H r^r. GesktzgtbMgs-Mgkn. Besprochen von Ethbin Heinrich Costa, Doctor der Philosophie und der Rechte, Ritter des kais. mexikanischen Guadeloupe-Ordens Bürgermeister von Laibach, Landtagsabgeordneter, Mitglied der kais. Levpoldinischen Academie und vieler gelehrten Gesellschaften, erster Secretär der juristischen Gesellschaft (Aus den Verhandlungen der jurist. Gesellschaft, II. Band , besonders abgedruckt.) Laibach 1865. Druck von I. v. Kleinmayr L F. Bamberg. — Verlag des Verfassers. Me * Z. 1. Bereits wiederholt wurden in unserem Vereine Gesetz- gebnngSfragen eingehend besprochen und von den Mitgliedern mit Interesse entgegengenommcn. Abgesehen von den ausführlich und allseitig erörternden Abhandlungen über die so wichtige G r u n d z e rst ü ck n n g s- srnge, hörten wir erst jüngst von unserem geehrten Vice-Präsidenten Dr. Ritter v. Kaltcnegger einen gediegenen Vortrag gegen die Zulässigkeit der P e r s o n a l h a ft als Civil-Executionsmittel, und Referent hat schon in der XVI. Versammlung die Vorschläge zu einer gründlichen und totalen Reform des Abh a ndlnn g sw csen s vcrtheidigt. Seit im Jahre 1848 das Bedürfnis; einer vollständigen Umän¬ derung unserer Gesetzgebung erwacht ist und verschiedene Versuche theils nicht zur Reife gelangen konnten, theils sich als verfehlte erwiesen haben, ist das Interesse an derlei legislativen Fragen wesentlich gestiegen und hat eben jetzt an Jntensivität nm so mehr gewonnen, da cs keinem Zweifel zn unterliegen scheint, daß der Moment nicht ferne ist, wo denn doch eine definitive und dauernde Lösung dieser Fragen nicht mehr aufgcschobcn werden kann. Ich glaube daher dem Zwecke unseres Vereins und der edlen Auf gäbe, welche sich dessen Gründer setzten, zn entsprechen, wenn ich in vier Vorträgen die Fragen der Gefängnißrcform, der neuesten Erfahrungen über die Wirksamkeit der Schwurgerichte, der T o d e s- strafe und der Einrichtung des F amili en rathcs erörtere. Ich werde denselben hiebei die gediegensten und neuesten Erscheinungen der Lite¬ ratur zu Grunde legen und lenke die Aufmerksamkeit der geehrten Ver¬ sammlung nun schon im Voraus auf den Umstand, daß die Resul¬ tate der Wissenschaft und einer v o r n r t h e i l s l o s e n B e- trachtung der bezüglichen Erfahrungen ganz identisch sind mit den großen Frciheitsprinci p ien des Libera¬ lismus. An den Schluß dieser" einleitenden Worte möchte ich nur noch die Bitte knüpfen, daß auch andere Mitglieder unseres Vereins in ähnlicher Weise legislative Gegenstände zur Besprechung in den Monats Versammlungen bringen möchten. * Vorgetragen in der XbV. Versammlung der jurist. Gesellschaft in Laibach. 2 Z. 2. Erst der neueren Zeit war cs Vorbehalten, den Freiheits¬ strafen im Criminalrcchte eine größere Ausdehnung zu gebe». Früher machte man Alles mit Lebens-, Ehren-, Geld- und Verbannungsstrafen ab, und selbst die wenigen Freiheitsstrafen hatten ehedem den Charakter einer Ehrcnstrafe. Die vorschreitcude Humanität erkannte die Not¬ wendigkeit, die Lebensstrafen möglichst zu beschränken. Dagegen er¬ schienen Geld- und Ehrcnstrafen der veränderten Zeit gegenüber nicht mehr wirksam und die Landesverweisung wurde durch äußere Verhält¬ nisse unmöglich gemacht. Deshalb traten die Freiheitsstrafen in den Vordergrund nud machten Strafgefängnissc notwendig. Von allen Gefängnissen muß verlangt werden, daß sie mit der Festigkeit und Sicherheit, die ihr Zweck erfordert, doch auch die möglichste Rücksicht auf die Gesundheit der Gefangenen verbinden. Vernachlässigungen in dieser Beziehung sind nicht blos der Humanität, sondern auch der Pflicht und Würde des Staates zuwider. Da ferner bei der Schuld- und der Untersuchungshaft andere Zwecke obwalten, wie bei der Strafhaft, indem letztere meist mit Arbeit und strenger Zucht verbunden sein soll, so kann keine dieser verschiedenen Haftanstalten ihrer Bestimmung ent¬ sprechen, wenn sie nicht sorgfältig von einander geschieden sind. Die sonst allgemein übliche, aber auch jetzt noch hie und da vorkommende Vermischung von Gefängnissen verschiedenen Zweckes hat in der That zu den größten Uebelstäudcn und Ungerechtigkeiten geführt. In früheren Zeiten machte man sich da wenig Scrupcl. Man überließ die Gefan¬ genen unterschiedslos und rücksichtslos dem Schmutze, dem Müssiggänge, ihren Lastern und ihrem Elend. Gräuliches Unheil, schwere Versün¬ digung an Unschuldigen, an Entschuldbaren und Rettungsfähigcn, schlimme Verpestung bargen und bergen sich an manchen Orten noch in tiefes Dunkel. Als die Freiheitsstrafen an die Stelle der Landes¬ verweisung traten und deshalb gewöhnlicher und dauernder wurden, lag der Gedanke nahe, daß man die Hunderte von Gefangenen nicht dem Müssiggänge überlassen darf, zunächst, daß man sic zur Arbeit anzu- halten habe, damit sie die Kosten ihres