ITLICHES LEBEN. Neue Folge. 3. * Vo n Henri Barbusse. Ubersetzt von Heinrich Nelson. f (Mit zwei Landkarten) V e r 1 a g »Offentliches Leben". Stuttgart 1927. Schriftenreihe „OFFE NTLICH ES LEBEN". Neue F o I g e. 1. Leonard Nelson: »Demokratie und Fuhrer- SChaft.“ Zweite, um vier Anhange erweiterte Auflage. Preis RM. 2.80 Aus dem Inhalt: „Die Demokratie ist nicht die groBe Arena, aus der der Tiichtigste als Sieger hervorgeht. Sie ist die Narrenbiihne, auf der der pfiffigste oder bestbezahlte Schwatzer dem vornehmen und nur auf seine gute Sache bauenden Charakter den Rang ablauft." In umfangreichen Anhangen zu dem Text der ersten Auflage setzt sich der Verfasser auseinander u. a. mit MAX ADLER, BUCHARIN, R. GOLD- SCHEID, R. HILFERDING, JOOS, KALININ, J. KALISKI, H. KELSEN, T. MASARYK, F. NITTI, FRANZ OPPENHEIMER, P. PAINLEVE, G. RADBRUCH, K. RENNER, P. ROHRBACH, HEINRICH SCHULZ, ANNA SIEMSEN, H. SIMONS, STALIN, der russischen Kommunistischen Partei, der deutschen sozialdemokratischen und biirgerlich-demokratischen Presse. 2. Erich Graupe: „Notwendigkeits-Aberglaube oder Klassenkampf?“ Preis RM. —.80 Aus dem Inhalt: „Der sozialistische Kulturkampf soli nicht nur dem Aberglauben an die Dreieinigkeit, er soli auch dem Aberglauben an die historische Notwendigkeit gelten." 3. Henri Barbusse: »Die Henker.“ Einzig berech- tigte Ubersetzung. (Mit 2 Landkarten). Von Heinrich Nelson. Preis RM. 2.80 Ein Bericht aus der »europaischen Holle". Barbusse schildert das Wiiten des weiBen Terrors auf dem Balkan. Denen, die fragen: „Ist es wahr?“ mufi man antworten: „Die Wahr- heit ist noch schlimmer!" 4. Minna Specht: »Jakob Friedrich Fries, der Begrunder unserer politlschen Weltansicht.“ (Mit einem Bildnis) Preis RM. —.80 Die Rede zeigt die Bedeutung der Friesschen Lehre fiir das um sein Recht kampfende Proletariat. 5. Leonard Nelson: »Die bessere Sicherheit.“ Preis RM. —.60 Die Schrift enthalt bei aller Kurze eine griindliche und dabei leicht ver- standliche Priifung der marxistischen Begriindung des Klass.enkampfes und zeigt, daB der Klassenkampf weder vom Standpunkt der Okonomie, noch von dem der Dialektik aus sich stichhaltig begriinden laBt, sondern allein vom Standpunkt des Rechts. Die angezeigten Schriften konnen durch jede Buchhand- lung bezogen werden oder unmittelbar vom Verlag: Offentliches Leben, Stuttgart, Eberhardstr. 10. Mir D i e H e n k e r. Vo n Henri Barbusse. Ubersetzt von Heinrich Nelson. Verlag „Offentliches Leben". Stuttgart 1927. 132835 Copyright by „O f f e n 11 i c h e s Leben." Stuttgart 1927. D r u c k: Walthersche Buchdruckerei K.- G., Stuttgart. In der europaischen Holle. Vorwort des Ubersetzers. Die Henker! Die europaische Holle! Wenn solche Titel, die schlieB- lich bloBe Worte sind, nur einenunbestimmten Begriff von etwas Fiirch- terlichemgeben, wie miissen die Tatsachen, die unter jenenAnkiindigungen mitgeteilt werden, auf menschliche Gemiiter wirken 1 Zwar der Durch- schnittseuropaer hat die Neigung, alles zu beschonigen, sich mit den Dingen, die ihm Grauen erregen konnten, mbglichst rasch abzufinden. Es geht ihm im allgemeinen noch verhaltnismafiig gut, und er liebt es, den Gedanken, die Holle konnte sich auch fur ihn auftun, zu unter- driicken. Und ist es nicht noch immer so, wie der Burger im FAUST sagt: Nichts Bessres weiss ich mir an Sonn- und Feiertagen Als ein Gesprach von Krieg und Kriegsgesclirei, Wenn hinten, weit, in der Tiirkei Die Volker aufeinanderschlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Glaschen aus Und sieht den FluB hinab die bunten Schiffe gleiten; Dann kehrt man abends froh nach Haus Und segnet Fried’ und Friedenszeiten. Wird es dabei bleiben, wenn die Tatsachen allgemein bekannt sein vverden, die BARBUSSE festgestellt hat? DieseTatsachen sprechen eine furchtbare Sprache. Wo und wann in Europa ist derart Entsetzliches in solchem MaBe, ein so namenlos scheufilicher Sadismus von Machthabern gegen arme, unschuldige Menschen, ja gegen ganze Volker, ein so er- barmungsloses und unablassiges Gewalt- und Vernichtungssystem je dagewesen? Und die Kenntnisnahme von diesen ScheuBlichkeiten solite nicht selbst die Gleichgiiltigsten aufriitteln, nicht das Grauen und die Emporung der Menschen zur Siedehitze steigern, solite nicht einen so gewaltigen und erschiitternden Schrei nach Gerechtigkeit fur die Opfer von heut und von morgen, nach Rache gegen die Ubeltater hervorrufen, daB endlich eine uniiberwindliche Macht sich erhebt, die dem Wiiten ein Ende bereitet? Wenn es in Europa noch eine offentliche Meinung gibt, so mufi sie sich jetzt mit unerhorter Gewalt geltend machen, mufi sie die westeuropaischen Regierungen aus ihrer Gleichgiiltigkeit gegeniiber den Geschehnissen auf dem Balkan aufriitteln und sie zwingen, mit aller 6 Henri Barbusse. Macht gegen das Unheil einzuschreiten. Dazu vviirden die Regierungen durchaus nicht des bevvaffneten Eingreifens, des Krieges bediirfen. Es wurde genugen, wenn den verbrecherischen Gewalthabern der Kredit abgeschnitten wird. Denn dann konnten diese ihre Helfershelfer und Henker nicht mehr besolden und belohnen, die doch nur fiir Geld und Lohn sich zum Martern und BlutvergieBen hergeben. Dann wurden die amen, jetzt durch das Grauen erstarrten Volker, bei denen die Fried- hofsruhe herrscht, und die sich nicht wehren konnen, aufstehen und ihre Ketten zerbrechen. Dann wiirden sie ihre Peiniger zum Teufel jagen, wo sie hingehbren. Aber wir durfen uns nicht in Illusionen wiegen; wir miissen vollige Klarheit schaffen. Die europaischen Regierungen haben ein Interesse daran, daB es im Balkan-Hexenkessel weiterbrodelt, dafi dort Ruhe und Frieden nicht einkehren. Ihre Diplomaten spielen dort eine Regierung gegen die andere aus, um im Triiben fischen zu konnen. Und der Sinn dieser Politik? Wer Augen hat zu sehen, der sieht es, dafi es sich da um einen gemeinen Konkurrenzkampf handelt, denhauptsachlich Frank- reich, England und Italien gegen einander auskampfen. Jede dieser Re¬ gierungen sucht, wie BARBUSSE treffend sagt, auf dem dreieckigen Bal- kan-Schachbrett Vorteile fiir sich zu ergattern, die anderen auszustechen, die eigene Industrie und ihre Banken einzunisten, sich der wichtigen Handelsvvege, die den Balkan kreuzen, zu bemachtigen, dort zu kolo- nisieren undwomoglich zu annektieren. Undmitihren Regierungen sind natiirlich die Kapitalisten im Bunde. Regierungen und Kapitalisten haben die Macht in Handen. Werden sie diese Macht freiwillig, auchunter dem starksten Druck der offentlichen Meinung, fahren lassen? Werden die Kapitalisten denn die bffentliche Meinung und den durch sie ausgeiibten Druck verstarken? Werglaubt das? Sobleibt alsonichts iibrig, als daB die Nichtbesitzenden, die Proletarier aller Lander, einmiitig sich erheben und in den Schrei einstimmen: »Fort mit den Bluthunden, die Tausende von unschuldigen Menschen, die ganze Volker martern und morden! Freiheit und Gerechtigkeit sollen von nun an auch jenen Armsten zuteil werden!“, und dafi sie sich nicht eher beruhigen, als bis diesem ein- fachsten menschlichen Verlangen Geniige geschehen ist. Denn glaubt nur nicht, ihr alle, die ihr in Westeuropa heute noch unter scheinbar ertraglichen Verhaltnissen lebt, daB nicht auch euch das Un¬ heil erreichen konnte! Verbrechen wirken ansteckend wie Seuchen. Uberall gibt es Hallunken und Unholde, die, wenn sie der Straflosigkeit sicher oder gar zu ihren Missetaten autorisiert sind, vor dem Schlimmsten Die Henker. 7 nicht zuriickschrecken. Leider mufi man ja sagen, dafi nichts, auch nicht das Schrecklichste, unmoglich ist. Erinnert euch an die Zeit vor dem Welt- kriege. Wie wenige haben es ernsthaft fiir moglich gehalten, daB Europa der Schauplatz solchen BIutvergieBens werden konnte, wie wir es den- noch erleben mufiten? Blickt auf Italien, auf Spanien, wo der weiBe Terror herrscht, und denkt daran, welche Schandlichkeiten auch in Deutschland so gut wie ungestraft begangen vverden konnten. Glaubt ihr wirklich, daB Schlimmeres aufierhalb des Bereiches der Moglichkeit liegt? Es ist also auch in eurem eigensten, wohlverstandenen Interesse, wenn ihr das Weiterwiiten der Machthaber auf dem Balkan mit allen Mitteln verhindert. Wer BARBUSSE kennt,derwirddavon iiberzeugt sein, daB er sachlich und wahrheitsgetreu berichtet. Es ist so, wie er sagt: Die Wahrheit ist nicht nur so furchtbar, wie er sie darstellt, sondern noch weit furchtbarer. Jeder, der die Ereignisse auf dem Balkan miterlebt hat, bestatigt es. Nichts an dem Inhalt des Buches ist iibertrieben. Es sind alles nackte, unanfechtbare Tatsachen. Diese Tatsachen sind so grauenerregend, daB selbst einige der Henker unter ihrer Wucht zusammengebrochen sind. Wie mir von durchaus glaubwiirdiger Seite mitgeteilt worden ist, haben sich einige der Schergen schlieBlich vor Entsetzen iiber das Wiiten das Leben genommen, unter Hinterlassung des schriftlichen Bekenntnisses, daB es iiber ihre Kraft gegangen sei, es vveiter mit anzusehen und fort- zusetzen. Die Greuel miissen ein Ende nehmen. Will die Menschheit etwa FAUSTs Frage: „Die Holle selbst hat ihreRechte?" bejahen?Das Denkmal der Schande fiir die Kultur, nicht nur der Balkanmachthaber, sondern iiber- haupt fiir die europaische Kultur im zwanzigsten Jahrhundert, das der unerschrocken fiir die Befreiung der leidenden Menschheit kampfende groBe Franzose in diesem Buch errichtet hat, mbge das Fanal fiir eine bessere Zukunft sein! Heinrich Nelson. V orwort des V erfassers fur die deutsche Ausgabe. An meine deutschen und osterreichischen Leser. Ich wufite wohl, dafi meine Freunde in Deutschland wiinschen wiirden, ihre Ausgabe dieses Buches zu haben. Alles, was das Schicksal der groBen zeitgenossischen menschlichen Gemeinschaft betrifft, findet star- ken Widerhall in dem Herzendes deutschen Volkes und in der schbnen geistig-en Elite dieses Landes. Ich bin unter zu haufigen Umstanden mit dem deutschen und mit dem osterreichischen Proletariat und mit allen jenen kiihnen und weisen Geistern, die in Mitteleuropa so zahlreich sind, in Verbindung gevvesen, um nicht von vornherein auf ihr Verstandnis und ihr Gemeinschaftsgefiihl rechnen zu konnen. Es handelt sich hier nicht um eine Parteifrage. Es handelt sich nicht um politischeDebatten, wennauch die Politik in den Ereignissen, deren Auseinandersetzung und Schilderung ich mir zur Aufgabe gestellt habe, eine vorwiegende Rolle spielt. Es handelt sich um eine Frage der Ge- rechtigkeit, nicht abstrakter Gerechtigkeit oder Wortgerechtigkeit, son- dern um die Frage einer sehr lebendigen und erschiitternden Gerechtig¬ keit. Es handelt sich um das Recht, das sich eine despotische Minder- heit angemaBt hat, mit der Freiheit, mit dem Leiden und mit dem Leben der anderen nach Belieben zu schalten. In Berlin und in Wien gibt es bedeutende und edle menschliche Zentren, und ich spreche nicht nur von den Arbeiterorganisationen, sondern auch von den Vereinigungen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Wahrheit iiber die gesellschaftlichen Dramen, deren alles Mafi iibersteigende Szene die Welt augenblicklich ist, zu studieren und der bffentlichen Meinung zur Kenntnis zu bringen. Ich bin oft nach Deutschland und nach Osterreich gekommen im Namen der ehemaligen Kriegsteilnehmer, die dem Kriege den Krieg erklaren und die Ioyal genug sind, ihr antimilitaristisches Glaubensbekenntnis nicht nur ins Auge zu fassen und zu verstehen, sondern auch bis in die auBersten logischen Konsequenzen zu vervvirkiichen. Aber als ich zum letzten Mal dort hinkam, geschah es nicht sowohl in meiner Eigenschaft als Kampfer, als Wortfiihrer von Proletariaten, Verbanden, Die Henker. 9 Syndikaten oder sonstigen Gruppen, sondern ich kam als einfacher Pri- vatmann, der den Entschluss gefabt hatte, soweit es in seinen Kraften stand, das verwickelte und dunkle Problem der Unordnung auf dem Balkan zu klaren, aus jener „europaischen Holle“ zuriick. In diesen beiden groben Landern, in denen ich mich im Herzen und im Geist als Landsmann so vieler freier Menschen fiihle, habe ich den Empfang gefunden, den ich erwartet hatte: Ich habe Hilfen, Quellen loyaler und ehrlicher Informationen gefunden, und ich will an dieser Stelle meiner Dankbarkeit Ausdruck geben. Wenn ich mich enthalte, Namen zu nennen, so geschieht es in der Sorge, ich konnte die Unge- rechtigkeit begehen, ihrer zu viele zu vergessen. Jetzt, da mein Zeugnis schriftlich niedergelegt ist, da andere, wie es das Gesetz des Lebens ist, in derselben Richtung weiterwirken und es ihrerseits vervollstandigen werden, bin ich iiberzeugt, dab die Protest- bewegung gegen so offenbare Unbilligkeiten in den Landern Mitteleu- ropas planmabig um sich greifen wird, und dafi man es nicht vergebens unternommen haben wird, jenes erschiitternde Bild dem Herzen der Volker einzupragen, die selbst infolge des barbarischen Mechanismus der gegenvvartigen groben Politik so viel Elend, so viel Leiden und so viel empbrende Ungerechtigkeiten erduldet haben. Henri Barbusse. Paule Lamy und Leon Vernochet, die mit mir diese Dinge erlebt haben, und denen dieses Buch ebenso zuge- hort wie mir, in Dankbarkeit, Achtung und Freundschaft gevvidmet. H. B. L Unsere „Mission". Mit einem tiefen Gefuhl von Verantwortlichkeit entspreche ich einem mir von verschiedenen Seiten geaufierten Wunsch, indem ich in diesem Buche die Ergebnisse der Untersuchung verbffentliche, die ich in den Balkanlandern iiber den„WeiBenTerror“vorgenommen habe.Wir, meine Reisebegleiter und ich, haben von dort eine Unmenge positiven Mate¬ rials mitgebracht, und die Tatsachen, die wir auf Grund der Angaben anderer Personen mitzuteilen haben, legen uns die Verpflichtung auf, einen energischen Appell an das bffentliche Gevvissen zu richten, das gegen die furchtbare Krise von Barbarei nicht mehr gleichgiiltig bleiben kann, die heute in einem groBen Teil des alten Kontinents entfesselt ist. Ich habe das Recht, gleich zu Anfang zu erklaren, dafi diese Mission in Unabhangigkeit und Aufrichtigkeit ausgefiihrt worden ist, und daB sie von Anfang bis zu Ende frei von jedem Vorurteil und von jeder vor- gefaBten Meinung gewesen ist, die ihre Objektivitat und Unparteilich- keit beeintrachtigen konnte. Gevviss, ich kann meine politischen Uberzeugungen nicht verleug- nen und habe das nie und unter keinen Umstanden getan. Ich bin Re- volutionar und international. Ich bin es immer mehr geworden ange- sichts des Schauspiels der historischen Ereignisse, die fiir das erste Viertel des 20. Jahrhunderts bezeichnend sind, und in Beriihrung mit ihnen. Aber das ist hier nicht die Frage, und es ist auch hier nicht der Ort zu sagen, auf welche tiefen Gedankengange — tief bis zu den die Menschenmassen beherrschenden natiirlichen Gesetzen und bis zu den Urgriinden des Lebens — sich meine heftige Gegnerschaft gegen die bestehende Ordnung griindet. Die individuellen Ansichten diirfen keinen EinfluB auf tatsachliche Feststellungen haben. Ich wiederhole es: als ich diesmal Frankreich verlieB, um den europaischen Siidosten aufzusuchen, habe ich freivvillig meine kampferische Persbnlichkeit zuriickgelassen. Ich war nicht mehr der Angehorige einer Partei, sondern einfach ein Mensch, der in voller Geistesfreiheit an Ort und Stelle bestimmte Ereignisse beobachten wollte, um demnachstvon seinen Beobachtungen und NachforschungenRechen- schaft abzulegen. 12 Henri Barbusse. Ich bemerke kurz, unter welchen Umstanden diese „Enquete“, wenn es mir gestattet ist, dieses pomphafte Wort zu gebrauchen, unternom- men worden ist. Die offentliche Meinung in West- und Zentraleuropa war durch Willkiirakte und Grausamkeiten teikveise lebhaft erregt wor- den: Verhaftungen, Polizeiqualereien, das Verschwinden und die Er- mordung vieler Menschen, die durch einzelne verzvveifelte Schreie von dort unten her bekannt wurden, und fur die gewisse Regierungen, die rumanische, die bulgarische und die jugoslawische verantv/ortlich sein sollten. Der Bericht von diesen ScheuBlichkeiten, die einem anderen Zeitalter anzugehoren schienen, hatte, wie man sich vielleicht erinnern wird, zwei Proteste hervorgerufen, die von einer grofien Anzahl von be- riihmten und hervorragenden franzosischen, englischen, deutschen und bsterreichischen Persbnlichkeiten unterzeichnet waren. Da nun die Tat- sachen in Zweifel gezogen wurden, haben einige von uns gedacht, daB man sich unter so schwierigen Verhaitnissen an Ort und Stelle dariiber vergewissern mufite, ob jene Anschuldigungen begriindet sind oder nicht. Und so sind wir, Fraulein PAULE LAMY, Mitglied der Briisseler An- waltsch aft,Professor LEON VERNOCHET, der Generalsekretar der Vereini- gung der Arbeiter-Intellektuellen,und ich,als diemiteinermoralischenund privaten Mission betrauten, und man kbnnte sagen, als V ertreter der bf f ent- lichen Meinung, nach Rumanien und in die angrenzendenLander gegangen. Vielleicht ist es allem zum Trotz ein Zeichen der Zeit, daB eine Ini- tiative dieser Art iiberhaupt mbglich war, und daB sich das Unternehmen bis zuletzt durchsetzen konnte. DieTatsache, dafi Auslander in denHaupt- stadten mit Autoritat auftreten konnten, um am hellen Tage von den bffentlichen Gewalten Rechenschaft zu fordern, zeigt, wie sehr dasWelt- gewissen gegeniiber den Ereignissen Anspruch auf Beachtung gewinnt. Ich mufi sagen, daB wir als ganz neuartige Untersuchungsrichter von Anbeginn an den Zweck unserer Reise vollig klargelegt haben, und daB ungeachtet der Kiihnheit unserer Forderungen diese Einmischung Frem- der in die nationalen Angelegenheiten allgemein geduldet worden ist. Indessen haben sich in Rumanien in bezug auf diese wichtige Frage des „Rechtes zu Richten“, die Erorterungen von bedeutender moralischer Tragvveite hervorruft, zwei scharf geschiedene Meinungen geltend ge- macht. Die arbeitenden Klassen, mit denen ich vviederholt in Beriihrung gekommen bin, ebenso wie gewisse hervorragende Intellektuelle und Journalisten der linksgerichteten Presse haben das von uns in Angriff genommene Projekt mit vollkommener Sympathie und ohne Hinterge- danken betrachtet. Die Henker. 13 Aber ein anderer Teil der Presse, eine nationalistische und konser- vative Minderlieit, hat dieses Recht der Angehorigen eines anderen Landes, in die „nationalen Angelegenheiten" hineinzusehen und sie zu untersuchen, bekampft und bekampft es noch heute, wenn ich den Zei- tungsausziigen, die ich erhalte, Glauben schenken kann. So hat letzthin Herr GOGA in der „Indreptarea“ erklart: „Unsere Geduld wird durch die vielenLeute auf die Probe gestellt, die seit sieben Jahren im Namen irgend welcher beliebigen Gemeinschaft hierherkommen, um iiber die lebenswichtigen rumanischen Fragen Untersuchungen anzustellen." Herr GOGA meint, daB „dies Gefiihl, unter Vormundschaft zu stehen, vvelches diese Kontrolleure in uns hervorrufen, zum mindesten unbehaglich ist,“ und setzt hinzu: „Eine elementare Wiirde erlaubt uns nicht zu dulden, daB man uns als ein mindervvertiges Land ansieht, auf das sich alle Di- lettanten stiirzen konnen." „Bei uns zu Hauselassen wir uns nicht drein- reden,“ so schlieBt er. Vor mir liegt ein „Protest der Intellektuellen von Bukarest," den die nationalistischen und reaktionaren Blatter veroffentlicht haben. Er gibt Kunde von der „Emporung“, die in gewissen beschrankten Kreisen durch ali diese Untersuchungen und besonders durch die meinige her- vorgerufen worden ist. Die wenigen Unterzeichner dieses Schriftstiicks betrachten diese Einmischung als „nicht entsprechend der Wiirde eines souveranen Staates“. Dieser Gesichtspunkt einer unversbhnlichen Minderheit ist auch der, den sich die Regierung selbst zu eigen gemacht hat. Der hofliche Emp- fang, der mir durch die Minister zuteilwurde, beruhte offenbar auf diplo- matischer Korrektheit — und ich bin ihnen dafiir zu Dank verpflichtet. Aber der Anspruch, den ich erhob, war ihnen unbehaglich. Der Mini¬ ster des AuBeren, DuCA, hat in Erwiderung auf die Interpellationen, die in der Kammer in bezug auf meine Angelegenheit erhoben worden sind, nach dem offiziellen Bericht erklart, „daB er der literarischen Persbn- lichkeitdesHerrn BARBUSSE und seinem Wunsche, die Wahrheit zu er- mitteln, Rechnung getragen habe“. „Aber,“ so schloB er inmitten von Beifallsrufen, „ich wiinsche, dafi man von nun an wisse, dafi unter kei- nen Umstanden die Regierung die Fortsetzung eines staatsfeindlichen Untersuchungs-Unternehmens zulassen wird, von wem es auch immer ausgehen mag.“ Andererseits hatdie Vereinigung der rumanischen Journalisten Herrn COSTA FORU, den Schriftfiihrer der rumanischen Liga der Menschen- rechte, wegen der Unterstiitzung, die er mir hat zuteil werden lassen, 14 Henri Barbusse. aus ihren Reihen ausgeschlossen, und die Gesellschaft der rumanischen Schriftsteller hat eine Resolution angenommen, die feststellt, daB „der Besuch des Herrn BARBUSSE nicht am Platze sei, und daB die Ein- mischung von Auslandern in die Angelegenheiten der inneren Politik Rumaniens gefahrbringend sei“; sowie daB die Gesellschaft bedauert, „daB es ihr angesichts der Haltung des Herrn BARBUSSE unmoglich ge- wesen sei, diesen Besuch unter dem kulturellen Gesichtspunkt zu be- trachten". Auch Einwiirfe, Kritiken und Anschuldigungen anderer Art sind ge- gen mich erhoben worden. Ich werdedarauf zuriickkommen. Zuerstwill ich ein fiir allemal die prinzipielle Frage klarstellen, denn iiber diese An- gelegenheit habe ich auch schon in der rumanischen Presse viel geschrie- ben, und ich habe dort auch, wie ich sagen kann, viel gesprochen — aus Anlass von Intervievvs. Ich erhebe entschiedenen Widerspruch gegen die Auffassung, daB der Angehorige einer fremden Nation nicht das Recht haben soli, in einem anderen Lande die Angelegenheiten gerichtlicher, polizeilicher oder selbst militarischer und politischer Natur zu studieren. Diese Ansicht ist irrig und kindisch, und man braucht sich in unserer Zeit nicht mehr ernsthaft bei solchen abvvegigen Meinungen aufzuhalten. Es ist mbglich, daB in bezug auf gewisse Dinge das Forschen von Auslandern als eine Beleidigung, vielleicht auch als eine Gefahr ange- sehen werden konnte. Das ware der Fali, wenn es sich um Dinge han- delte, die tatsachlich das intime Leben eines Landes betreffen und der Geheimhaltung bediirfen: Die nationale Verteidigung, die Staatsge- heimnisse. Welches aber sind die Tatsachen, die wir klarzustellen beabsichtigt haben? Es handelt sich um Ereignisse anlaBlich der militarischen Ok- kupation, um die Handlungen und die Haltung von Richtern und Poli- zeibeamten, um die Behandlung, die man Gefangenen angedeihen lafit; es handelt sich umMetzeleien und Meuchelmorde. Das sind Dinge, welche die Offentlichkeit angehen — sie sind es sogar in dem MaBe, daB sie der Geschichte angehoren. Sie gehen alle an. Schriftsteller und Geschichts- schreiber haben das Recht und selbst die Pflicht, sich mit ihnen zu be- schaftigen. Ubrigens haben alle groBen Zeitungen der Erde schon recht lange dieses Recht und diese Pflicht der Verbffentlichung in ihr Tatig- keitsprogramm aufgenommen und in Anwendung gebracht. Seit ge- raumer Zeit werden alle Neuigkeiten und Kritiken — im Prinzip — frei von den auswartigen Korrespondenten ihren betreffenden Redaktionen Die Henker. 15 iibermittelt. WiII man heutzutage die Internationale Freiheit der Presse und des Schrifttums wieder in Frage stellen, indem man die elenden Theorien des nationalen Gesichtspunktes des Herrn GOG A und anderer zu Grunde legt? Wenn man einem Menschen das Recht zur Priifung und Kritik der Ereignisse zuerkennt, die im einzelnen und insgesamt einen Teil der Zeitgeschichte ausmachen, will man ihm da dieses Recht streitig machen, weil er sich entschlossen hat, die Dinge an Ort und Stelle zu priifen, um sich eine moglichst unanfechtbare undzutreffende Auffassung zu ver- schaffen? Welcher prinzipielle Unterschied besteht zvvischen einem aus der Entfernung gefallten Urteil und einem Urteil, das man sich in der Nahe gebildet hat, auBer dem, dass dem zweiten grbfiere Beachtung und mehr Wert zukommt, als dem ersten? Ich wiinschte, dafi mir Herr GOGA und die anderen hierauf eine freimiitige Antwort geben. Aber ich verstehe sehrwohl, daB der schvvere Vorwurf, den mir die machen, die sich in schikanoser Weise bemiihen, die Frage bis zu der der nationalen Souveranitat zu erweitern, besonders darauf beruht, daB ich mich nicht geneigt gezeigt habe, ein Loblied auf die rumanische Re- gierung zu singen. Das ist es, vvodurch sie so schwer verletzt worden sind, und niemals waren sie auf den Gedanken gekommen, von Maje- statsbeleidigung und von Attentat auf die nationale Wiirde zu sprechen, wenn ich erklart hatte: „Alles steht aufs Beste in Rumanien." Dennoch ware auch in diesem Fali meine „Einmischung“ keine geringere gewesen — es sei denn, daB es zwei Wahrheiten gibt. Sprechen wir es offen aus: was unsere Gegner uns bestreiten, ist keineswegs das Recht zu priifen, es ist das Recht, zu kritisieren. Aber das eine ist ohne das andere un- moglich. Nachdem man begriffen hatte, daB ich nicht beabsichtigte, die allzu offenbaren Rechtswidrigkeiten zu verheimlichen und die allzu unbestreit- baren Verantwortlichkeiten zu unterdriicken, hat man vorgegeben, daB ich mit dem Vorsatz der Anschvvarzung in die Balkanlander gekommen sei. Man hat mich gelegentlich selbst als einen „Agenten von Moskau" behandelt, und diefremdenfeindlichen und chauvinistischen Blatter brach- ten einige Karikaturen in diesem Sinne. Die antisemitischen Studenten brachten ein Plakat heraus, auf dem gedruckt war, daB ich „ein Jude der kriminellen Art“ sei, der nach Rumanien gekommen sei, um es zu beschmutzen und in der Meinung der Welt anzuschwarzen. Ich glaube ebenso wenig einKrimineller zu sein, wie ich ein Jude bin, und ich habe nie in meinem Leben irgend einen Auftrag oder eine Mis- 16 Henri Barbusse. sion von Moskau erhalten. Aber ohne mich dabei aufzuhalten, auf solche Schmahungen einzugehen, will ich nur sagen, dafi, was sich aus meinen personlichen Beobachtungen und den iiberall gesammelten Zeug- nissen ergibt, vvirkliche und feststehende Tatsachen sind. Meine SchluB- folgerungen ergeben sich aus den Tatsachen und sind ebenso sicher wie diese. Will man mich tadeln und bekampfen, so mufi man diese positive Seite meiner Untersuchung angreifen, statt daB man zu jener Theorie eines friiheren Zeitalters seine Zuflucht nimmt, die einem Menschen untersagen will, den Blick iiber die Grenzen seines Landes hinauszu- richten. Und im iibrigen nehme ich an, dafi die Tatsachen selbst genii- gende Uberzeugungskraft in sich tragen, um die allzu bequeme Fabel von einem feindseligen Vorurteil lacherlich zu machen. Aber ich gehe noch weiter, und ich behaupte mit Bestimmtheit, dafi dasBild, vvelches ich von dem weifien Terror in den Balkanlandern ent- worfen habe, diese Lander in keiner Weise „diskreditieren“ kann. Nie- mais habe ich eine Gelegenheit voriibergehen lassen, meine Bewunde- rung, meine Achtung, meine Freundschaft fiir das rumanische wie fiir das bulgarische Volk und fiir die anderen Volker, in deren Mitte ich geweilt habe, zu bekennen. In ali diesen Landern habe ich mich im Herzen und im Geiste mit den Massen der Arbeiter und Bauern, mit vielen jungen Schiilern und Studenten, mit gutglaubigen und gewissenhaften Menschen verbriidert, an die ich mich mit Riihrung erinnere. Als ich Rumanien ver- liefi, habe ich an die Zeitung „Facla“ eine von dieser veroffentlichte „Huldigung an Rumanien" gesendet, an der ich nie auch nur ein ein- ziges Wort zu andern haben werde. Ich wiederhole hier, dafi diese schonen und edlen Nationen in keiner Weise von den Anklagen getroffen werden, die sich gegen die Regie- rungen richten, von denen sie geknechtet werden. Die Regierung Ruma- niens — wie auch die der iibrigen Balkanlander — reprasentiert die Nation nur im diplomatischen Sinne. Niemand wiirde wagen, sich mit der Behauptung lacherlich zu machen, dafi die Herren BRATIANU und ZANKOFF, wenn sie beim Erscheinen dieser Zeilen noch die offiziellen Machthaber sind, tatsachlich Rumanien und Bulgarien symbolisieren. Abscheulich ist es, wenn Leute, die durch irgend eine parlamentarische oder Partei-Kombination zur Macht gelangt sind — oder auch die Hand- langer solcher Leute — behaupten: „Die Nation, das bin ich. Wenn man meine Handlungen kritisiert oder die Methoden oder die Hilfsmittel, die anzuwenden mir gut scheint, macht man sich einer Beschimpfung- meines Landes schuldig." Die Henker. 17 Man beruhige sich. Ein Volk ist nicht verantvvortlich fiir die Hand- lungen und fiir die Haltung der schmarotzerischen Ministerien, die sich in seiner Hauptstadt festgesetzt haben. Das gilt besonders fiir die Bal- kanregierungen, die durch Taschenspielerkunststiicke, Staatsstreich und Terror ans Ruder gelangt sind. Das trifft auch im allgemeinen auf alle Regierungen zu, die nicht den Anspruch darauf erheben konnen, den Willen der Nation uneingeschrankt zu verkbrpern. Das gilt ebenso fiir die franzbsische Regierung, deren Irrtiimer und Fehler Frankreich zur Last zu legen, niemand das Recht hat.*) Man mufi sich nicht einmal damit begniigen, zu verkiinden, daB man einen Biirger niemals fiir den Mitschuldigen seiner Regierung halten darf; man mufi normaler Weise der Biirgerpflicht des freien Urteils so weite Grenzen stecken, daB man sagt: Alle Verfolgten aufderWelt sind, das ist ganz offenbar, unter einander solidarisch; man kann ihremSchick- sal eine dauerhafte Besserung nur durch eine beliebige Organisation dieser Solidaritat bereiten, d. h. durch Aufklarung, Ubereinstimmung und ZusammenschluB. Den guten offiziellen Aposteln gehorchen, die predigen: „Eure Klagen sollen nicht iiber eure Wande hinausgehen", das bedeutet fiir einen Menschen, seine groBen menschlichen Interessen ver- raten. In Bukarest haben wir uns zu Beginn mit der franzbsischen Gesandt- schaft in Verbindung gesetzt, wo wir in Abwesenheit des Gesandten von dem Geschaftstrager, JAPY, empfangen wurden, mit dem rumanischen Mi¬ nister des Auswartigen, DUCA, und mit dem Unterstaatssekretar im Mi- nisterium des Innern und tatsachlichen Minister des Innern, TATARESCU. Verschiedentlich haben wir uns mit dem General RUDEANU, dem Kom- mandanten des III. Armeekorps (in BeBarabien) unterhalten. Ich hatte bereits Gelegenheit zu sagen, daB unser Empfang seitens dieser hohen offiziellen Personlichkeiten ein sehr hbflicher war. Diese Herren hatten uns fiir unsere Untersuchung jegliche Erleichterung und sogar die Be- nutzung der amtlichen Akten und Urkunden zugesagt, aus denen wir alles wiirden entnehmen konnen. In der Folge zeigte sich aber in der *) Die „Balkanagentur“, ein mutiges kleines Blatt, das die Wahrheit durch den Liigen- wust offizieller Presse-Mitteilungen und-Fehden ans Licht zu bringen sucht, schreibt mit vollem Recht anlaBlich der ungarischen Škandale im Februar 1926: „Die EhreUngarns, die man selbst in der Opposition anruft, damit die gegenwartige Krise sich unter den Ungarn allein abvvickle, — wird in keiner Weise dadurch getriibt, daB eine Rotte von Briganten die Macht mit Gewalt an sich gerissen hat. Das ungarische Volk ist in kein< rWeise fiir die Handlungen derWINDISCHGRAETZ, NADOSSY und Genossen ver- antwortlich. Das solite die Opposition verstehen und sich freimutig auf die Meinung des Auslands stiitzen, um volles Licht, die Bestrafung der Schuldigen und die Wieder- herstellung der elementaren Freiheiten in Ungarn zu verlangen.“ Barbusse. Die Henker. 2 18 Henri Barbusse. Einstellung der Behorden eine vollkommene Anderung. Diese Anderung entstand nach einer enthusiastischen Volkskundgebung, die mir galt, und die eines Sonntags bei hellem, lichtemTage in denStraBen vonBu- karest stattfand. Dieses Ereignis ermutigte und starkte die Opposition, die sich, wie ich schon gesagt habe, in den fremdenfeindlichen Kreisen be- reits imStillen erkennbar gemacht hatte. Wir habengute Griinde zu der Annahme, daB diese Opposition seitens der Regierung selber einigem Wohlwollen begegnete, — die Wendung, welche die Dinge anlaBlich „des Falles BARBUSSE" im Parlament nahmen, beweist es, auch daB die Siguranza (die Behorde, die iiber die offentliche Sicherheit wacht,) den an sich unbedeutenden Demonstrationen der antisemitischen Studenten ebenso wenig fernstand, wie der Ausstreuung falscher Nachrichten da- hin, daB ganz Rumanien unser Eindringen nur ungern duldete — was der Wahrheit ins Gesicht schlagt. Von uns abgesendete oder an unsge- richteteBriefe undTelegrammesindabgefangenworden. Wirkonntenbe- merken, mit vvelcher Sorgfalt man vermittelst ungenauer Informationen der Presse, die man absichtlich nach Bulgarien, unserem Reiseziel nach dem Verlassen Rumaniens, gesandt hatte, eine feindliche Atmosphare geschaffen hatte.*) Wir sind nach BeBarabien gegangen. Wir haben Sitzungen des Kriegsgerichts beigewohnt, das iiber die Aufriihrer von Tatar-Bunar geurteilt hat. Wir haben uns mit den Verteidigern, mit Zeu- gen und selbst mit den Richtern in Verbindung gesetzt. AuBerdem hatten wir Zusammenkiinfte und Unterredungen mit einer groBen Anzahl von Politikern und Pressevertretern: mit CONSTANTIN MlLLE, dem Chefredakteur der „Lupta“, mit der Redaktion und Direk- tion der „Facla“, des „Adeverul“, der „Dimineatza“, der „Aurora“, u. s. w. ..mit den Reprasentanten der tatigsten Vereinigung der ehe- maligen rumanischen Kriegsteilnehmer, mit COSTA FoRU, dem Sekretar der rumanischen Liga der Menschenrechte. Wir haben die Kreise der Intellektuellen, die der Literaten, der An- waltschaft, der Universitat aufgesucht. Wir haben dort viele ausgezeich- nete Persbnlichkeiten von freiem Geiste getroffen und feststellen kon- nen, von welch hoher gedanklicher und kiinstlerischer Kultur diese aus- gesuchte Gesellschaft durchdrungenist. Nochmehr, dasAnsehen des fran- *) Ich mufi hier gegen die Veroffentlichung angeblich von mir in Constanza getaner AuBerungen protestieren, die das periodische Bulletin der rumanischen Presse mitge- teilt hat. Ich soli danach gesagt haben, „daB die Rumanen wenig zivilisierte, allen Idealen abgevvandte Leuje seien,“ u. s. w. Niemals habe ich mir einem grofien Volke gegeniiber eine so torichte Aufierung gestattet; vvahrscheinlich istsie der Sicherheitsbehorde durch einen ungeschickten Polizeibeamten hinterbracht vvorden, der in seinem Beamtenhirn gevvissenhaft irgend ein von mir gesprochenes Wort entstellt hat. Die Henker. 19 zbsischen Gedankens ist im Kbnigreich Rumanien bedeutend. Der fran- zbsische Intellektuelle hat dort tatsachlich nicht den Eindruck der Orts- veranderung, ungeachtet der Tausende von Kilometern, iiber die ihn der Orient-Exprefi hingetragen hat. Bukarest ist, gleich Konstantinopel, die Stadt Europas, wo man am meisten franzosisch spricht. Wir haben gleicherWeise dieVertreter verschiedener Meinungen und verschiedener politischer Parteien kennen gelernt. Ich nenne Dr. LUPU, STERE, VlRGIL MADGEARU, die drei Leuchten der einflussreichen agra- rischen Partei. Wir sind in die Arbeiterklasse eingedrungen. Obgleich ich dazu auf- gefordert wurde, vvollte ich keine bffentlichen Versammlungen abhalten. Man hat gesagt, ich hatte es in Bukarest getan. Aber das ist ein Irrtum. In dem Falle, um den es sich handelt, habe ich lediglich mit meinen Be- gleitern, von denen der eine iiberhaupt keine politische Meinung hat, den Arbeitern der Syndikatsvereinigung in ihrem Lokal einen Besuch abgestattet. Ebenso habe ich mich den syndikalistischen Angestellten, Arbeitern und Studenten Belgrads gegeniiber verhalten. Diese Aufzahlung ist sehr unvollstandig. In dieser Ubersicht meiner Reise bemiihe ich mich, nur die Hauptlinien des umfangreichen und methodisch aufgebauten Untersuchungsgeschaftes zu geben und meine Eindriicke in grossen Umrissen zu ordnen . . . An Ort und Stelle sieht man viel, man folgt vielen Spuren, durchdringt mancherlei Geheimnisse. Die Indizien, die vorgefassten Meinungen und die Ergebnisse kommen eins zum andern und gestalten ein klares Bild. Ich stelle fest, dass jeder ehrliche, gewissenhaft und verniinftig prii- fende Beobachter zu denselben Ergebnissen gelangen miisste, zu denen wir alle drei, ungeachtet der personlichen Verschiedenheit unserer Ten- denzen und Meinungen, in vollem Einvernehmengelangtsind. Ichnehme nicht an, dafi es erforderlich ist, erganzend hier ali die Personlichkeiten, mit denen wir verkehrt haben und ali die Kreise, die wir, um unsere Studien zu vervollstandigen, in den iibrigen Balkanlandern, in Bul- garien, in Jugoslavvien und in der Tiirkei, wie auch in Ungarn und in Osterreich, aufgesucht haben, zu ervvahnen. Wir haben uberall die ver- haltnismaBig beschrankte, uns zur Verfiigung stehende Zeit so ausge- nutzt, daB wir sowohl mit den offiziellen Kreisen wie mit den unab- hangigen geistigen Kreisen und mit der Arbeiterschaft in moglichst grofie Beriihrung kamen und den grbfiten Nutzen aus unseren Unter- nehmungen ziehen konnten. 20 Henri Barbusse. In Sofia haben wir Ubersichten und Feststellungen unmittelbar von dem Vertreter Frankreichs, vom Generalsekretar der auswartigen An- gelegenheiten, von den Leitern des mazedonischen Komitees fiir Fliicht- lingshilfe und von den Reprasentanten der revolutionaren mazedoni¬ schen Vereinigung empfangen. Wir haben ferner aufier bei Anwalten und Beamten in jedem Lande auch Opfer oder deren Angehorige, Fliichtlinge, Verbannte, Leute, die sich verborgen hielten, um der Ver- haftung oder der Ermordung zu entgehen, (besonders in der Turkei und in Jugoslavvien) um Auskunft ersucht. Wir haben Beziehungen zu allen bedeutenden Zeitungen angekniipft, — deren Redakteure uns aus freien Stiicken aufgesucht haben. Ebenso war es in Belgrad und in Budapest. Am letzten Tag meiner Reise — in Wien — glaubte ich, von der bis dahin gewissenhaft befolgten Regel abweichen zu kbnnen: nam- lich nicht bffentlich zu sprechen, aus Sorge, der Kritik eine BloBe zu geben, indem ich mich, wenn auch nur mittelbar, an der politischen Propaganda beteiligte. Aber in der Rede, die ich vor einem aus intellek- tuell hochstehenden Menschen zusammengesetzten Publikum und in einer von der internationalen Roten Hilfe in der Volkshalle abgehal- tenen Volksversammlung gehalten habe, habe ich nur von der mensch- lichen Solidaritat gesprochen und lediglich dem Proletariat die Grusse der Proletariate der anderen Lander iiberbracht. An der Schvvelle zu diesem Bericht legen wir, PAULE LAMY, LEON VERNOCHET und ich, Wert darauf, denen die verdiente Ehre zu er- weisen, die, vor uns und mit den gleichen Absichten wie wir, vor kurzem in die Balkanlander gegangen sind, und deren Einflufi, Talent und red- licher Mut den Massen im Westen liber eine Welt von Geschehnissen die Augen gebffnet haben: besonders HENRY ToRRES, MARCEL WlL- lard, Albert Fournier, Daniel Renoult, Plisnier. II. Mord imd Totschlag! Wir alle ziehen in voller Kenntnis der Sachlage und in vollkommener Ubereinstimmung aus unserer schlichten und griindlichen Untersuchung diesen SchluB: Nichts von alledem, was liber den von den Balkanre- gierungen ausgeiibten Terrorismus gesagt worden ist, ist iibertrieben. Denen, die fragen: „Ist es wahr?“ mufi man antworten: „DieWahrheit ist noch schlimmer!“ Es besteht in der durchschnittlichen Auffassung eine behagliche Nei- gung, von vornherein die allzu tragischen Ziige der zeitgenossischen Wirklichkeit abzuschvvachen: „Bitte, man wird uns doch nicht glauben machen, dass in unserer Zeit, . . so murmeln manche Leute, die Skla- ven der allgemeinen Tragheit und MittelmaBigkeit sind. Ohne uns in die Gedankengange zu verlieren, welche diese fliichtige Betrachtung des offentlichen Geisteszustandes hervorruft, wollen wir uns vor die nachgepriiften Tatsachen, die unverloschbaren Ziffern stellen und un- sererseits es sagen und herausschreien: Dort unten geht eine nieder- trachtige Ungeheuerlichkeit vor sich, die ungeachtet des demagogischen Geredes, mit dem sie prunkt, nichts als eine gewaltige Organisation des Meuchelmordes ist. Ich wiinschte, ich konnte die Tatsachen in einem vollstandigen Bilde darstellen und mit einem Schlage die Menge der Beweise fiir sie auf- zeigen; aber damit dieser Bericht nicht iibermaBig lang und ermiidend, selbst im Grauenhaften, wird, ist es notv/endig, anstatt der qualenden Einzeldarstellungen aus der blutigen Riesensammlung, deren — leider unwiderlegliche — Zeugnisse um mich her aufgehauft sind, die Ge- schehnisse im Lichte einiger kurzer Mitteilungen allgemeiner Natur zu- sammenzufassen. Edle verarmteVolker. Die Balkanvolker sind alle, wie marchenhaft unsinnige Ansichten auch iibersie im Umlauf sein mogen, gleich arbeitsam, friedliebend undtapfer. Auf dem ganzen Wege der Rundreise, die wir durch die neuen, an die 22 Henri Barbusse. Stelle der alten Provinzen des tiirkischen Reichs getretenen Konigreiche gemacht haben, sind wir mit vielen aufierordentlich sympathischen, ehr- lichen Arbeitern und Bauern in Beriihrung gekommen, die voli der tiichtigsten Eigenschaften waren. Es gibt auf der Erde keine ehr- licheren Menschen als Befiarabier, Bulgaren oder Tiirken. Und ich wiederhole es gern, dafi in den intellektuellen Kreisen von Bukarest, Sofia, Belgrad, Zagreb — und Budapest — offene Kbpfe im Uberflufi zu finden sind, deren Kultur derjenigen, die man in den entsprechenden Kreisen des Westens findet, gleichkommt und sie sogar oft iibertrifft. Die wirtschaftliche Lage ali dieser Lander ist durchweg mittelmafiig und aus dem Gleichgevvicht gekommen, Elend und Verkummerung herrschen fast iiberall auf den Feldern. In Rumanien, diesem Ackerbau treibenden Lande, betrug die angebaute Flache in den Jahren 1924/25 acht Millionen Hektar, das heiBt, sie war um zwei Millionen Hektar ge- ringer als im Jahre vorher und um fiinfzig Prozent geringer als vor dem Kriege. Die Nationalbank und die anderen Banken haben den Land- leuten den Kredit abgeschnitten, was ihnen gestattet hat, den Zinsfufi auf dreifiig bis vi erzig Prozent zu steigern. Und der offentlicheUnterricht? VonLesens- undSchreibens-Unkundigenwimmelt es in Rumanien. Es gibt 70Prozent absolut Ungebildeter; in einigen Distrikten sind es neunzigPro- zent und bei den Frauen sogar achtundneunzig Prozent. Ein rumanischer landlicher Lehrer mufi von einem monatlichen durchschnittlichen Gehalt von etwa 190 Fr. leben; im alten Rumanien erhalt der ausgediente Lehrer im Monat den Wert eines Dollars, in Befiarabien nur eines halben Dollars. Die Ursachen der vvirtschaftlichen Krise in Rumanien lassen sich auf folgende Tatsachen zuriickfuhren: Die Politik des Raubes der Reich- tiimer des Landes, die Gesetze zur Verstaatlichung der Bodenschatze und betreffend die Unternehmungen der friiheren feindlichen Unter- tanen, die Gesetze iiber die Bergwerke, iiber die Industrialisierung der staatlichen Unternehmungen — die fabelhafte Reichtiimer und Gewinne in den Handen der „Oligarchie“ konzentriert haben —, Abkommen mit der Nationalbank, Erhohung der Abgaben, Wegfall der Steuern auf Kapital und Kriegsgewinne, Abschaffung des Gesetzes gegen die Speku- lation, Vertragsfreiheit hinsichtlich der Mieten. Fiigen wir hinzu: Das politische Regime der „Entnationalisierung“, sovvie das der rohen Unter- driickung der arbeitenden Klassen und der Mittelklassen, wovon ich weiterhin sprechen vverde — mit einem Wort diese Gesamtheit von Mafiregeln, die den alten Feudalismus der Bojaren in den Feudalismus der Kapitalisten umgewandelt haben. Die Henker. 