Montenegro. Schilderung einer Reise durch das liniere nebst Entwurf einer Geographie des Landes von Dr. Bernhard Schwarz. neu nach eigenen Aufnahmen und einer Karte Zweite Ausgabe. Leipzig, Verlag von Eduard Ba Idamus. 1888. Montenegro. Montenegro. Schilderung einer eise durch das Innere nebst Entwurf einer Geographie des Landes von Dr. Bernhard Schwarz. Mit Illustrationen nach eigenen Aufnahmen und einer Karte ri-M Zweite Ausgabe. Verlag Leipzig, von Eduard 1888. Bald am us. Das Übersetzungsrecht behält sich die Verlagshandlung ausdrücklich Seiner Hoheit dem durchlauchtigsten Fürsten Nieolaus I. von Montenegro in tiefster Ehrfurcht gewidmet vom Verfasser. Inhalt. Erster Teil. Reise durch das Innere der Crnagora. Seite I. Unterwegs bis Zara.................. 1 II. Von Zara über Sebenico, Spalato und Ragusa nach Cattaro .... 21 III. Der erste Schritt auf montenegrinischer Erde. Cetinjer Leben ... 48 IV. Von Cetinje durch die Crmniza und über den Sutorman-Pass nach Antivari. Entdeckung einer Petroleumquelle......... 96 V. Antivari...................... 180 VI. Von Antivari zu Land nach Dulcigno........... Lr>4 VII. Von Dulcigno nach Skutari............... 182 VIII. Von Skutari nach Podgoriza............... 209 IX. Von Podgori/.a nach Nikschitsch............. 237 X. Aus dem Thal der Ceta in das Tuschina- und Tarathal..... 274 XI. Aus dem Tarathal an die Moratscha und über Rjeka nach Cetinje und Cattaro...................... 310 Zweiter Teil. Geographie der Crnagora. I. Die einschlägige Litteratur............... 330 II. Der Name des Landes................. 357 III. Die horizontale Gliederung des Hodens........... 362 IV. Vertikale Gliederung des Territoriums. Höhentabelle...... 374 V, Geologisches und Mineralogisches. Analyse der aufgefundenen Petroleumquelle................... 389 VI. Das Klima....................' . 393 VII. Hydrographie.................... 398 VIII. Flora....................... 413 XI. Die Fauna der „schwarzen Berge"............ 421 X. Die Bevölkerung................... 427 Erster Teil. Reise durch das Innere der Crnagora. I. Unterwegs bis Zara. Ein Land, durchaus erfüllt von hohen,' düsteren Gebirgen, .eine nackte, öde, bäum- und strauchlose Steinwüste, deren monotone, tote Hochfläche nur hier und da durch eine finstere, gähnende Schlucht unterbrochen wird — in diesem ganzen trostlosen Gebiete aber als menschliche Bewohner einzig und allein eine geringe Zahl halbverhungerter, hohläugiger, zerlumpter Hirten, die bei der ersten besten Gelegenheit sich in mordsüchtige Brigantcn verwandeln — das ist ungefähr das Bild, das bei dem Worte „Montenegro" vor den Augen des deutschen Publikums, wenn nicht Europas überhaupt, aufsteigt. Aber dies Bild ist, wenigstens zum grössten 'Feile, ein falsches. Es giebt ein Land, in welchem unter einem südlich heiteren Himmel, überragt von phantastisch geformten Bergriesen, deren Gipfel nicht selten schneebedeckt zum tiefblauen Firmament aufragen, die üppigsten Laubhölzer Gehänge und Niederungen bekleiden, wo in saftigen, giessbachdurchrauschten, vom grossen Welt* getümmel noch unentweihten Gründen Nachtigallen flöten, und, wenn auch spärlich gesät und arm an gleissenden Schätzen, eine physisch und moralisch gesunde, äusserlich rauhe, aber gleichwohl mit tiefem Gemüt begabte, löwenhaft tapfere und trotzdem auch wieder kindlich harmlose, stolz-ernste und doch daneben der zuvorkommend-steil Gastfreundschaft fähige Bevölkerung ihre Wohnsitze hat. Und das ist auch Montenegro, ist — mag immerhin der Leser geneigt sein, mich der Schönfärberei zu beschuldigen — das Land der „schwarzen Berge", wie ich es in mehrwöchentlicher, eingehender Reise durch das ganze Gebiet in Wahrheit gefunden habe. Schwarz, Montenegro. , 1 Woher kommt es denn aber, dass wir, die wir doch bereits über die unzugänglichsten Teile Afrikas recht gut unterrichtet sind, von einem Stück Erde, das verhältnismässig noch so nahe am kulturreichen Centrum von Europa und dicht am völkerverbindenden Mittelmeere liegt, das daneben seit Jahren und Jahrzehnten in den gewaltigen Racekämpfen auf der Balkanhalbinsel das Interesse der ganzen gebildeten Welt auf sich gezogen hat, ein so verzerrtes Bild besitzen? Das kann doch nur an den Malern liegen, die uns das ferne Land gezeichnet haben. End allerdings nimmt die Litterattir über Montenegro auf dem schier schon fast unabsehbarer] Büchertische, welchen die Erdkunde in den letzten Decennien sich aufgebaut hat, nach Quantität und Qualität eine überaus klägliche Stelle ein. Kaum dass wir ein halbes Dutzend dünner Bändchen besitzen, welche trotz der stolzesten Aufschriften auf ihrem Titelblatte, wie „Wanderungen durch Montenegro'" u. dergl., doch insgesamt nicht mehr als eine vielfach noch dazu dürftige Beschreibung des sechsstündigen Weges vom Mittelmeergestade nach der 1 lauptstadt Cetinje liefern. Nun aber ist das damit berührte Stück montenegrinischer Erde so wenig charakteristisch für die übrigen Gebietsteile der „schwarzen Berge", dass darnach ein Urteil über das ganze Land abgeben zu wollen fast ebenso thörieht wäre, als wenn jemand, der nur die Lüneburger Haide gesehen, sich anmasste, ein Bild von Deutschland zu entwerfen. Bei der ägyptischen Finsternis, die nach alledem zur Zeit noch das Land oder wenigstens dessen Inneres deckt, nntsste natürlich der Gedanke einer Reise dahin trotz der allgemeinen Ansicht, dass es dort nur wenig Naturschönheiten, dafür aber um so mehr Gefahren und Mühseligkeiten geben werde, des Verlockenden für mich genug haben. Das Unbekannte reizt ja das menschliche und vorzugsweise das germanische Naturell, zumal wenn es — wie es doch bei Montenegro in so hervorragendem Grade der Fall ist mit dem Glorienschein heroischer Grösse umgeben sich darstellt. Freilich verhehlte ich mir, wenn ich auch viel zuversichtlicher war als meine Umgebung, die Schwierigkeiten, die sich meinem Vorhaben entgegenstellen würden, nicht. Namentlich sagte ich mir dass ohne Mithilfe der montenegrinischen Regierung mein Plan kaum durchzuführen sein werde. Daher wandte ich mich zunächst mit einer Bitte um Empfehlungen an das auswärtige Amt in Berlin. Die überaus freundliche Antwort, die mir darauf von dorther wurde, ging dahin, dass in der Hauptstadt der Tschernagora zwar irgend eine diplomatische Vertretung des deutschen Reichs zur Zeit nicht bestehe, dass man aber den interimistischen Konsul >n Ragusa mit der weiteren offiziellen Rekommandation meiner Person an die fürstliche Regierung in Cetinje beauftragt halte. Nur erwarte man, dass ich besagtem Herrn einen Bestich abstatten werde. Dass die letztgedachte Verpflichtung sich zu einem ganz besonderen Vergnügen für mich gestalten würde, konnte ich damals noch nicht ahnen. Von meiner sonstigen Ausrüstung hebe ich nur noch einen photographischen Apparat heraus, mittels dessen es mir gelungen ist, die ersten Bilder von dem viellach hochpittoresken Inneren des Landes seit Menschengedenken zu erzeugen. Die Bewaffnung anlangend, so führte ich lediglich einen Revolver bei mir, der indes, wie es sich aber erst gegen Ende der ganzen Reise herausstellte, gänzlich versagte. Ich erwähne dies nur, um von der im Lande herrschenden Sicherheit einen handgreiflichen Beweis zu geben. Freilich hatte ich, wenn ich offen sein soll, von dem letzterwähnten günstigen Stande der Dinge in Montenegro vor Antritt meiner Reise noch keine Ahnung, Schwirrte es doch um mich herum, wo immer auch nur ich mein Projekt laut werden liess, von Befürchtungen der unheimlichsten Art. Nicht Wenigen war mindestens um meine Ohren und Nase bange. Indes mich erfüllte doch eine merkwürdige Zuversicht, dass mein Wagnis gelingen werde. Und so dampfte ich denn am ig. April vergangenen Jahres wohlgemut ab, dem Süden und seiner zauberischen Herrlichkeit entgegen. Freilich, so lange ich mich noch durch unseren kalten Norden lmd diesseits der Thore zum Carlen der Hesperiden bewegte, stellte sich diese Frühlingsfahrt nicht gerade als angenehm dar. Die Nacht Zwischen Dresden und Wien war äusserst kühl. In der schönen Kaiserstadt an der blauen Donau selbst lag ein feuchter, kalter Nebel über den kahlen Bäumen, ja auch auf dem Semmering schneite es lustig wie im tiefsten Winter. Die weisse Masse war sogar so unartig, uns nach dem schönen Graz und selbst bis über Laibach hinaus zu begleiten. In dein berüchtigten Karst aber fiel nur noch Regen, so bedeutend ist hier die Einwirkung des nahen Mittelmeeres und seiner sonnenwannen Gelände. In St. Peter verliess ich die llauptlinie Wien-Triest, um nach Eiume hinabzufahren, denn nach den Angaben meines Kursbuches sollte gleich am nächsten Tage von da ein Lloyddampfer nach Cattaro abgehen, der sein Ziel bereits am zweiten oder dritten Tage erreichen würde. Zudem bot mir dieser Weg noch den Vorteil, ein Stück lstrien, den viel gerühmten Schienenweg von der genannten Station der Semmeringbahn nach Eiume und diese letztere ungarisch-kroatische Hafenstadt selbst, welcher bekanntlich seit den deutschen Getreidezöllen ein rasches Aufblähen prophezeit worden ist, kennen zu lernen. Freilich, die ersten zwei Dritteile der kleinen, nur 57 Kilometer langen Zweigbahn bieten landschaftlich nur wenig. Der Zug fährt, nebenbei mit recht schlechten Wagen ausgerüstet, von der noch 544 Meter hoch gelegenen Ausgangsstation unter zahlreichen Windungen durch das monotone Hügelmeer der Karstregion abwärts, gestattet indes bei der aussergewöhnlichen Langsamkeit, mit der er sich seinem Ziele entgegenbewegt, wenigstens bequeme Einblicke in diese unschöne, aber doch für den Geographen hochinteressante Gebirgswelt. Hierbei kann man namentlich die Beobachtung machen, dass, so trist diese Gegend auch ist, sie doch an Ode den später zu beschreibenden Küsten- und inseliand-schaften südwärts von Fiume nicht gleichkommt. In der endlosen Steinwüste hier finden sich vielfach wenigstens Ansätze von. Be-wachsung, Busch- und Strauchwerk häufig genug, während dort unten die absolute Nacktheit dominiert. Selbst ausgedehntere Baumgruppen und nasenartige Ansiedelungen mit Fruchtfeldern und Gärten zeigten sich dem überraschten Auge. Wahrhaft entzückend aber wird die Fahrt, wenn nun mit einem Male rechts, nach Passierung eines gewaltigen Einschnittes, tief unten das blaue Meer mit seinen Inseln in duftiger Ferne und im Vordergrunde in schön geschwungener Linie die malerische und üppige Ostküste der istrischen Halbinsel, überragt vom imposanten Monte Maggiore (1390 Meter), sichtbar wird. Doch nur zu flüchtig ist dieser unvergleichlich schöne Blick, denn der Schneckengang des Trains hat sich unvermerkt in ein rasches Tempo verwandelt. Bereits sind wir zum Gestade selbst niedergeglitten und sausen durch üppige Gärten mit Feigenbäumen und Cypressen, an Landhäusern und Segelschiffen vorbei in die einzige Küstenstadt des Königreichs Ungarn hinein. Fiume ist ein stattlicher Ort. Mit breiten Strassen und hohen Häusern, unter denen viele Neubauten, zieht es sich in langer Linie am Meere hin, während im Rücken das Land steil ansteigt. Im Süden der Stadt mündet mit ansehnlicher Wassermasse ein Fluss, der unmittelbar vorher ein durch kahle, aber imposante Felswände schluchtartig verengtes Thal durchströmt. Das Gewässer hat merkwürdiger Weise bis jetzt keinen besonderen Namen erhalten. Die alten Anwohner bezeichneten es einfach als „Fluss", in der nämlichen Weise, wie noch heute Naturvölker für geographische Objekte häufig nur den Genusnamen statt eines nomen proprium verwenden. Daher die ursprüngliche Benennung von Fiiune: „Fanum Sancti Viti ad Flumen", woraus dann deutsch „St. Veit am Flaum" und endlich noch verkürzter italienisch „Fiume" wurde. Für den Fluss selbst aber ist jetzt die Bezeichnung „Fiumara" im Munde der WTälschen üblich, während die Slaven bei dem „Flusse" (illyrisch „reka") geblieben sind. Im Innern von Fiume ist übrigens wenig zu sehen. Das l reiben auf den Strassen bietet noch lange kein so buntes Bild, wie etwa in den echten italienischen Städten drüben, und das Leben an dem kleinen Hafen verrät gegenwärtig wenigstens noch nicht den Autschwung, von dem magyarische Chauvinisten seit der Zeit der deutschen Schutzpolitik träumen. Um so entzückender aber ist die Aussicht, die sich von den Anhöhen unmittelbar hinter dem Orte erschliesst. Fs war ein kostbarer, milder Abend, als ich da oben stand. Drunten aus der weissen Häusermasse schallten die Ave-Maria-Glocken herauf. Auf der spiegelglatten Meeresfläche schaukelten einige Segelschiffe, während weiter draussen bis in die verschwimmendste Ferne hinaus die mächtigen Umrisse der langgestreckten Inseln Cherso und Veglia auftauchten, die im Verein mit der istrischen Küstenlinie die Salzflut für das Auge wenigstens zu einem kolossalen Binnensee ab-sehliessen. — Leider erwiesen sich die Angaben des Kursbuches betreffs des Abgangs eines Filschiffes nach Cattaro am nächsten Morgen als falsch. Erst nach vier Tagen sollte dasselbe von Stapel taufen. Das war mir denn doch zu spät. Und so entschloss ich mich kurz und bestieg den Lokaldampfer nach Zara, der gerade seine Reise antrat, um so wenigstens etwas meinem ersehnten Ziele naher zu kommen, eventuell auch in Zara einen Dampfer der Linie Triest-Cattaro zu erreichen. Für den Verlust an Zeit aber gewährte mir diese Fahrgelegenheit die Möglichkeit, ein Stück des croato-dalma-tinischen Küstenlandes zu sehen, das von den übrigen Dampferlinien nicht berührt und daher von Fremden nur sehr selten besucht wird. Es war ein stürmischer, nasskalter Morgen, als wir Fiume ver-liesseu. Draussen auf hoher See mochten die Schiffe wohl nicht wenig von den Wogen hin- und hergeworfen werden. Unser nur massig grosser Dampfer aber hielt sich wohlweislich im stillen Fahrwasser dicht am Lande, welch letzteres sich hier als gut bebaut und mit freundlichen (Ortschaften besät darstellte. Nachdem wir die geräumige Bucht von Porto l\e, beiläufig der einzige grössere Meerbusen an dieser ganzen Küstenstrecke bis gen Zara hinunter, passiert hatten, durchfuhren wir die überaus schmale Meerenge zwischen dem Festlande und der hier am weitesten gegen das letztere vorgeschobenen Insel Veglia und gelangten darauf in den „Kanal della Morlacca", wie die mehr oder minder breite Wasserstrasse zwischen dem Kontinent und einer mit demselben parallel laufenden Inselkette genannt wird. Der Himmel hatte sich unterdes aufgeklärt, sodass links die waldigen Kuppen des weithingestreckten Kapellagebirges sichtbar wurden. Rechts dagegen hatten *vir fortdauernd die Insel Veglia vor Augen, die sich von den übrigen dalmatinischen Eilanden namentlich dadurch unterscheidet, dass sie nicht, wie jene, eine schmale, langgestreckte, sondern eine mehr central gelagerte Landmasse bildet. Das hindert indes nicht, dass sie im allgemeinen genau dieselbe Art zeigt, wie ihre Kolleginnen, nämlich* dass ihre gegen Osten gekehrten Abhänge von abschreckender Nacktheit und Öde sind, während die Westseite Bäume und Frachtfelder in verhältnismässiger Üppigkeit aufzuweisen hat. Diese nur partielle Sterilität der dalmatinischen Inseln beweist aber doch, dass man den Grund für dieselbe nicht in dem Kalk allein suchen darf, welcher den Hoden daselbst bildet. Die richtigste Erklärung jener auffälligen Erscheinung liefert viel- mehr das Schreckenswort „Bora . Dieser fürchterliche Nordwind, der beispielsweise im Karste oft schon selbst die schwersten Eisenbahnwagen umgestürzt hat. ist bekanntlich die Landplage für die gesamte Ostküste der Adria bis gegen Gorfil hinab. Für die zahlreichen Inseln Dalmatiens wird dieser Wüterich alter insofern noch verderblich, als er von den Bergen des Festlandes mit solcher Heftigkeit auf das Meer niederstürzt, dass ganze Wolken feinen Wasserschaums gegen die östlichen Gehänge jener Eilande geschleudert werden. Das nach der Verdunstung der flüssigen Teile aber resultierende Salz macht das Gedeihen selbst der bescheidensten Pflanzen unmöglich. Bot so schon die Insel zur Rechten des Schiffes einen wenig erfreulichen Anblick, so war das Bild, welches, je weiter wir gen Süden vorrückten, auf der anderen Seite das Festland entrollte, noch ungleich öder und grauenvoller. Denn hier erhebt sich, wenig südlich von der kleinen Stadt Novi, bis wohin das Gestade noch niedrig und verhältnismässig auch vegetationsreich ist. das über 1500 Meter hohe Welebilschgebirge, welches in Form einer riesenhaften, grauen Mauer ohne besonders markante Gipfelbilching die Küste auf viele Meilen begleitet und in last senkrechtem Absturz so nahe an das Meer herantritt, dass nicht einmal für eine Uferstrasse Kaum bleibt. Nur höchst selten finden sich menschliche Ansiedlungen, die insofern besonders den Namen „verlorener Posten" verdienen, als sie von ihrem Hinterlande durch den unzugänglichen Felswall abgeschnitten sind, während auf der anderen Seite die sonst länderverbindende Salzflut infolge ihres steten tosenden Anstürmens gegen die Steilküste zu einer Scheidewand wird. Auf dieser Strecke entrollt sich die eigentliche dalmatinische Küstenscenerie, wie sie weiter südwärts in solcher Starrheit kaum wieder angetroffen wird. Den Eindruck grausiger Wildnis zu erhöhen, lag jetzt noch vielfach Schnee hoch oben auf Böschungen und in breiten Mulden. Und doch hat menschliche Hand auch in dieser Wüstenei den Kampf mit den zerstörenden Naturmächten bereits aufgenommen. Unter den wenigen Passagieren unseres Schiffes befand sich nämlich auch der Forstinspektor von Zara, ein kenntnisreicher und höchst angenehmer Mann von östreichischer Herkunft. Er hatte vordem in der Üppigkeit der slovenischen Urwälder gearbeitet, sollte aber nun — o quae mutatio rerum — die Bepflanzung der dalmatinischen Inseln und auch des Welebitschgebirges in Scene setzen. Dieser liebenswürdige Herr machte mich wiederholt auf kleine, schwarze Flecken aufmerksam, die hoch oben an dem nackten Gebirgswalle zum Vorschein kamen. Sie stellten seine Schöpfungen» Gruppen von Laub- oder Nadelhölzern, dar. Dabei vermochte mir der Mann kaum die ungeheuren Anstrengungen zu schildern, die schon diese unscheinbaren Anfänge erfordert hatten. Wie anderwärts so sind auch hier die noch halb unkultivierten Anwohner die grössten Feinde solcher segensreichen Bestrebungen, indem sie nicht selten die jungen Stämmchen ohne Bedenken als. Feuerungsmatertal verwenden oder ihren Ziegen das Abfressen der zarten Pflänzchen gestatten. Als ein noch ungleich vernichtenderer Gegner offenbart sich indes wiederum die böse Bora, die oft mit einem einzigen Anstürme einen ganzen kleinen Forst samt dem für denselben mühsam aus der Niederung herbeigeholten Humus hinwegfegt. Wenn, wie man behauptet, ehemals wirklich die ganze Ostküste der Adria und auch diese Partie bewaldet war, so erscheint die Forstverwüstung, deren sich Muhammedaner, Venetianer und „andere Türken" in dieser (regend schuldig gemacht haben sollen, als. ein doppelt schändliches Verbrechen, da vielleicht,auch hier, wie so oft auf steilen Hängen, die Abholzung zugleich die Unmöglichkeit eines Wiederanbaues im Gefolge gehabt hat. Zur Ehrenrettung des Welebitsch sei übrigens noch erwähnt, dass er auf seiner nach Osten gekehrten Seite Wald genug trägt, entsprechend dem Gesetze, nach welchem auf der gesamten Balkanhalbinsel und darum, wie wir sehen werden, auch in Montenegro, die Landschaft immer saftiger und üppiger wird, je mehr man, vom Meere sich entfernend, nach Osten zu in das Innere des Landes eindringt. Gegen 11 Uhr mittags bekamen wir Zengg (italienisch Segna) jn Sicht, das wir anlaufen wollten. Indes wehte uns eine so heftige Bora entgegen, dass wir wohl eine halbe Stunde kreuzten, ehe wir in den kleinen, exponierten Hafen gelangen konnten. Die Lage der Stadt, die zumeist aus neueren, freundlichen Häusern besteht, ist nicht eindruckslos. Ein alter Turm, wer weiss von welchem Zwingherrn erbaut, grüsst von seinem F^elsvorsprunge herab, während dicht hinter den letzten Häusern die, ungeheure, graue Goulisse des mehrfach genannten Gebirges sich auftürmt. Eine prachtig angelegte, breite Heerstrasse, die „Josephinenstrasse" genannt, klimmt