Unterhaltes einbrüchtcn. Des¬ halb wurden die Strafgefängnisse größtentheils Zucht- und Arbeits¬ häuser , wenn auch dabei im Einzelnen sehr oft planlos und zweckwidrig verfahren wurde. Zn weiteren Schritten führte die Betrachtung, daß die Entlassenen aus so vielen Strafanstalten verderbter heranskommcn, als sie hineingegangcn, daß sic Schüler des Lasters und des Verbrechens waren, in denen so Mancher, den bei nicht schlechterer Gemüthsart, als die meisten Menschen besitzen, Leichtsinn, Noth, ein Augenblick auf- wallender Hitze, eine seltene Verkettung äußerer Umstände der strafenden Gerechtigkeit überliefert, zum vollendeten Bösewicht gebildet wnrdc, und daß man hier die Complotc schmiedete, die bei wiedcrcrlangtcr Freiheit ausgeführt werden sollten. Man konnte nicht verkennen, daß ein solcher Zustand schimpflich für den Staat, ein Verbrechen an der Menschheit, gefährlich für die Gesellschaft sei, und letztere Rücksicht zumal fand 3 allgemeinen Anklang und bahnte den Versuchen einer bessern Einrichtung der Strafanstalten den Weg. Es wurde der Gedanke erfaßt, daß man die Strafzeit znr moralischen Besserung der Gefangenen benützen müsse. So einfach aber dieser Gedanke war, so schwierig hat man seine Aus¬ führung gefunden, so oerschiedcnc Mittel hat man dafür in Vorschlag und Anwendung gebracht. Eine ganze zahlreiche Literatur hat sich über das Gefängnißwesen gebildet, eigene Zeitschriften sind dafür gegründet; einzelne Menschenfreunde und wohlwollende Regierungen haben diesen Fragen viel Mühe und Aufwand zugewendct. Ihren eigentlichen Anfang haben die Bestrebungen der neueren Zeit für Gefängnißvcrbessernng und Gefangcnenzucht in den Vereinigten Staaten Nordamerikas und in England genommen. Wie dieses geschehen sei und welche Systeme sich nach und nach gebildet haben, schildert in sehr anregender Weise ein neues Werk vou Dr. F. I. Bchreud, Oberarzt der Sittenpolizei in Berlin („Geschichte der Gefängnißrcforiu." Berlin 1859), an dessen Hand wir zunächst das Bedeutendste hervorhcben wollen. 8. 3. Die großen Mißstände im Gefängnißwesen der englischen Colonien Rordamcrika's riefen den allgemeinen Wunsch einer Ab¬ hilfe hervor, und so wurde denn, während die Revolution bereits ein getreten war, am 7. Februar 1776 zu Phyladelphia eine Gesellschaft zur Untersuchung der Gefängnisse und znr Milderung des Elends in denselben gegründet. Sie hatte große Schwierigkeiten zu bekämpfen, die sich ihrer Thätigkeit cntgcgcnstcminten, erwirkte aber doch, vereint mit den Bestrebungen der Presse, im Jahre 1790 ein Gesetz, das die Classification der Gefangenen nach Geschlecht, Charakter, Alter und Arbeitsfähigkeit anordncte, die öffentliche Zwangsarbeit abschafftc und gestattete, daß in jedem Gefängnisse Zellen zu einsamer Haft für die unbändigsten und widerspenstigsten Individuen hergcstellt wurden. Dieser letztere Punkt war gerade der Gegenstand der lebhaftesten Erörterung in der Gesellschaft und in der Presse. In Pcnnsylvanien hatten sich vorzugsweise Quäker angesiedclt, in deren religiöser Anschauung das Dogma von der Selbstbeschaunng, von dem Jnsichgchen in der Ein samkeit eine Hauptrolle spielte. So müsse denn auch der Verbrecher, als ein gefallener, in Sünde oder Verkehrtheit befangener Mensch, durch streuge Abgeschlossenheit zur Einkehr in sich selbst gebracht werden. Arbeit, auf Erwerb oder künftigen Lebensunterhalt gerichtet, wirke zu zerstreuend, hindere die echte, volle Buße. Diese Anschauung wurde in den anderen Staaten, namentlich New-Jork und MassachusetS, wo größtcntheils Lutheraner rc. angesiedclt waren, auf das lebhafteste bekämpft und entgegen bemerkt, Gewöhnung an Arbeit und an Pünktlichkeit und Ordnung sei das geeignetste Mittel zur Besserung, denn gerade Müssiggang und Unlust znr Arbeit seien die Hauptursachen der Verbrechen. Die Gefangenhänser sollen also Arbeitshäuser sein, wo die Gefangenen nach Geschlecht und Arbeits- fähigkeit elassificirt, des Nachts in Einzclzcllen schlafen, bei Tage aber 4 unter strengster Aufsicht gemeinsam arbeiten, doch ist ihnen auch hiebei bei Züchtigung zu untersagen, mit einander zu sprechen oder sich ander¬ weitig zu verständigen. So haben wir nun das Einsamkeits- oder pennsylvanische, auch phyladclphische System genannt, und das Schweig- oder Auburn- sche System (in Auburn wurde 1790 das erste Gefängniß dieser Art errichtet). Erst 1822 trat das erste Zellengefängniß in Wirksamkeit, das durch ungefähr 4 Jahre das pennsylvanische System mit aller Consequenz ausführtc. Der Gefangene sah höchstens den Wärter, der ihm Nahrung brachte. Arbeit wurde nur ausnahmsweise gegeben. Die Ergebnisse dieses strengen und der menschlichen Natur geradezu wider¬ strebenden Haftsystems waren sehr abschreckender Art. Bei dem Mangel jedes sittlichen Foudcs konnte die tiefe Einsamkeit