Jezikoslovni zapiski 21 • 2015 • 2 _ 191 IMarija Peric - Anita Pavic Pintaric Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen der Bewertungskategorie Affekt COBiss: 1.02 Model za določanje frazemov vrednotenjske kategorije afekt V prispevku so obravnavani frazemi kot jezikovna sredstva za izražanje afekta v okviru vrednotenjske teorije Martina in Whita (2005). Frazemi ne izražajo čustev nujno eksplicitno s pomenom, ampak predvsem v določenem kontekstu. Na podlagi štirih dejavnikov je predlagan model za določanje frazemov vrednotenjske kategorije afekt, predstavljen pa je ob dialogih iz romana Helden wie wir (Junaki kot mi) Thomasa Brussiga. Ključne besede: frazemi, vrednotenjska teorija, afekt, nemščina, literarni dialogi A model for defining phrasemes in the affect category of appraisal theory This paper investigates phrasemes as language means for expressing affect within the concept of appraisal theory developed by Martin and White (2005). Phrasemes do not exclusively express emotions explicitly, but in a certain context. We propose a model for determining phrasemes in the affect category of appraisal theory based on four factors. The material for testing the model is excerpted from dialogues in the novel Helden wie wir (Heroes like Us) by Thomas Brussig. Keywords: phraseme, appraisal theory, affect, German language, literary dialogues 1 Einleitung Phraseme1 werden häufig als expressiv-emotional oder als Einstellungsausdrücke bezeichnet (vgl. z. B. Fleischer 1997). Sichovä (2010: 81) schreibt: »Phraseme sind ein Mittel par excellence, mit dem Emotionen (wenn überhaupt) sprachlich relativ prägnant zum Ausdruck gebracht und beschrieben werden können.« Mit Phrasemen werden Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen ausgedrückt. In diesem Beitrag befassen wir uns mit Phrasemen, mit denen die Bewertungskategorie Affekt im Sinne von Martin und White (2005) ausgedrückt wird. Es gibt bisher wenige Auseinandersetzungen mit den Fragen, wie eben emotive Phraseme ihre Bedeutung realisieren oder 1 Dieser Beitrag lehnt sich an die Masterarbeit von Marija Peric, verfasst 2015, an. Wir verstehen unter einem Phrasem eine Kombination von Wörtern, die genau in dieser Kombination bekannt ist (vgl. Burger 2010: 11). Phraseme im engeren Sinne haben Polylexikalität, Festigkeit und Idiomatizität als Eigenschaften. Unter Idiomatizität versteht man die Umdeutung, d. h. die semantische Transformation von Komponenten in einem Phrasem (vgl. Palm 1997: 9). Die Motivierbarkeit eines Phrasems kann man durch Bezugnahme auf die Komponenten, die das Phrasem konstituieren, beschreiben und ist im engen Zusammenhang mit der Idiomatizität, d. h. je stärker motiviert ein Phrasem ist, umso schwächer ist seine Idiomatizität und umgekehrt (vgl. Grzybek 2007: 192, Burger 2010: 69). 192 _ Marija Peric - Anita Pavic Pintaric • Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen ... auf welche Weise sie ihre Funktion erfüllen. Wir haben vor, an Phrasemen aus dem Roman »Helden wie wir« von Thomas Brussig (im weiteren Text HWW), einem Werk der Wendeliteratur aus dem Jahr 1994, das Modell für die Analyse der emotiven Phraseme in literarischen Dialogen vorzuschlagen. In diesem Roman geht es um ein fiktives Interview mit der Hauptfigur Klaus Uhltzscht, der überzeugt ist, dass gerade er die Berliner Mauer abgerissen hätte. Klaus ist ein junger Mann mit einem komplex strukturierten Charakter, der seine Probleme und Ansichten von der Kindheit an beschreibt. Er fühlt sich minderwertig, weil seine Eltern ihn stets abgewertet haben. Seine Lebensgeschichte wird gerade aufgrund seiner Persönlichkeit und Komplexität auf eine humorvolle Art und Weise und im ,niederen' Stil2 beschrieben. Diese literarischen Dialoge wurden ausgewählt, da sie viele Phraseme enthalten und eine Analyse des Kontextes ermöglichen. In der Analyse bedienen wir uns der Einteilung von Martin und White (2005), nach der emotive Phraseme in drei Gruppen beschrieben werden: Affekt als Eigenschaft, Affekt als Prozess und Affekt als Kommentar. Diese Autoren unterscheiden des Weiteren zwischen positiven und negativen Emotionen und beschreiben sie nach sechs Faktoren. In unserer Analyse fügen wir noch die pragmatischen Funktionen der Phraseme nach Fleischer (1997) zu. Gerade anhand der Funktionen von Phrasemen kann gezeigt werden, dass Phraseme und Emotionen im festen Zusammenhang stehen. So z. B. führt Hyvärinen (2011: 27) Formeln an, die Emotionen oder Stimmungen des Sprechers ausdrücken und expressive Funktion aufweisen, z. B. Erstaunens-, Bedauerns-, Fluch- und Scheltformeln sowie Zustimmungsund Ablehnungsformeln, die emotiv gefärbt sind. Zusätzlich können Phraseme laut Fleischer (1997: 218ff.) Indikatoren des sozialen Verhältnisses zwischen den Kommunikationspartnern sein, die emotional betonte Einstellung des Sprechers zu einem Sachverhalt ausdrücken, die ironische oder scherzhafte Distanzierung wie auch negative emotionale Wertung bezeichnen, eine euphemistische Wirkung haben, die Wirkung einer Argumentation durch Anschaulichkeit und Einprägsamkeit oder durch emotionale Akzentuierung einer Einsicht unterstützen, und können häufig in unterschiedlichen Situationen benutzt werden. Es wird in dieser Arbeit der Frage nachgegangen, wie man Phraseme, die zum Ausdruck der Bewertungskategorie Affekt verwendet werden, in literarischen Dialogen bestimmen und analysieren kann. 2 Bewertung Sprachliche Audrücke von Emotionen dienen primär der Bewertung (vgl. Fieh-ler 2010: 19). Die Bewertung ist die subjektive Anwesenheit des Autors oder des Sprechers, die etwas billigen, missbilligen, kritisieren oder Zustimmung zu 2 http://www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de/veranstaltungen/vorlesungen/20JhdtLiteratur/ XIIBrussig.pdf (27. 