23 In Bulgarien, diesem ebenfalls Ackerbau treibenden Lande (das land- liche Element stellt dort vier Fiinftel der Bevblkerung dar), ist nur ein primitives Ackerbaugerat im Gebrauch: man zahlt je einen eisernen Pflug auf 49 Hektar. Die Tabakskultur nimmt ein Drittel der bebauten Flache ein. Diese Kultur ist nicht ertragreicher als eine andere fur den Land- mann; aber die Landleute haben sie in diesem MaBe aufgenommen, weil sie ihnen durch ein machtiges, gebietendes Konsortium aufgezvvungen worden ist, und auch weil ihre Ausfiihrung vveniger Gerat und Kosten beansprucht als jede andere. Vom Tabak konnten die Produzenten unter den Umstanden, wie sie zur Zeit der dann gesturzten Regierung STAMBOLIJSKIs waren, gut leben und zwar, weil dieser Minister stets dafiir Sorge trug, die Spekulanten und die Zwischenhandler von der Pro- duktion fernzuhalten und die Zusammenarbeit zu ermutigen. Aber als die Militar-Liga dank der finanziellen Hilfe der grossen Tabaksgesell- schaften den Landleuten durch einen Gewaltstreich ihre Selbstandig- keit entriB, setzten sich diese Gesellschaften natiirlich wieder in den Besitz ali ihrer Ausbeuterprivilegien und mifibrauchten sie. Hier gebe ich einige statistische Daten fiir eine einzigeGegend: InGornaDjumaya, im Departement Petritsch, erhielten dieTabaksproduzenten im Jahre 1923 fiir das Kilogramm des durch Vermittlung der brtlichen Genossen- schaft verkauften Tabaks 110 bis 130 Leva, wahrend die Handler bei direktem Bezug von den Produzenten das Kilogramm Tabak zu jener Zeit nur mit 45 bis 70 Leva bezahlt hatten. Gegenwartig kauft der Hand¬ ler, der alleiniger Herr der Lage geworden ist, den Tabak fiir 25 Leva das Kilogramm, und der Lohn des Tabakarbeiters ist um 15 bis 30 Prozent gesunken. Die Industrie krankelt in Bulgarien seit dem Kriege. Wahrend die grofien Tabakfirmen ungeheure Gewinne einheimsen (2 Milliarden Leva im Jahre 1923, die von dem Fiskus mit der lacherlich geringen Steuer von 10 Millionen belastet vvorden sind), und wahrend Spekulation und Wucher bliihen, siechen alle mittleren Industrie- und Handelsunter- nehmungen hin; der Bahnverkehr ist auf die Halfte zuriickgegangen, die Kohlengewinnung hat sich in demselben MaBe verringert. Uberall Bankerotte, UngevviBheit und Sorge um den nachsten Tag. Die Nah- rungsmittelgeschafte kbnnen trotz der allgemeinen Unterernahrung nichts verkaufen. Die Schulden der Privatleute bei den Wucherern be- laufen sich in Bulgarien auf 15 Milliarden Leva, und die jahrlichen Zinsen davon betragen 7 Milliarden; 28169 bulgarische Kriegsinvaliden be- ziehen eine Pension, die 0,80 Dollars im Monat gleichkommt. Diejenigen, 24 Henri Barbusse. welche man die „FriedensinvaIiden“ nennt, d. h. die Soldaten und Offi- ziere, mit deren Hilfe die Regierung ihre Unterdriickungsmafiregeln durchgesetzt hat, und die bei den inneren Unruhen verwundet worden sind, beziehen eine vierfach hbhere Pension als die Kriegsverletzten desselben Invaliditatsgrades. Mit jedem Monat nimmt die Einfuhr zu und die Ausfuhr ab. Das Budget vveist ein Defizit auf, und die Halfte der Einnahmen wird durch die Schuldenzinsen sowie die Unterhaltung des Kriegsministeriums und der Polizei verschlungen. In diesem kleinen Lande gibt es 100000 Arbeitslose, das bedeutet 500000 Angehbrige der arbeitenden Klasse ohne Hilfsmittel. 7—8000 Beamte und Ange- stellte sind arbeitslos — und niemand kiimmert sich darum.*) In Jugoslavvien, wo eine Anzahl Fabriken aufier Betrieb gesetzt sind, und wo die Zahl der Arbeitslosen 200 000 betragt, beginnt eine schwere landvvirtschaftliche Krise zu vviiten. Die Preise der landvvirtschaftlichen Erzeugnisse sind seit dem letzten Jahre in folgendem Verhaltnis ge- sunken: Getreide von 400 Dinar auf 260, Mais von 200 auf 110. Der Preis fiir ein Paar Ochsen ist von 12000 auf 5000 Dinar gefallen. Was das Land betrifft, so betragt der Preis fiir einen Morgen guten Landes, der sich im Jahre 1924 auf 25 000 Dinar belief, jetzt nur noch 10000 Dinar. Aufier ihren wirtschaftlichen Ursachen hat diese Baisse noch einen anderen Grund: die Spekulation der GroBkaufleute. Man erhalt einen Begriff von dieser Spekulation, wenn man bedenkt, daB ungeachtet des Sinkens des Getreidepreises das Brot in Belgrad 4,5 Dinar kostet (mehr als 2 Fr.). In dem letzten jugoslawischen Budget hat man aus Sparsamkeits- griinden das Wirtschaftsministerium unterdriickt, aber das Kriegsbudget um TT1 Millionen Dinar zwecks Ankaufs von Kreuzern und Flugzeugen erhoht. Desgleichen hat man die Lohnung der Wrangel-Soldner erhbht. In Bukarest und in Belgrad macht der wesentlich durch das auslan- dische Kapital gefbrderte industrielle Aufschwung den Eindruck schein- baren Wohlergehens. In diesen „Siegerstadten“ ist der Gegensatz *) Hier mogen einige Einzelheiten aus dem Jahre 1926 iiber die Arbeitslosigkeit allein der bulgarischen Tabaksarbeiter stehen: In Kiistendil gibt es 1200 Arbeitslose bei im ganzen 1500 Arbeitern, in Dupnitza 2800 bei im ganzen 3000, in Philippopel 7000 bei im ganzen 8000, in Stanimaka 2500 bei im ganzen 3000 u. s. w., und die Gehalter haben sich um 50 Prozent verringert. Ich fuge hinzu, daS ein Gesetz iiber die Regelung der Schweine- und Gemiiseaus- fuhr nach England unter den fiir die schon unterernahrte bulgarische Bevolkerung ver- hangnisvollen Verhaltnissen ergehen soli: eine lediglich spekulative Mafinahme, die von den Bankiers ausgeht und von Herrn LJAPTSCHEW in Angriff genommen worden ist. Entsprechende Mafinahmen hat die rumanische Regierung ergriffen, um das Kapital zum Schaden der Lebensinteressen der landlichen Bevolkerung zu begiinstigen, die in ge- vvissen Landesteilen alle zwei bis drei Tage nur einmal essen. („Adeverul“, Mai 1926.) Die Henker. 25 zwischen den modernen Schlbssern der Neureichen und der pittoresken Erscheinung der triibseligen und jammervollen alten Arbeiterquartiere wie der landlichen Behausungen ergreifend.*) In der reichen Vorstadt vonBukarest, aufder riesigen Avenue, deren schattige Ufer mit neuen Palais geschmiickt sind, stehteinTriumphbogen des Sieges. Von weitem macht er einen stolzen Eindruck und zieht die Blicke auf sich; in der Nahe sieht man, daB er aus Gips besteht und verfallen und rissig ist wie ein Ausstellungsschaustiick nach SchluB der Ausstellung. Dieses fadenscheinige Monument aus Pappemachee, diese neue Halbruine symbolisiert sehr charakteristisch die Oberflachlichkeit und geringe Soliditat der gegenwartigen Entwicklung in den Zustanden eines grofien Landes. Schmarotzer-Regierungen, Ubrigens sind ali diese Lander — und das ist das Tragischste, das ihnen allen gemeinsam ist — in den Handen schmarotzerischer Regie- rungen, die nicht aus den Nationen und Volkern hervorgegangen sind, die sich nur durch kiinstliche Mittel erhalten: durch Polizeigewalt so- wie durch militarischen und gerichtlichen Terrorismus, dank jenem alten Prinzip der gesellschaftlichen Mechanik, wonach, wenn man einmal die Macht ergriffen hat, man dadurch allein schon die wirksamsten Mittel *) In Ungarn ahnliche Lage. In diesem Land, wo sieben Landleute auf zehn Ein- wohner kommen, verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage taglich. Der Lohn des Landarbeiters erreicht kaum den drittenTeil des Lohnes des Industriearbeiters. 23000 ungarische Metallarbeiter sind arbeitslos. Der Verbrauch, der durch Steuern iiberlastet ist, hat sich im Verhaltnis zu der Lage vor dem Kriege um die Halfte verringert und zwar nicht nur in dem gesamten auf 8 Millionen Einvvohner reduzierten Lande, son- dern selbst in Budapest, wo die Bevolkerung sich nicht vermindert hat. Die Folge dieser Einschrankung ist eine Zunahme der Kindersterblichkeit und der Schwindsucht. Ungarn schlagt den Rekord der Sterblichkeit infolge von Schwindsucht in Europa. Von Jahr zu Jahr hat sich die Zahl der Selbstmorde in Ungarn um 50 Prozent und die der Morde in Budapest um 60 Prozent vermehrt. In Budapest haben 70000 Menschen keine feste Wohnung, 8992 hausen in Kellern. Ich habe iiberfiillte Kellerwohnungen besucht: drei oder vier Menschen miissen sich auf jedem Bett ausstrecken — oder vielmehr sich zusammenkauern — und zwar die Bett- breite benutzend. Und das letzte ungarische Budget, das von Ausgaben fiir die Polizei, die Gendar- merie, die offizielle Organisation der Streikbrecher uberschvvillt und geheime Fonds fiir jedes Ministerium enthalt, zeichnet sich infolge dieser Aufwendungen aus durch eine Verminderung der direkten Steuern auf den Reichtum, eine Verminderung der Kredite fiir den offentlichen Unterricht, andererseits eine Vermehrung der Ausgaben fiir die Polizei, fiir die Stromiibervvachung, fiir den Unterhalt des „koniglichen“ Hofes des Regenten und fiir die Seminare. Das militarische Budget Ungarns betrug vor dem Kriege 101 Millionen Goldkronen. Heute betragt es trotz der einschneidenden Beschrankungen durch den Trianonvertrag 92 Millionen Goldkronen fiir das kleine Nachkriegsungarn. 26 Henri Barbusse. zu ihrer Erhaltung besitzt. Dennoch ware es nicht ganz zutreffend, wenn man sagen wollte, dafi die Balkanregierungen nur sich selbst reprasen- tieren. In Wahrheit stiitzen sie sich vermittelst der politischen Parteien auf gewisse volkische Elemente, die aber immer innerhalb des Kreises der groBen privilegierten Bourgeoisie verbleiben.*) FERDINAND VON HOHENZOLLERN, der Kbnig von Rumanien, ist eine recht wenig sympathische Personlichkeit, um die herum der nationale Ubervvachungs- und Zvvangs-Apparat fest verankert ist. Aber der so beamtlich eingerahmte Monarch ist nicht der Gebieter. Wir leben in einer Zeit, in der ein Konig nichts ist als ein Werkzeug — wie das in erfreulich zynischer Weise der Wahlspruch der deutschen Junker eingesteht: „Und der Konig absolut, — wenn er unsern Willen tut!“ LJbrigens aber ist er nicht blofies Instrument, da erMittater ist. Dank dem Spiel der Politik regiert die liberale Partei in Rumanien und setzt sich gegeniiber einem fiigsamen Parlament durch. In diesem Phantom eines Parlaments ist die Zustimmung der Mehrheit der Regierungsdik- tatur von vornherein sicher, und die am besten begriindeten, unwider- legbaren Proteste, die manchmal erhoben worden sind, haben mit Ver- trauensvoten geendet, fiir welche eine erdriickende Mehrheit stimmte. Man braucht nicht besonders gut in bezug auf die innere Politik Ru- maniens unterrichtet zu sein, um zur Klarheit dariiber zu gelangen, dafi diese sogenannte liberale Partei in keiner Weise die Bestrebungen oder die lebendigen Krafte der Nation verkorpert. Die zaristische oder die agrarische Partei ist weit verbreiteter im Lande. Die iibrigen hauptsachlichen Parteien sind die Volkspartei des Ge- nerals AwERESCU und die Transsylwanische „National-Partei“. Da die liberale Partei sich mit aller Kraft halt, spielen sich alle moglichen Ver- suche zur Bildung eines Blockes der Opposition ab. Aber es hat nicht den Anschein, als ob diese politischen Kombinationen eine bemerkens- werte Wandlung des Regierungssystems hervorbringen konnten, auBer *) Man miifite, was ich aber nicht tun werde, der Korruption, die auf jeder Stufe des Beamtenkorpers der schmarotzerischen Balkanregierungen wuchert, ein ganzes Kapitel widmen. Ich begniige mich mit dem Hinweis, daB in Jugoslavvien letzthin offentlich Falle von Korruption mitgeteilt vvorden sind, die den Sohn eines Ministers und selbst Minister an den Pranger stellen. Sogar RADITSCH hat in Pakrach ausgerufen: „Die Kor¬ ruption geht durch alle Zweige der Staatsmaschinerie und muB gevvaltsam ausgerottet werden.“ Ein ehemaligerVorsitzender des Conseils, D AWIDO WITSCH, hat erklart, „daB, ehe nicht einige Minister in Gefangenschaft gesetzt wiirden, die Korruption nicht be- seitigt werden konnte“. Gegen RADITSCH sind schwere Anschuldigungen derselben Art von dem Radikalen MARCOVICI erhoben worden. Diese Diskussionen zwischen jugo- slawischen Fiihrern klaren auch die Offentlichkeit iiber die besonderen Ursachen des Krieges auf, wie iiber das Attentat von Serajewo, und deren Hintergriinde. Die Henker. 27 in den Augen einer naiven offentlichen Meinung, die sich mit einer An- derung von Namensbezeichnungenzufrieden gibt. Die rumanischen Re- gierungsparteien haben fast alle dieselben Bestrebungen, und keine von ihnen ist tief im Lande vervvurzelt. Letzten Endes sind sie alle, — auch die Agrarpartei, die zur Macbt nur gelangen konnte, wenn siebesonders zahm werden wiirde, — mehr oder minder die Diener der rumanischen Oligarchie und die Stiitzen einer Regierung, die, wie mir OTTO BAUER inWien sagte, „die feudalistischste in ganz Europa ist“. Welches auch immer die Regierung sein mag, die aus den Wahlen im Friihjahr 1926 hervorgeht, ihrProgramm wird vor allemvvie das der Liberalen das des politischenOpportunismus sein; ihre Taktik wird wie die derLiberalen lediglich die sein, die Opposition zu spalten und hinter der Szene mit starker Hand zu handeln. Dieselben Betrachtungen finden auf die politischen Kampfe im bul- garischen Parlament Anwendung, nur mit dem Unterschied, dafi es der bulgarischen Regierung gelungen ist, einen Block der Opposition aus der Opposition heraus fiir sich zu gevvinnen. Aber wie auch in Ruma- nien, in Jugoslawienund in Griechenland haben die maBgebenden Auto- kraten in Bulgarien andere Mittel zu ihrer Verfiigung als den Parlamen- tarismus. Und diese Mittel nutzen sie fiir die Gestaltung der Wahlen aus. Es ist eine von niemandem bestrittene Wahrheit, dafi, wenn die Wahlen auf dem Balkan frei vvaren, das Ergebnis eine vollstandige Umvvalzung sein wiirde, — die aber die offiziellen Gewalthaber im Augenblick nicht zu fiirchten haben. Die Wahlen auf dem Balkan vollziehen sich unter dem unmittelbaren Druck der Gendarmen und der Faszisten sowie unter brutalen Eingrif- fen der Obrigkeit.*) Tatsachen der folgenden Art sind in Rumanien allgemein bekannt: Wir vvissen, dali in Beliarabien, zu Volontirowka, der Prafekt zur Zeit der Wahlen behufs Einschiichterung der Wahler erklart hat, daB die, welche gegen die Regierung stimmen sollten, BeBarabien zu ver- lassen gezwungen werden wiirden. *) Das Beispiel dieser Methoden, das Schema dafiir, zeigen uns die letzten Wahlen in Saloniki (Griechenland). Die Liste einer Arbeitervereinigung war mit dreitausend Stimmen gewahlt worden. Alles Recht beiseite schiebend, erklarte General PANGALOS dieWahlenfiir ungiiltig. Die Arbeiterliste wurde mit achttausend Stimmenwieder gewahlt. Nun beschuldigte der Diktator die Gewahlten, aufriihrerische Aufrufe an das Heer ge- richtet zu haben, und er lieB ihrer zweiundzwanzig Ende Januar 1926 verhaften. Die Art, wie PANGALOS, der aus den Inseln des Mittelmeers und besonders aus der Insel Santorin Konzentrationslager fiir alle Republikaner gemacht hat, seine eigene 28 Henri Barbusse. In Chaba untersagten die Gendarmen denVertrauensleuten der Oppo- sition den Eintritt in das Wahllokal. Mit diesen Methoden gelang es den Behorden, jede Beteiligung der Landbevolkerung an den Wahlen zu verhindern. Nur811 von den 8000 Bewohnern von Chaba wurden in die Wahlerlisten eingetragen, in Papuchoi 66 von 6000, in Plakhteowa 67 von 8000, in Delieri 66 von 4000 und an anderenOrten 30 bis 100 von 5000 bis 10000 Einvvohnern. In Tatar-Bunar figurierten von den 14000 Einwohnern 1112 auf den Wahlerlisten. Diese Zahl fanden die Behorden noch zu hoch; am 26. Juli verschvvand die Liste und wurde durch eine andere ersetzt, die nur 400 Wahler enthielt. Den Beamten von Tatar-Bunar wurde augenblick- liche Entlassung fur den Fali angedroht, daB die Regierungskandidaten nicht gevvahlt werden wiirden. Der grofieren Sicherheit halber setzte man die bisherigen Gemeindebeamten vonTatar-Bunar ab und ersetzte sie durch sicherere Handlanger, und zwar'innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Der Prafekt priifte die Wahlerliste selbst und strich die Namen einer groBen Anzahl von Personen heraus. Der Agrarier STERE, einer der popularsten Manner in BeBarabien, aber in der Opposition gegen die augenblickliche Regierung, hat mir von den Unannehmlichkeiten, die ihm’wahrend seines letzten Wahlfeld- zuges begegnet waren, von den Roheiten berichtet, die man gegen ihn begangen hatte, und unter denen Manner, welche, wie HaLIPP, hohe Staatsstellungen bekleideten, gleicher Weise zu leiden hatten. Den nicht offiziellen Kandidaten wurde es tatsachlich verboten, Wahlerversamm- lungen abzuhalten. Man findet in den Erklarungen eines bekannten Rumanen, des Pro- fessors der Geschichte und Abgeordneten JORGA, eine vollstandige Darstellung der von der Regierung in der Behandlung der Wahler an- gewendeten zynischen Methoden. Ich lege umso mehr Wert auf dieses Zeugnis, als JORGA sich anderweit als ein recht ungeschickter Ver- teidiger „der Ehre Rumaniens“ erwiesen hat.* *) Wahl vorbereitet hat, entspricht genau dem Wesen seiner Personlichkeit — und des Systems. Er lieB sich eine Abordnung von Offizieren kotnmen, die ihn iiberreden mufi- ten, seine Kandidatur aufzustellen,und nachdem er die Kandidatur von VENIZELOS ein- fach vollig unterdruckt hatte, verbot er den Zeitungen, iiber ihn selbst, was es auch sein mochte, zu schreiben — und in dem durch den scharfsten Belagerungszustand erschopf- ten Griechenland hat dieser blutriinstige Hansnarr 90 Prozent aller Stimmen auf sich vereinigt. Ebenso gut hatte er die Zahl der fur ihn abgegebenen Stimmen im voraus durch Verordnung festsetzen konnen. *) Bei den rumanischen Gemeindewahlen im Februar 1926 sind von den 250000 wahl- berechtigten Einwohnern von Bukarest nur 54000 auf die Wahlerliste gekommen, und kaum die Halfte der Eingetragenen hat Stimmkarten erhalten. Man hat unter dem Die Henker. 29 Diese Vergevvaltigungen der in der Theorie bestehenden Wahlfrei- heit, auf die ich noch zuriickkommen werde, sind in allen Balkanlan- dern iiblich. Sie sind auch nicht auf die Balkanlander im engeren Sinne beschrankt. Nach der ungarischen Verfassung, an deren Zustandekom- men Frankreich erheblich beteiligt war, besteht das allgemeine Stimm- recht nicht. Aus den Wahlerlisten werden alle Burger gestrichen, die kein Zeugnis uber Elementarstudien beibringen kbnnen. Nun gibt es in Ungarn viele Analphabeten; andererseits gelingt es durch geschickte Vervvaltungskunststiickchen, eine groBere Anzahl von Ungarn, die lesen kbnnen, unterdie Zahl der Nichtstimmberechtigten einzureihen. Im iib- rigenstimmt der Wahler offen ab und unterzeichnet seine Stimmabgabe. Man versteht unter diesen Umstanden, wie Behorden und Arbeitgeber einen unbeschrankten Druck ausiiben kbnnen, und man begreift, wes- halb die Regierungspartei im Parlament eine durch Mittel der Wahl unerschiitterliche Mehrheit von 170 Stimmen zahlt. InBulgarien ist die Regierung ZANKOFFs und desGeneralsWALKOFFs, des Kriegsministers, (man kann beide schvver trennen,) wie ich schon erwahnt habe, nicht tiefer venvurzelt als die BrATIANUs in Rumanien. Das Ministerium STAMBOLIJSKI, das jenem vorangegangen war, hatte mehr Lebenskraft. AlEXANDER STAMBOLIJSKI, dieser bauerische Hune, den diemilitarischenSchlachterSLAWEIKOWASSlLIEFFs imjahrel923,ehesie ihn tbteten, geschunden und zerfetzt haben, bleibt eine hbchst eindrucks- volle Gestalt von starker Eigenartigkeit. Er war ein unbandiger Gewalt- mensch. Seine Regierung war eine „bauerische“. Dieser Potentat han- Vorwand des Bestehens ansteckender Krankheiten ganze Stadtviertel durch Polizei- ketten abgesperrt, sodafi die Wahler verhindert worden sind zu stimmen (das war be- sonders der Fali in Beltz). Polizeibeamte sind auf frischer Tat dabei ertappt wor- den, als sie gefalschte Stimmkarten abgaben. In einzelnen Bezirken bat man durch Machinationen die Wahlliste der Opposition unterdriickt und ohne Abstimmung die offizielle Liste f ur gewahlt erklart. „Dimineatza“ veroffentlicht dieTricks, vermittelst deren man betriigerischer Weise unzahlige Stimmen annulliert hal. Polizeiliche Gewalttaten sind im ganzen Lande veriibt worden. Die Regierung gibt vier Todesfalle zu. Aber es sind wenigstens sechs bekannt geworden; allein in Calafat gab es zvvei Tote und zahl- reiche Verletzte. In Bursugieni 15 Verwundete u.s.w.. Es gibt auch Falle von Falschungen der Ergebnisse: „Adeverul“ vom 22. Februar 1926 verzeichnet den Protest von 1800 Gemeinderaten aus 140 Dorfern — welche erklaren, dali sie entgegen den offiziellen statistischen Tabellen durchaus nicht der Regierungspartei angehoren. Die Wahlen am 14. Februar 1926 haben in ganz Bulgarien Praktiken derselben Art gezeitigt. Einer meiner wiitendsten Verkleinerer, der in Frankreich und in Rumanien wiisteFehden gegen die Leiter der „Humanite“ gefiihrt hat, EUGEN TITEANU, schreibt in „Cuvantul“ in bezug auf dieWahlen: „Als TORRES behauptete, dalj man in Rumanien morde, bin ich ihm entgegengetreten. Nun hat aber BRATIANU das Bestehen des weifien Terrors in unserem Lande bestatigt. Wo besteht die Garantie fiir die Ordnung im Staat, der das Leben seiner Burger nicht schutzt, wenn die Morderbande selbst die Autoritatist?“ (Febr.1926.) 30 Henri Barbusse. delte oft eigenwillig, und man kann sagen, daB von ihm, von seiner „Orangegarde“, von seinem Polizeiprafekten PRUDKIN und von seiner ganzen unverantwortlichen Umgebung die Ara der gevvaltsamen Unter- driickungen in Bulgarien herriihrt. Aber ihmvvar ein starker Sinn fiir das Volkstiimliche eigen, was man nicht verkennen solite. Das Ministerium STAMBOLIJSKI fiihrte Reformen ein, von denen einige sehr bemerkenswert sind, besonders die, vvelche die Arbeitsdienstpflicht, die erhebliche Verallgemeinerung des offent- lichen Unterrichts, die Agrarreform und die Landbanken betreffen. Er hatte eine Art von patriarchalischer Regierung ausgearbeitet und ein- gerichtet, ein kiihnes Unternehmen, das indes unter einer gewissen gei- stigen Enge litt, zum Beispiel hinsichtlich der brutalen Beiseiteschiebung aller Intellektuellen. ZANKOFF machte sich STAMBOLIJSKIs Ungeschick- lichkeiten und Vergewaltigung der Arbeitermassen (er verstand nicht, Arbeiter undBauern zusammenzubringen), sowie den Umstand, dafi er die Offiziere, die Burger, die Geldleute und die Intellektuellen verstimmt hatte, zu nutze, um einen Gewaltstreich zu vvagen, der es ihm im Laufe einer halben Stunde, von drei LJhr bis drei Uhr dreifiig Minuten am Morgen des 9. Juni 1923,ermoglichte, STAMBOLIJSKIs Regierung zu stiir- zen und zu ersetzen. ZANKOFF war angesichts der offentlichen Meinung genotigt, mit einem Parlament zu regieren. Er erreichte durch allerlei Bestechungsmanover wie durch Einschiichterung und Zwang den ZusammenschluB aller be- stehenden Parteien — mit Ausnahme der Agrarpartei und der kommu- nistischen Partei — unter dem Namen demokratische Vereinigung (De- mokratitscheski Sgowor). Er unternahm es darauf, den teuflischen Plan auszufiihren, sich die Mehrheit dadurch zu sichern, daB er die Angehb- rigen der beiden unbotmafiigen Parteien oder die mit ihnen sympathi- sierenden Personen und dann weiter alle Oppositionellen durch Mord beseitigte. Damit ist es ihm bis jetzt gegliickt: Die Tatsachen, die Daten, die Statistiken bevveisen es. Man sieht sich genotigt, den Knechtssinn zu brandmarken, den die Parteien, die sich inpomphafter und heuchlerischer Weise Oppositions- parteien nannten, und besonders die sozialistische Partei, bei der Ge- legenheitgezeigt haben. Die „Epocha“, das Organ des fiihrenden Sozia- listen PASTUCHOFF, feiert den 9. Juni als den Tag „der Befreiung von einer Tyrannei, die schlimmer als die tiirkische Tyrannei war“. Der Vor- stand der vereinigten sozialistischen Partei begluckwiinschte das Offi- zierkorps zu der entscheidenden Rolle, die es gespielt hatte, vierzehn Die Henker. 31 Tage nach dem Staatsstreich, den die Regierungstreuen (wie die Fas- zisten in Italien) falschlicher Weise als Revolution bezeichneten—• was eine unverzeihliche Gemeinheit ware, wenn man es nicht als mildernden Umstand ansehen wollte, daB in diesem Augenblick die Partei vielleicht nichts anderes als das Ende einer Regierung sah, die einen erbitterten Kampf gegen sie gefiihrt hatte, und dafi sie vielleicht nicht voraussah, dafi ZANKOFF StAMBOLIJSKIs Verbrechen verhundertfacht erneuern wiirde. Jedenfalls aber haben sich die Sozialisten in der Folge niemals gegen den weifien Terror der ZANKOFF-WALKOFF erhoben, und der „Narod“, das offizielle Organ der Sozialisten, schrieb am 15. September 1923: „Es ist sicher, dafi die Sozialisten an der Unterdriickung der agrarischen Un- ruhen und der Aufstande im September teilgenommen haben. Wir wollen uns den daraus sich ergebenden Verantwortlichkeiten nicht entziehen." Ein Sozialist, KASASSOFF, hat eine Zeitlang dem Ministerium ZANKOFF angehort, und erst ganz neuerdings ist mit Riicksicht hierauf sein Aus- schluB aus der sozialistischen Partei beschlossen vvorden. Ohne Zweifel besteht zvvischen der Regierung ZANKOFF-WALKOFF und dem Žaren BORIS eine Spannung und Nichtiibereinstimmung, aber offenbar ist der Zar nicht Manns genug, um den menschlichen Anschau- ungen, von denen er beseelt ist, zur Vorherrschaft zu verhelfen und um es zu vermeiden, seinen Namen in engere Verbindung mit einer Regierung der Art zu bringen. Er begniigte sich damit, die aus politischen Griin- den gefallten Todesurteile nicht zu unterzeichnen, obwohl er der erste ist, der einsieht, daB seine Bedenken ganz zwecklos sind, da die Macht- haber in seinem Reiche sich nicht scheuen, die, welche er retten wollte, durch Meuchelmord verschwinden zu lassen. Die Geistlichkeit? Die bulgarische Synode hat soeben eine ausfiihr- liche Botschaft an die bulgarischen Christen gerichtet: „Im Namen der christlichen Nachstenliebe fordern wir das bulgarische Volk auf, der Regierung zu helfen, die Ordnung wieder herzustellen." Wenn man weiB, was dieser Ausdruck: „die Wiederherstellung der Ordnung" bedeutet, muB man die Haltung der Geistlichkeit als monstrbs ver- urteilen. In Jugoslawien zeigtdie Regierung PASCHITSCH im vvesentlichen die- selben charakteristischen Ziige. Auch sie bekampft die politische Opposi- tion durch die Gewalt und den Zwangsapparat, der allen Regierungen zu Gebote steht. Ja, Jugoslawien hat, der Zeit nach, damit begonnen, alle Oppositionsparteien als gesetzvvidrig hinzustellen und Staatsfaszismus zu treiben. 32 Henri Barbusse. Die Glavvniatscha in Belgrad, das Zentralgefangnis, die Bastille Jugo- slawiens, riihrt noch aus der tiirkischen Zeit her. Unter den OBRENOWITSCH und der feudalistischen Regierung war sie von Haftlingen und deren Martern erfiillt. Seit dem 29. Mai 1923 hat die Dynastie KARAGEORGI- WITSCH den Konak inne, hat sich die radikale Partei, die einst von MlLAN und AlEXANDER verfolgt worden war, in den Besitz der Macht gesetzt, — und das Staatsgefangnis spielt die gleiche Rolle gegeniiber denen, welche die Sache der Freiheit und der Gerechtigkeit verteidigen. Die Drahtzieher in Jugoslavvien, das nicht eine Vereinigung von Volkern ist, sondern das friihere, durch erbeutete Lander, die es schlecht behandelt, vergrofierte Serbien, fiihren andauernd Krieg mit den Arbeitern, mit den Bauern und mit den nationalen Minderheiten. Das Ministerium PASCHITSCH hat sich durch die Verbindung mit der kroatischen Partei unter der Fahne seines grofienFiihrers RADITSCH ge- kraftigt. Mit diesemPakt hat sich RADITSCH imGegensatz zu denPrin- zipien der von ihm gebildeten Partei dem proletariatsfeindlichen Werk des Ministeriums PASCHITSCHunddessenimperialistischen Zielen (Aspi- rationen auf Albanien und Saloniki) zur Verfiigunggestellt. Er scheut sich nicht, das Schicksal einer ganzen Partei und selbst einer ganzen Be- volkerung mit seinem eigenen Geschick in recht groblicher Weise zu verbinden. Er sagt — wie uns die „Balkanagentur“ berichtet—: „AlIe, die eine Regierung ohne RADITSCH einsetzen wollen, sollen davon iiberzeugt sein, dafi in diesem Falle die Kroaten nicht Teil des jugoslavvischen Staates sein werden.“ Selbst die von solchen Regierungen vorgenommenen Reformen kon- nen nichts anderes sein als Vorwande und Hilfsmittel der Herrscherge- walt. Die gepriesenen Agrarreformen, von denen das offizielle Gerede in Rumanien wie in Bulgarien so viel hergemacht hat, sind eine Vor- spiegelung falscher Tatsachen. Die Aufteilung der Latifundien in Trans- sylwanien und Befiarabien hat den Bauern nichts geniitzt, sondern hat unerhorten Giiterschacher hervorgerufen und den Gendarmen, Polizi- stenundbehordlichenHandlangern reichliche Gewinne eingetragen. Die weitgehende Agrarreform STAMBOLIJSKIs in Bulgarien ist in der Folge durch die vom Kabinett ZANKOFF erzwungenen Abanderungen vollkom- men entstellt worden. Bin Gesetz der Unbill. In allen Balkanlandern, zu denen man in dieser Hinsicht wie in mancher anderen auch Ungarn zahlen kann, haben die Machthaber ein Gesetz Die Henker. 33 zur „Sicherheit des Staates" in Kraft gesetzt. Die rumanischen, bulga- rischen, jugoslawischen und ungarischen Gesetze zur Sicherheit des Staates haben sozusagen alle denselben Typus. Sie geben denbestehen- den Gewalten alle Mittel zur Ergreifung und Niederschlagung derer, die sich nicht zu genau den gleichen Ansichten bekennen, welche die herrschende Richtung hat. Die einfache Tatsache, daB jemand einen Ge- danken aufiert, der als umstiirzlerisch bezeichnet wird, daB man gewisse Zeitungen erhalt oder liest, daB man mit auslandischen Organisationen Verbindungen pflegt, daB man irgend eine kritische AuBerung tut, von der ein koniglicher Staatsanwalt annehmen konnte, daB sie das natio- nale Ansehen schadigt, ali solche Dinge ergeben den Tatbestand von mit schweren Strafen bedrohten Vergehen und Verbrechen. MARCEL WlLLARD schreibt zutreffend, dafi der Artikel 20 des bulgarischen Gesetzes die Minderheiten buchstablich der absoluten Willkiir einer Re- gierungsmehrheit preisgibt, was fiir das moderne Recht und vom Stand- punkt der Billigkeit eine Ketzerei ist. Dieses Biindel der Balkangesetze ist eine Herausforderung und ein Attentat auf das Menschenrecht. Da- mit hat man Willkiir und Laune an die Stelle des Rechts gesetzt. Man konnte es das auBerhalb des Gesetzes gestellte Gesetz nennen. Auf Grund dieser Ausnahmegesetze sind Leute einfach deshalb ver- urteilt worden, weil sie sich am Orte eines Attentats befanden, sind Manner und Frauen zumTode verurteilt worden, weil sie von der Poli- zei verfolgte Fliichtlinge aufgenommen hatten, ohne zu wissen, daB diese Fliichtlinge schuldig waren, und selbst, ohne daB die Schuld derselben je festgestellt worden ware.*) Kein Jurist und iiberhaupt auch kein Mensch von gesunden Sinnen kann anders als mit Entsetzen die allzu beriichtigte Bestimmung lesen, wonach die Todesstrafe wegen einer als gefahrlich angesehenen Pro¬ paganda verhangt werden kann, oder die, wonach die Eltern gehalten sind, ihre eigenen Kinder anzuzeigen und der Polizei auszuliefern. *) Man kann sich leidit vorstelleh, vvelche Gewalt iiber die Freiheit der Staatsbiirger so kautschukartig-e Bestimmungen verleihen, wie die des Artikels7 des ungarischen Gesetzes von 1921, das sich das Gesetz zur Sicherheit des Staates und seines „Ansehens“ nennt: „Wer etvvas wahrheitswidriges verbreitet oder behauptet, das geeignet ist, das An¬ sehen des ungarischen Staates oder der ungarischen Nation zu mindern oder ihren Kredit zu schadigen, begeht ein Delikt, das mit Gefangnis bis zu fiinf Jahren be- straft wird. t Die Strafe betragt bis zu zehn Jahren Zvvangsarbeit, wenn die Handlung in der Ab- sicht begangen worden ist, einen Staat oder eine auswartige Nation zur Vornahme einer Feindseligkeit gegen den ungarischen Staat oder die ungarische Nation anzustiften, und wenn die Anstiftung einen feindseligen Akt zur Folge gehabt hat, wird sie mit lebens- Barbusse. Die Henker. 3 34 Henri Barbusse. Schliefilich kampfen in allen Balkanlandern die reaktionaren Regie- rungen gegen ihre Volker. Durch Prozesse und Verurteilungen, durch einzelne Attentate oder durch Metzeleien erreichen sie die „materielle Vernichtung" der Emanzipationsgedanken. Sie bedienen sich, wie Ru- manien, Jugoslawien und Griechenland, der militarischen Okkupation und der „Angleichung“ ihrer neuen Provinzen oder, wie Bulgarien, der mittelbar oder unmittelbar durch ihre Werkzeuge erregten Unruhen, um mit mathematischer Genauigkeit ihr Programm der Ausrottung durch- zufiihren. langlicher Zwangsarbeit bestraft. Ein solcher feindseliger Akt kann audi ein Zeitungs- artikel sein.“ Es sei hier, wenn audi nur, um auf die Ansteckung hinzuweisen, die derartige sonder- bare Prinzipien zur Folge haben, darauf aufmerksam gemadit, dass in Esthland eine Anzahl Bauern zu drei bis vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden sind. Sie waren des„Wohlwollens“fur die Aufriihrer vom Dezember beschuldigt. Ein gewisser REISAN ist zu drei Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, weil „man beobaditet hatte, wie er sidi in der Nahe seines Hauses mit einem Fremden unterhielt". III. Die Organisationen der Zersdimetterung. Die Balkanregierungen bedienen sich samtlich ungefahr derselben Hilfsmittel und Organisationen zur Unterdriickung. In ali jenen Landern sind die hauptsachlichsten dieser Mittel, die starksten dieser Organisatio- nen: Heer und Militar-Ligen. Man kann sich keine Stelle auf der Welt vorstellen, wo Uniform und Galons sich einer vollkommeneren Macht- stellung erfreuen, wo die Offiziere in absoluterer Weise unverantvvort- lich und despotisch auftreten konnen. Eine der traurigsten pittoresken Seiten der Balkanhauptstadte ist die Stellung, welche die Offiziere dort einnehmen, und die dort sich breitmachende Aufdringlichkeit der mili- tarischen Denkmaler. Der Militar-Zirkel in Bukarest erdriickt mit seiner iiberreichen Archi- tektur alle anderen Monumentalbauten der Stadt, selbst die Schlosser und die neuen Bankgebaude. Die Militar-Schule in Belgrad ist nicht ein Monument, sie ist ein gan- zes Viertel. Das jugoslavvische Budget belauft sich auf 12 Milliarden Dinar; davon sind 2700000 dem Kriegsbudget zugeteilt, abgesehen von einer Milliarde, die durch die guten Dienste der Bank von Frankreich fiir Neuriistungen vorgeschossen worden ist. In Bulgarien fliefien aus dem Staatseinkommen von ungefahr 5700 Millionen Leva dem Heere und der Polizei 2800 Millionen zu. In Griechenland betragt die Gesamt- summe der Ausgaben 8471 Millionen Drachmen, wahrend die Ausgaben des Kriegsministeriums 2272 Millionen betragen. Militar-Verbande und Polizei. Neben dem offiziellen Militarismus der offiziose Militarismus, neben dem Heere die aus Reserveoffizieren und ehemaligen Offizieren gebil- deten Ligen. Alle Balkanlander sind mit ihnen versehen. Viele haben mehrere von ihnen. Die serbische „Weifie Hand“, (die an die Stelle der „Schwarzen Hand“ getreten ist,) hat ihre Finger in allen neueren poli- tischen Ereignissen gehabt. In Bulgarien bilden vierzehn Angehorige der Militar-Liga den Militar-Konvent, das oberste Komitee, dessen ge- brauchliche Bezeichnung die Schvvadron ist. AuBerdem besteht eine 36 Henri Barbusse. aus fiinf der Liga angehorigen Offizieren zusammengesetzte Tscheka. Der Geheimbund „Kubrat“ wirkt entsprechend. Gevvaltig ist durchweg die Organisation der Polizei. Die rumanische Siguranza (Sicherheitsbehorde) verfiigtuber Millionen, iiber Zeitungen, iiber Gehilfen und Agenten, sie hat Ohren und Hande aller Orten. Sie ist ein Staat im Staate. Die Zahl der Gendarmen auf dem Balkan steht aufier allem Verhaltnis zur Zahl der Einwohner. In Rumanien gibt es 45000 und in jugoslawien 60 000 Gendarmen. Siesind in kleinenGrup- pen iiber das Land verteilt, und sie veriiben Erpressungen, Gewalttaten, Diebstahle und sonstige Verbrechen, sicher vor Bestrafung, wie sie sind. Sie haben, wie ich bereits erwahnt habe, aus dem-sogenannten proleta- rischen Landaufteilungsgesetz auf dem Lande in Rumanien reichlich Nutzen gezogen. Das mazedonische Komitee. Unterdenfiirchterlichsten Mitteln, deren sich diebulgarischeRegierung bedient, um ihre Gegner zu verfolgen und niederzuschlagen, mufi man das beriichtigte mazedonische Komitee nennen, dessen genauer Name Revolutionare innere mazedonische Organisation (R.I.M.O.) ist. Wir miissen versuchen, mit einigen Ziigen die Wesenheit und die Stellung dieses wilden Agitationsherdes zu charakterisieren. Bekanntlich haben die Friedensvertrage das mazedonische Gebiet zerstiickelt und vier Zehntel davon Griechenland, die Halfte Jugosla- wien und ein Zehntel Bulgarien zugeteilt. Die R.I.M.O. hat theoretisch das Ziel derpolitischen Autonomie Maze- doniens. Die R.I.M.O. hat verschiedentlich feierlich erklart, — und einer ihrer Fiihrer hat es mir gegeniiber in Sofia nachdriicklichst wiederholt—dafi sieeifersiichtig ihre Unabhangigkeitwahrenwiirde, und daB das „Zentral- komitee weder irgend einer Regierung noch irgend einer Partei gestat- ten wiirde, aus ihr das Mittel zu Zwecken zu machen, die der Bewegung fiir die mazedonische Befreiung fremd sein sollten". Welchen Glauben haben wir diesem Bekenntnis von Prinzipien zu schenken? Die revolutionare Organisation ist 1893 in Mazedonien von GOTZE Deltscheff, Pere Toscheff, Damian Grueff, Dr. Christo Tatar- TSCHEFF, PETER Pop ARSOFF und GlORTSCHE PETROFF gegrundet wor- den. Mit Ausnahme von PETER POP ARSOFF, der sich vom politischen Die Henker. 37 Leben zuriickgezogen Hat, und von Dr. CHR. TaTARTSCHEFF, der seit drei Jahren als Fliichtling in der Fremde lebt, aus Furcht, von den mazedonischen Agenten WALKOFFs ermordet zu werden, sind alle an- deren Leiter der R.I.M.O. getotet worden, G. PETROFF durch ALEXAN- DROFF und PROTOGEROFF im Juli 1921 zu Sofia; die Leiter der maze¬ donischen Bevvegung, wie SANDANSKV, DlMO DlMOFF, KaNTARDJIEW, BUINOFF, TsCHAULEW und PANITZA sind ebenfalls von den mazedo¬ nischen Meuchelmordern der bulgarischen Regierung umgebracht wor- den. Selbst AlEXANDROFF, der siebzehn Jahre lang der ergebenste Helfershelfer des Konigshauses und der Regierung von Bulgarien war, wurde von der Regierung ZANKOFF unter Beihilfe des Generals PRO¬ TOGEROFF am 31. August 1924 getotet. Bis zum Jahre 1905 war die R.I.M.O. eine vvahrhaft revolutionare Organisation der Massen. Nach dem Scheitern des Aufstandes im Jah¬ re 1903, bei dem 20000 Mazedonier mit der Flinte in der Hand drei Monate lang gegen 300 000 turkische Soldaten gekampft haben, hat die Organisation sich in zwei Fliigel zerspalten: der rechte, die Minderheit, hat sich das Programm der bulgarischen Regierung zu eigen gemacht, namlich Annexion Mazedoniens durch Bulgarien (Autonomisten); der andere, der linke Fliigel, fuhr fort, fur die Unabhangigkeit des maze¬ donischen Volkes im Rahmen eines Balkanbundes zu kampfen (Fbde- ralisten). Gegenwartig ist die Organisation, die den Namen R.I.M.O. tragt, „autonomistisch“; sie ist auf den unter der bulgarischen Herrschaft be- findlichen Teil Mazedoniens beschrankt. Sie ist nicht geheim. Ihre Fiihrer standen in sehr inniger Verbindung mit der friiheren Regierung ZAN- KOFFs und stehen noch heute in solcher Verbindung mit der Regierung LjAPTSCHEW. Diese Organisation handelt im Einvernehmen mit der Mili- tar-Liga und mit den Wrangelleuten. Sie hat an den Metzeleien der bulgarischen Bauern und Arbeiter vom Juni und September 1923 tati- gen Anteil gehabt; sie hat in der Zeit vom 12. bis zum 30. Septem¬ ber 1924 hundertsechzig mazedonische Revolutionare, darunter DlMOFF, einen Arbeiter- und Bauerndeputierten, sowie Kameraden des Griinders der R.I.M.O., J. DELTSCHEW, KANTARDJIEW, BUINOFF, St.HADJIEW, friihere Abgeordnete, den Journalisten JOWKOFF, den Rechtsanvvalt S L. KOWATSCHEFF u.s.w. umgebracht; sie hat in den ersten fiinf Monaten des Jahres 1925 hundert Bauern, die Parteiganger von SANDANSKY und von PANITZA waren, im Bezirk Petritsch, ferner im Jahre 1924 P. TSCHAU- LEW in Mailand und T. PANITZA 1925 in Wien getotet. Sie hat an der 38 Henri Barbusse. Niedermetzelung bulgarischer und mazedonischer Arbeiter, Bauern und Intellektueller nach dem Attentatin der Kathedrale vom 16. April 1925 teilgenommen. Diese Organisation ist eine Filiale des Kriegsministeriums und der Polizei der ZANKOFF-WALKOFF. Unter der mazedonischen Be- volkerung, die der serbischen und griechischen Herrschaft untersteht, bat diese Organisation keine Anhanger. Auswarts sind es die bezahl- ten Parteiganger ZANKOFFs, die sich „Autonomisten“ nennen. Seit dem Sommer 1908 besteht eine Spaltung in die linksgerichteten Mazedonier, die sich „F6derative Volkspartei" nennen und in die rechts- gerichteten, die „Konstitutionellen Clubs“. Herr OB0FF hat als Zeuge in dem Prozefi des DASKALOFF-Morders zu Prag die unterscheidenden Ziige der verschiedenen Elemente, die man die Mazedonisten nennen konnte, ins Licht geriickt. Im Marž 1924 schien es so, als wenn ein Manifest foderalistischer Tendenz ALEXAN- DROFF, PROTOGEROFF und TSCHAULEW einen Augenblick vereinigen konnte. Aber Intrigen haben diesen Bund aufgelbst, und nach dem ge- waltsamen Tod AlEXANDROFFs und TsCHAULEWs ist General PROTO¬ GEROFF alleiniger Herr der R.I.M.O. geblieben, die endgiiltig vvieder „autonomistisch“ geworden ist. Die Treibereien des mazedonischen Komitees von Petritsch bei dem beklagenswerten griechisch-bulgarischen Zwischenfall, bei dem aufs Neue mazedonisches Blut fliefien mufite, haben jetzt einen klaren Einblick in die von den beiden mazedonischen Elementen, Autonomisten und Foderalisten, eingenommene Haltung gebracht.*) Dem objektiven Beobachter erscheint es sonnenklar, dafi das maže- donische Komitee die furchtbare Agitations- und Unterdriickungsmacht, die es darstellt, in den Dienst des weiBen Terrors gestellt hat, und nicht *) Seit IV2 Jahren ist eine Annaherung zwischen den „ Autonomisten “ und den Agenten serbischer Nationalitat des Herrn PASCHITSCH, wie dem Abgeordneten KIR- KOWITSCH, der vor vier Monaten mit einer besonderen Mission nach Sofia gegangen ist, zu bemerken. KIRKOWITSCH hat mit den Leitern der mazedonischen Organisation ZANKOFFs verhandelt. Seitdem hat dieser Abgeordnete in der serbisch schreibenden Presse des unter serbischer Herrschaft stehenden Mazedoniens und in den zu Bittolja und Gewgeli abgehaltenen Versammlungen einen Feldzug unternommen, der die Inter- vention Jugoslavviens zu Gunsten der unter griechischer Herrschaft stehenden „serbischen“ Mazedonier herbeifiihren solite — was man als eine Intervention zu Gunsten der An- nexion des unter griechischer Herrschaft stehenden Teils Mazedoniens durch Jugo- slawien zu verstehen hat. Dieses Unternehmen hat die Billigung der bulgarischen Re- gierungspresse und der mazedonischen Presse in Sofia gefunden. Daraus ergibt sich die zwingende SchluBfolgerung, dafi tatsachlich ein Einvernehmen zvvischen den „Auto- nomisten" und der serbischen Regierung, oder genauer gesagt, ein Einvernehmen zwi- schen 'den Regierungen Serbiens und Bulgariens besteht, und daB diese letzte die „ Autonomisten", die ihre gelehrigen Werkzeuge sind, dazu veranlafit hat. Die Henker. 