ohne alle Zerstreuung durch Arbeit oder Belehrung kein anderes Resultat haben, als den niit lebhafter Phantasie und einem stürmischen Drange für den Genuß des Lebens begabten Verbrecher zu Wahnsinn oder Selbstmord, den auf niederer Stufe geistiger Begabung Stehenden zu Blödsinn oder Stumpf¬ sinn zu treiben. In Folge dessen beschloß die Gesetzgebung 1828 eine Milderung des Systems, indem die absolute Einsamkeit aufgcgeben und statt ihrer Trennung oder Absonderung eingcführt, Arbeit gegeben und auch Lehre und mannigfacher nützlicher Unterricht beigcfügt wurde. Hiebei blieb der Gefangene zwar auf seine Zelle beschränkt, aber cs wurde ihm mehrmaliger täglicher Besuch gebildeter, gottesfürchtiger und menschenfreundlicher Männer gestattet und zngcweudct. Damit war das ursprüngliche quäkerische Hastsystem bedeutend modificirt. Dieses gemilderte sogenannte Separirsystem ist es, welches nach Europa gekommen ist. Aber auch das Auburn'sche System hatte nicht unerhebliche Nach¬ theile im Gefolge. Einmal ist cs rein unmöglich, ein strenges Schweigen der Gefangenen während der gemeinsamen Arbeit dnrchznführcn. Das Bestrafen jeder Verletzung dieses Gebotes wirkt sehr nachthcilig auf den Charakter. Das Verbot des Sprechens ist die grausamste Pein, die einem Menschen anfcrlcgt werden kann. Endlich liegt diesem Systeme das allein Richtige der Besserung nicht zu Grunde. Dennoch fand dieses in den Vereinigten Staaten viel mehr Anklang, als das pennsylvanische, was daraus erhellt, daß es im Jahre 1847 in der Union 13 Staats¬ gefängnisse nach dem cistern und nur drei nach dem letztem einge¬ richtet gab. Obgleich aber das Schwcigsystem nicht so gewaltige Veränderungen erfuhr, wie das der Einzelhaft, ist cs im Laufe der Zeit doch auch sehr gemildert worden. In den Gefängnissen nach Aubnrn'schcm System ist man dahin gekommen, Arbeiten im Freien vornehmen zu lassen; man führt die Gefangenen truppweise zu Feld- und Gartenarbeiten, zur Arbeit in Bergwerken und Steinbrüchen, wobei man ihnen in den Pansen der Arbeit sogar das Sprechen mit einander gestattet. In den 5 Gefängnissen nach pennsylvanischen! Systeme hat man sich seitdem ge- nöthigct gesehen, aus Gesundheitsrücksichten Bewegung im Freien zu gestatten, ja selbst Werkstätten zu gemeinsamer Arbeit für gewisse Kategorien von Gefangenen, namentlich für solche, die in der Zellen¬ hast vollständig verkümmerten, cinzurichtcn. So bildete sich allmälig eine Ausgleichung der beiden Haftsysteme heran, und fragen wir uns, wie cs jetzt damit in den Vereinigten Staaten steht, so können wir kaum eine ganz bestimmte Antwort geben. Bei der Autonomie der einzelnen Staaten bleibt nichts lange Zeit stabil, nnd auch in der Einrichtung und Führung der Gefängnisse finden fort¬ während Veränderungen statt, je nachdem bald das eine, bald das andere Interesse oder Bedürfnis^ sich geltend macht, oder die eine oder die andere Partei die Oberhand gewinnt. ß. 4. Die Reform des Gefängnißwcsens in England muß auf eine ganz bestimmte einzelne Person zurückgcführt werden: John Howard, Sohn eines Kaufmannes, geb. 1726, gest. 1790, der seine Thätigkeit in dieser Richtung 1773 begann, da er, zum Sheriff ernannt, Ge¬ legenheit hatte, den entsetzlichen Zustand der Gefangcnhäuscr näher kennen zn lernen. Sie dienten ohne Unterschied für Schuld-, Unter- snchungs- nnd Strafgefangene. Kerkermeister und Schließer bezogen keinen Gehalt, sondern waren auf die Gebühren der Gefangenen ange¬ wiesen. So kam cs, daß Uutcrsnchungsgcfangenc, welche die Geschwornen für „nicht schuldig" erklärt hatten, noch mehrere Monate im Gefäng¬ nisse znrückbehalten nnd hart behandelt wurden, blos weil sic nicht im Stande waren, die dem Aufseher, Schließer re. zukvwmendcn Gebühren zu bezahlen. Die Gebäude, die zu Gefängnissen dienten, waren im kläglichsten Zustande, höchst mangelhaft eingerichtet, oft nicht einmal die Geschlechter von einander getrennt, mit einem Worte, sic waren Pefthänser und die hohe Schule des Verbrechens. Gegen diese schreienden Ucbelstände, die Howard in den übrigen Ländern Enropa's fast in demselben Grade, wenn auch mit mannigfacher Modifikation, ebenfalls antraf und die jeden denkenden Menschen mit Entsetzen erfüllten, erhoben sich dann und wann einzelne Stimmen, aber sie verhallten, und das Elend erbte sich von Jahrhundert zu Jahrhundert durch viele Geschlechter hindurch fort, ohne daß eine gründliche Reform vorgenommen wurde. Erst als Howard mit sehr derben Berichten über den elenden Zustand der Ge¬ fängnisse in die Oeffeutlichkeit trat, wurde ernstlicher an Verbesserungen gedacht. In Folge dessen verordnete 1774 das Parlament, daß kein von der großen Jury Freigesprochencr länger im Gefängnisse gehalten oder zu Zahlungen an den Kerkermeister verpflichtet werden dürfe; fernerö, daß die Gefängnisse