15 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . UDK 783.51(437.6)"13" DOI: 10.4312/mz.56.1.15-44 Rastislav Adamko, Janka Bednáriková, Zuzana Zahradníková Oddelek za glasbo Pedagoške fakultete, Katoliška univerza v Ružomberoku Department of Music, Faculty of Pedagogy, Catholic University in Ružomberok Eva Veselovská Muzikološki inštitut Slovaške akademije znanosti Institute of Musicology of Slovak Academy of Sciences Rastislav Luz Slovaški nacionalni arhiv The Slovak National Archives Das Missale notatum Rkp. zv. 387 – eine Skandinavische Handschrift in der Slowakei* Missale notatum Rkp. zv. 387 – skandinavski rokopis na Slovaškem * Die vorliegende Studie wurde im Rahmen des Projekts VEGA 1/0105/17 „Missale Romanum sign. Rkp. zv. 387 z Ústrednej knižnice SAV – výskum a pramenná edícia“ [Missale Romanum sign. Rkp. zv. 387 von der Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften – Forschung und Quellen-Ausgabe] erstellt. MZ_2020_1_FINAL.indd 15 24. 06. 2020 12:00:30 16 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Missale Romanum Sign. Rkp. zv. 387 aus der Zentralbibliothek der Slowakischen Aka- demie der Wissenschaften – das Missale 387 – ist der erste (Sommer-)Teil eines origi- nal zweiteiligen liturgischen Buches. Es wird in der ehemaligen Lyzeums-, der heuti- gen Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Bratislava aufbewahrt.1 Nach Július Sopko ist der Ursprung dieser Quelle in der zweiten Hälfte des 14. Jahr- hunderts in einem klösterlichen Umfeld in Österreich zu suchen.2 Eine andere Ansicht vertreten die ungarischen Musikhistoriker Janka Szendrei und László Dobszay. Ihnen zufolge stammt die Handschrift aus dem 13. Jahrhundert aus Norddeutschland oder Dänemark.3 Eva Veselovská neigt zu dieser zweiten Meinung und präzisiert, dass das Missale in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Nordwesteuropa angefertigt wor- den sein könnte.4 Die Verwandtschaft des Missale 387 mit den Quellen aus diesem Umfeld wurde auch durch die komplexe quantitative Analyse der im Kalender der Handschrift angeführten Feiertage bestätigt.5 Das Fehlen des Fronleichnamsfestes in 1 Die Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften: Missale Romanorum Rkp. zv. 387. Zugänglich auf der Internetseite: http://147.213.131.4:85/digi/Rkp_zv_387/LKB___RKP_ZV_387_____24TL/EN/1_2_descr.htm; die Fulltext-online Version: http://cantus.sk/source/26226. Alle Gesänge der Handschrift in der nationalen Datenbank Cantus Planus in Slovacia bekamen die gemeinsame Identifikationsnummern der internationalen Datenbank Cantus Index http://cantusindex.org. Die slowakische Datenbank Cantus Planus in Slovacia ist die Partnerdatenbank der internationalen Datenbankennetzwerk Cantus Index. 2 Július Sopko, Stredoveké latinské kódexy v slovenských knižniciach (Martin: Matica slovenská, 1981), 148. 3 László Dobszay, „Niekoľko aspektov skúmania stredovekých hudobných kódexov Bratislavy,“ in Hudobné tradície Bratislavy a ich tvorcovia, 18. Band, hrsg. von Katarína Horváthová (Bratislava: Mestský dom kultúry a osvety, 1989), 20–21. Janka Szendrei, A magyar közepkor hangjegyes forrásai (Budapest: MTA Zenetudományi Intézet, 1981), 70, C 103. 4 Eva Veselovská, Catalogus e civitatibus Modra et Sanctus Georgius cum notis musicis medii aevi in Slovacia, Bd. 1, Catalogus fragmentorum cum notis musicis medii aevi e civitatibus Modra et Sanctus Georgius (Bratislava: Ústav hudobnej vedy SAV, 2008), 34–36. Am neuesten wird seine Entstehung auf Jahre 1275–1300 datiert. Dazu: Eva Veselovská, Rastislav Adamko und Janka Bednáriková, Stredoveké pramene cirkevnej hudby na Slovensku (Bratislava: Slovenská muzikologická spoločnosť – Ústav hudobnej vedy Slovenskej akadémie vied, 2017), 57 und 111–116. 5 Rastislav Adamko, „Príspevok k problematike kalendára v Misáli R. 387,“ Slovenská hudba: Revue pre hudobnú kultúru, Nr. 2 (2006): 144–151. Prejeto: 15. februar 2020 Sprejeto: 30. april 2020 Ključne besede: rokopis, misal, notacija mašnih spevov, gregorijanski koral IZVLEČEK Pričujoča razprava poskuša na podlagi analize paleografskih značilnosti pisave rokopisa Missale Romanum Sign. Rkp. zv. 387, njegove notacije, litur- gične vsebine koledarja, rubrik in sestave mašnih formularjev ter muzikološke primerjave repertoarja spevov pojasniti izvor rokopisa, ki se danes nahaja v Osrednji knjižnici Slovaške akademije znanosti v Bratislavi. Received: 15th February 2020 Accepted: 30th April 2020 Schlüsselwörter: Manuskript, Missale, Notation der Messgesänge, gregorianischer Gesang ABSTRACT Auf Grund einer Analyse der paläographischen Seite der Schrift, der Notation, des liturgischen Inhalts des Kalenders, der Rubriken und der Komposition in den Messformularen und der musikwissenschaft- lichen Komparation vm musikalischen Repertoire, wollen wir die Frage der Ursprung des Missales Romanum Sign. Rkp. zv. 387 beantworten, das sich in der Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Bratislava befindet. MZ_2020_1_FINAL.indd 16 24. 06. 2020 12:00:30 17 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . der Quelle wiederum bestätigt die Ansicht, dass die Handschrift noch im 13. oder im frühen 14. Jahrhundert angefertigt worden sein musste.6 Äußere Beschreibung der Quelle Das Missale 387 ist eine Pergamenthandschrift mit einem Format von 220 x 155 mm. Es hat einen zeitgemäßen Ledereinband mit Holzbrettern, die mit dunkelrotem Leder bezogen sind und Zierbuckeln in Form von Rosetten aufweisen. Es ist in einem guten Zustand erhalten. Text und Noten stehen in einer Spalte. Der Hauptkorpus der Hand- schrift wurde mit einer Hand in der gothica textualis formata geschrieben. Der Kodex wurde von weiteren 11 Händen ergänzt und zwar auf den Einleitungs- (1, 14r–15v) und Schlussfolien (252v–255) sowie in Form von Randbemerkungen. Die Ausschmückung beschränkt sich auf farbige Initialen in roter und blauer Farbe, ergänzt mit Fleuron- néen in Federzeichnung, die über den Spiegel reichen.7 Notation In der Handschrift wurden zwei Notationstypen verwendet. Der Hauptkorpus des no- tierten Missale 387 aus der Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissen- schaften verwendet den klassischen Typ der Quadratnotation. Das Notensystem ist ein 4-Liniensystem von roter Farbe ohne Umrahmung. Die Maximalzahl der Notenzeilen auf einer Seite ist 10. Der älteste Teil der Handschrift und gleichzeitig auch der Haupt- notator beginnen auf dem Folio 16r. Dieser Notationstyp repräsentiert die klassischen Formen des Quadratnotationssystems des Hochmittelalters. Das Grundelement dieser Notation ist die kleine Quadratnote mit einem haarfeinen Strich im rechten unteren Teil des Zeichens. Der Pes besteht aus zwei vertikal übereinander gestellten Quadrat- punkten, die an der rechten Seite verbunden sind. Vereinzelt ist der Pes auch in einer Form gestaltet, wo der obere Ton nach rechts geneigt ist. Von beiden Pes-Formen geht der Scandicus aus, unter Hinzufügung eines quadratischen Punktes (Punctum). Die Clivis besteht aus zwei absteigenden Punkten, wobei die obere Quadratnote im An- satz mit einem haarfeinen Strich versehen ist. Der Climacus besteht aus einem quad- ratischen Punkt und einer Reihe nach rechts geneigter absteigender Rhomben oder aus drei verbundenen quadratischen Elementen: aus Clivis und einem hinzugefügten Punkt. Der Torculus ist in Form von drei Quadratnoten angeführt (in vertikaler Stel- lung: unterer, oberer und unterer Ton). Der Porrectus hat den dritten, oberen Ton mit einem nach links geneigten Kopf. 6 Das Fest De Corpore Christi führte 1264 Papst Urban IV. für die gesamte westliche Kirche ein. Auch wenn einige Länder, wie das untere Rheinland, Siebenbürgen und Ungarn, es nicht sofort einführten, trugen die einzelnen Synoden zu Beginn des vierzehnten Jahrhunderts durch ständiges Betonen dieser Anordnung dazu bei, dass dieses Fest in dieser Zeit in die Liturgie- bücher gelangte. 7 Sopko, Stredoveké latinské kódexy, 148. MZ_2020_1_FINAL.indd 17 24. 06. 2020 12:00:30 18 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Abbildung 1: Quadratnotation in dem Missale 387 aus der Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, 16r.8 8 Missale Romanorum, Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, Rkp. zv. 387, f. 16r, http://147.213.131.4:85/ digi/Rkp_zv_387/LKB___RKP_ZV_387_____24TL/SK/1_1_0016R.htm. MZ_2020_1_FINAL.indd 18 24. 