77 Walter Lukan* Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916). Ein Beitrag zur Sitten- und Sanitätsgeschichte der Isonzofront Vorbemerkung »Ohne Zweifel ist die militärisch organisierte Prostitution eines der dunkel- sten Kapitel des Weltkrieges. Durch sie wurde das Erotische zu einem jeder Ästhetik und jedem menschlichen Reingefühl hohnsprechenden Bedürfnis letzter Sorte herabgewürdigt. Aber solange es Kriege geben wird, wird man sich auch um diese erotische Versumpfung, um diese entsetzlichste Schan- de, mit der jemals der Begriff »Mensch« verunglimpft wurde, nicht drücken können. Die Kriegsprostitution […] ist der ekelerregendste Kompromiss von Militarismus und Geschlechtsnot, die Reglementierung und Rationierung ei- nes urmenschlichen Triebes, der Liebe.« Mit diesem emotionalen und auch etwas überspitzten Urteil versuchte der deutsche Arzt und Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin, Magnus Hirschfeld, in seiner 1930 publizierten Sittengeschichte des Weltkrieges eine Problematik zusam- menzufassen, zu der auch die vorliegende Abhandlung einen Mosaikstein beitragen soll.1 Das, wie gesagt wird, älteste Gewerbe der Welt, spielte, wie Hirschfeld in sei- nem Monumentalwerk in Wort und Bild vor Augen führt, bei allen kriegsführenden Staaten, so auch in der Habsburgermonarchie, eine nicht unwesentliche Rolle, die das Militär keineswegs unterschätzen durfte. Dies gilt für den Frontbereich und ins- besondere auch für die Etappe und das Hinterland. Weil die Prostitution immer eng * dr. Walter Lukan, redni profesor v pokoju, Univerza v Ljubljani, Filozofska fakulteta Oddelek za zgodovino, A-1160 Wien, Roterdstraße 65 1 Hirschfeld, Sittengeschichte, I, S. 333. Necakov_zbornik_FINAL.indd 77 23.1.2018 8:46:51 78 Walter Lukan mit der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten verknüpft war, standen aber für das Militär nicht so sehr moralische und sittliche Bedenken im Vordergrung, als viel- mehr die Gesundheit des Soldaten. Denn ein geschlechtskranker Soldat fehlte an der Front und das, etwa bei schwereren Erkrankungen wie Syphilis, zumindest mehr als zehn Wochen.2 Außerdem war die Behandlung nicht nur zeitintensiv, sondern auch teuer. Es galt die Kampfstärke der Truppen zu erhalten, wobei aber auch die sexuellen Bedürfnise des Soldaten zu berücksichtigen waren, abseits von Moral und Sitte. Es gab zwar vereinzelt Zivil- und Militärärzte, die sich für eine absolute Ent- haltsamkeit der Soldaten aussprachen,3 was aber von militärischer Seite nie ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Der Besuch der Soldaten bei Prostituierten in den Bordellen – in Österreich nannte man sie verbrämt auch »Toleranzhäuser«4 – war für das Militär »ein notwendiges Übel«, das zu tolerieren war.5 Die Sorge der Militär- aber auch der Zivilbehörden, die das Militär zu unterstützen hatten, galt den Vor- kehrungen, die eine allfällige Ansteckung der Soldaten bei Prostituierten durch eine Geschlechtskrankheit weitgehend verhindern sollten. Die Prostituierte wurde dabei als eine die Geschlechtskrankheit aktiv verbreitende Person angesehnen, während der angesteckte Soldat vielfach als Opfer betrachtet wurde. Die Prostituierte wurde aus der Sicht der Militärbehörden zum geduldeten inneren Feind aber auch Freund des Soldaten. Denn trotz der Gefahr, sich mit einer Geschlechtskrankheit anzuste- cken, stellte der Besuch bei Prostituierten für viele Soldaten ein Stückchen Normali- tät im Hinblick auf das eigene, nicht mehr auslebbare Sexualleben dar. Prinzipiell wurde zwischen den sogenannten registrierten und den geheimen Prostituierten unterschieden, wobei man unter letzteren Frauen verstand, die nicht gewerbsmäßig der Prostitution nachgingen und nur gelegentlich in diesen für die Militärbehör- den nur sehr schwer fassbaren Sektor abglitten. Gerade an Fronten, an denen der Stellungskrieg vorherrschte – und die Isonzofront war eine solche Front – gab es auch Militärbordelle in Frontnähe. Das Görzer Toleranzhaus war ein solches. Noch wichtiger aber waren die Bordelle in der Etappe, wobei zwischen Mannschafts- und Offiziersbordellen unterschieden wurde, oder es wurden bestehende Bordelle ent- sprechend unterteilt.6 2 In Österreich-Ungarn – auch an der Isonzofront – hatten die auf Geschlechtskrankheiten spezialisierten Spi- täler im Etappenbereich regelmäßig Bericht zu erstatten, welche Soldaten sich mehr als 6 bzw. mehr als 10 Wochen in Behandlung befanden. Ein Beispiel dafür sind die entsprechenden Berichte des Reservespitals Lu- kavac in Sternthal bei Pettau (Strnišče pri Ptuju) an die 5. Armee. 3 Hirschfeld, Sittengeschichte, I, S. 308ff. 4 Weniger feinfühlige Militär verwendeten aber auch die Begriffe »Feldfreudenhäuser«, »Feldbordelle« oder »Feld puffs«, Bezeichnungen, die auch in militärischen Erlässen aufscheinen. Vgl. Biwald, Von Helden und Krüppeln, Bd. 2, S. 569–570. 5 Wingfield, The Enemy Within, S. 575. Vgl. dazu auch die später angeführte Begründung durch den Komman- danten der Südwestfront, Erzherzog Eugen. 6 Hirschfeld, Sittengeschichte I, S. 305ff. Necakov_zbornik_FINAL.indd 78 23.1.2018 8:46:51 79Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Abb. 1: Informationsheftchen über Geschlechtskrankheiten für Soldaten (Slowenisch, 1915) Das k. u. k. Heer hatte mit den venerischen Erkrankungen bereits in Friedenszeiten zu kämpfen.7 Die besondere Virulenz im Kriege beweist dann eine Vielzahl von Merkblät- tern und Erlässen, die von den Militär- und Zivilbehörden herausgebracht wurden. Ein 7 Biwald, Von Helden und Krüppeln, 2, S. 569. Eine allgemeine Einschätzung der Bekämpfung von venerischen Erkrankungen in der österreichisch-ungarischen Armee bietet Generalstabsarzt Dr. Johann Steiner, im Krieg Sanitätschef des AOK. Vgl. Steiner, Der militärärztliche Dienst, S. 102–103, erschienen im von Clemens Pirquet herausgegebenen Werk Volksgesundheit im Krieg, das in der von der Carnegie-Stiftung finanzierten umfangre- ichen Buchreihe: Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges, und zwar in der Östereichischen und ungarischen Serie, Band 6, publiziert wurde. Necakov_zbornik_FINAL.indd 79 23.1.2018 8:46:51 80 Walter Lukan Beispiel für ein entsprechendes Merkheft, das 1915 in neun Sprachen herausgegeben wurde, zeigt die Abbildung 1.8 Als Ende Mai 1915 durch den Kriegseintritt Italiens die Isonzofront neu eröffnet wurde, gab es zwar schon einzelne Vorschriften, mit denen man versuchte der angesprochenen Problematik Herr zu werden,9 das Gros der ent- sprechenden Bestimmungen setzte aber verstärkt erst ab der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1915 ein, als die Geschlechtskrankheiten im Militärbereich im Ansteigen begrif- fen waren, und ebbte 1917 allmählich ab. Einerseits, weil man das Problemfeld ohnehin schon weitgehend reguliert und damit auch gewisse Erfolge erzielt hatte,10 andererseits aber, weil man einsehen musste, dass das Problem nur begrenzt lösbar war und weitere Bestimmungen, etwa gegen die Geheimprostitution, die man nicht in den Griff bekom- men konnte, keine weiteren ins Gewicht fallenden Erfolge versprachen. Prostitution und Geschlechtskrankheiten an der Isonzofront Wie an allen Fronten, war auch die Italienfront, die sich aus der Isonzofront, der Kärnt- ner Front (reichte bis zum Krn und umfasste damit noch den oberen Lauf des Isonzo) und der Tirolerfront zusammensetzte, zunehmend mit dem Fragenkomplex Prosti- tution und Geschlechtskrankheiten konfrontiert, und zwar weniger der unmittelbare Frontbereich als vielmehr der ausgedehnte Etappenbereich der Armeen. Der Etappen- bereich, der die Isonzofront führenden 5. Armee unter General Svetozar Boroević de Bojna umfasste Nordkroatien, den größten Teil des Küstenlandes, den größten Teil Krains und auch die Untersteiermark. Der nördlich daran anschließende Etappenraum, der die Kärnter Front verteidigenden Armeegruppe Rohr (General Franz Freiherr von Rohr; ab 26. Jänner 1916 in 10. Armee umbenannt) reichte in den nördlichsten Teil des Küstenlandes und Krains hinein, umfasste ganz Kärnten und sogar angrenzende Teile der Obersteiermark. Die wichtigsten Erlässe für die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten im Mi- litärbereich gingen, wie nicht anders zu erwarten, vom Armeeoberkommando (AOK) bzw. von dessen logistischen Abteilung, dem Etappenoberkommando (EOK), ab 1916 Quartiermeisterabteilung (Qu.-Abt.), aus und – mit ihm abgestimmt – vom Kriegs- ministerium (KM, Abteilung 14: Sanität). Sie wurden dann von den Armeen und ihren 8 Die Abb. 1 gibt die Titelseite dieses Heftchen wieder, einer für die Soldaten bestimmten Information über Ge- schlechtskrankheiten, die von der k. u. k. Armee in Deutsch, Ungarisch, Tschechisch, Polnisch, Ruthenisch, Kroa- tisch, Slowenisch, Rumänisch und Italienisch herausgegeben wurde; hier in Slowenisch. (Sammlung Lukan) 9 Z. B. das Merkblatt zur Verhütung der Geschlechtskrankheiten des Militärkommandos Graz vom 22. Sep- tember 1914 (Österreichisches Staatsarchiv /ÖSTA/, Kriegsarchiv /KA/, Militärkommando Graz /MKG/, MA 18305/San. Chef./1914) oder der Erlass des Ministeriums des Innern über die Bekämpfung der Ge- schlechtskrankheiten vom 23. Januar 1915 (ÖSTA, KA, Neue Feldakten /NFA/, Kommando der Südwestfront /Kdo. der SWF/, Rubrik 14/159-5, Karton 487). 10 Das k. u. k. Armeeoberkommando (AOK) stellte dies in April 1917 in einem einschlägigen Erlass fest. Vgl. Anm. 15. Necakov_zbornik_FINAL.indd 80 23.1.2018 8:46:52 81Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) logistischen Abteilungen, den Armeeetappenkommanden (AEK) bzw. Qu.-Abteilun- gen sowie von den untergeordneten Korps und Divisionen in ihrem jeweiligen Front- bereich von den dafür zuständigen Sanitätschefs aller Ebenen umgesetzt. Für die Ison- zo- und Kärntner Front spielte dabei aber auch das in der Zeit von Mai 1915 bis März 1916 und von März bis Ende 1917 übergeordnete Kommando der Südwestfront (Kdo. der SWF), mit Erzherzog Eugen an der Spitze, eine bestimmente Rolle. Eine zusätzli- che ordnende Funktion, insbesondere für den Etappenbereich der Isonzofront (5. AEK/ Qu.-Abt. 5) und der Kärntner Front (Etappengruppenkommando 10/Qu.-Abt. 10), hatte auch das Militärkommando Graz, dessen Wirkungsbereich sich auf die Steier- mark, Krain, das Küstenland und Kärnten erstreckte und desssen Kompetenzen mit dem Kommando der Südwestfront, mit der 5. Armee und der Armeegruppe Rohr (10. Armee) erst abgestimmt werden mussten. Dieselbe Funktion hatte das Militärkom- mando Zagreb für die kroatischen Gebiete des Etappenbereichs der 5. Armee. Dazu kam schließlich noch die Einbindung der zivilen Landesbehörden durch das Militär bei den Maßnahmen, die zur Hintanhaltung der Geschlechtskrankheiten bei den Soldaten, aber auch im zivilen Bereich, ergriffen wurden. Mitgewirkt haben in dieser Hinsicht für den Etappenbereich der 5. Armee die Steiermärkische Statthalterei in Graz, die Lan- desregierung in Laibach (Ljubljana), die Statthalterei in Triest (Trieste, Trst) und die königliche kroatische Regierung in Zagreb. Für den Etappenbereich der Kärntner Front war die Mithilfe der Kärntner Landesregierung gefragt.11 Einschlägige, das Militär un- terstützende Erlässe zur Umsetzung durch die Landesregierungen und Statthaltereien gab aber auch das Ministerium des Innern heraus.12 Die ersten grundlegenden Vorschriften von oben – vom AOK und KM – zum virulenten Problem Prostitution und Geschlechtskrankheiten erhielt die 5. Armee (das 5. AEK) bereits im Juli 1915, und zwar den Erlass des AOK (EOK) über die »Bekämp- fung der Geschlechtskrankheiten bei der Armee im Felde«13 und den Erlass des KM über die »Behandlung der Geschlechtskrankheiten«.14 Weitere, immer detailliertere und einzelne Spezialbereiche des Problems betreffende Erlässe, sollten folgen.15 Das AOK hob in 11 Für die vorliegende Abhandlung wurde vor allem das Aktenmaterial des Wiener Kriegsarchivs, und zwar des KM (Abt. 14), des AOK (EOK bzw. Qu.-Abt.), des Kdos. der SWF, der 5. Armee (5. AEK bzw. Qu.-Abt. des 5. Armeekommandos /AK/ sowie seiner Korps und Divisionen), weiters der Armeegruppe Rohr (10. Armee) sowie der Militärkommanden Graz und Zagreb herangezogen. 12 Eine Sammlung dieser Erlässe des Innenministeriums bis Jänner 1916, die insbesondere auch dem Hinterland galten, in: KA, NFA, Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14-159/5. 13 EOK, Op. Nr. 61381 vom 3. Juli 1915, in: KA, NFA, 5. AEK, Karton 1013, Nr. 22483 vom 8. Juli 1915; aufge- nommen auch in die „Verlautbarungen“ des 5. AEK, 1915/6. 14 KM, Abt. 14, Nr. 11171 vom 22. Juni 1915, in: KA, NFA, 5. AEK, Karton 1012, Nr. 21765 vom 7. Mai 1915. 15 Die wichtigsten dieser weiteren generellen Erlässe des AOK (EOK/Qu.-Abt.): AOK/EOK Nr. 53242 vom 9. Dezember 1915: Maßregeln zur Verhütung der Geschlechtskrankheiten (KA, NFA, 5. AEK, Karton 1067, Nr. 55887/1915; „Verlautbarungen“ des 5. AK, Qu.-Abt., 1916/44); AOK, Q. Op. 44431 vom 18. Juni 1916: Der weitere Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten bei der Armee im Felde (KA, MKG, Karton 397, Rub. 73 -41/4-2; „Verlautbarungen“ des 5. AK (Qu.