ehinesen, die ihre Hüte zum Gruß auf europäische Weise lüfteten und 120 mich in geläufigein Französisch anredeten. Die Schwatzhaftigkeit der Herren ließ mich gar nicht zu Worte kommen, und ich erfuhr sehr bald alts ihren Selbstbekenntnissen, daß Beide geborene Franzosen seien, aber zu mehrerer Förderung des Bekehrungwerkes die Landestracht und sogar den — Zopf adoptirt hatten. Nach ihren Behauptungen war es ihnen gelungen, eine Menge Bewohner der Umgegend zum Christenthum zu betehren. Im Weich-bilde der Stadt war ihr Erfolg geringer gewesen. Den Thee nahmen wic Abends bei einem hohen Mandarinen ein. Die chinesische» Gäste rauchten Opium, wir beschränkten uns auf die Tabakspfeife. Als Zuthaten zum Ihee wurden Melonenkerne, kleine Kuchen und gedörrte oder geröstete Lotoswurzeln umhcrgereicht. Daneben wurde ein Theaterstück (Sing Song) ausschließlich von jungen Mädchen aufgeführt. Die Truppe hatte das ganze Nerzeichnitz des ihr geläufigen Repertoires mitgebracht und der Hausherr, ein vielbelesener Beamter, ein beliebtes Stück ausgewählt. Ls nannte sich „das Vootsmädchen von Eouchow" und übte auf die anwesenden Eingeborenen eine außerordentliche Anziehungskraft aus. Blieb uns der Dialog ein mit siebcn Siegeln »erschlossenes Buch, so lag die grenzenlose Unanständigkeit der Handlung desto offener zu Tage. Es geschahen in vollständiger Plastik Dinge auf dem Theater^ die der verwegenste Pariser Autor nicht einmal durch die Blume zu besprechen wagen darf. Das Stück war Wasser auf die ästhetische Mühle des alten literarischen China. Während der Vorstellung wurde eine trompetenartige Ehren- oder Galapfeife von kleinen Mädchen herumgetragen, und jeder Gast war verpflichtet, einige Züge daraus zu thun. Es gehört zum guten Ton, die Spitze nicht abzuwischen, doch verletzte ich lieber dic Sitte, ehe ich mich einer großen Gefahr aussetzte. Die landesüblichen nasenlosen Gesichter drängten sich bei diesem Nundgange der Ehrenpfeife meiner Phantasie auf. Ich benutze diese Gelegenheit, der eigenthümlichen chinesischen Fidibus und Lunten zu gedenken. Erstere bestehen aus hohen schmalen Tüten, die, einmal an der oberen Oeffnung angezündet, leise fortglimmen, lebhafter angeblasen aber lichterloh aufbrennen. Nach angezündeter Pfeife braucht man die Flamme nur anzuhauchen und die Papiertüte glimmt langsam weiter. Noch gebräuchlicher ist die in allen Haushaltungen und Wohnstuben üblichc Lunte, an der man den Schwefelfaden anzündet, sobald man Licht oder Feuer braucht. Sie gleicht einem ziemlich dicken, dunkelfarbigen Tauende, ist aus trockenem Mist angefertigt und liegt auf zwei Gabeln über einer Metallschcibe. Der Dunstkreis der Gemächer wird durch ihre Aromen eben nicht verbessert. Ungeachtet es in der Nacht von: 27. September in Strömen geregnet hatte, mochte ich dennoch nicht meinen täglichen Spaziergcmg aufgeben. Mein zuvorkommender Wirth, Hen- Schwemmanu, bot mir ein Paar Wasserstiefel an, deren man sich bci dem schlammigen Boden selbst in trockenen Tagen auf weiten Ausflügen bedient, und mr traten eine dreistündige 121 Wanderung an, von der wir todtmüde, bis an die Spitze der Vatermörder mit Koth bespritzt, zurückkehrten. Außer offenen Gräbern und Bärgen hatten wir vor der Stadt nichts Vcmerkenswerthes gesehen. Wir besuchten den Kleinkinder-Thurm von Shanghai, d. h. den osficiellen Behälter, in welchen die Eltern ihre todtgeborenen, verkrüppelten oder schwächlichen Kinder werfen, und mein Begleiter versicherte mir, er habe die gefühllosen Chinesen im Verdacht, die Neugeborenen oft noch lebend in dieses Aeinhaus hinabzuschleudern; Mir ward erst wieder wohl, als wir der entsetzten Schädelstätte den Nucken gekehrt hatten. Am nächsten Tage genoß ich das lange entbehrte Vergnügen einer gutcn Musikaufführung. Ein junger Dilettant, Herr Krämer, sang mit sonorer Baßstimme mehrere Arien und Lieder, und zwei gebildete Handlungsgehülfen ergingen sich auf dem Pianoforte in Thalberg'schen Compositionen mit einer Gewandtheit und Sauberkeit, die ich in diesen Regionen des Erdballs nicht erwartet hatte. Tie besagte Matinöe fand während eines Diners statt, das Herr Schwcmmann zu Ehren der Consuln veranstaltet hatte. An demselben Tage mußten wir Abends 7 Uhr noch eine zweite Gasterei überstehen. Von einein reichen chinesischen Kaufmanne waren wir zu einem Souper geladen, und mein welttluger Wirth hielt es aus ^eschäftsrücksichten nicht für rathscim, dasselbe abzulehnen. Wie bei allen asiatischen Völkern, denen die Reize der bunten Reihe bei Tisch unbekannt geblieben sind, nehmen die Frauen und Töchter an den TafelfreMen ihrer Väter und Gatten nicht Theil. Doch kommen Ausnahmen vor, wenn seltenen Gästen besondere Ehren erwiesen werden sollen. Wir waren unser vier deutsche Herren, außer dem Gastgeber; den drei Ehefrauen nebst sünf Töchtern desselben waren ihre Plätze hinter uns angewiesen. Zwischen den einzelnen Gängen, die stets aus mehreren Speisen bestanden, ließen sich die Damen auf unseren Schoh nieder und fuchten uns durch kunstlose Griffe auf ihren Mandoline« zu erheitern. Auf mir hatte die Reifste der Mütter Platz genommen, ohne das ich geneigt gewesen wäre, die Ehre ihrer Niederlassung gehörig zu würdigen. Rechtzeitig kam mir ein rettender Gedanke. Nie, wenn ich nach dem Vorbilde Sr. Majestät von Siam meine liebenswürdige Beisitzerin durch ein phantastisch comvanirten Kloß zu zerstreuen trachtete, da mir ja doch jede Unterhaltung mit ihr durch Unkcnntniß der Sprache abgeschnitten war? Das Herz des Menschen ist cin Drachennest, ich gestehe unumwunden, daß ich mit teuflischer Schadenfreude meiner Alten dieselben Qualen zu bereiten trachtete, die mir einst die Gabe des Königs Mongkut zu Bangkok verursacht hatte. Aus gesottenem Reis, Hachee von Negenwürmern und den bewußten, vier Jahre hindurch vergrabenen Eiern fertigte ich einen handlichen Bissen, der eben so schwer zu kauen, wie zu verschlingen sein mußte, und schob ihn Madame mit einem tückischen Lächeln in den Mund. Mein Zweck war erreicht. Die Artig- 122 keit an sich wurde zwar sehr gut cmfgenoimnen, doch erwies sich sehr bald, daß meine Gönnerin der Bewältigung des höllischen Bissens nicht gewachsen war. Noch heute verursacht nur die unmenschliche Kaltblütigkeit, mit der ich die Anstrengungen der Unglücklichen, das formlose Compositum niederzuwürgen, beobachtete, Gewissensbisse, plötzlich sprang sie auf und entfernte sich, um — nicht wiederzukehren. Die Zahl der Gerichte überstieg sechzig, doch habe ich nur von den wenigsten etwas zu mir genommen. Ich beschränkte mich auf die Assietten, deren organische Bestandtheile ich zu enträthseln vermochte, bei der chinesischen Küche kein leichtes kritisches Unternehmen, Der Gastgeber machte es sich schon im Verlause der Abendmahlzeit bequem. Er ließ seine Opiumbettstelle an die Tafel setzen, zündete die Pfeife an und verfiel bald, ohne ' von uns weiter Notiz zu nehmen, in die ersehnten paradiesischen Träume. Der Wirth lag wie ein Todter auf seiner Matratze und verlautbarte ein dumpfes Röcheln, die Diener standen schweigend an den bunten Tapetenwänden; wir setzten unsere Unterhaltung fort. „Schade, daß unser Wirth alle Viere von sich gestreckt hat," sagte Herr Schwemman»', „wenn Einer der Herren sich dispanirt fühlte, könnte er ihm den Dank für das genossene Souper durch die höchste Artigkeit nach chinesischen Begriffen ausdrücken." „Erklären Sie sich doch näher," rief ich, da Sicmssens Compagnon durchtrieben lächelte. „Am Ende ist es gleichgültig, ob er schläft oder wacht, die Dienerschaft wird ihm die dargebrachte Huldigung doch verrathen'." schmunzelte Herr Echwemmann. Noch immer war mir die Rede des ^andsmanncs unverständlich; bald sollte mir eine Erklärung werden. Er erhob sich und gab den Dienern einen Wink, zwei derselben traten mit strahlenden Gesichtern näher und gingen, nachdem ihnen Herr Schwemmann ein chinesisches Wort zugerufen, mit Papier-Internen voran. Wir passirten ;wei schmale Eorrioore, stiegen mehrere stufen hinab und befanden uns an einem in der Ecke des Hofes gelegenen Orte, der nach dem Zahlensystem der Oasthofsbesitzer gemeinhin mit cincr Null oder Doppclnull beziffert wird. Besondere architektonische Vorkehrungen für die Bequemlichkeit des Hospitanten waren nicht getroffen, ich gewahrte nichts als eine kleine, sauber gehaltene Grube. Unsere Begleiter postirten sich zur Rechten und Anten mit ihren Laternen und Herr Schwemmann sagte lächelnd: „Hoffentlich verstehen Sie mich jetzt? Es wäre in einein europäischen Hause ein eben so großer Verstoß, nach Beendigung der Mahlzeit der Dienerschaft kein Trinkgeld zu verabreichen, als hier ;u Lande von dieser Oertlichkeit keine Nutzanwendung zu machen." Verlegen stammelte ich noch einige Worte, aber schon wurden von Seiten des guten Landsmannes die Präliminarien des ZIctcs chinesischer Eourtoiste eröffnet und es blieb mir zuletzt nichts übrig, 123 als unter den dankend bewundernden Blicken der Laternenträger dein Beispiel meines Mentors zu folgen. Meine Mittheilung würde unvollständig sein, wenn ich nicht noch hinzufügte, daß die Diener die Velege unserer Artigkeit gegen den Festgeber durch einen Deckel vor Entweihung schützten und ihre Dankbarkeit für die dem Hause erwiesene Ehre durch tiefe Verbeugungen ausdrückten. Ich hatte mich außer einigen Nissen Entenzungen und Fisch-lcbern auf etwas Hühnerbraten und Austern beschränkt, um nicht unter den Nachwehen dcs Soupers zu leiden. Nach einer ruhigen Nacht benutze ich die Morgenstunde fleißig zur Arbeit, packe einen Theil meiner Effecten, da der Abgang des Dampfers nach Tientsin und Tuka bevorsteht, und mache dann meine Toilette zu dem um 7 Uhr Abends vom Consul Probst arrangiitcn Diner. Die guten Landsleute überbieten sich in Artigkeiten gegen ihren Gast. Mlln erläßt mir wohl, über die Opulenz des Gelages zu sprechen, ich erwähne nur eines alten Taschenspielers, der uns zwischen den Gängen der Mahlzeit durch seine Künste zu unterhalten suchte. Der Geschichtsschreiber der Prestidigitation mag untersuchen, ob die Erfinder derselben in Europa oder in Asien seßhaft sind; der Chinese schien mir seine Stücke ungleich vollkommener, a!s unsere diesseitigen Stammverwandten auszuführen. Sein Aecherspiel war bewundcrnswerth und das Wachsthum eines Kügelchens, das auf dem unbedeckten Tische unter einem großen Becher nach und nach bis zu ei^er Kanonenkugel anschwoll, ist mir bci den nackten Armen des Magiers vollkommen unbegreiflich geblieben. Gleich Houdin und Herrmann brachte er unter seinem Talar Schalen mit Wasser hervor, aber er ließ auf Wunsch der Zuschauer auch eine Menge Taschenkrebse darin erscheinen und verschwinden und entwickelte zuletzt, wohl: gemerkt, ohne sich vorher zu entfernen, unter einem Tuche zwei brennende Lampen. Der geschickte Mann würde in Europa große Summen verdienen, während hier nur ein sehr mäßiges Honorar seine wunderbaren Leistungen belohnte. Die Vorstellung schloß mit dem Flug zweier papierner Schmetterlinge, welche der Taschenspieler mit Fächern in der Luft flatternd erhielt und dem Tanz kleiner Figuren auf einem Fächer. Ich darf nicht vergessen, anzuführen, daß bei unserem Diner eine ursprünglich chinesische Sitte angenommen war, die ich in heißen jilimaten zur Nachahmung empfehlen kann. Alle Viertelstunden wurden nämlich heiße feuchte Tücher umhergereicht, mit denen man das Gesicht und die Hände abwischte. Das darauf folgende Gefühl der Abkühlung durch Verdunstung des Wassers war ungcmein angenehm. Das Wetter sah am Ä), September drohend genug aus; der starke Wind bei dichtbewölttem Himmel versprach nichts Gutes für meine bevorstehende Seereise. Zudem weiden die Dampfer von Ort zu Ort immer kleiner. Das nächste Schiff soll zwar geräumiger sein, allein ich müßte dann noch siebzehn 124 Tage in Shangai warten, eine ;u starke Zumuthung in der vorrückenden Jahreszeit. Das Fahrzeug, zu dem ich verurtheilt bin, ein wahres Kinderspielzeug, heißt „Argus" und ist für die Beförderung von Passagieren gar nicht eingerichtet. Dieser klägliche Umstand verhinderte den Capitän nicht, nur für die Neberfahrt nach Tientsin sechzig Taels, d. h. hundertzwanzig Thaler, abzufordern. Der letzte Tag meiner Anwesenheit in Shangai mußte nothgedrungen einem Cirkel von Schiffscavitänen gewidmet werden, deren Unterhaltung, wie immer, in haarsträubenden Lügen bestand. Nach meinen: Dafürhalten kann die „Iagdgeschichte" sich längst nicht mehr mit der „Schiffsgeschichte" messen. Der Klipper eines diefer wahrheitsliebenden Berichterstatter segelte z. B. so ^asch, daß sein Befehlshaber alle halbe Stunden ein wenig halten und auf den Wind warten mußte. Um Sonnenuntergang traf der aus dem Süden kommende englische Postdampfer cm. Er hatte vor vier Tagen in den Gewässern von Hongkong mit einem furchtbaren Teifun gekamvft und starke Havarien erlitten. Die Nachricht lautete nicht ermuthigend. Um 11 Uhr Abends stieg ich in einen Tamvoon und erreichte nach einstündiger Fahrt und endlasen Fragen endlich dm „Argus", Wir waren in der Dunkelheit der bewölkten Septembernacht mehrmals an dem winzigen Schiffe vorübergefahren. „Argus" war kaum größer als die Steamer, welche die Communication auf der Spree zwischen Berlin und Köpenick vermitteln und ihre Schornsteine bereitwillig vor jeder Arücke umklappen. Bei meiner fväten Ankunft traf ich den Capitän und die gefammte Mannschaft fchon sattsam auf die Abfahrt vorbereitet, d. h. radical betrunken. Ich war genöthigt, mir über das enge Verdeck einen Weg in die mit ab-scheulich riechenden Waaren vollgevnckte Kajüte zu bahnen. Durch Fußtritte gelang es mir endlich, ein Subject ;u ermuntern, das noch soviel Besinnung auftrieb, mir ein Lager zu bereiten. Da, wie ich zu spät erfuhr, jeder Argus-Passagier sein Bett selbst zu beschaffen hat, erhielt ich nur das anderthalb Fuß breite Fragment einer Matratze, zu der ich mit Lebensgefahr über zwer Kisten und einen Tisch kletterte. Besagter Pfühl war etwas unbequem, und eine Analyse seines Innern ergab, daß die Füllung nicht aus Roßhaaren, sondern aus alten Tauenden, aufgedröselten Stricken, Fetzen von Segeltuch, zerrissenen Schuhen, abgebrauchten Matten und zerbrochenen Blumentöpfen bestand. Es dauerte eine ganze Stunde, ehe es mir gelang, meinem Lager seine Aehnlichcit mit einer Folterbank zu nehmen und mit Hülfe meines Plaid, den ich in ein Kopfkissen umgestaltete, ein Bett, gut genug für einen Hund, herzustellen. Am I. October, lange vor Tagesanbruch, begann die Ollvertüre der Abfahrt mit der Heizung der Maschine und Lichtung der Anker; der unglückliche „Argus" ragte kaum drittehalb Fuß über das Schmutzwasser des Mntsekiang hinaus. Eben so ticf ging der Capitän, jedoch nicht in Fluß« oder Seewasfer, 125 sondern in Whisky. Er trennt sich van der Flasche so wenig, wie eine Schild-wache von ihrem Gewehr. In der Mittagsstunde kamen wir an dem Feuerschiff vorbei und steuern aus die Saddle Islands, eine starre, nackte Felsengruppe. Der Lootse verläßt uns, und Capitän wie Steuermann begleiten ihn »üt einem Lpilog des tröstlichen Inhalts, es werde ihnen auch ohne seine Hülfe gelingen, noch einmal mit dem hochbejahrten „Argus" Tientsin zu erreichen. Tie Herren sprechen einander Muth ein und stärken ihre Herzen durch Whisky. Ich sehe mich während ihrer Unterhaltung nach einer leeren Portweinflasche um, füge meinem Testamente ein Lodicill hinzu und versiegle die Papiere in der Flasche, nachdem ich das Datum der Abfahrt aus der Flußmündung hinzugefügt. Ein unheimliches Gefühl sagt mir, eine Reise unter so jämmerlichen Verhältnissen könne nicht glücklich enden. Dann richte ich ein Gemetzel unter den Cockroaches an, die sich auch bei Tage nicht mehr von mir trennen wollen. Mein Helfershelfer bei dieser Unthat ist ein Hund, der trotz mehrerer Prügeltmchten nicht von mir weichen will und mir seinen Neberfluß von Flöhen mittheilt. Das arme Geschöpf war ursprünglich weiß, ist aber durch die auf Deck lagernden Kohlensääe schwarz gefärbt. Der für den zur Reise nothwendigen Vorrath an Heizungsmaterial ;u enge Schiffsraum zwingt uns, die Kohlen auch an diesem ungeeigneten Orte aufzubewahren. Die Theestunde brachte das erste unangenehme Reise-Intermezzo: der Steuermann, ein heulender Feigling, stürzte in die Kajüte und meldete, die Steuerkette sei gesprungen. Wir trieben stcuerlo5 in der Nähe steiler Felsen, doch war die Witterung zu unseren: Heile nicht unfreundlich und der Seegang nur mäßig. Nach zwei Stunden war der Schaden nothdürftig ausgebessert. Meine im Verlaufe des ersten Tages angestellten Beobachtungen haben nichts ergeben. Der Capitän, ein langer Schotte, auf dessen Nase eine Niesenwarze wuchert, ist nichts als ein roher Matrose und hat niemals eine Steuermannsprüfung bestanden; die Mannschaft besteht fast ganz aus entlassenen chinesischen Sträflingen. Sie sind leicht an ihren abrasirten Schädeln zu erkennen, da bei der Verurtheilung wegen eines Criminalvcrbrechens dem Schuldigen stets der Zopf aberkannt wird. Demgemäß wird auch von den Oberen mit diesen elenden Menschen umgegangen. Ich kam dazu, als der Steuermann, der zugleich den Schiffsarzt spielt, einen kleinen Matrosen, bei dem das Ricinusöl nicht mehr anschlug, zwingen wollte, einen großen Tassenkopf voll trockenen Bittersalzes zu sich zu nehmen. Trotz der Drohungen des Steuermannes mit der neunschwänzigen Katze, wollte der arme Mensch nicht Folge leisten und gehorchte erst, als der mordlustige Heiltünstler ihm drohte, ihm einen Zahn auszuziehen. 126 XVI l. Der „Argus" und sein Karawanenthre. Ein falscher Zopf. Mittel gegen Flühe. Hungersnoth und Leck. Die lehte Onte an Bord. lfine Seeräuber-Dschunke. Tic Ücbrnsgeschichte eincß deutschen Matrosen. Am Strande von Chifou. Unsere Lage wird mit jedem Tage trauriger. In der Nacht zwischen den: 2. und 3. October mußten sechs Mann unausgesetzt pumpen, um das elende Schiff über Wasser zu erhalten. Ich bin neugierig, in welchem Zustande der feine Thee, den der „Argus" geladen hat und der später über Peking zu Lande nach 2t. Petersburg geschafft werden soll, an Ort und Stelle anlangen wird. Die Kisten machen im Schiffsräume eine förmliche Seebadecur durch, und doch wird die Waare im Droguenhcmdel als „Karawanenthee" »erkauft. Mir geht es nicht besser wie den für den kaiserlich russischen Hof bestimmten Kisten; sobald ich mich auf das Verdeck wage, rollt die tobende See über mich hin, ich bleibe daher, mit entsetzlichen Zahn- und Kopfschmerzen behaftet, unten in der düstern Kajüte und suche Zerstreuung in der Gesellschaft der Cockroaches, da der einzige Reisegefährte, ein junger englischer Agent, sich als vollkommen ungenießbar erweist. Eine Abends am Horizonte auftauchende Dschunke mit fünf Masten war die einzige Sehenswürdigkeit des 3. October, wenn man nicht den betrunken am Boden liegenden Cavitän ebendahin rechnen will. Der elenden Verpflegung an Nord habe ich schon gedacht, ich sei;e mich^ wenn wir vier, der Cavitän, der Steuermann, der englische Passagier und meine Person, unsere Toilette vor dem einzigen lecken Waschnapfe aus Viech vollendet haben, mit immer neuem Widerwillen zu Tische. Nnser Hauptgericht besteht aus Ragouts von altem Salzfleisch; Kaffee und Käse find ausgegangen. Ter Schiffskoch, den die Küchencmgelegenh.iten nicht stark in Anspruch nehmen, widmet fich nebenbei der Cultur seines Zopfes; die Appetitlichkeit der Speisen leidet indessen nicht darunter. Es ist nicht wohl möglich, ein Haar aus dem Zopfe in den erwähnten Ragouts zu finden, da derselbe größtentheils aus schwarzer Seide besteht. Der gute Jünger Soyers hat als bestrafter Verbrecher nach seiner Entlassung aus dem Gefängnisse statt des abgeschnittenen einen neuen künstlichen Zopf angelegt, dessen Basis nur aus einem dürftigen Vüschel Haare besteht. Die invalide Maschine des „Argus" bringt uns nur langsam vorwärts, erst die Hälfte des Weges nach Tientsin ist zurückgelegt. Mit welcher Freude wird jede kleine Zerstreuung begrüßt! Vier kleine Vögelchen haben auf den Raaen des „Argus" Zuflucht gesucht und nähren sich uou unserem Ueberfluß an Fliegen. Außer Stande, bei den fortwährenden Schwankungen unserer Nußschale mich zu beschäftigen und wäre es mit dein Zusvihen einer Vlei 12? seder, sehe ich stundenlang der Jagd der Thierchen ;u und bewundere die Polizei-Verwaltung der Natur, wenn mir einer der flinken Spatzen den ärgsten Quälgeist von Brummer var der Nase wegfängt, Mehr Unterhaltung hätte uns eine Flaggen-Conoersation mit einein vorübersegelnden Varkschiff gewähren können; allein der „Argus" führte keine Signale an Bord, wir vermochten der Varke nicht Rede zu stehen. Der 4. October schloß nn't einem Unfall. Ein alter chinesischer Matrose, ein Mann von sechszig Jahren, fiel vom Mast und beschädigte sich innerlich so schwer, daß ich sein schmerzliches Stöhnen in der Kajüte hören konnte. Hätten mich diese traurigen Laute nicht häufig geweckt, ich wäre um meinen Schlaf zu beneiden gewesen. In der stärkenden Seelust und bei der vorrückenden Jahreszeit hole ich die seit Monaten versäumte Nachtruhe wieder ein. Am 5. October Morgens beabsichtigte der Capitän zur Verbesserung unseres Diners einige der über den „Argus" hinstreichenden wilden Enten zu erlegen, allein es fehlte an einer Vogelflinte wie an Schrot, und die mit gehacktem Blei geladene Nüchse wollte nicht losgehen; der viojectirte Entenbraten schoß schnatternd über unseren Köpfen hin. Rechtzeitig habe ich das gedruckte Reglement einer Dampfschifsfahrts-Gesellschaft gefunden, das fich in ein Paar meiner Stiefel verirrt hatte, und studire dasselbe, wenn ich mich von dem Lager erhebe oder zu Tische gehe. Der Scharfsinn, mit dem darin alle Rechte der (Gesellschaft wahrgenommen sind, ist erstaunlich, aber auch nicht ei» Paragraph nimmt sich der Reisenden an und gedenkt irgend einer Verpflichtung zu ihrem Vortheile und ihrer Bequemlichkeit. Die chinesischen Matrosen haben mir heute eine unangenehme Ueber-raschung bereitet. Ich weiß nicht, wie ihnen meine Klagen über den Flohreichthum des Köters zu Ohren gekommen, der, wie ich schon angeführt, sich nicht von meiner Person trennen wollte. Die unglückliche Creatur, ein Bastard von Spitz und Pudel, erschien über und über getheert in meiner Kajüte. Die Consequenz dieses kosmetischen Mittels besteht darin, daß die oberste Schicht des Ueberzuges bei der Tageswärme erweicht und der Hund überall anklebt, Nachts aber zu einem Panzer erhärtet und bei jedem Stoß gegen Tisch und Stühle ein garstiges Geräusch macht. Der Wind hatte sich im Laufe des Tages gebessert, und wir wären bei einer Schnelligkeit von sechs Knoten Fahrt in der Stunde rasch vorwärts gekommen, wenn nicht drei davon durch eine widrige Strömung verloren gegangen wären. In der Nacht setzte der günstige Wind jedoch um und warf uns, da die Maschine nicht zu arbeiten vermochte, an zehn Seemeilen zurück. Zugleich ist das Leck größer geworden, das Wasser im Naum binnen zwei Stunden um drei Fuß gestiegen, und die ganze Mannschaft pumpt unermüdlich hinten und vorn, um den „Argus" flott zu erhalten. Das Verdeck ragt nur noch einen Fuß über Wasser empor, und der Capitän beabsichtigt einen Nothhafen, Ehifou, anzulaufen, aber wir 128 haben nach seinen Berechnungen noch dreißig Seemeilen bis dahin zurückzulegen. Dort sollen auch frische Vorräthe von Lebensmitteln eingekauft werden, denn schon jetzt nagen wir halb und halb am Hungcrtuche. In der Kajüte über den feinsten Theetisten hängeu zwar noch einige geräucherte Schinken, allein diese sind schon verkauft und in Tientsin abzuliefern. Da sie nur lose an der Wand befestigt sind, fallen sie bei bewegter See in jeder Nacht herunter und veranlassen meinen getheerten Schoßhund zu einem kläglichen Geheul, das von den: Erbrechen zweier schwer an der Seekrankheit leidender Chinesen accompagnirt wird. Unter so angenehmen Bedingungen feiern wir den Geburtß- und Namenstag des „Argus" Vor dreiundzwanzig Jahren am 7, October war nach den Schiffsbüchern das unselige Fahrzeug vom Stapel gelaufen. Ich schlug dem Capitän vor, als er zu Ehren des Tages eine zweite Flasche Whisky leerte, heute gleich den — Todtenschein des „Argus" auszustellen. In der nächsten Nacht richtete der unaufhörlich tobende Sturm an Bord namenloses Unheil an, das Wasser im Raum ist nur noch mit äußerster Mühe durch Pumpen zu bekämpfen; mein Nachtlager ist seit dem zweiten Tage nach der Abfahrt nicht mehr trocken geworden. Das Seewasser sickert fortwährend auch von außen durch die Decke herein. Die Kisten mit dem „Karawanenthee" sind zusammengestürzt und bilden eine Barrikade vor dem Eingänge der Cabine, einer der vermoderten Schinken ist auf meine Matratze geflogen. Er, der getheerte Hund, eine ertrunkene Ratte und zwei wie vom Himmel gefallene alte Vrieftafchen leisten mir Gesellschaft. Zum Ueberfluß war bei Tagesanbruch der Kohlenvorrath bis auf den letzten Brocken erschöpft; um da» Feuer nicht erlöschen zu lassen, mußte Alles, was nicht niet- und nagelfest war, losgebrochen und verbrämn werden. Das Brennmaterial reichte dennoch nicht; zwei Meilen vor dein Nothhafen Chifou ging der Maschine von Neuem der Athem aus. Wir sind auf die Hülfe der Segel angewiesen, aber alle unsere Leinwand beschränkt sich auf einige zwanzig bis dreißig Quadratsuß durchlöcherter Lappen. Wenn nicht bald Hülfe kommt, sind wir verloren.. Das Federvieh, unsere letzte Hoffnung, ist im Sturm umgekommen, nur eine „letzte Ente" watschelt noch melancholisch, wie Thomas Moore's Melodie in Flotow's „Martha", auf dem Deck umher, aber wie leicht kann sie noch, ehe der Tisch gedeckt wird, zu ihren Vätern versammelt werden. Der Capitän scheint am Delirium tremens zu leiden, er phantasirt von Pfannkuchen, die am Sonntag gebacken werden sollen, vorausgesetzt, es gelinge dem Koch, das seine Mehl, welches er in der Verwirrung des letzten Teifun verlegt haben will, wieder aufzufinden. Der Stunn hatte momentan pausirt, aber am Nachmittag erhob er seine Stimme von Neuem und machte unsere sinkenden Hoffnungen vollends zu Schanden. Unser fast geistesabwesender Capiiän hatte sich überdies mn sieben 123 Meilen verrechnet, und der „Argus" schwankte die Nacht hindurch in der Nähe einer Felswand umher, an der in jedem Augenblick feine morschen Nippen zerschmettern konnten. Ein am Morgen des 9. October hart am Backbord vorübertreibender Schisfsmast, der einem gescheiterten Kriegsschiffe angehört haben mochte, wurde mit großer Anstrengung der Mannschaft aufgefischt und lieferte etwas Heizungsmaterial für die Maschine, doch war bei unserer weiten Entfernung vom Lande damit nur wenig gewonnen. Zu den Qualen des Hungers gesellte sich jetzt auch ein unerträglicher Durst. Der geringe Wasservorrath erlaubte nur noch die tägliche Vertheilung eines Glases lehmfarbiger stinkender Jauche an jedes Individuum; zum Naschen hatten wir uns schon mehrere Tage des Seewassers bedient. Die Matrosen, so feige sie sein mögen, gehen mit finstern Gesichtern umher und rotten sich zusammen. Schon früher haben sie fich über die dürftige Kost bei schwerer Arbeit beklagt. Der Durst scheint die armen Menschen zur Verzweiflung zu bringen. Ueber die verkauften Schinken sind wir, insoweit sie noch genießbar waren, schon hergefallen, auch die versprochenen Pfannkuchen sind wirklich gebacken worden. Ihre Anfertigung wurde durch eine aus dem Raume aufgefischte Bütte voll holländischer Dauerbutter unterstützt, die der Capitän vor mehreren Jahren für eine Schuld angenommen und vergessen hatte. Vei den unaufhörlichen Nachsuchungen in allen Winkeln wurde auch eine Quantität von verwittertem Neis aufgefunden, der trotz einer starken Beimischung von todten Ameisen und Mäusekoth unser Leben doch noch einige Tage fristen kann, wenn es uns gelingt, so viel Negenwasser aufzufangen, um ihn zu kochen; den Vorrath an Trinkwasser dürfen wir nicht angreifen. Ein Päckchen Kaffee, das wir gleichzeitig auf dem Boden einer Tonne entdeckten, erfreute uns mehr als ein centnerschwerer Goldklumpen, nur war keine Kaffeemühle vorhanden. Ich wickelte die Bohnen alfo in ein Stück Segeltuch und zertrümmerte sie mit der Breitseite eines Beiles. Weder in Paris noch in Wien habe ich jemals wohlschmeckenderen Kaffee getrunken. Der 10. October sollte das Matz unserer Leiden fast zum Ueberlaufen bringen. Vom frühen Morgen an folgte uns unablässig eine dreimastige, mit einem großen und zwei