frühneuzeitliche transferprozesse in der oberlausitz am beispiel von jacob handl THOMAS NAPP Universität Hamburg Izvleček: Članek prinaša rezultate raziskav o »Jacobusu Handlu, imenovanemu Gallus, s Kranjskega«, ki temeljijo na povezavi trenutnih metodoloških konceptov »kulturnega transferja« in »prostorske sociologije«. Že Josip Mantuani, Dragotin Cvetko in drugi muzikologi so poznali Görlitz, kjer so bila dela Jacobusa Handla sicer znana (Händl v lužiških virih), vendar še nihče ni izpostavil pomena transkulturne pokrajine Zgornja Lužica. Številni moteti iz Handlove tiskane zbirke Opus musicum so se ohranili tudi v rokopisnih prepisih, ki so nastali v Görlitzu, Löbauu in Kamenzu. Ključne besede: Jacobus Handl - Gallus, kulturni transfer, prostorska sociologija, Zgornja Lužica (nem. Oberlausitz), moteti. Abstract: The article combines the current methodical concepts of "cultural transfer" and "spatial sociology" in research into "Iacobus Handl Gallus dictus Carniolus". Josef Mantuani, Dragotin Cvetko and other musicologists have mentioned Görlitz as a site for the reception of works by Jacob Handl (Händl in Lusa-tian sources), but no one has hitherto discussed the transcultural region of Upper Lusatia. Beside the printed motets a number ofpieces from Handl's Opus musicum have been preserved in manuscripts that originate from Görlitz, Löbau and Kamenz. Keywords: Jacob Handl - Gallus, cultural transfer, spatial sociology, Upper Lusatia (Ger. Oberlausitz), motets. Die Verbindung des Komponisten Jacob Handl zur Oberlausitz stellt ein bislang weitgehend ungeschriebenes Kapitel in der Forschung zum Komponisten dar. „Iacobus Händl Gallus dictus Carniolus", so auf dem sein Porträt rahmenden Schriftoval im Erstdruck seines vierten Motettenbandes 1590 benannt, ist in der bisherigen Forschung zum Komponisten mit zahlreichen, aber bislang uneinheitlich verwendeten Namensbezeichnungen versehen worden.1 In den von mir untersuchten Handschriften der Region Oberlausitz kommt auffallend häufig die Variante Jac[ob]. Händl vor.2 1 Im Proposal für die Sitzung Iacobus Handl Gallus Dictus im Rahmen der Medieval and Renaissance Music Conference 2007 in Wien war als Vorschlag des Verfassers eine die differierenden Verwendungen in den deutsch- und englischsprachigen Lexika zusammenführende Vereinheitlichung in Jacob Handl - Gallus angedacht gewesen, die es weiterhin zu diskutieren gilt, ohne dabei die augenscheinlich sprachliche Dopplung Handl = Hähnel = Galliculus ^ Gallus zu vernachlässigen. 2 Folgend wird die als Vereinheitlichung innerhalb dieses Bandes vorgesehene Form Jacob Handl verwendet. Lediglich Josef Mantuani und Dragotin Cvetko nannten die Stadt Görlitz in ihren Artikeln als Ort der Rezeption seiner Werke,3 dabei diese Stadt aber stillschweigend entweder zum Herzogtum Schlesien oder zum Königreich Böhmen zählend. Wurde bislang von den Reisejahren Handls zwischen seiner keineswegs gesicherten Ausbildung am Wiener Kaiserhof und seiner Tätigkeit in Mähren und Prag berichtet, war stets von seinem Wirken in Böhmen, Mähren und Schlesien die Rede, nie aber vom Markgraftum Oberlausitz, was sicherlich einerseits an den bislang fehlenden Quellen lag, andererseits an der ungenauen regionalen Kenntnis der Beschreibenden. Zur Zeit Mantuanis - also um 1900 - gehörten Görlitz und der östliche Teil der Oberlausitz, als historische Region in ihrer Gänze betrachtet für nur kurze Zeit, als westliche Ausläufer der damaligen Provinz Schlesien zum Königreich Preußen;4 und zur Zeit von Cvetkos Publikation spielte durch die Oder-Neiße-Grenze, die Polen von der damaligen Deutschen Demokratischen Republik und dem heutigen Deutschland trennt, die Oberlausitz als Region selbst in der innerdeutschen