-Abt.) 1916/90); AOK, Q. Nr. 57770 vom 22. April 1917: Bekämpfung Necakov_zbornik_FINAL.indd 81 23.1.2018 8:46:52 82 Walter Lukan seinem Befehl einleitend hervor, dass die erschreckende Zunahme venerischen Erkran- kungen von sozialhygienisch großer Bedeutung sei und eine energische Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten erfordere, die sich in erster Linie auf eine Verhütung, dann aber auf eine rechtzeitige und hinreichende ärztliche Behandlung der Erkrankten er- strecken müsse.16 Bereits in diesem, aber auch in späteren Erlässen wies das AOK darauf hin, dass die Mehrzahl der venerischen Infektionen im Hinterland und während des tagelangen Transportes der Soldaten an die Front erfolgte und nur ein geringer Teil direkt im Armeebereich. Die Statistiken des EOK auf der Basis der Meldungen der Armeen sprechen von 70–80 % der Ansteckungen im Hinterland.17 Neu eingelang- te Mannschaften aus dem Hinterland sind daher – so das AOK – sogleich auf Ge- schlechtskrankheiten zu untersuchen, um die Provenienz der Erkrankung feststellen zu können. Auch mussten fortan in den wöchentlichen Seuchenrapporten der Armeen die Geschlechtskranken gesondert ausgewiesen werden, getrennt nach den Hauptkrank- heiten Tripper (Gonorrhoe), Weicher Schanker (Ulcus molle) und Syphilis (Lues), um einen statistischen Überblick über die Entwicklung dieses gefährlichen Sektors der Infektionskrankheiten zur Verfügung zu haben. Für die Soldaten sei – so das AOK weiter – zunächst eine gründliche Belehrung über die Gefahren der Ansteckung durch Geschlechtskrankheiten und über diese selbst unumgänglich. Besorgen sollten dies die Kommandanten und die Militärärzte, unter Verwendung entsprechender neu zu ver- fassender Merkblätter. Eine wichtige Rolle fiel auch den Militärgeistlichen zu, die nicht nur durch Stärkung des Patriotismus für die Kampfmoral der Truppe, sondern auch für das religiöse und moralische Leben der Soldaten Sorge zu tragen hatten. Trotzdem gab es, das sei hier nur am Rande vermerkt, auch an der Isonzofront vereinzelt Fälle von Ansteckungen durch Geschlechtskrankheiten, welche die Militärärzte selbst und sogar der Geschlechtskrankheiten (KA, NFA, Kdo. der SWF (II), Karton 630, Rub. 14–46/2). Im Zusammenhang mit dem leztgenannten Erlass des AOK (April 1917), in dem das AOK das Ergebnis des Kampfes gegen die Ge- schlechtskrankheiten bei der Armee im Felde im Allgemeinen als “befriedigend” bezeichnet, gab das Kdo. der Isonzo-Armee (Isa) eine Zusammenfassung aller noch in Kraft stehenden Weisungen des AOK über die Bekäm- pfung der Geschlechtskrankheiten und der darauf fußenden Weisungen der 5. Armee bzw. der Isonzoarmee heraus (Kdo. der Isa (Qu.-Abt.) Q 31432/S.Ch./1917; Beilage zu den „Verlautbarungen“ der Isa, Qu.-Abt., Nr. 88/1917). – Die wichtigsten weiteren Erlässe des KM, Abt. 14: Nr. 27615 vom 9. Dezember 1915: Geschlechtskrankheiten, Bekämpfung (KA, NFA, Kdo. der SWF, Karton 487, Rub. 14–159/3-2); Nr. 17100 vom 14. Juli 1916: Geschle- chtskrankheiten; Massnahmen zur Bekämpfung während des Krieges und bei der Demobilisierung; Behandlung Geschlechtskranker (KA, MKG, Karton 397, Rub. 73– 1/4-3). 16 Die notwendigen Verhütungsmittel – Präservative und sogenannte Tutor-Präparate zum Einschmieren der Geschlechtsorgane – stellte das KM (Abt. 14) den einzelnen Armeen in regelmäßigen Lieferungen und in größerer Menge (meist von 3 bis 5000 Einheiten) zur Verteilung bei den Korps und in den (Sanitäts-)Anstal- ten zur Verfügung. Eine erste Zuweisung von Kondomen erhielt das 5. AEK bereits Mitte September 1915 (KM, Abt. 14, Nr. 21222/1915 – 5. AEK, Karton 1024, Nr. 32459/915) und eine Zuteilung der Tutor-Salbe Anfang Dezember desselben Jahres (KM, Abt. 14, Nr. 29840/1915 - 5. AEK, Nr. 53288/I/1915). Weitere Zuteilungen folgten. 17 Diesen Prozentsatz an Ansteckungen im Hinterland übermittelte im Oktober 1915 auch das 5. AEK dem Kdo. der SWF (KA, NFA, 5. AEK, Karton 1039, Nr. 40237/II, vom 10. Oktober 1915). Vgl. auch Biwald, Von Helden und Krüppeln, 2, S. 569. Necakov_zbornik_FINAL.indd 82 23.1.2018 8:46:52 83Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Feldgeistliche – beispielsweise einen katholischen Feldkuraten – betrafen.18 Das AOK schrieb den Armeen auch vor, und das 5. AEK hielt sich strickt daran, dass kein vene- risch erkrankter Soldat ins Hinterland entlassen werden durfte, allein schon wegen des Schutzes der Familien (Ehefrauen) vor Ansteckung. Außerdem befahl das AOK (EOK) im angeführten Erlass den Armeen, besondere Abteilungen für Geschlechtskranke an bestehenden Militäsanitätsanstalten zu schaffen, unter die Leitung von bewährten Spe- zialisten zu stellen und sie mit den erforderlichen Behelfen (auch Untersuchungsan- stalten) auszustatten. Die 5. Armee, die vom Balkan-Kriegsschauplatz gekommen war, ließ die venerisch Erkrankten zunächst noch im Epidemiespital Bršadin19 und dann in speziellen Abteilungen verschiedener Reservespitäler im Etappenbereich, insbesondere in Laibach (Ljubljana) behandeln, beschloss dann aber bereits im August 1915 das dis- lozierte Reservespital Lukavac, eines der Spitäler des größten Spitalskomplexes der 5. Armee, der sich in Sternthal bei Pettau (Strnišče pri Ptuju) ausbreitete, als »Zentral-Ve- neriespital« der 5. Armee (ab Mai 1917 der Isonzoarmee) einzurichten und in der Folge auszubauen.20 Dem Spital angeschlossen wurde auch eine Untersuchungsstelle für Was- 18 Im Oktober 1915 erkrankte beispielsweise ein Assistenzarzt der Train-Division Nr. 15 an Lues (5. AEK, Karton 1068, Nr. 568371915) und im Mai bzw. September 1917 erkrankten gleich zwei Ärzte der 106. Infanteriedivision, darunter sogar der Divisionsarzt, an Gonorrhoe (5. AK, Qu.-Abt., Karton 1375, Nr. 39703/1915; Karton 1384, Nr. 61935/1915). – Eine venerische Erkrankung ereilte im Juli 1917 auch den Feldkuraten des Feldspitals 1501 in Veldes (Bled). Er wurde ins Reservespital Mladika in Laibach abgeschoben, von wo er ins Offiziersrekonva- leszentenheim Bad Neuhaus bei Cilli (Dobrna pri Celju) in Pflege kam. In einem wurde er dem Landesvertei- digungsministerium zur Verfügung gestellt, das ihn über Antrag des Apostolischen Feldvikariats bei Einstellung aller militärischen Gebühren sofort ins nichtaktive Verhältnis rückversetzte, weil er »das Ansehen und Vertrauen als Seelsorger verwirkt hat und daher von ihm ein gedeihliches Wirken als solcher nicht erwartet werden kann«, wie es in der Begründung lautet (KA, NFA, Kdo. der Isa, Qu.-Abt., Karton 1376, Res. Q. Nr. 42657/IV/1917; Karton 1383, Q. Nr. 58785/1917). Es gab bei der 5. Armee zumindest noch einen weiteren Fall eines venerisch erkrankten Feld- kuraten (Harnröhrentripper), der im Oktober 1916 ebenfall im Offiziersrekonvaleszentenheim in Bad Neuhaus seiner Heilung entgegensah (KA, NFA, 5. AK, Qu.-Abt., Karton 1204, Q. Nr. 71190/1916). 19 Vgl. KA, NFA, 5. AEK, Karton 1029, Nr. 34685/III/1915. Das Epidemiespital Bršadin in Slawonien wechselte dann in den Bereich des 12. Etappenstationskommandos in Ujvidék (Novi Sad). 20 Das Reservespital Lukavac wurde am 16. Juli 1915 in Sternthal (Strnišče) etabliert (5. AEK, Op. Nr. 22679/I/ 1915) und nach der Auflassung der Abteilung für Geschlechtskranke in Laibach im August 1915 (5. AEK, Karton 1018, Nr. 29227/1915) rasch als zentrales Spital für Geschlechtskranke der 5. Armee ausgebaut. Mitte September 1915 hatte es bereits 1000 Betten für Venerische (5. AEK, Karton 1033, Nr. 36965 vom 21. Sep- tember 1915), im August 1916 schon rund 2000 (5. AK, Qu.-Abt., Karton 1189, Nr. 60089 vom 22. August 1916). Kommandant des Spitals, das bald vier Abteilungen mit eigenen Chefärzten hatte, war Regimentsarzt Dr. Adolph Hempt (5. AK, Qu.-Abt., Karton 1176, Q. Nr. 47834 vom 6. Juli 1916), ab 9. April 1917 Stabsarzt Dr. Koloman Barsady (5. AK, Qu.-Abt., Karton 1369, Nr. 28898/1915). Das Spital war sowohl für die Mann- schaft als auch für Offiziere bestimmt, doch nahm ab 1917 auch das Offizeirsspital Mladika in Laibach und vor allem dann das Offiziersrekonvaleszentenheim des 5. AK in Bad Neuhaus bei Cilli (Dobrna pri Celju, die Kommandanten: Stabsarzt Dr. Caesar Kornhäuser und dann Regimentsarzt Dr. Wilhelm Ritter von Buchta) venerisch erkrankte Offiziere auf (5. AK, Qu.-Abt., Karton 1356, Q. Nr. 2719 vom 10. Januar 1917). Nach der 12. Isonzoschlacht wurde das Reservespital Lukavac im Dezember 1917 nach Venetien verlegt, um dort für die (1.) Isonzoarmee als zentrales Veneriespital zu fungieren (KA, NFA, Kdo. der SWF (II), Karton 629, Rub. 14–34/25-2, 14–34/20-4). Dessen Rolle und dessen Baracken in Sternthal übernahm das im Februar 1918 neu angekommene dislozierte Reservespital Sanok. Am 18. März 1918 etabliert, hatte es bereits Ende März 1918 2000 Betten mit 1079 venerisch Kranken (KA, MKG 1918, Karton 550, Rub. 73–10/2, 31/12, 16/6-15, 47/32). Necakov_zbornik_FINAL.indd 83 23.1.2018 8:46:52 84 Walter Lukan sermann’sche Reaktion. Die zentrale Stelle für die Seuchenbekämpfung der 5. Armee (5. AEK/Qu.-Abt.) und damit auch für die Bekämpfung der Geschlechtskranheiten aber war die Salubritätskommision21 (Salko) 5 mit dem Standort Laibach (Ljubljana), die vom sehr fähigen Stabsarzt und Univ.-Dozenten Dr. Viktor K. Russ geführt wurde. Die Salko 5 hatte dann auch die Umsetzung der einschlägigen Erlässe des AOK und des Kdos. der SWF für die 5. Armee vorzubereiten, im Konkreten für das 5. AEK bzw. die Qu.-Abt. des 5. AK und in ihrem Rahmen für den Sanitätschef der 5. Armee, die gemeinsam durch ihre Erlässe, zum Teil kundgetan durch die gedruckten »Verlautbarungen« der Armee, für die Durchführung der Maßnahmen im Armeebereich zu sorgen hatten. 22 Der Sanitätschef der 5. Armee und später der Isonzoarmee war ab August 1915 bis zum Kriegsende der Generalstabsarzt Dr. Nikolaus Thomán. Schließlich schärfte der in Rede stehende AOK- (EOK)-Erlass den Armeen ein, für die strengste Überwachung der eingeschriebenen oder ordentlichen Prostitution (vor allem in den Bordellen) und der schwer fassbaren geheimen Prostitution zu sorgen. Dies sollte im Zusammenwirken der zivilen Behörden (zuständig war die Ortspolizei als politische Behörde I. Instanz) und den Militärbehörden (Etappenstationskomman- dos) erfolgen. Das Kdo. der SWF nahm dann diesen Befehl zum Anlass, um für seinen Bereich (Isonzo-, Kärntner- und Tirolerfront) ein eigenes »Prostitutions-Regulativ« auszuarbeiten (Dokument/Beilage 1). Es trägt das Datum 24. Oktober 1915 und wurde zur Richtschnur, auch im Bereich der 5. Armee – für das 5. AEK, für die Militärkom- manden Graz und Zagreb und für die politischen Landesbehörden dieses Bereiches.23 Mit dem Regulativ, das detailliert vorsieht, wie sich die Prostituierten und ihre Kunden zu verhalten haben und wie die Überwachung der Prostitution vonstatten gehen soll, hatten aber die kirchlichen Behörden im Bereich der Italienfront erwartungsgemäß kei- ne besondere Freude. Der Laibacher Fürstbischof Anton B. Jeglič vermerkte in seinem Tagebuch, nachdem er Kenntnis vom Regulativ erhalten hatte: »Den Soldaten Sexualunterricht! Entsetzlich! – Mir ist eine Anleitung der militärischen Behörden in die Hände gekommen, wie sich Soldaten vor 21 Salubrität ist ein alter Ausdruck für Gesundheit, Heilsamkeit. Zur Rolle der Salubritätskommission – der ober- sten fachhygienischen Instanz einer Armee – vgl. Steiner, Der militärärztliche Dienst, S. 98–99. Vgl. auch Anm. 34. 22 Als Beispiel sei der AOK-Erlass Nr. 53242/1915 über die Maßregeln zur Verhütung der Geschlechtskrank- heiten angeführt, der – von der Salko 5 adaptiert – in den „Verlautbarungen“ der Qu.-Abt. des 5. AK erschien (1916/44). KA, NFA, 5. AK, Qu.-Abt., Karton 1068, Nr. 55887/1915. - Zur Tätigkeit der Salko 5 vgl. den Vortrag, den ihr Präses am 1. Juni 1917 in der k. k. Gesellschaft der Ärzte in Wien gehalten hat: Russ, Die Seu- chenbekämpfung. Dieselbe Funktion wie die Salko 5, hatte für die Kärntner Front die Salko 10 mit dem Standort Villach. Präses war der Stabsarzt Prof. Dr. Hermann Pfeiffer. 23 Kdo. der SWF, Op. Nr. 27538 vom 24. Oktober 1915. KA, NFA, Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14–159/1- 20. Der Erlass lässt sich auch in vielen anderen Beständen aus dem Bereich des Kdos. der SWF finden. Doku- ment/Beilage 1 aus KA, NFA, 5. AEK, Karton 1048, Nr. 44366 vom 10. November 1915 (Die Zahl 1914 auf der ersten Seite der Kopie ist keine Jahreszahl sondern eine Aktenzahl). Necakov_zbornik_FINAL.indd 84 23.1.2018 8:46:52 85Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Geschlechtskrankheiten schützen sollen. Die Vorschrift sagt: Die Soldaten sollen darauf aufmerksam gemacht werden, dass der Verkehr cum meretribus [mit Huren] immer gefährlich ist. Dann wird ihnen aber genau erklärt, wie man das Geschlechtsorgan einzuschmieren und zu reinigen hat, um eine An- steckung durch Syphilis zu verhindern. Es werden ihnen ein besonderes Mittel und auch andere Sachen vorgeschrieben. Auch wird gesagt, dass die mere- trix [die Dirne] verschiedene präservative Mittel haben muß und wie sie sich selbst einzuschmieren und zu reinigen hat. Diese Vorschrift muß den Soldaten alle vierzehn Tage eingeschärft werden. Das ist grauenhaft! Was wird mit dem Sexualleben nach dem Krieg! Was für ein Unterricht wird sich in allen Ländern verbreiten! Da wird ja jedes Schamgefühl schwinden, das Bewusstsein der Südhaftigkeit abgestupft, eine Beleidigung Gottes!