in zahlreichen Windungen und unter Anwendung von Dämmen und Viadukten kühn empor, um die steile Mauer zu übersteigen. Diese kunstvolle Schöpfung ist ein grosser Segen für die Stadt. Ihr verdankt sie das freilich im Grunde noch immer geringe Leben, das in ihr pulsiert. Denn auf dieser Strasse werden namentlich die Hölzer aus dem waldreichen Inneren von Kroatien nach dem Meere zur Verschiffung, befördert. Überhaupt aber weist die Richtung, welche diese kühne Anlage einhält, darauf hin, dass für Dalmatien Transversalrouteu, seien es nun Schienen- oder nur Fahrwege, Routen, die aus dem Herzen der produktenreichen Hinterlande zur Küste führen, allein wertvoll sind, während Strassen, welche mit dem sterilen Gestade parallel laufen, keinen Nutzen bringen, wie dies die ganz verfehlte Eisenbahnlinie Sebenico-Spalato zur Genüge bewiesen hat. In Zengg ging ich ans Land, um den dortigen k. k. Telegraphenvorstand, einen biederen Östreicher, zu besuchen, mit dem ich im Jahre zuvor gelegentlich eines Aufenthalts in dem Tatra-Bade Schmeks (Oberungarn) innige Freundschaft geschlossen hatte. Ich erwähne diese kleine Episode nur deshalb, um dem Leser einen flüchtigen Begriff von dem Leben in einem derartigen Städtchen an dieser Küste beizubringen. Der äusserst liebenswürdige Herr, den ich glücklicherweise auch gleich zu Hause traf, konnte sich der Thränen bei meinem noch dazu so ganz unerwarteten Anblick nicht enthalten. Immer und immer wieder versicherte er mir, wie ungemein niederdrückend es sei, ohne irgend eine Ansprache, ohne die Bekanntschaft auch nur mit einer gleich gestimmten Seele, mitten unter einer so ganz anders gearteten und in fremder Zunge redenden Bevölkerung in diesem so weltverlorenen Orte leben zu müssen, und wie glücklich es mache, einmal wieder ein deutsches Gesicht zu sehen und deutsche Laute zu hören. Leider nur musste ich die inständige Bitte der lieben Familie, bei ihnen einige Tage zu bleiben, ablehnen. Aber einen Trunk Wiener Bieres verschmähte ich nicht, und als wir, glücklich und doch zugleich wehmütig gestimmt, die schäumenden Pokale an einander stiessen, da galt es deutschem Wesen, das unter allen Himmelsstrichen, zu finden ist, und deutscher Freundschaft, die weit über Länder und Meere dem Bruder die Hand der Treue reicht. Noch lange behielten wir das abgelegene Städtchen in Sicht. Denn wir fuhren jetzt direkt westlich quer über den Morlaken-Kanal der von drüben herübergriissenden Insel Veglia entgegen. Doch als wir das kahle südwestliche Vorgebirge des Eilands umfahren hatten, that sich uns eine neue Welt auf. Wir befanden uns in der weiten Bucht von Pesca nova. liier, bis wohin die unbarmherzige Bora nicht mehr zu gelangen vermag, hat menschliche [nventionsgabe und Ausdauer die überraschendsten Resultate erzielt. Die obersten Partien der mehrere Hundert Meter hohen Berge, welche rings die Bai einschliessen, zeigen bereits ansehnliche Waldbestände, während weiter unten Terrassen angelegt wurden, auf denen üppige Fruchtfelder sichtbar werden. Auch die Bevölkerung, die in Massen aus dem kleinen Städtchen herausströmte, um das seltene Glück, ein Stück Kulturwelt in Gestalt eines Lloyddampfers sehen zu können, voll zu gemessen, machte den Eindruck der Kraft und Behäbigkeit. Besonders originell aber war der Anblick der dichtgedrängten Masse von der Höhe des Schiffsverdeckes aus. Denn da hierorts als Kopfbedeckung eine ganz niedrige aber breite, feuerfarbene Kappe üblich ist, so erinnerte der nach Hunderten zählende Volkshaufen lebhaft an ein Riesenpaket rotköpfiger Zündhölzchen, wie sie in der „guten alten Zeit" Mode waren. Auch tue Art und Weise, wie das Schiff, das wegen der seichten See und des Mangels entsprechender Hafenanlagen nicht ans Ufer heranfahren konnte, auf offener Rhede für die Dauer einer halben Stunde, in welcher es seine wenigen Geschäfte auf der Insel erledigen sollte, befestigt wurde, bot ein interessantes Schauspiel. Eine gewaltige, eiserne Tonne schwamm im Wasser. Man wart nun vom Dampfer einem heranrudernden Kahne ein Seil zu. Einer der drei Insassen dieses winzigen Fahrzeugs sprang hierauf mit einem tollkühnen Satze auf die kleine Plattform des fortwährend von den Wogen aufs ungestümste hin und her geschleuderten Fasses hinauf und zog das Tau durch einen dort angebrachten Ring. Dies Manöver ebenso wie das später notwendige Wiederabnehmen jener Fessel unseres Dampfers wurde nach südländischer Art unter dem entsetzlichsten Schreien und Toben, jedoch mit einer geradezu erstaunlichen Sicherheit und Schnelligkeit ausgeführt. Nebenbei gesagt, vollzieht sich Ankunft und Abfahrt der Lloyddampfer in gleicher Weise an vielen Haltepunkten der dalmatinischen Linie, da nur in den grösseren .Städten wirkliche Häfen mit Einrichtungen für ein Anlegen unmittelbar am Lande selbst Vorhanden sind. Welch grellen Gegensatz bildete doch zti dem bunten Treiben und warmen Leben in dieser Bucht das halbverfallene, tote Dörflein auf kahler, brandungumtoster Klippe, das wir in Sicht bekamen bei der Umsegelung der Südspitze der Insel! Dafür aber war die Weite Ausschau, die sich nun erschloss, um so interessanter. Denn letzt zeigte sich rechts über weiter Meeresfläche in duftigen Umrissen das langgestreckte Cherso, während links mehrere kleine Eilande Und später die Insel Arbe. sämtlich auf der uns jetzt zugekehrten Westseite wohl bewaldet, auftauchten. Wir waren ja nunmehr aus dem ungleich schmäleren morlakischen Kanal in den „Quarnerolo , die geräumige Wasserstrasse zwischen den beiden Parallelen der norddalmatinischen Inseln, eingelaufen. Nachdem wir die westliche, weit ins Meer vorgescholtene Spitze von Arbe umfahren hatten, lag plötzlich die gleichnamige Hauptstadt dieser Insel vor uns. Eine niedrige, aber steil abfallende Felsenmasse trägt einen Komplex dicht aneinander, beziehentlich auch übereinander gebauter, altersgrauer Häuser, welche ein noch von den Venetianern herrührender, prächtiger Glockenturm überragt, das Ganze ein so fremdartiges, echt mittelalterliches Bild, wie ich es selten gesehen habe. Wir bogen um das Südende des von Westen nicht zugänglichen Ortes und fuhren in eine kleine, aber sichere Bucht*) ein, Wo wir während der Nacht liegen bleiben sollten. Da es erst Nachmittag 4 Uhr war, beschloss ich mit dem liebenswürdigen zweiten Kapitän unseres Dampfers einen Besuch an Land zu machen. Namentlich wollten wir die höchste Erhebung der Insel, Welche in Form eines kahlen, sargdeckelähnlichen, langgestreckten Berges am Ostufer der Bucht sich erhebt, ersteigen und barometrisch messen. Wir riefen deshalb einen herbeirudernden Kahn an. Aber *) Die Stadt Arbe liegt also auf dem westlichen, nicht, wie auf den Kiepert'schen Karten angegeben ist, östlichen Ufer dieses tiefen Meerescinschnittes. welch ein wunderliches Fahrzeug war das! Ebenfalls ein Stück Mittelalter, wie die Stadt, wenn es nicht gar aus dein grauesten Altertume stammte. Sehr lang aber dabei äusserst schmal, trug es quer über seinem Hinterteile einen wohl drei bis vier Meter messenden, starken Haiken, an dessen beiden Enden sich Vertiefungen zum Einlegen der natürlich ebenfalls sehr langen Ruder befanden. Durch diese sinnreiche Vorrichtung will man dem Umschlagen des engen, noch dazu von ganz dünnem Holze erbauten Bootes begegnen. Freilich müssen, wenn diese Absicht erreicht werden soll, die Insassen auch äusserst ruhig sich verhalten. Neben der bekannten venezianischen Gondel dürften diese Arbe-Kähne wohl die originellsten Fahrzeuge der Adria darstellen und wahrscheinlich kaum irgendwo anders als auf diesem entlegenen und selten besuchten Eilande noch angetroffen werden. Nachdem wir mittelst unseres übrigens sehr rasch dahin gleitenden Bootes bald das Land erreicht hatten, gingen wir zunächst durch das kleine, tote Städtchen. Der Sage nach wurde es einst von der Pest heimgesucht. Und fast scheint es, als habe es sich seitdem noch nicht wieder erholt. Einem Kirchhof mehr als einer A?isiedelung Lebendiger glich das Ganze. Auf dem engen Marktplatz mit alten Palästen wucherte das Gras. Aus den Ritzen und Spalten streckten Feigenbäume kühnlich ihre Arme. Nur hier und da lugte durch eine säulengetragene Fensteröffnung schüchtern ein Mädchenkopf, um neugierigen Auges sich den seltenen Anblick zweier Fremdlinge aus dem so nahen und doch auch wieder so fernen europäischen Kulturlande zu gönnen. Diese wenigen Repräsentantinnen des Arbe'schen Damenflors aber liessen mich schliessen, dass altvenetianische Schönheit auf diesem Eilande noch nicht wie so manches andere ausgestorben sei. So schlenderten wir durch die engen Gassen dahin, als aus einem altertümlichen Gitterfenster ein vernehmliches „Pst, Pst" unser Ohr traf. Bereits dachten wir auch an ein altvenetianisches Abenteuer. Aber die Sache klärte sich sehr einfach auf. Mein Freund in Zengg, der voraussetzte, dass wir die Stadt besuchen würden, hatte mir telegraphisch noch einen rührenden Absehieds-gruss nachgesandt, und niemand anders als der Mann am fernsprechenden Drahte war es, der, im Unklaren darüber, in welcher Sprache wohl er uns anrufen sollte, durch jene internationalen Laute unsere Aufmerksamkeit erregen wollte. Nachdem wir die Stadt verlassen, stiegen wir unter blühenden Rosen und üppigen Feigenbüschen an einer Bodenschwelle empor, die, wie es wenigstens schien, uns allein noch von dem erstrebten Berge trennte. Oben angekommen aber bemerkten wir, dass wir uns getäuscht hatten. Unter uns lag eine ziemlich breite Ebene, jedoch auch jenseits derselben zeigten sich wieder hügelige Vorlagen, die überwunden sein wollten. Indes genossen wir doch wenigstens bereits die instruktivste Überschau über fast das ganze Inselland, das allerdings noch nicht vier Ouadratmeilen Flächeninhalt hat. Das Bild war ein recht einmütiges, wenn auch totes. Nordwestlich erhob sich am buschreichen Rande einer kleinen Bucht ein weissgetünchtes, einsames Kloster, welches meinem Begleiter durch den trefflichen Wein, den er beim Prior dort oft getrunken, wohlbekannt war. Landeinwärts von da reihten sich, meist mit Kukuruz bestanden, Fruchtfelder an Fruchtfelder. Bäume waren, ebenso wie isolierte Häuser, nur ganz selten zu sehen. Wir nahmen unsern Weg bald wieder auf. Aber mit jedem Schritte häuften sich die Schwierigkeiten. Alle Pfade, die wir einschlugen, entpuppten sich nur zu rasch als Feldwege, die uns unserm Ziele nicht zuführten. Ks galt fortwährend über Mauern zu klettern oder von Terrassen, welche auf den Gehängen angelegt waren, herabzuspringen. Dazu zeigte sich der Boden nicht selten weich und sumpfig oder von tiefen Gräben durchschnitten. Doch waren wir endlich wirklich so weit gekommen, dass wir am eigentlichen Centraiberge anstiegen. Da, nach der Berechnung, die ich auf Grund der Angaben meines Aneroids anstellte, bei 97 Meter Seehöhe, während unser Ziel sich bis circa 41XJ Meter erhob, begann es zu regnen. Und da es auch bereits spät geworden war, kehrten wir um, ja nach einer halben Stunde sahen wir uns sogar gezwungen, in einem vereinsamten, elenden Hause Schutz zu suchen. Aber welch einen Einblick in Armut und Elend durften wir hier thun! Im Parterre der Stall, darüber die Wohnung für die Menschen, ein dürftig gedielter, fensterloser, gänzlich verrusster Raum, in Welchem zwei Familien, die eine rechts, die andere links vom Eingange, hausten. Unter einem Kessel brannte ein l?euer, welches einen so beizenden Rauch entsandte, dass wir fast erstickten. Aul elenden Lumpen lagen nackte, abgezehrte, scheue Kinder, und ganz im Winkel entdeckten wir selbst einen Schwerkranken. Es war ein Mann in den besten Jahren, aber der furchtbare Würgengel, der „Phtisis" heisst, hatte seinen Weg über Länder und Meere auch hierher gefunden. Dem bedauernswerten Kreuzträger brannten die Wangen, während kalter Schweiss seine Stirn bedeckte. Aber kein Seufzer kam aus seinem Munde. Was hatte er auch bei der Armseligkeit, die diesen Hüttenbewohnern beschieden war, zu verlieren ? Wir baten für unsern brennenden Durst um etwas Wein oder Milch. Keins von beiden war zu haben, so ausserordentlich freundlich und dienstfertig auch die armen Menschen sich erwiesen. Nur trübes Wasser vermochten sie uns in einem zerbrochenen, hässlichen Gefässe zu reichen. Wir schenkten den Kindern einige kleine Münzen und schritten, nachdem wir von den niedrigen Holzklötzen, die uns als Sitze gedient hatten, mühsam aufgestanden waren, der Stadt wieder zu, nicht wenig niedergeschlagen von dem, was wir gesehen hatten. Zwei Seligkeiten giebt es überall, Armseligkeit, Mühseligkeit; WO aber findet sich die dritte, die doch so not thäte, Glückseligkeit? Am Abend hatten wir Besuch an Bord in der Person des mit den beiden Kapitänen wohlbefreundeten Pfarrers von Arbe, eines noch jungen, geist- und lebensprühenden Mannes, dessen ganzes Wesen in einem seltsamen Kontrast zu der doppelten Weltentsagung stand, die ihm sein Beruf und der Aufenthalt auf der einsamen Insel auferlegte. Erst spät vermochten wir uns dem Zauber der hochinteressanten Konversation zu entziehen, die nun in der engen aber traulichen Kajüte bei Bier und Wein gepflogen wurde und in deren Verlauf ein lebhaftes Bild von dem melancholischen und doch auch wieder durch den Hauch eines seltenen Friedens berührten Lebens auf solchem Eilande vor unseren Augen entstand. Wahrlich, einem Europa-Müden bieten die so nahen dalmatinischen Inseln noch Asyle genug! — Hatte uns so schon der erste 'Tag unserer Argonautenfahrt des Lehrreichen viel geboten, so galt dies in noch ungleich höherem Grade von dem folgenden, der uns im eigentlichsten Sinne in eine terra incognita, in einen Erdenwinkel hineinführen sollte. Einen Vorschmack davon erhielt ich schon, als ich, den herrlichen Morgen zu gemessen, auf Deck eilte. Die Scenerie von gestern Abend hatte sicli total verändert. Wo war das langgestreckte Cherso, wo die breite Wasserstrasse des Ouarnerolo? Wir befanden uns in einem ganz engen Kanal, der fast einem Flusse glich. Zur Rechten dehnten sich auf viele Meilen hin Gehänge aus, die in Form eines niederen Kammes ohne bemerkenswertere Gipfelbildung monoton verliefen. Dazu stellten sich dieselben als absolut nackt dar. Kein Baum, kein .Strauch, kein Grashälmchen vermochte man auf ihnen zu bemerken, obwohl wir ganz nahe am Lande liefen. Schier mit dem Rasirmesser schienen sie geschoren. Ja nicht einmal Vorstehende Felsen oder grössere Blöcke unterbrachen das tote Einerlei. Von dem Riesenbesen der Bora glatt gefegt, einem ungeheuren Schutthaufen, einem getrockneten Lehmdamme oder auch der Moräne eines vorweltlichen Gletschers gleich, lag dieses Eiland da, das den Namen „Insel Pago" trägt und ohne allen Zweifel mit dieser seiner Ostseite den trostlosesten Teil von ganz Dalmatien, ja vielleicht von ganz Südeuropa darstellt. Und eine solche Wüstenei sollte unser braver F'orstinspektor bewalden! In der Thal hatten denn auch all' seine verzweifelten Anstrengungen kaum hier und da in einem versteckten, geschützten Winkel einige winzige Baum- oder Buschgruppen aus dem dürren Boden gezaubert. Was aber hatte er dabei ausstehen müssen! Ein wochenlanger Aufenthalt auf einem solchen Eiland unter halbwilden, wenn auch — wie er wiederholt versicherte — gutmütigen und dienstfertigen Menschen, ohne Strassen und Pfade, behufs des Fortkommens immer nur auf elende Pferde oder gebrechliche Nachen und betreffs der Nahrung und Erquickung auf kärglichste Kost und hartes Lager angewiesen, was will das besagen! Aber auch was wir zur Linken sahen, bot keinen freundlicheren, wenngleich einen imposanteren Anblick, liier hatten wir wieder das Festland vor uns. Denn schon in frühester Morgenstunde, während wir noch der Ruhe pflogen, waren wir von unserem munteren Fahrzeug aus dem Ouarnerolo von neuem in den mor-lakischen Kanal gebracht worden. Und so fiel denn unser Auge abermals auf die gigantische Mauer des WTelebitsch; ja siehe, da schmiegt sich auch gerade so wieder wie gestern ein kleines, stilles Städtchen an seine steilen, grauen Mauken. Das ist Carlopago. die südlichste der grösseren kroatischen Ortschaften. Und um die Ähnlichkeit zu vervollständigen, läuft auch hier eine prächtige Hoch-gebirgsstrasse in zahllosen Serpentinen an den schroffen Wänden empor, um den Zugang zu dem Inneren der Provinz zu ermöglichen. Ein fürsorglicher Statthalter hat vor wenig Jahren erst diese kunstvolle Anlage ausführen lassen und die dankbaren Einwohner des Orts haben ihm dicht am Ufer ein einfaches Denkmal gesetzt, dessen weisse Marmorbüste man vom Schiffe aus wohl erkennt. 'Protz dieser Analogien mit Zengg aber hat Carlopago eine noch viel wildere Lage als jenes. Einer geängsteten Schafherde ähnlich, schmiegen sich seine wenigen, altertümlichen Häuser auf beschränktestem Küstenplan eng aneinander, gleich als fürchteten sie, von dem sie rings umfassenden, gigantischen Gebirgswall in das nahe Meer gedrängt zu werden. Nur wenige Minuten hielten wir hier, um dann südlich weiter zu dampfen und den „Kanal della Morlacca", der bekanntlich eine Sackgasse bildet, von Neuem zu verlassen. Zu dem Ende segelten wir durch die äusserst schmale Meerenge, welche von einer weit vorspringenden Landzunge des Kontinents und der Südostspitze der Insel Pago, auf welch letzterer sich das alte verfallene Fort Gliubaz zeigte, gebildet wird. Mit diesem Augenblicke aber traten wir erst in das rechte Labyrinth von Eilanden und Vorgebirgen ein. Wohin das Auge auch blickte, überall schmale Wasserstrassen und ebenso schmale Landstreifen, letztere durchgängig niedrig, kahl und nahezu unbewohnt, wahrlich ein Bild, das fast an jenen Schöpfungstag erinnerte, wo das Trockene noch nicht vom Wasser geschieden war! Würde hier das Meer nur um einige Meter sein Niveau erhöhen, so mussten viele Inseln verschwinden, wie zugleich durch die Überflutung niedriger Festlandsteile neue Eilande gebildet werden dürften. Würde die Adria dagegen nur um einige Meter in ihrem Wasserstande sinken, so müsste manche isolierte Masse sich wieder in Festland verwandeln. Es kann sonach keine Gegend Dalmatieiis einleuchtender die Annahme bestätigen, dass die gesamte Inselwelt dieses Meeresteiles abgerissene Partien des Festlands darstellt. Für den Seemann freilich mag eine Fahrt in diesen Irrgängen nicht so interessant sein; denn die zahlreichen Untiefen, selbst für den Laien durch die hellgrüne Farbe des Wassers an den betreffen- den Stellen angedeutet, die dadurch bedingten, oft ganz schmalen Fahrstrassen, deren gesamte Breite das Schiff nicht selten nahezu ausfüllt, erfordern seine vollste Aufmerksamkeit und die Zuziehung durchaus ortskundiger Lotsen, die Dalmatien allerdings in vortrefflicher Qualität liefert. Auch wir hatten unter der Ungunst dieser Wasserverhältnisse zu leiden. Denn während uns eine Fahrt durch die Meerenge zwischen der kleinen Insel Pontadura und der Landzunge von Nona •n der kürzesten Zeit nach dem bereits ganz nahen Zara gebracht hätte, mussten wir, obwohl wir den Kirchturm von Nona und die rappeln am Strande schon mit blossen Augen sahen, der ganz ungenügenden Tiefe des erwähnten Kanals wegen wieder nördlich an Pago hinlaufen und Pontadura westlich in weitem Bogen umkreisen. vSo kam es, dass wir erst nachmittags 4 Uhr in Zara einliefen. Indes waren diese Kreuz- und Ouerfahrten auch noch insofern interessant, als dabei das Welebitschgebirge sich immer vollständiger vor dem Blicke entwickelte. Namentlich kam bald auch sein bis dahin nicht sichtbar gewesener Kulminationspunkt, der tief im Süden der ganzen Kette gelegene „Sveto Brdo , zu deutsch: der heilige Berg, 1760 Meter hoch, zum Vorschein. Er bildet eine wenig ins Auge fallende Kuppe, die nur südwärts imposanter vom Kamme abgeschnitten ist. Denn hier sinkt der ganze Zug mit einem Male so bedeutend nieder, dass ihn an dieser Stelle, ziemlich dicht an dem erwähnten Kulminationspunkte, die grosse Ueerstrasse von Zara nach Karlstadt, beiläufig in einer Höhe von 'Hir 1008 Meter, überschreiten kann. Zara hat keine grossartige, romantische, wohl aber die glücklichste Lage von allen dalmatinischen Städten, denn es ist keine Bergstadt, wie mehr oder minder alle ihre übrigen Kolleginnen, sondern eine Stadt der Niederung. Sie hat entschieden am meisten Zukunft und fungiert darum mit Recht als die Kapitale der gesamten Provinz. Aus dem Festlande springt eine ganz niedrige Landzunge vor, parallel mit der Küste nordwärts zu verlaufen. Auf ihr liegt der Ort, der nahezu 10,(XX) Einwohner aufzuweisen hat, eine Bevölkerungszahl, die für diese unwirtlichen und unkultivierten Gestade schon eine höchst ansehnliche genannt werden inuss. Der zwar schmale, aber sehr tiefe Meerbusen, der zwischen der erwähnten Schwarz, Montenegro. 