Nr. M. SamMg ilen 9. Ltteinber 1865. 9. Ichrgang. Wlätter aus Arain. (Bcilngc ;:ir „Laibacher Zeitung.") Die „Blätter aus Kram" erscheinen jeden Samstag, uud ist der Prännmerationspreis ganzjährig 2 fi. östcrr. Währ. Im Grade Nikolaus Lenau's. z (Wcidling am Bach bei Wien, am 28, Juni 1861.) Hicr rnhcst du nach stnrmbcwcgten Tagen Im Frieden aus vom freudelosen Leben, Und Blüthen, die das Glück dir nie gegeben, Hat dir in Fülle nun das Grab getragen. Hicr, wo am kalten Stein die Rosen ragen Und ihre Düfte dich im Tod umschweben, O Sänger, da verstummten icnc Klagen, Die sich durch alle deiuc Lieder wcbcu! Vom Thau nmperlt, sieh, wic die Rosen weinen, Weil sie im Leben niemals dir gcblühet Und nun vergebens nach Versöhnung strcbcn! Auch Philomele tlagt ans stillen Hainen, Indeß das Abendrot!) dein Grab umgliihet: O schlnmmre süß, denn deine Lieder leben! Die Steppe. Von Michacl Grabowsli. Wie war doch mcin Leben so einsam und traurig, als ick im Jahr 182^ in dic Ukraine zurückgekehrt war. Als Kind schon hatte ich Abschied von ihr genommen, dahin zurückgekehrt, fand ich nicht mehr meine alten Freunde, obwohl ich im Vaterlande war; nach neuen fühlte ich kein Bedürfniß, alles widerte mich an. Ucberdics wohnte ich im abgelegensten Winkel der Ukraine; in dumpfem Dahinbrüten flössen mir die trägen Stunden, ein Tag verging wie der andere, ohne Abwechslung, und fo verdumpfte allmälig mein Sinn in dem Grade, als sich mein früher freies Herz nun beengt fühlte. Als ich noch Student in Warschau gewesen, begeisterten mich die Gesänge unfcrcs Zaleöki, in denen er so feurig das Leben in der Ukraine malt, daß mir ein poetischer Zauber das aanze Land wic in ein phantastisches Gewand voll geheimer Reize hüllte. Jetzt hingegen zeigte sich mir überall die nackte Prosa. Umsonst durchstreifte ich die Fluren, umsonst besuchte ich alle die Heidcngräber, daZ Feld blieb stumm, — von den Gräbern hört/ ich nichts außer einigen sehr prosaischen Geschichten. Das Volk, das ich mit Gewalt bewundern wollte als die Stammgc-nossen der berühmten Kosakenführcr Nozynski und Chmielnicki, harmonirte nicht mit meiner Vorstellung von ihm. Umsonst redete ich mir ein, ich sei in einer Ansiedelung oder einem wil-den Kosalcnnest. Umsonst erhitzte ich meine Phantasie, ich wäre auf dem Schauplätze wahrhaft homerischer Szenen, der allerletz« ten, die in Europa geschahen. Ich machte Verse, aber sie waren voller Inconsequenzen und überdies durchaus kalt und frostig. Kurz, ich mußte mich ein paar Wochen mit Macht der grausamen Enttäuschung cnigcgenstcmmen, um mir am Ende doch gestehen zu müssen, ich hätte die Ukraine satt bis über den Kopf. Gegen Ende des Jahres riefen mich Geschäfte in ein Städtchen, das zehn und etliche Meilen von meinem Wohnorte entfernt war. An und für sich war die Sache nicht wichtig, doch ging ich gern, um mich ein wenig meiner Schwermut!) zu entreißen. Zwei Tage nach meiner Abreise gelangte ich in ein kleines Städtchen mit Namen Spole. Die Sonne stand tief, die Schatten wuchsen mit jeder Minute. Jedoch wollte ich noch zwei Meilen bis zum nächsten Dorfe zurücklegen, wo man ein Nachtlager finden konnte. Man zeigte mir einen kürzeren Weg, .auf welchem ich schon nach anderthalb Meilen das Dorf erreichte, aber keine Herberge fand, weshalb ich nothgedrungen mich zum nächsten Torfe aufmachen mußte. Nachdem ick ungefähr eine halbe Meile weit gekommen war/ bemerkte ich, daß im Westen schwere Regenwolken aufstiegen. Die Luft ward immer drückender. Rings am Rande hingen dichte