«24 Während es aber Jeglič bei einer Eintragung ins Tagebuch beließ, wandte sich der Bri- xener Fürstbischof Dr. Franz Egger am 4. Jänner 1916 mit einem Protestschreiben gegen das »Prostitutions-Regulativ«25 an Erzherzog Eugen, den Kommandanten der Südwestfront. Er, Egger, sei zwar überzeugt, »daß der Herausgabe dieser Verordnung nur die gute Absicht zugrunde lag, die Militärpersonen vor der Gefahr des geschlechtlichen Verkehrs mit Prosti- tuierten zu warnen und die verderblichen Folgen möglichst hintanzuhalten, ohne daß derartiger Verkehr gutgeheißen oder gar gefördert werden solle«. Dennoch, so Egger, sei diese Maßnahme »objektiv unmoralisch« mit sittlichen Folgen, nicht nur für die Soldaten, sondern für »das ganze Volk«. Insbesondere die im Regulativ enthaltenen Anleitungen für die Soldaten und die Prostituierten seien »so hochgradig unsittlich, daß man sie in anständiger Gesellschaft gar nicht verlesen, noch viel weniger er- klären könnte«. Ein derartiger Unterricht sei »eine förmliche Verführung zur Unzucht und hört nicht auf eine solche zu sein, auch wenn er auf noch so hohen Befehl hin und durch Amtspersonen ausgeführt wird«. Egger weiter: »Eine solche unmoralische und das christliche Sittengesetz verbotene Auf- klärung kann ein christlicher Arzt ohne Verletzung seiner heiligsten Gewis- senspflicht unmöglich erteilen, wie ja gerade auch von dieser Seite aus bei mir als Diözesanhirten wegen Verletzung der Gewissensfreiheit Klage geführt worden ist«. 24 Otrin und Rehar (Hg.), Jegličev dnevnik, S. 657 (Eintragung vom 13. Februar 1916). 25 Fürstbischof Egger hatte eine Abschrift des Regulativs vom Stationskomanndo Innsbruck (E. Nr. 3196 St. K.) in die Hände bekommen. Siehe die folgende Anm. Necakov_zbornik_FINAL.indd 85 23.1.2018 8:46:52 86 Walter Lukan Das Regulativ würde aber auch auf die noch unverdorbene Landbevölkerung negative Auswirkungen haben und dadurch auch »zur Schwächung der militärischen Tüchtigkeit des Volkes beitragen«. Priester und angesehene Laien seien bei ihm vorstellig geworden, gegen das »Prostitutions-Regulativ« Stellung zu beziehen. Daher wende er sich ver- trauensvoll an die »Kaiserliche Hoheit«, die noch am ehesten im Stande sein werden, den Erlass »wenn nicht ganz rückgängig zu machen, so doch in der Durchführung möglichst zu mildern und abzuschwächen«. Die eine Woche später erfolgte Antwort Erzherzog Eugens war zwar im Ton ver- bindlich aber in der Sache kompromisslos. Derartige Vorschriften seien kein Novum und seien auch schon im Frieden von »allen Behörden« erlassen worden. Das Regulativ sei nur »eine den besonderen Umständen angemessene Verschärfung«, veranlasst durch die »sehr betrübliche, aber amtliche Tatsache, daß die Geschlechtskrankheiten in einer Weise in das Heer Eingang fanden, die die verantwortlichen Stellen mit größter Besorgnis erfüllen mußte«. Obwohl Offiziere, Ärzte und Seelsorger in Belehrungen und Ermahnungen wetteifer- ten, sei der Erfolg ausgeblieben und die venerischen Erkrankungen weiter angestiegen. Handeln war daher erforderlich. Eugen führt dazu aus: »Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Nervenanspannung und physische Bean- spruchung des Mannes in der Front in einem gewissen Zusammenhang mit dem sexuellen Bedürfnis steht und daß der Macht dieses elementaren Trie- bes gegenüber die Hemmungen sittlich-religiöser Art vielfach versagen. Dem Kmdo. der SWFront blieb also angesichts dieser unleugbaren Tatsachen kein anderer Weg übrig, als entweder sich ihnen zu verschließen und den Seuchen freie Bahn zu geben oder aber durch Anwendung vorbeugender, strenger, das Sittlichkeitsgefühl möglichst schonender Mittel, nicht nur seine braven Sol- daten vor Schaden an Leib und Leben zu bewahren, sondern auch Land und Leute vor diesen Übeln und seinen Folgen zu schützen.« Letzterem diene das Regulativ. Der Kommandant der Südwestfront schließt: »Da- rum, Fürstbischöfliche Gnaden, soll nichts unversucht bleiben, um dem schwergeprüften Lande diese Heimsuchung zu ersparen«. Gleichzeitig versucht Eugen den Bischof zu beruhigen, indem er ihm versichert, dass das Regulativ selbstverstädlich nicht zur all- gemeinen Veröffentlichung vorgesehen, sondern nur für die politischen und Militär- behörden bestimmt sei und nur jene Personen erreichen soll, die es betrifft und die es zu überwachen haben.26 26 KA, NFA, Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14–159/4: Originalschreiben des Fürstbischofs, mit beigele- gtem Prostitutions-Regulativ und Antwortschreiben Erzherzog Eugens (Res 1783 vom 11. Januar 1916 /im Konzept/), das an den Fürstbischof und in Abschrift an das Landesverteidigungskommando Tirol sowie an das AOK geschickt wurde. Necakov_zbornik_FINAL.indd 86 23.1.2018 8:46:52 87Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Die 5. Armee und ihre zuständigen Organe (Sanitätschef, Salko 5) versuchten auf der Basis der AOK- und Kdo. der SWF-Vorschriften zunächst die öffentliche Prosti- tution in den Griff zu bekommen, indem sie der Sittenpolizei bei der Aufsicht über die Bordelle eigene militärische Kontrollorgane zur Seite stellten. Für das zentrale Tole- ranzhaus in Laibach (Glockengasse/Zvonarska ulica 11 und 13) wurde im Einverneh- men mit der Laibacher Polizeidirektion ein sogenannter »Permanenz-Sanitätsdienst« eingeführt, der, nachdem er sehr günstige Resultate gezeitigt hatte, im Juli 1916 für alle Bordelle des Armeebereichs angeordnet wurde.27 Die Besucher des Bordells wurden angehalten, sich vor Verlassen des Hauses einer sanitären Kontrolle und einer Desin- fektion zu unterziehen. Vorgenommen wurde dies in einem entsprechend adaptierten Zimmer, in einer »prophylaktischen Station«, von einem eingeschulten Sanitätsunter- offizier, der zu den Betriebsstunden des Hauses, das war in Laibach von 16.00 Uhr nachmittags bis 4.00 Uhr früh, dort seinen Dienst versah. Er hatte den Auftrag, alle als geschlechtskrank verdächtig befundenen Personen der militärärztlichen Behandlung zuzuführen. Die Kosten für die Desinfektionsmittel (12 Kronen pro Tag) aber hatte das Haus zu tragen. Es hatte sich jede Militärperson dieser Prozedur zu unterziehen, also nicht nur die Mannschaften, sondern auch die Offiziere. Aus den Berichten des für die Überwachung des Toleranzhauses zuständigen Polizeiarztes der Polizeidirektion in Laibach, des Oberarztes Dr. Bogdan Derč, ist ersichtlich, dass sich die Mannschaften vollzählig der Desinfektion und Kontrolle unterzogen, von den Offizieren aber anfänglich nicht einmal die Hälfte. Erst all- mählich ließen sich auch die Offiziere bis auf ganz wenige Ausnahmen desinfizieren. Beispielhaft herausgegriffen aus den regelmäßigen Berichten des Laibacher Polizei- arztes seien die Besucherzahlen des Toleranzhauses im Zeitraum vom 15. Juli bis 15. August 1916. Das Bordell zählte in diesem Abschnitt eines Monats insgesamt 5282 Besucher: 890 Offiziere, 2789 Mannschaften und 1603 Zivilisten. Davon unterzo- gen sich nur 308 Offiziere, von der Mannschaft alle und von den Zivilisten 558 der Desinfektion. Der diensttuende Unteroffizier hatte in dieser Zeit lediglich bei vier Besuchern Erkrankungen konstatieren können. Der Polizeiarzt führt noch an, dass nur 15 Prostituierte diesen Ansturm bewältigen mussten und eine Prostituierte somit am Tag 11,5 Besucher zu betreuen hatte. Es sei aber schwer einen Ersatz für eine aus Krankheitsgründen entfernte Prostituierte zu bekommen.28 Ab Ende August 1916 mussten sich übrigens laut Vorschrift der Polizeidirektion in Laibach, unter Andro- hung von Geldstafe oder Arrest, auch die zivilen Besucher des Laibacher Bordells in 27 5. AK, Qu.-Abt. Res. Q. Nr. 52044/1916, in: KA, NFA, 9. Infanteriedivision (ID), Karton 565, Res. 1659/1916. 28 KA, NFA, 5. AK, Qu.-Abt., Karton 1193, Q. Nr. 63199/1916. Aus den Polizeiarzt-Berichten über das Laiba- cher Bordell für den Zeitraum Jänner bis Juni 1917 ist ersichtlich, das die monatliche Besucherzahl in etwa 4500 bis 5000 betrug und dass sich, bis auf wenige Ausnahmen bei den Offizieren, alle – auch alle Zivilisten – vom Permanenzdienst desinfizieren ließen. Der Tagesstand der Prostituierten erhöhte sich auf 19 bis 20. KA, NFA, 5. AK, Qu.-Abt., Karton 1362, Q. Nr. 1281/1917; Kdo. der Isa, Qu.-Abt., Karton 1365, Nr. 18919/1917. Necakov_zbornik_FINAL.indd 87 23.1.2018 8:46:52 88 Walter Lukan dessen »prophylaktischer Station« der Kontrolle und Desinfektion unterziehen (siehe Dokument/Beilage 2).29 Überhaupt wurde Klage geführt – vom Sanitätschef Dr. Thomán, über den Primarius des Laibacher Landesspitals Dr. Vinko Gregorič bis hin zu Fürstbischof Jeglič30 – dass der Krieg mit Italien gerade in Laibach zu einem beträchlichen Zustrom von Prosti- tuierten, meist allerdings Geheimprostituierten, geführt hat, vor allem wegen der vielen militärischen Einheiten und Anstalten der 5. Armee, die in der Krainer Metropole ihren Standort hatten. Auch das Laibacher Toleranzhaus hatte somit eine zentrale Lage und dadurch einige Bedeutung. Es war ein großes, aber bei weitem nicht das einzige Bordell im Armeebereich. Freudenhäuser für das Militär und die Zivilen gab es auch in Marburg (Maribor), Cilli (Celje), Pettau (Ptuj) und, wie noch zu schildern sein wird, in Görz (Gori- zia, Gorica).31 Bei weitem die meisten Bordelle zählte aber Triest, das vor allem auf die Of- fiziere eine große Anziehungskraft ausübte, sofern es ihnen gelang, sich für kürzere Zeit der nicht weit entfernten Front zu entziehen. Einem Bericht des nach Triest entsandten Konziliararztes der Qu.-Abt. der 5. Armee, Regimentsarzt Dozent Dr. Walther Pick, aus dem Februar 1917 ist zu entnehemen, dass es in Triest zu diesem Zeitpunkt nicht weniger als 32 Bordelle gab, wenngleich einzelne davon wegen ihrer Kleinheit den Namen nicht verdienten. Die Probleme der sanitätspolizeilichen Kontrolle waren dementsprechend groß, weil obendrein der in Laibach funktionierende »Permanenz-Sanitätsdienst« wegen der Vielzahl der Bordelle nicht eingeführt wurde.32 Trotzdem gelang es auch hier, ebenso wie im übrigen Armeebereich, die öffentliche Prostitution relativ rasch in den Griff zu bekommen, weil man »über die notwendigen Machtmittel« verfügte, wie der Präses der Salko 5, Dozent Russ, rückblickend resumierte.33 Die obligatorische Untersuchung der 29 Ein Exemplar der Vorschrift in: KA, NFA, Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14-159/1-27: Bericht der k. k. Landesregierung für Krain vom 30. November 1916 zum Thema Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, mit der beigelegten Vorschrift Nr. 598/3 von 1916. 30 KA, NFA, 5. AEK, Karton 991, Op. Nr. 31893 vom 20. September 1915; Otrin und Rehar (Hg.), Jegličev dnev- nik, S. 640: Eintragung vom 20. Oktober 1915. 31 Über die Prostitution in der Untersteiermark - über die registrierte und die geheime - gibt es einen Bericht der Haupt-K-Stelle Graz aus dem Februar 1916, der vom MKG dem Kdo. der SWF übermittelt wurde. Daraus ist ersichtlich, dass es in Marburg zwei Bordelle gab, eines in der Sackgasse 5 für Offiziere und Mannschaft und 9 Prostituierten, und ein zweites im Seitzerhof für Offiziere, mit 10 Mädchen. In Pettau gab es ein Freudenhaus in der Ringstraße 7, mit vier Mädchen und in Cilli ein großes Bordell für Offiziere und Mannschft und 25 Prostituierten in der Gisellastraße 20. KA, NFA, Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14-159/14. 32 Bericht über die Erhebungen betreffend die geschlechtlichen Infektionen und Infektionsquellen in Triest, 24. Februar 1917. Dem Bericht ist eine Liste der Bordelle mit Adresse, Zahl der Zimmer und Zahl der Prostitu- ierten beigeschlossen. Es gab auch Etablissements mit nur einer Prostituierten. Deshalb schlug Dr. Pick vor, einzelne kleinere Häuser zusammenzulegen, damit nur 20 Bordelle übrigbleiben. Das bekannteste Freudenhaus trug den Namen “Herzog” und befand sich in der Via del Sale 8. Es hatte 10 Zimmer und 9 Freudenmädchen. Das größte Bordell nannte sich “Goldener Schlüssel” (Via Solitaris 6) und verfügte über 15 Zimmer und 12 Prostituierte. KA, NFA, 5. AK (Qu.-Abt.), Karton 1362, Res. Q. 13858/S.Ch. vom 20. März 1917. Zum Bordell “Herzog” vgl. auch KA, NFA, 23. Korps, Karton 2311, Res. 320, 400 und 404/1917. 