2 • Landzunge und dem Festlande bleibt, giebt einen vorteffliehen, sicheren Hafen ab, in dem selbst die grössten Seeschiffe ankern können. Da der Triester Dampfer, auf den ich hier übersteigen wollte, erst am nächsten Tage zu erwarten war, so musste ich in dieser Stadt Nachtquartier nehmen, was ich indes um so weniger zu bereuen hatte, als der Ort des Interessanten für einen kurzen Aufenthalt genug bietet. Noch an Bord erlebte ich nicht wenig des Merkwürdigen. Zunächst erhielt ich eine recht nette Probe von der Art der Menschen hier zu Lande. Der zweite Kapitän rief den zahllosen Arbeitern, die dicht gedrängt am Strande standen, ohne eine Hand behufs rascherer Pierbeiführung der Anlegebrücke zu rühren, einige tadelnde Worte zu, worauf ein wahrer Aufruhr entstand. Die Leute fühlten sich bei ihrer Ehre angegriffen und drohten laut und unverhohlen den Beleidiger zu erstechen, sobald er ans Land käme. Die auf diese Weise zu Tage tretende Roheit und Verwilderung der untersten Volksklassen Zaras wurde mir auch von Bewohnern der Stadt bestätigt und damit erklärt, dass bei der verhältnismässigen Wohlhabenheit der dortigen Bevölkerung auch alles Böse, was im Gefolge der Kultur aufzutreten pflegt, leichter Eingang gefunden habe, als anderwärts in Dalmatien. Als es sodann endlich möglich geworden war, das Fahrzeug zu verlassen, trat eine Ordonnanz an mich heran mit der Frage, ob ich nicht der Oberst von so und so sei, und der Aufforderung, im bejahenden Falle ihr zu folgen. Nachdem auch dieses Hindernis glücklich beseitigt war, verlegte mir ein neuer Schlagbaum in Gestalt der Zollwache den Weg. Da nämlich 'Priest und wohl auch Fiume Freihäfen sind, so winkt dem Reisenden, der von dorther kommt, in jeder dalmatinischen Stadt das Glück einer Untersuchung seines Gepäcks. Pur mich musste eine solche aber insofern doppelt unangenehm sein, als ich Trockenplatten für photographische Aufnahmen bei mir führte, die nicht der geringsten Lichteinwirkung preisgegeben werden durften. Wie hatte ich seiner Zeit triumphiert, als ich die Douane - Cerberusse an der sächsisch - östreichischen Grenze glücklich passiert hatte; wähnte ich doch damals, nunmehr den ganzen grossen Kaiserstaat zollamtlich unangefochten durchreisen ZU können. Und jetzt sollte mir diese Vexation bei jedem Schritte, den ich ans Gestade setzen würde, bevorstehen! Indes ging die Procedur leichter von statten, als ich vermutet hatte, und so trat ich denn endlich mittels des mit dem venetia-nischen Löwen gezierten mittelalterlichen Thores, welches die jetzt in anmutige Promenaden verwandelten Festungswälle durchbricht, ^ die Stadt ein. Welch ein Eindruck, den ich" hier empfing! Da wandelten auf breiten, mit Marmorfliessen gepflasterten Strassen Scharen von bunten Frauengestalten, Aus dunklen Gesichtern von echt südlichem •Typus blitzen nachtschwarze Augen. Dazwischen moderne Elegants oder in Lumpen gehüllte Lazzaronifiguren, das Ganze einer grossen Maskerade nicht unähnlich. Auf das bewegte Treiben aber schauten altersgraue, schwerfällige Paläste und halbverfallene Gotteshäuser mit prächtiger Architektur herab, Hier und da erhebt sich auch eine antike Säule über das Getümmel. Am lebhaftesten erinnert namentlich die „Piazza Signoria" wie schon durch ihren Namen so auch durch ihren originellen Uhrturm, ihr Rathaus und ihr hier besonders buntes Volks- beziehungsweise Kaffeehausleben an bekannte Bilder aus Venedig oder Florenz. Zara ist in der That mehr als alle anderen dalmatinischen Orte eine halb italienische Stadt, wie sie denn anch als die einzige von ihren Schwestern mit der apenninischen Halbinsel drüben über Ankona wie über Venedig direkten Dampfschiffsverkehr unterhält. Selbst der Freund des klassischen Altertums könnte hier noch des Interessanten genug finden. Namentlich ist eine gewaltige Rotunde nach Art des Pantheons in Rom, die lange als christliche Kirche diente, jedoch laut einer von mir kopierten Inschrift im Innern ein Tempel der Juno war, aller Betrachtung wert. Neben altgriechischer oder venetianischer Poesie macht sich freilich auch moderne Prosa geltend. So trug einer der kolossalen Neubaue, die an der Westseite der Landzunge eine prächtige Ouai-&cade nach dem offenen Meere hin bilden, die spasshafte Inschrift: Nuova Bierhalle (neue B.). Glücklicherweise war der Stoff, der hier den Durstigen gereicht wurde, nicht auch eine wälsche Mischung, sondern gut deutscher Gerstensaft. Neben dem trefflichen Hafen beruht die Bedeutung Zaras natürlich ganz besonders auch auf der Fruchtebene, die es umgiebt 2* und die in dem bergigen und felsigen Dalmatien eine besondere Gottesgabe genannt werden muss. Daher richtete ich auch dahin meine Schritte. Mit meinem Freunde, dem bereits erwähnten Kapitän, fuhr ich in einem Boote quer über den Hafen und betrat nun drüben die „Campagna", ein Land von seltener Üppigkeit. Feigen, Wein, selbst Orangen, Oliven und Getreide gedeihen hier wunderbar. Eine ganz sanfte Bodenschwelle erstiegen wir auf einem Feldwege und schauten von oben rückwärts über die stattliche Häusermasse von Zara, während vor uns unübersehbares Weideland sich bis zu der grauen Mauer des Welebitsch-Gebirges drüben ausdehnte. Unfern blitzte uns auch der Spiegel eines einsamen Land-see's entgegen. Gern wäre ich bis zu ihm vorgedrungen, aber Sumpf und Gestrüpp verlegten uns bald den Weg. Aus einem Busche glotzten uns ein paar neugierige Augen entgegen, die jedoch sofort verschwanden, als wir näher kamen. Sie gehörten einem schon ziemlich erwachsenen, fast ganz in ein Schaffell gekleideten Mädchen an. Die Kleine floh ängstlich querfeldein und nicht einmal eine dargebotene Münze vermochte sie aufzuhalten. Zutraulicher war ein ganz winziges Lämmlein, das sich verlaufen haben mochte und nun ängstlich schreiend auf uns zukam, um uns auf Schritt und Tritt nachzufolgen. Wir nahmen es auf die Arme, hätten aber unsere Gutmütigkeit bald schwer gebüsst, denn jählings fuhr ein bösartiger Schafhund auf uns los, dem bald noch eine ganze Schar von Kollegen folgte. Glücklicherweise war auch der Hirt nicht fern und befreite uns aus unsererw Blokade, ofür er sein Schäflein zurückerhielt. Von einem noch etwas erhöhteren Terrain grüsste ein freundliches Dörfchen, Bocagnazza, mit seinem Kirchturm herab. Wir stiegen zu ihm empor und kamen bald an ein Bauernhaus, aus dessen oberer Etage fröhliche Laute an unser Ohr schlugen. Wir traten ein und krochen aus dem stockfinsteren Kuhstall, der im Parterre etabliert war, durch eine Fallthüre in die Bel-Etage. Hier war das Restaurant des Dorfes. Um roh gezimmerte Tische sassen die kräftigen Gestalten illyrischer Landleute und tranken Wein aus grossen Krügen. Welch ein ganz anderer Menschenschlag, diese Slaven, gegen die ungleich dürftigere, halbwälsche Bevölkerung in der Stadt drunten! Wir wurden recht freundlich empfangen und namentlich als ich einem der Zecher den hölzernen Löffel aus der Hand nahm, um mit von den in Wasser gequollenen Bohnen und Maiskörnern ZU essen, die sie in einer grossen Schüssel vor sich stehen hatten, kannte der Jubel kein Ende. „Zivio„Zivio" tönte es, indem immer und immer wieder die Becher an einander klangen, bis wir, um nicht von dem trefflichen, feurigen Dalmatiner überwältigt zu werden, aufbrachen und unter dem Geläute der Abendglocken Zara wieder zueilten. Leider harmonierte derSchluss dieses Tages mit seinen übrigen, so genussreichen Stunden nur wenig. Das Hotel, in welchem ich abgestiegen war, nannte sich zwar ein deutsches, allein nachdem ich mich durch eine ganze Corona von Bettlern der ekelhaftesten Art, die den Eingang stetig umlagerten, durchgeschlagen, entdeckte ich drinnen so viel Unsauberkeit, dass ich einsehen musste, Zara sei in allem, selbst im Schmutze, dem Wunderlande Italien ähnlich. Als ich übermüdet endlich das Lager aufsuchen wollte, fand ich schon einen frechen Usurpator, einen Hund, behaglich in den Federn versteckt, der bei meinem unvermuteten Anblick mit einem so jähen Satze auf die Diele herabsprang, dass er mir fast die dort in glücklicher Sorglosigkeit lustwandelnden Mäuse und anderes Ungeziefer zertreten hätte. II. Von Zara über Sebenico, Spalato und Ragusa nach Cattaro. Mit Zara ändert sich die dalmatinische Küstenscenerie. Die Starrheit und Nacktheit der Abhänge verliert sich in dem Masse, als der Einfluss des bösen Karstgespenstes, der Bora, vor der immer mehr sich geltend machenden Milde des Südens weichen 'UUss. Das vorher geradlinig verlaufende Gestade zeigt Buchten llnd Flachküsten. Namentlich aber weisen die bis dahin mehr oder weniger in der Richtung des Meridians gelagerten Inseln in diesem zweiten Teile des dalmatinischen Meeres zumeist eine Anordnung prarallel dem Breitengrade auf, so dass sie dem Festlande und den von ihm her streichenden, rauhen Gebirgswinden nicht mehr, wie zu vor, die Breitseite zukehren, sondern dahin nur mit ihren schmalen Spitzen gerichtet sind, während namentlich die milden Südwinde, hier Sirocco genannt, voll auf sie einwirken können. Ein Blick auf die Karte wird zeigen, wie die westöstlichen Parallelen von Brazza, Lesina und Curzola im süddalmatinischen Meere ein rechtes Gegenstück zu den nordsüdlichen Parallelen von Cherso-Lussin und Veglia-Arbe-Pago in den norddalmatinischen Gewässern bilden. Dabei ist noch zu beachten, dass die erstgenannten Eilande auch, namentlich was Brazza gilt, bereits mehr eine centrale, massive Lagerung gegen die meist lang-schmale Form der letzteren zeigen und sozusagen der Idee der Insel näherkommen oder von der Gestalt der „Bänke", wie jene eigentlich heissen mussten, sich entfernen. Dass auch sie, selbst das weit draussen im Meere liegende Lissa nicht ausgenommen, abgerissene Stücke vom Festlande sind, soll damit nicht in Abrede gestellt werden. Die weit vorspringende, mit dem Kontinent nur noch durch ein schmales und niedriges Landband zusammenhängende Halbinsel, richtiger Dreiviertelinsel Sabbioncello, die fast an das Eiland von" Kurzola an-stösst, macht ja das auch äusserlich höchst wahrscheinlich. Immerhin ist aber diese totale Flanken Veränderung der süddalmatinischen Eilande so merkwürdig, dass wir glaubten, wenigstens mit einem Worte auf diese bisher noch wenig beachtete Thatsache aufmerksam machen zu müssen. Wir verliessen die dalmatinische Hauptstadt mittags 12 Uhr. Sobald wir aus dem Hafen, der nach der weiter oben gegebenen Beschreibung des Terrains eine Kopfstation darstellt, heraus- und um die Nordspitze der Stadt herumgesegelt waren, befanden wir uns in dem sogenannten Kanal von Zara, der unstreitig anmutigsten aller dalmatinischen Wasserstrassen. Man könnte die Fahrt auf ihm annähernd mit einer Rheinreise vergleichen. Ist doch in der That dieser Meeresarm auf die Breite eines grossen Stromes redu-ciert. Links präsentiert sich die stattliche Ouaistrasse von Zara mit ihren Neubauten, die unmittelbar am Ufer sich erheben. Weiterhin folgt anmutiges, dichtbebuschtes Hügelland, über welches das schneegefleckte Welebitschgebirge herüberschaut, Rechts aber ziehen sich, die Täuschung zu vollenden, mehrere schmale, dicht aneinander gereihte Inseln meilenweit derartig hin, dass seihst an dieser Seite der Eindruck eines Flussufers entsteht. Dazu ist dieser Inselrücken hei ziemlicher Höhe mannigfaltig gestaltet. Auch krönen stolze Hurgen die schroffsten Spitzen, während am Fusse der Höhenzüge freundliche Ortschaften sichtbar werden. Nach etwa zweistündiger Fahrt ist diese reizvolle Partie durchlaufen und das Schiff befindet sich plötzlich in einem wahren Labyrinth kleiner, felsiger Inseln, durch die es sich nur höchst vorsichtig durchwinden kann. Aber mit einem Male schwenkt es links ab, an einem kleinen Eilande mit einem stattlichen, modernisierten Fort, von welchem wieder der venetianische Löwe herab-grüsst, vorüber und siehe da, die offene See ist wie mit Zauberschlag verschwunden, wir befinden uns in einem ganz engen l'elsenkanal. Die fast mit den Armen zu erreichenden Wände Juchts und links sind wie mit dem Messer abgeschnitten. In einer Nische ist ein winziges Kirchlein mit einer Einsiedelei aufgerichtet, ohne dass man wahrnimmt, wie ein Mensch dahin gelangen kann. Nach etwa zehn Minuten erweitert sich dieses Defile ebenso Unvermittelt, wie es zuvor an das offene Meer angesetzt hatte, zu einer schön gerundeten Hai, an deren Ostufer eine vveissgraue Häuserreihe amphitheatralisch gelagert ist. Hinter der Ansiedelung erhebt sich ein kahler, wilder, mit einem Fort gekrönter Felskegel, der aber auch seinerseits wieder von einer noch viel stolzeren, in die Lüfte steigenden Höhe überragt wird. Von dieser letzteren Spitze schaut gleichfalls ein Festungsbau dräuend nach allen Himmelsrichtungen. Es ist Sebenico, was wir vor uns haben. Wäre nicht die ganze Staffage so furchtbar kahl, so wurden war bekennen müssen, dass vvir ein Gemälde von unvergleichlicher Schönheit überschauten. So aber können wir nur sagen,, dass es das pittoreskeste Städtebild Lalmatiens ist, was wir erblicken. Zu meinem grössten Leidwesen blieb das Schiff, obwohl wir doch erst 5 Uhr nachmittags hatten, auch hier wieder liegen. Allerdings bietet die Strecke bis Spalato solche Schwierigkeiten, dass sie nur bei Tage zurückgelegt werden kann. Aber wie leicht üesse sich der Fahrplan dahin abändern, dass die Abfahrt von Zara ein oder zwei Stunden eher erfolgte, in welchem Falle Spalato, XV(|hin man von Sebenico bequem in circa vier Stunden gelangt, noch am Abend erreicht werden könnte. Indes der Mensch denkt und — die Lloyddirektion lenkt. So hiess es denn gute Miene zum bösen Spiele machen und durch einen Gang ans Land auch an diesem Punkte sich die Langweile vertreiben. In der lohnendsten Weise wäre das allerdings dann geschehen, wenn ich mittelst des kleinen, hier stets vor Anker liegenden Lokaldampfers den Liman, mit welchem bei Sebenico die Kerka mündet, aufwärts bis Scardona gefahren wäre, um die weltberühmten Kerkafälle zu sehen. Indes war zu einer solchen Exkursion der Abend bereits zu weit vorgeschritten. Daher lenkten wir unsere Schritte nach dem andern besuchenswerten Ziele, das Sebenico bietet. Es ist der Dom, das schönste derartige Bauwerk an der ganzen Ostküste der Adria. Er erhebt sich unweit vom Meere auf einer ziemlich hochgelegenen Terrasse. Seine Grössenverhältnisse sind nur massig, um so mehr aber entzückt er durch seine Zierlichkeit und die Harmonie, die aus dem ganzen Bau heraustritt. Namentlich ist die Decke des Schiffs ein Tonnengewölbe von vollendeter Schönheit. Es waren in der That erhebende Augenblicke, die ich in dem herrlichen Gotteshause verlebte. Durch die schönen Rosetten fiel hoch oben die Abendsonne herein und zeichnete die Negative der kunstvollen Fenster mit rosenroten Tinten an die dunklen Wände. Tiefste Stille herrschte in dem dämmerungerfüllten Räume. Nur hie und da murmelte ein altes Mütterchen ihr Ave Maria oder die dunkle Gestalt eines Priesters huschte durch die Gänge. Von draussen dagegen erscholl vielhundertfaches Geschwirr von Stimmen, dem Brausen des Meeres vergleichbar. Ich trat endlich wieder hinaus. Aber welch ein warmes Leben hier nach der Sabbathstille drinnen in den heiligen Räumen! Es war Sonntag, der ganze, marmorgepflasterte Domplatz erfüllt von einer Masse junger Leute beiderlei Geschlechts, die sich daselbst unter Gesang, Spiel und Tanz amüsierten. Welch bunte Farben in den 'Frachten, welche Kraft und welches Feuer in den Bewegungen, welches Jauchzen und jubeln aus allen Kehlen! Wer doch ein Maler gewesen wäre, um ein solches Bild, wie es müder Süden liefern kann, zu fixieren und mit fortzunehmen in die farblose Heimat! Mittelst eines schmalen, steilen Gässchens wollte ich noch zu dem untersten Fort aufsteigen. Aber ich kannte diese dalmati- nischen Boulevards noch nicht. Der nackte Kalkstein, der auf ihnen zu Tage tritt und eine Art Naturpflaster abgiebt, ist durch jahrhundertelanges Benützen so spiegelglatt geschliffen, dass nur ein Seiltänzer oder — ein Eingeborener mit den landesüblichen Topanken über ihn hinzuschreiten vermag. Ich musste einen andern Weg suchen, um mein Ziel zu erreichen. Endlich war ich droben an den alten, verfallenen Mauern, aus deren Ritzen üppige Feigenbüsche ungeniert herauswucherten. Der Blick von da auf die abgeschlossene Bai mit der Stadt, sowie auf das ferne Meer draussen mit seinen Inseln ist trefflich. Namentlich bemerkt man von dieser Höhe erst, dass Sebenico nicht so kahl ist, wie es von der See her scheint. Zur Rechten hatte ich hier üppigste Wein-und Fruchtgärten, die sich bis zum Wasser hinunterzogen. Noch erweitert wird dieser Aus- und Einblick, wenn man auf der prachtvollen Bergstrasse nach Zara etwas aufwärts wandelt. Namentlich trat mir daselbst der wahre Bote subtropischer Vegetation, die Agave, zum ersten Male auf dieser Reise entgegen. Wir waren längst unterwegs, als ich am andern Morgen das Deck betrat. Das Schiff dampfte gerade um die wild zerrissene Funta della Bianca, um in den weiten Busen von Spalato einzubiegen. Links drüben lag Trau, der „Garten Dalmatiens", reich gesegnet mit dunklen Trauben, goldenen Orangen und grünen Feigen. Rechts schloss die gewaltige, bis 800 Meter ansteigende Insel B razza den Blick auf das Meer ab, während gerade vor uns noch imposantere Festlandsberge, nämlich der Mossor, 1340 Meter, und die Biokovo Planina, 1760 Meter, letztere noch mit Schnee-Hecken geziert, aufstiegen — das Ganze, namentlich im Strahl eines goldenen Morgens geschaut, wohl das brillanteste der weiteren Panoramen, die eine dalmatinische Küstenfahrt bringt. Gar bald wurde auch die ansehnliche, weissglänzende Häusermasse von Spalato selbst sichtbar, das, nebenbei erwähnt die volkreichste Stadt der Provinz, eine Lage hat, wie sie wohl einer ehemaligen Kaiserresidenz würdig ist. Eine Reihe stolzer Berge schliesst nn Halbkreis ein ausgedehntes Stück Land ab, das sich sanft gegen das Meer niedersenkt, um schliesslich noch eine breite Landzunge ui die blauen Fluten desselben hinauszusenden. Auf der letzteren, die eigentümlicherweise ebenfalls, im Gegensatz zu der nordsüdlich gelagerten Landzunge von Zara, die Richtung Ost-Westen einhält, wie nach früherer Darlegung die Inseln des südlichen Dalmatiens, liegt die altklassische Stadt. Das Meer ihrer Dächer überragt ein prachtvoller, romanischer Glockenturm, der uns eben mit ehernen Zungen seine Morgengrüsse zusendet. Wer vermöchte solcher Einladung zu widerstehen! Mit einem detitsch-östreichischen Handlungsrcisenden, den ich an Bord kennen gelernt, gehe ich ans Land. Dieser Herr „machte" nebenbei, ich bin so indiskret, dies auszuplaudern, in einem sehr schwarzen Artikel, nämlich in Tinte, von der er in der That auch in Spalato eine ziemliche Quantität abzusetzen schien. Nun, es hat jemand einmal gesagt, dass man den Kulturstand eines Volkes nach seinem Verbrauch von Seife beurteilen könne. Ich meine aber, Tinte liefert ein noch besseres Kriterium und bin also geneigt, auf den Bildungsgrad der Bevölkerung von Spalato aus der erfolgreichen Anwesenheit meines Begleiters einen günstigen Schluss zu ziehen. In der That pulsiert ein gewisses grossstädtisches Leben auf dem klassischen Boden von Spalato. Droschken, Gaslaternen, letztere zur Zeit noch die einzigen in ihrer Art in Dalmatien, die Lowrys der Eisenbahn, die nebenbei bis dicht an den Hafen geführt ist, und endlich ein Hotel, das Brustkranke zum Winteraufenthalt einlädt und so