jährlich zu reinigen sind. Dieses war der erste Schritt zu einer Gefängnißreform, freilich noch weit ab von Howard's Ideen, der die Besserung der Gefangenen als deren letztes Ziel erkannte. Freilich nicht im Sinne der Quäker, sondern von 6 vornherein wollte er Unterricht, Belehrung, Gottesdienst und Erholungs- arbeit mit der dauernden Haft in der einsamen Zelle verbunden wissen. In einigen kleinen Gefängnissen wurden diese Anordnungen auch wirklich durchgcsctzt, officiell aber wurde dieser von Howard angeregten Gefängniß- reform keine Folge gegeben. England hatte seit der „guten Königin" Elisabeth die Deportation in die nordnmeriknnischen Colonien gesetzlich eingcführt. Die Verbrecher, weniger brauchbar als die Negersklaven, wurden jedoch von Privaten nicht, sondern nur bei öffentlichen Arbeiten verwendet, entwichen nicht selten in großem Maße und trieben sich in den Colonien umher, den Ansiedlern zum Schrecken und zur Plage. Trotz wiederholter Prote- statioueu der letzteren gegen die Ucberführuug von Sträflingen in die Colonien, dauerte dieses Verfahren bis zum Unabhängigkeitskriege. Bon da an wurde Australien zur Deportation bestimmt. Die dorthin gebrachten Sträflinge wurden den Colonistcn zur Arbeitsleistung über¬ wiesen. Bald jedoch wurden all' die liebel laut, welche dieses System im Gefolge hatte, das in seinen Folgen eben so nachtheilig für die Colonien, als ungerecht gegen die Sträflinge war, insoserne deren Be¬ handlung und späteres Schicksal ganz dem Zufalle preisgegcben erschien. Im Jahre 1828 wurde mit der parlamentarischen Motion begonnen, aber die Debatten zogen sich bis 1837, wo dieses System, als eine ueugeschafscne scheußliche Sklaverei, endlich nbgcschafft wurde. In Folge dessen wurde die Frage der Gefäugnißrcform ernstlich in Angriff ge¬ nommen und eine Commission zur Untersuchung der ausländischen Strafanstalten ernannt. Diese sprach sich für das pennsylvanische System, d. i. die Absonderung in Zellen mit Unterricht und einsamer Arbeit, ans, aber u) nicht für die ganze Strafzeit, sondern nnr für einige Monate zur Durchprüfung und Erprobung ihres Charakters; b) nur bei den zur Deportation Vcrurtheiltcn; v) am Dcportationsorte aber seien sic nach dem Urtheilc der Dircction des Zcllcngcfängnisscs verschieden zu behandeln, so daß gleichsam ihr Schicksal in ihre Hand gelegt wird. Dieses nach den Ministern so genannte Staulcy-Graham'sche Erpro¬ bung S sy st c in , zu dessen Ausführung das Mustcrgcfängniß von Pcntonville erbaut wurde, betrachtete nicht die Besserung als das Ziel der Einzelhaft, sondern seine Erprobung, um zu ermitteln, welches Maß von Freiheit am Dcportationsorte dem Sträfling zngcmcsseu werden könne, und daneben auch die Erlernung einer Geschicklichkeit, durch die er sich sein Brot zu verdienen im Stande sei. Das wesent¬ lichste Element dieses Strafsystcms blieb somit die Deportation, zu welcher die Einzelhaft nur eine Vorbereitung bildete. Obgleich mau aber in der That alles gethau hatte, Pcntonville zu einem wahren Mustcrgcfängniß anszustatten, bewährte sich doch auch dieses System nicht. Die Gefangenen wurden nach ihren Fähigkeiten nnd ihrem Willen in vier Classen gctheilt. Nach 12—18monatlicher Einzelhaft kamen sie in einen sogenannten Zufluchtshafen, wo sie unter strengster Aufsicht 7 zu gemeinsamer schwerer Arbeit verwendet wurden und so die letzte Prüfung zu bestehen hatten. Je nach deren Resultate bekamen sie für die Dcpvrtationscolonie VandiemenSland in Australien entweder eine bedingte Begnadigung, den sogenannten Freischcin stlioicst ot' lsuvs), womit sie daselbst nach Belieben Arbeit suchen und nehmen konnten; oder blos einen Führnngspaß, womit sic zwar auch in der Colonie Arbeit suchen und nehmen konnten, aber jedesmal der Behörde ihren Aufenthalt ab- oder anmclden mußten; die Schlechten endlich wurden als wirkliche Strafgefangene zur Zwangsarbeit ungehalten. Die Ergebnisse der Zellenhaft in Pentonvillc waren nicht sehr ermunternd. Die Sterblichkeit zeigte in den ersten zwei Jahren ein sehr großes Berhältnifi und die Zahl der Geisteskranken und Selbst¬ morde war bedeutend. Die Lungenschwindsucht war es insbesondere, die viele Opfer forderte. Nicht blos Aerzte von großem Ruse, sondern auch angesehene Staatsmänner und Administratoren erhoben sich gegen die Zellenhaft, so daß schon 1843, also drei Jahre nach Eröffnung des Mnstergcfängnisscs zn Pentonvillc, die britische Negierung ernstlich an eine Umänderung des Systems zu denken begann. Früher jedoch wollte man noch die Resultate aus VandiemenSland abwartcn. Dort ver¬ suchte man durch ciu System von Avancement und Degradation in ans- und absteigender Stufenleiter vom wirklichen Sklavcnthnm bis zu völliger Freiheit und ferner durch Reizmittel („Marken" als Verdienst Zeichen der Arbeit und „Abzeichen" guten