kleineren Mattensegeln versehene Dschunke, die nach der Behauptung des Eapitäns mit Piraten bemannt war. Nir mußten uns in Kriegsbereitschaft versetzen, hätten wir für unfere beiden Kanonen nur Munition, für unfere zehn Büchsen nur Zündhütchen gehabt, aber bis auf einige schartige Säbel waren wir vollkommen wehrlos, und der Capitän lief, flennend wie ein altes Weib, auf dem Verdeck umher. Der Steuermann, ich und der zweite Passagier machten mit den Geschützen einige Demonstrationen, indem wir sie anscheinend luden und auf die Dfchunke richteten, doch näherte sich das verdächtige Fahrzeug mehr und mehr. Um 11 Uhr Vormittags war es so nahe, daß wir in jeden: Augenblicke fürchteten, geentert zu werden. Hildebranbt's Ncise um die Erbe. II. -9 130 Es wäre unfehlbar geschehen, hätten die chinesischen Lumpe um unsere wehrlose Lage gewußt, aber sie schienen sich noch mehr vor uns, wie wir vor ihnen zu fürchten. Lautlos schoß die Dschunke dicht an unserem Spiegel vorbei, hundert Augen schienen uns aus dein Innern Zu beobachten; auf dem Verdeck war keine lebende Creatur zu erblicken. Vald darauf entschwand das unheimliche Fahrzeug unsere!» Wicken. Für den Fall, daß ein europäisches oder amerikanisches Schiff in Sicht kommt, haben wir aus allerlei Fetzen Nothsignale zusammengestoppelt und aufgehißt, aber unser „Argus" pfeift auf dem letzten Loche. Er treibt seitwärts, wie ein Wrack vor den Wellen, und noch sind wir ungefähr zwölf Seemeilen von Chifou entfernt. Wir blicken fortwährend gen Himmel, nur ein günstiger, milder Windhauch vermag uns zu retten. Äm 11. October schien eine gute Brise aufspringen Zu wollen; schon fünf Minuten später war sie wieder erstorben. Gleich darauf drangen die Matrofen auf den Capitän ein und forderten Wasser; bei ihren drohenden Geberden blieb nichts übrig, als es ihnen zu bewilligen. Morgens verweigerte nur der Koch sowohl einen Schluck Wasser, wie eine Tasse Kaffee, erst nach fürchterlichen Drohungen und Vorwürfen, der englische Passagier habe beides erhalten, wurde mein Verlangen befriedigt. Das Elend verbrüdert die Menfchen, die Matrosen nähern sich mir, in dessen Augen sie Theilnahme lesen, und ich entdecke unter ihnen einen ^ands-mann, dem ich seine Lebensgeschichte abfrage. Auf Helgoland geboren, hat er schon im zehnten Jahre Vater und Mutter verloren und ist auf einem holländischen Kauffahrer als Schiffsjunge nach Java gegangen. Unterstützt durch einige Ersparnisse, hat er in reiferen Jahren sein Glück als Goldgräber in Californien versucht, auch wirklich in jedem dieser Länder an fünfhundert Pfd. Sterling gewonnen, aber durch eigenen Leichtsinn und böse Beispiele bald wieder verloren. Zehnjährige Dienste als Steuermann brachten ihn abermals in den Besitz einer Summe von dreitausend Dollars, mit denen er nun ein reicheren Gewinn versprechendes Geschäft zu unternehmen gedachte. Er kaufte europäische Gewehre und Revolver, verschiffte sie gemeinsam mit einem Kameraden in einer gemietheten chinesischen Dschunke und begab sich zu den Rebellen (Taipings), um sie dort für den doppelten Preis zu verkaufen. Die unglücklichen Schmuggler wurden von den Engländern, den Verbündeten der Chinesen, erwischt und dem englischen Consul in Shanghai, nachdem man sie des letzten Hellers beraubt, an Händen und Füßen mit Ketten beladen, übergeben. Der Matrose meinte, er und sein Freund würden sich, falls sie den Chinesen in die Hände gefallen wären, Zur Wehre gesetzt nnd einen ehrlichen Soldatentod der Gefangenschaft vorgezogen haben. Von dem Widerstände gegen die Engländer hätte sie der drohende Galgen abgeschreckt. Die Waffenspenllation sollte ihnen sehr schlecht bekommen; sie wurden zu 131 tausend Tollars Geldstrafe oder sechs Monaten Gefängniß verurtheilt, unt> entschlossen sich, da ihnen kein Farthing zu Gebote stand, letztere abzusitzen. Aus dein Gefängnisse waren sie direct auf den „Argus" gegangen; fünfundfünfzig Jahre alt, mußte der unglückliche Helgoländer jetzt von vorn anfangen^ Sein Beispiel steht nicht vereinzelt da. Mir sind in den indischen und chinesischen Gewässern viele deutsche Matrosen begegnet, die, durch die hohen Löhne und die Hoffnungen auf Ersparnisse verlockt, ihr Leben in diesen. Gegenden zugebracht, aber meistentheils nichts erübrigt hatten. Tie sinnlose Lebensweise der Seeleute mag hauptsächlich die Schuld tragen, wenn die unbesonnenen Menschen noch in späteren Jahren sich allen Mühseligkeiten des harten Schisssdienstes untergehen mußten. Eines weiteren Nrtheils über meinen guten Helgoländcr enthalte ich mich weislich, trotzdem sein Gesicht zu den sogenannten Galgenphysiognomien gehört und zu einer psychologischen. Analyse herausfordert. Der Widerspruch zwischen den sanften, elegischen Micnenspielen berühmter indischer Großen und Mandarinen und ihren Blutthaten hat mich an der Nichtigkeit der Wissenschaften Lavaters und Galls vollkommen irre gemacht. In Parenthese bemcrkt, kann von seemännischen Ersparnissen gegenwärtig nicht wohl die Rede sein. Tie Course an der Matrosenbörse stehen schr niedrig. Noch vor einigen Monaten wurde der Kopf monatlich mit dreißig Dollars bezahlt, jetzt ist der Preis in F-'lge de5 starken Angebots auf die Hälfte hinabgesunken. Der Wassermangel plagt uns am ärgsten. Tie Matrosen erhalten zwar regelmäßig ihr Glas, kommen aber nicmals damit aus. Es ist absolut unmöglich, diesem Volk begreiflich zu machen, daß in einer solchen traurigen Lage jede denkende Creatur auch für den nächsten Tag zu sorgen habe. Auf den durch Trunk schwachsinnigen Eapitän ist nicht zu rechnen; es bleibt mir nichts übrig, als mein geringes „Pidicn-Englisch" zusammenzuraffen und den schmachtenden Menschen gütlich zuzureden. Ihr Anblick ist gräßlich, vor Hunger und Durft sind ihre Augen tief in die Schädel zurückgesunken, und ich selber weiche consequent den halberblindeten Spiegelscheiben in der Kajüte aus, da M'r das Gcfühl sagt, ich sehe nicht besser aus als die übrigen Dulder. Unglücklicherweise trauen mir die Matrofen nicht, wenn ich ihnen meine abgezehrten Hände hinreiche und die brennend heiße, vertrocknete Zunge ausstrecke-, der Cavitän hat sie oft durch allerlei lcere Ausreden getäuscht, sie behaupten: in der Kajüte würden heimliche Vorräthe aufbewahrt und wir stillten hinter ihrem Rücken Hunger und Durst, Einc Revolte steht nahe bevor. Dessenungeachtet sind der Cnpitän und Steuermann weit entfernt, mit uns beiden Reisenden gemeinsame Sache zu machen, ersterer entblödet sich nicht, ganz laut zu sagen: „Mes Unglück käme nur von uns Passagieren, dcr Teufel solle ihn neummdneunzigtausendmal holen, wenn er jemals wieder einen mitnehme!" Ich trenne mich nicht mehr von meinem Revolver. Obwohl unser '.>* 132 geringer Wasservorrath auf die Neige geht, leidet der Capita,, leinen Durst-cr entwickelt unausgesetzt neuen Whisky. Drei an der Dysenterie leidende Matrosen sind von uns noch am glücklichsten. Sie erhalten allabendlich aus den Händen des Doctors, d. h. des Steuermanns, drei riesige Opiumpillen und müssen sie unter seinen Augen verschlucken, ein solches Extraordinarium an Consumtibilien ist bei der Sachlage nicht gering zu veranschlagen. Ich habe für mein Theil ein Auge auf die zahlreich vorhandenen Heftpflaster der so-genannten Echiffsapotheke geworfen. Ueber ihre Zurichtung bin ich mit mir noch nicht einig. Hinsichtlich unserer Mahlzeiten sind wir jetzt auf die letzten Fragmente von Schiffszwieback angewiesen, und ich habe mir am 11. October an diesem Urgebirge von Vackwerk einen ein wenig schadhaften Backzahn aus-gebissen. Der Wind ist uns noch immer ungünstig, und der „Argus" wird in der Vni von Wogen und Strömungen hin- und hergctrieben. Aus Verzweiflung legen wir uns auf den Fischfang, jedoch ohne den geringsten Erfolg. Auf die Sorte, von: Haifisch bis auf den Stint hinab, käme es uns gar nicht an, wir äßen die Beute ohnehin roh; aber nichts, was Flossen hat, will anbeißen. Unter den Matrosen stehen nur noch drei weiße Arbeitskräfte zur Verfügung. Wären wir abergläubisch, wir hätten Ursache, an unser herannahendes letztes Stündlein zu glauben: eine graue Ohrcule saß den ganzen Vormittag über auf dem Vordermast und besichtigte uns als eine wohlverbürgte Mahlzeit. Um dem Schicksal wenigstens hartnäckigen Widerstand zu leisten, habe ich die Uebcrbleibsel von meinen Zw'ebacks-Dincrs und Soupers gesammelt, mit der Breitseite des Beils pulverisirt und als „Revalenta Arabica" für die äußersten Fälle aufbewahrt. Mein Helgoland« hat mir dabei Hülfe geleistet und erzählt, daß er auf einer feiner Fahrten zweiundvierzig Tage uon ungekochtem Reis gelebt habe. Die Nachsuchungcn an Bord werden fortgesetzt, und wirklich konnte fich dcr Steuermann der Entdeckung einer Büchse Anchovis rühmen, die leider durchaus ungenießbar war. In Folge der mangelhaften Ernährung leidet jetzt die gesammte Mannschaft an dcr Dysenterie, und ver starke Arznciverbrauch zwingt den Steuermann, die kranken auf halbe Pillendiät -zu setzen. Gegen Abend fiel das erste Opfer der Hungersnoth, mein getheerter Kajütengenosse. Er hatte mich den Tag über mit schwer-müthigen Blicken verfolgt und ick) ihm wiederholt von meinem Zwiebackspulver angeboten, um 5 Uhr neigte er fein Haupt und verschied. Ich weinte ihm eine heiße Thräne und verzehrte dann den Bissen Pulver, den ich ihm soeben hingehalten, selber. Kurz vor Sonnenuntergang zertheilten sich die Wolken und in einer Entfernung von ungefähr zwei Milen erschien das Festland mit Chifou, Es wurden unsägliche Anstrengungen gemacht, den Hafen zu erreichen, aber ohne Dampftraft und ausreichende Segel war es unmöglich In der Nähe eines riesigen starrcn Felsenblocks befahl der Capitän die Anker auszuwerfen. An, 13. October sank in den Friihstundcn das Barometer so 133 tief, daß wir uns auf einen Sturm vorzubereiten hatten. Um 6 Uhr begann das grauenhaste Concert wirklich, und nun hängt unser Wohl und Wehe allein von der Haltbarkeit der Anker, ihrer Ketten und Taue ab, doch verlief der Tag leidlicher, als ich nach der Eröffnung der Matiw'-e vermuthet hatte. Der Sturm follts am 24. October an Stärke noch wachsen, und alle Wellen stürzten über das Verdeck des „Argus". Die Kalte nimmt zu, mit zitternden Händen habe ich alle meine dickeren Röcke angelegt und mich bebend vor Heißhunger und Frost in der Kajüte auf meiner Matratze ausgestreckt. Zu meinem Glück hat der englische Agent in der vergangenen Nacht das geheime Whisky-Magazin aufgefunden und einige Flaschen in Sicherheit gebracht, wir halten ein köstliches Tiffin: Zwiebackvuluer mit Whisky-Tunke. Der Agent hat außerdem ein Schauessen auf den Tisch gesetzt, einen abgenagten Schinken? knochen aus dem Nachlaß des vorgestern verstorbenen Theerspitzes! Auf Hülfe aus dem Hafen von Chifou dürfen wir nicht rechnen. Einmal find alle Dschunken in das Innere der Vucht zurückgezogen, dann ist es aber auch nicht die Sache der Chinesen, sich mit gefährlichen Rettungsversuchen abzumühen. Unsere heutige Mittagsmahlzeit bestand in elf im Schiffsräume aufgefischten Kartoffeln, in welche sich fünf Mann getheilt haben; wie wirb das enden?! XVIII. KriegKrath. Im Voot an's Land. Gerettet. Wcih-Hci-Wcih. Ein Bürgermeister-Mandarin. Holzeintauf in Liu-Eung. Chinesische Dorfbewohner und ihre Titten. Chifou. Hühner mit Entcnfüßcn. Fische mit Hundcliipfcu. Trachen. Die verzweiflungsvolle Lage des Schiffes, die drohende Meuterei der Mannschaft und der verschwindend kleine Vorrath von Lebensmitteln, die aus einen; Napf voll schmutziger Reiskörner und einer Handvoll Kaffeebohnen be« stehen, zwingen endlich den Capitän, sich aus seinem Stumpfsinn aufzuraffen und unsere Rettung zu versuchen. Ein aus dcm Steuermann und beiden Passagieren unter dem Vorsitz des Trunkenboldes bestehender Kriegsrath beschließt, das Wagnis; zu unternehmen und ungeachtet dcs furchtbar hohen Seeganges cin Voot nach der Küste von Chifou zu entsenden. Der Steuermann, der englische Agent und vier Matrosen, die am wenigsten durch Hunger gelitten haben, sind zu der verwegenen Fahrt ausersehen. Der Engländer hofft in Ehifou irgend einen Landsmcmn anzutreffen und mit seiner Hülfe Lebensmittcl und Heizmaterial zu schaffen. Vor Abgang des Bootes mache ich mit ihm noch ein nach Umständen sür mich sehr vortheilhaftes Geschäft. 134 Er hat einige Flaschen Sodawasser erübrigt, die er mir gegen ei» Bündel feiner Cigarren abtritt; mit dieser Flüssigkeit hoffe ich bis zur Rückkehr des Bootes mein ^eben zu fristen. Äuf eine Mahlzeit habe ich verdichtet. Sobald inich das unleidliche Ekel- und Wehgefühl, die Folge des Heißhungers, über-inannt, bekämpfe ich es durch einen Schluck Sodawasser. Tas Voot verließ uns um 8 Uhr Morgens, und anderthalb Stunden hindurch folgte ich ihm mit dem Fernglase, wenn es bald hoch auf den Kämmen der Wogen erschien, bald in ihren tiefen Thälern versank; endlich verschwand es hinter einem Felsuorsprunge. Hatte mich so lange die Spannung aufrecht erhalten, so brach ich jetzt aus Nervenschwäche plötzlich zusammen. Das Erbrechen, an dem wir Alle schon seit mehreren Tagen leiden, nahm überHand, mir würbe schwarz vor den Augen und unter qualvollem Würgen sank ich auf dem Verdeck halb ohnmächtig zu Boden. Wie lange ich in diesem Zustande gelogen habe, vermag ich nicht ainugeben, fo großes Elend lost alle Vande der menschlichen Gesellschaft; an Bord kümmerte sich Niemand mehr um den Andern. Eine üdcr das Verdeck wegrollende Woge brachte inich wieder zum Bewußtsein zurück, die Sonne war durch den Meridian gegangen, es mochte 3 Uhr Nachmittags sein. Zehn Schritte von mir hatte sich die Mannschaft versammelt und starrte bange und schweigend in die Ferne; wild hin- und hergeworfen von den tobenden Nassern, näherten sich uns zwei Voote. Eine Stunde später waren sie uns so nahe, daß ihre Rettung und Ankunft gesichert crschien; nun brach an Vord ein unermeßlicher Jubel aus. Wie einem Mnde liefen auch mir die heißen Tropfen über dic Wangen. Waren sie Freuden-thränen, so wüßte ich nicht ihr wohlthuendes Gefühl zu rühmen; ich glaubte, mir würde das Herz brechen. Veide Voote waren mit chinesischen Ruderern bemannt, das erste brachte ein halbes Schwein, Hühner, Enten, Eier, Mehl, Zucker und Holz zum Kochen, das zweite Trinkwasser. Dieses war einfach in das Voot gegossen und zwölf Chinesen hatten ihre schmutzigen Beine darein getaucht, aber nie hat mir ein Festtrunk goldenen Rheinweines köstlicher geschmeckt, als dic erste Handvoll dieses trüben Wassers. Vald darauf erschien unser eigenes Boot mit der Hiobspost: der von unserem Cavitän gesuchte Ort Ehi sou liege fünfzig englische Meilen weiter östlich, und das vor uns liegende Städtchen heiße Weih-hei-Weih (Oic-Hei-Oie). In der Zwischenzeit hatte der Koch etwas Schweinefleisch gebraten, ich warnte die Matrosen, allzu gierig und allzu viel zu essen, ohne doch meine Rathschläge selber gewissenhaft zu bewlgen; dann streckten nur uns auf den Matratzen oder Schisfsplanten aus und versanken in einen wa,ren Todtenschlaf. In der Nacht legte sich der Sturm, und als wir am 16. October um halb 4 Uhr ausstanden, war die See beruhigt nnd eine abermalige Expedition 135, an die Küste konnte ohne Gefahr unternommen werden. Vor allen Dingen mußten wir Holz oder Kohlen für die Maschine schaffen. Etwas gestärkt, schloß ich mich dein englischen Agenten an, mich der chinesische Koch und der Maschinenmeister waren von der Partie. Um ? Uhr landeten wir bei dem Fischerdorf Liu-Cung und wanderten uon hier aus, begleitet fast von der gesammten Einwohnerschaft, nach der kleinen Stadt Weih-Hei-Weih. Noch wenig mit Europäern in Berührung gekommen, vermochte die Bevölkerung schlechterdings nicht ihre Neugierde zu bezähmen. Der Janhagel folgte uns auf den Fersen und betastete unsere Kleider, Schuhe, Strümpfe, Knöpfe und Halstücher so unverschämt, daß wir uns zuleyt mit energischen Rippenstößen eine Gasse bahnen mußten. Das unsaubere Nest ist mit einer Mauer und mehreren Wachtthürmen ohne Kanonen umgeben; ein Doppelthor führt in das Innere der Stadt. Unmittelbar davor erhebt sich ein Monument, doch war es nicht dem Andenken eines großen Herrschers oder Feldherrn, Denkers oder Dichters gewidmet, sondern nur dem Gedächtniß einer tugendhaften Frau. Da jede Nation durch steinerne Denkmäler allein jene menschlichen Eigenschaften zu verherrlichen und zu verewigen trachtet, welche nicht ;u den Gemeingütern unseres Geschlechts gehören, sa scheint die Sittlichkeit der chinesischen Damen nicht über allen Zweifel erhaben zu scin und der kräftigsten Ermunterung durch nationale Auszeichnungen zu bedürfen. Für die Sicherheit des Ortes sprachen nicht die an den meerwärts gelegenen Wachtthürmcn ausgehängten Waffen, Luntenflinten, Pfeile und Bogen. Sie sind dazu bestimmt, anrückende Feinde und Räuber zu schrecken. Gleichzeitig machen oi>: Besatzungen der Thürme, um ihre Wachsamkeit zu bethätigen, auf Gongs, Tamtams, Trommeln und Pfeifen eineil Heidenlärm. Mitten in der Stadt, auf dem sehr belebten Marktplätze, sahen wir wohl, daß die Bürgerschaft von Weih-H^i-Weih triftige Gründe hatte, wachsam zu sein. In anderthalb Sclnch hohen, an acht Fuß langen Nambusstangen aufgehängten Käfigen aus dünnem Rohr waren sechs abgeschlagene Piratentüpfe ausgestellt und mit den Zöpfen an der Decke befestigt. Der Executiubehoroe mochten nur sechs Käsige zur Verfügung gestanden haben, denn ein siebenter Kopf lag noch blutig zwischen Fleisch- und Gemüsehändlern auf dem Pflaster. Nahebei saßen vier minder gravirte Verbrecher in schweren hölzernen Halskrägen und wurden von den Fliegen, die zu Tausenden ihre Kahlköpfe und Gesichter bedeckten, fast aufgefressen. Wie es unsere Schuldigkeit war, machten wir dem Mandarinen-Bürger» meister unsere Aufwartung und wurden sehr artig mit Thee und Pfeifen empfangen. Wir erkundigten uns, ob Holz und Kohlen vorhanden seien, und erfuhren, daß man uns im Dorfe Liu-Cung etwas Holz ablassen könne; mit Kohlen sei man nicht versehen. Die Sehenswürdigkeiten des Ortes waren 136 mit Ausnahme dreier geputzten Jungfern, vieler wilden Hunde, einiger Miniaturtempel, umgeben von Mandarinenstangen mit rothen und gelben Knöpfen, und mehrerer, Dreschens halber auf der Tenne im Kreise lustwandelnder Maulesel, nicht der Rcde werth. Nir eilten, nachdem wir uns satt — und hungrig gesehen, spornstreichs nach Liu-Cung zurück. Das Holzgeschäft wurde nicht so glatt abgewickelt, als wir gehofft hatten. Zuerst leugneten die Dorfbewohner den Besitz aller Arten von Holz, nach einer Stunde Bedenkzeit und diplomatischer Unterhandlungen gestanden sie, etwas Vrennholi zu besitzen, aber es bedürfte noch vielfacher Ucbcrredung, um sie zum Verkauf zu bewegen. Gleich schwer und langwierig ! ar es, sich mit ihnen über den Preis zu einigen. Endlich waren fünf Boote beladen und es sollte abgefahren werden, als die Verkäufer neue Schwierigkeiten erhoben. Sie wollten nicht eher vom Lande abstoßen, bis wir ihnen für jedes Voot zehn Dollars Transport- und Verladungskosten bewilligt hätten. Eine folche Unverschämtheit war selbst für meine Nachgiebigkeit zu viel, wenn ich auch nicht, wie der englische Reisegefährte, gleich zum Revolver griff und vom Lcder zog. Das wilde Gesicht und das Zähnefletschen des Agenten schüchterte die chinesischen Lumpe ein, und nach mehrerem Hin- und Herrcdcn erklärten sie sich mit drei Thalern pro Voot für zufriedengestellt. Als die Holzladungen, abgefahren waren, wollten wir einige Schafe kaufen, man führte uns jedoch nur Ziegen vor und behauptete auf unseren Widerspruch: diese seien Schafe. Während der Unterhandlungen hatten mir unsere Zeit nicht verloren, am Strande Fifche gekauft, gekocht, süße Kartoffeln geröstet und mit etwas Reisbranntwein aus der Dorfkneipe ein glänzendes Mittagsmahl gehalten. Die dort feilgebotene Kost sah so abscheulich aus, das; wir nicht zuzugreifen gewagt hatten. Statt der Ziegen kauften wir auf, was von Hühnern, Enten, Eiern, Weintrauben und Salz im Dorfe vorhanden war. Das Betragen der Ve-wohner hatte nichts mit den feinen Sitten der Großstädter Chinas gemein. So nahmen sie uns ohne Weiteres die brennenden Cigarren aus dem Munde^ ließen sie im kreise herumgehen und stellten sich beleidigt, wenn wir die nassen Stummel nach diesem Rundgange empört zurückwiesen. Als wir unser Fischgericht verzehrten, entblödeten sie sich nicht, mit ihren Asfenpfoten in die Schüssel zu greifen und uns vor der Nase die besten Bissen wegzuschnappen. Erst als der Agent aus dem Kessel einen Napf heißen Ealzwasfers schöpfte und über die Hände und Arme der Schmarotzer ausgoß, wurden wir von ihrer Gegenwart befreit. Besonders hatten wir auf die blanken Knöpfe unferer Röcke Acht zu geben; dem Steuermann wurden ihrer drei abgeschnitten, ohne daß er es zu hindern vermochte, Dcr Abend brach herein, als wir den Dampfer erreichten. Welchen Verdacht wir den Strandbewohncrn eingeflößt hatten, ging daraus hervor, dah lein weibliches Individuum zum Vorschein gekommen war. Die 137 ganze Nacht hindurch wurde mit dem Aufgebot der letzten Kräfte daran gearbeitet, den Dampfer in Stand zu setzen, um aus dieser gefahrdräuenden Bucht fortzukommen. Nie recht wir daran gethan, erhellte ein Jahr später (October 1864) aus dem Untergange des großen Kriegsdampfers „Nacehorfe", der mit siebenhundert Mann Besatzung angesichts Neih-Hei-Wcih an den Felsen der Küste zerschellte. Unsägliche Mühe und Zeit kostete es, an den Rädern der Maschine die Schaufeln von Neuem zu befestigen, die vor zehn Tagen des Eegelns halber abgelöst worden waren. Um 7 Uhr Morgens am 17. October waren wir mit allen Ausbesserungen fertig und unser Seelenverkäufer von Küstenfahrer stach abermals in 3 es. Die Fluth unterstützte uns, und wir machten zu meinem gerechten Erstaunen sieben Knoten in der Stunde. Höher hätten wir es aber unter den günstigsten Umständen nicht bringen können, denn so wie an Vord des „Argus" Alles kurz gehalten, war auch die Logleine zu kurz und immer nach sieben Knoten abgelaufen. Der Horizont war weithin mit Nebel bedeckt und die Luft ruhig; der plötzlich aufspringende Wind kam uns nicht zu statten. Nachdem wir bis zwölf Uhr der Küste entlang gefahren waren, begegnete uns ein großes Fischerboot, von dem der Capitän einen Lootsen an Vord nahm. Der kundige Mann half uns jedoch nicht viel, fünf Minuten später stand die Maschine wieder still. Angeblich war das Brennmaterial aufgebraucht, und wir müssen fünf Seemeilen von Chifou noch einmal den Anker auswerfen. Dem rettenden Port fo nahe, unternehmen unsere schon angeführten Emissäre um 1 Uhr eine Bootsfahrt nach Chifou, um uns Hülfe und eine ausreichende Kohlenmasse zu schaffen. Der Ankerplatz ist höchst gefährlich, der morsche Dampfer über und unter dem Wasser von Felsmassen umgeben. Nachmittags 2 Uhr sprang eine frische Nordost-Brife auf, die zwölf Tage früher, und wenn auch nur von der Dauer weniger Stunden, uns alles Elend erspart hätte. Jetzt bringt sie uns keinen Nutzen, der Capitän ist zugleich mit dem Anker zu Boden gefnnken und liegt sinnlos betrunken in der Kajüte, der Steuermann ist nach Chifou unterwegs, und der Dampfer — ohne Befehlshaber. Bci der geistigen Verfassung des Capitäns, der in jedem Augenblick in das Delirium tremens verfallen und einen Erceß begehen kann, halte ich es für rathfam, heute Abend mich nicht der Kleider zu entledigen und auf das Acußerste gefaßt zu machen. Vorläufig ziehe ich von dem Branntwein-Arsenal den Schlüssel ab und stecke ihn in die Tasche; dem Capitän ist die scharfe Munition somit abgeschnitten. Mein Entschluß steht fest, und ich benutzte die Stunden der Nacht, um die Aufzeichnungen der letzten Unglückstage zu vervollständigen. Vielleicht interessiren den zoologisch gesinnten Leser vie schwarzen bärenartigen Schweine, welche gestern in Weih-Hei-Weih auf dem Pflaster lagen, den Botaniker und Gourmand die süßen Kartoffeln, welche sich durch ihren scifenartigen Geschmack dem Gaumen für 138 immer einprägen, ein Gemüse für Schiffbrüchige und begnadigte Seeräuber, abgeschnittene Selbstmörder und erwachte Deliranten. Die Nacht war sternenklar und windstill, die Milchstraße etwas verblichen, wie mit Regenwasser vordünnt, doch folgte am 18. October um tt Uhr früh ein malerischer Sonnenaufgang, den ich für das kleinste von Chifou eintreffende Voat hingegeben hätte. Aus langer Weile stellte ich heute eine Untersuchung meiner Physiognomie vor dein Spiegelscherbcn an und entdeckte, daß ich in letzter Zeit eine Menge grauer Haare bekommen habe. Die Augen stehe» uns Allen in Folge der Hungcrsnoth noch immer einen halben Zoll aus dem Kopfe heroor. Noch vierundzwanzig Stunden sollten wir in den bangsten Erwartungen verleben, erst am 10. October, um 7 Uhr früh, traf das ersehnte Boot mit Kohlen ein' wir waren geborgen. Ter ruchlose Capitän theilte nicht meine Empfindungen der Dankbarkeit gegen die Vorsehung, es bedürfte fogar meiner dringenden Fürbitte, ehe er den die Kohlen einschiffenden Chinesen ein wenig gekochten Reis und einen Eimer Wasser, um den sie ihn anflehten, bewilligte. Rasch wurde gefeuert, und nach einer halben Stunde dampften wir munter nach Chifou. Die Sonne hatte den höchste» Stand des Tages erreicht, als wir dort anlangten und sogleich an Land gingen. Chifou ist ein bedeutender Handelsplatz im nördlichen China, aber nicht durch Schönheiten der landschaftlichen Lage und Architektur bemerkenswcrth. Der Hafen wimmelt von Dschunken, in den engen halbgcpflasterten Straßen tummeln sich Tausende betriebsamer Menschen, die Basars strotzen von Utensilien des chinesischen Lebens, auf dem von cinem Tempel mit zwei Thürinen begrenzten Marktplatz häuft sich der gewöhnliche Wirrwarr einer chinesischen Stadt: Vertreter der Landeskirche und des Handels, der Schauspiel- und Barbierkunst, auf dem Rücken von Kulis reitende Frauen und Mädchen mit unbenutzbaren kleinen Fußklumpen und stolz berittene Mandarinen mit Gefolge-, den Hintergrund bildet cin Cnfemble uon Schweinefleisch und Fischen, Grünzeug und Obst. Hochberühmt sind die Kohlköpfe von Chifou, sie werden durch ganz China versandt, doch war augenblicklich die Nachfrage flau; für wenige Cash hätte ich ein förmliches Monstrum dieser blühenden Feldfrucht kaufen können. Die Einfahrt von Chifon mit einein seltfam gesonnten Felfen zur Rechten und dem alten Wachtthurm auf den Höben des linken Ufers war mir so malerisch erschienen, daß ich, statt in der etwas langweiligen Stadt umherzuschweifen, eine Barke miethete und hinausfuhr, um die Contouren der Nedutte, insoweit cs die bewegte See gestattete, flüchtig zu ski^iren. Mein Ausflug war nicht unbemerkt geblielx-n. Am Landungsplätze erwarteten mich mehrere Kulis, auf deren Rücken in kleinen Lehnsesseln junge Chinesinnen sahen, und boten mir ihre Gebieterinnen während meines Aufenthalts als Gesellschaftsdamen an. Ter Artikel schien nicht „gefragt" Zu sein, denn das 139 außer freier Etation geforderte Honorar war überaus mäßig. Mehr belustigten mich einige Chinesen, die am Strande umherlungerten und europäischen Matrosen als wundersame Naturproducte des himmlischen Reiches Hühner mit Enten- oder Gänsefüßen aufzureden suchten und die einfältigen Gesellen wirklich prellten. Eo gewiß der frechste Betrug vorlag, gelang es mir doch nicht, selbst bei der genauesten Untersuchung die Spuren zu entdecken, wo und wie die falschen Veine angesetzt waren. Starken Abgang hatten Skelette von Fischen mit — Hunde- oder Katzenschädeln, und wurden in meiner Gegenwart nicht weniger als vier Exemplare an englische Seefahrer verkauft. Unseren Capitän traf ich gleichfalls in der Nähe des Landungsplatzes. Er hatte die Zeit gewissenhaft benutzt, und, wie er mir bekannte, einige Dutzend Flaschen fus^llreien „Samschu" (Branntwein) eingekauft. Um jeden Zweifel zu verhindern, zog er gleichzeitig eine Flasche aus der Tasche und schenkte mir ein Glas ohne Fuß ein, von dem der vor Durst verschmachtende arme Sterbliche sich niemals trennte. „Geniren Sie sich nicht/' sagte er, als ich die Herzstärkung ablehnte, „ich habe uns reichlicher versehen; Sie werden mein Schiff nicht mehr trocken trinken!" Ein Spaziergang vor die Thore Chifou's, den ich Nachmittag unternahm, wurde durch ein polizeiliches Verbot unterbrochen; in Ehifou herrscht noch der frühere chinesische Rigorismus gegen die Fremden. Nur hinderten mich die Polizisten nicht, den Honoratioren des Ortes zuzuschauen, die bei dem frischen