4. 2015) jezikoslovni zapiski 21 • 2015 • 2 _ 193 etwas ausdrücken (vgl. Martin - White 2005: 1). Man bewertet immer im Hinblick auf eine hierarchische Skala, die durch gesellschaftlich anerkannte und akzeptierte moralische, religiöse oder ästhetische Normen gegeben wird (vgl. Mikulovä 2012: 81). Bewertung besteht laut Thompson und Hunston (2003: 5f.) aus der Einstellung, dem Gesichtspunkt und den Emotionen des Sprechers oder Schreibers. Mit der Bewertung drückt man die Meinung des Sprechers oder Schreibers aus, reflektiert ein Wertesystem dieser Person, baut die Beziehungen zwischen dem Sprecher/Schreiber und dem Hörer/Leser auf und organisiert einen Diskurs. Die Bewertung ist am Wortschatz und grammatischen Strukturen erkennbar, d. h. einige Wörter sind ganz klar evaluativ. Die wertenden Lexeme können beispielsweise Adjektive bzw. Adverbien, z. B. wunderschön oder gigantisch, Nomen wie z. B. Rechtsextremisten und Aggression und Verben wie z. B. umbringen oder verscherbeln sein (vgl. Mikulovä 2012: 85f.; Thompson - Hunston 2003: 21). Martin und White (2005: 34f.) arbeiten ihr eigenes Modell der Bewertung im Rahmen der funktionalen Linguistik (Systemic Functional Linguistics) aus. Die Bewertung besteht aus drei Domänen: Einstellung, Anteilnahme und Graduierung3 (vgl. Mikulovä 2012: 82). Die Einstellung befasst sich mit den Gefühlen sowie emotionalen Reaktionen, Urteilen des Verhaltens und Einschätzungen. Durch die Anteilnahme »schafft sich der Sprecher/Schreiber einen Spielraum für seine eigene Position im Rahmen verschiedener möglicher Gesichtspunkte, ohne dass er einen dieser Gesichtspunkte notwendigerweise explizit annehmen müsste« (Mikulovä 2012: 83). Die Graduierung behandelt das Phänomen der Bewertung und bezieht sich darauf, wie stark oder schwach eine Emotion ist, d. h. sie ist ein Mittel zur Abschwächung bzw. Verstärkung (vgl. Martin - White 2005: 37; Mikulovä 2012: 84). Einstellung umfasst Affekt, Urteil und Einschätzung4 (vgl. Martin - White 2005: 42). Urteil schätzt jemandes Verhalten ein5 und Einschätzung bezieht sich auf Meinungen, die unsere Bewertung bilden (vgl. Martin - White 2005: 35f.). Affekt, der für uns in diesem Beitrag wichtig ist, ist die emotionale Dimension der Bedeutung und bezeichnet positive und negative Gefühle und Reaktionen zu dem Verhalten, die weiter darauf hinweisen, ob man sich glücklich oder traurig, selbstsicher oder besorgt, interessiert oder gelangweilt fühlt6 (vgl. Martin - White 3 Martin und White (2005) führen die Begriffe attitude, engagement und graduation ein, die Mikulovä (2012) als Einstellung, Anteilnahme und Graduierung übersetzte. Diese von Mikulovä (2012) übersetzten Begriffe nutzen wir in dieser Arbeit. 4 Bei Martin und White (2005): affect, judgement und appreciation. 5 Man unterscheidet zwischen zwei Verhaltensweisen: dem Urteil der sozialen Wertschätzung, das sich mit Normalität, Fähigkeit und Beharrlichkeit befasst, und dem Urteil der sozialen Maßnahme, das sich mit Wahrhaftigkeit und Schicklichkeit befasst (vgl. Martin - White 2005: 52). 6 Fries (2007: 297f.) unterscheidet zwischen den Begriffen Emotion und ,Gefühl'. Unter Emotionen werden bestimmte durch Zeichen kodierte Bedeutungen verstanden, und bei Gefühlen handelt es sich um Prozesse mit unterschiedlichen Reaktionskomponenten. Weiterhin können Emotionen in Affekt (ein kurzzeitig ausgedrücktes Gefühl) und Stimmung (ein länger anhaltend ausgedrücktes Gefühl) eingeteilt werden. In dieser Arbeit wird Affekt nach Martin und White (2005) als ein Ausdruck der Emotion genutzt. 194 _ Marija Peric - Anita Pavic Pintaric • Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen ... 2005: 35). Jedes Gespräch umfasst eine Art von emotionaler Rede, weil man Emotionen auszudrücken oder zu verstecken sowie die Emotionen anderer Menschen zu bewerten und zu beschreiben versucht (vgl. Pavlenko - Driagina 2007: 213). Die Emotionen machen ein Gespräch lebendig (vgl. Planalp 1999: 10). Sie »schaffen sich Ausdruck, und sie beeinflussen unser Handeln, entweder indem sie das Handeln ,färben' oder zu neuen, unvorhergesehenen Handlungen führen« (Fiehler 1990: 1). Emotionen werden in literarischen Werken (vgl. Vankovä 2010: 12-13), besonders in Monologen und Dialogen ausgedrückt, und zwar sowohl mittels verbaler als auch nonverbaler Kommunikation, indem der Leser auf einer Seite die psychologischen Eigenschaften der Figuren wahrnimmt, und auf der anderen Seite bildet der Autor die Spannung (vgl. Pavic Pintaric - Schellheimer 2014: 258). Der emotionale Ausdruck trägt zur Authentizität der Figuren bei, bzw. ein Mensch wirkt erst dann überzeugend, wenn er authentisch handelt und seine Betroffenheit und Emotionen kommuniziert. Deswegen schließen die Autoren die Emotionen in ihren Texten ein (vgl. Jahr 2000: 2). Die Kategorie Affekt beschreiben Martin und White (2005: 35-46) als Eigenschaft, Prozess oder Kommentar. Der Affekt als Eigenschaft kann Teilnehmer beschreiben und ihnen Attribute zuschreiben sowie Art und Weise ihres