Wolken, die sich mehr und mehr über die Ebene ausbreiteten, die mit dunkeln Wäldern bedeckt ist. Denn in der Ukraine gibt es scbr dichte Waldungen; wohin die Blicke schweifen, findet das Auge einen Ruheplatz auf den zerstreuten Gehölzen, welche einst eins gewesen, und mitten in den kahlen Ebenen und dunklen Querthälern und Abgründen sperren Wälder die Aussicht. Wie ein unerfahrener, müssiger Wanderer warf ich meine Augen auf die herrlichen Szenerien, die mich die Einförmigkeit der Steppe vergessen ließen. Der lange, schmale Wolkenstrcif begann allmälig sich nach allen Seiten auszubreiten. Hinter ihm erschienen riefenhafte, durcheinander sich wälzende Massen, wie die empörten Wogen des Meeres ; die sinkende Sonne malte auf sie phantastifche Bilder, doch ihre dichte Brust zu durchdringcn vermochte sie nicht. Auf der dunkelnden Steppe aber lispelten die Grashalme, obwohl nicht das geringste Lüftchen wehte. Alles deutete auf ein Unwetter; bald begann es zu blitzen, anfangs selten, dann in immer kürzeren Zwischcnräumen, den Donner hörte man noch nicht; ich wuhte also, daß das Netter noch weit entfernt sei. In dieser tiefen, heiligen Stille flammten nur die Wolken und er-lofchen wicocr, wie geisterhafte Erscheinungen. Meine Diener trieben die Pferde zur Eile an, als sie ^ sahen, daß der Sturm uahe, allein dieser war schneller als wir, die wir gerechnet, vor dessen Ausbruch unter Dach und Fach zu kommen. Die Sonne versank; als ihr letzter Strahl auf den Bergen verglimmte, hatten schon lange die Wolken«, säume geflammt in feurigem Golde. Eben näherten wir uns dem Torfe. Tie schmale Straße, die bisher in der Ebene sich dahingcschlängclt, fiel rasch ab ; wir gelangten in ein tiefes, abhängiges Querthal. Der Horizont, wenngleich in schwarze Wolken gehüllt, erweiterte sich, und wir bemerkten tief unter uns ein Dorf. Der Rauch schwebte über seinen Dächern, da ' ihn die schwere Luft des herannahenden Gewitters darniederdrückte. In der Tiefe wiefen nns ein Fischteich und ein Fluß ihre bleifarbenen Spiegel und begrenzten die abschüssigen Ufer. < Hwei dunkle Hügel erhoben sich am Flusse. Auf dem einen l stand eine Kirche des griechisch-russischen Ritus, auf dem anderen niedrigeren, mit Bäumen bewachsenen aber vermuthlich ein Hcrrschaftsgebäude, denn von dem grünen Hintergründe hoben sich Dächer ab und Wege und Rauchfänge schimmerten durch die Dunkelheit. Unter uns lag ein schwarzer, schmaler Damm, er fckicn von oben wie ein enger Weg zwischen dem Teiche und dem Flusse. Schnell fuhren wir bergab, und obgleich der Damm nicht so schmal war, als es in der Höhe schien, so war es doch in der Dunkelheit gefährlich, dreihundert Schritte zwischen dem brausenden Gewässer einerseits und dem ^ abschüssigen Strande andererseits zn fahren. Den ersten Tonner hurten wir auf der halben Hohe des ^ Berges und von dort hallte er an den Felsen des Thales wie- ^ der. Nachdem wir den Damm überschritten, fiel plötzlich ein unendlicher Regen. Auf ein Mal kommt hinter uns ein Mann angeritten und ruft uns zu: „Mir nach, edler Herr! Im Dorfe gibts kein Nachtquartier — Ihr müßt zum Schlosse reiten!" Es war weder Zeit noch Ort, nach dem Manne zu fragen, und es war auch gar nicht nöthig, denn meine Leute folgten dem Reiter und hieben tüchtig auf die Pferde ein, und die Blitze leuchteten, das; wir uns nicht ans den Augen verloren. Ich merkte, wir hätten den Weg nach dem bewachsenen Hügel eingeschlagen. Eine Brücke, die wir ftassirten, bewies, daß wir uns auf einer Insel befänden. Schon öffnete