Herbstwinde unzählige Drachen steigen ließen. Es mochte damit eine religiöse Ceremonie verbunden sein, denn die Herren lagen diesem Kinderspiele mit größtem Ernste ob. Die Drachen waren sehr zierlich aus Papier oder Seide angefertigt und stellten Vögel, vierfüßige Thiere oder Schmetterlinge vor. Oar gern wäre ich bis -u einigen auffallend eleganten Landhäusern vorgedrungen, aus denen eine Menge bunter Drachen aufgestiegen war; allein die Polizei vertrat mir den Weg und gebot mir mit nicht mißzudcutenden Geberden, in die Stadt zurückzukehren. Was sollte ich hier thun? Ohne einen landsmännifchen Cicerone blieb mir nichts übrig, als mich an Vord des abscheulichen „Argus" zu begeben. Ueberdies war die drückende Hitze in den engen Straßen der unsaubern Stadt nicht länger zu ertragen. Das Aussehen unseres Verdecks hat sich inzwischen etwas verbessert, ich kam gerade an, als die ueu angekauften Vorräthe untergebracht worden waren, und hörte noch die letzten Flüche, mit denen unsere Matrosen die chinesischen Kulis zur Arbeit ermuntert hatten. Treten nicht außerordentliche Umstände ein, so haben wir unterwegs eine abermalige Hungersnoth nicht mehr zu fürchten. Außer einigen lebendigen Schweinen sind mehrere Hammelkeulen angekauft, das Achtel von einem Ochsen, Fische und Gemüse, ja selbst Pfeffer, Senf und Essig, die uns seit zwei Tagen vollkommen ausgegangen waren, Nei so glänzenden Aussichten für die Küche nehme ich leinen Anstoß daran, daß die siebenhundert 140 Kohlensäcke, die im Schiffsraum, auf Deck, in den Kajüten, überhaupt in jedem noch disponiblen Winkel des Dampfers untergebracht find, bei jedem festen Fußtritt eine schwarze Staubwolke «erbreiten, welche unsere Gesichter und Leibwäsche, mit zolldickem Schmutz bedeckt. Eben ist der Capitän eingetroffen und beeilt sich den garstigen Staub mit einer Flasche Schnaps hinabzuspülen. Am 20. October bei einem entzückend schönen Sonnenaufgang lichteten wir um ? Uhr die Anker und verließen die Bucht von Chifou, aber schon nach einer halben Stunde ivar auch die letzte Spur des herrlichen Farbenspieles verschwunden. Graue Wolken hatten den Himmel bedeckt und der Regen goß in Strömen herab; der nordische Herbst verleugnet auch in dieser Zone nicht seinen rauhen Charakter, Wir steuern der von Dunst umwodenen Küste entlang an kleinen Flecken und Fischerdörfern vorüber, und beabsichtigen, um eine Strecke Weges abzuschneiden, die schmale Meerenge von Miau Tau zu passiren, verzichten aber darauf, da der Capitän eben niedergestürzt ist und zu Bette gebracht werden muß. Der spärliche Raum und der Aufenthalt in frischer Luft ivird uns durch drei chinesische Deckpassagiere geschmälert, die den einzigen schattigen Play occupiren, als die Sonne wieder ;um Vorschein kommt. Einer der Touristen scheint ein wohlhabender Mann zu scin, führt zweiundzwanzig Gepäckstücke mit sich und hält einen Diener. Ueber ihren Mangel an Taschentüchern würde ich keine Worte verlieren, wenn der starke Schnupfen, an dein Neide leiden, mich nicht fortwährend daran erinnerte. Um A Uhr wagen wir uns wirtlich in die Miau-Tau-Straßc und finden uns auch glücklich wieder hinaus. Dein Steuermann und Agenten war es ge-lungen, den Capitän so weit zu ermuntern, daß er sich damit einverstanden erklärte. Dann fuhren wir an einer sehr malerisch gelegenen Stadt Teng Chou Fu, wenn ich den Namen richtig schreibe, vorüber, und ich beeilte mich, nicht allein das den Hintergrund schließende, zweitausend Fuß hohe vielgezackte Gebirge, sondern auch den in Felstafeln und jähe Klippen vielgespaltenen Vordergrund auf das Papier zu werfen. Sobald wir an dieser Vergaruppe vorübcrgedampft waren, verflacht sich das Festland und verliert alle Anziehungskraft. Zufällig belauschte ich cm vertrauliches Gespräch zwischen dem Capitän und Maschinisten; Ichtcrer bezweifelt nämlich, das; es ihm gelingen werde, den „Arguo" unversehrt nach Tientsin zu schaffen; die Maschine inüsse entweder in Trümmer zusammenstürzen oder in die Luft fliegen! Dazu weht es mit Macht, und in der Lust brauen geschäftige Dämonen ein Unwetter zusammen. Ich brauche wohl nicht mehr ausdrücklich m bemerken, daß die Mannschaft die Pumparbeit noch nicht eine Minute unterbrochen hat. Dcr 21. October verlief in Sturm und Regen, und am Abend gingen wir bei einer Tiefe von fünftehalb Faden vor Anker. Der Capitän schloß daraus auf die Nähe dci Mündung des Peiho; allein ich habe längst alles Ver- 141 trauen auf seine Behauptungen und Angaben verloren. Am Morgen des 2^. October entdeckten wir den Grund der geringen Tiefe unseres Ankerplatzes: wir lagen dicht vor einer flachen Insel, die bei der Ebbe kaum über den Seespiegel hervorragen mochte. Nichtsdestoweniger behaupteten Capitän und Steuermann mit frecher Stirn, wir befänden uns in der Nähe der Taku-Forts, wenngleich ich ihnen auf der Seekarte nachwies, die Insel Ioßhouse läge vor uns und wir seien noch weit vom Peiho entfernt. Die bornirtcn Gesellen schenkten mir nicht einmal Kchör, als ich ihnen ricth, den Befehlshaber einer vorübersegelnden Dschunke zu consultiren. Die Logleine wurde in Anwendung gebracht, und auf das Oerathewohl dampften wir drauf los-, es heißt: biegen «der brechen! XIX. Var der Barre des Peiho. Fort vom „Argus". Talu. Nom-Bom< Pidjen. Alles auS Tchlamm Nach Tientsin. Der Kaisertanal und jcine schwimmenden Dörfer. Korrcnfahrt Opiumraucher in der Halbmegstneipe. Glaube, bete und zahle! Chinesischer PferÄewcchftl. In Stücke geprügelt. Kurz vor Peking. Nach einiger Zeit mochte der Capitän an seinen Erfahrungen und nautischen Kenntnissen irre werden; es gelang mir endlich, ihn zur Absenkung eines Vootes zu bewegen, das bei jener noch immer in Eicht lavirenden Dschunke Erkundigungen einziehen sollte. Nach einer halben Stunde kehrte das Voot Zurück und brachte uns einen Matrosen der Dschunke mit, der sich anheischig machte, uns in die Mündung des Peiho und nach Taku hineinzulootsen. Nie aus dem mir vorliegenden, vom Lieut. Col. Nolseley entworfenen „?Iau ot tlie Count,^ iu tlie Xsiß^dmiriwoä ok tlie '1'aku lortz" hervorgeht, inacht der Peiho noch vor seiner Mündung zwei starke Krümmungen, und der chinesische Lootse hat unzweifelhaft Recht, wenn er unsere Entfernung von Taku auf fünfzig englische Meilen veranschlagt. Der beschämte Capitän schiebt jetzt frecher Weise die Schuld auf den Compaß; angeblich wäre die Nadel durch das in der Nähe derselben befindliche Eifen von ihrer normalen Richtung abgelenkt worden'. Wir sollten nicht so rasch an Ort und Stelle kommen, als die kurze Entfernung erwarten ließ. Der Chinefe zeigte sich so unsicher, daß der Capitän selbst für geboten hielt, cinen uns entgegenkommenden englischen Lootsen an Nord ;u nehmen, und auf den Rath dieses kundigen Seemannes werfen wir um 6 Nhr Abends einige englische Meilen vor der Mündung und gefährlichen Barre des Peiho abermals Anker. Auch am Nächsten Morgen, 23. October, trug der Lootfe Vcdcnken, dic Varrc zu vafsiren, 142 bei schneidender Kälte war ein Sturm von Nord-Ost im Anzüge, uud die durch Nothsignale herbeigerufenen chinesischen Boote, in denen ich um jeden Preis an Land gehen wollte, stellen vier Stunden lang vergebliche Versuche an, bei dein hohen Wogengang ',u uns hinaus zu gelangen. Der „Argus" zerrt, wie ein toller Kettenhund, verzweifelt an soinen Ankern, die gesammto Mannschaft arbeitet an den Pumpen, und der Nordost wühlt vor der Narre hinter Schaum und Nasserbergen unser (^rab auf. Der Lootse, ein Mensch mit consiscirtem, von Seelenkämpfen ruinirtem Gesicht, unterhält mich mit Seeabenteuern und schaut so gleichgültig in die vor uns tobende Vrandung, wie ein Waschweib in ihre Aütte voll schäumenden Eeifemvassers; er hat mit dem ^eben abgeschlossen. Mir geht es nicht besser, Nachdem ich noch eine Nacht an Bord des Unglücküschiffes verlebt, beschloß ich mn Morgen des 24. October das Wagnis; zu unternehmen, in einem Voot die Barre zu passiren, und der englische Agent machte mit mir gemeinsame Sache. Unser Untergang mit dem „Argus" schien gewiß, ein kleineres Fahrzeug gewährte uns wenigstens einige günstige Chancen. Der Sturm hatte in der Nacht etwas nachgelassen und ein in See gestochenes Fischerboot bewies, daß die Schwierigkeiten der Narre zu überwinden seien; der Chinese kam auf unsere Signale heran, wir verluden unser (Gepäck, um nie wieder mit dem vermaledeiten „Argus" in Berührung zu kommen, und verließen nach einein überaus kurven Abschied für die lange Freundschaft den trunkfälligen Capitän und seinen Hungerdampfer. Wir kamen unter der geschickten Führung des Chinesen und seiner aufmerksamen Bootsmannschaft leichter durch den Wasscrschwall der Brandung, als wir erwartet hatten, und erreichten nach einer fünfstündigen Flußfahrt unbeschädigt, wenn auch bis auf die neunte Haut durchnäht, das heißcrsehnte Taku (Tatoo). Mit dcr Barre im Mcken war unser Vootsherr, der das „Pidjen-Englisch" leidlich sprach, redselig geworden und enählte uns eine Menge Allotria über den ensslisch-frainösischen Krieg: „Bom-Bom-Pidien" wie er es zu nennen beliebte, dessen Schallplatz wir uns näherten. Seiner triumphirendcn Angabe nach sollten viele hundert Engländer und Franzosen in dl?m Schlamm der Enceinte von 3aku, welche die Chinesen obenein mit tausend spitzigen Pfählen gespickt hatten, um das ^cben gekommen sein. In Wirklichkeit sprach das Terrain allen militärischen Operationen Hohn. Schon als wir in die Mündung des Peiho (weißer Fluß) hineinschwammen, war es unmöglich, Festland lind Wasser zu unterscheiden. Ich glaubte, in jedem Moment werde das drohende Haupt eines der Saurier dl?r Vorzeit aus dem antediluvianischen Brei auftauchen und nach unserem kümmerlichen Boote schnappen. Die Ebbe culminirte und der Fluß hauchte einen entsetzlichen Modergeruch aus. Zwischen dem rohen Elemente und den menschlichen An-siedellmgen zeigten sich nur geringe Unterschiede. Beide, Forts und Ansiedelungen, waren aus Schlamm ;usan«mcngcbatten, die uns am schmutzigen 143 Landungsplatz empfangenden Kulis mit einer Schlammkruste bedeckt, ebenso die vorüberwatenden, tief in den Boden sinkenden Maulesel. So iveit das Auge reicht, entdeckt es nicht einmal die Wölbung eines Maulwursshügels; in diesem Kothgemisch wächst viele Meilen weit kein Baum, und doch smd in dieses unsägliche Elend zwei Garnisonen des schönen Frankreich, des reichen England verbannt. Von dem links gelegenen Fort wehte das englische Banner, am rechten Ufer flatterte die französische Tricolore und zeigten sich die rothen Beinkleider der leichten Infanterie. Zum Verweilen an diesem abschreckenden Orte hatte ich teine Veranlassung; ich traf mithin sogleich Vorkehrungen, meine Reise nach Tientsin fortzusetzen. Tie von ungefähr einer Viertelmillion Einwohner bevölkerte Stadt liegt oberhalb Taku, an der Münhung des Kaiserkanals in den Peiho, und es wäre am bequemsten gewesen, sich eines Bootes zu bedienen, allein ich hätte auf diese Weise außerordentlich viel Zeit verloren. Ich entschied mich daher für das gewöhnliche Veförderungs- und Frachttransportmittel der chinesischen Reisenden und miethete einen Hauderer. Man würde einen schweren Irrthum begehen, traute man dem Fuhrwerk dieser Leute auch nur den geringsten Comfort ;u. Es entspricht durchaus dein verkommenen Zustande der Landstraßen, welche von Regierung und Bevölkerung ebenso vernachlässigt werden, wie beide die Wasserstraßen bevorzugen. So werde,: die zahlreichen Kanäle, deren Tiefe durchschnittlich zehn Fuß beträgt, sorgMig überwacht und im Stande erhalten. Ihre Breite wechselt dagegen «on zwanzig bis hundert Fuß, der Kaiserkanal soll sogar an einzelnen Stellen über tausend Fuß breit und hier mit Fischerdörfern bedeckt sein. Zwischen den Häuschen bauen die Einwohner auf schwimmenden Vambusschichten Blumen, Reis und Gemüse. Um den Absatz der Produkte zu erleichtem, verändern sie häufig den Ort. Nach Verabredung hißt das ganze Torf die Mattensegel auf und fährt einige Meilen stromauf und stromab. Tcr Handel mit dem Hauderer war abgeschlossen und um I Uhr Mittags stand sein zweiräderigcr Karren vor der Thür der Kneipe, in der ich abgestiegen war. Unter das eigentliche Verdeck wurden meine Gepäckstücke «geschoben, ich selber mußte neben dem Kutscher vorn auf der Gabeldeichsel kauern, doch verlor diese Fahrmethode viel von ihren Schrecken, da wir bei den grundlosen Wegen oft genug absteigen und die hintereinander angeschirrten Pferde peitschen, ober durch Drehen der in dem Koth versinkenden Räder ihnen helfen mußten. Erst drittehalb Stunden nach Mitternacht hatten wir die nur zehn englische Meilen betragende Strecke nach Tientsin zurückgelegt. Mit Ausnahme einer Stunde, die wir in der sogenannten Halbivegskneive zubrachten, um die Pferde zu füttern und ein Tschau-Tfchau, bestehend aus Fischen, Eiern und Mit Oel angemachten Fladen, einzunehmen, wurde die Fahrt ohne Unterbrechung fortgesetzt. Mein ohnehin geringer Appetit wurde weder durch das Local n)ch durch seine Gäste verbessert. In einer pechschwarz geräucherten,. 144 nach heißem Syrup stinkenden Höhle lagen auf schmierigen Pritschen, lachend und lallend, dreizehn 5)piumraucher und luden mich durch Geberden ein, an ihrem narkotischen Vergnügen theilzunehmen. Ich spülte meinen Ekel mit einem Nest Portwein in meiner Feldflasche hinab und überlieh dem Kutscher den größeren Theil der Mahlzeit. Mir ward erst wieder wohl, als wir eine Viertelstunde gefahren waren. Im Laufe des Tages kamen wir an drei ziemlich ansehnlichen Städten vorüber, die durch Kanäle mit einander verbunden waren; die stäche Landschaft an sich glich einem ungeheuren Complexus von Kirchhöfen. Ueberall standen zerfallene Särge, gähnten offene Gräber und erhoben sich kleine Denkmäler. Tiefe pflegen um die Ruhestätte jedes Ahnherrn eines Geschlechts grupvirt zu werden und der Form von Vutter- und Käseglocken zu gleichen. Der Gröhe nach richten sie sich nach dem Lebensalter jedes Verstorbenen: es giebt Kinbergräber, die mit grohcn Maulwurfs« Haufen verwechselt werden könnten. Im tiefen Dunkel der Nacht war es bei meiner Ankunft in der weitläufigen Stadt nicht leicht, das mir anempfohlene Quartier bei einem Landsmann, Herrn Stammann, aufzufinden. Das Neiscglück ließ mich jedoch nicht im Stich; nach wüstem Umherirren in den kauderwälschen Straßen und vergeblichen Fragen an die theils schon wieder ausgestandenen Tientsiner traf ich zufällig einen alten Chinesen, dein der Name des Landsmcmnes nicht fremd war. Ein Dollar löste seine Zunge uud beflügelte seine Schritte; die Wohuung lag in der Nachbarschaft; Herr Stcunmann empfing mich, entzückt über die Laute der geliebten Muttersprache, mit offenen Annen und trug ein Dejeuner auf, wie es sich in der Eile improoisiren ließ: Sardinen und Sherry! Meine Uhr zeigte auf 4, als ich mich, wie gorädert von der Karrenfahrt, auf dem Sopha ausstreckte und in dem Asyl des Schlummers allen Mühseligkeiten dieses Lebens entwich. Der Heidenlärm alls den Strahen gönnte mir nur zwei Stunden Ruhe; wäre es nach meines Herzens Wunsch gegangen, ich hätte mich vor vier oder sechß Wochen nicht von dem Sopha erhoben. Außer der vierzehnstündigen Karrenfahrt hatte ich noch die Vergnügungs- und Hungertour auf dem „Argus" zu überwinden. Schon um 7 Uhr Morgens unternahm ich meinen üblichen Nundgang durch die Stadt. Tientsin ist ein uralter Ort und von einer vielleicht gar vor Erfindung der Schußwaffen erbauten Mauer umgeben, denn die Schießscharten sind offenbar viel fpäter durchgebrochen. Wie alle großen chinesischen Orte ist Tientsin reich mit phantastischen Triumphbögen und Tempeln versehen; mitten in der Stadt befindet sich ein Teich und daneben eine Pagode, in welcher durch Gruppen von Thonfiguren den Gläubigen die Strafen nach dem Tode vergegenwärtigt und sie dadurch zu einem tugendhaften Wandel ermuntert werden. Schon früher habe ich dieser moralischen Änn'cmngMittcl gedacht, aber alles Bisherige reichte nicht an die Schrecken 145 T»es Jenseits der Sündenböcke von Tientsin. Gleich das erste Eremplar war bis an das Kinn in die Erde vergraben und der Zopf wuide ihm eben abgeschnitten. Dann brach ihm der strafende Dämon die Backzähne aus und schlug sie ihm mit einem Feldsteine in den Schädel! Ein Missethäter saß auf der Scheide eines Schlachtschwertes, und unter die Nägel seiner Finger und Zehen waren brennende Kiensplitter gesteckt. Den zahlreich versammelten Neugierigen schien dieses scheußliche Museum weniger Schrecken einzuflößen, als Vergnügen zu bereiten; die Pagode sah wie ein beliebter Rendezvousplatz olles Gesindels der Stadt aus. In den Winkeln wurden Liebeshändel angeknüpft, Schachergeschäfte getrieben und Diebespläne verabredet, die Gesellschaft war alles Andere, nur nicht eine Versammlung der Bußfertigen. Die Negierung und die Landeskirche begnügen sich indessen nicht allein mit der Schilderung der Strafen des Jenseits; ihre hohen Veamten, wo sie sich öffentlich zeigen, suchen unzuverlässige Unterthanen auch schon diesseits durch ein martialisches Auftreten in's Bockshorn zu jagen. In einem Palankin zog ein aufgeblasener Mandarin an mir vorüber, vor dem eine rothe Tafel mit goldenen Buchstaben getragen wurde, die muthmaßlich seine Titel und Machtbefugnisse näher angaben. Seinen bewaffneten Satelliten nach hielt ich ihn für einen, in criminalen Angelegenheiten höchst einflußreichen Mann. Einige Henker mit Ketten und Schwertern in den Händen folgten ihm, und Alles wich scheu vor dem Unholde in die Häuser zurück oder warf sich auf das Pflaster nieder und verbarg das Antlitz. Alle Straßen waren mit Blinden, Krüppeln, Aussätzigen und Bettlern angefüllt, die Hülflosesien wurden von kräftigeren Unglücksgefährten in Karren fortgeschafft. Wohl hundertmal wurde ich mit dem Rufe: „Alter Herr! haben Sie Erbannen!" um eine Gabe angegangen. An der Außenfeite der Tempel und vielen Häusern liest man die Gedenksprüche des Confucius, am häufigsten den Satz: „Glaube, bete und ^ahle! fo wird es dir gut gehen auf Erden!" Meiner ursprünglichen Absicht nach wollte ich schon Mittags 12 Uhr nach Peking aufbrechen, allein mein Paß, um den ich mich früh Morgens bei dein englischen General-Consul bemüht, wurde mir erst um 2 Uhr überbracht. Die chinesische Eopie war auf die Kehrseite des preußischen Ministerialpasses geschrieben, und der Polizeibeamte hatte mich darin auf Grund meines vorgelegten Briefes von Lord Ruffel, in dem ich Königl. preußifcher Hofmaler genannt war, als Mandarin erster Klasse signalisirt. Die brennende Neugier, Peking kennen zu lernen, gönnte mir keinen Augenblick länger Ruhe; sobald ich den Paß in der Tasche hatte, bestieg ich den vor der Thür wartenden Karren und fuhr von dannen, erst durch die sich endlos weit ausdehnenden Vorstädte, dann durch sauber gehegte Ländereien, kleine Waldungen, über Zahllose Vrücken, durch Dörfer und uniibersehbare Kirchhöfe, die Ruhestätte Hlldebranbt'S Ncise um die Erde, II. 16 146 vieler Generationen; es war schon spät Abends, als der Fuhrmann vor einer schauerlichen Spelunke hielt und nur ankündigte, hier würden wir unser Nachtquartier aufschlagen. Ich widersprach nicht, denn nach der vorhergehenden schlaflosen Nacht, dem Treiben in Tientsin und der abermaligen Karrenfahrt brach ich fast zusammen. Der continuirliche Menschenstrom auf der Straße nach Peting hatte mich vollkommen schwindlig geinacht. Der Wirrwarr der Uebervölkerung drückt das Gemüth nieder, wie das Schweigen der Einöde. In der Spelunke gab es nichts als eine steinerne Pritsche mit zwei Heizlöchcrn, einen Tisch und zwei Stühle. Zwar mußte ich erst einen Tausendfuß verjagen, der die Nacht auf den warmen Steinen zubringen zu wollen schien und sich wüthend gegen nieinen Stock aufbäumte, dann streckte ich mich auf den glatten Fliesen als, schob ein Kissen unter den Kopf und genoß einige Bissen Fisch, der mir auf dem schmutzigen, an die Pritsche gerückten Tische servirt worden war. Als Abschreckungsmittel für das Ungeziefer brannte ich die ganze Nacht hindurch Licht und schlief vortrefflich, obfchon ich wie auf dein Parad?oett>.' lag und die ganze Nacht hindurch von dem Publikum besichtigt wurde. Tie Ankunft eines Fremden in: Torfe hatte sich schnell umh^rgesprochen, und die Neugierigen steckten die Finger durch die Papierscheiben des Fensters in meinem Parterrezimmer, mn mich durch die Löcher, wie das Hauptthier einer Menagerie zu betrachten. Ich ließ sie gewähren und legte mich, wenn sie mich störten, nur auf das andere Ohr; ich hätte weiter geschlafen und wäre jeder der Schaulustigen ein Raubmörder gewefen. Bei guter Zeit erhob ich mich am 27. October von meinen» Kachelpfühl, kämmte in der Eile aus meinem Haar einige Läuschen, von denen ich unentschieden lasse, ob sie von der Decke gefallen, oder Auswanderer aus der Garderobe meines Kutschers waren, frühstückte Eier und Thee und tilgte die Rechnung. Ich habe diefes Document chinesischer Gastlichkeit zur Erinnerung aufbewahrt. Es beweist schlagend das sich unter allen Breitengraden gleich üppig entwickelnde Talent der Gastwirthe, die Bedürfnisse ihrer Gäste in Atome zu zerlegen und von jed^n derselben eine Abgabe zu erheben. Elf honorarpflichtige Leistungen des Hotels sind in der mir vorliegenden Rechnung verzeichnet, und doch war mir nichts als das Nachtlager, ein Licht und etwas Nahrung gereicht worden. Die Summe betrug tausenddreihundert Eash, d. h. ein Thaler zweiundzwanzig Silbergroschen preußischen Geldes. Wahrscheinlich hatte der Oberkellner auch den Verzehr des Kutschers, der nach unserem Uebereinkommen für sich selber zu sorgen hatte, nach dem Vorbilde der Schweizer Wirthe, wenn der Fremde ihnen von einem Führer oder Pferdeknecht zugewiesen wird, anf die Rechnung geschrieben. Die Schriftzüge derselben verstand ich zwar so wenig wie die Äbschiedsrede des Oberkellners, doch entging mir nicht seine Aufforderung, unserer jungen Bekanntschaft durch Verabreichung eines Trinkgeldes längere Dauer ;u verschaffen. -Einige schmutzige 147 Cash stellten ihn zufrieden; der Zuspruch aus dein Inlande hatte ihn noch nicht verwöhnt. Bald kamen wir an umfangreichen Stavelplähen von Balken und Salz vorüber; letzteres lag an den Ufern des Peiho in g eich riefigen Haufen, wie° der polnische Weizen an der Weichsel. Häufig bezahlten die Chinesen denr Staate ihre Abgaben nicht in baarem Gelde, fondern in Naturalien, und die Holzstöße, cm denen wir vorüberfuhren, waren der Betrag der letzten Steucr-rate des Districts. To berichtet wenigstens mein Kutscher in seine,» besten „Pidjcw Englisch"; wir verständigen uns gan5 leidlich, denn meine Fortschritte in diesem Lotteroialekt kann ich ohne Ueberhebung schon bemertenswertk> nennen. Der gute Rossebändiger ist nicht ohne Humor. Unbekannt mit den Transportmitteln des Landes, hatte ich, um so rascher vorwärts zu kommen^ vor der Abfahrt mir ausbedungen, daß mehrmals täglich die Pferde gewechselt werden müßten. Als ich ihn heute an sein Versprechen erinnerte, leistete er mir sogleich Gehorsam, d. h. er traf einen Tausch zwischen den beiden, hinter einander angespannten Gäulen des Karrens uno wiederholte denselben nacl> anderthalb Stunden mit dem ernsthaftesten Gesichte von der Welt. Was sollte ich in diesem Lande thun, wo der Postdienst noch in den Kinderschuhen steht? Ich schwieg, ich lachte; dabei hatte es denn fein Bewenden. Als? guter Wirth vermeidet der Kutscher unterwegs alle unnöthigen Ausgaben. Auf den Stationen, wo die Pferde gefüttert und getränkt werden, betheiligt er sich an ihren Rationen von Grünzeug und frißt Kräuter und Gras mit einem wahren Heißhunger, daß ich glauben muß, er fei an der Naufe großgezogen. Wie glücklich wäre ich bei einer ähnlichen Bedürfnislosigkeit, denn die ländliche Verpflegung ist unbeschreiblich schlecht. Außer Eiern und Thee, höchstens einigen Fetzen faulen Fisches, wird in den Ausspannungen nichts varräthig gehalten. Zwar suche ich den Wirthen meine Wünsche begreiflich zu machen; wenn ich Schinken haben will, fo zeichne oder male ich wohl erst ein Schwein und dann die Keule desselben auf ein Blättchen Papier; das, handgreifliche Verfahren hat jedoch gemeinhin keinen Erfolg. Die Leute: selber find blutarm und fristen ihr Leben mit den dürftigsten Nahrungsmitteln', bessere Reisenden führen eigenen Proviant mit fich. Ueber die Hammelnieren, die ich Abends 9 Uhr im heutigen Nachtquartier erhielt, will ich keine gründlichere Untersuchung anstellen; auch ein anderes, vielleicht selbst fleischfressendes Thier kann die pikante Assiette ;u meinem Soupcr beigesteuert haben. Die Fahrt selber war unterhaltend gewesen. Die Vegetation der Landschaft erinnerte an den Pflanzenreichthum der italienischen Seen. Aus Ricinus- und Theegesträuchen blickte der Olecmder-und Orangenbaum hervor. Kleine Seen belebten die üppig grüne Gegend und mehrere, annähernd im indischen Stile erbaute thurmartige Minarets gewährten anmuthiyc Abwechselung. Vor einein Landhause fand unter freiein, 10* 149 Himmel eine Theater-Vorstellung statt. Der reiche Grundherr mochte ein Familienfest feiern und auch seinen Hörigen ein Vergnügen bereiten wollen. Ich ließ mitten unter dem armseligen Volke halten und schaute ein Viertel-stündchen hindurch dem „2ing Song" zu. Der Dichter und mit ihm die Acteure schmeichelten dem chinesischen Nationalste!;. Ein betrunkener, rothborstiger Engländer liebt eine eingeborene Schöne, wird aber von einem jungen Mandarinen ausgestochen Einmal abgewiesen, verfällt der unglückliche Seladon gleich der Volksjustiz, kahlköpfiges Volk läuft zusammen und prügelt ihn nicht nur zu Tode, sondern sogar in einzelne Stücke, die in einem Korbe davon getragen werden. Dem lebendigen Original war im Handgemenge natürlich längst eine alisgestopfte Puppe untergeschoben worden, und doch fuhr ich vor Schreck zusammen, als ein furchtbarer iiantschuhhieb den rechten Ann des Gentleman plötzlich vom Rumpfe trennte. Das Nachtquartier war, wenn möglich, noch scheußlicher als alle vorhergehenden. Auf dem steinernen Ofenbrett krochen fo viele Taufendfüße, und aus den Spalten der Wände drang, wenn ich einen todt trat, eine solche Menge jüngeren Nachwuchses, daß ich die Nacht auf einem Stuhle zubrachte und dem giftigen Ungeziefer das Schlachtfeld überließ. Um 3 Uhr Morgens hieß ich den futscher anspannen und floh die stinkende Mördergrube. Die Nacht war furchtbar gewefen. Fortwährend hatte ich von dein „Argus" ge-träumt und mehrmals Schiffbruch gelitten. Bei dem Anstoß des Kieles auf den Fels fuhr ich regelmäßig vom Stuhle in die Höhe, zuletzt siel ich selbst zu Boden. Ich trennte mich von der Kneipe nach abermaliger Niedermetzelung mehrerer Tausendfüße, die den Thee mit nur theilen wollten. Die kühle Morgenluft erfrischte wohlthuend meine angegriffenen Kopfnerven. Der Mond stand noch hoch am Himmel und «erklärte mit seinem magischen Schimmer eine kleine uralte Stadt, die wir ohne anzuhalten durchkreuzten. Der Ort war bewohnt, ab r so morsch, daß wir, an der Stadt« mauer vorüberfahrend, den Fall der zerbröckelnden Steinchen hörten, als wäre sie ein sich zurückziehender Gletscher, der sich der auf ihm angesammelten Felsbrocken und Moränentrümmer entledigt. Meine einzige Leibesstärkung bestand um 8 Uhr in einem heißen kappen, mit dem ich mir das Gesicht anfeuchten und dann trocknen und abkühlen lassen sollte-, als ich wieder auf die Deichsel des Karrens stieg, brachte mir dcr Wirth, der mir den Hunger ansehen mochte, zwei Eier, von denen das größere faul war. Trotzdem mußte ich zehnmal mehr dafür bezahlen, als jedem Ehinesen abgefordert worden wäre. Der Kutscher nahm sich meiner an und machte dcm habgierigen Wirthe Vorwürfe, zuletzt verständigten sich Veide indcß unter ironischem Gelächter, und der Wirth steckte dem Fuhrmann, wie er glaubte, ohne daß ich es bemerkte, eins der von mir erbeuteten Geldstücke zu. Gegen Mittag, als wir uns Peking näherten, begegneten wir einer glänzenden Procession, deren 149 Mitglieder, Erwachsene wie Kinder, große Fächer trugen. In Palankinen von rother Seide und blauem Sammet saßen Mandarinen obersten Ranges, und mein Kutscher machte diesen Honoratioren äußerst demüthig Platz; über die Tendenz der Procession wußte er leine Auskunft zu ertheilen. Ich fragte nicht weiter, wir mußten Peking bald erreicht haben, die Landschaft wurde welliger, blaue Verge erschienen ini Hintergründe, vor ihnen zeigten sich lange Streifen der wohlerhaltenen