Verhaltens beschreiben. Der Affekt als Prozess kann als ein mentaler Zustand oder als ein af-fektives Verhalten bezeichnet werden. Der Affekt als Kommentar hat ein modales Attribut, d. h. er bezeichnet, wie sich der Autor oder der Sprecher fühlt und bezieht sich auf seine Wünsche. Martin und White (2005: 46-49) schlagen eine Klassifizierung von Affekt mit sechs Faktoren vor. Erstens bestimmen sie, ob Emotionen von der Umgebung als positive oder negative Emotionen bezeichnet werden (positiver und negativer Affekt). Zweitens beschreiben sie paralinguistische oder extralinguistische Erscheinungsformen und entscheiden, ob die nonverbale Kommunikation und Art und Weise, wie man etwas sagt, wichtig sind. Sie unterscheiden zwischen dem Verhaltensprozess (z. B. She smiled at him), dem mentalen Prozess (z. B. She liked him) und dem Beziehungsprozess (z. B. She felt happy with him). Drittens unterscheiden sie zwischen einer Reaktion auf einige spezifische emotionale Auslöser und einer üblichen Stimmung mit unbekannten Ursachen. Viertens erklären sie die Graduierung der Emotionen, die sie mit Beispielen »The captain disliked leaving« (niedriger Grad), »The captain hated leaving« (mittlerer Grad) und »The captain detested leaving« (hoher Grad) erörtern, indem sie die Verben dislike, hate und detest gradieren. Fünftens beschreiben sie die Realität und die Irrealität einer Emotion, d. h. ob die Emotion eine Absicht (,irrealis') oder eine Reaktion (,realis') ist. Sechstens unterscheiden sie zwischen folgenden Gruppen der Emotionen: Un-/Glück bzw. Emotionen, die mit »Herz« verbunden sein können (Trauer, Hass, Glück, Liebe), Un-/Sicherheit bzw. Emotionen, die mit sozialem Wohlbefinden verbunden sein können (Sorge, Angst, Vertrauen), und Un-/Zufrie-denheit bzw. Emotionen, die mit »telos« (Streben nach einem Ziel) verbunden sind (Langweile, Unzufriedenheit, Neugier, Respekt). jezikoslovni zapiski 21 • 2015 • 2 _ 21 3 Das Modell zur Analyse von emotiven Phrasemen In Anlehnung an die oben genannte Einteilung im Rahmen der Bewertungstheorie und in Ermangelung eines Modells zur Bestimmung von emotiven Phrasemen schlagen wir folgende Schritte vor. Emotive Phraseme können im Hinblick auf vier Faktoren beschrieben werden. Zuerst müssen aus den Bedeutungsexplikationen die Emotion und die Affektkategorie, zu der diese Emotion gehört, bestimmt werden. Danach wird beobachtet, ob die Emotion im Satz gradiert ist, d. h. man muss das Phrasem, seine Bedeutung und den Kontext erklären und demnach entscheiden, ob die Emotion einen mittleren oder hohen Grad hat. Der Kontext ist in diesem Sinne wichtig, weil einige Phraseme ihre Emotionen erst dann realisieren, wenn man sie im Kontext betrachtet, z. B. das Phrasem sich wie zu Hause fühlen hat im Wörterbuch eine positive Bedeutung, während es im Kontext in diesem Roman Verzweiflung ausdrückt; ebenso hat das Phrasem mit keiner Wimper zucken eine neutrale Bedeutung, aber in diesem Roman drückt es die Unsicherheit aus. Letztlich wird die Funktion des Phrasems basierend auf Fleischer (1997) erläutert, was den Zusammenhang von Phrasemen und Emotionen beweist. I Emotion II Affektkategorie III Graduierung der Emotion IV Funktion der Phraseme Das Modell wird auf 27 Phraseme, die den Affekt bezeichnen, angewendet. Diese Phraseme werden folgenden Kategorien zugeordnet: Affekt als Eigenschaft, Affekt als Prozess und Affekt als Kommentar. Darunter unterscheiden wir zwischen positiven und negativen Emotionen, die entsprechend sechs Faktoren aus der Bewertungstheorie von Martin und White (2005) beschrieben werden. Die Reaktionen der Hauptfigur und die in diesem Zusammenhang verwendeten emotiven Phraseme basieren auf bestimmten emotionalen Auslösern, weil der Roman als Kommentar zu den Ereignissen konstruiert ist. Deswegen ist jede Emotion von den Handlungen direkt verursacht, so dass jede Ursache auch den Lesern bekannt ist. Die Phraseme werden entsprechend ihres Grades an Expressivität klassifiziert, der anhand von Merkmalen wie Betonung, kursive Wörter, Partikeln, Ausrufezeichen oder Ironie ermittelt wird. Da Phraseme per definitionem expressiv sind, können sie unserer Meinung nach nur einen mittleren und hohen Grad haben. Die Emotionen werden des Weiteren noch in Bezug auf ihre Realität bzw. Irrealität erläutert und in drei Affektkategorien eingeteilt: Un-/Glück, Un-/Sicherheit und Un-/Zufriedenheit. Am Ende werden noch die Funktionen der Phraseme entsprechend der Einteilung von Fleischer (1997: 218ff.) beschrieben. 134 _ Marija Peric - Anita Pavic Pintaric • Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen ... 