Wahrnehmung kaum eine Rolle mehr, was demnach die bisherige Absenz der Oberlausitz in der Betrachtung zum Komponisten allenfalls entschuldigt, aber keinesfalls erklärt. Die zentrale Scharnierstellung des böhmischen Markgraftums Oberlausitz als Handelskreuz, im Schnittpunkt der via regia von Kiev nach Santiago de Compostela und der Nord-Süd-Verbindung von Brandenburg nach Böhmen liegend, führte früh zu Spannungen zwischen der aristokratischen Landbevölkerung und den Bürgern in der Stadt. Deshalb schlossen sich 1346 Görlitz, Bautzen, Zittau, Kamenz, Löbau und Lauban (das heutige Luban in der polnischen Woiwodschaft Dolnosl^ski) zum Sechsstädtebund als Schutz- und Trutzbündnis zusammen,5 welcher bis zum Wiener Kongress 1815 Bestand haben sollte. Der bereits durch den „Dresdner Accord" von 1621 eingeleitete und im „Immissionsrezeß" von 1623 forcierte Prager Frieden führte 1635 zur Aufteilung der zuvor eng miteinander verknüpften Kulturregionen Oberlausitz und Schlesien zwischen dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. und Kaiser Ferdinand II. Das Herzogtum Schlesien gehörte demnach fortwährend zum böhmischen Königreich, wohingegen das Markgraftum Oberlausitz dem sächsischen Kurfürstentum eingegliedert wurde. Trotz der seit 1319 andauernden Zugehörigkeit zum Königreich Böhmen erkämpften sich die 3 Vgl. Jacob Handl (Gallus), Opus musicum I, hrsg. Emil Bezecny und Josef Mantuani, Denkmäler der Tonkunst in Österreich 12., Wien, Artaria, 1899/1959, S. XVI; Dragotin Cvetko, Iacobus Handl Gallus vocatus Carniolanus, Ljubljana, SAZU, 1991, S. 20. Diese englischsprachige Herausgabe basiert auf der slowenischen Erstausgabe von 1965 und unterscheidet sich in einigen Punkten von der deutschen Übersetzung, welche 1972 in München erschien. Neben Görlitz werden noch die Städte Louka (Klosterbruck), Brno (Brünn), Zabrdovice (Obrowitz), Olomouc (Olmütz), Kromeriz (Kremsier), Prag, Rakovnik (Rakonitz) westlich von Prag, Wroclaw (Breslau), Nisa (Neiße) und Legnica (Liegnitz) explizit aufgezählt. 4 Vgl. Leszek Belzyt und Hans-Werner Rautenberg, Die Oberlausitz vom Wiener Kongress bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1815-1918), Geschichte der Oberlausitz, hrsg. von Joachim Bahlcke, Leipzig, Leipziger Universitätsverlag, 2001, S. 181-220: S. 183f. 5 Vgl. Norbert Kersken, Die Oberlausitz von der Gründung des Sechsstädtebundes bis zum Übergang an das Kurfürstentum Sachsen (1346-1635), Geschichte der Oberlausitz, hrsg. von Joachim Bahlcke, Leipzig, Leipziger Universitätsverlag, 2001, S. 99-141. Oberlausitzer Sechsstädte vor allem mittels wirtschaftlich sich ausprägender Privilegien einen zu den freien Reichsstädten vergleichbaren, selbstbewussten Status. Die um 1520 weitgehend gleichzeitig in der Oberlausitz einsetzende Reformation hatte neben der auch in Ostmitteleuropa diffundierenden Bewegung des Humanismus eine Rhetorisierung des Schul- und Universitätswesens zur Folge.6 Die Ratsherren, die Repräsentanten der Städte, erhielten ihre humanistische Ausbildung zunehmend an den protestantischen Universitäten Mitteldeutschlands, anfangs in Wittenberg und Leipzig, im ausgehenden 16. Jahrhundert zunehmend auch an der Viadrina in Frankfurt an der Oder. Das aus dem Studium der septem artes liberales und zunehmend der studia huma-nitatis erlangte Bildungsideal wurde bei der Rückkehr der Oberlausitzer Bürger wieder in das städtische Leben eingebracht, wovon die Gründung der Gymnasien in Bautzen, Görlitz und Zittau zwischen 1556 und 1586 ebenso beredtes Zeugnis ablegen7 wie die spätestens seit 1570 nachzuweisende Initiative für die erste bürgerliche Musikvereinigung Böhmens durch den Görlitzer Universalgelehrten Bartholomäus Scultetus.8 Möchte man Leben und Wirken von Jacob