39 minder, daB der reaktionare Imperialismus im Gegensatz zu den maze- donischen Freiheitsbestrebungen steht. Wie es scheint, hat LEBEDEFF nicht mit Unrecht behauptet, daB die „autonomistische“ R.I.M.O. des Generals PROTOGEROFF „aufgehort hat, revolutionar zu sein, und einfach ein Werkzeug in den Handen der Dynastie COBURG geworden ist“. Faszisten und Kosaken. Unleugbar ermutigt die Bukarester Regierung ungeachtet ihrer Neu- tralitatsversicherungen die vvachsende und riihrige Gruppe der anti- semitischen Studenten, dieser Faszisten und Provokateure. Wahrend sie den unabhangigen Studenten einen lahmenden Schlag versetzt hat, in- dem sie ihre Organisation aufloste und ihre Zeitung verbot,*) duldet sie offen die Propaganda der antisemitischen Studenten. Auf diese Weise ist die antisemitische Partei, die in Bukarest niemals existiert hatte, (sie beschrankte sich auf Jassy unter der Leitung von COUZA, der von der Hbhe seines Universitatskatheders herab ganz offen den Pogrom pre- digte,) durch die Liberalen in Bukarest gegriindet worden. Die Anti- semiten haben fiinf Zeitungen zu ihrer Verfiigung, machen sich mit ihren Anzeigen und ihren Abzeichen auf offener StraBe breit und werden in ihren offentlichen Kundgebungen niemals beunruhigt. Als einige dieser Teufelskerls eines Abends vor meinem Hotel briillten, um mich dafiir zu strafen, „dafi ich die nationale Souveranitat angetastet hatte“, hat man mir versichert, dafi sie von Sičherheitsbeamten umgeben waren, deren Hauptsorge darin bestand, die Menge zu hindern, sie bei ihrer Demonstration zu storen. Das sind jene jungen Leute, die vermoge ihres besonderen Begriffes von der Ehre Rumaniens den Sekretar unserer Liga fiir Menschenrechte daran verhindert haben, in Bukarest das Wort zu nehmen. Um den Preis einiger Gefalligkeiten haben hier die Behor- *) Und doch hatten die Ziele dieser Vereinigung der unabhangigen Studenten, die ein Ukas vernichtet hat, nichts Umsturzlerisches. Das Wochenblatt dieser Vereinigung „Das Universitatsleben", das ebenfalls unterdruckt worden ist, fafite diese Ziele wie folgt zusammen: „Beschleunigung der Riickkehr der Studenten zur Achtung des Ge- setzes und der freien MeinungsauBerung, sowohl innerhalb wie auBerhalb der Univer- sitat, und Zusammenfassung aller Bestrebungen, die zum Ziel die Besserung der materiellen Lage aller Universitatsarbeiter und der Studienmoglichkeiten haben.“ Die Vereinigung hatte diese Richtlinien innegehalten. Wahrend der vier Monate ihres Be- stehens hatte sie sich glanzend entvvickelt. Sie zahlte bei Beginn 60 Mitglieder und war in der Folge, wahrend jenes kurzen Zeitraums die machtigste rumanische Universitats- organisation geworden. 40 Henri Barbusse. den ein bequemes Mittel, einen Druck auf sich ausiiben zu lassen.*) Man kann den kiinstlichen Charakter dieser antisemitischen Agitation, die inmitten der am wenigsten fanatischen und am wenigsten zum Rassen- hafi neigenden Bevblkerung der Welt von gewerbsmaBigen Storenfrie- den gevvaltsam unterhalten wird, nicht genugsam betonen.**) Noch eine andere Gruppe gewahrt den Balkanregierungen ein Ge- vvaltmittel zur Durchfiihrung ihres Unterdriickungssystems, die friiheren Wrangel-Offiziere und -Soldaten. Man trifft in den StraBen Belgrads *) Seitdem ist es noch besser gekommen. Im Februar 1926 gab es einen neuen Aus- bruch von Antisemitismus unter den rumanischen Studenten: Heftige Kundgebungen in der Universitat und auf der StraBe, bei denen es zu Tatlichkeiten kam, jiidische Laden gepliindert und zerstort, Gewalttatigkeiten gegen die Personen unternommen vvurden. Die Polizei hat diesen wiitigen Manifestanten eher geholfen, als daB sie sich ihnen in den Weg gestellt hatte. Indessen hat ein Kriegsgericht den jiidischen Studenten GH. KLEIN aus OradeaMare, unter der Anschuldigung, „daB er der Leiler einer jiidischen Studentenorganisation sei, die zu dem Zweck gebildet sei, den von den christlichen Studenten gegen die jiidischen Studenten veriibten Gevvalttatigkeiten Widerstand zu leisten oder ihnen mit Gewalt zu begegnen," zu vier Monaten Gefangnis verurteilt. Die Strafe ist in Gemafiheit des Artikels 213 des Strafgesetzbuches betreffend die Ver- einigungen von Ubeltatern verhangt worden. Die „Romania Muncitoare" in Pariš, die dies unglaubliche Urteil kommentiert, kon- statiert mit Recht, daB in Rumanien die christlichen Studenten, d. h. die Faszisten, die unter dem Schutze der Polizei die jungen jiidischen Studenten anspeien, schlagen und prugeln und sie zwingen, in die Fremde zu gehen, anerkannte „Wohltater“ von offent- lichem Nutzen, und daB ihre Opfer „Ubeltater“ sind. Andererseits haben die „christlichen“ Studenten, die einen Streik begonnen hatten, um ihre christlichen Anspriiche zur Geltung zu bringen, (sie haben dabei zum Gebrauch giftiger Gase ihre Zuflucht genommen,) einen Schritt bei ANGELESCLJ, dem Minister des offentlichen Unterrichts, getan, um ihn zu bitten, diejenigen Studenten, „die im Ver- dacht stehen, mit den Kommunisten zu sympathisieren“, (unter denen in diesem Fali die Nichtfaszisten zu verstehen sind,) von der Universitat, von den Laboratorien, sowie von den Studentenkantinen und Wohnungen auszuschlieBen. ANGELESCU, derVater der rumanischen Universitat, hat ihnen ervvidert: ,,Verschaffen Sie mir eine Liste aller Studenten, die umstiirzlerischer Ideen verdachtig sind, und die Siguranza, die mit den Universitatsbehorden im Einvernehmen ist, wird die notigen MaBregeln ergreifen." **) Denken wir daran, daB der antisemitische und faszistische „Nationalistul“ die einzige rumanische Zeitung ist, welche die Budapester Falschmiinzer offen verteidigt. Nun sind die ungarischen Faszisten Irredentisten, die von der Wiedereroberung Transsylwaniens traumen. Die rumanischen Faszisten sind mehr faszistisch als rumanisch. An anderer Stelle heiBt es: „Das Rumanien der Bojaren hat uns die Wiederauf- erstehung einer mittelalterlichen Praxis gebracht:die Religionsverfolgungen.Tatsachlich unterrichten uns die rumanischen Zeitungen von den Verfolgungen, unter denen der groBte Teil der Bevolkerung des Dorfes Albesti im Bezirk Husi wegen „Lasterung der Staatsreligion" zu leiden hatte : Das grofie Verbrechen dieser Ungliicklichen besteht darin, daB sie der Sekte der Adventisten angehoren. Wahrend die rumanische Regie- rung die verschiedenen Religionsansichten verfolgt, schickt sie nach auswarts Abord- nungen, die der offentlichen Meinung ihre Toleranz riihmen." (C. MILLE, Lupta.) Im Februar 1926 teilten die Zeitungen mit, daB eine Kartonnagenarbeiterin, LENUTA FILIPUICI, weil sie in der sozialistischen Revue einen Artikel veroffentlicht hatte, von dem man annahm, daB er „zur Verachtlichmachung der Kirche und der konfessionellen Schule geeignet sei“, zu einem Monat Gefangnis verurteilt worden ist. Die Henker. 41 Kosaken in Uniform, die — einer von ihnen hat es letzthin auf der Strafie gelegentlich eines Tumults hinausgeschrieen — nur darauf war- ten, mitzuhelfen, dem gegenrevolutionaren Werk, mit dem es ihnen gegen die Russen nicht gegliickt war, in den Balkanlandern zum voll- standigen Siege zu verhelfen. VANDERVELDE bemerkt aus Anlafi seiner Reise nach den Balkanlandern, daB es in Bulgarien von Tausenden von Wrangel-Soldaten wimmelt. Man spricht von 40 000 Wrangel-Soldaten in diesem Lande, und diese Zahl hat nichts Unvvahrscheinliches. Auf Frankreichs Verlangen hat Bulgarien die bewaffneten Wrangel- Truppen aufgenommen. Diese hatten einen offiziellen Vertreter namens PETRIAEFF, der in der russischen Gesandtschaft zu Sofia wohnte. STAM- BOLIJSKI hielt die Wrangel-Soldaten kurz, und das Leben wurde ihnen damals schwer gemacht, aber ihre entscheidende Teilnahme am Staats- streich im Juni 1923 machte ihr Gluck. Auf dem KongreB der russischen National-Liga im September 1925 hat der General MILLER, der den General WRANGEL und den Grofifiirsten NlKOLAUS vertritt, Kenntnis von einer erbaulichen Tatsache gegeben: 8000 Wrangel-Soldaten und 4000 Don-Kosaken stehen vollstandigorga- nisiert in Bulgarien. Alle russischen Fliichtlinge im Lande unterstehen un- mittelbar den Monarchisten und Wrangelleuten, welche sie zum Vorteil des GroBfiirsten unter der Androhung der Austreibung vergewaltigen und sich der nichtmonarchistischen Fliichtlinge entledigen. Der Vor- sitzende des russischen Komitees spielt tatsachlich die Rolle des russi¬ schen Gesandten und legt seine schwere Hand auf die ganze russische Kolonie. Die Wrangel-Soldaten, diese Spezialisten des Biirgerkrieges, die „den bulgarischen Bauern verabscheuen und die bulgarische Regierung lieben", haben mit den hoheren bulgarischen Offizieren oder Subalternen gemischte Vereinigungen geschaffen. Sie haben ihre besonderen Ein- richtungen. Sie traumen davon, ihre grofie Militar-Schule zu bekommen, und sie vverden es zweifellos erreichen. Sie haben schon eine Schule in Serajewo. Auf diese Weise erneuern und vervielfachen sie sich. In den Bergwerken von Pernik zahlt man unter 6000 Arbeitern 2000 alte Wrangel-Soldaten, deren Anstellung von der Regierung verlangt worden ist. Wenn man die eingehendenBerichte iiber die Unterdriickungen liest, erkennt man die bedeutende Rolle, die in dem unter den Balkanvolkern angerichteten Gemetzel diese behaglich in dem armen Bulgarien einge- richtete und in Jugoslawien nicht weniger festsitzende parasitische und reaktionare Organisation spielt, welche die imperialistischen und Unter- 42 Henri Barbusse. driickungsplane beider Regierungen ausfiihrt, selbst wenn diese Plane im Gegensatz zu einander stehen. Die Wrangel-Truppen vvaren es, die 1924 in Albanieneingedrungen sind, dieRegierungFAN NOLIs, die sich auf die bauerischen Massen stutzte, gestiirzt und AHMED ZOGU zur Macht gebracht haben, der die Gewalt der feudalistischen Beys wieder- hergestellt und die auswartige albanische Politik der der serbischen und italienischen Dynastie unterstellt hat. Diesen Raufbolden ist die Auf- gabe, die man ihnen stellt, gleichgiiltig, vorausgesetzt, daB sie bezahlt wird und volksfeindlich ist. Einer von ihnen, der noch vveiter sieht als auf das fette Tageseinkommen, hat der Frau ANNA KARIMA den Wrangeltraum kundgetan: Rufiland wieder herzustellen und dann diesem vviederhergestellten RuBland die „Balkan-Provinzen“ anzu- schlieBen. Das Wirken dieser verschiedenen Krafte hat eine systematische und erbarmungslose Zerschmetterung aller auf eine wirkliche Demokratie selbst in der abgeschwachtesten Form hinzielenden Bestrebungen zur Folge. Das Volk ist wehrlos. Was vermag das Volk auf diesem Burgerschlachtfeld, auf dem der ganze Mechanismus der Macht dazu benutzt wird, es mundtot zu machen und zu knechten? Es hat nicht das Recht, fiir die Verteidigung seiner Interessen, fiir die rechtmafiige und heilige Solidaritat der Arbeiter und der Menschen unter einander einzutreten. Man kann sagen, daB es ein Vereinsrecht in den Balkanlandern nicht gibt. Wenn es nach dem Buch- staben des Gesetzes existiert, so ist es doch in der Tat unmoglich, es anders zu verwirklichen als nur zum Schein. Die Kongresse werden auf der Stelle verboten und aufgelost. Erlaubt sind nur klagliche Parodien von Arbeiterorganisationen, deren Maske blinde Untervviirfigkeit der Regierung gegeniiber verdeckt, traurige Zahmungsprodukte, die Blend- werke fiir das interessierte Volk und fiir die offentliche Meinung der Welt sind. Wenn die syndizierten Arbeiter in Bukarest eine Versamm- lung abhalten, steht immer ein Polizei-Inspektor am Eingang des Ver- sammlungsraumes und priift und kontrolliert die Eintritts-Karten. Alle offentlichen Kundgebungen sind verboten. Die paar proletarischen Kund- gebungen, die mir zu Ehren auf den offentlichen Strafien von Bukarest und Belgrad stattgefunden haben, bedeuten Ausnahmen, die im Augen- blick nur aus besonderen Griinden geduldet worden sind und die sich Die Henker. 43 in der Folge in diesen grofien Stadten sicherlich nicht wiederholen werden.*) Es mub besonders auf die wilde Entschlossenheit hingewiesen wer- den, mit der jeder Versuch faktischer Zusammenarbeit von Arbeitern, auch wennes sich umnichts anderesals einen gevvohnlichen Verein han- delt, verfolgt und unmoglich gemacht wird. Die bulgarischen Syndikate waren in den Handen der Arbeiterklasse machtige Hebel der Kultur und des Fortschritts. Aber alle unabhangigen Arbeiterorganisationen, selbst die, welche sich strikt im Rahmen der Berufsinteressen hielten, wurden aus ihren Raumen vertrieben und aufgelost. Eins der bezeich- nendsten Beispiele ist das der Unterdriickung der groben bulgari¬ schen Arbeitergenossenschaft Oswobojdenie (Emanzipation), die 68000 Mitglieder, 140 Zvveigstellen und 400 Agenturen zahlte. Ihre Gu- ter und Gelder vvurden beschlagnahmt. Diese tyrannische Mafinahme hatte nicht nur das Ziel, die Bande der organisierten Volkssolidaritat zu zerschneiden, sondern auch das, die kleinen Handelsleute von der fiir sie furchtbaren Konkurrenz der Genossenschaft zu befreien. Letzt- hin sind ohne jeden Grund siebzehn Mitglieder der Syndikatsvereini- gung in Bukarest verhaftet vvorden. Die Vereinigung der unabhangigen bulgarischen Syndikate, die 35000 Mitglieder zahlte, ist aufgelost wor- den.**) Ebenso wie in Ungarn, das auch eine Art Balkanland ist, hat man infolge von Streiks ganzen Gevverben, wie denen der Schuhmacher und Drechsler, (die nicht Kommunisten sind,) das Vereinsrecht genommen, und in Rumanien wie inBulgarien werden nur solche Vereine geduldet, die zu steter Untervvurfigkeit bereit sind. Uberdies werden demokra- tische und sozialistische Parteien nur geduldet, wenn sie fiir ihren Knechts- sinn Garantien gegeben haben. In Belgrad ist das schone Lokal der bliihenden Syndikatsvereinigung von der Polizei beschlagnahmt und an einen Kaufmann verkauft wor- den, vvahrend es in Jugoslawien 250000 Arbeitslose gibt, (die das Ge- setz als Schuldige betrachtet,) wahrend der Arbeiter dort Steuern in *) Ich kann dasselbe von den volkstiimlichen Kundgebungen sagen, die aus AnlaB des Kongresses der der zweiten Internationale angegliederten Syndikate im April 1926 zu Sofia stattgefunden haben. **) AnlaBlich dieser Auflosung heiBt es in dem Bericht der bulgarischen Syndikate, der am 13. November 1924 von den Leitern der elf Verbande unterzeichnet worden ist: „Wir wiederholen noch einmal, daB die offiziellen Behauptungen, vvonach die Syndikate in den Bahnen der kommunistischen Partei gehen, vollig irrig sind. Die Archive und die Satzungen der Syndikate sind in den Handen der Behorden. Sie mogen nur eine einzige Tatsache anfiihren oder eine einzige Urkunde vorlegen, aus denen hervorgeht, daB die Syndikate gesetzvvidrige Handlungenjmternommen haben." 44 Henri Barbusse. Hohe von 6% des Lohnes, der Angestellte von 50% des Gehalts, das als Einkommen behandelt wird, zahlt, wahrend die Biirokratie, aus 200000 Beamten bestehend, dort 50% des Budgets verschlingt, und wahrend die Altersversicherung aufgehoben worden ist. In Bulgarien ist in 90% der Unternehmungen der Achtstundentag ab- geschafft worden. Das Leben ist vierzigfach teurer als vor dem Kriege, und die Gehalter haben sich nur um das Fiinfzehnfache erhoht. Und das Sdiweigen! In dem heutigen Rumanien, Jugoslawien und Bulgarien, dem pathe- tischsten Schauplatz der Balkanholle, vvandelt sich fiir die Beschauer die methodische Erstickung jedes Pulsschlages derFreiheit in eine Ruhe, die das Herz bedriickt, weil es die Ruhe des Friedhofs ist. Man weifi wohl, dafi die Haupter, die sich erhoben haben, abgeschlagen worden sind, und daB, wenn hier und da andere sich wieder erheben, sie ihrer- seits abgeschlagen werden; daB alle lebendigen und bewuBten Krafte der Stadt- und Landarbeiter vernichtet worden sind oder der Vernich- tung anheimfallen werden. Diese Gesamtverstummelung kann dem, der dieses Schreckensland nur passiert, den Anschein von Ordnung vor- tauschen. Aber der Friede ist nur ein Leichentuch, und die Uberleben- denverstehen,dafi ihr Leben nuran einemWink, nur an einemWorthangt. Bulgarien, Rumanien, Jugoslawien, Griechenland sterben am weiBen Terror. IV. Volker am Kreuz. Wir miissen nun auf die Einzelheiten der Verfolgung und der Mord- taten eingehen, miissen, die Allgemeinheiten und abstrakten Be- trachtungen bei Seite lassend, uns zu den Opfern stellen, sie betrachten und sie zeigen und, wenn wir es vermbgen, sie zahlen. Es sind ihrer zuviele. Aber sie zu zahlen ist unmoglich. Ich habe versucht, Statistiken auf- zustellen, indem ich die feststehenden und offenkundigen Attentate zusammenstellte. In dieser Aufzahlung klaffen vielfache Liicken: es gibt zuviel Einzelfalle und zuviel Anhaufung von Fallen. Manche schatzen die Zahl der Opfer der Unterdriickung durch die bulgarische Regierung seit dem Antritt des Ministeriums ZANKOFF auf etwa 18000 Tote. Dies ist, wie ichglaube, die von VANDERVELDE angegebene Zahl und unge- fahr dieselbe, welche die zuverlassigsten und berufensten Zeugen, mit denen ich zusammengekommen bin, geschatzt haben. Eine unabhangige hohePersbnlichkeit, die wunderbarer Weise nochjieut in Sofia lebt und sich in Freiheit befindet, versichert, dafi in der Zeit von dem Staats- streich im Juni 1923 bis zu dem Attentat in der Kathedrale, im April 1925, 15000 Morde begangen worden sind, und seit dem Attentat 5000. Die Frauenkommission der englischen Arbeiterpartei stellt in ihrem Bericht vom 10. September 1925 fest, daB ungefahr 20000 Landleute, darunter 25 Abgeordnete, ermordet worden oder verschwunden sind. Vor etwa einem Jahr schrieb der „New Leader" in England: „Uns stehen Tatsachen zu Gebote, die fast unglaublich scheinen. In Bulgarien sind im Monat Januar allein 150 politische Morde zu verzeichnen gewesen.“ CHARLES MAUS, ein amerikanischer Journalist, hatgeschrieben: „Am 22. April, sechs Tage nach dem Attentat in der Kathedrale, gab es 30000 Gefangene und 4000 Verhaftungen." Obschon Konig BORIS offentlich von Tausenden von Opfern, ZAN¬ KOFF von Hunderten von ermordeten Lehrern gesprochen hat, obschon der bulgarische Minister des Ausvvartigen, der Oberst KALFOFF, zu M. 46 Henri Barbusse. ERSKIN, dem Vertreter Englands in Sofia, gesagt bat, daB 5000 Men- schen allein wahrend des Monats September 1923 hingemordet worden sind, — ist die offiziell zugegebene Gesamtzahl natiirlich geringer. Die „Mitteilungen“, welche die bulgarische Regierung in die Zeitungen, ohne Erlauterungen und ohne Einzelheiten, einriicken laBt, verleiten den leichtglaubigen Leser zu denken, daB die erschreckenden Zahlen, die man sich zuraunt, iibertrieben sind. KlSSIMOFF, der Generalsekretar des bulgarischen Ministeriums des Ausvvartigen, den ich bereits erwahnt babe, gab mir die Versicherung, daB dieAnzahl der getoteten Revolu- tionare seit dem Regierungswechsel 3500 nicht iiberstiegen habe. Auch diese Schatzung des bulgarischen GroBvviirdentragers ist sogar noch, wenn man einem der Manner Glauben schenkt, welche die franzbsische Republik in Sofia vertreten, iibertrieben. Dieser, der mich in Abwesen- heit des Gesandten, welcher verreist war, um in Genf fur die allgemeine Verbriiderung zu wirken, in der franzbsischen Gesandtschaft empfangen hat, ist der einzige, von dem ich die Behauptung gehort habe, daB es seit dem Sturze STAMBOLIJSKIs nicht mehr als 2500 bis 3000 Opfer ge- geben habe. DerKriegsminister,GeneralWALKOFF, das tatigste Mitglied des Mini¬ steriums, hat in der Sobranje erklart, dafi seit dem Attentatam 16. April dieZahl der getoteten Revolutionare ungefahr 25betragen habe! Diese Erklarung ist in der Tat eine unverschamte Herausforderung. Der Ab- geordnete, ehemalige Ministerprasident MALINOFF, der mir diese mini- sterielle Erklarung, die er sich nicht zu eigen machte, hinterbracht hat, hatte mir unmittelbar vorher erzahlt, dafi ihm nach der Affare vom 16. April seitens der Angehorigen von 121 aus politischen Griinden Hinge- richteten Bittschriften zugegangen waren, und daB diese 121 augen- scheinlich nur ein Teil der Opfer waren. In dem Organ der bulgarischen Regierung, „Demokratitscheski Sgo- wor“, vom 16. November ist die folgende Statistik fiir den Monat Oktober 1925 verof fentlicht: „46 Morde,darunter 9 von Frauen,24 Selbstmorde, da- runter 9 von Frauen, 15 Schwerverwundete, 2Leichenfunde, 35 todlichVer- letzte, darunter 5 Frauen, 4 Selbstmordversuche, darunter 2 von Frauen, im ganzen 135 Opfer im Monat Oktober.“ In dieser offiziellen Statistik bedeutet„Leichenfunde“:auf Befehl der Regierung ermordetePersonen. Hier seien einige Stellen aus einem GeheimerlaB des Kriegsministe- riums wiedergegeben, die denjenigen, welche sich versucht fiihlen soll- ten, den offentlichen Erklarungen der Regierung, in der WALKOFF wirkt, eine Špur von Glauben zu schenken, ihre Illusionen nehmen werden. Die Henker. 47 Geheimerlafi des Kriegsministers. »Samtliche Garnisonen und Militareinheiten haben sich mit den Orts- komitees der Regierungspartei zu dem Zweck in Verbindung zu setzen, die Mittel zur Bekampfung der Bauernsyndikate und der Kommunisten zu vereinigen. Gegen diese besonders muB mit aller Strenge vorge- gangen werden. Vor allen Dingen sind die Intellektuellen, und zwar die fahigsten und kiihnsten Anhanger dieser Ideen, auszurotten. Aufs schnellste sind Listen dieser Leute herzustellen, damit im gegebenen Augenblick alle ihre Fiihrer, ob schuldig oder unschuldig, getbtet wer- den kbnnen. Uberall wo LJnruhen ausbrechen, sind ohne Gnade alle Gefangenen, Verrater, Mitschuldigen und alle, die ihnen LJnterschlupf gevvahren, umzubringen. Ebenso sind ihre Familien zu behandeln, und ihre Hauser sind anzuziinden. „Wenn die Aufstandischen oder die »Gesetzesiibertreter" sich in einem Gebaude verbergen, so ist es, um den Behorden Verluste zu ersparen, anzuziinden, anstatt es im Sturm zu nehmen. Die Heereseinheiten haben sich mitSpritzen zu versehen, um diese Hauser mit Petroleum zu iiber- giefien. »Jeder Gefangene ist binnen 24 Stunden abzuurteilen und hinzu- richten. Die Aufstandischen sind unter den Augen ihrer Parteiganger hinzurichten. Ungehorsam gegen die Offiziere ist mit sofortiger Hinrich- tung zubestrafen. Ebenso ist dieTodesstrafe liber alle diezu verhangen, welche, was es auch sein mag, von diesem Erlafi verraten." Beachten wir, daB dieser ErlaB vor dem Attentat in der Kathedrale ergangen ist. In einer militarischen Bekanntmachung vom August 1924 war gesagt worden, dafi die bulgarischen Truppen auf die Bevblkerung ohne vor- herige Ankiindigung feuern wiirden, was seitens einer staatlichen Be- horde eine Niedertracht ist, fiir die es wenige Beispiele gibt. Lander des Sdiredkens. Unter dem triigerischen Zeichen der Ordnung und des Kampfes gegen den roten Terror, unter dem Vorvvand von Komplotten, Geheimvertragen oder Aufruhr, die absichtlich entstellt oder provoziert waren, durch die Strafziige auf das Land und durch die Mordfallen in den Stadten, durch die »legalen" und illegalen Vollstreckungen hat die Menschenvernich- tung gewaltigen Umfang angenommen. 48 Henri Barbusse. Friihere Minister und Abgeordnete, Kampfer, Offiziere, Priester, An- walte, Arzte und Beamte sind einzeln oder in Mengen gefallen. Man hat ihre Namen, ihr Alter und die entsetzlichen Einzelheiten ihres Todes- kampfes in Buchern aufgezeichnet. Ich ervvahne einige Falle: Die Ermordung des Abgeordneten PETKOFF, dessen Fali man mit dem von MATTEOTTI verglichen hat. PETKOFF, der gewagt hatte, die Sophistereien der bulgarischen Faszisten und die Verbrechen ihrer Helfershelfer bffentlich zu entlarven, (er zeigte eines Tages vom Rednerpult das blutbefleckte Hemd des ehemaligen Abge¬ ordneten STOJEFF, der von der Polizei in grausamer Weise getotet vvorden war) erhielt zahlreiche Drohungen, und niemand zweifelte da- ran, daB seine Ermordung nur eine Frage von Tagen sein wiirde. Er wurde von dem Leutnant RADEFF beim Verlassen des Parlaments ge¬ totet. Bei seinem Leichenbegangnis gab es drei tragische Erscheinungen: seine Mutter, die an der Stelle, an der er ermordet worden war, nieder- kniete, als der Zug dort vorbeikam, die Witwe GENADIEFFs und die Witwe STAMBOLIJSKIs, zweier anderer hervorragender Opfer deran der Macht befindlichen Henker. DASCHIN, der Biirgermeister von Samokov, wurde von einem Hand- langer der Regierung auf der StraBe von Samokov am hellen Mittag ge¬ totet. HADJI-DlMOFF, ein kommunistischer Abgeordneter, hatte das- selbe Schicksal. Der Abgeordnete und Rechtsanvvalt STRASCHIMIROFF wurde gleichfalls auf derStrafie ermordet — weil er einen Kommunisten verteidigt hatte, und am 6. Marž 1925 wurde eines der hauptsachlichsten Vorstandsmitglieder des Eisenbahnersyndikats, STOJANOFF, der letzte lebende kommunistische Abgeordnete, in derselben Weise niederge- schlagen. Nach dem Attentat in der Kathedrale wurde eine grofie Anzahl land- licher Abgeordneter, besonders PETRINI und KOSSOWSKI, und zu glei- cher Zeit der Journalist GRENTSCHAROFF, sowie mehrere andere Fiihrer der Arbeiter- und Bauernbewegung auf dem Wege zum Gefangnis getotet. Der Tabakarbeitersekretar STEFAN KYRADGIEFF wurde ebenso wie der Sekretar der Vereinigung der Arbeitersyndikate, JEKO DlMITROFF, ermordet. Desgleichen sind WASSIL GEORGIEFF vom Zentralkomitee des Transportgevverbes, GENO PETROFF, der Sekretar der Syndikats- vereinigung von Warna (dieserwurde am 9. Juni 1925 zu Ehren desGe- denktages des Staatsstreichs niedergeschlagen), TEMELKO NENOFF, der Sekretar der Bergarbeitervereinigung, ermordet worden. Ebenso auch NlKOLAUS GRAMOWSKI vom Zentralkomitee des Vereins der Bank- Die Henker. 49 angestellten, IVAN MANDEFF, der ein Mitglied dieses Komitees war, des- gleichen dieDoktoren TZARVULANOFF undWASSIL IWANOFF, beideMit- glieder des Zentralkomitees der Sanitatsarbeiter. WASSIL STAMBOLIJSKI, der Bruder des friiheren Ministers, wurde im Gefangnis von Tatar-Pazardjik ermordet; bevor man ihn totete, riB man ihm die Augen aus. Dem Doktor SPAS DUPARINOFF wurden von den als Soldaten ge- kleideten Offizieren, die ihn im Zuge von Plovvdiv nach Sofia eskortier- ten, die Arme, der Hals und der Riicken mit Messerstichen durchbohrt; alsdann wurde er erschossen und aus dem fahrenden Zuge gevvorfen. TODOR TlTORENKO wurde im BezirkWiddin an ein Automobil gebun- den und im Fahren zerfetzt. ALEXANDER ATHANASSOFF und NAIDEN KlROFF, die zusammen mit anderen auf die Unterprafektur von Russe geladen waren, wurden im Hofe dieses Gebaudes von den Beamten iiberfallen, die sie mit Revolverschiissen toteten. In der offiziellen Presse gab man an, daB sie eine Bombe gevvorfen hatten, und daB sie dann bei der Verteidigung gegen die Polizei umgekommen vvaren. WASSIL MULETAROFF und LAMBI KaNDEW, sovvie einige vierzig andere uner- wiinschte Personen vvurden in dem Speisesaal des sechsten Regiments in Sofia niedergemetzelt. ENEN MARKOWSKI wurde im Krankenhaus von Schumen vergiftet. AuBer den Ervvahnten zahle ich noch einige Falle auf, die besonders von sich reden gemacht haben: In den Strafien vvurden getbtet: N. Genadieff, Marin Popoff, Goran Petkoff, Stojan Kalatzoff, Jordan Vischegradski, Kosta Iliew, Kosta Entschew (ihm wur- de der Kopf abgeschnitten, Brust und Leib durchbohrt), BORIS HADJI- SOTIROFF (dessenzerstiickeltenLeichnam die Hunde aufgevviihlt haben), ASSEN HADJI WaSSILEW, GUTSCHO PAGNOFF, u.s.vv. ... In den Ge- fangnissen oder in den Amtsstuben vvurden ermordet: NEDELKO GEOR- giew, Angel Groskoff, Iwan Parwanoff, Walko Garwanski, Kamon Petroff, Alexander Hadji-Petroff, Jwan Dimitroff, Wassil Welitschkoff, Janko Haidukoff, Christo Bojitschki, Angel Wissokoff, Dimitri Kondoff u.s.vv.. Bei der Uberfiihrung ins Gefangnis oder beim Transport von einem Ort zum andern vvurden TZONOE MATOFF, IWAN KOJUCHAROFF, Kantscho Tschamoff, Georgi Damianoff, Pet ko Eneff, u.s.vv. beiseite gebracht. Das sind so einige Namen, da man ja doch Namen nennen muB, die fieberhaft aufs Geratevvohl aus dem Aktenhaufen, den ich vor mir habe, Barbusse. Die Henker. 4 50 Henri Barbusse. ausgewahlt sind. Wir miissen nun noch einige Blicke auf die Massenhin- richtungen vverfen. Diese Massenmorde erfolgten besonders in Bulgarien nach dem Sturz der Regierung STAMBOLIJSKIs, dann im September 1923 anlafilich der Aufstande auf dem Lande (5000 Opfer) und nach dem Attentat in der Kirche (5000 Opfer), in Rumanien anlafilich der Okkupation der neuen Provinzen. In BeBarabien allein wurden 18 000 Bauern ermordet. Folgendes hat mir in bezug auf die VergeltungsmaBregeln, die in- folge der landlichen Unruhen ergriffen worden sind, ein bulgarischer Fliichtling gesagt, den ich in Konstantinopel gesehen habe — er ist jetzt aufierhalb des Bereichs der wilden Bestien —: „Bei meiner Ankunft in Burgas errichteten wir ein Komitee des Widerstandes gegen die unge- setzliche Unterdriickung, das aber, da es den Wink erhielt, dafi es massak- riert werden wiirde, auseinanderstob und sich in die Weinberge fliichtete. Das Heer kam, zernierte die Weinberge und schofi hinein. EFTIM WALT- SCHEW aus Burgas und KRUM AtHANASSOFF wurden getbtet. Zwei Kameraden gelang es zu fliehen. Einer von ihnen, IWAN RASCHEFF, war am Bein verwundet worden und glaubte, in Burgas zu Hause blei- ben zu konnen, um sich behandeln zu lassen; aber sein Vater lieferte ihn aus Furcht vor der Regierung den Behorden aus, und er wurde auf der Strafie erschossen. Der andere Kamerad, der in einem nahen Dorfe Nah- rung suchen gegangen war, vvurde dortergriffen. Darauf versuchte er, sich zu vergiften, aber er wurde durch den Arzt gerettet. Dieser Kamerad hieB PASKAL NENOFF. Die Polizei, die erfahren hatte, daB NENOFF seine Mutter zartlich liebte, lieB sie verhaften und wahrend einer ganzen Nacht vor den Augen des Sohnes foltern. Auf diese Weise gelang es, aus ihm alles herauszubekommen, was man vvollte. Da indessen die Polizei meinte, daB die von NENOFF preisgegebenen Geheimnisse nicht ge- niigend interessant waren, totete sie seine Mutter, die mit Hilfe von FiiBe und Hande durchbohrenden Nageln auf dem Fufiboden ge- kreuzigt war. Der Korper der alten Frau war infolge der Schlage der- art geschwollen, entstellt und aufgedunsen, dafi ihre Kleidungsstiicke am Fleisch klebten. NENOFF, der in einer Ecke des Polizeikellers, an Handen und Fiifien gefesselt, diesem Morde beiwohnen muBte, ist in¬ folge davon wahnsinnig geworden und wurde am nachsten Tage im Ge- baude der offentlichen Sicherheit erschossen." Nachdem der bulgarische Hauptmann KUZMAZOFF Gruppen von jungen Leuten vor den Augen ihrer Eltern hatte erschieBen lassen, be- fahl er diesen, ihm die Hande zu kiissen. In den Dorfern, durch die er Die Henker. 51 gekommen war, haben tagelang die Hunde menschliche Glieder umher- gezerrt. Anderswo band man Menschen mit Seilen an Lastautomobile, ehe man die Wagen in Gang setzte. In der Stadt Ferdinand (ich greife aufs Geratewohl einige Episoden heraus) totete man alle Verwundeten, ferner zwei fiinfzehnjahrige Krankenpflegerinnen und zwei Arzte, die sie gepflegt hatten, endlich zweiundzwanzig Kinder oder Geschvvister der Aufstandischen. Selbst die wurden getotet, denen fiir den Fali der Unterwerfung die Gnade versprochen worden war. Letzthin wurde iiber den Fali des Leutnants MORARESKU, eines Ru- manen, verhandelt. — Die Laufbahn dieses Offiziers ist eine unsag- bare Kette von Morden. Er hat wahrend zweier Jahre der militarischen Okkupation Bebarabiens gewiitet. Alle Zeugnisse lassen ihn in einem wahrhaft phantastischen Licht erscheinen. Als man ihn nach dem Stande seiner Gesundheit_fragte, erwiderte er: „Es geht mir sehr gut, ich tbte.“ Er hat eine Welt von Fliichtlingen erschieben lassen, welche iiber die Dnjestrgrenze gegangen waren, und die er durch seine Versprechun- gen nach Rumanien zuriickgelockt hatte, und er hat sich mit dem, was er ihnen raubte, bereichert. Auf seinem Wege hat er soviel Manner und Frauen, wie er irgend konnte, erwiirgen lassen. Er wiitete gegen die Soldaten, wenn sie nicht gemordet hatten. Wenn eine Bauerin, die er- wiirgt werden solite, ein !Kind in den Armen trug, bestand er darauf, mit eigener Hand das Kind zu toten. Er lieb die Bauern tanzen, bevor sie erschossen wurden. Die Menschen, die er allein geopfert hat, und die in der Nahe des Dnjestrs beerdigt worden sind, bilden zusammen einen ungeheuren Friedhof — und dabei sind noch nicht die Leichen eingescharrt, die er einem ihm befreundeten Arzte zum Zweck von Laboratoriumsversuchen schickte, indem er vor der Hinrichtung dafiir Sorge trug, ihm von der Sendung Nachricht zu geben. Dieser Ver- brecher, der auch ein Leichenfledderer und ein Falscher ist, wurde nicht nur freigesprochen, sondern er ist auch begliickvviinscht worden, und der General EPURE hat ihn vor Gericht fiir einen Nationalhelden er- klart. MORARESKU, dem der grobe rumanische Schriftsteller PANAIT ISTRATI offentlich furchtbare Wahrheiten ins Gesicht geschleudert hat, ist, wie man sagt, zum Propaganda-Agenten der Regierung ernannt worden.*) *) SLAWEIKO WASSILEW, einer der Griinder und Leiter der Militar-Verbande, der in Bulgarienblutigwiitet,hat geschrieben: „DieTeilnahme der Offiziere amsozialenund po- litischen Leben des Landes ist von hoher Bedeutung. Erzogen in der Achtung der Pflicht, in der Liebe zum Vaterlande, in dem Rešpekt vor der Moral, werden die Offiziere da- 52 Henri Barbusse. Die „Gereditigkeit". Dennoch gfibt es nach solchen Operationen noch Uberlebende, denn man kann nicht ein Volk wie ein Feld mahen, und so haufen sich un- zahlige Prozesse und darunter manche riesenhafte. In Bulgarien gibt eine auf Grund der offiziellen Blatter aufgestellte Statistik der politischen Massenprozesse die folgenden Ziffern fiir den Zeitraum vom Mai bis zum August 1925: Zahl der Prozesse 81, AnzahI der Angeklagten 3557, Todesstrafe gegen 600 beantragt, Verurteilun- gen 611, Todesurteile 300. In Bulgarien ervvarten 300 Menschen gehangt zu werden, und 4000 abgeurteilt zu vverden. Nach dem Attentat im April vvurden mehr als 1000 Menschen, welche fiir die Demokratie ein- getreten waren, zu Zwangsarbeit verurteilt. Dazu kommen 2800 Angeklagte, gegen die dreiBig neue groBe Pro¬ zesse gefiihrt werden, z. B. der Monstre-ProzeB von Schumla mit 500 Angeklagten, der von Lom mit 120 Angeklagten, der von Russe mit 131 Angeklagten und der von Chaskovvo mit 300 Angeklagten. Das gebrauchlichste Mittel, um die Anklagen zu begriinden und um den koniglichen Staatsanwalten das Material fiir ihre Behauptungen zu lie- fern, ist die vvahrend der Untersuchung angevvendete Folter, was eben- sowohl in Rumanien wie in Bulgarien der Fali ist. NlKOLAl LuPU, der Fiihrer der zaristischen und Agrarpartei, einer der in Rumanien bekann- testen Politiker, erklarte im Jahre 1923 vor einem Gerichtshofe: „Die Siguranza ist eine Organisation von Banditen, die vor nichts zuriick- schreckt. Sie rekrutiert sich aus der Hefe und dem Abschaum unseres Landes. Als ich Minister war, hat sie mich ausspioniert und versucht, die gemeinsten Erpressungen gegen mich auszuiiben.“ Die Schrift KOSTA FORUS, die begonnen hat, die unglaubliche Gleich- giiltigkeit der europaischen offentlichen Meinung aufzuriitteln, zahlt siebzig Falle auf, in denen die Angeschuldigten durch die Folter zu Ge- standnissen gezwungen worden sind. Dieselbe Behandlung hat die Si¬ guranza Frauen und jungen Madchen angedeihen lassen. Die Frauen zu beitragen konnen, unserpolitisches Leben zugesunden.“Dieser SLAWEIKO WASSI- LEW,derheute Minister ist, vvarKommandant des BezirksTatar-Pazardjik im Augenblick des Staatsstreichs vom 9. Juni 1923. Unter seinem Oberbefehl geschah der Mord an STAM- BOLIJSKI. Im September 1923 war er Kommandant von Philippopel, und er ist verant- wortlich fiir die Hinmordung von 50 Menschen, die dort im Gefangnis lagen, und fiir die bestialische Massakrierung der Hunderte von Arbeitern, Bauern und Studenten, die gefangen genommen und auf dem Wege nach Tatar-Pazardjik mit Maschinengeweh- ren erschossen vvorden sind. Die Henker. 53 werden vor ihren Mannern, die Manner in Gegenvvart ihrer Frauen ge- foltert. Es gibt kein noch so wildes und raffiniertes Verfahren, das die Polizei- und Sicherheitsbeamten, die Offiziere und haufig die Unter- suchungsrichter nicht angewendet haben, um den unglucklichen Mannern und Weibern, die vor sie geschleppt werden, das HochstmaB an korper- lichen Schmerzen zuzufiigen, ohne sie gerade zu toten. Oft wohnt ein Arzt der Folterung bei und verlangt Einhalt, wenn die Marter tbdlich zu werden droht. Man schlagt die Opfer, bis sie ohnmachtig werden, dann bringt man sie mit kaltem Wasser wieder zu sich, um sie ent- sprechend weiter zu schlagen. Man schlagt mit kautschukumwickelten Eisenstangen, bis das Blut zu den Ohren herausdringt. Man giefit kochen- des Wasser in die Ohren. Man reiBt Nagel und Zahne aus, man legt gekochte heiBe Eier, die unheilbare Wunden hervorrufen, unter die Achseln. Es gibt in der Zentralpolizeibehorde von Belgrad einen Ofen, an dessen Flammen man die Gefangenen halt, von denen man etwas herausbringen will. Man nennt den Namen einer Frau, der man ein zur WeiBglut erhitztes Eisen in den Unterleib gestofien hat. Man sticht mit Nadeln unter die Zunge und mit zur Weifiglut erhitzten Nadeln unter die Fingernagel. Es gibt eine besondere Maschine, mit vvelcher der Kopf gequetscht wird, bis die Schadelknochen krachen. In Schumen gibt es eine hypnotische und elektrische Behandlung, welche „Spezialisten“ gegen die anwenden, die man zum Sprechen zwingen will. Verschiedene Menschen sind ihnen unter den Handen gestorben. Wir haben in dem Gefangnishospital einen Menschen gesehen, dessen Beine durch Folter- instrumente verkriimmt und abgemagert waren. Das sind nicht bloB so Sadismus- und Mordlitaneien, die man aufs Geratewohl herbetet: Es gibtiiberreichlich viel nachgepriifteundunleugbareBeispiele vonjederdieserMartern.Es gibt keinen Gefangenen, der nicht gleich- artige oder ahnliche Falle mitteilt. In Warna setzte man in dem Saal, in welchem die Polizeiuntersuchungen stattfinden, die Motore von drei Automobilen in Gang, um die Schreie zu ersticken. Ein Zeuge hat uns von GEORGI STEFANOFF, einem Metallarbeiter, der verhaftet worden war, erzahlt: man hatte ihm die Brust zerschmettert, sodaB er weder essen noch schlafen konnte, und von einem Angestellten des Hauses RADIWOEW, der geschlagen und mit verbrannter Haut sich nicht mehr aufrecht halten konnte. Ein anderer, der einem gefangenen Kameraden gegeniibergestellt wurde, hat ihn nicht wiedererkannt, so war er seit seiner Verhaftung entstellt worden. Im Mai 1925 schrieb die rumanische Zeitung „Dimineatza“ in bezug auf die Fiihrung des Prozesses gegen das 54 Henri Barbusse. kommunistische Zentralkomitee: „In Massen liegen die Angeschuldig- ten auf dem Boden oder auf Banken, halb bewufitlos, mit kalten Kom- pressen auf Kopf und Herz. Viele schlagen auf dem Boden um sich, Schaum auf den Lippen. Man erlaubt niemandem, ihnen Hilfe zu brin- gen.“ M. CHAPUISAT, vom „ Journal de Geneve“, der weit davon entfemt ist, ein Revolutionar zu sein, der aber, wenn ich mich so ausdriicken darf, zur ersten Halfte ein Revolutionar ist, ein anstandiger Mensch, den das unverdiente Leiden empbrt, hat in pathetischen Worten das Martyrium geschildert, unter dem die rumanischen Kommunisten durch ihre Gefangenenwarter zu leiden haben. Der Journalist KONSTANTIN MlLLE, ein Politiker von aufierst gemafiigten Anschauungen, vor allem aber ein Mann von Herz, hat mit beredter Emporung die Folter „des Frosches" beschrieben, die darin besteht, das zusammengekrummte Opfer um eine Stange zu binden, die Stange zu drehen und es dann auf den Boden zu schleudern; er beschreibt auch das die „Seherin“ ge- nannte Folterinstrument, eine Art eisernen Handschuhs, mit dem man die Fingerknochen bis zur Zerschmetterung preBt . . . und bis der Ge- fangene „gestanden“ hat. „Es ist einer gepriigelt worden“, das ist eine Redensart der Balkan- bewohner. Sie ist banal gevvorden; sie ist schliefilich nichtssagend ge- worden. Die Empfindsamkeit wird durch die Gewohnung rasch abge- stumpft, wenn es sich um Geschehnisse handelt, von denen man nur durch Horensagen erfahrt. Man versuche aber sich vorzustellen, was das an den dunklen Statten der Polizeiamter in voller Wirklichkeit bedeutet: Waffenlose gefesselte Menschen, zahlreiche andere starke Menschen, die sich auf sie stiirzen und sie grausam mifihandeln, die mit stets vvachsender Wut und mit allen moglichen ausgekliigel- ten Instrumenten das Fleisch, das keinen Widerstand leisten und nicht schreien kann, blutriinstig schlagen, und die ohne Pause mit neuen Rei- hen Gekreuzigter dasselbe beginnen, um dann wieder die friiheren zu martern. Viele Gefangene der „friedlichen und demokratischen“ Regierung ZANKOFFs oder BRATIANUs haben ihre Qualen abkiirzen kbnnen, in- dem sie sich aus den Fenstern stiirzten. Voriibergehende haben ihre Leichen gesehen und beobachtet, daB man ihnen die FuBnagel ausge- rissen hatte, und daB ihr Gesicht blau und schvvarz von Schlagen war. Man hat die hohen Fenster vergittert, um die Martyrer zu verhindern, schnell den Tod zu suchen. In anderen Fallen, wie in dem der Frau GlT- SCHEWA, der Gattin eines Baumeisters, die im Gefangnis von Sofia ge- Die Henker, 55 storben ist, bedeutet das Wort Selbstmord zweifellos nur eine offizielle Beschbnigung. Gehen wir, da man sich nicht uberall aufhalten kann, iiber die flagran¬ ten Ungesetzlichkeiten hinweg, die Schandflecke fiir die politischenPro- zesse in allen Balkanlandern sind. Es ist zvveifellos, dafi der gesamte ProzeB betreffend das Attentat in der Kathedrale vom Standpunkt des gewbhnlichsten Rechts auf einer Ungesetzlichkeit beruhte, indem man namlich eine Verordnung iiber den Belagerungszustand riickvvirkend an- wendete. Nicht minder ist es fiir alle Rechtsverstandigen offenbar, dafi das Militargericht fiir die Aburteilung des Falls von Tatar-Bunar unzu- standig war, wie ich mich in der Studie zu zeigen bemiiht habe, die ich dieser Angelegenheit besonders gewidmet habe.