hohen Mauer, und mit jedem Schritte vorwärts wird das Menschengetümmel auf der Landstraße dichter. XX. Turch die Vorstadt Eandneft und die östliche Bequemlichkeit in die Ttlldt Pcling. Palast Jang lung fu. Tir Frederic Bruce. Herr ViSmarck. Die verbotene Ttadt. Thiölie. Tie Tempel des Himmels und der Erde. Eiserne Cash. Fliegende Spielhöllen. Praxis zu Pferde. Die letzte Meile vor den Thoren, welche durch die Vorstadt „Sandnest" führt, wird unser Karren nur noch von dein Gedränge der Reiter und Fußwanderer fortgeschoben, endlich erreichen wir ein hohes gewaltiges Doppelthor und rollen oder wälzen uns vielmehr auf dem unbeschreiblich schlechten Pflaster in die uralte Hauptstadt des himmlichcn Reiches. Das gastliche Thor heißt „Oestliche Bequemlichkeit", und ich führe gleich zur Charakteristik der chinesischen Terminologie die Namen einiger Hauptthore an. So giebt es eine „Niederlassung des Friedens", eine „Bekanntmachung gerechter Grundsätze", eine „Ewige Niederlassung", eine „Siegreiche Tugend", eine „Westliche Bequemlichkeit" und ein „Räuber-besänftigungs-Thor". Wenn dic Masse der Menschen und Thiere noch fester Zusammengekeilt werden konnte, so war dies jetzt der Fall. Aus dem wahnfinnigen Getümmel tauchten lange Reihen von schwerbeladenen Dromedaren auf, und ich war froh, als der Kutscher in eine Seitenstraße bog und ich nicht mehr in Gefahr schwebte, bei einen: Fall von der Gabeldeichsel todtgetreten zu werden. Schon jetzt war mir die Pracht der breiten Hauptstraßen aufgefallen; viele Häuser glichen kunstvoll geschnitzten Möbeln und waren von der Schwelle bis zum Dachfirst schwer vergoldet. Wir brauchen noch eine volle Stunde, ehe der Karren vor dein englischen Gcsandtschaftshotel hielt. Auf Grund dcs mehrfach erwähnten offene,: Briefes von Lord Nusfel empfing mich der Gesandte, Sir Frederic Bruce, ein Bruder des seitdem verstorbenen Vicekönigs von Indien, Lord Elgin, mit großer Zuvorkommenheit und erklärte mir, er zähle mich während meines Aufenthaltes in Peking 150 ^u semein Haus- und Tischgenossen. Sogleich bemächtigte sich meiner der ehrfurchtsvoll lauschende Haushofmeister, denn hier wird am hochanstokratisch-nationale Weise Hof gehalten, und führte mich in das mir eingeräumte kleine Gebäude, links hinter den drei Häusern, welche Sir Frederic bewohnt. Ich inus; vorausschicken, daß das englische t^esandtschaftshotel, der Palast Jang kung fu, früher von einein kaiserlichen Primen bewohnt wurde und seiner -ganzen Bauart nach dcm Europäern unzugänglichen Paläste des jetzigen Raisers von China entspricht. Der sogenannte Palast bildet ein von einer hohen Mauer umgebenes Oblong, das mit einer Menge kleinerer oder größerer, mehr oder minder reich ausgestatteter Vaulichkeitcn angefüllt ist. Innerhalb der Mauer befinden sich neben der Pforte links die Stallungen, rechts die Wache und der Portier. Durch den unvermeidlichen Triumphbogen gelangt man in die drei hintereinander stehenden und durch Pfcilergänge verbundenen Wohnhäuser des Gesandten. Diese sind mit Ausnahme der nach dcm Ein« gange gelegenen Vorderseite von zahlreichen einstöckigen Gebäuden umgeben, in denen die Gäste und Secretäre, die Diener, Kutscher und Köche des Gesandten wohnen. Jang kung fu ist, genauer betrachtet, mehr ein kleines Stadtviertel als ein Palast, eine Citadelle, die sich unter Umständen, wenn auch nicht gegen schweres Geschütz, sehr wohl vertheidigen läht. Die von Sir Frcderic bewohnten Räume sind das Reichste und Eleganteste, was ich von chinesischer Architektur und Ornamentik gesehen habe. Alle Wände und Decken bcslchcn ans dem feinsten Tchnitzwerk und sind theils reich vergoldet, theils mit herrlich glühenden Farben bemalt oder lackirt. Von feinstem Geschmack sind die Glas- oder Papierfenster, von vollendeter Arbeit und Sauberkeit die Matten des Fußbadens. In diese Galagemächer denke man sich die ersten Mandarinen des Reiches in ihren von Gold starrenden Seidengewändern, wenn sie dem Gesandten officiate Vesuche abstatten, und man wird sich mein Staunen auszumalen vermögen. Der Haushofmeister führte mich in das nur wenige Schritte hinter dem 'dritten Hauptgebäude liegende „Gasthäuschen" und stellte mir zu gleicher Zeit einen aus Tientsin gebürtigen, nach Möglichkeit englisirte» chinesischen Diener zur Verfügung. Wer beschreibt mein Entzücken, als ich an den mit dcm komfortabelsten Geschirr und dem feinsten ^einenzeug bedeckten Naschtisch trat und mich der Schmutzerei, der verbogenen Vlechschüssel des „Argus" erinnerte, der monumentalen Unflatherei in der Halbwegskneipe und dem letzten Nachtquartiere! Ich schictte meinen dienstfertigen Iöpfling aus dein Gemach und stürzte mich lechzend in die riesige, blau geblümte Waschschale-, ein Baden war's, kein Waschen mehr zu nennen. Außer einem Vorzimmer stehen mir zwei reizende, europäisch bequem ausgestattete Gemächer zu Gebote. Nach einer flüchtigen Umschau in der Nachbarschaft und Vollendung der vorschrifts-inäßigen Toilctte schlug die 2tu''de dos Dmcrs. Sir Frederic war der 151 liebenswürdigste Wirth, jeder Zoll ein Gentleman. Hochgebildet, voll Geist und Humor, hat er große Reisen gemacht und sich jenen weltmännischen Ton angeeignet, den keine Vornehmheit, kein Reichthum allein dem Menschen an-bilden. Der Gesandte fragte mich nach meinen letzten Reiseabenteuern, und ich hatte keine Ursache, mit meinen Erlebnissen auf dem „Argus" hinter dem Berge zu halten. Sir Frederic war außer sich, manche Einzelheiten mußte ich ihm zwei- bis dreimal wiederholen, und nicht selten wandte er sich an seinen hinter ihm stehenden chinesischen Sprachmeister und übersetzte ihm meine überstandenen beiden in die Landessprache. Er rieth mir, als unumgänglich nothwendig zum Schutz für andere Reisende und Abstrafung der Gaunergilde, den Rheder des „Argus" zu verklagen; nur so könne ferneren gleichartigen Greueln vorgebeugt werden. Eines Schadenersatzes von tausend Tollars könne ich gcwis; sein, auf eine energische Verwendung der Gesandtschaft dürfe ich mit Bestimmtheit rechnen. Es wurde nur schwer, dem erzürnten Diplomaten auseinanderzusetzen, daß meine karg gemessene Zeit mir verbiete, das Ende des voraussichtlich langen Gerichtsverfahrens abzuwarten, ich herzlich gern auf jede Geldentschädigung verzichte und vollkommen zufrieden sei, ihn von den erlittenen Mißhandlungen in Kenntniß gesetzt und so zum Vesten meiner Nachfolger beigetragen zu haben. Das stolze Rechtsgefühl des vornehmen Mannes war nicht zu überreden, ich erzürnte ihn fast durch nieine Weigerung, die Schelme zu verklagen, zuletzt ließ er sich sogar zu der Aeußerung hinreißen : Rheder und Capitän verdienten an den Raaen ihres eigenen Schiffes ausgehängt zu werden. Sir Frederic ließ sich erst zur Nachgiebigkeit bewegen, als ich ihn an seine selbsterlebten Seeabenteuer erinnerte. Vor einigen Jahren hatte er, damals noch Attache, an der afrikanischen uud brasilianischen Küste zweimal Schiffbruch gelitten. Endlich gelang es mir im Nauchsalon, die Laune des Gesandten bei einer Partie Villard und einer Pfeife Latatia vollkommen wieder herzustellen; ich kann mir nachrühmen, auf dem Haupte des versoffenen Argus-Capitäns feurige Kohlen gesammelt zu haben. Mein Bett verdient eine besondere Lobrede; nach den Nachtlagern auf der Argus-Matratze und den von fröstelndem Ungeziefer wimmelnden Kachelofenpritschen verstehe ich erst jetzt den Tiefsinn der alttestamentarifchen Redensart von einer „Ruhe in Abrahams Schoß". Ohne meinen chinesischen Sancho hatte ich den ganzen nächstfolgenden Tag verschlafen. Er weckte mich zur rechten Ieit, denn Sir Frederic hatte ihm aufgetragen, mich zu einer Tour durch die Stadt aufzufordern. Nach dem Tiffin stiegen wir zu Pferde, und schon nach hundert Schritten sah ich ein, wie recht der Gesandte hatte, wenn er es für einen Träger europäischer Ehaussüre und sauberer Inexpressibles unmöglich erklärte, in den Straßen von Peking fortzukommen. Das Pflaster besteht zwar aus mehreren Fuß dicken, langen und breiten Steinblöcken, doch sind durch dcn Verkehr von Jahrhunderten so ticfc Geleise hineingefahren 152 und die Steine selber so oft geborsten, daß der Fußgänger bei der mangelhaften Straßenreinigung an feuchten Stellen durch tiefe Schmutzschichten und Spalten zu waten gezwungen ist, während er in trockenen Regionen von dem steiukohlenähnlichen Staube fast erstickt wird. Mit dieser Vernachlässigung aller Wege contrastirt die namenlose Pracht der Häuserfronten; mir lachte das Herz im Leibs bei dem Anblick dieser phantastischen Wunderwerke. Die Erwachsenen liefen hinterdrein, die Kinder und Hunde flohen vor uns; zuweilen zogen wir die Zügel an und verweilten vor den Unterhaltungen des gemeinen Volkes. In besonderes Erstaunen versetzte mich ein alter Eckensteher, um den sich ein zahlreiches Publikum versammelt hatte. Dieser steckte eine Schlange in den Mund und zog ihren Kopf durch die Nase, so daß die Hälften des Thieres aus beiden Organen herabhingen und sich bewegten. Dann wechselte er, schob die Schlange in die Nase und zog ihren Kopf aus dein Munde hervor. Das jüngere China schien sich an dem Scherze nicht, sattsehen zu können. Auf deutschen Umgang werde ich in Peking verzichten müssen. Der einzige in der Kaiserstadt lebende, gegenwärtig in Tientsin befindliche Landsmann ist Herr Bismarck, ein junger Preuße, der sich schon seit mehreren Jahren für die chinesische Consulatscarri^re vorbereitet und gründliche Kenntnisse in der Landessprache und ihren Dialekten aneignet. Wie groß die Mannigfaltigkeiten derselben und ihre Schwierigkeiten sind, erfahre ich aus dem Umgänge mit meinem Diener; er stammt aus Tientsin, kann sich aber mit den Bewohnern von Peking nur sehr mangelhaft verständigen; ausgebreiteter ist seine Kenntniß der englischen Sprache, er versteht zweiundzwanzig Worte und kann dreizehn davon selber sprechen. Ich habe ihn der Merkwürdigkeit wegen ordentlich zu Protokoll genommen und seinen Vokabelschatz gebucht. Wir befleißigen uns-Neide in der Unterhaltung nothgedrungen möglichster Sparsamkeit. Peking — die Chinesen sprechen den Namen „Peh-tschmg" aus — har einen Umfang von fünf geographischen Meilen, die Länge der Stadt beträgt deren anderthalb, die Breite eine Meile; die Zahl der Einwohner, bei dem Mangel aller statistischen Grundlagen eine schwere Abschätzung, ivird auf drei Millionen angegeben. Die Stadt zerfällt in zwei Hälften, die tartarifche und chinesische; in ersterer hat die kaiserliche Majestät ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Ihr, dem englischen Gesandtschafwhotcl ähnliches, von hohen Mauern umgebenes Ouartier heißt die „verbotene Stadt". Die geschweiften Dächer derselben, wie die aller gleichartigen Paläste, sind mit gelbglasirten Ziegeln gedeckt, die im Sonnenschein wie Gold glänzen; ihre Verzierungen bestehen an allen Ecken und Enden ausschließlich aus Drachengestalten. Der Plan der Stadt ist im Ganzen regelmäßig, alle Hauptstraßen erstrecken sich von Norden nach Süden oder von Osten nach Westen, Die Übervölkerung inacht alle Spaziergänge äußerst mühselig, aber eben so unterhaltend. Ich tummle 153 mich rastlos unter diesem Potpourri von Medicinverkäusern, Auctionatoren, Geschichtenerzählern, Wahrsagern, Nettlern, Feuerfressern, Svielbanquiers, Schlangcnbändigern, Sängern und Aussätzigen umher. Ungemein achtsam muß der Flaneur auf die Lastträger, die Kulis, sein, welche ihre Bürde auf den Schultern an den Enden einer Bambusstange balanciren und den Warnungsruf: „Lo! Lo!" mit dumpfem Magenton vorausschicken. Immer der dritte Mann trägt Dungstoffe aus der Stadt; biefes ökonomische Volk fammelt selbst Bartabfälle vom Nasiren, wie abgeschnittene Nägel, und verkauft sie an Gärtner. Zuweilen mache ich meine Ausflüge ;u Pferde, hänge an interessanten Punkten die Zügel über den Ann und werfe rasch eine flüchtige Skizze auf das Papier. Bei dem ersten Versuch, mit dem Rücken gegen ein Haus gelehnt, eine Aquarelle anzufertigen, wurde ich von dem Getümmel übcrrannt-, als berittener Landschafter erfreue ich mich besserer Erfolge. Einmal hatte ich mich etwas weiter als gewöhnlich verlocken lassen, ich wnßte nicht alls noch ein, da der Himmel mit dichten Wolken bedeckt und es un« möglich war, die Himmelsgegenden zu erkennen. Zuerst zog ich meinen selbst-verfertigten „kleinen Chinesen in der Westentasche" hervor und sprach die Frage aus, nach welcher Richtung der Stadt das Gcsandtschaftshotel läge? Dann zeigte ich den Umstehenden die Schriftzüge felber. Sie verstanden meine Aussprache eben so wenig wie die Signaturen; was thun? Ich nahm meinen kleinen Tuschkasten, zeichnete das Hotel und die große englische Flagge, dann colorirte ich sie grell mit den Nationalfarben und reichte das Nlättchen umher, aber selbst jetzt verstand mich Niemand. Das Volk starrte mich an und stieß seltsam girrende Vogellaute aus; endlich gerieth ich auf einen ge-scheidten Gedanken. Ich beschloß, meiner Nosinante, einem ehemaligen Parade-rosse Sir Frederic's, welches das Gnadenbrod genießt, die Auffindung des Rückwegs allein zu überlassen. Thisbe, eine arabische Fliegenschimmcl-Stute, hat ihre schönsten Iugendjahre in Indien verlebt, sich später in Peking vervollkommnet, und ist mehr als „militärfromm", d. h. „chinesenfromm" geworden, das treue Thier steht ost zehn Minuten lang unbeweglich und läßt mich zeichnen. Jetzt steckte ich das Portefeuille in die Busentasche, streichelte und klopfte den seidenglänzenden Hals des edlen Thieres; Thisbe schien mich zu verstehen. Sie spitzte die Ohren, schnupperte, unbehindert von dem losen Trensezügel, in der Luft umher und setzte sich langsam in Bewegung. Von seinem Instinct geleitet, hatte das kluge Mß den kürzesten Weg gewählt; eine halbe Stunde später stand Thisbe vor der Pforte des Gesandtschaftshotels und stieß ein leises Wiehern aus. Thisbe war durch Straßen geschritten, die mir bis dahin unbekannt geblieben waren. Der Gesandte lobte das kluge Thier, als ich ihm Abends beim Thce mein Abenteuer erzählte und Thisbe's seltenen Ortssinn schilderte. 154 Der alte Fliegenschimmel weiß in Peking offenbar besser Bescheid, als der Droschkenkutscher, mein Diener und berittener Mongole, der hinterher leitet und meinen Einlaß in die Tempel des Himmels und der Erde befürworten soll, die ich am 31. October zu besuchen gedachte. Ehe meine Ve-gleiter die richtige Fährte ausgefunden, hatten wir uns dreimal verirrt. Die Protection des mongolischen Eaoalleristen war überdies nicht stichhaltig. Hätte ich mir nicht mit klingender Müu^e den Weg gebahnt, wir wären von der Schwelle Mückgewiesen worden. Dein Wortlaut des Gesetzes nach sind die Tempelwächter von furchtbaren Strafen bedroht, wenn fie Europäern den Einlaß gestatten, aber ein reichliches Trinkgeld überwindet in China selbst die Todesfurcht. Ebenso ist der Eintritt dem weiblichen Geschlechte verwehrt. Beide Tempel sind von einen: melancholischen Ccderhain umgeben und geräumiger und großartiger stilisirt als die meisten gottesdicnstlichcn Gebäude, die ich bis dahin kennen gelernt habe. Der Tempel des Himmels ist ein Unicum. Nur einmal im Jahre wird er vom Kaiser besucht, der darin fein Gebet verrichtet. Niemand sonst darf in diesen Hallen seine Kniee uor der Gottheit beugen. Ungeachtet Sir Frederic mir gleich am ersten Tage dringend gerathen, nie Almosen ;u ertheilen, weil ich sonst während meines gangen Aufenthaltes in Peking das Vettlergefindel auf dein Halse behalten würde, hatte ich mich doch verleiten lassen, einem unglücklichen Aussätzigen ein Dutzend Cash zu reichen. Die Folge war, daß unser Gesandtschnftshotel am 1. November von einem zahlreichen Nclagerungscorps umzingelt wurde und man mich fast in Stücke zerriß, als ich vor dein Thore erschien. Erst als die chinesischen Diener mit Vambusvrügeln intervcnirten, zertheilte sich der Janhagel. Ich muß mich auf einen Ausflug zu Pferde beschränken und richte ihn nach der Tartarenstadt, von deren hoher Mauer aus man eine vortreffliche Aussicht auf die malerisch erhabenen Gebirgsrücken der mongolischen Tartarei genießt. Beiläufig habe ick) noch ;u bemerken, daß sich in dem der Agricultur geweihten Tempel der Erde ein großer Opferplat) befindet, auf den; an gewissen Tagen däs Jahres lebende Ochsen verbrannt werden. Das Mima Pekings soll im Sonnner drückend heiß, im Winter aber fast eben so kalt sein, die jetzige Jahreszeit ist für europäische Touristen die angenehmste. Der Mcmdnrinenstand ist natürlich in der ersten Stadt des Reiches sehr zahlreich vertreten. Dem Geiste der Verfassung gemäß genießen die Eivil-mandarinen ungleich mehr Ansehen als die Militännandarinen. Dem Palantin eincs höheren Ciuilmandarinen voraus marschircn nicht allein mit Stä en be« wehrte Diener, um ihren: Gebieter Platz Ul schassen, sondern auch stimmbegabte Lobrcdner, die unter häufigen Schlägen auf Gongs und Trommeln die Titel und Tugenden ihres Herrn ausrufen, während von anderen Dienern Ehren-sonnenschirme nebenher getragen und sauber gemalte, vergoldete Tafeln präscntirt werden, auf dciun Mine und Würden zu I^,scn sind. Die höchsten Aus- 155 zeichnungen scheinen in der Pfauenfeder und einem rothen Korallenknopf auf der Spitze des Hutes zu bestehen. Mir, als Fremden, werden gleichfalls, nenn auch nur von dem armen Gefmdel, Auszeichnungen gespendet. Sobald ich mich blicken lasse, bildet sich ein Haustein und begrüßt mich mit dem Rufe: ^2 la ^s, d. h. „großer, alter Herr!" Schon oft hatte ich mich über eine Menge brüchiger und verrosteter Cash-Stücke gewundert, die in vielen Straßen auf dem Pflaster lagen, ohne von der Bevölkerung, selbst nicht von den Bettlern und Aussätzigen, eines Blickes gewürdigt iu werden. Zuweilen, wenn ich eins dieser Geldstücke aufhob und naher betrachtete, ,stimmten die vorübergehenden Chinesen ein Hohngelacht« an, ja ein kleiner Junge riß mir einst die Scheidemünze aus der Hand und warf sie verächtlich zu Boden. Im Gesandtschaftshotel erfuhr ich, daß der Hochselige Kaiser, welcher fabelhafte Summeil in Bauten verschwendet, endlich gezwungen worden sei, um nur Geld zu schaffen, aus Sumpfeisen diese elende Sorte von Cashs zu prägen. Der witzige Autokrat hatte sich verrechnet, das Volk selber setzte diese nichtsnutzige Münze außer Cours und streute sie auf dem Pflaster aus! Im letzten Jahre soll man in den Küstenstüdtcn angefangen haben die (5afhs zu sammeln und nach Japan zu verschiffen, wo man sie in den Eisengießereien verwendet. Als gebildete Großstädter sind die Einwohner leidenschaftliche Theaterfreunde. Mehrere Kunstinstitute dieser Art lagen gleich hart nebeneinander, ein ihnen vik-^-vi^ errichtetes Gebäude von ähnlichem Vaustyl war jedoch kein Theater, sondern — ein Tempel. Die Vorstellungen beginnen früh Morgens und schließen erst lange nach Mitternacht. Nie wir auf einem Aus-gange in eine Conditorei treten und je nach der Tageszeit eine Tasse Chocolade oder Kaffee trinken und die Zeitungen durchfliegen, tritt der Chinese auf seinem Spaziergange in das nächste Theater, sieht ein Stück und setzt seine Wanderung fart, Ich folge dein Beispiele der Herren und entrinne dadurch der Langenweile und nidringlichm Kerbthieren. In einem dieser „Sing Songs" sTeinpel des Vergnügens) scheint das elegante Conversationsstück gepflegt zu werden. Ich sah dort ein Stück, in dem der Hauptheld, ein gespreizter alter Mandarin, von einein Dutzend seiner eifersüchtigen, verdorrten Frauen durch Eifersüchteleien gequält wird. Weit entfernt, unglücklich zu sein, fühlt sich der unverbesserliche Geck dadurch geschmeichelt und will sich iin höchsten Distant über die grimmen Furien todtlachen. Schließlich treiben sie es jedoch zu arg, er faßt einen aschen Entschluß und vertauscht die sechs Gerippe gegen ein lugelrundes, wehrere Centner schweres Frauenzimmerchen. Von Nebenfiguren wären zu nennen ein Unbekannter, der später als „Schuft" entlarvt wird, zwei Selbst« Mörder, ein Stummer, ein übermüthiger Tuchfabrikant, mehrere skrofulöse Schelme, eine stocktaube Alte, der stereotype Hanswurst und ein auf Ratten« fang drcssirtcr Hund. Nie in aUm großen S ädt.-n naren die Costiin^ kostbar 156 und geschmackvoll, die Musik unerträglich, die Mimik affenartig; das chinesische Theater ist das Letzte, was mir Sehnsucht nach China einflößen konnte. Zum ersten Mal sah ich in dieser Vorstellung chinesische Damen als Zuschauerinnen. Sie saßen in abgesondert gebauten, nur leicht vergitterten oder offenen Logen, doch schien es von dem Herrenpubliknm übel vermerkt zu werden, wenn ich mich meines doppelläufigen Opernguckers bediente und die schiefäugigen Gracien musterte. Ein Elegant in meiner Nachbarschaft flüsterte etwas von „Fanquei" und „rothborstigen Gläsern". Zuweilen begleitet mich Sir Frederic's Sprachmeister, ein gut unterrichteter Chinese, auf meinen Wanderungen durch die Straßen und übersetzt nur einige Inschriften auf den Ladenschildcrn. „Durch Schaden gewitzigt, borg' ich von heut' an nicht mehr!" „Bei vielem Redcn und geringem Verkauf (Einkauf) macht man schlechte Geschäfte." „Vielleicht morgen werde ich borgen!" fand ich auf vielen Schildern in mannigfachen Varianten. Wie bei uns der „billige Mann", empfahl sich ein Schirmfabrikant: „Zum billigen Atchau" (ein Name), oder „;ur billigen Rechnung", Wie unter den Menfchen hart neben prahlerischem Ueberinuth das tief gebeugte Elend, sieht man in Peking auch unter den Läden die reichsten Magazine dicht neben den ärmsten, schmutzigsten Höhlen bettelhaften Gesindels. In den Straßen Pekings entdeckte ich die ersten fliegenden Spielhöllen auf meiner Reise, Das Hazardspiel ist, wie ich schon mehrmals angedeutet, ein Nationallaster der Chinesen, dem man überall begegnet, wo sich eine Genossenschaft dieses merkwürdigen Voltes gebildet hat; aber nirgends wird diesen, Laster leidenschaftlicher gesröhnt, als in der Kaiserstadt. Aller Orten sind kleine Spielbanken aufgeschlagen, an denen Individuen jedes Lebensalters in sich versunken sitzen und auf die Geld Haufen des Banquiers starren. Hat der gemeine Chinese seinen letzten Cash verloren, so spielt er um Melonenkerne; sind auch diese versm'elt, so soll er einen Dinger oder die große Zehe als Einsatz anbieten. Daß ein unglücklicher Spieler, der eine kleine Summe parirt hatte, aber nicht zahlen konnte, um den Gewinner zu befriedigen, sich ein Loch mit ölgetränkter Vaumwolle in den Oberarm brennen mußte, habe ich selber gesehen. Die weite Ausdehnung der Stadt zwingt die Doctoren der Medicin, ihrer Praxis zu Pferde obzuliegen. Ich bin dergleichen Reitern, deren gelehrten Stand ich sogleich an den ungeheuer groben Vrillen aus bloßem Fcnsterglase erkannte, täglich begegnet. Ihre Reitknechte, wenn sie vor den Thüren der Patienten die Pferde halten, machen sich gewöhnlich eine kleine Nebeneinnahme. Sie lassen, wo Raum und Verkehr es gestatten, die vorüberlausenden Schuljungen für ein paar Cash aufsitzen und 157 «mgemal hin- und hcrreiten, ja nicht selten machen sich sogar erwachsene Chinesen dieses kindliche Vergnügen, Möglich, daß sie dazu durch den Aberglauben bewogen werden, durch eine Berührung mit des Doctors Klepper uor Krankheit bewahrt zu werden. Man darf sich unter diesen: verzauberten Volksstamm auf allen erdenklichen Unsinn gefaßt machen. XXl. Tic gepanzerte Kehrseite. Himmels-, Drachen- und Tigergarde. Ein neunjähriger Kailer. Prinz Kung. Der Adel im himmlischen Reiche. T>er Staatsanzeiger von Peking. Ter Tprachmcifter, mein Mentor. Dejeuner in der Pagode. Eine jchwarz-rath-goldene Leiche. Diebe mit falschen Zöpfen. Tchlauberger. Die Koch- und Speisestraße. Einmal in Peking, wollte ich, ermuthigt durch mehrmaliges Gelingen ineiner Versuche, zu seltenen Sehenswürdigkeiten vorzudringen, nun auch das Wagniß unternehmen, der „verbotenen Stadt", d. h. der kaiserlichen Residenz, eine Visite abzustatten. Gleich dem strebsamen Robrigo in Shakespeare's „Othello" that ich Geld in meinen Beutel, befahl dem Diener und dem mir attachirten Mongolen mich zu begleiten und bestieg mein Leibroß Thisbe. Ich wußte, daß 2e. kaiserliche Majestät von China hinter einer Separatmauer wohne und hoffte, außer dein Haupteingange noch ein Nebcnpförtchen aufzufinden, dessen Wächter weniger für gute Worte, als für t^eld sich bewegen lassen würde, mir den Eintritt und die Besichtigung wenn auch nur eines Theiles der kaiserlichen Schloßanlagen und Appartements zu gestatten. Der um seine Sicherheit besorgte Selbstherrscher hatte sich indessen vorgesehen. Seiteneingänge waren nicht vorhanden, die hohe Enceinte des Inbegriffs der kaiserlichen Wohnungen bildete ein geschlossenes Ganze; wollte ich hinein, so mußte der Angriff auf den Haupteingang unternommen werden. Thisbe Zehorsamte mir denn auch und schritt leichten Trittes mit arabischer Eleganz auf das Thor zu, aber meine Begleiter sielen mir in die Zügel. Nach ihren angstvollen Zügen stand ich im Begriff, sie in ein Majestätsverbrechen zu verwickeln. Durch Winke gab ich ihnen zu verstehen, daß sie sich entfernen sollten, und ritt unbekümmert weiter; was ich von Mannschaften im Innern des ersten Hofes bemerkte, flößte nur keine Besorgnis; ein. Ich vertraute als friedfertiger Mensch auf das Amulet einer gefüllten Börse. Mein Aussehen mußte jedoch den chinesifchen Krongardisten nicht Zutrauen erweckend gewesen sein, denn statt, wie es die Zuaven in den Tuilerien zu thun pflegen, dem Endringling entgegen zu treten und ihn mit einem höflichen: ,,on ne I>25Fo pa^!" abzuweisen, rannten sie, ohne ein Wort zu verlieren, spornstreichs 158 an die Thürflügel und schlugen sie mir krachend vor der Nase zu. Nur s? viel Zeit hatte ich noch, um zu bemerken, daß jene Wachtmannschaften, die der Defensive so beflissen waren, Panzer trugen. Eigenthümlicherweise diente keine dieser glänzenden Metallplattcn zum Schutz der Brust oder des Rückens; jeder chinesische Kürassier trug feinen Harnisch vielmehr auf einem Theile, der im ritterlichen Handgemenge Verletzungen von Hieb- und Stichwaffen am wenigsten ausgesetzt ist und weniger in der Kriegswissenschaft, als im Rechts» niesen und seiner Praxis in Betracht kommt. An der Pforte abgewiesen^ wandte ich Thisbe und ritt langsam davon, in Speculationen versunken, auf welche Weise jene Tapferen wohl vorkommenden Falles zum Angriff schreiten und sich gleichzeitig des gedachten Panzers als Schutzmittel bedienen mochten. 