Handl unter Perspektive des aktuellen geisteswissenschaftlichen Diskurses adäquat nachzeichnen, bietet sich das vor mittlerweile reichlich 20 Jahren von Michel Espagne und Michael Werner eingeführte Konzept des Kulturtransfers9 in Verbindung mit dem jüngst wiederentdeckten Raumkonzept geradezu an. Zwischen 1574 und 1585 reiste der, aus heutiger Perspektive als Kosmopolit zu bezeichnende Komponist Jacob Handl durch Ostmitteleuropa. Er komponierte, musizierte und legte besonderen Wert auf die Verbreitung seiner Werke, welche sich bereits bei seinen Zeitgenossen großer Beliebtheit erfreuten. Der gleichzeitig gerade auch in Ostmitteleuropa im Ausgang des 16. Jahrhunderts einsetzende Prozess der Nationenbildung überdeckte die vordergründig partikularisierte Aufteilung der Territorien in sprachlich, konfessionell und kulturell zusammenhängende Regionen. Diese zunehmend nationale Kartierung, welche im 20. Jahrhundert unter verschiedenen nationalistischen Positionen nach jeweiliger Interessenlage ausgelegt wurde, liest sich wie ein Spiegelbild des aktuellen Europadiskurses, wo sich sowohl die derzeitigen EU-Mitglieder als auch potentiell zukünftige Mitgliedstaaten über die als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges gezogenen Staatsgrenzen hinweg in grenzüberschreitende Euro-Regionen konstituieren. Karl Schlö-gel beschreibt diesen Prozess des bewussten Rückgreifens auf prä-nationale Erinnerungs- 6 Vgl. Thomas Napp, Johannes Nucius in Görlitz - Johannes Nucius w Zgorzelcu. Eine Annäherung an die Herkunft des Komponisten und Musiktheoretikers, Tagungsband der Wissenschaftlichen Sitzung zu Ehren des Musiktheoretikers und Komponisten anlässlich seines 450. Geburtstages in Kamien Slqski, 11. 10. 2006, Opole, 2007 (im Druck). 7 Bautzen 1556, Görlitz 1565, Zittau 1586. Vgl. N. Kersken, op. cit., S. 132. Siehe auch Christian Knauthen, Das Gymnasivm Avgvstvm zu Görlitz, Görlitz, Fickelscherer, 1765. 8 Vgl. Thomas Napp, Das Görlitzer Musikleben zwischen 1570 und 1650. Eine institutionsgeschichtliche Fallstudie der bürgerlichen Musikkultur im Oberlausitzer Sechsstädtebund, Musikgeschichte im Zeichen der Reformation. Magdeburg - ein kulturelles Zentrum in der mitteldeutschen Musiklandschaft (Jahrbuch der Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik 2005), hrsg. von Peter Wollny, Beeskow, Ortus, 2006, S. 327-337: 331-335. 9 Vgl. den wegweisenden Beitrag zum Konzept des Kulturtransfers von Michel Espagne und Michael Werner, Deutsch-Französischer Kulturtransfer im 18. und 19. Jh. Zu einem neuen interdisziplinären Forschungsprogramm des C.N.R.S., Francia 13 (1985), S. 502-510. kulturen sehr treffend: „Provinzen, die auf die Rückseite Europas geraten waren, stehen wieder offen. Überall kommt der Verkehr in Schwung, besonders zwischen lange vernachlässigten Metropolen, während andere abgekoppelt werden und nicht wissen, wie es weitergehen soll. Der europäische Raum wird neu geordnet. Die Regionen folgen ihrer natürlichen Schwerkraft und alten Kraftlinien."10 Es ist somit nach der politischen Wende von 1989/90 die scheinbar paradoxe Situation entstanden, dass im kulturwissenschaftlichen Diskurs parallel zur Globalisierung und Medialisierung, und damit zur „Ausweitung und Intensivierung von Kommunikationsbeziehungen"11 über nationale Grenzen hinweg, ein Erstarken in der Beschäftigung mit dem Raum zu konstatieren ist. Der von Schlögel formulierte spatial turn11 führte 2006 mit den beiden wissenschaftlichen Publikationen von Markus Schroer sowie von Jörg Dünne und Stephan Günzel zu einer neuartigen, die nationalen Grenzen thematisierenden, aber in der Betrachtung von transregionalen Kulturräumen über diese hinausreichenden Raumsoziologie.13 Den Ausführungen von Schroer