*) In dem ProzeB von Tatar-Bunar sind nicht nur die Angeklagten, sondern auch Zeugen gefoltert vvorden. Serien von Attentaten. In Hunderten und Tausenden von Fallen hat man sich nicht die Muhe gegeben, den Gerichtsapparat in Bewegung zu setzen. Man hat sogar in bffentlicher Sitzung der bulgarischen Deputiertenkammer diesen Ge- meinplatz aussprechen kbnnen: „Die Falle von Willkiirakten und Mor- den sind unter dem gegenvvartigen Ministerium haufiger geworden als unter dem von StAMBOLIJSKI." Die Urheber der einzelnen Attentate genieBen Straffreiheit: Als dem Abgeordneten TODOR STRASCHIMI- ROFF auf offener Strafie der Schadel zerschmettert vvurde, hat die Poli- zei die Menge verhindert, seinen Morder zu ergreifen. Den Morder PETKO PETKOFFs ergriff man, lieB ihn aber unmittelbar darauf vvieder frei, unter dem Vorgeben, dafi dieser Mensch ein Polizeibeamter vvare, der einen Morder verfolgte. Gegen die bekannten Morder von PANTCHE MlCHAELOFF und von zwei- oder dreitausend anderen hat keinerlei Verfolgung stattgefun- den. Die offiziellen Mitteilungen, die von Zeit zu Zeit durch die Zei- tungen veroffentlicht werden, wenn die Tatsachen in der Offentlichkeit bekannt gevvorden sind, besagen einfach: durch unbekannte Personen getotet. Und damit ist die Sache erledigt.**) *) Diese Studie ist in besonderer Uebersetzung erschienen. **) Der „Radical“, das Organ der bulgarischen radikalen Partei, hat im Januar 1926 festgestellt, dafi „man vvahrend zweieinhalb Jahren von keinem einzigen Beamten der Regierungspolizei gehort hatte, dafi er wegen seiner Missetaten verfolgt und schuldig erklart vvorden ware“. 56 Henri Barbusse. Die Grenzen bilden kein Hindernis fur die offiziellen Morder: man bat PANITZA in Wien, TSCHAULEW in Mailand getotet, — in beiden Fallen mit Hilfe der bulgarischen Gesandtschaften in diesen Stadten; man hat DASKALOFF in Prag getotet u.s.w.. Man hat in Jugoslawien einen Mann namens DUNGARSKI verhaf- tet, der zugab, mit der Ermordung der „Fuhrer“ im Ausland be- auftragt gewesen zu sein und verschiedene Ausvvanderer, die auf Grund des Amnestiegesetzes nach Bulgarien zuriickkehrten, getotet zu haben. Man hat einen Brief veroffentlicht, den ein Mann namens STANT- SCHEW, ein bezahlter Meuchelmbrder im Dienste ZANKOFFs, an den jetzt im Amt befindlichen STOILOFF geschrieben hat. Dieser Brief spricht von verschiedenen Mordprojekten, von dem Uberflufi an Geldern und den ausgedehnten Vollmachten, iiber die der Schreiber verfiigt. Der Brief liiftet einen Zipfel des Schleiers nicht nur iiber die niedrige Ge- sinnung dieses Mannes, sondern auch iiber dasTreiben jener Individuen im Ausland, die von sich „Wir“ sagen, wie die Staatsmanner. Der Brief ist von Ch. MAUS in der Broschiire „Was geht in Bulgarien vor?“ veroffentlicht worden, ebenso wie ein anderer nicht minder charakteristi- scher Brief des bulgarischen Gesandten in Rom namens RADEFF. Ali diese blutbefleckten Spitzbuben sind zur Stunde frei auf die groBen Weltstrafien losgelassen. Die gewerbsmaBigen Morder in Uniform, die von den Steuerzahlern bezahlt vverden, haben 2000 Arbeiter und Bauern in ihren Barken zu Lom-Palanka in Bulgarien hingemetzelt. Sie haben in Tatar-Bunar an einem einzigen Tage 69 Hauser niedergebrannt, 98 Bauern auf dem Kirchhof getotet und 200 in den StraBen erschossen. An einer anderen Stelle Befiarabiens sind Hunderte von Bauern, zu vieren an einanderge- bunden, auf Befehl des Chefs der Sicherheitsbehorde, YUSARESCU, im September 1924 ertrankt worden — und so ging es Monate weiter. Der Beamte taugt oft nicht viel mehr als der ausgediente Soldat oder der Straflingsaufseher. KOSTURKOFF hat in bffentlicher Sitzung der bulga¬ rischen Kammer festgestellt, daB der Prafekt von Belogradschik ein nach burgerlichem Recht Verurteilter ist. In dem Kbnigreich FERDINANDs VON HOHENZOLLERN ist die Zeitung „WiIag“ von Targu Muresch ver- verboten worden, weil sie die von dem Prafekten VlCTOR MaYOR zum Schaden von 280 Bauern begangenen Unterschleife enthiillt hatte. An- dererseits hat sich der Leiter einer Genossenschaft der Reklamationen, die seine betriigerische Geschaftsfiihrung hervorgerufen hatte, dadurch Die Henker. 57 entledigt, dafi er die Anzeigenden falschlich als Kommunisten denun- zierte und auf diese Weise ihre Hinrichtung veranlaBte. KOLAROFF, einer der Manner, die aufs hartnackigste verfolgt wur- den, und dem es gelungen ist, nach Rufiland zu entkommen, beschreibt eine Hinrichtungsszene, wie sie ihm von einem friiher sozialistischen Polizeibeamten erzahlt worden ist: „Sieben Menschen sind an einander gebunden, eine lebende Mauer.“ „Sie sollen erstochen werden. Es ist formeller Befehl ergangen, daB sie nicht gehangt, sondern mit der blanken Waffe erledigt vverden sol¬ len. Wer sind sie?" „Der Eine war verhaftet worden, als er vom Leichenbegangnis seines Sohnes kam, der Andere, als er seinen kleinen Weinberg betrat, der Dritte, als er Heu fortschaffte . . „Der friihere Sozialdemokrat weifi es, bemerkt es — und tut seine Pflicht: Im Namen der Regierung . . „Dumpf tbnen die Schlage wie Peitschenhiebe, sie zerschneiden, sie zerschmettern Riicken und Nacken. Man hort die Knochen krachen. Sie fallen. In der Dunkelheit ahnt man noch, wie sie sich in ihrem Grabe winden.“ „Die Schaufeln stofien in den Boden, die Erdhaufen fliegen. Und man hort in diesem Gerausch der aufgewiihlten und stiirzenden Erdschollen aus der Grube ein ersticktes Flehen: „Ich lebe noch! . . .“ Die Leiden der Gefangenen. Es ware unmbglich, mit irgend einem Anspruch auf Vollstandigkeit die Darstellung des Martyriums zu unternehmen, unter dem die Ge¬ fangenen in Bulgarien, Rumanien und Jugoslawien leiden. In Rumanien gibt es ein besonderes Gefangnis f ur die politischen Ge¬ fangenen. Es ist das Zentralgefangnis von Doftana. Es enthalt ausschliefi- lich Kerker. Die Betten sind an die Mauern geschraubt. Wahrend des Tages sind sie hochgehoben, und die Gefangenen miissen alleStunden des Tages stehend zubringen. Die Ernahrung ist elend, und alle Einge- kerkerten leiden unter dem Hunger. In dem Gefangnis gibt es eine be- sondere Abteilung, die Abteilung N., genannt die Folterabteilung. Dort werden Hunderte und Tausende von Arbeitern und Bauern gefoltert. Die in dieser Abteilung Eingeschlossenen sind an Handen und Fiissen gefesselt und erhalten dreimal in der Woche „schwarze Kost" (trocken Brot und Wasser). 58 Henri Barbusse. Eingeschlossen in richtige steinerne Sacke, die man „Gerlos“ nennt, und die aus einem einzigen Block aus Eisenbeton bestehen, envarten die Gefangenen den Tod, der sie vom Ungeziefer und von 'ali ihren Leiden befreien soli. Sie konnen sich nicht riihren und miissen stehend schlafen. Aufrechtgestellte Sarge! Wegen der kleinsten Ubertretung oder auch nur eines Versehens, z. B. wegen Unterlassung'eines Grufies, sperrt man sie in Kasematten, wo sie genotigt sin d, mit gefesselten Handen und Fiifien auf dem ZementfuB- boden und im Wasser zu sitzen. Diejenigen, welche um menschliche Be- handlung bitten, vverden aufgeschrieben; man verurteilt sie zu ein, zwei, f iinf Jahren Gefangnis und schleppt sie von einem Kerker in den anderen. Sie bleiben nicht langer als eine Woche in jedem Gefangnis undwerden immer mit gefesselten Handen und Fiissen, ohne Wasche, in Lumpen, eingekerkert, und so machen sie eine Rundfahrt durch ganz Rumanien. In Doftana gibt es eine „AbteiIung H.“, wohin man die „undiszipli- nierten" Gefangenen schafft. Da gibt es Kerker von drei Metern Lange und 1,50 m Breite, ohne Liiftung, ohne Bett, ohne Tisch und Stuhl, ohne irgend eine sanitare Vorrichtung. Monatelang kein Waschwasser, keine Leibwasche. Die Nahrung ist verschmutzt und noch dazu ungenugend. (30 Kilo Suppe fur 200 Haftlinge.) Man gibt ihnen ungeschalte Kartof- feln in einem Eimer; man kocht Schmutzwasser und fiillt damit den Ei- mer bis zum Rand, mit einem Wasser, das die Korper schwellen macht und Nierenentziindungenverursacht. Die Gefangenen trinken aus dem- selben GefaB, selbst die Schwindsiichtigen und die Syphilitischen. Man legt ihnen Handschellen an derart, dafi man sehr bald eine stark merk- bare Abmagerung des Handgelenks bemerken kann. Man unterzieht sie fortgesetzt der Priigelstrafe. Die Gefangenen, die man auf die FuBsoh- len schlagt, sind nicht mehr imstande zu gehen, wenn sie in die Zellen zuriickgebracht vverden; ihren Kameraden ist es verboten, sie aufrecht- zuhalten. Man kann diese Behandlung nicht langer als einige Monate ertragen. Wenn man da herauskommt, ist man stumpfsinnig oder epileptisch, oder, vieimehr, man stirbt dort. In sechs Monaten sind von den 53 in der Ab- teilung H. Untergebrachten nur 12 nicht gestorben, wahrend des Friih- jahrs 1923 gab es in Doftana 38Todesfalle, davon 36 in der Abteilung H.. Wenn die Gefangenen erkranken, lafit man sie sterben, wie z. B. IWANUTZ, der in Jilawa schvvindsiichtig wurde. Wohl gibt es einen Arzt, aber er beriihrt nie einen Gefangenen. Er begniigt sich damit, von den Vervvandten Geschenke zu fordern, damit er den Kranken ins Sanato- Die Henker. 59 rium schaffen laBt. Ich habe eine arme, ganz mittellose Frau gesehen, von der der Arzt die Hergabe von 10000 Lei verlangt hat, damit er ihren Mann ins Krankenhaus transportieren lassen konne; sie war aufier- stande dazu. Nach der Gefangnis ordnung diirftekeiner in Doftanalangerals sechs Monate bleiben. Aber manche sind dort seit fiinf Jahren wegen „pazi- fistischer" oder „syndikalistischer Propaganda". Der Generaldirektor der Gefangnisse, TSCHERNATZ, hat die Zwangs- arbeit fiir die Gefangenen eingefiihrt, um daraus Vorteil zu ziehen. Sie miissen unter Schlagen arbeiten. Soldaten, mit dem Bajonett nur 10 cm von ihren Korpern entfernt, hindern sie zu trinken oder es sich irgend wie zu erleichtern, solange die Arbeit nicht beendet ist. Natiirlich versuchen die Gefangenen, sich selbst zu toten. Aber abge- sehen vom Hungerstreik ist das schwer fiir sie. Man hat mir von einem von ihnen erzahlt, daB er zu sterben versucht hat, indem er Jodtinktur schluckte. Es gibt »Rebellionen", die von der Direktion und von den Gefang- nisvvartern angestiftet sind. Ein Epileptiker war vvahrend eines Anfalls auf einen Warter getaumelt; daraufhin verbreitete man das Geriicht, daB er ihn hatte toten vvollen, und es gab ein Fest von Vergeltungs- mafiregeln. Die Militar-Festung von Jilavva ist von den Deutschen wahrend der Be- setzung von Bukarest in ein Gefangnis umgewandelt vvorden. Es ist ein Grab fiir die Lebenden. Das Gefangnis, das 10 m tief unter dem Boden eingegraben ist, besteht ganz aus Beton. Die Behandlung ist ganz be- sonders streng. Diejenigen, welche gegen die Disziplin verstoBen, wer- den 10 Tage lang in „Sacken ausZement" eingeschlossen, in denen sie sich nicht riihren kbnnen. Das Gefangnis von Wakareschta ist das grbBte in Rumanien. Es ist fiir 2000 Menschen gebaut, beherbergt aber jetzt nicht weniger als 3000 Gefangene. Die sich eines Disziplinarvergehens schuldig machenden vverden in besondere Kerker von 2 Metern Lange eingeschlossen und sind genbtigt, darin aufrecht zu stehen. Das Gefangnisreglement und die Behandlung der Gefangenen sind die gleichen wie in Rumanien auch in den iibrigen Balkanzentren. Eine Schilderung davon zu geben hieBe das von mir Geschilderte unter Ande- rung der Namen wiederholen.*) *) Ganz neuerdings nach dem Regierungswechsel in Bulgarien hat der bulgarische Ge- sandte in Pariš, MORSOFF, einer Abordnung des Komitees fiir die Verteidigung der 60 Henri Barbusse. Die Rechte der Verteidigung? Sie existieren nicht. In Bulgarien haben die Anwalte nicht das Recht, sich allein mit den von ihnen verteidigten Gefangenen zu besprechen; ein Beamter wohnt der Besprechung bei. Bulgarische Gefangene, die aus den Gefangnissen entkommen waren, und denen es gegliickt war, die tiirkische Grenze zu erreichen, haben uns von der vvillkiirlichen Art berichtet, mit der man bei der Untersu- chung gegen sie vorging: oft verhorte sie ein einfacher Korporal oder Polizeiagent. In vielen Fallen erfolgen Verhaftungen aus Griinden der Sicherheit ohne Vernehmung. In Rumanien gibt es unzahlige Beispiele von Fallen, wie der Fali von IWANUTZ, der ohne besonderen Grund, nur wegen seiner Ansichten, oder weil er fiir das Plebiszit in Befiarabien war, verhaftet wurde, vier und einen halben Monat in Sicherheitshaft gehalten wurde, und dann schliefilich darin an Tuberkulose gestorben ist; andere sind so Jahre lang in Haft gehalten worden. Der rumanische Anvvalt BujOR, den man gefesselt in einen dunklen Kerker steckte, istwahnsinniggeworden. Der BulgareAsSEN WAPTZA- ROFF, der infolge der Quetschung des Kopfes durch die Foltermaschine verriickt geworden war, wurde wieder nach Hause entlassen. Dort tb- tete er mit Beilhieben seine Frau und sein Kind — und erhing sich selbst. Es ist jetzt der Bevveis dafiir erbracht, dafi der Journalist HERBST in dem Ofen der Zentralheizung der Sicherheitsbehorde inSofia (und zwar in demselben Gebaude, das der groBen Genossenschaft Oswobojdenie durch Beschlagnahme weggenommen worden war) gleichzeitig mit zwei friiheren Offizieren und einem anderen Journalisten lebendig verbrannt worden ist; er hatte der Regierung dauernd Opposition gemacht und in seiner Zeitung „Wik“ einen Artikel verbffentlicht, der hoheren Ortes Mififallen erregt hatte. MAX GOLDSTEIN, der in Bukarest zu lebenslanglichem Gefangnis ver- urteilt vvorden war, nahm, da sein Leben in seinem Kerker nichts als eine lange Marter war, seine Zuflucht zum Hungerstreik. Am vierten Tage gab er den Bitten der Seinen nach, vvieder Nahrung zu sich zu nehmen; der Gefangnisdirektor aber befahl, ihn nichts essen zu lassen. Er starb zehn Tage danach. Der gleiche Befehl erging in dem rumani- schen Cefangnis Doftana in bezug auf siebenundzwanzig politische Ge- Opfer des weissen Schreckens zugestanden, daB ihm personlich bekannt sei, dafi der Polizeidirektor oft Herrn LfiGER, einen der drei zuerst zum Tode und dann zu lebens¬ langlichem Gefangnis deshalb verurteilten Franzosen, weil sie einen von denen, die als Tater des Attentats in der Kathedrale in Verdacht standen, bei sich aufgenommen hatten, haufig geschlagen hat. Die beiden anderen gefangenen Franzosen sind Frau LEGER und FrauNICKOLOWA. Die Henker. 61 fangene, die den Hungerstreik erst begonnen hatten, dann aber unter- brechen wollten. Als man in der Offentlichkeit davon erfuhr, hatten diese 27 Gefangenen seit drei Wochen keine Nahrung zu sich genommen. In verschiedenen Stadten Altrumaniens und Transsylwaniens ist man zur Massenverhaftung von Arbeitern geschritten, die gegen den an MAX GOLDSTEIN veriibten Mord protestierten. Um das Wiiten ihrer Henker unwirksam zu machen, steht den Ge¬ fangenen nur dies freiwillige Opfer des Hungerstreiks zu Gebote. Man hat im einzelnen die wachsenden Qualen dieses durch den Willen be- stimmten korperlichen Opfers geschildert, daswahrend der erstenTage eine fast iibermenschliche Seelenkraft erfordert.*) In jenem rumanischen Gefangnis von Jilawa, wo Gefangene so furchtbar geprugelt wurden, daB ihr Blut die Kleider durchdrang, ergab sich aus einer Statistik im Monat Mai 1925, dafi 70 Gefangene insgesamt 1840 Hungerstreiktage ausgehalten hatten.**) Ich bewahre wie einen Wertgegenstand ein armes kleines Stuckchen Papier auf: einen Brief, den rumanische politische Gefangene, die, ich *) Ich habe die Eindriicke verschiedener Menschen gesammelt, die dieses korperliche Opfer gebracht hatten. Der Begin n ist natiirlicherWeise durch ein starkes Hungergef lihi gekennzeichnet, das in den Stunden der Mahlzeiten sich verscharft. Die Nachte bringen Alpdriicken: der Leidende sieht riesige Gerichte, die er nicht essen kann. Es ist eine Halluzination von Esswaren, das Vorbeiziehen von Gerichten, das Tag und Nacht den Kopf schwindlig macht. Wahrend dieser ersten Zeit mufi der Wille das auBerste an Anspannung hergeben. Am vierten Tage tritt eine schauderhafte Schvvache ein, die keinen Wunsch aufkommen laBt. Man muB liegen bleiben. Dann hat man kein Bediirf- nis, keinen Wunschmehr und findet vom sechsten oder siebenten Tage an keinen Schlaf mehr. Einer der Hungerstreikenden hat seit dem zwolften Tage eine korperliche Lah- mung empfunden, bei der er die volle geistige Klarheit behielt. Nach vier Tagen verfiel er in vollkommene Schwache und Vertiertheit: „Ich konnte nicht mehr lesen und schrei- ben.“ Nichts blieb ihm als das BevvuBtsein des Kampfes, ein tauber und sturopfer Wille. Gegen den achten Tag begannen Ohnmachten und Delirien, die bis zum vierzehn- ten dauerten. Dieser Mensch hatte in den ersten acht Tagen getrunken, dann aber auf- gehort zu trinken. Sehr bald hatte er nicht mal mehr das Verlangen zu trinken. Alle Bewegungsfahigkeit war vernichtet: Er blieb gleichgiiltig, als man ihm ankiindigte, daB sein Bruder, zum Zweck von dessen Befreiung er den Hungerstreik unternommen hatte, freigelassen worden war. Nach Beendigung des Hungerstreiks ist die Riickkehr zum normalen Zustand schwer und schmerzhaft. Der lebende Leichnam „iBt ohne Geschmack“, wiewohl er grobe Lust zu essen hat. Er erduldet unertragliche Magenschmerzen, eine Art dauernder Magen- verstimmung. „Man fiihlt sich mehr leidend als wahrend des Hungerstreiks", und wah- rend langerer Zeit. Noch mehrere Jahre danach leidet man trotz arztlicher Behandlung noch unter der grausamen kiinstlichen Krankheit, die man seinem Korper angetan hat. **) Infolge schlechter Behandlung begaben sich 85 in Cluj eingekerkerte rumanische politische Gefangene seit dem 8. Marž 1926 in den Hungerstreik. Zwei von den Strei- kenden, ALEXANDER BALIND und ION SLUBOR, haben sich die Pulsadern ge- offnet. (April 1926.) 62 Henri Barbusse. weiB nicht wie, von meiner Durchreise Kenntnis erhalten hatten, mir zu- kommen lassen konnten. Die Behandlung, welche diese Menschen er- dulden, macht alle Einbildungskraft zuschanden, und dabei sind sie nur wegen ihrer als verbrecherisch betrachteten Ansichten angeschuldigt, ja es geniigt, wie ich schon gesagt babe, dafi sie im Verdacht stehen, mit den Gegnern der Regierung zu „sympathisieren“. Ich gebe einige Zeilendieses herzzerreiBenden Appells wieder: „Die ,Tabaksbehandlung‘ bis aufs Blut mit Hilfe von Knotenstocken und Ochsenziemern, das Ausreissen der Haare, das Schlagen des Kopfes gegen die Mauer, das Treten mit FiiBen bis zur Bewufitlosigkeit, alle diese Dinge, von denen Sie gelesen haben, sind nichts verglichen mit dem, was wir im Sicherheitspolizeigevvahrsam von . . . (ich unterdriicke den Namen) gelitten haben. Wirwaren so gefesselt, daB die Knie das Kinn beriihrten, daB dieArmeum die Knbchel gekreuzt waren, und geknebelt, indem die Henker ihre FuBsohle auf unsere Kehle hielten, um uns am Schreien zu hindern. Das dauerte Stunden und ganze Tage, man benetzte uns mit Wasser, wenn wir in Ohnmacht fielen, um uns, wenn wirjwieder zuuns kamen, aufs Neue bis zur vollstandigen Erschbpfung zu foltern. Manner, die in Gegenvvart ihrer Frauen, Eltern, die in Gegen- wart ihrer Kinder gemartert wurden, zeigte man die einen den andern als warnendes Beispiel. Einige von uns lagen neben der Marterkammer, sodaB wir das Gerausch der Schlage, die Schreie und das Rbcheln horen muBten."*) *) Als ich diese Studie beendete, erhielt ich direkt Nachricht von den hundert Ge- fangenen, die PASCHITSCH in Belgrad am 21. Januar 1926 hatte festnehmen lassen, um den Kongrefi der unabhangigen Syndikate, der am 25. Januar abgehalten werden solite, zum Scheitern zu bringen, und auch, um die amerikanischen Kapitalisten, mit denen iiber die Schuldenfrage und wegen einer neuen Anleihe verhandelt wurde, giinstig zu beeinflussen. Ich hatte in Belgrad die Bekanntschaft einiger vollkommen anstandiger und ehrenwerter Manner gemacht, die damals in die serbischen Kerker geworfen vvorden waren. Der Professor und ehemalige Abgeordnete SIMAR MARKO- WITSCH, der Journalist und ehemalige Abgeordnete NOWAKOWITSCH, der Pro¬ fessor DJORDGEW1TSCH, LAZAR STEFANOWITSCH und KALJEWITSCH sind mit Dieben und Mordern zusammen, ohne Decken, ohne Heizung, ohne irgend welche hygienische Vorrichtung auf der blossen Erde eingekerkert worden. Einer der Ge- fangenen bat mir von der Behandlung erzahlt, die seine Mitgefangenen zu erleiden hatten. NOWAKOWITSCH ist fiirchteriich geschlagen worden. KALJEWITSCH war „in einem entsetzenerregenden Zustand". „Wahrend ich mit ihm zusammen war, ist er stets an derselben Stelle geblieben, weil er sich nicht riihren konnte. Sein ganzer Riicken ist von einer einzigen schwarzen Schware bedeckt. Seitdem spuckt er Blut." Anderen hat man Nagel und Zahne ausgerissen, um sie zu zwingen, das „Komplott“ zu gestehen, nachdem die Regierung vorher das Geriicht davon in Um- lauf gebracht hatte, das sie aber hinterher mit Riicksicht auf die heftigen aus dem Westen kommend en Proteste wiederabgeleugnet hat. „Mehreren von unserenKameraden sind Arme und Beine gebrochen worden.“ „Was den Generalsekretar der Metallar- Die Henker. 63 Protokollarisdie Feststellungen als Mittel zum Zweck. Es gibt sehr viele Arten, sich endgiiltig der Gegner und Widersacher zu entledigen, selbst in Rumanien, wo es die Todesstrafe nicht gibt — eine Feststellung, die unter den gegenvvartigen Verhaltnissen in der Tat wie eine traurige Ironie erscheint —, und in Bulgarien, wo der Konig BORIS darauf besteht, die wegen politischer Vergehen erlassenen To- desurteile nicht zu unterzeichnen. Eines der zu dem gedachten Zweck gebrauchlichen Mittel ist es, einen Fluchtversuch seitens derer, deren man sich entledigen will, vorzuspiegeln. Man ist durch das Gesetz er- machtigt, die Gefangenen, die zu fliehen versuchen, zu toten. beiter, MILUTINOWITSCH, betrifft, so furchten wir, dafl er das Gefangnis nicht lebend verlassen wird. Er ist krank, und es wird nicht gestattet, daB ihn ein Arzt untersucht. Ein anderer Kampfer ist unter den Stockschlagen verendet, der Bewoh- ner der Zelle Nr. 5 in dem Glawniatscha-Gefangnis. Ein junger serbischer Schriftsteller, den man verhaftet hat, weil man bei ihm das Manuskript einer Ubersetzung gefunden hat, die er von meinem Buch „Les Enchaine- ments" (Die ewigen Ketten) gemacht hatte, ist gefangen gesetzt worden, und seine Ubersetzung ist vernichtet worden unter dem formellen Verbot der Wiederaufnahme dieser literarischen Aufgabe, die als ein Attentat auf die Sicherheit des Staates be- trachtet wurde. Danach hatKALJEWITSCH im „Nowosti“ genaueSchilderungen des Verfahrens ge- geben, das seine Henker, die Polizeibeamten SOKOLOWITSCH und RASCHITSCH, angewendet haben. Am Tage seiner Verhaftung, am 21. Januar 1926 um Mitternacht, schleppten sie ihn in einen dunklenRaum, knebelten ihn, entkleideten ihn, schlugen ihn mit Gummiknuppeln und traten ihn mit FiiBen. Dariiber besitzt er ein arztliches Zeug- nis. Er fiigthinzu, daB in dem Glawniatscha-Gefangnis in einer Zelle von 30 cbm Raum 40 Menschen eingesperrt waren, und in einer anderen, ein wenig groBeren 150. „Wir wurden alle gepriigelt. Einem von uns hat man Nadeln unter die Nagel gestochen." In Belgrad wurde MILIWOI SOYANTSCHEWITSCH derart gepriigelt, daB die Po- lizei ihn zunachst mit zehnTagen, dann mitvierzehn TagenGefangnisbestrafen muBte, damit seine Verletzungen weniger erkennbar waren. Die Braut eines Gefangenen, die man als Zeugin geladen hatte, vvurde roh gepriigelt, und ihr wurden die Haare ausge- rissen. In der Grube, in der die politischen Gefangenen zusammengepfercht waren, herrschte eine Hitze, daB sie erstickten. Eines Nachts verloren zwei Menschen das Be- wuBtsein, „einer von ihnen begann Blut zu spucken, und das Blut floss ihm auch aus der Nase", u. s. w. . . . („Jutarnis List" in Agram vom 21. Februar 1926.) In derselben Zeit wie in Belgrad fanden Verhaftungen, Durchsuchungen und Ver- nichtungenvonUrkundenzu Welesin Siidjugoslawien (Mazedonien) statt. Der ehemalige AbgeordneteKOSTA NOWAKOWITSCH, derverhaftetund furchtbarmiBhandeltvvor- den war, wurde, nachdem man ihn fur tot auf dem Pflaster des Gefangnisses hatte liegen lassen, vom Gericht freigesprochen. Am Tage seiner Freisprechung hat ihn die Polizei aufs Neue verhaftet. Da es mit dem klassischen Mittel des „Komplotts“ nicht ge- gliickt war, — das noch dazuin den Augen der Regierung den Vorteil hat, die im Gang befindlichen Verhandlungen zur Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen mit Rufiland zu behindern, — haben die Gewalthaber mehrere der verhafteten Kamp¬ fer wegen „Landstreicherei“ und „Arbeitslosigkeit“ verurteilen lassen. 64 Henri Barbusse. Diese traurige Inszenesetzung bat man auch im Falle STAMBOLIJSKIs vorgenommen. Ein bewaffneter Haufe unter der Fiihrung des Kapitans HARLAKOFF, zu dem ein anderer aus Mazedoniern bestehender Trupp stieB, bemachtigte sich seiner und fiihrte ihn fort. Man machte auf einem Felde Halt, und do rt zwang man ihn, sich sein Grab zu graben, dann verstiimmelte man ihn und schnitt mit Messern Stiicke aus seinem Fleisch. Man schnitt ihm Nase und Hande ab, man riB ihm die Augen aus und rib dem baurischen Hiinen, ehe man ihn totete, die Haut vom leben- digen Leibe. Der Kapitan HARLAKOFF nahm das bei solchen Gelegen- heiten iibliche Protokoli auf, aus dem sich ergab, daB STAMBOLIJSKI getotet worden war, „als er einen Fluchtversuch unternahm". Hier der typische Fali auf rumanischer Seite: In der Stadt Plakhtoffko vvurden 13 Bauern verhaftet. Man hatte sie im Verdacht, an dem Aufstand von Tatar-Bunar beteiligt gewesen zu sein. Man fiihrte sie aufs freie Feld, wo ein „Fluchtversuch“ veranstaltet wurde, d. h.: man befahl ihnen zu fliehen, man verfolgte sie und er- schofi sie von hinten. Da die Gendarmen des Todes der Leute nicht ganz sicher waren, lieBen sie den Krankenpfleger PlERPEDARU kommen, um festzustellen, ob sie noch lebten. Zwei von ihnen atmeten noch. Man erledigte sie. Darauf erschossen die Gendarmen den Krankenpfleger, um sich des Zeugen zu entledigen. LEONTE FlLIPESCU, der fieberkrank war, vvurde kurzer Hand wegen Fluchtversuchs von dem Adjutanten BRATU erschossen. Ein Zeuge, zu dem ich Beziehungen hatte, hat gesehen, wie BRATU aus zwei Metern Entfernung schoss. „Hunderte von unschuldigen Menschen wurden vvahrend des Trans- ports erschossen", hat der Abgeordnete Pope DUMBRAWA in der rumanischen Kammer gesagt. „Grofie Mengen von Martyrern hat man, Ellenbogen an Ellenbogen gebunden, mit zerschmetterten Handen und Fiifien gefunden." Man kann sich also in einem derartigen Fali nicht auf den „Fluchtversuch“ berufen. In wie vielen Fallen hat diese traurige protokollarische Feststellung des Fluchtversuchs feige Morde sanktioniert! Die Sache ist sogar sprichwort- lich geworden: Man pflegt zu sagen, jemanden „protokollarisch erledigen", oder auch „das beBarabische System“ — und a!leWelt versteht.*) *) Man hat anlaBlich der letzten rumanischen Wahlen Leute, die sich anschickten, dabei eine Rolle zu spielen, ihre VorsichtsmaBregeln treffen gesehen, indem sie offentlich bekannt machten, daB sie im Fali einer Verhaftung nicht zu fliehen ver- suchen vvurden. („Aurora“ vom 18. Februar 1926.) Die Henker. 65 Die Verschwundenen! Man hat Tote gesehen, die haufenweise in den Dorfern und auf den Feldern lagen, die im Wasser schvvammen, die im Freien faulten oder an Baumen aufgehangt oder mitsamt dem Geriist ihrer Hiitten verkohlt waren oder einzeln oder in Reihen in den StraBen der Stadte herum- lagen. Es gibt auch die „Verschwundenen“, d. h. die Toten, die man lange Zeit vviederzusehen gehofft hat. „Hunderte von Frauen“, sagt KOSTURKOFF, der Fiihrer der bulgarischen radikalen Partei, „sind zu mir gekommen, um liber das Verschwinden ihrer Manner zu klagen. Diese waren verhaftet vvorden, und darauf waren sie verschwunden.“ Wir, die wir ein so kurzes Gedachtnis haben, wir rufen uns dennoch die erschutternde Tragodie ins Gedachtnis, die vvahrend des Krieges an so vielen Herden das „Verschwinden“ eines teuren Wesens verursacht hat. Man war ohne Nachrichten. Vielleicht lebte er noch irgend wo. Da gab es ein gemischtes Gefiihl von Angst und Hoffnung. Dann aber auf die Lange der Zeit muBte das schwache Licht wohl erloschen. An dieser langen, langsam schleichenden herzzerreiBenden Qual leiden dort unten unzahlige Familien.*) Ich habe darunter solche gesehen, die sich an das Unwahrscheinliche klammern. Ich habe in Sofia eine junge Frau getrof- fen, die leidenschaftlich an dem Glauben festhielt, daB ihr seit Monaten abwesender Mann wieder nach Hause kommen vviirde. Und dabei weiB alle Welt, daB der verstiimmelte Leichnam dieses Mannes auf irgend einem Schindanger verwest, aber niemand vvagt es der Frau zu sagen. Ubrigens vviirde sie es auch nicht glauben. Die fixe Idee, daB ihr Ge- fahrte noch lebt, hat ihren Verstand vervvirrt; in der vollen Sicherheit ihres Glaubens lacht und scherzt sie iiber die Abvvesenheit ihres Mannes. *) Frau KARIMA, die Griinderin der Union der bulgarischen Frauen, hat mich brieflich gebeten, bei den Leitern der bulgarischen Liga der Menschenrechte einen Schritt zu tun, um die Namen der Verschwundenen zu erhalten. Zahlreiche Petitionen desselben Sinnes gehen augenblicklich an die Behorden, die darauf keine Antvvort geben. Seit der teilweisen Anderung im bulgarischen Ministerium hat sich eine Gruppe von Frauen und Muttern Verschvvundener wiederholt beim Ministerprasidenten ein- gefunden, ist aber stets hinauskomplimentiert worden. „Emport iiber eine solche Be- handlung," schreiben sie, „erheben wir Protest und erklaren, dafi die Regierung die Pflicht hat, uns iiber das Schicksal unserer Manner und Sohne Auskunft zu erteilen. . . . Wir vverden vveiter protestieren 1 Wir werden an die Ture schlagen, bis sie sich offnetl" Barbusse. Die Henker. 5 66 Henri Barbusse. Die Verwandten sind verantwortlidi. In den Balkanlandern werden die Verwandten der Verfolgten als fiir sie verantwortlich betrachtet. Letzthin sind 26 Personen verhaftet wor- den, deren Vergehen darin bestand, einer Familie von Mitgliedern der bulgarischen Bauernliga anzugehbren, die sich ins Ausland gefliichtet hatten. Man geht sehr weit, so weit wie moglich, mit dieser unbilligen Theorie der prinzipiellen Mitschuld der Verwandten. Im iibrigen sind so und so viele Anwalte verurteilt und hingerichtet worden, weil sie Lente verteidigt haben, die als umsturzlerisch angesehen worden waren,*) so und so viel Arzte, weil sie solche Lente behandelt hatten! Verges- sen wir auch nicht, dafi es nach dem von den augenblicklichen Gewalt- habern erfundenen neuen Strafgesetzbuch ein Verbrechen ist, wenn man seine Angehorigen nicht anzeigt. Ein Artikel dieses Gesetzes zur Sicher- heit des Staates, das einstimmig, mit alleiniger Ausnahme der Stimme KOSTURKOFFS, von der Sobranje beschlossen worden ist, bestimmt: „Straffrei bleiben die, vvelche den Behorden Anzeige erstatten.“ *) Ich babe von TODOR STRASCHIMIROFF gesprochen, der ermordet worden ist, weil er die Verteidigung von der Behorde verhassten Angeklagten iibernommen hatte. Ich erwahne einige notorische Falle: Bei PALEFF in Burgas, bei KLOBAROFF in Plewna, bei DUMANOFF und TATARDIEFF in Plevven wurden Bomben geworfen. TANEW wurde gefoltert, der Vermieter eines seiner Kollegen wurde ins Wasser gevvorfen. In Plewen wurden Anvvalte verhaftet, weil sie die Verteidigung gewisser Angeschuldigter iibernommen hatten u. s. w.. Derartige Gewalttaten sind sozusagen das Alltagliche. Die letzte, von der wir erfahren haben, ist, dafi am 10. Februar 1926 gegen ein Fenster im Hause des Anvvalts der in Sewliewo abgeurteilten „Verschworer“ eine Bombe gevvorfen vvorden ist. v. Die Regierenden gegen die Volker. Es ist, besonders in Bulgarien, unbedingt verboten, auf irgend eine Weise den Eltern oder Kindern der von Soldaten, Richtern oder Poli- zisten Hingeopferten beizustehen. Die Hilfe, die man Kindern der Opfer leistet, wird als „Hehlerei“ betrachtet, ahnlich dem Verbrechen, dessen sich die schuldig machen, welche Verschwbrer der behordlichen Verfolgung zu entziehen suchen. Wir haben uns genbtigt gesehen, zu auBerordentlich komplizierten indirekten Methoden unsere Zuflucht zu nehmen, um im Verlauf unserer Reise einige uns zu diesem Zweck von der Internationale der Arbeiter-Intellektuellen und von der Internationale der friiheren Kriegsteilnehmer anvertraute Geldhilfen an ihre Bestim- mung abzufuhren. Keine Organisation hat es gewagt, sich an dieser Handlung einfacher menschlicher Solidaritat zu beteiligen, aus Furcht vor MaBregelungen. Die Amerikaner haben nach Wien eine Summe von 9000 Dollars gesendet als Ergebnis einer Sammlung, die den dringend- sten Bediirfnissen der infolge der Ermordung ihrer natiirlichen Ver- sorger ins Elend gestiirzten bulgarischen Familien abhelfen solite. Es ist bis jetzt nicht moglich gewesen, diese Summe denen, fiir die sie be- stimmt war, zukommen zu lassen. Wollte man sie den amtlichen Stellen iibergeben, so kann man sicher sein, daB sie ihrer Bestimmung entfremdet werden wiirde. ZANKOFFhat in bezug auf die Versuche zu helfen, die formellsten und zynischstenErklarungen vor dem terrorisierten Parlament abgegeben. Die von der englischen Frauendelegation gesendeten Hilfen wurden konfisziert. Die tschechische Abordnung, die gekommen war, um den verlassenen Familien zu helfen, wurde ausgevviesen. Den in der- selben Absicht gekommenen Wiener und Baseler Abordnungen wurde das Einreise-Visum venveigert. Nach dem einwandfreien Zeugnis des Generals BURNHAM haben es die serbischen Behorden in Montenegro ebenso gemacht. Gegen die Frauen und Kinder. Kommen wir auf die Metzeleien zuriick. Weder Geschlecht noch Alter wird geschont. In Deutschland ist eine Broschiire erschienen, die be- 68 Henri Barbusse. sonders dem Schicksal gevvidmet ist, das die Frauen und die Kinder in dieser grofien Passion der Balkanvolker erdulden. Aus der Menge der Tatsachen hebe ich folgende auf Grund einer Information aus Bulgarien hervor: „In dem Dorf Alexandrovvo im Kreise Svvischtovv fand man eine ganze Familie, Vater, Mutter, Grofivater, Tochter, Schwager und vier Kinder im Alter von vier bis zu zwolf Jahren ervviirgt und verstiimmelt. Die Liste der ahnlich liegenden Falle wiirde lang sein. Zvvei Jahre lang, Tag fiir Tag, nach der Ergreifung der Macht durch ZANKOFF, wurde die Erzieherin ANNA MeIMUNKOWA auf den Kirchhof von Sofia geschleppt und dann schlieBlich enthauptet, nachdem man sie vergewaltigt hatte. Sie war zwanzig Tage lang nach ihrer Festnahme derart geschlagen worden, daB ihre Freundinnen sie im Gefangnis nicht wiedererkannt hatten. An- dere Frauen vvurden mit Sabelhieben zerfetzt (ANKA DlMITROWA, eine Frau von sechzig Jahren, die sich geweigert hatte, das Versteck ihres Sohnes zu verraten), andere vvurden gehangt, wieder andere unter unsagbar raffinierten Foltern langsam getotet. Fraulein TzOLA DRA- GOJTSCHEWA vvar vor langer Zeit zum Tode verurteilt worden. Aber nachdem sie von den Polizeibeamten vergewaltigt vvorden war, ist sie schvvanger geworden, und man ervvartete ihre Entbindung, um sie dann hinzurichten. In Rumanien sind ROSA ELBERT, eine siebzehnjahrige Studentin, und TUBA MERSKAJA, ein achtzehnjahriges Madchen, gezvvungen vvorden, sich zu entkleiden und dann vor einer Abteilung Polizeibeamter und einer Kompanie Soldaten gepriigelt vvorden. Die Erzieherin MARGA¬ RETE ROTHE vvurde zugleich mit ihrer Mutter und zwei Kindern ver- haftet. Die Mutter vvurde in Gegenvvart ihrer Tochter gepriigelt; frei- gelassen hat sich die alte Frau erhangt; die in der Gefangenschaftzuriick- gehaltene Tochter durfte zur Beerdigung gehen; auf dem Riickvveg fiel sie in Ohnmacht und vvurde von den Polizeibeamten vergevvaltigt. Man fand eines Tages in der Umgebung Sofias den verstiimmelten Leichnam einer siebzehnjahrigen Studentin aus dem Bezirk Tatar-Pa- zardjik; auf ihr vvar ein Zettel befestigt mit der Aufschrift: „Vaterlands- verraterin. Wer vorbeigeht, speie sie an und gehe vveiter!" Die Frau des Kapitans KROTNEFF vvurde im Bett, mit ihrem Kind an der Brust, erschlagen, und am Morgen des nachsten Tages fand man ihren Leich¬ nam auf der StraBe. Grund: Ihr Mann sympathisierte mit der Bauern- organisation. Ganz nahe bei der Eisenbahnstation Belovvo, vvo im Sep¬ tember 1923 sechsundzvvanzig Menschen ermordet vvorden vvaren, fand man einen Mann und eine Frau und ein sechsjahriges Kind zerfetzt. „Der Die Henker. 69 Anblick, der sich den Voriibergehenden bot, war so entsetzlich, dab mehrere Personen in Ohnmacht fielen.“ Der vierzehnjahrige Sohn des BORIMSCHTKOFF aus Sofia wurde verhaftet und gefoltert, um von ihm Enthiillungen iiber seinen Vater zu erpressen, der in den September-Unruhen getotet worden war. Da er nichts sagte, schlug man ihn tot. Die Arbeiterin DlMITROWA, die Frau eines Ausgewanderten, wurde nach dem 16. April verhaftet. Ihre beiden Kinder von 12 und 8 Jahren, denen niemand Hilfe zu bringen wagte, starben Hungers, und sie wurde geisteskrank. Man mufi ali diese Aufzahlungen unterbrechen, ali diese Listen ver- kiirzen, viele, die ausgedehnte Mord-Organisation betreffende Tatsachen gewissermaben in der Versenkung verschwinden lassen, um nicht ein- fach mit Namen und mit einer Ubersicht der Tatsachen alle Blatter eines Buches zu fiillen. Dennoch mufi noch gesagt vverden, mit welcher plan- mafiigen und unerbittlichen Gewalttatigkeit die reaktionaren Monomanen, die dort unten iiber Leben und Tod bestimmen, gegen die Jugend wiiten. Gegen die Jugend. Die kommunistischen bulgarischen Jugendbiinde, die bis vor kurzem eine ausgedehnte und bliihende Vereinigung bildeten, hat man auber- halb des Gesetzes gestellt, und man'versucht, diejenigen, welche sich daran beteiligt hatten, einzeln verschwinden zu lassen. Schon haben sich grobe Liicken gezeigt. Die friiheren Mitglieder der Jugendbiinde sind verfolgt, eingekerkert und ermordet worden, und haufig hat man auch ihre Ver- wandten ermordet. Die Mitglieder einiger Jugendbiinde sind samtlich getotet worden. Das war besonders der Fali in Bulgarien zu Dona- Bania, zu Warschets, zu Loposchna, zu Orkanie. Viele Lyzeums- und andere Schiller sind aus den Lyzeen und Schulen ausgestoben worden. Hunderte von Studenten in Sofia sind eingeker¬ kert worden. In Berkowitza und in Sofia hat der Staatsanwalt die To- desstrafe gegen sechzehnjahrige Schiiler und Schiilerinnen beantragt. Alle Organisationen, die sich nicht vollstandig in die Hand der Regie- rung geben, selbst die Sportvereine, werden aufgelost. Vor kurzem hat die Polizei junge Leute, die Fubball spielten, ergriffen und ins Gefang- nis gefiihrt. Sie werden wegen Errichtung eines umstiirzlerischen Vereins vor das Kriegsgericht gestellt werden, in diesem Bulgarien, wo es von Boy-scouts und von patriotischen Vereinen wimmelt. Der Schulinspektor PENTSCHEW teilt in einer, von der deutschen Liga fiir Menschenrechte herausgegebenen Broschiire mit, dab sein Sohn, 70 Henri Barbusse. ein Schiiler der dritten Klasse der Vorschule, ihm erzahlt hat, dafi man in der Schule „mit Vorliebe Kommunist spielt“. Einer spielt den gehangten Kommunisten FRIEDMANN, ein anderer den zum Tode verur- teilten Kommunisten PETER AbADJIEFF, ein dritter den Bauernfiihrer und Abgeordneten PETRINI, der ermordet und verbrannt wurde, und gegen den man dann das Todesurteil gefallt hat, nachdem er bereits tot war; ein vierter Schiller spielt den ermordeten Kommunisten DRIENKOFF. Die iibrigen Schiller stellen die Polizei dar, welche die ersterwahnten verfolgen, festnehmen und hinrichten soli. Einmal, als die Kinder eine offentliche Hinrichtung spielten, wurde das den FRIEDMANN spielende Kind wirklich erhangt und starb. Gegen die Lehrer und die InteHektuellen. Ein besonderes Kapitel in der Geschichte des reaktionaren Vorge- hens der Balkanregierungen ist das des ausgezeichneten Einverstand- nisses derselben unter einander. Rumanien liefert an Bulgarien die bul- garischen Fliichtlinge aus. Es verschlagt nichts, dafi sich TATARESKU in meiner Gegenwart mit Unwillen liber „den Blutstrom, der in Bulgarien fliefit", geaufiert hat. Man kann diesen seinen Unwillen mit dem des jugo- slawischen Ministerprasidenten PASCHITSCH vergleichen, der letzthin geaufierthat: „In meinemLande gibt es weder einen Staatsstreich noch auch Hinrichtungen wie in Bulgarien, in Griechenland, in Albanien und in Rumanien!" Sollen wir von den Lehrern undErziehern sprechen, die man a!s„Bri- ganten" bezeichnet, und auf die Treibjagden unternommen werden? Abgesetzte Lehrer gibt es im Uberflufi und in erstaunlicher Menge in Sofia, in Bukarest, in Belgrad und in Budapest. Neuerdings (1925) warf „eineSchulreform“ des Ministers des bffentlichen Unterrichts, ZANKOFF, 820 Vorschullehrer sowie 2958 Erzieher und Lehrer an den Mittelschulen und an den hbheren Schulen aufs Pflaster. In Bulgarien sind vier Gym- nasien, sieben padagogische Unterrichtsinstitute und von je vier Mittel¬ schulen zwei geschlossen worden. Es gab eine (sozialistische) Vereinigungbulgarischer Lehrer, die 3500 Mitglieder hatte. Sie besteht nicht mehr. MitMesserstichen undSchwert- hieben ist in ihren Reihen unerhort gevviitet worden, und die Leiter der Vereinigung, beginnend mit ihrem Sekretar LAMI KANDEW, sind einer nach dem andern hingemordet worden. Der Lehrer GEORG MALINOFF wurde zu Slamowits in Stiicke gehauen. Dem Griinder des Lehrersyn- Die Henker. 