33 Russ, Die Seuchenbekämpfung, S. 1530. Necakov_zbornik_FINAL.indd 88 23.1.2018 8:46:52 89Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Prostituierten sowie die postinfektionelle Prophylaxe dieser Bordellinsassinen und in den meisten Bordellen auch die obligatorische Kontrolle der Bordellbesucher, boten schließ- lich genügend Garantien gegen eine weitere Verbreitung der Venerie, zumal diese Maß- nahmen durch die Überwachung der nicht »kasernierten« Prostituierten und die Ein- schränkung der Einzelbequartierung angemeldeter Prostituierter ergänzt wurden.34 Ein eigenes Prostituiertenspital für den Bereich der 5. Armee – an der Ostfront gab es solche Anstalten – wurde zwar für die Standorte Triest35 und Vigaun bei Radmannsdorf (Begunje pri Radovljici), wo sich eine »Weiberstrafanstalt« befand, angedacht,36 aber nie realisiert. Wohl aber gab es in Laibach (Landeskrankenhaus), in Triest (Städtisches Spital) und auch in den Spitälern in Marburg, Cilli, Pettau, Rann (Brežice), Trifail (Trbovlje) und Windischgraz (Slovenj Gradec) Abteilungen für weibliche Geschlechtskranke.37 Das viel größere, für das Militär nur begrenzt löbare Problem, war die Geheimprostitu- tion. Um ihr Herr zu werden, setzte das Kdo. der SWF zuerst durch, dass die Zivilärzte verpflichtet wurden, die bei ihnen in Behandlung stehenden geschlechtskranken Mili- tärpersonen – auch Offiziere – anzuzeigen. Außerdem wurde den Zivilärzten untersagt, diese selbst zu behandeln. Gleichzeitig wurde auch den Militärpersonen verboten, sich von Zivilärzten behandeln zu lassen.38 Dafür waren, gerade auch wegen der Kontrol- le, die oben erwähnten Sanitätsanstalten zuständig. Diese Maßnahme zeitigte, wie aus den Berichten der Militär- und Zivilbehörden ersichtlich, gewisse Erfolge. Außerdem wurden Gaststäten, Hotels und andere Lokale, in denen man Geheimprostitution ver- mutete, verstärkt von der Sittenpolizei überwacht und unangemeldete Razzien vorge- nommen. Auch das ergab Teilerfolge. Schließlich wurde mit jedem Soldaten, der sich eine Geschlechtskrankheit einfing, ein verpflichtendes Protokoll aufgenommen, aus dem ersichtlich sein sollte, wo und bei welcher »Weibsperson« er sich die Ansteckung ge- holt hatte, damit diese einer militärärztlichen Untersuchung zugeführt und - wenn tat- sächlich krank – aus dem Verkehr gezogen werden konnte (Dokument/Beilage 3 ist ein Beispiel eines derartigen Protokolls).39 Doch gerade diese Abwehrmaßnahme hatte nur 34 Vgl. Doerr, Die Salubritätskommissionen, S. 779. 35 KA, NFA, 5. AK (Qu.-Abt.), Karton 1178, Q. Nr. 49545/I/1916; Karton 1371, Q. Nr. 31432/X, vom 5. Juli 1917. 36 KA, NFA, Kdo. der Isa, Qu.-Abt. Karton 1379/I/S.Ch., vom 10. Juli 1917. 37 Kdo. der Isa, Q. Nr. 31432/S.Ch./1917, Beilage zu den „Verlautbarungen“ der Isa 1917/88. 38 KA, Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14-159/1-25 bis 31; KA, NFA, 5. AEK, Karton 991, Op. Nr. 31893 vom 20. September 1915. 39 Der Akt des Sanitätschefs des 24. Korps, aus dem das gezeigte Protokoll (in schlechtem Deutsch) entnommen ist, trägt den Titel »Venerische Erkrankungen – Ansteckung durch hausierende Weibsperson«. Auch in diesem Fall halfen die Angaben des Soldaten bei der Ausforschung der Geheimprostituierten nicht weiter. Der im Protokoll genannte Ort Podlahka (richtig: Podlaka) liegt westlich von Čepovan. Im Raum Čepovan lag auch die Mobile Krankenhaltstation 2/16, in der das Protokoll aufgenommen wurde. KA, NFA, 24. Korps, San.Chef, Karton 3333, San. Nr. 1278 vom 30. Juli 1917. In den Beständen der beiden angesprochenen Armeebereiche gibt es eine Vielzahl solcher Protokolle. Necakov_zbornik_FINAL.indd 89 23.1.2018 8:46:52 90 Walter Lukan sehr begrenzten Erfolg. Eiserseits waren die Angaben der Soldaten oft sehr ungenau und daher kaum verwertbar, und andererseits waren sie nicht selten sogar falsch und belaste- ten Frauen, die gar nicht geschlechtskrank waren. Neben vielen anderen Fällen soll hier als Beispiel ein aktenkundlicher Fall angeführt werden, der sich im Abschnitts IV der 10. Armee ereignete. Da beschuldigte ein Soldat ein Mädchen aus Mittelbreth (Srednji Log pod Mangartom), Ursache seiner Geschlechtskrankheit zu sein. Bei der militärärztlichen Kontrolle des Mädchens stellte sich allerdings heraus, dass es gesund war.40 Das AOK, das Kdo. der SWF und die zuständigen Organe der 5. Armee waren – wohl nur mit begrenztem Erfolg – bestrebt, den Frauen, die meist aus sozialen Gründen die geheime Prostitution wählten, davon zu überzeugen, sich registrieren zu lassen und legal zu arbeiten. Als Beispiel für solch einen Versuch mag das kleine Städtchen Idria (Idrija) in Krain dienen, das nicht allzuweit von der Front entfernt und daher vom Militär stark frequentiert war. Hier blühte die Geheimprostitution und ein konkreter Fall einer venerischen Erkrankung einer Feldwebels im März 1917 wurde von dem dort zustän- digen Gendarmeriekommandanten Dr. J. Rohm zum Anlass genommen, der Geheim- prostitution durch eine »Reglementierung der Prostitution in Idria«, und zwar durch eine Überführung von aufgedeckten Geheimprostituierten in eine öffentliche Form der Pros- titution, einzudämmen.41 Die Vorstehung der Stadtgemeinde unterstützte ihn dabei und war bereit, dafür einen Raum im Gemeindeamt zur Verfügung zu stellen. Dr. Rohm be- gründete seinen Vorschlag mit den gesundheitlichen Gefahren für das Militär und wies dabei auch auf die Ursachen der Geheimprostitution in Idria hin. Nach seiner Meinung geben sich 90% aller hiebei in Betracht kommenden Frauenspersonen infolge Mangels an Erwerbsmöglichkeit der Prostitution hin. Denn ihre nahezu einzige Verdienstmög- lichkeit liege, abgesehen von Zufallsverdiensten, im Klöppeln. Doch damit verdienen die Frauen bei größtem Fleiß höchstens eine Krone pro Tag. Wen mag es daher wundern, »wenn ein Mädchen, die letzten Bedenken über Bord wirft und das Angebot, wie es exempli causa am 7. d. M. von einem Feldwebel einer hier auf Reta- blierung befindlichen Formation, einer Kellnerin eines hiesigen Gasthauses gestellt wurde, ihre Hingabe mit 20 K zu honorieren, angenommen wird.«42 40 Das ereignete sich im August 1916. Der Soldat gehörte dem Bos. herz. Inft. Reg. Nr. 4, 2. Feldkompagnie, an. KA, NFA, 93. ID, Karton 4008, Mappe C. - Gleich mehrere derartige Fälle von falschen Angaben der Soldaten (oder auch von falschen Anzeigen), diesmal für Triest, schildert ein Bericht der Statthalterei von Triest vom 22. Dezember 1916. Ein Soldat hatte sogar seine Geliebte als Infektionsquelle angegeben, die aber als gesund be- funden wurde. Der Bericht erwähnt auch, dass es bei 125 einschlägigen Fällen (Anzeigen) nur 8 Mal gelungen ist, die Infektionsquelle einwandfrei nachzuweisen und die Prostituierte einer Spitalsbehandlung zuzuführen. In 37 Fällen war die Person gesund und in 80 Fällen konnte wegen der ungenauen Angaben überhaupt nichts eruiert werden. KA, NFA, Kdo. der SWF, Karton 487, Rub. 14-159/1-31. 41 KA, NFA, 5. AK (Qu.-Abt.), Nr. 24855/1917. 42 Ebenda. Aus dem Schreiben Rohms (Gendarmerieabschnittskdo. II) vom 10. März 1917 an den Feldgendar- merie-Stabsoffizier des 5. AK. Necakov_zbornik_FINAL.indd 90 23.1.2018 8:46:52 91Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Rohms Initiative, die mit der Begründung des Feldgendarmerie-Offiziers der 5. Armee – die Geheimprostitition könne nur durch öffentliche Prostitution bekämpft werden – der Qu.-Abt. der 5. Armee zur Entscheidung weitergeleitet wurde, fand bei dieser of- fene Ohren.43 Inwieweit sie dann von Erfolg gekrönt war, ist allerdings nicht überliefert. Auf ein Problemfeld, dem gerade im Breich der 5. Armee besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde, darf nicht vergessen werden. Es gab immer wieder Soldaten, die sich ganz bewusst von einer geschlechtskranken Frauensperson anstecken ließen, nur um den tödlichen Gefahren der Front zumindest für ein paar Wochen und wenn es gelingt, auch für länger oder ganz zu entkommen.44 Außerdem gab es ein von den militärischen Behörden argwöhnisch beobachtetes Phänomen, nämlich die Vortäuschung von Ge- schlechtskrankheiten, die den gleichen Zweck verfolgte. Um dieser die Kampfkraft und die Moral der Truppe bedrohenden Erscheinung vorzubeugen, gab das AOK im Jahre 1916 gleich zwei spezielle Erlässe heraus. Einerseits um die Ärzte über die verschie- denen Arten dieser Form der Selbstbeschädigung zu informieren (es gab auch noch viele andere Formen der Selbstbeschädigung), andererseits aber auch, um den Soldaten durch die Kommandanten die Schwere ihres Vergehens vor Augen zu führen, das aufs strengste, selbst standrechtlich mit dem Tode bestraft werden konnte.45 Generell kann man sagen, dass die Maßnahmen der Militärbehörden zur Eindämmung der Venerie bei den Militärpersonen durchaus erfolgreich waren. Auch die Entwicklung der Zahlen der geschlechtskranken Militärpersonen im Bereich der 5. Armee weist in diese Richtung. Nahm die Zahl der Erkrankten in der zweiten Hälfte des Jahres 1915 noch merklich zu – daher auch die verstärkte Reglementierung – so stagnierte sie im Jahre 1916 und nahm dann, wie eine vom Präses der Salko 5, Dr. Russ, ausgearbeitete Graphik aus dem Juni 1917 zeigt,46 sogar geringfügig ab. 43 Im am 10. April 1917 erfolgten und vom Sanitätschef Dr. Thomán vorbereiteten Befehl zur Umsetzung dieses Plans wurde das Gendarmeriekdo. gleichzeitig auf die einschlägigen Erlässe des AOK, des 5. AK und insbeson- dere auf das »Prostitutions-Regulativ« hingewiesen, das auch nach Idria mitgesandt wurde. 44 Z. B. KA, NFA, 5. AEK, Nr. 37764/1915; „Verlautbarungen“ des 5. AK 1915/19. Auch dem oben zitierten Akt über die Geheimprostitution in Idria liegt ein Bericht der Feldgendarmerieabteilung des 5. AK aus dem März 1917 bei, in dem von gehäufigen Fällen solcher absichtlich herbeigeführter Ansteckungen bei Prostituierten in Triest berichtet wird. 45 AOK, Q. Op. Nr. 24227 vom 8. März 1916: Selbstbeschädigung durch absichtliche Hervorrufung von Harn- blasenentzündungen (Ka, NFA, Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14-159/21); AOK, Q. Op., Nr. 105479 vom 20. August 1916: Vortäuschung von Geschlechtskrankheiten durch Selbstbeschädigung, mit der Beilage: Schilderung der bekanntesten Formen künstlicher Geschlechtskrankheiten nach den Erfahrungen bei der 5. Armee (Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14-159/28). 46 Russ, Die Seuchenbekämpfung, S. 1530. Die Graphik zeigt, dass die schwerste dieser venerischen Erkrankungen, nämlich Syphilis, im ersten Halbjahr 1917 stark abnahm (was auch durch andere Berichte bestätigt wird), wäh- rend die Fälle von Tripper und Weichem Schanker nahezu gleich blieben. Necakov_zbornik_FINAL.indd 91 23.1.2018 8:46:53 92 Walter Lukan Zum Abschluss des Kapitels dazu noch ein paar ausgewählte konkrete Zahlen.47 Be- trug die Zahl der Zugänge an venerisch Erkrankten im Bereich der 5. Armee im Zeit- raum von 4. Juli bis 31. Juli 1915 gerade 454 (216 Tripper, 90 Weicher Schanker 148 Syphilis), so stieg die Zahl der Zugänge vom 1. August bis 4. September 1915 um 1376 (761/263/352) und in der Zeit vom 5. September bis 2. Oktober 1915 um weitere 1258 (587/292/380). Dies ist aus einer Statistik ersichtlich, die das 5. AEK für das Kdo. der SWF erstellte.48 Aus den Zahlen, welche die 5. Armee im Zeitraum Dezember 1915 bis März 1916 wöchentlich an das übergeordnete Kommando schickte,49 lässt sich dann fest- stellen, dass sich der wöchentliche Zuwachs der venerisch Kranken mit Schwankungen auf etwa 250 bis 300 einpendelte. Die Zahl der Genesen war, ebenfalls mit Schwankun- gen, in etwa gleich groß, sodaß sich die Zahl der in Spitalsbehandlung Stehenden im Laufe der Monate nur wenig veränderte. So befanden sich am 25. Dezember 1915 insge- samt 1910 Militärpersonen in Spitalsbehandlung (1035 Tripper, 574 Weicher Schanker, 301 Syphilis) und am 11. März 1916, also nicht ganz drei Monate später, betrug diese Zahl 1950 Militärpersonen (893/577/480). Das entsprach so ungefähr der Bettenzahl im zentralen Veneriespital Lukavac.50 Welchen Stellenwert die venerischen Erkrankungen im Rahmen aller Infektionskrankheiten hatten, lässt sich sehr gut aus den Vergleichs- zahlen für Bauchtyphus und Ruhr (zusammengezogen) in diesem Zeitraum ablesen. Die Zahl der an diesen Krankheiten leidenden und in Spitalbehandlung befindlichen Militär- personen war am Beginn des Zeitraums, also Ende Dezember 1915, sogar etwas niedriger (1705) als jene der venerisch Erkrankten und sank dann bis zum Ende des Zeitraums, bis Mitte März 1916, noch etwas stärker ab (auf 968). Die zur Verfügung stehenden Zahlen für venerische Neuerkrankungen im Bereich der Isonzoarmee in der zweiten Jahreshälfte 1917 belegen die bereits oben erwähnte leicht sinkende Tendenz.51 Ärgernisse im Görzer »Toleranzhaus« Aus den Erinnerungen des in Görz politisch und beruflich tätigen slowenischen Sozial- demokraten Henrik Tuma erfahren wir, dass das Bordell in dieser Stadt bereits vor dem 47 Eine genauere statistische Übersicht bleibt meinem in Arbeit stehenden Buchprojekt über die Sanität der Ison- zofront vorbehalten. 48 KA, NFA, 5. AEK, Karton 1039, Nr. 40237/II vom 10. Oktober 1915. 49 KA, NFA, Kdo. der SWF (I), Karton 487, Rub. 14-159/2-2 bis 2-11. 50 Vgl. Anm. 20. 