ein schönes Portal in dieser wilden Nacht gastfreundlich seine Thore. ' Als wir uns dem Schosse näherten, sahen wir alles so hcll. wie bei Tage. Das Gewitter entlud sich eben über unseren Häuptern i und die Blitze leuchteten unaufhörlich. Aus allen diesen taufenden ^ wand sich ein Blitz hervor in unversieglichem Feuer, der Tonner scholl, wie die Vaßtöne einer gewaltigen Orgel; alle die Pappeln, ! die den Hof umgaben, ja jedes Sandkorn auf dem Fahrwege konnte ich unterscheiden. Vor mir stand ein prachtvolles Schloß nach neuester Bauart, außen mit eingemauerten Wappenschildern. Als ich in die bedeckte Vorhalle cinritt, schien eZ, als träte ich bei zauberischem Lichtscheine in ein Feenschloß. Es mußte draußen hell gewesen sein, denn als ich mit meinem Führer in die gut beleuchtete Säulenhalle eintrat, dünkte , es mich finster. Mein Begleiter legte seinen durchnäßten Mantel ab, und ich sah vor mir einen Mann in mittleren Jahren und ' von angenehmen Aeußern. „Ich bin der Herr des Hauses," sagte > er, „als einer erblichen Besitzung: es ist meine Pflicht, die Reisenden aufzunehmen, die ein Gewitter auf meinem Vesitzthum überrascht. Erlauben Sie mir also, meiner Verpflichtungen gegen Sie gerecht zu werden." Mit diesen Worten geleitete er mich in das Schloß. Wir betraten das erste, hernach ein zweites ^ und ein drittes Zimmer. In diesem Letztern waren die Mit- ! glieder des Hauses um den Theetisch versammelt. > „Mein Gemal, mein Vater!" schallte es uns entgegen, j „wie konntest Tu uns so lange in dieser peinlichen Ungewißheit lassen; eine halbe Stunde schon verlebten wir in Todesangst. In solchem Sturme, bei diesem Unwetter draußen in der grausen Nacht!" — „Ich komme wohlbehalten," sagte der Hausherr, „und seht! nicht allein. Ihr denkt, in dieser stürmischen Nacht sollte Jeder zu Hause sitzen, aber da fand ich cinen Gefährten unter freiem Himmel und obenein auf der Reise. Vertretet meine Stelle bei ihm, bis ich meine nassen Kleider wechsle. Erlaubt, mein Herr!" wandte er sich zu mir, „wen habe ich die Ehre, bei meiner Gemalin und meinen Töchtern anzumelden?" — „Ib bin Eduard T___, Gutsbesitzer und Edelmann aus der benachbarten Gegend." — „Vielleicht der Sohn des Obersten T------?" „So ists." — „Dann willkommen, Sohn meines Freundes. Sie sind im Hause eines alten Bekannten. Ich bin Hulynsky, vielleicht hörten Sie je den Namen aus ihres Vaters Munde? Liebes Weib, ich empfehle Dir Herrn T___: bald kehre ich zurück." Ich blieb in der Gesellschaft der Damen zurück. Frau von Hulynsky war eine Frau in den besten Jahren und wohl erhalten ; zwei Töchter an ihrer Seite, das lebendige Abbild ihres Vaters. Es waren Blondinen mit blauen Augen und schmaler Taille und sechszehn bis sicdenzehn Jahre alt. Der Jüngeren Antlitz craMete in rosiger Verlegenheit, als sie den unbekannten Jüngling erblickte, der so Plötzlich in ihre Gesellschaft gebrochen und der unwillkürliche Eindruck jenes Augenblickes war die Ursache einer unauslöschlichen Verschiedenheit des Internes für die Schwestern. Am andern Ende des Zimmers standen noch drei ältliche Männer, anscheinend Hausfreunde des Herrn v. Zulynsky. Frau v. Hulynsky wandte sich gleich nach dem Zurückziehen ihres Gcmals mit besonders offener Freundlichkeit zu mir, wie es schon die Art einer liebenswürdigen Hausfrau ist: „Auf der Reise und nach einem solchen Unwetter wird Ihnen gewiß eine Tasse Thee nicht unangenehm sein. Darf ich bitten?" Mit diesen Worten lud sie mich ein, am Tische Platz zu nehmen, der wie gewöhnlich zum Thee