3.1 Affekt als Eigenschaft Die Kategorie »Affekt als Eigenschaft« klassifiziert die Teilnehmer nach der Art und Weise ihres Verhaltens und schreibt ihnen Attribute zu. Diese Kategorie umfasst Phraseme, die Charaktere und ihr Verhalten beschreiben sowie ihnen Attribute zuschreiben. In dieser Kategorie gibt es 5 Beispiele, die alle negative Emotionen darstellen nämlich jmdn. in den Schmutz ziehen (Undankbarkeit), von einem Bein aufs andere treten (Unsicherheit), mit keiner Wimper zucken (Unsicherheit), sich bis auf die Knochen blamieren (Scham) und Theater machen (Aufregung, Verwirrung). Alle Emotionen in dieser Gruppe gehören zur Affektkategorie Unsicherheit', weil sie durch sozial begründete Befindlichkeiten motiviert sind. Das Beispiel von einem Bein aufs andere treten ist physiologisch manifestiert, und diese Bewegung signalisiert Unsicherheit. Drei Phraseme haben einen mittleren Grad (von einem Bein aufs andere treten - Unsicherheit, mit keiner Wimper zuk-ken - Unsicherheit und ein Theater machen - Aufregung, Verwirrung) und zwei einen hohen Grad (jmdm. in den Schmutz ziehen - Missachtung und sich bis auf die Knochen blamieren - Scham). Die genannten Phraseme stellen im Korpus eine Reaktion dar und tragen somit das Merkmal ,realis'. Die Funktionen der Phraseme sind unterschiedlich. Drei Phraseme sind Indikatoren des sozialen Verhältnisses (jmdn. in den Schmutz ziehen, sich bis auf die Knochen blamieren und ein Theater machen), während drei eine emotional betonte Einstellung des Sprechers schildern (von einem Bein aufs andere treten, mit keiner Wimper zucken und ein Theater machen). Im Folgenden zeigen wir die Analyse an einigen Beispielen. (1) (AT)7 »Die Welt soll ruhig wissen, dass hier ein undankbarer Sohn spricht, der sich sonstwie toll vorkommt, wenn er seine Eltern in den Schmutz zieht!« (HWW: 26) Das Beispiel (1) mit dem verbalen Phrasem »jmdn. in den Schmutz ziehen« stellt jemandes Verhalten dar bzw. der Satz bezeichnet Klaus als einen undankbaren Sohn, der seine Eltern verunglimpft. Klaus ironisiert sein Verhalten und beschreibt mit diesem Phrasem seinen mentalen Zustand. Das Phrasem gilt als Indikator des sozialen Verhältnisses, d. h. der Autor nutzt es, um die Beziehung zwischen Klaus und seinen Eltern deutlicher zu beschreiben. Die Bedeutung des Phrasems 'etw./jmdn. verunglimpfen, schlechtmachen' (Klappenbach - Steinitz 1974: 3263) weist auf die Emotion Undankbarkeit hin. Durch das Phrasem wird die Emotion nicht explizit ausgedrückt, sondern es beschreibt die Beziehungen zwischen Klaus und seinen Eltern. Der Satz ist ironisch und hat auch ein Ausrufezeichen, so dass man sagen kann, dass diese Emotion hohen Grades ist. Diese Emotion gehört zur Affektkategorie Unsicherheit, weil die Undankbarkeit mit sozialer Verhaltensadäquatheit verbunden ist. 7 AT ist die Abkürzung für den Ausgangstext. jezikoslovni zapiski 21 • 2015 • 2 _ 135 E:8 Undankbarkeit AK: Unsicherheit GE: hoher Grad FdPh: Indikator des sozialen Verhältnisses (2) (AT) »Ich kaufte vier Garnituren auf einmal. Die Verkäuferin zuckte mit keiner Wimper. Was denkt sie über jemanden, der solche Bettwäsche bunkert?« (HWW: 87) Das Phrasem im Beispiel (2) ist verbal: »mit keiner Wimper zucken« mit der Bedeutung 'sich seine Gefühle nicht anmerken lassen, Schmerzen standhaft ertragen; kein Zeichen von Angst, Erregung, Anteilnahme geben' (Röhrich 1991: 1731). Hier wird wieder das Verhalten dargestellt, indem das Phrasem eigentlich einen Mangel an Emotionen ausdrückt. Das Phrasem enkodiert eine emotionale Einstellung des Sprechers zu einem Sachverhalt bzw. die Gleichgültigkeit der Verkäuferin, die keine Reaktion auf die Handlungen der Hauptfigur zeigt. Das Verhalten der Verkäuferin wird hier mit diesem einfachen Satz beschrieben. Dieses Beispiel bezeichnet den Mangel an Emotion, d. h. die Hauptfigur erwartet eine Reaktion auf sein Verhalten, und nichts passiert. Trotz der Bedeutung des Phrasems löst die mangelhafte Reaktion der Verkäuferin Unsicherheit aus. Demzufolge kann die neutrale Emotion Gleichgültigkeit als die negative Emotion , Unsicherheit' betrachtet werden, die auch zur Affektkategorie , Unsicherheit' gehört. E: Unsicherheit AK: Unsicherheit GE: mittlerer Grad FdPh: emotionale Einstellung des Sprechers (3) (AT) »Er wird in seiner Abteilung Alarm schlagen. Sie werden den ganzen Berliner Verlag auseinandernehmen, und mein Vater wird sich bis auf die Knochen blamieren.« (HWW: 89) Das Beispiel (3) enthält ein Phrasem, das den Vater von Klaus beschreibt und ihm ein Attribut zuschreibt, d. h. die Figur wird sich blamieren und Scham fühlen. Das Phrasem kann in verschiedenen Situationen genutzt werden und gilt als Indikator des sozialen Verhältnisses zwischen Figuren, es bezeichnet einen mentalen Prozess. Duden (2007: 971) schildert das adverbiale Phrasem »bis auf die Knochen« als 'bis ins Innerste, durch und durch', während Röhrich (1991: 859) den kompletten Ausdruck »sich bis auf die Knochen blamieren« als 'ein unangenehmes Missgeschick' 8 In den Beispielen werden folgende Abkürzungen benutzt: E - Emotion, AK - Affektkategorie, GE - Graduierung der Emotion und FdPh - Funktion des Phrasems. 136 _ Marija Peric - Anita Pavic Pintaric • Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen ... erklärt. Demnach weist das Phrasem auf einen hohen Grad an Emotionsausdruck hin, weil die Wörter, die mit dem Verb ,sich blamieren' zusammenhängen, auch als ein zusätzliches Phrasem, das das Verb intensiviert, verstanden werden können. Die Emotion ,Scham', die sich in diesem Phrasem befindet, gehört zur Affektkategorie Unsicherheit. E: Scham AK: Unsicherheit GE: hoher Grad FdPh: Indikator des sozialen Verhältnisses 3.2 Affekt als Prozess Der Affekt als Prozess bezieht sich auf mentalen Zustand und affektives Verhalten einer Person. In dieser Kategorie gibt es 6 Beispiele, wovon 2 positive Emotionen, nämlich jmdm. in die Augen sehen können (Stolz) und die Zähne zusammenbeißen (Mut) und 4 negative Emotionen schildern, etw. ist mir in Fleisch und Blut übergangen (Verzweiflung), einem etw. unter die Nase reiben (Missachtung), einem etw. in die Schuhe schieben lassen (Ärger) und jmdm. platzt der Knoten (Ärger). Die