06. 2020 12:00:30 19 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Die Handschrift und die Notation sind von kleineren Maßen, aus diesem Grunde nehmen wir an, dass der Kodex für den Leiter der Schola, also den Kantor bestimmt war. Die Notation hat den Charakter einer Schnellschrift, hat aber keinen im traditio- nellen Sinne des Wortes kursiven Charakter. Die Grundstrukturen und Elemente der Quadratnotation stehen unter dem star- ken Einfluss der ornamentalen Mehrton-Gruppenneumen der älteren linienlosen Sys- teme. Häufig vertreten sind Mehrton-, Gruppen- und gebundene Formen. Besonders häufig werden das quadratische Bipunctum und Tripunctum verwendet. Vertreten sind liqueszierende Formen: Ancus, Ephiphonus und Cephalicus, der haarfeine Stri- che nach unten von beiden Seiten des Quadrats aufweist. Der Epiphonus hat die Form einer verlängerten Litera „u“. Der Ancus ist mit einem haarfeinen senkrechten Strich gebildet. Die Einleitungsseiten (Präfationen) und mehrere marginale Zusätze sind mit späterer Hand geschrieben (mäßig größerer Typ der Quadratnotation). Einige Linien- systeme sind in der Handschrift leer (z. B. 14r, 215r, 225v, 236v, 249v). Die Notation ver- wendet die Schlüssel C, G (206r), B, F, H und D, das Versetzungszeichen b; der Custos wird nicht verwendet. Der Duktus der Notation ist vertikal. Der zweite Notationstyp der Handschrift ist an der Wende des 14./15. Jahrhunderts mit jüngerer Hand hinzugefügt worden. Auf den Folien 14v–15r und 254r befindet sich eine kursive Schnellschrift des Metzer-gotischen Notationssystems, das in ein schwar- zes 4- oder 5-Liniensystem (Notenzeile) mit einfacher Umrahmung (10, 7 und 11 Zei- len) gesetzt ist. Verwendet werden C- und F-Schlüssel (in Form eines kleinen Punktes). Das spätmittelalterliche System der Metzer-gotischen Notation ist charakterisiert durch die Verwendung eines wellenförmigen Punctums mit einem haarfeinen Strich im An- satz. Die Virga taucht vereinzelt auf, nur bei den Einleitungssilben der Wörter. Der Pes setzt sich zusammen aus einem waagerechten, verlängerten Punkt und einer vertikal gestellten Virga. Eine ähnliche Einleitung hat der Torculus, der mit einem bogenför- migen Element fortsetzt. Die Clivis ist vom Metzer Typ, wobei ihre Einleitungsstruk- tur (Punkt und Virga) an den Buchstaben „u“ erinnert. Ähnlich ist auch der Porrectus gestaltet, den eine an die Virga angebundene Clivis bildet. Der Climacus besteht aus einer Virga und absteigenden, rechtsneigenden Punkten. Der Scandicus wird aus auf- steigenden Punkten gebildet, die vertikal übereinander angeordnet sind, wobei der höchste Ton mit einer Quilisma-Virga angegeben ist. Auch in dieser Notation werden liqueszierende Formen verwendet. MZ_2020_1_FINAL.indd 19 24. 06. 2020 12:00:30 20 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Abbildung 2: Die Metzer-gotische Notation in dem Missale 387 aus der Zentralbiblio- thek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, 15r.9 9 Missale Romanorum, Zentralbibliothek der Slowakischen Akademie der Wissenschaften, Rkp. zv. 387, f. 15r, http://147.213.131.4:85/ digi/Rkp_zv_387/LKB___RKP_ZV_387_____24TL/SK/1_1_0015R.htm. MZ_2020_1_FINAL.indd 20 24. 06. 2020 12:00:30 21 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Tabelle 1: Die Notationszeichen des Missale 387 Missale 387 Punktum Virga Pes Clivis Scandicus Climacus Torculus Porrectus Schlüssel Hauptkorpus 12r: Pater Eintragungen Die Quandratnotation wurde in West- und Mitteleuropa hauptsächlich von klöster- lichen Schreibschulen verwendet, in den Ländern Nordeuropas jedoch auch von Diö- zesanzentren. Dies belegen die erhaltenen Fragmente in dänischen und schwedischen Bibliotheken und Archiven. Sehr ähnliche Notationselemente dokumentieren z. B. die Fragmente und Fragmentengruppen aus Kopenhagen (8541aa, 8540a, 8542, 8249a), von Køge (Graduale 8249a) oder von dem Landesarchiv Schlewig-Holstein (8564a-b).10 Die Verwendung der bunten Skala den Schlüssel ist sehr interessant. Die Schlüssel D, B oder H erschienen vor allem in den englischen Handschriften,11 diese sind auch in den dänischen Musikfragmenten zu finden.12 10 Vor allem in der Database von Knud Ottosen wurden viele interessante, leider fragmentarische Handschriften publiziert, wo die skandinavische/dänisch-schwedische Provenienz des Missales 387 auch bestätigt wird: Liturgical Fragments from Denmark, edited by Knud Ottosen, http://liturgy.dk. Vergleiche: Åslaug Ommundsen und Tuomas Heikkilä, Hrsg., Nordic Latin Manuscript Fragments: The Destruction and Reconstruction of Medieval Books (London und New York: Taylor & Francis Group, 2017), doi:10.4324/9781315598536. 11 David Hiley, The Western Plainchant (Oxford: Oxford University Press, 1993), 389. Den Schlüssel H kann man im Tonar-Se- quenziar aus der englischen Benediktinerabtei Saint Alban’s (Ende des 12. Jahrhunderts, London, British Museum, Royal 2 B IV, 173v) sehen. 12 Dazu: Liturgical Fragments from Denmark, edited by Knud Ottosen, http://liturgy.dk. MZ_2020_1_FINAL.indd 21 24. 06. 2020 12:00:30 22 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Struktur des Inhalts der Quelle Das notierte Missale 387 enthält den sog. Sommerteil des liturgischen Jahres, der im Temporale die Tage von Ostersonntag bis zum letzten (25.) Sonntag nach der Allerhei- ligsten Dreifaltigkeit und im Sanktorale die Feste von Mitte April bis Ende November umfasst. Tabelle 2: Inhalt des Missale 387 Fol. Inhalt 1r–7v Calendarium mit 260 Positionen. Außerdem befinden sich im Proprium de sanctis 24 Feiern, die nicht im Kalender angeführt sind. Der rekonstruierte Kalender aus beiden Posten bietet somit 284 Feste an. 8r–14r Ordo missae mit sechs Präfationen, von denen nur eine notiert ist, mit einem Kanon, der Sequenz O beata beatorum zum Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und zwei Melodien Pater noster. 16r Ant. Vidi aquam 16r–17v Pascha – ad processionem 18r–50r Tempus paschale 50v–65v Pentecoste 66r–131v Dominicae post Pentecosten (I–XXV) 132r–132v Alleluia quae secuntur dicuntur in dominicis quando necesse fuerit; Ad officium Dicit Dominus 133r–190r Das Proprium de sanctis bilden Messformulare vom Fest der hll. Märtyrer Tiburtius, Valerian und Maximinas (14.4.) bis zum Fest der hl. Katharina (25.11.), insgesamt 131 Feste, von denen 41 ohne angeführte Gesänge, also nur mit Gebetstexten versehen sind. 192r–239v Commune sanctorum 239v–252v Missae pro variis necessitatibus vel ad diversa (44 Messformulare) Das Commune sanctorum ist durch drei Votivformulare der Messen für die drei letzten Wochentage unterbrochen: am Donnerstag für den heiligsten Leib, am Freitag über das Hl. Kreuz und am Sonnabend über die Jungfrau Maria (236–237). Nach dem Commune (239v–246v) beginnt eine reiche Sammlung von Votivmessen (44 Formulare) für die verschiedensten Zwecke, die die große Seelsorge der Zeit ver- raten, in der die Handschrift entstanden ist (z. B. im Leid, in der Versuchung, für Kran- ke, Freunde, Frieden, Regen, König, Herrscher, Bischof usw.). Ebenso verschiedenartig und reichhaltig sind die Formulare der Seelenmessen, in denen der Reichtum an Ge- sängen bemerkenswert ist. Die Gesänge sind präsent in den ersten drei Formularen. MZ_2020_1_FINAL.indd 22 24. 06. 