Betragens) die Disciplin fest in Händen zu halten. Das Resultat war jedoch eine vollständige Täu¬ schung der gehegten guten Erwartungen. Vielerlei Mißgriffe in der Ausführung und zum Thcilc das fehlerhafte Princip des Systems selbst bewirkten anstatt zunehmender Besserung die Nothwendigkeit immer strengerer Aufsicht, und häufige Peitschenhiebe deuteten endlich die letzte Grenze, schon tief unter der Achtung der menschlichen Würde an. Innerhalb und außerhalb des Parlaments entstanden nun über die Disciplin in Pentonvillc und das damit verknüpfte System sehr lebhafte MeinungSkümpfc. Männer von großer Autorität und scharfem Urtheil tadelten die übertriebene Philantropie in der modernen Behand¬ lung der Verbrecher, welche in den schaurigen Peitschenhieben zu Van- diemenslaud ihre traurige Kehrseite und nothwcudige Cousequenz findet. Specicll wurde aber noch gegen das Stanley-Graham'sche Probations¬ system geltend gemacht, daß durch die Macht, die der Staatssekretär der Gefängniß-Dircction in Pentonvillc gegeben, nach 12 — 18monat- licher Prüfung in der Zcllenhaft das weitere Schicksal der Sträflinge in VandiemenSland durch, ciu Gutachten zu bestimmen, dem Richter, der das eigentliche Strafnrthcil gefällt, noch ein zweiter Richter in Gestalt jener Direktion Nachfolge, und zwar ein sehr willkürlicher, eigen¬ mächtiger Strafrichter. „Welche Willkür — rief man in England — welche Ungerechtigkeit! Welcher Heuchelei wird Thür und Thor geöffnet! Auf diese Willkür setzt nun noch der Gouverneur die seinige!" 8 Andere Gründe gegen das System wurden aus dem Zustande der Colonic genommen, welcher immer mehr die Erkenntniß der Unzu¬ lässigkeit der Deportation reifte. Die im Jahre 1849 ernannte Par¬ laments-Commission erklärte sich daher gegen diese letztere und prüfte unter andern auch Capitän Maconochie's Markensystem. Macouochie verlangte, daö Urtheil des Strafrichters sollte nicht auf bestimmte Zeit, sondern auf ein gewisses Quantum Arbeit kanten, das sich durch Marken abschätzen lasse. Die Commission prüfte dieses System sehr genau, erhob aber gegen dasselbe das Bedenken, daß die Arbeitsfähigkeit bei verschiedenen Individuen von Natur sehr verschieden und es überhaupt bedenklich sei, nur den Eigennutz als Motiv der Gefängnißdisciplin hiuzustellen uud nicht die Besserung des Charakters. Wohl aber wurde es für wichtig erkannt, die Sträflinge von strenger Einsamkeit bis zu immer größerer Gemeinschaft fortschreiten zu lassen. Im Jahre 1850 wurde über Sir George Grcy's Motion eine neue Parlaments-Commission zur Erörterung der Gefängnißfrage eingesetzt, welche sich zu Gunsten der Jsolirung der Gefangene», jedoch nut Aus¬ nahme der Stunden der Arbeit, des Gottesdienstes und Unterrichts und mit der weitern Einschränkung auf die Dauer von höchstens zwölf Monaten aussprach. Gesetzlich wurde» diese Verhältnisse durch die Bill von 1853 ge¬ regelt , welche das G rey' sche P r o b a ti o n s sy st e m in nachstehender Weise zur Geltung brachte: „Erstes Stadium: Zellenhnft, aber nicht so sehr zum Zwecke der Besserung, als zu dem der Prüfung. Zweites Stadium: Zwangsarbeit (an Stelle der Deportation) in besonderen Anstalten in England und auf den Inseln des Canals. Drittes Stadium : Bedingte, widerrufliche Begnadigung mittels des Freischeins öl' lauvs." Auch dieses System entsprach den gehegten Erwartungen nicht vollständig. Die Arbeitgeber waren nur schwer dazn zu bringen, diese „Urlaubsmüuucr" in Arbeit zu nehmen; noch einen größer» Abscheu gegen sie bewiesen aber die makellosen, nie bestraft gewesenen Arbeiter. Die Verthcidigcr dieses Systems aber suchten dessen Mißlingen mit der plötzlichen Versetzung der Urlaubsmänner ans der Strafanstalt in das Getriebe der Welt zu entschuldigen und verlangten eine Zwischenanstall, wie sie das inzwischen in nächster Nähe, in Irland, aufgetauchtc sogenannte Jntcrmcdiärsystcm wirklich kannte. §. 5. Bis zum Jahre 1853 waren die Gefängnisse Irlands in sehr vernachlässigtem Zustande. Capitän Cras ton hat den Plan zu einer vollständigen und durchgreifenden Reform derselben vorgelegt, der 1854 Gesetzeskraft erhielt. Mit der Schilderung und Vertheidigung seines, des Intermediär- oder Zw i s ch c n stufe n s y st e m s, beschäftigt sich sehr eindringlich von Holstendorfs („Kritische Untersuchungen über die Grundsätze und Ergebnisse des irischen Strafvollzuges." Berlin 1865). Ohne in Details cinzugehcn, bemerke ich blos, daß dasselbe vier Stadien unterscheidet: „1. Einzelhaft in der Dauer von acht bis 9 neun Monaten mit correctionellem Charakter (um den Gefangenen zum Bewußtsein zu bringen, daß er ein Verbrechen begangen, und auf ihn abschreckend zu wirken); 2. öffentliche Zwangsarbeit mit gemeinsamer Haft von einer zur ganzen Strafzeit proportional bemessenen Dauer und geregelt