Emotion Mut im Phrasem die Zähne zusammenbeißen gehört zur Kategorie ,Sicherheit', zwei Emotionen, Verzweiflung im Phrasem etw. ist mir in Fleisch und Blut übergangen und Missachtung im Phrasem einem etw. unter die Nase reiben gehören zur Kategorie ,Unsicherheit', während die Emotion Stolz im Phrasem jmdm. in die Augen sehen können der Kategorie ,Zufriedenheit' und die Emotion Ärger in Phrasemen einem etw. in die Schuhe schieben lassen und jmdm. platzt der Knoten der Kategorie ,Unzufriedenheit'zugewisen werden. Das letzte Phrasem erscheint im Korpus als Modifikation des Phrasems »jmdm. platzt der Kragen« in der Bedeutung 'jmd. wird über etw. so wütend, dass er es nicht länger hinnehmen kann' (s. Beispiel 6). Die Phraseme, die positive Emotionen ausdrücken, können auch negativ verstanden werden, z. B. das Phrasem jmdm. in die Augen sehen können wird meistens in der negativen Form genutzt und das Phrasem die Zähne zusammenbeißen kann außer Mut ebenso negative Zustände bezeichnen, d. h. jemand muss die Zähne zusammenbeißen, wenn die situativen Rahmenbedingungen als unangenehm empfunden werden. In dieser Kategorie gibt es ein Phrasem, das auf physiologische Manifestationen referiert (die Zähne zusammenbeißen). Drei Phraseme drücken einen mittleren Grad (die Zähne zusammenbeißen - Mut, jmdm. in die Augen sehen können - Stolz und einem etw. unter die Nase reiben - Missachtung) und zwei einen hohen Grad an Emotionen aus (jmdm. platzt der Knoten - Ärger und einem etw. in die Schuhe schieben lassen - Ärger). Diejenigen, die einen mittleren Grad haben, werden nicht durch Ausrufezeichen verstärkt und im Text nicht besonders hervorgehoben. Alle Beispiele beziehen sich auf die Reaktion und haben das Merkmal ,realis'. Die Funktionen der Phraseme sind unterschiedlich. Drei von ihnen jezikoslovni zapiski 21 • 2015 • 2 _ 137 sind Indikatoren des sozialen Verhältnisses (jmdm. in die Augen sehen können, jmdm. platzt der Knoten und einem etw. unter die Nase reiben), während das Phrasem einem etw. in die Schuhe schieben lassen eine emotional betonte Einstellung und das Phrasem die Zähne zusammenbeißen Argumentation durch Anschaulichkeit schildern. (4) (AT) »Und meine Mutter! Endlich konnte ich ihr in die Augen sehen! Nein, es war nicht umsonst, dass sie acht Jahre ihrer beruflichen Entwicklung meiner Erziehung geopferthatte.« (HWW: 14) Im Beispiel (4) wird mentaler Zustand von Klaus beschrieben. Er fühlte Schuld, weil seine Mutter ihre Karriere für ihn opferte und jetzt, als er etwas selbst schaffte, fühlte er sich stolz darauf und war nicht mehr beschämt. Das verbale Phrasem »jmdm. in die Augen sehen« gibt es bei Klappenbach und Steinitz (1974: 296) in negierter Form »jmdm. nicht in die Augen blicken, sehen können« und bedeutet 'ein schlechtes Gewissen haben'. Das Phrasem bestimmt das soziale Verhältnis zwischen Klaus und seiner Mutter und drückt Stolz bzw. einen Mangel an Scham aus, was die Beziehung zwischen zwei Personen bezeichnen kann. Klaus fühlt sich glücklich und ist stolz darauf, dass er endlich seine Mutter mit seinem Erfolg stolz machte. Mit dieser Emotion sind Beziehungen und Verhältnisse in der Familie beschrieben. Die Emotion in dem Satz ist Stolz' und sie hat einen hohen Grad, weil der Satz ein Ausrufezeichen, das die Emotion verstärkt, das Adverb endlich und hervorgehobene Negation in dem nächsten Satz hat. Die Emotion Stolz' gehört zur Affektkategorie Zufriedenheit, weil sie mit dem Streben nach einem Ziel verbunden ist. E: Stolz AK: Zufriedenheit GE: hoher Grad FdPh: Indikator des sozialen Verhältnisses (5) (AT) »Abgesehen davon - ich wurde nie gefragt. Ich lief mit meiner Legende herum, die niemanden interessierte. Aber gab es eine Wahrheit? Etwa, dass ich bei der Stasi anfange? Moment, Mr. Kitzelstein, das muss ich mir nicht in die Schuhe schieben lassen! Von Stasi war nie die Rede!« (HWW: 112) Das verbale Phrasem »einem etw. in die Schuhe schieben (gießen)« bedeutet 'jmd. einer Tat bezichtigen, ihm die Schuld an etw. geben' (Röhrich 1991: 1410f.). Das Beispiel beschreibt ein affektives Verhalten. Klaus fühlt sich frustriert und deswegen behauptet, dass sie ihm keine Schuld an etwas geben sollen. Seiner Emotionen wegen verändert sich sein Verhalten, d. h. er ist nicht mehr nur passiv und gehorsam, sondern zeigt auch, dass er keine Absicht hegt, als Sündenbock zu fungieren. Das Phrasem bezeichnet eine emotional betonte Einstellung des Sprechers, ohne 138 _ Marija Peric - Anita Pavic Pintaric • Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen ... die Emotion physiologisch zu manifestieren. Die Emotion weist auf die Beziehung zwischen den Figuren hin. Obwohl sich die Bedeutung des Phrasems eigentlich auf die Emotion Schuld bezieht, ist das Phrasem in dem Beispiel (11) negiert und bezeichnet die ,Aufregung', die Klaus fühlt, weil sie ihn zu einem Sündenbock machen wollen. Obwohl die Emotion Aufregung' sowohl positiv als auch negativ sein kann, ist sie in diesem Kontext negativ, weil sich Klaus schlecht fühlt, d. h. er ist nicht wegen einer positiven Situation aufgeregt. Die Emotion Aufregung' gehört zu der Affektkategorie Unzufriedenheit'. Sie hat einen hohen Grad, weil es in dem Satz ein Ausrufezeichen, das die Aussage hervorhebt und Emotionen verstärkt, befindet. E: Ärger AK: Unzufriedenheit GE: hoher Grad FdPh: emotional betonte Einstellung des Sprechers (6) (AT) »Es würde sicher ganz anders sein, wenn ich ihm das Gefühl geben würde, dass bei mir der Knoten geplatzt ist.