Aeise um die Krde. Dach seinen Tagebüchern und miindlichen Zerichten erzM von Ornft Kossak. Fünfte. mii änn Dllrirnii c!w Verfahr» unä cincr Rci^nite vülmck>ric Ru^asse. Iritter Zheil. Das Recht der Ucbersetzimg ist vorbehalten. Kttlin l87ß. Verlag von Otto Ianke. Inhalt des dritten Theiles. Tciie I. Foo Chow Foo llin Min. Der Fischfang mit dem Kormoran. Tie Hundertbogen - Brücke. Stutzcrgräber und ein Diner auf dem Kirchhofe. Anlagen zur Anthropophagie. Die Neunkegel - Insel. Hongkong. Weihnachten in den Tropen. „Malcspina"................ 1 II. Alles Oel. Tie Tabaksinscl Luzon. Spanisches Prügelsystem. Manila. Ehrenwache oder Spitzel. Folgen des Erdbebens. Naierischer Dialekt. Die Vorstadt Binondo. Provisorische Ellpellen und Airchen. Die Cigarrenfabrikation, ein Regierungsmonopol. Spanische Courtoisie.......... 9 III. Sylvesterabend und Weihnachtsmarkt. Der Habaneiro. Nach den Lagunen. Vettelmönche als Millionäre. Consul Hermann. Das Hemde auf Manila. Tropische Regengüsse. Hahnen-kämpfe. Die Platanen von St. Anna. Cpanisches Prügelsystem. Der Vetter der Dolores. Ein Campo santo . . 1? IV. Der Familienvater auf der Geistcrwacht. Ein Sandfloh. Zu Darwins Theorie. Chinesische Wechsler. Kein weltliches Vuch. Der Vice - Gouverneur und die „Animosa". Neue Auflage der Seekrankheit. Hofdienst. Mistreß Horsekecper. Rückreisepläne. Die „Pallas". Victoria aller Orten. Chichang-hong, mein College. Leisibildcr. Noch einmal nach Kanton.................. 25 V. Der Gaetstein. Schiffspaletots. Vicekönig Jet). Der Richtplatz von Kanton. Gepfählt. Die roths.idene Schnur. Geohrfeigt. Die Sü-Straße. Ein Rattenschlächter. Dejeuner auf einem Blumenschisf. Die Kegelparthie in Kanton. Auf Deck des „Kin Shan". Piraterie und Raubmord. Der Giftbäcker.................34 VI. „Pallas" und „Sirius". Piraten-Versuch. Spionerie'vor der Abfahrt. Er kehrt bei Tage zurück. Seekranke Eananen- Tctte vögel. Der Echiffsschreiber als Vertrauter. Die Dame in Roth. Ein chinesischer Particular. Tie Duenna und ihre siebzehn Pensionärinnen. Eapitän Dr. Hartmann. Die Sturmleiter. Californische Dauerbutter.......42 VII. Ueberladen. Das Nett mein ^chreibepult. Die Eiersucher. Der Matrose als Arzt. Die Eur des Kochs. Ein Leben im spitzen Winkel. Der chinesische Neujahrstag. Instrumental-und Vocalmusik. Nasen- und Magenrcgister. Die Pallas-Suppe und ihr Fettauge. Haifischjagd. Stillleben auf hoher See. Nasscrdiebe und Feuerwerken........50 V11I. Gegenwind, die Freude der Mannschaft. Was für ein Haus? Satt von Hören und Sehen. Ein Duell auf camprimirte Gemüse. Preußen letzter Klasse auf Formosa. Mcnschenfraß, eine berechtigte Eigenthümlichkeit. Die beiden Votel-Inseln. Der Ge'ahr entgangen. Sechszchn Jahre auf einem Korallenriffe Noch einmal Pepita...........59 IX. Das chinesische Mittel gegen Migraine. Schlaf nach Belieben. Mangelhafte Karten. Der Nonito. Graupen-Kaffee. Ein Tag der Wasserhosen. Das Verdeck ein Trockenplay. EtniaZ Paradies. Selbstbekenntnisse einer schönen Seele. Die Crinoline auf dem Stillen Ocean. Das Tagebuch zwischen Himmel und Ocean. Der Klipper „Julian".....67 X. Vischofsklippcn und Borodino - Inseln. Eine Erlraration. Der Steuermann al^Wictellrau. Heftpflaster gegen Schwämmchen. Unser Minzcabinet. Hungerkur. Die Chinesen und der Bandwurm. Reiskäfer. Jagd. Am Freitag abgefahren. Marine-Pennaliüinus. Er schleift sein Messer. Mond- und Hemdenwechsel. Albatros mit Reis. Endlich im offenen Wasser . 76 XI. Die Tank-Matinee. Kein Bub^. Ein neuer Odysseus. Das Nettungsfest und das Opfer Pepita's. Ihr Nekrolog. Schwarze Suppe. Der Schlafvirtnose. ^and vor der Back. Müven-fang. Das Kind: zehn Silbergroschen. Zweimal der 30. März. Namswnrzcln statt Brot. Verliebte Walfische. Ein Compromise. Nach sechs Wochen das erste Schiff. Dcr ^ootfe. Vor San Francisco.................84 XII. Rencontre. Sa ne le tau. Das Ende des Opiumschmuggels. Zöllner mit weisen Glacehandschuhen. Der Seeweg der Verlorenen. Hotel Ruß. Neun Thaler für eine Drofchlen-fahrt. Deaä I. zum 29. December hatte ich fünf Stunden lang auf Deck unter meinem Plaid sanft geschlafen, als ich plötzlich durch einen dicht über meinein Kopfe abgefeuerten Kanonenschuß aufgefchreckt wurde; wir waren auf der Rhede von Manila. Nährend der Koch sich mit dem Frühstück, d. h. der üblichen Chocolade beeilte, kamen sechs pockennarbige Zöllner an Nord und durchsuchten die Ladung des Schiffes und die Effecten der Passagiere mit einer peinlichen Genauigkeit, die in Europa kaum an der russischen Grenze ihres Gleichen hat. Hier wurde mir auch seit fünfzehn Monaten (Trieft) zum ersten Male wieder der Paß abgefordert. Endlich hatten die Wachter der öffentlichen Ordnung in der berühmten (5igarrenstadt alle Vorsichtsmaßregeln beobachtet; wir durften an Land gehen, und meine Habseligkeiten wurden von drei gleichfalls pockennarbigen, wildblickenden Ruderern in einen Klotzkahn geworfen. Ein zerlumpter Soldat begleitete mich, ob als Ehrengarde oder als Spitzel, vermag ich nicht anzugeben. Wir hatten anderthalb Meilen weit durch eine dichte Masse kohlartig aussehender, übelriechender Wasserpflanzen bis an die Stadt zu rudern. Am königlich spanischen Iollamte entstand ein abermaliger Aufenthalt; meine Sachen mußten auch hier durchsucht werden. Die Grandezza der Beamten hielt mich ab, ihnen eine Geldspende zu rcichcn; möglicherweise hatte dns Perfahren dadurch abl gekürzt werden können. Der Zollinspector, ein beinahe schwarzer Mestize, d. h. der Sohn eines Spaniers und einer Eingeborenen, verabschiedete mich, ohne mir Mauthgebühren abzufordern. Von hier ließ ich mich nach dem hart am Ufer gclegencn Hotel fran«'ms, angeblich dem besten Manilas, rudern. 12 wurde jedoch abgewiesen. Das Haus war durch das letzte Erdbeben vollständig zerstört und erst wieder im Vau begriffen; man schickte mich nach dem amerikanischen Hotel. Ganz aus Holz errichtet, hatte es vom Erdbeben nur wenig gelitten. Erst hier gelang es mir, den Polizeisoldaten los zu werden; ein Trinkgeld befreite mich von sei «er Gegenwart. Trotz der amerikanischen Etikette des Hauses herrschte darin doch eine echt spanische Wirthschaft. No in andern Hotels der Portier des Gastes harrt, sah die Vicewirthin, eine schöne freundliche Mestize von classischen Formen, und säugte ihr Kind. Die große Wärme gestattete der jungen Dame, ihre Toilettte auf die „Sana", einen leichten, genial um die Hüften geschlungenen Unterrock, zu beschränken; anderweitige Putzgegenstände habe ich nicht bemerkt. Madame führte mich, nachdem sie ihr Baby gesättigt, persönlich in das mir bestimmte Gemach. Es sah ziemlich liederlich aus, was nach der Aussage der Vicewirthin das Erdbeben verschuldet haben sollte. In Vezug auf die zerbrochene Carasse und das gesprungene Wasserglas durfte ich ihr Glauben schenken, zwischen dem überaus schmutzigen Handtuch, sowie der noch mit einer nächtlich schwarzen Jauche gefüllten Waschschüssel und dem Erdbeben fand ich keinen caufalen Zusammenhang und äußerte meine gerechten Zweifel. „Ah, der Eommaudantc!" rief die schone Frau und zuckte die Achseln. Mein Vorgänger, ein Schiffscapitän, hatte nach beendeter Toilette eben das Zimmer verlassen. Der Commandants schien, nach dcr Waschschüssel zu urtheilen, nur ein Sonntagswäscher zu sein. Mir blieb keine Wahl übrig und ich behielt das Zimmer. Hierauf erschien der Gemahl, wie Adam nur mit einem Feigenblatt bekleidet, und suchte sich mit mir über die Bedingungen meiner Aufnahme zu verständigen. Sein Englisch reichte gerade hin, mir auseinander zu setzen, daß ich ercl. Wein und Bedienung täglich drei Dollars Pension zu bezahlen habe. Dann erquickte er mich durch eine Schale schwanen Kaffees, bei dem ein sehr versüßtes Brot gleich die Stelle des Zuckers vertreten mußte, und ging an die Reinigung des Waschtisches. Zur Charakteristik des Gemachs nur noch so viel, daß die Fensterscheiben aus dünn geschliffeneu Austerschalen bestanden und kein Schlüssel in der Thür steckte, weil dieselbe mit keinem Schloß versehen war. Schon am User hatte ich ganze Nudel von paarweise zusammengeketteten Missethätern bemerkt, die Lasten schleppten, das Straßen-pflaster reinigten und Wasser trugen; als ich das Fenster öffnete, war der kleine Platz vor dem Hotel ebenfalls von ihren Eollegen überfüllt. Alle trugen sie rothe Mützen, spitz wie Blitzableiter; die Gesellschaft erweckte anfangs keine vortheilhaftcn Vorstellungen über die ethischen Zustände Manilas. Mir sollte später eine Aufklärung zu Theil werden, die ich allerdings nicht erwartet hatte. Das Thermometer zeigte auf 28 Grad Reaumur, ich griff alfo zum Entoutcas und trat meine Wanderung durch die alte und neue Festung an. 13 Die Stadt ist wirklich von dein Erdbeben hart mitgenommen. Mit Ausnahme der aus Brettern, Nohrstäben und Matten errichteten Hütten der Annen liegen fast alle Häuser in Trümmern. Der Menschenverlust wird bei einer auf zweihunderttausend Einwohner abgeschätzten Bevölkerung auf zweitausend Todte und Verstümmelte berechnet. Mehrere der großen Kirchen glichen riesigen Schutthaufen, andere hatten die Thürme oder die Pfeiler der Faoade eingebüßt, doch vermochte man überall, auch an den Ruinen der Häuser, die altspanische Bauart zu erkennen. Die steigende Hitze trieb mich nach Hause, wo ich unerwartetenueise vor der Thür des Hotels mit einer deutschen Anrede, und zwar im edelsten baierischen Dialekte empfangen wurde. Ich hatte bisher nur mit dein Nicewirth oder Oberkellner und seiner Ehehälfte zu thun gehabt' der Besitzer des Hotels stellte sich mir erst, nachdem er meine Nationalität erfahren, persönlich vor. In den späteren Nachmittagsstunden begleitete er mich auf einem Spazier-gange durch die Straßen der Stadt und die Umgegend. Manila liegt nahe der Mündung des Pasig auf einer immergrünen Ebene, die sich in der Entfernung von mehreren Meilen an eine ziemlich hohe Bergkette lehnt. Ihrer Lagc gemäß ist auch die Vegetation durchaus tropisch und besteht aus Cocos-und Arekapalmen, Brotfruchtbäumen und Bambusdickichten. Die alte Festung wird mit der Neu- und Vorstadt Vinondo durch eine steinerne Brücke über den Pasig verbunden, der Fluß selbst ist gleich dem Hafenbassin mit übelriechenden Wasserpflanzen gefüllt, die aus den Lagunen im Innern der Insel stromab in's Meer treiben. Außerhalb der Thore erstrecken sich die herrlichsten Anlagen, in denen die schone und vornehme Welt so gut wie der arme Pöbel lustwandelt, die reizende Spanierin mit ihrer Spitzenmantille und der Rose im blauschwarzen Haar, wie der eingeborene Tagale mit seinen: winzigen Schurz und halbnackten Nnterleibe. Ein gewaltiger Regenguß machte unserer Promenade ein Ende, und ich lernte gleich am ersten Tage die Wahrheit der Behauptung einsehen, daß die Philippinen zu den Gegenden auf Erden gehören, in denen man niemals vor einem Negerschauer sicher ist. Die Atmosphäre ist eben so reich mit Feuchtigkeit geschwängert, wie die Wüste Sahara und die Guano-Inseln derselben entbehren. Dessenungeachtet wird das Klima seiner Gesundheit und Milde wegen gerühmt, und auch ich kann ihm nach meinen persönlichen Erfahrungen nur das höchste Lob ertheilen.' Luzon wäre ohne seine Erdbeben und Teifune ein irdisches Paradies, aber vor diesen beiden Uebeln ist man keine Minute seines Lebens sicher. Mein Wirth zeigte mir in der Umgegend zwei Fabriken, die von dem Erdbeben nicht beschädigt, aber bald darauf durch einen Tcisun unter dem Verlust von vielen Menschen und Handelsgütern über den Haufen geworfen worden waren. Ein in der Ferne emporragender, fortwährend rauchender Vulkan erinnert die Einwohner von Manila unablässig an die Unzuvcrlässigkeit des Bodens unter ihren Füßen. Da beinahe alle 14 Kirchen eingestürmt sind, hat man provisorische Gotteshäuser, scheuncnartige Capellen aus Matten errichtet. Außerdem werden mit Wagen oder Karren kleine Altäre umhergefahren, vor denen jeder Vorübergehende seine Andacht verrichtet. Selbst die Schildwachen schlagen ihr Kreuz und knieen nieder, wenn das portative Gotteshaus vorüberkommt. Die Cigarrcnfabrikation gehört zu den größten Merkwürdigkeiten der Stadt Manila. Indien, China und Japan werden mit dem Tabak der Insel Luzon versehen, denn die in jenen Länden: gebaute Pflanze ist von geringem Arom, und die Einwohner verstehen sich nicht darauf, sie durch sorgfältige Cultur zu veredeln. Manila ist das Emporium des Tabakshandels dieser Zone und die Cigarrenfabrikation das Monopol der spanischen Negierung. Zwar geht sie nicht so weit, dem Landbesitzer und Privatmanne den Anbau des Tabaks und die Anfertigung von Cigarren zu seinem eigenen Verbrauch zu verbieten, nur muß er sich hüten, im Vesitz eines größeren Vorrathes derselben betroffen zu werden. So warnte mich Dr. Kaufmann, ein hiesiger deutscher Arzt, als er mir hundert Stück der allerfeinsten Sorte verehrte, sie öffentlich und unter der Nase der officiellen Tabaksschnüffler zu rauchen, da die Negierung sich gerade den Verkauf dieser Species oder ihre Verschenkung vorbehalte. Nach Europa kommt nur der geringste Theil der hiesigen Fabrikate. Man ist auf unserem Continent? gegen das eigenthümliche Aroma der echten Manila-Cigarre eingenommen und behauptet sogar, Einlage und Deckblätter würden mit einer Opiumsauce angemacht. Dawider wäre zu bemerken, daß die niedrigen Preise, welche zu Manila selbst für die feinen Sorten gezahlt werden, die Anwendung des kostspieligen Opiums verbieten. Der Tabak der Philippinen hat an sich gewisse narkotische Bestandtheile, welche ihn vornehmlich den Orientalen empfehlen. Ein beträchtlicher Theil der in Manila angefertigten Cigarren wird im Orte selbst verbraucht, denn beide Geschlechter und alle Lebensalter trennen sich nicht von der Cigarre. Spanier, Mestizen und Tagalen, die Autochthonen der Philippinen, halten den dampfenden Glimmstengel fortwährend im Munde, und stecken, wie die Schreiber die Feder, einen zweiten zur Reserve hinter das Ohr. In den beiden ungemcin großen Negierungsfabriken, die ich besuchte, werden Cigarren und Cigarretten angefertigt. Es herrscht hierin eine eigenthümliche Theilung der Arbeit, die Fabrikation der Cigarre fällt Frauen und Mädchen, die der Cigarretten dem männlichen Geschlechte anheim. Die Zahl der Arbeiterinnen bcläuft sich auf achttausend. Sie sitzen in geräumigen, gut gelüfteten Sälen an langen Tischen und machen bei der Arbeit durch Gelächter einen betäubenden Lärm. Jede Cigarre wird mn dicken und dünnen Ende abgestumpft, und die Arbeiterin mit ihren keck aufgeworfenen Lippen prüft rasch, ob sie Luft hat. Die Vorliebe der Europäer für die Havannahs, welche man auf Manila von den in indischen und chinesischen Handelsstädten 15 importirten Cigarren kennen gelernt hat, ist nicht ohne Einfluß auf die Fabrikation geblieben. Tie beste Vlättersorte wird seit einigen Jahren in Londres-Format verarbeitet. Das Tausend derselben kostet nur zehn Dollars (15 Thlr.), ein überaus geringer Preis, wenn man die Trefflichkeit der Cigarre erwägt. Die vorzügliche Qualität beider Fabrikate ist, wie schon bemerkt, in Europa so gut wie unbekannt. Die Mehrzahl der unter dem Namen „Manila-Cigarren" verlamtcn Waare kommt von Malta und wird dort alls nichtsnutzigem Tabak zusammengekleistert. Der starke Geruch in der Ciglnrenfabrik hatte mich zu einem fortwährenden Niesen gereizt, und ich war außer Stande, auch noch die Cigarrettenfabrik ausführlicher zu besichtigen. Von dem starken Tabaksverbrauch wird man sich kaum eine Vorstellung machen können. Dic eleganteste Schönheit trennt sich sogar auf der Promenade nicht von ihrer Cigarre, und der Fremde begeht keine Ungeschicklichkeit, wenn er sich an sie wendet imd um Feuer bittet. Lag es an meiner Unaufmerksamkeit oder an den hiesigen Tabakssorten, nirgends ist mir die Cigarre so oft ausgegangen, als am der Promenade zu Manila, und nirgends habe ich so häufig zu fremden Brandstätten meine Zuflucht nehmen müssen als hier. Eine besondere Gunst ist es, wenn die Schöne die Cigarre ihres Cavaliers abbeißt und anraucht! Ihre alte Vorliebe für Stiergefcchte haben die Spanier auch auf die Philippinen mitgenommen, doch war ich nicht zur üblichen Zeit derselben in Manila anwesend und habe nur die Arena besichtigt. Von deutschen Freunden erhalte ich nach und nach Aufschluß über allerlei Sonderbarkeiten des hiesigen Lebens. So belehrte mich Dr. Kaufmann über die große Menge der vermeintlichen Strafgefangenen mit ihren rothen Mützen und klirrenden Ketten. Jeder männliche Einwohner hat vom hoirathsfähigen Alter an eine jährliche Abgabe von einem oder zwei Dollars, je nach seiner Arbeitskraft, zu ent« richten. Nur Wenige erlegen den Betrag freiwillig, und so bleibt der Regierung nichts übrig, als die renitenten Steuerpflichtigen das fällige Kopfgeld abarbeiten zu lassen. Der Mestize und Tagale nimmt keinen Anstoß daran, im Costüm eines überführten Mörders, mit Ketten beladen, ein paar Wochen hindurch auf offener Straße den Vesen oder Spaten zu führen und das Pflaster M besprengen. Auf meinen Excursion«« und beim Arbeiten im Freien habe ich wieder unter der Insektenplage des tropischen Klimas zu leiden. Während der Aufnahme cincr Waldpartie am Ufer des Pasig glaubte ich in ein Wespennest gerathen zu scin, und doch war es nur ein dichter Schwärm von Mosauitos. Auch der zudringlichen Ameisen konnte ich mich kaum erwehren. Die großen Waldspinnen ließen mich ungeschoren, und die Scorpionen behaupteten unter feuchten Steinen im tiefen Schatten nur eine abwartende Stellung. Die Mosquitos trieben es endlich so arg, daß ich den Rock auszog und unter 16 dem Gekreisch der entsetzten wilden Vögel voller Verzweiflung um mich schlug. Sie setzten ihre Verfolgungen auch bei Nacht fort. Das Vett ist zwar mit einer dichten Mosquitogardine versehen, allein das Ungeziefer ist von dem inneren Raume nie vollständig abzusperren, und drei bis vier Ci-emplare reichen hin, mich um den Schlaf zu bringen, zumal meine Vettdecke nur in einem ostindischcn Taschentuche besteht lind wenig mehr als den Magcn bedeckt. Unser edler Schiller hätte unfehlbar die Worte: „stolz lieb ich den Spanier", aus seiner Tragödie gestrichen, wäre er auf dem Spaziergange nach der indischen Stadt mein Begleiter gewesen. In dem Hafendistrict wurde ich nämlich wiederholt von heruntergekommenen Angehörigen der großen Nation angebettelt. Tie Hütten des indischen Viertels stehen auf vier Fuß hohen Pfählen, Mischen denen sich alle Unredlichkeiten und Ueberblcibsel des Haushaltes ansammeln. Vor den Treppen oder Leitern wälzen sich halbwilde Kinder mit Hunden und fetten Schweinen im Koth, die größeren Vuben und Mädchen lassen Drachen steigen, die Eltern dieser hoffnungsvollen Jugend liegen auf dem Nucken vor ihren Wohnungen, strecken die Beine in die sonnen-warme Luft, kauen Vetel oder rauchen Cigarren — das malerische Bild einer asiatischen Siesta. Von künstlerischer Ausbeute ist leider nicht viel die Nede. Wollte ich hier auf meinein Malerstuhl Platz nehmen, ich riskirte, von den unsäglich fetten, zugleich aber auffallend zu Scherzen geneigten Sauen niedergerannt zu werden. Die Gegend ist sogar zu unfläthig, um sie zu Fuß zu passiren, ich bediene mich daher auf meinen größeren Ausflügen in entfernte Stadttheile und die Umgegend eines mit zwei Ponies bespannten Wagleins. Die Pferde sind hier auffallend billig, werden aber schlecht behandelt- die magersten Gäule habe ich in Manila angetroffen. Nn Kräften fehlt cs ihnen jedoch nicht, sie schleppen uns, meinen Freund, den Doctor, und meine Wenigkeit, wenn wir auf die Praris fahren, rasch durch die tiefsten Tümpel und sind unermüdlich. Während der Doctor seine Besuche bei den herrschaftlichen Patienten abstattet und ich im Wagen sitzen bleibe, versammeln sich die Domestiken regelmäßig um mich und klagen mir ihr Leid. In ihren Augen gelte ich für den Heilgehülfen. Ueber das Leben in dem nordamerikanisch-baierischen Hotel brauche ich mich nicht zu beklagen. Es ist mir gelungen, die gutwilligen Hausgenossen an einen mäßigen Grad von Reinlichkeit zu gewöhnen, und die Verpflegung ist vollkommen ausreichend, wenn auch nach den Grundsätzen der „Oelküche" geregelt. Sogar auf meine gesellschaftlichen Wünsche wird Rücksicht genommen. Der unangenehme Schiffscavitän zu meiner Rechten, der seinen Unmuth über das verlorene Schiff an mir ausließ, wurde auf meine Klage schon beim Zweiten Diner einige Plätze weiter befördert. Ich fühle mich wohl unter dem hiesigen Menschenschlage und der Courtoisic dor Sitten; man höre! In einer dem Hotel nahe gelegenen Conditorci pflegte ich um ! Uhr eine Tasse der 17 trefflichen und leicht verdaulichen Chocolade zu trinken, wie nur die Spanier sie zuzubereiten verstehen. Mir gegenüber saß neulich ein spanischer Cavallene-Lieutenant, der mich längere Zeit sixirte, ohne eine Unterhaltung anzuknüpfen. Dann erhob er sich, grüßte freundlich, zahlte die Zeche und ging. AIs ich einige Minuten später an den Schenktisch trat und die Börse zog, lehnte der Wirth jede Bezahlung ab. „Der Herr hat für Sie bezahlt; Sie sind mir nichts schuldig!" war seine Antwort. Der Spanier liebt es, auf diese Art einem Fremden, dessen Persönlichkeit ihn anspricht, eine kleine Aufmerksamkeit zu erweisen. Zu meinem Kummer habe ich keine Gelegenheit gefunden, sie dem jungen Cavalier zu erwidern. III. Sylvesterabend und Weihna^tsmarlt. Der Habanciro. Nach den Lagunen. Vettclmönche als Millionäre. Consul Hermann. Das Hemde auf Manila. Tropische Regengüsse. Hahnenlämpfe. Die Platanen von St. Anna. Spanisches PrügclWcm. Der Vetter der Dolores. Ein Campo santa. Die Wiederkehr von Festtagen, die in der Heimath im Kreise der Familie und Hausfreunde fröhlich begangen werden, ruft in dem Reisenden ähnliche schwermüthige Empfindungen hervor, wie das an sich den Schönheitssinn entzückende Scheiden des Tagesgestirns und der damit verbundene Farben-und Lichtwechsel des Dunstkreises. Die Stunde war es, wo mit stillem Weinen Der Schiffer an die ferne Heimath denkt, ruft Dante in feinem Purgatorio, als der Abend über den Chor der trauernden Seelen hereinbricht und mit der Erinnerung an glücklichere Tage des Lebens die Sehnsucht nach einem besseren Zustande weckt. In einer ähnlichen Stimmung verließ ich am Silvesterabend mein Zimmer und verlor mich in den Strahen Manilas; ich suchte einen Ort, der meinem trüben Humor entsprach. Mein Weg führte mis) auf den erleuchteten Weihnachtsmarkt, der norddeutschen Einrichtungen naher kam, als ich erwartet hatte. Er bestand aus Reihen von Vuden, in denen Obst, Kinderspielzeug, aber auch Getränke feilgeboten wurden. Hätten mich nicht betrunkene Engländer und ihre Voxversuche gegen 5ie harmlosen Eingeborenen, wie die schwüle Temperatur, eines Besseren belehrt, ich würde für Augenblicke geglaubt haben, in meine Vaterstadt verfetzt ?u fein. Nach einer Viertelstunde entfloh ich den Trunkenbolden und dem Getümmel der mißhandelten Tagalen in die nahe gelegene Kirche Santa Cruz: Hildebrandt's Nelst um die Lrde. IN. 2 18 sie war mit betenden Frauen erfüllt. Da Niemand mich beachtete, nahm ich in einem Beichtstuhle Platz und prägte das eigenthümliche Schauspiel meiner Einbildungstraft ein. Das Gewölbe der Kirche war durch das Erdbeben eingestürzt; die Wände hatten ihm Widerstand geleistet. Die Umgebung des Hochaltars erleuchteten zahllose Lampen, aber durch die zertrümmerten, ruinen-haft gezackten Wölbungen der Decke blickten freundlich die Gestirne. Wenn man die offene Decke scharf in's Auge faßte, glaubte man die drohenden Mauerfragmente schwanken und sich über die um dcn Altar gruppirende Schaar der verschleierten Frauen neigen zu sehen. Es war nur eine Sinnestäuschung, aber der Gedanke: ein Erdstoß könne sie bewahrheiten und uns Alle unter den Ueberrestcn des Gotteshauses begraben, trieb mich wieder in's Freie. Ich ließ mir nicht einmal so viel Zeit, die malerischen Trümmer mit der Blcifeder zu skizziren. In dem amerikanischen Hotel wurde der Syloesterabend durch Souper und Ball gefeiert, zu denen auch ich geladen war. Der Damenflor bestand aus dreißig bis vierzig Spanierinnen und Mestizen, die, wenn nicht sämmtlich schön, doch durchweg höchst graziös waren und ihr Nationalcostüm, aufgesteift durch einen Anflug von Crinoline, mit vieler Koketterie trugen. Sagten die guten Landsleute nicht die Unwahrheit, so befanden wir uns inmitten der Demimonde-Elite von Manila. Die leichtfüßigen Schönen tanzten den Schnell-walzcr mit einer tropischen Lebhaftigkeit, die mich in Erstaunen versetzte; aber noch mehr Vergnügen schien ihnen ein Nationaltanz, der Habaneiro, zu verursachen. Der sich bald in langsam majestätischein, bald in beschleunigtem Tempo bewegende Tanz wurde von vier Paaren ausgeführt und mehrmals im Laufe des Abends wiederholt. Nach meinem Dafürhalten würde der Habaneiro, als Kern eines Vallabile, unter europäischen Valletfreunden Furore erregen. Weder die Herren noch die Damen ließen während des Tanzes die Cigarren ausgehen, und mehrmals widerfuhr mir die Ehre, in den kurzen Pausen von den Tänzerinnen mit spanischer Grandezza um „Feuer" gebeten zu werden. Das Souper wie die Capelle waren tadclfrei. Letztere bestand aus einigen zwanzig indischen Musikern und wurde von einem schwarz-braunen Capellmeister dirigirt. Am Vormittage des 1. Januar unternahm ich mit einem Landsmann, Herrn Vehr, eine Wasserpartie auf dem Pasig, in der Richtung der be» rüchtigten Lagunen, denn die heiteren Morgenstunden schienen einen klaren Tag zu versprechen. Nachdem wir uns mit Ieichemnaterialien, kalter Küche und geladenen Revolvern bewaffnet, stiegen wir in einen ausgehöhlten Baum-stamm und wurden von sechs schwarzen Süßwasserpiraten mit kurzen und> breiten Rudern auffallend rasch stromauf geschaufelt. Von meinem gutunterrichteten Begleiter erfuhr ich während unserer Fahrt endlich Näheres über das für Manila so vcrhä'ngnißvolle Erdbeben. Es hatte am 4. Iuui Abends 19 7 Uhr begonnen und mit mehreren Intervallen bis halb 8 Uhr gedauert. Die Mehrzahl der Einwohner wurde davon auf der Promenade betroffen und entging somit dein Verderben; die in den Kirchen Verweilenden oder dorthin flüchtenden Unglücklichen kamen sämmtlich um's Leben. Der landschaftlich anmuthige Charakter der Flußufer verscheuchte bald unsere Grillen und brachte uns auf minder trübselige Gegenstände des Gespräches: die hiesige Freiheit der Sitten und die Wachsamkeit der spanischen Ehehcrren, die ihre aus Europa importirten Gemahlinnen mit der Eifersucht des Vartolo unter Schloß und Riegel halten. Nach einer zweistündigen Fahrt zwischen flachen grünen Ufern, die von einer ferne verblauenden Bergkette begrenzt und von Zeit zu Zeit durch graue Nolkenstreifen verdunkelt wurden, bogen wir zur Linken in einen Nebenfluß des Pasig und vertieften uns bald in ein Dickicht von Bambus-, Mango- und Palmen-Vegetation. Vor Kurzem hatte dcr Blitz in das riesig ausstrebende Bambusrohr geschlagen und grausige Verwüstungen angerichtet. Man glaubte sich auf einem Spielplatz von Gigantentindern zu befinden, die muthwillig unter den oalkenartigen Nohrstämmcn gehaust und sie in toller Laune übereinander geschichtet. Hie und da bildeten die gebrochenen Bambusstäbe ein schwankendes Dach über dem schmalen Fluß, und wir duckten bange die Köpfe, wenn wir rasch darunter wegruderten und die Rohrbrücke sich ächzend über uns wiegte. Das Nasser selbst war mit einer gelbgrünen, schleimigen Materie angefüllt und hauchte abscheuliche Miasmen aus. Etwas höher hinauf waren die Ufer dicht mit Hütten bebaut, die Eingeborenen saßen in ihren Einbäumen (Klotzkähnen) und angelten, an seichteren Stellen lagen Haufen von Büffeln im Wasser und erhoben kaum ihre dummen Häupter, als wir vorüberfuhren. Erst als uns bis tief in das Wasser von Teck- und Mangrouenbäumen herabhangende Schling- und Schmarotzerpflanzen den Weg versperrten, kehrten wir Um. Der lebhafte Stromlauf des Pasig beschleunigte unsere Fahrt, und um 6 Uhr Abends waren wir zu Hause. Am zweiten Tage des Jahres regnete es so heftig, daß Niemand das Hotel zu verlassen wagte. Selbst einem Bettelmönch, dcr früh Morgens den Vicewirth um eine Gabe angesprochen hatte, muhte Obdach gewährt werden. Der fromme Mann machte es sich im Eßsaale bequem und rauchte unter erbaulichem Lächeln eine ihm gespendete Cigarre; cr sah in seiner schmutzigen Kutte wie das Bild der Entsagung aus. Anderer Meinung schien der Herr t>es Hauses, der baierischc Landsman», zu sein; er begegnete dem Klosterbruder mit unverhohlener Abneigung. Auf meine Frage nach dem Grunde derselben erfuhr ich: die Brüderschaft sei eine der reichsten Genossenschaften' auf der Infel Luzon und besitze ein Vermögen von ungefähr vier Millionen Dollars. Ein erheblicher Theil diefcr Capitalien sei in China untergebracht und 20 verzinse sich mit sieben Procent, dach machten die Mönche auch auf der Insel und in Manila umfangreiche Geldgeschäfte. „Nnd trotzdem wird immer ruhig fortgebettelt!" brnmmte der Vaier in den Vart und warf dem nothleidenden und büßenden Raucher einen wüthenden Blick zu. Der Mönch ließ sich da-dnrch nicht bewegen, das Hotel zu verlassen. Er nahm an dem Mittagsmahl Theil und später als Zuschauer neben einem Whisttische Platz, wo er sich durch eine geistreiche Kritik der Mitspieler nützlich zu machen suchte und guten Rath ertheilte. Waren die Thcilnehmer der Partie nicht bei Casse oder herrschten hier andere Gebräuche als in Europa: nach Beendigung des Spieles wurden die Gewinne nicht baar befahlt, sondern in Form von Schuldverschreibungen ausgehändigt. So viel ich von einein Seitentisch aus vernahm, handelte es sich um eine ziemlich hohe Summe. Nach der Versicherung des Wirthes fände die gegenseitige Verrechnung monatlich statt. So gute Geschäftsleute die in Manila ansässigen Euroväer sein mögen, der Verkehr mit den geselligen Spaniern verhindert sie, nach Art der Engländer in den chinesischen Städten, ganz und gar in der Comptoir-Sclavorei unterzugehen. Die Conversation ist hier freilich auf einen engen Ideenkreis angewiesen, doch gewahren die Licbeshändel den reichhaltigsten Stoff. Hidalgos und Connnis, Advocate« und Doctoren verstehen sich auf die Zither; keine Nacht ohne ein Ständchen in der Nachbarschaft. Der musicirende Verehrer der Dame beruhigt sich nicht eher, als bis die Angebetete im Nachtgewande aus dein Valcon erscheint und ihren Dank ausspricht. Wie man wissen will, soll es in vielen Fällen nicht dabei bleiben. Die gewählteste Gesellschaft habe ich in dem Hause des preußischen Consuls, Herrn Hermann, getroffen. Die Freuden der geselligen Unterhaltung, die der gebildete Hausherr, wenn er sich leidlich wohl befand, selbst ;u leiten pflegte, wurden nur durch sein körperliches Leiden getrübt. Vor Jahr und Tag war ihm auf dem Geburtstagsfeste seines Freundes durch die Ungeschicklichkeit eines Dieners ein Schwänner in das rechte Auge geworfen und dieses unheilbar beschädigt worden. Die Seehkraft war nicht allein vollkommen verloren gegangen, sondern er litt auch periodisch heftige Schmerzen, und das linke Auge gerieth während derselben in so starke Mitleidenschaft, daß die deutschen Aerzte in Manila auch seinen Verlust befürchteten und Herrn Hermann riechen, nach Europa zu reisen und sich in Berlin der Aehandlung unseres berühmten Oräfe anzuvertrauen. Der Consul stand eben im Begriffe, ihrem Rathe ;u folgen. Er gedachte in der ersten Hälfte des Ianuarmonats abzureisen, und die Herren von der Kaufmannschaft, unter denen er großes Ansehen genoß, überreichten ihm unter einer feierlichen Anrede, welche die Hoffnung der Genesung und des frohen Wibersehens aussprach, einen prächtigen silbernen Pokal. Ich hatte später die Freude, in Berlin mit dem verehrten Gastfreunde zusammenzutreffen. Das beschädigte Auge war nach einem längeren 21 Verbleib in Gräfe's Klinik erstirvirt worden, und Herr Hermann kehrte, von Dank gegen den großen Augenarzt erfüllt, in seinen früheren Wirkungskreis Zurück. So oft es die Witterung erlaubt, tummle ich mich in der Stadt und unter den gutartigen Insulanern, den Tagalen, umher. Ich sympathisire schon deshalb mit ihnen, weil sie, eine Ausnahme von allen asiatischen Völkern, ein Hemd nach europäischem Schnitt tragen und hinsichtlich der sonstigen Toilette einigen Anstand beobachten. Das genannte Kleidungsstück gehört indessen hier zu Lande nicht zur Leibwäsche, sondern wird als Sommervaletot über den Pantalons getragen. Auch verfertigt man es nicht aus Leinwand, sondern aus grellgefärbtem Baumwollenstoff. Als Galatracht fügt der Tagale eine großgewürfelte rothe, blaue oder gelbe Hose hinzu, iiber welche das Hemd ' hinabhängt. Die wohlhabendere Halbkaste treibt darin großen Luxus. Das weibliche Geschlecht, die weißen Frauen nicht ausgenommen, bedient sich nur der Pantoffeln. Man begegnet allen Sorten, von den mit Gold, Silber und Perlen gestickten Pantoffeln an bis auf Stroh- und Filz-Pariser. Vei längerem Aufenthalt würde ich zur Fahne des Pantoffels schwören, denn ein Paar lackirte Stiefel, die ich bei einen: hiesigen Schuster gekauft, fiel mir nach dem ersten mehrstündigen Svaziergange in Fetzen von den Füßcn. Ich bediene mich seitdem ungescheut, sogar auf der Promenade, eines Paares alter Wasserstiefeln und fahre damit bei den häusigen Regengüssen sehr wohl. Von der Heftigkeit tropischer Platzregen wird man sich eine Vorstellung machen, wenn ich sage, daß die nackten Feldarbeiter in der Nahe des Flusses bei einem plötzlichen Schauer lieber iu's Wasser springen, ehe sie sich der nassen Auspeitschung aussetzen. Die Tropfen sind so groß und schwer und fallen so dicht herab, daß sie auf der bloßen Haut brennende Schmerzen verursachen. Ich spreche aus eigener Erfahrung, denn ich wurde bei einem Flußbade im Pllsig mit Herrn Vehr von cinem dieser monströsen Regengüsse überrascht und mußte im Wasser bleiben, wiewohl der Pasig stark mit Krokodilen bevölkert ist. Herr Vehr suchte mich zu beruhigen. „Bewegen Sie sich nur lebhaft mit Annen und Beinen, dann beißt das Krokodil so leicht nicht an!" Tie Hauptliebhaberei der Tagalen und Mestizen ist nächst der Cigarre der Hah^enkampf. Eingeborene und Halbblütige sind ohne den Hahn undenkbar. Der Handwerker, wenn er eine Bestellung entgegennimmt, trägt seinen Hahn unter dem Anne; der ärmste Vauer oder Gärtner, wenn er mit Obst und Gemüse zur Stadt fährt, trennt sich nicht uon seinem Hahn, der gewöhnlich oben auf dem Korbe sitzt und altklug umherschaut; der Gastwirth sitzt vor der Hausthür und neben ihm der Lieblingshahn, bereit, in jedem Augenblick mit seinem Gegner anzubinden. Müßiggänger tragen auf ihren Spaziergängen, wie alte Damen die Schoßhündchen, ihre Hähne umher. Ein tapferer Kämpfer ist der Stolz der Landcskinder. In jedem Stadtbezirk be- 22 findet sich eine Arena, wo die Streitigkeiten des zanksüchtigen Geschlechts ausgefochtcn werden. Vor Beginn des Zweikampfes wird an einein Fuß des Hahnes ein scharfer stählerner Sporn befestigt, den jedoch vorläufig eine Lederscheide bedeckt. Uni den natürlichen Ingrimm der Beherrscher des Hühnerhofes zu steigern, beugt der Besitzer den Kopf seines Hahnes zu Voden und Iaht den Gegner mehrmals auf die Halskrause desselben lospicken; dann muß sich dieser eine gleiche Mißhandlung gefallen lassen. Ist der Ingrimm der armen verblendeten Vögel aufs Aeußerste entbrannt, so werden die Scheiden der Sporen entfernt und die Kämpfer freigegeben. Unaufhaltsam stürzen sie übereinander her und versetzen sich mit den tückischen Waffen blutige Stöße, so lange ihre Kräfte ausreichen. Sie werden nicht eher getrennt, bis einer, zu fernerem Widerstände unfähig, zu Voden sinkt. Der Besitzer des Siegers steckt die Einsätze in die Tasche, die Zuschauer gleichen ihre Wetten aus und suchen einen neuen Schauplatz auf; die Kämpfer aber werden chirurgisch genau untersucht und sorgfältig verbunden. Ist die Verwundung des besiegten Hahnes tödtlich, so trägt sein grausamer Herr weiter kein Bedenken, ohne auf frühere Liebe und Freundschaft Rücksicht zu nehmen, ihn, oft noch bei lebendigem Leibe, zu rupfen und auf den Markt zu tragen, wo er für eine Kleinigkeit an arme Leute verkauft wird. Häufig veranstaltet man, wie in England zu Wettrennen und Voxerkämpfen, Ausflüge in die Nachbarschaft. Mein ärztlicher Freund, Dr. Kaufmann, veranlaßte mich zu einer derartigen Excursion, nach dem Dorfe St. Anna, wo nach altem Brauche Hahnen-kämpfe in Masse gehalten werden sollten. Wenngleich ich mir von dem widerwärtigen Schauspiele nur geringes Vergnügen versprach, lehnte ich die Einladung nicht ab; ich wurde anderweitig entschädigt. St. Anna, ein Torf, das man schon einen Marktflecken nennen könnte, liegt malerisch schön zwischen Cocosvalmen und Platanen gebettet, wie ich sie in ähnlicher üppiger Entwicklung noch in keinem Lande angetroffen hatte. Unter ihnen zerstreut befanden sich einige gleich großartige Exemplare des Brotfruchtbaumes. Es wurde mir wirklich schwer, mich von diesen Wundern zu trennen und in das Hahnen« lampf-Theater zu treten, aus dessen Pforten uns schon ein dichter Tabaksrauch entgegenquoll. Die Arena ist ein in Circusform aus Bambusstämmen und Matten erbautes Theater, in dessen Mitte sich eine mit Sand bestreute Notunde befindet. Etwa sechs Fuß über dem Erdboden erhaben, sitzen in amphi-theatralisch ansteigenden Logen die Zuschauer, jeder in Begleitung seines Hahnes. Das Entree war gering und betrug nach unserer Münze nur fünf Silbergroschen. Kaum eingetreten, war ich nahe daran, wieder umzukehren. Im Innern herrschte die drückendste Hitze bei einer mephitischen Atmosphäre, die ich nur durch die Einwirkungen der heftigsten dramatischen Spannung auf die leidenschaftlichen Gemüther der Zuschauer zu erklären vermochte. Besäße ich die seltsame Gabe des Rabelais, dergleichen Scenen ;u veranschaulichen. 23 ich wäre im Stande, ein höchst belustigendes Vild zu liefern; als ein durch unser sittiges Cercmoniell im Zaume gehaltener Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts muß ich mir Schweigen auferlegen. Wir verweilten nur kurze Zeit in der entsetzlichen Aude, denn außer dem pestilenzialischen Gestank wurde uns der Aufenthalt durch das wilde Geheul der Menge und das unablässige Krähen von etwa fünfhundert Hähnen verleidet, die ihre Negier, am Kampf theilzunehmen, dadurch an de» Tag zu legen suchten. Ich trat den Rückzug an, als eben ein herrlicher goldbrauner Hahn von seinem Gegner, einem Vogel, stark und schwarz wie der Satan, unter dem betäubenden Johlen des Publikums niedergerannt worden war. Der Sporn des Gegners hatte dem Thiere beim ersten Anlauf den halben Kopf weggerissen, und das Vlut strömte aus den geöffneten Halsadern wie ein Aachlein in den Sand. Verstimmt über die unsinnige Grausamkeit des Volkes, verließen wir den Circus und verweilten noch ein Stündchen im Schatten der unvergleichlichen Bäume des Ortes. Kann man sich indessen über die Gedanken- und Lieblosigkeit des halbwilden Volkes verwundern, wenn man das barbarische Verfahren des europäischen Gouvernements damit vergleicht? Schon auf der Ueberfahrt von Hongkong nach Manila habe ich der Prügclmanie an Vorb des Steamers gedacht; in den Straßen der Stadt erlebe ich die Fortsetzung. Nur in dem sächsischen Zuchthause zu Waldheim wird mit ähnlicher Energie auf die Sträflinge losgedroschen, wie in den fvanischen Colonien. Aus meiner Kindheit erinnere ich mich des Ordinarius der Quarta unserer Bürgerschule, der aus angeborenem Wohlgefallen an großartigen Iüchtigungsacten über die Vergehen der Woche gewissenhaft Vuch führte, die Straffälligen an jedem Sonnabend Mittag 12 Uhr zur Rechenschaft zog, alsdann eine ganze Stunde seines gelehrten Daseins opferte und die armcn Kleinen für Tintenkleckse und vergessene Vocabeln mit einem Lederkantschu in stiller Wollust systematisch durchhieb, Das System der spanischen Polizeibehörde rief die Ungerechtigkeit des Schulwütherichs in mein Gedächtniß zurück. Der Sonnabend ist auch in Manila der Tag der officiellen öffentlichen Abholzung. Mit großem Raffinement wird dazu eine pittoreske Straßenecke ausersehen und die Zahl der Straffälle Vormittags bekannt gemacht. Die Eingeborenen theilen scheinbar nicht die Abneigung des Europäers gegen solche schamlose Demonstrationen der Rechtspflege. Als ich am letzten Sonnabend im Hause eines Hamburger Kaufmanns dinirte, näherte sich nach der Suppe die Kammerzofe der jungen Frau mit strahlendem Gesicht und bat um Urlaub für den ganzen Nachmittag. Auf die Frage der Dame, weshalb Dolores so lang? fortbleiben wolle, berichtete die kleine Zofe, ihr Cousin erhalte heute Nachmittag sein? Tracht Staatsprügel, und sie habe sich mit allen ihren Verwandten verabredet, zugegen zu sein. Leider wüßte sie nicht, wann an ihn die Reihe käme, und müßte deshalb den ganzen Nach- 24 mittag auf dem Holzvlatze zubringen. Trägt man nur das Herz auf den: rechten Fleck, so kann man aus jeder Blume des Lebens Vergnügen saugen. Nebenbei bemerkt, wird die Strafe mit zolldicken Bambusstäben vollstreckt. Ein heller Tag gestattete einen abermaligen Ausflug nach Et. Anna, doch galt er nicht den Hahnenkümpfen, sondern einer Aquarelle der Äaumgruppen des lieblichen Ortes. Das Netter ließ während der Arbeit nichts zu wünschen übrig, und umgaukelt von prachtvollen Schmetterlingen und buntfarbigen Vögeln, vollendete ich das Blatt. Auf dem Rückwege stattete ich dem großen Kirchhofe von Manila einen Besuch ab. Die Särge werden in der kreisförmigen, sieben Fuß dicken, zwölf Fuß hohen Mauer, wie in einem Camvo santo, beigesetzt. Hat die Nische den Todten aufgenommen, sa wird sie wieder vermauert. Der Familienname und die Nummer des Grabes werden draußen auf die Wandstäche geschrieben. So lange die Hinterbliebenen die Pachtsumme entrichten, bleibt die Ruhe des Todten ungestört; werden die Iahlungen eingestellt, so öffnet man die Nische, vergräbt die Asche und stellt den Raum einer andern Familie zur Verfügung. In der Mitte steht, in einer Umgebung von Blumenbeeten, eine ansehnliche Capelle, in der fünf Leichen bis zur Beerdigung bei Kerzenschcin ausgestellt waren; am Altar wurden Seelenmessen gelesen. Ein armer Mestize, der sich bei einem der größeren Chorknaben nach dem Preise derselben erkundigte, erhielt zur Antwort: er könne sie von einem Dollar bis zu fünfzehn Dollars haben, doch sei die Messe zu einem Dollar nicht empfehlenswert!)! Mit dem Begräbmß der Todten beeilt man sich hier auf bedenkliche Weise. Das am Vormittag gestorbene Kind eines Bekannten wurde schon am Nachmittage betgesetzt. Auf meinen Rundfahrten überzeuge ich mich, wie Recht Swift hat, wenn er behauptet, die Spanier hätten sich in fremden Welttheilen mit Kirchen, die Franzosen mit Festungen, die Engländer mit Vranntweinläden eingeführt. So viel ist gewiß, die Mehrzahl der hiesigen Echenkwirthe besteht aus invaliden englischen Matrosen. — Die Augustiner genießen seit dem Erdbeben hohes Ansehen unter der bigotten Bevölkerung. Ihre Kirche ist unversehrt geblieben, und die Mitglieder des Ordens rühmen sich daher besonderer Oottgefälligkeit. Dergleichen Notizen sammle ich als Begleiter des Dr. Kaufmann, den ich bei schlechten, Wetter auf seiner Praris begleite. Er stellt mich jetzt als „Kollegen" vor, und ich folge ihn, an die Krankenbetten. Wir «erden in den Häusern der reichen Insulaner sehr zuvorkommend empfangen, und stets mit Speise, Trank und Cigarren bewirthet. Es gehört zum guten Ton und den Pflichten des Hausarztes, das Angebot nicht ganz abzulehnen; er nimmt einen Bissen Brot oder zündet eine Cigarre an. Im Haufe einer wahnsinnigen indischen Rentiere verweilten wir längere Zeit. Sie befand sich auf dem Wege der Besserung, und die Angehörigen überhäuften den Arzt 25 mit den zärtlichsten Liebkosungen, von denen ein Theil auch für mich abfiel. Die hiesige Praris muß, wenn das Honorar der Zahl der Besuche entspricht, sehr einträglich sein. Schon ein Schnupfen giebt Veranlassung, zum Doctor zu schicken, und bei dem häufigen Wechsel von Hitze, Regen und Wind niest und hustet ganz Manila. 1>r. Kaufmann ist an solchen Tagen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne unterwegs. IV. Der Familicnuater auf »er Gcisterwacht. Ein Tandftah. Zu Darwins Theorie. Chinesische Wechsler. Kein weltliches Vuch. Der Vice- Gouverneur und die „Auimosa". Neue Auflage der Eeclranhcit. Hofdienst. Mistreß Harsekeeper. Rückreisepliine. Die „Pallas". Victoria aller Orten. Chi-chang-hong, mein College. Leisibilder. Noch einmal nach Kanton. Nicht der Flüchtigkeit oder der gedankenlosen Einförmigkeit meiner Aufzeichnungen, sondern der eigenthümlichen Beschaffenheit dieser Gegenden möge der Leser die Schulo geben, wenn ich so oft auf die kleinen Leiden des Lebens in den Tropen zurückkomme und von Cockroaches, Mosquitos, Ameisen, Scorvionen, Tausendfüßen und anderen Gesellschaftern eines der Häuslichkeit beflissenen Reisenden rede, statt von erfreulicheren Schöpfungen der fruchtbaren Natur zwischen den Wendekreisen. Auf dem vom 7. Januar datirten Blatte meines Portefeuilles finde ich -u meinem Trost, und vielleicht auch zu dem des Lesers, die Notiz einer animalischen Invasion, die vollkommen Neues bietet. Am Tage vorher war ich Augenzeuge der Entbindung der Frau eines begüterten Eingeborenen gewesen. Mein Nicewirth hatte mich darauf auf« merksam gemacht, da die Geburt eines Erben hier unter ähnlichen Eeremonicn stattfindet, wie in den Familien mächtiger Herrscher, und es strafbar gewesen wäre, eine solche Gelegenheit, die Landcssitten kennen zu lernen, unbeachtet zu lassen. Schon als wir uns dem Hause näherten, das einen Zuwachs an Einwohnern erhalten sollte, fiel mir eine auf dein Dache sitzende, nur mit einem handbreiten Schurz bekleidete braune Gestalt auf, die, in der Rechten eine» blanken Säbel, in der Linken einen Rohrbescn, zuweilen wild in der Luft umhcrfuchtelte, dann aber wieder sich mit einem Schilde gegen die Streiche unsichtbarer Gegner deckte. Der Fechter war der Vater des erwarteten kleinen Tagalen und vertheidigte seine Gattin in ihrem gegenwärtigen wehrlosen Zustande gegen die Angriffe gewisser Geister, die es besonders auf Wöchnerinnen und Neugeborene gemünzt haben sollten. Es wäre ein Frevel gewesen, den tapfern Gatten in seiner Defensive Zu stören; wir betraten ungehindert das 26 Haus und die Wochenstube und fanden die ganze Verwandtschaft, um das Lager der Kreisenden versammelt, auf den Fersen am Voden hockend. So groh ihre Theilnahme an dcm bevorstehenden Familiencreigniß sein mochte, liehen sie sich doch nicht abhalten, große Cigarren ;u rauchen, selbst die junge Frau vom Hause suchte sich die Zeit bis zur eintretenden Katastrophe auf diese Weise zu verkürzen. Uns frechen Eindringlingen blieb nichts übrig, als gleichfalls unter den Angehörigen niederzukauern und unsere Glimmstengel anzubrennen. Der Ankömmling auf den Philippinen ließ indessen lange auf sich warten, und nach einer langweiligen Viertelstunde räumten wir das Feld, indem wir beim Abschiede dem noch immer auf den: Dache reitenden Vater primumerando unsere Glückwünsche abstatteten. Nicht ungestraft sollte ich so lange unter halb nackten Indicrn auf der nicht übermäßig reinlichen Matte gesessen haben. Schon mit Anbruch der Nacht wurde ich durch ein schmerzliches brennendes Jucken an der Innenseite des Oberschenkels am Schlaf verhindert, doch war es zu dunkel zu einer Ocular-Inspectian. Der Tagesanbruch muhte abgewartet werden. Vei scharfer Besichtigung zeigte sich nun ein schwarzer Punkt, d. h. ein winziges Thierchen, das, wie ich fühlte, eifrig bestrebt war, sich tiefer in's Fleisch zu graben. Ich hatte viel von dcm Sandfloh gehört, doch wurde ich, da dieser sich nur unter den Nägeln der Zehen einen Weg zu bahnen pflegt, an feiner Identität mit dem unbekannten Eindringlinge irre. Froh, den Schuldigen noch mitten in der Arbeit und vor der Ablagerung seiner Nachkommenschaft in üa^ranri betroffen zu haben, schärfte ich mein bestes Federmesser auf dem Streichriemen und unternahm sofort die Operation, die denn auch unter starkem Blutverlust nach einigen Secunden gelang. Leider wurde der Schmarotzer selber bei dem Act so arg zugerichtet, daß seine Confrontation mit Dr. Kaufmann unmöglich war und über seine Specialität bis heute nur leere Vermuthungen angestellt werden konnten. Es war übrigens der zweite derartige Fall, dessen ich mich auf allen meinen Reisen in den Aequatorial-Mgionen erinnere. Vor Jahren war mir Aehnliches in Brasilien begegnet. Mit den zwei bis drittehalb Ellen langen Schlangen, die sich im Hofe des Hotels und aller Häuser von Manila und seiner Umgebung umhcrtreiben, leben wir auf vertraulichem Fuße und betrachten sie als nützliche Beamte im Haushalte der Natur. Sie nähren sich schlecht und recht von den noch zahlreicheren Ratten, und nur in seltenen Fällen lassen sie sich den Naub eines Küchleins zu Schulden kommen. Man verzeiht ihnen gern den Schrecken, den sie uns Nachts einjagen, wenn sie eiskalt über das Gesicht und die Hände wcghuschen. Ein leidlich regenfreier Tag wurde zu einem Ausfluge nach dem Dorfe benutzt, wo einige Meilen von Manila noch ein Häuflein Nutochthonen der Insel Luzon sich unvcrmischten Geblüts erhalten hat. Auf die Gefahr hin, 2? mir einen theologischen Verweis zuzuziehen, darf ich nicht verschweigen, daß ich durch den Anblick dieser Naturkinder sür die Nichtigkeit der vielbestrittencn Theorie Darwins gewonnen worden bin. Die schwarzbraunen Kleinen standen ihrem Exterieur nach auf einem Uebergangsstadium vom Affen zum Menschen. Gewiß werden mich die Männer der kirchlichen Nissenschaft mit 5em Iollmaß in der Hand osteologisch widerlegen können; der Augenschein sprach jedoch gegen sie und die Abstammung dcs Menschen von der Copie eines höheren Vorbildes. Die Männchen des Dorfes waren wenig über vier Fuß hoch, die Weibchen noch kleiner, und ihre Schädel, statt mit Haaren, mit einem grobwollenen Felle bedeckt. Rechnet man dazu ein Minimum von Intelligenz und eine fast unartikulirte Sprache, so wird man begreifen, wenn meines Bleibens in dieser Gesellschaft nicht lange war und ich, nachdem ich die armen Halbaffen oder Halbmenschen mit Glasperlen beschenkt, schleunig Kehrt machte und nach Manila zurückfuhr. Die Indolenz der Spanier ist der Fabrikation von Manufacturwaaren nicht günstig; ich muß auf Einkäufe verzichten. Außerdem ist der Maugel an kleinem Gelde ein großer Uebelstand. Es befindet sich fast gan; in den Händen der eingewanderten Chinesen, die damit die einträglichsten Wechselgeschäfte treiben, aber nicht etwa dem Publikum auf der Straße oder in offenen Läden entgegenkommen, sondern in ihren Spelunken aufgesucht sein wollen, und sich geberden, als brächten sie die größten ?)pfer, wenn sie mit ihrer schmutzigen Kleinmünze gegen vollwichtige Goldstücke herausrücken. Einen Probirstein zur Prüfung des Goldgehalts führt jeder dieser Gauner mit sich, wie wir Uhr, Tabaksdose, Zahnstocher und Nagelmesser. Der Termin meiner Rückreise nach Hongkong rückte heran, und ich wollte zur Erinnerung an die verlebten angenehmen Tage wenigstens ein auf der Insel gedrucktes Vuch kaufen, allein es war, obgleich ich mehrere Läden besuchte, nichts vorhanden als eine geringe Anzahl Gebetbücher. Die allmächtige Geistlichkeit duldet nicht, daß Schriften weltlichen InHalls gedruckt und verbreitet werden. Ein noino literatuz würde bei der Menge der Feierlichkeiten und frommen Uebungen auch gar nicht zu ihrer Lecture gelangen. Ich erneuerte an diefem unvergleichlichen Tabaksemporium meinen Eigarrenvorrath und packte meinen Koffer. Es war Zeit, dem Vice-Oouverncur der Stadt und dem Commandanten des Kanonenbootes „Animosa", auf dem ich die Ueberfahrt zu machen gedachte, einen Aesuch abzustatten. AIs königl. spanisches Kriegsschiff nahm die „Animosa" keine Passagiere für Geld an Bord, Alles kam auf den guten Willen der Herren an, mich als Gast zu beherbergen und zu befördern. Ich fand zwei elegante und gebildete Cavaliere, die meine Vitte um Aufnahme gewährten, noch ehe ich sie ihrem ganzen Umfange nach ausgesprochen hatte. Veide Herren verstanden ziemlich gut Französisch, in diesen Gegenden eine große Seltenheit; der Vice-Gouverneur stellte mich seiner Gemahlin, einer zarten spanischen Schönheit, vor und wollte mich ohne Weiteres zur Tafel ziehen, was ich mit Rücksicht auf meine Reisevorbcreitungen höflich ablehnte. Tie gebotenen Abschiedsvifiten fielen sehr unvollkommen aus; es war Posttag und alle Welt mit dringenden Geschäften überhäuft. Von manchem neugewonnenen Freunde mußte ich mich mit einem flüchtigen Händedruck für dieses Leben trennen. Gleichseitig wurde die Paßangelegcnheit geordnet; mein Name und Rang lautete auf dem vom Vice-Gouverneur unterzeichneten Reisedocument: Don ll. ,1. äo Zrmu. In Begleitung des Herrn Vehr nahm ich um 4 Uhr Nachmittags ein Voot und gelangte eine Stunde darauf an Vord der „Nnimosa". Der Com-mandante empfing mich sehr freundlich, und ein kleiner barfüßiger schwarzer Knabe fügte unseren Begrüßungen einen kräftigen Trommelwirbel hinzu. Ich werde in die Kajüte geführt und gebeten, es mir darin bequem zu machen, mein künftiger Stubenbursche, der Commandcmte, bietet mir seinen Cigarren-vorrath an, und ich ersuche ihn, um mich für die erwiesene