71 dikats, WALTSCHO IWANOFF, rifi man die Nagel aus und zerschlug ihm die Brust, wahrend sein Korper von einem mit voller Geschvvindigkeit durch die Strafien von Sofia rasenden Automobil herabgeschleudert wurde. Gliicklich die, welche durch Selbstmord dem Sadismus der Ker- kermeister entgehen konnten, wie jener edle ANASTAS GENTSCHEFF, dem es, als es mit seiner Widerstandskraft zu Ende ging, gelang, sich in dem Gefangnis von Starazagora mit einer Gabel das Leben zu nehmen. Gegen das freie Wort. Pressefreiheit gibt es ebenso wenig wie Vereinsfreiheit unter „der Re- gierung der Professoren und der Generale 4 *. In unserem Nachbarlande, bat TATARESKU gesagt, indem er sich an das rumanische Parlament wendete, hat jeder Polizist das Recht, eine Zeitung zu beschlagnahmen, die gegen die bestehende Ordnung schreibt. Die Sendung bulgarischer Zeitungen ins Ausland ist verboten, aus Furcht vor einer Mitteilung, die der Zensur entschliipft sein konnte. „Die offiziellen bulgarischen Nachrichten entbehren jeder Špur von Wahrhaftigkeit“, hat eine wohl- unterrichtete auslandische Persbnlichkeit festgestellt. Vor meinen Augen liegt ein Verzeichnis von 36 hervorragenden bulgarischen Journalisten, Chefredakteuren und Hauptmitarbeitern bei Tageszeitungen und Zeit- schriften, die ohne eine Špur vonProzefi-Verfahren getotet worden sind. Der Dichter GEO MlLEW, der wegen eines Gedichtes verfolgt, aber freigesprochen worden war, wurde darauf, nachdem man ihn in furcht- barer Weise verstiimmelt hatte, ermordet, weil er es gewagt hatte, der Abordnung der englischen Labour Party als Dolmetsch zu dienen. Der feste Vorsatz der Agenten ZANKOFFs ist: auf den Kopf zu schla- gen. Im Verfolg dieses Regierungsprinzips sind die Intellektuellen dezi- miert worden, hunderte von Lehrern, mehr als 40 Abgeordnete und friihere Minister, Offiziere, Ingenieure, Arzte und Priester. Sobald ein Bauernblatt eine den Unterdriickungsplanen im Wege stehende Erklarung veroffentlichte, die mit Bestimmtheit die Kollusion zvvischen Landleuten und Kommunisten dementierte, sind alle Exemplare der diese Erklarung enthaltenden Nummern von der Polizei beschlag- nahmt worden. Unter dem Titel „Die zerbrochene Feder“ ist eine Samm- lung von Protesten gegen die Unterdriickung der Freiheit der Presse erschienen. Eine hervorragende ethische Personlichkeit in Sofia, der be- deutende Schriftsteller ANTON STRASCHIMIROFF, vvelcher f ur die Sache der unter der Herrschaft von WALKOFF Gemordeten groBe personliche T2. Henri Barbusse. Opfer gebracht hat, verteidigt in jener Schrift beredt ein heiliges Recht. D er Abgeordnete und bekannte Journalist PETKO PETKOFF hat fiir die „Zerbrochene Feder“ eine halbe Stunde vor seiner Ermordung einen Aufruf zu Gunsten der Pressefreiheit, „der Grundlage aller iibrigen Freiheiten", geschrieben. Ein ungarischer Journalist, DESIDER ANDORCA, der iiber den Tod zweier sozialistischer Redakteure in Nepszawa geschrieben hatte, welche aus ihren Wohnungen heraus verhaftet und in der Donau ertrankt wor- den waren, wurde nach dem Konzentrationslager von Zalaegerseg ge- schickt, wo er 28Monate blieb. Augenblicklich wird erverfolgt, weil er versucht hat, im Ausland ein die Gevvalttaten und Verbrechen, denen er beigewohnt hatte, schilderndes Buch zu verbffentlichen. Demgegeniiber konnen die Bestechungsfeldziige nicht abgeleugnet werden, die bei den auslandischen Zeitungen mit Hilfe von Geldem aus den Geheimfonds unternommen werden. Wir haben verschiedene Beweise dafiir in den Handen. Bei uns sind gewisse Pressebiiros einge- richtet, subventionierte und subventionierende, die weder Vertrauen noch Achtung verdienen. Wenn es dort unten wie iiberall vereinzelt unabhangige Schriftsteller gibt — solche leben noch, sogar in Sofia —, so gibt es dort auch wie iiberall literarische Vereine, die nicht bliihen und die nur infolge ihrer Gefalligkeit gegeniiber der bestehenden Gewalt existieren, eine Ge¬ falligkeit, die man verschamt politische Neutralitat nennt. Es mufi her- vorgehoben werden, dafi eins der einflubreichen Mitglieder des Komi- tees der rumanischen Schriftstellervereinigung — das ich nicht auf Grund dieser Tatsache allein zu beurteilen mich getraue — der Chef der Sicherheitsbehorde, ROMULUS VOINESKU, ist. Und es fangt von neuem an. . . . Ich habe mir Muhe gegeben, eine eilige Ubersicht der organisierten Verfolgung der Bevblkerung in einigen groben Balkanzentren zu geben, indem ich nur einige typische Falle und einige gemeinsame charakteristi- sche Tatsachen unterstrichen habe. Ich mufi hervorheben, daB diese Dinge nicht nur der Vergangenheit angehoren, und daB es sich um ein politisches System handelt, das iiberall in der Fortentwicklung begriffen ist. Nach den groben Affaren, die von den Gerichten und von der Poli- zei auf ihre Art erledigt worden sind, gibt es andere, die im Gange sind, und andere, die im Entstehen sind. Als ich in Bulgarien war, ersah Die Henker. 73 ich aus den in Sofia erscheinenden franzosischen Zeitungen in einem entsetzlichen Lakonismus gehaltene Mitteilungen liber die Gerichtsver- handlungen betreffend eine gewisse „Sofiotische Tscheka". Nach dem ProzeB von Tatar-Bunar, der zu Ende gegangen ist, hat man einen an- deren Monstreprozefi wegen eines zu Galatz in BeBarabien entdeckten „Komplotts“ eingeleitet. Zur Zeit, als ich in Rumanien war, hatte man wegen dieser Galatz-Affare*) bereits einige fiinfzig Verhaftungen vor- genommen. Man kann also keine Pause und kein Nachlassen in der Offensive feststellen, die gegen das, was in den Balkanlandern noch an demokratischem Geist iibriggeblieben ist, gefiihrt wird. Aus einer gan- zen Anzahl von Griinden sehe ich mich genotigt anzunehmen, dafi der Mann gut unterrichtet war, der mir neulich dort unten sagte: „Es gibt in Bulgarien noch 20000 Menschen, die von liberalen Ideen belebt sind, die noch Spuren von sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit reprasen- tieren, und die man noch verschwinden lassen mufi." Man plant den Bau neuer Gefangnisse in Bulgarien. Es gibt Re- gierungen, die an den Bau von Bibliotheken und Schulen denken. Die bulgarische traumt von grofien Gefangnissen. Ich verzichte darauf, die neuesten Nachrichten, die ich empfange, wie- derzugeben, die von Todesurteilen durch Erhangen, von Einkerkerung und Zwangsarbeit berichten, ganz abgesehen von den neuesten Mord- taten in den Provinzen. In der Liste der Martyrer vvimmelt es taglich von neuen Namen. Man mbchte wohl alles sagen, aber das ist tatsach- lich unmoglich.**) Die Verantwortlidien. Ziehen wir nun die Bilanz. „Wer tragt letzten Endes die Verantwor- tung?“ Das ist eine der Fragen, die ich aufs eindringlichste an alle die *) In Kischinev findet jetzt ein ProzeB gegen 65 junge Leute im Alter von 15 bis 19 Jahren statt, die der Zugehorigkeit zu den kommunistischen Jugendverbanden an- geklagt sind (April 1926). **) Ich gebe dennoch ein Telegramm wieder, das in den bulgarischen Zeitungen „Narod“ und „Radical“ vom 10. Februar 1926 veroffentlicht ist, und das 54 Bauern ausLitakowo im Bezirk Orkanie an den Ministerprasidenten LJAPTSCHEW gesendet haben: „Mitten in der Nacht vom dritten zum vierten dieses Monats ist unser Verwandter und Mitdorf- bewohner IL1A MONEW in seinem Bett zwischen seinen Kindern und seiner Frau von einer Kugel durchbohrt worden. Seit dem9.Juni (1923) bis zu diesemAugenblicksind wir in Unruhe und Schrecken. Finden Sie den Morder und sichern Sie unser Leben! Wozu haben wir fiir das Vaterland gekampft, wenn wir des nachsten Tages nicht sicher sind? 800 Familien sind hier verzweifelt. Sagen Sie uns, wie wir uns verhalten sollen und wo- hin wir gehen sollen, um nicht umzukommen." 74 Henri Barbusse. gerichtet habe, die in der Lage waren, darauf zu antvvorten, sovvohl in Rumanien wie in Bulgarien. Abgesehen von der Auskunft einiger her- vorragender offizieller Personlichkeiten war die Antwort, die ich erhielt, einstimmig und formell: „Einzig und allein die Regierung. Die Regierung ist verantvvortlich, und man kann nicht behaupten, daB sie durch Uber- schreitung der Befugnisse der von ihr angenommenen Hilfskrafte ent- lastet wird.“ Frau KATHARINA PETKOFF, deren Mann in Sofia ermordet wurde, hat, als dann auch ihr Sohn ermordet worden war, vor Gericht und vor dem Polizeiagenten, der ihn getotet hatte, erklart: „Heute wissen es selbst die Kinder in Bulgarien, daB mein Sohn durch die Regierung ZANKOFF und nicht durch den Ungliicklichen, der vor Ihnen steht, und der nichts als ein Instrument war, getotet vvorden ist.“ Nein, es ist nicht richtig zu sagen, daB die offentlichenGevvalten nicht mehr Herren ihrer Helfershelfer aller Art sind, und daB sie genotigt seien, ob sie vvollen oder nicht, Mitschuldigen nachzugeben, deren Be- gierden sie entfesselt haben. Die rumanische und die bulgarische Re¬ gierung, ebenso wie die jugoslawische und die ungarische, sind wirklich und tatsachlich die verantwortlichen Urheber der nicht endenwollenden Tragodie, auf die wir aufs Geratewohl und wie tastend einige Perspek¬ tiven erbffnen. ZANKOFF hat auf Anfragen des Parlaments oder auf Petitionen, wie die von 20 bauerischen Abgeordneten zwecks Protestes gegen die Er- mordung von 15 Abgeordneten unterzeichnete, mit Drohungen und mit einer heftigen und kategorischen Rechtfertigung der Morde geantwortet. Der Mann, der den Anlafi zu einer vielleicht beispiellosen Reihe von sozialen Katastrophen gegeben hat, hat die Štirn, sich als einen Mann der Ordnung und des Friedens hinzustellen ... Es ist mbglich, daB in- folge der Schvvankungen der Politik die Personlichkeit, der die Ver- treter der anderen Nationen heute bei den Zeremonien die blutigen Tatzen driicken, plbtzlich von der Bildflache verschwindet. Wird aber das ganze System, das er symbolisiert und das er in Gang erhalt, die von ihm angenommene Methode des Massenmordens, infolge einer Anderung in der Person des Leiters sich andern? Man sagte in Sofia, als ich dort war, daB LjAPTSCHEW und der General WALKOFF auf der Stelle in Bulgarien eine neue Regierung der biirgerlichen Konzentration herstellen vviirden. Es ist g!eicherWeise moglich, daB in diesem Friihling, zumal in Rumanien, wenn die Agrarier und die Volkspartei zu einem Einverstandnis gelangen, eine ministerielle Krise eintritt. Natiirlich ware Die Henker. 75 nichts schlimmer als ZANKOFF und BRATIANU. Wenn aber auch die Leiter gestiirzt werden, durfen wir uns nicht allzu iibereilten Hoffnungen hin- geben. Moge unsere vertrauensselige bffentliche Meinung, die zur Un- tatigkeit und aus Liebe fur ihre Bequemlichkeit zu endlosen Anfallen von Optimismus neigt, sich nicht ohne reifliche Uberlegung durch par- lamentarische Prozeduren betoren lassen, welche die Organisation und das Funktionieren eines eingewurzelten Systems unberuhrt lassen und nur zum Schein die grundlegenden Fehler der Regierung beseitigen wurden. VI. Der Vorwand ist: Die Bekampfung des Bolsdiewismus. Es steht fiir uns alle fest, daB eines der wenigen, vielleicht sogar das einzige Anzeichen des moralischen Fortschrittes in unserer Epoche das ist, dafi gewisse Dinge nicht mehr bffentlich verkiindet werden diirfen, und daB man statt dessen der bffentlichen Meinung mit Vorwanden kommen muB. Der Vorwand, dessen sich die herrschende Reaktion in den Balkanlandern durchweg bedient, ist der Kampf gegen den Bol- schewismus. Die Minister und die Generale haben zu mir von Anfang an von dieser grofien Staatsraison gesprochen, die, nach ihrer Ansicht, ihrem Lande die Rolle des sozialen Verteidigers und sogar des Schiit- zers des iibrigen Europas sichere. Die autokratischen Minister in Ruma- nien und in Bulgarien stellen die Vblker, die sie in ihren blutbefleckten Handen halten, als den Wall gegen die russische Barbarei und gegen die Propaganda der dritten Internationale hin. Es ist nicht meine Absicht, hier in eine Erbrterung sozialer und wirt- schaftlicher Natur einzutreten, sowie das revolutionare und das gegen- revolutionare Prinzip an und fiir sich zu betrachten. Zweifellos besteht in unserer Epoche eine Agitation fiir die Befreiung der Menschenmas- sen. Die kommunistische Internationale hatinfolge desZvvanges derTat- sachen Anhanger unter den Unterdriickten in der ganzenWelt, und man kann vor den Augen so vieler Opfer das fatale Leuchten nicht zum Er- loschen bringen, das die Bauern- und Arbeiter-Republik durch die inte- ressierten Entstellungen hindurch strahlen lafit. Das aber ist nicht der Gegenstand unserer Untersuchung. Wenn die blutigen Verfolgungen, die eine Handvoll Despoten gegen das Fleisch ihres eigenen Landes unternehmen, tatsachlich durch die drohende kom¬ munistische Gefahr gerechtfertigt wiirden, so wiirde sich die Frage in der Tatzu der Hohe des groBen organischen Streites erheben, der in diesem Augenblick allgemein die Massen und Klassen trennt. Aber diese An- rufung der bolschevvistischen Gefahr ist in der Mehrzahl der Falle nichts als ein demagogischer Vorwand und eine Liige des weiBen Schreckens. Die Henker. 77 Die Falsdiung. Beschaftigen wir uns eindringlich und aufs sorgsamste mit ali die- sen vvichtigen Fragen. Wie ich gesagt habe, ist man in den Balkanlan- dern Zeuge der tatsachlichen wilden Ausmerzung aller der Menschen, die in der Bauernpartei und in der kommunistischen Partei, bevor diese auBerhalb des Gesetzes gestellt vvorden war, eine Rolle gespielt haben, ebenso wie der Vernichtung der „Verdachtigen“, ferner der mit den proletarischen Ideen Sympathisierenden aller Schattierungen und endlich derer, die danach streben, die korporative Arbeitersolidaritat zu orga- nisieren. Aber die Herren der Stunde haben aus politischen Erwagun- gen heraus, auf Grund von Berechnung und nicht aus den Griinden, die sie den Mut haben vorzugeben, zur direkten Unterdriickung ihre Zu- flucht genommen. IhrZorn istnur gespielt; sie haben es sich in denKopf gesetzt, eine grofie Idee, die der Befreiung derMassen, inBlut zu ertran- ken, und sie haben, eins nach dem andern, die angeblichen Komplotte und Attentate erfunden, und alle die als Fallen dienenden Provokationen in Szene gesetzt, die ihnen gestatten, ihre morderische Bartholomaus- nacht endlos auszudehnen. Und iiberdies haben sie sich die von ihnen zurechtgemachte Legende und die von ihnen geschaffene Atmosphare zunutze gemacht, um mit ihrer Rache alle ihre Gegner, wersie auch sein mochten, zu treffen. Der radikale Abgeordnete KOSTURKOFF, der ein prinzipieller Gegner der Kommunisten ist, aber ein Burger, dessen Rechtschaffenheit von allen anerkannt wird, hat es gewagt, in der Sobranje zu verkiinden: „Die Regierung entbehrt der Unterstiitzung der anstandigen Menschen. Ihre Unterdriickungsmafiregeln treffen nicht nur die illegalen Vereinigungen, sondern auch die legalen," womit er sagen wollte, dafi von ihnen alle die betroffen werden, die nicht Parteiganger der absoluten Reaktion sind. KOSTURKOFFhat auch erklart: „WirwolIen, daB alleParteien unter dem Gesetz bestehen und mit einander ringen konnen, Idee gegen Idee. Darin besteht die wahre Demokratie, die nicht die der demokratischen Entente ist.“ Kein Mensch von gesunden Sinnen und von gutem Glau- ben kann, selbst nach einer nur oberflachlichen Betrachtung des offent- lichen Lebens in Bulgarien, — und iiberhaupt in allen Balkanlandern — anders sprechen als KOSTURKOFF (wobei nur zu bedauern ist, daB dieser selbe KOSTURKOFF imiibrigen so vielNachgiebigkeitgegenuber dem Kabinett ZANKOFF gezeigt hat). 78 Henri Barbusse. Die weiBen Regierungen mit den blutroten Handen Rumaniens, Ser- biens, Bulgariens undUngarns belieben, die Kommunisten, Agrarier und Syndikalisten den Terroristen oder den Banditen gleichzustellen. TATA- RESKU verwechselte unaufhorlich vvissentlich die einen mit denanderen, als er zu mir von der Henkerarbeit der rumanischen Regierung sprach, welche die in erster Reihe stehende Vorkampferin der (seit dem Mittel- alter) bestehenden Ordnung im alten Europa ist.*) „Ich habe ZANKOFF und andere von den Regierenden persbnlich ge- sehen,“ schrieb M e PLISNIER von der Briisseler Anwaltschaft. „Sie ha- ben offenherzig mit mir gesprochen und mir gesagt: allerdings sind Exzesse vorgekommen, aber als unsere Soldaten die Kommunisten nie- dermahten, habensie Euchanderen einegrofie Gefahr abgewehrt. Indem sie die Ordnung wiederherstellten, ermoglichten sie es den europaischen Kapitalisten, in voller Sicherheit ihre Kapitalien in unsere Lander zu senden. Aus diesem Grunde werden die Diplomaten, welche die impe- rialistischen und kapitalistischen Interessen verteidigen, der Energie der bulgarischen Diktatoren Beifall bezeigen." Falsch ist die Behauptung, die aufgestellt vvorden ist, das Ministerium STAMBOLIJSKI hatte mit den Kommunisten gemeinsame Sache gemacht. Diese Behauptung, auf welche sich die bulgarischen Behorden gestiitzt haben, um die Agrarier und dann die Kommunisten zu vertilgen, halt weder stand gegeniiber den formellen, in den Hauptstadten Europas im Jahre 1920 von STAMBOLIJSKI selbst abgegebenen Erklarungen, noch gegeniiber den von ihm gegen die Kommunisten geplanten Gesetzen, noch endlich gegeniiber der von ihm vorgenommenen gewaltsamen Un- terdriickung des Streiks der Eisenbahner. Im Mai 1921 warf GEORGI DAMIANOFF, einer der hervorragendsten agrarischen Abgeordneten, eine Bombe in eine kommunistische Versammlung, und es geschah ihm nichts; ist diese einfache Tatsache nicht symptomatisch? Weiter steht es fest, daB die damals gut organisierte und sehr machtige kommunistische Partei sich geweigert hat, STAMBOLIJSKI zu Hilfe zu kommen und bei seinem Sturz zu intervenieren. Ebenso wie diese Enthaltung entkraftet dieTatsache, daB die Partei damals keinerlei Agitation zu treiben versucht *) PANGALOS, der dieselben Methoden in Griechenland mit der Unverschamtheit eines Tollwiitigen anwendet, hat die Zeitung „Demokratia“, das offizielle Organ der de- mokratischen Partei, unterdriickt und ihren Leiter, PURNARAS, der sich offentlich dieser Partei angeschlossen hatte, als „Kommunisten“ verhaften lassen. Derselbe PAN¬ GALOS hat entschieden, daB die „Vulgaristen“ (die Anhanger der Sprachreform) Kommunisten seien. Die Henker. 79 hat, die Anklagen dieser Art und nimmt auch ZANKOFF das Recht zu sagen, daB die von ihm inaugurierte Politik ein Gegenschlag gegen Machenschaften und Provokationen gewesen sei. Ohne Zweifel sind bei den Wahlen, welche die Regierung nach dem Staatsstreich vom 9. Juni hatte vornehmen lassen, die Agrarier und die Kommunisten auf Grund von gemeinsamen Listen gewahlt worden. Das aber liegt daran, daB diese beiden Parteien tatsachlich die einzigen Oppositionsparteien waren, vvahrend die anderen sogenannten Opposi- tionsparteien durch ihren Knechtssinn und ihre Gleichgiiltigkeit gegen die Geschehnisse alles Recht auf diese Bezeichnung verloren hatten. Es ist unrichtig, daB die Arbeiterorganisationen, deren Leiter man ge- opfert und deren berufliche, so lange und so teuer erkaufte Errungen- schaften man vernichtet hat, kommunistisch gewesen sind, selbst wenn, was doch das Normale ist, Kommunisten unter ihnen gewesen sein sollten. DerselbeSchlufi ist fiirdie blutigen Unruhen zwingend, die nach dem Staatsstreich ZANKOFFs entstanden sind. Die furchtbaren Verfolgungen vom September 1923, deren Ergebnis so viel Tausende von Verhaftungen und so viel Tausende von Morden auf dem Lande in Bulgarien war, sind als Folge der behaupteten Ent- deckung eines von der dritten Internationale herriihrenden Dokumentes in Szene gesetzt worden, — vvahrend man, und mit gutem Grund, nie- mandem gestattet hat, sich iiber dieses Dokument zu auBern, geschweige denn, Einsicht in dasselbe zu nehmen. Bei dem ProzeB, der im Juni 1925 gefiihrt wurde, ist keinerlei Ur- kunde vorgelegt worden, aus der sich ergeben hatte, daB die aufriihre- rischen Bewegungen im September kommunistischen Ursprungs gewesen waren. KOLAROFF hat formell geleugnet, daB ein seinen Namen tra- gender und vom September 1923 datierter Aufruf von ihm herriihrte, und hat ihn fur eine Falschung erklart. Ein positiver Beweis dafiir, daB die ervvahnten Unruhen nicht von den Kommunisten geplant und organi- siert gevvesen sind, ist die Tatsache, dafi sie von Anfang an keinen Versuch gemacht haben, aus den Unruhen Nutzen zu ziehen, was zum mindesten unverstandlich ist, wenn sie die Triebfeder gewesen waren. VANDERVELDE hat sich in einer belgischen Zeitung in etwas leicht- fertiger Weise zum Echo der offiziellen Legende gemacht, indem er behauptete, daB der Putsch im September 1923 auf Grund der formellen von Moskau gekommenen Befehle veranstaltet worden sei. Indessen das, was er hinzusetzt, macht diese Anschuldigung zuschanden, die weder VANDERVELDE, noch sonst jemand auf annehmbareWeise begriin- 80 Henri Barbusse. den kann. Er sagt in der Tat: „Es scheint indessen nicht zvveifelhaft zu sein, dafi, wenn die Kommunisten die Leiter des Aufstandes gewesen sind, es die zur Agrarpartei gehorigen und durch die Ermordung STAM- BOLIJSKIs erbitterten Landleute gevvesen sind, die den Hauptteil ihrer Truppen bildeten. In Sofia, wo die Bolschewisten machtig waren, riihrtesichniemand. In den Landesteilen im Gegenteil, wo die Agrarier trene Anhanger STAMBOLIJSKIs waren, gab es sehr heftige Kampfe.“ Was kann man vernunftiger Weise aus diesen Tatsachen schlie- Ben? DaB die Kommunisten an einzelnen Stellen Provokationen und Metzeleien entgegentreten konnten, dafi sie aber nicht die Verantwor- tung fur die Ereignisse tragen. Die einfache Wahrheit ist: Der Wahl- erfolg der Agrarier und Kommunisten war gesichert. Da bringt man ein Dokument vor, das eine revolutionare Handlung fur den 17. September ankiindigt. Diese „EnthulIung“ gibt der Regierung den ervviinschten Vorvvand, um die Agrarier und die Kommunisten in Massen verhaften zu lassen. Diese Verhaftungen rufen Widerstand und Aufruhr auf dem Lande hervor, wo die agrarischePartei ihren Sitz hat. Das ist ein neuer enviinschter Vorwand fur VergeltungsmaBregeln und Metzeleien. Ein anderer Bevveis dafiir, dafi die September-Unruhen spontane Er- hebungen und nicht die vorbedachte Mache einer politischen Organi- sation gevvesen sind, ist es, dafi sie nicht gleichzeitig im ganzen Lande stattfanden, sondern auf einander folgende Reaktionen gegen die Vergel¬ tungsmaBregeln waren: „Erst nach dem Blutbad in Siidbulgarien sind die Unruhen in Nordbulgarien ausgebrochen. Hatte wirklich ein Revolutions- plan bestanden, so vvurden die Revolutionare nicht den Fehler begangen haben, sich vereinzelt massakrieren zu lassen." (Aus dem Schreiben einer Gruppe bulgarischer Intellektueller an die Liga der Menschenrechte.) Nach dem offiziellen Gerede sollen zwei andere kapitale Ereignisse die Folge der Einmischung der Russen und der dritten Internationale sein. Dadurch ist es moglich geworden, der Welt das Gespenst des Mannes mitdemMesser zvvischen den Zahnen alsSchreckbilderscheinen zu lassen. Es handelt sich um den Bauernaufstand von Tatar-Bunar (Rumanien) vom September 1924, von dem noch die Rede sein wird, und um die Explosion in der Kathedrale (der Kirche der Heiligen Ne- delia) in Sofia am 16. April 1925. Die eingehende Untersuchung dieser Ereignisse gestattet, ohne dafi man irgend eine Ableugnung zu befiirchten brauchte, festzustellen, dafi auch in diesen Fallen das grofie Argument, vvelches den Balkandespo- ten zur Rechtfertigung aller ihrer Handlungen dient, in nichts zerfallt. Die Henker. 81 Das Attentat in der Kirche der heiligen Nedelia zu Sofia, das den Tod von ungefahr 170 Personen und eine sehr groBe Anzahl von Ver- vvundungen zur Folge gehabt hat, ist eine Tathandlung, die prinzipiell im Gegensatz zu der kommunistischen Propaganda steht, welche stets das individuelle Handeln mifibilligt und ausschliefilich die Gesamtor- ganisation und das Handeln der Massen fiir das Richtige erklart hat. Die Explosion einer Bombe inmitten einer Menschenmenge konnte die Reaktion von oben nur auf das Fiirchterlichste starken; bei verniinftigen Menschen kann es in dieser Hinsicht nicht zweierlei Meinungen geben. Es ist von vornherein unsinnig vorauszusetzen, daB eine Partei diese mon- strose Ungeschicklichkeit, diesen politischen Selbstmord ins Auge fassen konnte. Es ist sinnfallig, daB in der Folge einer langen Kette von Schrecknissen, Mordtaten, Foltern und Attentaten gegen Menschen auf offentlicher StraBe dieser Wahnsinnsakt, den alle Welt verurteilt, die direkte Ge- genvvirkung gegen den Zankowistischen und Walkowistischen Terror gewesen ist.*) Hinsichtlich der genauen Tatsachen der Beteiligung der Kommunisten und hinsichtlich der Beweise fiir sie habe ich KlSSIMOFF, den Ministerial- direktor und Generalsekretar im bulgarischen Ministerium des Ausvvar- tigen befragt, der mich, als ich mich im Ministerium vorstellte, an Stelle des abvvesenden Ministers empfangen hat. Da das Geriicht von unserer Enquete in Sofia wie in Bukarest sich verbreitet hatte, so unterliegt es keinem Zweifel, daB dieser hohe Beamte — ganz wie TATARESKU — *) Man hat uns die Ergebnisse einer Enquete mitgeteilt, die zwei Monate nach dem Attentat vom 16. April 1925 in einigen Sekundarschulen vorgenommen worden ist. 70% der Schuler verurteilten das Attentat, 20% erklarten es fiir „eine verdiente Antvvort an die Spekulanten, an die Wucherer, an die Ausbeuter und an die Henker des Volkes". 10% erklarten: „Das Attentat vvar etvvas Unerhortes, aber seine Urheber haben aus edlen Beweggriinden gehandelt." Das Attentat in der Kathedrale, das muB hervorgehoben vverden, ist nicht, vvie man vorgegeben hat, nach einer Periode der Ruhe und der sozialen Befriedung erfolgt. Die Bilanz des vorangegangenen Monats (Marž 1925) ergibt in der Tat das foigende: Am 12. Marž sind 40 Menschen in Berkowitza, und 20, darunter 12 Frauen, in Ferdi¬ nand verhaftet worden. Am 15. wurde der Versuch gemacht, den mazedonischen Fode- ralisten ATHANASSOFF zu ermorden. Am 18. wurde in Berkowitza der Lyzeums- schiiler TSCHERNEFF ermordet. Am 20. verhaftete die Polizei 300 Personen in Schu- men, 150 in Stara-Zagora, 60 in Russe, 50 in Sevvliovvo, 40 in Philippopel, 12 junge Stu- denten in Sliwen, 30 Personen in Sofia, 60 in Samokoff, 40 in Warna, u. s. w.. Am 22. wurde ein Kommunist in Elena umgebracht. Am 23. vvurde in Samokoff KHRASTOFF und in Sofia der Lehrer J. DOROSSIEW ermordet. Am 25. vvurde in Sofia der Štu¬ dent A. SIMIONOFF von der Polizei umgebracht. Am 28. fielen in Russe unter den Kugeln von Polizisten GALTSCHANOFF und PISKOWA. Am 29. fanden Massenver- haftungen in Sofia statt, und zwei Kommunisten vvurden getotet. Am 30. gab es Massen- verhaftungen in ganz Bulgarien. Barbusse. Die Henker 6 82 Henri Barbusse. die schlagenden Beweise zu meiner Kenntnis gebracht haben wiirde, wenn er sie besessen hatte. Nun aber waren die Erklarungen KlSSI- MOFFs mehr als unbestimmt, und das einzige „Argument“, das er vor- bringen konnte, ist folgendes: „Es hat Leute gegeben, die zu einer ge- wissen Zeit kein Geld hatten, und die einige Zeit danach Ausgaben gemacht haben; es war also klar, dafi diese Leute durch Moskau sub- ventioniert worden sind.“ Ich erklare, daf> der Vertreter des Mini- sters des Ausvvartigen in Sofia mir nichts anderes iiber die Schuld gesagt hat, vvelche die kommunistische Partei in dieser Angelegenheit haben soli. Wenn die Teilnahme des Kiisters ZADGORSKI an der Organisation des Attentats zur Not als annehmbar erscheinen kann, so sind doch die beiden anderen Hauptverurteilten, KOEW und FRIEDMANN, der eine hdchstwahrscheinlich, der andere sicher, unschuldig. Durch nichts wird MARCO FRIEDMANN auch nur im geringsten ernstlich mit dem Verdacht der Mittaterschaft belastet. Er hat nicht aufgehbrt, feierlich und ent- schieden seine Unschuld zu beteuern, bis zu dem Augenblick, in dem er selber dem Henker, einem Zigeuner, geholfen hat, seine Pflicht zu tun, unter den Augen von 50000 Zuschauern, und wahrend der Hergang photographiert und gefilmt wurde. Was man aber weifi, ist, dafi auf das Attentat vom 16. April, wie ich schon gesagt habe, eine polizeiliche Schlachterei gefolgt ist, fiir die es wenige Beispiele selbst in diesen fluchbeladenen Landern gibt. Am Ta- ge des Attentats selbst wurden durch Massenverhaftungen die Gefang- nisse vollgestopft mit Leuten, deren Namen auf offenbar im Voraus hergestellten Listen verzeichnet waren. Drei Stunden nach der Bomben- explosion horten die Verhafteten in den Raumen der Zentralpolizei- direktion durch die Wande hindurch die Schreie der Gemarterten, und drang zu ihnen aus den Oeffnungen der Zentralheizung der Geruch der lebendig verbrannten Korper. Ich habe selbst Einige gesehen, die mir Einzelheiten erzahlt haben, wie man sie nicht erfinden kann. Da nach dem 16. April die Gefangnisse unzureichend geworden waren, wandelte man Kasernen, Schulen und selbst Privatwohnungen in Ge¬ fangnisse um.*) *) Letzthin hat KOSTURKOFF, dessen Bekanntschaft ich in Sofia machte und von dem zu sprechen ich schon wiederholt Gelegenheit gehabt habe — KOSTURKOFF, dessen Loyalitat niemand anzuzvveifeln wagt —, in einer Rede auf dem radikalen bul- garischen Kongress an die Unterstiitzung erinnert, welche die radikale Partei dem Staat anlaBlich der „traurigen und furchtbaren Ereignisse" geleistet hat, die das Land nach dem 16. April durchleben muBte, und hat hinzugefugt: „Diese Ereignisse beun- ruhigen mein Gewissen fiirchterlich. Eine groBe Anzahl Menschen wurde ohne Urteil Die Henker. 83 Die Regierung hatte ein kommunistisches Komplott fur den 15. April vorausgesagt und legte diesmal ein Dokument vor. Dieses „vertrau- liche Rundschreiben" ist eine offenbare Falschung.* *) Das Attentat gegen den Kbnig BORIS, das als Tat der kommunisti- schen Partei vollkommen unerklarlich sein wiirde, mufi wohl eher von denUltrazankisten angestiftet worden sein — oder einfach von den Zanki- sten. Unterlassen wir nicht zu bemerken, daB die Kommunisten sich nach der Katastrophe in der Kirche ruhig verhalten haben. Nicht nur taten sie nichts, um aus der Verwirrung Nutzen zu ziehen, sondern sie lieferten sich selbst der Unterdriickung aus, indem sie untatig blieben. Es sei mir vergbnnt, etwas bei dieser Tatsache zu verweilen. Ich be- absichtige hier nicht, im Interesse einer Sache irgend etvvas zu unter- driicken, und ich mochte loyal und in voller Klarheit die These, die ich behaupte, erklaren. GevviB, ich erkenne es ein fur allemal an, dafi die kommunistische Propaganda sich iiberdie ganzeWelt erstreckt. Sie be- ums Leben gebracht. Wo sind denn die Tausende von bulgarischen Biirgern, die ver- haftet und seitdem ant mysteriose Weise verschwunden sind? Aber, sie vvaren doch in den Handen derBehorden. Zu unsererSchande hat die Barbarei das Burgerrecht in un- serem Lande erworben und den Namen unserer Rasse mit Schmach bedeckt. Diese Er- eignisse werden in der Geschichte Bulgariens unvergessen bleiben. Und die aufgeklarte Menschheit wird die nicht durch das bulgarische Volk, vvohl aber durch seine Regie- renden begangenen Verbrechen nicht leicht verzeihen konnen." *) Man muBte ein ganzes Kapitel iiber die Geschichte der Industrie der politischen Falschungen schreiben, iiber das Papierbanditentum, das sich im Laufe dieser letzten Jahre in den groBen europaischen Zentren und selbst in Asien hauptsachlich zu dem Zvveck des Kampfesgegen RuBland entvvickelt hat. Eine grofie Zahl jenerAbenteurer, von denen es in den Spezialgebieten der Polizei und des Spitzeltums vvimmelt, hat sich der Her- stellung von „Keulendokumenten“ gewidmet, vvelche sie sich von den Bevveismittel suchenden Regierungen mit Gold aufvviegen lassen. Selbst CHAMBERLAIN erkannte in einer im Dezember 1924 im Unterhaus gehaltenen Rede an, daB es zahlreiche Fa- brikanten von Falschungen politischer Natur iiberall in derWeltgibt. Diese Leute haben fast immer eine grenzenlose Unwissenheit, welche sich in einigen Dummheiten in ihren Machvverken zeigt, und ali diese Falschungen sind schlieBlich als solche entlarvt worden. Nichtsdestoweniger hatten sie unter gewissen Umstanden auBerordentlich vvichtige Fol- gen: Der unmittelbare, auf das nicht allzu genau priifende Publikum hervorgebrachte Eindruck ist fast immer betrachtlich und geniigt dazu, die Erregung der offentlichen Meinung hervorzurufen, die man hoheren Ortes braucht. Die Widerlegung kommt zu spat, und dann bleibt nach der tiefen Einsicht BASILs immer etvvas von der Verleumdung hangen, und zudem erkennen die Regierungen vvohlverstanden nicht an, daB sie sich mehr oder vveniger vvillentlich von den Falschern haben tauschen lassen, und sie haben die Mittel dazu, Recht zu bekommen. Vergessen wir nicht das sensationelle Ereignis der im September 1918 in den ameri- kanischen Zeitungen erschienenen Falschung, die LENIN und TROTZKI als von Deutsch- land gekauft schilderte. Diese Dokumente, die der Hauptmann ROBINS, der Prasident des Roten Kreuzes, dem sie fur Geld angeboten vvorden vvaren, als Falschungen erkannt hatte, fielen endlich in die Hande eines gevvissen EDGARD SISSON, der, vveniger skrupulos, sie mit Eifer an sich nahm und veroffentlichte. Niemand vertritt heute mehr ihre Echtheit. Aber der Schlag vvar gefiihrt vvorden. Vergessen vvir auch nicht den gefalschten SINOWJEW-Brief, dessen Verbreitung die letzten englischenWahlen stark 84 Henri Barbusse. steht darin, den stadtischen und landlichen Arbeitern den Plan einer tief- gehenden sozialen Erneuerung einzuhammern, die sich auf die Gleich- heit aller, die ausschlieBliche Herrschaft der produktiven Arbeit und auf die Hinausschiebung der Grenzen der menschlichen Gesellschaft bis zu den Enden der Erde griindet. Diese Propaganda vollzieht sich durch das Eindringen in das Innere der unterdriickten Massen und durch ihre Organisation. Diese Idee und diese Sache an sich stehen hier — noch einmal sei es gesagt — nicht zur Diskussion. Aber was man da- riiber sagen kann, das ist, dafi sie ein „Parteiprogramm“ bedeuten, das im Prinzip allen anderen politischen und sozialen Programmen ver- gleichbar ist. Theoretisch sind sie nicht mehr umstiirzlerisch als die Pro- gramme der iibrigen Parteien, die alle mit einander dasZiel haben, ihre Vorstellungen den anderen und dem bestehenden Zustand entgegenzu- stellen. Die Revolution ist nichts anderes als ein Mittel zur Herstellung eines Zustandes, der einer Lehre entspricht; aber diese Lehre verlangt beeinflufit und den Bruch der diplomatischen Beziehungen zwiscben Grofi-Britannien und RuBland zur Folge gehabt bat. Es ist bestatigt und offentlich bewiesen worden, dafi der angebliche Brief von C. RAKOWSKI, der in Rumanien veroffentlicht wurde, um die Agrarpartei und RA- KOWSKI selbst verachtlich zu machen, durch den beriichtigten internationalen Spion ROTSCHESKO-BIZON fabriziert worden ist, der nach einer bewegten und bunten Laufbahn sich mit einem ganzen Personal fiir die Herstellung von Artikeln dieser Art spezialisiert hatte. Die Berliner Polizei hat bei dem nicht vveniger bekannten Falscher DRUJELOWSKI das vollstandige Gerat zur Herstellung von falschen Titeln, Stempeln und Siegeln beschlagnahmt, die dazu bestimmt waren, einer ungeheuren „Literatur“, welche in England, in Polen, in Bulgarien verbreitet war, den Stempel des Sowjetur- sprungs aufzudriicken. Eine der vervollkommneten Werkstatt DRUJELOWSKIs in Berlin ahnliche ist die, welche man in Wien bei JAKUBOWITSCH entdeckt hat, ebenso das Biiro von SINGLETON in London und von KEDROLIWANSKI in China. Das Dokument, von dem ich gesprochen habe, das von ZANKOFF in der Sobranje verlesen worden ist, und das ihm dazu diente, dieRoheiten der Unterdruckung zu recht- fertigen, sowie von denAUiierten die Erlaubnis fiir die Vergrofierung des bulgarischen Heeres zum Zweck des Krieges im Innern zu erlangen, setzt den Plan einer von den rumanischen, polnischen, tschechoslowakischen Kommunisten und von denen auf dem Balkan vereinbarten Aktion auseinander. Dieser Plan ist das Werk DRUJELOWSKIs, wovon die bei ihm beschlagnahmten phantastischen Zeichnungen von Stempeln und Emblemen Zeugnis ablegen. In diesem Dokument wimmelt es im iibrigen von offen- sichtlichen Irrtiimern: Irrige Benutzung der Embleme und Stempel, handgreifliche Un- genauigkeit der technischen Ausdriicke; einige darin erwahnte Personlichkeiten sind erdacht, andere hatten nicht oder nicht mehr die offizielle Stellung, die ihnen auf diesem Papier zugeschrieben war, andere wieder waren unleugbar aufierhalb des Landes, in dem sie angeblich die Agitation betrieben hatten. Es ist eine grobe Falschung. Aber als sie bewiesen wurde, war es zu spat; die Regierung hatte ihren Zweck erreicht. KIS- SIMOFF hat mir von diesem Dokument kein Wort gesagt. Ebensoviel Kredit verdient das D okument, das „La Bulgarie“, die in franzosischer Sprache geschriebene Zeitung in Sofia, und das »Journal" in Pariš im Fac-simile veroffentlicht hat. Ebenso steht es mit dem angeblichen Dokument, das in die Hande der rumanischen Sicherheitsbehordegefallenseinsoll, wennman demRegierungsblatt „Victorul" glauben wollte, wonach die antisemitische Hetze in Rumanien eines der Ziele der dritten Inter¬ nationale sein soli. Die Henker. 85 an sich in keiner Weise nach der Gewalt, ganz im Gegenteil. Sie er- scheint ihren Anhangern logischer als die anderen Lehren, fortgeschrit- tener, besser angepaBt den schreienden Bediirfnissen und den zusammen- fassenden Kraften der Gesamtheiten. Der Keim von Ungesetzlichkeit besteht darin, dafi man die geltenden Gesetze andern will; aber eben- so wie in der kommunistischen Partei findet er sich in gevvisser Weise auch bei allen anderen Parteien — und die Anwendung der Mittel zur Verwirklichung ist nicht eine Frage desPrinzips, sondern eine Tatfrage. Sonderbar ist es zu sehen, daB Regierungen, die sich nur durch den Biirgerkrieg und durch den Einbruch von Polizei und Militar in die Mi- nisterien zur Macht gebracht haben und die eine bestialische Gegenre- volution anzetteln, ehe noch eine Revolution ausgebrochen ist, — die kommunistische Theorie als gesetzwidrig und umstiirzlerisch beschul- digen und die kommunistische Partei anklagen, dafi sie eine andauernde Verschw6rungunterhalt. Unter allen Umstanden, und um auf das zuriick- zukommen, was uns mehr unmittelbar interessiert, ist es etwas ganz be- sonders Hassenswertes, wenn Behorden, die auf Unterdriickung des Volkes ausgehen, Legenden von Komplotten und Verbrechen fabrizieren, um die unbeugsamste Gruppe ihrer politischen Gegner verachtlich zu machen und niederzuschlagen. Man hat sich deshalb auf das Kopfen im grandiosesten MaBstab ge- stiirzt, die Zahl der Martyrerverzeichnisse hat sich in phantastischer Weise vervielfaltigt, man hat die Arbeiterklasse und den Bauernstand in allen ihren Verteidigern getroffen, indem man sich des Mittels der Liigen und der Falschungen bediente. So sind Hekatomben hingeopfertworden, aber das hat auch dazu ge- fiihrt, die Idee zu starken und den Zorn anzufachen. Es ist nichts Neues, dafi die Verfolgung den Samen ausstreut, aus dem Proselyten hervorgehen. Die noch nicht Revolutionare sind, werden es. Man hat mir von Menschen erzahlt, die bis dahin politisch gleichgiiltig gevvesen vvaren, die, grundlos verhaftet, beim Verlassen des Gefangnisses zum Kommunismus bekehrt waren. Indem derStaat mit demVorwand des Bolschewismus spielte, hat er die bolschewistische Idee gekraftigt. So muBte es kommen. — Ich er- innere mich, mit welcher Leidenschaftlichkeit ein bulgarischer Fliichtling in Konstantinopel mit mir dariiber gesprochen hat. „Sie konnen uns nicht alle bis zum Letzten toten. Darum sind sie verloren. Immer werden noch einigeiibrig bleiben, die wiederanderevoranschicken.“ DerGlaube dieser LJberlebenden, der durch das Leiden geschaffen und geschmiedet ist, ist harter als die Schlage. Ihre Hoffnung-hat etwas Schreckenerregendes. VII. Die Balkan-Minderheiten. Die Balkan-Halbinsel leidet unter den durch die Frage der volkischen Minderheiten naturgemafi hervorgerufenen Zwistigkeiten. Die Vertrage, die nach dem Kriege von 1914 gemacht worden sind, und durch welche die Grenzen aller dieser verschiedenen Lander geandert worden sind, haben zum Vorteil der einen und zum Nachteil der anderen ganze Lan- desteile abgeschnitten, die nunmehr der Gegenstand sich untereinander bekampfender Irredentismen und heftiger „Entnationalisierung“ sind. Nun bilden mehrere dieser verstiimmelten Lander geographische Ein- heiten und auch gleichartige Gesamtheiten vom Standpunkt der Uber- lieferungen und der Kultur. Abgesehen von den Rivalitaten zwischen den Landern ergeben sich aus dieser Zerreifiung eine unruhige innere Lage, chronische Anstrengungen zur Befreiung und unaufhorliche Kon¬ flikte, gegen vvelche die auf dem Balkan herrschenden Lander (d. h. die siegreichen Lander, die von der Landerbeute Nutzen gezogen ha¬ ben), mit Kniippel und Sabel wiiten, und die sie durch eine Gesetzgebung der Erstickung niederzuhalten suchen. Derartige Regierungen haben nicht die Aussicht auf Dauerhaftigkeit. Das Kriegsgluck nach der Niederlage Osterreichs, Bulgariens und der Tiirkei hat das kleine Serbien, das nicht einmal drei Millionen Einwoh- ner hatte, zu Jugoslawien gemacht, das nun vierzehn Millionen Einwohner zahlt. Man hat ihm auBer der Halfte Mazedoniens, Kroatien, Slawonien, Bosnien und Montenegro einverleibt. Von ali diesen neuen Provinzen ist Kroatien die reichste und am meisten entwickelte. „Nach allgemeiner Ansicht", berichtet M. NEMA- NOFF in einem Artikel, den er im Jahre 1923 nach einer Studienreise durch diese Gegenden verbffentlicht hat, „war die bsterreichische Ver- vvaltung, die bis dahin funktioniert hatte, verhaltnismafiig anstandig, korrekt, der Bevolkerung zuganglich und handelte soviel wie moglich gesetzlich." Anstatt mit Riicksicht und mit Klugheit vorzugehen, behandeln die Serben diese Provinzen als eroberte Lander, ohne irgend welche Scho- nung, indem sie ihre teuersten Uberlieferungen vor den Kopf stofien, Die Henker. 87 (die SIowaken sind Katholiken, viele Bosnier sind Muselmanner). Die serbische Verfassung, genannt die Verfassung von Widowden, verord- nete eine sofortige und summarische Zentralisation in dem ganzen Ge- triebe, und alle Beamten kamen aus dem alten Serbien und aus Belgrad. Die Annexionen brachten »die balkanischenMethoden“zur Anwendung, iiberschiitteten die neuen Territorien mit arroganten kleinen Tyrannen, die grobschlachtig und oft kauflich waren, und das Ergebnis war, daB die friedliche Bevolkerung, die feiner gebildet war als ihre Sieger, ver- letzt wurde. STEPHAN RaDITSCH, der Leiter des kroatisch-bosnischen Blocks, er- klarte zu jener Zeit: „Wir sind Republikaner und Foderalisten, die Ser- ben sind Monarchisten und Zentralisten. Wir haben eine andere Psycho- logie, eine andere Geschichte und andere Sitten . . . Wir sind immer die Verlangerung Europas nach Osten hin gewesen, der Vortrupp der euro- paischen Kultur, und jetzt will man aus uns die Verlangerung des Ostens gegen den Westen machen, den Nachtrab der Balkan-Wildheit.“ Die Wahlen, die auf der »Plattform des Kampfes gegen den serbi- schen Zentralismus", der durch PASCHITSCH reprasentiert wurde, statt- fanden, erbrachten fiir diesen 108 Mandate auf 310. In allen neu ange- schlossenen Provinzen triumphierten die Foderalisten vollstandig, und RADITSCH konnte liber 114 Mandate verfiigen. Die Grundlage des von RADITSCH personifizierten Irredentismus war die Neugestaltung Jugoslawiens auf Grund von federativen Prinzipien, die jedem der das Reich bildenden Teile, mit Einschlufi des alten Ser- biens, eine gleiche Stellung innerhalb des Ganzen geben sollten: „Wir verlangen, dafi der jugoslawische Staat unser Haus fiir uns alle und nicht ein Gefangnis sein soli." Aber seitdem hat sich RADITSCH, wie wir gesehen haben, mit PASCHITSCH verbiindet und ist in die Zentral- regierung eingetreten, und zwar um den Preis von Zugestandnissen, die einer Aufgabe der Prinzipien gleichkommen. Rumaniens Gebiet und Bevolkerung hat sich infolge des Weltkrieges verdoppelt. Ein ungeheurer Kreis neuer Provinzen umgibt den Kern des »alten Rumaniens": Die Dobrudscha, Befiarabien, die Bukowina, Transsylwanien, das Banat. Die Bevolkerung Rumaniens zahlt augen- blicklich mehr als ein Drittel nicht-rumanischer Elemente. So steht diese Nation hauptsachlich mit Ungarn und Rufiland in dauerndem Kampf. Sie bemiiht sich durch militarische Okkupation, Deportation der Einwohner, erbarmungslose Unterdriickung der traditionellen Bestrebungen und Tendenzen und dadurch, dafi sie die Hand auf die Schulen legt, die 88 Henri Barbusse. mehr oder minder kiinstlichen Annexionen, von denen sie infolge des Ausganges des Krieges profitiert hat, endgiiltig festzulegen. Eine Ge- setzesvorlage untersagt den Nicht-Rumanen den Unterricht ihrer Mutter- sprache in den Schulen. In der Bukovvina sind so 160000 Kinder behindert, ihre Studien zu machen. Selbst rumanisch verstehende Studenten sind an der Universi- tat von Czernovvitz nicht zugelassen worden. Vier Berufsschulen wur- den geschlossen, weil sie von Ukrainern gegriindet waren. Die Eisen- bahn, die Gerichts- und Vervvaltungsbehorden bedienen sich befehls- gemafi nur des Rumanischen, obgleich 68 Prozent der Bevolkerung diese Sprache nicht verstehen.