« (HWW: 41) Das verbale Phrasem aus dem Beispiel (5) ist modifiziert, d. h. das Substantiv ,Kragen' ist mit ,Knoten' ersetzt. Duden (2007: 1011) erläutert das Phrasem »jmdm. platzt der Kragen« als 'jmd. wird über etw. so wütend, dass er es nicht länger hinnehmen kann'. Diese Bedeutung passt dem Phrasem im Satz, obwohl Klappenbach und Steinitz (1974: 2134) ein ähnliches Phrasem mit dem Wort »Knoten«, nämlich »bei ihm ist der Knoten gerissen, geplatzt«, erwähnen, das sie als 'er fängt endlich merklich an zu wachsen; er hat endlich etw. was für ihn schwierig war, begriffen' definieren. Diese Bedeutung dagegen passt dem Satz nicht. Das Phrasem bezieht sich auf das soziale Verhältnis zwischen den Kommunikationspartnern, d. h. das Phrasem zeigt, wie sich der Sprecher gegenüber einem Sachverhalt fühlt. Es gibt keine physiologische Reaktion, sondern das Phrasem bezeichnet einen Beziehung zwischen zwei Figuren. Die Emotion im Phrasem ist ,Ärger' aus der Affektkategorie , Unzufriedenheit' und sie hat einen mittleren Grad, weil die Hauptfigur die Emotionen auf eine ruhige Art und Weise vermittelt, obwohl es um eine starke negative Emotion geht. E: Ärger AK: Unzufriedenheit GE: mittlerer Grad FdPh: Indikator des sozialen Verhältnisses 3.3 Affekt als Kommentar Die meisten Beispiele gehören zur Kategorie Affekt als Kommentar', weil die Phraseme meistens die Emotionen und Wünsche des Autors beschreiben. Die Hauptfigur Klaus beschreibt die Sachverhalte und drückt seine Emotionen als ein jezikoslovni zapiski 21 • 2015 • 2 _ 139 Kommentar auf die Situation aus. Die folgende Klassifikation beruht eben auf dem Kontext in seinen Aussagen. In dieser Kategorie gibt es 17 Beispiele, wovon 2 positive Emotionen darstellen: auf der Wolke schweben (Glück) und in jmds. Haut stecken (Erleichterung), und 15 negative Emotionen, nämlich sein wortloses ,Ver-giss es!' saß im Nacken (Wertlosigkeit), wie Blei hängen (Zerschlagenheit), der Magen drehte sich um (Ekel, Unmut), Es ist zum Knochenkotzen (Verzweiflung), in jmds. Augen das schiere Entsetzen lesen (Entsetzen), mir wurde schwarz vor Augen (Angst, Panik), jmdn. zur Schnecke machen (Missachtung), etw. auf dem Gewissen haben (Schuld), sich wie zu Hause fühlen (Verzweiflung), mein Herz macht keinen Hüpfer (Gelassenheit), Angst saß jmdm. in den Knochen (Angst), jmdm. gefror das Blut in den Adern (Angst, Schrecken), im Arsch sein und völlig am Ende sein (Zerschlagenheit), sich am Boden vernichtet fühlen (Zerschlagenheit), sowie weiche Knie bekommen (Angst). Positive Emotionen können ebenfalls einen negativen Aspekt haben, z. B. auf der Wolke schweben hat in diesem Kontext eine positive Bedeutung, kann aber negativ klingen, wenn man sich auf die Träume und nicht die Realität bezieht. Die Erleichterung in dem Phrasem in jmds. Haut stecken kann indes darauf hinweisen, dass die Figur froh ist, weil sie nicht in jemandes Haut steckt, und kann deswegen negativ gefärbt sein, weil es bedeutet, dass die Person kein Mitleid hat und egoistisch ist. Zwei positive Emotionen gehören zur Kategorie ,Glück' (auf der Wolke schweben - Glück und in jmds. Haut stecken - Erleichterung), und zwei negative Emotionen zur Kategorie ,Unglück' (Es ist zum Knochenkotzen - Verzweiflung und sich wie zu Hause fühlen - Verzweiflung). 13 Emotionen gehören zur Kategorie ,Unsicherheit' (z. B. der Magen drehte sich um - Ekel, völlig am Ende sein - Zerschlagenheit, jmdn. zur Schnecke machen - Missachtung u. a.). 4 Phraseme stellen eine physiologische Manifestation dar (der Magen drehte sich um - Ekel, mir wurde schwarz vor Augen - Unmut, jmdm. gefror das Blut in den Adern - Angst, Schrecken und weiche Knie bekommen - Angst). 9 Phraseme drücken einen mittleren Grad (z. B. auf der Wolke schweben - Glück, mir wurde schwarz vor Augen - Unmut, mein Herz macht keinen Hüpfer - Gelassenheit u. a.), und 8 einen hohen Grad an Emotionen aus (Es ist zum Knochenkotzen - Verzweiflung, etw. auf dem Gewissen haben - Schuld, im Arsch sein und völlig am Ende sein - Zerschlagenheit, u. a.). Der hohe Grad wird mit Wiederholung, Ausrufezeichen und mit der Partikel so hervorgehoben. Alle Beispiele enthalten die Reaktion auf bestimmte Situationen und tragen das Merkmal ,realis', außer den Beispielen jmdn. zur Schnecke machen und etw. auf dem Gewissen haben, die sich auf Absicht beziehen und das Merkmal ,irrealis' haben. Die Funktionen der Phraseme sind unterschiedlich. Drei Phraseme sind Indikatoren des sozialen Verhältnisses (in jmds. Haut stecken, in jmds. Augen das schiere Entsetzen lesen und etw. auf dem Gewissen haben), während 9 eine emotional betonte Einstellung schildern (z. B. der Magen drehte sich um, sich wie zu Hause fühlen, sich am Boden vernichtet fühlen u. a.). Ein Phrasem stellt eine emotionale Akzentuierung einer Einsicht (jmdn. zur Schnecke machen), eines euphemistische 140 _ Marija Peric - Anita Pavic Pintaric • Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen ... Wirkung (Angst saß jmdm. in den Knochen) und eins ironische oder scherzhafte Distanzierung (sein wortloses ,Vergiss es!'saß im Nacken) dar. (7) (AT) »Bin ich der verheißungsvollste Meister von morgen, bin ich ein Nobelpreisträger auf der Warteliste? Auf dieser Wolke schwebte ich durch den Alltag.