folgend, fördert gerade diese Erfahrung der „Entgrenzung, der weltweiten kommunikativen Erreichbarkeit und der damit einhergehenden Herausbildung einer Nahwelt, die eine Suche nach Möglichkeiten der Abstandsvergrößerung und der Abschottung nach sich zieht" eine „^eterritorialisierung" - auf die „Enträumlichung" folgt eine „erneute Verräumlichung".14 Diese zuvorderst noch soziologisch-historische Sichtweise soll für die Musikwissenschaft nutzbar gemacht werden, um gerade in der Betrachtung der transregionalen Räume Ostmitteleuropas im allgemeinen sowie der Oberlausitz und Schlesiens im besonderen die nach 1945 von der deutschen Musikwissenschaft tradierte und von der polnischen Musikwissenschaft installierte nationale Vereinnahmung des Gegenstandes historiographisch reflektieren sowie unter aktuellen musik- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen bearbeiten zu können. Dass sich Jacob Handl im beschriebenen Raum Böhmen, Mähren und Schlesien bewegte, ist in der bisherigen Forschung zum Komponisten ausführlich dokumentiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten kommentiert worden.15 Auf welchen Wegen er jedoch mit wem kommunizierte und welche Rolle hierbei die Oberlausitz sowie seine wohl zuerst handschriftlich festgehaltenen Kompositionen spielten, die anschließend - weitaus 10 Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München, Hanser, 2003, S. 28. 11 Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2006, S. 195. 12 Vgl. K. Schlögel, op. cit., 2003; Karl Schlögel, Kartenlesen, Augenarbeit. Über die Fälligkeit des spatial turn in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten, hrsg. von Heinz Dieter Kittsteiner, München, Fink, 2004, S. 261-283. Siehe für eine generelle Diskussion Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, 2006, S. 284-328. 13 M. Schroer, op. cit.; Raumtheorie, hrsg. von Jörg Dünne und Stephan Günzel, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2006. 14 M. Schroer, op. cit., S. 207. Die Hervorhebungen sind von Schroer übernommen worden. 15 Vgl. neben J. Mantuani und D. Cvetko, op. cit.; insbesondere auch Jacobus Gallus andHis Time, hrsg. von Dragotin Cvetko und Danilo Pokorn, Ljubljana, SAZU, 1985; sowie Gallus Carniolus in evropska renesansa, hrsg. von Dragotin Cvetko und Danilo Pokorn, 2 Bde., Ljubljana, SAZU, 1991 und 1992. später16 - nahezu vollständig in Prag bei Jin Nigrin vom Komponisten selbst in Druck gegeben wurden, gilt es in der künftigen Forschung zu Handl noch genauer herauszuarbeiten und wissenschaftlich einzuordnen. Einem dieser von Schlögl als Kraftlinien bezeichneten Wege folgte bereits 1985 Elžbieta Zwolinska in ihrem Referat und späteren Aufsatz Einige Bemerkungen zur Verbreitung der Werke des Jacobus Gallus in Polen anlässlich des Symposiums Jacobus Gallus andHis Time 1985 in Ljubljana.17 Dort beleuchtete sie die Rezeption ausgewählter Motetten und Messen von Jacob Handl in den beiden heute zu Nordpolen gehörenden neuen deutschen Orgel-Tabulaturen von Torun und Pelplin, worin sich auch die beiden nach meinen bisherigen Quellenbefunden am weitesten verbreiteten Werke des Komponisten wiederfinden lassen. Es handelt sich dabei um die vierstimmige Funeralmotette Ecce quomodo moritur iustus und um die sechsstimmige, die Geburt Johannes des Täufers thematisierende Motette Elisabeth Zachariae. Der Begräbnisgesang Ecce quomodo moritur iustus, der auch in der aktuellen Rezeption noch die bekannteste Komposition des Jacob Handl darstellen dürfte, erschien gegen Ende des Passionsmotettenteiles De Passione Domini Nostri lesv Christi als Nr. 13 im zweiten Band des Opus musicum 1587.18 1545 wird im sogenannten Bapst'schen Gesangbuch, den von Martin Luther mit einem neuen Vorwort