51 KA, NFA, Kdo. der 2. Isa, Karton 25 (Seuchenwochenrapporte der Salko 5, 30. September – 15. Dezember 1917). Das AOK spricht in seinem Erlass vom 22. April 1917 (Q. Nr. 57770: Bekämpfung der Geschlechtskrank heiten) bezüglich der venerischen Erkrankungen bei der Armee im Felde von folgenden, etwa gleichbleibenden Zahlen: Bei den zentralen Veneriespitälern der A. i. F. (ausschließlich der Militärkommandos) seien durchschnittlich 0,42–0,46 ‰ des Verpflegstandes pro Woche als geschlechtskrank abgegeben worden. Die entsprechenden Ziffern bei den Ersatzkörpern des Hinterlandes würden aber mehr als das Dreifache betragen. Das Kdo. der SWF bestätigte in einer Notiz diesen Promillwert in etwa: bei ihr läge er bei 0,40–042 ‰ und der durchschnittliche Stand an venerisch Er- krankten läge in ihrem Bereich bei 3000–3200 Personen. KA, NFA, Kdo. der SWF (II), Karton 630, Rub. 14-46/2-2. Necakov_zbornik_FINAL.indd 92 23.1.2018 8:46:53 93Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Krieg seine Pforten geöffnet hatte.52 Im Krieg erhielt es dann seine besondere Funktion als Toleranzhaus der Görzer Brückenkopfes, einem der beiden Brückenköpfe der Ison- zofront am rechten Isonzoufer. Tuma erwähnt aber auch, übrigens wenig schmeichel- haft, einen der Akteure unserers Geschichte, nämlich den Görzer Polizeikommissär Max Freiherr von Winkler, dem im Krieg die sittenpolizeiliche Kontrolle des Toleranz- hauses zufiel. Er, Tuma, habe den Baron Winkler als einen »sehr beschränkten Men- schen« kennengelernt.53 Nun die hier herangezogenen Akten bestätigen dieses Urteil nicht und viel mehr ist über Baron Winkler bisher nicht bekannt.54 Zur Verteidigung des Görzer Brückenkopfes wurde Ende Mai 1915 die 58. Infan- terietruppendivision (ITD) vom Balkan an den Isonzo verlegt und nahm ihre schwierige und an Menschenleben verlustreiche Aufgabe im Rahmen des 16. Korps wahr. Geführt von Generalmajor (später Feldmarschalleutnant) Erwin Zeidler, etablierte sich das Kom- mando der Division in der Stadt Görz, die in Schussweite des unmittelbaren Frontbe- reiches lag. Die Bevölkerung der Stadt wurde dennoch nicht evakuiert, auch Zeidler war dagegen, obwohl die Stadt ständig beschossen wurde und es kaum ein Gebäude gab, das keine Beschädigungen aufwies55 (Abb. 2).56 Interessant ist, dass der Divisionär Zeidler von allem Anfang an neben seinen operativen militärischen Aufgaben, die selbstverständlich im Vordergrund standen, nolens volens auch dem Leben in der beschossenen Stadt und hier insbesondere dem Freudenhaus in Görz57 seine Aufmerksamkeit schenken musste. Schon Anfang August 1915 wies er in einem schriftlichen Befehl an seine Offiziere, den alle persönlich unterzeichnen mussten, darauf hin, dass sich in Görz eine Anzahl von Dirnen herumtreibt, »die zu normalen Zeiten hier nicht gesehen wurden, sondern scheinbar den Truppen nachgereist sind«. Sie würden vorwiegend an Offiziere Anschluss suchen und da sie nicht unter ärztlicher Kontrolle stünden, könnte der Verkehr mit ihnen zu Erkran- kungen führen; »auch ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Elemente darunter Spionage be- treiben.« Alle Offiziere wurden daher zu größter Vorsicht ermahnt.58 Die Spionagegefahr war gerade in dieser mehrheitlich italienisch sprechenden Stadt tatsächlich im erhöhten Maße gegeben. 52 Der Jurist Tuma erwähnt es im Zusammenhang mit dem Schicksal eines seiner Standeskollegen. Tuma, Iz mojega življenja, S. 343. 53 Ebenda, S. 342. Baron Max Winkler war übrigens ein Sohn des ehemaligen Landespräsidenten von Krain, Andrej Winkler, des ersten und auch einzigen slowenischstämmigen Landespräsidenten dieses Kronlandes. 54 Ins Primorski slovenski biografski leksikon wurde er nicht aufgenommen. 55 Zum damaligen Leben in der Stadt vgl. Schalek, Am Isonzo, S. 5–17. 56 Kriegspostkarte aus dem Jahre 1916. Verlag. Purger & Co., München (Sammlung Lukan). 57 Die genaue Adresse des Etablissements wird sich noch feststellen lassen. 58 Die Verfügung vom 2. August 1915 – sie wurde von 15 Offizieren unterschrieben – gab Zeidler auf Betreiben des Kundschaftsoffiziers Hauptmann Karl Scholz heraus, der nicht ausschloss, dass einzelne Prostituierte in feidlichen Diensten stünden und die Offiziere absichtlich anstecken könnten um Offiziersabgänge zu bewirken. Außerdem könnten sie wichtige Dokumente entwenden. KA, NFA, 58. Infanteriedivision (ID), Karton 3233, Res. Nr. 593/1915. Necakov_zbornik_FINAL.indd 93 23.1.2018 8:46:53 94 Walter Lukan Abb. 2: Görz im Weltkrieg. Kriegspostkarte (1916). Anfang Februar 1916 klagte dann Zeidler tatsächlich über die Zunahme der Ge- schlechtskrankheiten in seinem Offizierskorps. Auf der Basis einer Aufstellung des Sanitätschfs der Division, wonach seit Jahresbeginn nicht weniger als 17 venerisch er- krankte Offiziere in den beiden Divisionssanitätsanstalten 58 und 61 eingeliefert wur- den (10 Gonorrhoe, 4 Weicher Schanker, 1 Harter Schanker, 2 Syphilis), wandte er sich mit folgenden warnenden Worten an das vorgesetzte 16. Korpskommando: »Die Zahl der in letzter Zeit infolge Geschlechtskrankheiten abgeschobenen Offiziere nimmt einen derartigen Umfang an, daß die klaglose Versehung des Dienstes bei Fortdauer diese Zustandes in Frage gestellt wird«. Um Abhilfe zu schaffen, wäre es daher ratsam, wenn das Korps- kommando mit einem Reservatsbefehl verlautbaren würde, dass Belohnungsanträge von Offizieren, »die der Erhaltung ihrer Gesundheit in dieser Hinsicht nicht größere Obsorge zuwenden«, nicht weitergeleitet werden.59 Über eine Reaktion des 16. Korps auf Zeidlers Vorschlag ist nichts bekannt. Ein paar Tage zuvorher wurde Zeidler erstmals mit Unzukömmlichkeiten im Gör- zer Bordell konfrontiert. Das Görzer Etappenstationskommando hatte ihm nämlich am 24. Jänner 1916 gemeldet, dass die Bordellbesitzerin um 2 Uhr nachts um einen Assis- tenzeinsatz der Feldgendarmerie gebeten hatte, weil Offiziere des Infanterieregiments 59 KA, NFA, 58. ID, Karton 3258, Res. Nr. 335 vom 5. Februar 1916. Necakov_zbornik_FINAL.indd 94 23.1.2018 8:46:53 95Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Nr. 30 einen großen Skandal im Bordell veranstalteten, alkoholische Getränke mit- brachten und sich dort betranken (das Bordell selbst durfte keine alkoholischen Ge- tränke ausschenken). Auch der einschreitende Feldgendarm wurde schwer beleidigt und mit dem Hinauswerfen bedroht. Alles wurde dann zur Anzeige gebracht.60 Vielleicht war dies der Grund, dass sich Generalmajor Zeidler, militärisch pragma- tisch und fern jeder Prüderie, verstärkt den Problemen der öffentlichen Prostitution und damit auch dem Toleranzhaus in Görz zuwandte, um wenigstens in diesem Bereich – der Geheimprostitution war auch in Görz nur schwer beizukommen - zufriedenstellende Zu- stände herzustellen. Zu diesem Zwecke wandte er sich am 23. März 1916 mit dem Er- suchen an die Qu.-Abt. der 5. Armee, für eine Vermehrung der Prostituierten im Görzer Bordell zu sorgen. Er hatte nämlich in Erfahrung gebracht, dass im Verhältnis zu den Be- sucherzahlen zu wenig Mädchen im Bordell arbeiten würden. Von den ehemals 9 Mäd- chen, die dem Bordell zur Verfügung standen, seien in den letzten drei Wochen gleich drei wegen Erkrankung abgeschoben worden. Da aber allein von der Mannschaft täglich 100 bis 150 Soldaten das Bordell besuchen, bedeute dies für die Mädchen nicht nur eine »übermäßige Überbürdung«, sondern auch eine »erhöhte Erkrankungsgefahr«. Daher werde die Fortdauer des derzeitigen Zustandes zu weiteren Erkrankungen der Mädchen und zur weiteren Verringerung ihrer Zahl führen. Seine weitere Argumentation: »Da sich außerdem fast der ganze Personenverkehr im Bordelle erfahrun- gsgemäß auf die Nachmittagsstunden von 3–7 Uhr zusammendrängt, ist den Frauenspersonen infolge des Andranges nur eine verringerte, oft gar keine Rei nigungsmöglichkeit gegeben, was ein Steigen der geschlechtlichen Ansteckung unter der Mannschaft zur Folge hatte.« Zeidler erbat sich daher von der logistischen Abteilung der 5. Armee »die unumgänglich notwendige Zahl von 15–18 Mädchen«. Die Qu.-Abt. wandte sich daraufhin in gewunde- nem Amtsdeutsch an die Polizeidirektion in Triest, damit diese helfend einspringe: »Sollte es dortamts möglich sein, ingendwie einzuwirken, daß einige der dortorts sich aufhaltenden Pros- tituierten sich nach Görz begeben, so wolle das Geeignete gefl.[issentlich] veranlasst werden.«61 Da über weitere derartige Anforderungen Zeidlers nichts bekannt ist, dürfte seinem Wunsch entsprochen worden sein. Dafür tauchten neue Probleme im Görzer Bordell auf. »Verschwiegenheitsbruch im Görzer Freudenhaus« – lautet der Titel eines Berich- tes, den Zeidler am 13. Juni 1916 dem 16. Korpskommando zur weiteren Amtshand- lung vorlegte.62 Im Görzer Bordell dürften nämlich Offiziere etwas über den an der 60 KA, NFA, 58. ID, Karton 3259, Res. Nr. 273 vom 24. Januar 1916. 61 KA, NFA, 58. ID, Karton 3258, Res. Nr. 648 vom 23. März 1916. 62 KA, NFA, 58. ID, Kartom 3258, Res Nr. 1300 vom 13. Juni 1916. Konzept des Berichts, dessen Reinschrift noch am selben Tag expediert wurde. Necakov_zbornik_FINAL.indd 95 23.1.2018 8:46:53 96 Walter Lukan Isonzofront bevorstehenden Gasangriff ausgeplaudert haben, wie die vom Gericht der 58. Division gepflogenen Erhebungen – Zeidler legt sie dem Bericht bei – beweisen. Da aber die Nachforschungen des Divisionskommandos zur Eruierung der in Frage kommenden Offiziere ergebnislos blieben, alle Aussagen jedoch auf die Zugehörigkeit der in Frage kommenden Offiziere zur 20. Honvéd-Infanterietruppendivision (zum 7. Korps gehörig), konkret auch auf einen Offizier des Infanterieregiments 30 hinwiesen, ersuchte Zeidler das 16. Korps, die weiteren Erhebungen durch das 7. Korpskommando durchführen zu lassen. Zeidler deponierte aber in diesem Zusammenhang gleich auch eine allgemeine Kritik hinsichtlich der militärischen Geheimhaltung: »Aus den verschiedenen protokollarischen Aussagen ist ersichtlich, daß nicht nur alle Mädchen des Görzer Freudenhauses, sondern durch diese die Mann- schaft vielfach von dem bevorstehenden Gasangriff Kenntnis hatten. Wenn zwar die Schuld des Verschwiegenheitsbruches hier zweifellos dem verbre- cherischen Tratsch einiger Offiziere bzw. Fähnriche zuzuschreiben ist, so kann das Divisionskommando dennoch nicht umhin, auf einige organisatorische Mängel hinzuweisen, die Mitschuld sein können, um die gebotene militäri- sche Geheimhaltung einer solchen Aktion in Frage zu stellen.« Der Aussage des Kommandanten des in Krems stationierten Spezialbataillons für den Gasangriff ließe sich nämlich entnehmen, dass die Mannschaft dieses Bataillons bereits vor ihrem Abgehen aus Krems, durch die Korrespondenz mit Soldaten an der Isonzo front, die mit den Vorarbeiten der Aktion befasst waren, wusste, wohin die Reise geht. Für Zeidler wäre daher eine zeitlich abgestimmte Postsperre »unerläss- lich« gewesen. Der von Erzherzog Joseph, dem Kommandanten des 7. Korps, initiierte, lange vorbereitete und mehrfach verschobene Gasangriff mit dem Decknamen »Jagdren- nen«, fand dann tatsächlich statt, und zwar am 29. Juni 1916 im Abschnitt des Monte San Michele (Velika Griža), der von der 17. Division verteidigt wurde. Der Erfolg dieses ersten österreichisch-ungarischen Gasangriffes am Isonzo war strategisch al- lerdings eher bescheiden, um nicht zu sagen, nicht gegeben, weil einerseits die not- wendigen Erfahrungen für die Durchführung fehlten und Pannen passierten, ande- rerseits aber auch die Windbedingungen für das Abblasen des Giftgases im zentralen für den Angriff vorgesehen Tal nicht günstig waren. Trotzdem kostete er wohl mehr als 6.000 italienischen Soldaten das Leben.63 63 KA, NFA, 7. Korps, Karton 843, Tagebuch des 7. Kopskommandos vom 29. 5. 1916 bis 7. 7. 1916; KA, NFA, 58. ID, Karton 3257, Konvolut: Gasangriff („Jagdrennen“) am Mte. San Michele, 29. 6. 1916, mit dem entsprechen- den Aktenmaterial des 7. Korps. Vgl. auch Vasja Klavora, Doberdob. Kraško bojišče 1915-1916. Celovec: Mohorjeva 2007, S. 235-257; Marija Jurić Pahor, Das Gedächtnis des Krieges. Die Isonzofront in der Erinnerungsliteratur von Soldaten und Zivilisten. Klagenfurt/Celovec: Mohorjeva 2017, S. 43-46. Necakov_zbornik_FINAL.indd 96 23.1.2018 8:46:53 97Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Ende Juni 1916 wandte sich Zeidler sogar an die Generalstabsabteilung der 5. Armee und legte dieser das Zeugenprotokoll einer Prostituierten des Görzer Bodell vor, aus dem, wie er beklagt, die »unverbesserliche und jedem militärischen Emp- finden hohnsprechende Tratschlust im österr. ung. Offizierskorps« recht deutlich hervorgehe. Daher sei es nicht verwunderlich, dass »die hiesigen Mädchen über militärische Dinge auffallend gut informiert sind«. Schon in Friedenszeiten hätten die Offiziere in Gast- und Kaffehäusern auch dienstliche Angelegenheiten offen be- sprochen. Diesem Übelstand könne man zukünfig – nach dem Krieg – nur ändern, wenn man das Bewusstsein für ein solches Fehlverhalten schärft. Aber dafür müsste man das gesamte Erziehungssystem ändern, »um später ernste Männer und pflicht- bewusste Staatsbürger zu schaffen«, und in der Armee müsste man insbesondere das Ergänzungswesen neu gestalten. Zeidler versicherte schließlich der General- stabsabteilung, dass er im Einvernehmen mit der hiesigen Polizeibehörde veran- lasst habe, im hiesigen Freudenhaus nur Mädchen, die politisch verlässlich sind, aufzunehmen.64 Am 22. Juli 1916 sah sich dann Zeidler veranlasst, einen Reservatsbefehl herauszuge- ben, der von allen Offizieren unterschrieben werden musste und der hier wortwörtlich wiedergegeben wird, weil er ein recht grelles Licht auf das Sittenbild des Görzer Brü- ckenkopfes wirft: »Laut Meldung der k. k. Polizeiabteilung in Görz ist es bereits wiederholt vor- gekommen, dass Offiziere aus dem hiesigen Bordell gegen den Einspruch der Besitzerin und auch der Prostituierten selbst, solche nach auswärts, in Kanto- nierungsstationen, Unterstände und Schützengräben mitnahmen. Auch kam es vor, dass Offiziere mit dem Revolver die Öffnung des Bor- dells nach der anbefohlenen Sperrstunde erzwangen, und im Bordell selbst sich arge Ausschreitungen zuschulden kommen liessen. Damit