Gastfreundschaft doch einigermaßen erkenntlich zu zeigen, einen Korb Champagner anzunehmen. Nach einem längeren Austausch von Höflichkeiten brenne ich endlich eine Cigarre an, der Commandante verfchließt den Korb, der Thee wird mit Anisette und Gebäck servirt und um halb 11 Uhr zu Bette gegangen. Das Kanonenboot ist so klein und die Hängematte, seinen Dimensionen entsprochend, so lur;, daß ich mich kaum auszustrecken wage. Mein Schlafgefährte unterhielt mich mit der Gefchichte des winzigen Kriegsschiffes. Der pflichtgetreuc Soldat hatte von seinen Kleidern nur den Uniformrock abgelegt, um ihn nach einer Stunde wieder anzuziehen und das Verdeck zu besuchen. Er war drittehalb Jahre lang mit seinem Kanonenboot auf Kreu^ügen zwischen den Philippinen, Celebes und Vorneo unterwegs gcwefen und wußte viel uon Scharmützeln dcr „Animosa" mit Piraten zu erzählen. Nachdem wir den nächsten Tag über bei dem heitersten Netter die malerische Küste von Luzon hinaufgefahren waren, steuerten wir gegen Abend in nordwestlicher Richtung in die hohe See. Unser Schifflein wurde von den Nasserbergen bald so wild hin- und hcrgeworfen, daß ich meine Zuflucht zu der Hängematte nahm und die Augen schloß, um den ersten Anwandlungen der Seekrankheit vorzubeugen. Nach so vieljährigen Fahrten durch alle Meere komme ich bei der gelegentlichen Wiederkehr dieses Leidens nach und nach zu der Ueberzeugung, daß die See nur zum Nießbrauch der Fische, nicht der. Menschen geschaffen sei. Unter diesen stillen Neflerionen und cincm steifen Nordost-Monsoon entwickelt sich das Uebcl mit einer solchen Lebhaftigkeit, daß ich noch achtzehn Stunden unter fortwährenden Eruptionen mich an den Schiffswänden halten muh, wenn ich nicht vor Schwäche zu Boden sinken will. Aleinen Reisegefährten ergeht es nicht besser; der Schiffsarzt, ebenfalls cm alter Seefahrer, 28 29 ringt mit Tod und Leben. Nach allen meinen bisherigen Erlebnissen zu Wasser ist die chinesische See am meisten ;u fürchten. Die Seekrankheit wüthet nm ärgsten unter unseren Marinesoldaten, eingefangenen und Zum Kriegsdienst abgerichteten Wilden von den Philippinen. Am 12. Januar, Vormittags, wagte ich mich wankenden Fußes wieder auf das Verdeck; durch die grauen Regenwolken sendet die Sonne Zuweilen ihre glühenden Pfeile, und das Auge späht in «dem wüthenden Wirbel der Gewässer sehnsuchtsvoll nach einem festen Punkte umher. Endlich tauchten vier chinesische Fischerdschunken fern am Horizont auf, die paarweise auf Fischfang oder Seeraub ausgezogen sind. Sie nähern sich unserem Steamer, entfernen sich aber schleunig, als sie die Mündungen seiner Geschütze unterscheiden. Gegen Sonnenuntergang begegnen wir einein ganzen Geschwader von Fischerbooten aus Hongkong und Macao. Wir nähern uns dem Lande, obschon bei dein bichtbewölkten Himmel die Küste nicht uon den Dunststreifen unterschieden werden kann. Mit dem Einbruch der Dunkelheit befanden wir uns im Schatten eines hohen Felsens, und nun kam ein chinesischer Lootse zum Vorschein, der schon von Manila an mitgefahren war, aber erst jetzt seine Functionen begann. Unter dem Oberbefehl des gewissenhaften Commandanten, der auf der ganzen Reise nicht aus den Kleidern gekommen war, hatte ich mich wohler gefühlt. Es war ein unsäglich peinliches Gefühl, bei Nacht und Nebel durch eine hohle Gasse von Felsen Zu fahren. Nicht selten schien es, als streifte der Dampfer die steinernen Wände; nur die Ruhe des Commandanten gewährte mir einige Sicherheit. Nächst dem Deutschen ist der Spanier der zuverlässigste Seemann; an Vord der „Mimosa" ist z. A. während meiner Anwesenheit kein Fall von Betrunkenheit vorgekommen. Hart vor Hongkong gingen wir aus Vorficht noch bei Green Island vor Anker, lichteten dieselben aber schon um 6 Uhr und kamen um 8 Uhr auf die Rhede. Die Trennung von den fpanischen Gentlemen ist mir wahrhaft schwer geworden; noch heute erinnere ich mich mit Vergnügen meines Aufenthalts an Vord der „Animosa" und des ritterlichen Tones ihrer Befehlshaber. Sogar den alten Steward, der mich während der Anfälle von Seekrankheit mit väterlicher Sorgfalt gepflegt, vermochte ich nur nach längerem Zureden, ein Trinkgeld von fünf Dollars anzunehmen. Dem Commandanten sandte ich nach meiner Ausschiffung einen zweiten Korb Champagner; dem Schisfsarzt verehrte ich zur Erinnerung eine Aquarelle. Kaum an Land muß ich mich pflichtschuldigst dem Hofdienst unterziehen. Mad. Alisch, die Gattin meines Freundes, ist aus Shanghai angekommen und bis zu ihrer Abreise auf meine Unterstützung als Cicerone oder Kornak angewiesen. Die junge Frau reist aus Gcsundsheitsrücksichten mit einem Kinde von cmdertlialb und einem Kindermädchen von sechszehn Jahren auf dem Dampfer „China" nach Europa. Hier in Hongkong dreht sich Alles um 30 die bevorstehenden Nettrennen. Nm frühen Morgen kann man kaum noch eines Menschen habhaft werben; mit einer solchen Erbitterung wird trainirt» Für Mann und Roh heißt die Losung: mager und leicht! Sogar die englischen Damen schlichen sich nicht aus. Mistreß Horsekeeper, wenn ich mir diese Pseudonyme Bezeichnung erlauben darf, verläßt den Stall nicht mehr. Ich habe sie in schwerem Verdacht, eigenhändig zu füttern und die Striegel und Kartätsche z« führen. Die» ehrcnwerthe Dame ist so bewandert in Stall- und Manege-Ausdrücken, daß sie sich derselben unumwunden bei Tisch bedient. Meine Nnkunde in dieser Terminologie verbietet mir beweiskräftige Citate, doch erinnere ich mich sehr wohl, von Mistreß zu mehrerem Genuß eines Plumpuddings in theoretischen Wendungen aufgefordert zu sein, als säße sie bei einein Kirchthunnrennen auf meinem Nucken und es handle sich darum, cm erhebliches Hinderniß, besiehend aus Graben und Hecke, zu nehmen.. Wahrscheinlich las die gute Donna auf meinem verdutzten Geficht die Verwunderung über diefe originelle Redeweise, sie gab dem Gespräch eine andere Wendung, kam auf ihre schwankende Gesundheit und behauptete, nur auf ärztliche Verordnung so oft und lauge im Pferdestalle zu verweilen. Auf den Nunsch meiner Familie, deren Briefschaften ich in Hongkong-vorfand, denke ich endlich an die Rückreise. Nach meinen Erfahrungen iir, den asiatischen Gewässern kann ich mich nur verbessern, wenn ich die ameri--kanische Route wähle. Zwar steht mir eine Seereise von zweitausend geographischen Meilen bevor, und ich muß mich, da die Linie Hongkong-San Francisco von Dampfern noch nicht befahren wird, eines Segelschiffes bedienen, doch bereichere ich meine Anschauungen nord- und mittelamerikanischer Landstriche und lerne nun auch dcn Isthmus von Panama kennen. Im Hafen: lagen drei nach San Francisco bestimmte Schisse, ein deutsches, englisches und holländisches; bei meinem Glauben an die hervorragende Seetüchtigkeit unserer Landoleute beschloß ich, mich zuerst an den Eapitän des ersteren zu wenden. Mein Weg führte durch die Matrosenstadt, und ich lieh die Gelegenheit nicht unbenutzt, nach langer Abwesenheit einen flüchtigen Bliä in das „grüne weibliche Blumenhaus", das Paradies der europäischen Seeleute, und die Logirhäuser für Matrosen: ..I^iwn^d duardiilF Kmi36" für sechzehn „seamen", den «^acck t^r" und „senior's twine" (Jack Theer und Seemanns Heimalh) zu werfen; im „blauen Ferkel" (tlie dlue vi^), einem Branntwein-Etablissement neuesten Datums, ging es am lustigsten her. Eben follte ein junger Mann hinausgeworfen werden. Der Capitän des deutschen Barl-schiffes „Pallas" empfing mich freundlich genug; doch konnte er mir nicht sogleich Auskunft ertheilen. Die starke Ladung der „Pallas" und die Zahl der Passagiere zwingt ihn, den noch übrigen Raum bis auf Haaresbreite zu. berechnen. Erst am nächsten Tage soll ich Bescheid erhalten; ich greife daher-zu Malerstuhl und Mappe und benutze das helle und windstille Netter zu. 31 fleißiger Arbeit. Der Himmel ist nur, wie meine Gönnerin, Mad. Tüübecke, Besitzerin einer ansehnlichen Bildergalerie, von den Hyacinthen-Ausstellungen zu sagen pflegte, zu blau, doch muß sich ein vorsichtiger Künstler danach einzurichten wissen. Am 18. Januar, Vormittags, besuchte mich Herr Hart mann, der Capita« der „Pallas, und zeigte mir an, daß auf seinem Schiffe sich noch hinlänglich Platz für meine Person gefunden habe; in sechs Tagen sollen die Anker gelichtet werden. Ieyt kommt Mes^ darauf an, diese Spanne Zeit in Asien weise zu benutzen. Die erste Pflicht der Selbsterhaltung ist die Wiederherstellung der Garderobe, ich wende mich daher an den chinesischen „Victoria tkilor". der nebenbei Strümpfe verkauft und stopft und bei dem ich mindestens vor jener Genauigkeit in der Copie von Kleidungsstücken sicher bin, deren sich jener chinesische Schneider schuldig machte, als er fünfundsiebzig Dutzend bestellte Soldatenbeinlleider mit den Flicken und Flecken des vorgelegten Musters auf dem Gesäß anfertigte und ablieferte. Herr Menke, ein geborener Hamburger, einer der intelligentesten und gefälligsten Deutschen, denen ich in China begegnet bin, leistete mir bei diesem Garderobegeschäft den nützlichsten Beistand. Auf dem Rückwege von der Werkstatt des Schneiders kamen wir an dem Gefängniß Victoria ^aol vorbei und begegneten einem Trupp Sträflingen, die, mit Ketten belastet, in einem Costüm von blau und weiß gewürfeltem Baumwollenstoffe zur Arbeit transportirt wurden. Mit dem Namen der Königin Victoria hatte man auch hier Mißbrauch getrieben. Auf dem Nucken der Kerle stand in großer und deutlicher Schrift: „Victoria-Gefangener". Weiterhin fesselte mich das Schild vor dem Atelier eines Fachgenossen: es wäre ein Frevel gewesen, ihm nicht einen letzten Besuch abzustatten. Die Inschrift lautete: „(HicnaiiANon^ lrom iüauton, Ftü^, portrait anä eliart pmutor. Nr. 517. Hon^kon^ (jneon^roaä." Ein stolzer Mann mit langem Zopfe und einer monströs großen Brille auf der Nase empfing uns und führte Herrn Menke, mit dem er bekannt war, und mich in seinen Ateliers umher. Dabei bediente er sich mit der Koketterie einer spanischen oder italienischen Schönen eines großen Fächers, von dem er sich nicht trennen zu können schien. Herr Menke machte durch Scherze den hochfahrenden Künstler redselig, und dieser versicherte in seinem besten „Piojen-Englisch", er garantire, eine solide Bezahlung vorausgesetzt, die Aehnlichteit der von ihm abgebildeten Schisse und Gesichter für eine beliebige Reihe von Jahren. Nie alle chinesischen Maler legte auch er den höchsten Nachdruck auf die Qualität der Farben. Er führte uns vor sein Nllerheiligstes, ein Wandschränkchen, in dem in steinernen Kruken und pulverisirtem Zustande die herausforderndsten Farben: Knallroth, Vlitzblau. Schwefelgelb, Papageien- und Donnergrün, aufbewahrt wurden, und zeigte uns die verschiedensten Sorten, mit denen Bilder „Numbel 1, 2 und 3" gemalt würben. Als ich unwillkürlich lächelnd. 32 ein wenig den Kopf schüttelte, trat er pathetisch einen Schritt zurück, 50g aus der verborgensten Ecke des Schrankes eine große Flasche, schüttelte sie, hielt sie gegen das Tageslicht und sagte in etwas geringschätzigem 3on, mich scharf aufs Korn nehmend: „Wenn Sie in Ulopp (Europa) vielleicht auch ctwas besser malen können, meinen Lack haben Sic doch nicht! Ein von mir sieben- bis achtmal lackirtes Vild dauert ewig!" Er versenkte den Blick an-dächtig in die unvergleichliche Flüssigkeit und stellte die Flasche ehrfurchtsvoll an die geschützte Stelle zurüct. Nir schieden, nachdem ich ihm ein Vuch „Leisiuilder" (Reisbilder) abgekauft. Da ich in Hongkong nichts mehr zu thun hatte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mein asiatisches Rcisefinale effectvoll mit einem Abstecher nach dem geliebten Kanton zu schließen. Allerdings sah der Himmel am 13. Januar früh Morgens zu einer mehrstündigen Wasserpartie nicht sonderlich ermunternd aus. Der Nordost-Mynsoon trieb so niedrig pichende greuliche Nolkcngeschwader über unsere Köpfe hin, daß man daran die Schädel emzurennen vermeinte, doch blieben wir mit Regen verschont. Anzunehmen war, der wässerige Niederschlug werde erst in wärmeren Regionen des Inlandes von China und Cochinchina stattfinden. Wirtlich wurde der Himmel nach einer Stunde etwas lichter, und um halb 5 Uhr befand ich mich reifefertig auf dem Verdeck des Steamers „White Cloud". Der erste nord-amerikanische Unternehmer ist der einträglichen Linie zwischen Kant'n und Hongkong nicht froh geworden; in der Zwischenzeit hat ein anderer Speculant mit dem Dampfer „Kin Shan" eine Concurrent oder Oppositionsfahrt eröffnet. Um seinem Rivalen die Stange ;u halten, mutz „White Cloud" die beinahe Wanzig deutsche Meilen (zweiundneunzig englische Meilen) weite Strecke für drei Dollars (erster Platz) fahren. Cin delicates Tiffin, das um 9 Uhr aufgetragen wurde und aus Fischen, Austern, Beefsteak und Kaffee bestand, ist in den Fahrpreis mit eingeschlossen. Tie genannte Route kann ohne Uebertreibung eine Welistrahe genannt werden; die Preise für die letzte Klasse mußte man daher auch den untersten Ständen Chinas erschwinglich machen. So haben wir an tausend Chinesen mit Frauen und Kindern an Bord, die ohne Verpflegung bis Kanton für den Kopf nach unserem Oelde nur zwölf Silbergroschen bezahlen. Sie lagen unter freiem Himmel auf den Planten, und ich entdeckte, Dank der Einwanderung aus Curopa, unter den Knäblein und Mägdlein eine Menge unchinefisch blonder Zöpfchen und hellblauer Augen. Mein physiognomifcher Spaziergang auf Deck wurde durch die fich aus dem Touristenschwarm entwickelnden Gasarten abgekürzt-, ich zog mich in die Kajüte zurück und traf meine Reisegefährten, sämmtlich SchW-capitäne, wie gewöhnlich bei der Cognacflasche. Man unterhielt sich über die Beköstigung und den Appetit der Mannschaften, und die Herren kamcn über« cin, die gefräßigsten Individuen auf den Schissen allcr Nationen seien der 33 zweite Steuermann und der Zimmermann. An logischer Begründung dieser Thesis fehlte es, doch theile ich dieselbe in der Hoffnung mit, vielleicht einen der Gelehrten unserer jungen Marine zu dahin einschlagenden Beobachtungen und wissenschaftlicher Erörterung des merkwürdigen Satzes anzuspornen. Auf Deck sind die üblichen Sicherheitsmaßregeln getroffen. An jeder Schiffstreppe steht ein mohrenmäßig aussehender Soldat mit geladener Büchse und aufgepflanztem Vajonnet; zwei Vierundsechzigpfünder auf Drehscheiben sind so placirt, daß sie nach Bequemlichkeit und Bedarf auf Salz- und Süßwasserpiraten, oder auf mordlustige Passagiere dritter Klasse gerichtet und abgefeuert werden können. Sicherem Vernehmen nach find fie mit Kartätschen geladen. Der Ausländer hat, nach den Mittheilungen der Lapitäne, gerechte Ursache, im höchsten Grade auf feiner Hut zu sein. Die Sicherheit der Gegend ist zu Wasser und zu Lande durch nichts als die entschlossenste Gegenwehr verbürgt, und noch vorgestern war ein uon chinesischem und europäischem Raubgesindel an einem englischen Ehepaare verübter Doppelmord in Hongkong vorgekommen. Um 1(1 Uhr hatten wir das Labyrinth von Inseln und Felsblöcken hinter uns und dampften in die Mündung des Kantonflusfes. Das Wetter bessert stch unverkennbar, aber die Luft ist noch immer nicht durchsichtig genug, das gegenüberliegende Ufer des gewaltigen Stromes zu erkennen. Hinter der Vocca Tigris, den kleinen befestigten Inseln, der Mauer auf dem Festlands und der Tigerinsel wurden die Ufer ganz flach, und wir erblickten Legionen wilder Enten, die auf der hellte fpiegelglatten Oberfläche des Wassers unter den malerifchen Dschunken lärmend umherplätscherten und die Iagdgelüste meiner Reisegefährten erregten. Sie forderten Jagdflinten, aber ehe dieselben nebst Schießbedarf herbeigeschasst worden waren, lagen Dschunken und Enten-schwärme weit hinter uns, und mein Tischnachbar, der Vorsteher der Bewahr-anstatt für chinesische verwahrloste Kinder in Hongkong, ein emeritirter Schuster aus Berlin, knüpfte nachträglich einige, die Iagdlust der Herren strafende Bibelverse an ihre Wasscnforderung und den angestrebten Wildbraten. Der gute Mann floß von Sentenzen und frommen Sprüchen über; feinen Lieblingssatz: „Die Kindlein sind so süß wie Honigseim," brachte er am Schluß fast jeder Periode an. Uebrigens erzählte auch er kaum glaubliche Dinge über die Ruchlosigkeit, mit der die Chinesen ihre Neugeborenen behandeln und sich namentlich der Mädchen entledigen. Um halb 3 Uhr kamen wir an Whampoa und der Vambusstadt, an großen Bananen- und Ananas-Plantagen vorüber; ein leichter Regen Mt, und die Chinesen hüllen sich in ihre Strohmäntel. Auf der Wente in Whampoa lag ein beinahe vollendeter Flußdampfer, Eigenthum eines Iankee, ein Schiff, das an Größe, Pracht und zweckmäßiger Einrichtung alles bisher Gesehene weit übertraf. Hier holte Hildebrcmdt's «else u« die Erdr. III. 3 34 uns der eine Stunde später von Hongkong abgefahrene Opponent „Kin Shan" zum größten Aerger des Capitäns cin und schleuderte mit seinen Schaufeln eine Wolke Nasscrstaub auf das Verdeck. Wenige Minuten darauf verschwand der eilfertige Steamer oberhalb des kur; vor Kanton auf Pfählen im Strome gelegenen Tempels, und uin halb 4 Uhr ankerten wir inHonam, gegenüber der alten Hauptstadt. V. Der Gactstcin. TchissspaletotS. Vicelünia Yeh. Der Richtplatz von Kanton. Gepfählt. Die rothscivcne Tchnur. Geohrfeigt. Tic Tii- Straße. Ein Rattenschlächtcr. Dejeuner auf einem Blumenschiss. Die Kegelpartie in Kanton. Auf Deck des „Kin Than". Pirateric und Raubmord. Der Giftbäcker. Mein Absteigequartier ist, wie bei meiner ersten Anwesenheit in Kanton, im Haufe des Herrn Me stern, eines Verbündeten der Firma Siemssen. Ich kann aus den Fenstern meines Gemachs die Nhite-Cloud-Vergreihe er? blicken; das Getreibe der Boote auf dem unten vorübersiießenden Strom gleicht den Arbeiterzügen eines Amcisenbaues; sie sind fast durchweg mit frischen Blumen in Töpfen und Vouquets beladen, und der köstliche Duft steigt bis zum zweiten Stockwert empor. Wie gern stürmte ich mich in das Gewimmel diefer meiner Lieblingsstadt, aber das beginnende Regenwctter und der nicht zu durchwatende Straßenschmutz trieben mich nach einer Stunde wieder nach Hause Zurück. Der gütige Wirth, Herr Mestern, bemerkte meine Niedergeschlagenheit und suchte mich nach Kräften zu erheitern. Das Programm seiner Unterhaltungsgegenstände war nicht zahlreich, aber vollkommen angemessen dem Nelttheile, dein Breitengrade und der Menschenrace. Herr Mestern zeigte mir in einem wohlverwahrten Seitengemach seines Comptoirs einen, ungefähr anderthalb Kubikfus; großen, halbdurchsichtigen grünen Stein, einen „Gaetstein", ivic der Wirth ihn nannte, den der König von An am dem Hause Siemssen, mit dein Auftrage, ihn, wenn möglich, vortheilhafi zu veräußern, in Verwahrnng gegeben hatte. Aus Mesterns Gesicht war unschwer zu errathen, daß cin Pfandobjcct vor uns lag und Se. Majestät von Nnam, notorisch ein nicht sonderlich rangirter Monarch, schon den größeren Theil des Werthes in klingender Münze erhallen habe. Der Preis des Halbedelsteins wurde auf sechsunddreißigtausend Dollars angegeben; so hoch beliebte wenigstens der geldlnappe Selbstherrscher ihn zu tariren. Abends begaben wir uns in einem Palankin iu das Hotel des preußischen Consuls und sonpirten in Gesellschaft des Prinzen Wittgenstein und des englischen Consuls. 35 Der klare, aber nur mäßig warine Morgen des 21. Januar veranlaßte mich zu einer Bootsfahrt nach den Blumengärten am Kanal, einem märchenhaften Aufenthalte mit ihren phantastischen Sommerhäuschen, den wunderlichen Iwerggcwächfen und den in allerlei Thierformen verschnittenen Myrtenbäumen. Ich verband damit einen Besuch des Südthors, meines ehemaligen Lieblingsstandpunktes für Malerstudien, und traf wieder mit einer eben so freundlichen Wachtmannschaft zufammen. Da ich mit meiner Zeit haushälterisch umgehen muß, hatte mir Herr Mestern einen alten Beamten des Hauses entgegengeschickt, der mich auf dem Südthore erwarten und mir mehrere Merkwürdigkeiten zeigen sollte, die mir bisher entgangen waren. Wir machten uns auf den Weg und hatten Mühe, in den nächsten engen Gassen durch den Schwärm der Kulis ;u dringen, die, gleich den Bootsleuten und Fischern, zum Schutze gegen die kühle Morgenluft die landesüblichen Paletots aus Schilfblattern angelegt hatten und Vogelscheuchen täuschend ähnlich sahen. Master Smith, ein redseliger Alter, der viele Jahre in China und Kanton zugebracht, führte mich nach dein Nichtplatze, auf dein Veh, der ehemalige Vicekönig der Hauptstadt, vor sechs Iahrcn unter den besiegten und gefangenen Taipings ein so namenloses Blutvergießen angerichtet. Wohl die Hälfte der hunterttausend Elenden soll auf diesem Platze enthauptet oder niedergemetzelt sein; endlich wurde dem teuflischen Schlächter das unaufhörliche Blutvergießen langweilig. Die Gefangenen wurden an den Kantonfluß und mit den Landen in das Wasser getrieben. Die verhängnisvolle Stelle, die ich später besichtigte, ward in eincm weiten Halbkreis von Booten umgeben, deren Mannschaften Jeden, der sich durch Schwimmen oder Anklammern an den Rand retten wollte, zurückstießen oocr niederstachen. Äeh sollte seines Lebens nicht froh werden, er gerieth bald darauf in die Kriegsgefangenschaft der Engländer, wurde nach Calcutta gebracht und erlag nach Jahresfrist im Fort William dem mörderischen Klima des Ortes. Ich besitze ein dort nach einer Photographie angefertigtes Portrait des Ungeheuers, das nicht die geringste Spur seiner Erbarmuntzs-losigkeit verräth. Ich ist ein wohlbehäbiger, gelassen aussehender Herr von. einigen vierzig Jahren. Auf dein erwähnten Richtplatze waren an: Tage vorher einige zwanzig Verbrecher von: Leben zum Tode gebracht worden, aber Niemand hatte für die Vertilgung der Vlutspuren Sorge getragen; wir wanderten zwischen Lachen geronnenen Blutes. An der Südseite des Platzes stand ein Haustein geknebelter Schacher, umgeben van Henkern und Schergen. Einer der armen Sünder fragte, nach Master Smiths Angabe, wie lange es wohl noch bis zur Vollstreckung der Erecution dauern könne, und cntgegnete unwillig, als man ihn, antwortete: „Noch eine Stunde!" das könne cr nicht aushalten, ihn Hunger?, er verlange vorher noch eine Ration- Reis! Meine Aufmerksamkeit 3* 36 wurde von den verlorenen Menschen durch einige drei bis vier Fuß tiefe Löcher abgelenkt, in denen mannshohe Pfähle steckten. Eben traten nür etwas näher, als die Schergen einen dieser Pfähle aus der Erbe zogen', ihn mit der Spitze nach oben gerichtet, an den Rücken eines der Verurtheilten stellten und ihn mit demselben vom Halse hinunter bis an die Knöchel so fest zusammenschnürten, das; er sich nicht zu regen vermochte. Anfangs glaubte ich, dieses Verfahren sei das Vorspiel einer Ausstellung am Pranger, aber schon nach wenigen Secunden wurde ich auf die schrecklichste Weise enttäuscht. Mehrere Burschen ergriffen den Pfahl und das daran gebundene Opfer, lehrte,: mit raschem Schwünge beide um, stießen die Spitze mit dem einen Fuh darunter befestigten Kopfe des lebenden Menschen in das nächste der Löcher, während mehrere Helfershelfer dasselbe mit Sand zuschütteten. Vor Schrecken verlor ich fast die Besinnung; ich war, ohne vorbereitet zu sein, Zeuge dcr Vollziehung einer der scheußlichsten Todesstrafen: des lebendigen Begräbnisses oder Pfählens geworden. Die Füße zitterten unter meinem Leibe, ich klammerte mich an den Ann meines grauköpfigen Masters, auf den das entsetzliche Schauspiel nicht den geringsten Eindruck machte, verließ den Platz und wankte langsam von dannen. Der Humor Smiths hatte unter dem greulichen Anblick nicht gelitten; er war seit langer Zeit mit der chinesischen Gerechtigkeitspflege vertraut und suchte mich durch ihre vortheilhaften Seiten auch mit ihren rauhen Eigenthümlichkeiten ;u versöhnen. Nach seinen Behauptungen sei es ein Vorzug der chinesischen vor allen Gesetzgebungen civilisirter Nationen, daß ein zum Tode verurtheilter Verbrecher, falls er nicht gewisse, unverzeihliche Uebelthaten begangen habe und sonst die nöthigen Geldmittel besitze, sich einen Stellvertreter schaffen könne, der an seiner Stelle die Todesstrafe erleide. Wirklich soll es nicht an armen Familienvätern fehlen, die zum Besten der Wittwen und Waisen ihr Leben für eine beträchtliche Summe hingeben und die letzten Tage durch allerlei sinnliche Genüsse verkürzen. Die Verantwortlichkeit für die Wahrheit dieses eigenthümlichen Paragraphen im Strafgesetzbuch des himmlichen Reiches muß Master Smith anheimgestellt bleiben. Gleiche Nachsicht wirb höheren Ortes in kritischen Fällen mit schuldigen hohen Staatsbeamten geiibt. Ein in Ungnade gefallener Obermandarin, wenn sein Verbrechen ein todeswürdiges ist, wird nicht durch Henkershände vom Leben ?um Tode gebracht, sondern durch eine ihm vom kaiserlichen Hofe zugesandte rothscidcne Schnur benachrichtigt, daß es für ihn gerathen sei, das Zeitliche zu segnen. Nach Ablauf einer Frist empfängt der Schuldige den Besuch mehrerer juristischen Autoritäten, und es ist nun seine Sache, die rothseidene Schnur an dem Haken der Decke zu befestigen, auf den Tisch zu steigen, sie knapp um den Hals zu schlingen lind seinen anwesenden Verwandten einen Wink 3? zu geben. Die Erben und rechtsgelehrten Zeugen ziehen ihm den Tisch unter den Beinen fort, und der Verbrecher hängt in freier Luft. Die Vesitzthümer und Standeschren bleiben den Hinterbliebenen, wie in Japan, wenn ein Verurtheilter das „Harikiri" an sich rollziehen läßt, vollständig erhalten. Liegen mildernde Unistände vor, so wirb der politische Verbrecher nur zu lebenslänglicher Einspcrrung in einem unterirdischen finstern Loche verurtheilt. Laut Bericht des guten Master Smith sind auch die Polizeistrafen äußerst resolut, selbst gegen das schöne Geschlecht. Die männliche und weibliche Nationaltracht ,steht gesetzlich fest; wenn nun ein Frauenzimmer sich erkühnt, durch europäische Modejournale verlockt, die geringste Veränderung anzubringen, verfällt sie im strengsten Sinne des Wortes: den Händen des Palizei-Obristen. Die pichlustige Schöne wird vorgeladen und — geohrfeigt. Es soll nichts Seltenes sein, baß unter Umständen ganze Serien von dreißig bis vierzig Maulschellen verabfolgt werden. Durch die Plaudereien des Masters leidlich erheitert, ersuchte ich Smith, mich in die martialische Drachenstratze zu führen, eine der hervorragendsten Etadtgegenden Kantons. „Dann müssen Sie sich auch die Sü-Straße ansehen!" rief der Alte mit strahlendem Antlitz. „Die Sü-Straße?" fragte ich verwundert. „Ja wohl," sagte Master Smith, „die Nattenstraße!" Besagte Straße führt ihren Namen von der besondern Pflege, welche man diesem Nagethierc gerade hier angedeihen läßt. Suchen unsere Feinschmecker ihre guten Bissen zur rechten Zeit auf dem Fisch-, Wild- und Gänse-markt, so bcgiebt sich der Gastrosoph von Kanton in die Sü-Straße. Er darf gewiß sein, das beliebte Wild in jeglicher Gestalt und Zurichtung anzutreffen. Ein Theil der Bewohner der Sü-Straße beschäftigt sich mit der Rattenmästung. Die fettesten Eremplare werden sogar in Käfigen einzeln aufbewahrt und theuer bezahlt. Vor dem Laden eines Rattenschlächters hängen die ausgeweideten Ratten wie bei uns die frisch geschlachteten Schweine. Auch zwischen ihren Hinterbeinen steckt ein Bambusstäbchen. In anderen Geschäften werden geräucherte oder getrocknete Ratten verkauft. Wer seinem Appetit nicht widerstehen kann, wird, wie in den süditalienischen Oel-Frituren auf der Stelle bedient. Ueberall auf offener Straße werden Ratten gesotten und gebraten; die Sü-Straße ist voller Frühstückslocale. Ironisch lächelnd fragte Master Smith, ob ich nicht auch einen Versuch machen wolle? Ich schüttelte feierlich das Haupt. An einem andern Tage hätte ich mich vielleicht dazu entschlossen; für heute war nur durch die Scene auf dem Richtplatz aller Appetit vergangen. Der Europäer braucht sich über die chinesische Liebhaberei für dieses bei uns so anrüchige Thier nicht zu wundern; in dein übervölkerten Lande wird Alles gegessen, was, abgesehen von seinem etwaigen Beigeschmack, nur Nahrungsstoff enthält. So gut wie Ratten, werden auch Adler, Geier, Falken und Eulen lebendig in Käsigen, oder todt und gerupft zu Markte gebracht. Es giebt kaum Etwas, das da „kreucht oder fleucht," was der Chinese nicht äße. Aus der Rattenstraße kehrten wir in die fafhionablen Gegenden zurück. Wenn ich für Anverwandte und Freunde in Europa noch einige Einkäufe machen wollte, fand ich hier die größte Auswahl und wahrscheinlich auch die erträglichsten Preise. Das chinesische Neujahr rückt heran, und die Geschäftsleute brauchen baar Geld, denn im Februar müssen alle Schulden des ver-nn'chenen Jahres bezahlt werden. Schon jetzt bietet man Neujahrskarten oder rothe Vogen mit den Inschriften: „Kindersegen", „Geldzulage," „Langes Leben," zum Verkauf aus. Master Smith und seiner Fertigkeit im „Pidjen-Englisch" hatte ich es aber vorzüglich zu verdanken, wenn ich billiger denn je einkaufte. Ein wahres Wunderwerk der Elfenbeinschnitzerei war eine hohle durchlöcherte Kugel, in der sieben ähnliche, immer eine in der andern, steckten. Nur bei der Bezahlung gab es stets neue Schwierigkeiten. Mit jedem Dollar wurde die peinlichste Silberprobe vorgenommen. Angeblich waren die einzelnen Münzen immer zu leicht. Hatte ich dreißig Dollars zu zahlen, so muhten dem Chinesen deren hundert auf den Tisch gelegt werden, und er traf dann mit Vorbedacht seine Auswahl. Was beim Handel abgelassen war wurde bei der Verrechnung und dem Wechselgeschäft wieder eingebracht Meine ziemlich beträchtlicher. Einkäufe erregten die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden. Mehrere Respectpersonen traten näher und streichelten mir die Vrust und die Arme, gan; wie ich es bei den heiligen Hähnen in Japan beobachtet. Anfangs hatte ich sie im schmählichen Verdacht beabsichtigten Taschendiebstahls; Master Smith benahm mir den Irrthum: Kantons Honoratioren wollten nur ihre Zustimmung zu erkennen geben, daß ein Fremder sich durch reichliche Einkäufe um Handel und Industrie wohlverdient mache. Der Tag rückte vor, wir waren ermüdet und mußten an die Rückkehr denken. Erst jetzt siel mir und der nlten Plaudertasche ein, daß wir seit dem frühen Morgen nichts genossen hatten. Bald war das Rfcr des Pcrlflusscs erreicht und ein Sampan acnnethet, dessen hübsche junge Vootsführerin uns fchnell genug nach den: nächsten Vlumenschiffe ruderte, aber, wie alle diese Fluß-Nymphen und Seejungfern, lein kleines C^cld herausgeben tonnte oder wollte. Wir bestellten in dem schwimmenden Tempel der Aphrodite ein leichtes Dejeuner und ersuchten den die Honneurs machenden Mandarinen und mehrere junge Damen, uns dabei Gesellschaft zu leisten- Alle waren sogleich dazu bereit. Sr. Hochwohlgeboren schien meine Manila-Cigarre eben so sehr zu munden, wie der auf meinem Schoß sitzenden Grazie, die pikante Fleisch« pastcte, mit der ich sie nudelte; ein Schwärm ihrer Verufsgenossinnen mit "6 39 blendendweiß geschminkten Gesichtern und carminrothen Backen bildete um uns einen Kreis und erhielt gelegentlich aus meinen Händen, und zwar ohne Eßstäbchen, einen Fleischknödel oder einen Nissen Zander, wenn ich den kaltblütigen Landsmann nicht verkannt habe. Der Speisesalon war, an sich betrachtet, auch ohne die originelle Sippschaft, ein wahres Wunderwerk der Holzschnitzerei, durchbrochener Arbeit und reicher Vergoldung. Bei strahlender Beleuchtung hätte ich mich in den Palast der schönen Fee Peribanu versetzt geglaubt. Auf den Tod erschöpft, kamen wir mit einbrechender Dunkelheit nach Hause und füllten nach eingenommenem Diner die Stunden von 9 bis halb 11 Uhr mit einer Kcgclpartie, zu der hinter dem Hause die besten Vorkehrungen getroffen waren, aus. Der 22. Januar war der letzte Tag meines Aufenthalts in China; ich konnte die frühen Morgenstunden nicht besser als zu einer Bootsfahrt auf dem Perlfluh benutzen. Was für ein Lebcn in diesen Sampans! Jedes der kleinen Fahrzeuge ist das A und O einer Familie. Dort füttert der Großvater, während die älteste Tochter das Boot steuert, das Schwein des Haushalts; hier wird von der Hausfrau die fette Katze, möglicherweise der Neujahrsbratcn, gekämmt. Kinder von fünf bis sechs Jahren müssen schon das Nuder führen, dazu werden ihnen die jüngsten Geschwister fest auf den Rücken gebunden! Die zarten Wesen tragen die Last den ganzen Tag hindurch mit fich herum, und die noch jüngeren Würmer fügen sich mit Engelsgeduld in ihr Schicksal. Ich fuhr an einem fünfjährigen Knäbchen vorüber, welcher sein Nuder mit dem Eifer eines alten Matrosen schwang; auf seinem schmalen Nucken war ein halbjähriges Schwesterchen befestigt. Der Kopf des kleinen Wesens hing seitwärts über den Nand des Vandagen-Futterals hinab; es schlief bei dem Heidenlärm vieler tausend Bootsleute so süß, wie von Flöten eingelullt und auf Daunenkissen gewiegt. Einem andern kleinen Vuben, der in einem alten Reissack auf dem Nucken der Schwester hing, wurden von der Frau Mama die ersten Anfänge des Zöpfleins gedreht. Die dünnen Seidcnhaare hielten kaum Stich, und es mußte mit Bändern nachgeholfen werden. Da ich mich vor der Abfahrt verabschiedete und meine Effecten mitgenommen hatte, ließ ich mich sogleich an Bord des Dampfers rudern und traf ll teiuzw mit der Abfahrt um !> Uhr Morgens ein. Diesmal fuhr ich auf dem Oppositions-Steamer „Kin Shan". Für den Steuermann ist es eine unsäglich schwierige Aufgabe, sich mit einem Schiffs-Leviathan wic „Kin Shan" durch das Gewühl der Fahrzeuge M winden, ohne Schaden anmrichten. Unterhalb des Siemssen'schen Hotels lagen einige Manug mit Kanonen bewaffnete kaiserliche Kriegsdschunken, die wir unbehelligt hinter uns ließen; schlimmer erging es einer großen Mandarinen-Dschunke. Das ungeschickt ge« 40 steuerte Fahrzeug kam uns gerade in den Wurf, und „Rin Shan" fuhr ihm den ganzen Hintertheil über den Haufen; er selber kam mit einigen Schrammen davon, und Niemand kümmerte sich weiter um das Unheil. Wie gewöhnlich stehen die Posten auf Deck unter Gewehr, zwei stramme Negersoldaten. AIs ob mir das Herz zum Abschiede recht schwer gemacht werden sollte, klart sich der duftig verschleierte Himmel auf, die Sonne beleuchtet magisch die fernen White-Cloud-Mountams und die auf ihren Abhängen befindlichen marmornen Denkmäler — in wilder Hast eilt „Kin Shan" stromabwärts. Ich resignire und werfe einen Scheideblick auf Kanton; ich werde es niemals wiedersehen. Das Tiffin bringt mich rechtzeitig auf andere Gedanken, und das Gespräch mit einem lieben Landsmann, Herrn Gaupp aus Stuttgart, versetzt nüch sogar in Gedanken in das theure Vaterland. Die Gesellschaft war aus Deutschen, Nordamerikancrn und Franzosen zusammengesetzt-, zum Schweinebraten wird nach Ianteebrauch Syrup und Maiskuchen umhergereicht, Herr Gaupp und ich halten uns an die dampfende Fischsuppe, und unter geistreichen Gesprächen über Runkelrübenzucker und Fruchtpreise stehen wir vom Tisch auf und besichtigen die Einrichtung des „Kin Shan". Der riesige Dampfer ist nach dein Muster der Mississippiböte gebaut, und die Maschinen liegen an beiden Seiten außerhalb des Schisssraumes. Diese Einrichtung gereicht nicht allein dem Heizerpersonal, sondern auch den Passagieren zum großen Vortheil. In der Kajüte erster Klasse riecht man weder den Schmirgel der Maschine noch der Küche, und die Bedienungsmannschaft der Maschine kann ^ cine Wohlthat unter diesem Himmelsstriche — ihre Geschäfte in frischer Luft verrichten. Die praktischen Mnkees bauen keine kleinen Schisse mehr; die auf dem Vordertheil gelegene Kajüte gleicht mit ihrer weiten Aussicht fast dem Gartensaale einer italienischen Villa. Unsere Fahrt wurde durch die Aauart und starke Dampfkraft des „Kin Shan" eben so sehr, wie durch die Windstille und den raschen Stromlauf des Perlflusscs gefördert; schon um 3 Uhr waren wir in Hongkong und eine Stunde darauf zu Haufe. Wir werden gleich mit einer Hiobsbotschaft empfangen. Am gestrigen Nachmittage war eine dänische Brigg, mit Reis beladen und nach Ningpo bestimmt, aus dem Hafen gegangen, hatte sich aber in der frühe hereinbrechenden Dunkelheit eine ViertelineUe weiter abermals vor Anker gelegt. In der Nacht war das Schiff uon den hier überall umherlungerndcn Piraten überfallen worden. Der Capitän, die beiden Steuermänner und ein Matrofe hatten sich zur Wehr gesetzt und das Leben verloren, die übrigen Matrosen waren in das Meer ge-sprungen und von den durch das Feuer der in Vrand gesteckten Brigg herbeigelockten Booten gerettet worden. Man fand das Deck des vollkommen ausgeplünderte» Schiffes über und über mit dem Inhalt von Stinkpots über- 41 gössen; den vier deichen waren Hände und Füße abgehauen werden. Da die Hülfe rasch bei der Hand gewesen war, hatte man das Feuer gelöscht und Schiff nebst Ladung gerettet. Das Geld und alle Werthsachen waren mit den Piraten verschwunden. Die englische Seepolizei hatte sich schon im Laufe des heutigen Tages mit zwei Kanonenbooten an's Werk gemacht und fünf verdächtige Dschunken mit Mann und Maus in Grund geschossen. Freilich ist die Frage, ob sie die Schuldigen getroffen. Doch kommt nach folchen Greuel-thaten Alles nur darauf an, das Naub- und Mordgesindel im Großen und Ganzen einzuschüchtern. In derselben Nacht ist nebenbei ein großer Einbruchsdiebstahl von Chinesen versucht worden, doch wurden die Verbrecher auf frischer That ertappt und sämmtlich verhaftet. Unsere Abendpramenade wurde daher mit frisch geladenen Revolvern in der Hand veranstaltet, und man zeigte nur, den jüngsten Ereignissen entsprechend, als Merkwürdigkeit das Haus, in welchem mnio 1857 das vergiftete Arot gebacken worden war, das dem Leben der Europäer in Hongkong ein Ende machen sollte. Der Giftmischer hatte glücklicher Weise die Arsenikdosis nicht richtig bemessen; Allc, die uon dem Brote genossen, waren mit heftigem Erbrechen und Unwohlsein davongekommen. Ein Vesuch, den ich am Morgen des 2o. Januar an Bord der „Pallas" abstatten wollte, wurde durch die stürmische See vereitelt. Ich besuchte den chinesischen Markt, wo gerade Iotz Pidjen stattfand und für drei Cash Ablaß ertheilt wurde, und erfuhr, daß Vormittags ein Chinese, der einen schwarzen Policeman ermordet, zum Galgen verurtheilt worden sei. Die Kenner des hiesigen Volksschlages schieben das Motiv der fast täglich vorkommenden Verbrechen gegen das Eigenthum auf die Annäherung des neuen Jahres. Es gilt für die größte Schande, an diesem Termine seine Schulden nicht zu bezahlen, und der Chinese will lieber ein Verbrechen begehen und die härteste Strafe riskircn, als sich einen Lumpen schelten lassen. So wurden in der Nacht vom 24. zum 25. Januar zwei reiche Parsis in ihrer Wohnung ermordet; wir gehen ohne den Revolver in der Hand und den Säbel an der Seite sämmtlich nicht mehr aus. Ten Policemen, schwächlichen schwarzen Indiern, ist nicht viel Vertrauen zu schenken; die stämmigen Chinesen sind ihnen an Körperkraft weit überlegen. Nachdem ich an Mutter und Geschwister in der Heimath geschrieben und ihnen die Absendung meiner mit chinesischen und japanischen Raritäten angefüllten Kiste aus Kampherholz unter der Adresse des Hauses Si emssen mit der dänischen Vrigg „La Plata" nach Hamburg für Leben und Sterben angezeigt hatte, begann ich meine Abschiedsbesuche. Die Zahl derselben war beträchtlich und ich verschone den Leser mit allen ihren lächerlichen Eventualitäten; nur meine Visite in einer englischen Familie darf ich des mir ertheilten komischen Bescheides halber nicht übergehen. Ich hatte den chinesischen Diener mit einer 42 Karte hinaufgeschickt und um Audienz ersucht; nach fünf Minuten kam „Iung-china" zurück und brachte folgende Antwort: kli,^i« na can F«6, dud ^at ^ow-Onilo^v — kab ^ot ^I^ter top^iüe! d. h.: „Madame kann Sie nicht empfangen, sie hat ein Kuhkind (Mädchen) bekommen; aber der Herr ist oben!" — Von Stunde zu Stunde erwartete ich das Signal der Abfahrt, von meiner Veranda aus kann ich die „Pallas" sehen und mit dein Fernrohr, das mir mein Kuli^akai auf den Befehl in „Pidjen-Englisch": „katclii tatcdi tliat lual^i lul^i^ (Hol' mir das Fernrohr) gereicht, die blau- und weißgestrcifte Flagge, den sogenannten „blauen Peter" unterscheiden: eine Aufforderung für alle Gläubiger des Eavitäns und der Mannschaft, die Einreichung ihrer Forderungen zu beschleunigen; aber Capitäne und schöne Frauen können mit der Toilette und der Hcrrichtung des Schiffes niemals zur rechten Zeit fertig werden. Erst am '29. Januar, 10 Uhr Vormittags, begab ich mich an Bord der „Pallas". Wir sollten unverzüglich in See stechen. VI. „Pallas" und „Sirius". Piraten-Versuch. Spianerie vur der Abfahrt. Er lehrt bei Tage zurück. Teclranle Canaricnlwgcl. Ter Schiffsschreibcr als Vertrauter. Tie Dame in Roth. Ein chinesischer Particular. Tie Duenna unv ihre siebzehn Pensionärinnen. Capitän vr. Hartmailn. Die Sturmleiter. Californische Tauerbutter. Das Verdeck betretend, fand ich Alles noch in weitem Felde. An allen Ecken und Enden wird kalfatert, mit Werg verstopft, gestrichen und getheert, die drei Voote der „Pallas" werden „seefest" und dann Alles klar auf Deck gemacht, aber fortwährend kommt noch ein Nachschub. Zuerst trifft der chinesische Lootse ein, und sein Sampan wird hinten am Stcrn befestigt. Der wackere Seemann hat gleich die ganze Familie, Vater und Mutter, Frau und Kinder mitgebracht, fein Boot ist zugleich ihre Wohnung und sie hätten bei seiner Abwesenheit kein Obdach, während sie als sein Gefolge vom Capitän der „Pallas" mit durchgefüttert werden müssen. Auf den Lootsen folgt der Koch in einem großen, mit Schweinen, Kohl, Zwiebeln, Kartoffeln, Eiern, Zucker und Seife beladenen Voote. Es kostet nicht geringe Mühe, unbeschadet der Eier das widerspenstige Nüsselvieh auf das Verdeck und in seine Koje zu schaffen. Um ^ Uhr trifft ein Aillct des Capitäns an den ersten Steuermann mit der Meldung ein, er werde in einer halben Stunde folgen, man möge nur inzwischen getrost Anker holen und Segel setzen. Wirklich hielt unser Gebieter Wort, und um 4 Uhr setzten wir uns zum Abschiedsmahle von 43 Hongkong an den Tisch. Das einfache Diner nahm nicht viel Zeit in Anspruch, und wir waren eben beim Dessert angelangt, als uns ein Zetergeschrei der chinesischen Deckpassagiere aufschreckte. Eine kleine holländische Varke, „Sirius", war der schwer beladenen „Pallas" unvorsichtigerweise zu nahe gekommen und diese hatte mit ihren: Bugspriet nicht nur die Vormarsraa des „Sirius" zerbrochen und das Segel derselben zerrissen, sondern auch Bugspriet und Gallion des kleinen Schiffes zertrümmert und ihm selber einen energischen Rippenstoß versetzt. „Pallas" war ihrerseits mit einer leichten Contusion davongekommen. Fünf Minuten später erschien der Steuermann des „Sirius" auf unserem Deck und forderte baaren Schadenersatz oder eine Schuldverschreibung. Nach längerem Hin- und Herreden bequemte sich unser Capitän zu letzterer, und der Steuermann entfernte sich, scheinbar zufrieden gestellt. Ursprünglich war es die Absicht des Capitäns gewesen, schon Vormittags abzufahren, um noch bei Tageslicht aus dem Klippengewirr und Piratenreoier dicht vor Hongkong in die offene See zu kommen; allein die Mannschaft hatte mit den Vorkehrungen zur Abfahrt zu viel Zeit verloren. Allerdings wäre es nun vernünftiger gewesen, wieder bis Tagesanbruch Zu warten, doch hätte der Capitän alsdann noch ein Liegegeld (Hafengeld) von siebzig Dollars zahlen muffen, und dies follte selbst auf die Gefahr hin, ein Rencontre mit Piraten zu bestehen, erfpart werden. Die unvermeidliche Folge war, daß wir bei der um diese Jahreszeit früh hereinbrechenden Dunkelheit um 6 Uhr Abends eine halbe Meile von Hongkong, dicht vor Green Island, abermals Anker werfen mußten. Ehe ich auf meinen Nachtrapport komme, habe ich noch der Ceremonien zu erwähnen, durch welche unsere chinesischen Passagiere sich eine glückliche Seereise zu sichern glaubten. Die wohlhabenderen Bewohner der Kajüte bauten auf dem Eßtisch derselben und auf dem Vorderdeck zwei Miniatur-Altäre mit brennenden rothen Talglichtern und kleinen vergoldeten Teufeln; die Frauen oder Töchter der Deckpassagiere stiegen auf das Hinterdeck und warfen unter den seltsamsten Grimassen, die den Teufel verscheuchen sollten, eine Menge versilberter Opferpapiere, winziger Blättchen, zwischen denen wir Gold» und Silberschaum aufzubewahren pflegen, in die See. Auf unserer Ankerstation angelangt, rüsteten wir uns zunächst auf einen möglichen Ueberfall. Mit fchwcrem Geschütz waren wir nicht versehen, aber zwanzig aus-rangirte preußische Musketen mit Percussionsschlössern standen uns Zu Verfügung; ich hatte meinen alten Begleiter durch Japan, den siebcnläufigen Revolver, gar nicht erst in den Koffer gepackt, und auch Capitän Hartmann war mit einem ähnlichen Schießapparat ausgerüstet. Die Ocwehrc wurden geladen, an jeden Matrosen fünfundzwanzig scharfe Patronen vertheilt und Posten ausgestellt. Untcr tiefem Schweigen war die elfte Stunde herangerückt 44 und der Capita« wollte sich eben, ohne die Kleider abzulegen, auf seinem Lager ausstrecken, als ein Matrose mit der Meldung in die Kajüte trat, vier verdächtig aussehende Dschunken näherten sich mit umwickelten Rudern lautlos der Vackbordseite der „Pallas". Wir eilten auf das Verdeck und griffen zu den Gläsern. In der That verhielt sich Alles, wie der gute Nurfche gemeldet. Die Nacht war bei leicht umwölktem Himmel ziemlich dunkel, dach unterschied ich bei dem schwachen Schimmer »on Eternenlicht und dem phosphorischen Leuchten der Wogen ganz deutlich die vicr Fahrzeuge von einander. Die größte der Dschunken trug außer dem Hauptmast noch zwei kleine, auf dem Hinterdeck nebeneinander stehende dünnere Masten. Auf sämmtlichen vier Dschunken kauerten geduckt auf den Masten finstere Gestalten-, es waren die Bombardiere mit Stinkpots, die im Moment des Enterns auf unser Verdeck geschleudert werden sollten. Ich verschweige nicht, daß mir bei der gespenstischen Annäherung der Flotille ein kalter Schauer über den Rücken lief, und doch entsprang er nicht sowohl der Todesangst, als meinem unsäglichen Widerwillen vor einer Berührung mit dcn widerlichen Mischungen der Stinkpots. Schul-erinncrungen hafton für das ganze Lebe« und treten oft urplötzlich wieder hervor; so fielen mir jetzt die Töpfe mit gepulvertem ungelöschtem Kalk ein, welche die Karthager auf die römischen Schiffe zu werfen pflegten. Es blieb nicht mehr viel Zeit zu philologischen Reminiscenzen übrig. AIs die sich rasch nähernden Dschunken auf Flintenfchußweite herangekommen waren, commandirte Capitän Hartmann „Feuer", und zugleich erschallte von den Dschunken her ein gellendes, kurz abgebrochenes Geschrei; die Piraten mochten nicht erwartet haben, uns auf ihren Angriff fo vorbereitet zu finden. Ohne weiter einen Laut von sich zu geben, machte das Seeungeziefer kehrt und verschwand in wenigen Minuten zwischen den dunkeln Felscoulifsen des Hintergrundes. Der um Mitternacht aufgehende Mond zerstreute alle ferneren Besorgnisse, doch blieb ich in meinen Kleidern und auf Tcck; der Gedanke: von chinesischen Mördern im Schlafe überrumpelt zu werden, ließ mich nicht Ruhe finden. Der Morgen des 30. Januar brach unter ätherischer Klarheit des Horizonts und einer leichten Brise an; der Capitän nahm die chinesischen Weiber, welche fortwährend die Köpfe zusammensteckten und tuschelten, in's Verhör, und bald berichteten sie, es seien gestern am frühen Morgen einige verdächtig aussehende Chinesen an Bord der „Pallas" gekommen und hätten sich bei ihnen angelegentlich nach dcr Zahl der Mannschaft, dcn Frachtgütern und dein Werth der Ladung erkundigt. Unfehlbar waren sie Kundschafter der Piraten gewesen. Im Verlaufe des Vormittags kommen wir rafch an den Neun-Kegel-Felsen und den Ladroneninseln vorbei und unter einen: sich aussteifenden Nordost in die See. Das Tagewerk des chinesischen Lootsen war zu Ende und er ging 4b den Capita« um die Bezahlung der geleisteten Dienste an, da er gern vor einbrechender Dunkelheit wieder in Hongkong sein wolle. Er traue nicht dem Frieden: seine gut unterrichteten Landsleute lauerten sicherlich in: Verborgenen, um ihm seinen Verdienst abzunehmen und nach Umständen zugleich den Hals abzuschneiden. Kaum hatten wir uns von dem zärtlichen Familienvater und seinen zahlreichen Angehörigen getrennt, als der Himmel sich umwölkte und der Nordost wie ein muthiges Schlachtroß zu schnauben begann. Tie Vramsegel werden eingezogen, aber bei dem hohen Seegänge macht die Seekrankheit reißende Fortschritte, Außer der Mannschaft liegen wir Alle, inclusive zweier Schiffsjungen aus Schleswig-Holstein, schwer darnieder: Menschen, Hunde, Schweine, Hühner und Lanarienuögcl. letztere sitzen unbeweglich auf den Stäben des Käfigs, schließen und öffnen langsam die Aeuglein und neigen die Köpfchen traurig hin und her. Ich hatte mich gleich anfangs in meine Cabinc geflüchtet und, um das Elend zu lindern, die horizontale Lage gewählt: mir war keine lange Ruhe vergönnt. Der über das Verdeck stürzende Wellenschlag zertrümmerte das auf den Gang hinausgehende kleine Fenster der Cabine, und ein gleich darauf folgendes Sturzbad nöthigte mich, aufzustehen und Hülfe beim Schiffszimmermann zu suchen. Der widrige Wind zwingt uns, den Cours zu ändern und statt nach Nordost nach Südost zu steuern. Wir halten gerade auf die Philippinen, nur, um sobald als möglich aus dem Rayon der Piraten zu kommen. Capitän Hartmann verhehlt mir in traulichen Stunden nicht seine Besorgnisse. Den Msten-Strolchen sind wir glücklich entgangen, aber ungleich größere Gefahren drohen uns von den mit Kanonen bewaffneten großen Seeräuber-Dschunken. Diese streifen viele Meilen weit in der chinesischen See umher und werden von den Kauffahrern am meisten gefürchtet, da fie diefen als Echnellsegler an Geschwindigkeit weit überlegen sind. Ich kann jedoch schon jetzt das Bekenntniß ablegen, daß ich die iu Hongkong getroffene Wahl der deutschen „Pallas" unter drei nach San Francisco bestimmten Schissen nicht zu bereuen hatte. Das englische Varkschiff war, wie ich später in Californien erfuhr, zehn Wochen nach der Abfahrt, ausgehungert und leck, in einen kleinen Hafen von Kamtschatka eingelaufen, und der Holländer, der an einem Tage mit der „Pallas" China verließ, acht Wochen darauf, von den furchtbarsten Stürmen hart mitgenommen, in sinkendem Zustande nach Hongkong zurückgekehrt. Unserer Ueberfahrt ließ sich freilich nicht viel Gutes nachrühmen; wir waren indeß am Orte unserer Bestimmung eingetroffen. Mit den Passagieren bin ich, da die Seekrankheit uns zu einem andauernden Isolirslistein zwingt, noch nichl näher bekannt geworden, doch unterscheiden sie sich schon nach den ersten flüchtigen Beobachtungen von allen meinen bisherigen Reiscgcfcihrten. Sie scheinen fümmtlich die Flagge des Glücks- 46 ritteithums aufgehißt zu haben, nicht ohne triftige Gründe vollzieht dcr Mensch den Tausch des Aufenthalts in zwei verschiedenen Welttheilen. Von den Kajüte-Nachbarn wäre zunächst ein langer Engländer zu nennen, der in Amerika aufgewachsen, später sein Heil als Schiffsschrcibcr in den asiatischen l^cwässern versucht hat und jetzt auf die Spielplätze seiner Kinderjahrc zurücklehrt, ohnc in dem Lande der Diamanten und Perlen Schätze gesammelt zu haben. Er ist in der Heimath der Lebcrkrankhcitcn wie ein Kabeljau zusammengetrocknet und eignet sich vortrefflich für den Durchwässerungsproceß, zu dem wir Passagiere der schwerbeladenen „Pallas" verurtheilt sind. Mit klingender Münze mag er nicht allzu reichlich versehen sein, denn er spielt die Rolle eines Vertrauten des Capitäns, leistet ihm Hand- oder Spanndienste und füttert die Kanarienvögel. Mein Urtheil über die „Dame in Noth" muh ich bis nach ihrer Genesung von der Seekrankheit ausschieben. Ihrem Aussehen nach halte ich sie für eine Kunstreiterin außer Engagement oder Dilettantin in der Kunst, auf Pfänder, und zwar nicht in Gesellschaftsspielen, sondern im bittern Ernst des Lebens zu leihen. Sie steht in den besten Mllnncsjahren, trägt als Peplon ein rothes Garibaldihemdc und ist von untersetzter Leibesstatur. Vorläufig weiß ich nur, daß sie wiederholt beim Eapitän den Antrag gestellt hat, um von den Qualen dcr Seekrankheit befreit zu werden, die „Pallas" in den Grund zu bohren. Der Stubenkamerad des Engländers ist ein chinesischer Particulier, der sich ;um Vehufe von Ovium-speculationen unter seinen dortigen Landsleuten nach Ealifornien begiebt. Er hat seine Vaarschcuten in blanken Dollars und den Oviumvorrath, in Holzkisten verpackt, in seinem Vettc untergebracht, mit der Matratze bedeckt und verläßt dieselbe nur in Geschäften, die kein Anderer für ihn verrichten kann. Seine Schutz- und Trutzwaffen bestehen in einem anderthalb Fuß langen Messer, das über dein Kopsende des Bettes hängt, und einer phantastisch geformten Vogelflinte, die bei Nacht quer vor die Thür dcr Cabine gestellt wird. Von unseren anderweitigen chinesischen Passagieren ist nur noch eine weibliche Nespectsperson in einer Cabine der Kajüte untergebracht, die übrigen — ihre Zabl beträgt fünfundsechzig — logiren in Bretterverschlägen auf Deck und beköstigen sich selbst. Ueber diese ehrwürdige Tuenna kann ich mich etwas zuversichtlicher äußern. Sie ist ein Mittelding zwischen ^rau Hurtig, der Amme in „Noineo und Julie", und dcr Martha in Goethe's „Faust". Gleich den bekannten Sachwaltcrinncn Zwischen Berlin und Hamburg fährt sie zwischen Hongkong und San Francisco hin und her und verhandelt die Töchter Ehinas in der amerikanischen Ooldstadt. Madame steht an der Spitze eines Rudels von siebzehn hübschen jungen Pensionärinnen und macht den Eindruck großer Wohlhabenheit: das Trcmsportgcschäft wirft augenscheinlich gute Spesen ab. Die Hüterin der angehenden Vestalinncn spricht fertig. 