« (HWW: 14) In dem Beispiel (7) befindet sich ein verbales Phrasem, das in Wörterbüchern als »in den (über) Wolken leben (schweben)« und »jd. geht, schwebt, lebt auf, in den Wolken« eingetragen ist. Das Phrasem hat die Bedeutung 'entrückt, weltfremd, zerstreut sein' (Röhrich 1991: 1743) oder 'jmd. Sieht die Dinge nicht realistisch, ist ein Träumer' (Klappenbach - Steinitz 1974: 4386). Angesichts der semantischen Modifikation wurde die Emotion, die in dem Satz vermittelt wurde, nicht negativ gemeint, sondern bezieht sich auf ,Glück', d. h. der Autor fühlt sich glücklich und schwebt auf einer Wolke. Das Phrasem bezieht sich bildlich darauf, dass man glücklich ist oder auch in seinen Träumen lebt, und wird häufig in alltäglichen Situationen benutzt. Die Emotion manifestiert sich nicht physiologisch, sondern bezeichnet einen mentalen Prozess der Hauptfigur. Die Emotion ,Glück erweist einen mittleren Grad, d. h. die Emotion ist ruhig vermittelt und der Satz ist kurz und deutlich, obwohl er den rhetorischen Fragen folgt, was zur Graduierung beitragen könnte. Die Emotion ,Glück gehört zur Affektkategorie ,Glück'. E: Glück AK: Glück GE: mittlerer Grad FdPh: üblich in verschiedenen alltäglichen Situationen (8) (AT) »Tut mir leid, ist keine erfreuliche Aufgabe, ich bin froh, dass ich nicht in Ihrer Haut stecke - aber kann ich irgend etwas tun, das die Sache für Sie leichter macht?« (HWW: 266) Das verbale Phrasem »ich möchte nicht in seiner Haut stecken« bedeutet 'ich möchte nicht an seiner Stelle, in seiner Lage sein' (Röhrich 1992: 682), drückt eine emotional betonte Einstellung des Sprechers aus und kann ebenfalls als ein Indikator des sozialen Verhältnisses betrachtet werden, d. h. Klaus fühlt sich erleichtert, aber die sozialen Verhältnisse der angesprochenen Figur, die mit dem Phrasem ausgedrückt werden, bleiben verborgen. Wenn jemand froh ist, dass man nicht in jemandes Haut steckt, kann man solche Aussage als Erleichterung interpretieren. Ebenfalls drückt das Phrasem eine negative Emotion aus. Man hat kein Mitleid, weil es jemandem schlecht geht, sondern man ist froh, dass es ihm gut geht, d. h. man ist egoistisch. Die Emotion bezieht sich auf Beziehungen zwischen zwei Figuren. Der Satz ist ironisch gemeint und kursiv geschrieben, aber das Phrasem drückt einen mittleren Grad an Emotion aus, weil sie auf eine Weise vermittelt jezikoslovni zapiski 21 • 2015 • 2 _ 141 wird, die auf Gelassenheit und Gemütsruhe schließen lässt. Die Emotion Erleichterung' weisen wir der Affektkategorie Glück zu. E: Erleichterung AK: Glück GE: mittlerer Grad FdPh: Indikator des sozialen Verhältnisses (9) (AT) »Und wissen Sie, was er antwortete, als ich ihn böse, sehr böse fragte: Sag mal, wo arbeitest du? Allein die Frage! Es ist zum Knochenkotzen! Lebe ich in einem Gangsterfilm?« (HWW: 84) In diesem Beispiel ist die Person verzweifelt, was mit dem adverbialen Phra-sem »es ist zum Knochenkotzen« ausgedrückt wird. Sowohl Röhrich (1991) als auch Klappenbach und Steinitz (1974) erwähnen dieses Phrasem nicht, sondern nur Duden (2007: 972) erklärt das Phrasem als 'es ist zum Verzweifeln'. Das Phrasem vermittelt eine emotional betonte Einstellung des Sprechers. Die Emotion erweist einen hohen Grad, weil sie mit einem Ausrufezeichen hervorgehoben ist. Die Emotion Verzweiflung' gehört zur Affektkategorie Unglück. E: Verzweiflung AK: Unglück GE: hoher Grad FdPh: emotional betonte Einstellung des Sprechers (10) (AT) »Major Wunderlich, mein Vater und Minister Mielke würden mich zur Schnecke machen, nichtgenehmigte Feindkontakte, Karriere wäre im Eimer und ich würde niemals Mikrofische aus dem NATO-Hauptquartier schmuggeln dürfen, während sich Yvonne, wenn sie die Wahrheit über mein Berufsleben erfährt, den Strick nimmt!« (HWW: 236) Das Beispiel (10) beschreibt die Emotionen des Autors, d. h. Major Wunderlich, der Vater von Klaus und Minister Mielke könnten wütend sein und deswegen ist ihr Verhalten mit dem Phrasem »jmdm. zur Schnecke machen« affektiv gesteuert bzw. sie würden ihn 'grob anfahren' und 'sehr streng behandeln' (Röhrich 1991: 1381). Dieses verbale Phrasem gilt als eine emotionale Akzentuierung einer Einsicht, d. h. Klaus wird missachtet und hebt die mögliche Entwicklung der Ereignisse mit dem Phrasem hervor. Die Emotion ,Missachtung'bezieht sich auf die Beziehungen zwischen den Figuren. Das Phrasem ist eines der beiden Beispiele, das eine irreale Situation beschreibt und mit dem Merkmal ,irrealis' bezeichnet wird. Die Emotion ,Missachtungi aus der Affektkategorie Unsicherheit' hat ebenfalls einen hohen Grad, weil sie mit einem Ausrufezeichen hervorgehoben und verstärkt ist. 142 _ Marija Peric - Anita Pavic Pintaric • Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen ... E: Missachtung AK: Unsicherheit GE: hoher Grad FdPh: emotionale Akzentuierung einer Einsicht (11) (AT) »Die Angst vor den Luftangriffen saß ihnen so gründlich in den Knochen, dass sie noch heute bei jedem Feuerwerk an die Flaks denken.