*) Die stadtische Selbstverwaltung ist aufgehoben. Die durch die Re- gierung ernannten Verwalter ersetzen die von der Bevolkerung ervvahlten Beamten. Die Einrichtung der Fron ist wieder eingefiihrt worden, ebenso sind es die willkiirlichen Requisitionen und Kontributionen. In den Grenz- bezirken gestattet der Vorwand des Schmuggels den Gendarmen, die Handler und Bauern auszupliindern. Der Belagerungszustand ist seit der Okkupation nicht vvieder aufgehoben vvorden. Die Lohne der Ar- beiter belaufen sich auf 40% der Vorkriegslohne. In den vveltverlorenen Karpathendorfern kommt es noch vor, dafi man die Bauern offentlich auspeitscht. Friedliche Burger sind Banditen geworden — um sich zu rachen. In dieser selben Bukovvina ist die Agrar-Reform ein Kolonisations- unternehmen geworden, welches die eingeborene Bevolkerung zur Aus- vvanderung zvvingt. Nach einer rein politischen Annexion, die in schreien- dem Widerspruch zu dem im Jahre 1919 feierlich erklarten Willen der Bukowiner steht, hat es sich die rumanische Besitzergreifung zum Vor- satz gemacht, nicht nur die „nationale“ Sprache und Seele in dem gan- zen Lande auszutilgen, sondern auch noch es von der eingeborenen Bevolkerung durch die Verfolgung leer zu machen und diese Bevolkerung durch Beamte zu ersetzen, denen man das Land zuwendet. In der Dobrudscha, die friiher zu Bulgarien gehorte, haben 35000 Einwohner die Heimat verlassen miissen. Die Zentralregierung behin¬ dert, wie es scheint, absichtlich in dieser Provinz die okonomische und kulturelle Entwicklung. Die Schulbauten sind enteignet, die bulgarischen Dorfschulen geschlossen worden; die Landessprache ist uberall ausge- *) Ein Befehl aus Bukarest vom Jahre 1926 verordnet, daB nur die rumanische Sprache in offentlichen Versammlung-en gebraucht werden darf, was tatsachlich einem Verbot dieser Versammhingen in den annektierten Landbezirken gleichkommt. Die Henker. 89 schlossen vvorden. Zu diesen summarischen Angleichungsprozeduren kommen die Auspliinderung der Bevolkerung durch die rumanischen Beamten, die Grausamkeiten und Belastigungen, die sich — man mochte sagen — zum Zwecke der Provokation und behufs Rechtfertigung harter VergeltungsmaBregeln sowie der Militarherrschaft vervielfaltigen, hinzu. In bezug auf die Dobrudscha ist letzthin unter dem Vorsitz TATA- RESKUs, des tatsachlichen Ministers des Innern in Rumanien, eine Kon¬ ferenz in Bukarest abgehalten worden. Die offiziellen Entscheidungen dieser Konferenz sind: Verstarkung der Gendarmerie und derTruppen an der Grenze; Gesamt-Veranftvortlichmachung der Dorfer im Falle von Angriffen der Tschetas (Banden); des weiteren sind strenge MaBregeln gegen alle Mitschuldigen der Komitatschis (der bewaffneten Separa- tisten) beschlossen worden. Auf dieser Konferenz wurden andere ge- heime Beschlusse gefafit, die aus einer unmittelbar nachher durch den Prafekten von Silistria, TASCHKU PUTSCHEREA, den Urheber der Er- mordung der fiinf Bauern in 'Asfatkbi im Jahre 1924, veroffentlichten Verordnung erhellten. In dieser Verordnung heiBt es: „ Jeder, der einen Banditen oder einen Komitatschi totet, erhalt eine Belohnung von 10000 Lei fiir den Kopf des getoteten Banditen oder Komitatschis." Die gemaBigte Zeitung „Adeverul“, welche diese Mitteilungen bringt, sieht darin mit vollem Recht Pramien auf den Mord: „Das heifit jedem Beliebigen das Recht geben, einen Menschen zu verfolgen, ihn als Ban¬ diten zu bezeichnen und ihn fiir eine Belohnung umzubringen, und zwar ohne alle Formalitaten; die personliche Auffassung desjenigen, dessen Geschmack es ist, Menschenjager zu vverden, geniigt." Fiigen wir hinzu, wie es viele Male verniinftige Beobachter anerkannt haben, daB die Komitatschis einen breiten Riicken haben, und daB man ihre Zahl nach Belieben durch Bekanntmachungen, behufs Rechtferti¬ gung der gewaltsamen Angleichungsprozeduren, in jenen Gegenden vermehrt, in denen die rumanische Kolonisation durch die Vertreibung oder die Ermordung der eingeborenen Bevolkerung durchgesetzt wird, und in denen das, was davon iibrig bleibt, gezwungen wird, unentgelt- lich zum Nutzen der bevvaffneten Kolonisten zu arbeiten.*) *) Am 22. Januar 1926 hat derProzeB gegen 78 Bauern in Constanza begonnen. Sie sind angeklagt, ein Komplott bulgarischer irredentistischer Komitatschis angestiftet zu haben — obwohl es unter ihnen Tiirken gibt. Sie haben 11 Monate in Untersuchungshaft sit- zen miissen, haben die Druckkosten’einer umfangreichen Anklageschrift bezahlen miis- sen, und einige"unter ihnen sind derart gepriigelt worden, dafi Fetzen ihrer Kleider in ihr Fleisch eingedrungen sind. 90 Henri Barbusse. Transsylwanien. Am 1. Dezember 1925 waren sieben Jahre verstrichen, seit die Ru- manen Transsylwaniens, einer ungarischen Provinz, in Alba Julia ihren Anschlufi an das Konigreich Rumanien beschlossen hatten, und aus An- lafi dieses Jahrestages gab es groBe Festlichkeiten, bei denen viele Re¬ den gehalten wurden. Betrachten wir die Wirklichkeit durch die Worte hindurch. Es gab im Dezember 1918 in Transsylwanien eine revolutionare Volksbewegung zu Gunsten der Unabhangigkeit, eine Bewegung, die sich gleicher Weise auf Ungarn erstreckte. Die Fiihrer der rumanischen Mittelklasse hatten damals die Wahl: entweder die Revolution mit den besiegten Ungarn gemeinsam zu machen oder sich der rumanischen Armee zu unterwerfen, die schon von Osten her ins Land kam und aufs Starkste durch die Balkan-Armee der Entente unter dem Befehl des Ge¬ nerala FRANCHET D’ ESPERAY unterstiitzt wurde. Sie zogen die An- nexion durch Rumanien vor. Die Rumanen Transsylwaniens hatten, wie iiblich, ihren Anschlufi von einer gewissen Anzahl von „demokratischen“ Bedingungen abhangig gemacht, aber diese Klauseln wurden, wie eben- falls iiblich, immer weniger beachtet und endlich von Rumanien, das sich auf seine Okkupations-Armee stiitzte, ganz und gar bei Seite ge- schoben, und die „befreiten rumanischen Briider" wurden ali ihrer Freiheiten beraubt. Wie sich W0IW0D, der friihere rumanische Minister- prasident, ausdriickte, wurde die Vereinigung „mit der Mistgabel" voll- zogen. Und die transsylwanischen Nationalisten sind dadurch jetzt dahin gebracht worden, „das bittere Brot der Opposition zu essen". Es ergibt sich aus den in vollem Licht der parlamentarischen Verhandlungen durch die VertreterTranssylwaniens abgegebenen Erklarungen, dafi die Sterb- lichkeit auf dem Lande zunimmt, daB dort eine fortgesetzte Massen- auswanderung stattfindet, daB, was die „Agrar-Reformen“ betrifft, von 530000 Bauern nur 45000 Land bekommen haben, dafi die Industrie, die in Transsylwanien stark entwickelt ist, und der Handel zuriickgehen. Die transsylwanischen Banken sind auf ein Zehntel ihrer Bediirfnisse reduziert, wahrend die rumanischen Banken reichlich unterstiitzt werden, was den Bukarester Kapitalisten gestattet, ihre Hand auf die Unter- nehmungen zu legen. Uberall Arbeitslosigkeit, Stillstand der Arbeiten. Die Riesenwerke von Reschitz, die ungefahr 8000 Arbeiter beschaf- tigten, haben jetzt nicht mehr als 1200. Im Hausbau hat die Zahl der unbeschaftigten Arbeiter 100% erreicht. In der Metallurgie erhob sich Die Henker. 91 der Prozentsatz von 40 zu 50 und 60%. 15000 Holzarbeiter von 40000 sind arbeitslos. Der Achtstundentag ist aufier Gebrauch gesetzt worden. Die Gendarmen haben die Holzarbeiter gezwungen, zwolf Stunden zu ar- beiten. Der Unterstiitzungsfond fiir die kranken Arbeiter ist nach Buka- rest gebracht worden. In den Bergwerksbezirken werden Tausende von Gehaltern nicht bezahlt; der Alkoholismus bliiht zu gleicher Zeit wie die Hungersnot. In Transsylwanien und im Banat wie in Befiarabien hat sich die ZahI der Schankstatten erstaunlich vermehrt (200% in 7 Jahren). 40 bis 50% der Schulen sind geschlossen worden, und die Schul- raume, ebenso wie die zahlreichen Volkshauser, sind beschlagnahmt und militarischen Zwecken zugevvendet worden. Der Belagerungszustand wiitet: Verhaftungen, Razzien und Wahlterrorismus. Der eingeborene rumanische Bauer leidet nicht weniger als die trans- sylwanischen Minderheiten unter der Kolonisation, welche die Bauern den Wucherern preisgibt. Man hort von Fallen, besonders im Komitat Satumare, wo, in ungesunden Baracken zusammengepfercht, die Bauern zum grofien Teil Epidemien erlegen sind — der Rest ist entflohen. Es gibt in Ungarn 150000 transsylwanische Fliichtlinge, welche die Militardiktatur und die okonomische Krise in Ungarn dem rumanischen Terrorismus vorgezogen haben. Beamte, Erzieher, Angestellte, Rich¬ ter haben fiir Ungarn optiert und hausen dort in Eisenbahnwagen. Befiarabiens Rumanisierung. BeBarabien, das zu RuBIand gehort hatte, ist durch die Entente zu Rumanien gekommen. Diese Annexion einer russischen Provinz, die ohne Zustimmung Rufilands, das doch kein feindlicher Staat war, erfolgt ist, eine Zuteilung, die durch keinen zweiseitigen Vertrag sanktioniert worden ist, ist ein in der zeitgenossischen Geschichte vielleicht allein- stehender Willkiirakt. Patriotische, rumanische Politiker, wie der Dr. LUPU, die erklaren, dafi die beBarabische Bevolkerung im Grunde mol- dauisch-rumanisch ist, sind dennoch der Ansicht, dafi in dieser Sache die' Alliierten ihre Befugnisse iiberschritten haben, und dafi es absolut notvvendig ist, die Zustimmung Rufilands zu erlangen, um eine derartige Situation in Ordnung zu bringen. Wie dem auch sei, die „Entrussifizie- rung" Befiarabiens wird mit’allen >! Mitteln fortgefiihrt. Befiarabien’ wird wie eine rebellische Kolonie behandelt. Man verbietet die russische Sprache. Spitzel richten dort sogenannte russische Komitees ein. s Man veranstaltet Massenmorde. TATARESKU hat COSTA FORU zugestanden, 92 Henri Barbusse. daB in Befiarabien viel Blut vergossen worden ist, aber „dafi es sein mufite". Nach der Bauern-Zeitung „Tsaranul“ haben die rumanischen Besatzungs-Truppen von 1918 bis 1925 in Befiarabien 18833 Menschen getotet, u. a. 1918:3000, 1919:11000 (Erhebung in Khotine), 1924:2000 (Tatar-Bunar). Die Rumanisierung Befiarabiens hat unsagbares Elend zur Folge ge- habt. Alle diese Riesenflachen, auf denen der Wohlstand bliihte, und die belebt vvaren, gleichen jetzt Wiisten, welche vom Beginn der Welt an nicht bebaut worden sind, und dieneuesten Berichte von Reisenden, vvelche durch die befiarabischen Ebenen gekommen sind, klingen ver- zweiflungsvoll. Infolge von Ohnmacht oder Unfahigkeit oder aus wel- chem Grunde sonst hat die Zentralregierung (man hat sie beschuldigt, absichtlich die Ursachen der Unzufriedenheit aufrecht zu erhalten, um die militarische Okkupation zu’verlangern und zu-verstarken) sehr wenig getan, um dem Elend Befiarabiens abzuhelfen. Ich werde auf die Lage Befiarabiens noch zuruckkommen. Das mazedonisdie Problem. Dieses ist eine wirkliche Wunde im Herzen der Balkanlander. Dieses grofie mazedonische Land, das so malerische und so aufierordentlich starke Ziige der Rassen- und Seelen-Einheit zeigt, ist im Laufe vieler historischer Epochen je nach den Siegen und Niederlagen der es um- gebenden Volker zerstiickelt worden. In der gegenwartigenPeriode, im Juli 1913, hat Konig KONSTANTIN, um die hellenische Herrschaft inSiid- mazedonien, wo die Griechen nur eine Minderheit, ungefahr Vio der Be- volkerung bildeten, zu festigen, 161 bulgarische Dorfer mit 16000 Hausern und 70000 Einwohnern, die ihr Leben nur durch die Flucht nach Bul- garien retten konnten, den'Flammen preisgegeben. Nach dem Frieden wurden alle bulgarischen Kirchen (378), ebenso wie 340 von 19000 Schulern besuchte Schulen von den griechischen Behorden geraubt, und 300 Priester und 750 Lehrer wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Das- selbe Schicksal traf iibrigens die rumanischen Kirchen und Schulen. Heroisch war der Kampf, den die revolutionare mazedonische Orga- nisation von 1897 bis 1912 zur Befreiung Mazedoniens vom tiirkischen Joch gefiihrt hat. Aber nach dem ersten Balkankriege begingen Bulga- rien, Serbien und Griechenland den Fehler, sich Mazedonien zu teilen. Nach dem zweiten Balkankriege wurde das besiegte Bulgarien von der Teilung so gut wie ausgeschlossen. Nach dem Weltkriege, an dem Bul- Die Henker. 93 garien in der Hoffnung teilnahm, Rumanien die Dobrudscha und Ser- bien Mazedonien zu entreifien, muBte es endgiiltig alle seine Wiinsche zu Gunsten Serbiens und Griechenlands aufgeben. Erinnern wir uns, dafi der Vertrag von Neuilly Mazedonien in drei ungleiche Teile zerschnit- ten hat: eine Halfte wurde Jugoslawien zugeteilt, Griechenland erhielt einen fast ebenso groBen Teil, und der Rest — PetritschmitUmgebung — kam zu Bulgarien. Wem kommt von Rechts wegen Mazedonien zu? Hiiten wir uns, in bezug auf diese Frage, wenn man sie so stellt, Stellung zu nehmen. Das Problem ist unlosbar. Es hat zu einer fabelhaften Menge von sich wi- dersprechenden PIaidoyers Veranlassung gegeben. In Wirklichkeit ist Mazedonien, dessen Sprache der bulgarischen nahe verwandt ist, maze- donisch, und was es vor allem lebendig erhalten will, das ist seine Ein- heit. Die Angleichung im Wege der Zerstiickelung durch die Militar- diktatur und Unterdriickung hat zwingend — wie zur Zeit der Tiirken — die R.I.M.O. wieder belebt. Terror gegen Terror, das war das Er- gebnis des Systems der chirurgischen Zentralisation. Das serbische Gesetz zur Sicherheit des Staates wurde gegen die Ma- zedonier angewendet. Zu Tausenden bevblkerten die Aufstandischen oder die Verdachtigen die Gefangnisse. Die Dbrfer muBten fiir die Kosten der Einquartierung der Okkupations-Truppen aufkommen. Uberall nahm man Geiseln. Man deportierte die Bevblkerung ganzer Dbrfer, wie die von Strumnya im Jahre 1924. Manchmal wurde die Halfte der Dorfbevvohner ausgerottet, und der Schrecken verursachte die Flucht der iibrigen von Haus und Hof. Alle Zeitungen, welche diese Tatsachen berichtet haben, sind wegen Attentats auf die Sicherheit des Staates verboten worden. Auch dort erfolgte die Entnationalisierung durch ge- waltsame Ausrottung der Sprache und durch brutale Unterdriickung. Die Griechen haben nach dem ErlaB einer Verordnung, welche die Er- bffnung von Minderheitsschulen unter gevvissen drakonischen Bedin- gungen gestattete, ein lacherliches Lesebuch geschaffen, das man dort unten den Kindern in die Hande gegeben hat, und das eine Mischung aus in lateinischenBuchstabengeschriebenemGriechisch und Bulgarisch ist, und das die Schullehrer beauftragt sind, gewaltsam in die Kbpfe der Schiller einzupragen.*) *) Ein Schiller von zwolf Jahren namens POPOFF, der sich in der Hitze der Erho- lung hatte g-ehen lassen, einige Worte in bulgarischer Sprache zu auflern, wurde von dem Lehrer von KonomladigefaBt, der ihm den Kopf mit dem Rasiermesser zerfetzte. Das Kind erlag seinen Verletzungen. („La Macedoine Libre" vom 15. 4. 1926.) 94 Henri Barbusse. Es steht fest, dab in vielen Fallen die Deportation der mazedonischen Bevolkerung weder durch irgend eine Meuterei noch sonst eine auf- riihrerische LJnternehmung begriindet war, sondern dab sie einfach in Ausfiihrung eines planmabigen Systems erfolgte und fortgesetzt wurde, um griechischen Fliichtlingen, besonders solchen aus Klein-Asien, Platz zu schaffen. In Massen haben die Mazedonier, da sie in die Unmoglichkeit versetzt waren, auf ihren Feldern zu leben, auswandern und nach Bul- garien fliichten miissen. Bulgarien, das durch sechs Kriegsjahre und drei Niederlagen verarmt, in territorialer Hinsicht durch die Vertrage ver- stiimmelt und auf 5 Millionen Einvvohner reduziert worden ist, beher- bergt gegenwartig eine ansehnliche Anzahl mazedonischer und thra- zischer Fliichtlinge: ungefahr 400000, hat mir KOSTURKOFF gesagt, 500000, hat mir der Prasident des mazedonischen Hilfskomitees ver- sichert. Die wirtschaftliche Verwirrung, die durch diesen Massenzuflub von bis zum Aubersten entblobten Menschen hervorgerufen ist, schadigt aufs Schwerste die nationale Entwicklung und ihr Gleichgewicht. 320000 Fliichtlinge, so unterrichten uns die Zeitungen, sind hilfsbediirftig, und unter ihnen befinden sich im Zustand der aubersten Hilflosigkeit 70000 Personen, von denen 20000 Kinder sind. Der Balkanwinter mit seinen 18—20 Grad Frost dringt durch die Holzbaracken der Quarantaine von Swilengrad, der ersten Station des Leidensvveges der Vertriebenen. Anderweit, an der Kiiste des Schwarzen Meeres, haben 40000 ver- bannte Familien nichtdie Mittel zum Ankauf vonHandvverkszeug: 15000 leben in kleinen Hiittchen, 25000 sind ohne Obdach. VANDERVELDE hat mit Recht die Massenauswanderung der Mazedo¬ nier einen „europaischen Škandal" genannt. Diese Bezeichnung ge- brauchte auch LUCIEN CRAMER, ein Mitglied des Komitees vom Roten Kreuz, der im Auftrage des Roten Kreuzes durch Mazedonien gereist ist. In den annektierten bulgarischen Gebietsteilen von Zaribrod, Bos- silegrad und anderen istdieLage ebenso tragisch wieim serbischen Ma¬ zedonien. Der serbische Kapitan STANKOWITSCH hat erklart, „dab er die Grenzen mit bulgarischen Leichen verbarrikadieren wiirde“. Das verwiistete Thrazien. Was inMazedonien geschieht, geschieht ebenso inThrazien.Thrazien, das auch ein geographisches Ganzes ist, ist durch die Sieger im groben Kriege willkiirlich in drei Stiicke geteilt worden:der Westenwurde Grie- chenland gegeben, der Osten der Tiirkei und ein kleiner Teil nur Bul- Die Henker. 95 garien. Wie in Mazedonien iibervviegt das bulgarische Element auch in Thrazien, und das Werk der Entnationalisierung bat auch dort den Er- folg,das Land in eineWiistezu vervvandeln. Siid-Thrazien, wohin seit un- vordenklichen Zeiten die bulgarischen Hirten herabstiegen, und die thrazischen Hafen des Agaischen Meeres sind im Zustand stockenden Lebens. Die griechischen Behbrden sind, indem sie sich auf einen un- geschickt abgefabten Vertrag, genannt das LJbereinkommen der frei- willigen Auswanderung, stiitzen, dazu gelangt, die Bulgaren in Thra¬ zien fast vollstandig auszurotten. Im Jahre 1922 haben sie 2000 Familien nach den Inseln verschickt, wo 3000 Personen umgekommen sind. Als eine interalliierte Untersuchung, die unter den obwaltenden Umstanden Garantien der Unparteilichkeit bieten konnte, in betreff der behordlichen Mabregeln in Thrazien gefiihrt wurde, ist festgestellt worden, dab fried- liche Bauern umgebracht worden sind, ohne dafi irgend eine rauberische oder rebellische Handlung diese Massenmorde gerechtfertigt hatte. In den Bezirk von Burgas sind 69000 thrazische Fliichtlinge geflohen, von denen 21000 infolge von Entbehrungen gestorben sind. Montenegro aus der Reihe der Nationen gestrichen. Vor dem groben Kriege war Montenegro eine Nation, eine Personlich- keit des internationalen Rechts. Jetzt ist es nicht mehr als ein Teil des serbisch-kroatisch-slowenischen Staates: Jugoslawiens. Warum? Das Sonderbare an dieser Annexion ist, dab Montenegro sich schon bei Beginn des Krieges an die Seite der Alliierten gestellt hat. Das monte- negrinische Heer hat unter den grobten Opfern wahrend der diisteren Tage des Jahres 1916 den serbischen Riickzug gedeckt, und wenn mein Gedachtnis mich nicht tauscht, hat POINCARE Montenegro als „den klein- sten und tapfersten unserer Bundesgenossen" bezeichnet. Auf der Pa- riser Konferenz im Jahre 1919 war Montenegro in der Liste der Staaten verzeichnet, die an den Verhandlungen teilnehmen sollten. Aber es ist an der Teilnahme verhindert worden, und nach schmachvollem und be- klagenswertem Schacher, dem iiblichen Verfahren in der grandiosen internationalen „Kiiche“, fiir das Frankreich in erster Reihe, dann Italien und England die Verantvvortung tragen, wurde Montenegro Serbien ausgeliefert. Diese schreiende Verletzung des Volkerrechts, von dem man soviel spricht, eine der auffallendsten von allen denen, die in un¬ serer Zeit so haufig dagewesen sind, labt sich durch nichts rechtfertigen. 96 Henri Barbusse. Sie hat durchgesetzt vverden konnen dank dem MiBkredit, in den die herrschende Dynastie gefallen war, deren Sache man nicht ohne Hinter- list als die dieses Landes mit der Seele voli gliihenden Unabhangig- keitsgefiihls behandelt hat. Sie stiitzt sich auch dank der iiblichen In- szenierung auf den BeschlufieinerVersammlung, die keine Berechtigung hatte, die Nation zu vertreten und zu verpflichten, einer Versammlung, welche Serbien gewaltsam zusammengebracht hatte, und welche diese EntschlieBung unter der militarischen serbischen Besetzung und unter dem Druck der Bajonette gefafit hat. Die serbischen Besatzungstruppen standen unter dem Oberbefehl des franzosischen Generals VENEL. In- folge der Vornahme dieser Annexion brach unter den montenegrini- schen Bergbewohnern eine heftige Revolte aus. Der Aufruhr wurde blutig unterdriickt. 95% des montenegrinischen Landbesitzes wurden ausgepliindert und vervviistet. 5000, oft mit menschlichen Wesen gefiillte Hauser vvurden verbrannt. Man hat Manner und Frauen mit nicht-vor- stellbarem Raffinement hingerichtet: auf Frauen lieB man tollwutige Katzen los, bohrte ihnen Domen unter die Nagel, „verdachtige“ Offi- ziere vvurden verhaftet und derart gefoltert, dafi die Sektion ergab, dafi ihnen verschiedene Rippen gebrochen und die Nieren zerrissen waren; schvvangeren Frauen wurde der Bauch aufgeschlitzt u. s. w.. Es sind massenhaft Postkarten in Umlauf gesetzt worden, die Bilder von Men- schenjagden zeigen: Reihen von Martyrern der nationalenUnabhangig- keit hingestreckt vor den serbischen Bataillonen. Der Volkerbund hat den Beschwerden Montenegros das taube Ohr gezeigt und gab ernst- haft (nach dem Bericht von PAUL MANTOUX) als Grund seiner Haltung an, dafi „niemand als legitimiert zur Vertretung des Landes anzusehen gevvesen sei“, und daB es „unmbglich gevvesen sei, die Wahrhaftigkeit der von den Montenegrinern geauBerten Ansichten nachzupriifen". STEPHAN RaDITSCH und die 70 kroatischen Abgeordneten des Bel- grader Parlaments hatten vor zvvei Jahren, am 1. Mai 1924, eine Adresse an die Montenegriner gerichtet, die folgende Satze enthalt: „Wir Kroaten haben auf den schbnsten Blattern unserer Literatur Montenegro einen majestatischen Altar der Freiheit in dem vvunder- baren Tempel der Gottesschopfung genannt.Wir haben von Euch Monte¬ negrinern verkiindet, daB Ihr nicht nur das Ideal des Heroismus reprasen- tiert, sondern auch das echte Beispiel der Gradheit und Anstandigkeit seid. Wir Kroaten, vvir bekampfen den Belgrader Zentralismus und die Korruption von PASCHITSCH, besonders weil sie mit ihrem unreinen Handeln den Tempel der montenegrinischen Freiheit zerstbren, weil sie Die Henker. 97 Euch mit Wildheit verfolgen und weil sie Euch teuflisch martern. Selbst wenn der Belgrader Zentralismus nichts anderes Schlimmes getan hatte, als schandlich und mit Wildheit den Stolz, die Ehre und die Frei- heit Montenegros mitFiifien zu treten und die Tscherna-Gora in einen Ort des Schreckens zu verwandeln, konnten wir Kroaten uns niemals mit so abscheulichen Verbrechern versohnen!" Keine der groBen siegreichen Machte, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten — vorubergehend, wahrend der Anwesenheit des Prasidenten Wilson —, bat sich jemals Montenegros angenommen. Im iibrigen hat allein Sowjet-Rufiland offiziell gegen die Versklavung der Schvvarzen Berge bei den internationalen Konferenzen, an denen es teilgenommen hat, protestiert. Die offentliche Meinung hat sich zumTeil, in Kanada, Norwegen und Holland, iiber das unbillige Schicksal des kleinen Landes erregt, und selbst in der englischen und italienischen Presse hat sich ge- legentlich ein Protest vernehmen lassen. In Frankreich nichts. Die Gleich- gultigkeit Frankreichs geht den montenegrinischen Patrioten ganz be- sonders zu Herzen; sie hatten sich gewohnt, unser Land als einen stets bereiten Hort der Verteidigung unterdriickter Freiheit zu betrachten, und man liest in der Zeitung „Crnogorac“ in Podgoritza bittere Be- trachtungen anlafilich des Jahrestages der Erstiirmung der Bastille, der von dem franzbsischen Volke mit Feuervverk und Proklamationen ge- feiert wurde, diesem Volk, das gezahmt und geblendet durch seine Plutokratie und seine groBen Geschaftsmanner mit voller Uberlegung die „groBen Symbole von ehemals" venvirft und sich von den Unter- driickten abwendet. Ich ervvahne endlich, damit es nicht vergessen wird, dafi auch das schwierige Problem Albaniens besteht, dieses im Prinzip unabhangigen Landes, das zu kolonisieren Italien offizios trachtet, indem es sich dort „Rechte“ schafft, und das wohl auch von Jugoslawien begehrt wird. In ali dem liegt eine flagrante und mit bestialischer Gewalt vollfiihrte Verletzung eines der heiligsten Menschenrechte: des Rechts der Men- schen, ihr Leben zu leben, geboren zu werden und fortzuleben, wie es ihre Vorfahren getan haben, in der Umgebung, die ihnen zukommt und die sie gebildet hat. Es ist immer eine bedenkliche Tat, die viel Unge- rechtigkeit und Ungliick nach sich ziehen muB, sich an der ethnischen Persbnlichkeit einer Menschengemeinschaft zu vergreifen. Die land- schaftlichen, moralischen und geistigen Ziige eines im Laufe der Zeit ent- standenen Ganzen, die Umgebung, die Umstande tun nicht an und fiir sich den hoheren Prinzipien iibernationaler Einrichtungen Abbruch. Barbusse. Die Henker. 7 98 Henri Barbusse. W enn die groBe Gesellschaft der Lebenden gut geordnet ware, so wiirden diese Ziige bewahrt und nicht vernichtet werden und konnten sich in dem Rahmen der Gesamtbeziehungen frei entwickeln. Es ist selbstver- standlich, daB die politische Einigung der einzelnen Volkerschaften eine grofie Idee ist, die deren Interesse und infolgedessen dem menschlichen Fortschritt entspricht, und daB man nicht ernsthaft daran denken kbnnte, in dem ungeheuren Gemisch des gegenwartigen Lebens die einzelnen Teile hermetisch gegen einander abzuschliefien. Aber schliefilich vollzieht sich diese schicksalsgemafi notwendige Vereinigung und Zentralisation ganz und gar zum Wohle der Bevblkerungen und nicht kiinstlich im aus- schlieBlichen Interesse einer einzelnen, iiberernahrten Nation, im Gegen- satz zu den anderen. Mit gutem Recht haben in alten Zeiten diese hohen Prinzipien des Gleichgewichts und der Billigkeit ganz Italien gegen die privilegierte Vorherrschaft Roms in jenem sozialen Kri ege, den MARIUS und SULLA gewaltsam beendeten, erregt. JAURES hat mit Recht ausge- rufen, daB „die Nationalitat die Schatzkammer des menschlichen Ge- schlechts und des Fortschritts" ist. Aber ungeachtet aller Sophismen erlangt die „Nationalitat nicht ihren wahrhaften Charakter und kann sich nicht vollstandig entwickeln, auBer wenn sie entwaffnet und frei in ein Ganzes eingefiigt ist“. Das starkste Zeichen der ethnischen Personlichkeit ist ihre Sprache. Die Menschen sind durch zahlreiche kiinstliche Hemmnisse geschieden, die eine verniinftige Organisation der Gemeinschaft hinwegraumen kann — und durch ein einziges wirklich tiefes Hindernis: die Verschieden- heit der Sprache. Es gibt in der Welt keine Fremden, aufier durch die Sprachen. Aber dieses Hindernis steht einer wirklichen, dem allgemei- nen Interesse entsprechenden politischen Organisation nicht mehr ent- gegen als das berechtigte Bediirfnis nach Freiheit. Eine auf den Prinzi¬ pien des gemeinsamen Nutzens beruhende Gesellschaft, die bis jetzt kaum insWerkgesetzt vvorden ist, d. h. eine Gesellschaft, die keine an- dere Berechtigung ihres Bestehens hatte als in dem Wohl ihrer Mitglie- der und nicht, wie es jetzt ist, in den Begierden des Starksten, wiirde zweifellos von selbst und in „natiirlichem“ guten Willen die Ver¬ einigung der Sprachen erstreben, die zur Erleichterung des bffentlichen Lebens wiinschenswert ist. Vielleicht wird die Zukunft die Losung des Problems in seinem ganzen logischen Umfange bringen, mit einer Mensch- heit, die gleichzeitig eine lokale Sprache in jedem ihrer grofien Zentren, und eine allgemeine Sprache, den hochst bewundernswerten Schliissel zum Internationalismus, benutzen wird. Die Henker. 99 Ubrigens, und ohne die Grenzen der Gegenwart zu iiberšchreiten, sehen wir, daB die ausgesprochene Verschiedenheit der Sprachen, die in derSchvveizgeographisch neben einander bestehen, die nationale Einheit und die politische Solidaritat der Kantone nicht in Frage stellt. Aber nicht in diesem Geiste, das vvissen wir wohl, vollzieht sich in den Balkanlandern die Angleichung der neuen Provinzen. Sie ist nur eine hastige und brutale Verschlingung von Landern und Bevolkerun- gen durch junge gierige Staaten. In diesem Geist des Kampfes unter- driickt man gewaltsam die Muttersprache und entwurzelt auf dieseWeise die Bewohner an Ort und Stelle. Diese Kriegsoperation wird in iiber- stiirzter Weisegefuhrt aus Furcht, dafi die Landerbeute und die leben- dige Beute entwischen konnte. Sie ist also unsicher, immer provisorisch und tragt den im Augenblick durch die Gewalt erstickten Keim der Zerstorung in sich. Sie ist fluchwiirdig. Die Judenverfolgung. Ich habe bereits die groben Fortschritte angedeutet, die in Rumanien von den antisemitischen Organisationen gemacht sind. Die antisemiti- schen Studenten haben vor nicht langer Zeit eine Expedition nach den jiidischen Friedhofen von Piatra Neamtz gemacht, wo sie die Grabdenk- maler umgestiirzt, die Gitter ausgerissen und die Graber beschmutzt haben, und zwar unter dem Gesang der MusSolini-Hymne. Das dem Biiro des rumanischen Parlaments vorgelegte Gesetz ANGELESCU be- droht meh? als eine Million Kinder mit der Entziehung des jiidischen Religionsunterrichts. Man hat das jiidische Volkserziehungshaus in Bu- karest geschlossen. Und man hat das ganze Komitee der Unterrichts- vereinigung, alle Mitglieder mit einander, ins Gefangnis gevvorfen, da- runter den Dichter MANGER, der gekommen war, um einen Vortrag zu halten, und die Personen, die in der Bibliothek zu der Zeit lasen, als die Polizisten einbrachen. Die Verfolgungen, deren Opfer die in den Balkanlandern zur Zeit lebende Minderheit ist, haben in Bulgarien einen furchtbaren Umfang angenommen. Die Juden werden unter Todesdrohungen durch das mazedonische Komitee ausgepliindert. Un- bekannte erschlagen in den StraBen der Stadte die Juden und ihre Kin¬ der, z. B. ASCHKENASY undseinen dreizehnjahrigenSohn, wenn sie sich weigern, die besonderen Steuern zu Gunsten der mazedonischen Or- ganisation zu zahlen. In Sofia hat die unter dem Befehl des Generals SCHKOJNOFF stehende „Rodna Saschtita" (Verteidigung des Vater- 100 Henri Barbusse. landes) das Programm, dem Hass gegen die Fremden wirksame Formen zu verleihen. Nach dem Attentat vom 16. April hatte man ihr fiir alle ihre Unternehmungen die fortschrittlicher Ansichten verdachtigen Ar- beiter und Angestellten preisgegeben. Die »Rodna Saschtita" und die Zeitung „Kubrat“ ereifern sich taglich gegen die Juden und provo- zieren Pogrome. Der Kriegsminister WALKOFF und der Polizeiminister RUSSEW haben in der Presse Erklarungen abgegeben, welche diese Pro- vokationen begiinstigten und Attentate und Hinrichtungen zur Folge hatten.*) Infolge des Elends und der Verfolgung fliichten die Bevolkerungen, wie wir gesehen haben, in die Nachbarlander. Aber es gibt noch etwas Schlimmeres: die planmaBige Entvblkerung, die gewisse Landstriche vermittelst der Auswanderung in die weite Ferne, besonders nach Siid- Amerika, leert. Man sieht „Auswanderungs-Agenten“, Spezial-Industri- elle auf diesem Gebiet, Leute, die es sich zum Gewerbe gemacht haben, Menschen durch betriigerische Mittel zur Auswanderung zu verleiten, in Befiarabien, in der Dobrudscha, in Transsylwanien wie die Pilze aus der Erde schieben und skandalbse Gewinne einheimsen, indem sie die Verodung der Felder, denen es an Handen zur Arbeit fehlt, organisie- ren, und zwar unter Duldung der Regierung, die diese Entvblkerung mit freundlichen Augen betrachtet. Die massenhaft den Transport-Ge- sellschaften und den iiberseeischen Pflanzern verkauften Landleute unter- zeichnen Včrtrage, die sie ruinieren und versklaven. Im Laufe des Jahres 1925 vvanderten 2961 Menschen nach den Vereinigten Staaten, 1909 nach Kanada, 537 nach Argentinien, 14661 nach Brasilien urid 1825 nach Palastina aus. *) Die von der Regierung .anerkannte Union derrumanischen Juden hat am 17. Januar 1926 einen Aufruf an die Offentlichkeit gerichtet, aus dessen Inhalt folgendes mitge- teilt sei: »Seit vier Jahren werden in den Universitaten, den hoheren, mittleren und Volks- schulen, an offentlichen Orten, den Theatern, Konzerten, Restaurants, in den allgemei- nen Verkehrsmitteln, auf der StraBe oder in ihren Privatvvohnungen die jiidischen Mitbiirger beschimpft und brutal behandelt,und sie miissen mit ansehen, wie ihre Giiter vernichtet werden. Seit vier Jahren hat man in zahlreichen Stadten Synagogen und Friedhofe entweiht, Hunderte von Hausern verbrannt, Schaden im Betrage von meh- reren Millionen angerichtet, und niemals sind die Tater verurteilt, ja sie sind nicht ein- mal verfolgt worden.“ VIII. Die Rolle der GroBmadite . . . und die unsrige. Hier nun ergibt sich die Frage: Und die Grofimachte? Was tun die GroBmachte ? Sie sind an der blutigen Unordnung auf dem Balkan, um nicht mehr zu sagen, mitschuldig. Sie iiben iiber die Balkanvblker eineVorherrschaft aus, die diese Volker auseinanderreiBt und die sich dort an die Stelle der alten Rivalitat des russischen Reiches und Osterreichs gesetzt hat, die aber nicht weniger verderblich fiir jene Volker ist. In Frankreich, in England — und in Amerika — tut sich die mittlere offentliche Meinung auf Liberalismus und Voraussicht viel zugute. Es liegt eine Ubertreibung darin, soweit es sich um den Liberalismus han- delt, ist aber ganz ungerechtfertigt hinsichtlich der Voraussicht. Man mufi die Dinge ansehen nicht wie man wiinscht, dafi sie sein sollten, sondern wie sie sind. Und iiberdies, da man hier die Rolle Europas zu beurteilen hat, so gilt das, was ich in bezug auf die siidbstlichen Lan- der gesagt habe, auch fiir die unseren: man darf eine Nation weder mit den einzelnen Persbnlichkeiten noch auch mit den Regierungen verwech- seln, die tatsachlich ihre innere und aufiere Politik bestimmen. Die schwere, erdriickende und unablassige Einmischung der Grofi- machte auf der Balkan-Halbinsel, die sie soundso oft willkiirlich zurecht- geschnitten haben, ist die Folge politischer Ziele, welche sich diese Machte gesteckt haben, und nimmt nicht das Interesse der Balkan-Vblker wahr — und noch weniger ist sie im Interesse des allgemeinen Friedens. Die Griinde, welche England, Frankreich und Italien veranlassen, in diesen Teil des alten Kontinents sich einzumischen, bestehen darin, dafi sie zu kolonisieren wiinschen, und zwar wirtschaftlich und politisch. Es handelt sich fiir jedes Land darum, „die Interessen seiner Staatsange- horigen wahrzunehmen“, recht verstanden: dort FuB zu fassen, Unter- nehmungen zu griinden und zu leiten, Land und Volk aufs AuBerste auszubeuten, dort Interessenspharen zu schaffen und sich auszubreiten. Fiigen wir hinzu: Kombinationen fiir militarische Biindnisse und wirt- 102 Henri Barbusse. schaftliche Propaganda zu machen. Das moderne offizielle Evangelium „des Rechts und der Zivilisation“ ist der grbfite Betrug aller Zeiten. Es ist ganz klar, dafi die Zervviirfnisse, welche diese zerstiickelten und gezahmten Lander zerreifien, nicht die europaischen Folgen haben wiirden, die sie haben, wenn die Grofimachte sich nicht so tief in die Angelegenheiten dieser Lander eingemischt und sich nicht durch ihre Begierden und Intrigen gebunden hatten, wenn die Balkanlander nicht die Einsatze in dem Spiel waren, welches London, Pariš und Rom auf dem breiten dreieckigen Schachbrett spielen — nach MaBgabe des Gesetzes des Starkeren und unter vollstandiger Nichtachtung des Selbstbestimmungsrechts der Bevolkerung. Man weiB, dafi, um den status quo der durch die Vertrage von Ver¬ sailles, von Trianon und von Neuilly neu geschaffenen Balkan- und Donau-Staaten um jeden Preis aufrecht zu erhalten, die Regierungen der Tschecho-Slowakei, Jugoslawiens undRumaniens durch die Entente ge- notigt worden sind, einen Vertrag zu schliefien, den man die kleine En¬ tente genannt hat. Aber die Schwache dieser unter Vormundschaft ste- henden Allianz hat sich klar erwiesen. Die drei verbiindeten Lander haben andere Sonderbundnisse geschlossen: Jugoslavvien mit Italien, die Tschecho-SIovvakeimitFrankreich; dazu kommen die Verstandigung zwischen der Tschecho-Slowakei und Italien, sowie die Abmachungen zwischen Rumanien und Polen einerseits und zwischen Bulgarien und der Tiirkei andererseits. Neue Kombinationen erscheinen am Horizont, die von dem Westen dem Osten zugetragen werden: Schaffung einer Tripel- Allianz zwischen Jugoslawien, Griechenland und Rumanien, Erweiterung der kleinen Entente durch den Eintritt Polens, Bildung einer Foderation der Donaustaaten. Jede dieser Kombinationen wird, ich wiederhole es, in den groben europaischen Landern inspiriert. Das erstgenannte Biindnis beruht auf einer Reihe von aufierordentlich komplizierten politischen Berechnungen und Kombinationen von Geschaften, die ihm alle Aus- sicht auf Bestandigkeit nehmen miissen. Der Eintritt Polens in die kleine Entente konnte dieser nicht das Ansehen geben, das ihr fehlt. Was die Donau-Fbderation betrifft, so ist das ein Projekt, das von England aus- geht, welches Land augenblicklich der wahre Herr auf dem Balkan ist infolge der finanziellen Krise in Frankreich, die dieses Land so gut wie unfahig macht, weiter neue Riistungen zu bezahlen. Es ware zum Vorteil Englands, auf dem Wege eines Konsortiums die vvirtschaftliche Entvvicklung Osterreich-Ungarnš zu begiinstigen. Wir sprechen nicht von der Idee der Mittelmeer-Entente, die von Italien zu seinem ausschliefi- Die Henker. 103 lichen Vorteil gehatschelt wird.*) Diese gesamte Politik hat einen Cha- rakter der Kiinstlichkeit; sie stiitzt sich auf Sonderinteressen und auf Riicksichten der augenblicklichen Zweckmafiigkeit; sie bedient sich plbtz- licher, unvorbedachter MaBnahmen, je nach den Umstanden, und kann nur die dauernden Ursachen der Schwachung vermehren, unter der die Vasallenstaaten auf der Halbinsel leiden. Der Balkan-Kontinent ist ein Kreuzungspunkt wich tiger Weltverkehrs- straBen, und dieGroBmachte sind darauf aus, eine jede die andere dort mbg- lichst auszustechen. Es ist dort unten ein geographischer Ausschnitt der Konkurrenz und des allgemeinen imperialistischen Kampfes, und unge- achtet der schbnen Beteuerungen und der feierlichen Zeremonien wird das Balkan-Drama durch diese Vergewaltigung genahrt und vergiftet. Wenn die orientalische Frage in ihrem kritischen Zustand seit so langer Zeit besteht, so liegt das daran, daB die GroBmachte sie schaffen und nach Belieben gestalten. Diese GroBmachte haben nur allzu viele Griinde von ihrem imperialistischen Gesichtspunkt aus, den HaB der Rassen zu erhalten, wie sie es in so offenbarer Weise bei Beendigung des Krieges von 1914 getan haben, indem siebesondere Dienste durch willkiirliche und aufreizende Zuteilungen von Land und durch Riistungskre- *) Nach den Abmachungen von Locarno hat Frankreich sich, der Ausdrucksvveise von G. PERI zufolge, von seinen Vasallen in Zentral- und West-Europa abgeschnitten ge- sehen, und seine Oberherrschaft ist in Frage gestellt. Es muB Stellung nehmen und versuchen, die kleine Entente umzuformen. England und besonders Italien, dessen annexionistische Begierden sich auBerordentlich klar zu enthiillen beginnen, sind emsig bei dieser Arbeit. Italien hat mit dem jugoslavvischen Gesandten NINTSCHITSCH eine Vereinbarung getroffen, welche den Endzweck hat, erst Rumanien und dann die iibrigen Balkanstaaten in seinen Machtbereich hineinzuziehen. Die Nachricht von einem Vertrage zwischen MUSSOLINI und PANGALOS zwecks eines militarischen Biindnisses und Kriegslieferungen ist verbreitet worden, ohne bis- her offiziell bestatigt vvorden zu sein, und hat die britische Presse sehr erregt. Die italienisch-albanesischen Verhandlungen, in deren Folge die albanesische Natio- nalbank mit einer Majoritat von italienischen Aktien gegriindet, und ein Ubereinkommen betreffend eine Anleihe von fiinfzig Millionen erzielt vvorden ist, vverden Albanien in vvenigen Jahren an den Rand des Bankrotts bringen, und zwar mit Riicksicht auf die ihm auferlegten Bedingungen: Es hat sich verpflichtet, diese fiinfzig Millionen mit drei- zehn Prozent zu verzinsen, beginnend mit dem Tage der Unterzeichnung und garantiert durch sein Zolleinkommen. Die fiinfzig Millionen aber vverden nicht eher bezahlt, als bis eine italienische Gesellschaft die Konzession zur Erneuerung der StraBen und Hafen erhalten hat: Binnen kurzem wird Italien eine absolute Kontrolle iiber Valona und die iibrigen Hafen ausiiben konnen. Dieser den Interessen des Landes so klar zuvvider- laufende Vertrag ist dank einer enormen Bestechung des albanesischen Finanzministers MUFID BEYL1BOHOWA zustande gekommen. Aus dieserVeranlassung gab es einen Protest und einen Škandal in den beiden albanesischen Kammern, und es vvurde die Ein- leitung einer Untersuchung beantragt. Aber da MUFID BEY offentlich in zynischer Weise zugestand, daB er die „Provision“ mit dem Diktator ACHMED ZOGU selbst ge- teilt hatte, wurde dieUntersuchung seitens derKammer auf unbestimmte Zeit verschoben. 