gedeckt war. Sie schob einen Stuhl hinzu, während noch am Theekessel die Weingeistflamme leckte. Die ganze Gesellschaft fetzte sich nun mit mir zngleich zu Tische. Ick als Fremdling sah mich indessen mit Interesse im Zimmer um. Mehrere Gewehre und andere Waffen hingen geschmackvoll geordnet umher. Die Sesseln, das Kanapee, sowie auch die übrigen Einrichtungsstücke waren mit weiß und blauem Sammet tapeziert. An den Wänden waren einige Gemälde in Mahagoni-Rahmen, zwar nicht viele, aber ausgesuchte Arbeiten. Obcr dem Kanapee, worauf wir saßen, hing das bekannte Gemälde von Vernet „Der Tod des Fürsten Poniatovski bei Leipzig," diesem gegenüber ein zweites von demselben Meister: „Die Eroberung von Samo-Ticra durch die Polen." Auf einem besondern Platze an der Wand hingen zwei größere Gemälde, anf dem einen war das Meer abgebildet; der Mond sckien trübe aus den Wolken auf die, biZ auf den Grund aufgewühlten Fluten des Oceans ' auf dem felsigen Strande stand ein Mann tief in Gedanken, die Hände auf der Brust übereinander geschlagen starrte er in die trostlose Gegend: die Ränder seines Hutes waren aufgestülpt, der Rock zugeknöpft: hinter ihm drängte sich die wogende Menge des Voltes. Dies Bild wies auf einen Mann hin, einzig in der Welt und in der Geschickte. Das zweite Bild war jenem ähnlich, aber noch trauriger. Ein wüstes Felo brcitete sich weithin aus, auf allen Seiten gähnten furchtbare Abgründo; in der Mitte der Szenerie lag ein einfacher Grabstein, einige Trauerweiden senkten ihre düstern Aeste auf ihn nieder. Aus der Ferne schimmerte das Meer und die blaue Luft durch die Zweige der Weiden; oder war das vielleicht eine optische Täuschung, gleich den Bildern auf den Wänden umher? . . . Unter dicscn zwci Gemälden hing ein drittes kleineres: Ein Kind mit langen, blonden Haaren, mit einem blauen Gürttl um die Hüften. Auch dies war unschwer zu errathen. Die Geschichte dieses Kindes ist seit den Zeiten Konradins von Hohcnstaufen bis auf unsere Zeit vielleicht das pathetischste Drama des neuen Enropa. Die anderen Gemälde, deren noch einige in diesem Zimmer hingen, waren fast alles Stücke von Vernct: „Der Tod des Tambours," „Der Pflüger, der das Kreuz der Ehrenlegion aus der Erde ackert," und fönst noch welche, deren ick mich noch gut erinnere. Ueber dem Kamine zeigte ein Bild von englischer Arbeit „Die Befreiung des KoZciusko aus dem Gefängniß durch Czaar Paul." Unter diesem war eine gewöhnliche Lithographie: auf einem Grabe, umgeben von Trophäen, standen die Worte: ?lmii66 ^Vliisoxnvin (zur Erinnerung an die Heerführer) und etwa dreißig Namen schimmerten umher in Lorbcerkränzcn. „Wann kehrten Sie von Warschau zurück?" fragte mich Frau v. Zulynsky. — „Bald vor drei Monaten." — „Nun, so haben Sie Gelegenheit gehabt, sich in der Gegend umzusehen. Wie gefällt sie Ihnen?" — „Ich darf mün Urtheil nicht übereilen. Ich richte nicht nach Andern. Das aber, was ich selbst in diesen drei Monaten hier gesehen und beobachtet, erfüllt mich mit der Ueberzeugung, es gäbe nichts Leereres und Reizloseres, als das Leben in den Steppen der Ukraine." — „Wie das?" fragte Frau v. Zulynsky lächelnd. „Vielleicht glauben Sie, wie vicl Andere auch, besonders unsere Nachbarn in Volhynicn, wir in der Ukraine seien Tante's ^eräiw Fsnte, ein Volk, daZ schon auf dem Styr säße? . . . . Obgleich wir Sie bisher nicht persönlich gekannt, so können wir doch unmöglich glauben, Sie bestätigten ein so ungerechtes Vorurtheil." — „Gott bewahre! Ich lieh niemals dem Vorurthcil ein geneigtes Ohr