2020 12:00:30 23 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Im ersten allgemeinen Formular, das am Tag der Beerdigung eines Verstorbenen ver- wendet wurde, ist der Gesang zur Communio interessant. Anstatt des traditionellen Gesangs Lux aeterna erscheint hier der wenig bekannte Gesang Pro quorum memo- ria.13 Das zweite Formular mit Gesängen ist für die Seelenmesse für den Bischof und das dritte für die Jahresmesse für einen Verstorbenen bestimmt. Außer diesen For- mularen mit Gesängen gibt es hier noch weitere 14, die verschiedenen Gruppen von Verstorbenen gewidmet sind (z. B. für mehrere Bischöfe und Priester, für den Abt, für Ordensmitglieder, Laien, Vater und Mutter, für die Mitglieder der marianischen Kon- gregation usw.). Nachträge in der Handschrift 387 Auf den ersten und letzten Folien des Missales 387 können fast 30 jüngere Texte, nach- getragen im 14. und 15. Jahrhundert, identifiziert werden. Es handelt sich überwiegend um die üblichen Lektions- oder Messtexte. Besonders interessant sind die Messtexte zum Fest der Sieben Freuden der Jung- frau Maria, die auf der vorderen Deckelinnenseite hinzugefügt wurden.14 Dieses Fest ist typisch für die franziskanische liturgische Tradition und das Vorhandensein der Texte könnte die Verwendung der Handschrift in einer unbekannten franziskanischen Institution andeuten. Mit dieser liturgischen Tradition hängen auch die nachgetrage- nen Texte zum Fest der hl. Klara zusammen (252v). Weitere bedeutendere Texte sind die nicht notierte Sequenz zum Fest der Erhö- hung des hl. Kreuzes (1v), die notierte Sequenz und das Offizium zum Fest der hl. Elisa- beth von Ungarn (14v–15r) sowie die nicht notierte Sequenz zum Fest des Evangelisten Johannes (15v). Mit der gleichen Schrift wie die Texte des Festes der hl. Elisabeth ist auch die notierte Sequenz zum Fest der hl. Katharina geschrieben (254r). Die Identifizierung der umfangreichsten nachträglich eingetragenen Texte erfasst die nachfolgende Tabelle: 13 Der Text der Communio befindet sich auch im Graduale Sarisburiense aus dem 13. Jahrhundert. Die Melodie ist allerdings unterschiedlich. 14 Die Messtexte auf der Deckel-Innenseite sind nicht vollständig, es sind darin auch Stellen freigelassen für die Hinzufügung von farbigen Initialen und evtl. Rubrikation. MZ_2020_1_FINAL.indd 23 24. 06. 2020 12:00:30 24 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Tabelle 3: Nachträge in das Missale 387 Fol. Schreiber Inhalt des Nachtrags Vordere Deckel- Innenseite A1 Verschiedene Messtexte: 1. Gebete zum Fest der Sieben Freuden der Jungfrau Maria (Septem gaudiorum Beatae Mariae Virginis): Kollekte (Prosit nobis [...]), Sekret (Propitiare nobis [...]), Postkommunion (Per haec sacramenta [...]) 2. Zusätzliche Gebete um die Fürbitte der Heiligen: Oration (A cunctis nos [...]), Sekret (Exaudi nos [...]), Postkommunion (Mundet et muniat [...]) 3. Zusätzliche Gebete gegen die Verfolger der Kirche: Oration (Ecclesiae tuae [...]), Sekret (Protege nos [...]), Postkommunion (Quaesumus Domine [...]) 4. Zusätzliche Gebete für Pilger und Reisende: Oration (Adesto quaesumus [...]), Sekret (Propitiare Domine [...]), Postkommunion (?, Sumpta Domine [...]) 1r A2 Texte der Kirchenväter über die Eucharistie: 1. Aurelius Augustinus – De ecclesiasticis dogmatibus, cap. 23 (Quotidie eucharistiae communionem [...] et mortalia peccata non gravant) 2. Ambrosius – De sacramentis, lib. IV, cap. 28 (Si quotiescumque effunditur [...] semper habere medicinam) 3. Hilarius (Si tanta non sunt [...] carnera filii hominis et bibere et commedere) 1v A3 Sequenz zum Fest der Erhöhung des hl. Kreuzes: Laudes crucis attolamus [...] (ah54120)15 9v A4 Gloria in excelsis [...] 14v–15r A5 Sequenz und Offizium zum Fest der hl. Elisabeth von Ungarn: Sequenz Gaude Sion quod egressus a te (ah55120), Introitus Gaudeamus* (501004), Gradual Audi filia* (g00486), Alleluia Alleluia Egregia Christi sponsa* (g02570), Offertorium Filiae regum* (g01388), Communio Simile est regnum caelorum* (g01393) 15v A6 Sequenz zum Fest des hl. Johannes des Evangelisten: Sequenz Verbum Dei Deo natum quod nec (ah55188) 15 Dazu: http://cantusindex.org/id/ah54120. MZ_2020_1_FINAL.indd 24 24. 06. 2020 12:00:30 25 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Fol. Schreiber Inhalt des Nachtrags 252v A1 Messtexte: 1. Gebete zum Fest der hl. Klara (Famulos tuos quaesumus Domine beatae virginis tuae Clarae [...]), Sekret (Oblata tibi [...]), Postkommunion (Protegant quaesumus Domine [...]) 2. Gebete für Wohltäter: Oration (Miserere quaesumus Domine animabus omnium benefactorum [...]), Sekret (Suscipe Domine [...]), Postkommunion (Sumpta sacramenta [...]) A7 Marianische Sequenz Virginis Mariae laudes [...] (850309 mit wesentlichen Abweichungen) A3 Messtexte zum Fest des hl. Jodokus: Oration (?, Deus qui beatissimum Iudocum confessorem), [...] 254r A5 Sequenz zum Fest der hl. Katharina: Sequenz Gloriosae virginis votiva (ah55203) 254v A1 Text der öffentlichen Absolution für Exkommunizierte: Forma publici absolutionis excommunicatorum talis est [...] A8 Credo in unum Deum [...] A9 Lektion aus dem Buch der Weisheit: Lectio Libri sapientiae: Fili, in mortuum produc lacrimas [...] (Sir 38, 16–24) 255r A10 Teil des Brieftextes: Nobili viro domino [...] A11 Lektion aus dem Buch des Propheten Ezechiel: Lectio Ezech[ielis prop]hetae: In diebus illis convertit me ad portam sanctuarii [...] (Ez 44, 1–3) A1 Lektion aus dem Evangelium des hl. Johannes: In illo tempore stabat juxta crucem Jesu Maria Mater [...] (Joh 19, 25–27) A1 Messtext – Oration für den Bischof: Concede quaesumus Domine famulo tuo antistite nostro ut docendo [...] A11 Lektion aus dem Buch der Sprichwörter: Lectio Libri sapientiae: Fortitudo et decor indumentum [...] (Spr 31, 25-29) A10 Teil des Brieftextes: Selliig nobili vir [...] MZ_2020_1_FINAL.indd 25 24. 06. 2020 12:00:30 26 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Kalender Dank der komplexen quantitativen Analyse,16 von der man das Zufallselement von stabilisierten gegenseitigen genetischen Beziehungen und von dem Ähnlichkeitsgrad von den einzelnen Kalendern ausschließen kann,17 wurde darauf hingewiesen, dass der erforschte Kalender des Missales 387 der Kalenderfamilie aus den heutigen Schwe- den nahesteht. Besonders ähnelt es denen, aus der ehemaligen Erzdiözese Lund stam- menden Kalendern. D C F E G BR R – das Missale 387, B – Kopenhagen in der Diözese Roeskilde, C – Lund, D – Odensee, Suffragan von Lund, E – Roeskilde, F – Schleswig, Suffragan von Lund, G – Westeräs, Suffragan von Uppsala.18 Abbildung 3: Baum der Wechselbeziehung der Quellen. Das bezeugen auch mehrere lokale Feste, die ausschließlich für diese liturgische Tradition typisch sind (siehe Tabelle 4). Tabelle 4: Die lokalen Feste im Missale 387 Legende: K – Kalender PS – Proprium de sanctis * – Nachtrag Datum Fest Eintragungsort 7.1. Kanuti mr. K (rubro) 17.6. Botulfi ab. et conf. K (rubro) + PS 141v 25.6. Translatio s. Kanuti mr. K (rubro) 10.7. Kanuti reg. et mr. K (rubro) 29.7. Olavi reg. et mr. K (rubro) + PS 156v 8.11. Willeadi ep. et conf. K (rubro) + PS 187r 16 Diese Methode wurde erstmals in der Arbeit von K. Bieganski und J. Woronczak Missale Plenarium verwendet. Vergl. Krzysztof Biegański und Jerzy Woronczak, Hrsg., Missale Plenarium bibliotecae capit. Gnesnensis Ms 149 (Graz und Warszawa, 1970). Die genaue Beschreibung der taxonomischen Analyse ist in der Arbeit von Henryk Wąsowicz, Kalendarz ksiąg liturgicznych Krakowa do połowy XVI wieku (Lublin: Redakcja Wydawnictw KUL, 1995), 179–200. 17 Wąsowicz, Kalendarz ksiąg liturgicznych, 181. 18 Hermann Grotefend, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 2. Band (Hannover, 1892/98), zugänglich auf der Internetseite, zugegriffen am 10.11.2006, https//manuscripta-mediaevalia.de/gaeste/grotefend/grotefend.htm. MZ_2020_1_FINAL.indd 26 24. 06. 2020 12:00:30 27 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Alle genannten Feste sind im Kalender „rot“ eingetragen, das heißt, es handelte sich um festa fori, also Ruhetage. Es ist jedoch wichtig zu unterstreichen, dass von den genannten Festen der schwedischen Heiligen im Proprium sanctorum nur zwei einge- tragen sind (Olavi regis und Willeadi ep. et cf.), auch das ohne eigene Gesänge. Außer- dem ist hier das Fest des hl. Abtes Botulf, eines Engländers, dessen Verehrung auch in Dänemark bekannt war, besonders in der Stadt Aalborg, wo sich die diesem Heiligen geweihte Kathedrale (Sankt Budolfi kirke) befindet. Darüber hinaus sind im Proprium sanctorum mehrere Feste erfasst, die aus Län- dern Westeuropas stammen und dort verbreitet waren: Tabelle 5: Feste aus anderen Ländern Westeuropas im Missale 387 Datum Fest Eintragungsort 1.5. Walburgis ab. (translatio) K (rubro) + PS 135v 18.7. Arnulphi ep. et conf. K* + PS 152v 5.8. Oswaldi reg. K + PS 161v 3.9. Serapiae virg. K* + PS 172v 1.10. Remigii ep. K + PS 181r 2.10. Leodegarii conf. K* + PS 181v 9.11. Theodori mr. K + PS 187r 12.11. Cuniberti ep. et conf. (depositio) K* + PS 188v 13.12. Jodoci conf. PS* 252v 1.5. „Walburgis ab.“ – Fest der Überführung der Reliquien der Äbtissin, der Tochter des englischen Königs (†779), das in England und Sachsen am 1. Mai begangen wird. In Deutschland (besonders in Eichstädt) wurde ihr Tag am 25. Februar und die Translation (Überführung) am 12. Oktober begangen. 