47 „Pidjen-Englisch" und ist ein sattsam reisiges Frauenzimmer, um schlimmsten Falles ihre Schutzbefohlenen mit eigener Faust vertheidigen zu können. Das Wetter bleibt anhaltend schlecht, aber man gewöhnt sich an Alles, und obgleich die „Pallas" in der Nacht vom 30. bis zum 31. Januar, wie der Capitän zu sagen beliebte, beinahe „auf dem Kopfe stand", habe ich doch unvergleichlich geschlafen und bleibe aus Dankbarkeit im Nette liegen. In der That wühte ich nicht, wo ich mich sonst aufhalten sollte, denn die Wogen rollen unablässig über das Verdeck. Dank der Empfehlung des preußischen Herrn Consuls in Hongkong pflegt mich Capitän Hartmann wie seine Schoß-Puppe, und der Steward ist angewiesen, sich mir stets zur Verfügung zu stellen. Unsere Lage ist bei der stürmischen Witterung und dem dichtbewölkten Himmel gar schwierig: wir nähern uns der Gegend der Pr at as-Riffs, einer kleinen, weithin von Klippen umgebenen Insel, an der in den letzten Monaten fünf Schiffe gescheitert sind. Bis auf die Marssegel wird daher alle Leinwand dicht gerefft. Am 1. Februar vertrieb mich die schlechte Luft aus der Cabme. Angethan mit einem chinesischen ^trohvaletot und Gummischuhen, trotze ich dem über Vord brausenden Wellenschlage und stärke mein Herz durch eine Promenade in der frischen Seeluft. Nnter dem Vorsitz ihrer Frau Hurtig haben sich die jungen Kolleginnen Dortchens in Shakespare's Heinrich IV. in die Kajüte zurückgezogen und üben sich dort in Kmftäußerungen der Seekrankheit; die Dame in Noth ist noch nicht wieder sichtbar geworden. Am Morgen des ?. Februar hat sie nach meinen: Schiffstagebuch endlich die ärztliche Hülfe des Cavitäns in Anspruch genommen. Ich fürchte, der brave Hartmann curirt nach der scharfen Methode des Doctor Eisenbart im Volksliede : Zu Wimpfen accouchirte ich Ein Kind zur Welt gar meisterlich. Dem Kind zerbrach ich sanft 's Genick, Die Muter starb imn guten Glück. In Ulm curirt' ich einen Mann, Daß ihm das Blut vom Beine rann. Er wollte gern gekuhpockt sein. Ich impft's ihm mit dem Bratspieß ein. Des Küsters Sohn in Dudeldum, Dem gab ich zehn Pfund Opium, < Trau? ichlief er Jahre, Tag und Nacht, Und ist bis jetzt noch nicht erwacht. Im tiefsten Vertrauen hat er mir verrathen, und es ist eine Indiscretion, dergleichen Mittheilungen von Männern der Wissenschaft auch nur zu Papier zu bringen, er habe ihr „eine Handvoll" Rhabarber eingegeben und die Wirkung könne nach seinen bisherigen ärztlichen Erfahrungen nicht ausbleiben. 48 Wie es mit Dr. Hartmanns Examen und Antecedentien als „Accoucheur" aussieht, weiß ich nicht, und doch macht er sich darauf gefaßt, drei bis vier chinesischen Frauen nächstens die Dienste einer Weljmmtter zu leisten. Er spricht mit großem Selbstvertrauen von seiner ausgebreiteten Praxis auf dem Stillen Ocean. Seit dein Morgen unserer Abfahrt von Green Island liegt die „Sturmleiter" auf dem Eßtische. Es ist dies ein von uier Leisten umfpanntes hölzernes Gitterwerk, das an die Tischbeine gebunden wird und dazu dient, bei heftigem Schwanken des Schisses die Teller vor dem Zerschlagen zu bewahren. Die Sturmleiter schützt nun zwar die Teller, aber nicht den gegenübersitzenden Tischgenossen, dem jedesmal, wenn Steuerbord oder Aackbord in einem Winkel von fünfundvierzig Graden sich erheben, die Erbsen- oder Graupensuppe in den Schoß gegossen wird. Ohne den Griffel zu Hülfe zu nehmen, ist es absolut unmöglich, unsere Positionen am Tische zu veranschaulichen. Wir essen nothgcdrungen „im Profil". Mit welcher Aufmerksamkeit Jeder das Gleichgewicht seines Sessels, Tellers und Glases zu beobachten hat, geht daraus hervor, daß es ganz unbeobachtet blieb, als zwei große Eteinbüchsen voll eingemachten Ingwers vom Tische und eine Kiste voller Patronen vom Gesimse geworfen wurden. Wir merkten das Unglück nicht eher, als bis Nelson, des Eavitäns riesiger Newfoundlander, der sich in dem Ingwersiirup gewälzt, nach Hundeart an uns vorüberstrich und alle Kleider beschmutzte. 2)er Fußboden der Kajüte war mit Syruv, Ingwer und Schießpuluer bedeckt, hinreichend las ganze Schmutznest in die Luft zu sprengen. Nachmittags zog mich Capitän Dr. Hartmann mit strahlendein Gesicht bei Seite und flüsterte mir m's Ohr, die Rhabarberdosis habe ihre Wirkung gethan und die ferneren gefegneten Folgen seien unberechenbar. Einmal in die Mysterien der Heilkunde eingeweiht, hielt ich es nicht für ungeziemend, einige Erkundigungen über den Vorrath der „Pallas" an Apothekcrwaaren einzuziehen. Sie konnten, wie das ärztliche Nissen 1>r. Hart> manns nicht umfassend genannt werden und bestanden nur aus Rhabarber, Ricinusöl und Heftpflaster. Früher, fagte der Eavitän, habe er auch Brechmittel „gefahren", allein der Stille Ocean sei ungleich wirksamer als tartarus «neticns und Ipecacuanha und diese Ausgabe deshalb vom Budget gestrichen worden. Mit chirurgischen Instrumenten ist Dr. Hartmann nicht versehen, es sei denn, man rechnete den siebenläufigen Revolver dahin, von dem er sich weder bei Tage noch bei Nacht trennt. Er empfiehlt mir, dieses Geräth gleichfalls stets in der Rocktasche zu tragen; dm Kulis, die der Goldgräber« wegen nach Californien reisen, sci niemals zu trauen. Gewiß hatte er wenigstens insofern 49 Recht, als Alles, was nicht met- und nagelfest war, namentlich Eßwaaren, sobald man den Nucken kehrte, spurlos verschwand. Der 3. Februar brach wieder unter Sturm und Regen an, seit gestern sind alle Segel gerefft, und der hartnäckige Nordost treibt uns immer weiter nach Süden hinunter; wir nähern uns der Nordspitze von Manila und versinken immer tiefer in den Regensack dieser Zone. Wie undankbar ist der gedankenlose Mensch, wenn er sich im Mittelpunkte einer großen Hauptstadt, im Schoße aller Reichthümer von Wissenschaft und Kunst, im Kreise interessanter Frauen und Männer über Langeweile beklagt-, nur zur Warnung für Mermüthige Europäer auf dein Festlande theile ich meine Vormittagsunterhaltung mit Cavitän Hartmann mit. Ort der Handlung: die Kajüte. Das Ameublement besteht in zwei mit Kattun überzogenen, stark gestickten Sophas und einem dazwischen befindlichen Tische. Personen: der Capitän; der Verfasser; Nelson, ein Newfoundlander. Capitän (eine blaue Kanasterwolke aus der Pfeifenspitze vor sich her- blasend und den Kopf Nelsons streichelnd): Lr geht mir über Alles.....er ist mir gestern sogar über die Butter gegangen! Verfasser: Ah! (Pause von fünfundzwanzig Minuten. Geräusch einer über das Dach der Kajüte hereinbrechenden Sturzsee.) Capitän: Kreuzschockschwerenoth! (Nelson winselt leise. Pause von fünfundvierzig Minuten. Der Capitän und Verfasser sind in sitzender Stellung eingenickt. Hinter der Scene heftiger Husten des chinesischen Dpiumschmugglers.) Hier wurde der Tisch zum Tiffin gedeckt und der Capitän gab mir die nöthige Aufklärung über die von seinem Busenfreunde angetastete Butt er im Verlauf der Mahlzeit. Die Fettigkeit in Rede ist californischen Ursprungs, und so mancher an seine Scholle gefesselte Kleinstädter gäbe etwas darum, die Reisen und Schicksale dieser Nutter getheilt zu haben. Vor Jahr und Tag ging sie von San Francisco nach Australien und von hier nach Hongkong. Aus nicht näher zu erörternden Gründen wurde sie mit Protest nach San Francisco zurückgeschickt, aber sofort, da sie ihr Heimathsrecht eingebüßt, wieder nach Hongkong fpedirt; jetzt beftreichen die Passagiere ihren Schiffszwieback mit der californifchcn Dauerbutter. Erst in den chinesischen Gewässern habe ich mich in die Tiefe dieses technischen Ausdrucks unserer Milch- und Sahne-Nüreaus versenkt. Der Capitän be° hauptet, die Nutter von San Francisco könne sehr — sehr alt werden. Ich bin weit entfernt, ihm zu widersprechen oder gar ihr Dasein durch Mit-betheiligung an ihrem Genuß zu verkürzen; seien ihr die Jahre Methusalems vergönnt! Nelson besitzt eine weniger sensible Zunge; er verzehrt meine Portion mit unverkennbarem Wohlgeschmack. Des Cavitäns unbegrenzte Zuneigung glaube ich nur durch meine Zuvorkommenheit gewonnen zu haben. Hildebrandt'« Reise um die Erde. in, 4 50 Er hat das Prachtenmplar uierfüßigcr Sä'ugethiere und stinkender Faulheit pfundweise bezahlt, also nach Nelsons damaligem Gewicht für ihn hundertdreißig Dollars erlegt, gegenwärtig ist der kolossale Hund unter den Einwirkungen der Seekrankheit etwas heruntcrgemagert und leichter geworden. Nelson hat bisher Tage und Nächte unter dem Eßtisch der Kajüte zugebracht; am 5. Februar wurde er zum ersten Male aufgescheucht. Die See hob die Vackborbseite der „Pallas" so hoch, daß der schwere Tisch mit allen Tassen und einer Oellampe umstürzte und zwei seiner plumpen Füße abbrachen. Der Schiffsjunge, welcher die Geräthe hatte stehen lassen, mußte die Schuld der See büßen und erhielt eine weidliche Tracht Hiebe mit den: Tauende. Ich meinerseits war nicht Augenzeuge der Erecution, da ich mit gutem Vorbedacht am Morgen mein schmales, sargähnliches Vett gar nicht verlassen hatte. Der grundgutmüthige Capitän war dennoch meines Frühstücks eingedenk gewesen. Er überbrachte mir eine Tasse schwarzen Kaffee, den er eigenhändig mit einein Eigelb abgerührt u,id mit Muscobade versüßt. Es war das letzte der von Hongkong mitgenommenen Eier gewesen; die Flitterwochen der Reise sind vorüber, und den an Bord befindlichen Hühnern fällt von jetzt an die alleinige Sorge für unsere Küche anheim. VII. Uclierlaven Das Nett mein Tchrcibepult. Die Eiersuchcr. Der Matrose als Arzt. Die Cur des Kochs. Ein Leben im spitzen Winkel. Der chinesische Ncujahrstag. Instrumental- und Voialmusit. Nasen» und Magenregifter. Die PallaS-Tuppe und ihr Fettauge. Haifischjagd. Stillleben auf hoher Tee. Wafscrdiebe und Feuerwerker. Die Schwerfälligkeit im Segeln und der Ungehorsam der „Pallas" gegen das Steuer hängt mit ihrer Ueberbürdung zusammen. Statt neunhundert Tonnen hat das Schiff deren zwölfhundert geladen, und außer feiner Fracht an Thee, Seide, Neis, Zucker und chinesischen Delicatessen (Tschau Tschau) für die ostasiatischen Auswanderer in San Francisco noch fünfundachtzig Köpfe nebst ihrem Bedarf an Lebensmitteln und Nasser an Vord, Der Werth der Ladung beträgt siebzigtausend Dollars, die Höhe der Versicherungssumme nach vertraulichen Mittheilungen des Eapitäns jedoch nur zwanzigtausend Dollars. Diese Differenz lieiert uns in einsamen Stunden cm ergiebiges Thema zu philosophischen Netrachtungen über den Wechsel des Glücks, verborgene Felsriffe, Seeräuber, meuchlerische Anfälle von Passagieren, Feuers-gefahr auf hoher Sce, mcnfchenfrcsscnde Insulaner und cmocre Eventualitäten, 51 die ein Geschäftsmann auf dein europäischen Festland« gar nicht in Rechnung zu stellen braucht. Zuweilen gelingt es mir, unseren Chef zu beruhigen, aber in den meisten Fällen vermögen meine Trostgründe nichts gegen seine trübsinnige Weltanschauung. Dann überlasse ich ihn seinem Famulus, dem Ex-schiffsschreiber, und die Herren greifen Zum Karten- oder Schachspiel. In weiser Voraussicht habe ich schon unmittelbar nach meiner Einschiffung die Bekanntschaft mit beiden Disciplinen abgeleugnet und mich dadurch gegen ungebührliche Iumuthungen gesichert. Der arme Engländer muß immer vor den Niß treten. Nls Gratis-Passagier verliert er jede Partie, sei es im Schach, sei es im Kartenspiel, doch wirb der Gewinn nur in Marken ausgemahlt. Meinc seemännischen Kenntnisse sind zu unbedeutend, als daß ich mir ein Gutachten über unseren Cours und ob wir vorwärts oder rückwärts kommen, gestatten sollte; letzteres scheint wahrscheinlicher und correspondirt mit dem Übeln Humor des Capitäns. Was meinen Gemüthszustand anlangt, so ist derselbe, obgleich auch ich ein gewisses Interesse an dsr Erhaltung meines Lebens und der künstlerischen Errungenschaften der kostspieligen Reise habe ,doch nicht mit dem Ballast des Gedankens an eine mögliche Einbuße von fünfzigtausend Dollars beschwert; ich suche mir die Existenz durch aufmerksame Beobachtung und Aufzeichnung aller Vorkommnisse in meinen Tagebüchern erträglich zu machen. Ob es mir später gelingen wird, meine flüchtigen Notizen zu entziffern, steht freilich dahin. Die Noth zwingt mich, mein Nett als Schrcibcpult iu benutzen. Nur so ist es möglich, bei dem unaufhörlichen Schwanken des Fahrzeuges, ausgestreckt auf dem Rücken liegend, einen festen Punkt zu gewinnen, von dein aus die Manipulationen des Schreibeactes unternommen werden können. Ich halte das Notizbuch mit der Linken über mir in der Luft und bringe mit einer weichen Vlcifeder alles Nemerkenswerthe bald in deutscher oder englischer Sprache, bald in einer von mir selbst erfundenen Hieroglyphenschrift zu Papier. Armer Freund, dem einst das philologische Studium und die Bearbeitung dieser Marine-Manuscripte beschieden ist! Wenn ich das Leben in einen« Landstädtchen mit dem an Bord eines kleinen Kauffahrcrs in den chinesischen Gewässern vergleiche, so kann ich nicht umhin, selbst jenes wahrhaft unterhaltend und interessant zu nennen. Die Mannigfaltigkeit der Ereignisse auf der „Pallas" ist so gering, daß jede Person verdoppelte Bedeutung erhält, und, wie berühmte Fürsten und Staatsmänner, Gegenstand fortwährenden Studiums wird. Die Erforschung des Privatlebens der beiden Schiffsjungen gehört zu meinen neuesten historischen Aufgaben. Der Capitän hat ihnen die Überwachung der Hühner anvertraut und sie für die Ablieferung der Eier verantwortlich gemacht. Bringen fie 4* 52 nicht täglich zwei bis drei, so wird ihnen eine Nation Ricinusöl eingeflößt oder eine entsprechende Tracht mit dem Tauende aufgezahlt. Wer Eier itzt, essen hilft oder den Verzehrcr verheimlicht, wird durch Ausziehen eines Zahnes bestraft. Das Geschäft der Nachsuchung und Beschlagnahme der wcrthvollen Objecte wirb den beiden Sprößlinge«: dcr meerumschlungeneu Herzogthümer durch heftige Anfälle von Seekrankheit unsäglich erschwert. Die Matrosen geben sich deohalu große Mühe, die Knablein von ihren Leiden zu befreien. Das Verfahren der Herren Doctoren scheint von homöopathischen Grundsätzen auszugehen und dein der Landleute in der Tanziger und Elbinger Niederung, wo ich Augenzeuge ähnlicher Curen war, zu entsprechen. Die Heilkünstler nehmen einen Visfen Kautabak (Priemchen) aus dem Munde und schieben ihn in den der Patienten. Hilft dieses Mittel nicht, so muß der Seekranke ein nuhgroßes Stück Speck, durch das eine dünne gepichte Schnur gezogen und mit einem Knoten befestigt worden, verschlucken, worauf selbiges von dem Operateur mit einem heftigen Nuck wieder hervorgezogen wird. Beliebt das ärztliche Collegium ein gelinderes Verfahren, so muß der entkleidete Patient in einen auf Deck stehenden, mit Seewafser gefüllten Kübel steigen und, ungeachtet des noch so gewaltsam rollenden oder stampfenden Schiffes, das Gleichgewicht zu erhalten suchen. Stürzt der Kübel um, so s«t es einige Hiebe und die dur beginnt von Neuem. Dem in See-Neisebeschreibungen bewanderten Leser entgeht gewiß nicht die Achnlichkeit dieser Curmethode mit dein Verfahren, das bei Ucbcrschiffung der Linie der Meeresgott Neptun den Neulingen gegenüber zu beobachten liebt. Die Kunst, mit Menschen umzugehen, ist auf dcr See noch der Verfeinerung fähig und der literarifchen Förderung eines Knigge bedürftig. Am .'>. Februar ließ sich der Koch krank melden, und es wurde mir ganz unerwartet Gelegenheit, den ärztlichen Tiefblick Cavitän Hartinanns zu bewundern. Nach feiner Diagnofe ist das Leiden dieses Schiffsb^amten, eines eingeborenen Chinesen, nur simulirt und lediglich durch moralische Einwirkung zu curiren. Hartmann nahm die Meldung mit großer Ruhe entgegen, dis-pensirte den Kranken für heute vom Dienst und vertraute seine Küchen-functionen einem in diesem Zweige nicht unerfahrenen Matrosen an, lieh dem Koch jedoch sagen: er, der Capitän, hoffe, mit Gottes Hülfe seine Wiederherstellung morgen so weit vorgeschritten zu finden, daß ihm der Genuß eines Schnittes Ricinusöl erspart werden könne. Wie richtig der große Naturarzt die Sachlage beurtheilt hatte, ging aus dein Vülletin hervor, das noch am Abend desselben Tages aus der Küche in der Kajüte eintraf. Der Kranke fühlte sich wesentlich erleichtert und hoffte morgen, wo wir unter dem sechzehnten Breitengrade eintreffen sollten, seine amtliche Thätigkeit von Neuem beginnen zu können. Der ungünstige Nordost treibt uns immer weiter gen Süden, die Temperatur 53 steigt, wir befinden uns in der Nähe der Insel Luzon, und das aus allen Fugen kriechende und sich des Lebens freuende Ungeziefer erhöht nicht die Annehmlichkeiten des Aufenthalts in der Cabine. Tritt nicht auch eine Besserung des Vefindens der Atmosphäre ein, so können wir uns nur auf eine lange und Mühselige Neberfahrt gefaßt machen. Nach des Capitäns Berechnungen brauchen wir, falls der steife Nordost-Monsoon anhält und wir weiter laviren müssen, siebzig bis achtzig Tage nach San Francisco. Auf jeder neuen Seereise überzeuge ich mich mehr und mehr, daß der Trabant unserer Erde vollauf nüt Ebbe und Fluth zu thun hat und nicht den geringsten Einfluß auf die Veränderungen des Wetters ausübt. Ungeachtet dcs am 7. Februar Morgens im Schiffskalender verzeichneten Neumondes stürmte und regnete es unaufhörlich weiter. Daß die Abweichung von der Lothlime bei fchiefen Thürmen nicht zu weit gehen darf, ist allgemein bekannt; daß aber der Mensch unter der Neigung selbst eines spitzen Winkels zu leben vermag, davon überzeuge ich mich seit länger als acht Tagen durch eigene Erfahrung. Was gäbe ich darum, nur fünf Minuten lang festen Fußes aufrecht stehen zu können! Ich begreife, daß ungcbändigte Rosse, wenn sie, von Kunstreitern an die Raufe gebunden von Minute zu Minute mit einer Nuthe berührt und so allmälig um Schlaf und Appetit gebracht werden, zuletzt den Reiter aufsitzen und Alles über sich ergehen lassen. Die See behandelt uns Alle auf ähnliche Weise. Tausendmal in jeder Nacht schreckt uns der Chor der Wasser aus dem Schlafe auf, die Verdauung liegt darnieder; wir schleichen sämmtlich in traurig krankhafter Stimmung umher. Der 8. Februar brachte einige Zerstreuung; die Chinesen feierten ihren Neujahrstag. In allen ihren Bretterverschlägen auf Deck hatten sie winzige Altäre errichtet und mit brennenden Opferstäbchen (Ioßsticks) oder Lichtern geschmückt; die Dpfergaben bestanden aus Ncis, gekochten Hühnern und gedörrten Fifchen. Diefe wurden jedoch keineswegs über Nord geworfen, die frommen Spender bedankten sich nur bei den Gottheiten der Vergangenheit, Gegenwart und Zulu ft mit vielen Verbeugungen für Alles, was sie ihnen an Confumtibilien beschcert hatten und noch bcscheeren würden, dann Machten sie sich über die Stiftung her und verzehrten die Speisen bis auf den letzten Visscn. Alle hatten ihre besten Kleider und die Weiber ihre sonstigen Schmucksachen angelegt. Auf ihr größtes Vergnügen mußten die armen Schelme leider am höchsten Feiertage ihres Cultus verzichten. Gegen das Feuerwerk hatte Cllvitnn Hartmann, gegen die Musikaufführung meine Wenigkeit Verwahrung eingelegt. Der Cabinen-Nachbar betheiligtc sich nicht an der Feier und blieb, wie der Drache im Märchen, auf seinen Schätzen im Bette liegen. Wir kreuzten in der Hoffnung auf einen Landwind den Tag über vor der Nord- 54 spitze der Insel Luzon und kamen der Küste so nahe, baß wir Nachmittags, als die Sonne für wenige Minuten die Wollen durchbrach, die Kirche und einzelne Häuschen einer kleinen Stadt mit unbewaffnetem Auge unterscheiden konnten. Capita« Harlmann nannte den Ort St. Domingo. Nachdem uns kurz vor Sonnenuntergang noch eine spanische Vrigg, ein Küstenfahrer, begegnet war, wendeten wir und steuerten nordwestlich in der Richtung auf die Kampherinsel Fonnosa. Die See hatte sich ziemlich beruhigt und schimmerte in magischem Phosphorschein, an dein sternenhellen Himmel strahlten sowohl das südliche Kreuz, als auch mehrere Gestirne der nördlichen Halbkugel; ich beschloß, die Nacht auf Deck zuzubringen. Anfangs ließ sich Alles gar glimpflich an, und um 8 Uhr Abends kam sogar ein Feuer auswerfender Vulkan in Eicht, dessen grelles Licht wundersam von den milden Tinten des Sternenhimmels und der aufleuchtenden See abstach; aber schon uin Mitternacht änderte sich die hochpoetische Scenerie. Rings am Horizont stiegen dunkle Wolken auf, der Nordost erhob seine rauhe Stimme, und bald vertrieb mich der herabströmende Regen uon dem triefenden Verdeck. In der Kajütcnthür begegne ich dem Capitän. Wir befinden uns in einer gefährlichen Klippenregion, über welche die Seekarten nur mangelhaft Auskunft ertheilen; der pflichtgetreue Mann hat sich daher entschlossen, die Nacht hindurch selber auszuschauen und die wachthabende Mannschaft munter zu erhalten. Wir werden auch in den folgenden Tagen südlich von Formosa und westlich von den Philippinen umhergetrieben. In meiner moralischen Versunkenheit bin ich so weit gekommen, keinen Einspruch mehr zu thun, als die chinesischen Passagiere ihre Instrumente, eine Mandoline und ein celloähnlichcs, mit zwei Saiten bezogenes Plättbrett nebst Aogen, hervorholen und darauf den Gesang mehrerer jungen Damen begleiten. Die merkwürdige Stimme einer derselben beschäftigte mich längere Zeit; die Künstlerin besaß eine seltsame Fertigkeit in der Verbindung des Nasen- und Magenregisters, um mich eines technischen Ausdrucks der Herren Gesanglehrer zu bedienen. Nur war diese Methode nicht für den Vortrag von Compofitionen europäischer Meister geeignet, besaß auch sonst nichts Sympathisches. Am 12. Februar ergiebt die astronomische Berechnung, daß wir uns in vierzehn Tagen nicht weiter von Hongkong entfernt haben, als bei gutem Winde in vierund^wanzig Stundcn zurückzulegen gewesen wäre. In Erwartung einer ungewöhnlich verlängerten Reise werden daher bei Zeiten die täglichen Wasser^Portionen verringert, nur Nelson, des Capitäns vierfüßiger Günstling, hat unter der diätetischen Maßregel nicht zu leiden. Unser einziger Vortheil ist die allgemeine Abhärtung gegen die Seekrankheit; nur rasch vorübergehende leichte Anfälle kommen noch vor. Selbst die schwer davon betroffene „Frau in Noth", geb. Hirfchberg, erscheint wieder regelmäßig auf 55 Deck, mit einem Theil von Eugen Tue oder Paul dc Kock in der Hand. Madame bemüht sich sogar, ein kunstkritisches Gespräch mit mir anzuknüpfen, und befragt mich um mein Urtheil über die in der Kajüte hängenden, nach photographirten Visitenkarten in Lebensgröße angefertigten Portraits von Familienmitgliedern des Lapitäns. Natürlich überhäufte ich meinen chinesischen Collegen mit Lobsprüchen, und die geborene Hirschberg geräth vor Entzücken außer sich, als ich ihr betheuerte, ein chinesischer Meister „unmlisi on«" se^ 5m Stande, nach dem Signalement in einem Steckbrief ein sprechend ähnliches Portrait anzufertigen. Nur dci dem Worte „Steckbrief" blickte die untersetzte Schöne etwas verlegen seitwärts. Die Laune unseres sorgenvollen Eapitäns «erbessert sich nicht, hcute verfällt er selbst auf die gottlosen Streiche König Richards des Dritten und wirft mit der Bibel nach dem Schiffskoch. Weit entfernt, den Mißbrauch der heiligen Schrift zu beschönigen, darf ich doch meine unbedingte Billigung eines aggressiven Verfahrens gegen dieses schmutzige Subject nicht verschweigen. Die Mängel eines dürftigen Küchenzettels werden niemals schmerzlicher empfunden, als nach überstandener Seekrankheit, wenn die Zungennerven sich nach Austern oder Caviar sehnen und nichts auf dem Tische erscheint, als petrificirtcs Pökelschweinefleisch mit einem zwei große braune Seevögel mehrere Stunden lang in ungestörter Eintracht, bis durch die Dazwischenkunft eines dritten Uneinigkeit unter dem Pärchen entstand, welche mit einem erbitterten Kampfe und plötzlicher Entfernung der Gruppe endete. Wo ist Frieden und Sicherheit in der Natur? Der Capitän studirt unablässig die Seekarten und stellt bei klarem Wetter Himmelsbcobachtungen an; nach seinen Mittheilungen sind viele jener winzigen Inseln, in deren Nähe wir vorbeivassiren, auf der Karte falsch angegeben. Die Schifffahrt ist in dieser Region des Oceans noch nicht ausreichend onentirt, aber die Zeit wird kommen, wo das Bedürfniß eines telegraphischen Kabels zwischen Asien und der Westseite von Nordamerika die Ausmessung jeder Quadratruthe auch dieser entlegenen Region des Weltmeeres gebieten wird. Nach einem dunkeln Regentage drehte sich in der Nacht vom 25. zum 26. Februar der Wind nach Süden, und wir machten die Nacht hindurch eine gute Fahrt, deren Schnelligkeit freilich nicht unsern bisherigen Zeitverlust einbringt. Vier Wochen in See, haben wir erst hundertsechzig Meilen zurückgelegt, und sechzehnhundert Meilen liegen noch zwischen uns und der Küste von Kalifornien. Capita« Hartmann macht kein Geheimniß aus seinen entmuthigendcn Berechnungen. Aeußert man bescheidene Zweifel, so fügt er rasch den Bericht einer Thatsache hinzu, aus der erhellen soll, er habe von jeher „Pech auf See" gehabt. Der gute Wind halt auch am 27. Februar an und versieht uns reichlich mit Regenwasser, das von Allen sorgfältig aufgefangen und aufbewahrt wird. In den frühen Morgenstunden gelang es den Matrosen, mit der Harpune einen Bonito zu treffen und glücklich an Bord zu hissen. Wenn schon der Bonito nicht zu den feinen Fischen gerechnet wird, sind wir dennoch über diese Variation unseres Küchenzettels entzückt, und der chinesische Koch erhält sogleich die nöthigen Anweisungen über die Zubereitung des Fisches. Ich gestehe im tiefsten Vertrauen, selber dem Capitän den Rath ertheilt zu haben, sich um die Anordnungen seines allzu selbstständig auftretenden Küchenbeamten zu bekümmern. Am Tage vorher war ich nämlich mit ihm und dem Steward in einen Conflict über den fremdartigen Geschmack des Kaffees gerathen und hatte erfahren, daß der Koch dem jedesmaligen Maß Kaffeebohnen ein Drittel gerösteter Graupen beizumischen pflege. Nun habe ich als der Angehörige eines armen, aber arbeitsamen Landes, als ein Mann, der von der Pike auf gedient hat, an sich nicht das Mindeste gegen Graupen. Ich beschwere mich nicht, wenn sie an Vord eines Kauffahrers täglich auf dem Tische erscheinen, 70 wenn man sie mit Salzfleisch kocht, mit Rosinen einen Plumpudding daraus bereitet, ja wenn man sie nach Art des Vatels in unseren Volksküchen mit Kartoffeln oder Bohnen zu einem Brei vermischt; gegen einen Grauven-kaffee werde ich unter allen Breitengraden, bei jedem Wetter, jedem Winde, vor Anker oder auf hoher See, Verwahrung einlegen. Nur ein Chinese kann auf diese corrupts Idee verfallen. Um 9 Uhr legte sich ganz unerwartet der Wind, es wurde todtenstill, das Gewölk schien sich in allen Himmelsrichtungen dichter zusammenzuballen, und zuweilen gerieth die „Pallas", die ohne Hülfsmittel der Bewegung der majestätischen Dünung des Oceans zum Spiel diente, in einen förmlichen Wolkenbruch. Die Wasser stürzten in solchen Massen vom Himmel herab, daß ihre Masse unser kleines schwerbeladenes Fahrzeug in die Tiefe zu versenken schien, oder doch die lockeren Holzverfchläge der armen Chinefen vom Verdeck zu spülen drohte. Nach zwei Stunden, in welchen sich der Ocean ruhig verhalten und der Himmel die Rolle dieser wandelbaren Naturgewalt übernommen hatte, wurde es etwas heller, der Negen ließ nach, dann ver« wandelte er sich in einen feinkörnigen Wafserstaub, und nun befanden sich die Elemente in jenem Stadium der elektrischen Spannung, das die Vildung der sogenannten Wasserhosen begünstigt. In absoluter Verlassenheit, wenn der Mensch plötzlich jene Mächte, die er nur strengen Naturgesetzen bewußtlos Unterthan glaubt, in wilder Laune selbsiständig auftreten und sogar des ehernen Gebotes der Schwere spotten sieht, überkommt ihn das demüthigende Gefühl seiner thörichten Anmaßung, sich als den letzten Endzweck dieser planetarischen Manifestation anzusehen. In Entfernung einer Viertel- oder halben Meile stand in erhabener Stille eine tiefe Colanne von Wasserhosen vor uns. Der Anblick war überaus befremdend. Das gleichsam in säulenartigcr Form von der Atmosphäre in ungeheuren Massen aufgesogene und scheinbar in schwerlastende, das einzige Licht des Erdballs für immer verdunkelnde Dämpfe verwandelte Wasser, das der Ocean so bereitwillig hergab, als wären seine Bestandtheile vollkommen gewichtlos, erweckte die fchauerliche Vorstellung: einer jener Momente in der ungereimten Geschichte dieses Planeten sei wieder eingetreten, wo nach den Hypothesen der Wissenschaft abermals mit einer flüchtigen Aera des Denkens, menschlicher Freuden und Leiden abgeschlossen und dieser Schauplatz so viel nutzlos vergossenen Blutes und Schweißes, so viel vergeudeter Liebe und Sorge, so vicler schwärmerischen Hoffnungen und idealen Träume über das Grab hinaus in ein ungeheures Chaos verschüttet und bis zu neuem Erwachen intellectuellen Bewußtseins und seiner langweiligen organischen Vor« spiele den bloßen Fügungen des Mechanismus und Chemismus anheimgestellt werden solle. 71 Erst als einzelne Säulen dieser wunderbaren, alls Luft und Wasser gebauten Halle, ein Symbol irdischen Ruhmes, einstürzten und der Glaube an ^»ie Dauerbarkeit der eben waltenden Elementarkräfte wankend wurde, beruhigte sich die erhitzte Einbildungskraft, und im Gefühle wachsender Sicherheit betrachtete man das seltene Phänomen mit jener Gemüthsruhe, wie sie sich allein für ein Geschöpf geziemt, das in dieser Welt der Widersprüche über sein Herkommen und seinen endlichen Abgang sich selber nicht die geringste Auskunft zu ertheilen vermag. Nis auf den letzten Fetzen waren alle Segel eingenommen worden, und auf jeglichen Widerstand, aber auch auf jede Herausforderung des Crd- ober Wassergeistes verzichtend, trieb „Pallas" bei vollkommener Windstille einher. Ringsum war die Natur in voller stummer Action, der Ocean drängte gen Himmel, das Firmament neigte sich zum Abgrunde; wir schwammen zwischen den fortwährend neu erstehenden, aus der Tiefe schwerfällig aufwachsenden, djirch die mächtige Zugkraft der Höhe rasch vollendeten Säulen. Leichte Wirbelwinde umfächelten uns aus den verschiedensten Himmelsrichtungen, aber es kam zu keinem unleugbar revolutionären Auftritt. Nicht selten schwoll in der unmittelbaren Nachbarschaft der „Pallas" der Ocean in Form eines Tumulus empor und bildsam kam ihm die schwebende Wasscrmasse entgegen, aber zugleich wurde das Fahrzeug durch die entstehende Ungleichheit des Niveaus aus dein Wege des gefährlichen Vauspieles gedrängt. Gemeinhin geht das Phänomen der Nasserhosenbildung ungestümer vor sich. Die „Asia" wurde auf der Fahrt nach Bombay durch eins über Deck fegende Wasserhose ihrer drei Masten beraubt. Um 6 Uhr Abends war das Schauspiel beendet, dessen zahlreiche Zwischenacte in heftigen Regenschauern bestanden. Der Tag war nicht verloren. Die rührige Mannschaft hatte zwei Fässer Regenwasser aufgefangen, ich die wechseluollen Scenen, so oft der Regen aufgehört, mit Vleifeder auf kleinen Vlattchen zu Papier gebracht. Die handlichste Methode der Nachbildung schien durch die dräuenden Umstände geboten. Schon uom Morgen an war der Ocean mit todten Schmetterlingen bedeckt, unter denen eine Species mit goldglänzendem Körper und rothgesteckten Flügeln ungemem zahlreich vertreten war. Ein Sturm hatte die Insekten von den zu Japan gehörigen Lew-Chow? Inseln in die Weite getrieben. Der denkwürdige 2?. Februar endete mit der Harpunirung eines großen Sturmvogels, doch hatte der Jäger die Veute mehr dem Glück, als dem — Geschick zu verdanken; die Harpune war nach einem Fisch geschleudert worden. So zufrieden wir mit den: Verlaufe dieses interessanten Tages sein konnten, am 28. Februar holten die Elemente das Versäumte nach. Der vorletzte Tag des Monats war ein Potpourri von Nolkenbrüchen und absoluter Windstille, leichten, uns günstigen Brisen und einen: fliegenden Orcan aus 72 Norden, dessen kräftigster Stoß die „Pallas" ganz auf die Seite warf und das Bramsegel zugleich in tausend Stücke zerriß. Dem Schaltjahre zu Ehren folgte am 29. Februar auf dieses Schandwetter, das uns Alle in qualvoller Spannung erhalten halte, in den Vormittagsstunden der herrlichste Sonnenschein und eine erquickliche Wärme, welche jede Creatur aus ihrem Versteck hervorlockte. Auf dem Verdeck der „Pallas" herrschte jener mythische Frieden, den die naiven Maler der Vergangenheit in ihren Abbildungen des Paradieses so gern darstellen. Ich rede nicht von der selbstverständlichen Verträglichkeit der Menschenracen und Berufsllasfen; ich berufe mich nur auf die Thierwelt. Was im Naume an Katzen vorhanden war, hatte sich, ohne die Anwesenheit unserer drei Hunde weiter in Rechnung zu bringen, auf Deck eingefunden, um endlich einmal die Wohlthaten des Sonnenscheins zu genießen, die Felle gründlich zu trocknen und die bei diesem selbstgefälligen Geschlechte üblichen Toilettevorkehrungen zu treffen. Die Wahl der Dächer unserer Chinesenhütten war die einzige Vorsichtsmaßregel, die sie gegen die Hunde getroffen hatten^ Diese waren durch die mehrwöchentlichen Inundationcn der „Pallas" in ihrer Tenkungsart gegen die feindliche Species maßvoller geworden; man ignorirte sich gegenseitig. Nur ein allgemeines Bedürfniß lag vor: gründlich die Felle zu trocknen. Ich sah mich sogar nach den Schiffsratten um; die Verworfenen schienen indessen dem paradiesischen Frieden, möglicherweise auch dem Appetit der Chinesen nicht zu trauen. Letztere holten .'aus ihren elenden Quartieren, Kisten und Körben Alles hervor, dessen fernerer Bestand durch anhaltende Nässe gefährdet war, und breiteten es zum Trocknen aus. Mehrere Tage durch das unaufhörlich wechselnde Wetter verhindert, in ihrer Separaiküche Feuer anzuzünden, hatten sie vor allen Dingen ihr Nationalgericht zubereitet und vertheilten aus einem großen Eimer den gekochten Reis, der durch allerlei in kleinen Schüsselchen befindliche Finessen, getrocknete Fischchen, marinirtes Seegras und dergleichen mehr, einen pikanten Beigeschmack erhielt. Ich wäre unfähig gewesen, an dieser Mahlzeit theilzunehmen, so abschreckend für meine Geruchs-, also auch Geschmacksnerven waren die Ausdünstungen der zum Trocknen ausgebreiteten Gegenstände. Außer prävarirten Haifischflosscn erkannte ich vornehmlich eine Anzahl von Enten- und Hühnerköpfen, die gleichfalls für Delicatessen gehalten zu werden schienen. Ein starkes Aroma von Knoblauch verband alle diese Düfte der Verwcfung, oder, um mich ein wenig schmeichelhafter auszudrücken, der Verwitterung, welcher sämmtliche für San Francisco bestimmte chinesische Artikel verfallen waren. Ich ziehe mich daher weislich unter Wind zurück, wo zwei barfüßige Babies mit seltener Fertigkeit bei ihrem Reis-Dejeuner sich der Eßstabchen bedienen. Die Kleinen werden schon in den ersten Lebensjahren an diesen schwer zu behandelnden Speise-Apparat gewöhnt, und die beiden Knaben lehnten sehr artig, aber entschlossen den au2> 73 Knochen geschnitzten Löffel ab, welchen ich ihnen zur Beschleunigung der Mahlzeit anbot. Die Frau in Roth benutzt den günstigen Moment, gleichfalls in voller Toilette aus Deck zu promeniren. Sie erscheint heute ausnahmsweise nicht in dem bewußten Garibaldi-Hemde, sondern in einem schweren schwarzen Sammet-kleide, und ist ihrerseits vollkommen überzeugt, uns Allen durch ihre Reize und die Eleganz des Benehmens zu imponiren. Ihre Versuche, mich in ihr Netz zu ziehen und sich in den Besitz meines Herzens oder meiner Börse zu setzen, hat sie nachgerade aufgegeben und sich in einen gleichgültigeren Ton der Unterhaltung zu finden gesucht. Mein Vertheidigungssystem wurde wesentlich durch Anfälle der Seekrankheit unterstützt, während sie in Verfolgung ihrer Angriffspläne durch dasselbe Leiden die härteste Niederlage erlitt; ihre Hoffnungen sind neuerdings bald auf den ersten, bald auf den zweiten Steuermann gerichtet. Trotzdem benutzt sie jede Gelegenheit eines zufälligen Zusammentreffens in der gemeinschaftlichen Kajüte oder auf dem Quarterdeck, um mich mit seltener Offenherzigkeit in die Einzelheiten ihrer Biographie einzuweihen. Die Anstößigkeit der Thatfachen wird durch den Anstrich von Martyrium gemildert, welchen sie darum zu verbreiten weiß. Sie ist immer nur das Opfer der Verhältnisse gewesen. Als Stoff für die Verfasser von Weihnachtsnovellen für das heranwachsende Mädchen- und Knabenalter theils ich den Lebensabriß unserer, im größten Maßstabe vagabondirendcn Reisegefährtin nicht mit. In früher Jugend will sie ihren Eltern, die einem überwiegend mosaischen Gau Polens entstammen, aber ausgewandert waren, durch einen englischen Marine-Officier entführt, von diefcm jedoch nach einiger Zeit ohne Hinterlassung irgend welcher Unterstützung schmählich verlassen fein-Fasse ich ihre nicht minder tadellos correct vorgetragenen Erzählungen richtig auf, so trat damit der Moment ein, wo sie in den Stand jener Wesen überging, die im französischen, zum Theil auch im deutschen Lustspiele eine so wichtige Rolle spielen, ich meine: die jungen Wittwen. Vor der Hand als „trostlose junge Wittwe" will sie in Singapore, diesem wichtigen Knotenpunkte des Weltverkehrs, ein Putzgeschäft und eine Leinenwaarenhandlung etablirt,. beide aber nicht in Flor gebracht haben. Von unerbittlichen Gläubigern verfolgt, flüchtete sie nach Australien, ohne die Restbestände ihrcs Lagers zurückzulassen, und eröffnete hier einen Laden für den Verkauf von „Onemi^es äo warily«". Das kaufmännische Unternehmen schlug nicht ein; die junge Wittwe behauptete, Altengland, das tendenziöser Weise immer die „klügsten Leute" nach Australien schicke, habe ihr Schaden gethan. Sie sei genöthigt gewesen, „die Bude zu schließen und ein sehr bewegtes Leben zu führen." Tcr Capita» eines Segelschiffes rettete die junge, in industriellen Dingen so unerfahrene Wittwe und versprach ihr außer freier Ueberfahrt nach Chili die Ehc, sobald 74 sie dort angelangt sein würden. Der treulose Seemann erfüllte jedoch nur die erste Hälfte seiner Versprechungen, und die verrathene Unschuld sah sich genöthigt, in Chili die Rolle einer „jungen und schönen Engländerin" zu übernehmen, die schwerste, welche sie bei dem ausgeprägten Orientalismus ihrer Züge durchführen konnte. Im mehrjährigen Umgänge mit spanischen Officieren will sie hier die spanische Sprache fertig erlernt haben, kehrte aber, seitdem sie die Bekanntschaft eines blonden englischen Schiffscapitäns gemacht, unter der Obhut desselben nach China zurück, wo sie fortan als „deutsche junge Wittwe" ihr Glück zu machen gedachte. So offenherzig sie bis dahin gewesen war, hier geriethen ihre Mittheilungen in's Stocken, und ich trug gerechtes Bedenken, die Verwirrung des holden Wesens durch unbarmherzige Fragen zu steigern. Jetzt sind die Hoffnungen von Madame auf das cali-fornische Goldland gerichtet; sie betritt es mit einem leeren Geldbeutel, aber mit einem Herzen voller Liebe und Hoffnung. Ich bediene mich ihrer eigenen Worte. Es muß Jedem überlassen bleiben, sich nach diesem kurzen Lebens-abriß ein eigenes Urtheil über den Charakter der ssrau in Noth zu bilden. Wußte Capitän Hartmann um ihre touristisch vielseitige Vergangenheit, so hatte sie in diesem einen unerbittlichen Richter gefunden. Ihre Koketterien mit den jungen Steuerleuten sind ihm bei Tisch fortwährend ein Dorn im Auge und die täglichen Mahlzeiten durch seine Predigten für uns eine hohe Schule der Sitten. Das männliche Geschlecht hat sich so oft auf dem weiten Festlande über die um sich greifende Crinoline beklagt, daß ich der Polemik des Capitäns gegen das Reifenspiel unserer Schönen auf dem beschränkten „Parquet" dor „Pallas" von Herzen zustimmte. Nach langen Unterhandlungen und nachdem sich Madame überzeugt hat, daß bei anhaltend schlechtem Wetter ihre Tage durch die Crinoline verkürzt werden können, hat sie sich entschlossen, den Hühnerkorb abzulegen. Nur bei ausreichender Garantie des Barometerstandes und dcr Windrichtung ist es ihr gestattet, denselben wieder anzulegen, aber selbst auf Deck muß sie dieses leidige Takelwerk der Damengarderobe „geresst", d. h. scharf zusammengehalten, tragen. Der Tag blieb schön, und die ganze Mannschaft, den Capitän, die Steuer« leute, den englischen Schiffsschreiber und meine Person eingeschlossen, auch die Nacht hindurch auf dem Verdeck. Wir waren von Neuein in einen Insel-schwärm gerathen, über den die Karten nur unzureichende Auskunft ertheilen. <3s mußte fortwährend ausgeschaut werden, wcnn wir nicht durch die geringste Vernachlässigung der Leitung des Schisfes dem Tod und Verderben in den Rachen fahren wollten. Unsere Nachtwache war um so nothwendiger, als uns kurz nach Mitternacht ein fliegender Sturm überfallen hatte. Am 4. März um Sonnenaufgang erstarb das kurze Unwetter, und bei einem „schmierigen" 75 Himmel und hohler See ergaben di? Beobachtungen, daß wir von einer Strömung wieder nach Südwest zurückgetrieben wurden. In meinem Tagebuche steht der gewaltsame Tod eines unserer Schweine verzeichnet. Der fast unerträglichen Monotonie des Küchenzettels soll nach Kräften abgeholfen werden. Der englische Bootmannsmaat Harris, genannt Hercules, versieht an Vord der „Pallas" den Dienst des Schlächters. Wie gern wollte ich mich bereit erklären, ihm dabei Hülfe zu leisten, bereicherte ich dadurch mein Tagebuch; aber die Aufzeichnungen auch des thätigsten Reisenden schrumpfen an Bord eines kleinen Kauffahrers zwischen Himmel und Ocean auf eine bedenkliche Weise zusammen. In Ermangelung anziehenderer Begebenheiten theile ich daher mit, daß unsere geniale Reisegefährtin am Abend des 2. Mär; ihrer Beliebtheit unter den männlichen Genossen unserer Tafelrunde durch einen an die berühmten Fresser der Märchen erinnernden Appetit, dem u. A. die ganze gebratene Schweineleber zur Beute wurde, unberechenbaren Schaden gethan. Man kommt aus persönlicher Scheelsucht dahin, eine so unritterliche Bemerkung, die in der Phantasie des Lesers den Liebreiz der Dame nicht erhöht, mit wahrer Schadenfreude niederzuschreiben. Cavitän Hartmann ging so weit, sich zu erkundigen, ob sein Koch durch diese Schüssel vielleicht einen Verstoß gegen die religiösen Ueberzeugungen der Dame begangen habe, erhielt aber keine Antwort. Unser Mittagessen fand am 3. März um 1 Uhr unter gewöhnlichen Schwierigkeiten statt. Vei der hohen hohlen See bäumt sich selbst die schwere „Pallas" mit elastischer Leichtigkeit, und der Inhalt jedes tiefen Tellers, welchen man der auf dem Tische befestigten Sturmleiter anvertraut, wird bei der plötzlichen Hebung des Bugs verschüttet, che man den Teller freimachen kann. Wir setzen daher die Teller auf den Schoß und suchen, auf den Stühlen balancirend, uns selber und das Mittagbrod im Gleichgewicht zu erhalten. Der zweite Steuermann, ein Sohn Altonas, dem es bei seinen siebenundzwanzig Jahren sonst nicht an Kraft und Gewandtheit fehlte, hatte eben die zweite Portion seines Leibgerichts, der Bohnensuppe, in den Teller gefüllt, als die Welle, von der die „Pallas" langsam gehoben war, unerwartet zusammenbrach und das Schiff einen jähen Fall that, der auch den Altonaer sammt ftiner Suppe zum Sturz brachte. Ich fand einen blonden Lockenkopf in meinen: tiefen Teller. Wir lachten viel, standen aber bald vom Tische auf. Bei derartigem Seegange fühlt man sich unter freiem Himmel leichteren Herzens. Wir hatten noch nicht fünfzehn Minuten lang die herrliche Seeluft eines Frühlingstages in diescr Sphäre eingeathmet, als sich uns ein amerikanischer Klipper mit der Cile eines Raubfisches näherte, vorüberschoß und sehr bald am Horizonte verschwand. Capitän Hartmann hatte die kurze Icit unseres Beisammenseins dazu benutzt, die notdürftigsten Verständigungen auszutauschen. Daraus ergab sich, daß der gleich uns für San Francisco bestimmte Klipper „Julian" erst zwölf Tage nach unserer Abfahrt in See gestochen sei. Wenn man sich erinnert, in welchen Zorn Kutscher und Ruderer gerathen, so oft sie von Rivalen überholt werden, wird man sich annähernd eine Vorstellung von der sittlichen Empörung machen können, die in Capitän Hartmann beim Anblick des Klippers aufwallte. Was halfen indessen seine Flüche und Drohungen? Unsere überbürdete, stumpfgebaute „Pallas" schwamm mühsehlig weiter; der Klipper, ein Gebilde: halb Fisch, halb Vogel, schoß, mit seinem pfeilförmigen Schnabel eine Bresche in haushohe Wogen legend, mehr durch, als darüber hin. Aller Blicke waren noch freudig staunend auf ihn gerichtet, als seine Gestalt sich schon verkleinerte und eine Stunde darauf sich im Duft der Ferne verlor. Warum hatte ich Voreiliger mcht noch einige Tage in Hongkong gewartet und den unvergleichlichen Schnellsegler benutzt! X. Blschllfslliftpcn und Burodino-Inseln. Mne Extraration. Ter Steuermann als Wickelfrau. Heftpflaster gegen Schtvämmchcn. Unser Münz-cabinet. Hungerkur. Die Chinesen und der Bandwurm. Neisliifer-Iagd. Am Freitag abgefahren. Marine-Pennalismus. Er schleift sein Messer. Mond- und Hemdenlvechsel. Albatros mit Reis. Endlich im offenen Waffer. Zuweilen, wenn ich nach meinen: Tagebuch greife und die spärlichen-Vorkommnisse unserer Seefahrt verzeichne, kann ich mich vollkommen in die Lage des armen Robinson Crusoe versetzen. Unsere Geselligkeit an Bord er« hebt sich nur wenig über seine Einsamkeit. Insel oder Schiff — wir haben uns ausgesprochen. Die Gedanken-Munition der „Pallas" ist bis auf die letzte Patrone verschossen. In Ermangelung aller anderweitigen Unterhaltung leiste ich den Matrosen (Gesellschaft, wenn sie in der Nähe gefährlicher Klippen die Nächte auf dem Deck zubringen müssen, und fuche meine nautischen Kenntnisse zu bereichern. Nebenbei kommt so mancher komische und gutmüthige Zug im Gespräch an die Reihe. Ein vierschrötiger deutscher Vollmatrose hat mich augenscheinlich liebgewonnen, weil ich geduldig zuhöre, wein« er von feiner alten Mutter und ihren weisen Rathschlägen erzählt, als er sich vor acht Jahren zum ersten Male einschiffte. Die würdige Frau hatte ihm besonders anempfohlen: „sich vor der Seekrankheit und nassen Füßen in Achr zu nehmen, ferner nicht allzu viel auf den Masten umherzukrabbeln." Ein anderer Landsmann, den das Klima hart mitgenommen hat und dessen 76 77 schwächliche Constitution sein Aufkommen erschwert, klagt mir gern sein Leid. Auf meinen wohlgemeinten Rath, nach Europa zurückzukehren und „Nord- und Ostsee zu fahren", erhalte ich jedoch stets die Antwort: „Unsere Heuer Chinesen haben ihn, wie wir unsere Kapaune oder Puter, mit Reis gekocht, aber mit Leinöl geschmälzt. Sie diniren unter dem rasenden Geheul eines eisigen Nordwindes: der Ocean gleicht einer dicht mit Schnee bedeckten Hügellandschaft. Das Wasser zerstäubt in lauter Flocken, die wie Schneegestöber-über die Wogen fliegen. Wir mußten uns an diesem und dem folgenden Tage mit kalter Küche begnügen, bei dem Stampfen und Rollen der „Pallas" war es zu gefährlich, Feuer anzuzünden. Obgleich wir fast Alle Deutsche sind, wird die Unterhaltung doch, dem Schiffsschreiber zu Liebe, in englischer Sprache geführt; wir reichen schon mit hundert Vocabeln. Der Untcrhaltungsstoss verringert sich, wie unser Wassernorrath, mit jedem Tage. Die Portion der Chinesen ist unter dem Versprechen, in San Francisco Jeden durch ein unentgeltlich zu lieferndes ganzes Faß zu entschädigen, auf die Hälfte herabgesetzt. Am 20. März kam eine große Schildkröte in unsern Gesichtskreis. Das Ungeheuer trieb wie ein unnahbarer Monitor auf den Wogen; es war.- 6* 84 leine Aussicht auf Turtlesuppe vorhanden. Der Tag schloß mit einem fliegenden Sturm, der unsern neuen Klüverbaum in Stücken brach, aber uns zugleich, da er aus Süden wehte, mit der unerhörten Geschwindigkeit von stündlich Zehn Knoten beförderte. Wir haben die letzte Insel hinter uns und schwimmen in den freien, tiefen Ocean hinaus. XI. Tie Dank-Matinee. Kein Bube. Ein neuer Odysseus. Tas RettungS-ftft und das Opfer Pepita's. Ihr Nekrolog. Schwarze Suppe. Der Schlafvirtuose. Land vor der Back. Mädenfang. DaS Kind: zehn Silbergroschen. Zweimal der 30. März. Yamswurzeln ftatt Nrot. Verliebte Walfische. Vin Compromiß. Nach sechs Wochen das erste Schiff. Der iiootse. Var San Francisco. Meinen Rückblick am nächsten Morgen kann ich nur mit dem eines Leidtragenden vergleichen, der nach Beerdigung eines theuern Verwandten vom Kirchhofe scheidet. Sein Schmerz wird allein durch das egoistische Gefühl gelindert, das Schicksal des Verstorbenen nicht getheilt zu haben. Innerhalb der unglücklichen Region, die jetzt hinter uns liegt, sind im letzten Jahre a ch t herrliche nordamerikanische Klipper und mit jedem derselben durchschnitlich dreihundert Menschenleben verloren gegangen. Die chinesischen Passagiere ncrfehlen deshalb nicht, dem Götzen des Marine-Departements den pflichtschuldigen Tribut für den verliehenen Schutz abzustatten. So viel ich bemerke, gehen sie dabei mit lobcnswerther Sparsamkeit zu Werke. Ihre Lebens-nnttcl nehmen aus bedenkliche Weise ab, Flcischopfer sind überhaupt nicht zu schaffen, selbst der Reis ist knapp, und der Seegötze muß sich mit einer Matinee von Pauke, Schelle, Tamtam und Triangel begnügen, woran unsere drei Hunde sich als Sänger betheiligen. Nach dem Schluß der Opfermusik erinnerte die würdige Duenna, eine dcr wenigen an Bord befindlichen chinesischen Autoritäten, den Capita« an das versprochene Rettungsfest und die ihren Landsleuten zugesicherte Hälfte Pepita's. Freund Hartmann ist indessen heute nicht geneigt, sich in weitläufige Erörterungen einzulassen. Er hat „der Frau in Noth" die Dienste einer Kammerzofe geleistet und ihre ewigen Klagen über das Schaukeln des „Kahns" — so nennt Madame unseren Dreimaster - beschwichtigt; sein Humor ist fiir diesen Tag gründlich verdorben. Die alte chinesische Deputirte wurde greulich angeschnauzt und floh entsetzt zu ihren jungen Pflegebefohlenen. Erst gegcn Abend, während einer mehrstündigen Kartenpartie mit dem Schissäschrciber, wurde seine gute ^aune 85 wieder hergestellt. Wie der Mensch auf einer langen Seefahrt versimpelt, davon konnte ich mich heute überzeugen. Die Inseparables vergnügen sich unermüdlich mit einem Kartenspiel, in dem der Bube den höchsten Rang behauptet Nun hatte ich mir das unschuldige Vergnügeil gemacht, die vier Buben herauszunehmen und zu verstecken. Nichtsdestoweniger setzten die Herren ihre Partie stundenlang fort, ohne den schlechten Spaß zu merke». Nur einmal sagte der Capitän kopfschüttelnd: „Es ist merkwürdig, daß der Vube heute so selten herauskommt!" Die Partie endete, ohne daß die Verrätherei entdeckt wurde. Der Wind drehte sich am 25. März unter Regen, Hagel und Blitz zu unseren Gunsten, und von Neuem legen wir das Marimum der „Pallas"-Geschwindigkeit, zehn Knoten in der Stunde, zurück. Der große Ocean zeigt sich in voller Majestät. Thurmhohe Wellen rollen hinter unserer Barke her und scheinen, über sie hereinbrechend, uns Allen den Garaus machen zu wollen, und doch kommen wir immer mit einem tüchtigen Sturzbade davon; die „Pallas" gleitet unversehrt über jeden Wasserberg. Nach dein Vorbilde des vielgewanderten Odysseus habe ich mich von den Gefährten an den Besanmast binden lassen, nicht etwa um den Gesang der Sirenen zu belauschen, sondern um Wellen zu studiren und zu mcmoriren. Ich übertreibe nichts wenn ich sie Wassergebirgskette nenne. Jede reicht, von Steuerbord und Backbord aus gesehen, bis an den Horizont, und ist so hoch, daß man die zunächst anrückende nicht zu erblicken vermag. Trotz der Massenhaftigkeit dieser Anschwellungen sind sie von dem tiefsten Blau und einer seltenen Transparenz. Das beneidenswerthe Studium wird mir nur durch Nässe und Kälte verbittert. Ein Theil jeder Welle geht mir über den Kopf, und die blaugefrorene Nase wetteifert mit den« Farbenton des Oceans. Nach durchgreifender Veränderung der Garderobe erhob der Magen berechtigte Ansprüche, aber es ist nichts als Gin und elender Schiffszwieback vorhanden. Hinsichtlich der Verpflegung werden Passagiere erster Klasse und Matrosen über einen Kamm geschoren. Für den 27. März wurde endlich das Rettungsfest anberaumt und die Abfchlachtung Pepita's für den 26. Mär; angekündigt. Die Chinesen verrathen seitdem eine doppelte Theilnahme für das Opferthier; Jeder zieht sich den letzten guten Bissen vom Munde ab und bringt ihn Pepita als Henkersmahlzeit dar. Capitän Hartmann, ein stets weitrechnender Finanzkünstler, sucht das Nützliche mit dem Angenehmen zu vereinen. Wann die Oster-feiertage sind, wissen wir nicht mit Bestimmtheit anzugeben, da die „Pallas" außer einem englischen Schiffsalmanach, in dem die kirchlichen Feste nicht angegeben sind, keinen Kalender führt; der Chef hat uns daher Ostern octroyirt. Der 27. März ist „pork «la^ und zugleich erster Feiertag. Zu HartmannK Ehre muß ich anführen, daß es ihn hart ankommt, in Pepita's Tod zu 86 willigen. Das wohlbeleibte Geschöpf ist der Liebling der gesammten Mannschaft und hat sich von jeher besondere Freiheiten erlauben dürfen. So besuchte es uns bei guter Witterung in der Kajüte und erhielt aus des Capitäns Händen seinen Antheil von den Mahlzeiten, ohne daß dadurch die Eifersucht Nelsons gereizt wurde. In bestimmter Voraussicht eines letzten Glücks und letzten Tages unserer Pepita habe ich mich daher, gleich den vorsorglichen Redacteuren großer politischer Blätter, auf ihren Nekrolog vorbereitet und die nöthigen Data gesammelt. Pepita ist am 2. Januar 1863 in Melbourne geboren und hat ihre Ferkelsaison an Nord der „Pallas" verlebt, ebendaselbst auch ihre Erziehung genossen. Ihres ausgezeichneten Betragens halber von den Matrosen „Sie" angeredet, hat sie gegenwärtig ein Gewicht von hundertachtzig Pfund erreicht und verspricht einen fetten und saftigen Braten. Kein Freund von Schlächterscenen, durfte ich mich dennoch nicht von der um 2 Uhr stattfindenden Execution ausschließen, da keiner der Matrosen und Passagiere, selbst nicht mein Kajütcnnachbar, der Particular aus Hongkong, dabei fehlte. Tie fünfundfechzig Chinesen, denen sichtlich das Wasser im Munde zusammenlief, hatten in tiefem Schweigen einen Kreis gebildet und folgten den einzelnen Acten des erhebenden Schaufpiels mit ungetheilter Aufmerksamkeit, Mitleidlos abgebrüht, hing Pepita um 5 Uhr Nachmittags mit dem Kopfe nach unten gekehrt am großen Mast. Endlich ging es, immer in Gegenwart sämmtlicher Chinesen, an die Vertheilung. Wie schon erwähnt, hatte der Chef der „Pallas" den asiatischen Touristen die Hälfte des Schlachtopfers zugesichert: höhere Erwägungen hinderten ihn indessen, wie so viele Machthaber, die sich in schwachen Stunden zu Versprechungen verleiten lassen, sein Wort in vollem Umfange zu halten. Pepita wurde in drei Theile zerlegt. Der beste, -inclusive Her; und Leber, wurde der Tischgesellschaft in der Kajüte zu Theil, den zweiten erhielt die Mannschaft, den Rest empfingen die „Chinaleute". Sie verriethen, ein Zeichen angeborener Loyalität, keine Spur von Unzufriedenheit. Mit vollendete»« Tact faßten sie das Geschenk als eine reine Gnaden-sache auf, da doch für Angehörige politisch gebildeterer Völkerstämme eine Berufung auf das Naturrecht gar so nahe lag. Mittags erschien auf unserer Tafel die fchwarze Suppe der Spartaner und mundete unserem Gaumen küstlich, wennschon wir nicht Kampfspielen obgelegen und im Eurotas gebadet hatten. Der Grohmuth des Capitäns verdankten wir einige Flaschen leichten Rheinweins, in dem ich die Gesundheit seiner Frau Gemahlin auszubringen für meine Pflicht hielt. Den Rest des Tages verschlief unser Wohlthäter. Er besitzt jene Fertigkeit, welche die Naturgeschichte dem Dachse nachrühmt, d. h. beliebige Stunden des Tages in tiefem Schlafe zuzubringen und immer rechtzeitig, wenn es die Umstände erfordern, aufzuwachen. Die Matrosen hatten das Osterfest auf ihre Weise gefeiert. 