104 Henri Barbusse. dite belohnten, indem sie verschiedenen Staaten scheinbare Rechte ver- liehen, und indem sie Ungarn, Rumanien, Rufiland, Jugoslawien, Bulga- rien und die Tiirkei, das eine Land gegen das andere hetzten. Diese Lander befinden sich in einem endemischen Kriegszustand, und es geniigt der geringste Zwischenfall, um Verwicklungen hervorzurufen. Im Laufe des vergangenen Jahres ist die alte griechisch-tiirkische Feindschaft wieder aufgelebt, dann drohte Krieg zwischen Bulgarien und Jugo- slawien. Es ist noch nicht lange her, daB die Beziehungen zwischen Griechenland und Jugoslawien wegen der Saloniki-Frage aufs Aufier- ste gespannt waren. Zuguterletzt gab es den griechisch-bulgarischen Konflikt. Die grofic reaktionare Politik. Liber den von jeder Macht auf dem Balkan verfolgten Ausbeutungs- zielen zeichnet sich klar ein doppeltes weiteres Ziel ab, das sie alle im Auge haben und zwar immer, wenn auch nicht offen, so doch tatsach- lich: der Kampf gegen Rufiland, und die Organisation einer gegenrevo- lutionaren Unterdriickungsbewegung und, um die Dinge beim Namen zu nennen, eines internationalen Faszismus. In der Welt haben die Rauber, die auf den Thronen sitzen, ihre verschiedenen kleinen In- teressen, aber ihre groBen Interessen sind ihnen allen gemeinsam. Man mufi mit Blindheit geschlagen sein oder wiinschen es zu sein, um nicht zu verstehen, daB der Kapitalismus und der Faszismus iiberall auf der Erde Hand in Hand gehen. Der Faszismus ist das offiziose In¬ strument des Zwanges, der die allgemeine Reaktion unter zwei Formen verteidigt und aufrecht erhalt: die politische Form: die Regierungen der konservativen Diktatur, die soziale Form: die Machte des Geldes. Er hat wie, EMIL KAHN geschrieben hat, zwei Kriegsziele: die Ergreifung der Gevvalt im Staat und die Ausbeutung der Arbeit. Eine haupt- sachlich aus den unzufriedenen und verangstigten Mittelklassen stam- mende Gendarmerie ist iiberall in der Entwicklung, sei es vorn auf der Biihne, sei es in der Kulisse, inmitten der Lander des weiBen Schrek- kens dort unten und der Lander des »rosenroten Schreckens", wie in den unsrigen. Man hat nicht das Recht zu sagen, dafi der Faszismus sich nicht iiberall mit dem Imperialismus und mit der kapitalistischen Reak¬ tion eins fiihlt. Und man hat auch nicht das Recht zu sagen, dafi er nicht iiberall der gleiche ist, ungeachtet der verschiedenen Masken, die er annimmt. Und iiberall zieht er Nutzen aus der Mitschuld oder aus dem Entgegenkommen der bestehenden Gevvalten. Die Henker. 105 Wundern wir uns nicht iiber das wachsende Ansehen, das in den ost- lichen Mittelmeerlandern MUSSOLINI, der augenblickliche Herr des scho- nen Italiens, und Polizeiprafekt des weiBen Europas, geniefit. Aber wun- dern wir uns auch des weiteren nicht dariiber, wenn uns eines Tages die gesamte Ansammlung der Begierden, der Vorbereitungen, der Kombinationen und der TrompetenstoBe den Krieg bringt, und lassen wir nicht an jenem Tage heuchlerischer Weise die Verantwortung, die alle tragen, auf einen Einzelnen fallen. Der Hafi ist das dem Kapitalis- mus zu Grunde liegende Prinzip, der Krieg ist seine Existenzberech- tigung — im AuBeren wie im lnneren. Der Krieg ist gegenrevolutionar; denn er fiihrt zu gleicher Zeit die Volker irre und verschlingt sie. Und mufi man nicht iiber die Gefalligkeit erstaunen, mit der die Re- gierungen der westlichen Lander die Handlungen und die Taten der Morderregierungen betrachten! Welches Echo findet eine Reihe von weder abzuleugnenden noch zu verteidigenden Verbrechen in unseren offiziellen Kreisen? Die grofiten Lobgesange auf die Regierungen BRA- TIANU und ZANKOFF-WALKOFF habe ich in den franzosischen Gesandt- schaften gehort. Der Geschaftstrager der franzosischen Republik in Bu- karest, JAPY, benahm sich dort koniglicher als der Konig, und dieser vollkommeneGentlemanfand es ganz natiirlich, besonders inRumanien, „wo man die Gewohnheit hat, dieSoIdaten zu priigeln," dafi man auch die Gefangenen priigelte. Der franzosische Vize-Konsul in Sofia, GERARDY, hielt das Geschrei, das man in bezug auf die durch die Regierung veranlaBten Metzeleien erhob, fiir iibertrieben. Er antwortete, daB die Einmischung der Ver- treter Frankreichs zu Gunsten der Verurteilten und Gefangenen immer von Erfolg begleitet gewesen sei. »Die franzosischen Behorden konnen Existenzen retten." Das ist ein Ausspruch, den man fiir aufierordentlich schwerwiegend ansehen mufi, wenn man bedenkt, welche ScheuBlichkei- ten begangen worden sind und noch jeden Tag in der Hauptstadt weiter begangen werden, in der die franzosische Gesandtschaft glanzt. Das Bulletin der rumanischen Presse, das durch unseren Minister des Ausvvartigen herausgegeben wird, ist mit seinem jesuitischen Ge- bahren von Grundsatzlosigkeit ein Eintreten von tadelloser Parteilich- keit zu Gunsten der rumanischen Regierung. In ihren offentlich mit TrompetenstoBen abgegebenen Erklarungen sprechen unsere Regierungen nur von Frieden und Ordnung. ZANKOFF und WALKOFF sprechen auch in denselben Ausdriicken. ZANKOFF, der Professor mit den Armen eines Schlachters, will nicht 106 Henri Barbusse. einmal zugeben, dafi man seine Regierung fiir reaktionar Balt. Das, Sagt er, ist ein Geriicht, welches die „Humanite“ und andere kommunistische Zeitungen verbreiten. In Wirklichkeit, versichert er, ist seine Regierung die liberalste, die es gibt. Die Heuchelei ist hassenswerter als der Zynismus. In Wirklichkeit sind ZANKOFF und sein anderes Ich, WALKOFF, die Stiitzen des sozialen Konservatismus und der Reaktion gewesen. Sie sind entfesselte Agen- ten der Gegenrevolution. Man ist bereit, sie zu verleugnen, aber man tut nichts, um sie zu behindern. Und diese offenbare Gleichgiiltigkeit von Leuten, die genau informiert sind, klagen vvir an, und vvir brand- marken diese Einstellung als eine politische Haltung und Verhal- tungslinie. Man darf durchaus nicht vergessen, daB eines der Organe derEntente, die interalliierte Reparationskommission, eingeschritten ist, um eine An- zahl von Gesetzen und Mafiregeln ausgesprochen demokratischen Cha- rakters, die STAMBOLIJSKI erlassen hatte, riickgangig zu machen. Er vvar der Schbpfer eines Gesetzes zur Organisation von Konsortien durch den Staat, die zum Zweck hatten, die Spekulanten und die zvvischen der Produktion und dem Verbrauch stehenden Zvvischenhandler auszuschal- ten, ferner eines anderen Gesetzes betreffend die Verantwortlichkeit fiir den Weltkrieg, d. h. gegen alle diejenigen, die sich hinsichtlich der Teilnahme Bulgariens am Kriege hatten Falschungen zu Schulden kom- men lassen, und gleichzeitig gegen die skandalbsen Kriegsgevvinnler, auBerdem eines anderen Gesetzes, das eine Unterscheidung zvvischen produktivem und spekulativem Kapital schuf, von denen das erste der Ent- vvicklung von Ackerbau und Industrie dienen, das zvveite durch die Dis- konto- und Wechsel-Banken vervvaltet vverden solite; dieses letzte Gesetz war mit Harte durchgesetzt vvorden. Die Reparationskommission, die die groben europaischen Demokratien vertritt, hat sich eingemischt und hat kurzerhand diese drei allzu volkstiimlichen Gesetze unterdriickt.*) *) Lassen wir uns durch die geringfiigigen Verschiedenheiten der Parteien, die sich bei uns als republikanisch bezeichnen, nicht irrefiihren. Ich will nicht von der inneren Politik sprechen, die auBere Politik des Ministeriums des Blocks der Linken ist genau so reaktionar wie die des nationalen Blocks. Ein Beispiel, das ich besonders anzufuhren berechtigt bin in meiner Eigenschaft als Generalsekretar des Pro-Hindu-Komitees, mag geniigen: Wie es jede andere konservative Regierung gemacht hatte, hat das Kartell- Ministerium den fiir die nationale Sache eintretenden Hindu ROY und eine gevvisse An- zahl anderer nationaler Hindus aus Frankreich ausgewiesen. Nach den Leitern der Schvveiz und Deutschlands hat auch Frankreich den Vorstellungen Englands nachge- geben, dem es gelingt, die Menschen, deren Ideal es ist, ihre Heimat von einem ab- scheulichen Joch zu befreien, nach einander aus allen Landern der Erde verjagen zu lassen und sie fiir alle Zeiten zu Fluchtlingen zu machen. Die Henker. 107 Seitdem hat die Entente der bulgarischen Regierung die Heereser- ganzung von 10000 Soldaten zugestanden, die dieser Regierung not- wendig erscheint, um auf dem Boden ihres Landes auch die letzten Zuckungen der Unabhangigkeit und der Menschenwiirde zu unter- driicken.*) Niemandemistes heutzutageunbekannt, dali die bulgarische Regierung ihrerseits der europaischen Presse Anerbietungen gemacht hat und auf alleWeise, einschlieBlich des Mittels der Geldunterstiitzungen, die wohl- wollende Neutralitat oder sogar die Sympathie zahlreicher Zeitungen er- langt hat. CHARLES MAUS, ein amerikanischer Journalist, der keine po- litische Meinung hat oder zum wenigsten nicht Kommunist ist, einer von der grofien Presse, vvelche die europaische bffentliche Meinung be- einfluBt, hat schreiben konnen: „Die grofie Presse des Auslands, be- sonders die „Neue freie Presse" in Wien, die „Times“ von London und der „Temps“ von Pariš unterstiitzen in der skandalosesten Weise die Politik des Generals WALKOFF.“ Eine Pariser Zeitung, die sich demokratisch und antifaszistisch nennt, ubernimmt die Informationen, die sie von bulgarischen Pressebiiros er- halt, in dem Mafie, dali sie einen Artikel iiberschreibt: „Es gibt keinen Faszismus in Bulgarien." Was fur einUrteil kann man liber eine Presse fallen, die anlafilich von nicht mehr geheim gebliebenen Ereignissen in derartig gelehriger Weise die Parolen der Mussolinis des Balkans ent- gegennimmt? Einige lebhafte Proteste sind erfolgt, aber abgesehen von der „Hu- manite", vom „PopuIaire“, vom „Quotidien“, von der „Ere Nouvelle", vom „PeupIe“ in Briissel, vom „Abend“ und von der „Arbeiter-Zeitung‘‘ in Wien vviirde die Liste der iibrigen groBen Zeitungen, die gewagt haben, ihre Stimme zu erheben, nicht lang sein. Und zweifellos werde *) Nach dem Vertrage von Trianon hat Ungarn nur das Recht, ein Heer von 35000 Mann zu unterhalten. Aber „die schwarze Wehr“ Ungarns, die unter der Leitung der Levente-Organisation steht, zabit tatsachlich 400000 Mann bewaffneter und heimlich organisierter Truppen unter dem Anschein von Sportvereinen. MUSSOLINI liefert dem Admiral HORTF1Y Kriegsmaterial in groben Mengen: Letzthin entdeckten die bster- reichischen Eisenbahner auf dem Bahnhofe von Gratz verschiedene Waggons, die Ma- schinengewehre und Munition mit dem Bestimmungsort Budapest enthielten. Bis dahin hatte die schvvarze Wehr noch keine Uniformen. Im Marž 1926 kamen in Budapest aus Italien 600000 grauschvvarze Uniformen an — der Handel ist in Rom durch den Abge- ordneten JEAN BOGYA im Namen der ungarischen Regierung abgeschlossen vvorden. Der Baron PERENYI, derselbe, an den Graf BETHLEN einen Brief richtete, der seine Schuld in der Angelegenheit der Falschunsr der franzosischen Noten bewies, hat einen ahnlichen Handel in London abg-eschlossen. 108 Henri Barbusse. ich eines Tages von den Ablehnungen sprechen, die man erfahrt, wenn man sich wegen der Balkanfragen an solche bedeutende Zeitungen in Frankreich und andervvarts wendet. Was tun? Es darf uns nicht mehr genugen, die Tatsachen festzustellen. Fiir je- den Zustand, welcher er auch sein mbge, gibt es immer eine Abhilfe. In dieser Balkanfrage, die uns beschaftigt und die uns qualt, ist es die erste Pflicht des anstandigen Menschen, zu einem unvoreingenommenen Urteil zu kommen, dieWahrheit von denLiigen zubefreien, die sie be- graben. Er muB auch — und das ist nicht weniger zwingend — alles versuchen, was mbglich ist, um die Zukunft zu retten. Wir diirfen nicht auf die offiziellen Machte, welche es auch sein mb- gen, rechnen. Das Heil kann nicht von da kommen. Nicht Bittschriften und nicht Zustimmungsadressen an die Leiter unserer Geschicke sind in der Lage, irgend etwas an dem Raderwerk der grofien politischen Maschine zu modeln, die den Gang der Ereignisse bestimmt. Und die bestehenden Gewalten werden sich ebenso vvenig in diesem Falle wie sonst zu den Wortfiihrern des Menschheitsgewissens machen. Der Volkerbund? Prinzipiell ist der Volkerbund eine Einrichtung, die unmittelbar von den leitenden Organen der siegreichen Machte ausgeht. Er ist gezwungen, die imperialistische Politik der Konkurrenz und der gegenseitigen Ver- hetzung der Staaten zu machen, die ihn geschaffen haben, die ihn len- ken und unterstiitzen. Es ist wirklich nur ein Wortspiel, wenn man ihn als einen Bund der Volker hinstellt. Er ist nur ein Bund der Kanz- leien, nur ein internationales Ministerium der die alte WeltRegierenden, welches an der Ausfiihrung der Friedens-Vertrage arbeitet, die den- selben Ursprung haben wie er selbst — d. h. er ist das gerade Gegen- teil eines Bundes der Volker. In der Tat ist sein Ergebnis nur eine ununterbrochene Reihe von Fehlschlagen in dem, was die Beilegung der neuen Konflikte betrifft — Fehlschlage, die er durch eine laute periodische Publizitat verhiillt; in der Tat hat er nie etwas anderes sein kbnnen und wird nie etwas ande- res sein kbnnen als eine aufgeputzteFassade, auf der die anspruchsvolle Formel prangt: „Schiedsgerichtsbarkeit, Sicherung, Entwaffnung“, die den Bluthunden der bestehenden Ordnung teuer ist, und hinter der Die Henker. 109 dem Volkerbund allerlei Geschafte aufgepackt sind, die alle darauf ab- zielen, das Werk der vvestlichen Imperialismen zu befestigen und den bestehenden sozialen Zustand International und unerschiitterlich festzu- legen. Als man es unternahm, den Volkerbund zu schaffen, haben die Angelsachsen, diese praktischen und klarsehenden Leute, ihn als ein „Gegengift“ gegen die Organisation der ausgebeuteten Massen ge- riihmt. Der Volkerbund ist ein Instrument der Kbnige gegen die Volker — und alles, was man sonst dariiber sagen kann, ist nur Wortgeklingel, das im Winde zerstiebt. Man kann wohl lacheln, wenn man Traumer behaupten hort, daB der Friede aus den Wolken durch das jetzt bestehende System hindurch auf die Erde herabkommen wird, ohne etvvas an diesem System zu andern, und zwar vermittelst irgend einer Zauberstabsbewegung — man kann lacheln, weil eine Paradoxie kaum noch eine Liige ist. Aber man kann nicht ohne zu ziirnen mit anhoren, wie die Falscher des Vblker- bundes ankiindigen, daB sie den Beginn eines neuen Zeitalters und eines neuen Geistes herbeifiihren, weil, indem sie sich so mit ihrem ge- wichtigen Machthaber-Ansehen ausdriicken, sie viele brave Leute hinters Licht fiihren. Der Gesellschaft, so wie sie augenblicklich eingerichtet ist, Gerechtigkeit und Gleichheit anpassen zu wollen, das ist in bezug auf die Wirtschaft und die Politik ein der Quadratur des Zirkels gleich- wertiges Problem — und unsere Politiker haben nur zum Ziel, die un- Ibsbaren Probleme zu verwirren. Im iibrigen geniigt es hier festzustellen, ohne genotigt zu sein, noch weiter zu argumentieren, dafi der Volkerbund die Beschwerden und Gesuche der illegalen Organisationen nicht entgegennimmt. Nun haben aber Rumanien, Bulgarien, Jugoslawien, Griechenland und Ungarn alle Organisationen fiir illegal erklart, die einen Protest zu Gehor bringen konnten. Die Liga der Menschenrechte? Hat sie, auf diesem Wege wie auf an- deren Wegen, versucht, alles durchzusetzen, was sie hatte tun sollen oder konnen?*) Die Organisation, die am meisten getan hat, um die Handlungsweise der Polizei-Konigreiche und die im Namen des Gesetzes gebrachten menschlichen Opfer auf dem Balkan ins Licht zu stellen, ist die Inter¬ nationale Rote Hilfe. Diese edle Einrichtung, die Anspruch auf die Dank- *) Das Rote Kreuz hat in den Balkanlandern keine klare Haltung eingenommen. Der Ge¬ neral BURNHAM kannes mitRecht indem, was dievon ihm inMontenegro gefiihrte Un- tersuchung betrifft, beschuldigen, dafi es „ein Instrument der Politik der Alliierten" ist. 110 Henri Barbusse. barkeit aller Menschen von Herz hat, ist ganz ohne Riicksicht auf die Politik ausschlieblich auf die Solidaritat der Proletariate gegrundet und halt sich hoheitsvoll abseits von der offiziellen Maschinerie. Deshalb mub die offentliche Meinung sich unmittelbargeltendmachen, und sie darf die grobe Gerechtigkeitsregelung nicht den groben Schau- spielern iiberlassen, die ihre Rolle zu spielen haben. Jetzt weniger als je darf sie sich angesichts des Todesschreis, der vom Balkankontinent her ertont, angesichts der realistischen Tragodie derTeilung der Beute, der Jagd nachKonzessionen und nach vvirtschaftlichem und politischem Einflub, durch die klingende Regierungs-Rhetorik, ihre Wortkombdien und die alten heuchlerischen Lieder von Genf und Locarno umgarnen lassen. Sie mub fiir ihre eigene Rechnung handeln und frei und laut ihrer eigenen Stimme Gehbr verschaffen. Es ist unmoglich, dab sie es dieses Mal nicht mit Hartnackigkeit tut. Man kann die emporenden Attentate, sobald man von ihnen weib, nicht ruhig hinnehmen, die unsere ganze „Zivilisation“ beflecken und in den Augen der Geschichte alle die der Verachtung preisgeben wer- den, die, vvahrend sie laut sprechen konnten, das nicht getan haben. Im iibrigen kann ein starker Aufruf der anstandigen Menschen, der geraden und klaren Gewissen, die es 'iiberall noch in grober Anzahl gibt, einen entscheidenden Einflub haben. Vergessen wir nicht, dab in- folge der energischen Intervention einer gewissen Anzahl von euro- paischen Personlichkeiten in Budapest RAKOSI dem sicheren Tode ent- gangen ist: unmittelbar unter dem Druck dieses Appells hat sich der furchtbare ungarische Kriegsgerichtshof, genannt das Statarium, dessen Beschlub nichts anderes sein konnte als ein innerhalb der nachsten zwei Stunden vollstrecktes Todesurteil, fiir unzustandig erklart. Ich habe selbst die auberordentliche Tragweite festgestellt, die in allen von mir bereisten Landern der Ausdruck des offentlichen Empfindens desW estens hatte. Die Verteidigungs-Komitees. Die politische Opposition kann in den Balkanlandern nichts durch gesetzliche Mittel erreichen, weil alles, was zur Opposition gehort, fiir ungesetzlich erklart ist. Aber auch die Regierungen konnten nichts tun — sie konnten sich nicht einmal einen Tag lang halten, wenn sie aus- schlieblich auf die gesetzlichen Mittel beschrankt waren. Es ist zweifel- los, dab in jedem dieser Lander vvirklich freie Wahlen den Staats-Faszis- mus hinwegfegen wiirden. Dennoch wachst die Opposition von Tag zu Die Henker. 111 Tag.*) Doch hat sie, um noch zu vvachsen, das Licht notig. „Man soli dort unten vvissen, was sich hier zutragt“, das ist der Wunsch der Mar- tyrer im Siidosten. Einer von ihnen hat mir einen Brief mitgeteilt, den ihm ein Gefange- ner aus Belgrad hatte zukommen lassen konnen : »Sage den franzosi- schen Kameraden, daB wir nur um eins bitten: Dafi sie iiber die Leiden, die wir erdulden, schreiben und gegen die Akte der Barbarei der faszi- stischen jugoslavvischen Regierung protestieren. Wir konnen den Hunger ertragen, wir sind daran gewbhnt, jede Verteidigung vor Gericht zu entbehren, wir konnen ohne Geld auskommen, da wir ja sowieso nie welches gehabt haben, aber gebt uns die Stimme der Presse, die allein uns trosten kann!“ Um der Meinung der anstandigen Leute die Moglichkeit zu geben, sich ohne Riicksicht auf jedes vorgefafite Urteil politischer Art und ein- zig und allein auf Grund der unverjahrbaren Prinzipien der Billigkeit und der menschlichen Solidaritat vernehmen zu lassen, haben wir in Pariš, in London und in Wien Komitees zur Verteidigung der Opfer des weiBen Schreckens in den Balkanlandern gegriindet. Diese Komitees haben zum Ziel, den Protest der Gevvissen zu veroffentlichen, ihn lebendig zu machen, und — ich wage es zu versichern — ihn handeln zu lassen. Ihre Aufgabe wird zunachst darin bestehen, die der Welt durch die perfiden Veroffentlichungen verheimlichten Tatsachen allenthalben be- kannt zu machen und mit Hilfe von nachgepriiften Informationen ein ge- naues Bild dieser Tatsachen und eine objektive Schilderung ihrer Ur- sachen darzubieten. Es gibt keinen eindringlicheren Protest als den, der sich auf eine unparteiische Erzahlung ohne »Literatur" — und selbst ohne Kommentar — stiitzt, und dessen Echtheit offensicht- lich ist. Die Verteidigungskomitees werden eingehendere Feldziige unter- nehmen fiir umfassende und vollstandige Amnestierung aller politi- *) Die letzten rumanischen und bulgarischen Gemeindewahlen (1926) beweisen das: In Rumanien hat die liberale Regierung ungeachtet des Wahlterrors und der falschen Zahlungen die absolute Mehrheit in den Stadten eingebufit. In Bulgarien haben die Ge- meindewahlen die Bildung einer ansehnlichen Protestbewegung, sowohl von rechts wie von links (Nationalliberale, Agrarier, Demokraten) gezeigt; in Sofia haben die offi- ziellen Kandidaten ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigt, in den Provinzen zwei Fiinftel, und zwar trotz des Druckes der lokalen Behorden: der offen ausgesprochenen Drohungen, der Stockprugel, der Gewalttatigkeiten, des Verbots von Versammlungen und der Morde. (In Schumen ist ein Burger, der beauftragt worden vvar, wegen der durch die bewaffnete Macht erfolgten Auseinandersprengung einer Versammlung ein Gesuch einzureichen, verschwunden.) 112 Henri Barbusse. schen Gefangenen und Verbannten. Man Hat in den Balkanlandern mit der Amnestie gespielt, aber diese Amnestie war niemals etvvas anderes als die Verzerrung einer Amnestie, die besonders den Henkern und Mbrdem zugute gekommen ist. Die Verteidigungs-Komitees werden im weite- sten Umfange auf diese Episode der Regierungskomodie und Vblker- tragodie und auf die Mafiregeln zuriickkommen, die allein geeignet sind, das, was von der Vergangenheit iibrig geblieben ist, fortzufegen und die Gegenvvart zu gesunden. In zweiter Reihe — und hier handelt es sich besonders um Bulgarien — werden wir fiir die Durchsetzung dieses dringendsten Rechtes kamp- fen: Den Uberlebenden und den Familien der Opfer Hilfe bringen zu konnen. Ich habe bereits gesagt, daB diese Hilfeleistung in Bulgarien, wo die Kinder und die Miitter der Ermordeten als mitschuldig betrach- tet werden, und wo auch die als mitschuldig betrachtet werden, die sie nicht Hungers sterben lassen wollten, formell verboten war. Wir wer- den noch neue Komitees griinden, und wir werden diese Komitees durch ein internationales Band dergestalt zusammenschliefien, daB sie eine mehr zusammenhangende und starker wirkende Aktion vornehmen konnen. Wir werden ein Blatt veroffentlichen, das zuverlassige Be- richte geben und die vom Interesse diktierten Entstellungen einer reak- tionaren oder gekauften Presse richtigstellen wird. Endlich vverden wir in Konsequenz unserer Absicht, der blutigen Ver- wirrung in den Balkanstaaten eine logische Lbsung zu bereiten, dafiir kampfen, diegrofie und fruchtbare Idee der Balkan-Foderation bekannt zu machen und zu verbreiten. Die Balkan-Foderation. Wenn die verschiedenen Lander und Gegenden auf dem Balkan, die jetzt arm, geschwacht und dauernd in Konflikten mit einander sind, ein harmonisches Ganzes bildeten, in dem der Charakter und die geistige Autonomie einer jeden Gegend gewissenhaft gewahrt wiirde, so stande da ein starker Block, der rechtlich und tatsachlich Rešpekt einflbfien wiirde, und das HbchstmaB an Frieden und Wohlergehen wiirde logi- scher Weise dort unten entstehen. Dies ist die einzige praktische Lo- sung, die man sich hinsichtlich der Frage der ethnischen Minderheiten vorstellen kann, und diese breite Verwirklichung der Demokratie wiirde vviderspruchslos den Beginn einer wirtschaftlichen Wiederbelebung fiir jedes dieser Lander und fiir das freie, von ihnen gebildete Ganze bedeuten. Die Henker. 113 Ein einfacher Blick auf die Karte beweist, dafi die Balkanlander, die eins in das andere hineingeprefit und gedriickt sind, sich in verkiimmer- ten Lebensbedingungen befinden, wenn jedes von ihnen nach der wilden Regel „jedes nur fiir sich“ leben will. Sie befinden sich tatsachlich in einer engen gegenseitigen Abhangigkeit von einander, insofern es sich um den Zugang zum Meere handelt. Dieses Problem der Meereshafen qualt Jugoslawien — die dalmatische und die albanesische Frage und besonders die Frage von Saloniki. Bulgarien, das nur noch einen Teil der Kiiste des Schwarzen Meeres besitzt, welches durch den Bosporus geschlossen ist, bedarf tatsachlich einer Offnung nach dem Agaischen Meere heraus. Aber man konnte unter dem Zeichen des Nationalismus und des Imperialismus diese an und fiir sich legitimen Bestrebungen nicht anders befriedigen, als indem man Griechenland beraubt. Diese Fragen sind also buchstablich unlbsbar, und die beiden „neuralgischen Punkte" des Balkan-Organismus, wie sie JEAN ZyROMSKI nennt, —- Sa¬ loniki und Dedeagatsch — sind unheilbarim gegenwartigen Zustand der Dinge. Das ganze vvirtschaftliche Leben der Balkanlander leidet in seiner Entvvicklung unter ahnlichen Anomalien. Die Idee einer Balkan-Foderation hat ihre Daseinsberechtigung und ihre Bedeutung nur, wenn es sich um einen Bund aller Staaten und Lan- der auf dem Balkan ohne jede Ausnahme handelt. Jede nur teilweise Durchfiihrung wiirde dem Ziel entgegenstehen, weil sie einen Imperia¬ lismus zum Schaden der anderen starken wiirde. Nehmen wir das erste sich bietende Beispiel: Eine serbisch-bulgarische Union (es handelt sich hier wohlverstanden nicht um die Vereinbarung guter Beziehungen und eines Biindnisses, die ja immer wiinschenswert ist, sondern um eine organische Verbindung) wiirde, weit entfernt, ein Schritt auf dem Wege zur Balkan-Foderation zu sein, deren Verneinung sein. Sie ware nur eine Kombination, die dazu bestimmt sein vviirde, den Anspriichen bei- der Lander auf Kosten Griechenlands (Saloniki an Jugoslavvien, Kawalla oder Dedeagatsch an Bulgarien) mehr Gevvicht zu verleihen, und sie wiirde letzten Endes nur dem jugoslawischen Machtstreben niitzen. Man solite sich wie vor einer Falle vor dieser Formel des schlecht verhiillten Expansionismus hiiten, fiir welche die foderative mazedonische Organi- sation inihrer Zeitung »Makedonsko Soznanie“ unter dem Vorvvand ein- tritt, daB sie eine Etappe bedeute.*) KOSTA TODOROFF, ein entschie- *) Hinsichtlich der Bezeichnung »mazedonische Foderalisten“ solite man nicht auBer Betracht lassen, daB es der linke Fliigel der R.LM.O. war, der im Jahre 1908 nach der jung-tiirkischen Revolution und nach der Verkundung der tiirkischen Verfassung sich Barbusse, Die Henker. 8. 114 Henri Barbusse. dener Parteiganger eines bulgarisch-jugoslatvischen Staates, beruft sich auf schlagende Analogien wie diese: „Warum solite Jugoslawien nicht das Piemont des Balkans sein!“ Man sieht in diesem Aufruf den Ge- danken der jugoslawischen Vorherrschaft auf der Halbinsel sich klar abzeichnen, aber man bemerkt weit weniger klar, dafi diese Vorherr¬ schaft niemals zu einer Fbderation gleichberechtigter Lander fiihren konnte. Mazedonien, das gekreuzigt oder, genauer gesagt nach der Ausdrucksweise von DANIEL RENOULT, durch die Alliierten gevierteilt ist, wiirde durch einen Vertrag dieser Art, der aus dem ungliickseligen Lande nur ein Schlachtfeld unter einer neuen Form machen wiirde, nicht befreit vverden. Dasselbe gilt fiir die Autonomisten, welche die maze- donische Frage durch die des grofieren Bulgariens losen vvollen. Der Kampf der Balkan-Minderheiten fiir die Unabhangigkeit lafit sich prak- tisch nicht anders denken als eine breite Verbiindung aller unterdriickten Minderheiten, als ein Biindnis, das sich auf die arbeitenden Klassen stiitzt, die auf die gleiche Art und durch dieselben Henker unterdriickt werden, und welches Biindnis eine „geschlossene Front" gegen die bal- kanischen und internationalen Imperialismen und Reaktionen bildet.* *) Ich habe mich dort, wo ich hindurch gekommen bin, mit dem Gedan- ken der Balkanfbderation beschaftigt, dessen Verwirklichung als erste Bedingung die Unterdriickung der augenblicklich herrschenden Tyran- neien und die Einsetzung von wirklich demokratischen Regierungen einschlieben wiirde. Ich habe gefunden, dali dieser Gedanke iiberall dort unten zahlreiche iiberzeugte Parteiganger hat, so sehr entspricht er als foderative Volkspartei konstituierte. Die Griinder dieser gesetzlichen Partei sind gewesen: SANDANSKY, KANTARDJIEFF, PANITZA, WLAKHOFF, JANKOFF, TSCHERNOPEEFF und DOBRI DASKALOFF. Aber die um die Zeitung »Make¬ donsko Soznanie" gruppierten Foderalisten sind nur Agenten der Regierung PA- SCHITSCH. Sie haben nichts mit der alten foderativen Volkspaitei gemein. Ihre Leiter TERZIEFF und H. RINDOFF fiihren die Befehle der serbischen Regierung aus, das mazedonische Volk zu entnationalisieren und zu assimilieren und den Expansionsbe- strebungen des serbischen Imperialismus nach dem Siiden hin zu dienen. *) Bei der Grundungskonferenz der mazedonischen revolutionaren Einheitsbewegung, die im Oktober 1925 stattfand, waren vertreten: die Linke der R.I.M. O., sowie die Komitees und Gruppen, die in dem unter serbischer und griechischerHerrschaftstehen- den Teil von Mazedonien auf der Grundlage des Manifestes vom 6. Mai 1924 organi- siert waren, ferner die Gruppen friiherer Revolutionare von Serres (dem Tatigkeitsfeld von SANDANSKY, PANITZA und KANTARDJIEFF), dann die kommunistischen maze¬ donischen Ausgewanderten, die Union der mazedonischen Auswanderung und die Or- ganisation von Sainte-Elie der alten Revolutionare in Bulgarien. „;Die geeinigte R.I.M. O. verfolgt offensichtlich dieses Ziel: die Unabhangigkeit Maze- doniens als Glied der Balkanfoderation; und sie richtet sich gegen den Imperialismus sowohl der gegenwartigen Balkanstaaten wie der westlichen Lander. Die Henker. 115 offenbar ali den verschiedenen Bestrebungen der Bevolkerungen, die durch dieFremden ausgebeutet undin ihrer Entvvicklung durch die An- forderungen der groBen europaischen Politik aufgehalten werden, und die durch ihre andauernden Eifersiichteleien sich noch mehr abnutzen und arm machen und sich in regellose Verbindungen stiirzen. Aber alle fiir dieses verniinftige Ideal schvvarmenden Enthusiasten fiigen hinzu: „Die GroBmachte werden es nicht zugeben. Esstehtim Widerspruch zu deren Planen, daB die Balkanvblker eine Art groBerer Nation mit mehreren Kopfen bilden, die politisch befriedet und vvirtschaftlich geeint ist.“ Ohne Zweifel darf man sich nicht die Schwierigkeiten verhehlen, die seitens derer, welche sich als Schiedsrichter der Geschicke der anderen aufspielen, der Bildung der „Vereinigten Staaten des Balkans" in den Weg gelegt werden. Die GroBmachte klammern sich gewaltsam an die Aufrechterhaltung des zusammenhanglosen und todbringenden Zustan- des, der durch die Friedensvertrage aufgezwungen ist, und den diese verniinftige Ummodelung der Bevolkerungen uber den Haufen stiirzen vviirde. Das ist ein Grund, aus dem diese von Jnnen und von auBen doppelt versklavten Bevolkerungen leidenschaftlich einen Fortschritt wiinschen, der sie sovvohlvon dem inneren vvie von dem aufierenFeinde befreien undiiberdies den europaischen Frieden entscheidender sichern vviirde als irgend ein anderes Mittel. Um eine Idee in die Wirklichkeit umzusetzen, muB man damit beginnen, ihr Ausdruck zu geben und sie zuverbreiten. Wennsie erstda ist, dann schlagtsie von selbst Wurzeln. Unter dieser Beleuchtung vviirden aus einer lebhaften Erorterung iiber die betrubende und endlose orientalische Frage, die bisher so viele Er- schiitterungen der Menschheit hervorgerufen hat, friiher oder spater die verniinftigen Wege sichergeben, diebegangen vverden miissen. Die Scheingriinde, die man nicht offen eingestehen mag, vverden angesichts der Tatsachen rasch zunichte vverden.*) Ich richte einen gliihenden Appell an alle die, vvelche sich fiir das ge- genvvartige Schicksal der Menschen und fiir die Zukunft der Menschheit interessieren, und bitte sie, durch ihre Zustimmung und durch ihre Anstrengungen die ehrenvolle und gesunde Aufgabe, vvelche die Ko- mitees unternommen haben, zu unterstiitzen. Jeder soli und mufi nach dem Verhaltnis seiner Mittel uns seine Hilfe leihen. Eine kraftige Inter- vention, um das Ende einer Reihe von unerhbrten Attentaten, einer Ara *) Eine groBe von dem mit den zuverlassigsten Informationen versehenen Journal „La Federation Balcanique“ unternommene Untersuchung hat bereits mit groBer Klar- heit die Elemente dieses Problems ins Licht gesetzt. 116 Henri BarbusSe. der Barbarei, diesich inmitten unserer zeitgenbssischen Epoche aufgetan hat, herbeizufiihren, ist allzu lange verzbgert worden, und wir sind alle in der Lage, uns unsere Tatenlosigkeit und Tragheit verzeihen lassen zu miissen.*) * * * Diese Studie war niedergeschrieben, als uns die Nachricht von der Demission ZANKOFFs zuging. Nichts kann uns zu der Annahme bewegen, daB die von ZANKOFF — diesem Manne, den ein einfacher parlamen- tarischer Zwischenfall, durch den zwei Fraktionen der demokratischen Vereinigung mit einander in Streit geraten sind, im Augenblick in die Kulisse zuriicktreten lafit (auf den Sessel des Kammerprasidenten) — angewendeten Methoden des Regierungsbanditentums von nun an durch ein Ministerium vervvorfen werden, in dem ZANKOFFs verdammte Seele, der General WALKOFF das Portefeuille des Krieges behalt, in das einer der Griinder und Leiter der Militar-Liga, SLAWEIKO WASSILEW ebenso wie ein anderer militarischer Henker des Volkes, KlMON GEORGIEW, eintritt, und in dem der friihere Prasident der Sobranje, KulEFF, welcher formell angeklagt war, eine Abstimmung gefalscht zu haben, um ZANKOFF zu retten, Justizminister wird. Welche MaBregeln wird LjAPTSCHEW gegen die Militar-Liga, gegen diemazedonischen „Autonomisten“,gegen die Wrangel-Leute und gegen *) Die Zusammensetzung des franzosischen Komitees fiir die Verteidigung der Opfer des wei£5en Schreckens in Bulgarien und in den Balkanlandern (Marž 1926) ist folgende: ROMAIN ROLLAND, SEVERINE, MME DE SAINT PRIX, FREDERIC BRUNET (Vizeprjisident der Kammer), CAZALS, ERNEST LAFONT, FERDINAND FAURE, COMPERE-MOREL, FONTANIER, EUGENE FROT, ANDRE BERTHON, HELIES, MARIUS MOUTET, VAILLANT-COUTURIER, CHASTANET, JULES UHRY, EV- RARD, CHARLES BARON, REYNAUD, ALBERT FOURNIER (Abgeordnete), ALE- XANDRE LUOUET, JEAN GARCHERY, ANDRE GAYOT, ROBERT BOS, LOUIS SELLIER (Generalrate der Seine), JEAN LONGUET, BRAČKE (ehemalige Abgeord¬ nete), HENRYTORRES, MARCEL WILLARD (Advokaten), LEON JOUHAUX (Sekre¬ tar der C.G.T.), LANGEV1N, PRENANT, VICTOR BASCH, ALBERT MATHIEZ (Professoren), MATHIAS MO.RHARDT, GEORGES DUHAMEL, PANAIT ISTRATI, VICTOR MARGUERITTE, LEON BAZALGETTE, MARCEL MARTINET, GEORGES CHENNEVIERES, LEONWERTH, JEAN-RICHARD BLOCH, CHARLES VILDRAC, HENRI MARX, GEORGES PIOCH, ANDRE GYBAL, PAUL LOUIS, BERNARD LE- CACHE, ANDRE SALMON, FRANCIS JOURD AIN, ZYROMSK1-HENRI BARBUSSE, Prasident; MARCEL WILLARD und DANIEL RENOUET, Sekretare. Ein zvveites franzosisches Komitee hat sich aus freien Stiicken in Nancy gebildet. Das Wiener Komitee hat zum Prasidenten den Professor RUDOLF GOLDSCHEID, das Londoner Komitee den Hauptmann WEDGWOOD, Mitglied des Parlaments. Prasident des Genfer Komitees ist der Professor DUVILLARD, der Direktor der Schularchive. Die Henker. 117 die Faszisten ergreifen? Welche Stellung wird er gegeniiber dem un- erhorten Gesetz zur Sicherheit des Staates, und zur Frage einer ehr- lichen Amnestie einnehmen? Wirwerden leider nur allzubald hinsicht- lich dieser Fragen zur Klarheit gelangen. Die offentliche Meinung — ich will es zum Schlufi wiederholen — liebt es, sich in einen Nebel von Optimismus zu hiillen, und die groben Zeitungen, die vervollkommneten Leiter des Gevvissens dieser offent- lichen Meinung fordern mit Vergniigen diese Verblendung. Es mufite der Mord an MATTEOTTI kommen — und das war doch nur eine unter tausend Episoden —, um die offentliche Meinung dahin zu bringen, den wahren MUSSOLINI von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Es bedurfte der Mitschuld der Regierung in einer gemeinen Geldfalschersache, da- mit sie sich von dem wahren Gesicht des Regenten HORTHY und seiner Umgebung Rechenschaft gab. Tatsachlich sind die wenigen sich vor- wagenden unabhangigen Zeitungen Rufer in der Wiiste. Und wenn diese offentliche Meinung durch irgend eine sensationelle Enthiillung sich gestort gesehen hat, dann fallt sie ohne den geringsten Vorwand gern in ihre siiBe Torheit zuriick; denn vor allem wiinscht sie, daB man sie in Frieden laBt. Es geniigt irgend eine Ungeschicklichkeit an der Spitze der leitenden Maschinerie und die hohle Reklame, die durch die Erklarungen einesneuen Portefeuille-Inhabers in Umlauf gebracht wird, um sie zu beruhigen. Es ist zu befiirchten, dafi dies fiir Bulgarien und eventuell fiir Rumanien zutrifft. Und an dem Tage, an dem irgend ein grofies skandalbses Ereignis, wie das unumganglich ist, endgiiltig den Bankrott des Volkerbundes und seinesProgramms eines imperialistischen Heilkiinstlers desKrieges herbeifiihren wird, wird es geniigen, dafi diese Einrichtung den Namen andert, um das allgemeine Vertrauen aufs Neue zu gevvinnen und die zeitgenossische Gesellschaft in aller Ruhe ihren Weg zum Abgrund vvieder aufnehmen zu lassen. IX. BeBarabien unterm Joch. Das Geschick Befiarabiens ist einer der krassesten Falle der packen- den und tragischen Geschichte der gevvaltsamen Annexionen. Es ist ein riesenhaftes, lebendes Beispiel, das sich so vielen anderen anreiht. Vor dem Kriege war BeBarabien, das zwischen dem Pruth und dem Dnjestr liegt, eine Provinz des russischen Reiches. Die Ausdehnung Befiarabiens ist grofier als die der Schweiz, und im Jahre 1915 zahlte es 2686000 Einwohner, von denen die Halfte Moldauer, 19% Ukrainer, 11% Juden und 8% Grofi-Russen waren. Unter der Zarenherrschaft wurde BeBarabien ziemlich hart behandelt, hatte aber trotzdem eine bliihende Landwirtschaft: Die beBarabische Ernte bildete ein Zehntel der Ernte des russischen Reiches. Im Jahre 1917, nach der russischen Revolution, entstand in BeBara¬ bien, hervorgerufen von den Gegnern der russischen Herrschaft eine moldauisch-nationale Bevvegung, wahrend gleichzeitig eine starke ruma- nische Propaganda fiir den Anschlufi an Rumanien einsetzte. Diese Propaganda wurde besonders intensiv zu der Zeit, als Befia- rabien durch die deutsche Besetzung der Ukraine von RuBland getrennt wurde. BeBarabien wurde damals von einer Art Nationalrat, dem Sfatul- Tseri, vervvaltet. Dieser nahm im Laufe der Zeit verschiedene vollkommen gegensatzliche Stellungen ein. Nachdem er die Unabhangigkeit der „Republik Moldau" proklamiert hatte, stimmte er fiir den Anschlufi an Rumanien, zuerst unter gewissen Bedingungen und Garantien, um schlieBlich in einen bedingungslosen Anschlufi zu willigen. Diese letzte Abstimmung, die am 25. November 1918 stattfand, wurde, vom Standpunkt des unparteiischen Geschichtsschreibers aus gesehen, durch Uberrumpelung und unter dem Druck der rumanischen Artnee, die damals angeblich behufs Aufrechterhaltung der Ordnung in BeBarabien eingeriickt war, erreicht. Der vollkommen kiinstliche und erzwungene Charakter dieses Beschlusses geht unwiderleglich aus einer Protestkund- gebung hervor, die im Anschlufi an jene Ereignisse durch eine grofie Anzahl von Mitgliedern des Sfatul-Tseri abgefafit wurde. Dies ist iibri- Die Henker. 119 gens auch formell festgelegt durch eine Erklarung des Herrn MARGHILO- MAN, des damaligen Ministerprasidenten, der spaterhin zugab, „dafi er sich genotigt gesehen habe, Drohungen und Gevvalt anzuvvenden, um die Fiihrer des Sfatul-Tseri dahin zu bringen, die Annexion Befiarabiens zu beschliefien." Ich will auf die Einzelheiten der Vollziehung dieser ge- waltsamen und rechtsvvidrigen Annexion nicht naher eingehen. Ich habe dariiber ausfiihrlich in meinem Buch „Der grbBte politische ProzeB der Welt“ gesprochen. Selbstverstandlich protestierte und protestiert RuBland noch immer gegen die Konfiskation dieser Provinz, die ihm auch noch zu einer Zeit gehorte, als es nicht im Kriegszustand mit der Entente war. Die Frage dieser Annexion, die im krassesten Widerspruch zum Vblkerrecht steht, das fiir territoriale Angliederungen dieser Art ein gegenseitiges Ab- kommen verlangt, ist gegenwartig vom Standpunkt des internationalen Rechts aus noch unentschieden. Frankreich und England haben die Usurpierung Befiarabiens durch Rumanien anerkannt, aber es fehlen diesem Gewaltakt noch die Unter- schriften Italiens und Japans. Man kann sich vorstellen, welcher Art die diplomatischen Machenschaften sind, die jetzt ins Werk gesetzt werden, um die offizielle Zustimmung dieser beiden Machte zu erreichen. Tatsache bleibt, daB BeBarabien in dieser Angelegenheit nicht be- fragt wurde, da man den BeschluB des Sfatul-Tseri verniinftiger Weise nicht fiir eine von der Bevolkerung gebilligte Entscheidung halten kann. Viele rumanische Politiker geben zu, daB diese Frage noch endgiiltig geregelt werden mufi, wenn sie auch BeBarabien ethnographisch als zu Rumanien gehorig betrachten. (Dr. LUPU, einer der Fiihrer der Agrar- Partei, gab mir gegeniiber besonders dieser Meinung Ausdruck.) Wie dem auch sein mag, man kann behaupten, dafi „die Besitzergreifung durch Rumanien fiir BeBarabien in der Tat der Anfang einer Ara des Leidens und Elends war“. Eine Hinrichtung von nicht loyalen Rumanen folgte der anderen, und das ganze Gebiet wurde als erobertes Land be- handelt. Der Militarismus und die Plutokratie Rumaniens nisteten sich dort ein, und ihnen folgte die Unheil bringende Horde rumanischer Polizisten und Beamten. Die Bauern wurden in einer Art gequalt und gepeinigt, die alle Vor- stellungen iibersteigt. Die ganze Bevolkerung wurde von Polizisten, Steuererhebern, Gendarmen und Militars wahrhaft gefoltert. Wie immer, so wurden auch hier, um die Angleichung dieser Provinz zu erreichen, die brutalsten Mittel zur Unterdriickung der nationalen Schule, Sprache 120 Henri Barbusse. und Traditionen angewandt. Das Resultat war ein schrecklicher Ruin der Felder; 80% der einst bebauten Erde sind heute nicht mehr bebaut. Wenn man durch diese Gegenden reist, wie ich es getan habe, so kann man sich unmoglich dem Eindruck des Verfalls und der Verwahr- losung entziehen, den diese Felder machen, und man bat die Vorstellung, daB sich eine Erdrevolution ereignet hat. Mehr als einmal hat man erfahren, daB beBarabische Bauern, diese „Ressechs“, die ein starkes Freiheitsideal verkbrpern, geschlagen, be- schimpft und gehangt worden sind, daB Bauern getotet worden sind, weil sie sich nicht von den Gendarmen auspliindern lassen wollten, und daB der Wagen des Steuereinnehmers, der durch die Dorfer zieht, haufig mit Mobeln, Samovars und anderem Hausgerat beladen ist, die der Fis- kus geraubert hatte, wo kein Geld mehr zu holen war. Besonders populare Personlichkeiten in BeBarabien, wie zum Beispiel der Abgeordnete STERE, haben mir von dem offenkundigen Krieg er- zahlt, der gegen die Kandidaten der Bauernpartei und gegen alle nicht offiziellen Kandidaten zur Zeit der Wahlen gefiihrt wird. Es gibt keine Qualereien und keine Gevvalttatigkeiten, die diese wahren Vertreter der Bevblkerung nicht von der Polizei und von den Verwaltungsbehorden zu dulden haben. Zuguterletzt ist man so weit gegangen, bei den offent- lichen Wahlversammlungen auf dem Lande jede andere Sprache als die rumanische zu verbieten, was mit einem ganzlichen Verbot dieser Ver- sammlungen iiberhaupt gleichbedeutend ist. Gevvisse Namen, wie die der Offiziere DlMITRIU, ISVORANU und Mo- RAVESKU, haben in den Annalen der militarischen Besetzung BeBara- biens eine grauenvolle Beriihmtheit erlangt. Tatsache ist, daB es vor und besonders nach den Bauernaufstanden von Khotine undTatar-Bunar zu blutigen Massenopfern gekommen ist. Diese Aufstande, der erste im Januar 1919, der zweite im Septem¬ ber 1924, sind durch die Erbitterung der bis aufs Aufierste gereizten, als Sklaven und Feinde behandelten Bauern hervorgerufen worden. Diese Bauern waren durch die Geldentwertung, durch den Steuerdruck, durch den Wegfall Rufilands als Absatzgebiet ruiniert und durch die angebliche „Agrarreform“, aus der nur ihre Henker und Tyrannen Nutzen zogen, betrogen worden. Nach den Grundsatzen, die unter solchen Umstanden die Regel sind, wurden diesen Aufstanden von den Behorden mehrmals politische Mo¬ tive untergeschoben, und bolschewistische Propaganda vorgeschiitzt. In Wirklichkeit erklart sich alles aber nur allzu leicht als Reaktion gegen Die Henker. 