« (HWW: 287) Das Phrasem bezieht sich auf die Angst vor den Luftangriffen, die das Verhalten von Figuren beeinflusst. Das adverbiale Phrasem ist modifiziert, d. h. die ähnlichen Phraseme lauten »das liegt mir schon lange in den Knochen« mit der Bedeutung 'sagen von einer körperlichen Krankheit oder Beschwerde' und »das ging mir in die Knochen, das ist mir in die Knochen gefahren« mit der Bedeutung 'das hat mich tief im Innersten getroffen, tief beeindruckt' (Röhrich 1991: 859). Hier ist die körperliche Krankheit oder Beschwerde ,Angsf und sie ,sitzt' in den Knochen. Das Phrasem hat eine euphemistische Wirkung, die selten im Roman ausgedrückt wird. Meistens will Klaus seine Emotionen mithilfe der Phraseme hervorheben und verstärken, aber in dem Beispiel beschreibt er das Trauma wegen der Kriege und Angriffe, die man dann erlebte, bildhaft und sehr einfach und verringert auf diese Art und Weise starke emotionale Erlebnisse. Es gibt so viele Ausdrücke, Verben und Substantive, mit denen man den Horror des Krieges und seiner Folgen stark und schrecklich ausdrücken kann und der Autor wählt dieses Phrasem, um solche Folgen schwächer darzustellen. Die Emotion bezeichnet einen mentalen Zustand der Figuren. Der Beispiel enthält die Partikel ,so', die die Emotion stärker hervorhebt. Die Emotion hat deswegen einen hohen Grad, weil Klaus die Situation ironisiert und auf diese Weise die Emotion Angsf verringert. Die Emotion gehört zur Affektkategorie , Unsicherheit'. E: Angst AK: Unsicherheit GE: hoher Grad FdPh: euphemistische Wirkung (12) (AT) »Ich fühlte mich am Boden vernichtet.« (HWW: 298) Im Beispiel (12) trägt das verbale Phrasem »völlig am Boden zerstört sein« die Bedeutung 'kraftlos, fassungslos, niedergeschlagen, auch betrunken' (Röhrich 1991: 234). Das Phrasem ist modifiziert, indem das Verb ,zerstören' mit dem Verb vernichten' ersetzt wurde und wirkt als eine emotional betonte Einstellung der Hauptfigur. Die Emotion ,Zerschlagenheif gehört zur Affektkategorie , Unsicherheit' und beschreibt einen mentalen Prozess der Hauptfigur. In diesem kurzen Satz ist Resignation und ein mittlerer Grad an Emotion ausgedrückt. jezikoslovni zapiski 21 • 2015 • 2 _ 143 E: Zerschlagenheit AK: Unsicherheit GE: mittlerer Grad FdPh: emotional betonte Einstellung des Sprechers 4 Schlussfolgerung Anhand der Beispiele aus den Dialogen des Romans »Helden wie wir« schlagen wir ein Modell der Analyse vor, das die emotiven Phraseme in drei Gruppen einteilt, nämlich ,Affekt als Eigenschaft', ,Affekt als Prozess' und ,Affekt als Kommentar'. Danach werden Phraseme als positiv oder negativ bezeichnet und mit folgenden Faktoren erläutert: Emotionen, die mit Phrasemen ausgedrückt werden, Klassifizierung in drei Affektkategorien ,Un-/Glück', ,Un-/Sicherheit' und ,Un-/Zufrieden-heit', Graduierung von Emotionen und Funktionen der Phraseme. Es wurden 5 Phraseme, die Affekt als Eigenschaft, 5 Phraseme, die Affekt als Prozess und 17 Phraseme, die Affekt als Kommentar ausdrücken, belegt. Von 27 Phrasemen bezeichnen nur vier positive (Stolz, Mut, Glück und Erleichterung) und 23 negative Emotionen (Undankbarkeit, Unsicherheit, Scham, Aufregung, Verwirrung, Unmut, Ärger, Missachtung, Wertlosigkeit, Zerschlagenheit, Ekel, Verzweiflung, Entsetzen, Schuld, Gelassenheit, Angst und Schrecken). Einige Phraseme beziehen sich direkt auf die Emotionen, wie z. B. jmdm. gefror das Blut in den Adern oder weiche Knie bekommen, während in anderen Fällen der Kontext, in dem sich das Phrasem befindet, betrachtet werden muss, z. B. von einem Bein aufs andere treten oder mir wurde schwarz vor Augen. Alle Emotionen sind eine Reaktion mit einem Auslöser, d. h. in jedem Beispiel ist die Ursache der Emotion bekannt. Bei der Graduierung der Emotionen wurde festgestellt, dass Phraseme keinen niedrigen Grad am emotionalen Ausdruck haben, da sie an sich expressiv sind. Den hohen Grad an Emotionen drücken 12 Phraseme aus, die im Satz durch kursiv geschriebene Wörter, Ausrufezeichen, Wiederholung oder Häufung hervorgehoben werden. Andere Phraseme drücken den mittleren Grad an Emotionen aus. Emotionen, die in diesem Roman durch Phraseme ausgedrückt sind, sind meistens negativ. Die meisten Phraseme (14) dienen zum Ausdruck der emotional betonten Einstellung, was den Zusammenhang zwischen Emotionalität und Phraseologie schildert, während 9 Phraseme als Indikatoren sozialen Verhältnisses beschrieben werden können. Das Modell, das in dieser Arbeit vorgeschlagen wurde, hilft bei der Beschreibung von emotiven Phrasemen, weil sie sowohl den Emotionstyp der Phrase-me als auch ihre Funktionen berücksichtigt. Für einige Phraseme ist in Wörterbüchern keine ausschließlich emotionale Bedeutung indiziert, in einem spezifischen Kontext jedoch wird mit ihnen der Ausdruck einer Emotion realisiert. Deswegen können die Bewertungstheorie und dieses Modell der Beschreibung von Phrasemen wertvolle Einsichten in der Erforschung von Emotionalität und Phraseologie hervorbringen. 144 _ Marija Peric - Anita Pavic Pintaric • Das Modell zur Bestimmung von Phrasemen ... Literaturverzeichnis Primärliteratur HWW = Thomas Brussig, Helden wie wir, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1998. Sekundärliteratur Burger 2010 = Harald Burger, Phraseologie: eine Einführung am Beispiel des Deutschen, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2010. Duden 2007 = Duden Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim u. a.: Dudenverlag, 2007. Fiehler 1990 = Reinhard Fiehler, Kommunikation und Emotion, Berlin - New York: Walter de Gruy-ter, 1990. 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Gradivo za preverbo modela tvorijo dialogi iz romana Helden wie wir (Junaki kot mi) Thomasa Brussiga, ki je izbran zaradi čustvenosti same teme romana. Predlagani model kaže, kako frazemi, ki prvotno nimajo čustvenega pomena, izražajo čustva v danem kontekstu.