87 Am Schluß der Mahlzeit war es zu einem in ihren Kreisen sehr beliebten Gesellschaftsspiel gekommen. Bescheert ihnen der Himmel auf langer Seefahrt ein unerwartetes Leibgericht, und sind sie, um die Schüsseln sitzend und der Reihe nach hineingreifend, beinahe mit dem Inhalt fertig, so darf auf den Ruf Eines aus ihrer Mitte: „Land vor der Back!" Keiner mehr einen Bissen antasten. Dem kühnen Heerrufer, der sich dieser vielsagenden Worte vermessen, gehören nun die Ueberbleibsel des Gerichts, er hat aber die Verpflichtung, sie bis auf das letzte Atom zu verzehren, wenn er nicht der Rache seiner getränkten Gefährten verfallen will. In diesem Falle wird er über eine Vank gelegt und an der Nachtseite der Persönlichkeit so lange energisch bearbeitet, bis auch der Letzte an ihm sein Müthchen gekühlt hat. Das Schauspiel soll höchst spannend und aufregend sein, wenn auf den entscheidenden Moment losgegefsen wird. Jeder will gern so viel wie möglich hinter sich bringen, um, sobald das Signal erschallt, nicht seinen rechtmäßigen Antheil einzubüßen. Dann aber hütet er sich eben so sorgsam vor Ueberfüllung, um vielleicht, sobald er einen Nachlaß der Kräfte seiner Rivalen bemerkt, als Bewerber um den Siegespreis aufzutreten und Einhalt zu gebieten. Leider hatte ich zu lange bei Tische gesessen, um Augenzeuge des Wettkampfes selber Zu fein; der anmaßende Vielfraß, welcher „Land vor der Back" gerufen, war aber seiner Veute nicht Herr geworden. Niemand setzte mir den Verlauf des österlichen Gesellschaftsspieles auseinander; nichtsdestoweniger begriff ich Alles, da ich an der Seite dcr Schaluppe auf einen jungen Mann stieß, der weit über das Geländer gebeugt durch gelinde Reibung die Schmerzen seiner geschädigten Sitztheile zu mildern suchte. Der älteste der schleswig-holsteinschen Schiffsjungen, ein überaus langsamer Knabe, der sich bis zur Regungslosigkeit gesättigt, war eben von seinen Vorgesetzten auf den Mittelmast geschickt worden, um zu Ehren des Tages einen neuen „Flieger" (Wimpel) aufzustecken. In Erwägung, er könne unterwegs von Hunger überfallen werden, hatten sie ihm «in fünfundzwanzig Pfund schweres Stück Speck mitgegeben. So scherzt man auf hoher See. An der Seite des ersten Steuermanns stand ich noch auf 5em Quarterdeck, als ganz unerwartet eine hohe Welle über Vord schlug. Hätten wir nicht unwillkürlich in's Takelwerk gegriffen, wir wären Beide in die See gespült worden und rettungslos verloren gewesen. Un ein Aussetzen der Boote kann bei dem gewaltigen Seegange nicht gedacht werben. Nach Einbruch der Dunkelheit fiel das Quecksilber des Barometers, die Brise steigerte sich bis zu einem fliegenden Sturme, und das tobende Element verdoppelte zu unserem Leidwesen seine Wuth; die „Pallas" wurde die Nacht hindurch zum Erbarmen hin- und hergeworfen. Dem lucullischen Mahle folgte am zweiten Feiertage der hinkende Bote. Sine in den Morgenstunden angestellte gründliche Proviant-Musterung ergab. 88 daß unsere Brotrationen aus die Hälfte herabgesetzt werden müßten. DaS für das Gebäck der Passagiere erster Klasse bestimmte Roggenmehl reicht kaum noch für eine Woche. Am dritten Feiertage befanden wir uns auf der Höhe der Fuchsinseln und könnten bei nördlicherem Course in kurzer Zeit nach Kamtschatka kommen, aber nichts lockt uns in das ungastliche Land. Die Seevögel finden an uns Wohlgefallen, ich zählte heute sechzehn braune Seemöven von der Größe einer jungen Gans, die nicht von uns ablassen wollten und unbedachtsam die von den Chinesen ausgeworfenen Angeln verschluckten. War den unglücklichen Geschöpfen der Haken aus dem Halse gerissen, so wurden sie ohne Fesseln auf das Verdeck geworfen. Die unbehülfiichen Vögel warcn nicht im Stande, von den glatten Planken aufzufliegen. Sie bedürfen dazu der Nachhülfe ihrer Füße im Seewasser. Der Koch erhandelte einige Lebern und tischte sie Abends beim Souper auf; wir wandten uns Alle mit Entsetzen davon ab. Sie trieften, wie der ganze Braten, von Thran und mußten sogleich aus der Kajüte entfernt werden. Die Hongkongianer verzehrten sie wie den feinsten Leckerbissen. Ich knüpfte bei dieser Gelegenheit mit der ehrsamen Duenna ein kurzes Gespräch an und erkundigte mich in „Pidjen-Englisch" nach dem Marktpreise der jungen Damen, die für den Import in Tan Francisco bestimmt waren; fie nannte eine ziemlich beträchtliche Summe. Daß sie beim Einkauf sehr billig weggekommen sei, gab sie ohne Weiteres zu. Einige kleine Mädchen, die sie freilich dann noch einige Jahre hindurch auffüttern mußte, ehe sie als Handelsartikel gelten kannten, hatte sie nach unserem Gelde mit zehn Silbergroschen bezahlt. Am 30. März durchschnitten wir den hundertachtzigsten Längengrad und befinden uns auf der westlichen Halbkugel. Da wir von Westen nach Osten die Erde umsegeln, gewinnen wir in der Zeitrechnung einen Tag, der morgen eingeschaltet werden soll. Wir schreiben heute und morgen den dreißigsten März! Für unser Privatleben entstanden daraus weiter keine Schwierigkeiten, nur der Koch gerieth in außerordentliche Verlegenheit. Die Gerichte stehen nämlich auf dem wöchentlichen Schiffs-Küchenzettel so fest, wie die Stifte auf der Walze eines Leierkastens; die geringste Aenderung hätte die süße Melodie für immer in Unordnung gebracht. Ein geniales Machtgebot des Cavitäns half unserem schon verzagenden Vatel über diesen chronologischen Conflict hinweg. Die Bohnensuppe nebst Zubehör sollte auch am 30. März als zweite Austage gekocht werden! Am letzten Tage des Monats zwang uns ein steifer Ost nach Norden zu steuern, und die Kälte steigt denMinäß. Die „Chinaleute" ziehen alle ihre Kleidungsstücke übereinander, und Madame hat die blaue grobe Friesjacke des zweiten Steuermanns angelegt. Gleich dem Roggen-mehl geht auch unser Brennholz zu Ende; es wurde folglich am 1. April Alles, was nicht met- und nagelfest war, in Stücke geschlagen. Darunter be- 69 fand sich eine neue Großbramstenge, die in Hongkong schweres Geld gekostet hatte. Entwickelt sich unsere Natural-Verpflegung in bisheriger Weise zu höheren Stadien, so werde ich daran denken, mir, wie das Pferd jenes sparsamen Irländers, das Essen ganz abzugewöhnen. Die Kartoffeln sind ausgewachsen und bilden gebraten oder gekocht eine weiche Masse, die man mit äußerstem Widerwillen hinabwürgt; aus das verstockte Salzfleisch habe ich längst verzichtet. Der Capita« hat einem Chinesen mehrere hundert Mms-wurzeln abgekauft, die uns Brat und Kartoffeln ersetzen sollen. Die Frucht ist ein Knollengewächs von Kinderkopfgröße und hat einen fremdartigen Geschmack, an den sich der Europäer schwer gewöhnt. Die Noth läßt uns keine Wahl. Das denkwürdigste Ereignih des 6. April war ein riesiger Baumstamm, das erste Merkzeichen der Gebirge und Ströme Nord-Amerikas. Er kam wahrscheinlich von der Oregontüste und schwamm nach Süden. Gar gern hätten wir das kostbare Brennmaterial ausgefischt, aber der hohe Wellenschlag verbot auch heute wieder das Aussehen der Boote. Bei einem anhaltenden Platzregen hocken wir in den Winkeln der Kajüte nnd hängen unseren Grillen nach. Erst in dieser grenzenlosen Einsamkeit wird der Mensch gewahr, was Alles er iin Schoße der Civilisation dem erfrischenden Wechsel der Gesellschaft verdankt, wie groß die Armuth des Individuums an fich ist. Erst im Austausch des Verkehrs erhält das edle Metall seinen Werth, so auch die geistige Negabung des Menschen. In unserer Genossenschaft trägt der glücklichste Einfall keine Zinfen, findet der schmerzlichste Herzenslaut kein Echo. Wir sinken zu Vierfüßlern herab und kümmern uns nur noch um Leibesnahrung und Nothdurft. Der Schisssschreiber pfeift zum tausendsten Mal greulich falsch den Prophetenmarsch, meine Blicke verfolgen durch das Kajütenfenster einen großen Walfisch, der mit uns denselben Cours steuert, aber zu schleunig für meine Schaulust die „Pallas" überholt. Der Tag war fönst für mich glückbedeutend gewesen; in der Galasuppe des heutigen Diners, einem Gemisch von Sago und leichtem Rothwein, hatte ich eine dicke chinesische Scheidemünze gefunden. Diesem bescheert der Himmel sein Glück im Schlaf, Jenem bei Tisch. Ein günstiger Wind brachte uns in den nächsten Tagen auf die Höhe von Honolulu; in meiner gegenwärtigen Laune ist das frühere Verlangen nach den Sandwichsinseln in mir vollkommen erstorben. Der Gedanke, ein halbes Jahr meines üebens dem Besuch dieser Eilande ;u opfern, ist unerträglich. Nur im Falle eines Schiffsbruchs an ihren Küsten würde man sich in fein Schicksal ergeben. Einst hatte ich mir das Bild der dicken Königin der Inseln, die sich nach jedem schweren Diner von dem gerade anwesenden Rathe der Krone oder Unterstaatssecretär mit Füßen treten läßt, so ver« 90 führerifch ausgemalt! Jetzt segelten wir gleichgültig an ihrem Reiche vorbei. Die Strecke, welche wir bis zum Hafen von San Francisco noch zurückzulegen haben, wird von Capitän Hartmann auf dreihundertfünfzig geographische Meilen veranschlagt. Ueber die maritime Scenerie wäre nicht mehr zu be» merken, als: dunkelgrauer Himmel und eine dreißigtausend Fuß tiefe See, schwarz wie chinesische Tusche. Zu unserem Trost haben wir eine allen Wünschen entsprechende Brise und laufen mit den Naasegeln vor dem Winde. Der II. April ist in meinem Tagebuche als chinesischer Opfertag bezeichnet. Die Lebensmittel des annen Gesindels gehen zu Ende: sie stehen deshalb zu ihren Göttern um eine baldige Ankunft in San Francisco. Zudem ist der Mövenfang in der letzten Zeit nicht ergiebig gewesen; erst heute gelang es ihnen wieder, zwei große Vögel zu erwischen. Ich für meinen Theil betrachte die Bestrebungen der Schiffsmannschaft, in ihren Mutzestunden die Außenseite der „Pallas" etwas aufzufrischen, als ein vielversprechendes Zeichen unserer abnehmenden Entfernung von der kalifornischen Küste. Das brave Schiff geht zwar erst in's achte Jahr, hat aber eine stürmische Jugend verlebt und zweimal die Linie passirt. Zu seinen angreifendsten Wasserpartien zählt eine Guanofuhre; eben so wenig trägt unsere gegenwärtige Winterreise quer über den großen Ocean zur Erheiterung der „Pallas"-Phnsiognomie bei. Es ist der Ehrgeiz des Capitäns und der Mannschaft, in so reputirlicher Gestalt wie möglich in den Hafen des Goldlandes einzulaufen. Sobald die Witterung es erlaubt, wird kalfatert, gefchmiert, getheert, gepinselt und geflickt, „alle Hände" arbeiten auf Deck; ich selbst betheiligr mich an dem nützlichen Werk und putze Musketen oder Revolver. Dem Schreien, Schimpfen und Fluchen in plattdeutscher und englischer Sprache gehe ich gern aus dem Wege und ziehe mich bei dem frischen Aprilwetter dieser Zone in die Kajüte zurück. Wie recht hat Preciosa mit ihrem Liede: „Einsam bin ich nicht alleine!" Wir durchkreuzen gegenwärtig den Rendezvousplatz der Walfische, und von Zeit zu Zeit liebäugele ich mit einem Prachtexemplar durch das Kajütenfenster. Welche eigenthümliche Frühlingsgesänge würde ein junger Lyriker an meiner Stelle anstimmen! Man denke: ein Ghasel auf den Walfisch als verliebten Voten des Lenzes! ein Sonett auf die Nalfischin! Es besteht ein beträchtlicher Unterschied zwischen den minniglichen Tändeleien der Spatze auf den Dachrinnen und der Ungeheuer der Tiefe. Trotz dieser mir vollkommen neuen Studien verschwöre ich jede abermalige Seereise auf einem Kauffahrer; es wäre noch immer unterhaltender, den Weg von Welttheil zu Welttheil auf einem österreichischen Postomnibus zurückzulegen. So manches psychologische Geheimniß erschließt sich mir; ich begreife den Seelenzustand der indischen Nutzer, der Säulenheiligen, der Stifter seltsamer Secten. Visionen stammen eben so oft aus einem leeren, wie aus einem überfüllten Magen. Van 91 Erscheinungen suvernaturalistischer Abstammung werde ich in nächtlichen Stunden nicht beunruhigt, aber ich erblicke die Gestalten beliebter Berliner Restaurants, ihrer Kellner und Locale. Ich erkenne nicht nur mit Bestimmtheit die Gesichter der anwesenden Gäste, ich höre auch ihre Stimmen: „Oaryon, fünfundzwanzig! Filet saute! bringen Sie mir ein Hamburger Hühnchen! einmal Hammelrücken!" Während derartiger Sinnestäuschungen rieche ich sogar, ja ich unterscheide die Vlume der Rheinweine, der höheren Medocs! — Ein heiserer Schrei: die dienstfällige Mannschaft wird zur „Hundewache" (12 Uhr Mitternacht) munter gebrüllt, die entzückenden Bilder verschwinden, und ich bin froh, den Rest der Nacht zu verschlafen. Am Morgen: Grauvenkaffee, Dauerbutter und Schiffszwieback, härter als Gneis und Granit. Der Frieden zwischen der Mannschaft und dem Capitän ist durch einen Compromiß hergestellt. Da ihr die statutenmäßigen Rationen nicht mehr verabreicht weroen können und sie auf die mäßige Nahrung von Iamswurzeln, dickgekochten Graupen und Hafergrütze angewiesen ist, entschädigt man sie durch Extrarationen von Schnaps. Nach der Theorie von Physiologen wird auch der Magen durch Illusionen getäuscht. Nnter dem 13. April ist wieder ein Sturm vermerkt. Die Masten und Raaen nahmen in dem wüthenden Treiben der Elemente die Form eines gespannten Bogens an, alle Segel wurden gerefft und das Steuer festgemacht. Wenn wir Anderen vor Schrecken verstummen, lösen derartige Scenen dem englischen Schisfsschreiber die Zunge. Er zieht die Hände aus den Hosentaschen, reibt sie, pfeift einige Tacte des Prophetenmotivs und sagt: „Ganz glatt geht diese Reise nicht ab, denken Sie an meine Worte!" Die Nachwehen des stürmischen Tagcs waren eine hochgehende See und ein „schlengerndes" Schiff, aber die Südwest-Vrise des 14. April wird in der poetischen Fachsprache „schlank" genannt und schafft uns vorwärts. Die „Chinaleute" verleihen wieder ihrer Dankbarkeit gegen die himmlischen Mächte durch Opfer-papier und brennende Stäbchen Ausdruck. Der Wind treibt die glänzenden Fetzen vor uns her. Wir sind elf Wochen auf der See und noch immer sollen wir hundertdreißig geographische Meilen vor uns haben; begreif's wer kann. Unsere tägliche Wasserration besteht nur noch aus zwei Nchtelgläsern einer faulen lehmigen Jauche, deren lebende Bewohner wir durch Gin tobten; aller Käse wird aus nicht näher zu erörternden Gründen im Dunkeln genossen. Das braune Salchen, das vorletzte unserer Schweine, wog nur dreiundzwanzig Pfund. Dreiunbzwanzig Pfund und fünfundachtzig hungrige Menschen! Iudem machen uns Ratten und Käfer den Rest der Hülsenfrüchte streitig. Wir wären niemals in solche Noth gerathen, hätte sich der gutmüthige Capitän nicht überreden lassen, ein Dutzend Fässer Roggenmehl in Hongkong an einen Landsmann zu verkaufen. Nach eincm elf Fuß laugen Hai wurde vergebens 92 ein Köder ausgeworfen; der Raubfisch war übler Laune, wir hatten ihn im> Schlaf überfahren, möglicherweise roch auch das Salzfleisch am Köder gar zu übel. Am 16. April wurde die Ladung der „Pallas" angegriffen. Diese Verletzung fremden Eigenthums ist nur in äußerster Noth gestattet, aber was blieb uns noch übrig? Die Chinesen hatten ihr „Tschau Tschau" bis auf den letzten V rocken verzehrt, und der Cavitän war verpflichtet, ihnen das Leben zu fristen. So leben wir denn fämmtlich von Neis und Zucker. Den Chinesen lächelte noch gegen Abend das Glück: sie erhäschten drei große Sturmvögel; ich beschränkte mich auf den Genuß des Sonnenunterganges. Das Tagesgestirn versank mit einem Glänze, wie ihn Claude Lorrain so oft und herrlich auf die Leinewand gezaubert; mein malerischer Sinn war fast erlofchen. Von aller ausgebreiteten Leinewand wäre mir ein Tischtuch mit Zubehör die Itebste gewesen. Die große Getränk-Revision am 17. April ergab einen gefährlichen Leck unter den Gin- und Rothiveinflaschen, als dessen Con-sequenz ein Nniversalrausch der Matrosen anzusehen war. Capitän Hartmann hat die Chinesen hinsichtlich unserer Ankunft in San Francisco von einem Tage auf den andern vertröstet; die jungen Damen machen also an jedem Morgen vollständige Galatoilette. Der überaus kunstvolle Kopfputz hält schon die ganze Woche hindurch Stich. Am 18. April kam ein nach Norden steuernder Schooner in Sicht, nach sechs Wochen das erste Schiff. Wir fuchten durch Signale eine Unterhaltung anzuknüpfen, doch bekümmerte sich der Schooner nicht weiter um uns. Unsere Wasserneige reicht nur noch drei Tage, und zugleich tritt vollkommene Windstille ein. Das Klarmachen der Anker und dazu gehöriger Ketten ist ein erfreuliches Zeichen der Nähe des Landes; das Klirren des Eisens klingt wie ein Tedeum. Gegen Abend kam in einer Entfernung von sechsunozivanzig englischen Meilen der erste Streifen in Sicht — Land oder Nebelbank — wer konnte sie fchärfer unterscheiden? Die Chinesen stießen ein lautes und doch wehmüthig klingendes Freudengeschrei aus; leider lagen nur die Faraliones-Inseln vor uns, und wir schwebten bei der heftigen Strömung und Windstille in einer ähnlichen Gefahr, wie angesichts der Votel-Inseln, doch nahm uns der Himmel in seinen Schutz. An« 20. April tauchten endlich die einförmigen Gipfel des GoldlandeZ am Horizonte auf, und nach zwei Stunden näherte sich uns die verhängnihvolle Schwalbe — der Lootse. Ein unübersehbarer Schwärn: wilder Enten begleitet sein Voot, doch feuern wir Alle vergebens. Statt aus Entenbraten besteht unser Mittagessen aus einer Schüssel Kartoffeln, deren uns der Lootse ein Schnupftuch voll verkauft hat. Der Seemann, ein feiner Yankee mit Glacehandschuhen und Lackstiefeln, blickt auf unsere Jammergestalten mit vornehmem Nasenrümvfcn: wir betrachteten ihn wie einen 93 Cherubim. Nur unsere drei Hunde knurren und fletschen die Zähne gegen den neuen Ankömmling. Harry, der Schweineschlächter, rasirt den Cavitän; das Lootsenhonorar, hundertzwanzig Dollars, wird abgezählt; wir machen uns mit zitternden Händen „landfein"; noch eine Stunde, und wir sind — auf der Rhebe von San Francisco. xn, Rencontre. Sa ne lc tau. Das Ende des Opiumschmuggels. Zöllner mit weihen Glacehandschuhen. Der Seeweg der Verlorenen. Hotel Ruß. Neun Thaler für eine Draschkrnfahrt. I>e»«I letter». Land- und Seebeine. Die Bauart von ZiSco. Die goldene Pforte. Grünhorn. Ter Polizeiftern. Die Minenbörsc. Wilder Groll. Spukgeschichten. Die letzten zehn Minuten vor unserer Ankunft hatten nach meinen Gefühlen die Dauer einer Ewigkeit; endlich vernahm ich das tröstliche Klirren der Ankerkette, aber noch einmal sollte uns das Schicksal an seine oft bewährte Tücke erinnern. Gerade in dem Moment, als wir den Anker gehen lassen wollten, rannte mit Strömung, Fluth und Segeln ein gleichfalls ankommendes, viel größeres Schiff, als unsere „Pallas", gegen ihren Vauch. Bei dem taghellen Vollmondschein konnte nur die äußerste Unachtsamkeit der Mannschaft jenes Schiffes das Unglück verschulden. Wir kamen mit dein bloßen Schrecken davon. Noch hatte die „Pallas" etwas Fahrt, Capita« Hartmann griff hastig in das Steuerrad, und der Bauch der vielduldenden „Pallas" wurde nur gehörig geschrammt. Es blieb bei einem gellenden Aufschrei der Besatzung beider Fahrzeuge, dann trennten wir uns. So nahe dem Lande, fühlten wir uns nicht mehr geneigt, über die möglichen Folgen des Rencontres Betrachtungen anzustellen. Am ausgelasfensten, nachdem sie den ersten Schrecken verwunden, waren die Chinesen. Sie schienen nicht geneigt, sich zur Nachtruhe niederzulegen, und benutzten das Licht des Vollmondes zu Domino- und Kartenspiel. Noch niemals sonst hatte ich 'ihren Lieolingsruf Sa ne ke tau! d. h. „ich fchneide Dir den Kopf ab", so oft und so laut gehört. Sie bedienen sich dieser Redensart in Augenblicken freudiger Erwartung, wie die Römer des herkömmlichen: 8ia amnia^ato! am letzten Tage des Carnevals, wenn das Anzünden und Ausblasen der Moccoli beginnt. Immerhin eine wunderliche Uebereinstimmung in den primitiven Gefühlen beider Völker, wo es darauf ankommt, einen Ausdruck des höchsten Frohsinns aufzufinden. 94 Meine Vermuthung: die Chinesen wollten die Nacht durchwachen, wurde am nächsten Morgen bestätigt. Die ganze Sippschaft hatte sich um 1 Uhr auf gut polnisch empfohlen. Nach meiner Landung erfuhr ich das Nähere. Obgleich von 9 Uhr an ein fcharfer Wind blies, die See gewaltig hoch ging und die „Pallas" einen zweiten Anker ausgeworfen hatte, langte eine Stunde nach Mitternacht ein großer Kutter aus der Rhede an, den fämmtliche Chinesen, mit ihren Opiumvorräthen beladen, bestiegen. Die Weiber hatten die Pakete unter den Kindern, die Männer in ihren weiten Beinkleidern verborgen. Eine Meile nordwärts von San Francisco waren sie in der Hoffnung, die verbotene Waare von hier aus leichter einschmuggeln zu können, an Land gegangen, aber den achtsamen Zollwächtern in die Hände gerathen und verhaftet worden. Sie verfielen Alle verhältnißmäßigen Geldstrafen, der höchsten mein seltsamer Cabinennachbar, der Particulier. Noch am andern Morgen wurde untcr feiner bodenlos verschmutzten Bettstatt eine Opiumkiste von fünfzig Pfund Gewicht gefunden und von den norbamerikanischen Zöllnern, mit Befchlag belegt. Sie hatte in der Nacht nicht mehr fortgeschafft werden können. Die Beamten des Steuerbüreaus statteten uns ihren Besuch schon um 6 Uhr Morgens ab. Die Herren waren echt gentlemännisch mit schwarzen Fracks und weißen Glacehandschuhen angethan und benahmen sich dem entsprechend. Ich erinnere mich nicht, trotz aller kalten Höflichkeit, jemals von Zöllnern glimpflicher behmdelt zu fein. Die Stunde des Abschieds von unserer Schönen rückt heran, sie hat ihre umfangreichste Crinoline und spanifches Costüm angelegt und empfängt die letzten Huldigungen, mit denen wir jetzt freigebiger sind, als während der ganzen Neise. Der erste Steuermann und der Schiffsschreiber, die sie ersuchte, ihrer eingedenk bleiben zu wollen, hatten noch im letzten Augenblick das Unglück, der Schönen äußersten Unwillen zu erregen. Ersterer hatte einen Knoten in den Zipfel seines Taschentuches geknüpft. Letzterer einen Vermerk in seiner abgenutzten Brief» tasche gemacht; ich verabschiedete mich von ihr mit einem biedern Händedruck. Der Anblick, als die kokette Wittwe die Schiffstreppe hinab in das Boot stieg und der Wind ihre Crinoline wie einen Ballon aufblies, war äußerst pittoresk. Das anne Wesen stieß eiüen schrillen Iammerschrei aus, als einer der Bootsleute, der Aufrechthaltung des Decorums beflissen, das nahe Ruder ergriff und die aufgebauschten Gewänder damit an der Schiffswand plattdrückte. Mein Abschied von Capitän Hartmann, dem Schisssschreiber und den Steuerleuten war kurz für die lange Freundschaft. Der Chef verspricht mir zur dauernden Erinnerung an unsere gemeinsamen Erlebnisse die Photographie seines Hundes Nelson. Ehe ich meinen Effecten in die Schaluppe folge, die letzte Aufzeichnung in meinem Tagebuche'. Die Wasserstraße zwischen 95 China und Californien, gleichviel ob von Osten oder Westen her, befördert überwiegend den Abschaum der Menschheit; ich möchte sie denSeeweg der Verlorenen nennen. Hongkong und San Francisco sind Fontanelle für die Entfernung der nichtsnutzigen Elemente von Asien und Amerika. Am 22. April, um 10 Uhr, verließ ich nach dreimonatlicher Gefangenschaft das Unglücksschiff und betrat zwanzig Minuten darauf den Landungsplatz. Die Gesellschaft von Dienstmännern, die dem Ankömmlinge hier ihre Handleistungen anbot, war nicht zutrauenerweckend. In den geflickten und verschossenen Hemden, mit verworrenen, tief in die Stirn hängenden Haaren und in Wasserstiefeln mit durchgescheuerten Sohlen, glichen ihre Mitglieder Straßenrändern, Strauchdieben oder Landstreichern, die den Händen der Sicherheitsbehörden kaum entwischt waren. Das saubere Corps brüllte mich in allen Sprachen Europas an und suchte sich ohne Weiteres meiner Effecten zu bemächtigen. Es war für mich ein lehrreicher Vorgeschmack des tollen Völkergemisches im Goldlande. Gefährlicher als diese zweideutigen Person-lichkeiten erschien mir ein Rudel Bulldogs, das knurrend und die Zähne fletschend in das Gebrüll seiner Gebieter mit einstimmte und Lust haben mochte, über mich herzufallen. Jeder der verunglückten Goldgräber war von einem dieser Hunde begleitet, dem einzigen Freunde, der ihm im Leben geblieben war und noch jetzt im Paradiese der Kehlabschneider seine nächtliche Ruhe überwachte. Der Bootführer gewahrte meinen Widerwillen, mich und meine Habsetigkeiten einem diefer verdächtigen Kerle anzuvertrauen, er schaffte einen Fiaker herbei, und eine halbe Stunde nach dem Abschiede von der „Pallas" standen meine Koffer in einem eleganten Zimmer des Hotel Ruß. Für die Boots- und Fiakerfahrt zufammen hatte ich den californischen Preis von neun Thalern erlegt. Unter stillen Betrachtungen über das unbedingt richtige Princip der Nordameritaner: jeden aus Asien und Europa anlangenden Fremdling fo lange für einen Hallunken zu halten, bis er durch sein Betragen das Gegentheil bewiesen, genoß ich nach vier Monaten zum ersten Mal wieder den Comfort eines wohleingerichteten Waschtisches, krnstall-hellen Wassers und blendend weißer Handtücher. Die köstlichen Güter der Civilisation lernen wir erst in barbarischer Gesellschaft schätzen. Noch vor der Thür des Hotels hatte mich ein Kerl in zerschlissenen Kleidnn, dem die rothen Haare zolllang aus dem baufälligen Filz, die Zehen aus den Stiefeln hervorguckten, mit frecher Stirn gefragt, ob unfer Schiff heirathsfähige Frauenzimmer an Bord habe, er sei bereit, sie in den Goldminen auf der Stelle an den Mann zu bringen. Der Himmel hatte sich gegen Mittag verfinstert, es wehte vom stillen Ocean heftig in die Bai, das Netter hielt mich nicht ab, nach der Post zu gehen und nach zio^tL ro»t2Qto. Briefen von den Meinigen in Europa zu 96 fragen. Schon vor geraumer Zeit hatte ich sie gebeten, alle ihre Mittheilungen nach San Francisco zu adressiren. Sie kamen dergestalt auf dem kürzesten Wege in meine Hände. Wie erfchrak ich, als der Postbeamte mir auf meine Frage entgegnete: es seien leine Vriefe vorhanden! In meiner Betrübniß und geschwächt durch die Entbehrungen der langen See-reife mußte ich mich an dem Thürpfosten festhalten, um frifche Kräfte zu fammeln. Was war in der tzeimath geschehen? Welches Unglück hatte die sonst so gewissenhaften Correspondents, Mutter und Geschwister, zu gleicher Zeit betroffen? Einige ruhige Erwägung belehrte mich, daß hier ein Irrthum obwalten müsse, ich wandte mich mit eindringlichen Bitten an einen zweiten, dritten und vierten Postbeamten, und endlich nach anderthalb-ftündigcn Nachsuchungen wurden wirklich in dem Fach der todten Briefe (ä«aä letters) fünf Schreiben mit den Poststempeln Danzig und Stettin gefunden. Die hiesige Postbehordo hat die unsinnige und für einen so wichtigen Knotenpunkt des Weltverkehrs verderbliche Angewohnheit, alle poste re^tanto-Briefe, die nach fechs Wochen nicht abgeholt werden, für todt zu erklären. Ich kehrte beruhigt nach Ruß' Hotel zurück, vertiefte mich nach einem tresslichen Diner in die Vriefe meiner Lieben und legte mich zeitig zu Bette. Eine unwiderstehliche Sehnsucht nach einem feststehenden Lager lieh mich nicht die Nacht erwarten; zudem empfand ich eine mir unerklärliche Müdigkeit. Mir war zu Muthe, als hätte ich sechs deutsche Meilen Zu Fuß zurückgelegt, und doch .lag das Postgebäude höchstens zehn Minuten uom Hotel entfernt. Die einzige Ursache konnte die verlorene Uebung sein, auf dein festen Erdboden sicher aufzutreten. Im Gebrauch der „Seebeine", wie das Schiffsvolk sich ausdrückt, hatte ich eine feltene Virtuosität erlangt. Mochte das Schiff noch so gewaltig schlenkcn oder stampfen, meine tägliche Promenade auf Deck war dadurch niemals verhindert worden; hier auf dem Festlande hatte mich schon nach den ersten zehn Schritten ein Schwindel, ein den Anfängen der Seekrankheit ähnliches Gefühl überfallen. Der Boden unter meinen Füßen erfchien mir unsicher, das dem Menfchen angeborene Bewußtsein des Gleichgewichts in seiner aufrechten Haltung war mir abhanden gekommen oder doch verwirrt; ich mußte erst allmälig wieder in den Besitz der „Landbeine" gelangen. Eine Besserung des unbehaglichen Zustandes trat selbst nicht ein, als ich mich auf dem Lager ausstreckte und die Äugen schloß. Ich hatte auf einen erquicklichen Schlaf gerechnet, aber von fünf zu fünf Minuten fuhr ich empor, die Fundamente des Hauses schienen zu schwanken, und in fieberhafter Aufregung griff ich um mich. Zuweilen glaubte ich das Knarren der Raaen, das Klatschen der Segel zu hören. Erst nach mehreren Tagen, als auch meine 97 Gangart ihre frühere Festigkeit wiedergewonnen hatte, verloren sich diese Nachwehen. Sehr viel trug dazu große Mäßigkeit in Speise und Tran! bei. Am nächsten Morgen machte ich mich langsam auf den Weg und nahm die Stadt in Augenschein. Wie die nordamerikanischen Freistaaten die „Staaten", wird San Francisco schlechtweg von den Einwohnern „Zisco" genannt. Der Ort liegt amphitheatralisch ansteigend auf mehreren betracht-lichen, aber rattenkahlen, sonnverbrannten Anhöhen und in malerischen, bis an die Bai reichenden Schluchten. Tie letzten Hütten stehen schon auf Pfählen einige Fuß hoch über dem Seewasser. Tie Iahl der Einwohner betrug im Jahre meiner Anwesenheit viermalhunderttausend, ist aber seitdem nach übereinstimmenden Meldungen auf eine halbe Million gestiegen. Die Vauart Ziscos ist das bunteste Gemisch aller Architekturen, die es auf Erden geben mag. Die Häuser scheinen, wie die hier wohnenden Menschen, aus allen Weltgegenden zusammengelaufen zu sein. Neben tempel- und palastartigen Gebäuden stehen Strohhüttcn und Schweineställe, hier glaubt man die Erdhöhle eines Grönländers, dort eine italienische Villa, ein Chalet oder eine Pension des Verner Oberlandes vor sich zu haben. Wären die meisten Häuser nicht durch allerlei Ungeheuerlichkeiten und die crassesten Abschweifungen in's Phantastische verunstaltet, ein angehender Architekt fände hier ein Album der Baustile, wie keine Kunsthandlung ihm ein gleiches bietet. Ueberall begegnet man Anläufen in's Byzantinische, Gothische, Griechische oder Aegyvtische. Der architektonische Eindruck ähnelt dem eines Narrenhauses. So fand ich rechts und links von ciner beinahe im chinesischen Geschmack erbauten katholischen Capelle eine Grog-Spelunke und ein offenes Atelier, in dem Neger Schuhe und Stiefel putzten. In einem folchen Wirrwarr der Nacen und Individuen macht sich das Bedürfniß fühlbar, stets handgreiflich an die eigene Nationalität erinnert zu werden. Auf jedem Dache steckt eine Flaggenstange, und selten vergeht ein Tag, an dein nicht das Banner mit den Nationalfarben des Wirthes im Winde flattert. Aehnlich verhält es sich im Hafen. Nach den von den Masten herabhandenden Flaggen ließe sich ein Verzeichniß aller seefahrenden Völker anfertigen. Nur die von den Mannschaften der Gold-gräberei wegen verlassenen Schisse liegen abgetakelt und unbewimpelt am Gestade. Der Anblick dieses Ensembles mit den dahinter hervorblickenden, in der Bai zerstreuten, spärlich bewachsenen Inselchen und nackten Felsen ist von einem erhöhten Punkte aus gar malerisch. Letztere werden von Myriaden von Seevögeln bewohnt, die hier für Guano-Niederlagen der Zukunft sorgen. Durch die massenhaften weißen Ausscheidungen der gefräßigen Thiere hat das Gestein ein kreideartiges Aussehen gewonnen. Das Panorama schließt mit den Klippen der sogenannten goldenen Pforte, ocr Einfahrt in die weit Hildcbrandt's Reise um die Erd«, lll. ' 98 ausgedehnte Bai von San Francisco. Dem Namen der Schwelle Californiens entsprechen auch die Namen der Straßen. Ich nenne nur die Goldminen?, Silberminen-, Handels-, Kaufmanns-, Geschäfts- und Stille Occanstraße, nebst den Inschriften folgender Schilder: „I. W. Stevens, Doktor für Priuat-kranlheiten" — „Auguste Köhler giebt Unterricht ii» Tanzen und Singen" — „Ladewig Kielmeuer, deutscher Schuster, bessert auch aus" —„Polka-Kaffeehaus" — „Pacific-Bicrhalle" — „Isidor Hirsch, lederner Handschuhfabrikant". — Nenn man in den Straßen stille stehen bleibt, wird man sogleich von Nettlern angesprochen. „Sie werden entschuldigen," sagte ein schäbig gentiler Teutscher zu mir, ohne eine Miene zu verziehen, „wenn ich Sie um eine Unterstützung ersuche, aber ich habe seit zwei Monaten nichts gegessen." Diese Behauptung erschien keineswegs unglaubhaft, wenn man den penetranteil Alkoholgeruch, den der darbende Landsmann ausdünstete, in Anschlag brachte; in Bezug auf die Stillung seines Durstes hatte er gewiß nicht so lange unter gleichen Entbehrungen zu leiden gehabt. Ich verabreichte ihm die kleinste hiesige Münze, ein Bit, ihrem Werthe nach unserem Fünf-Silbergroschcn-Stück gleich, der Unbekannte hielt es nicht der Mühe werth, mir für die geringe Gabe zu danken. Am Frühstückstisch des Hotels machte ich eine interessante Bekanntschaft. Meine Nachbarcn waren ein Hamburger Schiffscavitän in Begleitung seiner Frau und Kinder. Die Familie hatte sieben Jahre in den Gewässern zwischen Calcutta, Australien, Hongkong und San Francisco zugebracht und alle sechs Kinder waren auf hoher Sce geboren worden. Der noch junge Seemann bildete eine seltene Ausnahme von der Negel. Die Gesellschaft der Frau hatte veredelnd aus seine Sitten eingewirkt, und zum erstell Wale seit geraumer Zeit wurde die Morgenunterhaltung nicht durch Flüche gewürzt. Noch mehr überraschte mich der Anblick der Mutter und ihrer Kinder, wenn sie einander in die Arme fielen und zärtlich liebkosten. Anderthalb Jahr hatte ich nicht mehr gesehen, wie eine Mutter ihr Kind küßt. Den Chinesen und Japanesen ist der Kuß vollkommen unbekannt. Unser trauliches Gespräch wurde durch einen Kellner des Hotels unterbrochen, der die Dienste eines Lotterie-Collecteurs versieht und Loose eines an der Hcmvtwcmd des Saales hängenden Gemäldes ausbietet. Das Bild ist, wie die seltensten Meisterwerke des Mitteilliters, durch eine Glasplatte geschützt und stellt ein Stillleben vor: die „in Umfang, Farbe und Dauerhaftigkeit garantirts Covie des unsterblich-lichen Preisbildes von T. Brown u. Comp. in Sacramento." So drückte sich wenigstens der Lotterie - Collecteur aus. Ich lehnte den Ankauf eines Looses ab. Die Copie war fo tief im Ton gehalten, daß sie meinen farbenfreudigen Sinn beleidigte. Man glaubte in einen glänzenden Lackstiefel zu blicken. 99 Unser Hotel selber ist über alles Lob erhaben. Gleich dem Hotel „Louvre" in Paris bildet es ein selbstständiges Geviert, dessen Erdgeschoß aus stattlichen >>!äden und Officinen besteht. In allen Dingen herrscht die grüßte Sauberkeit, und das mit Spitzen besetzte Bett wird täglich frisch überzogen. Dennoch habe ich nie billiger gewohnt, niemals eine bessere Verpflegung genossen. Die Tagespension für ein Zimmer mit Schlafcabinet und vier Mahlzeiten ercl. Wein beträgt nur vier Dollars, ein im Vergleich mit dem geringen Werthe des Geldes in San Francisco ungläubig niedriger Satz. Tie Küche war im „Cafe anglais" oder im „Maison doi^e" zu Paris nicht feiner. Den Priestern des Gambrinus kann ich nicht gleich Gutes nachsagen. Ich war der Versuchung erlegen und in ein deutsches Vierhaus getreten. Das mir credenzte Gefäß glich einer Tulpenknospe, war aber nur zu ;wei Dritteln gefüllt. Als ich dem Wirth dafür ein Stück Geld im Nerthä van zehn Eilbergroschen reichte, gali er, obgleich das Getränk nur die Hälfte kostete, nichts heraus; der wackere Landsmann hatte mich für ein „Grünhorn" sNeuling) gehalten. Auf meine englische Anrede griff er unter vielen Entschuldigungen in die Tasche; er wollte die Münze verkannt haben. Die hiesigen hohen Miethen mögen den armen Landsmann nöthigen, jeden kleinen Neben-gewinn wahrzunehmen. Eo zahlt 5. V. der Pächter des Hotel Ruß prä-numerando monatlich zweitausendfünfhundert Dollors Miethe. Das Tragen van Ordensdecorationcn ist in den Vereinigten Staaten nicht üblich, ich wurde daher i,l gerechtes Erstaunen ve'setzt, als ich, immer an lebhaft besuchten Straßenecken, Gentlemen von rüstiger Haltung bemerkte, auf deren linker Brust ein Stern schimmerte. In einiger Entfernung glich das Ordenszeichen dem Stern des Nöthen Adlerordens erster Klasse, und ich griss mehrmals in dem Glauben, mit einem hochgestellten Mitbürger, den der Wechsel der Ereignisse nach Californien geführt, in Berührung zu kommen und eifrig darauf bedacht, keinen Verstoß gegen die gute Sitte zu begehen, nach dem Hute, als ich meinen Irrthum entdeckte. Der Stern ist hier zu Lande nur das Abzeichen des Polizeibeamten im Dienst. Verzeihlicher war ein anderer Irrthum. Vor einem umfangreichen Gebäude wimmelte eine unübersehbare Menschenmenge und verhandelte untereinander in den verschiedensten Sprachen der Welt mit einer solchen Leidenschaftlichkeit, daß ich einen der Einstellung der Vauthätigkeit am babylonischen Thurm ähnlichen Vorgang zu erkennen glaubte. Einer der strolchartigcn Loafer und Nunner belehrte mich eines Besseren; das Gebäude war die Min endorse, das Publikum bestand aus Goldgräbern und den Abnehmern der kostbaren Waare. In Gesellschaft des Hauptuerwalters vom „Hotel Ruß" unternahm ich eine Spazierfahrt nach der alten spanischen Mission Dolores. Dic Kirche ist im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts im bekannten Stil der Jesuiten G 7* 100 erbaut, enthält aber weiter nichts Sehenswürdiges. San Francisco wird init der Mission durch einen Dampf-Omnibus verbunden, denn unweit der Kirche befindet sich ein beliebter Vergnügungsort. Hier traf ich die ersten Bäume in Kalifornien, einige verkommene Weiden, und das Local hat diefer Merkwürdigkeit wegen den Namen ,^viI1an^ erhalten. Uebrigens herrscht diese Sterilität der Vegetation nur am Küstenstrich, einige Meilen weiter landein wächst gigantisches Nadelholz in seltener Fülle. Das Willows-Etablissement war ein „wilder Kroll" mit Fontainen, Carroussel, einem kleinen Theater und Schießplatz; wir verliehen es nach einer flüchtigen Besichtigung und erkletterten einige Eandberge, auf deren höchstem ein Franzose eine Nierhalle angelegt hatte. Der Besuch der Mission und des Vergnügungslocals muß sehr stark sein, denn einige hundert Schritt weiter lag das Brauhaus und die Kneipe eines Original-Baiern. Die Corpulenz des Wirthes, seiner Frau und Tochter legte Zeugnis; ab für den Gehalt seines Getränks. Mein Begleiter hatte eine beträchtliche Quantität desselben zu sich genommen und hielt deshalb nach unserer Rückfahrt für nothwendig, als niederschlagendes Mittel eine Flasche alten Rheinweins darauf zu setzen. Der gute Iankee, ein geborener New - Iorker, war ein Schwärmer für deutsche Weiber und deuschen Wein; ich warnte ihn vergeblich vor einem ferneren Exceß. Der Preis der von uns geleerten Flaschen betrug acht Thaler, aber die Sorte war wirklich ausgezeichnet, nur überwältigend stark. Ich hatte auf der Excursion Feldstuhl, Mappe und Handwerkszeug mitgenommen, kam indessen ohne die geringste Ausbeute nach Hause Zurück. "Abends besuchte ich ein Concert in Minstrels Hall, in dem sich cm Violinspieler und Fräulein Simonsohn, eine fertige Coloratursängerin, beide Deutsche, hören ließen. Die anwesenden Yankees benahmen sich im Ganzen anständig, nur ihre zwanglose Art, um fich zu spucken, war empörend. Hätten sich die Herren durch jahrelange Nebung nicht cine so außerordentliche Fertigkeit in diesem Sport angeeignet. Niemand vermöchte in ihrer Gesellschaft auszuhalten. Der Aankee legt sich zu Vett, liest sein Abendblatt und — spuckt zuletzt das Licht aus. In den Gastzimmern ist das Ausspucken des Lichts sogar ein beliebter Gegenstand von Wetten. Mehrere der Zuhörer im Concert zogen Messer und Hol;-stücke aus der Tasche und vertrieben sich die Zeit mit Schnitzereien. Ein bedenklicher Mangel an Taschentüchern befremdete mich auch in dieser Gesellschaft. In San Francisco fand ich nur Personen, die in Europa gewesen waren, im Besitz dieses Toilcttengegcnstandes. Ich erkannte sie stets an dem demonstrativ aus ihrer Rocktasche herabhängenden Zipfel. Am Sonntag weidete ich mich an dem Anblick der wundcrlieblichen amerikanischen Kirchengängerinnen, der Frauen und Töchter reicher Einwanderer aus den Hauptstädten der Vereinigten Staaten. Minder erbaulich waren die 101 Gotteshäuser, scheunenartige, aus Holz errichtete Räume oder liederliche Constructe aus Backsteinen im Vaukastenstil; ein dringendes Bedürfniß nach Kirchen scheint im Goldlande noch nicht vorhanden zu sein. Die Sonntags-feier selber wird nicht mit englischer Rigorosität aufrecht erhalten. Der Koch im Hotel hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben, die zahlreichen Gäste zufrieden zu stellen; die Promenaden waren bei dem frischen Hauch der nervenstärkenden Seeluft sehr besucht, und ich machte mir kein Gewissen daraus, den ganzen Tag müßig im Freien zuzubringen und mich im Gebrauch der „Landbeine" zu vervollkommnen. Die sociale Frage. Von der Kanzel zum Hackmesser. Eiserne Häuser. Knüppeldämme. Die Troschtentour drei Thaler. Im Latter-Viertcl. Nur bei Nacht. Criminalistische Lharaltcrtöpse. Milchsupfte mit Austern. Milch statt Wein. Firen und «Tmart. Am Waschfaß. Vanlee-Hüflichleit. Tie Üagcrbier-Mamjellen »on San Francisco. Wohl schon so Manchem ist in Stunden einsamen Nachdenkens die ernste Frage durch den Kopf gegangen, in wiefern die gesellschaftliche Entwickelung des menschlichen Geschlechts den ihm angeborenen natürlichen Eigenschaften angemessen, und ob nicht eine Reformation, wie sie die großen Socialisten der Vergangenheit geträumt haben, billig und möglich sei. Unzweifelhaft ist, daß diese Umgestaltung der irbischen Klassenordnung nicht mit gewaltsamer Hand bewerkstelligt werden darf, daß sie vielmehr den im Dunkeln arbeitenden lebendigen Kräften der Menschheit anheimzustellen sein möchte. An verschiedenen, weit auseinander gelegenen Punkten des Erdballs habe ich durchaus von den unsrigcn abweichende Bedingungen des socialen Organismus zu bemerken geglaubt und halte daher eine Neubildung auch der diesseitigen Gesellschaft auf historischem Wege nicht für unmöglich. Gewiß ist, daß in San Francisco, diesem Krystallisations-Ccntrum eines Staates der Zukunft, Spuren der beginnenden Reorganisation und Umkchr der socialen Pole vorhanden sind. Das Urtheil der Geschichte wird zunächst an ausgeschiedenen Atomen der alten Gesellschaft vollstreckt. Die in Europa für Staub gehaltenen Samenkörner keimen hier in dem Acker der freien Arbeit von Neuem und treiben frische, fröhliche Blüthen. Männer, welche auf unserem kleinen Continent mit der Gesetzgebung, sei es durch Uebertretung politischer oder unpolitischer Bestimmungen, in Conflict gerathen sind, lassen sich die Mühe nicht verdrießen, in Zisco von vorn anzufangen und anderweitigen Spielraum für ihre Talente 102 zu suchen. So mancher Varon oder Graf, bis dahin au? unverzeihliche Weise verkannt, erfüllt erst hier seinen Lebensberuf als Omnibus- oder Droschkenlutscher, Billardkellner, Packträger oder Hausknecht. Aufgewachsen in den Satzungen der alten Welt, an das stolze Selbstvertrauen der bevorzugten Stände gewöhnt, verliere ich hier alle Sicherheit im bürgerlichen Verkehr. Fortwährend bin ich darauf gefaßt, in dem Kutscher, der mir den Wagcu-schlag, dem Eisenbahnbeamten, der die Thür des Coupes öffnet, dem Kellner, welcher dic Whislkarten bringt, einen pseudonym auftretenden Cavalier wiederzuerkennen. Diese unablässige Wandclbarkeit des Schicksale martert den Europäer und wird nur durch die Erwägung erträglich, daß das Loos dieser Schößlinge auf dem Stamm der transatlantischen Genossenschaft ungleich angenehmer ist, als in ihrer übervölkerten Hcimath, Jeder von ihnen erarbeitet täglich wenigstens ein Psund Sterling, eine Summe, von der er in Europa oft, wenn er sie überhaupt besaß, die Bedürfnisse einer ganzen Woche bestreiten mußte. Dein entsprechend erreicht der Lohn der weiblichen Dienstboten, außer Kost und Wohnung, die Höhe von fünfzig Dollars monatlich. Selbst als Steinklopfcr verdient man in der neuen Nclt mehr, als jenseits des Oceans im Schulsache und PrMgernmt. Alan zeigte mir u. A. zwei desertirte Officiere, die unter einem Strohdach vor dem Steinhaufen neben der Chaussee saßen und den Hammer schwangen. Ihr Tngelohn betrug angeblich drei bis vier Thaler. Ein Candida! der Theologie, welcher in Stuttgart mehrmals mit Erfolg gepredigt, hat sich hier auf die Wurstfabrikation gelegt und fabricirt gleichzeitig einen magenstärkenden Bittern. „Was haben mir alle Neden geholfen?" sagte der junge Gottesgclehrte, „meine guten Lehren hat Niemand befolgt, meine guten Würste gehen reißend ab und mein Schnaps bessert, wcnn auch nicht das Herz, so doch den Magen," Tübei strich er wohlgefällig sein rundes Vänchlein, das im Dienste Naals erwachsen war. Ein Verliner Jurist genießt als italienischer Sänger und nebenbei als Trompeter in einem Orchester eine anständige Iahreseinnahme. Or. Curl, früher Archäologc, hatte als Mnengräber kein Glück und eröffnete einen Varbierladcn. Bei einer erklecklichen Uebung, seine bunden im Manuscripten Handel über den Löffel zu barbiren, gelang es ihm rasch, sich die gleiche Fertigkeit im Gebrauch des Schecrmesscrs zu erwerben. Der ehemalige Alterthumssoischer schröpft, schneidet Haare und Hühneraugen, und setzt in seinem Local Blutegel. Viele Personen, die Studirens halber auf deutschen Universitäten gewesen sind, hantieren hier als Korbflechter, Faßbinder und Pfropfcnschneidcr, und andrerseits haben sich Gevatter Schneider und Handschuhmacher in Geburtshelfer, Wundärzte und Ouecksilberdoctoren verwandelt. Ein merkwürdiges Symptom des gegenseitigen Vertrauens ist der 103 Gebrauch, daß Jedermann die von ihm beanspruchte Lieferung oder Leistung eines Andern pränumerando bezahlen muß. Der Viertrinker erhält sein halbes Maß erst, nenn das „Vit" (die kleinste Münze, 5 Silbergroschen) in der Tasche des Wirthes erklingt, aber auch die Wehemutter geht nicht eher an's Werk, als bis das Eintrittsgeld für den erwarteten Californier auf den letzten Heller erlegt ist. Meine Promenaden durch die Straßen der Stadt sind auch hier eine unerschöpfliche Quelle der Velehrung. Vei den schlechten Löschanstalten sind die von New-Iork eingeführten eisernen Häuser stark in Aufnahme gekommen, sie gewahren, so unscheinbar ihr Aussehen ist, noch die meiste Sicherheit und trotzen auch den Erderschütterungen besser, als mehrstöckige steinerne Gebäude. In den letzten Jahren will man eine Vermehrung der vulkanischen Phänomene beobachtet haben. Das Straßenpflaster hat sich noch nicht über die ersten Anfänge erhoben. Nur wenige Straßen sind theilweise und dann auch nur mangelhaft gepflastert. Der Bürgersieig in anderen ist mit Bohlen belegt, die aber zum geringeren Theile unversehrt sind und unausgesetzte Aufmerksamkeit des Fußgängers verlangen, wenn er nicht Hals und Veine brechen will. Gewöhnlich ist man genöthigt, langsam durch tiefen Sand zu waten und sich nur vor heimtückischen Löchern zu hüten, die absichtlich mitten im Wege gegraben zu sein scheinen. An einzelnen Stellen habe ich Knüppeldämme gefunden, wie sie in den Dörfern der preußischen Niederung üblich sind. Die hohen Forderungen der Fiaker von San Francisco werden durch die Un-wegsamkeit der Straßen einigermaßen entschuldigt. Man muß für die einzelne Tour, und dauerte sie nicht länger als fünf Minuten, drei Thaler erlegen, ich habe daher stets vorgezogen, wenn ich für meine Malerstudien mich eines Wagens zu weiteren Ausslügen bedienen wollte, denselben gleich für den ganzen Tag zu miethen. Der Preis betrug dann nur sieben und einen halben Thaler. Das herrliche Klima erleichtert jedoch auch die anstrengendsten Fußwanderungen. Täglich von ÜO bis 4 Uhr weht eine kräftige Vrise, die allerdings zeitweilig in der Stadt den Staub thurmhoch aufwirbelt, zugleich aber die Atmosphäre gründlich reinigt. Von 4 Uhr Nachmittags an legt sich der Wind, und man glaubt nur die sanften Athemzüge des entschlummernden Stillen Oceans zu spüren. Diese aromatische Seeluft emzuathmen ist einer der höchsten irdischen Genüsse. Von allen Amerikanern, die ich darüber befragt, werden die Städte San Francisco und Valparaiso für die gesundesten Orte des ganzen Welttheils gehalten. Sobald ich den aristokratischen Theil der Stadt kennen gelernt, war ich darauf bedacht, mich nun auch in dem Lotter-Viertel, den Ouartierm der Gauner und Lumpen, zu orientieren. Der geeignetste Cicerone auf einer solchen Wanderung schien mir ein Schiffscapitan zu sein; ich bat daher meinen 104 Tischnachbar, der eine ungewöhnliche Bekanntschaft mit hiesigen Zuständen verrieth, um seine Führerschaft. Der würdige Seemann war dazu bereit, doch drang er in mich, den Einbruch der Nacht abzuwarten. Nur um diese Zeit habe er die großen Handelsstädte durchwandert. Er wolle mich im Stock» finstern in London so gut wie in Calcutta, Rio de Janeiro, Swinemünde, Aeddo, Bombay oder New-Iork umhcrführen; bei Tage wisse er nirgends Bescheid. In Betracht der Lebensweise bewährter Seemänner sand ich diese Beschränkung seiner Wissenschaft begreiflich, wollte mich jedoch, da die Nacht keines Menschen Freund ist, gerade in dieser übel beleumundeten Weltstadt seiner Führerschaft nicht anvertrauen. Ich trug daher meine Bitte zwei jungen nordamerikanischen Seeoffickren vor und wurde erhört. Nach dem Ti"in des nächsten Tages traten wir unsere culturhistorische Wanderung an. So sehr ich bcdaure, Angehörigen christlicher Volksstämme eine üble Nachrede zu machen, darf ich doch nicht verschweigen, daß die Hefe von Tan Francisco Alles hinter sich zurückläßt, was mir bis dahin von dem Auswurf der verschiedenen Racen, auf Erden vorgekommen war. Ist doch der Reisende nicht berechtigt, von. barbarischen Nationen Züge der Humanität und feineren Gesittung zu erwarten. Wenn er aber in ein ganzes Stadtviertel geräth, dessen Insassen durchweg hinter die Schule und Kirche gegangen zu sein scheinen, wird man ihm einige menschliche Verzagtheit nachsehen. Um den bezeichnenden Namen dieses merkwürdigen Gesindels bin ich wahrlich in Verlegenheit. San Francisco ist die ultima ^kuie der europäischen Vagabondage, der Inbegriff alles dessen, was durch die Gährung des civilisatorischen Processes ausgeschieden, aber dem strafenden Gesetze entgangen, sich an dieser fernen Küste abgelagert hat. Die Natur behauptet selbst in den untersten Klassen der Gattung „Mensch" noch immer eine gewisse Würde und Reinheit des Gesichtsausdrucks; Physiognomien, wie ich sie hier erblickte, sind nur Erantheme einer überreizten Civilisation. Drei- bis viermal fuhr ich entsetzt zurück, wenn aus den kleinen Fenstern der Hütten Kerle criminalistische „Eharakteitöpfe" steckten, wie sie mir noch nie ;u Gesicht gekommen waren. Häufig wurden wir von diesen Vassermann'schen Schreckensgestalten angebettelt, aber meine militärischen Begleiter warnten mich ernstlich, die Börse zu ziehen, wenn ich mich nicht den größten Unannehmlichkeiten aussetzen wolle. „Viele dieser Kerle," sagte Lieutenant Phillips, „könnten Ihnen nöthigenfalls eine Banknote von zehn Pfund Sterling wechseln." Die Mehrzahl hatte, nach den Behauptungen der Officiere, Anwartschaft auf den Galgen, die minder bescholtene Minorität auf fünfundzwanzig Jahre Zuchthaus. Ein ordentliches Polizei- und Gerichtsverfahren besteht in San Francisco erst seit verhältnißmäßig kurzer Zeit, und man sollte meinen, ein Beisammensein von Menschen fei vorhcr überhaupt unmöglich gewesen; dennoch hatte sich das Volk zu helfen 105 gewußt. Ohne viel Federlesen zu inachen, wurden Straßenräuber und Mörder, auf frischer That ertappt, gleich au den nächsten Laterncnpfahl oder hervorspringenden Valken gehängt. In den Minenbezirken ist dieses Verfahren noch heute an der Tagesordnung. Nach kurzer Zeit hatten wir genug gesehen und lehrten um, froh, uns wieder unter ehrlicheil Gesichtern zu befinden. Wir rasteten in einem Kaffeehause, das den stattlichen Namen „iiüttstlerhalle" führte, denselben jedoch durch nichts weiter als die Anwesenheit des „Kladderadatsch" und die Zeichnungen meines Freundes Wilhelm Scholz rechtfertigte. Wahrscheinlich hat noch niemals ein Leser das lustige Blatt mit ähnlichen Empfindungen in die Hand genommen. Zwischen mir und den liebenswürdigen Mitarbeitern la^en gen Osten oder Westen Zwei Welttheile — zwei Oceane — das Weinen war mir näher als das Lachen. Ich hielt das Blatt noch in der Hand, als ein fliegender Händler eintrat. Er trug an einem breiten Riemen einen Kasten vor sich her. Anfangs glaubte ich, derselbe sei mit wohlriechenden Essenzen, Seifen, Räucherkerzen, Nadeln und Zahnstochern gefüllt; der Kasten enthielt indessen nichts weiter als allerlei Sand-, Stein- und Geröllvroben aus den Minen, und sein Träger war der Agent von Landbesitzern in dem Bezirk der Goldgräber«. Meine Herren Begleiter versicherten, daß dergleichen Proben oft mit großer Kunst angefertigt würden, um bemittelte Neugierige hinter das Licht zu führen und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Selbst meiner Unerfahrcnheit schien es höchst verdächtig, daß an jedem Stück das gediegene Gold stets an einer sich vorthcilhaft präsentirenden Stelle zu Tage trat. Nir kamen rechtzeitig zum Diner in unser Hotel und brachten, Dank der unvergleichlichen Seeluft, einen tadellosen Appetit dazu mit. An zwei in der Längenrichtung des Saales gedeckten Tafeln saßen: rechts die Damen, links vom Eingänge die Herren. Nach der Landesfitte von einander getrennt, haben erstere das Vorrecht, begünstigte Gentlemen zur Tafel zu ziehen, d. h. an ihren Tisch einladen zu können. Seitwärts von jeder dieser Tafeln ist noch ein Eingang, der von außen durch Inschriften „für Herren", „für Damen" bezeichnet wird. Herrschte die Sitte anderer Völker, das Mahl durch lebhafte Unterhaltung zu würzen, auch bei den Nordamerikanern, so müßte man sich über die grundsätzliche Trennung der Geschlechter beklagen; die Hast, mit der man hier zu Lande die Mittagskost verschlingt, fast sollte ich sagen: hinabwürgt, denn so Mancher erübrigt kaum so viel Zeit, die Speisen zu kauen, läßt den Gebrauch gleichgültig erscheinen. So weit meine Beobachtungen reichen, übereilen sich alle jene Geschöpfe, welche der Mensch zur Arbeit sich dienstbar gemacht hat, nicht bei ihrer Mahlzeit. Wird das Pferd, der Ochse dabei nicht gestört, so brauchen beide reichlich anderthalb Stunden; in Zisco geniigen zehn 106 Minuten. Während des Diners herrschte eine nahezu unheimliche Stille. Sie wird höchstens durch cincn Yankee, der die neusilberne Gabel, einen Novizen von Kellner, der eine Assiette Nieren 2 In Washington zu Voden fallen läßt, unterbrochen. Den befremdlichen Eindruck der Abfütterungsscene erhöht ein magisches Dämmerlicht, deim die langen dunkelblauen Gardinen werden uor Veginn des Mahles dicht zugezogen. Zwei Gäste bedient immer ein gentlemännisch gekleideter Kellner im schwarzen Frack mit weißer Cravatte. Die ausgezeichnete Kost und die Vielseitigkeit des Koches habe ich schon gerühmt; Fleisch, Fische und Gemüse sind ihrer Dualität nach gleich ausgezeichnet. Wir schreiben den 27. April, und doch kommen täglich riesige Spargel und sogenannte Humboldt-Kartoffeln, grüne Erbsen, Erdbeeren und Himbeeren auf den Tisch. Neben den Finessen der französischen Küche erscheinen auch Nationalgerichte, die wohl verdienten, in Europa acclimatisirt zu werden. Zu den größten Delicatessen gehört eine Milchsuppe mit Austern, doch wollte es mir nicht gelingen, den Koch zur Mittheilung feines Receptes zu bewegen. Zum täglichen Dessert gehörten: kalte Bratäpfel mit Sahne. Am meisten wundert sich der Norddeutsche über die Enthaltsamkeit der Nordamerikaner von geistigen Getränken bei Tisch. Unter zwei- bis dreihundert Personen trinken nur einige Wenige eine halbe Flasche Medoc, die Uebrigen stillen ihren Durst mit Milch' Zwischen zwei Personen steht außer der unvermeidlichen Schale mit Syruv eins zierliche Kanne, gefüllt mit dem ersten Getränk unserer Jugend. Es wird ungemischt oder „halb und halb" mit Eiswasser getrunken. Auf meine Frage nach dcm Grunde dieser Entsagung antwortete man mir, daß die Gentlemen schon im Laufe des Vormittags des Guten so viel zu thun pflegten, daß ihnen nichts mehr übrig bliebe. Dessenungeachtet habe ich nie einen betrunkenen Iankee gesehen, freilich aber auch keinen, der vollkommen nüchtern gewesen wäre. Nach aufgehobener Tafel ziehen sich die Damen in ihre Gemächer zurück, ein schmerzlicher Verlust für die Herren; der Nord-ameiikaner verträgt ihn leichter, als man vermuthen sollte. „Zeit ist Geld", und ein kluger Eingeborener braucht jede Minute, um sie zu versilbern oder zu vergolden. Fortwährend giebt es, um den beliebtesten Nationalauödruck anzuwenden, etwas zu fixen. Der Maler fixt (kxeä) ein Bild, der Baumeister ein Haus, der Koch cm Gericht, der Hausknecht firt die Kleider; das handliche Verbum umschließt den Begriff all.'r erdenklichen menschlichen Thätigkeit. Ein gleich tiefsinniges Adjectivum ist das Wort ,.5mart". Es bezeichnet den annähernd höchsten Grad der Vollendung im Handels-Sport. „Smart" ist, wer ein schlechtes Pferd oder ein invalides Schiff für schweres Geld mit guter Manier an den Mann zu bringen weiß, unter Umständen wird aber der Staatsmann und Feldherr gleichfalls „smart" genannt. ^ouiZ Napoleon hat 107 nach dem Austrage der mexikanischen Angelegenheit unzweifelhaft dieses schmeichelhafte Epitheton in Amerika eingebüßt. Der Yankee bedarf nicht >mr ausgezeichneter Geisteskräfte, sondern auch unausgesetzter Thätigkeit, wenn cr die zahllosen Verpflichtungen cines Hausherrn und Familienvaters erfüllen will. Nordamerika ist das Paradies der Frauen; ob es die Hölle der Männer ist, mögen Andere entscheiden. Viele wirthschaftliche Functionen, denen sich kein Europäer unterziehen würde, wenn er nicht die kostspieligen weiblichen Dienstboten zu bezahlen vermag, liegen dein Manne ob; die Frau Gemahlin krümmt, auf die großstädtische Sitte gestützt, keinen Finger. Ter Ehegatte wäscht und kleidet Morgens die Kinder, er geht oder reitet mit dem Korbe auf den Markt und kocht Kaffee, besorgt den Tag über sein Geschäft und verdient Geld; Abends führt er die Kinder oder Mistreß Schoßhund spazieren. Ob er für die Ausbesserung und Reinigung der Wäsche Zeit übrig behält, vermag ich nicht anzugeben. Nie Kosten der Wäsche, wenn man sie außer dem Hause säubern läßt, sind beinahe unerschwinglich. Für Taschentücher, Hemden, Strümpfe, Leibbinden und Halslragen zahlt man Stück für Stück zwei bis drei Bits, das heißt zehn bis fünfzehn Silbergroschen. Noch vor wenigen Jahren standen die Waschpreise so hoch, daß man eben so weil kam, wenn man ein schmutzig getragenes Hemd auf die Straße warf und ein neues taufte, als wenn man es reinigen ließ. Damals machte mancher „smarte" Aankse ein gutes Geschäft mit dem Einsammeln der weggeworfenen Shirting-hemden. Er sandte sie nach China, ließ sie dort für den sechsten Theil dessen, was in San Francisco dafür gefordert wurde, reinigen und verkaufte sie später als neu. Die Wäscher ließen sich damals für jedes Hemd einen Dollar bezahlen. Die Preise sind zwar beträchtlich gesunken, doch schicken große Haushaltungen ihre schmutzige Wäsche noch immer nach Panama, Aca-pulco und den Sandwich-Inseln. Ter Höflichkeit der Bewohner von San Francisco vermag ich kein Lob zu ertheilen. Ter Verstoß gegen die gute Sitte sei noch so groß; Niemand bittet um Entschuldigung. Ob der Jankee dem Vorübergehenden auf den Fuß tritt, oder ihm mit der Spitze des Regenschirms ein Auge ausstößt, er rennt lautlos weiter. Niemals habe ich einen uon ihnen lachen gesehen. Desto heiterer und lebenslustiger find die Frauen und Mädchen, nur bleiben die gewählteren Kreise der Hauptstadt begreiflicherweise dem Fremden, wenn er nicht die besten Empfehlungen mitbringt, unzugänglich, und ein wenig tiefer hinabzusteigen und Bekanntschaften anzuknüpfen, wird Niemandem gelüsten. Die Zudringlichkeit der weiblichen Bedienung hat mich sogar aus mehreren Vierhallen vertrieben. Die Lagerbier-Mamsells wissen sich immer zu einein Glase Wein oder Limonade zu verhelfen, dessen Kosten der Gast zu tragen 108 hat. Es ist selbst unmöglich, an öffentlichen Orten, wie in Eonditoreien und Speise-Salons, .sich anständigen Frauen zu nähern und eine flüchtige Unterhaltung anzuknüpfen. Ueberall find ihnen besondere Eingänge mit der Ueberschrift „siir Damen" eingeräumt, die für uns hermetisch abgesperrt bleibe?. XVI. „Pallas" auf der Todtenliste. Mincnftiefel und Strümpfe. Die Frühlingßhosc twn Papier. Californischer Humbug. Meisterwerke der Malerei in Kneipen. Doctors Thop. New-V°rter Preise. Keine Haare mehr! Hotel Nuß, ein Zellcngcfängniß. Ein phrcnologischer Arzt. Die italienische Oper und Ernani in Tan Francisco. Ttatt Vouquets: Dollars. Tells Geschoß. Die Gittcrlogc der Üoretten. Goldgräber im ersten Range. Dem schlechten Straßenpflaster San Franciscos halten mehrere Eisenbahnen das Gegengewicht. Sie laufen in den verschiedensten Richtungen durch die Hauptstraßen der Stadt und erleichtern den geschäftlichen Verkehr der Einwohner außerordentlich; der Reisende, dem zunächst an der Freiheit seiner Bewegung liegt, bedient sich ihrer mit geringerem Vortheil. Die erwähnten Schienenstränge werden mit Locomotiuen und Pferden befahren. In dem Frühstückslocale, das ich an einem der letzten Tage des April besuchte, wurde ich durch eine eigenthümliche Zeitungsente überrascht. Auf der Schiffs-Todtenliste des Blattes stand unsere „Pallas". Nie ich schon bei, Gelegenheit der Pout« re^tantL-Vriefe bemerkt habe, macht man mit Corre-fpondenzcn, Menschen und Schiffen in San Francisco kurven Proceß. Der Schnellsegler, der nach uns von Hongkong abgesegelt, aber lange vor uns in Amerika angelangt war, hatte das Gerücht verbreitet: die „Pallas" sei ver» loren gegangen, und die Redaction, ohne nähere Erkundigungen einzuziehen, Schisi, Ladung und Mannschaft ;u den Todteil geworfen. Ich gerieth, da die Nachricht unangenehme Folgen haben konnte, am den Gedanken, die im Ha'en liegende „Pallas" aufzusuchen und den Capitän ;u einer Berichtigung des Falsums zu veranlassen, aber es gelang mir schlechterdings nicht mehr, in dem Gewiihl der Fahrzeuge aller europäischen Nationen das unscheinbare Schiff aufzufinden. Auf dem Rückwege durchkreuzte ich das Viertel der Seemanns-kneipen und glaubte mich bei der Lecture mancher Schilder nach Hongkong zurückverfetzt. Ncberall wurde auf den Geldbeutel des Matrosen speculirt, der eben „ausgezahlt" worden war. Vornehmlich wurden Gegenstände angepriesen, dcren die Goldgräber bedürfe«; die Annoncen und an d.n Schaufenstern aus- 109 gestellten Fabrikate glichen zum Theil Aufforderungen zum Desertiren. Ein Schild pries „Minenstrümpfe" an; dicht daneben wurden „Minenstiefel" feilgeboten; die dicken Sohlen schienen aus Elephantenhaut angefertigt. Die kolossale Fußbekleidung ermunterte einen thatkräftigen Mann förmlich zur Goldgraberei. Junge, reichlich mit Geld versehene Seeleute sind zu Neuerungen in ihrer Garderobe geneigt; dies erhellte aus dein Laden eines Modisten, der Elegants von der Marine die neuesten Beinkleider der Saison anempfahl. Am Schaufenster hing ein Muster des geschmackvollen Kleidungsstücks. Die ..Frühlingshose" — denn der geniale Erfinder unterschied zwischen ihr und der „Sommerhose", als einem zu höherer Reife entwickelten Garderobegegenstande — war vorläufig nur aus Papier angefertigt, konnte aber nach Versicherung des Kleiderfabrikanten sofort in Stoffen realisirt werden. Der Jahreszeit und der Farbe der sich entfaltenden Vegetation entsprechend, von welcher man sich freilich nicht an der Küste, sondern erst im Innern des Landes überzeugen kannte, war die Frühlingshose saftgrün, eine delicate Farbe für Herren, welche nie aufhören, Tabak zu kauen, und sich damit belustigen, den gewonnenen Saft umherzuspritzen. Wenige Schritte weiter stand mitten auf dem Bürgersteig, wenn ich die brüchige Bretterlage so nennen darf, ein alter, zur Disposition gestellter Hut. In dem klauben, er sei durch Zufall dahin gerathen, wollte ich ihn durch einen Fußstoß entfernen, that mir aber dabei so weh, daß mir ein lauter Echmerzensschrei entfuhr. Der Hut war ein californischer Matrosenscherz, und unter demselben ein schwerer zackiger Stein verborgen gewesen! Mit welcher Frechheit das Publikum in den hiesigen Läden geprellt wird, sollte ich zu meinem eigenen Schaden kennen lernen. In dem feuchten Netter der letzten Monate, insbesondere der Seereife, waren meine Rasinnesscr so verrostet, daß sie ihre Dienste versagten und ich mich mit neuen versehen mußte. Der Laden, in dem ich sie kaufte, fah vielversprechend aus, als ich mich aber derselben bedienen wollte, schnitt weder das eine noch das andere; es fehlte nicht so viel, so hätte sich die Schneide an den Bartstoppeln umgelegt. Voller Ingrimm trug ich die Messer zurück, zeigte dem Verkäufer die Spuren des ersten Rasirversuchs an den Klingen und bestand auf einen Umtausch; was antwortete mir der Spaßvogel? Er zuckte fein lächelnd die Achseln und lispelte: „die Messer seien allerdings nicht zum Nasiren angefertigt, sondern nur — zum Verkaufen!" Ich war betrogen. Glücklicherweise hatte ich mich noch nicht mit jener vielgepriesenen Rasirfeife versehen, die nicht allein die Eigenschaft befitzt, den Teint zu verschönern, sondern auch nach jedesmaliger Anwendung die Messer zu schärfen. In den Zeitungen, der „tägliche Demokrat", „die Welt", „der Globus", „die Sonne", „der Stern", „die Goldberg-Zeitung", werden fast täglich 110 Auctionen von Meisterwerken altitalienischer Malerei angezeigt. Der Auctions-Commissarius wirft mit den Namen Raphael, Tizian, Rubens, Vandnt u. A. um sich, und die Waare findet reißenden Abgang. Sie verdient diesen Namen, denn sie wird von einem in England lebenden Maler-Proletariat fabrikmäßig zusammengeschmiert, um den künstlerischen Bedarf der hiesigen Kneipen zu decken. Hinter jedem „Bar" (Ladentisch) in jeder Vierhalle begegnet man einem sechs Schuh hohen, sieben Schuh breiten Oelgemäldc der Potiphar und des flüchtigen Joseph, der Kleovatra, Leda oder Danae, der schlummernden Venus oder irgend einer mythologischen Schönheit, deren bewegtes Leben Veranlassung bot, die Kunst der Carnation zu entwickeln und die Heldin in verführerischen Stellungen zu zeigen. Mit der californischen Kunstkennerschaft ist es nicht weit her; in San Francisco kann man eine „fehlerfreie" Madonna von Raphael (Ausdruck eines Anctionskatalogs) schon für zwei Pfd. Sterling und zehn Schillinge haben. Es kann mir nicht einfallen, nach dem unvergleichlichen Buche des großen Barnum über den „Humbug" Erörterungen hinzuzufügen, die einem Denker von dieser Tiefe gegenüber dem Vorwurf der Oberflächlichkeit nicht entgehen würden; ich beschränke mich auf Anführung von Thatsachen. In Europa schreiten die Verkäufer von Geheimmitteln noch in den Kinderschuhen einher; hier stoßen Doctor«: und Quacksalber in ein und dieselbe Trompete. Dr. C. G. Lew es u. Comv. kurirt in seinen „medicinischen Prioat-Avpartements" jede beliebige Krankheit „in no tim«", soll heißen: in kürzerer Zeit, als irgend einer seiner Herren Eollegen. Dr. Lewes muß außerordentlichen Zulauf gehabt haben, oder das Leiden, gegen welches sich seine Firkur so glänzend bewährt, ist in San Francisco außerordentlich verbreitet, denn in einem ferneren Aushang benachrichtigt er seine verehrten Kunden: „er turirs zu herabgesetzten Preisen". Auf Vornehmheit des Auftretens halten die hiesigen Doctoren nicht sonderlich. Der Arzt empfängt die Lauf-Patienten nicht in seinem Sprechzimmer, sondern im Shop, d. h. im Laden. Die Anfertigung der Arzneien fällt hier mit den wissenschaftlichen Befugnissen der Heilkünstler zusammen, und jeder von ihnen unterhält im Erdgeschoß eine Boutique, in der die verordneten Medicamente sogleich dispensirt und gegen baaren Entgelt ausgehändigt werden. Der Kranke entgeht dadurch sehr vielen verdrießlichen Weitläufigkeiten, doch ziehe ich die vaterländische Trennung des Doctors und Apothekers unbedingt vor. In der Iacksonstraße Nr. 225 kurirt ein Medicus unentgeltlich: er ist mit dem Ertrag des Arzneiverkaufs zufrieden gestellt. Danach wird man sich einen Begriff von der reichen und kostspieligen Composition seiner Recepte machen können. Ich erinnere mich bei dem Anblick dieses Schildes des Doctors in einer kleinen Ostseestadt, der dem Apotheker des Ortes in die Hände arbeitete und mir gegen einen leichten 511 katarrhalischen Anfall ein neun Zoll langes Necept verschrieb, das mit einem Thaler achtzehn Silbcrgroschen honorirt werden mußte. Andere Aerzte empfehlen sich dem Publikum durch New-Iorker Preise. Sie sind also nicht theurer als die Doctoren in der ersten Stadt der Vereinigten Staaten. Vor manchem „Doctor-Thop", auch wohl an der nächsten Straßenecke, hängt das lithographische Portrait des betreffenden Hivpotrates. Auf Dr. Adams u. Eomp. Schilde steht wörtlich: „Keine Zahnschmerzen mehr! O Keine Hühneraugen mehr! Keine Haare mehr! ich sage: keine Haare mehr! denn ich verhindere die Hinterbliebenen am Ausgehen!" Dieser originellen Wendung bin ich öfter begeznet. Ein anderer Charlatan empfahl seine Haarcrhaltungs-Essenz folgendermaßen: „Hunderttausend Dollars Demjenigen, der mir beweist, daß nach meinem Selleric-Ertract Haare wachsen. Nun und nimmermehr sollen nach meinem unsterblichen Mittel Haare wachsen; ich will nur die alten Haare erhalten! Ein Dollar onl)' tne ilaeon!" Wenn ich von meinen ermüdenden Spaziergängen gegen Mittag in das Hotel Ruß zurückkehre, empfängt mich die Stille eines Gottesackers. Alles im Haufe ist musterhaft eingerichtet, und doch vermag ich nicht mich vollkommen heimisch zu fühlen! Ich kann die Schuld nur auf die Bauart und die Gewohnheit der Insassen schreiben. Das Innere des Hotels hat unverkennbare Aehnlichleit mit dem Moabitcr Zellengefängnisse. In den isolirten Gemächern herrscht dasselbe System des Schweigens, ich fühle mich wahrhaft erleichtert, wenn ein vorübergehender Engländer „(ioä ?kvß tlie Hueen," oder ein Amerikaner „Yankee äooäis" auf dem Corridor mißtönend pfeift. Leider thun die Herren mir nur selten den Gefallen, gewöhnlich schleichen sie auf dm weichen^Tevvichen, wie zum Tode verurtheilte Missethäter, lautlos in ihre Zellen. Selbst die schönen Nordamerikanerinnen sind in ihren Gemächern schweigsamer als ihre europäischen Schwestern unter ähnlichen Umständen. Nur äußerst selten erschallt der Ruf einer silbern klingenden Stimme nach Mary oder Polly, den Zimmermädchen, bleiches Schweigen herrscht nach dcm stumm verzehrten Diner im Zeitungslesezimmer. Als ein ältlicher Herr ziemlich vernehmlich eine Havannah-Cigarre forderte, fuhr ich von Meinem Sesscl empor. Am liebsten flüchte ich, da das herrliche Wetter unaufhörlich dazu verlockt, nach den, Mahle in's Freie. Man findet, wenn auch m anderer Hinsicht, immer eine eben so mannigfaltige Unterhaltung, wie auf den Pariser Vouleuards. Nach Mr. Jenkins u. Comv., der in einem der Tageblätter seine Kurmethode anempfohlen hatte, stellte ich ordentliche Recherchen an; es gelang mir nicht, den Wundermann zu ermitteln. Mr. Jenkins bot 112 dem Publikum m der Anzeige nämlich seine thiensch-magnetisch-siMvathetischen Kräfte zur Benutzung an. Er machte sich anheischig, ohne Anwendung irgend welches inneren oder äußeren Heilmittels, nur durch Auflegung seiner Hand, höchstens durch sanfte magische Striche: Leib-, Kopf- und Zahnschmerzen unverzüglich zu vertreiben. Darunter stand in Parenthese: maäerate prices. Oar gern hatte ich mich einer so gefahrlosen Behandlung meines Kopfschmerzes anvertraut, der, in den Tropengegenden entstanden, nicht von mir weichen will, mich zu Wasser und zu Lande verfolgt. Der etwas zerstreute Magier hatte seine Wohnung in der Zeitung nicht angegeben, und es wollte nm nicht gelingen, sie auszukundschaften. Statt seiner fand ich den Shop eines Phrenologcn. Rechts und links vom Eingänge hingen große Abbildungen der Organe des menschlichen Schädels. Im Auftrage der Gelehrten war der zeichnende Künstler so handgreiflich als möglich geworden. Ein ordentliches Genrebild füllte jede dieser Zellen. In dem Organe für „Familienglück" erblickte man den Hausvater im Kreise der theuren Angehörigen. Tie Rumflasche ging um, und der Brotherr war eben beschäftigt, den abendlichen Labetrunk für das jüngste Küchlein zu mifchen. Ein hervorragendes Organ für „Bürgerwohl" enthielt eine Tribüne und auf ihr einen hitzig gesticulirenden Redner. Ter Eifer des Mannes war durch herabrinnende Schweißtropfen von Erbsengröße charakterisirt. Uin den „Kleinkindersmn" werlthätig darzustellen, ließ der Künstler, wie auf dem Pferde der Haimonskmder, auf dem Rücken seines Helden mehrere Knäblein reiten', im Hintergrunde flatterten Windeln auf der Leine. In der Abbildung des „Mufiksinnes" stand ein Klavier, auf dein ein bärtiger Mann cine junge Tame zum besänge begleitete. Der Zweck des phrenologischen Arztes war nur, Gläubige für sein Heilverfahren zu gewinnen. Er leitete alle Krankheiten des Leibes und Geistes aus Mißverhältnissen zwischen den einzelnen Anlagen des Individuums her und schien sich, wenn ich die Tendenz mancher Bilder nicht falsch deute, selbst auf die Kur von chronischen Uebeln einzulassen, deren Behandlung wir nicht den Toctoren der Medicin, sondern denen beider Rechte anheimstellen. Im „Diebsinn" sah man einen Mann mit dem Schlosse eines Arnheim'schen Geld-schrankes beschäftigt; daß er nicht der Eigenthümer war, erhellte aus einem Galgen, den man durch das offene Fenster des Eomtoirs erblickte. Eine echt amerikanische Einrichtung, die man auch hie und da in London und Paris nachgeahmt hat, sind die eigenthümlichen Frühstückssalons. Je nach der Stadtgegcnd und dem Publikum, auf das der Wirth zu rechnen hat, fordert er für das Glas geistigen Getränkes einen oder zwei Bits 0") oder 10 Sgr.). Der Gast kann jede der vorhandenen Weinforten, selbst Champagner, verlangen, doch erhält er immer nur ein dem Preise jeder Flüssigkeit entsprechendes Quantum. Auf der „Var" steht eine Menge pikanter 118 Oerichte, deren sich Jeder, und zwar unentgeltlich, als Imbiß bedienen kann. Im Interesse des Institutes liegt es daher, bei ihrer Zubereitung für durstreizende Zuthaten zu sorgen. Um aber den Mißbrauch der Gottesgaben von Seiten unverschämter Schlemmer zu verhüten, ist in den Salons der Bequemlichkeit nirgends Vorschub geleistet. Innerhalb der leeren Wände befindet sich außerhalb der „Bar" kein Stuhl, kein Tisch, um einen Teller, ein Glas darauf zu setzen, nicht einmal eine vorspringende Leiste unterstützt den Hungrigen, der einen Bissen gemächlich verzehren will. Die Unternehmer aller dieser Locale sind große Menschenkenner und wissen, daß das Werk der Ernährung und der gastrosophische Genuß körperlicher Ruhe bedarf, weshalb auch die classischen Alten ihre Mahlzeiten in liegender Stellung einzunehmen Pflegten. Unsere Altvorderen wußten sehr wohl, was sie thaten, wenn die Lehrjungen in den Familien der Gewerkmeister ihr Mittagessen am Tische stehend verzehren mußten. Der Respect vor dem Chef des Hauses wurde dadurch unterstützt und die Ernährung der Knaben in finanziell erträgliche Grenzen gebannt. San Francisco besitzt, wie andere Weltstädte, seine italienische Oper, doch dürfen die Impresarien der Salle Ventadour ihr schwerlich durch hohe Anerbietungen eins ihrer Mitglieder streitig machen. Bei meinem ersten Besuch wurde „Ernani" von Verdi aufgeführt. Das Personal war über die Jahre hinaus, in denen nach dem Sprichwort das Erkenntnißvermögen der Schwaben zur vollen Reife gelangt. Die continentals Carriure aller Sänger war beendet, doch schien die artistische Nachlese noch der Mühe zu verlohnen. Der Vesuch der Oper entsprach der Einwohnerzahl der Stadt und der Beifall ihrer Wohlhabenheit. Ich sage absichtlich nicht „ihrem Kunstgeschmack". In diesem reich mit Gold gesegneten Lande begnügt sich der Zuhörer, wenn der Sänger, Tänzer oder Schauspieler seinen Beifall erwirbt, nicht mit werthlosem Beifallklatschen, Hervorrufen oder Vlumensvenden, er giebt solidere Veweise seiner Zufriedenheit und wirft Dollarstücke auf die Bühne. Wer Glück und Talent besitzt, kann sein Epiclhonorar somit erheblich erhöhen. Eine beliebte Tänzerin wurde zweimal hervorgerufen und jedesmal mit Dollars überhäuft. Schließlich artete der Beifall in cinen wahren Silberregen aus. Die Ealifonner wissen die Geldstücke sehr geschickt, wie die von Knaben über eine Wasserfläche geschleuderten Kiesel, stach zu werfen und jede Verletzung zu verhüten. Zuweilen wird von diefer Wurffcrtigteit eine minder banquier-mäßig chevalercvke Anwendung gemacht. So sah ich in einem kleinen Theater, dessen Publikum mit wenigen Ausnahmen nur aus Strauchdieben und ähnlichem Gelichter bestand, ein Schauerdrama im Genre des „Kuno von der Marterburg" oder „das blutige Haupt dcs Schwiegervaters". Dcr schwarzsammetne, roth-geschlitztc Intriguant hatte das Unglück, s« es durch die von ihm verübten Hildebranbt'« Ncisc um dic Lide. Hl. ' 9 114 Greuelthaten, sei es durch sein schlechtes Spiel, den Unwillen der Zuschauer zu reizen. Sie griffen zu Aepfeln, Orangen und anderen Südfrüchten und eröffneten ein Kreuzfeuer. Die Vorstellung war unterbrochen, der bombardirte Nösewicht jedoch nicht der Mann, ohne hartnäckige Vertheidigung seine theatralische Position zu räumen. Unerschütterlich las er das Obst vom Boden auf, biß in einen Apfel und beantwortete den Angriff mit mehreren Würfen, die an den Meisterfchuß des Tell erinnerten. Zwei Plätze rechts von mir, neben meinem Begleiter, einem jungen Consularbeamten aus Deutschland, stand ein spanischer schwarzer Krauskopf, der sich mit leidenschaftlichem Eifer an dem Bombardement betheiligt hatte. Diesen ersah sich der Vösewicht Zu einem abschreckenden Beispiel. Er traf des Schreiers Stirn mit einem faulen Apfel so genau und gewaltig, daß das saubere Comvot weit umherflog und der Schwarzkopf vor Schreck in die Kniee sank; das war Tells Geschoß. Sin höllisches Gelächter brach aus und das Schußgefecht war beendet. Ich kehre zur Ernani-Vorstellung zurück. Der Vassist war ihr Matador und der Liebling des Auditoriums. Sobald er einen seiner kräftigen Contratöne ausstieß, suchte das Publikum ihm nachzuahmen, und man glaubte bei dem tiefen Gebrumm im Hause unter eine Heerde grauer Vären gerathen zu sein. Seiner Natur und dem dunkeln buschigen Haarwuchs nach glich der Sänger dem Oger des Märchens. Der erste Tenorist, ein beleibter Herr, der bei der guten Küche unseres Hotels sichtlich gedieh, stieß, wenn schon nicht beim Essen, so doch bcim Singen, fortwährend mit der Zunge an. Gefährlicher als der mörderische Ton des Hornes seines unversöhnlichen Gegners, dem Ernani ein so stattliches Geweih aufgesetzt, schien mir die eigene Stimme des Banditen für eine naturgemäße Lebensdauer. Fortwährend fürchtete ich, er könne bei den fürchterlichen Anstrengungen, den widerstrebenden Ton zu treibe», in seinem Fett ersticken. Die Primadonna mag, als sie noch über eine Stimme verfügte, eine große Gcsangsvirtuosin gewesen sein; in den Jahren, die dem Menschen nicht gefallen, kam nur ihr Körpergewicht in Betracht. Mehr als die Vorstellung unterhielt mich die Zuschauerschaft und ihr Benehmen. Die Parquetplätze sind im Verhältniß zu den Logensitzen sehr billig, und ich trug anfangs an der Kasse Bedenken, einen solchen zu lösen. Auf meine Frage, ob ich, falls der Platz mir nicht gefiele, das Billet zurück« bringen könne? hatte der Kassirer geantwortet: „Freilich könne ich es zurückbringen, doch dürfe er mir weder ein anderes, noch das Geld zurückgeben". Ich behielt also stillschweigend meinen Platz und sah weit genug in der Mitte des Saales, um nicht unter dem abscheulichen Gebrauch zu leiden, der das hiesige Parquet in Mißcredit gebracht und die Preise herabgedrückt hat. Die glücklichen Goldgräber sitzen nämlich in rothwollenen Hemden, oft wie sie 115 mit allen Taschen voll Goldstaub aus den Minen kommen, im ersten Range, hängen die Beine über die Brüstung und spucken, nicht aus üblem Willen, sondern nach ihren gemeinen Gewohnheiten, gedankenlos in's Vlaue und in's Parquet hinunter. Sehr auffallend waren ferner einige leichtvergitterte, läfigartige Parquetlogen, in denen nur Demi-Monde-Damen saßen, reizende Creolinnen, die unverhohlen mit der Umgebung kokettirten. Trotz der Sitten-losigkeit des öffentlichen Lebens von San Francisco werden Frauenzimmer dieser Art im Theater nur an diesen erimirten Plätzen geduldet. XV. Geschäftsftortioncn. Militärische Titel. Lauter Sand. Fahrende Photographen. Californischer Caviar. Daß Wusilantentind. Feuerwehr und Turner. Die itotalpossc in Tan Francisco. Unsere schwarzen Brüder. Spielhöllen mit Fallthüren. Die Ouecksilberminen von St. Jose. Mission Dolores. Tippins und Parler. Das Wetter bleibt anhaltend schön; ich dehne folglich meine Spazicrgänge bis in die Umgegend der Stadt aus, wo die reichen Einwohner sich in zierlichen kleinen Villen angesiedelt haben und ihre freien Abende und Sonntage zubringen. Die Wochentags sind ausschließlich dem Geschäft gewidmet, und nichts könnte die Ortsangehörigen veranlassen, um diese Zeit der Stadt fern zu bleiben. Der Nordamenkaner hat das englische „tiin« 13 mune^" in „time iF ever^ tiling" umgewandelt und regelt nach diesem Ariom sein ganzes ^eben. In Tan Francisco ist Alles geschäftsmäßig eingerichtet, sogar die gelegentlichen Erfrischungen. Unsere Restaurants und Ladenbesitzer unterscheiden auf ihren Speisekarten und Preiscourants zwischen englischen und deutschen Veefsteaks, Havannah- und Bremer Cigarren, fremden und hiesigen Bieren, der California verzeichnet unter ciner besonderen Nubrik: „Geschäfts-Beefsteaks", „Geschäfts-Ligarren" und „Geschäfts-Teidel". Sie sind beträchtlich kleiner als die gewöhnlichen, billiger und für den hastigen Verzehr berechnet. Von dem zwischen den Nord- und Südstaaten wüthenden Kriege ist San Francisco unberührt geblieben. Durch Zahlung einer unglaublich hohen Summe hat sich die Stadt von der Conscription befreit, und wir leben hier, von Privathändeln abgefehen, in Ruhe und Frieden. Der kriegerische Zeitgeist offenbart sich nur in der bemerklichen Vorliebe für militärische Titel. Der Amerikaner, sobald er genöthigt ist, mit einer ihm unbekannten Person ein Gefvräch anzuknüpfen, sucht, nach Art des Deutschen, bei der Anrede durch 116 (5rtheilung eines beliebigen Titels auf die Gesinnung des Fremden günstig einzuwirken. Wir begehen in unserem Vaterlande nur selten einen Irrthum, wenn wir den Unbekannten als Hofrath, Geheim-Secretär, Commissionsrath u. dgl. m. anreden; hier benutzt man gern die militärischen Grade. Je nach dem Costüm, dem Alter, Gange und Schnitt des Haares oder Varies wird man als „Capitan", „Major" oder „Hcncral" angeredet. Ich darf mir wohl etwas darauf zu Gute thun, wenn man mich überall „Major" titulirt, und bemühe mich eben deshalb, meinen Schnauzbart der Charge entsprechend etwas martialischer als sich für Künstler schicken will, zuzustutzen. Vor fünfzehn Jahren, zur Zeit einer friedlicheren Strömung, oder eines minder herausfordernden Aussehens von meiner Seite, nannte man mich in New-Aork mit derselben Beharrlichkeit „Doctor". Tie lange Seereise hat mich zu sehr verwildert, als daß meine Körperhaltung und Physiognomie noch Anwartschaft auf diese unschuldigste und verbreitetste aller Titulaturen besäßen. So grohe Mühe ich mir gebe, der Umgegend uon Tan Francisco eini malerische Seite abzugewinnen, gelingt es mir nicht, eine lachende Landschaft, noch weniger aber — einen lachenden Menschen anzutreffen. Sandberge, Sandsiachen und Sandwege sind das Alpha und Omega der hiesigen Terrainbildung, ernste, gelangweilte Gesichter der Tnvus der gesammten männlichen Generation. „Wir freuen uns hier nie!" antwortete mir ein deutfcher Kaufmann, der, jung, gefund, reich, im Besitz einer liebenswürdigen Frau und wohlgebildeter Kinder, mit einem melancholischeren Gesicht aufblickte als Shakespeare's Timon, da ich ihn aufforderte, sich doch des Lebens zu freuen. Sollte diese den Gelddurst reizende Atmosphäre alle anderweitigen Regungen des Geistes und des Gemüths im Keime ersticken? Nur unter Frauen und Kindern bin ich heiteren Gesichtern begegnet. Von Europäern in Indien, China und Japan habe ich mehrmals ähnliche Antworten erhalten. Allen diesen Ländern fehlt jenes belebende und erhaltende sociale Element, das, wie der Sauerstoff der Atmosphäre, den europäischen Culturstaaten ihre productive Kraft verleiht. Trotz des Zudranges uon Abenteurern aus allen Ländern verleugnet sich dennoch nicht die Cigenthümlichkeit des spanischen Geblüts. Am 28. April, aus einem Spaziergange, stieß ich zwar nicht auf einen fahrenden Ritter, aber doch auf einen fahrenden Photographen. Seitwärts an der Landstraße stand ein großer zweiräderiger darren, dessen Nosinante von einem gut genährten Sancho Pansa eben ihr Frühstück erhielt. Der Karren war «u'i einem Leinwandzelt bedeckt und glich, alls einiger Entfernung gesehen, den Fahrzeugen der Auswanderer, auf denen sie ihre kleinen Kinder und Habseligkeiten nach den Seehäfen schaffen. Aus der vorderen Oeffnung blickte jedoch ein Gesicht hervor, das eben so wcuig mit dem Ritter von der traurigen 117 Gestalt als mit einem europamüden Provinzialbewohner Aehnlichkeit hatte. Der gleichfalls mit körperlicher Fülle gesegnete Besitzer des Karrens lächelte mir so zuvorkommend entgegen, daß ich nicht der Versuchung widerstehen tonnte, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Das Leinwanddach war über und über mit photographischen Blättern behängen, denn der fliegende Geschäftsmann war „Vie^v alUüt, Photographischer Ansichten-Künstler". Der gute Mann schien, da ich eine Zeichmmappe unter dem Arme trug, so etwas wie einen College« in mir zu wittern und wiederholte, nachdem er seinen Veruf eingestanden, mit immer heftigeren Worten: „Er fordere Jeden heraus, es mit ihm auszunehmen, er fertige Portraits an, Ansichten von Goldmine«, Sommerwohnungen und Grundstücken; er schrecke, wenn es eine Bestallung gelte, nicht vor dein weitesten Niege zurück." Sobald ich ihn beruhigt und seine anfängliche Furcht vor Concurrenz eingeschläfert, holte er unter dem Verdeck sein photographisches Material hervor; der Karren war zugleich Salon, Atelier und Schlafcabinet für ihn und seinen Amanuensis. Um 12 Uhr Mittags stattete ich dem preußischen Consul, Herrn Hauß-mann, einen Besuch ab und 50g Erkundigungen ein über die Dampferlinie zwischen San Francisco und Panama. Der Landsmann war seit vierzehn Tagen mit einer schönen Engländerin verheirathet, anscheinend hoch erfreut, an mir einen Zeugen seines häuslichen Glückes zu finden, und drang so lange in mich, bis ich versprach, zwei Tage darauf das Diner bei ihm einzunehmen. Nur machte ich zur Bedingung, ein paar Stunden vor Tisch kommen und eine Aquarelle anfertigen zu dürfen. Die Lage des Hauses war äußerst uortheilhaft und gestattete einen Fernblick über die herrliche Bai von San Francisco mit dem Teufelspik und den Iiegeninseln im Hintergrunde. Auf dem Rückwege in das Hotel Nuß nahm ich das prächtige Local des ersten Restaurants der Stadt, eines Deutschen, in Augenschein und gestattete mir den Genuh einer Portion californischen Caviars, deren Preis ich indeß, aus Furcht, von meinen Angehörigen nachträglich für einen Verschwender erklärt zu werden, weislich verschweige. Aber selbst hier war man nicht vor Anfechtungen sicher. Ein kleines hübsches Mädchen machte mit einem Notenblatte die Runde an allen Tischen und bat als „armes italienisches Musikanten-!ind" um Honorar für ihren Vater, der draußen die Drehorgel „spiele". In meiner Nähe nahmen zwei Feuermänner zu meinem gerechten Erstaunen, sie an einem so eleganten Orte zu finden, ihr Dejeuner ein. Die Herren mochten die Ursache meiner Verwunderung durchschauen, denn der Jüngere trat an meinen Tisch und fragte, ob ich an dem bevorstehenden „Firemens-Vall" theilnehmen wolle, in diesem Falle sei er mit Vergnügen bereit, mir ein Billet zu überlassen. In Betracht des desolaten Zustandes meiner Gala-Garderobe dankte ich mit wohlgesetzten Worten und erfuhr zugleich, daß die 118 Feuerleute und Turner in dem geselligen Leben von San Francisco eine wichtige Rolle spielen, wie denn auch letztere unter dem Titel „Socialer Turnvereinsball" binnen Kurzem eine ähnliche Festlichkeit veranstalten. Wir trennten uns unter Versicherung gegenseitigen dauernden Wohlwollens, aber nur ungern verschwieg ich dem jungen Feuennann meine gerechten Bedenken gegen die nächtlichen Belustigungen gerade seiner Corporation. Nach meiner Ansicht hätte diese ihren Beruf wcit besser erfüllt, wäre sie mit demselben Mfer der Löschung der zahlreichen Feuersbrünste beflissen gewesen, die uns in der Woche zwei- bis dreimal bei Nacht aus den Netten schrecken. Meine Abende bringe ich aus Mangel an Bekanntschaften meistens in einem Theater zu. Außer der großen städtischen Bühne, auf der italienische Opern und recitirende Schauspiele gegeben werden, sind mehrere kleinere Häuser vorhanden, in denen umherziehende Truppen die Localposse cultiviren. Der „schlimme Schilling" in dieser ist gewöhnlich ein Chinese. Das seltsame Volk hält auch in seinen Auswanderern beharrlich zusammen. Diese bewohnen einen abgegrenzten großen Stadttheil von Can Francisco, das chinesische Viertel, mit den heimathlichen Blumenhäusern und Pagoden, und setzen auch diesseits des Stillen Oceans ihren höchsten Stolz in die Länge des Zopfes. Es ist begreiflich, wenn sie der Gegenstand des Spottes aller Nationalitäten sind. Nicht wenig mag dazu ihre angeborene Virtuosität in allen möglichen Gaunerstreichen beitragen' in den Localpossen läßt man sie dagegen stets aus Haß und Rache den Kürzeren ziehen. Des besseren Verständnisses wegen führe ich eine Probe an. Das kleine Stück war nur ein theatralisches Duett, aber durch die gelungene Nachahmung der Sitten und des Jargons der Chinesen sehr ergötzlich. Es spielte zwischen zwei Personen, einem Arzt und einem Patienten. Ersterer hatte auf seinem Aushängeschilds angezeigt: er lurire jede Krankheit binnen drei Tagen, ohne Anwendung von Arzneimitteln und unter Garantie für die Dauer eines Jahres. Nach einem längeren Selbstgespräch, in dem der Heilkünstler philosophisch auseinandersetzt, die meisten Leiden der Menschheit beständen nur in krankhaften Einbildungen und ließen sich durch Selbstüberwindung und strenge Ueberwachung heilen, erscheint ein hülfesuchcnder Patient in des Doctors Shop. Man wird nicht recht klug daraus, ob der chinesische Kranke mehr Hypochonder oder Hanswurst ist; der Doctor jedoch faßt den Fall sehr ernstlich aus. Mit einer unglaublich großen Brille auf der plattgedrückten Nase untersucht er den lamentirenden Ankömmling aus das Gewissenhafteste. Der Puls wird geprüft, so gut wie die Zunge, der Brustkasten sowohl wie jener Körpertheil, der niemals in Gefahr gerathen kann, durch Einathmen mephitischer Gasarten in seinem Wohlbefinden benachtheiligt zu werden; nach der Diagnose des chinesischen 119 Heilkünstlers erregt der Zustand des Kranken nicht die geringsten Besorgnisse. „Gehen Sie nach Hause," sagt er mit der nöthigen Feierlichkeit, „entkleiden Sie sich, gehen Sie zu Vette und schlafen S« pünktlich zwei Stunden. Sobald Sie aufwachen, bilden Sie sich ein gesund zu sein, und kommen morgen wieder zu mir." Der Kranke befolgt die Vorschrift genau, die Procedur wird unter unbeschreiblichen Possenreißereien drei Tage hintereinander wiederholt; der Patient ist hergestellt und denkt nicht mehr daran, dem Doctor fernere Besuche abzustatten. In der letzten Scene des Stückes begegnen wir diese,« vor dem Hause des Patienten, aber die Thür ist verschlossen und erst nach langem Klopfen wird geöffnet. Der Genesene scheint außer sich vor Freude über den Besuch des Arztes; als dieser jedoch nach dem Honorar fragt, stellt der Kranke dieselben Untersuchungen an, die der Doctor mit ihm vorgenommen und schließt unter dem schallenden Gelächter des dankbaren Publikums: „Nun gehen Sie nach Hause, entkleiden Sie sich, gehen Sie zu Vette und schlafen pünktlich zwei Stunden. Sobald Sie aufwachen, bilden Sie fich ein bezahlt zu sein, und kommen Sie nie wieder hierher." Nie aus Allem erhellt, übertrifft Californien an Theuerung der Lebensbedürfnisse, dafür aber auch an Wohlfeilheit der Witze alle Länder der Welt. Die entzückten Zuschauer bombardirten die beiden Künstler mit Apfelsinen, Dollars und Kautabak, der im Zwischenakt in Körben neben Südfrüchten, sauber in Staniol oder Goldpapier gewickelt, feilgeboten wird. Billig sind selbst diese Ninkeltheater nicht, das Billet hatte zwei Dollars gekostet. Meine anfängliche Lust, eine Reise nach dem Minendistrict anzutreten, vermindert sich mit jedem Tage. Das Aussehen der Goldgräber hat wirklich nichts Einladendes. In ihren rothwollenen, geflickten, vorn offenen Hemden, schmutzigen Leinwandhosen, mit einem zerdrückten Calabreser auf dem Kopfe, einem geladenen Revolver im Gürtel und einem zähnefletschenden Bullenbeißer an der Seite, verursachen sie eben so angenehme Empfindungen, wie die Briganten in den Abruzzen. Nach meinem Dafürhalten trägt leiner von ihnen Bedenken, das Gold, wenn er es nicht in der Erde findet, in der Tasche des Nächsten zu suchen und sich gewaltsam anzueignen. Gleichzeitig fange ich an, die Aildungsfähigkeit unserer schwarzen Brüder in Zweifel zu ziehen. Die erwähnten Bulldoggen betragen sich untereinander weit anständiger. Fast täglich kommt es in den Straßen zu Zweikämpfen zwischen Negern. Beim Beginn jedes Streites rennen sie, wie Stiere und Böcke mit den dicken Schädeln gegeneinander, daß die Knochen dröhnen. Ergiebt dieses Turnier kein Resultat, so tritt ihr natürlicher Vestialismus in seine Rechte. Das Rcmbthier erwacht in ihnen, sie bedienen sich der Zähne. Oft genug kommt es vor, daß Einer dem Andern die Nase oder ein Ohr, ja ein Stück aus 120 dem Schulterblatt abbeißt. Engländer und Nordamcritaner bilden, wenn Händel sich entspinnen, sogleich einen Kreis, hetzen die Streitenden an und wetten auf den Sieger. Wer dem Gegner das größte Stück Fleisch aus dem Leibe reißt, ist .,a brave IVlIo^v." Ungeachtet derartiger Rohheiten ist nach den Versicherungen einsichtiger Lanbsleute eine Vesscrung der Zustände von Tan Francisco unverkennbar. Der Kampf bis auf's Messer, den die Polizeibehörde gegen die Spielhöllen geführt hat, beginnt gute Früchte zu tragen. Aus den Hauptstraßen sind die Spielhäuser sämmtlich verschwunden, sie haben sich in die tiefste Verborgenheit zurückgezogen und gehen mit großer Vorsicht zu Werke, wenn sich ein vermeintlicher Neuling um Iuiritt bewirbt. Wie man nur erzählte, war das häufige Verschwinden von Menschen die Ursache des energischen Vorgehens der Polizei gewesen. In jenen Spielhöllen, die auf Pfählen weit in die See hinaus gebaut waren, hatte man reich mit Gold versehene Spieler erst durch, schöne Weiber geködert, dann abseits gelockt, durch starke Getränke bis zur Bewußtlosigkeit betäubt, ihrer Schätze beraubt und zuletzt durch verborgene Fallthüren in die See gestürzt. Ich habe weder eine dieser Hollen, noch eine der zahllosen „Tanzakademien" aufgesucht, denen von deutschen Kaufleuten ebenfalls nicht viel Gutes nachgesagt wird. Den l. Mai benutzte ich zu einer Tour nach San Jose. Der kleine, vor wenigen Jahren gegründete Ort ist durch einen Schienenstrang von vierzig englischen Meilen Länge mit San Francisco verbunden und von den Besitzern und Arbeitern der dortigen Ouecksilberminen bewohnt. Der Ertrag dieser Bergwerte soll weit reichlicher sein, als der aller Goldminen; demgemäß werden auch die Bergleute bezahlt. Wenn der Tagclohn für den in fremden Diensten stehenden Goldgräber und Wäscher vier Dollars beträgt, ist er hier auf fünf bis sechs Dollars gestiegen. Allerdings wird dabei der nuchtheiligs Einfluß des Aufenthalts in den Schachten auf die Gesundheit der Arbeiter mit in Rechnung gebracht. Aus demselben Grunde vermied ich einen Besuch des Aeigwcrks selber und benutzte die wenigen Stunden meines Verweilcns zu einer Skizze des Städtchens, in dessen Umgebung mir einige Bäumchen, Lorbeeren und Zwergeichen, eine Augenweide gewährten. Ein anderer kleiner Ort, einige Meilen von San Francisco, ist die alte spanische Mission D olores. Der Yankee, mein letzter Tischnachbar im Hotel Ruß, in dessen Gesellschaft ich den kleinen Ausflug am nächsten Tage machte, hatte „Mission Tollars" verstanden und war aus allen seinen klingenden Himmeln gestürzt, als bei unferem Rundgange durch das alte Gebäude die frommen Patres uns um eine Unterstützung ihres frommen Werkes ansprachen. Nach unserer Rückkehr war noch Zeit genug, der „Pallas", die ich inzwischen im Hafen ermittelt, noch einen 121 Besuch abzustatten. Capitän Hartmann hatte sich zu Vergnügungszwecken an's Land begeben, nur der erste Steuermann war anwesend und ließ mich einen Abschiedsblick in die Schlllfkoje werfen, in der ich zwölf Wochen nicht eine glückliche Minute verlebt. Sobald der junge Mann es bis zum Capitän gebracht, hat er mir einen Besuch in Berlin versprochen. Einem Abschieds-tnmk in Whisky ging ich aus dem Uege, es brennt schon wieder in der Stadt, und der Verlust meiner Habseligkeiten wäre nur gerade jetzt, da de? Tag der Abfahrt herangerückt, höchst unwillkommen. Um alle Schätze der Welt möchte ich nicht verurtheilt sein, in San Francisco mein Leben zuzubringen. Obenein grassircn hier die Pocken auf eine fürchterliche Weise und in allen Doctor-2hops wird Tag und Nacht geimpft. Einer dieser Impflinge lam in der Sacramento Street im Hause eines Arztes, zu dem er sich in der Angst seines Herzens begeben, auf eine eigenthümliche Weise um's Leben. Die Operation war eben vollzogen, als Trommeln und Trompeten auf der Straße die Annäherung des Turner-Festzuges verkündeten. Der Impfling ließ sich kaun: so viel Zeit, das Hemd über die Schulter zu streichen, eilte nn das Fenster, rift es auf, beugte sich so unvorsichtig weit hinaus, daß er auf die Straße stürzte und das Genick brach. So sehr ich das unzeitige Ableben des Mr. Tippins bedauere, fühlen sich sämmtliche Bewohner des Hotel Nuß durch seinen Tod doch einer großen Verlegenheit enthoben. Mr. Tip pins und M. Parker lnördliche Tafelfront. Nr. 17. Emaillirtes Serviettenband) sahen einander so ähnlich, daß täglich Verwechselungen vorkamen. Nach Mr. 2nap wells Behauptung — Mr. Snavwell ist Detaillist in Hauannah-Eigarren, zahlt fiir einen zehn Kubikfuß großen Laden in der Montgomery Street monatlich zweihundertfünfzig Dollars Miethe und speist im Hotel — vermochten die beiden Herren selber nicht mit Bestimmtheit anzugeben, wer von ihnen Tippins, wer Parker sei. Erst jetzt sind alle Zweifel gelöst. Am 3. Mai habe ich zu einem der hiesigen Doctoren meine Zuflucht genommen, jedoch nicht in Impf-, fondern Hühneraugen-Angelegenheiten. Dr. Melzer, ein schnurrbärtiger Elegant, erscheint täglich nach dem Frühstück im Hotel und stellt sich den Herren und Damen zur Verfügung. Er operirt Leichdorne und zieht fünf Minuten darauf Zähne aus; mit besonderer Aravour berichtigt Dr. Melzer tief in's Fleisch gewachfene Nägel. Die Flasche Essenz zur Einreibung von Ueberbeinen kostet drei Dollars, doch kurirt der Doctor, wenn es ausdrücklich verlangt wird, auch durch Sympathie. Um die Landes-silte mitzumachen, benutze ich die letzten Ctunden meinem Aufenthalts an der Goldküste, mich photographiren zu lassen und so wenigstens ei n Andenken an den kostspieligen Ort mitzunehmen. In einer Stadt, wo man jede rauchbary^ Cigarre durchschnittlich mit zwölf und einem halben Silbergroschen bezahlt, 122 muß der deutsche Künstler auf den Ankauf von Schnurrpfeifereien verzichten. Der Preis der photographischen Portraits ist durch die ungeheure Concurren; herabgedrückt und zu erschwingen. Ich stehe auf der Visitenkarte neben einer gebrochenen Säule, den Hintergrund füllen Vaum wollend allen. XVI. Die Tafel der Diener. 