18.7. „Arnulphi“ (Arnulf) – Fest des heiligen Bischofs von Metz, verbreitet in Deutschland und Frankreich. 5.8. „Oswaldi reg.“ – Es handelt sich um das Fest des Königs von Northumbrien in England (604–642). Seine Verehrung war außer in England auch in Irland und in Deutschland (Hildesheim) verbreitet. 3.9. „Serapiae virg.“ – Diese Heilige wurde besonders in Eichstädt, Narbonne und Tours verehrt. 1.10. „Remigii ep.“ – Es handelt sich um den Bischof von Reims (436–533), der als Apostel der Franken gilt. Verehrt wurde er in Frankreich, Deutschland und England. 2.10. „Leodegarii mr.“ – Fest des Bischofs von Autun, des Märtyrers (†677), der besonders in Frankreich und Deutschland verehrt wurde. 9.11. „Theodori mr.“ – Es handelt sich um einen Märtyrer vom Beginn des 4. Jahr- hunderts, der in Rom, Venedig, aber auch in Bayern verehrt wurde. MZ_2020_1_FINAL.indd 27 24. 06. 2020 12:00:31 28 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 12.11. „Cuniberti ep.“ – Bischof von Köln am Rhein (590–663), wo seine Verehrung verbreitet war.19 13.12. „Jodoci conf.“ (Jodokus) – Prinz aus der Bretagne, der Priester wurde (600– 669). Das Fest wurde nachträglich in das Missale eingetragen. Die Verehrung dieses Heiligen war auch in Bayern (Umgebung von Nürnberg) und in Ös- terreich (Steiermark) verbreitet, wo die präsentierte Handschrift eine gewis- se Zeit verweilte und verwendet wurde. In der Quelle werden durch das reichhaltige Gesangsrepertoire einige wichtige Feste für die gegebene liturgische Tradition hervorgehoben: 6.5. „Johannis ante Portam Latinam.“ – Das Formular enthält einen speziellen Alleluia-Gesang mit einem bislang im Schlager-Katalog nicht erfassten Text Virgo Johannes a Domino electus mit der Melodie Christus resurgens.20 26.6. „Johannis et Pauli.“ – Das Formular mit dem Gesang Al. Isti sunt duae olivae, von dem weder Text noch Melodie im Schlager-Katalog aufgenommen sind. 22.7. „Mariae Magdalenae.“ – Hier befinden sich zwei Alleluia-Gesänge: Al. Maria haec est illa, Kontrafakt der Melodie Domine in virtute, bekannt in Deutsch- land und in den Ländern Mitteleuropas,21 und Al. Conversus Jesus ad Mari- am, dessen Textgestalt auf die Verwandtschaft mit deutschen Quellen ver- weist, selbst wenn er auch in der Schweiz, in Österreich, Tschechien und in Ungarn verbreitet war.22 3.8. „Inventio s. Stephani.“ – Interessant ist hier die Präsenz des Gesangs Al. Ecce inquit Stephanus mit der Melodie Al. Veni Sancte Spiritus.23 Dieser Gesang taucht selten auf, und zwar fast nur in Handschriften aus Westeuropa (Bam- berg, Cambrai, Volterro), aber auch aus Tyniec (Polen).24 Entstehungsort der Handschrift Auf der Folie 5r mit dem Datum 31.7. („Germani ep.“) wurde von anderer Hand der Text Festum reliquarum ecclesie Lundis hinzugefügt. Aufgrund dieser Bemerkung kam die Hypothese auf, dass der Ursprung der Handschrift gerade in der Stadt Lund zu suchen sei. Die Stadt Lund, die sich im südlichen Teil Schwedens befindet, wurde um das Jahr 990 gegründet und zählte zu den bedeutenden christlichen, Kultur-, Handels- und poli- tischen Zentren Nordeuropas. In jener Zeit gehörte sie zu Dänemark; unter schwedi- sche Verwaltung kam sie erst Mitte des 17. Jahrhunderts. Im Mittelalter war die Stadt 19 Ökumenisches Heiligenlexikon Online, zugänglich auf der Internetseite, zugegriffen am 11.09.2012, www.heiligenlexikon.de. 20 Karl-Heinz Schlager, Hrsg., Alleluia-Melodien (I) bis 1100, Monumenta Monodica Medii Aevi, 7. Band (Kassel: Bärenreiter, 1970), 70, Nr. 140. 21 Ibid., 133, Nr. 222. 22 Karl-Heinz Schlager, Hrsg., Alleluia-Melodien (II) ab 1100, Monumenta Monodica Medii Aevi, 8. Band (Kassel: Bärenreiter, 1987), 123, Nr. 616. 23 Schlager, Alleluia-Melodien (I) bis 1100, 519, Nr. 13. 24 Jerzy Pikulik, Śpiewy alleluia o świętych (Warszawa: Wydawnictwa Akademii Teologii Katolickiej, 1995), 135–136. MZ_2020_1_FINAL.indd 28 24. 06. 2020 12:00:31 29 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Sitz des Bischofs und später (seit 1104) auch des Erzbischofs.25 Die Errichtung des erzbischöflichen Sitzes in Lund geschah infolge der Aufteilung des ursprünglich aus- gedehnten Bistums Hamburg–Bremen. Der erste skandinavische Erzbischof in Lund war Ascer (Asser) Thorkilsson, der zuvor am selben Ort in den Jahren 1089–1104 das Bischofsamt versehen hatte.26 1103 begann auch der Bau der romanischen Kathedrale, die bis heute die Stadt dominiert. Initiator des Baues war König Knut IV. von Däne- mark, der spätere Patron und Beschützer Dänemarks. Der Hauptpatron der Kathedrale in Lund ist der hl. Laurentius.27 Im Jahr 1123 wurde die Krypta der Kathedrale geweiht, am 1. Januar 1145 fand die Weihe des Hauptaltars statt (d. h. die Weihe der Kathedrale selbst) und vorgenommen wurde sie von Erzbischof Eskil, dem Nachfolger des Erz- bischofs Ascer.28 Neben dem Hauptaltar entstanden in der Kirche schrittweise neue Seitenaltäre, bis zum Ende des Mittelalters hatte die Kathedrale mehr als 60 Altäre. Teil der Kathedrale war auch ein Scriptorium, wo viele Handschriften – wichtige Urkun- den, Messbücher, Chroniken entstanden.29 Orte der Verwendung der Handschrift aufgrund der in den Kalender eingetragenen Gedenknotizen Der Kalender wurde im 15. Jahrhundert durch sieben Einträge von Gedenkcharakter ergänzt. Ihr Vorhandensein bemerkte bei der Erstellung seines Katalogs schon Július Sopko, dem allerdings ein schwerwiegender Fehler unterlief, als er das sich wiederho- lende Kürzel F. als Frater interpretierte. Offenbar führte ihn auch diese Tatsache dann zur Formulierung des Schlusses, dass der Ursprung des Missale im österreichischen Klostermilieu zu suchen sei.30 Die in den Aufzeichnungen verwendete Initiale F. stellt in Wahrheit die Abkürzung des Namens Friedrich dar. Bei einem richtigen Lesen klin- gen die Texte der Gedenknotizen wie folgt: 25 Wikipedia, s. v. „List of bishops of Lund,“ zuletzt bearbeitet 29.3.2020, zugegriffen am 15.4.2020, https://en.wikipedia.org/wiki/ List_of_bishops_of_Lund. 26 Wikipedia, s. v. „Liste der Bischöfe und Erzbischöfe von Lund,“ zuletzt bearbeitet 29.19.2018, zugegriffen am 15.4.2020, https:// de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Bisch%C3%B6fe_und_Erzbisch%C3%B6fe_von_Lund. 27 Eva Nilsson Nylander, „To the Glory of Mary: Liber Scole Virginis at Lund University Library,“ in Variants IV: The Book as Arte- fact: Text and Border, variants IV, hrsg. von Anne Mette Hansen, Roger Lüdeke, Wolfgang Streit, Cristina Urchueguia und Peter Shillingsburg (Amsterdam und New York, NY: Rodopi, 2005), 80. 28 Wikipedia, s. v. „Lund Cathedral,“ zuletzt bearbeitet 08.5.2020, zugegriffen am 15.4.2020, https://en.wikipedia.org/wiki/ Lund_Cathedral. 29 Vgl. Nils Hybel und Bjørn Poulsen, The Danish Resources c. 1000–1500: Growth and Recession (Leiden und Boston: Brill, 2007), 90, doi:10.1163/ej.9789004161924.i-448. 30 Sopko, Stredoveké latinské kódexy, A. 148. MZ_2020_1_FINAL.indd 29 24. 06. 2020 12:00:31 30 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Tabelle 6: Gedenknotizen im Kalender des Missale 387 Fol. Tagesdatum Schreiber Abschrift der Notiz Übersetzung der Notiz 2r Januarius XII kal. K1 Anno Domini MoCoCoCo98 obiit dominus F(ridericus) burgravius Nuremb(ergensis) Anno Domini 1398 starb Herr Friedrich, Burggraf von Nürnberg31 4r Maius XIIII kal. K1 (?) Anno Domini LXXIX dominus F(ridericus) burkgravius fecit proelium contra Stampach Anno Domini (13)79 führte Herr Burggraf F(ridericus) eine Schlacht gegen Stampach32 4v Junius VIII id. K1 Anno MoCCCCX obiit sabato post Bonifacii domina Margareta Burkgravina, uxor domini Johannis Im Jahr 1410 starb am Sonnabend nach Bonifaz Frau Burggräfin Margarete, Gattin des Herrn Johann33 Junius III id. K1 Obiit dominus Johannes Burkgravius anno Domini MoCCCCXXo anno vite LIIo Herr Burggraf Johann starb 1420 im 52. Lebensjahr 34 Junius VI kal. K3 Anno Domini MCCCC86 obiit domina Katarina uxor domini Steffani de Ÿtzing etc. Anno Domini 1486 starb Frau Katharina, Gattin des Herrn Stephan von Eyczing35 6v Octobris V id. K1 Natus est dominus Johannes filius F(riderici) burgravis anno MoCCCCVo Geboren wurde Herr Johann, Sohn des Burggrafen Friedrich, 140536 7r Novembris V kal. K2 Anno Domini MoCCCCXXXIo in die Elizabeth obiit domina Katherina Burkgravina Nurembergensis, abbatissa Curie Regenitz, soror F(riderici) et Johannis Anno Domini 1431 am Tag der hl. Elisabeth starb Katharina, Burggräfin von Nürnberg, Äbtissin in Hof an der Saale, die Schwester von Friedrich und Johann37 Die Gedenknotizen wurden von drei Schreibern angefertigt, die wir als K1, K2 und K3 bezeichnen. Der Schreiber K1 verfertigte die Notizen über den Tod des Burggrafen Friedrich V. (†1398), die Geburt des Burggrafen Johann des Alchimisten (*1405), den Tod von 31 Friedrich V., Burggraf von Nürnberg, Angehöriger der Hohenzollern-Dynastie. 