versehenen Geystlichen Liedern,19 ein gleichlautender Text als Nr. II aufgeführt. Nach den Ausführungen von Markus Jenny in der Neuedition der Weimarer Ausgabe findet sich dieser bereits unter den Begräbnisgesängen Martin Luthers von 1542, ebenfalls als Nr. II.20 Wie bereits 1991 Werner Braun feststellte, ist die Komposition Handls im Jahr des Erscheinens als Funeralgesang erstmals in der Oberlausitzer Sechsstadt Görlitz nachgewiesen.21 Anlass für diese erste überlieferte Aufführung der Komposition Handls war die Totenfeier des vormaligen Rektors am Görlitzer Gymnasium, Joachim Meister, in der Peterskirche von 1587, wo neben dem Gesang dieser vierstimmigen Motette die Lautung aller Glocken das traurige Ereignis den Bewohnern der Stadt verkündete.22 Bemerkenswerterweise begann Meister die Annales Goerlicenses, welche vom späteren Rektor am Görlitzer Gymnasium Martin Mylius fortgesetzt werden sollten. In dieser Dokumentation ist der entscheidende Nachweis für die nicht nur materielle Anwesenheit der Kompositionen des Jacob Handl in Drucken und handschriftlichen Abschriften der 16 Vgl. Tomasz Jež, Twörczosc Jacoba Handla w zrödlach proweniencji sl^skiej, Muzyka 49/4 (2004), S. 27-62. 17 Elžbieta Zwolinska, Einige Bemerkungen zur Verbreitung der Werke des Jacobus Gallus in Polen, Jacobus Gallus and His Time, hrsg. von Dragotin Cvetko und Danilo Pokorn, Ljubljana, SAZU, 1985, S. 142-148. 18 Iacobus Händl, Secvndvs TomvsMvsici Operis [...], Praga, G. Nigrinus, 1587. 19 Martin Luther, Geystliche Lieder: mit einer newen Vorrhede D. Mart. Luth, Leipzig, Bapst, 1545. 20 Markus Jenny, Luthers Geistliche Lieder und Kirchengesänge, Archiv zur Weimarer Ausgabe 4, Köln und Wien, Böhlau, 1985, S. 341. 21 Werner Braun, „Ecce quomodo moritur iustus" und der „rührende Zug" in der Kirchenmusik, Gallus Carniolus in evropska renesansa, Bd. 1, hrsg. von Dragotin Cvetko und Danilo Pokorn, Ljubljana, SAZU, 1991, S. 74. Dort finden sich auch weiterführende Hinweise zur Textprovenienz. 22 Vgl. Ch. Knauthen, op. cit., S. 49. Oberlausitz verzeichnet, sondern für die dort bevorzugte praktische Aufführung seiner Werke. So vermerkte Mylius in seinen Annales Goerlicenses'23 4. Jul. moritur Pragae praestantissimus no-stri seculi & svavissimus Musicus Jac. Handl Carniolus. Ejus facio mentionem in his annalibus Gorlicensibus propter laudabile convi-vium nostrum Musicum, quod solis fere hujus cantionibuspersonat, & cujus nominipropte-rea a nobis memoria debetur perpetua. „Am 4. Juli (1591) starb zu Prag der hervorragendste und lieblichste Musiker unseres Jahrhunderts, Jac. Händl Carniolus. Seiner tue ich in diesen Görlitzer Jahrbüchern Erwähnung wegen unseres löblichen Musikvereins (Convivium musicum), welcher fast allein seine Gesänge vorträgt, und dessen Namen deswegen von uns dauernde Erinnerung geschuldet wird." Diese einem hymnischen Nachruf gleichende Aussage des Stadtchronisten und Mitglieds im Convivium musicum, der ersten bürgerlichen Musikvereinigung nicht nur der Oberlausitz, sondern Böhmens, anlässlich der plötzlichen Todesnachricht des in Böhmen, Mähren, Schlesien und in der Oberlausitz gleichermaßen gefeierten Musikers findet seine faktische Bestätigung in den durch Dedikationszahlungen noch heute nachweisbaren Widmungen an den Görlitzer Rat. Unter dem Eintrag vom 23. Januar 1587 ist in den Ratsrechnungen der Stadt Görlitz das Folgende festgehalten: „Jacob Händel wegen der zugeschickten Partes verehret 6 Sechziger = 5 sch. 28 gr." Bereits ein reichliches halbes Jahr später erfolgte am 18. September eine entsprechende Zahlung an denselben Komponisten: „Jacob Händl Musicum wegen der zugeschickten Partes verehret 5 sch. 10 kr."24 Für die erste Sendung hat sich sogar ein Dankschreiben der