solche, die Disziplin und Ordnung untergrabende, wegen der not- wendigen Geheimhaltung der eigenen Verteidigungsvorsorgen und Truppen- verteilung gefährliche und mit dem Ansehen des Offiziersstandes nicht zu ver einbarende Vorkommnisse in Hinkunft nicht mehr vorkommen, appeliere ich vor Allem an den guten offiziersmässigen Geist jedes Einzelnen und an den Gemeingeist des Offizierskorps; letzterer muss, durch Einwirkung der Ka- meraden, Ausschreitungen verhindern, und auch die Grenzen wahrzunehmen 64 Dass die Generalstabsabteilung das Schreiben erhalten hat, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber nicht ganz sicher. Von Zeidlers am 26. Juni 1916 verfasstem Konzept wurde zwar eine Reinschrift angefertigt (nicht im Akt) und auch das apostrophierte Protokoll befindet sich nicht im Akt, was auf dessen Absendung schließen lässt, aber es fehlt der sonst übliche Absendungsvermerk auf dem Konzept. KA, NFA, 58. ID, Karton 3258, bei Res. Nr 1300/1916. Necakov_zbornik_FINAL.indd 97 23.1.2018 8:46:53 98 Walter Lukan wissen, wo die Kameradschaft die Anzeige Einzelner, welche das Ansehen und die Ehre des ganzen Offizierskorps verletzen, zur Pflicht macht. Die Mitnahme von Prostituierten aus dem hiesigen Bordell heraus wo immer hin ist selbstverständlich verboten. Das Etappenstationskommando hat durch häufige, in geeigneter Form vorzunehmende Visitierungen für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Bordell zu sorgen; wahrgenommene Unzukömmlichkeiten, Ausschreitungen sind mir behufs Ahndung zu melden. Die erste vorkommende Mitnahme von Prostituierten nach auswärts ist vom betreffenden Stations- (Lager-) oder Unterabschnitts-Kommandanten dem Truppendivisionskommando zur Anzeige zu bringen; die Bestrafung der Offiziere (Beamten) und Aspiranten behalte ich mir vor. Das Etappenstation- skommando meldet über jeden Fall dem Truppendivisionskommando. Ich bringe schliesslich in Erinnerung, dass Militärpersonen gemäss Dienst buch I. Teil, Punkt 326, letzter Absatz, den von Mannschaft der k. k. Polizeiabteilung Görz gerichteten Aufforderungen nachkommen müssen. Dieser Befehl ist allen Offizieren, Fähnrichen, Kadetten und Kadettaspi- ranten vollinhaltlich, den Unteroffizieren und der Mannschaft, soweit nötig, auszugsweise zu verlautbaren. Ergeht nach dem Verteiler zur Truppendivisionsabfertigung. E. Zeidler« (Es folgen 20 Unterschriften.)65 Was war geschehen? Der Divisionär, Generalmajor Zeidler, hatte von Baron Winkler, dem Leiter der Polizeiabteilung Görz, die als Sittenpolizei für das Bordell in Görz zu- ständig war, in Abschrift das Verhörprotokoll mit der Prostitierten Louise Pototschnig (Potočnik)66 zugeschickt bekommen, das tief blicken ließ. Potočnik, die sich, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, für die Offiziere des Görzer Brückenkopfes zu einem Star ihres Faches entwickelt hatte, war nämlich - so eine eingelangte konfidenti- elle Mittteilung – von einem Infanteriekadetten in eine Reservestellung mitgenommen worden, worauf sie von der Polizei einvernommen wurde. Ihre Aussage: Sie sei um ½ 7 (abends) am Corso in Görz spazieren gegangen, als sie ein Infanteriekadett mit roten Aufschlägen (ung. Landsturmregiment) anhielt und aufforderte, mit ihm zur Ortschaft Na Mokrim, zum Bataillonskommandaten, einem Hauptmann, hinauszukommen. da dieser nicht in die Stadt kommen könne. Daraufhin habe sie dem Kadett erklärt, dass sie nicht allein hinausfahren wolle und dass er sie vom Toleranzhaus um 9 h abholen solle, was dieser dann auch tat. Sie seien dann mit einem Fiaker in die Ortschaft zum 65 Zwecks besserer Lesbarkeit des Textes wurden die von Zeidler verwendeten Abkürzungen aufgelöst. 66 Beide Schreibungen sind in den Akten anzutreffen. Necakov_zbornik_FINAL.indd 98 23.1.2018 8:46:53 99Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) besagten Hauptmann gefahren, der in einem Bauernhaus wohnte, und bei ihm bis 9 h früh geblieben. Auf dem Weg dorthin habe sie mit dem Kadetten Drahtverhaue passiert und ihn gefragt, wozu diese gut seien, worauf sie der Kadett aufgeklärt habe, dass dies die Reservestellung sei, auf welche sich die Truppen im Falle des Rückzuges zurück- ziehen würden. Sie sei dann am nächsten Tag mit dem selben Wagen, der sie abholte, wieder zurückgefahren. Sie kenne aber weder den Namen des Kadetten, noch jenen des Haupmanns. Potočnik erzählte noch, dass sie vor drei Wochen zusammen mit einem weiteren Mädchen in der Nacht von einem Artilleristen nach S. Andrea (Standrež), und zwar am Ende des Ortes in eine Villa geführt wurde. Auch dort sei ihr ein granatsiche- rer Unterstand gezeigt worden. Die bei der Vernehmug anwesende Wirtschafterin des Toleranzhauses, Helene Tö- rök, ergänzte noch, dass wiederholt Mädchen von Offizieren aus dem Bordell heraus- genommen worden seien. Jeder Einspruch seitens der Besitzerin des Bordells sei von den Offizieren im barschen Ton zurückgewiesen worden. Der Einwand, das Heraus- nehmen der Mädchen sei polizeilich verboten, sei aber mit dem höhnischen Bemerken entkräftet worden, »die Polizei habe nichts zu reden«. Die Mädchen seien nach allen Richtungen gebracht worden und hätten, zurückgebracht, von den Schützengräben, Unterständen usw. erzählt. Dem Protokoll mit den Aussagen von Kottulan und Török legte Polizeikommis- sär Winkler ein eigenes Begleitschreiben bei, in dem er Zeidler versicherte, dass der Besitzerin des Toleranzhauses eingeschärft wurde, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Freudenmädchen außerhalb des Hauses ihrem Erwerb nachgehen. Auch sei den Prostituierten gedroht worden, sie im Falle der Übertretung des Verbots, sofort von hier abzuschieben. Winkler befürchtete aber, dass diese getroffenen Maßnahmen kaum ausreichen werden, um die Misstände abzuschaffen, »wenn nicht auch von der zuständigen militärischen Stelle aus denselben energisch ein Riegel vorgeschoben wird.« Es sei begreiflich, dass sowohl die Besitzerin als auch die Prostitutierten we- gen der oft drohenden Haltung »in unzurechnungsfähigen Zustande ankommender Besucher« (gemeint waren die Offiziere) in Situationen geraten, »denen sie nicht ge- wachsen sind und in denen auch ihre Verantwortlichkeit für ihre Handlungsweise aufhört«. Winkler verteidigte also die Wirtin und ihre Mädchen und erwähnte zur Bekräftigung noch einen Fall, der sich im vorigen Herbst ereignet habe. Damals hät- ten Artillerieoffiziere die Weigerung der Bordellbesitzerin, ihnen das Haustor nach eingetretener behördlich verordneter Sperrstunde zu öffnen »mit einer Revolveratta- cke auf das Haus« beantwortet. Und der Gipfel solchen Verhaltens: Des öftern er- zwingen sich die Offiziere die Gewährung ihrer Wünsche mit vorgehaltener Waffe (die letzten drei Worte unterstrich der Empfänger Zeidler und versah sie mit einem Ruf- und einem Fragezeichen). Baron Winkler schloss sein Schreiben mit einer Auf- fordrung und einem Vorschlag: Necakov_zbornik_FINAL.indd 99 23.1.2018 8:46:53 100 Walter Lukan »Wenngleich die Wahl der zur Verhinderung weiterer ähnlicher Vorfälle ein- zuleitender Schritte selbstverständlich dem k. u. k. Kommando der 58. I. T. D. vorbehalten bleibt, glaube ich doch hieramts als wirksames Mittel neben der Erlassung diesbezüglicher strenger Befehle die Aufstellung einer ständigen Nachtpatrouille im Toleranzhaus in Vorschlag bringen zu sollen.«67 Am 20. Juli 1916 war dann Zeidler von Polizeikommisär Winkler mit einem zweiten Pro- tokoll konfrontiert worden, das wieder skandalöse Zustände im Görzer Bordell zum In- halt hatte, diesmal aufgenommen mit der Bordellbesitzerin selbst, mit Therese Kottulan.68 Die Bordellwirtin berichtet darin über Vorfälle, die alles bisher Geschilderte in den Schat- ten stellte: Jede Nacht, gewöhnlich um 11 Uhr, erscheinen – so Kottulan – vier Offiziere, und zwar ein Hauptmann und ein Leutnant von der Artillerie, ein Hauptmann von den Fliegern sowie ein Leutnant mit auffallend blondem Haar sowie grünen Aufschlägen und benehmen sich »in derart brutaler und skandalöser Weise«, dass sie sich gezwungen sehe, um Abhilfe zu bitten. Kottulan weiter: »Ich habe ja wohl schon vieles erlebt, aber solch wüste Szenen, wie sie von diesen 4 Herren veranstaltet werden, sind mir noch niemals vorgekommen.« Sie werde fast jede Nacht von diesen Herren bedroht, weil sie ihnen keine (alkoholischen) Getränke serviere und nicht ihre sonstigen Wünsche erfülle, die sie nicht erfüllen könne und dürfe. Der Hinweis darauf, dass dies sowohl polizeilich als auch militärisch verboten sei, werde von diesen Offizieren »mit nicht wiederzugebenden Beschimpfungen« der Poli- zei als solcher, dann des Chefs derselben (Winkler), ebenso des kommandierenden Gene- rals (Zeidler) und des Etappenstationskommandanten beantwortet. Dies geschehe alles in Gegenwart der Prostituierten, die sicher auch schon vieles erlebt haben, sich aber trotz- dem nicht genug darüber wundern können. Die Krone von alledem: Die Herrn Offiziere wollten bei ihr durchsetzten, dass die – uns schon bekannte – Louise Potočnik aus dem Haus für die Mannschaft in jenes für die Offiziere übersetzt werde. Doch sie, Kottulan, habe sich diesem Ansinnen widersetzt, weil besagte Prostituierte besonders streitsüchtig sei, ein rohes Benehmen an den Tag lege und daher für das Offiziershaus nicht geeignet sei. Jenen Herren scheine aber gerade dieses Benehmen besonders zuzusagen. Diese blei- ben meist die ganze Nacht und beschimpfen mit Ausnahme der genannten Potočnik alle anderen Prostituierten in der unflätigsten Weise. Sie, Kottulan, bitte daher dringend, dass diesen Zuständen ein Ende gesetzt werde. Polizeikommissär Winkler ergänzte in seinem Begleitschreiben, dass der erwähn- te Artillerieleutnant, dessen Namen er nicht behalten habe, tatsächlich auch bei ihm zwecks Übersetzung der Potočnik in das für Offiziere reservierte Haus vorgesprochen 67 Das Verhörprotokoll der Polizeiabt. trägt das Datum 4. Juli 1916, das Schreiben Winklers ist mit 13. Juli 1916 datiert. KA, NFA, 58. ID, Karton 3259, Res. Nr. 1573/1916. 68 KA, NFA, 50. ID, 3259, Res Nr. 1610 vom 27. Juli 1916. Akt mit allen in der Folge zitierten Verhörprotokollen und den Entscheidungen des Divisionärs Zeidler. Necakov_zbornik_FINAL.indd 100 23.1.2018 8:46:53 101Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) habe, und zwar »im Namen des Offizierskorps«. Von den im Protokoll erwähnten Offi- zieren könne er nur den Pionierleutnant Heinrich mit einiger Sicherheit festmachen.69 Zeidler gab zunächst den oben vollinhaltlich wiedergegebenen Reservatsbefehl heraus, in dem er auch dem Etappenstationskommando, ganz im Sinne Winklers, eine »häufige(re)« militärische Nachtkontolle im Bordell verordnete und beschloss dann den Vorwürfen der Bordellbesitzerin auf den Grund zu gehen. Nachdem es ihm rasch ge- lungen war, die Namen der vier inkriminierten Offiziere zu eruieren, beauftragte er die entsprechenden Einheiten mit der Einvernahme der Delinquenten, die zu den Vor- würfen der Bordellbesitzerin und des Polizeichefs Stellung zu beziehen hatten. Auf der Grundlage dieser Aussagen wollte er dann sein Urteil fällen und, wenn notwendig, »die ganze peinliche Angelegenheit« auch der militärgerichtlichen Klärung zuführen.70 Dabei befand er sich in einer nicht beneidenswerten Zwickmühle, denn es handelte sich um bewährte Offiziere, die zwar im Bordell ihren Stress durch ungezügeltes, jeder Sitte hohnsprechendes Verhalten abbauten, an der Front jedoch ihren Mann stellten. Die Offiziere versuchten selbstverständlich in ihren Aussagen die ganze Angelegen- heit herunterzuspielen und nicht so dramatisch erscheinen zu lassen. Oberleutnat Wil- helm Heinrich, ein mehrfach für Tapferkeit ausgezeichneter Offizier der Pionierkom- panie Nr. 4/7, gab zu, in der Gesellschaft der drei Herrn einige Male, aber bei weitem nicht täglich, im Toleranzhaus gewesen zu sein. Er bestritt auch nicht, dass sie alkoho- lische Getränke bestellt und von der Wirtin nicht erhalten hätten und dass sie »einmal« zu vorgerückter Stunde lauter als sonst gewesen seien. Das von der Wirtin behauptete »brutale und skandalöse« Benehmen habe es aber nicht gegeben. Die behaupteten Be- schimpfungen der Polizei, des Stationskommandanten und des Generals (die disziplinär schwerwiegendste Beschuldigung!) weise er aber »mit Entrüstung« als »voll und ganz erlogen« zurück. Die Forderung nach der Überstellung der Potočnik, »welche ein besse- res Benehmen besitzt«, ins neue Haus (ins Offiziersbordell) habe es gegeben, aber auch Kottulan sei anfänglich dafür gewesen, nur obliege die Entscheidung darüber dem Poli- zeikommissär Winkler. Kottulans Meinungsänderung und ihre gehässige Anzeige sei vielleicht darauf zurückzuführen, dass er sie einmal ganz offen gefragt habe, ob sie nicht wegen ihrer Trunksucht aus dem Bordell hinausfliegen könnte.71 Heinrich wollte also die Aussagen der Bordellbesitzerin abwerten, indem er sie zur Trinkerin abstempelte. Die beiden Hauptleute Josef Blažević und August Scheichenbauer, beide vom Fes- tungs-Artillerie-Bataillon Nr 10 – Luftfahrttruppe, wurden vom 58. Reserve-Feldar- tillerie-Brigade- Kommando gemeinsam befragt. Die Verhöre wurden vom Brigadier, 69 Ebenda. Das Protokoll der Polizeiabt. mit der Aussage der Bordellbesitzerin Kottulan und auch das Begleit- schreiben von Winkler an die 58. Infanterie-Truppendivision (ITD) tragen das Datum 20. Juli 1916. 