32 Friedrich – vergl. vorherige Referenz; Stampach – nicht identifizierte Person. 33 Margarete von Luxemburg, Tochter des römisch-deutschen Kaisers Karl IV., Gattin des Nürnberger Burggrafen Johann. 34 Johann III., Burggraf von Nürnberg, Angehöriger der Hohenzollern-Dynastie. 35 Katharina von Boskovice (Boskowitz), Gattin von Stephan, Freiherr von Eyczing. 36 Johann der Alchimist, Markgraf von Brandenburg, Angehöriger der Hohenzollern-Dynastie. 37 Katharina, Burggräfin von Nürnberg, Tochter des Burggrafen Friedrich V. MZ_2020_1_FINAL.indd 30 24. 06. 2020 12:00:31 31 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Margarete, der Gattin des Burggrafen Johann (†1410), und schließlich auch von Jo- hann selbst (†1420). Mit gleicher Hand wurde offensichtlich auch der Vermerk über die Schlacht Friedrichs V. contra Stampach eingetragen, die sich im Jahr 1379 ereigne- te. Diese Gruppe der Vermerke entstand also nach 1420, als der jüngste der Vermerke datiert wurde. Als Datum ante quem kann das Jahr 1440 gelten, als Burggraf Friedrich VI. starb, dessen Tod der Kalender nicht erfasst. Der Schreiber K2 verfertigte einen einzigen Eintrag über den Tod Katharinas, der Schwester der Burggrafen Friedrich und Johann, Äbtissin des Klosters in Hof an der Saale, die 1431 gestorben sein soll. Dieser Eintrag enthält als einziger eine falsche An- gabe, da Katharina schon 1409 gestorben war.38 Der Schreiber verband offensichtlich die Information über Katharina mit Informationen über ihre Schwester Agnes, die in den Jahren 1409–1431 Äbtissin desselben Klosters war.39 Der Charakter dieser älteren Schicht der Einträge lässt die Annahme zu, dass das Missale in den 20er–30er Jahren des 15. Jahrhunderts in der an das Geschlecht der Burggrafen von Nürnberg gebundenen Kircheninstitution in Gebrauch war.40 Der Schreiber K3 erstellte im Abstand von mehr als einem halben Jahrhundert nur eine einzige Gedenknotiz. Sie spricht vom Tod Katharinas, der Gattin Stephans von Eitzing, die 1486 starb. Das Geschlecht der Freiherren von Eyczing wirkte in Öster- reich. Den Sterbeort von Katharina kennen wir nicht, ihr Gatte starb 1504 und wurde in Schrattenthal in Niederösterreich begraben.41 Da Stephan von Eyczing keine inter- nationale Bedeutung erlangte, konnte der Todestag seiner Gattin nur in einer nieder- österreichischen Kircheninstitution in den Kalender eingetragen worden sein. Im 15. Jahrhunderts befand sich das Missale somit schon nicht mehr auf dem Territorium der Nürnberger Burggrafschaft, sondern in Niederösterreich. 38 Das Tagesdatum des Todes (Fest der hl. Elisabeth) ist jedoch richtig angeführt. Vgl. Aemilianus Ussermann, Episcopatus Bam- bergensis sub s. sede apostolica chronologice ac diplomatice illustratus (S. l.: Typis San-Blasianis, 1802), 450–451. 39 Ibid., 451. 40 Diese Institution könnte das Franziskaner-Kloster in Hof an der Saale gewesen sein. Die Burggräfin Agnes (†1432), Äbtissin des Klarissen-Klosters in derselben Stadt, gründete in dem genannten Franziskaner-Kloster eine Fundation (Stiftung) für Messen am Sonntag Exsurge für ihren Vater Friedrich V. und alle ihre Verwandten („burggraff Friderich seligen yres Vaters und alle yres geschlechtes“) und für den Messdienst am Fest der hl. Elisabeth für ihre Schwester, die Äbtissin Katharina. Siehe Ussermann, Episcopatus Bambergensis, Codex probationum, 242–243, Nr. CCLXV. – Die Identifizierung dieses Klosters als eines Ortes, wo die Handschrift 387 verwendet worden sein könnte, erscheint wahrscheinlich aus folgenden Gründen: 1. der Personenkreis, für den die Franziskaner Messen dienen sollten, entspricht praktisch dem im Kalender eingetragenen Personenkreis, und zudem fehlt die Angabe über Bruder von Agnes, Friedrich VI, der erst nach der Gründung der Fundation starb; 2. in die Hand- schrift wurden nachträglich Gesänge zum Fest der hl. Elisabeth von Ungarn eingetragen, was ein Fest ist, an dem Messen für die verstorbene Äbtissin Katharina gelesen werden sollten; 3. die ältere Eintragung im Kalender führt auf f. 7v den Tod des Papstes Innozenz IV. an – seine Anführung ist überraschend, da er nicht heilig gesprochen wurde – dieser Papst billigte jedoch die Regula der Klarissen (des Zweiten Ordens des hl. Franziskus); 4. nicht zuletzt, wie bereits oben erwähnt, wurden auf der vorderen Deckel-Innenseite nachträglich Messtexte des franziskanischen Festes der Sieben Freuden Mariä eingetragen und auf dem Folio 252v Messtexte für das Fest der hl. Klara, der Gründerin des Klarissenordens. 41 Franz Karl Wissgrill, Schauplatz des landsässigen Niederösterreichischen Adels, 2. Band (Wien: Franz Geizer, 1795), 384. MZ_2020_1_FINAL.indd 31 24. 06. 2020 12:00:31 32 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Friedrich V. †1398 Johann III. == Margarete Friedrich VI. Katharina (Äbtissin) Agnes (Äbtissin) †1420 †1410 †1440 †1409 †1432 Johann der Alchimist *1405 Abbildung 4: Verwandtschaftliche Beziehungen der Nürnberger Burggrafen, eingetra- gen im Kalender des Missale 387. Ausgewählte Gesänge Der Vergleich des gesamten Gebets- und Gesangsrepertoires vom Missale 387 mit den skandinavischen gedruckten Missalen führt zu der Vermutung, dass das erforschte Missal liturgische Tradition der Diözese Lund, beziehungsweise ihre ältere Version be- inhaltet, die in den gedruckten Missalen aus Kopenhagen aufgenommen wurde. Der Grund für diese Vermutung liegt vor allem in der gesamten Struktur der Messe-Formu- lare, der Alleluia-Verslisten und der Offertorium-Gesänge, die in dieser Tradition stets die Verse enthielten. Als Vergleichsobjekte wurden solche Quellen (gedruckte Bücher und Handschrif- ten) ausgewählt, die ihren Ursprung in Nordeuropa haben, d. h. in Norddeutschland, im skandinavischen Gebiet, etwa in heutigen Dänemark und Schweden. Eine große Hilfe bei diesen Untersuchungen leistete die Usarium-Datenbank von Miklós Földváry.42 Alleluia-Verslisten Osteroktav Bei der Osteroktav handelt es sich um die Werk-Tage vom Montag (Feria secunda) bis Samstag (Sabbato). 42 Zugänglich auf der Internetseite: http://usuarium.elte.hu/origins. MZ_2020_1_FINAL.indd 32 24. 06. 2020 12:00:31 33 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Tabelle 7: Vergleich des Repertoires Alleluia-Gesänge an den Osteroktavtagen Legende: In den einzelnen Feldern werden im Vergleich mit Missalen nur unterschiedliche Gesänge mit Missalen gezeigt. ≈ Übereinstimmung mit der verglichenen Quelle; - kein Gesang; * Die Noten dieses Gesangs wurden zusätzlich von einer anderen Hand auf den unteren Rand des Folios 29r geschrieben. Die Abkürzungen von den Quellen zur Komparation befinden sich am Ende des Beitrags. Missale 387 GrKol 1, 2 GrLi MissRosc 10085 MissSlesv 10423 MissSlesv 10087 MissVib 10088 MissStreng 10255 MissLincop 10284 MissUps 10310 MissHafn 10420 MissLund 10080 MissBrem 10258 f 2 Nonne cor nostrum Angelus Domini + Respondens (Nonne cor) Angelus Domini + Respondens / - ≈ (10087 meum) ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ f 3 Christus resurgens ≈ ≈ - ≈ ≈ Surrexit Dominus et occurens ≈ ≈ ≈ f 4 In die resur- rectionis ≈ Surgens Jesus - Angelus Domini/ Respondens Angelus Domini Christus resurgens ≈ ≈ ≈ f 5 Surrexit Dominus et occurens Surrexit Altissimus In die resurrectionis - ≈ Surrexit Altissimus In die resur- rectionis ≈ ≈ Surrexit Dominus vere f 6 Dicite in gentibus* Crucifixus surrexit ≈ ≈ Angelus Domini descendit ≈ ≈ Angelus Domini descendit ≈ Crucifixus surrexit ≈ ≈ Sab. Haec Dies Laudate pueri / Sit nomen ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ / ≈ Dieser Vergleich zeigt eine eindeutige Übereinstimmung des erforschten Objekts mit den Quellen aus Kopenhagen und bis auf ein Lied auch mit den Quellen aus Lund. Al. Crucifixus surrexit a mortuis am Feria 6 post pascha steht auch in den gedruckten Missalen von Bremen, nicht aber von Hamburg, Schleswig und Lund.43 Sonntage der Osterzeit In dieser Zeit ist für manche regionalen liturgischen Traditionen charakteristisch, dass sie zwei Alleluia-Gesänge verwenden. Zu den ausgeprägten Zügen dieser Alleluia-Rei- he gehört die Verwendung des Gesanges Al. Haec dies als ersten an allen fünf Sonnta- gen nach Ostern. 