nach dem Principe progressiver Classification (mit Erthei- lung von Marken und Ehrenzeichen); 3. Zwischcuanstaltcn als nächste Vermittlung des Uebcrganges zur Freiheit — hier erinnert nichts mehr an das Gefängniß; endlich 4. bedingte Freilassung auf Widerruf gegen Urlaubschein und Polizeiaufsicht." Das Vorrücken des Sträflings in Stufe 3 und 4 hat gutes Verhalten desselben zur Voraussetzung. Ordnungswidriges Benehmen zieht Zurückversetzung nach sich. Läßt sich auch eiu vollständiges Urtheil über dieses System noch nicht fällen, so ist doch jedenfalls schon der Umstand beachtenswerth, daß die Zahl der Rückfälle in Irland 11'09 Percent, in England aber 24'3 Percent der aus den Gefängnissen entlassenen Personen beträgt. Auch der neu errichteten Strafanstalt zu Lenzburg in Aargau liegen die Priucipicn des irischen Systems zu Grunde. ß. 6. Von dieser historischen Erörterung der verschiedenen Ge- fängnißsystcmc wenden, wir uns nun au die Betrachtung des jetzigen Zustandes der Gcfängnißfragc, und zwar an der Hand des Altmeisters juristischen Wissens, Gcheimrath Dr. K. I. Mittcrmaier, Pro¬ fessors in Heidelberg. („Der gegenwärtige Zustand der Gcfängnißfragc mit Rücksicht auf die neuesten Leistungen der Gesetzgebung und Erfah¬ rungen über Gcfängnißcinrichtung, mit besonderer Beziehung auf die Einzelhaft." Erlangen 1860.) In der schon so bewährten Form und in Folge der wohlbekannten und doch stets neu anzustannenden unend¬ lichen Belesenheit des berühmten Verfassers enthält auch diese neueste Schrift desselben ein reiches Material, gebaut auf zuverlässige Berichte und briefliche Mitthcilungcn von Gefängnißbeamtcn der verschiedenen Staaten Europa's und Ämerika's. Ihr Ergcbuiß ist — wie die Vor¬ rede sagt — die immer fester gegründete Ucberzeugnng, daß die Einzel¬ haft diejenige Einrichtung ist, bei welcher am sichersten der Zweck der Strafe erreicht und alle Interessen der bürgerlichen Gesellschaft gesichert werden können; daß wenn Einwendungen dagegen angeführt werden, sie nur ans irriger Auffassung des Strafzwcckes und aus Mangel umfassender Kenntnis? der Erfahrungen der verschiedenen Länder stammen; und daß, wenn nicht überall die Versuche der Einzelhaft die gehofften Früchte tragen, die schuld-in den Gesetzgebern, die in Halbheit und Aengstlichkeit ohne die nöthigen Umgestaltungen des Strafgesetzbuches und ohne Beseitigung mancher hindernden Einflüsse die Einzelhaft durchführen wollen, aber auch in den Personen liegt, welche als Ge- fängnißbeamtc oder als überwachende Behörden in den Geist der Einzel¬ haft nicht cingedrungcn sind. 10 Es gereicht gewiß zur höchsten Befriedigung , constatiren zu können, daß die Einzelhaft im practischen Leben immer mehr Anerkennung und Ausdehnung findet. So wurde das revidirte p ortugifische Straf¬ gesetzbuch vollständig auf die Einführung derselben gebaut, im uenen Strafgesetzbuch von Solothurn ist Einzelhaft festgesetzt, in Bern als eigene Strafart anfgesührt. Aargau wurde schon früher erwähnt, in St. Gallen aber ist die Einzelhaft schon längst eingebürgert. Der Entwurf des neuen niederländischen Strafgesetzbuches spricht sich für dieselbe aus, desgleichen die für Revision der Strafgesetzgebung in Bremen niedergesetztc Commission. In Hannover hat das Ministerium deren Einführung den Kammern vorgeschlageu. In Schottland, Belgien, ToSeana bildet die Einzelhaft die ge¬ setzlich festgestcllte Regel. Ebenso sind die Strafanstalten in Malta, C h r i st i a n i a , M o abitbei Berlin, B r u ch s al in Baden, W a chta in Oldenburg nach diesem Principe eingerichtet. Noch wollen wir mit ein paar Worten der neuesten wissenschaft¬ lichen Stimmen gedenken. Behrends in seinen: obgedachtcn Werke ist offenbar gegen die Einzelhaft eingenommen; Christiansen („Recht¬ liche Würdigung." Kiel 1857) spricht sich ganz entschieden gegen sic aus; Tcllkampf („Ussuzw cm luvv ratorm." London 1859) für ein gemischtes System; Ho Itzendorfs („Deportation." 1859) für das irische; zwei Niederländer: Op zoomen („Maurvö bM'vMu," cioor v. lluU 1857), und Nicuwcnhuiö („I)s aurears oaUuInri. 1857) für die Einzelhaft. F. 7. Die Einrichtung der Strafanstalten wird nur dann als gerechtfertigt betrachtet werden können , wenn sie geeignet ist, als Mittel den Zweck der Strafe zu erreichen. Weder die Abschreckung, noch die Wiedervcrgeltnng, noch die Theorie, welche die göttliche Gerechtigkeit auf Erden verwirklichen und die Herrlichkeit des Gesetzes geltend machen, oder Aufhebung des verübten Unrechts oder Entsühnung bewirken will, können zu einer zweckmäßigen Einrichtung der Strafanstalten führen. Nach richtiger Ansicht muß die Strafe als Sauctiou des Gesetzes dem Uebertretcr durch Beraubung van Vorthcilen und Befugnissen, die er sonst genießt, durch vielfache Beschränkungen, die sie auflegt, dem Be¬ straften