121 ein verabscheuungswiirdiges Regime, und in keinem Falle konnten Be- vveise dafiir erbracht werden, dah die Russen oder die Kommunisten die Urheber dieser Unruhen gevvesen sind. Man hat sich aber diesen Vorvvand erst recht zunutze gemacht, um den Methoden der brutalen und zynischen Annexion einen umfassenden Plan politischer Unterdriickung aufzupfropfen. Die Aufstande von Khotine hatten ungefahr 11000 Morde angeb- licher Revolutionare zur Folge. Die Aufstande von Tatar-Bunar gaben zur gewaltsamen Totung von dreitausend Bauern AnlaB. Seit der soge- nannten friedlichen Besitzergreifung Befiarabiens durch die Rumanen bis Ende 1925 zahlt man mehr als achtzehntausend Opfer, und das, ich wiederhole es, hatte nichts anderes zur Folge als Elend und Hungersnot. Die Lage in BeBarabien verschlechtert sich tatsachlich von Tag zu Tag. Sogar die gemafiigten Zeitungen beschuldigen die Regierung, daB sie nicht unternimmt, was sie unternehmen kbnnte, um der ungliicklichen Bevolkerung Hilfe zu bringen, und dies aus Griinden der Politik. Die Verarmung Befiarabiens hat eine neue Industrie hervorgebracht: die der Auswanderungsagenten, die mit menschlicher Ware handeln wie mit Vieh, indem sie die Leute an die amerikanischen Ansiedler ver- kaufen. Noch von einer anderen fiirchterlichen Industrie hort man, zu der die ungliicklichen Bewohner eines einst bliihenden Landes greifen miissen — von dem Handel mit Kindern. X. An die Balkan-Volker. Ich bin in Eurer Mitte gevvesen. Ich habe Eure Hande, Ihr Arbeiter und Bauern, Ihr Manner und Frauen, Ihr jungen Leute, in den Raumen, in denen Ihr zusammengepfercht ward, gedriickt. Und wir haben uns einan- der anvertraut, in Bukarest, in Sofia, in Belgrad, in Budapest, in Wien — und dann und wann in Euch fremden Landern, weit ab von euren Ge- burtslandern, die Ihr wie die Pest zu fliehen gezvvungen ward. Voli von dem Bild Eures Leidensweges und gestarkt durch den Schlag Eurer Herzen glaube ich, dafi ich Euch nunmehr nichts weiter sagen soli als dieses: Proletarier, ungeachtetdesBeistandes, den Eurer Sache einige zerstreut lebende edle Geister leihen, vertraut auf der Welt nur auf Euch selbst. Nichts wird jemals von oben zu Euch gelangen als Tauschungen und Schlage. Wie die ehemaligenKriegsteilnehmer, die mit Gevvissensbis- sen daran denken, daB sie Gehorsam geleistet haben, legt alles ab, was in Euren Massen von Rešpekt, von Achtung vor den Regierungen und vor den leitenden Personlichkeiten iibriggeblieben ist, die Euch notig haben, um ihre Missetaten zu vollbringen. Eure Regierenden, sie sind Eure Feinde! Die grofie europaische Biihne hallt wider von den pomphaften Redensarten iiber das Volkerrecht und iiber den Frieden, die von Per- sonen gehalten werden, welche als Minister und als mit unbeschrankten Vollmachten ausgestattete Staatsbeamte gekleidet sind. Ich, der ich Franzose bin, ich kenne die verhangnisvolle Rolle, die das offizielle Frankreich seit dem Kriege in Europa gespielt hat. Ich rechne es mir zur Ehre an, dafi ich mich bei verschiedenen Gelegenheiten offent- lich mit den bruderlichen Auslandern vereinigt habe, vvelche die Fehler und die Verbrechen der franzbsischenRegierung brandmarkten, und ich bin niemals auf den Gedanken gekommen, Frankreich mit den Leuten zu verwechseln, die in den Ministerien von Pariš aufeinanderfolgen. Deren Frankreich war es, das die erste deutsche Revolution erstickt hat, das die proletarische Revolution in Ungarn erstickt hat und das unmittelbar an der Aufrichtung der Herrschaft der Soldateska beteiligt war, das triumphierend in Polen, in den baltischen Staaten, in Spanien Die Henker. 123 dazu beigetragen hat, die Volker wieder in Fesseln zu schlagen, und das alles, was ihm moglich war, getan hat, um in der gleichen Weise mit RuBland zu verfahren. Die Regierungen BRATIANU, WALKOFF, PASCHITSCH, PANGALOS und bis gestern die Regierung HORTHY hatten keine starkere Stiitze als die der Vertreter des Frankreichs der Revolution und des freien Englands. Alle diese Leute lacheln sich verstandnisvoll an und helfen sich gegenseitig. Im iibrigen ahneln sie sich. Die einen sind nur das blutigere Abbild der anderen. Sie verkorpern iiberall dasselbe Sy- stem, dieselbe Idee: Krieg zu fiihren mit dem Volk in den Stadten und auf dem Lande, um jeden Preis die Arbeiter zu verhindern, durch eine naturgemaBe Verbindung EinfluB und den ihnen gebiihrenden Macht- bereich zu erlangen, ihre Fiihrer niederzuschlagen, die Lebenden zu dezimieren und die Uberlebenden zum Schweigen zu bringen. Eure Regierenden, die Diener der groBen internationalen Geschafts- leute, sind Eure Feinde. Der internationale Faszismus ist zu gleicher Zeit die vveifie Diktatur des Staates und die Ausbeutung der Arbeit. Sie stehen auf der anderen Seite der Barrikade. Und auch diejenigen sind Eure Feinde, die sich des demokratischen Vorwandes bedienen, wie die ande¬ ren sich des patriotischen Vorwandes bedienen, um Euch zu einer ernie- drigenden Disziplin und einer beschamenden Gelehrigkeit zu bewegen. Eure Lander, das seid Ihr. Das Proletariat ist eins mit einem Land, ebenso wie die die Nahrung hervorbringende Erde selbst. Und das einzige wirkliche und feste Prinzip, das aus dem zeitgenossischen sozia- len Chaos entspringt, ist die Solidaritat des Proletariats. Alle Prole¬ tariate und das ganze Proletariat: Ihr Arbeiter, Bauern, und auch Ihr, ausgebeutete Angestellte oder Intellektuelle, und auch Ihr jungen Men- schen in den Schulen, in denen das gliihende jugendliche Gevvissen des Volkes lebt. Auf Grund der Solidaritat werdet Ihr eines Tages den knechtischen Gehorsam verweigern. Um die Bauern auf den Feldern, die Arbeiter in den Strafien zu massakrieren, um die Hauser zu entvolkern und um die Gefangnisse und Friedhbfe zu bevolkern, braucht man Heere; um Heere zu bilden, braucht man Eure Zustimmung. Es ist der bulga- rische Soldat und der rumanische Soldat, wie es anderweit der franzo- sische Soldat ist, der das Elend hervorbringt, das sich verbreitet, und der Soldat, das seid Ihr. Vermoge der Solidaritat werdet Ihr auf logischen und natiirlichen Grundlagen jene Gemeinschaft der Menschen organisieren, von der die 124 Henri Barbusse. biirgerlich-demokratische Ideologie nur ein blasser abstrakter Entvvurf ist, der fiir die offiziellen Lenker keinen weiteren Wert als den eines Vorwandes hat. An jenem Tage werdet Ihr endlich nur Eurem eigenen Geschick gehorchen. Aber wahrend dieser Zeitperiode, in der wir leben, ist Eure Aufgabe in Rumanien, Bulgarien, Jugoslawien, Mazedonien und Griechenland die schwerste. Euer Geschick ist das traurigste in demgrofien, zur Halfte noch gedanklichen Kampf, den wir herbeizufiihren suchen, indem wir uns Ellenbogen an Ellenbogen in diesem Befreiungs-Biirgerkrieg stellen, in dem es bisher nur Vorposten-Gefechte gibt, und den man eines Tages auf ali den Jahrhunderte alten Schlachtfeldern der Rassenkriege entfesseln mufi — um ein fiir allemal die Rauberei und die Barbarei zu vernichten. Wir fiihlen die Zukunft voraus. Aber indessen rinnt Euer Blut, und wir erfahren tagtaglich mit Beklemmung von dem Tribut, den Ihr dem heiligen Klassenkampfe zahlt, und der Schmerz, den wir dadurch erdul- den, erprefit uns leider bisher nur einen Schrei der Emporung. Dennoch ist Eure Anstrengung nicht vergeblich, selbst wenn Ihr schvvankt, selbst wenn Ihr im Augenblick zur Ohnmacht verurteilt seid. Fiir uns ist es ein herrliches Beispiel. Eure unbezwingliche Martyrer- entschlossenheit iiber der traurigen Ernte erweckt aufs Neue unsere Hoffnung und belebt unser Handeln. Sie treibt uns mit verzweiflungs- voller Energie zu der fruchtbaren Organisation, zur befreienden Eini- gung der Unterdriickten und zur Kiihnheit. Sie bereitet das Reich des sozialen GIeichgewichts vor, das man auch das Reich der Gerechtigkeit nennen kann. Sie beschleunigt eine geschichtliche Entwicklung. Ich, der ich zu Euch gekommen war, um Friedhofe zu sehen und Tote zu zahlen, ich habe bei Euch eine bessere Uberzeugung von unserer lebendigen Pflicht gewonnen. Als ich von Euch zu den Proletariern Frankreichs und Mitteleuropas gesprochen habe, als ich ihnen, wie Ihr es von mir verlangt habt, von Eurer Freundschaft und von Eurem Ver- trauen gesagt habe, und als ich ihnen Eure Leiden geschildert habe, da habe ich gefiihlt, wie bei der Erschiitterung durch solche Lehren das Volk eine bestimmtere Auffassung von dem Genius seiner Kraft und von den Anforderungen seiner herrlichen Parole gewinnt: Verbriiderung der Menschen unter der Hiille des Elends, unter der Uniform des Soldaten und unter der Gemeinschaft des Blutes. 31. Dezember 1925. XI. A n h a n g. Herr LJAPTSCHEW und die Gesetzlichkeit. Einzelne Teile diesesBuches sind in verschiedenen franzbsischen und sonstigen europaischen Zeitungen erschienen: im „Quotidien“, in der „Humanite“, in der „Evolution“ in Pariš, im „Peuple“ von Briissel, im „Gudok“ von Moskau, im „Abend“ vonWien, in „Foreign Affairs" in London, in „Het Volk" von Amsterdam, in „Gbteborgs Handels" von Gothenburg, in der „Arbeiter-Illustrierten“, in der „WeItbuhne“ von Berlin, in „La Razon" von Buenos Aires, im „Kaizo“ von Tokio und so weiter. Diese Veroffentlichungen haben einige Proteste von Seiten der Re- prasentanten oder der Verteidiger der offiziellen Balkanstellen zur Folge gehabt. In diesen von der Polemik und von Voreingenommenheit eingege- benen Protesten allgemeinen Inhalts findeich nichts, das mich veranlassen konnte, meine Darstellung der Tatsachen und der Statistiken, ebenso wie die Schliisse, die meiner Ansicht nach von selbst daraus folgen, in irgend einer Hinsicht zu andern. Man hat mir kein ernsthaftes De- menti entgegengestellt; ich brauche deshalb nicht auf jene angeblichen Richtigstellungen einzugehen, und ich nehme bis auf vveiteres an, daB ich im Voraus darauf erwidert habe. Ich will indessen eine Mitteilung erwahnen, die auf Veranlassung der bulgarischen Gesandtschaft in Pariš im „Temps“ erschienen ist und die im wesentlichen besagt, dafi ich einen der Vergangenheit angeho- rigen Zustand schildere, da der Regierungsantritt des Kabinetts LjAPT- SCHEW Bulgarien die Gesetzlichkeit und den inneren Frieden wieder- gebracht habe. Ichkann eine derartige, der Wahrheit vollig zuwiderlaufende Behaup- tung nicht hingehen lassen. Und da ich in diesem Punkt keinerlei Zwei- deutigkeit bestehen lassen will, erinnere ich daran, dafi am 20. Februar 126 Henri Barbusse. der Bezirksgerichtshof in Sliwen uber die 151 Angeklagten der „Ver- schworerorganisation“ geurteilt hat. Es sind 31 zumTode, 12 zu lebens- langlicher Zvvangsarbeit, die iibrigen zu 15, 12 und 6 Jahren Gefang- nis verurteilt worden. Am selben Tage hat in Sofia derProzess gegen die Vertreter der Bauernpartei und der kommunistischen Partei im Ausland begonnen. Dieser Prozefi ist am 8. Marž mit 27 Todesur- teilen in contumaciam zu Ende gegangen. Unter LjAPTSCHEW ist die Ermordung der friiheren Minister KYRILL PAWLOW und P. JANEW lega- lisiert worden. Sie waren im Jahre 1925 freigesprochen, aber mehrere Monate lang in den unterirdischen Gefangnissen der allgemeinen Sicher- heit in Sofia gefangen gehalten worden. Dort sind sie am 17. April 1925 lebendig verbrannt worden. Damit war die Sache erledigt. LjAPT- SCHEW hat das Verfahren vvieder aufgenommen, um die beiden Mar- tyrer„ in contumaciam" aburteilen zu lassen, und man hat sie zum Tode verurteilt. — Am 24. April 1926 endete das Verfahren gegen das alte Komitee der kommunistischen Jugendbiinde mit vier Todesurteilen. Die Gerichte sind mit einer groben Anzahl von Prozessen gleicher Art beschaftigt. Ich weise darauf hin, daB ganz neuerdings folgende Personen ermor- det worden sind: Der Agrarier KOSTA YURUKOFF, der Agrarier IWAN SPASSOFF. Aus dem „Zora“ erfahren wir, daB zwei verhaftete Burger wegen„ Fluchtverdachts" getbtet worden sind. Der in Sofia verhaftete IWANOFF ist unter Schlagen verendet. TrAIKUSKY aus Borina ist ver- schvvunden. Nach dem KongreB der Syndikate hat man versucht, JORDAN MlTEZ, den Sekretar der unabhangigen Syndikate, zu ergreifen, und die faszistische Gruppe Guerilla hat, wie man sagt, neun der hervorragend- sten Vorkampfer der unabhangigen Syndikate zum Tode verurteilt. Ich stelle ferner fest, weil es eine Tatsache ist, daB die von LjAPT- SCHEW als Gabe aus dem erfreulichen Anlafi seines Regierungsantritts gewahrte Amnestie hauptsachlich den Mbrdern und Dieben zustatten gekommen ist, wahrend sie auf politische Vergehen nur ganz besonders beschrankte Anwendung gefunden hat. Zahlreiche politische Opfer, un- gefahr tausend, sind im Gefangnis geblieben, besonders die drei Fran- zosen, Herr und Frau LEGER und Frau NlCOLAWA, die ungerechter Weise zu lebenslanglicher Haft verurteilt vvorden waren. Hinsichtlich der Art, wie die amnestierten Verbannten, wenn sie zuriickkehren, aufge¬ nommen werden, sei darauf hingewiesen, daB dreizehn aus der Gegend von Kiistendil Ausgevvanderte gleich nach ihrer Riickkehr zum haus- lichen Herd massakriert worden sind; daB anderen aus der Gegend Die Henker. 127 von Burgas, dank einem Jsie denunzierenden hetzerischen Artikel des Generala JOSTOFF in dem Regierungsblatt „Slovo“, dasselbe Schick- sal zweifellos bevorsteht, und dab noch andere Gegenstand von Be- drohungen, Qualereien und Grausamkeiten sind; dab der amnestierte KABATSCHIEFF verhaftet worden ist, weil er zu entfliehen versuchte, da er annahm, dab sein Leben in Gefahr ware, u. s.w.. Danach werde ich hier einfach in Beantwortung des kiihnen, durch eine bedeutende franzosische Zeitung kolportierten Sophismas die Will- kiirakte und Gevvalttaten aufzahlen, die zur Zeit der Gemeindevvah- len in Bulgarien im Februar 1926 „unter der Regierung LjAPTSCHEW“ begangen worden sind. Die Dokumente dariiber sind von der bulgari- schen Presse veroffentlicht worden. In vielen Fallen ist die Wahrheit dieser Angaben dadurch bestatigt worden, dab bekannte Personlich- keiten beim Ministerium Proteste erhoben haben, in verschiedenen Fal¬ len auch durch arztliche Zeugnisse. Ich setze hinzu, dab diese Liste sicher nicht vollstandig ist. Mor de. — In Borowan hat derKorporal NAKOFF dem Demokraten PARWANOFF den Schadel eingeschlagen. In Stanimaka hat die Miliz den Lehrer IWAN SPASSOFF am hellen lichten Tage vor den Augen des Gemeindevorstehers PETER GROZEFF niedergeschlagen. WillkiirlicheVerhaftungen.—Der agrarische Abgeordnete PETER MlNOFF vvurde von Gendarmen verhaftet, die auf Befehl des Gemeinde¬ vorstehers PENTSCHOFF und des Unterprafekten die Revolver auf ihn anlegten. In Kritschime ist der Bauerngeneralrat BOGDANOFF verhaftet worden. In Radomir hat der Unterprafekt bei Gelegenheit derWahlen SlMEO- NOFF und WUTSCHKOFF aus Provalenitza sowie vier andere Bauern aus Negovantzi verhaftet. Andere Verhaftungen sind gefolgt. In Melikadanovvo wurden vier bauerliche Kandidaten verhaftet. In Sliwen sind zahlreiche Bauern aus den benachbarten Dbrfern ver¬ haftet und nach der Stadt abgefiihrt worden. Der Agent, der den Mehr- heitsabgeordneten MlCHAIKOFF begleitete, „hat seine Pištole einem Landmann auf die Brust gesetzt." Ein Wrangel-Soldat und ein Mazedonier terrorisieren die Bauern. Wenn diese willkurlich verhaftet und dann vom Staatsanwalt freigelas- sen worden sind, wagen sie infolge des Regierungsterrors nicht, nach Hause zuriickzukehren. In Tschiken wurden TsCHOBAN und UREN verhaftet. 128 Henri Barbusse. Der Priester des Dorfes DEWEDERE ist verhaftet vvorden, und die Polizeibeamten haben die Wahler des Dorfes auseinandergetrieben. In Karnobat wurden acht Demokraten verhaftet. In Krumowo sind am Tage der Wahlen die drei in Aussicht genom- menen Kandidaten der demokratischen Partei: L.AZAROFF, NlKOLOFF und STOMONJAKOFF verhaftet worden, um sie zu verhindern, die Wahl- liste dieser Partei einzureichen. Das Mitglied desWahlbiiros derselben Partei, MLADENOFF, ist ebenfalls verhaftet worden. In Tatar-Pazardjik wurde das Mitglied des hoheren Rats der demo¬ kratischen Partei, ZEKOFF, zusammen mit seinem Sohn verhaftet. Viele Mitglieder der Opposition sind vor dem Regierungsterror gefliichtet. In Alexandrowo hat der Gemeindevorsteher die liberalen Fiihrer ANGEL und PETKO GELEZKOFF verhaftet und an die Wahler keine Stimmzettel verteilt. In Zlaten haben die Gendarmen am Tage der Wahlen TSCHAKAROFF und seinen Sohn, ebenso wie die Gebriider GROZEW verhaftet. In Lokorsko wurde GUNDEROFF, der Kandidat der nationalliberalen Partei, verhaftet. Die Polizei hat die Dbrfer Kalatschlie, Baltajie und Šolali blockiert, indem sie Drohungen gegen die Wahler ausstiefi. Es sind verschiedene Verhaftungen vorgenommen worden. Auf dem Bahnhof von Wetowo sind die Rechtsanwalte KALTZEFF und KOSTOFF verhaftet worden; der Polizeikommisar hat die Wahlauf- rufe des nationalliberalen Kandidaten weggenommen. Verschiedene Verhaftungen in Kritschim, die Wahllisten der Oppo¬ sition verboten. In Peruschtiza wurde MlLUSCHEW verhaftet. In Kojnare hat der Polizeiadjunkt vvillkiirlich BELIAKOFF, GrAW- SCHOWSKI und DlMITROFF verhaftet. Der Gendarm STOJANOWO be- drohte jeden, der wagen wiirde, eine Bauernliste vorzulegen, mit dem Tode. In Mursalewo wurden die bauerlichen Kandidaten verhaftet, und die bauerische Wahlliste verboten. In Bistriza sind die bauerlichen Kandidaten verhaftet, und ist die bauerische Wahlliste verboten worden. In Malkokadiewo wurde der Bauer GROSEW verhaftet und nach Stara- Zagora abgefiihrt. Grausamkeiten. — Der ehemalige Abgeordnete ST. SCHIWAROFF wurde in der Nahe des Dorfes Dulewo iiberfallen, geschlagen und sehr schwer am Kopf verletzt. Die Henker. 129 Am Abend vor den Wahlen wurde der ehemalige Gemeindevorsteher WlTSCHO PETEW durch den Gemeindevorsteher KARKOWSKI, der zur Regierungspartei gehbrt, und durch den Fbrster W. CHRISTOFF iiber- fallen. Der Schadel wurde ihm eingeschlagen, ein Arm und eine Rippe zerbrochen. Zu Plewen miBhandelten am 29. Januar nach einer Bauernversamm- lung die Behbrden den sechzigjahrigen PAWEL ATHANASSOFF aus Mat- witza, der den Vorsitz in dieser Versammlung gehabt hatte. Auf der Unterprafektur wurde der Greis gepriigelt, nachdem er durch den Unter- prafekten KlRKOFF mit dem Tode bedroht und beleidigt worden war. (Das Zeugnis der Doktoren LESSITSCHKOFF und HAIDUKOFF stellte die Verletzungen fest, die durch ein stumpfes Instrument verursacht worden sind.) In Kalarare wurde der angesehene Bauer JORDAN USUNOFF durch den Gendarmeriewachtmeister und den Korporal DELIRADEW „fiirchter- lich geschlagen". In Drugan haben die Polizisten den eben amnestierten ehemaligen Minister BOTEW mit Verhaftung bedroht und eine Flinte gegen seine Brust gerichtet. In Suschitza haben die Terroristen der Polizei GEORGI TriFONOFF auf das Gemeindeamt kommen lassen und ihn dort in Gegenwart des Gemeindevorstehers heftig geschlagen. In Dolna-Manastiritza ist der Bauernkandidat TRIFON TRIFONOFF mifihandelt worden. In Polikraitsche wurden vier Bauern-Kandidaten erbarmungslos ge- prugelt. In Brdarski-Geran wurden die Bauern-Kandidaten am Tage der Wah- len geschlagen und venvundet. Eine Woche nach den Wahlen wurden nach Koschawa Gendarmen geschickt, um die Bevolkerung zu terrorisieren. Am Wahltage wurde der bauerliche Vorsteher eines Wahlbiiros, FLORO POPOFF, von einem Gendarmen und vom Gemeindevorsteher verhaftet, nach dem Gemeinde- haus gefiihrt und dort mit Kolbenschlagen getotet. InTschelopetsche hat sich der Regierungsabgeordnete PANTSCHOFF gegeniiber den Bauern in einer offentlichen Versammlung zu wilden Drohungen verstiegen und von ihnen verlangt, daB sie fiir die Regie- rung stimmten. Die Bauern-Kandidaten wurden nach dem Gemeinde- haus geladen und bedroht. Am Tage der Wahlen wurden sie geschla¬ gen, unter ihnen der Gemeindevorsteher PETKOFF. Barbusse. Die Henker. 9 130 Henri Barbusse. In Demirdjeli haben der Gendarmeriewachtmeister PULEW und der Polizist SMAILOFF versucht, durch Drohungen die Opposition dahin zu bringen, keine Kandidaten aufzustellen. Dessen ungeachtet gelang es dem Bauern-Kandidaten PETKOFF, die Liste der Bauern-Kandidaten niederzulegen. Die Vertreter der Gewalt haben ihn verhaftet. Er wurde zur Erde gevvorfen und hundertmal mit Knotenstbcken geschlagen. Darauf wurde er vor das Biiro gefiihrt, um ihn zu veranlassen, die von ihm iiberreichte Liste zuriickzuziehen. Er weigerte sich dessen. Darauf nahm der Wachtmeister PULEW selbst die Bauern-Liste fort und verbrannte sie vor den Augen des Bauern-Kandidaten. (Zeugnis des Doktors DAI- ROFF, aus dem sich ergibt, daB PETKOFF auf Kopf und Rumpf zahlreiche Schlage mit einer harten, elastischen und stumpfen Waffe erhalten hat.) Wahrend der den Wahlen vorangehenden Nacht wurden in Drago- man IWAN KOLEW, der Fiihrer der Nationalliberalen, und sein Sohn RAŠKO in einen Hinterhalt gelockt und totgeschlagen. In AIexandrowo haben vier ausdriicklich wegen der Wahlen ange- kommene Gendarmen DlMO DRAGOEW verhaftet und entsetzlich miB- handelt. Verschiedene Bauern sind gefliichtet. In Drugan haben die Gendarmen SERGUI ZAHARINOFF grausam ge¬ schlagen. In Messemaria haben Gendarmen und Polizisten Fliichtlinge miBhan- delt. Ein Detektiv hat einen thrazischen Fluchtling, CHRISTO, geohrfeigt, weil er gewagt hatte, seine Kandidatur aufzustellen. In Tschikem wurde ŠALI KARA MEHMEDOFF grausam geschlagen. In Beli-Mel hatte JORDAN KRSTEW dasselbe Schicksal, ebenso wie eine gewisse Anzahl von Gemeinderaten, deren Demission man er- langen vvollte. Nach den Wahlen hat WrBANOFF, ein Parteiganger LjAP- TSCHEWs, in Begleitung eines Gendarmen IWAN SPASSOFF und MARKO WlDOFF geschlagen; WlDOFF wurde unter den Schlagen ohnmachtig. (Arztliches Zeugnis.) In Tscherkowna wurde MURADULI 1BRAIMOFF gepriigelt, um ihn zu verhindern, seine Kandidatur aufzustellen. In Osmo-Kalugerowo haben Polizisten die Bauern terrorisiert und den Kandidaten PEEW miBhandelt. Sie haben auch IWAN LAZAROFF ge¬ schlagen und ihm die Stimmzettel weggenommen. In Karlowo durchfuhren „unverantwortliche Agenten“, begleitet von Polizisten, im Lastwagen die Dorfer der Umgebung, terrorisierten die Bevolkerung und verboten den Kandidaten der Opposition, sich auf- stellen zu lassen. Die Henker. 131 In Plowdiw ist der Sozialdemokrat DAFOFF von dem Korporal LlT- ZOFF geschlagen worden. In Malaritza hat derKommissar SAPUNDJEW denSozialisten GROSEW geschlagen. In Brdarski-Geran sind am Wahltage die Bauern-Kandidaten ge¬ schlagen worden. Tyrannische MaBnahmen, welche die Behorden getroffen hab en. — In Gabrowo wurden die Fiihrer der Bauernschaft auf die Unterprafektur bestellt; man Verbot ihnen unter sehr nachdriicklichen Drohungen, sich fiir die Wahlen aufstellen zu lassen. Der Abgeordnete von Warna, TSCHERNEW, hat an den Minister des Innern, LjAPTSCHEW, teiegraphiert, um ihn von Akten „unerhbrten Re- gierungsdrucks" in Kenntnis zu setzen. „Die Polizeibeamten, Agenten, Gendarmen, der Sekretar der Prafektur, sowie andere Beamte verbieten die Bauern-Liste und bedrohen die Bauern.“ TSCHERNEW setzt hinzu: „Wir bitten Sie, selbst Ihre Gemeindevorsteher zu bestimmen. Wir wollen keine Wahlen.“ In Suschitza wurde den bekannten Mitgliedern der Opposition ver- boten, wahrend der Wahlen auszugehen. In Lowetsche erging ein Verbot der Teilnahme an den Wahlen auf Grund der Liste der Bauern-Vereinigung. In Baldji-Omur fanden wahrend der Nacht des 20. Februar Durch- suchungen in den Hausern angesehener Landleute statt, um ihnen Listen und Stimmzettel fortzunehmen. Am Wahltage wurde das Wahllokal durch bewaffnete Polizei gesperrt, und den Bauern der Zugang nicht gestattet. In Koschawa wurde das Haus, in dem die Wahl stattfinden solite, vom Tage vor den Wahlen an mit Stacheldraht umgeben und des Mor- gens von zehn Polizisten bewacht. Alle Bauern wurden durchsucht. Man nahm ihnen die Stimmzettel der Bauernpartei ab, und ersetzte sie durch solche der Regierungspartei. In Baldji-Omur wurde am Wahltage die Bauernliste vernichtet. Die Bauernkandidaten vvurden durch den Gendarmen der Unterprafektur von Popovo, DlMITRE MARINOFF, auseinandergetrieben. Darauf um- gaben die Forster IWANOFF und DRAGOSCHINOFF mit gezogenem Sabel und unterstiitzt durch Milizsoldaten das Haus, in dem die Wahlen vorgenommen wurden und verhinderten die Bauern am Eintritt. In Kun Bunar liefi der Kommissar der Unterprafektur, BOGDAONFF, inBegleitung von Gendarmen das Wahllokal besetzen. Um 5 1 / 2 Uhr nach- 132 Henri Barbusse. mittags liefi er alle Fiihrer der Oppositionspartei zu sich rufen und be- drohte sie mit Verhaftung. Er hat die Aufstellung einer Liste der Oppo- sition untersagt. Die Mitglieder des Wahlbiiros wurden durchsucht. Der Kommissar hat 270 Burger ihres Wahlrechts beraubt, und nur 130 ha- ben gestimmt. Aus diesem Anlafi ist ein eingehend begriindeter Protest erhoben worden. In verschiedenen Gemeinden haben die Gemeindevorsteher vor den Wahlen willkiirlich bestimmt, daB alle Wahllokale 18—20 Stunden lang geschlossen bleiben sollten, und alle Ansammlungen der Burger ver- boten, besonders in Borowan, in Orlandovvtzi und in Beli-Mel. NIKOLA KrSTEW, Gemeindevorsteher von Strowo, hat befohlen, dafi bis auf weiteres alle Burger nach sieben Uhr zu Hause sein sollten. Er hat ferner in seiner Verordnung bestimmt, dafi auch in den Hausem eine Versammlung von mehr als zwei Personen als Bildung heimlicher Verbande, welche gegen die Staatssicherheit gerichtet sind, angesehen werden wiirden, und daB die Veranstalter nach Mafigabe des Gesetzes zur Sicherheit des Staates abgeurteilt werden wiirden. In Semerdjiewo wurde das ganze Dorf wahrend der Wahlen in Be- lagerungszustand versetzt. Der Gemeindevorsteher hat bei den Sozia- listen Haussuchung gehalten, ihnen die Stimmzettel vveggenommen und die Mehrzahl von ihnen aus dem Bezirk vervviesen. Die Verwaltung hat auf die Wahler einen unmittelbaren Druck mit allen Mitteln ausgeiibt. Es wurden Versammlungen abgehalten und Vor- tragsreisen unternommen, um fiir die Regierungskandidaten zu vverben, es vvurden Drohungen und Gewalttaten angewendet. Hierher gehort das Vorgehen der Prafekten von Burgas und von Wratza, der Unter- prafekten von Schumen, von Radomir, von Eski-Djumaja. Dieser letzte hat eigenhandig mehrere Personen geschlagen; er hat auf den fiinfund- siebzigjahrigen Nationalliberalen HUSSEIN schieBen lassen und ihn dann samt seinem Sohne verhaften lassen. In Lenitza haben die Behorden nach den Wahlen den Radikalen IWAN GAZDOFF verhaftet und gegen ihn ein Verfahren auf Grund des Gesetzes zur Sicherheit des Staates eingeleitet. In Modrana ist den Bauern nicht gestattet worden, sich in die Listen der Bauernvereinigung eintragen zu lassen. In Stroewo-Bogoewo wurde die Bauernliste verboten. Der Agent BOGDANOFF mifihandelte die Bauern. In vielen Gemeinden haben die Schutzleute wahrend der Nacht vor den Wahlen in den Hausern verschiedener Mitglieder der Opposition Die Henker. 133 Durchsuchungen vorgenommen und ihnen die Dokumente und Papiere weggenommen, auf Grund deren sie die Wahllisten hatten aufstellen konnen, ebenso wie die Stimmzettel. Das ist besonders in Winograd, in Gorni-Dabnik und in Stob geschehen. In Katunetze sind Agenten mit dem Revolver in der Hand in das Haus von NAIDENOFF eingedrungen. Es gelang ihm zu fliichten. Am Tage der Wahl haben dieselben Agenten in Begleitung des Forsters und des Flurwachters die Fiihrer der Opposition, die gekommen waren, um die Listen ihrer Partei niederzulegen, halbtot geschlagen. Die von den Nationalliberalen niedergelegte Liste wurde dem Vorsteher des Wahlbiiros vveggenommen und unter den Augen aller Anwesenden zer- rissen. An verschiedenen Orten haben die Gemeindebehorden den zur Oppo¬ sition gehorigen Wahlern die Ausweispapiere nicht ausgehandigt und sie dadurch am Stimmen verhindert. Das ist besonders in dem Bezirk Osman Pazar, in der Gemeinde Tschelopetsch, in dem Bezirk von Ta¬ tar Pazardjik, im Dorf Lewski, im Nowosseltzi und in Kramolin geschehen. In mehr als 15 Stadtbezirken hat die Regierung die Einregistrierung der bauerlichen Listen verboten. Im iibrigen ergingen Verbote des Stimmens, oder es wurde angeord- net, dafi mit dem Stimmzettel, der die Farbe der Regierung trug, zu stimmen sei, (in Bulgarien wird mit Stimmzetteln von verschiedener Farbe abgestimmt) oder es wurde verlangt, dafi fiir Regierungslisten gestimmt werden solite, die als „Bauerngemeindelisten“ frisiert waren. Im iibrigen sind die Ziffern der offiziell mitgeteilten Wahlergebnisse von allen Seiten beanstandet worden. Schlufi : Die von KOSTURKOFF dem radikalen KongreB vorgetragenen Erklarungen lauten: „Die Wahlen vom 14. und 21. Februar haben unter bis heut in Bulgarien unbekannten Bedingungen stattgefunden . . . Nie- mand war seines Lebens sicher.“ („Radical“ vom 8. Marž.) Endlich seien noch drei aus drei sehr verschiedenen Quellen stam- mende Urteile hier wiedergegeben: Der Vorsitzende des bulgarischen Anwaltvereins, KUTSCHUKOFF, nennt im „Radical“ eine gewisse Anzahl von Fallen, die beweisen, „daB die Regierung LjAPTSCHEW in keiner Weise das Regierungssystem ZANKOFFs geandert hat, auch in keiner Weise die willkiirliche Verwen- dung ,unverantwortlicher Elemente' verhindert hat.“ Die Auffassung der Sozialdemokraten: Die Zeitung der bulgarischen Sozialdemokraten „Narod“ schreibt, nachdem sie gleicherWeise dieTat- 134 Henri Barbusse. sachen aufgefiihrt hat: „Wahrend der Regierung ZANKOFF leugnete die Regierungspresse und die biirgerliche Presse, daB es einen von der Regierung ausgeiibten Terror gabe. Nach dem Sturze ZANKOFFs gibt dieselbe Presse zu, dafi es in der Tat einen Terror gegeben hat, daB sein Wiiten aber vvahrend der Regierung ZANKOFFs stattgefunden habe. Jetzt, sagt sie, unter der Leitung LjAPTSCHEWs beginnt eine neue Ara. Die Wahrheit ist, daB sowohl unter der Regierung ZANKOFFs, wie auch jetzt unter der Regierung LjAPTSCHEWs die anstandigen Leute ermordet, gefoltert und vergewaltigt worden sind und werden. Die Tat- sachen sind bekannt." („Narod“ vom 17. April 1926.) Die bulgarische Liga der Menschenrechte, die bisher der Regierung ein unerfreuliches Entgegenkommen gezeigt hatte, hat eine Resolution angenommen, in der sie „gegen die Akte der Gewalt und der Unge- setzlichkeit, die gegenvvartig in Bulgarien vorgenommen werden, pro- testiert". Sie stellt fest, dafi diese Akte, die zuerst vereinzelt waren, schlieBlich in ihrer Massenhaftigkeit ein ganzes politisches System aus- machen, und sie fiigt hinzu: »Die Regierung mufi tatsachlich fur die durch die verschiedenen ,Verschworerorganisationen‘ und die angeblich unverantwortlichen Elemente begangenen Taten verantwortlich gemacht werden.“ Ist es notwendig, zum SchluB daran zu erinnern, dafi LjAPT- SCHEW dafiir besorgt gewesen ist, wissen zu lassen, dafi er beabsich- tige, die Politik ZANKOFFs fortzufiihren, und daB er, als er von dem Ministerium des Innern Besitz nahm, durch die Prafekten dem Verwal- tungs- und Polizei-Personal fur die von ihnen unter seinem Vorganger geleisteten Dienste offentlich Dank sagen liefi ? April 1926. F remd wdrtererkl iirung. Ara: Zeitraum, Periode. Affare: Ereignis. Akt: Handlung. Analogie: ahnliches Verhaltnis. Analphabet: Lesens und Schreibens Unkundiger. Annexion: gewaltsame Besitzergreifung von einem Lande. Anomalie: Regelwidrigkeit. Antisemit: Judenhasser. Appell: Aufruf. Argument: Begriindung. Arrogant: anmafiend. Attentat: Angriff. Authentizitat: Echtheit. Autokrat: unbeschrankter Herrscher. Autonomie: Selbstregierung. Autonomist: ein nach staatlicher Selbststandigkeit Strebender. Autoritat: Ansehen. Avenue: breite StraBe. Baisse: Sinken der Preise. Bastille: die Pariser Zwingburg, die in der groBen Revolution zerstiirt wor- Bojaren: die adligen Gutsbesitzer auf dem Balkan. [den ist. Budget: Staatshaushalt. Bulletin: Bericht, Nachrichtenblatt. Chaos: Zustand der WirrniB. Chauvinistisch: hetzerisch, volkisch. Conseil: Ministerrat. Chronisch: andauernd, wiederkehrend. Delikt: Vergehen. Delirien: Fieberphantasien. Demagogie: Volksverhetzung. Dementi: Ableugnung. Demission: Entlassung, Riicktritt. Deportation: Abschiebung, Verbannung. Despot: Gewaltherrscher. Detektiv: Geheimpolizist. Dilettant: jemand, der ohne Fachbildung, eine Sache aus Liebhaberei betreibt. 136 Henri Barbusse. Diskreditieren: verachtlich machen, herabsetzen. Disziplin: Regeln des Verhaltens. Drakonisch: grausam. Dynastie: Herrschergeschlecht. Element: Bestandteil, auch Bezeichnung gewisser Personen. Elementar: einfach, natiirlich. Elite: Auslese. Emanzipation: Befreiung. Emblem: Kennzeichen. Endemisch: im Volk verbreitet. Entnationalisierung-: Raub der Staatszugehorigkeit. Epidemie: ansteckende Massenkrankheit. Episode: Beiwerk, Zwischenspiel. Epoche: Zeitabschnitt. Etappe: Station auf einem Wege. Ethnisch: volkisch, Volks- (personlichkeit). Expansionismus: Ausdehnungsbestreben. Fac-simile: mechanische Nachbildung. Feudalismus: die Einrichtung des aus dem Mittelalter stammenden Lehns- Flagrant: klar, offenbar. [wesens. Foderalist: Anhanger des staatlichen Zusammenschlusses. Fbderation: Zusammenschlufi von Staaten. Funktionieren: wirken, tatig sein. Galons: rote Streifen an den Militarhosen. Halluzination: krankhafte Einbildung. Hegemonie: Oberherrschaft. Hekatombe: Hunderte (von Opfern). Hermetisch: dicht. Humanite: Menschheit, Titel einer freiheitlichen franzosischen Zeitung. Identisch: gleichartig. lllegal: ungesetzlich. Inaugurieren: einleiten, ins Leben rufen. In contumaciam: in Abwesenheit des Angeklagten. Initiative: Antrieb. Inspirieren: eingeben (einen Gedanken, einen Plan). Instrument: Werkzeug. Intellektuelle: geistige Personlichkeiten. Interpellation: Anfrage (im Parlament). Interview: Unterredung, z. B. mit ausfragenden Pressevertretern. Intim: das Innerste betreffend, vertraut. Irredentismus: Streben der Bevolkerung eines annektierten Landes nach Wiedervereinigung mit dem Stammland. Journalisten: Zeitungsschreiber. Die Henker. 137 Kabineti: Ministerium. Kapital: (als Beiwort) bedeutend. Karikatur: Zerrbild. Kasematte: unterirdischer Festungsraum. Katastrophe: trauriges Ereignis. Kollusion: heimliches Einverstandnis. Kolportieren: verbreiten. Kombination: Zusammenstellung, Verbindung. Kompliziert: vervvickelt. Komplott: Verschworung. Konak: der Konigspalast in Belgrad. Konflikt: Streit. Konsortium: Vereinigung (z. B. von Industriellen u. s. w.). Kontribution: Kriegssteuer, Brandschatzung. Kontrolleur: Aufsichtsbeamter. Konzession: verliehenes Redit zu einem Unternehmen (auch Zugestandnis). Korrekt: ordentlich, ordnungsgemafi. Korrektheit: Anstand. Korruption: Verderbnis. Kriminell: verbrecherisch. Krise: Schwankung (in der Wirtschaft). Kulturell: gebildet, die Bildung betreffend. Laboratorium: Versuchsanstalt. Latifundien: GroBgrundbesitz. Legal: gesetzlich. Legende: Sage. Liga: Bund, Verband. Literarisch : schriftstellerisch, Literatur betreffend. Logisch: schliissig, richtig. Loyal: ehrlich. Machinationen: Machenschaften. Majoritat: Mehrheit. Mandat: Sitz in der Volksvertretung. Martyrium: Leiden. Maximum: das grofite, das hochste MaB. Mechanik: gesetzmaBige Entwicklung. Mechanismus: Maschinerie. Methode: Verfahrungsweise. Mission: Auftrag, Sendung. Monarch: Herrscher. Monomane: an fixer Idee leidender Geisteskranker. Monstros: unerhort. Monument: Denkmal. Neuralgisch: krankhaft. Notorisch: allgemein bekannt. 138 Henri Barbusse. Obrenowitsch: Name der serbischen Herrscherfamilie. Offensive: Angriff. Offiziell: amtlich. Offizios: halbamtlich. Okkupation: Besetzung. Oligarchie: Herrschaft Weniger. Opportunismus: Politik von Fali zu Fali, ohne testen Grundsatz. Pakt: Vertrag. Pappemachee: ein minderwertiges Material aus Papier und Kleister. Pathetisch: leidenschaftlich. Paradoxie: sonderbare Behauptung. Parodie: spottische Nachbildung. Patriarchalisch: altmodisch, vaterlich. Perfidie: Heimtiicke, Niedertracht. Phantastisch: marchenhaft. Phantom: Trugbild. Physiognomie: Gesicht. Plaidoyer: Rede (vor Gericht besonders), Verteidigung einer Sache. Plebiszit: Volksabstimmung. Plutokratie: Herrschaft der Reichen. Positiv: bestimmt. Prafekt: staatlich bestellter Venvalter einer Stadt oder eines Kreises. Praktiken: Machenschaften. Primitiv: ganz einfach. Prinzipiell: von grundlegender Bedeutung. Problem: Aufgabe, Frage, Ratsel. Produzent: Erzeuger. Profitieren: Nutzen ziehen. Projekt: Plan. Proklamieren: verkiinden. Propaganda: Werbetatigkeit. Proselyt: Neubekehrter. Protest: Widerspruch. Provokation: An- oder Aufreizung. Provozieren: an- oder aufreizen. Prozedur: MaBnahme. Psychologie: seelische Verfassung (auch Lehre von der Seele im wissen- schaftlichen Sinne). Publizitat: Offentlichkeit, Veroffentlichungen. Quadratur des Zirkels: Verwandlung eines Kreises in ein Viereck: eine unmogliche Aufgabe. Raffinement: kunstliche (boshafte) Berechnung. Reaktion: Riickschrittlichkeit, auch Gegenwirkung. Reduzieren: zuruckschrauben, beschranken. Regime: Verwaltungssystem. Die Henker. 139 Rekord schlagen: die erste Stelle einnehmen. Reprasentieren: vertreten, darstellen. Requisition: Brandschatzung. Resolution: BeschluB. Rhetorik: Redekunst. Sadismus: krankhafte Sucht nach Grausamkeit. Sanitar: gesundheitlich. Sanktionieren: rechtfertigen. Schikanos: boswillig. Schularchiv: Schulbiicherei. Sektion: Leichenoffnung. Sensationell: Aufsehen erregend. Separatist: Jemand, der auf Abtrennung eines Landesteils ausgeht. Situation: Lage. Skrupulos: gewissenhaft. Sophismen: Spitzfindigkeiten. Souveran: (als Beivvort) selbstandig (von Staaten). Spontan: von selbst, ohne auBere Einwirkung erfolgend. Status quo: der bestehende Zustand. Subvention: Unterstiitzung. Sukzessiv: aufeinanderfolgend. Summarisch: kurz, iibersturzt. Symbolisieren; versinnbildlichen. Sympathie: Wohlwollen, Gleichgefuhl. Symptomatisch: bezeichnend. Syndikat: Vereinigung. Syndiziert: zu einer Vereinigung zusammengeschlossen. Synode: Versammlung der Kirchenvorsteher. Taktik: Art des Vorgehens. Territorium: Landgebiet. Terror: Schrecken. Theorie: Lehre. These: Behauptung. Tradition: Uberlieferung. Typisch: charakteristisch, bezeichnend. Typus: Wesenszug. Tyrann: Gewaltherrscher. Undiszipliniert: widerspenstig, unerzogen, schwer lenkbar. Usurpierung: gewaltsame Aneignung. Zentralisation: Zusammenfassung (z. B. der Verwaltung an einer Stelle). Zentren: Mittelpunkte, Brennpunkte. Zynisch: allzu offen, rob. I n h a 11 s verzeicfmis. Seite Vorwort des Ubersetzers. 5 Vorwort des Verfassers fiir die deutsche Ausgabe.8 I. Unsere „Mission“.. 11 II. Mord und Totschlag!. 21 III. Die Organisationen der Zerschmetterung .35 IV. Volker am Kreuz. 45 V. Die Regierenden gegen die Volker.67 VI. Der Vorwand ist: Die Bekampfung des Bolschewismus. . 76 VII. Die Balkan-Minderheiten. 86 VIII. Die Rolle der GroBmachte . . . und die unsrige . 101 IX. Befiarabien unterm Joch. 118 X. An die Balkan-Volker. 122 XI. Anhang. 125 Fremdw6rtererklarung .135 Die Balkanlander vor dem Balkankrieg- (vor 1912). Die Balkanlander und Ungarn nach dem Weltkrieg. Ahasvers Wanderung und Wandlung. Eln Marchenroman von Heinrich Nelson. 337 Seiten. 2 Mark. Verlag „€>ffentliches Leben", Stuttgart, Eberhardstr. 10. „In dem vorliegenden Budi wird die alte Legende vom evvigen Juden neu umgestaltet. Mit einem enormen Wissen, ohne irgend welchen Gelehrtendiinkel, schildert der Verfasser verschiedene Momente der Weltgeschichte, in denen seine Phantasie Ahasver eine Rolle spielen laBt. Mehr als literarische Bedeu- tung hat deshalb diesesWerk mit seinen scharfsinnigen, originellen historischen Auffassungen, meines Erachtens wissenschaftlichen Wert. . . . Unbeirrt von den Wertungen der modernen Kultur riigt Nelson die Sitten und Prinzipien unserer Zeit, von aufrichtiger Wahrheitsliebe und den edelsten sittlichen Beweggriinden geleitet. In dieser Hinsicht hat das Werk eine Tendeuz, die mutig verteidigt wird: ,Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit auf Erden unzerstorbar zu erhalten‘.“ (..Deutsche Wochenzeitung fiir die Niederlande." Vom 15. Nov. 1924.) „Der geistige Mensch um die zweite Jahrtausendwende wird Ahasver anders sehen, als er bisher in der Vision des Mythos stand. Fiir ihn wird der ewige Wanderer zum Trager aller Sehnsucht nach der Vervvirklichung der reinen Idee: Wahrheit, Giite, Schonheit, von Anbeginn auf der Suche nach ihnen, ohne sie zu finden. So hat auch Heinrich Nelson Ahasver in sich gefiihlt und zu gestalten versucht. . . . Biicher, die nicht verdunkeln, sondern aufhellen, sind in dieser Zeit der Wirrnis sparlich und darum fordernswert.“ („Berliner Tageblatt" vom 13. Oktober 1924.) „So darf dieses Buch gewiss sein, daB es in ali den Kreisen, die ein wirk- liches Interesse fiir geistige Fortentwicklung haben, eine willkommene Gabe sein wird. Man kann von ihm wirklich sagen, daB man es innerlich bereichert aus der Hand legt.“ („Jiidische Volkszeitung" in Bratislava, vom 30. Mai 1924.) ISK Monatsschrift Herausgegeben vom Vorstand des Inter- nationalen Sozialistischen Kampf-Bundes. Die Zeitschrift „ISK“ bildet die tagespolitische ErgSnzung der Schriftenreihe „Offentliches Leben". A u s dem G e I e i t w o r t (Januar 192 6}: „Wir sehen die einzige Mdglichkeit zur Ver- vvirklichung des Sozialismus in der Vereini- gung ven zielbewu6tem yVollen und dogmen- freier Forschung. 'Eine Vereinigung, die, wie sich bei naberem Zusehen zeigt, auf nichts anderes hinauslauft als das von MARX ge- forderte Bundnis zvvischen VVissenschaft und Proletariat."/„ Eine Zeitschrift kann den Kampf nur vorbereiten helfen. Das Mittel des Wortes ist gewi6 unentbehrlich, um den Zugang zu Menschen zu finden, um sich uber Tatsachen, sdvvie uber Ziele und Wege zu verstandigen. Aber die Welt ISsst sich nicht durch Worte aus den Angeln heben." Bezugsprels: Vlerteljfihrllch 60 Pfennig. Bestellungen nlmmt In Deutsch- land und den melsten europftlechen Lftndern Jedes Postamt entgegen. Probehefte versendet der Verlag .Offentllches Leben”, Stuttgart, Eberhardstr. 1O.