den Anfang macht, das dalmatinische Gestade zum Rivalen der Riviera zu erheben — was will man noch mehr? Und doch trat uns hier zugleich auch ein erstes Stück Orient entgegen. Denn auf dem grossen Platze, den man, vom Meere her kommend, überschreiten muss, um in die eigentliche Stadt zu gelangen, stehen Dutzende von beladenen oder unbeladenen Maultieren mit den rotmützigen Gestalten ihrer Treiber aus der 'Cam-pagne oder aus den Bergen, und dazu genau derselbe Kot und Staub samt demselben Geschrei und Gezeter wie auf den Karawanenplätzen vor den morgenländischen Orten. Auch in den Strassen der inneren Stadt herrscht ein ausserordentliches Getümmel, das selbst bis in die geheiligte Nähe der prachtvollen Überreste des Palastes des Kaisers Diocletian sich erstreckt, welch letztere jetzt freigelegt und, so weit möglich und notwendig, restauriert werden sollen. Der Hauptteil derselben, das sogenannte Mausoleum des genannten Imperators, diente selbstverständlich vielfach durch An- und Einbauten verstümmelt, seither als Kathedrale. Es ist immerdar ein erhebendes Gefühl, einen Boden zu betreten, auf welchem ein grosser Mann lebte, selbst wenn an dessen Person dunkle Flecken hafteten, wie dies bei jenem Kaiser, der bekanntlich seine Hände mit dem Blute der Christen besudelte, der Fall war. Dazu kam, dass mir die Spüren dieses merkwürdigen Emporkömmlings, dem es glückte, vom gemeinen Soldaten bis zum Herrscher der alten Welt zu avancieren, der es aber auch verstand, das bereits in seinen tiefsten Fundamenten erschütterte römische Staatsgebäude wieder für einen wenngleich kurzen Zeitraum zu befestigen, selbst in Montenegro wieder entgegentreten sollten. So konnte es denn nicht fehlen, dass ich Verlangen trug, auch Salona zu sehen, dies vielgerühmte Asyl des weltmüden Kegenten, das St. Just jen"SS anderen Karls V. Die drei Stunden der Rast, welche unserem Dampfer für Spalato vorgeschrieben waren, machten ja auch eine solche interessante Exkursion möglich. Wir mieteten also einen leichten Wagen, hatten aber das Unglück, ein Pferd zu erwischen, das durchaus kein Liebhaber des Altertums zu sein schien, denn es wollte fortwährend umkehren Und konnte schliesslich nur so vorwärts bewegt werden, dass der Kutscher den Zaum ergriff und nun in stetem Trabe und unter Rufen und Schreien dem störrischen Tiere vorauslief. War diese Beförderungsart eine wenig erfreuliche, so entzückte uns um so mehr die Pracht der uns umgebenden Landschaft. Wir hatten nämlich kaum die Stadtmauern hinter uns, so befanden wir uns auch schon in einem wahren Garten. Zu beiden Seiten der breiten, wohlunterhaltenen Landstrasse die üppigsten Weingelände, nur unterbrochen durch den schmalen, blauen Wasserstreifen des Golfs von Salona, der weit in das Land hineinschneidet; im Hintergrunde aber, im schönsten Kontraste zu dem saftigen Grün der Gefilde, die grauen Zinnen der Gebirge, auf deren einer in stolzer Höhe dicht hinter Salona eine Ortschaft ihren Platz gefunden hat. Wahrlich, die schönsten italienischen oder griechischen Landschaften vermögen das Auge nicht mehr zu erfreuen! Leider nur sind solche Stellen in dem im allgemeinen dürren, steinigen Dalmatien S(> selten, wie die Oasen in der Wüste. Nachdem unser so wenig kunstsinniges Pferd etwa eine Stunde nicht gezogen hatte, sondern gezogen worden war, machten wir bei einer Strassenschenke Halt und liessen uns nun von einem orts- kundigen Jungen durch Felder und Büsche an die klassische Stelle führen. Leider ist von der alten Herrlichkeit nicht mehr viel zu sehen. Auf rasigem Plane unter den Zweigen von bauschigen Feigen oder Johannisbrodbäumen einige Säulenstumpfe, die Spuren eines Amphitheaters und eines Bades — das ungefähr sind die einzigen Überreste von einer Pracht, die bekanntlich dereinst den Anfang der späteren byzantinischen, orientalisierenden Üppigkeit bildete. Aber noch lässt die Wahl des Platzes erkennen, was für ein passender Ruhesitz für einen kronenmüden Souverän Salona war. Konnte doch glücklicherweise weder der Zahn der Zeit noch die Barbarei der Völker, die das Menschenwerk vernichteten, der schönen Gottesnatur etwas anhaben. Von sanfter Berglehne gleitet hier das Auge hinab auf weite Fruchtgefilde und hinaus auf das unermessliche Weltmeer, um schliesslich an dem starren Berghintergrund haften zti bleiben. Nicht ohne Wehmut, wie dies immer der Fall sein wird, wenn man solche Trümmerstatt geschaut hat, kehrten wir der berühmten Stelle den Rücken. „Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorret, die Blume ist abgefallen." Von Spalato, dessen Name beiläufig aus Salonae palatium entstanden sein soll, weil die Einwohner von Salona nach Zerstörung ihrer Stadt im siebenten Jahrhundert einen anderen Platz zur Ansiedelung suchten und so eben Spalato gründeten, kann man leicht auch einen grösseren interessanten Ausflug unternehmen. Es fahren von hier Lokaldampfer regelmässig in die Narentamündung und weiter stromaufwärts bis Metcovitsch, von wo die Strasse nach Mostar und Serajewo führt. Diese verhältnismässig leichte Verbindung mit den reichen herzegowinischen und bosnischen Hinterlanden hat selbstverständlich an der in stetem Wachsen begriffenen Bedeutung Spalatos wie ebenso Ragusas nicht geringen Anteil. Denn, um das gleich hier zu erwähnen, auch von letztgenanntem Orte aus führt eine regelmässige Dampferlinie nach Metcovitsch. Nur bedingt hierbei der freilich ganz schmale und niedrige Isthmus von Stagno, mittels dessen die lange Halbinsel Sabbioncello noch mit dem Festlande zusammenhängt ein immerhin störendes Umsteigen, beziehentlich Umladen. Indes erbarmt sich unsere durch- Stechungswütige Zeit wohl auch einmal dieser Landenge, was mancherlei Vorteile im Gefolge haben würde. Leider musste ich mir sowohl in Spalato als in Ragusa die gewiss recht interessante Narentafahrt samt Abstecher in die Herzegowina versagen, da schon die Kreuz- und Querfahrten meines Dampfers viel Zeit kosteten. Namentlich stink von Spalato an unser wackeres Schiff förmlich bis. zur Stufe einer Botenfrau oder eines östreichischen Stellwagens herab. Hatten wir doch kaum jene Stadt verlassen, so machten wir schon wieder Halt. Wir befanden uns in einer Bucht, die so eng und mit Ausnahme eines schmalen Zuganges so vollständig abgeschlossen war, dass sie fast den handruck eines Teiches hervorrief. Auf der hügeligen Umwandung lagen eine Anzahl unansehnlicher Häuser. Sie bilden Milna, den Hauptort der Insel Brazza, die durch ihre Grösse — sie umfasst gegen sieben Quadratmeilen, überragt also immerhin noch kaum das Fürstentum Reuss älterer Linie — wie durch den Reichtum an trefflichem Wein, an Mandeln, Feigen, Oliven, vornehmlich aber an jener Art saurer Kirschen, die den Maraschino (Rosoglio) ergeben, alle anderen dalmatinischen Eilande übertrifft. Eigentümlicher Weise fehlt es diesem kleinen Paradiese, das den Feinschmeckern ein so begehrtes Luxusgetränk liefert, an dem unentbehrlichsten aller Getränke, an Trinkwasser. Viel grotesker, als der eben gedachte Ort, präsentiert sich Lesina, die Hauptstadt der gleichnamigen Insel, die wir gegen Abend erreichten. Wild zerrissene Klippen, steile Felsnadeln mit kühnen Befestigungsanlagen, von deren Wällen die dunklen Schlünde riesiger Geschütze niederblicken, und ein brandendes, schaumbedecktes Meer bilden die Staffage für Häuser, die malerisch über die Gehänge verteilt sind. Auch ragten hier einige hohe Blütenstengel der Agave in die Luft, um uns anzuzeigen, wie weit wir Stehon im warmen Süden vorgerückt seien. Selbst ein unerwarteter materieller Genuss sollte uns daselbst bevorstehen. Es kamen nämlich Insulaner an Bord, welche in Körben „Langusten", jene Art von Panzerkrebsen feilboten, die sich von dem eigentlichen Hummer, welcher mehr den nordischen Meeren angehört, namentlich durch das Fehlen der Scheeren, sowie durch die enorm langen, stacheligen Fühlhörner unterscheidet. Auf unsere Veranlassung kaufte der Schiffskoch einige der schönsten Exemplare, beiläufig zu einem äusserst geringen Preise. Die rauhen Ungetüme wanderten darauf in den Kochtopf, nachdem sie vorher natürlich noch durch aller Hände gegangen waren. Bei dieser Parade hatten sie sich freilich höchst ungeberdig benommen; namentlich klappten sie den an den Enden mit äusserst scharfen Spitzen gepanzerten Schwanz mit solcher Kraft und tückischer Schnelligkeit auf und zu, dass einem Unvorsichtigen sehr leicht ein Finger hätte abgeschlagen werden können. Allerdings mochte es ihnen drunten auf felsigem Grunde in dem weichen Gewirr von Seepflanzen, in denen sie im Mittelmeere leben, besser gefallen haben, als hier in den Händen ihrer ärgsten Feinde oder später gar in dem siedenden Kessel, aus welchem ihre ellenlangen Fühlhörner wie hilfeflehend herausragten. Wir waren noch beim leckeren Mahle, als unser Fahrzeug Lesina wieder verliess, um gegen Curzola zu dampfen. Hierbei kamen rechts weit draussen in duftiger Meeresbläue die gewaltigen Höhen der Insel Lissa, der entlegensten aller dalmatinischen Eilande, prachtvoll von der Abendsonne beleuchtet, in Sicht. Auch die ganze breite Wasserfläche, die zwischen uns und jenen Gipfeln lag, war vom Glänze des untergehenden Tagesgestirns getroffen und erschien wie eine ungeheure Blutlache. Wer hätte sich da nicht des denkwürdigen 20. Juli 1866 erinnern sollen, wo in dieser Gegend, das einzige Mal in jenem verhängnisvollen Kriegsjahre, den Ostreichern das Kriegsglück lächelte! Noch heute kann Italien den furchtbaren, tollkühnen Stoss nicht verschmerzen, mittelst dessen Tegethoff damals ihr prächtiges Admiralsschiff, den „König von Italien", und damit auch ihren Kriegsruhm zur See in den Grund bohrte. Den Ostreichern dagegen geht jedes Mal, wenn der Name „Lissa" ertönt, das Herz auf. So befand sich auf unserem Dampfer ein Maschinist, ein Kärnthner, der an jener fürchterlichen Seeschlacht teilgenommen hatte und ganz von Enthusiasmus erfüllt wurde, als er uns erzählen konnte, in welcher Weise sie damals den verhassten „Katzeimachern" — so nennen bekanntlich die Ostreicher spottweise die Italiener nach den Gypsfiguren, mit denen die Letzteren bei uns hausieren — mitgespielt hätten. Aufs anschaulichste schilderte er, wie Tegethoff dem italienischen Panzerschiffe mit solch blinder Wut in die eisernen Rippen gerannt sei, dass er nicht einmal den Befehl erlassen habe, unmittelbar nach dem Rammen Gegendampf zu geben, so dass der Sieger mit dem Resiegten in die Tiefe ge-nssen worden wäre, wenn nicht der betreffende Maschinenführer aus eigenem Antriebe gleich nach dem entsetzlichen Zusammenstosse das Schiff rückwärts hätte gehen und so von der eisernen Umarmung wieder frei werden lassen. Welch grausige Bilder stiegen da vor unseren Augen auf! Hier fuhren wir auf der glatten, blauen Meeresfläche, die uns in 80 verklärtem Schimmer anlächelte; wir freuten uns des Lebens Und sassen bei wohlbesetzter Tafel, an der der Becher kreiste. Und doch das Alles nur eine Maske! Unter uns gähnte ein Grab, uef und kalt. Und dort lagen sie, die Schläfer, die sich fürs Vaterland geopfert, einst warm und froh, wie wir, und nun mit den verglasten Augen aufwärts in die unermessliche, fahlgrüne Wassernlasse starrend, durch die sie von der Oberwelt geschieden wurden. Und jetzt kommt.wohl zaghaft ein Fisch oder ein Krebs geschwommen und fängt an zu nagen und zu schnappen — wer hätte da noch bei dem Mahle sitzen zu bleiben vermocht! Wie leicht konnte auch unser Freund Hummer mit da drunten zu Besuch gewesen sein! Mir wenigstens hatte die Insel Lissa allen Appetit vertrieben. Um aber dem Urteile vorzubeugen, dass ich mich hierbei doch zu sehr von meiner Phantasie hätte fortreissen lassen, will ich nur erwähnen, dass nach der Versicherung unseres Kapitäns seit 1866 eine auffallend grosse Masse von Haifischen sich in dieser Gegend aufhält, was doch wohl nur der Menge von Leichen zuzuschreiben Jst, die noch da drunten liegen mögen. Die Nacht zog endlich einen Schleier über dieses nasse Schlachtfeld. Die Passagiere suchten die Ruhe auf. Glücklicherweise aber that es unser Schiff ihnen diesmal nicht nach, sondern fuhr mit dampf-sprühenden Nüstern weiter in die stille Nacht hinein. Um Mitternacht furchtbares Poltern und vielstimmiges Geschrei, welches auch den ermüdetsten Schläfer aufschreckte. - - Aber ein Sprung aiife Verdeck zeigt, dass unsere Angst grundlos gewesen ist und der schwere Traum uns nur gefoppt hat, der uns vorspiegelte, der «König von Italien" sei mit Masten und Spieren aus der Tiefe wieder emporgestiegen und renne, von bleicher Gespensterhand geführt, mit vollen Segeln gegen unseren östreichischen Dampfer, Um Vergeltung zu üben. Der Ix'ise Hummer mit seinem so schwer verdaulichen Pleische! Wir befanden uns auf der Rhede von Curzola. Die fallenden Anker und die in Böten unter Fackelschein heranfahrenden Inselbewohner, die bei etwas hochgehender See viel Mühe aufwenden mussten, um ohne Gefährdung an unser Ungetüm anzulegen, hatten den blinden Lärm verursacht; die zahlreichen Lichtlein, die vom nahen Lande, vom Strande unten wie vom höheren Gelände herab, grüssten, gaben vielmehr ein recht friedliches Bild und beruhigten die Seele. Kaum eine halbe Stunde, nachdem wir wieder aufgebrochen, bot sich uns das nämliche Schauspiel nochmals. Wir hielten vor Orebici, dieser Curzola gerade gegenüber liegenden und von jenem nur durch ein ganz schmales Wasserband getrennten Hauptstadt der Halbinsel Sabbioncello. Von dort aber konnten wir ungestört dem Schlummer uns hingeben. Ohne weiteren Aufenthalt dampfte unser Schiff an dem langgestreckten Meleda, das wegen seiner vielen Schlangen von manchen Bibelforschern statt Maltas für das in der Apostelgeschichte erwähnte Melite des Paulus gehalten wird, vorüber und warf erst seine Anker wieder aus, als bereits die Welt das Schlafgewand der Nacht abgeworfen hatte und Phöbus Apollo aus den Wolken trat wie ein Bräutigam aus seiner Kammer. Welch ein reizendes Stück Erde aber vergoldeten seine Strahlen! „Bucht von Gravosa" nennt es sich. Die Bezeichnung „Krone aller Häfen von Dalmatien", wenn nicht der ganzen Ostküste der Adria, wäre treffender. Denn in der That haben wir hier den sichersten, bequemsten und anmutigsten aller Ankerplätze weit und breit vor uns, selbst die berühmte Bocche di Cattaro, die in mancher Beziehung dem Schiffsmann Not genug macht, nicht ausgenommen. Die Bucht von Gravosa ist eine nur massig breite aber dafür ziemlich lange Wasserfläche, die in der Richtung von Nord nach Süd sich ausdehnt. Dem Fahrzeug, das von 'Priest herabkommt, bietet sich eine weite, freie Einfährt. Nach allen anderen Richtungen hin wird sie von Gebirgsrändern wie von schützenden Armen umschlossen. Indes haben diese Gehänge, die übrigens auch schon an sich malerisch geformt sind, wenig mehr von der charakteristischen Kahlheit Dalmatiens. Fast überall wuchert das üppigste Buschwerk von mannshoher Erika, Lorbeer, Myrte und anderen Vertretern der Zone immergrüner Laubhölzer, die eigentlich erst von hier ah beginnt. Aus ganzen Hainen von Pinien und Cypressen schimmern reizende kleine Villen, ja, hier und da wird in wohlgepflegten Gärten sogar ein Fremdling drüben aus dem sonnigen Afrika, die Lattelpalme sichtbar. Auf der stillen, klären Wasserfläche selbst aber schaukeln zahllose, bunte, zierliche Barken, den Glücklichen zugehörig, die in diesem Eden ein Heim sich gründen konnten; daneben oft genug die wunderlich gebauten Fahrzeuge der Dul-c,gnoten, einst dem Räuberhandwerke, jetzt aber friedlichem Handel dienstbar. So anziehend dies ganze Bild indes zweifellos schon ist, es wird doch von einem anderen, das in nächster Nähe sich entrollt, noch weit übertroffen. Die die Bucht umfassenden Gebirgszüge, die namentlich im Osten bis zu einer Flöhe von mehreren Hundert Metern anschwellen, sinken nämlich im Süden zu einem passartigen, verhältnismässig niedrigen Riegel herab. Eine der immer am Hafen bereitstehenden Droschken bringt uns auf guter, sauft ansteigender Strasse in wenig Minuten auf diese Höhe. Und siehe da, nun haben wir eine Umschau von solcher Schönheit vor uns, wie sie an den renommiertesten Punkten von Italien oder Griechenland kaum wieder sich bietet. Hinter uns und vor uns das Meer, dort in Gestalt des binnenseeartig abgeschlossenen Hafens von Gravosa, dieser lieblichen Idylle, bier aber als freier, gewaltiger, selbst nicht mehr von Inselstreifen Unterbrochener Ocean. Donnernd branden seine Wogen, die jetzt W einem einzigen Anprall von dem italienischen Gestade drüben bis hier herüber zu den Küsten der Balkanhalbinsel sich zu schwingen vermögen, an den dunklen, wohl hundert Meter hohen Felswänden, uiit denen das Terrain dicht neben der Strasse jäh abstürzt. Nicht ohne Grausen gleitet das Auge in die schaurige Tiefe. Und doch wie erfrischt, wie erhebt solcher Meeresblick auch wieder die Mannesbrust! Gleichwohl aber haben wir noch nicht alles gesehen. Mit der Strasse, die nun nicht weiter geradeaus laufen kann, wenden w'r uns links. Hier zieht sich eine ungeheure, an 300 Meter hohe Lehne zur See nieder. Auf ihrem Scheitel ein trotzig Fort mit Türmen und Bastionen. An ihrem Fusse aber, von üppigster Schwarz , Montenegro. 