3er Dampfer „Constitution". Hirsch, der Acht-zehnender. Cliffhonse. Nebrr die Varrr. Musterung des Schisses. Meine Schlafburschen. Unser Marktplatz. Ein rothgedruckter Epilog. Menschen und Nummern. Kanonenkugel und Czalo. Zwei Kugeln im Leibe. Ein bedenkliches Versehen. Die Höschen des Flügels. Guadeloupe. Ein Tchweizerpaar. „Was thut der Soldat am Tage der großen Parade zuerst?" fragte ein Unterofficier den gelehrigsten seiner Schüler, und dieser antwortete ohne viel Bedenken: „Er putzt am Mend vorher seine Sachen!" Dieses vaterländischen Nrauchs eingedenk, regelte auch ich nach meiner Heimkehr aus dem Atelier des Photographen und nach Aufhebung der Tafel im Hotel Ruß fchon am A. Mai meine Angelegenheiten; denn in den Morgenstunden des 4. Mai sollte der Dampfer „Constitution" nach Panama abfahren. Durch den Comfort des nordamenkanischen Lebens in kurzer Zeit nneder bequem geworben, hatte ich unmittelbar nach Tisch gern die Hülfe eines Domestiken beim Packen der Koffer in Anspruch genommen; allein mein Klingeln blieb unbeachtet. Niemand erschien. Verdrießlich stieg ich in das Erdgeschoß und den Speisesaal hinab; die Utsache der Vernachlässigung meiner Signale war nur allzu klar. In einem Nebensalon saßen sämmtliche Domestiken des Hotels, in Gesellschaft der Dienstboten fremder Herrfchaften, welche im Hause wohnten, an einer langen Tafel, nicht wie wir je nach dem Geschlechte getrennt, sondern in bunter Reihe und munterer Unterhaltung, und ließen es sich wohl schinecken, während sie sich untereinander bedienten. Es war von meiner Seite ein unverzeihlicher Mißgriff gewesen, die guten Leute in ihrer Freistunde zu stören. Tief befchämt schlich ich in mein Gemach zurück und wartete geduldig das Ende des Schmauses ab, ehe ich wieber zur Klingel griff. Um 5 Uhr Morgens am 4. Mai war die Hotelrechnung bezahlt, das Gepäck geordnet, der Mantel gerollt, ein Fiaker fuhr vor und ein Aoot brachte mich in wenigen Minuten an Bord des Dampfers. Mit Einschluß der Vollwerksgebühren hatte ich sechs Thaler zu zahlen. Es blieb mir leine 123 Zeit, darüber nachzudenken, denn unmittelbar darauf mußten im Vüreau der „Constitution" hundertfünfundsiebzig Dollars für die Fahrt von San Francisco bis Panama erlegt werden. Unverhohlen bekannt, war ich froh darüber, nicht von abschiednehmenden Verwandten und Freunden begleitet M sein; das Getümmel cms dem Verdeck des riesigen Schiffes war ohnehin unübersehbar. Gegen 10 Uhr wurde dreimal, wie in Vellini's „Norma", an das auf Deck hängende Gong geschlagen, ein Signal, daß alle nicht mitreisenden Anwesenden das Schiff zu verlassen hätten; nun begannen die erschütterndsten Abschiedsscenen. Ringsum ertönte Wehklagen und Schluchzen, erschallten leidenschaftliche Versicherungen ewiger Liebe und Treue, untermischt mit wohlgemeinten Rathschlägen zur Erhaltung der Gesundheit und dringenden Aufforderungen, „umgehend" zu schreiben. Unter einem milden Gewühl von Männern, Frauen und Kindern, einer wahrhaft babylonischen Verwirrung vieler Sprachen, dem Geflatter von zahllosen weißen Taschentüchern von Seiten beider Parteien, wurde das Teck geräumt, die letzten Worte, die noch von der Schiffstrepve in mein Ohr drangen, waren die vaterländischen Laute: „Theurer Hirsch!" Sie gingen verloren; der Achtzehnender befand sich nicht in meiner Nähe. Er war es, wie spätere Nachforschungen ergaben. Tann donnerte ein Kanonenschuß und langsam setzten sich die ungeheuren Schaufelräder der „Constitution" in Bewegung; in dein Echiffsdickicht bedürfte die Leitung des Dampfers der höchsten Vorficht. Nir lassen die Küste des Goldlandes und den Hasen hinter uns, vassiren Eliffhouse, eine Gruppe von Felsklivpen unweit des Strandes, wo die hier nicht von Jägern verfolgten Seelöwcn sich furchtlos auf abgeplatteten Steinen sannen und unzähliges Vogelwild unbehelligt Nester baut und Eier legt; dann dampfen wir durch die „goldene Pforte" in das offene Meer hinaus. Vorher müssen wir noch über die Barre der Bai. Der Wellenschlag von Madras und San Francisco ist einzig in seiner Art, und dcr Anblick der furchtbar hohen See, die vor der hiesigen Varre sieht, wird auch den kaltblütigsten Seemann nicht gleichgültig lassen. Von dem Erstell eines Dampfern wie die „Constitution" konnte man unbefangener dreinschauen, aber wie mußte den beiden Loolsen zu Muthe sein, die, jeder allein in seinem winzigen Voote, uns voranfuhren und um einen Verdienst von zweihundert Dollars ihr Leben daransetzten. Die Vrecher rückten, riesigen blaugrünen Krystallmcmern ähnlich, regel- und ebenmäßig vorwärts, immer in einem bestimmten Moment stürzte, so weit rechts und links das Auge reichte, diese ausgethürmte Nasserlast mit furcht' barem Getöse in eine stäubende, mehrere hundert Fuß weit hinschiehende Schaummasse zusammen. Von den Passagieren genossen nur wenige das erschütternd erhabene Schauspiel; die große Mehrzahl war schon bei unserer 124 Annäherung an die Barrc dcr Sectrcmlhcit erlegen und in den Cabmen verschwunden. Tie „Constitution" hatte das richtige Tempo getroffen und kam glücklich hinüber, ohne den Grund zu berühren; vor den Wellen felber waren wir bei der Höhe der Schissswände vollkommen sicher. Nach Ueberwindung dieser letzten Schwierigkeit schießt der Dampfer pfeilgeschwind ungefähr drei Meilen in den Ocean hinaus, um freie Fahrt zu gewinnen, und steuert erst dann südlich. In nebelgrauer Ferne versinkt nördlich das Tafelgebirge, in angemessener Entfernung von der „Constitution" tummeln sich Walfische mit ihren Kälbern und Teelöwen, Taufende von weißen Seemöven folgten, vertraulich wie Tauben, unserem Schiffe und scheinen sich den Tafelabhub bei Zeiten sichern zu wollen; ich benutze dic verhältnißmäßige Ruhe an Bord zu einer Inspection des Dampfers. Er zählt viertausend Echiffstonnen Gehalt, und die Maschinerie vermag die Kraft von tausend Pferden zu entwickeln. Noch ein Raddampfer nach alter Art, ist er doch in allem Ueürigen nach dem neuesten System der nord-amerikanischen Schiffsbauwnst eingerichiet. Tie Länge beträgt vierhundert Fuß, die Vreite siebzig Fuß, und alle Räumlichkeiten sind so zweckmäßig an-aelegt, daß incl. der Mannschaft zweitausend Personen untergebracht werden können. Von hinten aus betrachtet, glaubt man sich auf dem Dache eines Glasvalaftes zu befinden. Tie „Constitution" trägt weder Masten noch Segel; auf zwei hohen Flaggenstangen, dem einzigen Schmuck des Verdecks, slattert das Sternenbanner der Vereinigten Staaten. Um auch für etwaige kritische Vorkommnisse gerüstet zu sein, stehen auf dem Vorderdeck auf Drehscheiben neben einander zwei Armstrong-Geschütze von ungeheuerlichem Caliber; wehe dem Piraten, dem unter Wasser eine dieser Kugeln in den Bug fährt. Auf dem Hinterdeck erhebt sich das Glasdach, durch dessen Scheiben der Speise-und Gefellschaftssaal im ersten Zwischendeck sein Licht empfängt. Seine Umgebung ist durch ein sturmfestcs, aber zierliches Dach vor Regen und Sonnenbrand geschützt uno wird von den Passagieren erster Klasse als Wandelbahn benutzt. Der Saal ist hundertninfzig Fuß lang und vierzig Fuß breit. Zur Bedienung der Geschütze ist cm Dutzend in dcn abenteuerlichsten Soldatenröcken steckender Artilleristen vorhanden, den Capitän umgiebt eine Leibwache, und sowohl bei Tage wie bei Nacht steht vor seiner Kajüte ein Posten mit geladenem Gewehr. Wir befinden uns unter Längen- und Breitengraden und unter einem Ragout von Menschen, die dem verantwortlichen Befehlshaber des Postdamvfcrs fortwährende Vorsichtsmaßregeln, gebieten. Uin diese auch gegen elementare Unglüclüfälle zu vervollständigen, ist die „Constitution" mit zwölf Rettungsbooten neuester Construction ausgestattet. Jedes derselben vermag bequem hundert Mann, im Nothfalle und ohne Crinolinen also noch die Hälfte mehr aufzunehmen. Die Laote sind auf der Steuer- und Vackbord- 125 Me gleichmäßig «ertheilt; vor und hinter jedem Radkasten Hüngen an zwei eifenbefchlagenen Balten in schönster Ordnung immer drei dieser Tröster in letzten Schiffsnöthen. In Betreff meiner Stubenkameraden und Schlafburschen habe ich Glück gehabt; ich theile die für fünf Personen eingerichtete Cabine nur mit zwei Herren, die sich, ungeachtet einer in New-Zork, der andere in New-Orleans ansässig ist, trotz des Bürgerkrieges wie die Engel im Himmel vertragen. Mehrjährige Reisen in Europa haben ihre rauhen Ecken abgeschliffen und die dazu gehörigen Teefahrten ihre Empfänglichkeit für Anfälle der Seekrankheit abgestumpft, ein Umstand, der die Freuden unseres Beisammenseins wesentlich erhöht. Veide sind wohlbeleibte, stattliche Männer vom Schlage Vrutus beim Shakespeare, in den besten Jahren und fröhlichen Temperaments. Politische Gegner, haben sie gemeinschaftlich mit mir auf das Wohl der „ausgesöhnten" Vereinigten Staaten eine Flasche guten Cognac geleert, der nota d<.'n« auch hier, wie jedes nicht zur Nation gehörige geistige Getränt immer erst nach Empfang baarer Bezahlung verabfolgt wird. Zur Erhöhung des Comforts haben wir ein förmliches Uebcreinkommcn getroffen. New-Orleans steht am Morgen um 5 Uhr auf, New-^oik um . zum 7. Mai lieferte ich durch ein lächerliches Versehen ausgiebigen Stoff für die „Ollrom^ue 8canäalou«e" des nächsten Tages. Ich war um 2 Uhr aufgestanden, um das herrliche Meeresleuchten, einen siebzig Fuß breiten glänzenden Phosphorstreifen in dem Fahrwasser der „Constitution", zu beobachten, und durch den magischen Schimmer fo geblendet, daß ich, in dem tiefen Dunkel des Zwischendecks umhertappend, in die unrechte Cabine gerieth. Nichts ahnend, streckte ich mich auf dem Lager aus, das ich für das mcinige hielt, preßte aber dadurch einem niarmen Gegenstände ein leifcs Stöhnen aus, sprang erschrocken auf und machte mich spornstreichs davon. Das Muck lächelte mir; ich vernahm, da der drückenden Hitze halber alle Cabinenthüren offen standen, das Schnarchen unseres süd-staatlichen Etubenburschen und kroch schweigend in meine Höhle, froh, unangenehmen Verwickelungen entronnen zu sein. Barbiere colportiren auch auf Dampfschiffen alle Neuigkeiten, und so erfuhren wir schon am Morgen die interessante Begebenheit. Der stöhnende warme Gegenstand war ein Frauenzimmer gewesen und hatte bereits über die Störung der nächtlichen Ruhe beim Cavitän illage geführt, war aber abgewiesen worden, da sich der Attentäter nicht ermitteln lasse und sich schwerlich aus freien Stücken melden werde. Sicher vor Entdeckung, lachte ich bei lische von Herzen mit. Wäre ich erwischt oder später entdeckt worden, mein 5!oos wäre ein von der Gesellschaft ausgesprochener Bannfluch gewesen, selbst wenn ich mich durch bin in der tiefen Dunkelheit sehr verzeihliches Versehen entschuldigt hätte. Die Nordamevikaner verstehen keinen Spaß, wo e5 sich um die Aufrechterhaltung dcs Decorums und um die gegen Damen unter allen Umständen zu beobachtende Höflichkeit handelt. Hat man doch die drei Palixanderbeine des in der Staatskajüte stehenden Flügels mit leichten Oazeho'schcn bekleidet! Selbst für ein Pianoforte ist es nicht anständig, mit bloßen Beinen in Gesellschaft zu erscheinen. Am ?. Mai Nachmittags dampften wir in einiger Entfernung an der Insel Guadeloupe vorbei. Ihre Berggipfel erheben sich bis zu dreitausend Fuß Höhe, sind aber nur von einigen Hirten und Ziegenheerden bewohnt. Meine Bekanntschaften suchte ich an diesem 3age durch einen Besuch untev den Passagieren zweiter Klasse zu erweitern. Bald hatte ich ein biederes Schweizer-Paar aufgefunden, das mir ohne Weiteres sein Her; erschloß. Vor dreizehn Jahren waren sie nach New-Orleans und von da nach den californifchen Goldmine« gegangen, hatten aber nach Abzug dcs Lebensunterhaltes in diesem langen Zeitraume nicht mehr erübrigt, ak zur Deckung der Reisekosten in die Heimath hinreichte. Nach der Behauptung der guten Leute wären mit Hnndearbcit keine Reichthümer mehr zu erwerben' andere 129 Schweizer hatten ihr Heil in Speculationen mit Grundstücken versucht und allmiilig große Capitalien angehäuft. Nicht vermögender, als sie abgereist, kehrten die Alten, gebeugt und ergraut, in ihr vaterländisches Thal zurück; sie wollten i,n Schatten semer Berge begraben sein. XVII. Gentleman und Nigger. Herr Meyer aus dem Innern v«n Posen. Von Panama den Rhein hinauf nach Tchrimm. Der 2ohn des Compagnons. Gin Pudel verlaufen. Mqueur- und Kartenlüften. Falscher Feuerlärm und Löshmanöver. Das warnende Plakat. Eis-marken. Herr Rosenthal aus Baltimore. Eine neue Sette. Cap Et. iiucas. Der Barbier als Varschneider bei Tisch. Privateier. Spanisches Fächerjpiel. Die Bucht von Ncapulco. Noch einmal unter Palmen. Mein Verkehr mit den Passagieren zweiter Klasse erregt unter meinen Gespielen und Tischnachbarn im Glassalon einigen Anstoß-, ich ziehe mich daher nothgedmngen wieder zurück. Die Neigung zu Kastenunterschieden ist keineswegs eine alleinige Schwäche der Angehörigen monarchischer Staaten, sondern Grundzug dcr menschlichen Natur. Gerade unter diesen Republikanern herrscht ein auf Mehrbesttz gegründeter Hochmuth, der zuweilen in die tollsten Extravaganzen ausartet. Ein zweiter Klasse reisender Passagier wird überhaupt nicht mehr als Gentleman angesehen und schon dem Nigger gleich geachtet. Meine beiden Schlafburschen theilen mir in schlaflosen Stunden der Nacht mancherlei dahin einschlagende Anekdoten mit, dennoch erregt es bei Beiden wciter keinen Anstoß, wenn die Schwarzen, welche uns bei Tisch bedient haben, sobald wir aufgestanden sind, auf unseren Sesseln Platz nehmen und sich derselben, rasch gereinigten Tafelgeschirre, Löffel, Messer, Gabeln und Gläser bei ihrer Mahlzeit bedienen. Den armen Burschen soll dadurch die angebliche Oleichstellung mit ihren ehemaligen Herren über Leben und Tod bewiesen werden. Unter den heimkehrenden Reisenden theilen nur die wenigsten das klägliche Schicksal meines Schweizer-Paares; die Mehrzahl hat ihr Schäfchen in's Trockene gebracht. Einein alttestamentarischen Glaubensgenossen aus dem Innern von Posen hat das Glück besonders gelächelt. Nach vielen vergeblichen Versuchen, in Neuseeland, China, Japan und Indien ein kleines Vermögen zu erwerben, warf er sich in Tan Francisco auf den Import von Käse. Die Speculation schlug ein; Herr Meyer wird auf eine Viertelmillion Hildebrandt's Nette um die Crde. III. ' 9 130 Dollars veranschlagt. Mit diesem Profit zufrieden, hat er sein Geschäft verkauft und kehrt nach Deutschland zurück. Dem Niertelmillionär ist auf seinen Weltfahrten der Gebrauch seiner Muttersprache, deren er sich wahrscheinlich niemals correct bedient hat, abhanden gekommen; er spricht das aus englischen und deutschen Wörtern gebildete Kauderwälsch der Einwanderer in der wunderlichsten Uebertreibung. Auf meine Frage nach seiner Reiseroute aus dem europäischen Continente entgegnete er: „Ich will dem Rhein herauftravellen (reisen) und aktsnvkräs (später) nach Schrimm, meine elende Vaterstadt an-looken (sehen)". Er gedenkt seinen ehrsamen Verwandten zu beweisen, daß der liebe Gott einen rechtschaffenen Mann niemals im Stich läßt. Nach einer anderen Lesart hätte Herr Meyer fein Vermögen durch Lieferungsgeschäfte von Käse und Dauerbutter für die Armee der Nordstaaten gewonnen. Er tragt an jedem Finger einen Diamantring und um den Hals eine goldene Uhlkette, deren Schwere ihn fast zu Boden zieht. Habe ich keine bessere Gesellschaft, so plaudere ich gern mit ihm; in der Art, sich geschäftsmäßig prompt auszudrücken, kann man viel von ihm lernen. Neulich fragte er mich, ob ich, in Europa angelangt, meine Aquarellen gleich realisiren würde? Die Nordamenkaner sind leidenschaftliche Ieitungsleser, und mehrere Herren haben von San Francisco ganze Stöße alter Blätter mitgenommen, die immer wieber von Neuem durchgelesen werden. Sie sehen es gern, wenn ich mich a» ihrer Lecture betheilige, und ich notire zum Zeitvertreib die landläufigen Curiositäten, an denen besonders die Inserate reich sind. In San Francisco hat jeder Geschäftsmann einen imaginären oder wirklichen Compagnon und fügt demgemäß seiner Namensunterschrift ck „^oinp." hinzu. So stand denn auch unter einer Cntbindungsanzeige: „Gestern Abend beschenkte mich meine liebe Frau mit einem derben Knaben. C. W. Nash k Comp." Auf dem freien Platze vor unserem Speisesalon im ersten Zwischendeck werden täglich Bekanntmachungen angeklebt und verlorene Sachen angezeigt. Der Ober-Steward meldet z. V. den Passagieren, daß er wieder g. einen Dollar verabreiche. Diese Annonce involvirt zugleich eine Preisherabsetzung: für das Bad waren früher zwei Dollars verlangt worden. Sehr zweckmäßig ist die täglich um 12 M)r stattfindende Proclamation: unter welchem Längen- und Breitengrade die „Constitution" sich befindet. Dicht daneben hängt die Liste der verlorenen Gegenstände. Gestern ist ein grün lackirter Damen-Pantoffel auf dem Wege vom Staatszimmcr nach dem Vorder-castell „in Verlust gerathen". Die Anzeige des halb geschorenen schwarzen Pudels Nanard, der sich verlaufen haben sollte, hielt ich nur für einen schlechten Witz. So groß und tief die „Constitution" fein mag, eine Hunds-nase findet noch immer in den Zwischendecken ihren Herrn heraus. Schließlich 131 bemerkt, habe ich noch auf keinem Dampfer erlebt, daß verlorene Gegenstände von Werth wiedergesunden und abgeliefert worden wären. Die Besitzerin eines schweren goldenen, reich mit Smaragden besetzten Armbandes, das sie bei Tisch verloren haben will, bietet dafür wohl vergeblich dem „ehrlichen Finder" eine Belohnung von zwanzig Dollars an. Außer seinein Liqueurkasten führt jeder Yankee eine kleine Schatulle mit sich, in welcher er eine Anzahl Kartenspiele, Whist- und Bostonmarken auf-b«wahrt. Abends wird davon regelmäßig Gebrauch gemacht, so lange nach dem Reglement des Dampfers Beleuchtung gestattet ist. Am 8. Mai Abends !^ Uhr saß ich gemüthlich am Platze des Strohmanns einer Nhistpartic, dcven Theilnehmcr im Rufe hoher Virtuosität stehen, als wir plötzlich auf furchtbare Weise aufgeschreckt wurden. Auf Deck schrien Hunderte von Skimnen „Feuer! Feuer!" und zugleich erklangen die beiden Nothsignalpfeifen der Maschinen mit einer Kraft, um Todte aus ihren Gräbern aufschrecken. An allen Gliedern zitternd, eilten wir aus dem Ttaatssalon die Treppe hinauf und fanden nicht nur die Feuerwehr, sondern die gesammte Mannschaft der „Constitution" mit den ^öschvorkehrungen beschäftigt. Iu unserer Beruhigung erfuhren wir sehr bald, daß es sich nur um falschen Feuerlärm und ein Erercitium der Mannschaft handle, deren Wachsamkeit auf jeder Seereife mehrmals derartig auf den Zahn gefühlt werde. Das Manöver hat ein impofantes, obgleich furchtbares Schaufpiel. Schon der 3on der Pfeifen, durch welche die Maschinen von tausend Pferdekraft ihren Dampf bliesen, zerriß das Nervensystem. Es kann kein entsetzlicheres Duo von zwei Blasinstrumenten: Tiscant und Baß, geben. Alle Hände arbeiteten auf Deck, alle Militär- und Cim'lbeamte waren in dem Costüm des Augenblicks erschienen. Die Matrosen, welche, zur Nachtwache beordert, vrnnumerando schliefen, waren mit bloßen Füßen und im Hemde aus den Hängematten gesprungen: diese arbeiteten an dm Spritzen und Pumpen, jene machten die Rettungsboote klar. Betäubend war das Jammergeschrei der weiblichen Passagiere, Kindsmägde und Kleinen. In der Eile tonnte ihnen nicht gleich begreiflich gemacht werden, daß die Mannschaft nur auf die Probe gestellt werde, und noch lange nachher erschallte aus den der Hitze wegen immer offenstehenden Cabmen das Wimmern und Schluchzen der geängstigten Kinder, das schrille Geschrei der nervösen Damen, zu deren Beruhigung jetzt Ehegatten, Cicisbeos und was sonst von touristischer Mannschaft disponibel war, aufgeboten werden mußte. Die systematische Ordnung, die während des Manövers unter der Besatzung des Dampfers herrfchte, hatte mich in Erstaunen gesetzt und zugleich beruhigt. Man ersah daraus, baß die Möglichkeit eines Vrandunglücks vom Commando fortwährend scharf im Auge behalten wurde. Der größte Uebelstand des Manövers war außer dem panischen Schrecken der Passagiere die Ueber- 9* 132 schwemmung des Verdecks gewesen. Die Mannschaft hatte gute Miene zum bösen Spiel gemacht und sich, da kcin Feuer zu löschen war, an dem warmen Maiabcnde der Spritzen wenigstens zur gegenseitigen Erfrischung bedient. Wir flüchteten vor der hereinbrechenden Sündfluth spornstreichs in unsere Cabmen. Am andern Morgen ergab sich, daß der Befehlshaber der „Constitution" seine Passagiere durch den falschen Feuerlärm keineswegs habe über-raschen wollen. Auf dem schon erwähnten Platze der Anzeigen war am gestrigen Nachmittag ein kleines Plakat befestigt worden, durch das die Touristen erster Klasse auf eine Alarmirung der Mannschaft vorbereitet wurden. Vei seiner, vielleicht absichtlich engen und undeutlichen Schrift war es unserer Aufmerksamkeit entgangen. Van jetzt an machte ich nur zum Gesetz, keine Anzeige ungelcscn ;u lassen, und begann nnt dem in jeder Cabine ausgehängten Echiffsreglement. Viel Trost war darin nicht zu finden, die Compagnie hatte Alles zu ihrem eigenen Vortheil eingerichtet: den Passagieren waren nur Pflichten auferlegt. Befremdend lautete u. A. ein Paragraph, indem ihnen ihr Benehmen bei Unglücksfällen vorgeschrieben war. Sie hatten sich in vollkommener Passivität allen Anordnungen des Capitäns zu fügen. Tiefer war sogar autorisirt, jeden Reisende»:, der widersprach oder selbstständig Anstalt zu seiner Rettung traf, auf der Stelle niederzuschießen! Der erste Sonntag an Bord fiel auf den 3. Mai, und wir fanden Morgens alle Tische mit Bibeln und Gebetbüchern bedeckt, welche der Ober-Steward auf Befehl des Capitäns schon vor Tagesanbruch ausgelegt hatte. Zwischen 11 und 12 Uhr predigte ein Engländer, seines Zeichens ein Vicar, vor den Passagieren zweiter und dritter Klasse; der aristokratische Gottesdienst fand mit großer Gala im Salon statt. Gleichzeitig wurde zur Feier des Tages bei der steigenden Wärme „ico tiokots" (Eisschcine), fünfunddreißig ä fünf Dollars, angeboten. Fiir jede dieser Marken erhält der Käufer bei Tisch eine Quantität Eis zur Kühlung seines Getränks. Als Wohlthäterin hatte sich unterzeichnet: „Die Schisfswein-Commission". Das Wetter ist unvergleichlich schön, wir überschreiten den nördlichen Wendekreis, spiegelglatt liegt die unermeßliche Fläche de5 Oceans vor uns, und die Damenwelt entfaltet auf der Promenade der „Constitution" die ganze Pracht der modernen Moden. Scit länger als anderthalb Jahren bin ich mit meinen Kenntnissen in diesem wissenschaftlichen Gebiete in's alte Register gerathen und genöthigt, alle mir ertheilte Auskunft auf Treu und Glauben hinzunehmen. Sämmtliche Damen gehen ä, 1a L^iinoial einher, eine Tracht, die fich eher für einen ^orettcnball, alü für die strenge Taobathfcier schickt, aber immer noch besser zu der leuchtenden Physiognomie eincs Vormittage in den Tropin paßt, als die Armenfünder-Gesichter der frommen Engländer, die doch wieder nicht Selbstüberwindung genug besitzen, um ocm weltlichen Gefühl der Promenade 133 gan; zu entsagen. Begehe ich leinen Irrthum in der Angabe der Namen, so wurde nur von Herrn Meyer Herr Rosenthal vorgestellt, gleichfalls ein Eingeborener aus Posen, der in seine Heimath zurückkehrt. Herr Rosenthal hat sein Geschäft in Baltimore gemacht und in den Mußestunden theologischen Studien obgelegen. Von einer neuen Secte wußte mein neuer Bekannter viel zu erzählen. Des berühmten Satzes eingedenk: die Wissenschaft müsse umkehren, lassen die Anhänger jener Secte die Theologie, als die einflußreichste der Schwestern, den Anfang machen. Nach Nosenthals Bericht gingen sie bis über den Sündenfall zurück und wollten ihre Auffassung des ursprünglichen menschlichen Zustandes, als eines fehlerfreien und schuldlosen, auch durch die Wiedereinführung jener Tracht, wenn sie noch den Namen verdient, darthun, welche der Benutzung der paradiesischen Feigenblätter als Kleidungsstück unmittelbar voranging. Der Gott der Secte ist nur ein Gott der Vergebung. Wir wurden durch das auf der Promenade herrschende Gedränge getrennt, noch ehe mir Herr Rosenthal nähere Auskunft ertheilen konnte, ob die Vekenner der Secte, wie manche Pietisten auf dein europäischen Continent, nur in ihren religiösen Conventiteln sich jeder irdischen Hülle entledigen, oder auch öffentlich wie das erste Menschenpaar vor dem Sünden -falle erscheinen. Nachmittags setzte ich unbemerkt meine Pirschgänge auf den Gefilden dcr zweiten und dritten Klasse fort, wurde jedoch bald durch allerlei Warnungstafeln und Inschriften: „Verbotener Eingang" zurückgeschreckt. Das Besteigen der kolossalen Räderkasten ist selbstverständlich den Passagieren ohne Ausnahme untersagt, Dem herrlichen Tage entsprechend, versank die So ine unter einem Farbenspiele, das ke!ne menschliche Kunst nachzuahmen vermag, aber fast noch wunderbarer war der Glanz der schmalen Mondsichel, die, erst vollkommen unsichtbar, mit einer Schnelligkeit, von welcher der Bewohner nördlicherer Breiten keine Ahnung hat, aus der jählings hereinbrechenden Finsterniß des Nachthimmels hervortrat. Gerade um Sonnenuntergang hatten mir das Cap St. Lucas, die Südspihe der calisornifchen Halbinsel, passirt, ein formloses, reich bewaldetes Vorgebirge v n ansehnlichen Dimensionen; nicht lange darauf begann das Barometer rasch zu fallen. Der Vorsicht wegen wurden allerlei Sicherheitsmaßregeln getroffen, doch kam es zu keinem Unwetter. Aus der langgestreckten Bai und dem mericanischen Fesilande bläst immer cin starker Wind, mit dem sich ein hoher Seegang verbindet; etwa um II Uhr Abends gerieth die ..Constitution" in die gefürchteten hohen Wellen. Wenn ein Koloß, wie unser Steamer, einmal zu „rollen" beginnt, so erhält diese Bewegung einen überaus bedrohlichen Anschein, und eine junge siebzehnjährige Amerikanerin, welche ihre erste Seefahrt machte, fragte todtenbleich in allem Ernste, ob nicht der jüngste Tag anbräche? Ihre Eltern gaben sich große Mühe, das zarte 134 Mägdlein zu beruhigen, aber erst als ich ihr auseinanderss,te, der jüngste Tag könne doch unmöglich in der Nacht amangen, legten sich ihre Besorgnisse, und vertrauensvoll folgte sie ihrer Mutter in die Cabine, Die Einigkeit unserer aus Bewohnern der Nord- und Südstaaten ziemlich gleichmäßig zusammengesetzten Gesellschaft ist bis jetzt noch nicht gestört worden, wenn nicht einige nach New-Iork gehende politische Agenten, die über die unbedingte Gleichstellung der Weißen und Schwarzen Reden halten, an Vord Unfrieden stiften. Ich gehe den 'Agitatoren grundsätzlich aus dem Wege und höre nur nachträglich, daß sie mit ihren Declamationen von den Zuhörern ausgelacht worden seien. An den einmal erworbenen Rechten hält hier Jeder mit eiserner Consequcnz fest und macht dem Nebenmenschen nicht das geringste Zugeständniß. Nls ich z. B. beim heutigen Tiffin nach einer unweit von meinem Couvert stehenden Schale mit Eiern langte, um eines derselben habhaft zu werden, intervenirte sofort der Steward unter dem Vonvande: die Eier seien Privatbesitz. Der angebliche Eigenthümer sandte mir während dieser Auseinandersetzung ein paar Blicke zu, die einige Äehnlichkeit mit ab« gefeuerten Spitzkugeln zeigten. Heute machte ich auch eine Entdeckung, die mein Vertrauen auf die durch langjährige Uebung erworbene Fertigkeit im Eelbstrasiren erhöht; der barbier der „Constitution" ist gleichzeitig Vorschneider bei Tisch. Wenn er mit dem Rasinnesser in den Gesichtern seiner Kunden so genial umhcrfuchtelt, wie mit dem Bmtenmesser in den Hammel-rücken und Roastbeefs, kann ich mich glücklich preisen, seinen Händen nicht verfallen zu sein. Wir befinden uns wieder in der Region der Sandwichsinseln, und von Neuem regt sich mein Bedauern sie nicht kennen zu lernen. Zwei stattliche Vögel von der Größe junger Gänse mit weißem Gefieder, müfsiven Schnäbeln und langen rothen Schwänzen, die aus jener Gegend anlangten und unser Schiff umkreisten, machten mir noch einmal das Herz schwer. Das Wetter bleibt anhaltend schön, und allnächtlich leuchtet das Aleer so entzückend, daß ich immer eines heroischen Entschlusses bedarf, um das Hintercastell zu verlassen und endlich mein Lager aufzusuchen. Unsere Ankunft in Acapulco ist für den 11. Mai angesagt, und schon am 10. kommt das fcrnc Festland in Sicht, kratcrähnliche Gipfel, von der untergehenden Sonne mild angeleuchtet; rings um unsern Steamer wimmelt das Meer von abenteuerlichen Gebilden, Polypen und Fischen. Tie zunehmende Wärme bringt auch das Fächersvicl üntcr unseren Damen in Aufnahme, aber die Schönen von spanischem Geblüt behaupten darin unbedingt den Vorrang. Die neueste Mode wird „Pacific-Fächer" (Stiller Ocean-Fächer) genannt. Wir näherten uns am 11. Mai dem Continent, fuhren ein fandiges flaches Vorland entlang, in respectabler Entfernung mit der tobenden Brandung parallel, und ich beeilte mich, eine Zeichnung des Hinterlandes, das aus einer 135 Kette hoher ausgebrannter Vulkane bestand, die nur noch dünne Rauch-Wölkchen ausstießen, rasch auf das Papier zu werfen. Je mehr wir uns Acapulco nähern, desto schöner und üppiger entfaltet sich die Tropennatur; endlich kommt der Hafen in Sicht. Tie Stadt liegt in einer von malerisch geschwungenen Nerg- und Hügelreihen, über welche der Weg nach Meriko führt, umgebenen Bucht, unmittelbar am Strande des Oceans, gebettet in die reiche Vegetation der heißen Zone. Dicht vor dem Hafen fahren wir an einer Insel vorbei, auf der sich ein optischer Telegraph erhebt, dahinter haben drei französische Damvffregatten Anker geworfen. Auf ein gegebenes Signal legt die „Constitution" bei, und sechs Seeofficiere in großer Gala erscheinen an Vord und stellen mit uns ein ausführliches Examen an, das durch die Umstände geboten fein mag, aber einen höchst unerquicklichen Eindruck hervorbringt. Die Gesichtsfarbe der Franzosen ist entsetzlich fahl und erinnert an den Teint der Leberleidenden in Indien. Einer der Herren gestand mir, daß sie sämmtlich mit hartnäckigen Fieberanfällen zu kämpfen hätten und von Sehnsucht nach ihren: schönen Vaterlande verzehrt würden. Die Erlaubniß, an Land und in die Stadt zu gehen, wird, nach Ausweis der politischen Unbescholtenheit, bereitwillig ertheilt, die „Constitution" dampft weiter, an einem kleinen verfallenen Fort vorüber, stoppt alsdann und geht unmittelbar vor dem armseligen Städtchen vor Anker. Sofort ist auch das Schiff von zahllosen, aus einem Baumstämme gezimmerten Vooten umgeben, deren Insassen uns ihre Landesproducte und Dienste anbieten. Unter der herkömmlichen Melange von farbigen Menschen fallen mir einige junge, bildschöne Mexikanerinnen auf und mehrere Frauen von erccptioneller Körperfülle, die fie obenein durch gigantische Culs de Paris erhöht haben, deren sich ihre kleinen Kinder als Sitze oder Postamente bedienen. Die Toilette aller dieser Damen bestand nur in einem leichten Aeauatorial-Negligö. Unsere Wirthschaftsbeamten traren ihre Auswahl unter den Zum Verkauf angebotenen Ananas, Cacusnüfsen, Drangen, Eitroncn, Gurken und Eiern; ein Trupp Passagiere ging an's Land. Vor anderthalb Jahrhunderten soll Acapulco eine reiche Stadt gewesen sein, gegenwärtig sinkt fie sammt ihren drei Kirchen in Trümmer. Die bergigen Straßen sind ungepflastert, und die Mehrzahl der Wohnungen ähnelt den Strohhäusern von Manila. In der kleinen Bai, die an Hitze einer Schmorpfanne nahe kommt, liegen einige winzige Guano-Inseln, die aber Niemand auszubeuten scheint. Das Festland hinter der Stadt steigt, wie die nähere Besichtigung ergiebt, rasch und steil bergan, die Vegetation von Mangobäumen und CocoHpalmen reicht durch die Straßen Acavulcos bis an den Meeresstrand. Die Freude dcs Spazierganges auf festem Grund und Boden war nur kurz, ohnehin lud sonst nichts zu längerem Bleiben ein, und gegen Abend stach die „Constitution" wieder in See. 136 Als die Dunkelheit hereinbrach, leuchtete von den Berghohen ein Waldbrand, dcn wir bei Tage nicht bemerkt hatten, weit in den Ocean hinein, und noch lange begleitete uns der Schein des Feuers, dessen trüber ^ualm selbst das Licht der Gestirne verdunkelte. Ich war vollkommen zufrieden, wieder einige Stunden unter Palmen verlebt und mich an dem lieblichen Spiel ihrer Blätter, an dem anmuthigen Schwanken ihrer Stämme erfreut ;u haben; vor meinen inneren Augen tauchen die Weiden und Pappeln, die dünnen Kiefern und Telegravhenstangen der Berliner Umgegend auf, und erst das unaufhörliche Wetterleuchten, das uns in die offene See hinaus begleitete, verscheuchte diese Hallucinationen einer überreizten Einbildungskraft. New-Aort '.:nd Ncw-Orleans waren schon zu Bett g^angen und schnarchten und stöhnten nach gewohnter Weise um die Wette. Ich ermunterte Zuerst Beide, um meinerseits ungestört einschlafen zu können, und ging dann selber zur Ruhe. XVIII. 3>er Geburtstag der „ssanftitutian". Ein Tchiffsball. Neue Toilette für Tänzerinnen. Das Priemchcn des Admirals. Complot zwischen Küche und Kcllrr. Nratensauce als Haaröl. Das Uiebespaar und Herr Birtcnzlucig. Tie Fraction Mcyer-Rosenthal. Fliegende Füchse. In drr Bai von Panama. Ohne Hut. Hotel Aspinwall. Vier Mann in einem Zimmer. Varmittagsschlaf der Mosquitos, Am Morgen, als ich unsere Cabine verließ, glaubte ich auf dem Zauberteppich des orientalischen Märchens an das Land und in die Wunder der Tropen-Vegetation zurückversetzt ;u fein. Sobald ich das Verdeck betrat, war freilich angesichts der unermeßlichen blauen Meerosfläche eine fernere Täuschung nicht länger möglich, allein der süß betäubende Duft von Südfrüchten verlieh selbst dem frischen Morgenwinde ein eigenthümliches Pflan;en-Arom. Und doch war, so weit das Auge reichte, kein Land zu entdecken. Unsere sonst stark mit Theer und Kautabak parfümirtc „Constitution" athmete diese holden Wohlgerüche aus. Richt nur die Oekonomie-Verwaltung des TamvferZ, sondern auch die Passagiere aller Klassen haben sich in Acapulco mit Ananas, Orangen und Citronen reichlich versehen und alle Winkel ihrer Lagerstätten vollgepfropft; auf dem Vorderdeck allein hängen an fest ausgespannten Seilen über tausend Stück Ananas. Sie werden hier nicht theurer als unsere Borsdorfer Aepfel oder Reinetten bezahlt. Im Genuß der mit solchen Aromen gemischten Morgenlust verzichtet man gern aus die übliche Cigarre. 137 Die Zahl der Passagiere erster Klasse hat sich um zwei französische Dfficiere vermehrt. Beide sind vom Wechselfieber, das sie seit dem Tage ihrer Ankunft auf mexikanischem Boden nicht mehr verlassen, so hart mitgenommen, day sie als Beurlaubte nach Europa zurückkehren müssen. Liebenswürdige und gebildete Militärs, sparen sie nicht ihre bitteren Bemerkungen über die transatlantische Expedition ihres Kaisers. Der 12. Mai, den wir heute schreiben, ist der Geburtstag der „Constitution", der Eapitän nach altem herkommen mithin verpflichtet, seiner Mannschaft ein Vergnügen zu bereiten. Das Netter war günstig, und nichts verhinderte in den späteren Nachmittagsstunden das Arrangement eines Balles auf dem Vordercastell. Bei dem gänzlichen Mangel an Tänzerinnen theilte sich die Matrosenschaar in zwei gleiche Hälften, Herren und Damen. Von der luxuriösen Toilette der schönen Amerikanerinnen, die ohne Intervention der Seekrankheit zuweilen viermal im Laufe eines Tages verändert wird, habe ich schon gesprochen, und die Mannschaft theilt augenscheinlich meine Ansicht, daß hier von einer Concurrenz der fingirten Damen nicht die Rede sein könne. Zudem gebietet die steigende Hitze in Bezug auf anhaltende körperliche Anstrengung eine mögliche Vereinfachung des Costünls. Die Oalatracht der tanzenden Herren besteht nur in Hosen und Hemde, die Damen haben, wie ich vermuthe, in dem ästhetischen Bestreben, an die beliebte Tecollctirung des schönen Geschlechts am Bällen zu erinnern, letzteres ganz abgelegt. Beide Geschlechter tanzen barfüßig, und alle Tänze, von denen ich nur „Hornpipe und Schussle" nennen will, wurden höchst ehrbar und ernst ausgeführt. Sehr gesucht waren mehrere Damen, die sich im Besitz weißer baumwollener Taschentücher befanden und diese herausfordernd wehen ließen. Die zum Tanz spielende Cavelle geberdete sich glimpflicher, als ich erwartet hatte Größtentheils aus den bei Tische aufwartenden Negern bestehend, handhabte sie Flöte, Horn, Trompete, Trommel, Triangel und Tamtam wenigstens im Tact, gelegentlich gelang es mir sogar, etwas einer Melodie Aehnliches herauszuhören. Der Kastenunterschiede eingedenk, betrugen sich die Passagiere sehr zurückhaltend, und man ließ mich bei meiner Rückkehr vom Vorderdeck in das für „Tabu" erklärte Staats-gemach absichtlich merken, daß ich einen Verstoß wider die gute Sitte begangen habe. Dem Tanzvergnügen folgte ein n«ritimer Commcrs im Zwischendeck. Nach den vielfarbigen Flecken in den Gesichtern der Zecher, die uns am nächsten Morgen begegneten, mußte es mehr als lustig hergegangen sein. Die einzige Ausbeute meines Besuches auf dem Vorderdeck war eine Anekdote, die ich einen: mir Gesellschaft leistenden jungen Steuermann verdanke und die zugleich eine endgültige Probe von der Feinheit der Unterhaltung auf hoher See liefern wird. Ein englischer Admiral, erzählte mein Freund, besuchte einen amerikanischen Collegen an Bord seines Schisfes. Der Engländer 138 nimmt in der Vorkajüte sein „Priemchen" ^Kautabak) aus dem Munde und legt es auf den Tisch, neben dem ein Wachtposten steht. Nach einer Stunde kehrt der Admiral zurück, nimmt das Priemchen von Neuem in den Mund, schüttelt den Kopf und sagt zu dem das Gewehr anziehenden Seesoldaten: „Ihr seid mir auch keine rechten Seesoldaten! Nei uns zu Lande würde kein Mann das Priemchen eines Admirals liegen lassen!" „falten zu Gnaden, Ercellem," murmelte der Soldat uud präsentirte', „ich hab's die ganze Zeit über gekaut." Wir sind unter dein vierzehnten Grad nördlicher Vreite angelangt, und der nächste Morgen geigte einen so hohen Stand des Thermometers, daß uns Allen ganz unheimlich m Muthe ward. Die Officiere steckten die Köpfe zusammen, der Capitän betrachtete mit gerunzelter Stirn fortwährend den Horizont, unter den Matrosen geigte sich eine erhöhte Regsamkeit; man wollte wissen, der Chef habe die Annäherung eines Orcans vorausgesagt. Ein Theil der Passagiere zog sich sogleich in die Cabinen zurück und wurde — ein Beweis von der Macht der Einbildungskraft — seekrank, wir Uebrigen blieben, wie ein Schwärm eingeschüchterter Vögel, beisammen und harrten resignirt der Dinge, die da kommen sollten. Eine Stunde nach der andern verging, ohnc daß der Orcan sich anmeldete, als um 9 Uhr Abends ganz unerwartet die Mark und Vein erschütternde Doppelpfeife erschallte; die Mannschaft wurde abermals durch Feuerlärm alarmirt. Der Capitän hatte ihr eine Strafe für die Ausschreitungen beim gestrigen Trinkgelage zugedacht, ohne unsere Mitleidenschaft weiter in Vetracht zu ziehen. Ich enthalte mich jeglichen Protestes gegen dergleichen Improvisationen zur Prüfung der Disciplin, aber wenn man weiß, daß auf unserer Linie vor Jahr und Tag der Dampfer „Golden Gate" mit neunhundert Menschen ein Raub der Flammen geworden ist, sind alle jene Krampfzufälle, an denen unsere Touristinnen die Nacht hindurch litten, nur zu erklärlich. Dessenungeachtet machte ich meinem Unmuth über die Verkürzung der nächtlichen Nuhe einer stolzen, aber schönen Spanierin gegenüber, mit der ich seit der Abfahrt van Acapulco bekannt geworden bin, nachdrücklich Luft. Durch die Huldigungen ihres Gatten und dienstthuenden Cicisbco verwöhnt, schenkt die stattliche Dame allen Personen, die mit ihr ein Gespräch anknüpfen, nur halb Gchör und läßt auf jeden, eben vollendeten Satz regelmäßig die Worte folgen: „Wie sagten Sie?" Heute hatte sie einen besonders nachlässigen Ton angenommen, der Faden meiner Geduld riß, und ich erklärte rund heraus ihr Fragesystem für eine häßliche Angewohnheit und Unart, der ich mich schlechterdings nicht mehr fügen würde. Kaum waren diese Worte dem Gehege meiner Zähne entflohen, als der Gatte so gut wie der Cicisbeo, von ihren Stühlen aufsprangen. Amangs glaubte ich, sie beabsichtigten mich für dieses mündliche Attentat auf ihre Donna nieder- 139 zustoßen, allein Veide schüttelten entzückt meine Hände und sprachen ihre« tiegefühlten Tank für den ihnen geleisteten Dienst aus. Seit zehn Jahren hatten sie dasselbe sagen wollen, aber noch nie den dazu erforderlichen Muth aufgebracht. Die Spanierin benahm sich vortrefflich, gestand ihren Fehler ein und versprach, fortan nach Kräften dagegen anzukämpfen. Unsere Naturalverpflcgung, die anfangs der sonstigen Eleganz aller Einrichtungen entsprach, geht mit den: sinkenden Appetit der Passagiere Hand in Hand. Ellenlange Beefsteaks tauchen auf, von denen nicht ein Zoll genießbar ist, und alle Gerichte sind versalzen. Die schöne Spanierin behauptet in ihrem naiven Französisch: Eis-, Soda- und Neinhändler hätten sich mit dem Schiffskoch in ein Complot zur Ausbeutung des Durstes der Passagiere eingelassen. Vei einem Thermometcrstand von 30 Grad Maumur ist die Sache nicht ganz unglaubhaft. Viele Speisen kehren unberührt vom Tische in die Küche zurück, und ich überraschte, als ich etwas früher aufstand, einen Schwarzen, der seine Pranken in einen mit Vratcnsauce gefüllten Napf tauchte und damit seine krausen Wollhaare salbte. Nach der Versicherung meiner Cabinengefährten ist die belebteste Pomade der Nigger ein Gemisch von Schweinefett und — Tyrup. Je mehr wir uns dem Süden nähern, desto gröher wird m'.sere Besorgniß vor einem Zusammentreffen mit der „Alabama" odcr irgend einem anderen Dampstnper der Insurgenten. Nm 14. Mai, um 11 Uhr Vormittags, kam es Zu einem förmlichen Auflauf. Pfeilgeschwind näherte sich der „Constitution" ein flüchtiger Steamer, und in jedem Augenblick erwarteten wir, eine Rauchwolke aufsteigen und eine Kugel in unsern Vug schlagen zu sehen; wir hatten uns umsonst gefürchtet. Fünf Minuten später flatterte von der Gaffel des Unbekannten das Banner der Vereinigten Staaten, wir erwiderten seinen Gruß und setzton beiderseits ohne fernere Erörterungen unseren Neg fort. Alle Herzen fühlten sich erleichtert. Die Causerie wird wieder aufgenommen. Gegenstand allseitiger Beobachtung ist ein veruneinigtes Liebespaar. Er hat sich in ein Buch vertieft; sie sucht vergebens durch unaufhörlichen Wechsel der Toilette scine Aufmerksamkeit zu erregen. Endlich sollte es ihr nlit einein weißseidencn Gewände, auf dem schwarze und goldene Arabesken prangten, gelingen. Um 4 Uhr lustwandelte sie am Ann des ausgesöhnten Geliebten auf der Promenade. Der launische Master ist ein reicher Grundbesitzer, dem die gesammte Flora an Nord der „Constitution" nachstellt. „Und er heirathet sie doch nicht!" sagte Hcrr Birkenzweig, als das glückliche Paar an uns vorüberging. Der mcnschenkundige Landsmann, Besitzer eines Möbel-Magazins in San Francisco, beabsichtigt, seinen Verwandten m einem kleinen pommerschen Flecken einen Besuch abzustatten, um sich an ihren: Erstaunen über seine Herrlichkeit zu weiden, und dann für 140 immer in das Goldland zurückzukehren. Herr Virkenzweig hat sich gleich mir der Fraction Meyer-Nosenthal angeschlossen. Zu meinem Leidwesen spiele ich bei unseren gemeinschaftlichen Spaziergängen nur eine untergeordnete Rolle. Ich habe nämlich in Tan Francisco nicht daran gedacht, mich mit einem rrbfengrünen Ueberrock aus waschbarem Zeuge ;u versehen, den jeder Mann comnie ii saut bei einem gewissen Stande des Thermometers anlegt. Die Farbe ihrer Sommerröcke contrastirt so prächtig mit den schwarzbraunen Physiognomien der drei Reisegefährten, wie die jungen Erbsen selber mit den dazu gehörigen (5otelettes. Das anderthalbstündige Intermezzo cines tropischen Platzregens abgerechnet, bleibt das Netter anhaltend schön und die See ruhig. Am 15. Mai, dem zweiten Sonntage unserer Seefahrt, näherten wir uns der Küste, und ein großes Fischerboot gerieth in Sicht, aber aufsteigende leichte Dünste verschleierten uns bald die malerischen Umrisse des Festlandes, zerklüftete Vergzacken. Ein Schlag auf den Gong rin uns, wie zum Diner, so auch zum Gottesdienst. Der Capita« behauptet hinsichtlich seines Platzes den Vorrang, hinter ihn: sitzen die Damen; die Herren bilden eine Art Steh-parterre. Den Altar stellt ein mit dem Sternenbanner bedeckter Tisch vor, darauf liegt ein reich vergoldetes Prachtexemplar der Vibel neben einigen lHebetbüchern. Alle Damen waren in weißen Gewändern erschienen, auch de? geistliche Herr trug einen weißen Ueberwurf und grün und roth gestickte Vantosseln. Vermuthlich hatte der Matrosenball der verflossenen Woche dem Knecht des Hern: Veranlassung gegeben, einen Text zu wählen, an den sich moralische Betrachtungen über den verführerischen Einfluß der Tansiunst auf das männliche Gemüth und die unberechenbaren Folgen einer allzu großen Nachgiebigkeit gegen schöne Tänzerinnen knüpfen ließen. Tanir war unstreitig kein passenderes Thema vorhanden, als die ersten zwölf Verse im vierzehnten Capitel des Evangelium Matthäi. Der Prediger schrieb die Enthauptung Iohannis des Täufers lediglich der Schwäche des Viernirsten für HerodiaZ zu und erging sich in einer donnernden Philippika gegen leichtfertige Weiber und gewaltthätige Männer. Die Fraction hätte die Vermeidung des Gottesdienstes für einen Verstoß gegen die Pflichten jedes Gentlemans angesehen und stand in ihren erbsengrünen Röcken hinter mir. Als der Redner nun den Moment schilderte, wo das Haupt des Täufers dem Vierfürsten über-bracht wird, finrte er, wie es schien, ungemcin scharf die Mitglieder der Fraction, «ls mache er sie noch heute für dic Grausamkeit des Vierfürsten verantwortlich. Es beruhigte mich, daß meine Reisegefährten die anzüglichen Vlicke des Eiferers nicht zu bemerken schienen. Die unbeschreibliche Schönheit des Spätnachmittags und Sonnenuntergangs versammelte alle Damen auf dem Verdeck und veranlaßte sie zu Bemerkungen, aus denen erhellte, wie 141 uienig sie sich die Warnungen des Seelsorgers vor den Gefahren der Tanzkunst zu Henen genommen hatten. So oft über der phantastischen Wolken-bank, hinter der das Tagesgestirn versank, eine neue Farbennuance auftauchte, wünschte irgend eine der Grazien gerade ein solches Ballkleid zu haben. Meine Frage, ob das Colorit der Natur den Forderungen einer gefchmack-vollen Toilette entspreche, nmrde huldreich bejaht, nur in Betreff der himmelblauen Tinten hielten die Schönen die chinesischen Färber der Natur für weit überlegen; ein tadelloses Vlau, wie das ihrige, geb.: es selbst nicht am Firmament. Nach Einbruch der Dunkelheit sprach der Geistliche noch ein kurzes Gebet, in dem er nachdrücklich an die Schrecken der Hölle erinnerte; dann sangen die jungen Amerikanerinnen sehr wohllautend einige Choräle, denen Mannschaft und Passagiere andächtig lauschten. Tie gewaltige Maschine der „Constitution" schafft uns rasch vorwärts; am 16. Mai hatten wir schon den siebenten Grad nördlicher Breite und mit ihm eine winzige, über und über bewaldete Insel erreicht; in der Ferne des Horizonts verdämmern hohe, aus der Tiefe des Oceans hervorragende Berggipfel. Zugleich zeigen sich sporadische Fälle der schon in den chinesischen Gewässern angeführten Ausschlagstrankheit: „der rothe Hund". Die ferne Küste wird von den Schiffs offkieren für Costa Rica ausgegeben. Die Bäume des namenlosen Eilands wimmeln von Papageien und Meerkatzen. Weithin ist die Oberfläche des Oceans mit seltsamen, lebenden Creaturm bedeckt, und eine fünf Fuß lange Schildkröte war so tief in ihre Träume versunken, daß sie von dem Schaufelrade erfaßt und in die Tiefe gewirbelt wurde. Gegen Abend waren wir Ieugen einer Treibjagd, die ein großer Hai mit einer Heerde Schweinesische anstellte. Die geängstigten Thiere suchten immer das Kielwasser des Dampfers zu erreichen, dessen Schaum sie dem Auge des gefräßigen Ungeheuers entzog. Wir sind aus mir unbekannten Gründen über Panama hinaus gedampft und steuern in dcn neunten Breitengrad in nordöstlicher Richtung zurück. Die Nachbarschaft des Landes geht aus manchen unerwarteten Ne-suchen hervor. So hatten sich spät Abends auf Deck mehrere „Vampyre" oder „Fliegende Füchse" eingefunden. Die armen Geschöpfe mochten ihre Ercursionen zu weit ausgedehnt haben, sie saßen bis zum Sterben erschöpft am dem Glaodach des Speiscsalons und fächelten einander mit ihren weiten Fledermausflügeln. Cs war ein Glück für die müden Reisenden, daß außer mir nur noch ein Pasfagier auf Tett verweilte, man hätte sich in dem hüli> losen Zustande sonst sicher ihrer bemächtigt. Noch waren wir in Betrachtung dieser phantastischen Naturgebilde versunken, als dicht neben uns eine mit Leuchtkugeln gefüllte Rakete laut prasselnd in di? Höhe stieg und uns durch den Schreck fast von oeu Stühlen :oarf. 142 Man hatte nur einen anderen Dampfer durch ein Signal von besonderem Nachdruck zu warnen gesucht. Als ich mich am 18. Mai von meinem Lager erhob und im Freien umsah, schwamm die „Constitution" zwischen kleinen üppig bewaldeten Inseln, auf denen das bewaffnete Auge Häuschen und Hütten unterschied. Schon um 9 Uhr Morgens gelangten wir in die Bai von Panama. Vei der Einfahrt ist die äußerste Vorsicht erforderlich, denn die Gewässer sind mit einer Menge von Sandbänken angefüllt, die nährend der Ebbe drei bis vier Fuß hohe Infcln bilden, bei hohem Wasserstande aber verschwinden und jedem nachlässig geführten Schiffe den Untergang bereiten. Das Panorama von Panama kann sich an malerischer Mannigfaltigkeit und Großartigkeit der landfchaftlichen Umgebung nicht mit Acavulco messen. Die Stadt liegt an den Abdachungen eines Ausläufers der Andes--kette und ist nur mit dichtbcwaldeten Vorbergen umgeben, deren faftiges Grün und gerundete Formen das Auge nicht spannen, fondern nur beruhigen. Kaum waren die Anker der „Constitution" gefallen, als sich uns auch fchon ein kleiner Dampfer näherte, um Passagiere und Effecten an Land zu befördern. Die tiefgehende „Constitution" hatte bei der Seichtheit der Gewässer ziemlich fern vom Strande Anker geworfen, und zwei Stunden vergingen, ehe die letzten Reisenden ausgeschifft waren. Grundsätzlich übereile ich mich niemals bei solchen Gelegenheiten. Auf meinen Gepäckstücken sitzend, wartete ich die letzte Fahrt des Dampf-Omnibus ab und ergötzte mich bis dahin mit den Handelsleuten, die unseren Postdampfer in kleinen Vooten erwartet hatten und uns Papageien in allen Farben, Meerkatzen, kleine Faulthiere und junge Jaguare in Käfigen zu Schleuderpreisen anboten. Ich mußte mich zu angelegentlich in die Curiositäten vertieft haben, denn als ich aufblickte, war mein auf einem Koffer liegender Hut verschwunden^ und ich fühlte mich sogleich nach meiner Landung veranlaßt, einen der loealen Panamahüte anzukaufen. Der Verlust schärfte mir Vorsicht ein; fie roar wirklich dringend geboten. Der Dampfer setzte uns an den: Vollwerk der über die Landenge führenden Eisenbahn ab, und hier waren in der That hundert Augen und Arme nothwendig, um die Habseligkeiten «or der Zudringlichkeit der schwarzbrauncn Langfinger zu schützen. Ohne die Unterstützung mehrerer eingeborenen barfüßigen Soldaten wäre ich noch kurz vor dem Ende meiner Reise um Hab und Gut gekommen. Diese Vertheidiger des Eig,enthumsrechts machten indeß mit den Halunken kurzen Proceß. Leichtere Eremplare wurden über das hölzerne Geländer geworfen, schwerere mit derben Fußstößen untendurch befördert. Ein mit Efeln bespannter Omnibus stand bereit, diejenigen, welche nicht gleich die Küste des Stillen mit der des Atlantischen Oceans, oder vielmehr des mexikanischen Meerbusens, vertaufchen wollten, nach Hotel Asvinwall zu führen. In Gesellschaft der beiden fieberkranken Officiere stieg ich ein, 143 aber die Bespannung unseres Reserve-Omnibus verrieth nur geringe Neigung, sich ernstlich in das Geschirr zu legen. Vor einem ziemlich steilen Hügel blieb die langohrige Quadriga trotzig stehen, und uns blieb nichts Anderes übrig, als im Schweiße unseres Angesichts zu Fuß das Hotel zu erreichen. Nenn die Dampfschiffe aus dem Norden und Süden Amerikas und Eisenbahn-züge aus den Osten ankommen, sind alle Hotels überfüllt und der Reisende hat dem Himmel zu danken, wenn er nur ein leidliches Unterkommen findet. Uns wurde ein mit vier sauberen Netten, aber nicht mit Fenstern ausgestattetes Zimmer angewiesen, das wir mit unzähligen Mosquitos, die bis auf Weiteres schlummernd an den Wänden hingen, und einem reichen deutschen Herrn zu theilen hatten. Der Gentleman sah scheel drein, aber was kümmerte das uns, die wir hoffen durften, in drei bis vier Wochen die geliebte Heimath zu erreichen. Fünf Minuten darauf befanden sich die gleichfalls mit schlafenden Mosquitos bedeckten po^te i^Ftante-Vriefe aus Preußen in meinen Händen; ich überlasse dem garstigen Brummbär vorläufig das bestrittene Terrain, den tapferen Franzosen die Vertheidigung desselben und ziehe mich in die schattige Veranda des nächsten Kaffeehauses zurück, um mich unbehelligt der Lecture der Briefe meiner Lieben zu widmen. XIX. stundschau in Panama. Für die Schüler Darwins. Azteken an Ort und 2tellc. Dä5er van Nufternschalen. Tas Panamafirber. Der kleine Rothschild. Meine Taucher. Dörfer im Urwaldc. Leuchtkäfer als Haarschmuck. Halb Ekelet. Klempner Fischer. Der spanische Gesandte. Seine Flucht auf rincr Draisine. Ueber die üandenge nach Aspinwall. Nach einer auf der Mosquito-Folter durchwachten Nacht erhob ich mich um 6 Uhr von dem Schmerzenslager und begann meine übliche Wanderung durch die Stadt. Die Bevölkerung von Panama zieht sich allabendlich gegen 10 Uhr in ihre Häuser zurück, steht dafür aber am Morgen auch gleichzeitig mit den Hühnern auf. Die Einwohnerzahl übersteigt nicht achttausend; der Ort enthält, es sei denn, man wolle einige alte, verfalleile Kirchen dahin rechnen, weiter keine Merkwürdigkeiten, und doch übt er, wie alle Städte, in denen der spanische Volksstamm vorwaltet, auf mich eine feltene Anziehungskraft aus. Der feine Spanier ist in feiner Tournüre ein Gentleman erster Klaffe, und an den schönen und tiefen Augen der Frauen vermochte ich mich niemals satt zu sehen. Man weiß sich gemüthlich einzurichten, die Häuser sind durch- 144 gängig zwei Stock hoch, von Veranden umgeben und reich mit Vlumen und tropischen Zierpflanzen geschmückt, in herabhängenden vergoldeten Ringen schaukeln sich buntfarbige Papageien und mischen ihr Geschrei in den Klang der Mandolinen, d^e den Gesang ihrer schönen Gebieterinnen begleiten; dieser stolze Menschenschlag giebt etwas auf poetische Gestaltung des Lebens. Ein dahin gehöriger Zug äußerte sich auch in den Erklärungen eines schwärzlichen alten Kirchendienern, den ich in den malerischen Ruinen eines (Gotteshauses fand, wo er sein Leben mit den Trinkgeldern der Touristen zu fristen schien. Der gute Greis hatte eine phantastische Geschichte des verfallenen Bauwerks componirt und demselben ein Alter von dreitausend Jahren beigelegt, da es doch deren höchstens hundertundfünfzig zählen konnte; in seinen Fundamenten sollen große schätze vermauert sein uud allnächtlich Geister zu ihrer Bewachung umgehen. Mehr als diese unzugänglichen Reichthümer und ihre unheimlichen Wächter fesselte mich die Ruine selber und der hohe Vaumwuchs auf ihren geborstenen Mauern. Mit flüchtigen Strichen entwarf ich eine Zeichnung in mein Stizzenbuch. Auf den Plätzen und in den schmalen schattigen Straßen Panamas herrfcht reges Leben, Menschen jeglicher Farbe und jedes Oesichtsschnittes tummeln sich umher und überbieten durch ihren Heidenlärm das Geschrei der vor allen Fenstern und Thüren hängenden Papageien. Den Nekennern der Lehre Darwins kann ich mit gutem Gewissen Panama zu gründlichen Studien über die Kreuzung der Nacen und die Veredelung des indianischen Stammes durch europäisches Vlut anempfehlen. Oleich am ersten Vormittage begegnete ich einem etwa zehnjährigen Jungen von der Farbe eines angeräucherten Kupferkesfels, die ganz absonderlich mit dem norddeutschen blonden Krauskopf contrastirte. Auch vereinzelte Eremvlare der bei uns angestaunten vogelköpfigen Azteken sind mir mehrfach aufgestoßen. Männer und Weiber tragen Panamahüte, außerdem aber nur — ich spreche von den Eingeborenen — einen um die Hüften gebundenen Streifen von blauem Kattun. Kröpfe kommen eben so häusig vor wie in den engen und dumpfigen Hochgebirgsthälern der Schweiz und Turols, doch sind die Inhaberinnen weit entfernt, fie zu verbergen: man umgiebt sie vielmehr mit Perlenschnuren und Rosenkränzen. Gleichzeitig erinnern Irrsinnige, die sich in den Straßen umhertreiben, wie dringend es Mth thut, den Kop' durch sorgfältige Bedeckung gegen den Tonnenstich zu schützen. Ich zog mich weislich in das Hotel zurück und wagte mich erst eine Stunde vor Sonnenuntergang wieder hervor, um eine Aquarelle des Marktplatzes und der Kathedrale ;u beginnen. Tiese ist, wie all? Kirchen oder C »pellen des Ortes, im Styl der Jesuiten erbaut, befindet sich aber auch schon im Venall, fo stattlich die beiden Thürme dreinschauen mögen. Die gottesdienstlichen Gebäude find sämmtlich, statt mit Dachziegeln, mit großen Austerschalen und anderen uimang- 145 reichen Muscheln gedeckt; eine Methode, die