43 Heinrich Husmann, „Die Oster- und Pfingstalleluia der Kopenhagener Liturgie,“ in Dansk aarbog for musik-forskning, hrsg. von Nils Schiørring und Søren Sørensen (København: Dansk selskab for musikforskning, 1964–1965), 9. MZ_2020_1_FINAL.indd 33 24. 06. 2020 12:00:31 34 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Tabelle 8: Vergleich des Repertoires Alleluia-Gesänge an Ostersonntagen Missale 387 GrKol 1, 2 GrLi MissRosc 10086 MissSlesv 10423 MissSlesv 10087 MissVib 10088 MissStreng 10255 MissLincop 10284 MissUps 10310 MissHafn 10421 MissHafn 10420 MissLund 10080 MissBrem 10258 Dom. 1 Haec dies Angelus Domini Laudate Dominum In die resurrectionis Pascha nostrum - ≈ (10088 deest) ≈ ≈ ≈ Post dies octo - Post dies octo - ≈ ≈ - ≈ Dom. 2 Haec dies Surrexit pastor Laudate Dominum Angelus Domini Surrexit pastor ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Ego sum pastor Ego sum pastor Surrexit Christus et illuxit ≈ ≈ - ≈ Dom. 3 Haec dies Surrexit Dominus et Jubilate Deo Surrexit pastor Surrexit Altissimus Nonne cor nostrum ≈ ≈ ≈ Surgens Iesus ≈ Surgens Iesus ≈ Modicum et Modicum et non urrexit pastor ≈ ≈ - Redemptio- nem misit Dom. 4 Haec dies Surgens Iesus Dominus regnavit Surrexit Dominus Oportet pati - ≈ Surrexit Dominus et ≈ Surrexit Dominus vere ≈ Vado ad eum Surrexit Do- minus de - ≈ ≈ - Oportebat pati Dom. 5 Haec dies Surrexit Christus et Quoniam Deus Surrexit pastor In die resurrectionis Christus resurgens - ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Usque modo non Usque modo non Surrexit Dominus et ≈ ≈ - In resurrec- tione tua Das Repertoire von Alleluia-Gesänge aus Missale 387 ist völlig identisch mit dem Repertoire in gedruckten Messbüchern aus Lund und Kopenhagen. Hier ist die Tradi- tion zweier Alleluia-Gesänge aufrechterhalten, wobei der erste Gesang stets Al. Haec dies ist. Die nächsten eng verwandten Alleluia-Reihen sind die Listen von Strängnäs, Schleswig und teilweise auch von Roskilde. Pfingsten mit der Pfingstoktav Ein charakteristisches Element des Repertoires des Missales 387 ist das zweite Alleluia Al. Veni Sancte für jeden Tag der Woche. MZ_2020_1_FINAL.indd 34 24. 06. 2020 12:00:31 35 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Tabelle 9: Vergleich des Alleluia-Gesangsrepertoires während Pfingsten mit der Pfingst- oktav Missale 387 GrLi MissSlesv 10423 MissSlesv 10087 MissVib 10088 MissStreng 10255 MissLincop 10284 MissRosc 10085 MissUps 10310 MissBrem 10258 MissHafn 10421 MissHafn 10420 MissLund 10080 Pen. Emitte Spiritum Veni Sancte ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ f 2 Spiritus Domini replevit Veni Sancte Paraclitus Spiritus ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Paraclitus Spiritus ≈ Spiritus Sanctus procedens Spiritus Domini replevit Spiritus Sanctus procedens Spiritus Domini replevit Verbo Domini ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ f 3 Paraclitus Spiritus Veni Sancte Spiritus Domini replevit ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Spiritus Domini replevit ≈ Loqueban- tur variis Non vos relinquam Loquebantur variis Non vos relin- quam ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ f 4 Verbo Domini Veni Sancte ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Spiritus Domini replevit - Spiritus Domini replevit Factus es repente Spiritus Domini ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ f 5 Sancti Spiritus Veni Sancte Emitte Spiritum ≈ ≈ (deest 10088) ≈ (deest 10088) Emitte Spiritum ≈ Emitte Spiritum ≈ Emitte Spiritum Paraclitus Spiritus Emitte Spiritum Paraclitus Spiritus - - ≈ ≈ Emitte Spiritum ≈ f 6 Loquebantur variis Veni Sancte Emitte Spiritum ≈ ≈ (10088 Paraclitus) ≈ Paraclitus Spiritus ≈ Dum com- pleremtur ≈ Dum com- pleremtur ≈ Dum comple- remtur ≈ Verbo Domini ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Sab. Emitte Spiritum Spiritus Domini Verbo Domini Veni Sancte Benedictus es Laudate Dominum ≈ ≈ Veni Sancte Paraclitus Spiritus ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ (10087 Veni Sancte) ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Loqueban- tur variis Factus est repente ≈ Laudate Dominum ≈ Loquebantur variis Factus est repente ≈ ≈ ≈ ≈ Verbo Domini Paraclitus Spiritus Spiritus Domini Benedictus es ≈ Veni Sancte ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Für den Samstag in der Pfingstoktav sind mehrere, in der Regel sechs, Alleluia- Gesänge bestimmt worden. Ihre Auswahl beziehungsweise Abfolge ist nach Piku- lik Beweis einer bestimmter liturgischen Tradition.44 Diese Auswahl und Abfolge ist 44 Jerzy Pikulik, Polskie graduały średnioweiczne (Warszawa: Wydawnictwo Uniwersytetu Kardynała Stefana Wyszyńskiego, 2001), 138. MZ_2020_1_FINAL.indd 35 24. 06. 2020 12:00:31 36 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 gemeinsam für mehrere skandinavische Traditionen: Schleswig, Viborg, Kopenhagen, Strängnäs, Linköping und Lund. In dieser Form sind sie in keinen anderen europäi- schen Quellen zu finden.45 Charakteristisch für diese Woche ist die Verwendung des Gesangs Al. Sancti Spi- ritus in Feria 5. Dieser Gesang befindet sich nur in den Quellen von Schleswig und Kopenhagen. Die anderen Missalen benutzen auf dieser Stelle den Alleluia-Gesang des Pfingstsonntags noch einmal (Al. Emitte Spiritum). Das Repertoire der Alleluia-Gesänge im Missale 387 für diese Zeit stimmt vollstän- dig mit dem Repertoire der gleichen Tage in den gedruckten Missalen von Kopenha- gen überein und mit dem Repertoire von Lund nur mit einer Abweichung. Weitere eng verwandte Quelle ist die von Schleswig. Sonntage nach Pfingsten Die Reihenfolge von Alleluia-Gesängen für etliche Sonntage nach Pfingsten ist allge- mein bekannt als ein Indikator der liturgischen Tradition, die im gegebenen Buch ver- wendet wurde. Tabelle 10: Vergleich des Repertoires von Alleluia-Gesängen für die Sonntage nach Pfingsten Missale 387 GrLi MissLund 10080 MissSlesv 10087 MissSlesv 10423 MissVib 10088 MissStreng 10255 MissHafn 10420 MissHafn 10421 MissHafn 10078 MissBrem 10258 MissLincop 10284 MissRosc 10085 MissUps 10310 D 1 Domine Deus salutis Domine Deus meus* - Domine Deus meus - Domine Deus meus Domine Deus salutis - Domine Deus salutis - - Domine Deus meus Verba mea Verba meas Verba mea D 2 Deus iudex ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ D 3 Diligam te ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ D 4 Domine in virtute ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ D 5 In te Domine ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ - ≈ D 6 Omnes gentes ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ - Eripe me D 7 Eripe me ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ - Te decet hymnus D 8 Te decet hymnus / Replebimur ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ ≈ / ≈ Attendite popule - Attendite popule D 9 Attendite popule ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Propitius es Domine - Propitius es Domine D 10 Exsultate Deo / Sumite ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ ≈ / ≈ ≈ - ≈ 45 Husmann, „Die Oster- und Pfingstalleluia,“ 12. MZ_2020_1_FINAL.indd 36 24. 06. 