3 südlicher Vegetation fast ganz verdeckt, eine weiss glänzende Stadt. Nur hier oder da ragt eine massige Kuppel oder ein schlanker Turm aus dem Blättermeere. Einzelne nette Landhäuser haben indes selbst den Weg bis herauf zu uns gefunden. Namentlich erhebt sich dicht neben unserem Standpunkte ein schlankes G mäude, von dem ich jetzt noch nicht ahnte, welche Rolle es in meiner ganzen Reise spielen, welch' schöne Stunden es mir bereiten sollte. Es trug den vielversprechenden Namen „bella Vista", aber diese oft .missbrauchte Benennung besagte hier wahrlich noch zu wenig. Nicht wie Wirklichkeit, sondern wie das phantastische Tableau eines genialen Theatermalers, so mutete mich das Panorama dieser Höhe an. Wie beneidete ich den Mann, der in dieser „bellissima Vista„ wohnen und jenen zauberischen Anblick immer gemessen konnte! Dieser Glückliche aber war der deutsche Konsul, den ich aufzusuchen kam. Wahrhaft trunken von dem Anschauen vollendetster südlicher Herrlichkeit, verfolgte ich die Strasse weiter und war nach wenig Minuten in Ragusa. Ein finsteres Thor führt durch ein starkes Port direkt auf die lange und breite Hauptstrasse. Aber nur wenig ist hier noch von mittelalterlicher Pracht, die einst auch auf diesem Boden sich entfaltete, zu sehen, denn wiederholt haben furchtbare Erdbeben, so noch zuletzt 1850, den Ort heimgesucht. Nur der Regierungspalast, in welchem ehemals ehrwürdige Senatoren das Wohl des kleinen Staates berieten, ist stehen geblieben und hat sonach den Staat selbst überlebt. Seine treffliche Architektur ist aber in der That auch geeignet, uns für einen Augenblick nach Venedig zu versetzen, welches die Duodezrepublik Ragusa in so mancher Beziehung zu kopieren versuchte. Von dem ziemlich geräuschvollen Auftreten einer zahlreichen Soldateska abgesehen, zeigt die Stadt, die kaum noch 5000 Einwohner zählt, überhaupt äusserst wenig Leben und kontrastiert also auch nach dieser Seite hin mit der Blüte von ehemals. Eine Hauptschuld daran mag den Hafen treffen, der, am Südende des Orts gelegen, ein nur wenig geschütztes und dazu auch noch überaus enges Bassin darstellt. Die Lloyddampfer, wie auch alle übrigen, etwa ankommenden grösseren P'ahrzeuge, legen daher stets nur in Gravosa an, wo sich täglich ein immer regeres Plafenleben entwickelt. Wäre nicht die einzig schöne Lage, so könnte man versucht sein, den Ragusäuern zu raten, ihren jetzigen Platz zu verlassen ünd mit Mann und Maus dorthin überzusiedeln. P2s wäre ja nicht das erste Beispiel einer derartigen secessio plebis in meliorem locum, wie Ragusa überhaupt nicht der einzige Ort ist, dessen Boden in alter Zeit eine so grossartige Blüte entfaltete, sich aber den Ansprüchen einer neuen Zeit nicht mehr gewachsen zeigte. Gab es so überhaupt in Ragusa für mich nicht viel zu sehen, so enteilte ich um so rascher wieder seinen Mauern, als ja der Hauptzweck meines ganzen Aufenthalts nur der Besuch bei dem deutschen Konsul war. Sehr bald schon stand ich daher wieder vor der „bella Vista" droben auf aussichtsreicher Höhe. Aber der Einblick in dieses Haus war nicht weniger trefflich als die Ausschau vor seiner Pforte. In einem behaglich eingerichteten, mit mancherlei orientalischem Luxus, namentlich herrlichen Teppichen ausgestatteten Daheim trat mir ein Mann entgegen, der im Kleinen in vieler Beziehung selbst ein interessantes Spiegelbild von der polyglotten Balkanhalbinsel genannt zu werden verdient. Von altitalienischer Familie abstammend, in Konstantinopel französisch erzogen, dann als deutscher Offizier an der Campagne von I070 beteiligt und mit dem eisernen Kreuze dekoriert, lebt Herr von Testa nun hier auf östreichischem Boden, vor den Thoren einer halbitalienischen Stadt, und doch in einem Berufskreise, Welcher ihn fast ausschliesslich in Berührung mit Slaven bringt, deren Sprache er zu allen anderen, die ihm geläufig sind, gleichfalls redet. Obwohl aber in dieser Weise ein wahrer Kosmopolit, offenbarte der verehrte Herr Konsul doch sowohl hier als in Skutari, wo uns ein günstiges Geschick wieder zusammenführte, eine derartige echt deutsche Gemütlichkeit und bewies mir eine so herzgewinnende Freundlichkeit, dass ich mich bereits nach wenig Minuten bei ihm wie zu Hause fühlte. Und wenn man bedenkt,, dass in wildfremdem Lande schon der blosse Anblick des vaterländischen Konsulats- oder Gesandtschaftsgebäudes mit seiner wohlbekannten Flagge den Reisenden wie ein herbeigezaubertes Stück aus der lieben, fernen Heimat anzumuten pflegt, so ward man begreifen können, wie mich solch herzlicher Empfang erheben musste. „Ehe wir zu dem Geschäftlichen verschreiten", so sprach der liebenswürdige Vertreter des deutschen Reichs bald nach meinem Eintritt, „mtiss ich für Ihr leibliches Wohl in Ragusa sorgen. Sie mögen meinetwegen in dem Hotel, wo Sie abgestiegen sind, die Nacht zubringen, aber während des Tags sind Sie für die Dauer Ihres Aufenthalts mein Gast; denn essen können und dürfen Sie in jenem Hause auf keinen Fall." Nun was diese letztere Bemerkung anbetrifft, so hatte allerdings schon ein oberflächlicher Einblick in die inneren Heiligtümer meines Gasthauses den Appetit in mir nicht sonderlich rege gemacht. Trotzdem war es doch mehr die Aussicht auf die geistigen Genüsse im Verkehre mit dem an Kenntnissen und Lebenserfahrungen namentlich hinsichtlich des Orients so reichen Manne, die mich die freundliche Einladung annehmen liess, wenngleich auch die kulinarischen Gaben in seinem gastlichen Hause sich als vortrefflich erwiesen. Besonders wertvoll war es für mich,- dass Herr von Testa mit mir auch die in jeder Beziehung hochinteressante Umgebung seines Wohnortes durchstreifte. An seiner kundigen Hand konnte ich lehrreiche Einblicke in manche Merkwürdigkeit dieses schönsten Teiles von Dalmatien tlum. So unternahmen wir noch am ersten Tage eine mehrstündige Fahrt südostwärts an der Küste entlang. Die treffliche Landstrasse, auf der wir uns hierbei fortbewegen, steigt, nachdem man die Stadt verlassen, bald an dem steilen Gehänge an und zieht sich dann lange Zeit hoch über dem Meere hin, wobei man fortwährend die prächtigste Aussicht auf die blaue Salzflut zu Füssen und die unweit aus derselben auftauchende, kleine aber höchst anmutige, waldreiche Insel Lacroma, ein Besitztum des Kronprinzen von Ostreich, gemesst. Die ganze Scenerie erinnert lebhaft an Partien der Riviera, namentlich zwischen Ventimiglia und Mentone. Aber hier sollten wir noch eine Sehenswürdigkeit finden, wie sie jenes weltberühmte Gestade nicht aufzuweisen hat. Wir kamen nämlich bald an einen Giessbach, der sich unweit mit ziemlichem Geräusch ins Meer ergiesst. Wir verliessen den Wagen und kletterten an seinem rechten Ufer unter uralten Feigen-und üppigen Maulbeerbäumen aufwärts. Siehe da, nach zehn Minuten bereits waren wir am Ende des Fdüsschens, das doch eben noch so stolz und keck über mächtige Felsblöcke abwärts sprang. Am Fasse einer dicht mit Schlingpflanzen bewachsenen Wand tritt die ansehnliche Wassermasse aus einer schwarzen Spalte zu 'Lage, Um, einem Leben gleich, das vielverheissend beginnt und doch ruhmlos endet, so bald schon im grossen Meere sich zu verlieren. In Dalmatien und Montenegro trifft man solche Wunderwasser oder Wasserwunder — bekanntlich eine Specialität dieser Küste äusserst häufig an, aber selten in poetisch-schönerer Umrandung ;ds hier. Indes ist die Landschaft nur in diesem engen Thälchen so saftig grün. Dicht dahinter steigen ungeheure, gänzlich kahle Wände auf. die beiläufig von der schönen Heerstrasse nach Tre-binje, der Hauptstadt der südlichen Herzegowina, vermittelst eines grossartigen Einschnittes, der von unserem Wege wohl sichtbar ist, überschritten werden. Wir fuhren darauf noch ein gutes Stück weiter, indem wir dem gewaltigen Bogen der Bucht von Ragusa Vecchia folgten. Der Ort letzteren Namens, auf dem die weite Bai südlich schliessenden Vorsprung gelegen, hat heutzutage wenig Bedeutung mehr. Aber sein Boden ist ein klassischer. Hier stand das alte Epidaurus, eine griechische Kolonie aus dem sechsten Jahrhundert vor Christo. Sie 'st die Mutter des heutigen Ragusa. Denn als sie nach etwa zWölfhundertjährigem Bestehen von Slaven und Sarazenen zerstört worden war, zogen sich ihre Einwohner auf das gegenüberliegende Nordende der Bucht zurück, wodurch das Ragusa der Gegenwart entstand, das bekanntlich gleichfalls eine bewegte Geschichte hat. Denn die kleine, blühende Republik, zu der sich die einfache Ansiedelung jener epidaurischen Flüchtlinge bald erweiterte, stach den Nachbarn von rechts und links in die Augen. Byzantiner und Venetianer, Ungarn und Serben pressten ihr Tribut ab; ja vor noch ärgeren Vergewaltigungen vermochte sie nur die Flucht unter ('en Schutz zweier, allerdings total verschiedener Protektoren, des deutschen Kaisers und des türkischen Sultans zu bewahren. In unserem Jahrhundert stritten sich bekanntlich sogar der russische Bär und der gallische Hahn um den entlegenen Duodezstaat, bis ihn endlich der östreichische Doppeladler dauernd unter seine ittige nahm. In dieser Weise haben sich also im Kleinen auf dem eug-Ulngrenzten Gestade der Bai von Ragusa mit seinen Geschicken all die raschen Bühnen Verwandlungen abgespiegelt, für welche die Balkanhalbinsel, ja die gesamte Osthälfte der Mittelmeergebiete innerhalb eines Zeitraums von über zwei Jahrtausenden den Schauplatz abgeben musste. Und so fuhren wir denn in Wirklichkeit auf klassischem Boden. Aber „du sublime au ridicule nest qu'un pas". Ein östreichischer Soldat, ein echtes Wiener Kind, so unterbrach nämlich mein liebenswürdiger Begleiter meine historischen Reminiscenzen, die bereits in sentimentale Reflexionen über Werden und Vergehen auszuarten drohten, ein österreichischer Soldat also, der aus der lustigen Kaiserstadt an der Donau nach dem stillen Ragusa in Garnison gekommen war, schilderte in einem Briefe „an Muttern" das Trostlose seines Exils und fügte zur Bekräftigung hinzu, dass auch die alten Griechen schon Ähnliches empfunden haben mussten, denn sie hätten die Gegend „1 bedaur es" genannt. Nun ich wenigstens bedauerte meinen Ausflug mit dem Herrn Konsul gegen Epidaurus hin nicht; höchstens bedauerte ich es, dass wir doch endlich umkehren mussten, wollten wir nicht zu Land nach der Bocche di Cattaro kommen, was übrigens mittelst der leidlichen Strasse durch das sogenannte Canali, eine muldenartige Einsenkung auf dem Küstenstrich zwischen der Bai von Ragusa und der von Cattaro, auch ausführbar gewesen wäre. Auf der Heimfahrt aber wendeten wir auch noch den Details, die vorher gegenüber dem steten- prächtigen Meerespanorama sich hatten verstecken müssen, unsere Aufmerksamkeit zu. Auf den felsigen Gehängen des Ufers hatte ja die fleissige Hand der Anwohner hie und da durch Anlage von Terrassen Kulturland geschaffen und so konnten war denn hier süddalmatinische Felderzeugnisse beobachten, die in der That interessant genug sind. Denn was daselbst der Boden hervorbringt, dient nicht, wie bei uns, dazu, Geschöpfe ztt erhalten, sondern horribile dictu -Geschöpfe grausam und noch dazu en masse zu morden. Es wird nämlich hier überall eine langstengelige, mit gelber Blüte gezierte Pflanze*), die unserer 'Feldkamille ähnelt, gezogen. Aus ihr *) Pyrethrum cinerariaefolium Trev., in Asien werden andere Arten zu gleichem Zweck verwendet, so P. Willemoti Duch. im Kaukasus, P. carneum Bieberst. in Persien, P. roseum Bieberst. in Armenien. stellt man das bekannte und geschätzte, sogenannte persische Insektenpulver her, das der Provinz einen ganz erklecklichen Gewinn abwirft. Übrigens könnte nach meinen Erfahrungen Dalmatien im Bedarfsfälle zu dem Insektenpulver sogar gleich die Insekten mit befern, da es auch diese genugsam kultiviert. Ausserdem bemerkte ich auf den ragusanischen Gefilden fast nur noch „Kraut"*), dessen Blätter, in Wasser auf einfachste Weise gekocht, nahezu die einzige Speise der niedrigen Stände bier zu Lande bilden. Mein Konsul versicherte mir, dass Dienstboten sich weigerten, einzuziehen, wenn sie nicht ihren „Kabis" zugesichert erhielten. Am Morgen des nächsten Tages wanderten wir hinab zu der Bucht von Gravosa, um Nachfrage nach dem Dampfer zu halten, mit dem ich meine Reise nach Cattaro bewerkstelligen Wollte. Heftig wehender Sirocco aber beschäftigte das Fahrzeug noch weit draussen auf hoher See. Infolge dessen unternahmen wir rasch einen Ausflug in das „Thal" von Ombla., Von dem bnken Ufer der Bai von Gravosa läuft nämlich ein ziemlich schmaler Meeresarin noch etwa 4—5 Kilometer ins Festland hinein. Das sblle, tiefe Wasser wird von hohen, hie und da mit dunklem Wald besetzten Wänden eingeschlossen. Nur ganz vereinzelt haben mitunter kleine Häuschen einen Platz gefunden. Das Ganze erinnerte ni|ch lebhaft an die ebenfalls häufig muldenartig eingeschnittenen, stillen, melancholischen Fjords von Norwegen. Hier unten aber War der Eindruck, den dieses „Meerthal" hinterliess, doppelt wirksam des schroffen Kontrastes wegen, den dasselbe mit seiner nordischen Scenerie zu dem südlichen Charakter und dem warmen Leben der unmittelbar sich anschliessenden Bai von Gravosa darstellte. Mit fünfstündiger Verspätung war endlich der Dampfer eingetroffen. Aber des bösen Wetters wegen, das sich im Laufe des ' ages nur noch verschlimmert hatte, vermochte niemand auf Deck Auskunft darüber zu geben, wenn das Schiff wieder in See gehen Würde. Wir wurden ersucht, in der Kajüte ein wenig zu warten. Aber während wir noch in ruhigem Gespräch daselbst sassen, hörten Wir die Anker aufziehen und mussten nun nur eilen, ans Land zu *) Brassica oleracea capitata L-, unser „Kopfkohl". kommen, um nicht als unfreiwillige Passagiere mitgenommer] zu werden. Der Kapitän hatte es nicht der Mühe wert gehalten, uns von seinem Entschlüsse schleunigster Wiederabreise in Kenntnis zu setzen, obwohl er uns dies doch zuvor versprochen. Vergebens waren meine Bitten, doch noch eine halbe Stunde zu warten, bis ich mein Gepäck herbeigeholt haben würde. Er müsse der üblen Witterung wegen noch bei Tageslicht die Einfahrt in die Bocche di Cattaro zu gewinnen suchen, das war seine Rede, und damit dampfte er auch unverzüglich von dannen. Wir aber wollten uns in unserem gerechten Grimme wenigstens an dem Anblicke der Leiden des rauhen Seemanns weiden. Deshalb klommen wir, nach Ragusa zurückgekehrt, zu dem Gipfel des jäh hinter der Stadt aufsteigenden Monte Sergio (419 Meter) empor, auf welchem sich das bereits genannte „Fort imperial" erhebt. Aber welch ein Bild, das wir schon von den zahllosen Serpentinen aus, die da hinanführen, genossen! Die ganze ungeheure Meeresfläche, die das Auge fast wie aus der Vogelperspektive beherrschte, war in eine wogende, schaumbedeckte Masse verwandelt. Deutlich drang bis zu unserem hohen Standpunkte herauf das Donnern der Brandung, die gegen die schwarzen, schroffen Klippen schlug, mit welchen das schmale Plateau, auf dem Ragusa steht, in die Salzflut abfällt. Gleichwie furchtsam schienen sich die weissen Häuser dicht gedrängt an den Fuss unseres Bergriesen anzuschmiegen; nur eine Anzahl kleiner Forts, die bereits fahr-hunderten getrotzt, ragten auf Felsvorsprüngen herausfordernd in das tosende Element hinaus. Da draussen aber, den feindseligen Wellen unbarmherzig preisgegeben, verfolgten zwei Dampfer ihre Bahn. Von unserer Böhe nahmen sie sich nur noch wie Nussschalen aus, die jeden Augenblick ihr (iraf) zwischen den Wogenbergen linden zu müssen schienen. Bald stieg der Bugspriet, bald das Steuerruder hoch in die Luft; jetzt legten sie sich meerwärts vollständig auf die Seite, während sie gleich darauf wieder die ganze Fläche des Decks uns sehen Hessen. Das eine dieser beiden Fahrzeuge indes befand sich in besserer Lage als das andere. Iis war der Dampfer, der den Dienst der direkten Linie zwischen Ragusa und 'Priest besorgt, welche Ragu-saner Kaufleute in Konkurrenz gegen den Lloyd neuerdings ein- gerichtet haben und auf der, im Gegensatz zu den überall, haltenden Schiffen der letzteren Gesellschaft, die ganze Entfernung zwischen beiden Städten in 36 Stunden zurückgelegt wird. Dieser mutige Segler hatte also bald ausgelitten. Denn siehe, jetzt beschreibt er bereits einen weiten Bogen um die Südspitze der Stadt herum und bewerkstelligt wenige Minuten später auch die unter solchen Umständen gewiss nicht leichte Einfahrt in den Miniaturhafen von Ragusa. Das andere Fahrzeug aber war das nämliche, auf welchem wir so schnöde Behandlung erfahren hatten. Freilich, als wir es Jetzt, wie zur Revanche, von dem aulgeregten Meere auf das rücksichtsloseste traktiert werden sahen, da war unser Groll verrauscht, da fol gten ihm, während wir es meilenweit hinaus beobachten konnten, unsere besten Wünsche, die glücklicherweise auch in Erfüllung gingen. Denn wir sahen es zwei Tage später wohlbehalten lrn Fialen von Cattaro liegen. Indes auch uns selbst auf unserer luftigen Höhe spielte das Unwetter arg mit. Die furchtbare Windsbraut drohte uns mehrmals rascher, als wir emporgekommen waren, und ohne Benutzung der kunstreichen Serpentinen wieder hinunterzuführen. Endlich brach sogar ein fürchterlicher Platzregen über uns herein. Im Nu War Stadt und Meer im Nebeldunst verschwunden und wir schwebten wie im leeren Äther. In unserer Bedrängnis suchten wir beim nahen Fort Schutz. Aber da starrten uns nur überall kahle, un-ersteigüche Mauern entgegen. Nirgends ein Fangang, nirgends ein deichen des Lebens. War es denn ein verwunschenes Schloss, vor dem wir standen? Endlich wurden wir doch von einem herablugenden Posten bemerkt; ein verstecktes Pförtchen öffnete sich und über Zugbrücken, durch lange, hallende Gänge, treppauf und -ab, gelangten wir in die eisenstangenverwahrte Zelle des wachhabenden Offiziers, wo Wir liebenswürdigste Aufnahme fanden. Trotzdem fühlten wir uns in diesem riesigen Steinkasten nicht recht wohl. Die meterstarken, bombenfesten Mauern drückten auf Unser Gemüt. Wir kamen uns vor wie in einem Zuchthause oder Wie lebendig begraben. Geht es doch den Herren Offizieren, die bier den Dienst haben, nicht besser. Sie freilich müssen mehrere Monate hindurch, wenn sie einmal da hinauf kommandiert worden sind, unverändert in dieser Klausur aushalten; auch nicht einmal dürfen sie zur Stadt niedersteigen. Wir waren aber um so mehr erfreut, dass wir bald schon dies wenig freundliche Asyl wieder verlassen konnten, als überhaupt der Zutritt in seine Räume aus taktischen Gründen nur äusserst ungern gesehen wird. Es soll vor einiger Zeit vorgekommen sein, dass der Kommandant, der Befreundeten die Besichtigung gestattete, ohne weiteres seinen Abschied erhielt. Die noch immer auf wenig fester Grundlage stehende Herrschaft Ostreichs über Dalmatien mag übrigens eine solche Strenge wohl gerechtfertigt erscheinen lassen. Als wir aus der Festung heraustraten, hatte sich der Himmel geklärt. Aus rasch sich vergrössernden Rissen in den Dunstmassen rings umher tauchten bald hier bald da Stücke blauen Meeres, weisse l läusermassen und graue Küstenpartien auf, bis endlich das ganze, herrliche Panorama, das sich hier oben erschliesst, von neuem vor den trunkenen Blicken lag. — Brachten mir in dieser Weise schon die Tagesstunden in Begleitung des Herrn Konsuls reichen Gewinn, so waren die beiden Abende, die ich in seinem Hause verlebte, nicht weniger angenehm und interessant. Bei einem Glase schäumenden Champagners plauderten wir bis tief in die Nacht hinein. Fehlte es doch an Stoff nicht. Bilder aus Konstantinopel, der Geburtsstadt meines freundlichen Gastgebers, die auch ich aus Autopsie kannte, oder von den blutigen Schlachtfeldern auf französischer Erde anno 70 oder aus dem eigenartigen Garnisonsleben in kleiner Provinzialstadt an der polnischen Grenze, wo Herr von Testa mehrere Jahre gestanden, oder aber selbst — atis meinem geliebten sächsischen Vaterlande, wo er in gleicher Veranlassung namentlich Bautzen kennen und lieben gelernt hatte — zogen in bunter Abwechselung an uns vorüber. Nicht am wenigsten anziehend aber waren für mich die Fanblicke in seine konsularische Thätigkeit, die mir Herr von Testa, natürlich nur soweit, als es ohne Verletzung seiner Dienstpflicht möglich war, zu thun gestattete. Ich erkannte daraus, welch eine Last für diese Vertreter unseres Vaterlandes in der Fremde abenteuernde Gestalten sind, die häufig genug in ziemlich arroganter Weise die luirsorge der Reichsregierung als ihr gutes Recht in Anspruch nehmen, ohne auch nur je eine Pflicht gegen Deutschland erfüllen zu können oder zu wollen. Ich sah aber auch hier wieder von neuem ein, was mir auf vielfachen Reisen in allen Teilen Europas und weiter oft schon klar genug geworden, welch ein Segen für die so weit verstreuten Genossen unseres Volkes die diplomatischen Reichsinstitutionen im Auslande sind und wie ihre Thatigkeit wahrlich in vielen Italien der bewahrenden oder rettenden Muttertreue dem bedrohten oder irrenden Kinde gegenüber gleichkommt. Darum schied ich denn auch aus dem freundlichen Konsulatsgebäude mit einem „Hoch Deutschland" auf den Lippen und Ir>it inniger, dankerfüllter Verehrung gegen seinen trefflichen Vertreter in Ragusa insbesondere im Herzen, als am dritten Tage erst und doch auch wieder für mich viel zu früh zum zweiten Male eine Gelegenheit, nach Cattaro zu dampfen, geboten war. Freilich hatte der Aufenthalt in Ragusa, der mir so unver-Kesslich schöne Stunden brachte, auf der anderen Seite doch auch nieine Hoffnungen bezüglich Montenegros ziemlich herabgestimmt. Denn wenn auch der Herr Konsul wiederholt betonte, dass hinsichtlich der persönlichen Sicherheit kaum irgendwo im Lande etwas zü fürchten sein dürfte, so gab er doch der Vermutung Ausdruck, dass mir aus allen möglichen, vielleicht selbst politischen Gründen ein weiteres Fandringen in das Innere der Crnagora kaum möglich Werden würde. „Über Rjeka oder Podgoriza kommen Sie wohl nicht hinaus", so lautete die niederschlagende Prophezeiung, die er trotz der offiziellen und nichtoffiziellen Empfehlungen an Regierung und Private, welche er mir nach Cetinje mit auf den Weg &ah, beim Abschied aussprach. Dass dieselbe nicht in Erfüllung gegangen, sondern, dass ich ungehindert, ja in jeder Weise gefördert, das ganze Territorium sehen konnte, verdanke ich, wie ich schon hier betonen will, in erster Linie dem grossen Wohlwollen der fürstlich montenegrinischen Regierung. Mitternacht war bereits vorüber, als das Schiff, welches mich trug, den Hafen von Gravosa verliess. Aus der dunklen Häusermasse von Ragusa, an der wir hinsegelten, nachdem wir die lange, schmale Landzunge, welche die Bucht von Gravosa westlich ein-seliliesst, umfahren hatten, schimmerten uns nur noch wenige späte Lichtlein entgegen. Aber oben hoch über der Stadt glänzte ein Stern, ein einziger, denn der Himmel war wolkenbehangen. Nach längerer Beobachtung wurde es mir indes klar, dass der herzerhebende Gruss aus der Festung kam. Ob es wohl unser freundlicher Lieutenant