Görlitzer Ratsherren an Jacob Handl erhalten: An Jacob Händl Musicum. Unsere freundlichen und willigen Dienste zuvor. Ehrenwerter und Kunstreicher besonders günstiger und gutter Freund und Gönner! Euer unlengst an uns gethan Schreiben haben wir samt den überschickten operi Musico entpfahen und solches von Euch zu Dank und Gefallen angenommen, Verehren Euch hierbey wiederumb mit Sechs fl. Thaler freundlich bittende, solche geringe Verehrung in erwegunge itziger gemeiner Stadt Zustands und grossen und viel-feltigen Ausgaben für lieb und willen anzunehmen Und sein Euch sonsten und in ander gelegenheit unsers vermögens zu dienen willig und geflissen.25 23 Ratsarchiv Görlitz (= im Folgenden RAG), Christian Hoffmann, Scriptores rerum Lusaticarum, Leipzig, Bautzen, 1719, Teil I.2, S. 51. Zitiert aus Martin Mylius, Annales Goerlicenses, Scriptores Lusatiae. Diese Quelle aus dem RAG ist in den beiden folgenden Artikeln abgedruckt: Th. Napp, Das Görlitzer Musikleben zwischen 1570 und 1650, op. cit.; Thomas Napp, Musikalische Transferprozesse zwischen Prag und der Oberlausitz um 1600 - mit einer Rückdatierung der Newen Deutschen Lieder des Christoph Demantius, Tagungsband Musical Culture of the Czech Lands and Central Europe before 1620, hrsg. Lenka Mräckovä, Praha, 2007 (im Druck). Die von mir mit kleinen Änderungen versehene deutsche Übersetzung basiert auf Max Gondolatsch, Das Convivium musicum (1570-1602) und das Collegium musicum (um 1649) in Görlitz, Sonderabdruck aus der Zeitschrift für Musikwissenschaft 3 (1921), S. 593. 24 RAG, Ratsrechnungen 1587/88. 25 RAG, Briefbuch 1586-1591, Bl. 28b. Siehe auch Max Gondolatsch, Ein alter Musikalienkatalog der Peterskirche in Görlitz, Zetschrift für Musikwissenschaft 11 (1929), S. 509. Diese sehr vertraulich klingenden und im Vergleich mit zeitgenössischen Briefen sehr direkt und abseits unpersönlicher Höflichkeitsfloskeln formulierten Zeilen vom 16. Januar 1587,26 welchem die Eintragung über die Dedikationszahlung vom 23. Januar 1587 entspricht, sowie der direkte Bezug auf eine schon zuvor geleistete Anerkennung der musikalischen Leistung - „wiederumb" - lassen auf ein persönliches Verhältnis zu Jacob Handl als auch auf ein explizit diesem Komponisten gewährtes bürgerliches Mäzenatentum schließen. Auch wenn es bisher keinen direkten Nachweis über einen Besuch des Komponisten in der Oberlausitz oder gar im Görlitzer Convivium musicum gibt, so besteht durchaus die Möglichkeit, dass er persönlich zumindest während seiner Reisen im seinen Werken wohlgesinnten Oberlausitzer Sechsstädtebund weilte. Im Gegensatz zum bürgerlichen Musikleben in Görlitz lassen sich über die an der Hauptkirche St. Peter und Paul aufgeführte Kirchenmusik im ausgehenden 16. und im 17. Jahrhundert aufgrund eines Kirchenbrandes von 1691, bei welchem alle Kirchen-und Gesangbücher vernichtet wurden, kaum Quellen eruieren. Einzig überliefert ist ein Musikalienkatalog, der sich noch heute unter den losen Urkunden im Ratsarchiv Görlitz befindet und auf den 19. September 1593 datiert ist.27 Die aufgelisteten 47 Werke geben einen repräsentativen Einblick in die reformierte Kirchenmusik des ausgehenden 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Ostmitteleuropa. Neben vier- bis sechsstimmigen Messen Handls sind ebenso seine vier Bücher der Motettensammlung Opus musicum in diesem Musikalienkatalog verzeichnet. Somit bestätigt diese fragmentarisch das Görlitzer Kirchenmusikrepertoire um 1600 überliefernde Quelle nochmals die bevorzugte Verbreitung der Werke des Komponisten in der Oberlausitz. Dieses Ergebnis wird ferner durch das in der Sächsischen Landesbibliothek, Staatsund Universitätsbibliothek Dresden aufbewahrte Depositum der Löbauer Kantorei bekräftigt. Dieses