und bin weit entfernt zu glauben, der Dnjepr und Nof; seien die Gewässer des Styx, ich hielt sie als Grenzen der Ukraine in Ehren, voll heiliger Denkmale, als das Thor dieser ftoesiereicken Ukraine, der Ieimat der Schlachten und Lieder: in der Ferne schon träumte ich von ihnen." — „Das kommt daher, mein Freund, weil Sie sich selbst über die Sache getäuscht haben," sagte Herr v. Zulynsky, der eben eintrat. „Die nackte Wahrheit mußte allerdings matt und enttäuschend erscheinen gegenüber dem Vilde einer feurigen Phantasie, obgleich unsere Gegend reicher ist an vorzüglichen poetischen und historischen Denkmalen, als irgend ein anderes Land." — „Weis; Gott," erwiderte ich, „wo diese Denkmale der Poesie und Geschichte sind? ^uimu8 I°i'O68 und sindZ nicht mehr! Ueberschwemmungen und der Zahn der Zeit halben sie zerstört." — „Da haben Sie recht," lachte Herr v. Zu-lynsky. „Es ist wahr, die Ukraine ist nicht jenen Gegenden ähnlich, welche man allgemein romantisch und historisch nennt; in Teutschland, in Frankreich und Spanien erheben sich allcnt-haben auf den Gipfeln der Felsen, in den Niederringen verborgener Thäler herrliche Bauten aus der alten und neuern Zeit, welche dem Beschauer die Geschichte des Landes vors Auge führen. Da stehen die Bilder der Ritter und Heerführer, man sieht die Rüstungen, die sie getragen, auf den Hakennägeln in den Burgen, worauf sie sie selbst zu hängen pflegten in längst verflossenen Jahrhunderten; nnd um alle diese materiellen Zeugen der Vergangenheit gruppirt sich die Geschichte. In der Ukraine hingegen schweigt die Geschichte unter den umgeackerten Grabhügeln, sie verhallte in dem Winde, der sie hin trug zu irgend cinem Ansiedler auf den öden, zerklüfteten Fluren und der hüllte sie in das grobe Gewand seiner Verstandcskraft. Niemand kommt hier auf ihre Spur, Niemand findet, Niemand kennt sie. Zwar, man muß auch bedenken, an wie vielen und verschiedenen, socialen und politischen Umwälzungen, in wie verschiedenen Zeitabschnitten sich die Ukraine, von der wir reden und in der wir leben, betheiliget. Hier liegt die Poesie und Vergangenheit in vielerlei unter sich gänzlich verschiedenen Gestalten begraben und man darf sie nicht ungeschickt durcheinander mengen. Dem Unerfahrenen bietet sich nicht ein klares Vüd der Vergangenheit dar, sondern ein ungestaltiges Chaos. Wer sich genau umsieht und fleißig forscht in diesem Nebelgewirre der Geschichte, der findet den wahren Maßstab und das System, nach welchem es aufgebaut. Die einzigen Mittel dazu sind Zeit und Fleiß. Wahrhaftig, ich sage Ihnen, mein Freund, die Dichter, zu wenig vertraut mit der Geschichte der Ukraine, welcher sie den Stoff zu ihren Arbeiten entnehmen, verfehlen leicht den rechten Weg, und da sie nicht merken, daß sie in Allgemeinheiten versunken, häufeu sie gestaltlose Bilder aus der Ukraine auf und Szenen aus dem Kosakenleben, verdrehen die historische Wahrheit und schaffen nicht, nein, sie entstellen das Gemälde der natürlichen Nomantik und Poesie unserer Steppen." Unwillkürlich schoß mir das Blut inZ Gesicht, als ich die letzten Worte vernahm, denn es schien ja, als wüßte Herr von Hulynsty um alle meine poetischen Sünden und als hätte er in Vogdan's Dichtungen alle die matten Versuche gelesen, mit denen ich mich drei Monat abgemüht. Da ich selbst mit ihnen nicht zufrieden war und sie zuletzt für nichts anderes, als für Skizzen aus meinem Leben in der Ukraine betrachtete, so mußte ich die Ansichten des Herrn v. Zulynsky als durchaus gründlich und gerecht