bei der Nothwendigkeit fortwährender Ausbesserungen nicht nachahmungswerth erscheint. Aus Furcht vor dem Panamafieber, das beim Veginn der heißen Jahreszeit am heftigsten aufzutreten pflegt, beschränke ich meine Arbeit auf das Nothwendigste. In den letzten vierundzwanzig Stunden sind in unserem Hotel schon zwei Todesfälle vorgekommen. Tie beiden deichen wurden gleich nach Tagesanbruch in aller Stille fortgeschafft, um die übrigen Gäste nicht in Schrecken zu versetzen Tie Verstorbeneu, zwei Nordamerikaner, hatten ihren raschen Tod durch Ausschweifung und Tiätfchler felbst verschuldet. Meine Reisegefährten, die französischen Officiere, leben äußerst zurückgezogen und mäßig, um nicht dem mörderischen Klima des Ortes Vorschub zu leisten. Gewarnt vor nächtlichem Aufenthalt im Freien, gehen wir Drei pünktlich um N> Uhr zu Veit; der deutsche Stubeukamemd — wir nennen ihn seiner Reichthümer wegen den „kleinen Nothfchild" — bindet sich in Lebensweise und Tiät an keine Regel. Sein Netragen in einer der letzten Nächte macht unserem traulichen Beisammensein unerwartet ein Ende. Nachdem er zwischen Mitternacht und Tagesanbruch, angeblich in Folge der Mosquitovein, in Wirklichkeit wohl aber nur auf Grund von Champagner-Libationen, wie ein wildes Thier in seiner Klause hinter der Gardine getobt hatte und endlich aus dein Vette gefallen war, drangen die Franzosen, der Störung ihrer Nachtruhe müde, in den Wirth des Hotels, ihnen ein anderes Zimmer einzuräumen. Ihre Nitten waren vergebens, erst der französische Consul, an den sie sich gewandt, hatte Rath zu schaffen gewußt. Alv ich Abends nach Hause kam, fand ich die guten Gesellen im ersten Stock in dem luftigen Talon des Hotels einquartiert. Der Jüngere war vor Freuden außer sich; er behauptete, nur bei feinem Lieutenants-Eramen ärger geschwitzt Zu haben, wie in der vorigen Herberge. Sobald die Sonne ihr feuriges Antlitz hinter Wolken versteckt, benutze ch die kurze Galgenfrist '^u kleinen Ausflügen in's Freie und Spaziergängen an der Meeresküste. Außerordentlichen Vergnügen bereitet mir die Beobachtung der kleinen Taschenkreose. Sie verbergen sich beim Eintritt der Ebbe, um den Angriffen ihrer Feinde Zu entgehen, in leere Muscheln und schleppen diefe, die oft zehnmal schwerer sind als sie selber, auf dem Rücken mit .sich umher. Gegen ein kleines Gefchenk holen mir die Jungen der indianischen Küsten-bcwohner aus dein Meeresgrunde, der hier meistentheils aus Fels besteht, die prächtigsten Muscheln herauf. Gewöhnlich bin ich verurtheilt, diese Ercursionen ganz allein ;u unternehmen; kein hiesiger Geschäfsmann oder Handelsreisender kümmert sich um die landschaftliche Hingebung. Will man seine Spaziergänge etwas weiter ausdehnen, so muß mail sich allerdings nach Begleitung umsehen, auch ist es nicht rathsam, sich unbewaffnet auf den Weg zu machen. Am 20. Mai war es mir gelungen, zwei Engländer zu einer kleinen Iagdvartie Hildebranbl'« Ncijc um dir Erbe. III. ^ " 146 zu bewegen. Wir gingen einige deutsche Meilen weit landein und schössen eine Anzahl bunter Vögel, plötzlich stürzte ein fast nackter Indianer aus dem Gebüsch, hielt mit der Rechten die Weiche fest, als sei er dort durch unsere Schüsse verwundet, und zeigte uns mit der Linken unter dein kläglichsten Geheul einige Rehposten, den Beweis unserer Unachtsamkeit. Die Speculation des geriebenen Landeskindes war verfehlt-, wir hatten gar keine Rehposten bei uns, sondern nur Schrot geladen. Da er für die angebliche Verwundung eine Geldentschädigung verlangte, machte ihm der am wenigsten maulfaule der beiden Jäger begreiflich, er werde wohlthun, sich so schleunig als möglich zu entfernen, wenn er nicht vorsiehe, wirklich eine Ladung „Dunst" in die Sitztheile zu erhalten. Da dieses Angebot durch Demonstrationen mit dem Flintcnlauf illustrirt wurde, suchte der Pseudo-Vlessirte rasch das-Weite, wies uns dann aber, außer Schußweite angekommen, hohnlachend un-uerhüllt jene Körpertheile, die noch soeben bedroht gewesen waren. Mehr Unterhaltung gewährte ein Ausflug, den ich in Gesellschaft der französischen Officiere nach dem Urwalde unternahm. Wir statteten in zwei am Rande desselben gelegenen Dörfern einen Besuch ab und wurden von den hier ansässigen Indianern und freien Negern sehr zuvorkommend empfangen« Meine Gefährten suchten sich mit den gutmüthigen Naturkinbern zu ver-ständigen, ich brachte rasch die Umrisse der sehr malerisch gelegenen Ansiedelungen zu Papier. Die Arbeit ging mühselig genug von statten. Um mich her krabbelte ein Haufen nackter Kinder, die sich meiner Kniee bedienten, um sich daran aufzurichten, dann wurde ich fartwährend durch mein eigenes Gelächter am Zeichnen gehindert. Die Versuche der Franzosen, mit unseren Wirthen durchaus eine Unterhaltung anzuknüpfen, waren ;u komisch. Die Dorfbewohner schienen sich einiger Wohlhabenheit zu erfreuen und nach ihrer Weife das Leben in vollen Zügen zu genießen. Esel, Schweine, Hühner und Enten trieben sich zwanglos unter den Menschen umher; das Ensemble hatte einen communistischen Anstrich. Aeltere Männer schaukelten sich in ihren Hängematten; die Frauen kochten das frugale Abendbrot, eine Art Häckselbrei aus Reis und ^ Reisstroh. Die Einladung, an der Mahlzeit theilzunehmen, lehnten wir ab. Es dunkelte und Regenwolken zogen herauf; mit dem Wetter in den Tropen vertraut, eilten wir, die Stadt zu erreichen; allein der Platzregen überholte uns, wir mußten in eine am Wege stehende Hütte flüchten. Vier junge indianische Mädchen, die sie unter der Obhut von zwei Männern und einer schwarzen Dienerin bewohnten, schienen nicht ganz unbemittelt zu sein. Sie empfingen uns sehr zuvorkommend und kramten selbstgefällig ihre Schmuckfachen hervor, unter denen sich auch jene wunderbaren Leuchtkäfer befanden, welche die hiesigen Frauen und Mädchen im Haar tragen. Der phos-fhorische Schimmer geht von zwei hervorstehenden, Augen ähnlichen Buckeln 147 aus und gleicht dem unserer Johanniswürmchen. Die Thicrchen leuchten nur, so lange sie lebendig sind, und werden daher sorglich gepflegt. Die Besichtigung dieser Merkwürdigkeit beschäftigte uns gerade so lange, als der Regen anhielt; wir kamen wider Erwarten trocken nach Hause. So bitterlich andere Reisende sich über die hiesige Temperatur beklagen, ziehe ich sie, ungeachtet der drückenden Hitze und Gefahr für die Gesundheit, doch dem indischen Klima vor. Natürlich darf man die bekannten Vorsichtsmaßregeln nirgends außer Acht lassen. Die naheliegenden Diätfehler und anderweitige Excesse tragen wohl in den meisten Fällen die Schuld an dem Ausbruch des Panama-Fiebers und seines tödtlichen Verlaufes. Schon vor Jahren, während meines längeren Aufenthaltes in Brasilien, habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Hitze in Amerika erschlafft die Lebenstraft bei Weitem nicht in so hohem Grade wie in Asien. Nach der starken körperlichen Bewegung des Tages hätte ich mich eines erquicklichen Schlummers erfreuen können, wäre mir derselbe nicht durch meinen Schlafburschen, „den kleinen Nothschild", verkümmert worden. Spät in der Nacht kam der unverbesserliche Lebemann nach Hause, wechselte mit mir einige abgebrochene Warte und sank dann röchelnd auf sein Lager. Muthmaßlich hatte er zu schwer geladen, das Vett brach unter ihm zusammen. Das Nnglück war nicht groß, denn noch standen die Betten der Franzosen in dem Zimmer. Der kleine Nothschild rückte eins derselben in die Mitte, legte sich nieder und entschlief endlich unter fortwährenden Selbstgesprächen, aus denen unschwer die Ausschreitungen des letzten Abends ;u errathen waren. Des Unholds von Herzen überdrüssig, machte ich mich Morgens bei Zeiten davon: befand ich mich doch überall wohler als in seiner Gesellschaft. Ich besah einige Curiositäten Panamas, unter anderen das große weiße Schwein, wie der spanische Züchter mit emphatischen Worten behauptet: das größte der Welt, und gab dem vor unseren: Hotel sitzenden Indianer sein tägliches Almosen. Bis zu den Hüften hinauf gleicht der unglückliche Mensch einem Ekelet; der Oberkörper ist dagegen vollkommen ausgebildet und die Ernährung scheint von der anomalen Structur der unteren Ertremitäten nicht beeinträchtigt zu werden. Er bekleidet den Posten eines Hotel-Nichsiers und erhält für jedes Paar von ihm geputzter Stiefel ein Salair von circa fünf Silbergroschen. Hotel Asvinwall ist überfüllt von Amerikanern; unsere Tischgesellschaft besteht nur aus Individuen mit den Titeln: Doctor, Capitän und Major. Der gesellschaftliche Ton ist ungleich ungezwungener als im Hotel Ruh zu San Francisco, sogar die schwarze Dienerschaft erlaubt sich, während die Speisen umhergereicht werden, zu pfeifen und die auf den Tellern übrig gebliebenen Visfen unter den Augen der Gäste in den Mund zu stecken. 10» 148 Auf meinen Fußwanderungen durch die Straßen der Stadt mache ich manche unerwartete Bekanntschaft. Die hiesige Industrie befindet sich durchschnittlich in den Händen der Franzosen, doch kam ich auch mit einigen Deutschen zusammen. So fand ich in dem Klempnerladen einer Seitenstraße einen Landsmann, Namens Fischer, der sich vor zehn Jahren mit einem ersparten Vermögcn von zwölftausend Dollars nach Europa eingeschult. Der unbesonnene Mann hatte die Summe nicht in Papiere umgesetzt, sondern in klingendem Gelde in Kisten verpackt; als er in Liverpool landete, waren diese spurlos verschwunden. Ein Engländer, der ihm schon von Älew-Iork aus gefolgt, soll der Dieb gewesen sein. Der Unglückliche war sofort zurückgelehrt und hatte sein Geschäft gleich wieder von vorn angefangen, abcr noch kein Vermögen zum zweiten Male erspart. Das fällige Dampfschiff von Chile war am ^1. Mai gegen Abend aw gekommen und hat:e eine Menge Passagiere ausgeschifft, unter denen sich auch der spanische Gesandte befand. Die Feindseligkeiten wegen der Gullno«Inseln waren damals eben ausgebrochen, und der Pöbel von Panama hatte kaum die Ankunft des Gesandten erfahren, al5 er sich sofort daran machte, die Beschlagnahme und Besetzung der Guano-Inseln durch spanische Schiffe und Truppen wider alles Völkerrecht an seiner Person zu rächen. Ich war zwischen 11 und 12 Uhr Nachts eben eingeschlummert, als ich durch einen fürchterlichen Svectakel vor der Hausthür wieder aufgeschreckt wurde. Das ganze Hotel erbebte bis in seine Grundvesten, und schon glaubte ich an ein Erdbeben, als der Schein von Fackeln, der die Decke des Zimmers roth erleuchtete, mich eines Besseren belehrte. In der Stadt hatte sich das Gerücht verbreitet, der Gesandte sei im Hotel Aspinwall abgestiegen, und die untenstehende Menge forderte ungestüm von unseren: Wirthe die Auslieferung des unglücklichen Diplomaten. Die Masse bestand aus einigen hundert schwarzen kehlabschneidern, die, sämmtlich mit Pistolen und Dolchen bewaffnet, dem Gesandten, wäre er in ihre Hände gerathen, unfehlbar den Garaus gemacht hätten. Der Wirth des Hotels jedoch, der mit ähnlichen Scenen vertraut zu sein schien, hielt aus einem Fenster des ersten Stocks eine geharnischte Node, in welcher er den schwarzen Missethätern nicht allein ihr Betragen verwies, sondern auch mit leidenschaftlichen Geberden und Worten betheuerte, der Gesuchte befinde sich nicht in seinem Hause. Diese Versicherung konnte er mit um so größerer Zuversicht geben, als der Gesandte, der rechtzeitig den Braten gerochen, längst das Weite gesucht und im Hause des englischen Eonsuls ein Unterkommen gefunden hatte. Wie ich einige Tage später an Bord des Dampfers „Solent" erfuhr, war er von diesem mit Kleidern versehen, in denen man ihn nicht leicht zu erkennen vermochte, und nach dem Eisenbahn-Hofe geschafft worden. Noch in derselben Nacht hatte er von hier aus mit 149 Hülfe einer Draisine den Hafen Aspinwall am Mericanischen Meerbusen erreicht. Was mußte der unglückliche Mann unterwegs ausgestanden haben! Die ganze Nacht hindurch floß der Negen in Strömen herab und das Dach unseres Hotels leistete ihm so geringen Widerstand, daß mcin Vett sich in eine Pfütze verwandelte. Die hiesigen Nachtschwärmer fühlten sich durch das Unwetter sonst nicht beeinträchtigt; nach Mitternacht drangen drei stark angeheiterte Spanier in mein Zimmer und belegten die drei leeren Betten mit Beschlag. Eine halbe Stunde später traf „der kleine Rothschild" ein. Schon machte ich mich auf eine theatralische Scene mit glückten Dolchen gefaßt, allein Rothschild erwählte, der Majorität weichend, das 'bessere Theil, ließ den Feind im Besitz der festen Stellung und flüchtete in das Zimmer eines Bekannten. (3s ist einleuchtend: meinem ferneren Aufenthalte in Panama sind bestimmte Grenzen gesteckt. Ein starker Anfall von Dysenterie iwingt mich zu unablässigem Patrouilliren, einem hiesigen Arzte mag ich mich nicht anvertrauen; die schleunigste Drtsveränderung ist mithin geboten. Es dauerte jedoch am 22. Mai von 9 Uhr Morgens bis halb 1 Uhr Mittags, ehe die Rechnung bezahlt, die Trinkgelder erlegt, wir sammt dem Gepäck nach dem Bahnhof geschafft und im Besitz der Billets waren. Durch den Janhagel, der unter dem Vorwande des Hausirhandels mit Ananas, Bananen, Papageien und Fächern den Reisenden fortwährend den Weg vertritt und auf Taschendiebstahl ausgeht, mußten wir uns mit Gewalt eine Gasse bahnen. Einen Buben, der mir das Portemonnaie aus der Hand reißen wollte, streckte ich nothgedrungen mit einem Faustschlaae zu Boden. Endlich sahen wir in den Waggons. Das Passagierbillet für die nur dreizehn deutsche Meilen lange Strecke über die Landenge von Panama nach Aspinwall kostete fünfundzwanzig Tollars, acht und einen halben Dollars hatte ich für Ueberfracht bezahlt, für die Anfahrt des Gepäcks auf dem .Omnibusverdeck vier Dollars; jetzt trat der Besitzer nnd gleichzeitige Kutscher dieses Vehiculums in das Coup« und bat sich noch fünf Tollars für zweimalige Beförderung meiner Person nach dem Hotel Aspinwall und von dort nach dem Bahnhofe aus. Ueber diese unverschämte Forderung empört, murmelte ich einige Worte in den Bart, wurde aber sofort zum Schweigen gebracht, als der Omnibuskutscher süßlächelnd in elegantem Französisch mich anredete und fragte: „Glauben Sie, ich sei in dieses Fiebernest herübergekommen, umNananen zu essen?" Dawider ließ sich nichts einwenden, machten sich die Einwirkungen des Klimas doch an mir selber fühlbar und vermochte ich kaum noch der Sehnsucht nach der Heimath moralisch zu widerstehen. Der Temperatur angemessen sind sämmtliche Waggons ringsum offen und nach Art der österreichischen und würtembergischen Gesellschastswagen ein- 150 gerichtet. In jedem derselben finden ungefähr dreißig Personen Platz. Meine Freunde, die französischen Ofsiciere, sitzen vi3-g,-vi3 von mir am offenen Fenster, meine Nachbarin zur Rechten ist eine junge Nordamerikanerin, der,en kleiner Dreijähriger die Annehmlichkeiten der Neise nicht zu erhöhen verspricht', die sonstige Füllung des Wagens besteht aus tabakkauenden Jankees, die zu meinem und der Franzosen Entsetzen an unseren Gesichtern vorbei mit fürchterlicher Sicherheit zum Fenster hinausspucken. Bald sollte sich mir auch die holde Nachbarin peinlich fühlbar machen. Nach unserem Gespräch hielt sie mich für einen galanten Franzosen, setzte den ungezogenen Knaben, der sich schon mit Strampeln unausstehlich gemacht hatte, auf meinen Schoß und ersuchte mich in gebrochenem Französisch, ihn, so lange sie schlafen werde, in meine Obhut zu nehmen. Die Situation war peinlich, die Temperatur nahe an 30 Grad, dazu litt ich an der Dysenterie und mußte die „zwei Minuten Aufenthalt" auf jeder Station, ohne Weiterungen zu veranlassen, auf das Gewissenhafteste benutzen; die Pflichten einer Kinderfrau ließen sich unter den obwaltenden Umständen nicht mit denen eines civilisirtm Menschen vereinigen. Der Kleine, der, wohlgemerkt, an fünfzig Pfund wiegen mochte, war noch nicht im Stande, mündlich Auskunft zu ertheilen, ich knipv ihn daher, sobald die Frau Mama entschlummert war, an einer empfindlichen Stelle seines feisten Körpers und entledigte mich des Knaben, als Madame bei seinem gellenden Schrei erschrocken auffuhr, unter dem Vorwande, er verrathe Widerwillen gegen nreine Persönlichkeit. Nur eine Nordamerikanerm ist im Stande, einem urfremden Herrn eine solche Last aufzubürden. Die Gesellschaft in dem benachbarten Waggon war ebenfalls nicht die angenehmste. Die schwarzen Banditen in Panama hatten die nächtliche Flucht des spanischen Gesandten ausgekundschaftet und eine Elite aus ihrer Mitte noch Nspmwall abgesandt, um ihm, wenn möglich, das Lebenslicht auszublafen. Sie saßen, bis an die Zähne mit Carabinern, Revolvern, Säbeln und Dolchen bewaffnet, in einem Haufen stumm beisammen und blickten wild umher; wir hüteten uns weislich, sie scheel anzusehen. Bald hinter Panama zieht sich der Schienenstrang durch einen Urwald riesiger Näume, deren von Schling- und Schmarotzer-Gewächsen überwucherte Species kaum noch zu erkennen sind. Dieser glich der Kolossalgestalt eines betenden Mönches, jener einem auf Beute lauernden Tiger. Die in Brasilien einheimische Königspalme stand — ein märchenhafter Anblick, den man nicht auf allen Eisenbahnfahrten genießt — in voller Blüthe, alle Bäume waren mit rothen, gelben und violetten Blumen geschmückt. Die Terrainschwierigkeiten bei dem Bau dieser Bahn, die den Personenverkehr und Waarentransvort zwischen zwei Oceanen vermittelt, können nicht erheblich gewesen sein, denn bei einer mähigen Steigung und Senkung schlangelt sich der Schienenstrang 151 ^so geschickt durch die gebirgige Gegend, daß mir weder Sprengungen oder Tunnel, noch beträchtliche Erdarbeiten aufgefallen find. Die Höhen überragen nicht die der thüringifchen Vahn. Die Zahl der Stationen ist nur gering, doch kamen wir an einem Dutzend armfeliger, aber wie gewöhnlich pittoresker Dörfer uorüber, deren Einwohner sich, nach dem in ihrer Nähe grasenden Rindvieh, den Eseln, Ziegen und Schweinen zu schließen, mit Viehzucht beschäftigen. Die Hütten bestanden nur aus einem auf Pfosten stehenden Dach. Auf den Stationen wurden regelmäßig die Naturprodukte der Landschaft, darunter kleine Jaguare oder Kuguare und junge Faulthiere, zum Verkauf angeboten. Hart an einer Station züngelten zwei große Schlangen spielend um «inen Palmstamm und fuhren erst entsetzt auseinander, als die Locomotive einen schneidenden Pfiff und eine qualmende Dampfwolke ausstieß. Es war "> Uhr, als wir in Aspinwall anlangten; wir hatten die Strecke in zwei Stunden zurückgelegt. XX. Steamer „Solent". Mecrlatzenbraten. Die ilteisesaison in den Antillen. Chilenische Damen. Der Hotelwirth aus Panama als Tourist. Rothbart und Rathlopf. Barmherzige Schwestern. Die NimruÄs. Schauspieler und Stierfechter. Eine Matadonn. Auf der Höhe von Jamaica. Stadt Kingston. Der Odeur der Neger. Vergnügtsein der Matrosen. Noch vierzig mehr. Das Seescheusal. Vor ßayti. Nach St. Thomas. Aspinwall ist ein kleines, von Cocosvalmen umgebenes Städtchen, das als Durchgangspunkt der Reise über die Landenge eine große Zukunft hat. Vorläufig haben sich hier aber nur die schlimmsten Seiten der europäischen Civilisation entwickelt. Schon dem eiligen Passanten fällt die Menge der liederlichen Häuser auf. Fast immer das dritte öffentliche Local pflegt eine Schenke zu sein, deren Wirth prostituirten Frauenzimmern ein Unterkommen gewährt. Im tiefsten Grunde der Seele dieser Greuel überdrüssig, die mich durch zwei Welttheile unablässig verfolgt, begrüßte ich den aus dem Schlot des Steamers „Solent" aufsteigenden Rauch wie ein Glück verheißendes Signal. Da eine Ueberfüllung des verhältnißmäßig kleinen Schiffes mit Bestimmtheit vorauszusetzen war, hielt ich mich mit der Besichtigung Aspin-walls nicht länger auf, sondern eilte an Bord zu kommen und sofort eine Stelle mit Beschlag zu belegen, von der mich Niemand zu vertreiben vermochte. Nur ein abscheulicher Anblick fesselte mich kurz vor der Ueberfahrt einige 152 Augenblicke am Strande. Unter den kastanienbraunen Indianern, die mit den schon erwähnten Verkaufsgegenständen auf die Reisenden lauerten, bemerkte ich mehrere bejahrte Individuen, welche das Mtlagsessen für ihre Compagnons zuzubereiten schienen. In sich versunken, hockten sie an kleinen «ohlenfeuern und drehten sorglich hölzerne Bratspieße, an denen kleine Kinder steckten. Ein Schrei des Entsetzens blieb mir in der kehle stecken; erst das Gelächter meiner Begleiter, der französischen Officiere, überzeugte mich von meinem Irrtbum. Die kleinen Kinder waren abgebalgte Meerkatzen, angeblich ein schmackhaftes Wildpret, das die Indianer nie verschmähen sollen. Mir hatte die Aehnlichteit dc5 Bratens mit menschlichen Umrissen und formen für den 3ten des Tages den Arpetit verleidet. Tie Abfahrt verzögerte sich bis 7 Uhr Abends; zwei Stunden lang hatte uns ein tropischer Platzregen in der Kajüte festgehalten. Die Sonne ging blutroth unter, das Rauschen der Räder beginnt und jede ihrer Umkehrungen bringt mich der Heimath näher. In dieser frohen Hoffnung kümmere ich mich nicht um das nächtliche Ungewitter, nicht um das Iammergeheul seekranker Fmuen und kinder, nicht um die Ueberschwemmung aller Kojen, denn die drückende Hitze zwingt uns, die Luken offen zu lassen; nur flüchte ich um Sonnenaufgang auf das Verdeck, um dieses seltenen Schauspiels, das ich nur noch kurze Zeit genießen werde, nicht aus Bequemlichkeit verlustig zu gehen. Das Unwetter hat sich verzogen, an Gluth der Farbe macht die See dem Ultramarin den Rang streitig und eine leichte südliche Brise begünstigt unsere ^ahrt, wie die kurzen Luftreisen der fliegenden Fische. Die Jahreszeit gilt für die beste der Antillen, und alle Touristen machen sich in den Monaten Mai und Juni auf den Weg nach Europa. Das stärkste Contingent hat Chile gestellt. Die Elite desselben sind einige Damen aus Valparaiso und Lima, unter denen wieder eine beinahe sechs Schuh hohe und entsprechend breite, leider etwas passirte Schöne den Vorrang behauptet. Durch ihre aus siebzehn Koffern und zwölf Stück Handgepäck bestehenden Effekten hat sie sich sogleich ein geachtetes Renommee erworben; ich bewundere sie nur als die großartigste Niederlage von Diamanten, die mir bis dahin zu Gesicht gekommen. Alle ihre Dinger sind mit Brillanten bedeckt. In den Haaren trägt sie ein Diadem, mehrMige Gehänge als Ohrringe, am Vusen eine Vroche vom Umfange eines Iweithalerslücks, und am Gürtel ein ungeheuerliches Schloß, groß genug, um ein Festungsthor zu versperren; aber der Glanz aller dieser Steine wirb von dem ihrer schwarzen funkelnden Augen übertroffen. Das Frauenzimmer floßt mir etwas von jenein Respekt ein, den ich zeitlebens vor bengalischen Tigern empfunden habe. Sogar die herablassende Freundlichkeit der großartigen Dame hat etwas Unheimliches. Einen gefälligeren Eindruck machen ihre jugendlichen Landsmänninnen; doch behandeln Alle die sie begleitenden Eavaliere mit gleicher Lieblosigkeit. Ein 153 junger blonder Spanier, mein Tischnachbar, scheint durch üble Erfahrung gewitzigt zu sein; seine Reisebegleiterin ist eine junge und schöne Engländerin. Sie ist eine jener Abenteurerinnen, deren ich schon wiederholt gedacht, und leistet ihrem zeitweiligen Gönner die Dienste eines Sprachlehrers und Lexikons. Nach dem Brillantschmuck der jungen Philologin, übertrifft das ihr gezahlte Honorar bei Weitem das unseren Sprachmeistern bewilligte. Der spanische Gesandte befindet sich gleichfalls an Bord. Zwar hatten seine Verfolger Miene geinacht, ihm selbst noch auf dein Dampfer zu Leibe zu gehen, doch waren von Seiten des englischen CapitänZ die nachdrücklichsten Vorkehrungen getroffen worden, das Völkerrecht zu schirmen. Begreiflicherweise hat der Humor des versprengten Diplomaten durch die letzte Hetzjagd etwas gelitten, böse Zungen sprechen sogar von gelegentlichen Geistesstörungen. Er ist ein junger Mann von einigen dreißig Jahren, aber hart mitgenommen von klimatischen Leiden und jeder Unterhaltung mit Reisegefährten abgeneigt. Unter diesen befindet fich ferner der Hotelwirth aus Panama mit feiner Familie. Vis zu einer höheren Töchterschule hat es der jugendliche Ort noch nicht gebracht, und die zärtlichen Eltern sind genöthigt, das älteste zehnjährige Töchterchen in einer Pariser Pension unterzubringen. Dem Aufenthalt in der Kaiserstadt foll eine längere Sommerftifche in Baden-Baden folgen. Ueber die Vergangenheit des würdigen Mannes walten, wie über die Antecedent«« so vieler seiner diesseitigen College«, leise Zweifel ob; so viel ich ermitteln konnte, hat er die Charge eines französischen Corporals mit der eines Kellners vertauscht und dann eine Putzmacherin geheirathet, mit deren Hülfe es ihn: gelungen war, sich bis zu dem Range eines Hoteliuirths emporzuschwingen. Das Geschäft muß sich trefflich rentiren, denn die ganze Familie trieb einen unerhörten Luxus, der mir die Höhe meiner in Panama bezahlten Rechnung sattsam erklärte. Der schon etwas bejahrte Parvenü befand sich in der schlechtesten Stimmung von der Welt; eine Kiste mit feinen Rothweinen und Cognac, die er zu seinem persönlichen Nießbrauch während der Reise bestimmt, war ihm nämlich während der Einschiffung gestohlen worden, und seine verwöhnte Zunge mußte sich mit dem Mittelgut des Schiffskellers begnügen. „Solch' eine Sorte zu verlieren!" brummte der freche Wicht, „noch nie hatte ein Gast meines Hotels einen Tropfen davon über die Lippen gebracht!" Nm Nachmittage des 2^. Mai begegneten wir dem von Jamaica kammenden, für Asvinwall bestimmten Dampfer; das Netter war schön, doch bald stieg eine so dichte schwarze Wolkenwand vor uns auf, als wollte sie uns die Straße verlegen. Es kam nicht zu einer elektrischen Erplosion, unser Dampfer arbeitete sich mit dem Vollmond um die Nette durch den Wetterwust; nach Mitternacht sprang eine frische Brise aus, und von ihr leicht beschwingt schoß die „Solent" durch das sich allgemach lichtende Dunkel vor- 154 marts. Ich war bis dahin auf Deck geblieben; der Aufenthalt in der Stick-luft der Kojen hatte nichts Verlockendes. Am Morgen des 23. Mai ging die See ungemein hoch, und am Frühstückstisch hatte sich nur eine klägliche Minorität von Passagieren eingefunden. Mir wurde folglich ausreichende Gelegenheit, unsern Capitän, das Prachtexemplar eines alten englischen Seemanns, zu studiren. Die schwere Verantwortlichkeit seiner Stellung, der gefährliche Golf von Merico und siebzig Jahre haben seine Haupthaare, aber nicht seinen Vart gebleicht. Dieser prangt noch immer in einer so un-nerwüsUichen Rothe, daß sein Farbenton, liehe er sich auf der Palette verwenden, jedem Tropenabende Ehre machen würde. Der Inhaber dieses Aus-nahmebartes scheint jedoch, so stolz er in seinem hohen Alter aus die Stichhaltigkeit der Farbe sein mag, auf eine Milderung des etwas zu crassen Effects bedacht zu sein. Vei Tisch und wo er sich sonst in der Mitte der Passagiere bewegt, nmß ihn ein Leibdiener oder Page umgaukeln, den er sich eigens als Dämpfer ausersehen und engagirt hat. Dieser „Adoles-centulus" hat so bxandroth flammende Haare, daß der Vollbart des Cavitäns daneben zu einer blonden Dämmerung verblaßt und ich zum Schutze meiner erhitzten Augen nächstens eine blaue Brille anlegen werde. Zu den löblichen Eigenschaften des Veteranen gehört ferner seine sich immer gleichbleibende Zuvorkommenheit gegeil die Damen. Die schönen üppigen Creolinnen behandelt er eben so ritterlich galant, wie drei barmherzige Schwestern, die, von ihrem Klostervorstandc in Valparaiso beurlaubt, ihre in Paris lebenden Verwandten besuchen wollen. An dcr heutigen kleinen Tafelrunde erkenne ich drei alte Bekannte, die mir bisher in dem Getümmel der Passagiere entgangen waren. Ich bin mit den Herren von Suez nach Bombay gefahren und später mit ihnen in Agra zusammengetrosfen i wir kommen auf unserer Rundfahrt um die Erde schon zum dritten Male niit einander in Verührung. Sie sind von Indien nach Australien, von da nach Südamerika gegangen und kehrten jetzt nach England zurück. Wissenschaftliche oder künstlerische Interessen haben das Triumvirat nicht zum Reisen veranlaßt, sondern nur die Liebe zur Jagd und unaufhörlichen Ortsveränderung. Das Exterieur der jungen Dandies hat durch die große Tour nicht gewonnen, sie sehen verwildert wie Grasteufel aus und wallen sichtlich der Erneuerung unserer Bekanntschaft ausweichen. Hoffentlich gerathe ich durch mein Aussehen und Betragen bei ihnen nicht in einen ähnlichen Verdacht. Die zunehmende Verschlechterung des Wetters zwingt die Stewards die Sturmleitern auf den Tisch zu legen, und die Gesellschaft schmilzt täglich mehr zusammen. Von meinen drei Nimrods ist der kleinste unsichtbar geworden. Eine Schauspielertrupp?, die sich gleichfalls geflüchtet hat und nach der 155 Haoannah geht, leistet dem Unwetter tapferen Widerstand. Die Haupt-actrice, von ihren College« die „Königin des Dramas" genannt, schlägt eine tapfere Klinge und könnte den Neid jedes Individuums erregen, das zur Seekrankheit hinneigt. Einige Stierfechter theilen das Schicksal der durch die kriegerischen Wirren aus Peru vertriebenen Mimen. Zwei der Herr:n sind „Matadore", denselben gefährlichen Posten in der Arena bekleidet auch ein Frauenzimmer, dessen Natur man wohl zutraut, mit einem Stiel auch ohn? ..Espllda" fertig zu werden. In socialer Hinsicht ist die kleine Gesellschaft vollkommen ungenießbar; man überzeugt sich se'ir bald, daß alle ihre Mitglieder nur Gewicht auf die Ausbildung der Körperkräfte gelegt haben und durch jahrelangen Umgang mit trotzigen Wiederkäuern ctwas einseitig geworden sind. Gegen Sonnenuntergang legte sich der Wind, wir befinden uns in der Nähe der Insel Jamaica, sind aber bei der Trübung der Atmosphäre nicht im Stande, die Küste zu unterscheiden, und fahren mit halber Dampfkraft weiter. Um 9 Uhr steigert sich der Wind von Neuem zu einem förmlichen Sturm, und in dem zwei Treppen tief gelegenen, nur halb erhellten Speise-saal ging Alles drunter und drüber. Nicht willens, noch einmal seekrank zu werden, suche ich bei dem Nerven erschütternden Anblick der armen Patienten, die plätzlich zusammenbrechen und röchelnd dem Meeresgott ihren Tribut zahlen, das Weite, krieche in dic Koje und verhülle mein Haupt. Nach einer gut genug zugebrachten Nacht erwache ich am 24. Mai auf der Hohe von Jamaica; man hatte sich erst bei Tagesanbruch der Insel zu nähern gewagt. Tturm und Regen schreckten mich nicht ab, im Freien zu bleiben und, da an Zeichnen oder Malen nicht zu denken war, die Umrifse des Landes wenigstens meiner Erinnerung einzuprägen. Zwischen zwei kleinen Inseln durch fuhren wi^r in eine prächtige Bai, die nur des Sonnenscheins und blauen Himmels entbehrte, um ein ergreifendes See- und Landschaftsbild zu liefern; durch Festungswerke sind jene beiden Infein wehrhaft gemacht, und die Aufmerksamkeit der englischen Rothröcke bewies, das; die Besatzung auf ihrer Hut war. Sobald wir uns der Küste näherten, 50g ich mein Fernrohr und musterte die ungefähr eine deutsche Meile landein, Wischen Cocosvalmen gelegene Stadt Kingston, einen berüchtigt ungesunden Ort. Der Dampfer logte an einem Bollwerk an, doch war uns die Zeit knapp zugemessen. In vierundzwanzig Stunden hoffte der Capitä'n den Kohlen-Vorrath erneuert zu haben und die Neise fortsetzen zu können. Kaum waren einige Bretter vom Verdeck auf die hölzerne Brüstung geschoben, als die freien Schwarzen beiderlei Geschlechts, wie Schmeißfliegen über eine Zucker-schale, auf den Dampfer losstürzten und Passagiere und Matrosen, Männern und Frauen, ohne Unterschied der Person, Rum und Cigarren zum Kauf an? 15« boten. Ueber die anderweitigen Anerbietungen derzum Theil hübschen und-wohlgestalteten schwarzen Grazien enthalte ich mich aller ferneren Bemerkungen. Die Schiffsmannschaft hatte sie nur zu wohl verstanden. Eine halbe Stunde später war auf dem Vorderdeck eine Ballfestlichkeit imvrovisirt, jeder Matrose schwang in der Mchten eine Rnmflasche, in der Linken eine freie Negerin; ich ging rasch an's Üand, um die Stadt zu besichtigen und nicht Zeuge der Scenen zu sein, die unfehlbar bevorstanden. Der Kohlentransvort hatte unmittelbar nach unserer Ankunft begonnen, und dic Procession der schwarzen Korbträgerinnen, eine verbesserte Auflage der Berliner Torfweibcr, steigerte obenein die Verwirrung. Das Klima schreibt der Bauart Gesetze vor, und-die wohlhabenden Stadtgcgenden von Kingston, Calcutta, Singapore und Hongkong sehen einander sprechend ähnlich. In den Straßen wachsen herrliche Exemplare von Palmen und Mangobäumen; über die Dächer und durch die Zwifchenräumö der Straßenfronten blickt ein steiler Bsrgzug drein. Die schwarze Bevölkerung war durch eine Menge halbnackter Bummler stark vertreten, und zum ersten Male fiel mir die natürliche Ausdünstung der Neger^ über welche sich die Nordamerikaner so bitterlich beklagen, unangenehm selbst unter freiem Himmel auf. „Kein Komet ohne Schweif, kein Licht ohne Schatten, keine Rofe ohne Tomen und kein Neger ohne Gestank", sagt auch ein liberaler Zankee, und man kann ihn wohl nicht der Uebertreibung beschuldigen. Ich bedauerte, meine Cigarren auf dem Dampfer gelassen zu haben, denn unüberwindlicher Ekel verhinderte mich, zu den von Negern feilgebotenen Glimmstengeln meine Zuflucht zu nehmen. Unter aufrichtigem Bedauern, auf malerische Ausbeute der schönen Insel verzichten zu müssen, kehrte ich bald an Bord zurück. Es war die höchste Zeit gewesen, Line Viertelstunde spätes brach das Univetter von Neuem los und raste die Nacht über durch Masten und Takelwerk, das; der ganze Steamer bis auf die Grundveften des Kiels erbebte. Die französischen Oyiciere, deren Gesundheitszustand mir ernstliche Besorgnisse einflöht, hatten mich aus Furcht vor der entsetzlichen Hitze und den in dichten Wolken umherschwärmenden Insekten auf meinem Ausfluge nicht begleitet. Sie waren unerschöpflich in ihren Beschreibungen der von den Mannschaften des Dampfers begangenen Unschicklichkeiten. Als eine der Kohlenträgerinnen, die, wie das gesammte schwarze Gelichter, stark angetrunken war, mit dein allzu vollgeladenen Korbe auf dem Kopfe das Gleichgewicht verlor und von der Planke in das Meer stürzte, aber, gewandt wie ein Frosch, lachend an Land schwamm, griffen die Matrosen zu und warfen, um das Vergnügen zu wiederholen, einige zwcmzig Weiber in's Meer, bis der Cavitän und die Officiere unter Androhung der härtesten Strafen dem nichtsnutzigen Treiben Einhalt geboteii. Der Oppositionsgeist war aber einmal erweckt. 15? und auf irgend eine Weise nmßte ihm Luft gemacht werden. Die erhitzten Matrosen, gezwungen, die Negerinnen nicht bei der Arbeit zu stören, wandten sich an die Mannschaft eines nicht weit uon der „Solent" am Bollwerk liegenden französischen Schisses und suchten sie durch Schimpfreden zu reizen. Nur zu bald sollte ihr Zweck erreicht werden, die Franzosen stiegen auf das Bollwerk, die Engländer kamen ihnen entgegen, und eine umfassende Prügelei ivar rafch im Gange. Tie Osficiere gestanden offen, daß ihre ^andsleute den Boxcrstreichen der Engländer gegen Magen und Unterleib so lange erlegen seien, bis sie uon ihren Füßen Gebrauch gemacht und diese zur Offensive benutzt hätten. Erst als die Eapitäne beider Schiffe einschritten, wurde das Gefecht alo unentschieden abgebrochen. Ein Theil der Streiter war in's Wasser geworfen und nur mit Mühe herausgefischt worden. Am Morgen des 25). Mai sank die Quecksilbersäule des Barometers bis auf „Erdbeben"; noch vor der Abfahrt mußte Alles „dicht geinacht" werden, ja der Sicherheit wegen wurden Luken und Fenster vernagelt. Unser Capitän flucht und schimpft, muß alfo nach der Theorie der Seeleute rosenfarbener Laune fein; ich erlaube mir jedoch im Stillen einige Zweifel an der Nichtigkeit dieses alten Satzes, wenn ich sein besorgtes Gesicht betrachte. Innerhalb der Bai lieh sich das Unwetter noch ertragen, aber als die Inselforts hinter uns lagen, wurde der Sturm so heftig, daß er nicht nur das auf dem Hinterdeck ausgespannte Sonnen- oder Negem'egel (Dach), sondern auch die schöne englische Flagge, den Stol; des Eapitäns, in Fetzen riß. Unter Donner, Alitz, Sturm und Regen kauerte»: wir uns in Kajüten und iiojen zusammen, die Luft ill diesen engen Kojen ist bis zum Ersticken verdorben. Von Jamaica aus hat sich die Zahl der Passagiere um vierzig vermehrt, ungerechnet das Schlachtvieh und Raubzeug. Außer Ochsen, Schweinen und Hühnern haben wir sechs lebendige, vier bis fünf Fuß lange Schildkröten, Zwei Jaguare, eine Menge Meerkatzen und Papageien an Bord genominen. Letztere sind sämmtlich für eine Menagerie bestimmt. Unter den Reisenden herrscht große Niedergeschlagenheit, am meisten leiden unter dem ununterbrochenen Donnerwetter die Nerven der Peruaner. In ihren glücklichen Landstrichen ist das Gewitter eine unbekannte Naturerscheinung. Mich, als abgehärteten und erfahrenen Touristen, beunruhigt mehr als das Toben der Elemente der desolate Zustand der „Solent" und ihrer Kessel. Nach vertraulichen Mittheilungen des ersten Steuermanns, eines Deutschen, der unter vier Augen den Capitän schlechtweg das „Seescheusal" nennt, ist der Dampfer ein alter Kasten und soll nach Beendigung dieser Fahrt gründlich renovirt werden. In den am 26. Mai an den großen Rettungsbooten vorgenommenen Manipulationen kann Niemand etwas Tröstliches finden. Die gewaltigen 158 eisernen Träger smb arg verbogen, baß sie für den schlimmsten Fall durch hinzugefügte Balken unterstützt werden müssen. Die Nähe der Insel Hanti zwang zu allen erdenklichen Vorsichtsmaßregeln, und der Capitän nebst sämmtlichen Schiffsofficieren waren die Nacht hindurch auf Deck geblieben. Jetzt kam Alles darauf an, uns dem kleinen, nur von Negern bewohnten Flecken Iacmel, am Eingänge der Bai, so weit zu nähren, um Briefe und Depeschen abzuliefern und andere dafür einzutauschen; die Anstrengungen der Mannschaft wurden indeß durch den furchtbaren Tee-gang vereitelt. Ich benutzte klüglich einige Momente, in denen ein flüchtiger Sonnenstrahl das Gewölk durchbrach und die Umrisse Haytis enthüllte, diese auf den Mnd meines Tagebuches zu zeichnen. Ihre Unsicherheit erinnert nich noch heute an die Fährnisse des Moments. Nach vielen vergeblichen Bemühungen, uns dem Lande mit einiger Aussicht auf Erfolg zu nähern, gab der Capitän den Hersuch auf und befahl, füdlich auf die Infel St. Thomas zu steuern. Die Behörden und Comptoirs von Hayti werden demnach ihre Vriefe acht Tage später empfangen. Die imposanten Formen der Insel verschwinden binnen einer Stunde hinter den schneeigen Kämmen der Wellen-Häupter, und unter dem kläglichen Brüllen der geängftigten Ochsen stechen wir zum höchsten Leidwesen der für Hayti bestimmten Passagiere, die später den Dampfer von St. Thomas benutzen müssen, wieder in die hohe See. XXI. Der schwarze Prinz. Afrikanische Grazie. Mao. Klimpermann. Mr. Meichel. Im Grog ertrunken. Mr. Abraham. Ein Meteor. Die Küste von Portorico. Der Sarg. Keine Milch. Im Haien von 2t. Thomas. Der Dampfer „Seine". Von St. Thomas nach Reincrz. Der verliebte Peruaner. Mein Schlaflamerad und sein Schwimmgürtel. Ein Kuppelpelz. Deutsche Stewards. Zu den Passagieren, die gezwungen an Vord der „Solent" bleiben und uns nach St. Thomas begleiten müssen, gehört auch mein neuer Gönner, dessen Protection ich seit kurzer Zeit genieße. Bei meinem angeborenen Abscheu vor unbescheidenen Fragen muh ich es dahingestellt sein lassen, ob die beiden jungen Damen, in deren Gesellschaft sich mein Patron bewegt, seine Schwestern oder nur Gespielinnen sind, wie sie sich alle lebenslustigen Jünglinge unter den tropischen Himmelsstrichen heranzubilden streben. Der Cavalier sowohl als auch seine Begleiterinnen wetteifern an Schwärze mit polirtem Ebenholz, sind im Uebrigen jedoch wahre afrikanische Schönheiten. 159 Auch die Formenbildung der Negerinnen ist einer plastischen Verklärung sähig, die das europäische Auge nur in carrarischem Marmor oder in der seltenen Verwirklichung des Lebens zu finden erwartet; selbst der Farbenwechsel in der Physiognomie der schwarzen Schönheiten ist von einem unbeschreiblichen Zauber, obschon er bei der Zartheit seiner Nuancen der oberflächlichen Beobachtung entgeht. Zu meinem tiefen Bedauern sehe ich mich durch die mustergültig salonfähige Toilette der beiden Damen verhindert, meine Tculvtur-und Malerstudien weiter auszudehnen, als auf Hände, Arme, Hals und Schulter; ich vermag nicht die Augen abzuwenden, wenn die Schönen die weißen Glacehandschuhe ablegen und nun Händchen zum Vorschein lommen, welche, in Gyps modellirt, für die Glieder griechischer Statuen aus der Älüthezeit antiker Vildnerei gehalten werden würden. Den holden Ufrikanerinnen bereitet mein Entzücken großes Vergnügen; sie kotettiren mit einein Talent, das jeder Actricc des Gymnase oder Vaudeville zur Ehre gereichen würde. Der Cavalier aber sieht mit einer Bonhomie drein, die mich wieder an dem Argwohn irre macht, er sei den Grazien durch andere als verwandtschaftliche Vande vereint. Die Passagiere nennen ihn schlechtweg den schwarzen Prinzen und halten ihn für einen natürlichen Sohn des Exkaisers Soulouque; in einer vertraulichen Nnterredung mit dem jungen Manne sollte ich bald hinter die Wahrheit kommen. Er war der älteste Sohn eines Senators auf Hayti und hatte, gleich den jungen Damen, die nothwendige Ausbildung in allen gesellschaftlichen Kenntnissen und Fertigkeiten in einem Pariser Pensionat genossen. Das elegante Französisch, dessen sich die liebenswürdige Trias bediente, straft«: biefe Angabe nicht Lügen. Einige Manila-Cigarren, die ich dem angehenden Senator abgetreten, unterhielten das gute Einvernehmen, er revanchirte sich nach der Landessitte durch Champagner und bat mich inständig, ihn zu begleiten: in dem Paläste seines Vaters solle es mir an nichts fehlen und ich wie ein Kind der Familie behandelt werden. Es wurde mir unfäglich fchwer. Nein zu sagen und zugleich in die köstlichen Gazellenaugen der Afrikanerinnen zu blicken, aber mein Reisecalcül war geordnet und ich durfte keinen Tag mehr drein geben. Unter den in Peru ansässigen Landsleuten mache ich gleichfalls Bekanntschaften. Welche Gründe Madame Klimpermann gehabt haben mochte, ihre Heimath zu verlassen, da doch eine Hebamme nach den tröstlichen Angaben der Statistiker in Norddeutschland niemals in Verlegenheit gerathen kann, durch Mißwachs auf dem Felde ihrer Thätigkeit eine Schmälerung des Einkommens zu erleiden, vermag ich nicht anzugeben, doch hatte sie nicht nur den Aufenthaltsort, fondern auch die Religion gewechselt. Um ihrem Geschäfte keine Hinternisse in den Weg zu legen und für vorkommende Falle der Nothtaufe von der alleinseligmachenden Kirche autorifirt zu sein, war Madame Klimpermann 160 in Peru von dem lutherischen zum katholischen Bekenntniß übergetreten und hatte sich nach ihren vertraulichen Mittheilungen dabei wohlbefunden. Nur unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit will ich erwähnen, daß die würdige Wehemutter, die ein ansehnliches Vermögen erübrigt, mit dem Plane umging, nach ihrer abermaligen Niederlassung in Enrapa sich einem dritten Wechsel, und zwar dein ihres Namens zu unterziehen. Ueber Mangcl an Vewerbern um ihre Hand, meinte sie, werde unter deutschen Hungerleidern keine Kage zu führen sein. Madame Klimpermann war ein menschliches Gewächs, das auf den Guanobeeten der südameritanischen Gesellschaft zum üppigsten Gedeihen gelangt war. Herr Michael hat Jahre lang in Schnitt-waarcn gemacht und gleichfalls durch eine rechtzeitige Nebersctzung- in's Katholische sein Schäfchen in's trockene gebracht. Vis auf Weiteres coursirt Herr Michael als Engländer, nennt sich „Mr. Meichel" und gedenkt in der Umgegend von Lyon Landbesitz zu erwerben. Mr. Meichel hat einen etwas qenirten Vlick und flößt mir nur geringes Vertrauen ein. Am Morgen des 27, Mai wurde unserer Frühstücksgesellschast eine sehr unangenehme Ueberraschung bereitet. Einer der Passagiere, eine Däne, war todt in seiner Koje gefunden worden. Ueber die Ursachen dieses plötzlichen Ablebens konnte Niemand im Unklaren schweben, der Abends Zeuge jener wissenschaftlichen Versuche gewesen war, welche der Däne angestellt, um zu ergründen, in wieweit bei Anfertigung des Grogs die übliche WasserMhat verringert werden könne, ohne die physische Vekömmlichkcit des Getränks zu beeinträchtigen. Zwei Tage vorher hatte ich ihm zur Abkürzung des Verfahrens vorgeschlagen, einen Theekessel voll siedenden Rums aus der Küche herausbringen zu lassen und das zu der Mischung erforderliche Wasser in einem Niechfläschchen in der Tasche vorräthig zu halten. Es war ihm nicht beschieden, bis zu diesem ungewöhnlichen Verhältnisse beider Flüssigkeiten zu gelangen. Seine Lebensslamme erlosch, so eifrig er sie durch uuauogcsetztc Zuthaten von Rum unterhalten hatte. Nach meiner Meinung wäre die Vorsicht, den entseelten Körper sogleich nach dem Vordercastell zu schaffen und in einer Hängematte am Bugspriet zu befestigen, nicht nöthig gewesen, zumal der Verewigte nichts unterlassen hatte, seinen Leib schon bei Lebzeiten durch alkoholhaltige Getränke gegen die Fäulnis; zu schützen; die Schiffsregeln statuiren jedoch keine Ausnahmen. Mit einer englischen Flagge als Todten-Hemd bekleidet und einer Kanonenkugel als Ballast au den Füßen, wurde der Leichnam Mittags l2 Uhr, unter den einfachen Ceremonien einer Bestattung auf hoher See, m dic Tiefe versenkt. In jenem Elemente, das er sein Leben lang ängstlich gemieden, sollte er die ewige Ruhe sinden. Mr. Abraham, einer meiner Reisegefährten, ist durch den Todessall tief erschüttert, ich bedarf des Aufwandes meiner gesammten Beredsamkeit in, Departement 161 der Moral, um den gedachten Grossisten in Iamaica-Rum und Farbehölzern wieder aufzurichten. Als Kaufmann in dem mörderischen Artikel, der Dänemark zu Grunde gerichtet, fühlt er sich nicht ganz frei von Gewissensbissen und zittert vor der Rache der unsichtbaren Mächte. Der theure Landsmann verzehrt sich in stiller Sehnsucht nach Deutschland, dem er einen längeren Besuch zugedacht hat. Die Verhältnisse gestatten ihm erst, sich nach drei Jahren gan; uoin Geschäft zurückzuziehen, doch scheint Mr. Abraham schon jetzt etwas vor sich gebracht zu haben. Die Schwere und Dicke seiner goldenen Nhrkette würde erlauben, daran ein Panzerschiff vor Anker zu legen. Mr. Abraham schwärmt nebenbei für „deutsche Einheit" und „Tafeldo" (labis Eine Stunde uor der Bestattung des dänischen Trunkenboldes hatte sich das Wetter aufgeklärt und unsere schnell genesene, bis dahin seekranke Damen-gesellschaft die Gelegenheit wahrgenommen, sich alI Leidtragende einzufinden, und mit schmachtenden Mienen der Trauerfeierlichkeit beizuwohnen. Spät Abends zwischen l y und 11 Uhr ging bei vollkommener Klarheit des Himmels dicht hinter unserem Dampfer in der Richtung nach Süden ein prachtvolles Meteor vorüber. Man glaubte das langsam dahinschwebende Pseudogestirn mit den Händen haschen zu können. Die heitere Witterung hielt auch am 28. Mai an, und unsere Vorüberfahrt an der Nordküste von Portorico glich einem jener amerikanischen Pleoramen, die in unseren kleinen Theatern zur Schau gestellt werden; nur die gewöhnliche Begleitung eines verstimmten Klaviers fehlte. Um 10 Uhr dampften wir dicht an einigen kleinen Inseln vorüber, deren eine eine täuschende Aehnlichkeit mit einem Sargdeckel hat und demgemäß auch „der Sarg" genannt wird. Alle diese Eilande sind überreich bewaldet, doch gelang es mir nicht, selbst mit bewaffnetem Auge, Einwohner zu entdecken. Das herrliche Wetter und die stille See haben Alles an den Tag gebracht, was sich bei Sturm und Regen in Kajüten und Kojen verbarg. Das ganze Verdeck ist mit Nonnen, Ammen und Kindermädchen übersäet, die, mit den ausrangirten Kleidern der Herrschaft ausstaffirt, ihre kleinen Pflegebefohlenen lüften. Die starke Vertretung der letzteren wird uns bei gutem Wetter schon während des Frühstücks durch das Verschwinden der Milch fühlbar gemacht. Mr. Abraham, am Vord der „Solent" ein schr einflußreicher Mann, hat mich Zwar unter seine Fittige genommen und weiß mir gewöhnlich einige Theelöffel dieses kostbaren Fluidums zu verschaffen; heute war alle seine Müh? vergebens. „Schon dreimal," sagte er, um mir wenigstens seinen guten Willen zu zeigen, „habe ich umsonst vor die Milch geruft." Mein neuer Bekannter ist ein Freund socialer Demonstrationen. So ruft er, wenn der Steward ihn bei Tisch fragt, was er trinken werde, mit Hiltcbranbt'ö Reisc um die Qrte. III. 11 162 Stentorstimme: „Champagner werd' ich trinken, was fragen Sie noch, vom besten werd' ich trinken, die Flasche ;u vier Dollars!" und fügt dann mit halber Stimme hinzu: „Haben Sie keinen billigeren? Bringen Sie mir einen Schoppen von der wohlfeilsten Sorte!" Portorico, wie schon der Name andeutet, ist überreich mit Natur -producten jeder Art gesegnet, aber bei der Fülle der tropischen Vegetation findet das Auge des Landschaftsmaler nirgends einen hervorragenden Punkt, auf dem es auszuruhen vermag. Ich schwelgte den ganzen Tag über in dem Farbenspiel des Wandelbildes, an dem wir dahinflogen; irgend eins Vedutte herauszugreifen und zu Papier zu bringen, wollte mir nicht glücken. Nur die Silhouette der Insel „Sarg" habe ich auf dem Rande meines Tagebuchs flüchtig umrissen. Vei Sonnenuntergang liefen wir St. Thomas an; ich dachte der Worte des Dichters: „rosig und golden ziehen die Wolken darüber hin". Mein Herz wird mit jedem Tage schwerer, der mich aus diesen Regionen des strahlenden Lichtes und der Farbenpracht weiter entfernt. Die kleine Stadt erinnert lebhaft an Macao oder Amoy und liegt malerisch an drei Bergabhängen. Ich war in den märchenhaften Anblick der landschaftlichen Scenerie so versunken, daß ich fast erschrocken auffuhr, als sich „der schwarze Prinz" mir näherte und den Wunsch aussprach, sich nebst seinen Schwestern von mir zu verabschieden. Mein Herz war von einem schmerzlichen Druck erleichtert, ich stattete den reizenden Ufrikancrinnen im Stillen eine Ehrenerklärung ab und blickte ihnen noch lange nach, als sie mit Gefolge und Dienerschaft das Schiff verließen und zwischen den Gebäuden des Gestades verschwanden. So schwer es mir wird, setze ich den Fuß doch nicht an Land, ich habe mich von den Negerinnen und zugleich von diesem phantastischen Himmelsstrich verabschiedet und muß ernstlich darcm denken, mich für Europa vorzubereiten. Uns erwartet hier der für Southampton bestimmte Dampfer „Seine", und die in St. Thomas bleibenden Passagiere haben sich kaum entfernt, als auch schon die Herüberschaffung der Waaren und des Gepäcks beginnt und die ganze Nacht hindurch fortdauert. Der Heidenlärm der Matrosen und Arbeiter ließ mich nicht viel schlafen, und noch im Dunkeln packte ich meine in der Koje befindlichen Habseligkeiten zusammen und benutzte einen glücklichen Moment, um ohne Verlust an Bord der „Seine" überzusiedeln. Es war am 29. Mai, 11 Uhr Vormittags, als ein Kanonenschuß erschallte und der Dampfer in See stach. Nichts erschwerte mir die Trennung von Amerika, ein dichtes Regengewölk war heraufgezogen, die Stadt St. Thomas verschwand in einem grauen Schleier, und da die Beschädigung der „Seine", als wir die enge Bai verließen und an dem Bug der „Solent" nur eins unserer Rettungsboote zerquetschten und ein Stück des Räderkastens einstießen, mäßig zu nennen war, konnten wir leichten Herzens in die offene 163 See hinausfahren. Freund Abraham hatte der Stadt St. Thomas am Abend vorher einen Besuch abgestattet; ich suchte also aus seinen vertraulichen Mittheilungen mein Tagebuch zu vervollständigen. Er wußte nicht viel Bemerkenswerthes zu verlautbaren. Belustigend fand ich die sittliche Entrüstung des Wirthes, bei dem Mr. Abraham soupirt. St. Thomas ist eine dänische Besitzung, und der Vesitzer des Hotels, der in Mr. Abraham einen Preußen zu errathen glaubte, machte ihm die bittersten Vorwürfe über den damals geführten Krieg Preußens und Oesterreichs gegen sein kleines Vaterland. Einige, den aufgetragenen Hammel- Coteletten ertheilte Lobsprüche kühlten jedoch seine Wuth, und er schloß mit der Versicherung, ihre Fehde möge un-ausgefochten bleiben, da die Infel St. Thomas für neutrales Terrain erklärt worden fei. In feinem Hause solle jeder Fremder, wenn er sonst Geld habe, die freundlichste Aufnahme finden. Die 'Annäherung eines durchaus civilisirten Welttheils und die Wohlthaten einer nie rastenden Concurrenz machen sich schon hier in der beginnenden Herabsetzung der Preise auf den Tarifen bemerklich. Mein Pasfagierbillet vonAspinwall bisSouthampton, incl. der beiden Fahrten auf der „Solent" und „Seine", hat nur vierund-zwanzig Pfund Sterling, also halb so viel als eine ähnliche Strecke in den indischen oder chinesischen Gewässern gekostet. Dic Größe und Zahl der Postdamvfer genügt aber, vornehmlich während der jetzigen Reisesaison, noch immer nicht dein steigenden Verkehr zwischen Amerika und Europa: die „Seine" ist demgemäß überfüllt. St. Thomas verdanken wir einen ansehnlichen Nachschub von Passagieren. Im Ganzen beläuft sich die Zahl derselben auf dreihundert, und doch vermag der Eveisefaal nur zweihundert Personen zu fassen. Ein Drittel speist daher im zweiten Aufgebot. Der Heine Hafen von St. Thomas ist als Poststation ein Sammelplatz für die