Musikalien-Konvolut kam 1890 aus der 1630 gegründeten „Rathsbibliothek zu Löbau" in die damalige Königliche Landesbibliothek zur Katalogisierung nach Dresden.28 Die zumeist in Stimmbüchern aufgeteilten Sammeldrucke enthalten zusätzlich zu den käuflich erworbenen Drucken als Einbindungen hinzugefügte handschriftliche Kompositionen. So sind hinter den Drucken der Signatur Mus. Löb 4, z. B. Friedrich Weißensees Opus melicum methodicum et plane novum (Magdeburg 1602), neben Kompositionen von Orlando di Lasso, Melchior Vulpius u. a. insgesamt 68 Kompositionen von Jacob Handl aus seinem Opus musicum mit Angabe seines Namens handschriftlich hinzugefügt worden.29 Unter der Signatur Mus. Löb 15, Nr. 2 findet sich der Funeral-gesang Ecce quomodo moritur iustus mit einer zweiten, deutschen Textunterlegung: „Sihe[!] wie stirbet der gerechte" sowie der 2da pars „In pace factus est" mit der deutschen 26 Das bei Gondolatsch vermerkte Datum, 16. Januar 1586, ist ein Schreibfehler; es muss 1587 heißen. 27 RAG, Lose Urkunden 860c/687. Vgl. auch M. Gondolatsch, op. cit., 1929, S. 507 f. Gondolatsch datierte diesen Katalog irrtümlich auf den 14. September 1593. 28 D-Dl: Acta der Königlichen Privat-Musikaliensammlung, III G 646, 1890, ohne Seitenangabe, „2. fol. verso". 29 D-Dl, Mus. Löb 4, Nr. 1-25, Nr. 63-105. Siehe zu den Löbauer Musikhandschriften auch Wolfram Steude, Die Musiksammelhandschriften des 16. und 17. Jahrhunderts in der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Wilhelmshaven, Heinrichshofen, 1974, S. 5-8 und S. 107-179. Prosaübersetzung „Sein leib ist nu gebracht".30 Unter den Signaturen Mus. Löb 30, Nr. 11; Mus. Löb 33, Nr.1 und Mus. Löb 42, Nr.1 sind weitere Abschriften mit ausschließlich lateinischem Text überliefert. Bemerkenswert bleibt jedoch das Hinzufügen des deutschen Textes direkt unter den lateinischen, was eine eigenständige Akkulturationsleistung und damit eine höhere Stufe als das blinde bzw. „taube" Kopieren darstellte. Über diese Löbauer und Görlitzer Bestände hinaus beinhalten die fragmentarisch überlieferten Stimmbücher einer spätestens im April 1598 angelegten und von Thomas Lochau fortgeführten Kamenzer Sammelhandschrift im dortigen Stadtarchiv zehn nachweisbare vier- bis sechsstimmige Kompositionen von Jacob Handl, worunter auch eine sechsstimmige Motette mit ausschließlich deutscher Textierung nach Luthers Übersetzung Nun bitten wir den heiligen Geist verzeichnet ist.31 Ähnlich wie schon bei der zweisprachigen Überlieferung des Ecce quomodo moritur iustus aus der Löbauer Handschrift kann man nun insbesondere bei der Übernahme eines kompositorischen Tonsatzes bei ausschließlich deutscher Textierung von einer Akkulturation dieser Komposition Handls in den sprachlichen und mentalen Kontext der Region Oberlausitz sprechen. Weiterhin sind auch in der Kamenzer Handschrift die oben als am weitesten verbreitet eingeführten Werke des Komponisten kopiert worden, als Nr. 71 Ecce quomodo moritur iustus und als Nr. 105 Elisabeth Zachariae. Diese beiden im zweiten und vierten Band der Motettensammlung Opus musicum 1587 bzw. 1590 veröffentlichten Kompositionen lassen sich in verschiedenen weiteren überlieferten gedruckten und handschriftlichen Sammlungen des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts finden. 1618 und 1621 gab Erhard Bodenschatz den zweiteiligen Sammeldruck Florilegium Portense heraus, welcher ebenfalls die Funeralmotette Ecce quomodo moritur iustus enthält,32 wonach deren Verbreitung nochmals außerhalb der eigenständigen Drucke von Jacob Handl in einen mitteldeutschen Kontext transferiert wurde, zunehmend aber auch als vielgestaltige Grundlage für Arrangements, Kontrafakturen oder gar Parodien dienen konnte. Weitere handschriftliche Nachweise enthalten die Codices Guelferbytanae, die heute in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel aufbewahrten Sammelhandschriften der vormaligen Kantorei St. Stephani in Helmstedt. Unter der Signatur Cod. Guelf. Mus. Hdschr. 