anerkennen. Man rief uns zum Abendessen — wir begaben uns in das Speisezimmer. Mir wies man meinen Platz zwischen der Hausfrau und jenem Fräulein an, das bei meiner Ankunft er- röthet. Außer einigen andern Hausgenossen waren alle jene Personen zugegen, mit denen ich bis jetzt verkehrt. Ich erfuhr, jene drei Männer, die ick zuerst gesehen, seien Flüchtlinge aus den noch unaufgeklärten politischen Stürmen, welche in diesem gastfreundlichen Hause einen Zufluchtsort nach langen Irren gefunden. Der Verkehr mit ihnen war ausnehmend angenehm, die Unterhaltung spannend, ihre Ansichten über die Angelegenheiten der Ukraine gereift und überlegt. Der Anblick dieser ehrwürdigen Gesichter und der weißen oder halbergrauten Häupter dieser Sprecher, die im Schoße einer fremden Familie lebten, alles dies steigerte das Interesse an dieser angenebmen Gesellschaft. (Fortsetzung folgt,) Zur Sage vom Wassermann. Von Ludwig Ger m o n i k. (S ch l u ß,) In den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (7. Aufl. Göttingen 1857, 3 Bde.) fand ich diese Sage nicht vor und die Nixe vom Teiche hat damit keine Aehnlichkcit. Das Gleiche gilt vom „Wassermännlein," dessen in den oberöslcr-reichischen Voltssagen I>. Amand Vaumgarten im 24. Beriä-t des Linzer Museums unter andern erwähnt und dem auch eine komische Auffassung zu Grunde liegt. — Die Sage von der Savenire scheint nicht aus der slavischen Vorzeit hcreinzuraicn, sondern von dem deutschen Ritterthume, in dessen Leben fie eingreift, in die slovenischen Lande verpflanzt worden zu sein. Ein Rückblick in die antike Welt, welche das Wasserelcment mit Gottheiten, Nymphen (Najadcn, Hyaden und Plejadcn) und auch die Flüsse mit Göttern bevölkerte, liegt nur im entfernteren Vereich der gegenwärtigen Darstellung. Es liegt unserer Aufgabe näher, uns zur deutschen Sagenwelt zu wendcn. In I. Grimms deutscher Mythologie (Göttingen, 183 5), an der Stelle, welche von Wassergeistern handelt, heißt cö, daß der Wassermann schon ältlich und langhaarig vorgestellt wird, wie der römische Halbgott, aus dessen Urne dcr Fluß quillt. ,,In 6in6in äüm8oli6ii voiksiisä 1i6dt äsr nökke 86111611 11Ä886I1 dlN't in (Ü6 1iöll6, 61' ti'ä^t F1'Ü11611 Iiut, Ulicl ^V61111 61- ä611 muilä di6(ckt ÄÄlt mau 861116 F1-ÜI16I1 Mi116, LMV6Ü611 liat 61- äi6 F68w1t 611163 1'ÄUii1iUg,1'i^6I1 ^vilä611 Kiiad611, LMV6Ü611 Hj,6 61U68 F6idi00kiF611, mit 1'0t1i61' mütx6 Äiif ci61U Illnipt. 1^1X611 61'80li6il1611 in ä61' 8011116 8it?6Iiä, ilii'6 1miF611 1iUU1'6 Ki1mm6Iiä, oä61' kuoli mit ä6m 0l)6i't1i6i1 Ä63 I6id8, äsi- V0U Iio1i6i- 8011011-1i6it i8t, U118 >V611611 Wue1i6iiä. ä6ii Imt6i't1i6i1 soll, N'iß d6i 8ii'6!1611, 6ii1 k80iiU1'tiF61- 80ii^VÄ112 Mcl6U ..." Wie man sieht, scheint bei den Deutschen nur der weibliche Wassergeist mit Iugendreiz und Schönheit ausgestattet zu sein und den verführenden Dämon zu spielen, welcher Umstand auch aus ihren Poesien hervorgeht. Außer Kinkels Ballade sei beiläufig auch Göthe's Fischer und Heine's Lorelei gedacht. Auch andere deutsche Dichter, darunter Lenau, haben die Sagen von den Meerfräulein und ihren Sirenengesängen poetisch verwerthet. — Bei den Slaven ist der Wassermann ein Jüngling von hinreißender Schönheit, welcher mit dämonischer Gewalt das schönste Mädchen an sich lockt und entführt. Möglich, daß dieser geschlechtliche Unterschied in der Verschiedenheit des nationalen Eharakters liegt. Auch die Geschichte, welche einen Einblick in die Stellung der slavischen Frauen gestattet, ist nicht gegen diese Annahme. I. Grimm