6s blieb unmöglich, das Räthsel zu lösen. Nach eingezogenen Erkundigungen und eigenen Beobachtungen gelang es mir so viel zu ermitteln, daß die kaiserlichen Leibwächter in drei Abtheilung«! zerfallen, die Himmels-, Drachen- und Tigergarde. Letztere wird am meisten gefürchtet und pflegt angeblich die Schlachten zu entscheiden. Ihre Kämpfer sind mit groben sichelartigen Schwertern bewaffnet und dahin einexercirt, zwischen die Pferde der feindlichen Cavalleiie zu schleichen oder zu kriechen und Reitern oder Thieren „die Beine abzuschneiden". Vei seinen Schießübungen legt der chinesische Infanterist den Kolben der Luntenflinte nicht an die Backe und üelt: er schiebt, wie unsere Jungen mit Flitzbogen und Pfeil, „im Bogen"! Ein Pfropfen wird nicht auf die Ladung gesetzt und da der Durchmesser der Kugel kleiner ist, als der des Laufes, würde erstere herausrollen, wollte der Schlitz mit der Waffe nach europäischem Brauch hantieren. Die verbotene Stadt oder Residenz liegt im Mittelpunkte der Tartaren-stadt und lehnt sich nur mit einer Breitseite ihres Gevierts an die chinesische Stadt. Bei den« Ableben des Kaisers findet eine Erbfolge im Sinne europäischer Dynastien nicht statt. Der Sterbende ernennt seinen Nachfolger aus den Angehörigen der kaiserlichen Familie. Zuweilen wird der Sohn zu Gunsten eines Neffen übergangen. Nicht Hcburtsrechte sind bestimmend, sondern natürliche Anlagen, Klugheit und Sittlichkeit. Der jetzt designirte Kaiser war bei meiner Anwefenheit in Peking ein Knabe von neun Jahren und stand unter Vormundschaft seines Onkels, des Prinzregenten Kung. Nach dem trefflichen Stich einer Photographie, den ich mitgebracht habe, ist der Gefichtsausdruck des Prinzen Kung nicht intelligent, aber gutmüthig und etwas trübselig; die Nation hat von ihm weder viel zu fürchten, noch viel zu hoffen. Dem chinesischen Kaiser werden von den Landeüangehörigen viel gröhere Ehren ermiesen, als irgend einen« anderen Staatsoberhaupte. Nach ihren religiösen Vorstellungen giebt es auher dem Himmel für die Seelen der gewöhnlichen Sterblichen noch einen kaiserlichen C^trahimmel. Dem ent- 159 sprechend sind auch seine irdischen Titel von hochfahrender Art. Der Kaiser heißt „der Sohn des Himmels" und „die Blume der Vernunft". „Landes-Väter" sind bekanntlich alle Regenten, aber der Kaiser titulirt sich nicht nur „Vater", sondern auch „Mutter" des Reichs. Ein häufiges Epitheton lautet7 „Dolmetscher der Verordnungen (Bestimmungen) des Himmels". In seinen Reden und Proclamationen, die nicht mit Schwärze, sondern mit Zinnober gedruckt worden, liebt er es, den Mund voll zu nehmen und mit aufgedunsenen Phrasen um sich zu werfen. „Ich, der Minister des Himmels, stehe über der Menschheit und bin verantwortlich, die Welt und das Volk in Ordnung zu halten. Unfähig zu schlafen, in Nuhe zu essen oder zu trinken, beladen mit Kummer und Angsts mit Leid und Sorge, mache ich meinem Volk bekannt, daß von heute an . . ." folgt irgend eine bedeutungslose Verordnung. Der kaiserliche Thron wird-„Drachensitz" genannt, und die gelbe Farbe ist ein Vorrecht des regierenden Hauses. Stirbt ein Kaiser, so haben alle Unterthanen des himmlischen Reiches dreihundert Tage hindurch Trauer anzulegen. Sie dürfen sich während dieser Zeit nicht rasiren, nicht verehelichen und kein Gastmahl veranstalten. Ein Erbadel existirt in Ehina nicht, alle Auszeichnungen müssen durch persönliche Verdienste erworben werden. Wie in der katholischen Kirche fromme und wundcrthätige Personen nach hundert und mehr Jahren selig und heilig gesprochen werden und von diesem Zeitpunkt an eine höher geachtete Stellung in der Verehrung der Gläubigen und den Verzeichnissen der Kirchengeschichte einnehmen, ertheilt der Chinese seinem verstorbenen Groß- oder Urgroßvater, wenn sein Wissen und seine Tugenden allgemeine Anerkennung bei den Nachkommen gefunden haben, den Adel. Auch kann die Gelehrsamkeit oder Sittenreinheit der Söhne ihren Vorfahren die gleiche Auszeichnung verschaffen. Nach den Ansichten der Chinesen müssen die Ahnen eines im Staate hervorragenden Mannes gleichfalls hochbegabte Menschen gewesen sein. Die Erwerbung des Adels durch eine Geldzahlung ist den Chinesen durchaus unbekannt. Die in Peking erscheinende einzige Zeitung der Chinesen ist ein eigenthümliches literarisches Product. Der Staalsrath oder das höchste Tribunal des Reiches hält seine Sitzungen im kaiserlichen Palaste und seine neuesten Beschlüsse werden täglich, wie wichtige Actenstücke unserer Gerichtshöfe in den Hausfluren, in einem bestimmten Hofe ausgehängt. Von hier aus gehen diese Documente, seien sie nun Gesetze oder geringfügigere Verordnungen, in den Vesch der Negierungs-Verwaltungen und Behörden von Peking über. Die wortgetreuen, von mehreren Beamten collationirten Covien werden in den Archiven des Bureaus aufbewahrt. Aus den Sammlungen aller dieser Schriftstücke, die von Zeit zu Zeit in Peking gedruckt werden und in freier Folge erscheinen, besteht der „Staatsanzeiger" von China. Die Leser in den Provinzen finden darin die Ordonnanzen der in Peking befindlichen sechs Ministerien 160 sowie der Militär-Befehlshaber, die Ernennungen, die Listen der Examina, die Promotionen der Mandarinen, die Richtersprüche und die Bestrafungen; eine Art Feuilleton bilden Notizen über Naturerscheinungen, die aus den Provinzen nach Peking gesendet werden. Das Jahres-Abonnement ist sehr billig und beträgt nach unserem Gelde ungefähr drei Thaler. Wenn seine anderweitigen Verpflichtungen es gestatten, mache ich kleinere Ausflüge in den Straßen von Peking gern in Gesellschaft des Sprachmeisters der englischen Gesandtschaft. Er führte mich in dem Glauben, ich sei mit dein Stande der bildenden Künste seiner Heimath nicht bekannt, zu einem geschätzten Maler der Hauptstadt, ohne mich durch die Leistungen dieses Meisters in Verwunderung zu setzen. Ich fand nichts als die bekannte Malerei aus Reispapier, doch schien der großstädtische Künstler etwas erfinderischer als seine College« zu sein. Unter anderen Greuelscenen, die eben abgebildet wurden, siel mir ein Criminalverbrecher auf. Er hing in einem Schornstein und wurde lebendig geräuchert. In einem anderen Atelier bemalte man nur Papierlaternen, und doch hätte Leonardo da Vinci oder Raphael sich nicht stolzer gegen uns geberden können, als dieser ungeschickte Pinsler. Ganz in der Nähe befand sich ein Tempel, dessen Besichtigung mir der Sprachmeister noch ganz besonders anempfahl. Wir mußten erst durch lange Reihen kleiner Götzen mit fratzenhaften Gesichtern förmlich ästhetische Spießruthen laufen, ehe wir zu dem dickbäuchigen grinsenden Hauptgötzen der Pagode gelangten. Nach der Fülle der Opfergaben mußte der Gott bei dem Stadtviertel sehr gut angeschrieben stehen. Auf dem langen und breiten Altar standen Platten mit Schweinebraten, gerösteten Fischen, gekochten Gemüsen, Kuchen, Marzipan, Tabak und Pfeifen, die Priester luden uns ein, den Opfergaben zuzusprechen und mein Mentor war, trotz seines Postens in einem vornehmen europäischen Haushalt, noch immer „Chinese" genug, um sich mit den handfesten Gottesgaben das Mittagessen zu verderben. Spaßhaft war das Gespräch eines Ve-kenners der Lonfuciuslehre, welcher seinen Freund, einen Buddhaisten, wegen dringender Geschäfte im Tempel aufgesucht hatte, mit diesem frommen Manne. Nach der Ueberfetzung meines Begleiters begann es echt chinesisch mit Komplimenten über die beiderseitigen Bekenntnisse. „Was hast Du für eine herrliche Religion, mein alter Vater!" rief der Jünger des Confucius. „Du irrst, mein Großvater, die Deinige ist viel schöner als die meinige," antwortete der Buddhaist. So ging es mehrere Minuten lang fort, ehc die Herren auf den Geschäftsgegenstand kamen und wir uns empfahlen. Gegen Abend mache ich gern einen Spaziergang auf der Festungs-Stadtmauer, welche die tartarische Stadt von der chinesischen trennt. Mit Tonncmmtorgang werden die tartarischen Thore geschlossen, und Niemand 161 kommt weder heraus, noch hinein. Das Schauspiel des ameisenartigen Gewimmels kurz vor Beginn der Thorsperre ist höchst ergötzlich. Sind die Thore geschlossen, so kehre ich auf ein Viertelstündchen in einem der kolossalen Speisehäuser ein, wo zu gleicher Zeit mehrere tausend Tagelöhner, die von der Arbeit kommen, abgefüttert werden. Ein Besuch des alten, noch von den Jesuiten eingerichteten Observatoriums bot außer einer Totalansicht von Peking wenig Neues; ohnehin sind die noch vorhandenen Instrumente nicht mehr im Gebrauch. Doch benutzte ich den günstigen Standpunkt, ein vorüberziehendes Leichenbegängnis, rasch abzukonterfeien. Die vorherrschenden Farben waren schwarz, roth, gold, und auf dem vergoldeten Sarge lag eine purpurrothe Sammetdecke. Zweiunddrcißig Träger wechselten immer nach wenigen Minuten untereinander ab, die Leidtragenden trugen als Anzeichen höchster Trauer weiße Oberhemden, gleich unseren Chorknaben. Einige Jungen hielten Trommeln auf dem Rücken, die von Erwachsenen mit tiefbetrübten Gesichtern sehr nachdrücklich bearbeitet wurden. Erlauben es die Mittel eines philosophischen Chinesen, so kauft er sich schon bei Lebzeiten einen luxuriös ausgestatteten Sarg und bewahrt ihn in feinem Wohnzimmer auf. Auch schenken sich Familienmitglieder an Hochzeitsoder Geburtstagen Prachtsärge. Hier erinnert das Chinesenthum an verwandte Züge der mittelalterlichen Romantik. Ueberaus geliebte Verstorbene behalten die Hinterbliebenen in luftdicht verschlossenen Särgen im Hause. Ihr Anblick soll, wie unsere Marmorbüsten und Medaillons, an die mit ihnen verlebten frohen Stunden erinnern. Wenn man im Gefandtschaftshotel gut unterrichtet ist, spricht es für den Sittlichkeitszustand Pekings, daß Mord-thaten überaus selten vorkommen, desto häusiger sind räuberifche oder diebische Angriffe auf das Eigenthum. Eine geringe Gabe der Unterscheidung zwischen „mein und dein" ist dem chinesischen Volksstamm angeboren. Die strenge Criminal-Gerichtsbarkeit leistet zur Beseitigung des Uebels nur wenig. Der dritte Raub und Diebstahl wird in manchen Ländern mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe, in China mit Enthauptung bestraft. Das Leben steht nicht sonderlich hoch im Preise. Ist ein Gefängniß überfüllt, so werden, nur um zu räumen, einer ausreichenden Anzahl von Sträflingen die Köpfe abgeschnitten. In der Verschmitztheit haben es die Diebe aller Welt- und Handelsstädte sehr weit gebracht, doch scheinen die Talente von Peking allen anderen den Rang abzulaufen. Häufig kommt es vor, daß ein auf ftifcher That ertappter Verbrecher, wenn er von den Polizeibeamten der Landessitte gemäß am Zopfe gefaßt und in Gewahrsam gebracht wird, diesen in der Hand des Häschers Zurückläßt und entspringt. Da er gewöhnlich den Originalzovf schon durch frühere Bestrafungen eingebüßt, hat er sich einen falschen zugelegt, der in derartigen kritischen Fällen seinem Inhaber die besten Dienste leistet. Was die echten Zöpfe anlangt, ist es ein stereotypes Vergnügen des gemeinen Hildebrandt'e Reife um die Erde. II. 11 162 Mannes und der Gasfenjugend, zwei bis drei zusammsnstehende und plaudernde, Personen mit den Zöpfen zusammen ;u binden. Es entsteht immer eine heil-lose Verwirrung, wenn die Anstifter heulend unter die Zusammengekoppelten springen und diese zu Boden fallen. Der November ist herangerückt, die Morgen und Abende werden kalt^ und ich bemerke auffallende Veränderungen in der Garderobe der Stadtgenossen. Das unbezahlbare theure Pelzwerk, das in den Handlungen feilgeboten wird^ kann bei seiner Kostbarkeit nur von Personen hohen Ranges getragen werden; die Mehrzahl der Chinesen sucht sich in der rauhen Jahreszeit auf andere Weise zu helfen. So lange die Hitze anhält, wird von dem Volks eine bis zum Knie reichende kurze Hose getragen und Vrust und Unterleib unbedeckt gelassen. Im September schützen die Chinesen beide durch eine Blouse. Nimmt die Halte zu, so legen sie nicht dichtere, ^ärmere Kleidungsstücke an, sondern ziehen nur Hose über Hose, Blouse über Blouse. Durch das Geschenk einer Manila-Cigarre bewog ich einen Kuli, mir eine Untersuchung seiner Garderobe zu gestatten; er trug acht Vlousen und elf baumwollene Hosen übereinander. In dieser Jahreszeit gleichen die auf dein Pflaster flanirenden Einwohner ausgestopften Popanzen. Etwas bemitteltere Personen verfügen über mannigfaltigere Kleidungsstücke. Eie bekleiden sich mit einer Blouse deren lange Aermel die Handschuhe ersetzen. Mein aus Shanghai gebürtiger Diener macht nur viel zu schassen. Gleich in den ersten Tagen hatte ich mir in der Gesandtschaft ausbedungen, seinen Lohn aus meiner Tasche zu bezahlen, doch wäre es besser gewesen, mich mit dem englischen Haushofmeister zu verständigen, diesem das Geld einzuhändigen und die weitere Verrechnung mit dem Taugenichts zu überlassen. AIs sich nach einigen Tagen unseres Zusammenseins die Nothwendigkeit ergab, ihm, leichteren Commandos halber, einen Namen beizulegen, war meine Wahl schon getroffen. Ich hätte in das chinesische Vocabularium greifen und ihn Attai (Johann), Atchau (Wilhelm) oder Atchung (August) taufen können, in Betracht seiner geistigen Anlagen und moralischen Eigenthümlichkeiten entschied ich mich für den deutschen Namen „Schlauberger", dessen Ruf er rasch Folge leistete. Die meisten Stunden des Tages außer dem Hause verweilend, mit Arbeiten beschäftigt und dann nur von einem mongolischen Reitknecht begleitet, bin ich außer Stande, „Schlauberger" zu überwachen und zu controliren. Für meine wollenen Unterkleider zeigt er eine rührende Vorliebe. Heimlich trägt er meine rothwollenen Strümpfe und eine sammetne Mandarinenmütze, er theilt Alles mit mir; würde ich nicht letztere unter strengem Verschluß halten, selbst meine Baarfchaft. Bringt er mir Morgens aus der Gesandtfchaftslüche den tresslichen Kaffee, seit langer Zeit wieder einmal das Präparat einer sauberen, sorgsamen Frauenhand, so hat der schamlose Nicht die Hälfte bereits zu sich genommen. Seine Leidenschaft, in Peking den 163 Tandy zu spielen, verleitet „Schlauberger" zu Ausgaben, die seine Kräfte übersteigen. Mehr als das Doppelte von dem, was ihm bis jetzt als Lohn zukommt, hat er von mir als Vorschuß herausgelockt, und ich bin darauf vorbereitet, mich von ihm mit einem starken Deficit zu trennen. Meinen Arbeiten gegenüber hat sich „Schlauberger" zu einem hohen kritischen Stand-punkte emporgeschwungen; gleich unnachsichtig bin ich noch von keinem europäischen Kunstrichter behandelt worden. „Schlauberger" hudelt mich wie einen Sextaner. Mit meinen Aquarellen kann ich es ihm niemals recht machen. Bald-sind ihm die Augen der schönen Landsmänninnen nicht schief oder scharf genug geschlitzt, bald habe ich es in der Kleinheit der Füße verfehlt, dann ist wieder der Zopf nicht lang und dick genug. So sorgfältig ich in der Nachbildung, der Architekturen von Peking zu Werke gehe, und die wunderlich verschnörkelten, zum Höhne aller Gesetze der Schwerkraft und Mechanik ausgeschweiften Dächer der Tempel und Privatwohnungen mit unsäglicher Sorgfalt in meinen Aquarellen nachzuahmen suche, die Zufriedenheit Schlaubergers kann ich nicht erwerben. In seiner Seele steckt der chinesische Dämon der Verzerrung des Naturwahren, Ursprünglichen. Ware er es im Stande, er würde selbst seine Gedärme auf eine andere Weise verflechten, als es dem großen Ordner der Organismen beliebt hat. Daß ihm die Berge nie hoch, die Bäume nie grün, die See nie blau genug ist, darf ich nicht ausdrücklich bemerken. Ueber einen Complexus von Drachen und krampfhaft verkrümmten Katzen, der dem. chinesischen Künstler wahrscheinlich eben so viel Mühe gekostet hatte als mir bei der Zeichnung, zuckte Schlauberger verächtlich die Achsel. In der Hoffnung, auch ein blindes Huhn finde bisweilen ein Gerstenkorn, lasse ich mir Alles «on ihm gefallen. Am 4. November machte ich mit Sir Frederic Nruce einen fast vierstündigen Ausflug durch die Stadt und ihre nächste Umgebung. Vortrefflich beritten, hatten wir auch die weitesten Wegstrecken nicht zu berücksichtigen, und' so galoppirten wir wohl drei Viertelstunden lang durch die Ackerflächen und» Gartenanlagen, die zwischen der Stadtmauer und den Straßen Pekings liegen, passirten ein Thor, dessen Name mir entfallen ist, und vermochten nun eine lange Mauerflucht mit ihren gigantischen Vorsprüngen oder Forts in der weiten Sandfläche zu übersehen. „Denken Sie sich. Sie hätten die chinesische Mauer vor sich," sagte Sir Frederic, dem ich mein Leid klagte, bei der Unsicherheit der Straßen von der anderthalbtägigen Reise bis an die mongolische Grenze abstehen zu müssen., »Ich werdc Ihnen eine Photographie der Mauer zeigen," fügte der Gesandte hinzu, „und Sie werden keinen wesentlichen Unterschied bemerken!" Wir sprengten eine gute Strecke an dem riesigen Vauwerk entlang unk benutzten dann, ermüdet durch die großartige Monotonie der Formation, das, 11* 164 nächste Thor, um in das Innere Pekings zurückzukehren. Das Glück wollte uns wohl; wir kamen an einem Exercirplatz vorüber, auf dem die Tigergarde, angethan mit gestreiften Uniformen, ihren kriegerischen Uebungen oblag. Hätte uns auch nicht ein englischer Cavallerist in rother Montur und ein mongolischer Reiter begleitet, Sir Frederic schien dem Chef der Tigergarde persönlich bekannt zu sein; der tapfere Befehlshaber unterbrach nicht die Uebungen der Mannschaft. Leider wurde uns das Schauspiel anderweitig verkümmert. Sin mongolischer Gaul riß sich, erschreckt durch unsere weißen Gesichter, von der Hand eines Reitknechtes los und rannte mit der Wuth eines Tigers gegen den englischen Cavalleristen. Nur der muthigen Gewandhcit unseres mongolischen Begleiters hatte der verdutzte Europäer, dessen Streitroß wild aufbäumte, seine Rettung zu danken. Mit einem dicken Kantschu hieb der Mongole dem anstürmenden Gaule, der, um sich beißend, mit den Vorderhufen den Engländer aus dem Sattel schlagen wollte, mit solcher Gewalt über die Nase, daß er stolpernd in die Kniee stürzte und wieder am Zügel festgehalten werden konnte. Unsere edlen Thiere wurden unruhig, und wir suchten im raschen Galopp das Weite. Die chinesische Naumverschwendung gestattete uns, sie weit ausgreifen zu lassen. Mit drei französischen Missionären, welche die Tracht von Mandarinen angelegt hatten, wurden weiterhin einige artige Worte gewechselt. Nicht oft genug kann wiederholt werden, daß man sich in Europa vor allen Illusionen iiber die Erfolge der Missionäre zu hüten habe. Tie christianisirten Chinesen in Peking sind als die raffinirtesten Betrüger in der ganzen Stadt ver« schrieen. Bald darauf durchkreuzten wir eine Straße, in der unter freiem Himmel gekocht und dinirt wurde. In großen Kesseln brodelte eine chaotische Suppe, und vor Hunderten von reihenweise aufgestellten Eimern hockten arme Chinesen und stillten ihren Hunger. Der in der Mitte freigelassene Weg war nur schmal; ich bat meine Begleiter, absteigen zu dürfen, um zu Fuß den Garküchen näher zu kommen; der Mongole hielt mein Pferd. Die in den Eimern dampfende Speise bestand aus einer Olla potrida, wie sie annähernd im Don Ouixote beschrieben wird. Für zwei oder drei Cash — ich konnte im Gedränge die einzelnen Münzen nicht unterscheiden — erhielt der Kunde die Erlaubniß, mit seinem Löffel in diesen flüssigen Brei von Fleischfetzen, Reis, Wurst, Gedärmen, Leber und Gemüsen zu fahren und so viel zu essen, als er vermochte. Nur eine kritische Auswahl unter den Leckerbissen war nicht gestattet. Gern wäre ich noch etwas weiter geschritten, allein der Knoblauchsgeruch, mit den: das Universalgericht angemacht war, der zugleich die ganze Straße verpestete, trieb mich von dannen und zu den wartenden Reitern zurück. 165 XXII. Schlaf-Vans. Tie Bettlerlasle. Sir Frederics Passepartout. Musikalische Kleinhändler. Vor Hunger gestorben. Vine Gebetmühle. Pfeifende Tauben. Ein Hochzeitszug. Vnan-ming-Vuan. Buddha unter Bonzen und Schweinen. Pekings Kranzler. Nicht alt genug. Dr. Lockhardt und mein hohler Zahn. Nicht nur was die Naturverpsiegung anlangt, auch im Punkte des Ouartiers kann man in Peking überaus billig leben. In vielen Stadttheilen find große Häuser errichtet, in denen das Vettlergesindel bei Nacht ein Unterkommen findet. Der Miethsbetrag ist eben nicht hoch. Ein Bon auf drei Nächte kostet etwa einen preußischen Pfennig. Dafür wird der Schlafgast nicht nur beherbergt, sondern auch vor der Kälte geschützt. Sind die Abonnenten in? Saale versammelt, so wird vom Plafond desselben eine große Decke voller Schlitze herabgelassen. Jetzt ist es Sache jedes Schlafgastes, ein Loch zu erwischen, durch das er den Kopf steckt, um Athem zu holen. Bei Tagesanbruch wird die Sippschaft unnachsichtig in's Freie getrieben, das Netter sei so schlecht und rauh, als es wolle. Der Hausherr läßt sich höchstens herbei, einigen ihm längst bekannten Proteges zerlumpte Pelze auf den Weg mitzugeben, die Abends wieder abgeliefert werden müssen. Wer die Schlafstelle nicht zu bezahlen vermag, muß die Nacht unter freiem Himmel zubringen. Man wird sich die Lage der Aermsien ausmalen kmmen, die ohne einen Fetzen, ihre Blöße zu bedecken, in eisigen Winternächten in den Winkeln der Straßen kauern. Es ist nichts Seltenes, im November und December Morgens auf erfrorene nackte Kinder zu stoßen. Bei der unsäglichen Uebervölkerung des Landes und der Schwierigkeit, sie zu ernähren, vererbt sich der Bettel von Geschlecht zu Geschlecht; es wird eine ordentliche Kaste. Ich habe schon gesagt, daß Eltern kein Bedenken tragen, um ihren Kindern eine Handhabe Zur Erregung des Mitleids in ihrer Bettler-Earrwre mitzugeben, sie greulich zu verstümmeln oder mit ungelöschtem Kalk zu blenden. Will man zudringlichen Bittstellern nichts geben, so sind die Worte „pis Kan!" das einzige Mittel, sie los zu werden. Sie üben eine eben so nachdrückliche Wirkung aus, wie ein Griff an den vorderen Rand der Halsbinde auf die Bettler von Neapel. Am nächsten Morgen sollten auf dem großen, mitten in der Stadt gelegenen Nichtvlcche dreißig Verbrecher hingerichtet werden, Vnmd genug für mich, vor 12 Uhr nicht meine Wohnung zu verlassen; Schlauberger hatte sich Urlaub erbeten. Ich bewilligte ihm denselben in der geheimen Hoffnung, bei einer so großartigen Metzelei könne auch er um irgend ein minder wichtiges Glied seines Körpers kommen und einigermaßen gedemüthigt werden. Wie-ich Abends erfuhr, waren zwei Drittel der armen Sünder geköpft worden, den 166 Ueberrest hatte man in vier Fuß tiefe Gruben auf die Köpfe gestellt und lebendig vergraben. Das Thermometer sinkt mit jedem Morgen tiefer, aber noch immer ist es möglich, im Freien zu arbeiten. Mein Atelier habe ich auf der Stadtmauer aufgeschlagen, weil ich hier am wenigsten von Neugierigen behelligt werde. Nur eine vier Fuß lange, grün und roth gefleckte Schlange leistet mir heute Gesellschaft. Die Kälte hatte die Bewegungen des sonst fo regen Geschöpfes Verlangsamt; es schlich schwerfällig an meinem Malerstuhl vorbei an einen sonnenhellen Fleck der Mauer, Nach vollendeter Arbeit stattete ich dem benachbarten Tempel der Göttin der Bannherzigkeit einen Besuch ab und bewunderte den Reichthum seiner Ausstattung an Gold und Marmor. Minder ansprechend war der Lindruck eines nahe gelegenen Lama-Tempels mit seinen gelben Bonzen. Die frommen Brüder gingen mir mit einer solchen Zudringlichkeit zu Leibe, daß ich froh war, ihren Betteleien zu entkommen. Gern hätte ich in der Straße, wo ausschließlich Curiositäten der chinesischen Uanufactur feilgeboten wurden, einige Einkäufe gemacht, allein die Preife ivaren nicht zu erschwingen; da Regenwetter eintrat, betrachtete ich dieses als einen willkommenen Vorwand, die Unterhandlungen abzubrechen und in das Oesandtschaftshotel zurückzukehren. Am 6. November hatte cin Orcan in der Nacht die Regenwolken verscheucht, allein das Thermometer war gleichzeitig unter Null gesunken und der Hof mit Glatteis bedeckt. Zwar ließ ich mich ;u einem Ausflüge nach dem Observatorium verleiten, um meine von "dort aus aufgenommene Ansicht der Stadt zu vollenden, allein ich mußte die Arbeit noch vor dem letzten Pinselstrich unterbrechen. Meine Hände und Füße erstarrten; ich flüchtete zähneklappernd nach Hause. Die Sprachstudien, welche ich jetzt unternahm, kann ich nur für einen Act der Verzweiflung ausgeben. So freundlich der Sprachmeister des Gesandten mich unterstützt: diese vermaledeite Schrift und Sprache haftet nicht in meinem Gedächtniß. Schon ihre zweihundertneunundvierzig Ursignaturcn, aus denen nach und nach an achtzigtausend Schriftzeichen oder Figuren zusammengeschnörkelt worden sind, verursacht mir Schwindel. Wer zwölftausend derselben inne hat, gehört zu den Notabilitäten der Gelehrsamkeit; aber mit zweitausend kann der gebildete Chinese seinen ganzen Idcentreis zu Papier bringen. Mein gütiger Wirth Sir Frederic läßt es an nichts fehlen, mir das Leben zu erleichtern. Rührt ihn mein Malerfleih oder mein unzureichender Ortssinn: um meinen Verirrungen in den Straßen von Peking Vorzubeugen, hat er mir seinen Stadtplan, einen Bogen rothen Papiers, auf dem sein Name in großen chinesischen Worten prangt, anvertraut. Dieses Document wird überall als Passepartout angesehen, man gestattet mir den Hutritt oder weist mich zurecht, wenn ich in die Irre gegangen bin. Erst nachdem ich erfahren habe, daß alle Hauptstraßen von Norden nach Süden 16? und von Osten nach Westen streichen, finde ich mich besser zurecht. Erkundigt man sich in den Straßen nach dem Wege, so sagt der Chinese nie: „Geh rechts! geh links!" sondern: „Geh nach Süden, nach Norden, nach Osten, nach Westen!" Bei Einkäufen auch der geringfügigsten Gegenstände werde ich regelmäßig übervortheilt. Grundsätzlich fordert der Chinese für jede Waare von einem Europäer stets den höchsten Preis. Wir gelten in seinen Aligen für oberflächlich' mit Civilisation gefirnißte oder lackirte Barbaren, die den Werth des Geldes noch nicht kennen und deshalb betrogen werden müssen. Der Kleinhandel in den Straßen der großen Hauptstädte,Europas bedient sich auch künstlerischer Hülfsmittel, um die Aufmerksamkeit der Käufer zu erregen; die Detaillisten Pekings sind indeß allen ihren Fachgenossen überlegen. Jeder Hausirer oder fliegende Händler, und bestände sein Magazin auch nur in einem Korbe voll saurer Aepfel, führt irgend ein musikalisches Instrument mit sich, durch dessen Klänge er seine Ankunft anzeigt. Die beliebtesten Tonwerkzeuge sind Trommeln, Schellen, Glocken, Triangel, Trompeten und Tamtams, andere echt asiatische Marterwerkzeuge des Gehörs namentlich zu bezeichnen, bin ich außer Stande. In volkbelebtcn Straßen wird der kaufmännische Zweä ton-künstlerischer Uebungen meistens durch einen zu massenhaften Zusammenfluß von Artisten vereitelt. Die durch ein ununterbrochenes Ensemble jener Instrumente entstehende „symphonische Dichtung" verhindert jeden Käufer, den Schmerzenslaut des einzelnen Händlers zu unterscheiden. Auf einer meiner letzten Promenaden wurde ich durch einen Auflauf überrascht, der beinahe die etwas enge Passage versperrte. Um den vor der Thür seines Ladens stehenden Hauswirth hatte sich eine Menge armen Volks versammelt und begleitete seine lauten Wehklagen durch Beileidsbezeigungen. 2a ich kräftig vorwärts drängte, machte man mir Platz, ich trat näher und erblickte neben dem Eingänge eine in Lumpen gehüllte Leiche. Spuren äußerer Gewalt fehlten, aber Mangel und Elend hatten an dem Körper größere Verheerungen angerichtet, als eine Mörderhand im Stande gewesen wäre. Der Unglückliche war am Abende vorher bei der früh einbrechenden Dunkelheit ohne Wissen des Besitzers in den Laden gekrochen und dort in der Nacht Hungers gestorben. Am Morgen hatte man die Leiche gefunden. Anfangs begriff ich nicht die Aufregung des Hauswirths, da hier eine in China keineswegs ungewöhnliche Todesart vorlag; als ich später jedoch erfuhr, daß der Grundbesitzer in jedem solchen Falle nicht nur eine Geldstrafe an die Negierung zahlen, sondern auch die Kosten der Beerdigung tragen müsse, verzieh ich ihm seine Lamentationen. Noch nützlicher wäre seine Lage gewesen, hätte ein Mord oder auch nur Selbstmord nachgewiesen werden können. Mindestens würde er zur ferneren Unterhaltung der Hinterbliebenen des Todten verurtheilt worden sein. Es kommt vor, daß Chinesen, nur um einen Act der Rache auszuüben. 168 sich in das Haus eines Feindes schleichen und dort entleiben. Das Gesetz macht den Eigenthümer auch verantwortlich, wenn sich ein Lebensüberdrüssiger vor sein Haus legt und bort zu sterben anschickt. Entdeckt er ihn rechtzeitig, so sucht er ihn durch das Angebot einer kleinen Geldsumme auf andere Gedanken Zu bringen und in dic Nachbarschaft zu schicken. Im Innern der Stadt ist jedes zehnte Haus wie bei uns ein Vierlocal, eine Restauration. Wie das Proletariat sich beköstigt, habe ich schon beschrieben, aber die Beschränktheit der Wohnungen und die Venulung aller Raume zu industriellen Zwecken zwingt meistens auch den Mittelstand, seine Nahrung außer dein Hause zu suchen. Dem Pariser ähnlich, dinirt der Einwohner von Peking gern bei einem Restaurant. In den feineren Speisehäusern so gut wie in den gewöhnlicheren habe ich oft zahlreiche Familien getroffen, die rasch ihr Mittagsmahl einnahmen und dann wieder in das Geschäft zurückeilten. Trotz meiner geringfügigen Svrachkenntnisfe schließe ich mich gern solchen Kreisen an, und niemals hat man mein Entgegenkommen abgelehnt. Sehr auffallend war mir, daß diese Familien, Alt und Jung, Groß und Klein, stets vor den Schaufenstern von Läden venveilten, wo die frechsten Photographien nach lebenden Gruppen ausgestellt waren. Diese Schmutzbilder werden für den Verkauf in den großen chinesischen Städten eigens in Paris fabricirt und revräsentiren ohne andere Concurrenz die Höhe der europäischen Kunstentwicklung. Dürfen wir uns wundern, wenn der denkende Chinese über unsere Ethik und Aesthetik nur mit äußerster Verachtung spricht? Man lernt täglich etwas Neues. Einer meiner flüchtigen Sveisehaus-Bekannten führte mich in den Hof seines Häuschens und zeigte mir mit trimnphirendem Lächeln some neu eingerichtete Gebetmühle. Der religiöse Apparat stand auf einer vergoldeten Stange, und das vielfarbige Rädchen drehte bei dem frischen Herbstwinde wacker die mit Gebeten beklebte Walze. Auf dem Gesicht des Gebetmüllers lag das selige Bewußtsein, ein der chinesischen Gottheit wohlgefälliges Werk verrichet zu haben. Demselben Privatmanne verdanke ich auch die Erklärung eines akustischen Phänomens, über das ich mir in Peking oft den Kopf zerbrochen hatte. Die Tauben-schwärme, wenn sie sich in dcr Luft umhertummelten, stießen dabei ein seltsames pfeifendes Geräusch aus, das ich mit der Natur dieses schweigsamen Geflügels nicht zu vereinbaren vermochte. Nachdem ich mich mit meinem Chinesen durch Geberdensvicl verständigt, ersuchte er mich, mit ihm auf seinen Taubenschlag zu klettern, und zog mit flinker Hand einen stattlichen Tauber hervor. Jetzt war mir Alles klar. Um doch ein neues unerquickliches Getön hervorzubringen, war an dem Vogel eine kleine Pfeife oberhalb der Schwanzfedern befestigt, auf welcher der Luftzug beim Fluge jenes Geräusch hervorbrachte. 