2020 12:00:31 37 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Missale 387 GrLi MissLund 10080 MissSlesv 10087 MissSlesv 10423 MissVib 10088 MissStreng 10255 MissHafn 10420 MissHafn 10421 MissHafn 10078 MissBrem 10258 MissLincop 10284 MissRosc 10085 MissUps 10310 D 11 Domine Deus meus Domine Deus salutis* - Domine Deus salutis - Domine Deus salutis Domine Deus meus - Domine Deus meus - - Domine Deus salutis - Domine Deus salutis - Domine Deus salutis - Domine Deus salutis D 12 Domine refugium ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ D 13 Venite exsulte- mus / Praeoccupe- mus ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ / - ≈ D 14 Quoniam Deus ≈ ≈ ≈ ≈ Domine exaudi ≈ ≈ ≈ D 15 Paratum cor ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Timebunt Timebunt Timebunt D 16 In exitu Israel / Facta est Iudea ≈ ≈ / ≈ ≈ ≈ ≈ / ≈ Confitemini Domino Qui posuit fines Confitemini Domino D 17 Dilexi quo- niam ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Paratum cor Qui posuit fines Paratum cor D 18 Laudate Dominum ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Qui timent - Qui timent D 19 Dextera Dei fecit ≈ ≈ (10423 Domini) ≈ „Domini“ ≈ ≈ „Domini“ ≈ „Domini“ - ≈ D 20 Qui confidunt ≈ ≈ ≈ ≈ - ≈ - ≈ D 21 De profundis ≈ ≈ ≈ ≈ Confitebor tibi ≈ - ≈ D 22 Lauda anima ≈ ≈ ≈ ≈ ≈ Qui sanat - Qui sanat D 23 Lauda anima ≈ ≈ ≈ ≈ Lauda Jerusalem Qui sanat - Qui sanat D 24 Lauda anima ≈ ≈ ≈ ≈ - Qui sanat - Qui sanat D 25 Qui posuit fines Qui sanat ≈ ≈ ≈ - ≈ - ≈ Die Reihenfolge der Alleluia-Gesänge für die einzelnen Sonntage nach Pfingsten war in den einzelnen liturgischen Traditionen unterschiedlich. Im Grund basieren alle Listen auf drei fundamentalen Gesängen, die in jeder von den drei Listen am Beginn der Reihe stehen (also im Formular für den ersten Sonntag): Deux judex justus, Domi- ne Deus meus und Verba mea. Wir können schlussfolgern (auch wenn nicht ohne Bedenken), dass in der er- forschten Quelle noch eine andere Liste anwesend ist: Auf dem Folio 68r hat der ur- sprüngliche Autor mit eigener Hand den Gesang Domine Deus salutis meae samt No- ten niedergeschrieben. Möglicherweise wurde bei der nachträglichen Korrektur mit einer anderen Hand das Incipit des Gesanges Domine Deus meus hinzugefügt. Die Tabelle 10 zeigt eine absolute Übereinstimmung der Liste von Alleluia-Gesän- gen aus dem Missale 387 mit denen, die aus den gedruckten Kopenhagen-Quellen MZ_2020_1_FINAL.indd 37 24. 06. 2020 12:00:32 38 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 stammen. Wenn wir die Tatsache berücksichtigen, dass die Gesänge für den ersten und den elften Sonntag durch die nachträgliche Korrektur gewechselt wurden, ent- spricht dies den Traditionen nicht nur in Lund, sondern auch in Schleswig, Viborg und Strängnäs. Zwei spätere Korrekturen oder Ergänzungen bei der Auswahl von Alleluia-Gesän- gen könnten darauf hinweisen, dass das liturgische Buch an neue Bedingungen an- gepasst werden musste. Es bietet sich dadurch eine neue Hypothese an und zwar, dass die ursprüngliche Liturgie in Lund, die später auch von Kopenhagen übernommen wurde, erst später im 14. Jahrhundert modifiziert und in ihrer neuen Form im gedruck- ten Missale im Jahre 1514 erfasst wurde. Von dieser Modifikation war die Liturgie in Kopenhagen allerdings nicht betroffen. Die Übereinstimmung des Repertoires des Missale 387 mit dem aus der Stadt Kopenhagen ist nur eine Folge der gemeinsamen ur- sprünglichen Tradition in Lund. Die zusätzlichen Korrekturen sind wiederum Beweis dafür, dass das alte Missale in der Lund-Kathedrale stets verwendet und erst später der neuen Tradition angepasst wurde. Offertorien In dem Missale 387 befinden sich 74 notierte Offertorien. Die einzelnen Offertorien sind entweder klassischer Bestandteil der Messformulare (Osterperiode, Periode nach der Herabsendung des Heiligen Geistes (Pfingsten) bis zum 23. Sonntag danach) oder sie sind Bestandteil mehrerer ausgewählter Gesänge im Rahmen des Sanktorale oder des Commune sanctorum (Gruppen von Introitus, Gradualien, Alleluiaversen, Offerto- rien und Communio-Gesängen). Im zweiten Fall sind mehrere Offertorien von einem Fest (z. B. Fest eines Apostels, Feste eines oder mehrerer Märtyrer u. Ä.) nacheinander geordnet. Direkt an ein konkretes Fest gebunden sind nur drei Offertorien: das Fest des hl. Stephan des ersten Märtyrers (Of. Elegerunt apostoli Stephanum levitam g00563 mit Versen OfV. Surrexerunt autem quidam g00563a.2,46 OfV. Positis autem genibus g00563c1,160r47); des hl. Laurentius (die Vigilie des hl. Laurentius ist aber auch schon angeführt als quere de uno martyre: Of. Oratio mea munda est g00330 mit dem Vers OfV. Probavit me Dominus g00330a, 163v; ad maiorem missam: Of. Confessio et pul- chritudo g00335 mit den Versen OfV. Cantate Domino canticum novum (g00335a) und OfV. Cantate Domino benedicite nomen g00335b, 165r); und des hl. Erzengels Michael (Memoria s. Michaeli arch.: Of. Stetit angelus juxta aram templi g00397 mit dem Vers OfV. In conspectu angelorum psallam g00397a, 180r). 46 Zugänglich auf der Internetseite http://cantus.sk/chant/26872 und http://cantusindex.org/id/g00563. Das Missale 387 führt eine Textversion an: „Surrexerunt autem quidam ex Judaeis disputantes cum Stephano et non poterant resistere Spiritui Sancto qui loquebantur viderunt faciem ejus tamquam faciem angeli Dei et concurrentes lapidibus cedebant eum orantem et dicen- tem.“ Es handelt sich um eine Textvariante des Verses Surrexerunt autem (g00563a). Es geht um eine Kombination des Verses Surrexerunt autem (g00563a) und Vinerunt faciem (g00563a.2) mit der Veränderung des Wortes „viderunt“ – „videntes“. 47 Zugänglich auf der Internetseite http://cantus.sk/chant/26873. Es handelt sich um eine Textvariante des Verses Positis autem genibus (g00563c) mit hinzugefügten Wörtern „dicens Domine Jesu ne statuas illis hoc peccatum quia nesciunt quid faciunt alleluia.“ MZ_2020_1_FINAL.indd 38 24. 06. 2020 12:00:32 39 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . Die meisten Offertorien haben zwei Verse (49). Ein Offertorium – Vir erat in ter- ra nomine (123r, g01245) – hat vier Verse (OfV. Utinam appenderentur peccata mea g01245a, OfV. Quae est enim quae g01245b, OfV. Numquid fortitudo g01245c, OfV. Quoniam quoniam quoniam non revertetur g01245d, Dom. 21 p. Pent.).48 Elf Offerto- rien haben 3 Verse und dreizehn sind von einem Vers begleitet. Eines der Offertorien ist für den verstorbenen Bischof bestimmt (Of. Domine con- vertere et eripe animam meam, 248v, g01137, Maloy 40 mit dem Vers Domine ne ira tua arguas (g01137a), Missa pro episcopo defuncto), was die ursprüngliche Funktion der Handschrift (vor dem Aufenthalt in Deutschland) bestätigen, sie kann für eine Bi- schofskirche bestimmt. Die größte Anzahl der Offertorien sind im 8. Modus (17) zusammengestellt, vier- zehn Gesänge im 2., dreizehn im 4., zwölf im 1., jeweils sechs Gesänge sind im 5. und 6. Modus, fünf Offertorien sind im 3. Modus und ein Offertorium Confitebuntur caeli (g01303, 217v) ist im 7. Modus. Unter den Gesängen, die jünger als der älteste Korpus von Offertoriengesängen sind (Gruppe von Offertorien der sog. gregorianischen und römischen Gruppe), an- geführt in der Publikation von Rebecca Maloy, sind die Offertorien: Benedictus sit Deus Pater unigenitusque (66v, g01120) mit dem Vers Benedicamus Patrem et Filium cum (g01120, De Trinitate); Of. Exsultabunt sancti in gloria (218v, g01323) mit dem Vers Cantate Domino canticum novum (g01323a, Plurimorum Martyrum officium); Of. Felix namque es sacra virgo Maria (236v, g01421) mit dem Vers Beata et venera- bilis es virgo (g01421c, Missa de Sancta Maria in Sabbato / Sabbato in honore Beatae Mariae), Of. In omnem terram exivit sonus (196v, g00025) mit den Versen Caeli enar- rant gloriae (g00025a) und Dies diei eructat (g00025b, In die unius Apost.); Of. O pie Deus qui primum hominem (249r, g02387) mit dem Vers Domine Jesu Christe judex (g02387a, Pro Defunctis); Of. Posuisti Domine in capite ejus coronam (206v, g01298) mit den Versen Desiderium animae ejus tribuisti (g01298a) und Magna est gloria ejus (g01298b, Unius Martyrum off. / In vigilia unius Apostoli); Of. Protege Domine plebem tuam (136v, g00376) mit den Versen Salvator mundi salva nos (g00376c)49 und Qui pro mundi salute (g00376a, Req. in vacante Dom. p. Pent.); Of. Sicut in holocaustum50 arietum et (82r, g01165) mit dem Vers Et nunc sequimur (g01165a, Dom. 7 p. Pent.). Der Vers Beata et venerabilis es virgo ist ohne Notation angeführt (236v, g01421, leere Notenzeilen, Of. Felix namque es sacra virgo Maria).51 Die Offertorien-Verse wurden zu dieser Zeit nur in einigen liturgischen Traditionen verwendet, insbesonders aber in Nordeuropa. Lund war einer von ihnen. 48 Rebecca Maloy, Inside the Offertory: Aspects of Chronology and Transmission (Oxford: Oxford University Press, 2010), 68, doi:10.1093/acprof:oso/9780195315172.001.0001. Es handelt sich um ein Nichtpsalmenoffertorium, das in der altspanischen und Mailänder Tradition auftaucht. Der Text geht von dem alttestamentarischen Buch Hiob aus. 49 Zugänglich auf der Internetseite: http://cantusindex.org/id/g00376c. 50 Holocausto, zugänglich auf der Internetseite: http://cantusindex.org/id/g01165. 