Bewohner der westindischen Inseln und der Provinzen des benachbarten Festlandes; die Composition der Gesellschaft wird immer bunter, und ich gerathe beinahe in Versuchung, meiner Neisebeschreibung einen anthropologischen Nachtrag hinzuzufügen. Nicht allein aus der Begegnung verfchiedcnartiger Chemikalien entstehen unerwartete Zersetzungen und Conflicte; gleich ^n den ersten Tagen kam es zu den wunderlichsten socialen Zerwürfnissen. Auf St. Thomas hat sich eine amerikanische Tame mit ihrer Tochter uns angeschlossen, deren hinreißende Schönheit allen Mannspersonen die Köpfe verdreht. Leider ist das junge Wesen an einem Nmstleiden erkrankt und wird von den Aerzten nach Reinerz geschickt. Dieser traurige Umstand hält die Dandies an Bord nicht ab, der Schönen den Hof zu machen und ihr auf alle erdenkliche Weife beschwerlich zu fallen. Am weitesten hatte sich der Privat-Courier des spanischen Gesandten, ein junger hübscher Peruaner, der sehr gut Englisch sprach, durch seine poetischen Empfindungen fortreißen lassen. Außer Stande, fich den 11* 164 Damen, welche von vornherein nothgedrungen eine starke Defensivstellung angenommen haben, so weit zu nähern, um seinem gepreßten Herzen mündlich Luft machen zu tonnen, hatte er dasselbe in einem Schreibcbrief ausgeschüttet, welcher natürlich die höchste Entrüstung der amerikanischen Damen erregte und sogleich in die Hände des Chefs des verliebten Veamten überging. Die sofortige Dienstentlassung des Peruaners war die Folge seiner Unbesonnenheit; da er jedoch nicht zur Strafe seiner Sünden zugleich den Haifischen vorgeworfen werden konnte, mutzten die beleidigten Damen seine' Anwesenheit auf Deck dulden, und Ritter Toggenburg aus Peru hat die hartherzige Schone biü zu unserer Ankunft in Southampton aus Pistolenschußwcite unermüdlich angestarrt. Mr. Isidor C., Consul eines kleinen deutschen Raubstaates, kehrt nach fünfzehn an der Mosquitoküste durchschwitzten Jahren dennoch nicht aus Gesundheitsrücksichten in die Heimath zurück, sondern nur in der stillen Hoffnung, von seinem Landesherrn durch cine Decoration ausgezeichnet zu werden. Der Keim der Sehnsucht nach einem bunten Bändchen, den er in die Ferne mitgenommen, ist selbst unter der glühenden Tropensonne nicht verdorrt. Ein anderer Ansiedler von der Mosquitoküste, ein Engländer, kehrt in die Heimath zurück, um sein tornisterblondes Kind an den Mann zu bringen, Er knüpft keine Unterhaltung bei Tisch an, ohne, da die Schönheit der Tochter eben nicht rühmenswert!) ist, von ihrem guten Herzen und seinem großen Vermögen zu sprechen. Seinen Betheuerungen wird jedoch keine sonderliche Aufmerksamkeit geschenkt. Als Kojen-Kameraden hat mir der Zufall ein Original zugeführt, einen alten Franzosen, dem die Furcht vor dem Ocean und der Möglichkeit eines Schiffbruches Tag und Nacht keine Ruhe gönnt. Von seinem Schwimmgürtel trennt er sich niemals. Trägt er ihn bei Tage in der Tasche, so ist Abends, wenn er zu Bette geht, fein erstes Geschäft, den Schwimmgürtel hervorzuholen und sich damit zu umgürten. Da der besorgie Greis in der unter meinem Lager befindlichen Commode schlummert, entgeht mir kein von ihm hervorgebrachtes nächtliches Geräusch. Zuweilen schrecken ihn entsetzliche Träume, Bilder von Seestürmsn und Strandungen, sein banges Stöhnen dauert mehrere Minuten lang, dann löst er den Schwimmgürtel, preßt die eingeschlossene Luft aus und bläst ihn von Neuem auf, um sich doch aller möglichen Garantien für seine Rettung zu versichern. Zu näheren Erörterungen kann ich mich nicht entschließen; aber mein guter Alter entwickelt eine seltene Vielseitigkeit in der Hervorbringung der heterogensten Kunst- und Naturlaute. Zum ersten Male auf meiner Weltreise gerathe ich durch diesen angejahrten Champion in die curiose Lage, einen Kuppelpcl; verdienen zu können. Wir haben eine Zucker- und Camvecheholz-Wittwe aus St. Thomas an Vord, die sich zur Ruhe gesetzt, ihre Ländereien verkauft hat und, wenn ich ihren Eifer nicht 165 überschätze, „umgehend" heirathen möchte. Mein Stubenburfche entblödete sich heute nicht, mir zuzumuthen, für ihn die Rolle des Freiwerbers bei der heiraths lustigen Dame zu übernehmen. Die sechziger Jahre pflegen freilich die liebenswürdigsten im Leben der Franzosen zu sein, ich hielt es indessen für meine Pflicht, ehe ich das mir angetragene Ehe-Commissariat übernahm, dem Heirathscandidaten rund und nett die Frage zu stellen, ob er auch durch seine sonstigen Dualitäten den unzweifelhaft gesteigerten Anforderungen der Campecheholz-Wittwe Genüge zu leisten hoffe, und lehnte, als ich eine unzureichende Antwort erhielt, den mir angebotenen Ehrenposten ab. Fast sämmtliche Stewards an Bord der „Seine" sind Deutsche. Das Zusammentreffen so vieler Nationalitäten auf dieser Weltstraße legt der Dienerschaft die Verpflichtung auf, sich in der englischen, französischen, spanischen, italienischen und deutschen Tprache fertig ausdrücken zu können, und von allen Völkerstämmen scheinen nur unsere jungen Landsleute so viel Talent und Fleiß zu besitzen, um sich den Anstrengungen, neben der Muttersprache vier fremde Idiome zu erlernen, mit Erfolg zu unterziehen. Es macht mir täglich bei Tisch unbeschreibliche Freude, diese gewandten hübschen Bursche jeden Gast in seiner Landessprache geläufig und so elegant abfertigen zu hören, daß Mancher derselben später ein vertrauliches Gespräch anzuknüpfen und allerlei Erkundigungen einzuziehen sucht. Unter englischen Stewards habe ich aus meinen Reisen nie eine ähnliche Versatility gefunden. XXlI. Auf der Höhe van Cayenne. Südliches Kreuz und Polarstern. Tie Grog-Bell. Tinctur gegen Pockennarben. Nächtliche Nedner und Zänker. Das Hazardspicl Monte. Im Quartier latin. Tauschhandel in Texas. Sechzig Schildkröten als Deckpassagiere. Tie Wiederkehr des Zwielichts. Unter Secjungfern. Immer zugeknöpft. Ein falscher Leck. Abschied von den fliegenden Fischen. Unsere Ankunft auf der Höhe von Cayenne ist nicht geeignet, in der Seele eines Reisenden, dem noch nicht alle Zeitungs-Erinnenmgen abhanden gekommen sind, zumal an Bord eines Dampfers, der den Namen „Seine" führt, angenehme Gedanken zu erwecken. Mit den Vorstellungen des Landes, „wo der Pfeffer wächst", wird er stets die Bilder verunglückter Politiker, seien sie nun Devutirte der Opposition oder Publicisten, Gelehrte oder Arbeiter, Republikaner oder Socialisten, verknüpfen und an jene Epoche der französischen Geschichte denken, wo die Grundsteinlegung des imperialistischen 166 Gebäudes mit der Versendung mehrerer tausend Staatsangehörigen in diese ungesunde Sommerfrische begann. Heute sind wir bei der Krönung desselben angelangt, aber wer wollte die Möglichkeit eines eben so starken Nachschubs zu bestreiten wagen? Wir steuern consequent in nordöstlicher Richtung, allgemach neigt sich das herrliche Sternbild des südlichen Kreuzes gegen den Horizont, und jener mattleuchtende Punkt, an den Philosophen und Dichter aller Jahr« Hunderte so viele ihrer tiefen Gedanken und erhebenden Gleichnisse geknüpft, der Polarstern, erhebt sich höher und höher über die nachtdunlle Meeresfläche. Das hehre Symbol der Heimath und nordischen Gesittung, wenn es Abends in der Ferne blinkt, rührt selbst die Herzen Derer, welche für ihre sentimentalen Aeußerungen sonst anderweitige Ausgangspunkte zu wählen pflegen. Sobald nach vollendeter Tagesmüh', um mit meine,« Freunde Meyer, dem Eingeborenen aus Posen, zu reden, da er sich stets befleißigt, alle technischen Schiffsausdrücke „in sein geliebtes Deutsch zu übertragen", die „FroF bell gerungen", d. h. die Orogglocke „geläutet" wird, und sich die lechzenden Gentlemen in der Kajüte versammeln, um Gläser und Sxtragläser der mit jedem Grade nördlicher Breite heißer und steifer werdenden Mischung „tn tko 8vvee<>1ieiirt8 auü wike« in oiä LnFlanä" (den Geliebten und Frauen in Alt-England) zu weihen, erscheinen regelmäßig Einzelne auf Deck und stellen astronomische Beobachtungen an. Der am 30. Mai veröffentlichte Rapport ergab, das; wir in vierundzwanzig Stunden zweihundert zweiunddreißig Meilen zurückgelegt hatten. Das Wetter ist unvergleichlich schön, und ein Ost-Passat, gegen den wir steuern, lindert die Schwüle der Ntmofphäre und die körperlichen Leiden aller jener Passagiere, die sich nur nach Europa begeben, um berühmte Aerzte zu consultiren. Außer allen möglichen Spielarten des Fiebers sind die heterogensten Krankheiten an Vord der „Seine" vertreten; was könnte ein wißbegieriger junger Toctorand unter sachkundiger Leitung bei uns lernen! Hier wäre d«s Terrain zur Gründung einer Klinik, in der mindestens die spätere eigentliche Kur angebahnt werben könnte. Sogar mein Laienauge setzt die Mannigfaltigkeit der Krankenphysiognomien in Erstaunen, aber noch mehr bin ich über die Gleichgültigkeit des jungen, erst fünfundzwanzigjährigcn englischen Schiffsarztes außer mir, der allen diefen „interessanten" Kranken nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkt. Allerdings muß ich zu seiner Entschuldigung berichten, daß Niemand ihn durch Consultations in Versuchung führt und in seinen chemischen Studien stört. Das Zutrauen der Menschen kommt mir entgegen, und der junge Hippokrates hat mir schüchtern und mit verschämten Wangen eingestanden, daß er an der Herstellung einer Tinctur arbeite, deren Verkauf ihm die Reichthümer des Krösus verschaffen müsse. Dcr wundersame Saft 16? soll nach seinen vertraulichen Mittheilungen nicht zur Verlängerung des menschlichen Gebens, oder zur Umwandlung unedler Metalle in edle, sondern nur zur radical en Vertilgung der Pockennarben dienen. Die Wirkung des Arcanums hängt angeblich von dem richtigen Mischungsverhältniß der einzelnen Bestand» theile ab. In, Stillen scheint der Wunderthäter seiner Sache nicht ganz gewiß zu sein, denn er hofft gleichzeitig auf eine gefahrvolle, aber glückliche Entbindung an Bord, die ihn nach seiner Behauptung zu einem „gemachten Manne" machen werde. So weit ich indessen durch meine bisherigen Wahrnehmungen unterrichtet bin, ist keine Aussicht zur Förderung der Carriere unseres ärztlichen Helfershelfer als „Accoucheur" vorhanden. Ich für meinen Theil würde ihm nicht einmal Bart und Elsteraugen, geschweige denn Weib und Kind anvertrauen. Ein schwerer Uebelstand, der mit dem traurigen Befinden vieler Mitreisenden zusammenhängt, ist die Verschlechterung des moralischen Dunstkreises. Die Klatschereien und Zänkereien wollen kein Ende nehmen, und wie ich zu meiner Beschämung gestehen muß, sind es gerade die Männer, welche immer an der Töte der kriegführenden Parteien voranschreiten. Ungleich friedfertiger und zur Versöhnung geneigter ist die Gesinnung der Damen, ein Umstand, der sich aus der Heirathslust der Mehrheit erklärt. Unter den touristischen Creolen, Mulatten, Mestizen und Oua-dronen ist es vollkommen unmöglich, den Frieden zu erhalten. In den meisten Fällen kommen die Iwistigkeiten in der Nacht zum Ausbruch. Einmal erwacht die Nedelust der farbigen Menschen gerade um die Zeit, wenn der Weiße sich aufs Ohr legt, nächstdem verleiden die körperlichen Unbequemlichkeiten der meisten Passagiere aus den Tropenländern ihnen ein ruhiges Beisammensein. Der weise Salomon, unser majestätischer Capitän, hat den Tag über alle Hände voll zu thun, die Streitigkeiten dieser Meerkatzen zu schlichten und'die Verfeindeten durch Ausquartierung von einander zu trennen und unschädlich zu machen. Die bisher nicht belegte dritte Schlaf-commode in unserer kleinen Koje, ein Raum, nicht viel länger und breiter wie die Schieblade in einem Puppenmöbel, hat demzufolge als Insassen einen winzigen Franzosen erhalten, der lieber seine frühere bequeme Bettstatt aufgiebt, um nur nicht mit drei bräunlichen Unholden von den Antillen zusammen zu bleiben. Der flüchtige Zwerg ist genöthigt, sich in dem niedrigen Schlafkästchen förmlich in einen Knäuel zusammen zu ballen, doch thut diese unbequeme Lage seiner angeborenen Redseligkeit keinen Eintrag. Mein Kojen-kamerad, der Meergreis mit dem Schwimmgürtel, ist vor Entzücken über die Ankunft des gesprächigen Landsmcmnes außer sich und vergißt während der lebhaften Unterhaltung selbst die gewöhnlichen Blasübungen. Die beiden Schwätzer bringen mich um die ersprießlichen Stunden der Nachtruhe. Zwischen dem 30. und 31. Mai wurde von 12 bis 3 Uhr die fragliche Ablassung eines 168 Waarenpostens im Werthe von achtzehntausend Dollars so laut und gründlich abgehandelt, daß ich einen leichten Anfall von Seekrankheit verspürte. Im Talon ist nicht viel Trost zu holen; die Herrengesellschaft unterhalb sich bis Nachts 11, Uhr zumeist mit Hazardspiel. Zwei spanische Banquiers^ Spieler von Profession, ziehen den Engländern und Nordamerikanern mit eben so vieler Kaltblütigkeit wie Kunst, das C>lück zu corrigiren, ihr Gold aus der Tasche. Das Spiel wird „Monte" genannt, aber der gänzliche Mangel eines Spielorgans hat mich am Verständniß aller seiner Chancen verhindert und verbietet mir eine nähere Beschreibung; ich weiß nur, daA große Summen verloren wurden und daß es täglich zu heftigem Wortwechsel kam, vor dem ich aus Furcht, es könne schließlich zum Dolch oder Revolver gegriffen und den Anwesenden später die Zeugenschaft vor englischen Gerichten auferlegt werden, immer die Flucht auf Deck ergriff. An Seitentischen sind „Meine Tante, Deine Tante" und „Landsknecht" an der Tagesordnung, auch herrscht hier etwas mehr Gelassenheit unter den Pointeurs. Kann ich unbemerkt entwischen, so suche ich Erholung auf einem Ausflüge in das Quartier latin der „Seine", d. h. den Aufenthaltsort der Passagiere zweiter Klasse. Ein Theil derselben besteht aus kleinen Landbesitzern, die unter erschwerenden Umständen des Ackerbaus selbst nnt Hand angelegt und vielseitige Erfahrungen gemacht haben. Meiner Gespräche nnt einem Deutschen, der fünfzehn Jahre n Teras zugebracht und in derb humoristischer Manier vml seinen Erlebnissen zu erzählen wußte, erinnere ich mich noch heute mit Vergnügen und wünschte wohl, der wackere Mann griffe zur Feder und veröffentlichte seine Denkwürdigleiten zur Belehrung zahlloser irregeleiteter Auswanderer, welche gerade einer solchen urwüchsigen Darstellungsweise mehr Glauben zu schenken pflegen, alH gutgemeinten, aber vornehmer zugeschnittenen Zeitungsartikeln und Vrochuren. Gar ergötzlich war seine Beschreibung des Tauschhandels, dessen Tarif sich früher jeder neue Ansiedler nothgedrungen bequemen mußte. Erwartete z. V. Einer der Leute die Geburt eines Kindes und brauchte eins», Wiege, so trat er eine Reise zur nächsten Tischlerwerkstatt an. Mit baarem Gelde konnte er sich nicht versehen, denn Niemand verfügte darüber, aber er band einen Ochsen hinten an d?n Karren. Der Wiederkäuer war gut für zehn Dollars. Erreichte der Preis der Wiege nicht diesen runden Betrag, so gab der Meister heraus: cm Kalb oder einen Hammel. Bei Ankäufen kleinerer hölzerner Geräthschaften, wo es nicht selten auf eine Berechnung der Prcife in Scheidemünze ankam, half man sich nnt Lämmerschwänzen und Hasenfüßen, deren jeder auf einen halben Silber- oder Neugroschen abgeschätzt wurde. Einmal, da eben weder Kalb noch Hammel zum Ausgleich vorhanden war, bot der Tischlermeister meinen: Gewährsmanne, noch ehe das Kleine die Nändc be-schrieen hatte, einen Kindersarg, gleichsam als Reserve, an, die in keinem 169 gut eingerichteten Haushalt fehlen dürfe. Unter Fußbänken, Schaufeln und Stiefelknechten, die mit kleiner Silbermünze gleichbedeutend waren, konnten die Käufer oder Tau scher immer eine beliebige Auswahl treffen. Ist ein Schluß aus dem Gesundheitszustände der Passagiere zweiter Klasse und der Atmosphäre ihrer Wohnräume gestattet, so werden sie an Bord der „Seine" nicht schlecht behandelt. Zwei große Windschläuche, die neben zwei kleinen Treppen hinab unter das Vorderdeck führen, verbreiten unten fogar eine erfrischendere Lust, als wir sie obcn in den Salons und Kojen genießen, zudem befleißigen sich Passagiere und Mannschaften, da Jeder vorkommenden Falles, ohne auf den guten Willen der Dienerschaft zu warten, gleich selber zu Besen und Vürste greift, der äußersten Reinlichkeit. Nur mit Widerstreben trenne ich mich von den guten Menschen und kehre unter die Sippschaft von Spielern zurück, wo ich niemals davor sicher bin, daß mein Nachbar ein Terzerol aus der Tasche zieht und sich eine Kugel durch den Schädel jagt. Einigen, wie den sauberen Böhmaken, welche von der Mosquitoküsts zurückkehren, wird von ihren Reisegefährten nicht viel Gutes nachgesagt. Der präcisen Unterscheidung von Dein und Mein sollen sie nach einem vieljährigen Aufenthalt in Landstrichen, wo Jeder gleich mit bewaffneter Faust zu seinem, Rechte zu kommen weiß, nicht befähigt fein. Spät in der Nacht vom 1. zum 2. Juni erblickte ich zum letzten Male das füdliche Kreuz. Nach 1 Uhr uerfchwand es in den Dünsten des Horizonts: wir waren unter dem siebenundzwanzigsten Breitengrade und vierundfünfzigsten östlicher Länge eingetroffen. Bei tiefer Windstille umwölkte sich am 2. Juni der Himmel, und es begann, wenn man sich auf hoher See des Ausdrucks bedienen darf, ein anhaltender Landregen, dessen sich besonders die fliegenden Fische erfreuen, da sie durch die dauernde Anfechtung ihrer Schwungflossen in den Stand gesetzt werden, ihren Flug ein wenig weiter auszudehnen. Die „Seine" durchschneidet den Tag über ein unermeßliches Gefilde von graubraunem Seetang, Um- 1 Uhr Mittags kamen wir mit einem uns begegnenden englischen Dreimaster in so nahe Berührung, daß von Vord zu Vord einige Worte gewechselt und höfliche Wünsche in Bezug auf eine glückliche Rejse ausgetauscht werden konnten. Mit einem soliden Regenschirm bewaffnet, lasse ich mich durch den starken Regen nicht von meiner gewohnten Promenade abhalten und lustwandle auf dem vorderen landwirtschaftlichen Gebiet unseres Dampfers. Den für den Verzehr bestimmten Ochfen leisten ungefähr sechzig Schildkröten Gesellschaft. Nachdem sie selber in London zur Anfertigung von Turtle-Suppe gedient, soll das kostbare Schildpatt an die Fabriken verkauft werden. Mein Bedenken, was Mitglieder von Thierschutz-Vereinen zu der Behandlung der armen Thiere 170 sagen würden, will ich zu Nutz und Frommen des Schildkrotengeschlechts nicht unterdrücken. Die armen Geschöpfe liegen sämmtlich auf dem Rücken und müssen während der ganzen Reise auf Leibesnahrung verzichten. Nur zweimal in jeder Woche werden sie in eine Wanne gelegt und mehrere Minuten lang mit Seewasser begossen. Diese kümmerliche Erfrischung scheint wirklich zu genügen, an vereinzelten Exemplaren glaube ich sogar Spuren von Frohsinn, insofern sich derselbe mit den unzulänglichen Organen dieser phlegmathischen Thiergattung ausdrücken läßt, wahrgenommen zu haben. Einer unserer englischen Reisegefährten hat diese belebende Operation der Nachahmung für Werth gehalten, nur beschränkt er sich nicht auf zweimalige Uebergießung in der Woche, sondern hat mit Einwilligung des Lapitäns zwei Matrosen gegen eine Vaarentschädigung engagirt, die täglich mehrmals für das nöthige Material zu Sturzbädern sorgen. Der eifrige Wasserfreund hat den beiden Grieswärtcln die strengsten Instructionen ertheilt und sie autorisirt, ihm im Falle seiner momentanen Weigerung die Uebergießungen sogar unter Anwendung von Gewalt angcdeihen zu lassen. Aus den Annen der Liebe oder vom Altar, wie es in Schillers Räubern heißt, können sie nun freilich das verwitterte Original nicht fortreißen, allein ich war doch Augenzeuge, wie sie ihn, dcr Ordre gehorsam, ohne sich an feine Proteste zu kehren, mitten in einem Robber ergriffen und vom Whisttisch nach dein auf dem Vorderdecke stehenden Vadezuber schleppten. In den Abendstunden gedenke ich jetzt oftmals eines mir befreundeten, nun verstorbenen OfficierZ, in Diensten der holländischen Regierung auf Java, der von Sehnsucht nach dem Wechsel der Jahreszeiten in dem europäischen Klima verzehrt wurde und sich nicht eher beruhigen konnte, als bis er seine Lust an dem nordischen Winter und Frühling durch erhebliche Opfer gebüßt und eine Spritzfahrt in dic Heimath unternommen hatte. Dem Dämmerungs-salter gleich fühlt sich das deutsche Gemüth in dem schwindenden Lichte des Tages heimisch und vermag sich niemals mit dem crassen Wechsel von hellein Sonnenschein un) tiefer Nacht zu befreunden. Wir befinden uns in den Breiten von Madeira, und die Finsterniß bricht nicht mehr so plötzlich herein, als bliese man die einzige, in einem großen Saale mit geschlossenen Fensterläden brennende Kerze aus. Ich genieße, wenn auch nur kur^e Zeit, das gemüthliche Zwielicht- von jener traulichen Unterhaltung unter Freunden, auf die wir in der deutschen Heimath um diese Stunde so viel Werth legen, daß wir oft absichtlich das Anzünden der Lampen verzögern, kann hier nicht die Rede sein. Die poetischen englischen und nordamerikanischcn Schönen zittern in den kühleren und feuchten Abendstunden für ihren Teint und werden so spät nicht mehr auf dem Verdeck sichtbar. Ihr Glanzmoment ist der Vormittag, wenn sie kurz vor Vollendung ihrer Toilette an sonnigen Stellen Platz nehmen 171 und das nach dem Bade feuchte, aufgelöste Haar im Winde trocknen lassen. Ich muß meinen gamen moralischen Einfluß aufbieten, um das Entzücken ineines Freundes Meyer in erlaubten Schranken zu halten. Wenig bewandert in der Literatur, also arm an Citaten, wählt er seine Bilder meistens aus jenen, in früher Jugend auswendig gelernten neuen Liedern, die das Volk der Buchdruckern von Trowitzsch verdankt, Am 4. Juni, als die Grazien gleich den Feenjungfrauen in dem Schwanenmärchen von Musäus wieder beisammen saßen, mußte er seinem gepreßten Herzen iwlon^ voiens Erleichterung verschaffen. Mit Stentorstimme, daß alle Damen aus ihren Taschenbüchern und Albums erschrocken aufblickten, schrie Meyer im höchsten Falsett: „Tie puren Scejungfern — die puren Seejungfern — nur der Fischschwanz fehlt!" Ich ergriff ihn am Arm und schleppte ihn zu den Schildkröten. Den annen Thieren sollte heute eine unvorhergesehene Freude bereitet werden. Der Koch hatte sich zur Verherrlichung des schönen Frühlingstages bei der Anfertigung des Tiffin ungewöhnliche Mühe gegeben, und seine Leistungen verdienten wirklich, in Erwägung, daß wir uns an Bord eines englischen Dampfers befinden, wanne Anerkennung, der Mr. Abraham durch Bestellung einer Flasche Champagner zu vier Dollars Ausdruck verliehen hatte, als wir noch mit dem letzten Bissen im Munde durch Feuerlärm von dem Tische aufgeschreckt wurden. Die Passagiere in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung sind indessen gegen derartige Scherze abgehärtet. Sie hatten sich nicht so bald von der bloßen Fiction des Unglücks überzeugt, als die Tafel abgeräumt wurde und die Herren mit vollkommener Gemüthsruhe zu den Karten griffen. Mir lain es auf einige Sturzbäder nicht an, ich drang durch das Getümmel der Mannschaft bis auf das Vorderdeck vor und smnpathisirte hier mit den Schildkröten, die ihr» Freude über die Berieselung des Dampfers durch anmuthige Bewegungen mit den Köpfen und Füßen darthatcn. Der spanische Gesandte, der seit vier Tagen krank darnieder lag und in seiner Cabine geblieben war, hat über diese Aufregung seiner Nerven, wie der Schiffsklatsch berichtet, bittere Klagen geführt. Zu unserem Besten befindet « fich glücklicherweise nicht in der Lage, mit Repressalien drohen zu können. Die Verstimmung hat ihn nur zugeknöpfter gemacht. Se. Excellenz würdigen jetzt Niemanden mehr eines Wortes, ihr einziger Umgang ist ein diplomatischer Herr aus Curasao. Beide lustwandeln, mit weißen Cravatten und Handschuhen geschmückt, um die Promenadensiunde auf dem Verdeck und tauschen lispelnd ihre Ansichten über die in ihren Händen ruhenden Geschicke der Völker aus. Zuweilen wandelt mich die Lust an, den Herrn Gesandten an 172 den solennen Empfang in Panama und seine Draisinenfahrt über die Landenge nach Aspinwall zu erinnern. Der falsche Feuerlärm hat wenigstens das Gute gehabt, die klägliche ^ Beschaffenheit unserer zehn Rettungsboote (1ikodog,t8) an's Licht zu bringen. Drei derselben bedürfen einer gründlichen Ausbesserung, die denn auch am 5 Juni vorgenommen wird. Zum Neberfluß befiehlt der Eapitän, wahrscheinlich nur, um die aus hundertfünfund^wanzig Köpfen bestehende Mannschaft nicht müßig gehen zu lassen, die übrigen sieben Boote gründlich zu reinigen und mit Masten, Segeln, Rudern und Steuer auszustaffiren. Diese kleine Marine auf Deck sieht nach ihrer Vollendung im Verhältniß zu den riesigen Dimensionen des Dampfers wie Kinderspielzeug aus, Große Manöver sind nun einmal Mode geworden, und am 6. Juni Vormittags hieß es wieder, die „Seine" habe einen gefährlichen Leck. Fünf Minuten darauf war die Mannschaft an allen Pumpwerken in Thätigkeit, und das Ende des Tages verlief unter ferneren Reparaturen an allen Ecken und Enden. Die Herren Abraham und Meyer, die neuerdings Geschmack aneinander gefunden und ein Schutz- und Trutzbündnis; geschlossen haben, machten die treffende Bemerkung: der Capitän hätte passender alle diese Versuche vor Beginn der Reife angestellt, wenn ihm so viel daran lag, sich von der Zuverlässigkeit und Dressur der Matrosen, der Beschaffenheit des Materials und der Apparate zu überzeugen. Von den tropischen Naturgebilden verschwindet eins nach dein andern, die mit der Hautkrankheit „der rothe Hund" Behafteten genesen unbegreiflich geschwind, und meine Freunde, die fliegenden Fische, haben mich für immer verlassen. XXIII. In der Nähe der Azoren. Tic Wiederkehr des Schnupfens. Der Gründer der Tan;cnpelle. Tcr erste Ball. Reisegefährten auf offener See. Hinter Schornsteinen und Kesseln. Landsrnd. Jack und Bill. Ter öeuchtthurm tion Eddistone. Tie Insel Wight. Im Hafen von Touthampton. Tic Folgen der Tabbathfeier. Die kühlere Temperatur wirkt «nregend auf die Tanzlust unferer Damen, nur stellt sich ihren Plänen ein unerwartetes Hinderniß entgegen: es fehlt an Tanzmusik; unser Steamer ist nicht mit Spielleuten versehen. Die Großsprecherei der deutschen Herren an Bord nimmt mit jedem Tage zu, der uns den Küsten Europas näher führt. Mit den Engländern um die Wette schimpfen sie auf ihr Vaterland und brüsten sich mit ihrem englischen 173 Nürgerthum, ihren englischen Passen! Ein am ss. Juni Abends plötzlich eintretender Wetterumschlag legt ihren Schandmäulern Stillschweigen auf. Sämmtliche Prahlhänse verkriechen sich in die Kojen und sühnen durch die kläglichsten Iammerlautc ihre gegen die Heimath ausgesprochenen Beleidigungen. Am Morgen des 7. Juni hatten sich die Regenschauer gelegt und die Wolkengeschwader verzogen, aber die See verblieb in ihrer heftigen Bewegung. Nach der Vermuthung des Capitäns und seiner Officiere muß der Sturm der letzten Nacht gerade in dieser Gegend arg getobt haben. Wir befinden uns unter dem neununddreißigsten Grade, in der Nähe der Azoren. Die Schnelligkeit der „Seine" hat sich etwas vermindert. Legte sie in den letzten Tagen binnen vierundzwanzig Stunden zweihundertfünfzig Meilen zurück, so meldet der heutige Schiffsrapport deren nur zweihundertvierundzwanzig. Die Quecksilbersäule im Thermometer sinkt, und der Herold Europas, der Schnupfen, erscheint an Vord. Am 8. Juni war ich so glücklich, einen der Civilisation angemessenen Thermometerstand von 1i> Graden notiren zu können. Alle Goldonkel und Goldtanten aus Westindien klappern vor Frost mit ihren meistens falschen Zähnen, ich bin vor Entzücken außer mir. Die Temperatur ist die des Paradieses. Die Quälgeister der tropischen Zone sind spurlos verschwunden, von Ameisen, Mosquitos und Cockroaches ist keine Spur mehr vorhanden. In der Freude meines Herzens, endlich einmal mit den Füßen 5n die Stiefel fahren zu können, ohne eine ganze Horde dieser stinkenden Ungethüme zu zertreten, fordere ich meinen Freund Meyer auf, mit mir zum Dessert eine Flasche Champagner der besten Sorte auf das Wohl unseres kleinen Welttheils, seines Klimas und Menschenschlages zu leeren; aus nicht näher zu erklärenden Gründen, vielleicht in Folge der wiedergewonnenen Spann-traft der Nerven, bemächtigt sich der ganzen Genossenschaft von Passagieren rine sichtliche Aufregung. Noch zur rechten Zeit ist es einem jungen Hispanier, der ein Auge auf die tanzlustigste aller dieser Schönen, eine junge Havannah-Wittwe, geworfen hat und sich dadurch bei ihr zu insinuiren hofft, gelungen, Uhr Morgens erheiterte sich der Himmel, die Wolken Zerstoben uar dem Hauche der frischen Brise, und wieder erschien das reine Blau seiner hohen Stirn, zu der sich im Licht des Tages wie im Dunkel der Nacht die sehnsüchtigen Blicke aller Sterblichen richten, die der Hoffnung einer jenseitigen Ergänzung und Eonsonanz dieses Daseins voller schneidender Dissonanzen nicht zu entsagen vermögen. Aber dieses Blau war nicht mehr der tiefe Farbenton der südlichen Zone, es leuchtete nur in einer schwindsüchtigen Verklärung, als ob auch der Dunstkreis seine Disposition für das in Großbritannien so hartnäckige Uebel nicht verleugnen könnte. Wir dampften an der Insel Wight vorüber, um N Uhr an Eowes Osbornhouse, und trafen um 12 Uhr im Hafm von Southampton ein. Das hohe politische Interesse des römischen Brutus lag mir fern, und doch war ich nahe daran, gleich ihm einen tendenziösen Fall zu thun und den mütterlichen Boden der europäischen Erde zu umarmen. Beinahe zwei Jahre hindurch hatte ich Afrika, Asien und Amerika durchschweift. Der Anker der „Seine" war aber noch nicht gefallen, als der nach Alerandria bestimmte Dampfer „Delhi" an uns vorbeifuhr und salutirte. Meine alte Reiselust war erloschen, ich sah ihn ohne die geringste Anwandlung von neidischen Gefühlen in See stechen. Am Hafenquai standen in dichten Haufen rothborstige Englishmen in ihren Sonntagsrücken und starrten uns neugierig an; eine solche, nicht wider die kirchlichen Satzungen verstoßende, ohnehin unentgeltliche Sabbathunterhaltung durfte nicht unbenutzt bleiben. Die Herren mit ihren starren Gesichtszügen, den hohen steifen Vatermördern, den glänzend gestriegelten Angströhren auf dem Kopfe und den reglementsmäßig egal unter dem Arme getragenen Regen« 177 schirmen glichen einem großartigen Wachsfigurm-Cabinet, das noch einmal vor der Verpackung und Einschiffung zu Nutz und Frommen der Einheimischen öffentlich ausgestellt wurde. Der Wirrwarr auf unserem Dampfer dauerte länger als eine halbe Stunde, ehe alle Gepäckstücke ihren rechtmäßigen Eigenthümern ausgehändigt und mit ihnen an Land geschafft worden waren. Die weibliche Partei des erwähnten, in der Scheidung begriffenen spanischen Ehepaares sah sich sogar genöthigt, ihren truntfälligen englischen Liebhaber, zugleich mit ihren Koffern, der Sorgfalt der Gepäckträger anzuvertrauen. Zur Feier der Ankunft in Europa hatte der Unglückliche wieder das ihm bekömmliche Maß spirituoser Flüssigkeiten überschritten. Er stand in seiner holden menschlichen Schwäche indessen nicht vereinzelt da; nach ihren Schwankungen zu urtheilen, waren viele Mitglieder des auf dem Ouai stehenden Wachsfiguren-Cabinets seinem Beispiele gefolgt. Sehr bald hatte ich in einem comfortabel eingerichteten Hotel ein Unterkommen gefunden und wurde von dem dienstfertigen Domestiken sogleich an den Frühstückstisch gesetzt; ich erhob dagegen meinerseits keine Einwendungen. Wir Alle hatten an Bord der „Seine" in sehnsüchtiger Erwartung unserer Ankunft leinen Bissen mehr genossen; möglicherweise war uns auch nichts mehr angeboten worden. Das Dejeuner war vortrefflich, nur das Gebäck erinnerte mich an manches „Tschau Tschau" auf meinen chinesischen Excursionen. Das Milchbrot war nämlich alt und hart, denn kein Bäcker hatte es gewagt, in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag frisches Vrat zu backen. Auf dem Wege nach dem Zollhause wurde ich indessen gewahr, daß nicht alle Gewerbtreibende in Southampton mit den Bäckermeistern gemeinsame Sache machten und ihre Gewissenhaftigkeit theilten. Die Tabaks-läden und die Conditoreien standen offen, und wenn auch die Schnapsläden an Sonntagen erst um 5 Uhr Nachmittags geöffnet werden dürfen, fo erhellte doch aus dem taumelnden Gange vieler Spaziergänger, daß sie, um ihren Sabbathbedarf zu beziehen, auf nichtofficielle Weise Zutritt gefunden hatten. Da alle öffentlichen Vergnügungen am Sonntage in England ausfallen, auch Concerte in Gärten nicht stattfinden, fo ist es erklärlich, wenn die ungebildete Menge als Erholung von den Berufsarbeiten der Woche zu berauschenden Getränken ihre Zuflucht nimmt. Die Post war wie die Bäckerläden geschlossen, und ich mußte auf die Auslieferung meiner ^ozt« reFtantß-Nriefe aus Deutschland bis Montag warten, eine hastig angefertigte Depefche an die Meinigen wurde jedoch im Telegraphenamte zur sofortigen Beförderung angenommen. Die Zöllner und Sadducäer auf dem Mauthamte hielten sich gleichfalls nicht streng an das drakonische Gesetz der Sonntagsfeier gebunden; von 2 bis halb 4 Uhr mußte ich in dem Local zubringen, ehe meine Habfeligkeiten und Sammlungen auf-Hilbebranbt's Reise.'m die 6rdr. III. ^ 12 178 gefunden, untersucht und mir ausgehändigt waren. Für Dockgebühren und Trägerlohn hatte ich acht und einen halben Schilling zu erlegen. Den Nest des Nachmittags benutzte ich zur Einwechselung der landesüblichen Münzen, dann nahm ick) meine Malerutenfilien unter den Arm und wanderte nach dem Hafen, um aus Dankbarkeit und zur bleibenden Erinnerung an den Dampfer ..Seine" eine Aquarelle desselben und der maritimen Umgebung zu malen. Meine Reife sollte auch in England schließen, wie ich sie auf ägyptischem Voden in Alerandria begonnen hatte, d. h. mit Steinwürfen Eingedenk des alten Satzes eineü Wasserfcindes: daß die Schiffe und das Meer weit besser vom Festlande aussehen, als wenn man sich auf ihnen befindet, hatte ich es mir in den: festen Glauben, mich in einen: civilisirten Lande zu befinden, bequem gemacht und fetzte eben die Bleifeder an, als plötzlich Scherben eines Blumentopfes mir um die Ohren flogen. Einige Minuten später war ich von Krethi und Plethi umringt. Jung und Alt drängte ungestüm heran und schrie: „Sabbathschänder" (8abbatn-dr«Äkor). Ein ungezogener Junge machte Anstalt, während Andere schrieen: „Zeichnen sei eine Arbeit und am Sonntage verboten'." meinen Malerstuhl umzustoßen; jede mündliche Auseinandersetzung wäre vergeblich gewesen, da dcr durchdringende Branntweingeruch den physischen und psychischen Zustand der Horde verrieth. Das Nathsamste nar, bei Zeiten an einen geordneten Rückzug zu denken. Zum Glück hielt ein Cab in der Nähe, ich sprang hinein und der Kutscher entführte mich pfeilgefchwind zur Stadt hinaus; vor einen: Aleshop hielt mein Retter. Ich verstand ihn; er hoffte, für das an mir verübte gute Werk belohnt zu werden. Es war erst dreiviertel auf Fünf, und vor Fünf darf am Sonntag Niemand in einer Kneipe fitzen, ich ging alfo durch den „Hontiemun bar" bezeichneten Eingang — der andere trägt die Ueberschrift „Lottie äepartoment" — drängte mich durch einen Haufen umherstehender angetrunkener Bursche, ließ für mich und den Cabführer zwei Gläfer Ale herausbringen und beschloß den ersten Tag meiner Anwesenheit auf europäischem Voden mit einer einstündigen Spazierfahrt. XXIV. Von Southampton nach üandon Radlch's Hotel. Garibaldi-Cultus. Im polytechnischen Institut. Nach Dover. Gin verstockter Greis. Bei Nacht über den Kanal. Im Taschendampfer. Die Mauthbeamten in Oftende. Nach Köln. Der erfie Gcnsdarm und das erste Viergrofchen- ftück. Nach Berlin. Am 13. Juni begab ich mich fo früh, als nach englischem Brauch statthaft ist, auf das Postamt, fand es geöffnet und nahm die Briefe der Meinigen aus Stettin in Empfang. Ich ließ mir, in das Hotel zurückgekehrt, nur fo viel Zeit, sie kurz zu beantworten, meine Ankunft zu melden und die nöthigen 179 Anordnungen zu meinem häuslichen Empfange in Berlin zu treffen, dann be« stellte ich rasch ein Frühstück und begab mich nach dem Bahnhofe. Die Woche sing gut an, Jack und Bill von der „Seine" mußten über das vaterländisch graue Ausfehen des heutigen Montagshimmels vor Entzücken außer sich gerathen, während so mancher ihrer Landsleute vielleicht aus den Gedanken ge-rieth, fich aufzuhängen oder den Hals abzuschneiden. Der Personenzug nach London sollte um N Uhr abgehen; ich hatte keine Zeit mit Reflexionen zu verlieren. Vald war das Billet gelöst, es kam nur darauf an, einen guten Platz ;u erobern. In Gedanken an die Heimath verloren, fühlte ich das dringende Bedürfniß, allein zu bleiben. Ein Schilling that seine gute Wirkung, die Thür des leeren Courts, in dem ich mich niedergelassen, wurde von dem Conducteur verschlossen; ich wollte mich indeß sicherstellen. Wer auf dem Perron oder im Coup« raucht, hat den amtlichen Anschlagen zufolge — ich glaube mich nicht zu irren — eine Geldstrafe von zehn Pfd. Sterling zu er-legcn oder eine entsprechende Gefängnißstrafe abzusitzen; mithin zog ich zuversichtlich meine Cigarrentasche und steckte eine meiner unvergleichlichen Manilas in Brand. Ich hatte weine Leute vollkommen richtig beurtheilt. Der Conducteur, als Tabaksfchnüsiler erster Grüße, schob sogleich den Kopf durch da". Wagenfenster. Mein Zweck war erreicht, ich drückte einen Zweiten Schilling in seine empfängliche Rechte — „all ri^kt, 8il" — ich war und blieb allein, aber nur bis zur nächsten Station. Fern fei es von mir, die Dankbarkeit meines neugewonnenen Freundes zu verdächtigen; der Andrang der Stationspaffagiere und die unzureichende Zahl der Wagen mögm ihn gezwungen haben, meine Wünfche fortan unbeachtet zu lasfen. Das Coup^ wurde bis auf den letzten Platz mit steifen, einander stumm anglotzenden Englishmen vollgepfropft, deren Personen fast auf jeder Station wechselten, und durch Regenschauer und Tunnels, Windstöße und Grobheiten, fast noch mllignme Fluren und Heerden von Wiederkäuern, die nicht minder geistvoll um sich blickten, als meine Herren Reisegefährten, kamen wir um 3 Uhr in London an. Nachdem ich ein behagliches Unterkommen in Radleu's Hotel gefunden, ließ ich mich durch den in Strömen herabgießenden Regen nicht von einer Promenade durch die nächsten Straßen abhalten. Zunächst fühlte ich mich durch die scharfkritischen Blicke der Flaneure veranlaßt, meine zwischen St. Thomas und Southampton hart mitgenommene Cravatte, sowie meine Handschuhe in dem ersten besten Laden zu erneuern, dann begann ich, als Gentleman leidlich sichergestellt, meine gewöhnliche Umschau. Seit Jahren wohlbewandert in London, siel mir nichts Neues auf als der Cultus, der augenblicklich mit dem Namen „Garibaldi" getrieben wurde. Portraits des italienischen Nationalhelden waren an den Schaufenstern der Läden zahlreicher vorhanden, als Standbilder Buddha's in allen Tempeln von Kanton. Ein 12* 180 mit der Landesrcligion und englischen Rechtgläubigkeit unbekannter Ostasiate hätte auf den Gedanken gerathon können, den Götzen der Einwohner des großbritannischen Königreichs oder doch einen seiner verehrtesten Heiligen vor sich zu sehen. Wer nicht Portraits ausgehängt hatte, pries wenigstens Garibaldihemden, Garibaldischmken u. a. m. zum Verkauf an. Es wäre unrecht gewesen, die Tagesmode nicht mitzumachen; ich erstand zur Erinnerung ein Garibaldihemd. Der nur schwer zu durchwatende Straßenkoth trieb mich gar bald in mein Hotel zurück. Eine rührende Erinnerung an die Gasthäuser i» Point de Galle auf Ceylon und anderen asiatischen Städten, steckt auch in der Thür meineü Zimmeiü kein Schlüssel, doch sichert ein inwendig vor-zuschiebender Niegel mich vor nächtlichen Eindringlingen. Tie Eommode des Gemachs ist gleichfalls mit keinem Schlüssel versehen; das Herz des Hotelwirths scheint von Vertraue» in die Menschheit überzufließen. Alle drei Schiebladen stehen offen und sind mit der feinen Tisch« und Bettwäsche des Hotels voll-gepackt. Auffallenderweise fehlt aber auf dem Nachttisch die sonst in jedem englischen Gastzimmer gebräuchliche Vibel. In einer an der Thür hängenden Anzeige erbot sich ein londoner Hiltl zur vollständigen Ausstaffirung von Zimmern. Als Maler interessirte mich besonders die Verheißung des geschmackvollen Industriellen, nach Auswahl der Zimmertapeten auch die mit ihrer Grundfarbe übereinstimmenden Oelbilder in beliebiger Anzahl liefern zu können. So lebhaft meine Sehnsucht nach der Heimath war: einen Tag, den 14. Juni, mußte ich an die Weltstadt verwenden. Er wurde zu Ankäufen und kleinen Ercursionen benutzt. Von Neuem überzeuge ich mich, daß London für den kleinen Mann, der mit allen Hülfsmitteln und Quellen des Consums Bescheid weiß, zu den billigsten Orten des Erdballs gehört. Am Strand forderte man mir tn einem altafrikanischen, aber tadellos saubern kleinen Wirthshause für ein schmackhaftes zweites Frühstück, Sandwiches und ein Glas Stout, nicht mehr ab, als vier Pence, eine Kleinigkeit, für die man in Berlin nicht einmal in dem geringsten geller Hunger und Durst zu stillen vermag. Meine Vorliebe für heitere Scenen aus dem Volksleben trieb mich Abends nach dem polytechnischen Institut, das freilich mit der gleichnamigen Berliner Verbindung von Technikern und Industriellen nichts als den wohlklingenden Titel gemein hat. Die Gäste des volksthümlichen Vergnügungslocals wurden durch die harmlosesten Scherze unterhalten. Bauchredner wechselten mit Bauch-sän gern; ein kleiner beleibter Herr, dessen Gesichtsfarbe nur wenig lichter als Porter war, zugleich aber einen Stich in den tyrifchen Purpur zeigte,, erregte allgemeine Bewunderung, als er mit seinen beiden bemalten Händen die Gesichter zweier zahnlosen, alten Weiber copirte und ihre mündliche Unterhaltung mittelst der Vauchstimme hinzufügte. Das Stück war schön, aber 181 gewiß sehr angreifend, denn der kleine Herr war genöthigt, sich in jeder kurzen Pause durch einen tiefen Zug aus der hinter ihm stehenden Bierkanne Stärkung und Labung Zu holen. Ein etwas abgeschabt aussehender Weltweiser hielt einen Vartrag über den von ihm erfundenen Glas- und Porzellan-kitt, und schloß mit der Vetheuerung: eher ginge der Erdball in Stücken, als ein mit seinem Kitt ausgebessertes Geschirr. Dann wurden Geister beschworen und in einer Theaterscene die Operationen mit der Taucherglocke auf dem Meeresgrunde dargestellt-, Hornpipe, der beliebte Matrosentanz, fehlte ebenfalls nicht auf dem reichhaltigen Pogramm. Der Straßenlärm störte mich in dieser Nacht weniger als in der vorigen; um 19 Uhr fuhr ich nach der neuen Douer-Eisenbahn, und um halb 11 Uhr rollte der Erpreßzug mit uns in schwindelnder Eile davon. Der anhaltende Landregen beschränkte die Aussicht; ich versuchte mit dem mir gegenübersitzenden alten Herrn eine Unterhaltung anzuknüpfen. Anscheinend wohlwollend, lauschte er einige Stunden lang meinen höflichen Worten, dann schnitt er mir mit einem gedehnten: „OK )'6Z!" den Faden vor dem Munde ab, zog zwei große Ieitungsbogen aus der Vrusttasche, reichte mir einen derselben und verbarg, scheinbar in die Lecture vertieft, sein wohlrasirtes Antlitz hinter dem andern. Die Demonstration war nicht mißzuverstehen. Der Greis wollte mit mir nichts zu schaffen haben; ich verstummte. Umgänglicher erwies sich meine jugendliche Nachbarin zur Linken, eine blühend schöne Miß. Die Wahrheit zu gestehen, hatte ich den Griesgram für ihren Vater gehalten und nur gehofft, durch seine Vermittlung mit ihr in nähere Berührung zu kommen. Das renitente Wesen des Unbekannten bewog das junge Mädchen, mich aus freien Stücken durch liebenswürdige Zuvorkommenheit zu entschädigen. Das holde Kind begann mit dem Angebot einer prachtvollen Erdbeere, deren sie eine Anzahl in einem gestickten Handkörbchcn aufbewahrte; dann mischte sich auch ihr jüngerer Bruder in das Gespräch. Die Geschwister hatten sich, um die deutsche Sprache zu erlernen, längere Zeit in Bonn aufgehalten und später die Rheinlande bereist. Sie waren des Lobes unserer Landsleute voll und bedauerten, mir nicht auf das Festland folgen zu können. Die nächste Station trennte uns zu früh. Eine glänzende Equipage und ein alter Diener warteten auf die jungen Leute; der Landsitz ihrer Eltern mochte in der Nähe liegen. Die Schienenstraße nach Dover führt an Sydenham und Chatham vorbei, meistens durch Hopfenpsianzungen und eine Reihe von Tunnels, in denen eine drückend heiße Atmosphäre herrscht. An die Stelle der Palmen, zwischen denen die Locomotive auf der Landenge von Panama hinflog, sind ehrliche Pappeln getreten; meine ^ieblingsbäume werde ich fortan nur in Treibhäusern aufzusuchen haben. Um meine Trübsal zu erhöhen, werden durch Inschriften an den neuen Stationsgebäuden alle Attentäter, die sich des Rauchens er- 182 kühnen, mit sofortiger Exmission aus den Couvös bedroht. Ich vertröstete mich auf die Toleranz der Eisenbahnbeamten des Continents und füge mich in Resignation dem strengen Verbot. Um halb 1 Uhr hatten wir Dover erreicht. Für die flüchtigen Stunden meiner Anwesenheit wählte ich mit gntem Vorbedacht Castle Hotel. Hier hatte ich im Jahre 1847 mit meinem jetzt in Rom an der Pyramide des Cestius ruhenden Vruder gewohnt; der Anblick der bekannten Räume gewährte mir eine wehmüthige Erinnerung. Nach 5 Uhr klärte sich das Wetter auf, ein Dampfer kam von Ost ende, ein zweiter von Calais; beide entledigten sich ihrer Ladung von seekranken Passagieren. Das Aussehen der armen Menschen war gottsjämmerlich und nichts weniger als ermuthigend; aber der Becher mußte rasch bis auf die Hefe gelehrt werden. Die Rechnung in Castle Hotel wurde an die Frau Wirthin bezahlt, ein kleines Vermögen in Trinkgeldern an Kellner und Träger verausgabt, und unter wilden Flüchen aller Reisegefährten über das abscheuliche Kanalwetter ging ich, zur Nachtfahrt entschlossen, um 9 Uhr Abends an Bord des kleinen belgischen Dampfers für Oftende. Die für mich in Southampton aufbewahrten Nriefe geboten mir, auf dem kürzesten Wege nach Hause zurückzukehren. 3)!ein ursprünglicher Plan^ den hohen Gönnern und werthen Freunden, deren Empfehlungsschreiben ich in der Ferne so viele Annehmlichkeiten Zu verdanken hatte, meinen Dank in eigener Perfon mündlich abzustatten, war nicht mehr ausführbar. Es bleibt mir nichts übrig, als Sr. königl. Hoheit dem Prinzen Adalbert von Preußen, ^ord John Russell, dem Geheimen Commerzienrath Herrn Alexander Mendelssohn und Herrn Hermann Hoffbauer in Berlin, Herrn Zschille zu Eroßenhain in Sachsen, den Herren Hauvtmann von Brandt und Commerzienrath C. F. Brumm in Stettin und den Herren Siemfscn und Nossvidal in Hamburg schriftlich und öffentlich zu danken. Der kleine Postdampfer, seines Zeichens ein „Steamer in der Westentasche", stach um 1ä Uhr Nachts in See, und hatten wir uns nach Umstanden so gut als möglich einzurichten. „Jeder sehe, wo er bleibe"; an Vord dieser Dampfinfuforien werden keine Netten geliefert. Um die Passagiere, deren gewöhnlich mehr als Plätze vorhanden zu sein pflegen, kümmert sich Niemand. Wir waren gezwungen, uns auf Bänken und Sophas auszustrecken. Zwei Angehörige der beiden großen Nationen, welche der Kanal trennt, geriethen sehr bald über das Jedem zustehende Schlafterrain in Streit. Der Franzose wollte eine nach dem Vordersteven hinausreichende Sophaecke früher belegt haben, John Bull streckte gemächlich seine riesigen Gliedmaßen aus und gab keine Antwort. Der Franzmann wurde grob; der Sohn Albions entwickelte langsam, aber majestätisch eine Borerstellung. Diefen Moment benutzte gewandt fein schwächerer Gegner und bemächtigte sich des leeren Sitzes, daraus 183 pochend, daß er das Rückwärtsfahren nicht zu ertragen im Stande sei. ,.Iä ««is I'rl«il,lli8! Hlonzieur, inoi!" schrie er mehr als zehnmal hintereinander. Für den Fall, daß der Engländer Genugthuung haben wollte, fügte er hinzu: „5e clomeure ru<,' 8t. Honur« 339". Den Wohnort Paris sprach er, als selbstverständlich für einen duelllustigen Franzosen gar nicht einmal aus. Zu seinem Heil war der Engländer ein friedliebender Mensch, er begütigte in tiefen Vaßtönen den Kleinen, der sich wirklich in seinem Rechte befinden mochte, und schließlich theilten Veidc das kleine Kanapee als Nachtlager oder vielmehr Nachtsitz, und entschliefen sanft, wählend draußen die wilde See ihr tobendes Rocturno anstimmte. Mir war es nicht beschiedcn, ein Auge zu schließen; ich durchwachte die Stunden der Uebcrfahrt in einem winzigen Lehnsessel; ein Vogel auf der Stange des Käfigs saß bequemer. Die Gesichter der Mauthbeamten in Ost ende, als wir um 4 Uhr Morgens dort anlegten, waren nicht heiterer als dcr Himmel, der sich von seinem triefenden Regenmantel nicht trennen Zu können schien. Hinter uns drein schnaubt der Nordwest grimmig über den Kanal; es war weis?, die Nacht zur Reise benutzt zu haben; der 19. Juni droht noch rauher zu werden. Nachdem wir und unsere Koffer den Händen dcr spähenden Zöllner entgangen waren und diese sich wieder zu Bett gelegt hatten, löste ich für zwölf Thaler ein Eisenbahnbillet bis Köln und faß um 6 Uhr geborgen, ohne Furcht vor Anfechtung unerbittlicher Policemen, in einem Nauchcoupu und bewunderte, heiter gestimmt durch die dampfende Cigarre, die belgischen Stationsembleme: „Zum bunten Ochsen", „Zum goldenen Affen" und „Zur goldenen Freiheit". Um 3 Uhr 'Nachmittags erschien am Horizont unseres Zuges in Her best Hal nach fast zweijähriger Abwesenheit der erste preußische Gensdarm, um halb 5 Uhr kam ich in Köln wieder in den Besitz deZ ersten preußischen Viergroschen-ftücks, das ich bei dein Portier des neuen Hotels Ernst einwechselte. Mit zwei dieser gemüthlichen Münzen, de'->?n Werth so vielen kleinen Dienstleistungen unserer Landsleute entspricht, belohnte ich die Bemühungen eines Friseurs, dem ich mein verwildertes Haupthaar anvertraute, um bei meinem bevorstehenden Besuch des Domes nicht die Gemüther der Kirchendiener und Chorknaben in Schrecken zu versetzen. Anderweitige kosmetische Operationen «ersparte ich für Berlin. Die Haut meiner Hände ist in den Tropen rauh wie ein Re^'.^n geworden. Wie wohl war mir Abends im Speiscsaal unter den lneiplustigen, aufgeweckten Rheinländern, mit welcher wonniglichen Genugthuung vernahm ich wieder die Laute der theuren Muttersprache von Aller Lippen, wie exotisch war mir der einzige Holländer in der Gesellschaft, dem es nur mit Mühe gelang, dem Kellner begreiflich zu machen, daß seine Flasche Rothwein in einem Napf heißen Wassers credenzt werden solle. 184 Nur noch durch eine Tagfahrt von der Heimath und meiner Wohnung getrennt, unterzog ich mich nach Beendigung des kleinen Zechgelages in nächtlicher Stille einer Schlußmusterung meiner sämmtlichen Gepäckstücke. Es ist mir gelungen, die künstlerischen Errungenschaften meiner Reise um die Erde trotz aller Wechselfälle, deren ich ihrer Zeit Erwähnung gethan, unversehrt und ohne Verlust innerhalb der Grenzen unseres hochcivilisirten Vaterlandes in Sicherheit zu bringen. Ich fühle mich außer Stande, das Gesicht der Dankbarkeit gegen den Lenker menschlicher Schicksale zu beschreiben, als ich in dem tiefen Frieden der ehrwürdigen rheinischen Hauptstadt, unter dem Schirm der Gesetze, Sitten und Bildung, im Schoße des Comforts in meinem Gemach noch einmal die mit Wachstuch umhüllten, in starke Lederfutterale geschnallten Vlechkästen eröffnete, in denen ich meine fertigen Aquarellen, fast dreihundert an der Zahl, meine Skizzenbücher und Zeichnungen nebst den Tagebüchern geborgen hatte, und Alles unbeschädigt fand. Die Herren Psychologen in ihrer Weisheit mögen erklären, wie es zuging, daß ich ungeachtet meiner Herzensfreude die ganze Nacht hindurch nur von Kannibalen, Tigern, Felsriffen, Seeräubern, Oroanen und heißhungrigem Ungeziefer träumte und erst gegen Morgen in einen todtenähnlichen Schlaf versank, aus dem mich um halb 6 Uhr der Hausknecht, ein Herold des zwischen 7 und 8 Uhr nach Berlin abgehenden Eilzuges, aufscheuchte. Im Coup« wehen mich altpreußische Lüfte an, die Reisegesellschaft besteht aus einem höheren Militär, einem Negierungsbeamten und einem sehr loyalen Particulier; nur ein russischer Courier und ein Abkömmling des Psalmensängers, der nach einem zweijährigen Aufenthalt in Paris an die Ufer der Spree zurückkehrt und mit der Veröffentlichung seiner Memoiren mündlich beginnt, bringen ein fremdartiges, sprödes Element in unsern Kreis. Wir stiegen den Tag über an Kegelbahnen mit jungen Lieutenants, gegenwärtig annectirten Residenzen, preußische. Festungen, Lemwandfabrilen und Pfeffer« kuchenhändlern vorbei; kein Sahib, kein Mandarin oder Kuli, kein Papagei, keine Pagode mehr! In der Stadt Friedrichs des Großen steigen fogar zwei Potsdamer <>i und bringen den Jüngling aus Paris vollständig zum Schweigen; hinter Iehlendorf wagt er den ersten, vor Schöneberg den zweiten Seufzer auszustoßen. Die Reisegefährten kümmern sich nicht mehr um einander, die Schnelligkeit der Locomotive nimmt ab, wir rollen langsam über die Drehbrücke des Schiffahrts-Kanals, hinter dem Schlagbaum der Chaussee stehen Equipagen, Droschken und Spaziergänger, der Zug rollt in den Potsdamer Bahnhof, noch ein gellender Pfiff, die Thüren iv^dn^^uigerissen — ich liege in den Armen meines Bruders. >^. «^ >- Ende. i KAETK zu PROFESSOR EBIH1D BILDEBRANl'S hi dm Jahre u IttüZ-lßtKi. HUdetiTJind/s Rpts«routp Wrluf» vouOI tiiJankc inBei'Un. wnmmtm^^^mi l.nh A nil \ I' Kurbgnrnl. BtIii. WMJH