324 ist als Nr. 443 das sechsstimmige Elisabeth Zachariae mit der 2da pars: Ioannes est nomen eius in vier einer ursprünglich 1618 mit acht Stimmbüchern angelegten Sammelhandschrift überliefert.33 Diese sechsstimmige Komposition findet sich nochmals in der gleichermaßen achtstimmig angelegten Sammelhandschrift Cod. Guelf. Mus. Hdschr. 322.34 Auch auf den Begräbnisgesang von Handl wollte man in der Helm- 30 D-D1, Mus. Löb 15, Nr. 2. 31 Stadtarchiv Kamenz, Rara 14185.1-5, Nr. 98. 32 Erhard Bodenschatz, Florilegium Portense, 1. Nr. 64. 33 D-W, Cod. Guelf. Mus. Hdschr. 324, Nr. 443. Nr. 438. 34 D-W, Cod. Guelf. Mus. Hdschr. 322, Nr. 3. Teil, Leipzig, Lamberg und Closemann, 1618, RISM verzeichnet diese Handschrift noch mit stedter Kantorei nicht verzichten. Ecce quomodo moritur iustus wurde als Nr. 33 in die Handschrift Cod. Guelf. Mus. Hdschr. 327 eingetragen.35 Außerhalb dieser beiden Kompositionen lassen sich bislang aber weder zwischen Löbau und Wolfenbüttel, noch zwischen Kamenz und Löbau gemeinsame Kompositionen von Jacob Handl in den Sammelhandschriften ausfindig machen. Dieser Umstand verweist im Gegensatz zu den wahrscheinlich in allen genannten Städten vormals vorhandenen Drucken auf eine dezidiert den jeweiligen Interessen und Obliegenheiten erfolgte Kopier- und Schreibpraxis, welche es zukünftig noch detaillierter zu untersuchen gilt. 35 D-W, Cod. Guelf. Mus. Hdschr. 327, Nr. 33. PRIMER JACOBUSA HANDLA V ZGODNJENOVOVEŠKIH PROCESIH TRANSFERJA V ZGORNJI LUŽICI Povzetek Ob Josipu Mantuaniju in Dragotinu Cvetku, ki sta v svojih člankih omenjala Görlitz kot kraj recepcije skladb Jacobusa Handla - Gallusa, so tudi drugi raziskovalci omenjali skladateljevo delovanje na Češkem, Moravskem in v Šleziji. Pisno pričevanje o izvedbi pogrebnega moteta Ecce quomodo moritur iustus ob smrti rektorja gimnazije v Görlitzu Joachima Meistra, poklon umrlemu skladatelju in priznanje njegovega pomena za prvo meščansko glasbeno združenje na Češkem v Annales Goerlicenses nedvomno kažejo tudi na Handlovo delovanje v mejni grofiji Zgornja Lužica (nem. Oberlausitz). Povezava Handla - Gallusa z Zgornjo Lužico v dosedanjih raziskavah ni bila izpostavljena, kar je gotovo posledica pomanjkanja virov in nenatančnega poznavanja geografije. S pomočjo Handlovih skladb lahko proces repertoarnega transferja prenesemo z ožjega področja znotraj Zgornje Lužice tudi na druge nadnacionalne kulturne pokrajine vzhodno- in srednjeevropskega prostora. Avtor položaj razlaga na osnovi svojih raziskav, predvsem primera dveh najodmevnejših motetov Ecce quomodo moritur iustus in Elisabeth Zachariae magnum virum. Ti skladbi sta se ohranili med dokumenti iz protestantske cerkvene občine v kraju Löbau, ki so danes vključeni v fond Saške deželne, državne in univerzitetne knjižnice (Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek) v Dresdnu. Podobni so tudi dokumenti iz Mestnega arhiva v kraju Kamenz in iz zbirke rokopisov cerkve sv. Štefana, ki jih danes kot Codices Guelferbytanae hrani Knjižnica vojvode Augusta v Wolfenbüttlu. Izročilo pogrebnega speva Ecce quomodo moritur iustus / Sihe [!] wie stribt der gerechte s 2da pars: In pace factus est est / Sein leib ist nu gebracht (D-Dl, Mus. Löb 15, Nr. 2) kot tudi izključno nemško besedilo v skladbi Nun bitten wir den heiligen Geist (Mestni arhiv Kamenz, Rara 14185.1-5, Nr. 98) priča o osebnem slogu Jacobusa Handla, ki odseva poznavanje jezikovnega in duhovnega konteksta takratne pokrajine Zgornja Lužica.