war, der bei einsamem Kerzenschimmer dort hoch über der schimmernden Welt noch wachend sass und vielleicht ans ferne Lieb gedachte, „obs ihm auch hold und treu verblieb?" Der helle Tagesschein fiel durch das Lukenfenster, als ich erwachte. Das Schiff stand; wo waren wir? Dicht vor uns lag eine Stadt, aber der malerischsten eine, die ich je gesehen. Eine bunt durcheinander gewürfelte Häusermasse kletterte ziemlich abschüssige Gehänge hinan, hie und da unterbrochen von altersgrauen, stattlichen Türmen und Bollwerken. Rings um den Ort aber, ja mitten drin zwischen den ruinösen Mauern sprosste das üppigste Grün, Agaven mit schlanken Blütenstengeln, Pinien und Feigen, Orangen und Palmen. Im schroffsten Gegensatz zu dieser warmen Natur stiegen unmittelbar hinter dem Orte breite, massige Berge empor, deren kahle, graue Gehänge durch blendend weissen Schnee wie mit pulverisiertem Zucker überstreut erschienen. Es musste offenbar in der Nacht da droben geschneit haben. Jetzt aber fielen aus dunklen, tief herabhängenden, jagenden Wolken hier und da blendende Sonnenstrahlen auf diese Staffage nieder und Hessen es zweifelhaft erscheinen, ob nicht das ganze Städtebild nur eine Fata morgana sei. So phantastisch, so durchaus absonderlich nahm es sich aus. Ich habe es auf der Rückfahrt an einem glutheissen, hellen Sommertag wiedergesehen, wo der Schnee droben verschwunden war und die wogenden Nebelmassen fehlten; es erschien noch immer schön, aber jener übernatürliche Hauch von diesem Morgen war abgestreift. Wir befanden uns vor Castelnuovo, der nördlichsten Stadt der Bocche di Cattaro. Richtig, da ist ja auch diese weltberühmte Bai selbst. Weitverzweigte, bald fiussartig verengte, bald wieder seeartig ausgebreitete Wasserstrassen, mächtige Gebirgsmassen, die jetzt mit scharf zulaufendem Vorgebirge in die Wassermasse gebietend hereinragen, dann wieder in elegantem Bogen vornehm sich landwärts zurückziehen, hier der blauen Flut gestatten, tief in ihr Inneres einzudringen, und dort wieder, indem sie ihrem Gegenüber fast die Hand reichen, die eingedrungene Masse von dem Meere draussen abschneiden zu wollen scheinen; dunkle Wälder und dichte Büsche, abwechselnd mit grausig kahlen Felslabyrinthen, freundliche Dörfchen mit ragendem Kirchturme auf lieblichem Vorlande und dicht daneben himmelhohe Wände, die senkrecht in die schwarze, stille Flut an ihrem Fusse abstürzen — alles so, wie es die Karte andeutet und unsere Phantasie es schon in der Heimat Uns vorgemalt hat. Keine Frage, dass diese vielgelobte Bai nicht nur ihren Uferumrissen, sondern auch ihren sonstigen Eigenschaften nach ein ziemlich genaues Abbild des Vierwaldstädter See's, des jedenfalls malerischsten Wasserbeckens der Erde, darstellt. Für mich aber gewannen die schöngeformten, stolzen Uferberge noch insofern besonderes Interesse, als ich mir sagen durfte, dass da droben auf ihrem Scheitel das Land meiner Sehnsucht, das Gebiet der „schwarzen Berge" seinen Anfang nähme. Ja nur dorthin über die langgezogene Wasserfläche nach Südosten geblickt! Dort ist eine hochragende, dunkle Felswand von oben bis unten, dem schnurenbesetzten Rocke eines Husaren gleich, mit einer endlosen Reihe scharf hervortretender Zickzacklinien geschmückt. Das sind die berühmten Serpentinen des sogenannten alten Weges nach der montenegrinischen Hauptstadt, von weitem fast wie eine Himmelsleiter anzusehen. Und in der That führen sie auch in einen Himmel, denn auf ihnen klimmt so mancher Sohn der „schwarzen Berge," nachdem er in der Fremde ein Stück Geld verdient, freudebewegten Herzens wieder zu den Höhen des armen, aber heiss geliebten Vaterlandes hinauf. Dass dieser weithin lockende Steg indes auch im vollsten Sinne des Wortes eine via dolorosa, eine „Seufzer- und Marterstrasse", namentlich für uns verweichlichte Söhne der Kultur, darstellt, konnte ich jetzt noch nicht ahnen. Vielmehr vermochte ich nunmehr, wo ich stundenlang die Sprossen jener Titanenleiter im Auge behielt, meine Sehnsucht, auf ihr zu wandern, kaum noch zu bezwingen. Aber ein Lloyddampfer hat mit dem Schicksale, von dem der Lichter sagt: „es schreitet schnell", nichts gemein. Nur langsam und unter mehrfachem Aufenthalte schlängelte sich das Fahrzeug durch die Irrgänge des Wasserlabyrinths, das die Bocche di Cattaro darstellt. Aus dem ersten Bassin, in welchem das liebliche Castelnuovo begt, führt ein enger Kanal in das zweite, und aus diesem eine noch schmälere Verbindungsstrasse, die den Namen „le Catene" trägt, weil sie früher mittels Ketten geschlossen • werden konnte, durch zwei nahe aneinander gerückte Vorsprünge, die den sogenannten Nasen des Vierwaldstädter See's an die Seite gestellt werden könnten, in das dritte und letzte Becken, das von den höchsten und chroffsten Bergen umrandet wird. Die wechselvollsten Bilder bieten sich hier dem Auge. Der Pfalz im Rheine vergleichbar, erheben sich auf nahe bei einander liegenden Inselchen zwei stattliche Kirchen, deren hellgrüne Kuppeln mit dem Grau der himmelstrebenden Uferfelsen wunderbar kontrastieren. Dicht dahinter liegt am Ufer die weisse Masse der Häuser von Perasto. Von da würde der direkte Weg nach Cattaro rechts hinunterführen, aber wir biegen zuvor noch links ein, tun in die enge, stille Bucht von Risano zu gelangen. Plier, wo fast ringsum senkrechte Felsmauern aus den Fluten aufsteigen, ist das Bild eines Alpensees am vollständigsten. Fehlt doch selbst auch ein Wasserfall nicht. Aber er kommt nicht, wie in den Schweizer Bergen, von Gletschern und Firnfeldern herab, semdern es hat sich, wie vom Stabe Mose's berührt, eine kahle, glatte Felswand 30 40 Meter über dem Wasserspiegel geöffnet und aus dem schwarzen Rachen von unergründlicher Tiefe springt das nasse Element in ansehnlicher Masse, um in schleierartigem Herabwallen von einer vielleicht langen Irrfahrt in dem Innern der Berge in den Mutterschoss des Meeres zurückzukehren. Ich habe vor Jahren im Hardangerfjord im Nordland droben auch Wasserfälle gesehen, die direkt ins Meer herabstürzten, höhere und mächtigere als diesen hier, ja ich bin mit dem Dampfboote unter einem dieser Wasser-Salto mortale's hindurchgefahren, aber dennoch rechne ich die Cascade von Risano zu den interessantesten Wassereffekten, die mir vorgekommen sind. Übrigens ist sie leider nur eine periodische Quelle; denn als ich vier Wochen später wieder in diese Bucht kam, war sie versiegt. Nachdem wir Risano verlassen, ging es nunmehr direkt dem Endpunkt der Wasserfahrt und Ausgangspunkt für meine Landreise, dem schönen Cattaro, entgegen. Die Himmelsleiter rückte immer näher; aber auch die Scenerie auf dem Schiffe wurde immer montenegrinischer. Stattliche Gestalten in dem kleidsamen Kostüme der besser situierten Söhne der „schwarzen Berge", aber auch Flirten in den armseligsten Lumpen belebten das Verdeck. Einer der letzteren schien sogar besonderes Wohlgefallen an mir zu finden, gleich als ob er ahnte, das er hier einen Freund seines heldenmütigen Volkes vor sich habe. Er grinste mich aus seinem wettergebräunten Gesichte erst lange wohlgefällig, an, dann trat er näher, betastete meine Kleider und die Instrumente, die ich etwa sichtbar hatte werden lassen, und endlich zeigte er mir wie triumphierend mit seinem langen Hirtenstabe den Liebling aller Montenegriner, den Lovcen (sprich Lovtschen), der heute, wo sein massiger Gipfel mi reinsten Weiss des Neuschnees gegen den tiefblauen Himmel aufstieg, besonders imposant anzusehen war. Ja, das unerfahrene Naturkind versuchte sogar wiederholt mich in eine regelrechte Unterhaltung zu ziehen und vermochte ohne Zweifel nicht zu begreifen, wie ich einen Mund haben konnte und doch auf seine Fragen nicht zu antworten imstande war. Trotzdem blieben war gute Freunde und ich merkte schon hier, wofür ich späterhin in mancher ärmlichen Sennhütte tief im unbekannten Inneren des Ländchens die rührendsten Beweise erhielt, dass hinter der rauhen, für das verwöhnte Auge eines Abendländers leicht furchterregenden Hülle dieser Gebirgssöhne zumeist ein überaus gutmütiges und nicht selten äusserst feinfühliges Herz schlägt. Je näher wir Cattaro, der Hauptstadt der Bocche, kamen, um so interessanter wurde auch die Landschaft. Zahlreiche Barken lmd Kähne schwammen auf der vorher so einsamen Wasserfläche, an den Ufern rechts wie links reihte sich ein stattliches Dorf an das andere, selbst elegante Villen waren nicht mehr selten. Von den Bergen zeigten sich zwar nur die westlichen grün und bebuscht, aber die des östlichen Gestades offenbarten dafür kühneren, groteskeren Aufbau und namentlich eine deutlich erkennbare, ausserordentlich regelmässige Schichtung. Endlich erscheint Cattaro selbst, eine ziemlich ansehnliche, Weisse Häusermasse, umgeben von saftigem Grün, das die kleine Küstenebene einnimmt, auf der die Stadt sich placiert hat. Unmittelbar hinter dem Orte aber gipfeln sich die ungeheuerlichsten, kahlen Felsmassen auf. Wahrlich, Cattaro wäre ein anderes „ultima Thüle", ein rechtes „flnis terrae", wenn nicht menschliche Kunst gerade über diese scheinbar unersteiglichen Wände hinweg jenen ^eg ins Land hinein gebahnt hätte, von dem wir schon gesprochen haben. Siehe, da klimmen auch schon auf den schwindligen Tourni- quets Saumtiere und Menschen, winzigen Ameisen ähnlich, auf und ab. Flink hinaus, dass wir mit ihnen um die Wette zur hochgelegenen Stadt Cetinje aufstreben! Aber halt, was ist das? Da steht, Gewehr bei Fuss, eine Abteilung montenegrinischen Militärs, und das auf noch östreichi-schem Gebiet. Was kann dies bedeuten? Will man mich abfangen, damit ich nicht als Kundschafter die Schwächen des Landes erspähe und seinem Erbfeinde, dem Türken, verrate? Die gewiss auffällige Erscheinung klärte sich indes sehr bald und auf sehr einfache Weise auf. Ein Herr hatte sich mit mir auf dem Schiffe befunden, an dem ich, von seiner bedeutenden Körperlänge abgesehen, nichts Auffälliges zu bemerken imstande gewesen war. Derselbe hatte sich mittelst des Inhalts seines Koffers urplötzlich in einen höchst stattlichen russischen General verwandelt. Ihm galt die Fähren wache am Lande, ihn abzuholen kam auch, sobald wir nur angelegt hatten, ein schmucker montenegrinischer Adjutant an Bord. Indes machte ich doch auch mir die Anwesenheit der tapferen Zrnagorzen zu Nutze, nicht etwa in der Weise, dass ich mich — was mir ja mittelst meiner Empfehlungsbriefe möglich gewesen sein würde — an ihre Fersen heftete, um so sicher und bequem nach der Hauptstadt zu gelangen, indes immerhin doch insofern, als ich in dem unerwarteten Erscheinen dieser Begrüssungsmannschaft ein gutes Vorzeichen für meine Aufnahme in Cetinje und den Erfolg meiner ganzen Reise zu erblicken mir gestattete. Und wahrlich, das Omen hat auch nicht getrogen! III. Der erste Schritt auf montenegrinischer Erde. Cetinjer Leben. Die Kultur, die bekanntlich alle Welt beleckt, hat, so weit auch der Weg war und so grosse Hindernisse ihr entgegentraten, doch auch an Montenegro ihr segensreiches Werk begonnen. Ich habe dafür auf meiner Reise durch das Land die erfreulichsten Beweise gefunden. Aber selbst schon in Cattaro, so zu sagen bereits vor den Thoren der Crnagora, überkommt den Reisenden eine Ahnung davon. Der sogenannte alte Weg nach Cetinje, viele Jahrzehnte lang nie einzige Verbindung zwischen der Hauptstadt der „schwarzen Berge" und der Bocche di Cattaro, ein einfacher Saumpfad, der trotz seiner miserablen Beschaffenheit doch auch jetzt noch ein Kunstwerk genannt zu werden verdient, ist seiner Alleinherrschaft neuerdings beraubt worden. Eine bequeme, fahrbare Strasse — Wer mochte es glauben, der diese Berge sieht — wurde ihm durch nie praktischere Strassentechnik der Gegenwart an die Seite gestellt. Dieselbe schlägt nicht, wie der alte Weg, die direkte, aber Wegen der hier entgegenstehenden, jähen Felswände äusserst schwierige Route ein, sondern benützt zuerst noch die weite Mulde, die, gewissermassen eine Landfortsetzung der Bucht von Cattaro, von letztgenannter Stadt noch weit südlich in der Richtung auf Budua sieb hinzieht. Erst dann wendet sie sich mittelst weiter Kurve dem Lovtschen zu|, an dessen Abhängen sie nun, gleichfalls unter Anwendung von Serpentinen, die indes viel länger gezogen und daher Weit weniger steil sind, als auf dem direkten Wege, aufwärts klimmt, Jn diesem ihren Teile ebenso, wie ihr kürzerer Rivale, schon weit draussen auf den Gewässern der Bocche di Cattaro, ja noch auf dem offenen Meere sichtbar. Auf diese Weise wird die Höhe von Njegus (sprich: gusch) ^hne allzu starke Steigung, jedoch auch nur mittelst eines nicht unbeträchtlichen Umwegs gewonnen. Während. der alte Weg sechs Stunden lang ist, möchten auf die neue Strasse gewiss acht bis neun Stunden zu rechnen sein. Daher dürfte sie wohl nur von dem I'uhrverkehr gewählt werden, während Fussgänger und selbst Reiter noch immer fast ausschliesslich sich des alten, halsbrecherischen Pfades bedienen, wiewohl derselbe seit der Vollendung Jener prächtigen Strassenanlage immer mehr seinem Verfalle überlassen wird. Meinem Reisegefährten vom Dampfschiffe, dem russischen General, konnte freilich die Wahl nicht schwer werden. Ihm hatte der Fürst eine bequeme Equipage zugesandt, die ihn gewiss in angenehmster Weise die Höhe hinantrug. Ich dagegen verspürte Schwarz, Montenegro. 4 keine Lust, den Lohnkutschern von Cattaro für die etwa dreistündige Fahrt bis Njegusch — denn zur Zeit war der Bau der Fahrstrasse nur bis dahin vollendet und dort musste selbst jener hohe Herr zu Pferde steigen — den unverschämten Preis von 30 oder gar noch mehr Gulden zu zahlen. Daher entschloss ich mich denn auch zum alten Weg, um so mehr, als dieser schon an sich sehenswerte Pfad zugleich in der Aussicht, die er bietet, dem modernen Konkurrenten überlegen ist. Aber wann abreisen — das war noch eine schwierige Frage. Die Sonne stand schon hoch, als unser Dampfer einlief. F^he ich mich auch hier wieder durch die Zollcerberusse am Thore und die dichten, wogenden Menschenmassen auf den engen Strassen durchgeschlagen, war es Mittag geworden. Die Leute im Hotel, in dem ich abgestiegen war, deutsch redende Steiermärker, deren Küche leider auch nicht annähernd der Freundlichkeit ihres Wesens gleichkam , drangen in mich, doch ja nicht in der Mittagshitze — es war ein prächtiger Tag — den Aufstieg nach den „schwarzen Bergen" zu versuchen, sondern dazu die Kühle des nächsten Morgens abzuwarten. Indes mein brennendes Verlangen, das ersehnte Ziel zu erreichen, und das Bestreben, die mir zur Verfügung stehenden Wochen, zumal ich in Dalmatien schon zu viel Zeit verloren hatte, möglichst nur im Interesse einer so viel als thunlich umfassenden Durchforschung des montenegrinischen Gebiets zu verwenden, siegten selbst über die Vorstellungen meines eigenen Innern und die Bedürfnisse des Leibes, welch letzterem nach einer nächtlichen Meeresfahrt behagliches Ausruhen in dem angenehmen (attaro sicher wohler gethan hätte, als eine fast siebenstündige, strapaziöse Bergfahrt. Meinem alten Grundsatze gemäss: wo ich zu Pferde nicht schneller fortkomme, reite ich auch nicht — beschloss ich ebenfalls hier die Fusswanderung und hätte am liebsten ganz allein, ein freier Berggänger, die Reise hinein ins wilde, unbekannte Land angetreten. Allein „irdisch Gut, das schnöde, hemmte mir den kühnen Flug". Mein Gepäck wollte doch auch mit hinauf in die hochgelegene Residenz. Ich gab deshalb dem Kellner den Auftrag, die nötigen Transportmittel zu besorgen. Aber was erschien? Nicht etwa eine der hochragenden Männergestalten aus den „schwarzen Bergen", sondern nur ein einfaches Weib, von kaum mittlerer Grösse, aber augenscheinlich ungewöhnlicher Muskelkraft, eine von jenen montenegrinischen Trägerinnen, v°n denen das crnagorische Sprichwort wenig galant, aber völlig Wahr sagt, dass ihrer zwei ein Maultier ersetzen. Wie der Metzger das angebotene Schlachtvieh mit kundigem Auge in wenig Minuten taxiert, so Hess auch dieses Mann-Weib m|r flüchtig ihre Blicke über meinen ambulanten Haushalt schweifen, l|nd nachdem ich ihr die geforderten drei Gulden, merkwürdiger Weise wirklich nur die Hälfte von dem, was ein Reittier bis Cetinje Kostet, gern bewilligt hatte, umschlang sie behend und kunstgerecht beide Koffer mit starken Stricken, nahm den einen, der 50 Pfund schwer war, auf den Rücken, hing den anderen, der nicht viel Weniger wog, wie ein leichtes Damentäschchen um den Hals, und fort ging's, die zwei Treppen des Hotels herab und von einer Strasse ZUr andern, schliesslich selbst noch zur Stadt hinaus und den ernst n'ederschauenden Felswänden entgegen. Kaum dass ich, der starke Mann und passionierte Fussgänger, der lediglich die eigene Last zu tragen hatte, ihr zu folgen vermochte. Erst als wir in das schluchtartige Thal einbogen, durch welches die Fiumera, ein unbedeutendes Küstenflüsschen, aus des nackten Gesteins finsterem Bauch in kaum viertelstündigem Laufe dem Meere zueilt, wurde ein widerwilliges Eselein aus einem Stalle ge-Zogen, die Last ihm trotz seines Blökens und Ausschlagens aufgebürdet, und schon fünf Minuten später standen wir am Fusse der fast senkrechten, rund 1000 Meter hohen Bergwand, an welcher sans facon der alte Saumpfad zum Sitz der Herrscher Montenegros aufwärts klettert. Aus kühler F^elsenenge richtete sich mein Auge messend zu der schwindelerregenden Höhe mit ihrem sonnendurchglühten Kalk-Gestein empor, und fast wollte es mich reuen, dass ich noch heute ans Werk gegangen. Aber es blieb mir keine Zeit zum Nachdenken. Schon stiegen Weib und Esel so energisch auf den ersten Windungen an, dass ich eiligst nachfolgen musste, sollten sie nicht bald ganz meinen Blicken entschwinden. Aber, hilf Himmel, welch ein Marsch war das! Zwar die Zickzacklinien zeigten sich mit mathematischer Regelmässigkeit an dem steilen Gehänge angelegt, aber wenn sie, vom Meere aus betrachtet, den Eindruck eines glatten Promenadenwegs gemacht 4* hatten, so ergab sich nun, dass sie vielmehr mit dem steinigen Bette eines Giessbaches verglichen werden mussten. Da war nirgends auch nur einmal ebener, sicherer Boden, ohne Unterbrechung lagerte allenthalben vielmehr zollhoch loses Geschiebe, wie absichtlich zur Qual der Menschheit aus allen Gründen und Schlünden der Erde hier zusammengeführt; bald gab die ganze Masse nach und drohte mitsamt dem Wanderer über die barrierenlose Böschung hinunterzurollen, bald wieder verwundeten messerscharfe Kanten und Ecken die Sohlen oder brachten spiegelglatte Schliffe den Fuss zum Gleiten. Hei, wie keuchte da die Brust schon nach kurzer Frist, wie rann der Schweiss aus allen Poren, wie schlotterten die Kniee! Nein, ich ging nicht mehr, ich stolperte meinem Ziele entgegen. Und meine Begleiterin? Bei ihr war's umgekehrt, sie ging auch nicht, aber sie tanzte, sie flog sogar. Mit solcher Leichtigkeit, so ohne jegliche Anstrengung, wie spielend und schwebend bewegte sie sich über all' diese tausendfachen Hindernisse hinweg. Ja, wenn sie nicht beim Gepäck hätte bleiben, oder meine häufigen Ruhepausen mit abwarten müssen, wo wäre sie dann nicht schon in kurzem gewesen? Denn siehe, bereits in Cattaro hatte sich ein junges Blut, ein hübsches, frisches Mädchen mit einem Gesicht, aus welchem Schüchternheit und schelmisches Wesen zugleich sprachen, uns angeschlossen, um anfangs neben unserem lastgebeugten Esel wie ein munteres, lediges Füllen herzuschlendern. Aber bald war ihr doch das Tempo von Freund Langohr zu langsam. Die schon steilen Serpentinen auf noch steileren Abkürzungspfaden umgehend, sprang sie jetzt wie eine Gemse direkt empor und sass dann bald da, bald dort hoch über uns auf einem vorspringenden Steine, herzlich kichernd über den Sohn der vielgerühmten Kultur, der nicht einmal mit einem beladenen Saumtiere Schritt halten konnte. Oder waren es nicht wirklich die harten Sohlen meiner Modeschuhe, die mich zu solchem Schneckengange verdammten, und die weichen Flächen ihrer Topanken, dieser wahren Siebenmeilenstiefel, die sie zu solchem freien Adlerfluge befähigten? Offenbarten sich als meine Fesseln nicht die infolge