fährt fort:„ ... die nixen, nenn 3ie an8 land unter men3olien gelien, 8ind glsioli men3olilielien Jungfrauen gestaltet und gekleidet, nur an dem na836n Kleidersaum, dem na88sn xivkel der 3obürxe erkennbar. Hierdurob berübren 816 8ieli mit den 8olinaMmgfrau6n, Und N'i6 di686N 8cbleier Uiid Xltzider N6ggöN0MM6N N61'-den, 36txt auoli 816 da8 vorenthalten der bandsoliubo beim tanx in verlegonlieit. lanx, 6e8ang und MU81K sind, nie der Lids (Berggeist) anen die freude allsr na386r-gei8ter. In 8olineden «zrxänlt man von der l0ok6nden, bezaubernden neiss de8 stromkarl (Stromgeist): der ström- Kari8lag 8011 eilf Variationen Naben, von neloben man aber nur X6N6N tanken darf, die eilkto gebort dem naolit- o«3t und 861N6M beer: nollte man 816 auf8vie1en, 80 tingon ti8Äi6 und bänke, Kannen und beober, grei86 und gro88inütt6r, blind6 und labms, 86lb3t di6 linder in der niege an xu tanxen. Die36r spielende strömkarl Mit 810N gern 1)61 inüblen und na3seria,llen auf, davon beisst er i0886N'riui (k03, ^vQ336i'fäU), 68 13t 8Ä10N ai3 Üderr68t neidni8cker ovler Qnc;6külirt ^vord6n, dä88 man die8em dämoni86n6n ^V63LN 6in 8cn^vai'X68 lamm darbrachte und von idin dafür in der mu3ik unterriontet nurde. auen der ko886Frim loÄlt in 8tiI1en, dunklen adenden di6 men-3onen duroir ^eine mu3ik, und lolirt Feig'e oder andere8 3ait6ii8vi6i den, der inm donner8taF ad6nd8 mit ad^e-^vandtem naunt ein ^vei3363 oöo^Iein ovt'ert und in einen nordnärw 3trömenden >va88erlaI1 nirft. 13t das opler mager, 80 dringt 63 der lenriilig- nicckt weiter, al8 7.um 8timinen der ^eiFo, 13t 63 ads/ kett, 80 greift der fo886-Frim über de3 8pie1mann8 reonte Hand, und tunrt 8ie 80 lanFS nin und Iier, di3 da3 dlnt au8 allen tinger-sMxen 8xrin^t, dann 13t der ledrlwg' in 8ein6r Kun8t vollendet und liann 8pielen, da38 die däume tanxen und die ^va33er in ilirem lall 3till 3tenen. Odtz'leicli da3 Lliri8tentlium 8olelie ovfer unter^t und die alten ^va386rFei3ter al3 teuni3o1ie ^veseii dar8tellt, 80 k6nält da3 vollc doeli 6ine ^e>vi886 8olieu und ver-enruiiF 06i und liat aoon nickt" allen ^landen an ilire inac-lit und iliren einnu83 aufgeg6l)6n . . . ^U886r dem freiwilligen opker kür untern ei-8ung in 8einer lvUN8t forderte der nix aber auoli die dardrinn'ung gra.u8amer und g ex^vun gener, deren andenken in fast allen üderliekerungen de3 volll8 fort-dauert. ^lan xnegt 810I1 nocli ^etxt, nenn men8onon im ^ Ku33 ertrinken, au8xudrüclven: „der tlu33g6i8t forders seinMirlioli63 opfer" genöluilicli „ein un8oduldige8 Kind." V168 nei8t auk nirliliene, dem nicliu8 (Wassergeist) in ur-alter lieidni8olier xeit gedraolite men8Lii6N0^fer nin. vem viemelnix nirlt inan allMirlion drot und frücnts liinad. Henerliaupt gelit. durck dis na386rg'6i8t83gen ein xug von gra.U8amlieit und dlutdur8t, der uei dämonen der berge, nälder und näu86r nient leiont vor-kommt., ^liclit allein men8clien, deren der nix genaltig nird, tödtot er, 8ondern er übt aucn blutige racbe an 86inen l6uten, di6 an8 land g63ti6gen 8ind, mit den M6N8olien UMF6I16N und nieder nurüolc l^ebren. >Venn ^ 3ioli die 8ee^ungfern beim tanx ver8vätet baben, ^veim ! die entlübrte (^liri3tin dsm nix ein Kind gebiert, nenn de3 na886rmann8 Kind 8ßinem ruke xu 8pät genorobt, 30 ^ 3ielit man einen blut8trabl ^ au3 der tiefe des genä8- ^ "' Sich Schluß dcr Ballade Kiukcls. ! 