169 Am 8. November begab ich mich nach dem Tempel der Ngricultur, wo der Kaiser jährlich einmal zu Ehren des Landhaus mit dem Pfluge eine Furche zieht, wie sich meine Leser aus Gozzi's und Schillers „Turandot" erinnern werden, und vollendete eine frühere Aquarelle. Auf dem Heimwege begünstigte mich das Glück; ein chinesischer Hochzeitszug kam mir entgegen. Ich trat in einen Theeladen, wurde von dem Eigenthümer sehr höflich empfangen, zum Sitzen genöthigt, und ließ die Procession gemächlich vorbeidefiliren. Der Hochzeitsvater mußte ein bemittelter, wenn nicht reicher Mann sein, denn an die Ausstattung des Zuges war viel verwandt worden. Bei seiner durch den lebhaften Straßenverkehr gebotenen geringen Vreite dauerte es eine Viertelstunde, ehe die letzten Gäste an mir vorüberzogen. Eine Doppelreihe von Kulis schritt voran und schwenkte rothe und weiße, vergoldete und mit einem grünen Drachen bemalte Fahnen, dann erschien ein Orchester von Pfeifern, Gong- und Trommelschlägern; die Braut folgte. Sie saß in einem prachtvollen, mit Gold, Silber, Spiegelglas, Glöckchen und Latecnen ausgeschmückten, vielfarbig bemalten Hochzeitspalankin und blickte aus ihren geschlitzten Aeugtein über das kaum bemerkbars Stumpfnäschen hinweg fröhlich in die Welt hinein. Der Bräutigam befand sich nicht im Zuge. Nach vollendeten Heiraths-feierlichkeiten im Hause der Schwiegereltern führt er die Neuvermählte in den Palankin, verschließt die Thür und eilt nach Haufe. Hält der Zug vor demselben, so erscheint er mit dem Schlüssel in der Hand, öffnet den Palankin und führt die junge Gattin in ihre Wohnung. Hinter dem von acht Kulis getragenen Palankin der Vraut wurde die Mutter, aber nur von vier Kulis, getragen. Als ich im Gesandtschaftshotel anlangte, war eine halbe Stunde vorher Herr Karl Bismarck von Tientsin eingetroffen. Wir füllten die übrige Zeit des Tages mit Spaziergängen aus, speisten bei einem eleganten Restaurant und trafen die nöthigen Vorkehrungen zu einrm Ausfluge nach Juan-ming« Juan, den kaiserlichen Sommerpalästen, für den nächsten Morgen. Die Weite und Schlechtigkeit des Weges ließ es unbillig erscheinen, sich mit der Bitte um Reitpferde an Sir Frederic zu wmden, obwohl er sie nicht abgeschlagen hätte; wir wandten uns an einen Nossetäuscher und mietheten einige mongolische Gäule, bei deren Bösartigkeit wir allerdings auf die verschiedenartigsten equestrischen Wechselfälle gefaßt sein mußten. Am 9. November, Morgens 7 Nhr, brachen wir auf. Die Kälte war schneidend, unsere Hände erstarrten an den Zügeln, unsere Füße an den Steigbügeln; ohne Herrn Bismarck, der dem Reitknechte in chinesischer Sprache gebot, letztere mit Stroh zu umwickeln, wäre ich umgekehrt. Erst die steigende Sonne ermannte uns ein wenig. Wir ritten durch eine Menge Dörfer und eine ziemlich große Stadt und erreichten Mittags halb 12 Uhr die kaiserliche Sommerfrische. So viel sich noch ermessen ließ, war sie ein Inbegriff alles Phantastischen und Mysteriösen, 170 was Baukunst und Landschaftsgärtnerei aus Porzellan-Pagoden, Kiosks, Bronce-statuen, Marmorbrücken und Wanzen-Combinationen zu schaffen vermögen. Die Vegetation hatte schon durch die vorgerückte Jahreszeit gelitten, und der größte Theil der Prachtbauten war vor drei Jahren (I860) durch die barbarische französische und englische Soldateska zerstört worden; doch machte die von klaren Wasserstreifen und kleinen Seen belebte Hügellandschaft, welche die malerischen Contouren des Mongolengebirges harmonisch abgrenzten, noch immer einen hochpoetischen Totaleindruck. Entzückend ist die Nundsicht von dem höchsten Punkte, einem Hügel, den ein großer Sommervalast krönt. Ein Theil desselben hat der Zerstörungslust der europäischen Vandalen getrotzt, aber an vielen Orten ist kein Stein auf dem andern geblieben. Man ver« dummt vor dieser brutalen Freude am Ruin von zierlichen Werken der fleißigen Menschenhand, wenn man unter muthwillig Zerschmetterten Marmortreppen und Brücken, umgestürzten Götzenbildern und verwüsteten Landhäusern umher-wandelt. Offenbar sind die gelbglasirten Dachziegel abgerissen und absichtlich mit den Absätzen zertreten oder den Flintenkolben zerstampft. Weite Strecken glichen im Sonnenglanze Feldern von Goldsand. Nur zwei, wenn ich nicht irre, aus Vanca-Zinn gegossene, auf hohen Marmor-Piedestalen stehende kolossale Löwen waren der Wuth der Eroberer unzugänglich geblieben und bewachten noch heute am Eingänge die Ruinen des Sommerpalastes ihres kaiserlichen Gebieters. Wir hielten uns nur zwei Stunden auf, denn es war grimmig kalt und der vom Mongolengebirge wehende Wind hatte alle stehenden Gewässer mit riner dünnen Eisschicht überzogen. Unserer Abenteuer mit den Mongolenkleppern sei nur beiläufig Erwähnung gethan. In einem langen Gange des kaiserlichen Gartens nahm mein Schimmel das Gebiß auf die Zähne und Reißaus, um mich später über seinen Kopf weg hart vor einem dichten Gebüsch in den Sand zu setzen. Um 5 Uhr Nachmittags waren wir wieder in Peking, aber acht Stunden hindurch im Sattel geblieben. Unterwegs hatte sich uns ein Chinese aus den besseren Klassen angeschlossen, mit dem Herr Vismarck ein lebhaftes Gespräch anknüpfte. Der Reisegefährte besaß in der Gegend eine ausgebreitete Vekanntfchaft und stieg regelmäßig vom Pferde, so oft ihm ein Freund begegnete, um der Etikette gemäß ihm pmterre seine Ehrenbezeigungen zu erweisen. Da der Freund dieselben stets gewissenhaft erwiderte und dadurch viel Aufenthalt entstand, wurden unsere Klepper noch störrischer als zuvor, und Herr Vismarck, der den seinigen durch europäische Reitkünste sanfter stimmen wollte, that einen bedenklichen Sturz und beschädigte sich im Gesicht und an den Händen. Wir griffen zum Kantschu und ließen den überhösiichen Chinesen hinter uns, der natürlich nicht zögerte, nochmals abzusteigen und uns aus der Ferne feierlich Lebewohl zu sagen. Nicht weit von der Stadtmauer führte mich Herr Vismarck in einen Tempel, wo uns die Bonzen gegm ein Trinkgeld die größte Glocke des Kaiserreichs zeigten. 171 Das Ungeheuer besitzt einen Umfang von dreiunddreißig englischen Fuß. Es war 5 Uhr, als ich im Hotel anlangte. Nach den Strapazen des Tages genoh ich eine erquickliche Nachtruhe und wurde nur zu früh durch ein aus den Dienerwohnungen über den Hof erschallendes Jammergeschrei erweckt. Ein chinesischer Tiener hatte die Ofenklappe zu früh geschlossen und war in feiner Kammer am Kohlendampf erstickt. Nun höre man, niie der englische Gesandte sich benahm! Auf seine Kosten wurde ein Sarg herbeigeschafft und die Familie des Verstorbenen citirt, welche uom Haushofmeister zwanzig Dollars Schmerzensgeld erhielt. Zugleich w^rde aber im Bedientenviertel ein Placat an die Hofmauer geklebt des Inhalts, daß der Gesandte dem Verstorbenen seine Unvorsichtigkeit verzeihe, sich aber gemüßigt sähe, jeden Nachfolger strenger zu behandeln. Wer die Klappe wieder zu früh schlösse, hätte es sich selber zuzuschreiben, wenn er weder einen Sarg, noch eine Unterstützung für die Hinterbliebenen erhielte! Ich bedauere von ganzem Herzen, mit dem liebenswürdigen und geistvollen Bismarck so spät zusammengetroffen zu sein. Er besitzt die Ortskenntniß eines Eingeborenen und führte mich an Orte, von deren Vorhandensein ich keine Ahnung hatte. So besichtigten wir im nördlichen Theile Pekings einen anderthalb Meilen vom Hotel entfernten Vuddhatempel und darin das fünfundsiebzig Fuß hohe, fünfundzwanzig Fuß breite, aus Hol; geschnitzte Standbild des Götzen, und tummelten uns unverdrossen unter den zahlreichen Bonzen und Schweinen umher, die gemeinschaftlich den Tempel bewohnten. Auch dem freundlich gelegenen Kirchhof der russischen Mission und den Gräbern der am 1s. September I860 ermordeten sechs Europäer wurde ein kurzer Besuch abgestattet, der uns nur durch den Ueberfall einer Horde von Bettlern aller Lebensalter verleidet wurde. Um sich zu erwärmen, überschlugen sich die unbekleideten Kinder fortwährend, wobei sie zuweilen in eine Pfütze taumelten und das dünne Eis derselben durchbrachen. Auf einem Thor>: zeigte mir Herr Vismarck eine Reihe gemalter Kanonenmündungen in den Schießscharten; mit unbewaffnetem Auge hatte ich bisher wirkliche Geschütze dahinter vermuthet. Sir Frederic war heute bei Tisch in besonders heiterer Laune, er erzählte mit vielem Humor von mancherlei Verlegenheiten, die ihm seine undeutliche Handschrift bereitet. Er hatte z. V. uor Jahr und Tag an eine berühmte Firma der Havannah geschrieben und sich für zweihundert Pfd. Sterling der feinsten Cigarren ausgebetcn. Die Firma schickte für sechshundert Pfd. Sterling und der Gesandte mußte bezahlen, da die Zahl mehr Aehnlichkeit mit einer 6, als einer 2 besaß. Vor mehreren Monaten hatte er für sechshundert Frcs. Trüffeln in Paris bestellt, aber unter Hinzufügung der Entschuldigung: es sei schwer gewesen, in so kurzer Zeit die nöthige Quantität in gutem Zustande herbeizuschaffen, deren für sechstausend Frcs. erhalten. „Sie wcrdcn erklärlich finden, daß bei keiner Mahlzcit Trüffeln fchlen!" schloß der !Umcht Sir 172 Frederics. Nach dem Dessert verabschiedete sich Cavitän Osborne, um mit seinen acht Schiffen nach England zurückzukehren, Der tapfere Seemann hat sich dem Gedächtniß der chinesischen Piraten für immer eingeprägt. Auf seinem Schiffsregister stehen mehr als zweihundert Dschunken, die er in den Grund gebohrt oder nach Gefangennahme der Mannschaft in Brand gesteckt. Um auch die Iuckerbäckerlünste von Peking kennen Zu lernen, führte mich Herr Bismarck zu dem ersten Bäcker des Ortes, dem Kranzler von Peking. Unserem europäischen Geschmack sagten die candirten Früchte und feinen Säfte am meisten zu; wir gehörten nicht zu den vassionirten KuchcnfreU'den. Um meinem Gastfreunde in Tientsin cine kleine Artigkeit zu erweisen, kaufte ich zugleich ein Dutzend mit den erlesensten Früchten gefüllter Flaschen und ließ sie durch einen Kuli in das Hotel tragen. Mit einen: Antiquar konnte ich nicht handelseins werden, so eifrig Bismarck intervenirtc. Von einem anderen Bibliothekar hatte ich irgend ein altes Buch verlangt, und der schlaue Händler pries mir als Unicum eine von Würmern zerfressene Scharteke an, die vor achttausend (!) Jahren gedruckt sein sollte. Er mochte diese Kostbarkeit schon lange auf dem Lager haben, denn er empfahl mir den morschen Fascikel mit einer Leidenschaftlichkeit, die mich vielleicht zum Fall gebracht und um Zehn Dollars ärmer gemacht hätte. Nur die verstohlenen Winke Vismarcks belehrten mich eines Besseren; aber wie dem Zudringlichen entrinnen? Ruhig legte ich das Heft nach einiger Prüfung des Inhalts auf den Tisch und bat meinen Begleiter, dem Verkäufer zu sagen: ich würde es gern behalten, aber es sei mir nicht alt genug! Dem Chinesen blieb der Schrei des Entsetzens im Schlunde stecken; nnr entfernten uns mit feierlichen Schritten. Ein solcher Antiquitäten-Liebhaber mochte ihm in Prari noch nicht vorgekommen sein. Der liebenswürdige Landsmann veranlaßte mich ferner zu einem Besuche in Dr. Lockhardts Heilanstalt. Der ehrwürdige Herr ist seines Zeichens Missionär und beschäftigt sich nur nebenbei mit der Heilwissenschaft. Eine Kritik derselben mag den Männern von Facii anheimgestellt bleiben: ich beschränke mich auf eine Beschreibung seiner Fir-Eurmethode. Ich fand das Vorzimmer Mr. Lockhardts voller lahmer, blinder und tauber Chinesen, anderer Uebel und Gebrechen gar nicht zu gedenken. Für alle diese Leiden gab es nur eine Arznei. Die krankhafte Stelle wurde zuerst mit gelber Farbe angemalt, dann erhielt der Patient eine Handvoll Pillen, die er gleich vor den Äugen des Nunderdoctors ;u sich nehmen mußte. Von der Wirksamkeit feiner Medicaments war Mr. Lockhardt felsenfest überzeugt. Von seiner zahnärztlichen Geschicklichkeit bin ich weniger erbaut. Ich wollte die Gelegenheit benutzen, mich von meinem Quälgeist, einem hohlen Zahne, zu befreien, aber Se. Hochwürden brachen in der Hast die Krone auf den ersten Ruck ab und gruben dann eine Stunde lang, während dcren ich von zehn Kulis, seinen Assistenten, an Armen und 173 Beinen, Kopf und Kragen festgehalten wurde, an der Wurzel umher, die endlich in einzelnen Stücken zu Tage kam. Das Personal im Gesandtschaftshotel schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, als ich mit bombenartig angeschwollenem Gesicht am Theetische erschien. XXIII. Aquarelle für Zahn. Schlaubergers Diener. Abgelahnt. Mistreß Reynolds. Kutscherwechsel. Tartarus, Inferno und Ausspannung. Scgeltarren. Gin umgefahrenes Haus. Mungulische Miethsllepper. Nach Ohialin. Die Stinkpots bei Tatu. Das Wetter verschlechtert sich mit jedem Tage, und ein anhaltender stürmischer Wind gestattet mir nicht, unter freiem Himmel zu arbeiten. So gleichgültig es mir ist, im Gesicht und an den Händen schwarz wie ein Schornsteinfeger nach Hause zurückzukehren, der klebrige dunkle Staub, der an jedem frischen Pinselstrich haftet, verdirbt alle neuerdings angefangenen Aquarellen. Auch der Ueberlandweg von Peking nach Tientsin muß reiflich in Erwägung gezogen werden. Nach meiner Bekanntschaft mit der Landstraße kann der Weg bei anhaltendem gelindem Frost unfahrbar werden. Die Kräfte zweier Pferde reichen gewiß nicht aus, den durch die Eiskruste bis an die Achse in den Schlamm gesunkenen Karren tausendmal an einem Tage wieder herauszuziehen. Mein Plan, baldmöglichst die Rückreise anzutreten, sollte durch I)r. Lockhardt, den als Zahnbrecher dilettirenden Missionär, vereitelt «erben. In Verlegenheit, ihm, dem frommen Diener der Kirche, ein Honorar für ärztliche Leistungen anzubieten, so elend sie gewefen sein mochten, stammelte ich bei meinem Abschiedsbesuche einige Worte der Erkenntlichkeit, doch war Dr. Lockhardt nicht der Mann, sich damit ;u begnügen. Keineswegs geneigt, dem Laster der Undankbarkeit Vorschub zu leisten, erklärte er, durch die Zeichnung eines gewissen Theiles der Stadt sattsam für seine Bemühungen belohnt zu werden; es blieb mir also nichts übrig, als einen Tag zu opfern und bei einem eisigen Winde, der mich mit neuen Zahnschmerzen bedrohte, die Zeichnung für den bescheidenen Priester anzufertigen. Wenn mich das Gedächtniß nicht schändet, will ich bekennen, niemals ein Blatt so gleichgültig und nachlässig ausgeführt zu haben. Einmal dieser Verpflichtung ledig, ging ich an das mühselige Geschäft, meine Koffer zu packen. Auf Schlaubergers, meines chinesischen Dieners, Hülfe war nicht zu rechnen; ich suchte ihn sogar Taschen- und Kofferdiebstahls halber fernzuhalten. Nur meiner einfältigen Gutmüthigkeit habe ich es zuzuschreiben, wenn mir der heillose Kerl in den letzten Tagen über den Kopf 174 gewachsen ist. Ueberdrüssig, meine Kleider zu reinigen und die Stiefel zu putzen, hält er sich dazu einen Kuli, der mir bei der wahrscheinlich schlechten Bezahlung seines Gebieters nicht vom Leibe geht und um „Vackschisch" bettelt. Der unaufhörlichen Prellereien Schlaubergers müde, beschloß ich, ihn vor Verschluß meiner Koffer abzulehnen. Zu zahlen hatte ich nichts mehr, da er bereits für anderthalb Wochen Vorschuß empfangen. Diesen ließ ich ihm und fügte sogar noch ein kleines Geschenk hinzu. Dessenungeachtet bettelte der Kerl um Vackschifch und dann noch um fünfzig Cash zu einer Pfeife Opium. Es war unmöglich, ihn aus dem Zimmer zu entfernen, die offenen Koffer und die auf dem Tisch umherliegenden, zum Theil werthvollen Gegenstände waren fur ihn zu verführerisch. Jetzt ging ich an die Emballage jenes Dutzend Porzellankruken, in denen die feinsten eingemachten Früchte enthalten waren, die ich, um meinem gütigen Gastfreunde eine kleine Aufmerksamkeit ;u erweisen, bei dem ersten Conditor in Peking gekauft hatte. Ich befahl Schlauberger, die Kruken aus einem Wandschrank mir zuzureichen und dann das Gemach zu verlassen. Zu meinem Befremden trat der Kerl, ohne meinem Vefehl zu gehorchen, sogleich den Rückzug an. Der Paß wurde ihm indessen verlegt; ich drängte ihn gegen das Fenster und griff selber nach den Kruken; sie waren sämmtlich leer; der Schlecker hatte den Inhalt bis auf die letzte Fruchtfaser verzehrt. Bei der geringsten Spur von Verlegenheit oder Scham wäre ihm seine Gefräßigkeit hingegangen, aber die freche Hohn-lache des Buben, der die Dieberei für einen guten Witz zu halten schien, empörte mich aufs Aeußerste. In Ermangelung eines Säbels griff ich nach der Nilpferdpeitsche, welche mich auf meinen letzten Neittouren begleitet hatte, und ging Schlauberger zu Leibe. Er wollte mir unter dem Arm durchschlüpfen, allein ich kam ihm zuvor und versetzte ihm mit Aufgebot aller meiner Kräfte einen regelrechten Schwadronenhieb. Schlauberger warf sich zu Boden und stieß ein lautes Jammergeschrei aus, sprang jedoch, als ein Regenschauer von Kantschuhieben über ihn hereinbrach, geschwind wieder auf und rannte heulend davon. Iu meinem Troste machte sich der im Hofe beschäftigte Mongole, dem er stets ein Dorn im Auge gewesen war, über ihn her und versetzte ihm, den Zopf festhaltend, mehrere Fußtritte, wie sie eben nur einem Mongolen zur Verfügung stehen. Das Geschrei des Sträflings zog die Dienerschaft des Hauses herbei und ich benutzte gleich die Gelegenheit, um meinen Dank für geleistete Dienste auszusprechen und die Abschieds-Trinkgelder zu vertheilen. Mit ungeheuchelter Rührung trennte ich mich von Mistreh Reynolds, der dicken Köchin. Die würdige Frau hatte sich um mein Leibeswohl hochverdient gemacht; ihre Diners werden niemals aus meiner Erinnerung schwinden. Ein feierlicher Act war die Verabschiedung von Sir Frederic und seinen jugendlichen Attaches. Der Aufenthalt in diesem Hause und einer Gesellschaft, die alle Bildung und den 175 edlen Anstand Englands besaß, hat mich für sämmtliche, auf See im Kreise roher Capitäne und Passagiere erlittenen Ungebührlichkeiten entschädigt. Am 11. November sagte ich den liebenswürdigen Gastfreunden für immer Lebewohl und bestieg den vor dem Hotel harrenden „Todeskarren". Herr Karl Vismarck und ein junger Attach« gaben mir noch zwei Stunden weit zu Pferde das Geleit. Der Himmel mag wissen, wann ich dem freundlichen Landsmanne die mir erwiesenen Gefälligkeiten vergelten kann. Die Gegenwart der beiden Herren mochte meinen Kutscher in Zaum gehalten haben; als sie ihm aus dem Gesicht entschwunden waren, entwickelte er plötzlich eine der unangenehmsten Eigenschaften, an der Nossebänbiger zu leiden pflegen. Seiner gigantischen Statur nach ein geborener Raufbold, fing er mit einer Menge Passanten Streit an und ging gleich zu Schimpfworten und Thätlichkeiten über. Für einen schlichten Deutschen ist es immer eine bedenkliche Aufgabe, die Streitigkeiten chinesischer Pferdeknechte fchlichten zu müssen; ich machte gute Miene zum bösen Spiel. Zänkereien kommen bei der tief eingewurzelten Feigheit der ostasiatischen Völker selten vor, und mich belustigte dieser Wortwechsel, wie ich ihn noch nie erlebt. War der Friede wieder hergestellt, so suchte mich der störrige Kutscher durch Geschichtserzählungen für meine Vermittelung zu belohnen. Ihrem Gange vermag ich nicht zu folgen, doch lerne ich immer einige neue Vocabeln, die ich aber schon in Tientsin nicht mehr verwerthen kann. Die Naturaluerpstegung auf dem Rückwege flößt mir keine Besorgnisse mehr ein. Mistreß Reynolds hat hausmütterlich für mich geforgt. Noch im Augenblicke des Scheidens brachte die gute Frau einen Kober voll gebratener Nebhühner, Zungen, Pickles und Brandy; eingedenk des Schlauberger'schen Appetits habe ich ihn sofort wie eine Reisetasche um die Schulter gehängt. Die l5intheilung unserer Nachtlager ist eine andere als auf der Hinreise nach Peking, aber ein Unterschied in der Einrichtung der Gasthäuser ist nicht zu bemerken. Sie sind immer dieselben schmutzigen und stinkigen Kerbachen mit ausgemauerten Bettpritschen und gestickten Papierfenstern. Wäre ich den Peiho stromab gefahren, so hätte ich wohl diese Unbequemlichkeiten gemieden, bei den Krümmungen des Flusses aber beinahe fünf kostbare Tage verloren. Gelegenheit zu Kutscherbekanntschaften wird mir häufig geboten. Sobald nämlich ein Gespann das andere einholt, ist es Brauch der Fuhrleute, nach Austausch der weitläufigen NegrüßungZ-Ceremonien nun auch ihre Sitze auf der Gabeldeichsel und die Lenkung der Pferde zu wechseln. Ohne den Fahrgast zu fragen, nimmt der fremde Kutscher neben ihm Platz und knüpft so-gleich eine vertrauliche Unterhaltung an. Mehrmals wurden mir von den galanten Herren angebissene Aepfel oder brennende Tabakspfeifen angeboten, die ich regelmäßig mit tiefgefühltem Dank zurückwies. Verriethen sie Spuren von Empfindlichkeit über die Ablehnung dieser Artigkeiten, so stellte das Oe- 176 schenk einer Cigarre ihre gute Laune schnell wieder her. Der Uebersiedelung des Ungeziefers, mit dem sie bedeckt waren, konnte ich mich leider nicht mit gleicher Leichtigkeit erwehren. Mit untergeschlagenen Veincn sitzen wir einander so nahe, daß die Colonisation der kleinen Kriechthiere rasch und ungehindert vor sich gehen kann. Die Dichter des Alterthums haben sich über die Schrecken des Tartarus eben so ausführlich verbreitet, wie Tante über die Greuelscenen der christlichen Hölle, aber in den Schilderungen Beider vermisse ich das Vild des deutschen Reisenden, der, Abends in einer chinesischen Ausspannung angelangt, seine geräderten Glieder auf der geheizten Steinpritsche ausstreckt, hier vor einer eiskalten Kachel zurückschaudert, dort sich an einer glühend heißen Stelle verbrennt, trotz des Getuschels am Papierfenster, nachdem er das qualmende Talglicht ausgeblasen, endlich in cinen unruhigen Schlummer verfällt, plötzlich aber, von naschhaften Kerbthieren angezapft, entsetzt von der Folterbank aufspringt, sich aller Kleidungsstücke entledigt und wie irrsinnig in der Höhle umhertobt. Ich verschone meine Landsleute mit einer ausführlichen Beschreibung des ersten Nachtquartiers auf der Rückkehr von Peking nach Tientsin. Die Qualen desselben hatten bei der früh hereinbrechenden Dunkelheit der Herbstabends schon um halb 3 Uhr begonnen, aber erst eine Stunde nach Mitternacht hatte ich meine Fassung so weit wieder erlangt, um zu Gunsten der Gastwirthschaft selbst einige Milderungsgründe beizubringen. Möglichst ruhig setzte ich mir auseinander, die Gründung dieser Kneipe könne vielleicht bis in die ersten Jahrhunderte nach Christi Geburt hinaufreichen und schon ein Zeitgenosse des Attila auf der über die Pritsche gebreiteten Strohmatte geschlafen haben; die älteren Anrechte der darin hausenden Insekten-Bevölkerung seien daher zu resvoctiren. Ich hüllte mich wieder in meine Kleider und wandelte bis 3 Uhr in dem kleinen Hofe umher. Bis zum Tode erschöpft, schlummerte ich dann noch eine halbe Stunde, wurde aber gegen 4 Uhr schon von meinem Kutscher geweckt. Der schlechten Wege halber trieb er, um das nächste Quartier noch rechtzeitig zu erreichen, so früh zum Aufbruch. Es war bitter kalt und sternenklar, um so unheimlicher wirkte der Leichengeruch, den der Nachtwind uns von benachbarten Gräberstätten entgegentrieb. Der Kutscher bemühte sich wieder, mich durch Fortsetzung seiner gestrigen Erzählungen zu zerstreuen, doch sprach er heute viel lauter. Er mochte mich, da ich meistens nur durch Kopfnicken geantwortet, für harthörig halten. Auch heute setzte ich meine Kutscher-bekanntschaften fort und kam nach einer uierzehnstündigcn Fahrt, an Gräbern und offenen Särgen vorbei, bald nach Sonnenuntergang, betäubt von dein wirren Geschwätz dcr Barbaren, in der Herberge an. Seit sechsunddreißig Stunden habe ich keinen Europäer mehr gesehen. Die grundlosen Wege hatten die Karrenfahrt doppelt unerträglich gemacht. Dreimal mußten wir quer durch kleine Flüsse fahren, in deren Lehmgrund die schweren Karrcnräoer 177 bis an die Achse versanken und das trübe Wasser unsere Füße benetzte. Wegebau-Commissionen mögen in China nicht eristiren! Um über die Schwierigkeiten der Straßen leichter hinweg zu kommen, bedienen sich die Führer von Schiebkarren des eigenthümlichen Hülfsmittels der Mattensegcl, und wirklich scheint der Wind bei leichten Fahrzeugen ausreichende Krast zu besitzen, den Karren rascher von der Stelle zu bringen. Bor einen» freistehenden Thor- oder Triumphbogen hielt ich eine Viertelstunde und skizzirte ihn flüchtig. Zwei fünfzehn Fuß hohe hölzerne Figuren ver-, anlaßten mich besonders dazu. Veide mochten Teufel vorstellen, aber während der eine sich^ mit einem Säbel gar grimmig geberdete, muficirte der andere unter leutseligein Lächeln auf einer Guitarre. In dem nahen Tempel stand ein Hauptgott aus Vronce, wie eine Bruthenne von ihren Küchlein, umgeben von uielen kleinen Götzchen. In unserem heutigen Nachtquartier sah es etwas reinlicher ans, man nar sogar auf ein warmes Abendessen eingerichtet, dach war auch der Betrag der Rechnung diesen Genüssen angemessen. Das Document Habe ich gleichfalls aufbewahrt und erfreue mich noch heute in Stunden der Erinnerung der zierlichen Schrift dcs chinesischen Wirthes. Wenn unsere Oberkellner die Rechnung möglichst flüchtig auf das Papier werfen und die einzelnen Posten gern in ein Pauschquantum zusammenziehen, befleißigt sich der Chinese einer wahrhaft kalligraphischen Ausführung. An den oft aus zwanzig Haarstrichen gebildeten einzelnen Wörtern fehlt nicht ein Häkchen, die Anfertigung der Rechnung von der Größe eines Thalerscheins konnte eine Stunde gedauert haben. Am 13. November brachen wir um 5 Uhr Morgens wieder auf und erreichten Nachmittags noch bei guter Zeit Tientsin. Wäre ich abergläubisch, unser Einzug hätte mir für eine üble Vorbedeutung gelten können. Mein Kutscher, der seit Tagesanbruch roenig Gelegenheit gefunden hatte, seiner Händelsucht Luft zu machen, suchte in der Vorstadt einiges Aufsehen zu erregen und fuhr ein kleines Haus um. Wäre ihm dieses Attentat auf den befestigten Grundbesitz «on Tientsin ungestraft hingegangen, er hätte von den wuchtigen Karrenrädern noch weiteren Mißbrauch gemacht und die ganze Straßenfront von Kartenhäusern über den Haufen gefahren; allein der .Hausherr, die Mether und alle Nachbarn sielen über uns her und überschütteten den Freund des Umsturzes mit bitteren Vorwürfen. Man forderte von mir Bezahlung des übergefahrenen Hauses! Nach Abrechnung des Werthes der Baustelle, für die ich nicht verantwortlich gemacht werden konnte, hätte sich die Entschädigungssumme wohl noch erschwingen lassen, denn die Trümmer des Gebäudes glichen nur einem Haufen übereinander geworfener Bettschirme, allein rechtzeitig überfiel mich der Argwohn, das kleine Haus könne auf Speculation so weit aus der Straßenflucht hervorgerückt sein, um dem Besitzer zuweilen eine Extra-Einnahme zu verschaffen; ich verweigerte jegliche Zahlung. Der Wortwechsel mit dem Kutscher dauerte noch an zehn Minuten, Hildiblandt'S Nelse um die Erb«. II. 12 178 dann ließ man uns passiren, und kurz vor Sonnenuntergang hielt der Karren vor dem Hause des Herrn Stammann. Während meiner ersten Anwesenheit in Tientsin war mir die Zeit nur spärlich zugemessen, setzt bin ich genöthigt, den Abgang des Dampfers nach Shanghai hier abzuwarten, und gesonnen, das Versäumte nach Mästen nachzuholen. Gleich am nächsten Morgen (14. November) begünstigte die herrliche, nicht zu kalte Witterung meinen ersten malerischen Ausslug. Schnell war eine Ansicht der Stadt zu Papier gebracht und Nachmittags ein Spazierritt mit zwei Deutschen unternommen, der leicht traurige Folgen hätte haben können. Den mongolischen Miethsgäulen blieb unsere schülerhafte Reitkunst nicht lange verborgen. Nachdem dicht vor dein Thore erst der Braune und dann der Schimmel mit meinen Begleitern durchgegangen, fühlte sich auch mein FuckM gedrungen, seinen Stallgenossen zu folgen. Ich verlor die Bügel, avancirte über den Sattelknopf auf den Hals der Mähre und flog endlich über ihren Kopf auf die Landstraße. In einiger Entfernung lagen die Landsleute; in dem tiefen Schmutz hatte Niemand Schaden genommen, nur mußten wir in der traurigsten Gestalt zu Fuß nach Tientsin zurückkehren. In den engen Straßen wurden wir eine willkommene Beute der Bettler, die, ohne unsern bejammernswerthen Zustand zu berücksichtigen, unser Mitleid zu erwecken suchten. Einige hatten unsere in die Stadt zurücklaufenden Pferde erwifcht und erbaten sich ein Trinkgeld, andere suchten unser Erbarmen zu erregen, indem sie ihre nackte Brust mit großen Mauersteinen so gewaltsam bearbeiteten, daß die Stöße blutige Spuren hinterließen. Gerade diese Bettler waren immer gesunde und ^robuste Personen, die ihren Lebensunterhalt mit geringer Mühe durch Arbeit hätten erwerben können. Am Morgen des 15. November wurde mir der Mangel jedes Heizapparates in unserer Wohnung schmerzlich fühlbar. Der Aufenthalt im Freien war noch immer erträglicher. Sobald der Nebel sich etwas verzogen hatte, bepackte ich mich mit meinem Malerstuhl und sonstigen Utensilien und nahm eine sehr malerische Straße mit mehreren Triumphbögen auf. Nach dem Tiffin stattete ich dem preußischen Consul, Herrn Alisch, cinen Bestich ab. Der blaue Himmel und warme Sonnenschein forderten zu einem Spaziergange auf, und der Consul führte mich zu den nahe gelegenen Forts, die in der Geschichte des letzten Krieges und Tractatenabschlusses von Tientsin eine große Rolle gespielt hatten. Die Wälle sind durchweg von Schlamm aufgeworfen, ein Material, das der Beschießung stärkeren Widerstand als Mauern und andere solide Befestigungen entgegengesetzt haben soll. Beim Brescheschießen blieben die Kugeln in der zähen Masse stecken oder fuhren hindurch, ohne eine Oeffnung zu hinterlassen. Die Zahl der Gefallenen muß sehr beträchtlich gewesen sein: die Forts sind von einer Menge von Grabhügeln umgeben, unter denen die Soldaten der Engländer und Franzosen ruhen. 