unserer Lebensweise ungeübten Muskeln und verwöhnten Lungen, während ihr, dem einfachen Naturkind, in der freien Natur auch Kraft und Ausdauer zu eigen geworden waren? Aber meine Wanderung hatte nicht bloss Niederdrückendes. Es gab auch des Erhebenden genug. Zwar wenn das Auge, das allerdings, sollten nicht Hals und Beine Gefahr laufen, meist scharf auf den Weg geheftet bleiben musste, doch einmal gelegentlich einer Ruhepause Umschau hielt, da wurde es nicht von saftigem Grün erquickt. Nicht einmal ein Gräschen war hier zu finden, kahl und nackt starrte uns das graue Gestein entgegen. Um so leichter richtete sich der Blick in die Ferne. O wie war da jedesmal alle Mühe im Nu vergessen, wie Wanderfreude und Wandermut im vollsten Umfange rasch wieder gewonnen! Denn in Wirklichkeit eines der köstlichsten Panoramen, das es giebt in Nord und Süd, zeigte sich uns und erschloss sich in seiner zauberischen Schöne mit jedem Schritte mehr und mehr. Fast senkrecht unter uns das tiefgrüne Wasserbecken der Bucht v°n Cattaro, das, je grösser die Höhe unseres Standpunktes wurde, uni so täuschender den Eindruck einer erstarrten, durchsichtigen Masse machte, auf welcher die zahlreichen Boote angefrorenen Mücken glichen. Und siehe, da kommt auch Cattaro zum Vorsehein. Gerade unten am Fusse der Felswand, an welcher wir Gewissermassen kleben, stehen die Pläuserchen, wie von spielenden Kindern aus einem Baukasten aufgebaut. Ein Stein, mit der Hand Geschleudert, meint man, müsste in die Schornsteine hineinfallen können. Aber das beste an diesem schon so schönen Bilde fehlt noch. Das Westufer der Bucht, ein sanfter, grüner Rücken von etwa 5uo Meter Höhe mit dem starken Fort Vermaz auf seinem breiten Plateau, verschliesst uns noch die Ausschau in weitere Ferne. Nach einer halben Stunde wenden wir uns wieder um. Jetzt haben wir mit dem stolzen Bollwerk dort drüben ziemlich gleiche Höhe. Und ^a blitzt es auch schon dahinter auf wie Wetterleuchten, und wenig später umspannt der Blick eine unübersehbare, glitzernde Fläche, einer riesigen geschmolzenen Erzmasse gleich. Das ist das Meer, das allgewaltige. Aber ich war der einzige, der ein Auge für dies wunderbare Bild hatte, obgleich es auf dem ganzen Wege an Menschen nicht mangelte. Männer wie Frauen zogen vorüber, jene ledig jeglicher Last, wie es sich allein schickt für Flelden, diese recht wie Arbeitstiere beladen, so viel nur möglich. Und was schleppten sie alles in ihre Berge hinauf, diese unermüdlichen Weiberl Möbels und Mehlsäcke, Stoffballen und Fässer mit Gerstensaft, Roheisen und Töpferwaren und was dergleichen Dinge mehr sind, die selbst ein armes Land nicht füglich entbehren kann. So gab es denn fast eine Art kleinen ambulanten Marktes auf meinem Pfade und ich hatte genug zu thun, um alles mit meinen Blicken zu erfassen, sowohl die grosse, stumme Natur unter mir als das rege Treiben um mich herum, und doch dabei nicht den Weg ausser acht zu lassen, was leicht einige Knochen kosten konnte. Allerdings trat hinsichtlich des Pfades einmal eine Wendung zum Besseren ein. Die schroffe Lehne, auf der wir bisher aufwärts gestiegen waren, zeigte eine Art fast ebenen Absatzes, bei dessen Überschreitung die arme Lunge wieder leichter atmen konnte. Aber nach wenig Minuten schon begann die Kletterei von neuem. Und zwar ging es jetzt an den in Wirklichkeit senkrechten Wänden in die Höhe, die den Abhang links begrenzen. Konnte schon der Aufstieg auf der stark geneigten Fläche vorher nervenschwachen Menschen, wie sie unsere Zeit so massenhaft erzeugt, bange machen, so war jetzt, wo wir förmlich an den Felsen klebten, die Staffage wirklich dazu angethan, Schwindel zu erregen. Denn von dem nachgerade unglaublich kläglich gewordenen und namentlich mit wahren Blöcken besäten, schmalen Pfade fiel der Blick auf der einen Seite unvermittelt in die Tiefe; während ihm auf der anderen jähe Felsmauern entgegenstarrten. Doch da winkt auch schon das Ende dieses ganzen Marterwegs. Die neue Landstrasse, die wir zuletzt sehnsüchtigen Blicks immer hoch über uns hatten hinlaufen sehen müssen, kommt jetzt auf uns zu und nach wenigen Minuten schon stehen wir auf ihrer prächtigen, glatten und sicheren Bahn. Wie gingen da die Beine, die vorher kaum noch vorwärts zu bewegen waren, mit einem Male ganz wie von selbst! Nur schade, dass die Herrlichkeit nicht lange währte. Denn um einen Bogen, den dieser neue Weg auch hier oben wieder beschreibt, abzuschneiden, beginnt meine Führerin schon wieder unbarmherzig in die Steinwüste einzubiegen. Aber diesmal folge ich ihr noch nicht. Ich muss mich zuerst sattsehen an dem, was unser Standpunkt bietet. Wir befinden uns auf dem vielgenannten Krstac (sprich: Ker-statsch), dem rund lOOO Meter hohen Kulminationspunkt der steilen Riesenmauer, mit welcher hier das Hinterland zum Meere und dem schmalen Küstensaum drunten abfallt. Was Wunder, dass daselbst wieder ein Aussichtspunkt par excellence uns beschert ist. Zwar der liebliche Vordergrund von vorher, Cattaro mit seiner binnenseeartigen Bucht, ist verschwunden. Dafür glänzen uns die vorderen Bassins der Bocche di Cattaro entgegen, bei der grossen Höhe, auf der wir stehen, nur noch wie unbedeutende Lachen anzusehen. Uber unser früher erwähntes vis-ä-vis aber, das stolze Fort Ver-lTlaz, das jetzt wahrhaft lächerlich tief unten liegt, schweift unser «"ige frei hinaus auf die unermessliche Meeresfläche, über welche die sinkende Sonne bereits einen goldenen Schimmer wirft. Selbst die italienische Küste drüben glaubt das trunkene Auge, wenn auch mir in schwachen Umrissen, wahrzunehmen. Beim Mangel eines Fernrohrs vermochte ich freilich zur absoluten Gewissheit hierüber nicht zu gelangen. Allein bei der verhältnismässig geringen Breite des Adriatischen Meeres in dieser Gegend, der Höhe unseres Standortes, sowie der Lage des massigen Monte Gargano auf weit vorspringender Landzunge der apenninischen Halbinsel drüben, uns ■gerade gegenüber, ist die Möglichkeit kaum zu bezweifeln, namentlich an einem so wunderbar klaren Nachmittage, wie er mir geworden war. Sicher aber ist das eine, dass ein ähnlicher Aussichtspunkt, der zu gleicher Zeit so hoch über dem Meere und doch so dicht an seinem Strande, fast vertikal aus den Fluten, sich erhebt, nicht So leicht wieder angetroffen werden kam. Eine wahre Vogel-Perspektive ist, was er bietet. An vielen Stellen verschwimmt Gimmel und Wasser in eins und die malerischen Bergränder der B<»cche di Cattaro liegen wie Gebilde auf einer Reliefkarte vor Unseren Augen. Aber nur wenige Schritte vorwärts brauchen wir zu thun. so |st dieses herrliche Bild auch schon wie ein Traum verschwunden, Ja bald erschliesst sich uns ein zweites, das indes einen total vermiedenen Charakter zeigt. Es ist kein Seestück mehr, sondern em Landgemälde, dazu mit echt montenegrinischer Staffage. Von einem steinigen Hügelzuge auf der Hochebene hinter dem nur wenig höheren Krstatsch blicken wir hinab in einen weiten Kessel, welchen, im Gegensatz zu den vielgestaltigen, aber kahlen, grauen Felsen, die ihn umranden, saftig grüne Wiesen und Felder, regelmässig wie auf einem .Schachbrett abgeteilt, füllen. Mitten in diese Oase aber ist eine ansehnliche Ortschaft eingebettet, aus zwei, einige Minuten von einander liegenden Häuserkomplexen gebildet. Die weissgetünchten Gebäude mit ihren roten Ziegeldächern und dem aus ihrer Masse aufragenden Kirchturm machen nach dem allenthalben vom Hauche des Südens angewehten Dalmatien einen fast nordischen, an unsere sauberen deutschen Dörfer erinnernden Eindruck. Daher riss mir denn dieser anheimelnde Anblick auch unwillkürlich den Flut vom Kopfe, und indem ich ihn hoch in Lüften schwenkte, drang, jedenfalls zur nicht geringen Verwunderung meiner stummen Hegleiterin, ein freudiges „Hurrah" aus meiner Kehle. Dasselbe war indes doch auch in jeder Beziehung am Platze. Denn als ich mich auf dem Krstatsch zum Weitergehen anschickte, wandte ich mich nicht bloss vom Meere ab und dem Kontinente zu, sondern ich kehrte damit auch dem letzten Stück Abendland den Rücken und trat in den Orient, trat vor allem in das noch so unbekannte, viel gefürchtete, gleichwohl aber von mir so ersehnte Land der „schwarzen Berge" ein. Bezeichnet doch jene Höhe in Wirklichkeit auch die Grenze zwischen Ostreich und der Crnagora. Nun aber sah ich die erste montenegrinische Ortschaft, welche daneben mit 6000 Einwohnern nicht nur eine der stattlichsten und volkreichsten Ansiedlungen des Landes darstellt, sondern auch ganz besonders als Stammsitz der gegenwärtig regierenden Dynastie, die deshalb zu ihrem Familiennamen „Petrovic" den Zusatz „Njegusch" angenommen hat, unser Interesse beansprucht. Darum noch einmal: „Hurrah Njegusch! Hurrah Crnagora!" , Aber wir sollten noch auf andere Weise daran erinnert werden, dass eine neue Welt sich uns erschlossen hatte, dass wir in kurzen drei Stunden in eine andere Zone Europas, aus einer nahezu subtropischen Region in das Klima Mitteleuropas und Deutschlands versetzt worden waren. Denn siehe da, uns zur Rechten senkten sich die Westabhänge des Lovtschen nieder. Spärlicher Buchenwald bedeckt sie. Aber die hochragenden Stämme haben kaum ausgeschlagen. Dichter Schnee lagert noch zwischen ihnen. Schnee, nur wenige Dutzend Meter höher als unser Standpunkt, nachdem wir doch noch zu Mittag im vollen Sommer gelebt hatten; nordisches Laubholz nach Orangen und Myrten! Was Wunder, dass da auch nordische Kälte herrschte nach afrikanischer Gluthitze, die uns noch auf dem Serpentinenwege quälte, und dass ein wahrer Schneewind wehte! Daher stiegen wir denn schleunigst in den Kessel vor uns nieder und gelangten an blühenden Kirschbäumen — in Dalmatien hatten wir bereits Früchte gegessen — und an Kartoffel- oder Getreidefeldern mit dem ersten zarten Grün vorüber bald schon nach Njegusch hinein. Gleich rechts an der Strasse steht ein ansehnliches Gebäude, vor welchem eine Anzahl Montenegriner mit Holzkugeln eine Art Kegelspiel spielten, wie solches auch in Italien getrieben wird. Es ist das Gasthaus. Indes nach Landesart schänken auch noch viele andere Häuser Kaffee, Schnaps, Wein und dergleichen. Die Überfülle von Restaurationen, dieser Krebsschaden in unseren Ländern, den man immer nur der Kultur schuld giebt, findet sich also selbst hier schon. Meine Führerin zog es aus irgend einem Grunde vor, ein solches Privathaus aufzusuchen, das übrigens jenem offiziellen Absteigequartier gerade gegenüber lag. Auf schwankender Stiege Wurde ich in die „gute Stube" im ersten Stock geleitet, wo indes e'n Stuhl, ein Bett und die uneingerahmten Bilder der fürstlichen Familie an der russigen Wand die einzigen Luxusartikel bildeten. Doch brachte mir die freundliche Wirtin einen recht leidlichen Kaffee, der mir namentlich durch seine Wärme wohl that. Gleichwohl schüttelte mich der Frost, neben der niedrigen Temperatur hier oben auch eine Folge der ungeheuren Erhitzung, die der Anstieg auf der Himmelsleiter mit sich gebracht hatte, so heftig, dass ich trotz aller Müdigkeit nach wenigen Minuten wieder znm Aufbruche blies. Hatten wir doch auch erst die Hälfte Wegs hinter uns und die Sonne sank tiefer und tiefer. Das Mittel half. Es wurde mir bald genug wieder wärmer als mir lieb war. Wir verliessen nämlich noch vor dem zweiten Häuserkomplex von Njegusch die schöne, bequeme Strasse, die links die Höhen hinanzieht, von neuem und stiegen rechts auf steilen grasigen Plalden aufwärts. Aber auf der beschwerlichen Bahn nickten uns jetzt — nach der kahlen Öde der ersten Wegeshälfte — blaue Veilchen und gelbe Himmelschlüsselchen von rechts und links ermutigend zu. Wir wandelten durch den Frühling, aber über uns hing der rauhe Winter in Gestalt des mächtigen Lovtschen, den wir jetzt bis zu seinem Schneegipfel hinauf überschauten. Bei einer Quelle, die unter einer schönen, monumentalen Uber-mauerung hervorquillt, machten wir Halt, um nach dem anstrengenden Steigen zu verschnaufen. Aber das eiskalte Wasser, jedenfalls eine Gabe der Schneereservoire da droben, verursachte mir Unbehagen statt Erquickung. Indes wurde der Marsch nunmehr leichter. Wir hatten die höchste Höhe des ganzen Weges, nach meiner Schätzung etwa 1300 Meter, erreicht. Längere Zeit ging es fast eben durch Gebüsch von Eschen und Eichen, noch dazu auf leidlichem Pfade, dahin. Nach allen Seiten ist der Blick beschränkt. Aber [mit einem Male senkt sich das Terrain vor unseren Füssen und gleich als ob unvermutet ein Vorhang in die Höhe gezogen worden sei, thut sich uns eine Aussicht in duftige Fernen auf. Eine ganze Welt von kahlen, hellschimmernden Hügeln und Graten, einem vom Sturme aufgewühlten, dann aber plötzlich zu Stein erstarrten Meere gleich, füllt weithin den Vordergrund. Aber dort hinten, wo diese ungeheure Fläche sich abwärts neigt, da breitet sich ein unübersehbarer, hellblauer Wasserspiegel aus. Sein Ostufer säumt ein riesiger Gebirgswall mit schneebedeckten Zacken und Zinnen, während im Süden das flüssige Element mit dem duftigen Blau des Himmels in Eins verschmilzt. Fast könnte man glauben, dass man wieder dem Mittelmeere und seinen kulturbedeckten Gestaden sich nähere. In Wahrheit aber erblicken wir den Skutarisee, und die Eisberge dahinter sind die Hochgipfel Albaniens, des unbekanntesten und unnahbarsten Stückes von ganz Europa. Ja, das Panorama da vor uns ist selbst so recht ein Bild für jenes wilde Land und seine Abgeschlossenheit. Denn bei aller Pracht, bei allem Farben- und Konturenreichtum, der den grössten Maler begeistern könnte, mangelt ihm doch eins, das Leben. Kein Baum, kein Haus ist sichtbar. Himmel, Schnee, Wasser und Felsen bilden die einzigen Merkmale auf dem ungeheuren Tableau. Wie am ersten Schöpfungsmorgen, als das Wort noch nicht ertönt war: »es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut", so liegen diese weiten Gebiete vor unseren Augen. Auch die fünf oder sechs Montenegriner, die in ihren bunten Gewändern, wohl bewehrt mit Handschar und blitzenden Pistolen, unbeweglichen Statuen gleich auf vorspringenden Kalkblöcken dicht vor uns sassen, passten so recht zu dem Ganzen und vervollständigten den morgenländischen Charakter, den das gesamte Gemälde trug. So mag wohl hier und da die Landschaft dem Reisenden s,ch präsentieren, der die einsamen Steinhochwüsten der Mongolei oder Tibets mit ihren melancholischen Seebecken und ihren eisigen Bergrändern durchzieht. Von unserem erhabenen Standpunkte, der den Namen „Pass Krivacko-srijelo" erhalten hat, führt der Pfad, jetzt von neuem eine Art Rinne mit greulichem Geröll, scharf bergab. Mitten in dem Labyrinth von Felstrümmern ist die weite, prächtige Aussicht von vorher unvermittelt wieder zur beschränktesten Umschau auf monotone Öde zusammengeschrumpft, die um so mehr auf das Gemüt drückt, als bereits die ersten Schatten der Nacht sich über die stumme, tote Wildnis breiten. Aber nur wenige Schritte vorwärts, so liegt das wunderbare Bild von droben, das wir noch immer in Gedanken tragen, in Wirklichkeit wieder vor unseren Augen, nicht mehr von so stolzer Höhe herunter beherrscht, aber dafür unterdes mannigfach reicher Reworden. Der Abendsonne letzter Strahl hat, wie eine Prophezeiung auf die Zeit, wo auch jene Gebiete der Kultur sich erschliessen werden, einen rosigen Schimmer auf die Schneefelder der alba-nesischen Bergreihen gelegt. Wie vergoldet ragen die Gipfel noch zuin tiefblauen Himmel auf, während in Schluchten und Thälern die Finsternis schon Einzug gehalten. Die weite Seefläche aber zeigt einen dunkelroten Schein, gleich als sollten wir damit erinnert Werden an die Ströme edlen Christenbluts, das in all' den Jahrhunderten seither Flüsse und Bäche so oft diesem Wasserbecken zugeführt haben. Indes das weite Gemälde hat auf unserem jetzigen, vielleicht noch 1000 Meter hohen Standpunkte nicht nur neue Farben angenommen, nein, es hat auch Leben erhalten. Aus dem Meere von grauen Kalksteinhügeln vor uns ist nämlich gleichsam ein grosses, kreisrundes Stück herausgeschnitten. Den Boden des so entstandenen, weiten Kessels bildet eine Ebene, deren ununterbrochene Fläche in dem Gewirr von Klippen und Zacken, das sonst ringsum dem Blicke sich bietet, nicht weniger auffällig ist, als das saftige Grün, in dem sie prangt. Auf diesem Wiesenboden nun erblicken wir ein Häufchen weiss-getünchter Häuserchen, fast anzusehen wie kleine Holzklötzchen, die Kinderhand auf einem grünen Teppich neben einander geschichtet. Das ist das vorläufige Ziel unserer Reise, Cetinje, die Hauptstadt der „schwarzen Berge". Wer hätte wohl gedacht, dass so wenig schwarz, vielmehr so weiss und grün, so freundlich und harmlos, so heimatlich-traut und anziehend dieselbe sich darstellen würde 1 Nun denn vorwärts, dass wir aus der Felswildnis, die mit dem nahenden Abend immer unheimlicher und toter erscheint, in ihren friedlichen Schoss hineinkommen! Aber freilich, das kostete noch ein hart Stück Arbeit. Immer wieder galt es, auf scharfen und schneidenden oder weichenden und rutschenden Geröllstücken abwärts zu steigen. Und doch waren die Kräfte schon fast erschöpft und selbst die Stiefel, die noch wochenlang im Innern des Landes Dienste thun sollten, bereits lädiert. Endlich aber bogen wir links um eine Ecke und standen unvermittelt auf der neuen Strasse, mittelst welcher wir, nun in schnurgerader Linie den weiten Thalboden von Cetinje durchschneidend, in einer halben Stunde die Entfernung von dem kleinen Weiler Baitsche bis zur Hauptstadt zurücklegten. Aber als die ersten Häuser dieser letzteren erschienen, waren unsere Leiden noch nicht zu Ende. Noch galt es eine lange Strasse zu durchmessen und zwischen Massen von Menschen, die mit der landesüblichen Fussbekleidung lautlos an uns vorüberschritten, sich hindurchzudrängen, bis endlich ein querüber stehendes, stattliches Gebäude uns Halt gebot. Der freundliche Lichtschimmer aus seinen Fenstern, noch mehr aber die deutsche Anrede verschiedener Herren, die mit einem Male, wie aus dem Boden gewachsen, uns umringten, luden zum Eintritt ein. „Sie sind doch der uns schon angemeldete Doktor aus Sachsen," rief es zugleich aus mehreren Kehlen, „kommen Sie nur näher!" Und so mehr gezogen als noch durch die eigenen steifen Beine fortbewegt, gelangte ich in das Innere der „Locanda", des Sammelpunktes aller Fremden, die sich bis hier herauf wagen. Nach kurzer Zeit war daselbst Hunger und Durst gestillt, die erschöpfte Kraft ersetzt und, was noch mehr sagen will, dem Herzen die Befangenheit genommen, die den Reisenden in jedem wildfremden Lande, und nicht am wenigsten beim Eintritt in die so verschrieenen „schwarzen Berge" zu überkommen pflegt. Ein Dutzend braver Crnagorzen umringte mich wie einen alten Bekannten. Bei deutschem Gerstensäfte wurde in deutscher Sprache geplaudert. Was Wunder, dass ich mich, in später Nachtstunde auf meinem Zimmer, bis wohin mich meine schnell erworbenen Freunde geleitet hatten, angelangt, wirklich ernstlich fragte, ob ich nicht schon träume und ob diese mondbeschienene Ortschaft mit ihren stillen Strassen und sauberen Häuschen da draussen wirklich Oetinje, die Männer, die soeben mit biederem Händedruck mir »gute Nacht, Herr Doktor" zugerufen hatten, wirklich die gefürchte-teten oder verachteten Montenegriner seien. So sah ich denn gehobenen Herzens und mit freudiger Erwartung dem nächsten Tage entgegen. Dröhnender Donner war es, der mich, den nach den vergangenen Strapazen ein wahrhaft eiserner Schlaf gefesselt hielt, bereits in früher Morgenstunde aufschreckte. Wollte man mir Salut schiessen oder sollte der russische General von gestern auch an dieser allzu frühen und allzu energischen Reveille wieder die Schuld tragen? Aber diesmal that ich ihm Unrecht. Das Getöse kam von der Berglehne im Osten von Cetinje her, wo man für den Bau der Strasse nach Rjeka Sprengungen vornahm. Ich legte mich zum Fenster hinaus. Hei, wie der Schall nach Jedem weissen Rauchwölkchen, das da drüben sichtbar wurde, durch die noch schlafende Stadt und über die stille Thalebene hinzog, um dann in fünf- bis sechsfachen Echos, dem Grollen