86rs empor 8ciiie38en xum ^ionen d6r vollbraont6n un-tliat. genölinlion nar daneben ein and6re8 Fün3tiF65 xeielien (ein 3tralil milob, ein teller mit ein6in axlel)-verabredet, da8 dann au3bleibt." Soviel über die Sage vom Wassermann und den Wassergeistern im Allgemeinen, wobei ich auch nicht streng hinzu Gehöriges, das mir jedoch interessant schien, mit einstießen machte. Am Schlüsse möge noch Einiges über die Comvosition und den NythmnZ der PreZern'schen Ballade erwähnt sein. Ter Wassermann gehört nebst der Nosamunda von AuerZ-vcrg zu den bedeutenderen epischen Gedichten unseres Tichters. Ist in der Nosamunda die begebcnhcitliche Abwechslung, die Plastik, welche mit wenigen aber umfassenden Zügen die lebcnZ-vollsten Scenen vor das Auge des Lesers zaubert, und der dramatische Gang dcr Darstellung vorherrschend, so macht sich hicr die Schilderung geltend, welche in dem Maße, als die Handlung geringer, Personen und Scenen ausführlicher beschreibt. So z. V. wird dcr Charakter dcr Nosamunva nur mit hochfahrend und jähzornig bezeichnet, wogegen dem Trcibcn dcr koketten Maid dcs Wassermannes ein paar Strophen, der Beschreibung dcs Tanzes und dem furchtbar nahendem Sturme mehrere Zeilen gewidmet werden. Wie bereits erwähnt, nahm Pre^ern scincn Stoff aus Valvasor, den er in seiner Art und nickt wie Sckiller oder Göthe idcalisirte. Er mahnt eber an Bürger, dessen Lcnore er mit dem glänzendsten Erfolge übersetzte, und ist i,r allen seinen Poesien cin voller realistischer Zug unverkennbar. Um die Kraft, Ausdruäsfähigteit und den Schwung der Sprache,, welchcr Pre3ern als dcr erste Kunstdichtcr der Slovcnen, cin künstlerisches Gepräge verlieh, zu erproben, war besondere Gelegenheit geboten. Welches Anfsehcn nnscr Dichter gleich bei seinem Erscheinen machte, beweist unter andern Murko (1832), welchcr das in Ncdc stehende Gedicht als cin Muster echt nationaler Dichtung enthusiastisch empfehlend, in die Lefcübungen aufnahm. Preßern nannte das aumuthige Opfer des Wassermanns zuerst Salila und die Beibehaltung dieses Namens schien mir für den deutschen Leser entsprechender. Auch knüpft sich daran cin anekdotischer Bezug, wie dies häufig bei unserm Dichter vorkommt. Nosalia hicß cin liebliches Wirthstöchtcrlein des vulgo Tolcnz (Nr. 20) in dcr Karlstädter-Vorstadt von Laibach^ welches dcs Dichters Aufmerksamkeit crrcgt hatte. Halb zürnend halb scherzend übte er poetische Nachc, weil ihm nicht die gleiche Aufmerksamkeit ward. Mehr absichtlich als zufällig mag in dcr zweiten Zeile dcr fünften Strophe das Wortspiel (?r68erna 86-brani) sein, mit wclchcm dcr Dichter seinen Namen dem Gedichte einsticht. Die so gefeierte Nofalia lebt noch in Untcr-train als stattliche Matrone. Ein Bild von ihr hatte LanguZ-gemalt. Was den Nythmus betrifft, fo suchte ich denselben in der Ucbersehung auch beizubehalten. Die Bewegung dcs Tanzes^ dcr Wcllcn, des Sturmes erforderte den springenden Daktylus,, die größere Schwierigkeit jedoch verursachte der dreifache weibliche Neim. Obgleich die deutsche Sprache wegen ihres vor-' herrschend jambischen Charakters und der größeren Gebundenheit in der sprachlich richtigen Stellung dcr Wortc dicscZ Versmaß nicht zu begünstigen scheint, hat sie doch schöne Beispiele dieser Gattung, wie in Schillers „Würde dcr Frauen," SaliZ' ,,Aufmunterung" u. s. w. auszuweisen, am reinsten ader ist dies Versmaß in Göchcs „Hochzcitlied" behandelt. Bei unserer Ballade aber durste man sich neben den erwähnten Schwierig-' keilen nicht zu weit vom Gedantcnausdruck des Originals entfernen und noch die Caefur beobachten, die der Dichter unter 84 Verszcilcn nnr cin paarMal übcrfchritt. Vcrantwortlichcr Ncdacttur I. v. Klcinmayr. — Drnck und Vrrlag von I. v. Kleinmayr