sein Unrecht und das Leiden, das ihn trifft, als selbstverschul¬ detes fühlen lassen. Dadurch aber, daß das Strafübel in gerechtem Verhältnis; mit der Größe der Verschuldung steht und von jeder Grau¬ samkeit entfernt ist, soll cs im Bestraften das Rechtsgefühl beleben und zugleich bei allen übrigen Bürgern die Wirksamkeit des Strafgesetzes sichern, weil sie die Strafe als eine gerechte erkennen. Die ganze Straf- Vollstreckung aber muß einen sichtlich religiösen, die höhere sittliche Ordnung fördernden Charakter haben, dadurch, daß sie die moralische Umgestaltung des Bestraften bewirken und einen solchen Willen in ihm herbciführen kann, welcher die Achtung vor dem Gesetze und die Scheu vor der Uebertretung bewirkt. 11 Keine Strafe ist in solchem Grade wie die Freiheitsstrafe geeignet, diese Straszwcckc zn erreichen, weil bei ihr eine Theilung der Strafe nach der Dauer möglich ist und die Strafe so eingerichtet werden kann, daß ihre Größe dem Grade der Schuld entspricht, weil bei der Frei¬ heitsstrafe auch nm meisten die Einrichtung nach der Individualität des Bestraften möglich ist. Auch darin, daß diese Strafart nicht mit einem Acte rascher Vollziehung beendigt wird, vielmehr dauernd und nachhaltig wirkt, liegt ein Vorzug der Freiheitsstrafe, weil daun möglich wird, alle Mittel der Besserung in einer geeigneten Entwicklung anzuwendcn. Die Strafanstalten müssen aber verschieden sein für kurzzeitige und für längere, dann für entehrende und nicht entehrende Strafen (Zucht¬ haus und Einschließung). Die größte Schwierigkeit liegt in der großen Ungleichheit der Gefangenen, begründet durch die verschiedenen Motive oft selbst der gleichen Verbrechen, durch die verschiedene Bildungsstufe, den Charakter und das Temperament, die bisherigen LcbcnSverhältnisse, körperliche und geistige Zustände. An die Strafe müssen sich verschiedene Mittel reihen, um deren Zweck vollständig zu erreichen, als: Belehrung durch Besuche und Ein¬ wirkung wohlwollender Menschen, Erziehung, allgemeiner und gewerb¬ licher Unterricht. Hiedurch wird cs gelingen, Besserung zu bewirken (nicht Bekehrung, eben so wie Besserung nicht als einziger Zweck der Strafe zu betrachten ist). Die Besserung, die in der Strafanstalt erzielt werden soll, besteht in der Hervorbringung einer solchen Seelen- stimmung des Sträflings, bei welcher er von der Ucbcrzcngung durch¬ drungen ist, daß der bisher von ihm betretene Weg des Verbrechens zu seinem Verderben führt, daß er aber durch ein gesetzmäßiges Betragen sich Vortheilc erwerben kann, welche ihm nach seiner Freilassung die Mittel sichern, einen ehrlichen Erwerb zn erlangen. Diese Besserung entwickelt im Sträflinge die Selbstachtung und Selbstbeherrschung, die am sichersten vor Gesetzwidrigkeiten bewahren. Sein Geist soll mit so viel nützlichen Kenntnissen und Mitteln geistiger Ausbildung entwickelt werden,° daß er nach seiner Freilassung den Werth eines würdigen Gebens fühlen kann. Die Erfahrung würdiger Gefängnißbeamten lehrt, daß in allen gut eingerichteten Strafanstalten eine große Zahl der Ge¬ fangenen gebessert werden kann und daß man nicht leicht einen Gefan¬ genen als unverbesserlich betrachten darf. Doch ist cs nöthig, daß der Gefangene zu dem Gcfängnißbeamtcn Vertrauen fasse und daß man sich nicht täuschen lasse, indem das gute Betragen im Gefängnisse kein sicherer Beweis der Besserung ist und cs erst einer Versetzung desselben in eine solche Vage bedarf, in welcher der Heuchler entlarvt, der Schwache verführt wird (ähnlich der Zwischcuanstalt des irischen Systems). Es soll nicht geläugnet werden, daß auch in der gemeinsamen Haft unter gewissen Voraussetzungen die Besserung mancher «Sträflinge bewirkt werden kann; doch verdient die Einzelhaft unbedingt den Vorzug. 12 Voraus muß jedoch bemerkt werden, daß die Bestimmung der Vollstreckung der Freiheitsstrafen und der Einrichtung der Strafanstalten keineswegs als Sache der Verwaltung betrachtet, sondern nur im Wege der Gesetzgebung geregelt werden kann. Ist es einerseits gewiß, daß die Einzelhaft, als intensiv empfind¬ liche Strafart, als das beste Mittel der Abschreckung betrachtet wird, so muß doch das Hauptgewicht immer auf den Besserungszwcck gelegt werden. Die hauptsächlichsten Vorzüge der Einzelhaft sind nun folgende: u) Verhinderung verderblichen Einflusses von Seite anderer Mit¬ gefangenen ; ll) Ermöglichung der Behandlung der Gefangenen je nach ihrer Individualität; o) vorzüglich ist nur bei der Einzelhaft eine eigentliche Erziehung zum Zwecke der Besserung, und ci) die rasche Entdeckung der Zeichen beginnender Seclenstörung möglich. Prüft man die Ursachen, welche cs erklären, daß diese Vorzüge in den auf Einzelhaft gebauten Strafanstalten nicht wirksam hervor- treten, so liegen die Ursachen theils in den Einrichtungen und