70 Ebenda. Aus der Zuschrift Zeidlers an das 58. Res.-Feldart.-Briegade-Kommando vom 27. Juli 1916. 71 Ebenda. Stellungnahme von Oberleutnant Wilhem Heinrich (Pionierkompanie Nr. 4/7, Res. 49) zum Protokoll der Therese Kottulan, 21. Juli 1916. Necakov_zbornik_FINAL.indd 101 23.1.2018 8:46:53 102 Walter Lukan Oberst Friedrich Richter, persönlich geführt und auch mitunterzeichnet. Trotz deutlich eingebauter Erinnerungslücken der Beiden, kam doch einiges zu Tage. Auf die Frage, wie oft und wie lange sie ins Bordell gingen, antworteten sie: »Zirka« viermal in den letzten vierzehn Tagen. Einmal habe die Anwesenheit von 11 Uhr abends bis drei Uhr morgens gedauert, sonst aber höchstens eine viertel bis halbe Stunde. Sie gaben aber auch zu, dass sie einmal für zwei, drei Stunden im Mannschaftsbordell waren. Auf die Frage nach dem Konsum geistiger Getränke im Bordell verneinten sie einen solchen. Sie hätten nur Kaffe getrunken, mussten dann aber doch zugeben, dass sie einmal Wein aus der Offiziersmesse mitgebracht hatten. Die Fragen nach den Exzessen, Streitereien, Drohungen gegen die Bordellbesitzerin und Beschimpfungen höherer Militärs beant- worteten sie sehr vorsichtig: Streitereien – gab es nie; Bedrohung der Frau Kottulan – ja man habe ihr gedroht (Oberleutnant Heinrich), dafür zu sorgen, dass sie wegen ihrer Trunksucht aus dem Hause hinauskommt; vielleicht gab es ein paar derbe Späße mit den Mädchen, da habe sich Leutnant Lederer des öftern hervorgetan, aber Beschimp- fungen höherer Militärfunktionäre – nie und nimmer, da hätten sie selbstverständlich sofort eingegriffen. Die beiden ersuchten schließlich das Kommando, die Anzeigerin Kottulan wegen ihrer »erlogenen Anschuldigungen und Verleumdungen« der gerechten Bestrafung zuzuführen. Kottulan habe sie wahrscheinlich vorgebracht, um der ange- drohten Entfernung aus dem Hause »die Spitze abzubrechen«.72 Gesondert sagten die beiden ein paar Tage später über die Causa Potočnik aus. Übereinstimmend beteuerten sie, dass sie zwar davon wussten, »dass anstatt der Asta die Potočnik ins Offiziersfreudenhaus kommen soll« – so Blažević und ähnlich Scheichen- bauer. Aber einen Auftrag an Leutnant Lederer – über diesen braute sich das stärkste Gewitter zusammen –, er möge dafür bei Baron Winkler intervenieren, habe er nicht gegeben. Es könnte aber sein, dass es Leutnant Lederer so verstanden habe, weil man sich in den Tischgesprächen geäußert haben »dürfte«: die Asta sei sehr grob mit den Offizieren, daher würde die Potočnik besser in das Offiziersfreudenhaus passen.73 Das Kommando der 58. Reserve-Artillerie-Brigade, Oberst Richter, lud daraufhin die Bordellbesitzerin Kottulan vor, um sie mit ihrer Anzeige vom 20. Juli zu konfrontieren. Kottulan beschwichtigte einleitend, sie habe nur eine Bitte vorgetragen und keine Anzei- ge erstattet. Sie wollte eigentlich nur, dass dieser Artillerieleutnant (Lederer) – gegen ihn richtete sie nun die Hauptvorwürfe – sie endlich mit der Forderung in Ruhe lassen möge, die Potočnik ins Offiziersbordell zu überstellen. Daher sei sie zuerst beim Polizeiinspektor Svigel und dann auch beim Polizeikommissär Winkler vorstellig geworden. Kottulan ver- suchte auch, ihre im ersten Protokoll behaupteten Beschimpfungen von hohen Militärs 72 Ebenda. 58. Res.-Feldart.-Brig.-Kdo., Res. Nr. 80, Beilage 3: Protokoll, aufgenommen mit den Hauptleuten Blažević und Scheichenbauer am 22. Juli 1916. 73 Ebenda. 58. Res.-Feldart.-Brig.-Kdo., Res, Nr. 80, Beilage 6: Protokoll, aufgenommen am 28. Juli 1916 mit Hauptmann Blažević; Beilage 7: Protokoll, aufgenommen mit Hauptmann Scheichenbauer am 28. Juli 1916. Necakov_zbornik_FINAL.indd 102 23.1.2018 8:46:54 103Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) stark abzuschwächen, indem sie nun angab, der besagte Artillerieleutnant habe ihr nicht recht geglaubt, dass es ihr verboten sei, seine Wünsche zu erfüllen, worauf er im Zorn geraten sei und gesagt habe, das gehe niemanden etwas an, das sei seine Sache, die er selbst verantworten werde. Kottulan räumte nun ein, »dass keine ernsten Bedrohungen stattgefunden« hätten, dass sie aber durch das Benehmen der Offiziere um die ruhige Fortführung ihres Geschäfts bangen musste. Dabei betonte sie neuerlich, dass sie keine Anzeige erstatten wollte. Beim ersten Protokoll, das sie unterschrieben habe, sei sie sich der »Tragweite der Worte« nicht ganz bewusst gewesen. Oberst Richter hatte schon vor diesem Verhör von der 58. ITD ein »Einschreiten« gegen Kottulan verlangt.74 Auch Polizeikommissär Winkler kam nochmals zum Zug. Er griff einen noch nicht zur Sprache gebrachten Fall im Bordell auf, der sich bereits am 18. Mai 1916 zugetragen hatte und bei dem ein Polizeibeamter, der Polizeikanzlist Viktor Spazzapan, auf Befehl der in Rede stehenden übermütigen Offiziere durch eine Militärpatrouille verhaftet wurde. Aus dem Protoll, das Winkler mit Spazzapan aufnahm, ist eine eindeutige Kompetenz- überschreitung des Militärs ersichtlich. Spazzapan schilderte, dass er am besagten Tag um Mitternacht in den sogenannten Salon des Toleranzhauses kam, in dem sich eine Menge von Offizieren in »animierter Stimmung« befand, die ihn aufforderte, den Salon zu verlas- sen. Er habe sich daher an einen Tisch in der Küche zurückgezogen, als eine Patrouille der hiesigen Wachkompanie bei ihm erschien, deren Kommandant ihn zur Ausweisleistung aufforderte. Die Patrouille habe sich dann entfernt, sei aber sogleich wieder zurückgekom- men und habe ihn aufgefordert, mit ihr auf das Etappenstationskommando zu gehen. Auf seine Frage, wer denn das angeodnet habe, antwortete der Kommandant, dass ihm dies von den Offizieren im Salon befohlen worden sei. Diese Offiziere seien dann selbst in die Küche gekommen und hätten ihm zugeschrien: »Schauen Sie, daß sie fortkommen; Sie haben hier nichts zu suchen; gehen Sie sofort mit der Patrouille zum Etapenstationskommando«. Er, Spazzapan, habe darauf geantwortet: »Ja, ich gehe, aber die Herrn müssen auch mitkommen«. Darauf wandten sich diese an den Patrouillenkommandanten mit den Worten: »Fort mit dem Polizisten, Führen sie ihn zum Etappenstationskommando«. Beim Etappenstationskom- mando angekommen, habe der Inspektionsoffizier gefragt: »Was ist mit dem da!?«, worauf er, Spazzapan, geantwortet habe: »Herr Hauptmann, ich bin verhaftet worden, weiß aber nicht warum«. Darauf der Hauptmann: »Gehen Sie, gehen Sie in Gottes Namen«. Spazzapan war es noch wichtig, zu betonen, dass er damals »vollständig nüchtern« gewesen sei. Er sei von der Polizeiabteilung aus, also quasi amtlich ins Toleranzhaus gegangen und habe sich in der ganzen Angelegenheit »bescheiden und korrekt« benommen. Die Offiziere seien ihm unbekannt gewesen. Erst später habe er erfahren, dass einer von ihnen der Artillerie- leutnant Lederer gewesen ist. Schließlich gab Spazzapan an – offensichtlich von Winkler 74 Ebenda. 58. Res.-Feldart.-Brig.-Kdo., Res. Nr. 80, Beilage 8: Protokoll vom 28. Juli 1916, aufgenommen mit Therese Kottulan. Das Einschreiten gegen Kottulan wurde schon am 23. Juli 1916 von der 58. ITD (Zeidler) verlangt. Necakov_zbornik_FINAL.indd 103 23.1.2018 8:46:54 104 Walter Lukan danach gefragt -, er habe niemals wahrgenommen, dass die Besitzerin des Bordells je be- trunken gewesen sei. Diese letzte Aussage bestätigte dann auch der in Ergänzung zu Spazzapan ver- nommene Polizeiagenten-Inspektor Karl Svigel. Das war der Mann, der für die sitten- polizeiliche Kontrolle vor Ort, also direkt im Freudenhaus, zuständig war. Er erklärte: »Ich habe oft genug Gelegenheit gehabt, zu jeder Tages- und Nachtstunde mit der Toleranzhausbesitzerin zusammenzukommen, habe aber niemals die Beobachtung gemacht, daß dieselbe nicht nüchern gewesen wäre. Auch ist mir dieselbe als durchaus hoheitsliebend bekannt«. Svigel bestätigte auch die Vorwürfe von Kottulan und jene ihrer Wirtschafterin He- lene Török. Die beiden hätten schon vorher, also vor der »protokollarischen Anzeige«, bei ihm persönlich Klage geführt und dabei auch über die Beschimpfungen, welche die Offiziere gegen den kommandierenden General, den Stationskommandanten und die Polizei ausgestoßen haben, berichtet. Die Aussagen der beiden hätten vollkommen übereingestimmt und auch eine der Prostituierten hätte ihm das skandalöse Benehmen dieser Herrn bestätigt.75 Der Kontrollor des Bordells war also zumindest in dieser An- gelegenheit ganz offensichtlich auf der Seite der Kontrollierten. Als Hauptschuldiger oder Rädelsführer der Offiziere christallisierte sich mehr und mehr der Artillerieleutnant Hugo Lederer, vom Feldkanonenregimet Nr. 9, heraus. Er war es, der bei Baron Winkler bezüglich einer Überstellung der Louise Potočnik vor- stellig wurde, und er war es auch, der dann wegen der Teilnahme an Exzessen im Görzer Toleranzhaus als Einziger eine Polizeianzeige76 am Hals hatte. Vom vorgesetzten 58. Reserve-Feldartillerie-Brigade-Kommando (Oberst Richter) aufgefordert, Stellung zu nehmen, führte er - einen Tag nach Kottulans »Anzeige«- aus: Er sei vor einigen Tagen in Gesellschaft mehrerer Offiziere in dem für Offiziere reservierten Bordell gewesen. Da sich dort eine der Prostituierten sehr ordinär benommen hatte, sei die Bordell- inhaberin gefragt worden, ob sie nicht ein Mädchen namens Louise Potočnik aus dem Mannschaftsbordell herüber nehmen könne, da sich diese den Offizieren gegenüber anständig benehme und kein so ordinäres Benehmen an den Tag lege. Die Inhaberin habe geantwortet, sie würde es gerne tun, doch könne dies nur der Polizeikommissär verfügen, worauf er, Lederer, sich zu Baron Winkler begeben habe, um ihn »privat zu sprechen«. Er habe diesem drastisch geschildert, wie sich diese abgelehnte Prostituierte 75 Ebenda. Bezirkshauptmannschaft, Polizeiabt. Görz, Protokoll vom 27. Juli 1916, aufgenommen mit Polizeikanz- list Viktor Spazzapan und in Ergänzung dazu mit dem Polizeiagenten-Inspektor Karl Svigel. Das Protokoll gelangte über das Res.-Feldart.-Brig.-Kdo (Res. Nr. 80, Beilage 4) an die 58. ITD. 76 Ebenda. 58. Res.-Feldart.-Brig.-Kdo., Res. 80, Beilage 1: Nachricht von 58. ITD über die Anzeige gegen Leu- tnant Lederer, 20. Juli 1916. Necakov_zbornik_FINAL.indd 104 23.1.2018 8:46:54 105Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) (die Asta!) verhalte. Schon wenn der Besucher bei der Tür herein komme, empfange sie diesen mit den »unflätigsten Worten«. Daher habe er den Polizeikommisär »im eigenen sowie im Namen mehrere Offiere« gebeten, die Prostituierte Potočnik »als die noch Ge- mäßigste« hinüberzunehmen. Der Polizeikommissär sei überaus liebenswürdig gewesen und habe zugesagt, er wolle dies mit größtem Vergnügen tun, um solche Übelstände abzustellen. Er habe sich die Namen notiert und wollte die Änderung unverzüglich durchführen. Bei dieser Gelegenheit habe ihm Winkler von der Anordnung Gene- ral Zeidlers (Reservatsbefehl!) erzählt, mit der dieser Unzukömmlichkeiten vorbeugen wolle. Winkler habe sich sogar bei ihm, Lederer, bedankt und ihm versichert, »welches Vergnügen es ihm bereite, den Herrn Offizieren gefällig zu sein«. Gestern Nachmittag aber sei die Prostituierte Potočnik bei ihm, als er in Gesellschaft eines Offizierskame- raden war, vorübergelangen und habe ihm mitgeteilt, sie werde mit dem nächstn Zug nach Triest abgeschoben. Da ihn »der rapide Wandel in den Ansichten des Polizei- kommissärs« gewundert habe, sei er nochmals zu ihm gegangen, um ihn zu befragen, ob die Abschiebung der Potočnik eventuell etwas mit seiner Intervention bei ihm zu tun habe. Der Polizeikommissär habe erwiedert, das Mädchen müsse auf höheren Be- fehl (Zeidler?) weg. Er, Winkler, bedaure außerordentlich, den Offizieren nicht gefällig sein zu können, aber er müsse »pflichtschuldigst« handeln. Lederer betonte in seiner Stellungnahme, dass er zwar im Namen einzelner Offiziere, aber nicht im Namen des Offizierskorps interveniert habe, außerdem bestritt er, an irgendwelchen Exzessen im Bordell beteiligt gewesen zu sei. Diese Anschuldigungen würden wohl auf einem »Irr- tum des Polizeikommissionärs oder seiner Quellen« beruhen.77 Ein paar Tage später musste Lederer dann noch Stellung zu den Aussagen des Polizei- kanzlisten Spazzapan beziehen. Seiner Meinung nach seien die Angaben Spazzapans zwar »im allgemeinen richtig, jedoch nicht vollständig, so dass sie kein richtiges Bild von dem Vorfall in jener Nacht geben«. Der »fragliche Zivilist, der danach auf meinen Befehl verhaf- tet wurde«, habe sich nämlich zuerst im Salon an den Tisch der Offiziere gesetzt, an dem Oberleutnant Heinrich und 5 oder 6 weitere Herrn saßen, und habe bei einem schwar- zen Kaffee auch mit den Mädchen gesprochen. Als Polizeischreiber habe Spazzapan aber überhaupt keine Berechtigung gehabt, sich nach Mitternacht im Freudenhaus und schon gar nicht im Offizierssalon aufzuhalten. Daher habe er ihn durch die Patrouille verhaften lassen. Die Verhaftung habe aber erst in der Küche stattgefunden, nachdem Spazzapan von selbst den Salon verlassen habe. Als Detektiv konnte sich Spazzapan nicht legitimieren und als Polizeischreiber wäre er nach Meinung der beteiligten Offiziere für irgend eine Kontrolle des Bordells in keiner Weise berechtigt gewesen. Daher habe er, Lederer, der Patrouille den Befehl gegeben, Spazzapan zum Etappenstationskommandanten abführen zu lassen und dort zu melden, dass sich dieser gegen 12 Uhr nachts im Offizierssalon des 77 Ebenda. 