51 Zugänglich auf der Internetseite: http://cantus.sk/chant/27585, http://147.213.131.4:85/digi/Rkp_zv_387/LKB___RKP_ ZV_387_____24TL/SK/1_1_0237R.htm. MZ_2020_1_FINAL.indd 39 24. 06. 2020 12:00:32 40 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Schlussbemerkung Die Handschrift 387 könnte ursprünglich als sog. Missionsmissale gedient haben. Sei- ne Größe und die winzige Schrift lassen darauf hinweisen, dass es sich um ein Reise- missale handeln könnte, und dies würde auch der praktischen Aufteilung in zwei klei- nere Bände dienen. Für die Tatsache, dass das Messbuch als Altar-Messbuch zur Feier von Messen verwendet wurde, spricht auch die Erkenntnis, dass die Kanonseiten viel stärker abgenutzt sind, als die übrigen Seiten des Missale. Der bisherige Vergleich der Repertoires zeigt, dass das Missale 387 den liturgischen Gewohnheiten der Diözese Lund, die auch die Kirche in Kopenhagen übernommen hat, folgt. Nach H. Husmann wurde die Kopenhagener Liturgie von Lund übernom- men, obwohl die Stadt Kopenhagen zum Roskilde-Bistum gehörte.52 Es gibt mehrere Hinweise, die für die liturgische Tradition von Lund oder die damit verbundene Ver- sion von Kopenhagen sprechen. Es geht um die Struktur, die Repertoireauswahl, die Zusammensetzung der Heiligenfeste usw. Es ist interessant, dass kleinere Abweichun- gen, die in späteren gedruckten Missalen aus Kopenhagen sichtbar werden, in dieser Handschrift vorhanden sind. Nach vorliegenden Erkenntnissen ist das nächste Schicksal des Manuskripts zumin- dest teilweise bekannt. Später gelangte das Manuskript auf unbekannte Weise nach Bayern und war in den 20er bis 30er Jahren des 15. Jahrhunderts in einer an das Ge- schlecht der Burggrafen von Nürnberg gebundenen Kircheninstitution in Gebrauch. Diese Institution könnte das Franziskaner-Kloster in Hof an der Saale gewesen sein. Aber etwa ein halbes Jahrhundert später befand sich das Missale nicht mehr auf dem Territorium der Nürnberger Burggrafschaft, sondern in Niederösterreich. Abkürzungen der Quellen zur Komparation GrLi Graduale von Leipzig (St. Thomas), 13.–14. Jh. Leipzig, Universi- tätsbibliothek St. Thomas, sign. 391. Edition: Wagner, Peter, Hrsg. Das Graduale der St. Thomaskirche zu Leipzig. Publikationen älterer Musik. Bde. 5 und 7. Hildesheim: Breitkopf und Härtel, Wiesbaden, 1967. MissBrem 10258 Missale Bremense 106. Ordo missalis secundum ritum laudabilis ecclesiae Bremensis per circulum anni. Presse: Straßburg: Rena- tus Beck, 1511. London, British Library, b.52.h.4; online: https:// usuarium.elte.hu. MissHafn 10420 Missale Hafniense. Presse: København: Matthaeus Brandis, 1510. København, Det Kongelige Bibliotek, Hielmst. 42 2o (LN 179 2o copy 2); online: https://usuarium.elte.hu. 52 Heinrich Husmann, „Studien zur geschichtlichen Stellung der Liturgie Kopenhagens,“ in Dansk aarbog for musik-forskning, hrsg. von Nils Schiørring und Søren Sørensen (København: Dansk selskab for musikforskning og Det unge tonekunstnerselskab, 1962), 4. MZ_2020_1_FINAL.indd 40 24. 06. 2020 12:00:32 41 R. ADAMKO ET AL .• DAS MISSALE NOTATUM RKP. ZV. 387 . . . MissHafn 10421 Missale Hafniense. Presse: København: Matthaeus Brandis, 1510. København, Det Kongelige Bibliotek, Hielmst. 42 2o (LN 179 2o copy 3); online: https://usuarium.elte.hu. MissHafn 10422 Missale Hafniense. Presse: København: Matthaeus Brandis, 1510. København, Det Kongelige Bibliotek, Hielmst. 42 2o (LN 179 2o copy 4); online: https://usuarium.elte.hu. MissLincop 10284 Missale notatum Lincopense, 1400–1500. Stockholm, Kungliga Biblioteket, A 97; online: https://usuarium.elte.hu. MissLund 10080 Missale Lundense. Presse: Paris: Wolfgangus Hopyl, 1514. Køben- havn, Det Kongelige Bibliotek, Hielmst. 43 2o (LN 181). Edition: Missale Lundense av år 1514: Faksimiledition med efterskrift och register av Bengt Strömberg. Malmö, 1946, online: https://usuari- um.elte.hu. MissRosc 10085 Canon secundum usum ecclesiae Roschildensis cum aliquibus missis et communi sanctorum. Presse: Nyburg: Paulus Raeff, 1522. København, Det Kongelige Bibliotek, Hielmst. 525 4o (LN 38 4o copy 1); online: https://usuarium.elte.hu. MissSlesv 10087 Missale secundum ordinarium et ritum ecclesiae Slesvicensis. Presse: Schleswig: Stephanus Arndes, 1486. København, Det Kongelige Bibliotek, Hielmst. 41 2o (LN 185 2o copy 1); online: https://usuarium.elte.hu. MissSlesv 10423 Missale secundum ordinarium et ritum ecclesiae Slesvicensis. Presse: Sleswick: Stephan Arndes, 1486. København, Det Konge- lige Bibliotek, Hielmst. 41 2o (LN 185 2o copy 2); online: https:// usuarium.elte.hu. MissStreng 10255 Missale Strengnense. Presse: Stockholm, Bartholomaeus Ghotan (Lübeck), 1487. Stockholm, Kungliga Biblioteket, Inkunabel 734; online: https://usuarium.elte.hu. MissUps 10310 Missale secundum ritum almae ecclesiae Upsalensis. Presse: Ba- sel: Iacobus Wolff de Pfortzheim, 1513; online: https://usuarium. elte.hu. MissVib 10088 Missale Viburgense. Presse: Lübeck: Stephanus Arndes, 1500. Rïga, Latvijas Universitātes Akadēmiskajā bibliotēkā, Inc. 144; on- line: https://usuarium.elte.hu. Bibliographie Adamko, Rastislav. „Príspevok k problematike kalendára v Misáli R. 387.“ [„Beitrag zur Problematik des Kalenders im Missale R. 387.“] Slovenská hudba: Revue pre hudob- nú kultúru, Nr. 2 (2006): 144–151. Biegański, Krzysztof, und Jerzy Woronczak, Hrsg. Missale plenarium, Bibl. Cap. 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POVZETEK Zdi se, da nam notirani Misal 387, redek liturgič- noglasbeni spomenik s konca 13. stoletja, ki je bil odkrit na Slovaškem, lahko veliko pove o srednje- veški liturgiji v Skandinaviji. Namen pričujočega prispevka je tako izpostaviti glavne značilnosti, ki misal uvrščajo v skandinavsko družino liturgičnih rokopisov. Kot glavna metodološka pristopa sta bili uporabljeni zunanja in notranja »tekstna« kritika vira. Prva se posveča materialu vira, vezavam ipd. Drugo pa sestavljata analiza in primerjava reper- toarja misala – tj. melodij in besedil posameznih glasbenih oblik (verzi aleluj in ofertorijev) – z repertoarjem glasbenoliturgičnih knjig iz obdobja med 11. in 13. stoletjem. Kljub svoji majhnosti kakor tudi majhnosti pi- save in notnega zapisa je bil misal v rabi na oltarju med obhajanjem maše, kar je razvidno iz dejstva, da so strani mašnega kanona obrabljene. Lahko bi šlo za značilni potovalni misal za zasebne bogoslužne obrede. Ohranjeni poletni del misala ima specifično ureditev, na podlagi katere lahko ugotavljamo, za katero tradicijo zakramentarjev gregorijanskega tipa gre. Sistem kvadratne notacije so uporabljali zlasti verski redovi Zahodne in Srednje Evrope, v deželah severne Evrope pa so ga uporabljali tudi v škofijskih središčih. To dokazujejo številni ohra- njeni fragmenti v danskih in švedskih knjižnicah in arhivih. Izčrpna kvantitativna analiza praznikov v koledarju misala je pokazala na njegovo genetsko povezavo s skandinavskimi škofijami. To potrjujejo tudi številni prazniki, značilni za okolja teh cerkve- nih skupnosti. Tem dokazom se pridružuje še po- znejša omemba praznika relikvij lundske katedrale (31. julij) v koledarju misala. Primerjava celotnega repertoarja molitev in spevov Misala 387 s tiskanimi skandinavskimi misali nas je privedla do domneve, da raziskani misal vsebuje bogoslužno tradicijo lundske škofije ali pa njeno starejšo različico, ki jo je mogoče najti tudi v tiskih misalov iz Kopenhagna. To domnevo podpirajo širša struktura obrazcev vsakodnevnih maš, vrsta verzov aleluj in ofertorijski spevi, ki so v tej tradiciji vedno vsebovali tudi verze. MZ_2020_1_FINAL.indd 43 24. 06. 2020 12:00:32 44 M U Z I K O L O Š K I Z B O R N I K • M U S I C O L O G I C A L A N N U A L LV I / 1 Verzi ofertorija so se v misalih pojavljali samo v do- ločenih bogoslužnih tradicijah, dotični verzi pa so bili še posebej značilni za Severno Evropo, kamor sodi tudi lundska škofija. Glede na obstoječe vire je nadaljnja usoda ro- kopisa do časa, ko je prišel na Slovaško, vsaj delno znana. Po neznanih poteh je prišel na Bavarsko, kjer je bil v rabi med letoma 1420 in 1430 v cerkveni ustanovi, povezani z grofijo Nürnberg; morda je bil to frančiškanski samostan Hof an der Saale. Pol stoletja zatem pa misal ni bil več na območju grofije, saj se je nahajal na Spodnjem Avstrijskem. MZ_2020_1_FINAL.indd 44 24. 06. 2020 12:00:32