179 Für den 16. November war ich auf den Landsitz dos Herrn Alisch nach Chialin (Tschialin) zu einem Diner geladen. Die Villa war eine Stunde von der Stadt entfernt, und es blieb inir, da es die ganze Nacht hindurch gestürmt und geregnet hatte, nichts Anderes übrig, als mich eines Tragsessels zu bedienen, doch versanken selbst die acht handfesten Kulis, die abwechselnd den Palantin trugen, nicht selten tief in den Schlamm. An die Rückkehr nach Tientsin war nicht zu denken; ich wäre in Nacht und Nebel sammt meinen Trägern in der choatischen Masse zu Grunde gegangen. Ich blieb in der Villa des Consuls, aber auch an ruhigen Schlaf war nicht zu denken. Der Sturm drückte die kleinen blauen und gelben Fensterscheiben des Gemaches ein, und ich holte mir einen heftigen Schnupfen, der mir auch die letzten Stunden der Nachtruhe verdarb. Am Morgen war die weite Fläche der Fluhniederung, fo weit das AuM reichte, in Schnee gehüllt und ein scharfer Nordost trieb ein dichtes Gestöber der feinsten Flocken vor sich her. Dessenungeachtet traten meine acht Kulis an, und über Hals und Kopf kehrten wir mit unferem Palankin nach Tientsin zurück. Consul Ulisch versicherte mir, wir thäten wohl, stromabwärts nach Taku zu fahren, ehe der Fluß zufriert. Es sei sicherer, von dort ans den Abgang des Dampfers nach Shanghai abzuwarten. Meine Effecten waren rasch gepackt, nur mit klingender Mimze war ich noch nicht ausreichend versehen. In der asiatischen Geschäftswelt wird meistens bis auf den letzten Augenblick gewartet. Erst im Moment der Abfahrt war es inir möglich, meine Papiere in Gold umzusetzen. Der Consul, den ich bis Shanghai begleiten werde, hatte ein geräumiges, mit vierundzwanzig Ruderern bemanntes Mandarinenboot gemiethet, und um 4 Nhr fuhren wir nach der europäischen Ansiedelung den Fluß hinab. Wir sollen hier von der Abfahrtszeit des Steamers in Kenntniß gefetzt werden. Es stürmt gewaltig bei eisiger Kälte; die Flasche muß den gemüthlichen deutschen Ofen ersetzen. Obgleich man uns längst auf den Abgang des Dampfers vorbereitet hatte, traf doch erst am 19. November Vormittags die briefliche Aufforderung des Capitäns ein, uns sofort an Bock zu begeben. Die Dienerschaft des Consuls brannte bei hellem lichten Tage ein Abschiedsfeuerwerk ab, und um halb 2 Uhr schifften wir uns nach dem zehn Meilen entfernten Taku ein. So rüstig unsere schlechtgekleideten Kulis ruderten, um sich ;u erwärmen, erreichten wir den Ort unserer Bestimmung doch erst in den Mittagsstunden des nächsten Tages. Kurz vor Taku zeigte mir Herr Alisch die künstlich aufgeworfenen Hügel, auf welchen vor drei Jahren die Scheinbcfestigungcn der Chinesen gestanden hatten. Diese waren nichts weiter, als Tccorationen aus Leinwand und Papier gewesen, die man zwischen Bambusstäben aufgehängt und mit Schießscharten nebst Kanonemnündungen bemalt hatte. Die einzige Armirung dieser Pseudo-Forts bestand aus sogenannten „Stinkpots", mit denen man den Vajonnetangriff der Engländer 12^ 180 und Franzosen beantwortete. Die teuflische Mischung verbreitet einen scharfen betäubenden Dunst, der den Athem benimmt und das Auge 'zu brennend heißen Thränen reizt. Eine andere, noch abscheulichere Composition ist mit feuchtem Schießpuwer angemacht und verbrennt langsam, indem die Stinkmasse Verdampft, Wir hatten uns beeilt, an Vord des Dampfers „Gerard" zu kommen, allein die Mühe war umsonst gewesen. Erst am Tage darauf sollte der „Gerard" die Anker lichten. Die Mannschaft des Steamers begleitete eben die Leiche des Lootsen Wingate zu ihrer letzten Ruhestatt. Der unglückliche Mensch, derselbe, welcher den „Argus" vergebens über die Varre der Peiho-Mindung zu bringen versucht hatte, war gestern sinnlos betrunken in die See gefallen und todt herausgezogen worden. Kaum hatten wir uns ein wenig in unserer Cabine eingerichtet, als Herr Nlisch die traurige Entdeckung machte, ein Korb nut zwölf Flaschen Champagner und eben so vielen feinen Medocs sei in unserem Mandarinenboot vergessen worden. Eine so wichtige Herzstärkung durfte nicht zurückbleiben. Der Diener, welcher mit uns die Abfahrt erwarten sollte, wurde dem schwerfälligen Boote der Kulis nachgeschickt, holte es wirklich mit seinen: winzigen Schnellsegler ein, brachte aber um halb 7 Uhr Abends nur noch drei Flaschen Champagner zurück. Den Rest hatte die Vootsmannschaft für gute Prise erklärt und — ausgetrunken. Im Verlaufe des Tages kamen noch fünf Passagiere an Bord, darunter drei französische Missionäre, mit denen ich schon in Peking flüchtige Bekanntschaft gemacht hatte, und am Theetisch wurde denn auch die Ursache der Verzögerung unserer Absaht nach Taku erörtert. Wieder ist es die leidige Varre, die uns, wie früher die Einfahrt, jetzt die Ausfahrt erschwert. Sie besteht aus einer mit Schlamm bedeckten Sandsteinbank und legt sich, gleich einem Schlagbaum, quer vor die Mündung des Peiho. Der Wasserstand hatte bei dem gestrigen Winde nur sieben Fuh betragen, bei dem heutigen Norbost war er um einen Fuh gestiegen; morgen hoffte der Capitän, bei ausreichender Tiefe den „Gerard" glücklich über die Barre zu bringen. Wirklich wurden am 21. November mit steigender Fluth alle Vorkehrungen zur Abfahrt getroffen. Ein deutscher Lootse trat an das Steuerrad, und alle Passagiere (der zweite Platz war mit chinesischen Handelsleuten gefüllt) legten mit Hand nn, den Anker zu lichten. Die siamesischen und malayischcn Matrosen sind nur ein schwächlicher, schlaffer Menschenschlag. Nach einer halben Stunde lag die Mündung des Peiho hinter uns, doch sollten wir abermals aufgehalten werden. Der Capitän eines auf die links gelegene Sandbank gerannten amerikanischen Barkschiffes kam an Vord und bot eine beträchtliche Summe, wenn der Dampfer ihn flott machen wolle. Unser Capitän war nicht der Mann, ein fo vortheilhaftes Anerbieten abzulehnen; der „Gerard" ging sogleich an's Werk. 181 XXIV. Ein Tag auf tier Schlammbant. Die „Swartolu". Der Rhabarber- Reiscndc. Gin Laboratorium der Natur. Keine Spielkarten. Kein Schreibpapier. Concert von Rheinländern. Kapitän und Matrose. Die Ningpo-Pagode. Tas Nachtmahl der Bonzen. Das Varkfchiff war zwischen der Mündung des Peiho und der Barre links auf eine jener Vänte gerathen, welche Schlamm 'und Triebsand 'unaufhörlich bald an dieser, bald an jener Stelle zusammenwirbeln, und saß seit drei Tagen fest. Die Vugsirtaue wurden angelegt, und ohne erhebliche Anspannung der Dampfkraft des „Gerard" gelang es, den Nordamerikaner flott zu machen und demnächst auch über die Varre zu schleppen. Wir hielten uns schon für geborgen, als das Tau riß, das Varkschiff nom „Gerard" getrennt, dieser von einer heftigen Strömung ergriffen und füdwärts getrieben wurde. Der Vankee uahm diese Gelegenheit wahr, unseren: Capitän das Honorar für seine Mühewaltung schuldig zu bleiben, zog eilig so viel Leinen auf, als das Schiff tragen wollte, und fuhr spornstreichs davon; der Capitän ließ ihn gewähren. Er war gewiß, das Geld von den Nhedern der Bark später einzutreiben. Der deutsche Lootse war durch diesen Vorfall und die Strömungen unsicher geworden, und fünf Minuten später rannte der „Gerard" seinerseits mit äußerster Gewalt auf eine Schlammbank. Sine grenzenlose Verwirrung entstand an Bord. Die Mannschaft und Passagiere liefen durcheinander, und erst nach längerer Zeit gelang es der Energie des Cavitäns, erstere zur Subordination zurückzuführen, lehtere leidlich zu beruhigen. Es war 12 Nhr Mittags, ziemlich stilles Wetter, also Aussicht vorhanden, den Dampfer noch vor Sonnenuntergang von der Vank abzubringen. Die Arbeit mit Wurfankern begann sogleich, und wir Reisenden legten eifrig mit Hand an, doch blieben alle unsere Anstrengungen vergebens. Die Anker hafteten nicht auf dem haltlosen Grunde, und statt den „Gerard" zu bewegen, ^ogen wir bei jedem Ruck die Anker näher an uns. Wir marterten uns die gan;e Nacht hindurch ab, als aber am frühen Morgen des 22. November eine starke Vrise aufsprang und nach zwei Stunden in einen fliegenden Sturm mit Schneegestöber und Lisaraupen ausartete, wurde unsere Lage bedenklich. Das ziemlich große eiserne Schiff trieb immer weiter auf die Vant und schlug und stampfte bei seiner kolossalen Schwere fürchterlich; der Bau zitterte und bebte in «llen Rippen, endlich neigte er sich auf die linke Seite und der Wogenschwall brauste darüber hin. Schon am vorigen Tage hatte der Lootse uns auf das Hochwasser der Mitternachtstunde vertröstet, um 12 Uhr Mittags durften wir abermals darauf rechnen. Wirklich brachte die steigende Fluth uns Rettung. Der rasch ausgeworfene Nurfanker haftete, das Schiff tonnte gedreht werden, sein riesiger Leib richtete sich langsam wieder auf, der Lootse und Capitän riefen jubelnd: 182 „Der „Gerard" ist gerettet/' und Zoll für Zoll arbeitete die Schiffsschraube den riesigen Eisenkasten durch die Sand- und Schlammmasse. Um 1 Uhr Mittags ließen wir in drei Faden Wasser den Anker fallen, denn noch mußten mir auf Briefe und Passagiere warten und den Wurfanker einholen, was bei 'der bewegten See einige Stunden Zeit kostete. Die Zeit wurde uns durch "das von Shanghai kommende, nach Taku bestimmte Dampfschiff „Swartow" verkürzt, welches sich mühselig und fast schon in sinkendem Zustande an dem „Gerard" vorüberschleppte. Ein spanischer katholischer Geistlicher in schwarzem Ornat kam zu uns an Bord, und von ihm erfuhren wir, daß die arme Nußschale von dem Teifun, den wir in Tientsin erlebt, auf hoher See furchtbar mitgenommen worden sei. Um das leck gewordene Schifflein zu erleichtern, waren nicht nur der größte Theil der in Thee bestehenden Ladung, sondern auch Passagier-guter und mehrere Kisten mit Zeitungen, Briefen und Büchern für Sir Frederic in Peking über Bord geworfen worden. Der geistliche Herr maß die Rettung des Schisses aus so großer Vedrängniß zuversichtlich einer Betstunde bei, die er mitten auf dem Deck während des Orcans gehalten hatte. Nach feiner Behauptung hätte sich die Wuth des Sturnies sofort gelegt, als er die Gläubigen daran erinnert, sie möchten sich darauf vorbereiten, in wenigen Minuten vor dem himmlischen Richter zu stehen. Die „Swartow" ist in, einiger Entfernung von uns vor Anker gea.an.gen, um das zum Passiren der Barre unentbehrliche Hochwasser abzuwarten; wir dampften um 1 Uhr Nachmittags der unsicheren Unterstelle halber eine Stunde weiter hinaus. Mehrere Passagiere der „Swartow" ließen sich dadurch nicht abhalten, uns einen Besuch abzustatten und einigen Flaschen Cognac den Hals zu brechen. Von ihnen erfuhr ich, daß auf dem „Vicomte Canning", dessen ich mich auf der Fahrt von Siam nach Hongkong bediente, vor acht Wochen wirklich die schadhafte Maschine zusammengestürzt sei. Einige Tage vorher hatte der Unglücksdampfer an der Küste von Formosa cin nordamerikanisches Barkschiff in den Grund gefegelt, ohne das Unglück — die Mannschaft war ertrunken — verschuldet zu haben. Der Nordamerikaner war in dein nächtlichen Dunkel ohne Laterne gesegelt. Der Ostwind hatte sich am Morgen des 23. Noucmber zwar etwas gelegt, doch war er uns contrair, die Fahrt also nicht angenehm. In der Nacht waren keine weiteren Unglücksfälle vorgefallen, und der ungewohnte Zustand einiger Sicherheit fängt an, mich zu beunruhigen, so vertraut bin ich nachgerade mit allen Wechfelfällen des Seelebens geworden. Mir wird erst wieder leichter um's Herz, als der Cavitän das Sinken des Barometers ankündigt und einen abermaligen Sturm prophezeit. Die Majorität der Gerard-Passagiere, darunter die drei Missionäre, ist schon jetzt seekrank, besser halten sich die chinesischen Touristen. Einer derselben, unter den knauserigen Chinesen eine seltene Ausnahme, fährt erster Klasse und geht durchweg mit dem Gelde splendider um, als seine Landsleute. Er ist auf der Insel Formosa ansässig, 183 und, wenn ich sein „Pidjen-Vnglisch" richtig verstanden habe, Rhabarber- und Kamvher-Neisender. Vr hat das uns Luropäern unzugängliche innere China bereist und überbietet an Lügen unsern vielbewährten Münchhausen. Nach seiner Angabe werden die Flüsse und Kanäle im Innern des Landes von großen Raddampfern befahren, zuletzt gab er jedoch zu, er könne sich geirrt und schwimmende Neismühlen mit Schaufelrädern für Steamer gehalten haben. Porter und Grog trinkt er mit europäischer Geschmeidigkeit der Kehle. Zwischen 9 und 11 Uhr passiren wir glücklich die Pitschili-Vai und die Miau-Tau-Straße mit ihren kleinen, aber drohend schroffen Felseninseln, und erblicken die große Stadt Heang-Chau. Am Felsabhang erbaut, reicht sie bis dicht an's Meer herab; auf der benachbarten Insel Chau-Chau zeigte mir der Cavitän die Gräber jener vierhundert Franzosen und Engländer, welche vor drei Jahren die Taku-Forts von der Seeseite hatten stürmen sollen, aber im Schlamm umgekommen waren. Tie weißen Grabsteine konnten wir mit unbewaffnetem Auge deutlich erkennen. Unser Dampfer durchschneidet jetzt die Wogen des gelben Meeres, das seinen Namen mit vollem Recht trägt. Sein fortwährend stürmisch bewegtes Wasser gleicht einer Lehmtunke und sondert, in einem Olase aufgefangen, sehr bald einen beträchtlichen Niederschlag ab. Die Natur hat hier ein Laboratorium zur Vildung neuer Landstriche angelegt und ist in voller Arbeit begriffen, die Tiefen des Oceans mit festen Bestandtheilen auszufüllen. Um halb vier Uhr Nachmittags kamen wir nach Chifou. Wir warfen Anker, verweilten aber nur vierundzwanzig Stunden, um noch dreißigtausend Dollars, vier chinesische Passagiere und tausend Hühner nebst einigen Dutzend Hasen und großen Seefischen für Shanghai einzunehmen. Der Wind hat sich nach Westen gewandt, es regnet, und um 3 Uhr stechen wir mit Segel- und Dampfkraft wieder in See. Meinen bedauernswerthen Reisegefährten, nachdem sie das Reis-, Thee- und Opiumthema hinreichend variirt, wird die Zeit entsetzlich lang; ich empfehle ihnen eine Partie Whist, aber es ergiebt sich, daß erstens nur zwei der Herren das edle Spiel verstehen, und zweitens der „Gerard" keine Spielkarten „fährt". Ich muß die Herren ihrem Schicksal überlassen, sie kauern sich in der Kajüte zusammen, wie ein Volk durchnäßter Nebhühner; ich spitze meine Vleifeder und arbeite an meinen Aufzeichnungen. Das Schreibpapier war mir schon in Peking ausgegangen, und da dergleichen Waare in der Hauptstadt des himmlischen Reiches nicht käuflich zu haben war, bediene ich mich der in Seide gebundenen, aus alten Brieftaschen gerissenen Pergamcnteinlagen zu Scripturen. Buddha wird sie lesbar erhalten! Unter ungleich erfreulicheren Bedingungen, wie vor vier Wochen, kommt Weih-hei-Weih in Sicht, aber wir dampfen hochfahrend vorüber und passircn Abends 9 Uhr das Cap Chantung. Mit günstigen! Winde legen wir 184 zehntchalb Knoten in der Stunde zurück, der Vollmond erleuchtet tasshell das Verdeck, und zur Feier des schönen Abende wird in der Kajüte Grog in bedenklichen Quantitäten getrunken. Der Rhabarber-Reisende von der Insel Formosa hat es auf die Missionäre abgesehen, aber: wer Anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Der Ungläubige hatte die Fassungskrast und Leistungsfähigkeit der frommen Männer weit unterschätzt; als ich mein zweites Glas mischte, standen die Füße der malayischen Männer, die ihn in seine Koje tragen sollten, schon draußen. Am 25. November ging bei dichtbewölktem Himmel der Wind nach Süden herum, doch erheiterte sich der Horizont Nachmittags wieder, und wir beobachteten zwischen 5 bis L Uhr Abends eine totale Mondsinsterniß. Der Chinesen bemächtigte sich beim Anblick dieses Schauspiels tiefe Betrübniß. So viel ich zu ermitteln vermochte, schlössen sie daraus auf bevorstehende Hungersnoth oder Kriegsgefahren und beruhigten sich erst einigermaßen, als der Schatten unseres Planeten die klare Mondscheibe vcr-lassen hatte. Ich ersuchte die Herren Missionäre, den unwissenden Menschen den natürlichen Vorgang auseinanderzusetzen, aber sie zuckten lächelnd die Achseln. Nir verwickelten uns bei dieser Gelegenheit in ein längeres Gespräch, und ich erfuhr von ihnen, dar, sie nur in der Eigenschaft gerichtlicher Zeugen einen Besuch in Peking abgestattet hätten. Es handelte sich um die Ver-urtheilung eines eigenmächtigen Mandarinen, der uor Jahresfrist einen Collegen der Missionärs und vier chinesische Ehristen hatte hinrichten lassen. Der Missionär war nach vielen Mißhandlungen nackt mit dem Zopf an den Schweif eines Pferdes gebunden, durch die Stadt nach dem Richtplatz geschleppt und dort enthauptet worden. Die französische Regierung hatte Genugthuung gefordert und der Mandarin seine grausame Willkür mit den« Leben gebüßt. Die Einkünfte der armen Geistlichen sind überaus geringfügig, und ohne die Unterstützung christlicher Landsleute müßten sie, nur auf ihre Iahrgehalte angewiesen, elendiglich zu Munde gehen. Der Bischof in partibns erhält hundertsechzig Dollars, die beiden Priester jeder achtundachtzig Dollars. Der Capitän des Dampfers hat ihnen natürlich freie Ueberfahrt nach Shanghai bewilligt, denn der Preis des Fahrbillcts würde fast eine ganze Jahres-einnähme verschlingen. Ich habe für die Strecke von Taku bis an den Ort unserer Bestimmung nach preußischem Gelde hundertfünfzig Thaler bezahlt. Bei schönem Wetter näherten wir uns am 2«>. November dcr Mündung des Aautsekiang, die sich schon viele Meilen weit in offener See durch eine eigenthümliche Nuance der gelben Färbung ankündigte. Die Capitäne sind nie um einen schlagenden Ausdruck verlegen; als wir daher um 9 Uhr Abends in die Mündung des Stromes einliefen, hieß es nicht: wir wollen den „Anker", sondern den „^chmutzkasten" (muä Imok) auswerfen! Die Stromfahrt konnte am nächsten Morgen nur mit halber Dampfkraft fortgesetzt werden; unser Kohlenvorrath gmz zu Ende. Vald darauf kamen wir an einem gesunkenen. 185 englischen Varkschiff vorüber; es war der Versicherungs-Gesellschaft theuer zu stehen gekommen. Außer der Entschädigung für die aus Thee und Seide bestehende, auf eine Million Thaler veranschlagte Ladung hatte sie für das Schiff selber siebzigtausend Thaler zahlen müssen. Durch die Gefährlichkeit der Wasserstraße verzögert sich unsere Fahrt, und ich ziehe, als wir eine Meile unterhalb Shanghai wieder vor Anker gehen, mit Herrn Consul Alisch vor, eine Barke zu miethen und unsere Effecten hinaufrudern zu lassen. Im Angesicht der Stadt kamen wir abermals an einem gesunkenen Dreimaster vorbei. In Shanghai ist an deutscher Gesellschaft kein Mangel. Gleich am Tage nach unserer Ankunft wurden wir zu dem Concert einer rheinischen Orchester-Gesellschaft geladen: ich traf dort einen alten Bekannten, Herrn Lindauer, Mitarbeiter der „Revue des deur Mondes"; die Soiree schloß Nachts 1 Uhr mit einer Punschgcsellschaft. Die am andern Morgen im Kreise von sechzehn Landsleuten unternommene Wasserpartie nach einer oberhalb Shanghai gelegenen, berühmte» alten Pagode hatte keinen gleich erfreulichen Verlauf. Die Barke führte keine Segel, und die kraftlosen Ruderer ermüdeten so bald, datz wir auf halbem Wege ausstcigen und zu Fuß nach Shanghai zurückkehren mußten. Es ward uns schwer, durch ein Netz von Kanälen den richtigen Pfad zu finden, doch entschädigte uns für die Mühsal ein großer Ovfcrvlatz mit zahlreichen Leichenhügeln, die mit steinernen Rossen, Löwen und Götzen geschmückt waren. Die anwesenden Leidtragenden oder Andächtigen kamen uns mit großer Höflichkeit entgegen, aber sie schlugen nicht ein, als meine Gefährten ihnen zum Gruß die Rechte boten. Als Erwiderung schüttelt der Chinese nur mit der Rechten die dürre gelbe Linke und fügt „Tschin, Tschinl" hinzu. Auf malerische Ausbeute muß ich verzichten, Shanghai und seine Umgegend ist durchweg flach und kein Hintergrund für den Landschafter vorhanden. Mir bleibt daher ausreichende Zeit für gesellschaftlichen Umgang, doch bin ich, da es seine Bedenken hat, mit englischen Constablern, der Straßenvolizei und französischen Schildwachen anzuknüpfen, durchschnittlich auf Echiffscapitäne angewiesen. Mein Liebling ist ein Landsmann aus Nolgast, der Befehlshaber eines ansehnlichen Pinkschiffes. Gleich die Antwort, welche mir der humoristische Mann auf meine erste Frage ertheilte, wird ihn am besten charakterisircn. Als ich mich erkundigte, was ihm in diesen Tropengegenden am meisten gefiele, erwiderte er nach einigem Besinnen: „Der ausgezeichnete, der wunderbare Durst!" Wir machen gemeinsame Ausflüge und amüsiren uns vortrefflich. Neulich waren wir in dem Atelier eines Schiffsmalers, vermochten aber nicht mit ihm fertig .zu werden. Der gute Cavitän wollte ein Bild seines Pinkschiffes haben, wie es im Teifun, vor dein Winde „lenzend", d. h. fliegend, dem Beschauer gleichsam entgegenkommt; der chinesische Künstler behauptete hartnäckig, der- 186 gleichen könne nicht gemalt werden. Alle Schiffe ließen sich nur im Profil abconterfeien. Da jegliche Perspective der chinesischen Malerei unbekannt ist, war der störrische Meister nicht eines Besseren zu überzeugen. Mein Wolgaster Freund war eben nicht über seine Weigerung erzürnt. „Die Vilder haben keinen Pli, keine Facon," sagte er, als wir das Atelier verlassen hatten. Ueberaus ergötzlich ist sein Verkehr mit den Matrosen des Schiffes. Diese Herren befinden sich, wie alle Personen, deren körperliche Haltung nicht durch ein militärisches Reglement bestimmt wird, wenn sie mit einem Vorgesetzten sprechen, in großer Verlegenheit, was mit ihren Händen anzufangen sei. Ich benutze die vorkommenden Gelegenheiten, die lächerlichen Stellungen und fahelhaften Bewegungen der Matrosen rasch abzuzeichnen, und dem Capitän macht es Vergnügen, sie durch leutselige Fragen hinzuhalten und in immer größere Verlegenheit zu bringen. Da die Capitäne gesetzlich verpflichtet sind, ihre Mannschaften in den Häfen möglichst zu überwachen und vor allen unnützen Ausgaben zu bewahren, damit ihnen nach der Rückkehr eine runde Summe aufgesparter Besoldung ausgehändigt werden kann, ersinnen die Matrosen gewöhnlich die ungereimtesten Ausflüchte, wenn sie ihrer Vergnügungen halber in den Besitz einer kleinen Summe kommen wollen. Ich war Augen« und Ohrenzeuge, als drei derselben, die an Land zu gehen gedachten, dem Capitän eine Visite abstatteten. Jeder bat um drei Dollars Vorschuß; schon diese Uebereinstimmung war verdächtig, noch mehr die angegebenen Gründe. „Ich möchte mir eine neue Mütze kaufen!" sagte grinsend der erste, aber dabei drehte er seinen noch sehr reputirlich aussehende!: Deckel auf der linken Hand. „Drei Dollars, mein Sohn!" antwortete der Capitän, „zu einer neuen Mütze? Deine Mütze ist ja noch sehr gut, drei Dollars? Ah! ich verstehe, Du willst Dir eine Mandannenmiche mit einer Pfauenfeder kaufen — hier sind die drei Dollars, laß Dich nur nicht von den verdammten Chinesen über das Ohr hauen!" Die beiden anderen forderten drei Dollars, um sich einen Zahn ausreißcn und die Haare kappen ischneiden) zu lassen. Nachdem der Capitän mit ironischem Lächeln die struppigen rothen Borsten des einen und das schneeweiß glänzende Haifischgebiß des andern in Augenschein genommen, erhielten alle drei den geforderten Vorschuß. Auf unseren: Abendspaziergange trafen wir das Triumvirat am Aantsckiang, es kam höchlich angeheitert aus einer Schenke und stimmte, an uns vorüber taumelnd, das bekannte Lied «n: „Die Mädchen in Deutschland sind nicht so kokett, als jene dort über dem Rhein!" Der Capitän rief mit sonorer Baßstimme: „Guten Abend, Kinder, habt Ihr Eure Einkäufe gemacht, Cure Geschäfte besorgt?" 