58. Res.-Feldart.-Brig.-Kdo., Res. Nr. 80, Beilage 2: Meldung des Feld-Kanonen-Reg. Nr. 9 – Stellung- nahme von Leutnant Lederer, 21. Juli 1916. Necakov_zbornik_FINAL.indd 105 23.1.2018 8:46:54 106 Walter Lukan Bordells aufgehalten habe. Der Patrouillenkommandant sei dann noch einmal zurückge- kommen und habe im Namen des Inspektionsoffiziers eine genaue Schilderung des Vor- falls mit dem Namen der Offiziere, welche die Verhaftung anbefohlen hatten, verlangt. Er, Lederer, habe dann den Vorfall beschrieben und unterschrieben. Lederer bezog dann noch einmal zur Causa Potočnik Stellung, ohne etwas grundsätzlich Neues vorzubrigen. Er er- wähnte aber diesmal den Namen des abgelehnten Mädchens, der Asta. Dann relativierte er aber die erste Aussage, nämlich dass er direkt im Auftrag der anwesenden Offiziere bei Winkler vorgesprochen habe. Wohl aber habe er aus der Führung des Gesprächs die Zu- stimmung der anderen gefühlt. Entschieden betonte er dann nochmals, dass er beim Poli- zeikommissär nicht im Namen des Offizierskorps vorstellig wurde. Über die Widersprüche zwischen seiner (ersten) Aussage und jener Kottulans befragt, gab dann Lederer an, er habe von Oberleutnant Heinrich erfahren, Kottulan habe ein paar Tage nach der (ersten) Befra- gung gesagt, dass der Inhalt ihrer Aussage nicht mit dem Protokoll übereingestimmt hätte. Das Protokoll sei auch nicht von Polizeikommissär Winkler, sondern von einem Schreiber aufgenommen worden, einem Schreiber, den er, Lederer, im Mai einmal im Freudenhaus habe verhaften lassen.78 Lederer wollte damit andeuten, dass ein Befangener für den ten- denziösen Inhalt des Protokolls verantwortlich sei. Schließlich versicherte er, dass er nie mit einem Vorgesetzten einen Anstand hatte. Er hätte daher überhaupt keinen Grund gehabt, über Vorgesetzte zu schimpfen. Er sei, nachdem er in Österreich die Technische und Berg- hochschule absolviert habe, nun in Deutschland ein Zivilingenieur. Somit besitze er eine »Lebensstellung« und eine »Vorbildung, welche ein solches Vorgehen von vornherein als unglaubwürdig erscheinen lässt«. Als Kriegsfreiwilliger eingerückt, besitze er die silberne Tapferkeitsmedaille 1. Klasse. Sein letzter Satz der Rechtfertigung: »Den Verteidiger von Görz und alle meine Vorgesetzten verehre ich und werde nach Abschluss dieser Angelegenheit mei- ne Schritte gegen die zivilistischen Verleumder ergreifen.«79 Zeidler, »der Verteidiger von Görz« (Abb. 3),80 studierte die Verhörprotokolle und Stel- lungnahmen, hatte sicher auch einiges aus persönlichen Gesprächen erfahren und traf am 1. August 1916 die folgende Entscheidung, die zur Vollziehung an das 58. Res.-Feld- artillerie-Brigade-Kommando abgeschickt wurde: »Aus den beiliegendenProtokollen ergibt sich mit Sicherheit, dass Leutnant in der Reserve Hugo LEDERER bei verschiedenen Anlässen, welche mit sei- nen gelegentlichen Besuchen im hiesigen Bordell im engen Zusammenhange stehen, ein Benehmen und eine Auffassung der Offiziers-Standespflichten an 78 Die Abschrift des Protokolls, das Zeidler erhalten hatte, ist von Kottulan und von Winkler unterzeichnet (m. p.). 79 KA, NFA, 58. ID, Karton 3259, Res. 1610/1916; 58. Res.-Feldart.-Brig-Kdo., Res. Nr. 80, Beilage 5: Protokoll mit Leutnant Lederer vom 28. Juli 1916. 80 Kriegspostkarte des Bundes der Deutschen in Niederösterreich, Nr. 211 (Sammlung Lukan). Necakov_zbornik_FINAL.indd 106 23.1.2018 8:46:54 107Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) den Tag gelegt hat, welche geeignet sind, das Ansehen des Offiziers-Korps auf das Empfindlichste zu schädigen. Wenn ich trotzdem von einer strengen Bestrafung absehe, geschieht dies nur in Berücksichtigung des offenkundigen Mangels jeder Überlegung seiner Handlungsweise und des Umstandes, dass es mir widerstrebt, weiterhin in die- ser, jedem Offizier höchst peinlichen Angelegenheit, in welcher die Aussagen von Offizieren jenen einer minderwertigen Frauensperson gegenübergestellt werden müssen, zu verhandeln. Dem Leutnant LEDERER ist sein Vorgehen beim Brigade-Rapporte strengstens zu verweisen und demselben vorzuhalten, dass 1.) Die Verhaftung des Polizeibeamten SPAZZAPAN ein Übergriff war, welcher durch keinen der Begleitumstände auch nur die geringste Rechtferti- gung erfahren kann und 2.) sein Einschreiten beim Polizeikommissär WINKLER um Überset- zung einer Prostituierten aus der Mannschaftabteilung in jene für Offiziere – gleichgiltig, ob dies seinem eigenen Antrieb, oder der Initiative anderer Offiziere Abb. 3: Der »Verteidiger von Görz«. Kriegspostkarte (1916) Necakov_zbornik_FINAL.indd 107 23.1.2018 8:46:54 108 Walter Lukan entsprang – einen Mangel an Standesbewusstsein verrät, den jeder andere Offi- zier als beschämend empfinden muss. Eine Wiederholung ähnlicher Handlungen würde unbedingt zur Einlei- tung der ehrenrätlichen Untersuchung führen. Hiemit will ich die Angelegenheit erledigt wissen. E. Zeidler«81 Während die beiden Hauptleute Blažević und Scheichenbauer in Zeidlers abschlie- ßendem Urteil über den Bordellskandal verschont blieben - Blažević kam überhaupt ungeschoren davon und Scheichenbauer wurde vom Brigadier Richter selbst weger der »bedauerlichen Vorfälle« beim Rapport »ausstellig verwiesen«82 -, musste Oberleutnant Heinrich zumindest Zeidlers »Missfallen« ertragen. Das folgende Schreiben Zeidlers wurde ebenfalls am 1. August 1916 an die Pionierkompagnie Nr. 4/7 expediert: »Der Oberleutnant Wilhelm Heinrich der Poinierkompanie Nr. 4/7 ist durch seine zahlreichen Besuche im hiesigen Bordell in eine Angelegenheit verwi- ckelt worden, in welcher er eine ziemlich exponierte Rolle spielte und bewies, daß sein Handeln nicht jederzeit von jenem feinen Empfinden geleitet wird, welches den Offizier in allen Lagen auszeichnen soll. Ich spreche dem genannten Offizier, wegen dieses Mangels, welcher ge- eignet ist, ihn auch weiterhin in ziemliche, dem Ansehen des Offiziersstandes abträgliche Situationen zu bringen, mein besonderes Mißfallen aus. Der Kompagniekommandant hat dahin zu wirken, daß Oberleutnant Hein- rich sich seines nicht einwandfreien Verhaltens bewußt werde und ähnliche An- stände vermeide, damit das Privatleben dieses vor dem Feinde mehrfach ausge- zeichneten Offiziers mit seinen dienstlichen Leistungen in Einklang komme.«83 Letzendlich aber hatte das bis zum Skandal gesteigerte lebenslustige Verhalten der Of- fiziere im Görzer Bordell das schwächste Glied in der Kette, die Prostituierte Potočnik getroffen. Sie wurde, wohl auf Betreiben der willfährigen Bordellbesitzerin und auf Wei- sung Zeidlers (oder Winklers?), nach Triest abgeschoben. Die Offiziere konnten sichs irgendwie richten und kamen ohne militärgerichtliches Verfahren davon, sie waren ander- wärtig unentbehrlich. Die Bordellbesitzerin, für Zeidler eine »minderwertige Frauensper- son«, wollte sichs mit Niemanden verscherzen und nahm aus Angst vor nicht absehbaren Konsequenzen viel von ihrer ursprünglichen, wohl in berechtigten Schärfe vorgetragenen 81 KA, NFA, 58. ID, Karton 3259, Res. Nr. 1610/2, vom 1. August 1916. Auch hier wurden wegen der besseren Lesbarkeit des Textes die von Zeidler verwendeten Abkürzungen aufgelöst. 82 Im Akt Res. 1610/1916. Richters Erledigung vom 14. August 1916, also schon nach dem Fall von Görz. 83 Ebenda. Konzept vom 1. August 1916. Wiedergabe mit Auflösung der Abkürzungen. Necakov_zbornik_FINAL.indd 108 23.1.2018 8:46:54 109Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Kritik zurück. Dasselbe tat im Grunde auch die politische Behörde, die Polizei, die kein Interesse daran hatte, mit den Militärbehörden in eine Auseinandersetzung zu geraten. Sie wollte nur ihre Kompetenz respektiert wissen, um sicher zu gehen, dass nicht wieder ein Polizist auf Befehl eines Offiziers verhaftet wird. Der Divisionär Zeidler aber wusste ganz genau, was sich da abgespielt hatte und wer die Schuldigen des Skandals waren, daher auf der einen Seite seine strengen Befehle zur Wiederhersstellung der Ordnung, auf der an- deren Seite aber nur eine milde Strafe und ein angedrohtes militärgerichtliches Verfahen für jene, die zukünftig über die Stränge geschlagen sollten. Die militärische Stärke durften solche Vorfälle nicht tangieren. Die von Zeidler hoch zu haltende Offiziersehre war aber – wie diese angeführten Vorfälle zeigen – in der Praxis ein recht dehnbarer Begriff. Man könnte abschließend fragen, was war die Ursache dafür, dass es in dieser Stadt, in der man ständig den Kanonendonner hörte und in der manche Straßen gesperrt wa- ren, weil man von einer Gewehrkugel getroffen werden konnte, so ausgelassen und rund herging, gerade auch im Bezug auf das geschilderte ungezügelte Sexualleben? Vielleicht hatte die Kriegsberichterstatterin Alice Schalek da eine breiter gültige Antwort parat. Sie schreibt, nachdem sie mit Verwunderung festgestellt hatte, dass sie seit Kriegsbeginn nirgends so viel lachen gehört habe, wie zur Zeit ihres einwöchigen Aufenthalts in Görz: »Es ist, als wolle jeder noch rasch so viel Fröhliches in sein Leben tun, als er nur irgend vermag. Keiner von denen, die hier sind, weiß, ob er morgen noch leben wird, oder richtiger noch: jeder, der hier ist, weiß, daß er morgen schon tot sein kann. Darum lacht er heute noch, nur darum, weil er noch lebt.«84 Dieser Fatalismus galt wohl für die Militärpersonen, die an der nahen Front tagtäglich diese Stadt zu verteidigen hatten - ob Offizier oder einfacher Soldat – in noch verstärktem Maße. Nur drei Tage nach dem Schlusstrich, den Zeidler unter die skandalösen Gescheh- nisse im Görzer Bordell gezogen hatte, begann die 6. Isonzoschlacht, in der Görz von den italienischen Truppen erobert wurde. In der Nacht vom 7. auf den 8. August 1916 musste Zeidler schweren Herzens die Räumumg des Görzer Brückenkopfes verfügen85 – mit der Räumung der Stadt wurde schon zwei Tage vorher begonnen – und damit war auch das Görzer »Toleranzhaus« Geschichte.86 84 Schalek, Am Isonzo, S.10. 85 Vgl. Zur 6. Isonzoschlacht und zum Verlust des Görzer Brückenkopfes vgl. Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914–1918, S. 21–108, insbesondere 38–55, Zeidlers Befehl zur Räumung des Brückenkopfes S. 54. 86 Wegen seiner Leistung bei der Verteidigung des Görzer Brückenkopfes und dann des linken Isonzoufers vor Görz wurde Erwin Zeidler (1865–1945) im August 1917 von Kaiser Karl geadelt und erhielt die höchste Tap- ferkeitsauszeichnung, den Militär-Maria-Theresien-Orden. Sein Name lautete fortan: Erwin Freiherr Zeidler von Görz. Eingedenk seines besonderen Kampfes, den er auch noch gegen die Ärgernisse im Görzer Bordell zu führen hatte, möchte man heute schmunzelnd sagen: Der Mann hat sichs verdient! – Das weitere Schicksal der anderen handelnden Personen ist noch unerforscht. Necakov_zbornik_FINAL.indd 109 23.1.2018 8:46:54 110 Walter Lukan Dokument 1: »Prostitutions-Regulativ« des Kommandos der Südwestfront (1915). Necakov_zbornik_FINAL.indd 110 23.1.2018 8:46:55 111Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Necakov_zbornik_FINAL.indd 111 23.1.2018 8:46:55 112 Walter Lukan Necakov_zbornik_FINAL.indd 112 23.1.2018 8:46:55 113Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Dokument 1d: »Prostitutions-Regulativ« des Kommandos der Südwestfront (1915). Necakov_zbornik_FINAL.indd 113 23.1.2018 8:46:56 114 Walter Lukan Dokument 2: Vorschrift der Polizeidirektion Laibach für das Toleranzhaus (1916). Necakov_zbornik_FINAL.indd 114 23.1.2018 8:46:56 115Ärgernis im »Toleranzhaus« des Brückenkopfes Görz (1916) Dokument 3: Vernehmungsprotokoll eines geschlechtskranken Soldaten (1917). Necakov_zbornik_FINAL.indd 115 23.1.2018 8:46:56 116 Walter Lukan Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Österreichisches Staatsarchiv (ÖSTA), Kriegsarchiv (KA), Wein - Kriegsministerium (KM), Abt. 14 - Armeeoberkommando (AOK) - Neue Feldakten (NFA): Kommando der Südwestfront (Kdo. der SWF), 5. 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Znanstvenokritična izdaja [ Jeglič- -Tagebuch. Wissenschaftlich-kritische Ausgabe]. Celje: Celjska Mohorjeva družba: Društvo Mohorjeva družba, 2015. Russ, Viktor K., Die Seuchenbekämpfung bei der Isonzoarmee. Wiener Medizinische Wochen- schrift. Teil I: 66 (34), 1918, S. 1483–1488; Teil II: 66 (35), 1918, S. 1524–1530. Primorski slovenski biografski leksikon. Gorica: Goriška Mohorjeva družba, 1974–1994. Schalek, Alice, Am Isonzo. März bis Juli 1916. Wien: Seidel & Sohn, 1916. Steiner, Johann, Der militärärztliche Dienst des österreichisch-ungarischen Heeres während des Weltkrieges im Hinterlande und bei der Armee im Felde. Clemens Pirquet (Hg.), Volksge- sundheit im Krieg I, Wien 1926, S. 78–107. Tuma, Henrik, Iz mojega življenja. Spomini, misli, izpovedi [Aus meinem Leben. Erinnerungen, Gedanken, Bekenntnisse]. Ljubljana: Naša založba, 1937. Wingfield, Nancy M., The Enemy Within. 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