der mangelhaften Durchführung, theils in den Personen, denen die Durch¬ führung obliegt. I. In der erstem Beziehung kann u) nicht verkannt werden, daß ein großer Fehler in dem über¬ haupt in der Gesetzgebung häufig schädlichen Generalisiren liegt, anstatt die nothwcndigen Ausnahmen zu gestatten und hiezu die Gefäugniß- verwaltung zu ermächtigen. b) Nicht minder schädlich wirkt die Benützung alter, zur Noth mit Einzelzellen versehener Gefängnisse, welchen alle nothwendigen Räum¬ lichkeiten re. fehlen. ch Die Einzelhaft ist nicht blos in Anstalten einzuführeu, die zur Verbüßung schwerer Freiheitsstrafen bestimmt sind, weil sonst eben die Mehrzahl der Sträflinge der bessernden Einwirkung entzogen ist. ä) Zu bedauern ist, daß Staatsmänner, beherrscht von den Vor¬ stellungen einer liebgcwordcncn Abschreckuugsthcorie, sich scheuen, die von verständigen Aerzten als uothwendig erkannten Einrichtungen zu gewähren. o) Auf diese Rechnung ist es auch zu setzen, daß man Einrich¬ tungen fortdaucrn läßt, die mit der Erreichung des Zweckes dieser Haftart im Widerspruch stehen. Dahin gehört die Fortdauer des Systems der entehrenden Strafen (nach dem Zeugnisse aller erfahrenen Gefäuguiß- vorständc), der Schärfungen der Zuchthausstrafen, der langen Freiheits¬ strafen , überhaupt die Beibehaltung der alten Strafgesetzbücher, anstatt deren Umarbeitung unter Zugrundelegung des Princips der Einzelhaft. 13 k) Hiehcr gehört auch der Mangel von Anstalten für entlassene Sträflinge und deren Stellung unter Polizeiaufsicht, wodurch ihnen jede Aussicht auf Gründung eines ehrlichen Erwerbes erschwert wird. II. In Rücksicht der Personen ist festzuhalteu, daß nur Jener zu einem Beamten in einer derlei Strafanstalt taugt, der von der Ueber- zeugung durchdrungen ist, daß ohne eine oft mühevolle Erforschung der Individualität jedes Sträflings und eine sorgfältige Einrichtung der Behandlung nach dieser Individualität die Einzelhaft nicht erfolgreich durchgeführt werden kann. Prüft man die in der neuern Zeit gegen den Werth der Einzel¬ haft erhobenen Einwendungen, so ergibt sich: 1. Die vermeintlich aus dem Strafprincipe abgeleitete Einwen¬ dung, daß nämlich diese Strafe nicht so beschaffen sei, daß ihre Ein¬ wirkung auf die Verbrecher im Voraus berechnet werden könne und daß für jedes Individuum die Strafe als gleiches Uebel erscheint, kann mit eben so viel, ja vielleicht noch mehr Grund auch andern Strafarten gegenüber geltend gemacht werden. 2. Man sagt, die Einzelhaft ist im unmittelbaren Widerspruch mit der socialen Natur des Menschen. Aber auch diese Einwendung trifft jede Vollstreckungsart der Freiheitsstrafe. Ferners ist der Ver¬ brecher nur andern Verbrechern gegenüber isolirt, keineswegs aber vom Verkehre mit Menschen ganz ausgeschlossen. 3. Wenn cs auch wahr sein sollte, daß selbst durch die Einzelhaft nicht Alle gebessert werden , so ist doch anzucrkennen , daß diese Strafart mehr als jede andere geeignet ist, Besserung zu bewirken. 4. Theologische Experimente eines Bekehrungswerkes sind nicht nothwendig mit der Einzelhaft verbunden, sondern ein tadelnswerther Mißgriff, der durch eine sorgfältigere Auswahl der Gefängnißbcamten zu vermeiden ist. 5. Die gegen die Einzelhaft erhobene Einwendung ihres angeblich schädlichen Einflusses auf die körperliche Gesundheit der Gefangenen bedürfte erst noch eines genauem Beweises. Die bisherigen statistischen Daten ergeben nach sorgfältiger Vergleichung, daß die Sterblichkeit in Strafanstalten mit Einzelhaft nicht größer ist, als in den ans Gemein- schaftshaft gebauten Anstalten. 6. Eben so ungegründet ist die fortdauernd verbreitete Ansicht, daß die Einzelhaft den Ausbruch von Seelcnstörungcn begünstigt. Der¬ gleichen kommen in allen Gefängnissen vor und cs handelt sich nur darum, die rechten, nothwcndigeu Anordnungen zu treffen. Diese be¬ stehen, daß die Aerzte mit der Psychiatrie genau vertrant und daß die Besuche in den Zellen häufig sind, daß der Aufnahme eine sehr genaue Prüfung vorgeht, und endlich, daß überall, wo sich Zeichen einer Seelenstörung ergeben, die geeigneten Maßregeln zur Heilung unauf¬ gehalten getroffen werden. 14 7. Was dic Rückfälle betrifft, so muß mau sich wohl hüten, Jeden, der bereits einmal bestraft war, als einen Rückfälligen zu be¬ trachten. Nach den Erfahrungen kommen oft Gefangene zum zweiten Male in die Anstalt, die allerdings die durch sie bewirkte Besserung nnd guten Sinn auch in der Freiheit bcibehalten haben, aber in einer ganz andern Richtung einem neuen Fehl unterlegen sind. Die Beobachtungen über die Gemeinschaftshaft ergaben folgende Resultate: u) Sie übt einen verderblichen Einfluß der verdorbenen Sträflinge auf besser gesinnte; l>) dic Absonderung blos zur Nachtzeit ist zwar ein Fortschritt, aber doch eine nnr halbe Maßregel; <-zr -