187 An Piraten muß der District von Shanghai besonders ergiebig sein. Kein Tag vergeht, an dem nicht mehrere ausgeschifft und mit zusammengeknüpften Zöpfen durch die Stadt transportirt würden. Ein Trupp, dem ich neugierig folgte, wurde in den Palast des Gouverneurs von Shanghai geführt, wo sich zugleich der erste Gerichtshof des Ortes befindet. Was aus ihnen geworden, erfuhr ich nicht, denn gleich im Vorraum wies man mich zurück und ich fand kaum fo viel Zeit, den großen, auf Drachenklauen stehenden Tisch, das Dintenfaß, d. h. einen gigantischen Tuschkasten mit feinen Nambus-pinseln, die Petschafte und kaiserlichen Stempel, endlich die an den Wänden umherhängenden Marterinstrumente meiner Einbildungskraft einzuprägen. Mich verdroß die hochmüthige Behandlung der Subalternbeamten, ich zog meinen „Mandalin Paß Numbel one" aus der Tasche und hielt ihn den Gefellen unter die Nase. Jetzt krümmten sie sich wie Ohrwürmer und erboten sich, mir alle officiellen Gemächer des „Iamun" (Palast) ihres „Taou-tai" (Gouverneurs) zu öffnen; ich dankte ihnen verbindlich. Mehrere verurtheilte Verbrecher ohne Zöpfe, die über den Hof geführt wurden und des Schlimmsten gewärtig schienen, benahmen mir alle Lust, weiter vorzudringen. Die Gerichtssitzung „Squeezi-Pidjen" (Ouäl-Gcschäft) war eben beendet. Von hier begab ich mich in den nahen großen Buddha-Tempel und die noch geräumigere Pagode der Ningpo-Kaufleute. Letztere, die Bewohner einer im Innern des Landes gelegenen großen Stadt, haben ihren Tempel reich ausgestattet und ermüden schlechterdings nicht in der Darbringung von Speise- und Trankopfern. Hat einer dieser Industriellen etwas auf dem Gewissen, so beeilt er sich, den erzürnten Götzen durch einen guten Bissen zu besänftigen. Die Herren aus Ningvo müssen ziemlich viel auf dem Kerbholz der himmlischen Mächte haben; denn der Altar ihres Tempels glich einer sauber geschmückten, reichbcstellten Mittagstafel, so viele Vratenschüsseln und Fischgerichte, Kuchen und Weine, Früchte und Blumen waren dem Götzen dargebracht. Nach Einbruch der Dunkelheit fallen die Bonzen über die Speisen her, doch laden sie auch europäisch«: Gäste ein, sich nach Belieben zu bedienen. Das Laster der Intoleranz und des Fanatismus ist dem chinesischen Volks-charakter vollkommen fremd. Consul Alisch hatte mich begleitet, und als wir die Straße entlang schlenderten, wurden wir plötzlich durch einen jener schrecklichen Contraste erschüttert, die in diesem seltsamen Lande so oft zum Vorschein kommen. Unweit des reichen Tempels und seines Ucberflufses an leckeren Speisen fanden wir auf einem Kehrichthaufen einen armen sterbenden Knaben. Er war unbekleidet, doch hatte ein Vorübergehender ihn mit einer Matte bedeckt. Außer Stande, mehr für ihn zu thun, drückten wir ihn: etwas Geld in die Hand. Es fiel zu Boden, das unglückliche Kind vermochte es nicht mehr festzuhalten. Wir gingen schweigend davon; Neide fühlten wir uns einer schweren Unterlassungssünde schuldig. Der Vorwand war ein 188 elender; wir sagten: es fei nicht unsere Sache, für die schlechten staatlichen Einrichtungen dieses lieblosen Volkes aufzukommen und ihre Mängel auf unsere Kasten zu verbessern. Bei einem solchen Geschlecht läuft Alles auf Vortheil und Geschäft hinaus: Liebe und Haß, Leben und sterben, Vergängliches und Ewiges. Den christlichen Gottesdienst nennen die Chinesen „Jesus Pidjen", eine Heirath „Love Pidjen". Von der nationalen Reinlichkeit haben sie eine sehr hohe Vorstellung. Aus der Leidenfchaft der Europäer für tägliche Väder und wiederholte Waschungen, sowie aus dem täglichen Wechsel der Wasche schließen sie auf unsere angeborene Nnsauberkeit. Nach ihren Vehauutungeir reicht alle acht Tage eine Abwaschung vollkommen hin. Zu einer außerordentlichen Abwaschung wären wir Deutschen auf einer Wasserpartie nach der Pagode Long fa eh im Woosungflusse ohne die Entschlossenheit unseres Capitäns leicht gekommen. Durch die Ungeschicklichkeit des Steuermanns stieß der kleine Dampfer so heftig gegen das Ufer, daß wir Alle zu Voden stürzten und Flafchen und Gläser in der Kajüte in tausend Granatsplitter zertrümmert wurden. Auch die Maschine hatte durch den heftigen Stoß Schaden gelitten, und der Eapitän rieth uns, da der Kessel platzen könne, in's Nasser zu springen und an's Land zu waten. Wir harten dazu keinc Lust und winkten mehreren Fischerböten, die in der Nähe verweilten. Die Schelme waren weit entfernt, uns zu Hülfe zu kommen. Erst als der Eapitän den Revolver zog und nach ihnen zielte, ruderten sie hastig herzu und brachten uns an's Land; doch bedürfte es noch einer starken Geld-entschädigung, ehe sie mit Hand anlegten, den kleinen Dampfer slott zu machen. Ich hatte die Zwischenzeit benutzt, die mehr als siebenhundert Jahre alte Pagode mit Aquarellfarben zu stiiziren. XXV. Opiumrauchcr. Die Wochenstube auf der Straße. Die Cabinets d'Aisancc »on Shanghai. Tic Lcber auf der Wagschalc. vr. Meyer und sein Todter. Fuh-Kien. Der Kaper „Alabama". Unter englischer Flagge. Miß V., auslralische Sängerin. Feuer? Fat-Iack. Eingepökelte Chinesen. Teller oder Krone. Tie Nai von Fuchok». Unweit meiner Wohnung liegt eine Reihe Opiumhüllcn, ich benutze daher das schlechte Decemberwetter, mich dorthin zu begeben und die Raucher zu beobachten. Der Empfang ist stets überaus freundlich. Falls die Schwelger in den verschiedenen Etadien des Rausches nicht zu weit vorgerückt und noch der Sprache mächtig sind, laden sie mich ein, neben ihnen Platz zu nehmen und mich auf einer der hölzernen Pritschen auszustrecken. Ich habe mich jedoch 189 immer nur eines Rohrsiuhles bedient, denn die Unreinlichkeit in diesen Localen übersteigt alle europäischen Begriffe. Sobald der Raucher es sich bequem gemacht, ücht er seine Pfeife hervor, eine flötenartige Rühre, auf der ein winziger Pfeifenkopf, nur ausreichend, ein erbsengroßes Stück Opium darin Zu befestigen, angebracht ist. Eine kleine Lampe, die auf einein Tischchen neben jeder Pritsche fleht, dient dazu, dasselbe anzuzünden und in: Glimmen Zu erhalten. Jetzt thut der Raucher langsam mehrere Züge, verschluckt den Rauch und schlicht die Augen, die Wirkung des Narkotikums abwartend. Der Anfänger hat seinen Zweck bald erreicht; die alten Sünder sind genöthigt, ehe der Rausch eintritt, fünf bis sechs Pfeifen zu rauchen^ In dem Exterieur der verlorenen Menschen ist nichts Außerordentliches wahrzunehmen, nur selten habe ich bei schwächlichen Individuen leichte Zuckungen bemerkt. Gewöhnlich liegen sie, kaum merklich athmend, auf ihren Pritschen und schwelgen in den wunderbarsten Traumgesichtern. Der erfahrene Opiumraucher vervielfältigt, wie man mir berichtet, seine Dosen so lange, bis er in seiner Vorstellung das Gefühl der körperlichen Schwere vollkommen verliert. Der Zustand eines ätherischen Schwedens durch den Raum, während verführerische Bilder das innere Auge entzücken, wird als der letzte Zweck und höchste Genuß des Oviumrauchens bezeichnet. Die Chinesen geben ihren letzten Heller dafür hin und leben bei geringem Einkommen lieber auf dio jämmerlichste Weise, ehe sie auf den dämonischen Rausch verzichten. Der Himmel klärte sich am s. December etwas auf und ich machte einen weiten Spaziergang auf der breiten Stadtmauer von Shanghai. Sie begrenzt meistentheils die Hinterhäuser und gestattet die interessantesten Blicke in d as Familienleben der Reichen und Urmen. In mehreren Gebäuden sah ich durch die offenen Fenster theils verschlossene, theils offene Särge stehen; im letzteren Falle waren die darin befindlichen Leichen skeletirt. In der Nähe eines Vuddhatempels stieg ich von der Mauer herab und brachte dem Idol meine Huldigung dar. Ob die auf dem Altar brennenden Lichter zur Verherrlichung der Gottheit, oder nur Zur Bequemlichkeit der Bonzen angezündet waren, kann ich nicht mit Bestimmtheit angeben, doch bedienten sich letztere derselben, um ihre Tabakspfeifen in Brand zu stecken, und ich nahm zu den glimmenden Dvferstäbchen meine Zuflucht, die mir als Fidibus gleichfalls gute Dienste leisteten. Augenblicklich war eine stolze Schönheit in kostbarer Toilette im Tempel anwesend. Es schien ihr um Auskunft über den Verlauf ihrer Herzens« angelegenheiten Zu thun zu sein und sie zog aus einem dargebotenen Becher ein Loos, dessen Nummer mit einem Zettel correspondirte, den der Obcrbonze aus einem großen Bündel hervorsuchte. Die Inschrift mochte die schöne junge Dame nicht befriedigen, sie honorirte dio Bemühungen des Bonzen und ließ sich in ihren Palankin heben. Ich hatte von den Stufen des Altars aus der Scene zugesehen und eine Tasse Thee aus den Händen der buddhaisiischen 190 Priester angenommen; jetzt näherten sich mir auch die vierfüßigen Tempelgenossen. Sechs alte, äußerst übelriechende Ziegenböcke hatten bisher in den Winkeln des Gotteshauses umhergcschnuvpert; sobald sic mich entdeckt, traten sie an den Hauptaltar und machten die Bekanntschaft des europäischen Eindringlings. Ich hatte an den: scharfen Dunst der Unholde genug, reichte dem Bonzen ein kleines Geschenk und rannte in's Freie. Der Schmutz der Straßen war entsetzlich, aber eine arme chinesische Frau hatte sich dadurch nicht abhalten lassen, hart an der Mauer eines Hauses ihr Wochenbett aufzuschlagen und ohne Unterstützung einer Wehemutter oder eines Accoucheurs eines gesunden Knäbleins zu genesen. Gutmüthige Nachbarn hatten ihr ein Vündlein Reisstroh unter den Kopf geschoben, ein junges Mädchen brachte eine Schüssel Reis mit Curry, die Wöchnerin richtete sich auf und vertilgte die ansehnliche Quantität bis auf das letzte Körnchen, dann wickelte sie das >und, welches bis dahin in der scharfen Decemberluft auf den Fliesen nackt dagelegen hatte, in ihre Lumpen und machte sich davon. Die Straßen von Shanghai sind durchschnittlich nur fünf Fuß breit, und alle hundert Schritt stieß ich auf mehrere Cabinets d'Aisance, die, nach allen Richtungen offen, sämmtlich Zuspruch gefunden hatten und uon Dünger-Inspectorcn überwacht zu werden schienen. Die Gewohnheiten dieses Völkes sind überaus wunderlich; ick) lerne täglich neue Eigenthümlichkeiten kennen. Daß die Ostasiaten den Comfort einer Bettstelle, eines gepolsterten Lagers nicht kennen, habe ich schon angeführt, aber es ist bei ihnen selbst keine bestimmte Schlafenszeit festgesetzt. Der Chinese, gleichviel welches Standes, streut sich, sobald ihn Müdigkeit überfällt, bei Tag oder bei Nacht, auf den Matten des Fußbodens aus lind entschlummert. Wacht er auf, und wäre es um 2 Uhr Morgens, so zündet er seine Pfeife an und greift zu irgend einer Arbeit. Die Bequemlichkeiten der Europäer kennt er nicht; er legt niemals seine Kleider ab. Verschläft er nicht selten die schönsten Stunden des Tages, so beginnt er dafür sehr oft seine Arbeit mitten in der Nacht. Mit dein Gesundheitszustände der Landsleute ist es hier eben so schlecht bestellt wie in allen asiatischen Flußniederungen; mehr oder weniger leidet jeder an der Leber. Um daher die Ernährung des Körpers vollständig zu controliren, läßt man sich in vierzehntägigen Fristen wiegen und verzeichnet die jedesmaligen Resultate. Eine Menge Selbsttäuschungen lauft natürlich mit unter, dieser setzt sich immer nach Tisch auf die Wagschale, jener steckt vorher eine Rolle mit fünfzig Dollars, als einen rechtmäßigen Theil des Menschen, in die Tasche. Strenge genommen ist es indessen höchst tadelnswerth, über die Schwächen der armen Deutschen und Engländer zu lachen; sic thun alles Mögliche, mir das Leben angenehm zu machen. Kein Tag geht vorüber, an dem ich nicht zu irgend einer Gesellschaft geladen wäre. Allerdings sind es nicht immer die auserlesensten Cirkel, in denen ich mich bewege, doch lächelt 191 mir zuweilen das Glück. Die Frau eines Schiffscapitans, der mit seiner Bark eben von San Francisco anlangte, war eine fertige Claviersvielerin, und in den Salons des Consuls Herrn A lisch verstummt weder Gesang noch Saitenspiel. Man begleitet mich auf meinen Ausflügen, und Herr Dr. Meyer, ein junger Arzt, der Anlagen für Landschaftsmaler« zeigt, führte mich zu einem der schönsten Schauspiele für philosophische Männer seiner Wissenschaft, zu der Leiche eines Mandarinen. Wir fanden den würdigen Bureaukraten schon auf der Bahre. Die Hinterbliebenen hatten ihn in den goldgestickten Bratenrock gehüllt und auf einen: Paradebette ausgestellt. Die nächsten Verwandten lagen, in weiße Gewänder vermummt, rings auf den Matten des Fußbodens umher, weinten und heulten, vor der Hausthür wurde Feuerwerk abgebrannt und schlechte Musik gemacht. Dr. Meyer schien stolz auf den Todten. Zwar hatte er nicht zu seinen Patienten gehört, doch war der junge Arzt mit der allmäligen Degeneration seiner Leber vollkommen vertraut und wußte viel von der Euthanasie des edlen Mandarinen zu erzählen. Die Tage meiner Abfahrt rücken heran, und ein Abschiedsdiner jagt das andere; in Folge der unaufhörlichen Toaste bin ich in eine bedenkliche Schwäche verfallen, aus der ich mich erst wieder auf hoher See emporraffen werde. Im Hafen liegt der „Foh-Kien" vor Anker, ein nordamerikanischer Dampfer, den dortige Rheder auf Speculation gebaut und dem Kaiser von China zum Verkauf an« geboten hatten. Das Prachtvoll ausgestattete Schiff war Sr. Majestät indeß zu theuer gewesen, und so hatten die Vesitzer in den sauren Apfel beißen und „Foh-Kien" in ein Transportschiff für Passagiere und Frachtgüter verwandeln müssen. Mit Vergnügen hätte ich den: tadellos eingerichteten Dampfer meine Person und Habseligkeiten anvertraut, wäre er nur nicht ein Nordamerikaner gewesen. In den chinesischen Gewässern lief nämlich die Nachricht um, die „Alabama", jener berüchtigte Kaper, der dem Handel der Union so vielen Schaden zufügen sollte, ehe ihn an der französischen Küste der Rächer ereilte, treibe sich auf der Höhe von Hongkong umher. Die Hiobspost wurde zwar wieder bezweifelt, aber am 11. December traf von amtlicher Seite wirklich die Kunde ein, die „Alabama" habe in der Sundastraßc zwei amerikanische Dreimaster mit Ladungen im Werthe von vierhunderttausend Dollars verbrannt und in den Grund gebohrt. Was war zu thun? Da5 Passagiergeld von Shanghai bis Hongkong hatte ich mit hundcrtneunzig Thalern am Tage vorher entrichtet. Alles stand auf dem Spiel. Ward der „Foh-Kien" von der „Alabama" genommen, so war das auf meine Neiss verwandte Capital und die Mehrzahl meiner Arbeiten verloren! Die Eigenthümer des schönen Schisses waren jedoch nicht gewillt, Alles auf eine Karte zu setzen. Sie sind übereingekommen, die nord-amerikanische Flagge des Dampfers mit der englischen zu vertauschen und dem Seerccht nach Capitän und Mannschaft darauf zu vereidigen. An Bord 192 des „Foh^Kien" sind daher nur so uiel Matrosen und Feuerleute zurückgeblieben, als zur Ueberwachung des Schiffes erfordert werden; der Capita» ist mit seinen Leuten nach Shanghai berufen, um dort nach Vollziehung der sonstigen seemännischen Ceremonien den Eid zu leisten. Wir Passagiere erster Klasse, etwa ein Dutzend, haben uns indessen auf dem Dampfer schon einauartirt. Eine junge Sängerin, die angeblich ihre Vocalstudien in Australien geinacht, begleitet uns nach Hongkong. Vei der Vernachlässigung meiner musikalischen Erziehung habe ich die triftigsten Gründe, in meinen Urtheilen über Gesangscavacitäten vorsichtig zu sein; allein noch heute lasse ich nur nicht ausreden, daß Miß V. am Stockschnupfen litt. Sehr leicht wäre es gewesen, darüber Gewißheit zu erlangen, denn Miß B. hatte am Abend vorher in Shanghai ein Concert gegeben; ich war leider durch den Preis des Eintrittsbillets, der fünf Dollars betrug, abgeschreckt worden. In Japan, wohin sie ihre Kunstreisen gleichfalls gerichtet, hatte sie sogar acht Dollars gefordert und erhalten. Darf ich die Oualität ihrer Stimme nach den: tändelnden Getriller tcn'iren, das sie während des Tiffins ausstieß, fo bezweifle ich nicht, daß fie in unserer lunsterfahrenen Heimath nur Verehrer in jenen Localen gefunden haben würde, deren Eintrittspreis fünf Silbergroschen nicht übersteigt. Außer einer Kanunerzofe polynesischen Geblüts führt Miß V. einen Kornak mit sich, der die Regeln des Anstandes aufrecht erhält und seine Herrin vor irdischer und maritimer Ungebühr schützt. Mein Venehmen ist wie das meines Kojen-Gefährten, eines Persers, sehr respecwoll; eben deshalb hat Miß B. uns Beide in ihre Affection genommen. So faßen wir in Abwefenheit des Capitäns am 11. December in holder Eintracht beim Tiffin und Miß N. ringelte eben mit zierlichen Fingern ihre blonden Locken um die Zacken einer reich mit Perlen besetzten Krone, die nie von ihrem Haupte kam, als plötzlich aus dem unteren Schiffsraume der entsetzliche Ruf: „Feuer! Feuer'." erschallte. Aus den Oeffnungen neben der Maschine drang ein leichter Rauch hervor. Da wir schon seit zwölf Stunden geheizt hatten, mußte das Feuer in der Nähe des Kessels ausgekommen sein. Persönliche Gefahr war nun freilich nicht vorhanden, denn der „Foh-Kien" lag am tzafenquai und über ein Vrett schritten wir in Sicherheit; allein allc unsere Effecten lagen tief unten im Raum, von anderen Frachtstücken bedeckt. Diesen tragischen Moment hielt Miß N. für geeignet, in meine Anne zu sinken und die Vesinnung ;u verlieren; ich war entgegengesetzter Meinung. Statt das elegante Persönchen mit theatralischem Anstande auf das Sopha zu fchleppen und dort die vorschriftsmäßigen Wiederbelebungsversuche zu beginnen, schloß ich Miß V. fest in meine Arme und rüttelte sie, während ich ihr energisch zusprach, so schnell und kräftig, daß sie sofort wieder in's Bewußtsein zurückkehrte und ihre Ohnmacht durch den gehabten Schrecken und die Furcht vor dem Verlust ihrer Sammet- und Damastkleider entschuldigte. Unterdessen war 193 von allen Schiffen Hülfe herbeigeeilt, die Wassereimer flogen in einem rasch gebildeten Spalier auf und ab, die Dampfspritze des „Foh-Kien" wurde in Bewegung gesetzt und nach einer halben Stunde war auch der letzte Funken erstickt. Die chinesischen Passagiere zweiter Klasse, deren Gepäck auf Deck steht, hatten das bessere Theil erwählt und, statt sich bei der Dämpfung des Feuers zu betheiligen, ihre Habseligteiten auf das Bollwerk geschleppt, an dem wir ankerten. Miß B. gab ihrem Entzücken über unsere Rettung und die ihrer Garderobe dadurch Ausdruck, daß sie im ferneren Verlaufe des Tages die Toilette noch dreimal änderte. Nur so konnten wir einsehen, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte. Der Capita« und die Mannschaft waren spät Abends von Shanghai zurückgekehrt; als ich mich nach einer ruhig verschlafenen Nacht am 12. December von meinem Lager erhob, wehte schon die englische Flagge von der Gaffel. Alles, was an Bord zur Bedienung des „Foh-Kien" gehört, ist darüber bis auf den Tod betrübt. Mr wurde versichert, daß nach seiner Metamorphose der „Foh-Kien" nie wieder das nationale Sternenbanner führen dürfe. Uns genügte die fetzige Gewißheit, vor den Angriffen des Kapers „Alabama" gesichert zu fein. Um halb 2 Uhr Mittags stach unser stolzes Schiff in See und suchte sich langsam einen Weg durch das Labyrinth von Kauf- und Kriegsfahrern aller Nationen zu bahnen, unter denen wir vor Anker gelegen hatten. Ich stand vorn am Deck neben dem Lootsen, der von hier aus nach amerikanischer Weise das Steuer lenkt, als der „Foh-Kien" unerwarteterweise einen Stoß erhielt. Bei der geringen Spannung der Dampfkraft hatte uns eine starte Strömung rechts ab und gegen den Rumpf eines großen franzöfifchen Kriegsschiffes getrieben. Ein kleinerer Steamer wäre sogleich versunken, der „Foh-Kien" kam mit der Zertrümmerung des Radkastens davon; das Bugspriet des Franzosen rasirte die Dächer der Kajüten und zugleich stürzte der Besamnast in Trümmer. Zum Glück hatte das sehr solide construirte Schaufelrad keinen Schaden gelitten, auch die Maschine war durch die heftige Erschütterung nicht verletzt worden; der Capitän verbesserte die unerwartete Havarie so gut als inoglich durch getheerte Leinwand, welche über die offenen Kajüten gedeckt wurde; erst in Hongkong gedenkt man den Schaden gründlich auszubessern. Mich setzen dergleichen Episoden im Seeleben so wenig in Erstaunen, daß ich meine Seemannsmütze, als die Splitter des Vesanmastes mir um den Kopf flogen, nur etwas fester über die Ohren zog. Den meisten Schaden haben die Kajütenfenster gelitten, auch sind zwei Rettungsboote zermalmt wordeil und verloren gegangen. Die Schuld des Unglücksfalles kann Niemandem beigemesfen werden, der Lootse behauptete wenigstens, bei der starken Fluth und der Enge des Fahrwassers des riesigen Schiffes nicht vollkommen Herr gewesen zu sein. Um 5 Uhr passirten wir das Leuchtschiff, um 6 Uhr wurde der Lootfe entlassen, doch trug der Eapitän gerechtes Bedenken, in tiefer Hildcblanbt's «eis« um die Erbe, H, Icl 194 Dunkelheit mitten unter kleinen Inseln und Klippen dic Fahrt fortzusetzen; um 7 Uhr wurde Anker ausgeworfen, und nur zu bald erwies sich, wie recht wir gethan. Mehr und mehr steifte sich die Brise auf, und um 9 Uhr Abends wehte es, um einen Ausdruck des Capitäns zu gebrauchen: „Kanonen und Haubitzen". Nach einer, trotz des Tobens der Wasser ruhigen Nacht stachen wir am 13. December um 9 Uhr Morgens in See. Wir legen in der Stunde vierzehn bis fünfzehn Knoten zurück und lönnten mit Hülfe des günstigen Windes noch rascher vorwäts kommen, geböte uns der Verlust des Nesan-mastes und unterschiedlichen Takelwerkes nicht die äußerste Behutsamkeit in der Anwendung der Segel. Für unser materielles Wohlbehagen ist hinlänglich Sorge getragen, wir haben sogar einen Leibbarbier an Bord, der nach europäischem Geschmack rasirt und Haare verschneidet. Fat-Iack, auf diesen Namen hört der junge Haarkünstler, ist technisch nicht ohne Uebung, doch muß man nicht an gewissen üblen Gewohnheiten Anstoß nehmen. Durch constante Einreibungen mit Ricinusöl sucht er seinem fetten Leibe einen poetischen Glanz zu geben, der nur durch den scharfen Geruch der ranzig gewordenen Flüssigkeit beeinträchtigt wird. An meinem Kopf hat er seinen Beruf mit einer solchen Geschicklichkeit erfüllt, daß ich ihm einen Dollar schenkte. Sobald er mir seitdem auf Deck begegnete, war seine stehende Redensart: „Vou, niz^tk! Illopin man nuindei one!" d. h. „Sie, Master, sind ein europäischer Herr Nummer eins!" und wenn ich ihn anblicke, fragt er sogleich, ob er mir wieder die Haare «erkürien solle. Die chinesischen Passagiere zweiter Klaffe sind keine angenehme Reisegesellschaft. Als wir am Abend des 14. December, mitten unter uns die emancipirte Miß B., im „Rauchcoupö" des „Foh-Kien" saßen und uns an dem eisigen Decemberabend mit Grog zu erwärmen suchten, brachte der Steward außer einer frischen Flasche Cognac die Nachricht, zwei unserer Landeslinder lägen im Sterben oder seien schon todt. Die Ursache ihres Ablebens ließ sich nicht ermitteln, doch vermuthe .ich, daß Beide an Entkrästung zu Grunde gegangen seien. Die unglücklichen Menschen, die sich selber zu beköstigen hatten, wandten, gleich den meisten Chinesen, an ihre Lebensnahrung nur so wenig, daß bei der scharfen Witterung das Oel in der Lebenslampe bald verzehrt sein mußte. Verstimmt durch die Hiobspost, gingen wir zu Vett und zogen die Decke über die Ohren, aber erst auf ein Machtgebot des Capitäns verstummten die Lamentationeil der Ueberlebenden, welche noch tief in der Nacht mit den Begräbnißfeierlichkeiten den Anfang machten. Nach erfolgter Todtenschau, die wirklich ergab, daß lururiöses Leben den Tod der beiden Reisenden nicht beschleunigt habe, wollte der Capitän nach gewohnter Weise zur Bestattung schreiten, d. h. an die Beine jedes Todten eine Kanonenkugel binden und sie in's Meer versenken; allein die Leidtragenden widersetzten sich auf die hartnäckigste Neise. Die beiden Verstorbenen waren 195 in Hongkong ansässig, ihre Gefährten bestanden deshalb darauf, ihre Ueberreste dorthin zu schaffen und auf heimischem Voden beizusetzen. Auf die Frage des Cavitäns, durch welche Mittel sie die Leichen vor Verwesung zu schützen gedächten, baten sie ihn nur um zwei leere Tonnen. Die armen Teufel vermochten nicht viel daran zu wenden, und das ganze Verfahren der Ein-balsamirung bestand darin, daß jeder Todte in eine Tonne gesetzt und diese bis an den Rand mit Salz gefüllt wurde. Die eingepökelten Leichen kamen wirklich nach Hongkong, ohne die Mannschaft des „Foh-Kien" durch ihre Ausdünstungen belästigt zu haben. Die Passagiere hatten nichts von diesen Unterhandlungen erfahren, die See ging hoch und die ganze Gesellschaft verweilte in den Kojen, nur ich und Wß B, blieben von der Seekrankheit verschont, so entsetzlich der „Foh-Kien" auch stampfen mochte. Wir fuhren den Tag über die Tschusanküste entlang, meistens dicht unter Land und oft an schroffen, kahlen Felsllippen vorüber. Hier haben sich unter dem Vonvande der Fischerei ganze Seeräuber-Colonien angesiedelt, und hier spielen auch die grausigen Abenteuer, von denen Mr. Fortune in seiner lesenswerthen Reisebeschreibung erzählt. Unser Schiff hat von den Piraten nichts zu fürchten; feine außerordentliche Schnelligkeit würde es allen Verfolgern entziehen. Gefährlicher ist mir mein Kojenkamerad, der Perser. Zwar habe ich als ein erfahrener Reisender, mich fofort der oberen Bettstelle bemächtigt und ihm das Erdgeschoß anempfohlen, allein die Seekrankheit tritt bei ihm unter so stürmischen Symptomen auf, daß ich selbst von meiner höheren Warte aus der Nacht mit Schrecken entgegensehe. Miß B. war bei Tisch erschienen, zog sich aber noch vor dem Dessert in ihre Gemächer zurück. Das Schiff rollte entsetzlich, und einer der chinesischen Aufwärter hatte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und einen Teller Suppe aus der Rechten fallen zu lassen, rasch nach der Stuhllehne der Miß N. gehascht, statt derselben aber das goldene Krönchen auf ihrer Stirn in die Hände bekommen. Das Kleinod war unter den Pranken des Chinesen zerbrochen und Mitz B. in der übelsten Laune, ihres liebsten Schmuckes beraubt zu sein. Sie arbeitete in tiefster Abgeschlossenheit an dcr Wiederherstellung des Diadems. Wie ich vorher gefürchtet, hat der Perser mit seinem Stöhnen und Röcheln mir die ganze Nacht verdorben. Die Seekrankheit findet in ihm nichts mehr vor, was über Bord geworfen werden könnte, und der Unglückliche ringt mit Tod und Leben. Jetzt wäre der Moment zur Anwendung eines heroischen Mittels, eines Achtels Cognac, oder auch nur eines Viertels Porter, gekommen, allein wie soll man das einem solchen Moslem begreiflich machen? Außer Stande einzuschlafen, ordnete ich mehrmals die Kissen meines Lagers und fand bei dieser Gelegenheit unter dem Kopfpfühl einen Lebensretter oder Schwimmgürtel aus Korlstücken. Auf dein „Foh-Kien" ist das Bett jedes Passagiers erster Klasse mit einem solchen versehen; für die zweite Klasse 13' 196 haben die nordamerikanischen Menschenfreunde nicht Sorge getragen. Am 14. December trieb mein Perser es so arg, daß ich seine Ausquartierung beantragte. Der „Foh-Kien" führt hundertundzehn Köpfe an Nord, doch ist immer noch hinlänglicher Raum vorhanden; es war das Glück des Seekranken gewesen. Ich hatte mich nach seiner Entfernung eben erst auf meinem Lager ausgestreckt, um die versäumte Nachtruhe nachzuholen, als das Bett am Kopfende zusammenbrach und die Stelle mit Trümmer bedeckte, wo das bärtige Haupt des Moslems geruht hatte. Die Schnelligkeit des „Foh-Kien" vermindert sich übrigens nicht, wiewohl die Nrise für einen Dampfers zu steif weht: eins der Schaufelräder bewegt sich immer in freier ^uft. Weniger als vierzehn Knoten legen wir in der Stunde nie zurück, doch haben wir auch schon achtzehn erreicht. Die Maschine wird sorgfältig überwacht und trefflich im Stande gehalten, aber unsere Ingenieure werden auch ihren Mühwaltungen entsprechend wie Generale und Minister bezahlt. Der erste erhalt viertausendfünfhundert Dollars! Der Sicherheit der Küstenfahrt wegen begleiten uns zwei chinesische Lootsen mit Weibern und Kindern. Einer ist für die Seebuchten, der andere für die Flußmündungen, jeder erhält monatlich etwas über fünfzig Dollars. Der Lootse, durch defsen Unachtsamkeit wir einen Mast, die Radbekleidung und einen Theil des Verdecks verloren, war ein englischer Süßwasserlootse und für seinen Meisterstreich mit fünfundsiebzig Dollars honorirt worden. Aus meinen Zwiegesprächen mit dem Capitän, einein gebildeten, mittheilsamen Manne, erfahre ich, daß die Höhe der Passagiergelder, namentlich wenn die Reisenden so gut wie wir verpflegt werden, nicht immer ungerechtfertigt ist. To hat der „Foh-Kien" mit Ausschluß der Kohlen täglich zwischen neunhundert und tausend Dollars Unkosten, Unsere Eilfahrt hatte uns auf wahrhaft magifche Weife aus nordischen Regionen zwifchen die Wendekreise versetzt. Noch in Shanghai war es so kalt gewesen, daß ich nothgedrungen einem chinesischen Schneider für ein Paar grobe grauwollene Beinkleider vier Pfd. Sterling zahlte; auf den Ankauf eines warmen Wmterrockes hatte ich nur verzichtet, da der Preis nicht mehr zu erschwingen war. So muß der armen Seele zu Muthe sein, die, nachdem sie ihr Pensum im FegefeuerMgesessen, durch Messen und Fürbitten geläutert, entlassen wird und die ersten Lüfte des Paradieses einathmet. Durch eine enge Passage fuhren wir in die große Vai von Fouchow; die Thore des Himmels schienen sich vor uns zu offnen. Im Vordergrunde stiegen kleine schroffe Inseln aus der blauen Tiefe, eine Bergkette von viertausend Fuß Hohe begrenzte malerisch dm Hintergr und. Inseln und Festland waren mit Villen und Pagoden bebaut, < die in Hufeisenform in die Felsen gehauenen Erbbegräbnisse wurden von alten Vanienbäumen (ticus Inäick) und Theegesträuchen beschattet. So weit das Auge reichte, war kein unbebauter Fleck 197 zu entdecken. Nach den rauhen Lüften des Nordens erquickte uns hier der linde Athem eines ewigen Frühlings. Miß V. brach vor Freuden in Thränen aus und schwebte in Gefahr, jetzt wirklich in Ohnmacht zu fallen. Mittags 1 Uhr warfen wir hart an der Pagodeninsel Anker. Der District, in dem wir uns befinden, wird das Paradies des chinesischen Reiches genannt und verdient wirklich den schmeichelhaften Namen. Nach meiner Gewohnheit, einen hervorragenden Punkt aufzusuchen, begab ich mich nach einer siebenstöckigen, ganz aus Stein erbauten Pagode und erstieg die oberste Galerie. Meme hohen Erwartungen wurden nicht getäuscht. Gin phantasievoller Landschaftsmaler hätte die Gegend nicht mit mehr Geschmack hinsichtlich der Terrainbilduug anordnen und architektonisch ausstaffiren können. Das von der Nergreihe bis an die Küste reichende Amphitheater ivar mit Städtchen und Dörfern wie befäet, doch verrieth jede dieser kleinen Niederlassungen die weise Berechnung ihres Gründers. Vald lagen sie hart an« Meere und kleinen Hafen, bald in Schluchten an Kanäle gereiht, dann wieder in Reisfeldern und zwischen Gemüsebeete»:; zierliche, ja zuweilen kostbare Iotz-Häuser (Gebethäuser) brachten Abwechselung in alle diese kleinen, der Industrie und dem Ackerbau gewidmeten Anlagen. Die Sonne neigte sich tief, als ich meine Mappe schloß und, unwillig über mich selbst: nicht mehr zu Papier gebracht zu haben, auf den Steamer zurückkehrte. Ende des zweiten Bandes. Berliner BuchdriiÄerei-Nctien-VeseUschaft