ferner Gewitter gleich, von den starren Felswänden des gegenüberliegenden Lovtschen zurückgeworfen zu werden! Das war allerdings ein wenn auch unbeabsichtigter, so doch mächtig genug erhebender Morgengruss. So musste der Willkommen unter einem Volke klingen, das ja auch, wie weiland Israel, seit Jahrhunderten in der einen Hand das Schwert, in der anderen die Kelle zu halten genötigt war. Aber da pocht es. Faner aus dem Freundeskreise von gestern, Herr Dr. med. Jovanovitsch, erscheint, um mich abzuholen. Die Gastfreundschaft ist in den „schwarzen Bergen" bereits von morgen- ländischer Art. Sie kann sich kaum genug thun und knüpft früh schon wieder da an, wo sie abends aufgehört. Wir traten heraus. Es war ein wunderbarer Morgen. Auf der Ebene lag noch ein weisser Nebelstreifen und Hess sie wieder als das erscheinen, was sie einst sicher war, ein grosses Seebecken-, die schroffen Kalkspitzen ringsum aber erglänzten bereits im goldensten Morgensonnenscheine. Unser Marsch ging den Felsmassen östlich von der Hauptstadt entgegen. Hier liegt auf etwas erhöhtem Terrain, aber dicht an das rauhe Gestein angeschmiegt, ein zweistöckiges, ziemlich langes, sonst aber unscheinbares Gebäude, das indes ein Segen für das Land ist. Denn so urkräftig auch das Geschlecht der Crnagorsen genannt werden muss, es bildet gleichwohl keine Ausnahme hinsichtlich der Gebrechlichkeit, der die menschliche Natur unterworfen ist. Namentlich zeigt sich die Plage des Rheumatismus, veranlasst jedenfalls durch die im allgemeinen ungenügenden Wohnungen bei rauhem oder doch raschen und schroffen Wechsel bedingendem Klima, vielfach verbreitet. Das grösste Kontingent zu der an diesem Übel leidenden Schar stellt übrigens Cetinje selbst, auf dessen Ebene, jedenfalls noch mit dem ehemaligen Seecharakter derselben in Verbindung, Erlkönig mit seinem „Nebelstreif" zu Hause zu sein scheint. Ausserdem werden noch von Konstantinopel, wohin viele Montenegriner zeitweise ziehen, um ihr Brot zu verdienen, mancherlei Leiden importiert, die sonst unter diesem einfachen und unverdorbenen Naturvolke kaum angetroffen werden dürften. Alle mit solchen und anderen Übeln Behafteten finden in dem erwähnten Gebäude Aufnahme und, wenn möglich, Heining. Denn es ist das Landeskrankenhaus, zu dessen Unterhaltung übrigens Russland, das so viel für Montenegro thut, ebenfalls, wie ich hörte, eine nicht unbedeutende Summe beiträgt. Die innere Einrichtung der Anstalt erscheint bei aller Einfachheit doch zweckentsprechend. Zur Zeit meiner Anwesenheit hatte mein liebenswürdiger Begleiter, der als fürstlicher Staatsphysikus Direktor dieser Anstalt ist, noch einen Unterarzt, einen Griechen von vertrauenerweckendem Äusseren, zur Seite. Nach glaubhaften Berichten waren von der geschickten Hand des ersteren bereits wiederholt schwierige Operationen so vorzüglich ausgeführt worden, dass sich die renommiertesten chirurgischen Kapacitäten unserer Hochschulen und Kliniken dessen nicht zu schämen gehabt hätten* Trotzdem konnte meines Bleibens in diesem Hause der Schmerzen nicht lange sein. Der Kontrast zwischen den vielen hier herumlaufenden, elenden Gestalten und den reckenhaften Figuren, die sonst das Land erfüllen, 'war doch zu gross. Ausserdem trieb mich auch der starke Karbolsäuregeruch, der dieses Hospital gleichwie alle seine Schwesteranstalten auf der Erde durchwehte, unwillkürlich wieder hinaus in die frische Luft, die zwar nur fünf Grad (Celsius) Wärme zeigte, mir aber nach der erschlaffenden Hitze Dalmatiens besonders erquicklich däuchte. Hatte mich doch auch vor allem die Behauptung meines Wackeren Äskulaps, dass von dem Platze vor seiner Anstalt der Lovtschen am schönsten sich präsentiere, zum Gange hierher bewogen. Und ich sollte denselben in der That nicht zu bereuen haben. La lag vor mir das freundliche Häuflein der Häuser von Cetinje mit der kleinen, isolierten Pfarrkirche. Dahinter aber stiegen mächtige Felsmassen auf, die hoch oben von einem sargdeckelähnlichen Aufsatze gekrönt wurden. Die höchsten Partien dieses gewaltigen Gebirgsstockes waren mit einer im reinsten Weiss erglänzenden Schneelage wie mit einem dicken Zuckergusse bedeckt. Das ist der Lovtschen, das Wahrzeichen Montenegros, der Liebling seiner Bewohner. Mit Sehnsucht staunt ihn schon der Knabe an, ihm gilt der Abschiedsblick des Mannes, der in die Schlacht zieht, zu ihm schaut noch wehmütig der kraftlose Greis empor. Er verdient aber auch solche Liebe, der steinerne Koloss. Denn wenngleich er den Ruhm, der höchste Punkt montenegrinischer P>de zu sein, namentlich nachdem Hochgipfel wie der Korn und Dormitor in die Grenzen der letzteren einbezogen worden sind, längst verloren hat, so stellt er sich doch infolge seiner isolierten Lage auf dem hochgehobenen Westrande des cmagorischen Hochplateaus als eine der am weitesten wahrnehmbaren Bergspitzen des ganzen Gebietes dar. In der Bocche di Cattaro wie am See von Skutari, bei Podgoriza wie östlich hinter Nikschitsch ist seine charakteristische Form selbst aus dem dichtesten Gewirr von Bergspitzen, die dem Auge entgegentreten, noch herauszufinden. Als ein derartig Land und Meer beherrschender Gipfel in einem bis vor kurzem noch so winzigen Staate muss er ein Denkmal der vergangenen Grösse des mächtigen Serbenreichs im Mittelalter, wie zugleich eine Prophezeiung lür eine glückliche Zukunft der Südslaven auf der Balkanhalbinsel genannt werden. Ja, er ist eine rechte Verkörperung des montenegrinischen Wesens überhaupt. So unbeweglich er gestanden hat mitten in all' den Stürmen, die über die schöne, östliche Halbinsel des Mittelmeeres hinbrausten, so hat auch die Crnagora, und zwar als der einzige der christlichen Staaten auf dieser gesegneten Landmasse, gegen alle Anläufe des Türkentums ihre Selbständigkeit zu wahren vermocht, ein einsamer Vorposten auf den äussersten Grenzen des dem Kreuze dienenden Abendlandes gegen die unabsehbaren Heerscharen, die den Halbmond auf ihrer Fahne führten. Der Lovtschen aber erinnert in dieser Weise nicht nur an die blutigen Trophäen der Crnagorsen, er weist sein Volk anfeuernd auch hin auf höhere, friedliche, geistige Siege. Seine Sargform ist nicht bloss eine Zufälligkeit. Er stellt auch in Wirklichkeit ein grosses Grab dar. Denn siehe, in der klaren Morgenluft ist da droben auf der schwindligen Höhe von 1759 Metern ein winziges Bauwerk wohl zu bemerken. Dort wurde der bedeutendste serbische Dichter der Neuzeit, Rade Tomov Petrowitsch, bekannt als Vladika Petar II. von Montenegro, .1851 zur ewigen Ruhe bestattet. Wo hätte wohl ein Dichterkönig eine poesievollere Gruft sich erwählen können, als auf dieser hochragenden Bergeszinne mit der unermesslichen Aussicht weithin in alle Lande? Mir aber dünkte dies Grab zugleich ein echt morgenländisches zu sein. Denn in ähnlicher Weise haben, wie ich selbst in Algerien vielfach beobachten konnte, die Araber ihren gefeiertsten Heiligen die Kubba, „die Schlafstätte", auf den höchsten Höhen errichtet. Doch wir müssen dem herrlichen Hochgebügsbilde vor uns, das jene Frische und jenen Frieden atmet, die so manchem abgelegenen trauten Plätzchen, etwa in Tyrol, eignen, nunmehr den Rücken kehren, um zu sehen, was wir in der Residenz für unsere Reisepläne thun können. Aber o weh, da sah's schlecht aus! Denn schon von ferne scholl uns Trompetenton entgegen, der auf Ausserordentliches schliessen liess. Und als wir nun wieder in die Strassen einlenkten, da machte sich auch ein ungewöhnliches Treiben bemerklich. Ja, auf dem grossen Platze vor dem fürstlichen Palais stand gar eine ganze Abteilung montenegrinischen Militärs aufmarschiert. Der. russische General von gestern kreuzte wieder meine Wege. Er hatte sieh bereits zunt Fürsten begeben, um sich seiner Mission zu tntledigen. Gespannt harrte alles seiner Rückkehr. Da sah ich denn schon, dass am Vormittag nichts zu machen sein würde. Ich wurde aber doch wenigstens durch' den Anblick einer grösseren Abteilung Soldaten entschädigt, der hier um so seltener ist, als Montenegro bekanntlich keine stehende Armee unterhält. Ks war aber auch, schon' an sich betrachtet, einige Stunden Versäumnis wert, das militärische Schauspiel; das sich meinen Kicken bot. Welche Muskelkraft und doch gleichzeitige Gewandtheit, die diese mageren aber eisenfesten Gestalten verrieten! Dazu befanden sich unter der Masse nicht wenige wahre Helden, die im Handgemenge, der so recht eigentlichen Gefechtsart der Crnagorsen, Wunder persönlicher Tapferkeit gethau hatten, wie sie bei unserer modernen Hinterlader- und Revolverkriegsführung kaum noch vorkommen können. Die zahlreichen Orden und Medaillen auf der '^ust ganz einfacher Leute redeten davon, auch wenn nicht ein höchst origineller Berichterstatter sich zu uns gesellt hätte. Ks war dies nämlich ein Taubstummer, der indes mit ausserordentlich anschaulichen Gesten uns zu zeigen suchte, wie er mit eigner Hand verschiedenen Türken den Garaus gemacht habe. Es war in Wirklichkeit ein fast aufregender Anblick, dieser Mensch mit dem blöden Gesicht, wie er nun die Handschar atis dem Gürtel zog und sie mit Blitzesschnelligkeit durch die Luit s&USen Hess, während seine Augen in unheimlichem Glänze aufloderten und seinem Munde unartikulierte Laute, dem Brüllen eines Raubtieres ähnlich, entquollen. Bei solchem Schauspiele Ware wohl auch jedem anderen gleich mir der Gedanke gekommen: L's muss schrecklich sein, dem Sohne der „schwarzen Berge", der 'Uli der Strasse so harmlos an dir vorübergeht oder auch in seinen Vler Pfählen mit wahrhaft rührender Aufopferung dich bewirtet, im Wilden Kampfe zu begegnen! Übrigens konnten jene Truppen selbst ohne solche Reminis-cenzen wohl imponieren. Denn wenn es auch eine eigentliche Uniform für die Armee nicht giebt, so wird dieselbe doch hinziehend ersetzt von der üblichen Landestracht, die gerade einem ^riegsmanne recht wohl ansteht. Die Bewaffnung dagegen war 'ast ganz modern, Hinterlader (Henri-Martini-System) und Revolver, letzte re meist von Gasser in Wien, wenn ich nicht irre, 4 Milli- Sch-warz, Montenegro. 0 meter, also grösstes und schwerstes, dafür aber auch einen ziemlich sicheren Schuss gebendes Kaliber, wurden von allen geführt. Nur das Seitengewehr fehlte, oder war vielmehr von der volkstümlichen Handschar vertreten. Auch für die Fussbekleidung ist das uralte, besonders durch die Art des montenegrinischen Terrains bedingte, landesübliche Schuhwerk, die Topanken, beibehalten worden. Nur Offiziere, die übrigens durch ein an der Kopfbedeckung angebrachtes, messingnes Wappenschild sich auszeichnen, tragen im Frieden häufig hohe Schaft- oder wohl auch kräftige Schnürstiefel. Doch halt, da tritt die schlanke Gestalt des russischen Generals, den wehenden Federbusch auf blitzendem Helme, aus dem Schlosse, um sich in das ihm vom Fürsten angewiesene Privatquartier zurückzubegeben. Mit lobenswerter Fertigkeit präsentieren die aufgestellten Mannschaften unter donnerndem „Schivio" das Gewehr und das interessante Schauspiel hat vorläufig ein Ende. Meine Freunde aber, die alten von gestern Abend sowohl, als solche, die sich während des Harrens und Wartens vor dem Palais neu herzugefunden hatten, beschliessen eine Nachfeier. Wir drängen uns durch die dichten Volksmassen, welche die Neugier heute herbeigezogen, und nehmen vor dem Hotel Platz, um nach echt deutscher Sitte einen Festfrühschpppen zu trinken. Wertvoller aber, als der Genuss des wirklich vortrefflichen Bieres, war mir die Gelegenheit zu Volksstudien, die unser Standpunkt mit seiner Aussicht auf die ganze Länge der Hauptstrasse in bequemster Weise bot. Allerdings ist die Residenz auch zu anderer Zeit fast immer erfüllt von herumschlendernden Figuren. Cetinje, der Sitz des Fürsten, das grosse Waffenarsenal, der Punkt, von welchem alle Handstreiche und Pläne gegen den verhassten Erbfeind, den Türken, ausgehen, bildet ja recht eigentlich das Herz der „schwarzen Berge". Hier ist der passendste Platz für den Kriegsmann, hier unthätig einherzuschreiten und sich im Glänze seines Schlachtenruhms zu sonnen sein Hauptvergnügen, die einzige Lebensweise, die seiner würdig erscheint. Daher macht das Strassen-leben in der montenegrinischen Hauptstadt den Fändruck, als ob daselbst immer P'eiertag sei. Ich wurde lebhaft an Corte, die alte Binnenhauptstadt Corsikas, erinnert, die ich in gleicher Weise ebenfalls immer voll Spaziergänger sah. Demi auch der edleOorse hält das Arbeiten für eine den freien Mann und Krieger entehrende Thätigkeit. Wer also nur Cetinje besucht — wie dies die meisten Reisenden thun — der kann leicht zu der Ansicht kommen, dass die Crnagorsen es überhaupt mit dem Nichtsthun halten, wie dies übrigens von den meisten Naturvölkern, auch von unseren alten deutschen Vorfahren gesagt werden muss. Bei der Durchwande-nmg des Innern aber habe ich erkannt, welch ein unermüdlich thätiger Arbeiter der Sohn der „schwarzen Berge" ist, wie denn auch die Montenegriner, welche in Konstantinopel leben, durch ihre Ausdauer und Geschicklichkeit daselbst wohl angeschrieben stehen. Heute, wo ein so wichtiger Tag erschienen war, wo es sich zeigen musste, ob Montenegro auch unter dem neuen Kaiser wieder die unentbehrliche Hilfe von Russland erwarten dürfe, machte sich die obenerwähnte Physiognomie der Hauptstadt besonders geltend. Einem endlosen Aufzuge bei einem Maskenballe gleich, wogten Massen von hohen Gestalten mit glitzernden Waffen und in buntfarbigen Kostümen, so weit das Auge den Weg durch die Ebene verfolgen konnte, auf und nieder. Es ist über die montenegrinische Tracht schon viel geschrieben worden, so dass hier einige kurze Andeutungen genügen dürften. Bekanntlich spiegelt dieselbe die slavische Tricolore wider. Zinnoberrot ist die kragenlose Weste, deren beide Enden nach Art eines Shawls auf der Brust übereinander gelegt werden. Ein Besatz von Goldstickerei oder bei Ärmeren doch wenigstens von schwarzem Band dient dazu, dieses überaus kleidsame Gewand noch zu heben. Die Beine stecken in äusserst bequemen, bauschigen Kniehosen Von blauer Farbe, die mittelst eines roten Bundes um den Leib zusammengeschnürt werden. Die weisse Farbe endlich kommt zur Geltung durch die Wadenstrümpfe aus Filz, welche den' durch das viele Bergsteigen meist überaus stark entwickelten Unterschenkel °is zum Knöchel bedecken. Sie werden oben unter dem Knie durch ein rotledernes Strumpfband zusammengehalten, längs der Innenseite der Wade herab aber mit dünnen, messingnen Haken zugenestelt. Der Fuss steckt dann in eigentlichen, kurzen Socken, über welche die bereits mehrmals genannten Opanken oder Topanken sezösren werdem Dies Schuhwerk, das in ähnlicher Weise von vielen slavischen Bergvölkern, z. B. von den Slovaken in der Tatra, sowie selbst von verschiedenen Stämmen in Südamerika und anderwärts getragen wird, verfertigt man aus getrocknetem Kalb- oder Rindsfell, dessen haarige Seite beim Gebrauch nach unten gekehrt wird, um dem Ausgleiten auf dem glatten Kalkgestein zu begegnen. Dünne Riemchen oder nach Art unserer Violinsaiten zusammengedrehte Därme bilden über den oberen 'Teil des Kusses hinweg eine netzähnliche und darum äusserst elastische Decke. Ks ist keine Frage, dass dieses unseren durch glänzende und harte Stiefel verwöhnten Augen und Ohren anfangs freilich wenig imponierende Schuhwerk in gewissem Sinne die beste Fussbekleidung für Hochgebirgswanderungen darstellt. Allerdings wo es gilt, Schnee und Eis oder überhaupt feuchte Stellen zu überwinden, da weicht sie bald durch und kann darum in dieser Beziehung mit dem harten, schweren, aber wasserdichten Nagelschuh der Alpenbewohner nicht konkurrieren; aber wo nur Felsen, namentlich mit glattem Gestein, in Frage kommen, steht sie unerreicht da. Mittelst derselben fügt sich der Fuss allen Formen des harten Materials auf dem Pfade an, während ausserdem die Leichtigkeit dieser originellen Sandalen zur Sicherheit des Trittes noch die Schnelligkeit fügt. Zur Vollständigkeit der montenegrinischen Toilette gehört nun aber ganz besonders noch das „petit arsenal", wie man es scherzweise genannt hat, ein Gurt von dunkelrotem Leder, der um die Hüften getragen wird. Vorn auf dem Leib bildet er durch eine Art Klappe eine geräumige Tasche, welche die Waffen aufzunehmen bestimmt ist, ohne die selbst der ärmste Crnagorse nicht leben kann und die kaum abends beim Schlafengehen abgelegt werden. Es sind dies meist einige Pistolen ältester Konstruktion, aber oft mit trefflicher Zierat aus getriebenem Silber — gewöhnlich albane-sische Arbeit — versehen, und ein moderner Revolver, letzterer stets in schussfertigem Zustande; dazu kommt noch die Handschar, die bekanntlich nichts anderes ist als ein etwa 70—80 Centimeter langes, gerades Messer mit einem meist aus Elfenbein bestehenden Griff, der ein krückenartiges Ende zeigt. Auch diese Waffe, die der Crnagorse mit blitzartiger Schnelligkeit zu führen versteht, wird, in einer Metallscheide geborgen, quer durch die Gürteltasche gesteckt. Man kann sich denken, welch ein Gewicht der Sohn der „schwarzen Berge" auf diese Weise hei seinen beispiellosen Eilmärschen über Stock und Stein mit sich schleppt, und es erscheint mir nicht unglaublich, was mir jemand versicherte, dass mehrfach unter den Männern auftretende und oft rasch tödlich verlaufende Leber- und Nierenkrankheiten durch den Von jener kleinen Rüstkammer auf die edleren Eingeweide unaufhörlich ausgeübten Druck wenigstens mitveranlasst werden. Flinten führen in der Regel nur Soldaten, das heisst, da alle Montenegriner und zwar vom zwölften Lebensjahre bis zum Greisen-alter wäftenpflichfig sind, lediglich solche, die gerade im Dienste stehen, Originell ist die Art, wie diese Gewehre, namentlich bei längeren Wanderungen, getragen werden. Man legt sie hinter dem Köpfe quer über den Hals und die Schultern und hält die beiden Enden mit den Händen, ähnlich wie dies bei uns Turner ■nit langen Stäben zu thun lieben. Ausser Dienst sieht man den Crnagorsen häufig seine lange Weichselrohrpfeife, den „Tschibuk", 111 dieser Weise transportieren. Einen Stock pflegt dagegen niemand zu führen. Der Hals ist bei dem geschilderten Anzüge meist frei, das heisst, nur von dem Hemde bedeckt, das häufig aus recht feinem Linnen bestellt. Auch ein Oberkleid fehlt in der wärmeren Jahres-Ze>t und ausser Gala häufig. Sonst dient als solches ein weiss-vo»Hener Kaftan mit Ärmeln, der aber die rote Weste über der Artist frei lässt. Er wird mittelst eines meist seidenen, schottisch gestreiften, shawlartigen, langen Bundes über den Hüften zusammengeschnürt. Endlich gehört noch zum echt montenegrinischen Kostüm ein langes, schmales Plaid von grobem, dunklen Stoffe, das, wenn Cs nicht zum Schutz gegen Kälte oder Regen um den Leib gewickelt wird, von beiden Schultern niederhängt und dein Dahin-8c'ireitcnden etwas Wurdevolles verleiht, in den Städten und bei -Vornehmeren findet man neuerdings statt dessen auch moderne ''aletots, die allerdings zu der sonst so malerischen Tracht nicht besonders passen wollen. Schliesslich sei noch erwähnt, dass bei grosser Gala,- aber nur seitens der höchsten Würdenträger des Landes, sogar seidene spanische Mäntel als Überwurf getragen werden. Bemerkenswert ist auch die Kopfbedeckung, die ein Symbol darstellt. Sie besteht aus einer Kappe mit einem aufrecht stehenden, dicken, schwarzseidenen Rande, der oben einen Deckel von purpurrotem Tuche trägt. Auf demselben teilt ein breiter Bogen aus Goldschnüren einen kleinen Halbkreis ab, auf welchem die Initialen des Fürsten in serbischer Schrift H. 1. (Nicolaus I.) eingestickt sind. Die Deutung ist nun folgende: Das Schwarz weist auf den Untergang des altserbischen Reiches und die damit allen Südslaven auferlegte Trauer, das Rot auf das Blut hin, das der seitdem zu führende Kampf erfordert, während der goldene Bogen die von neuem aufgehende Sonne serbischer Herrlichkeit auf der Balkanhalbinsel darstellen soll. So hat denn alles am Crnagorsen bis auf die doch an sich ganz indifferente Mütze auf dem Kopfe Bedeutung, entsprechend der ganzen Art des Volkes, die eine so durch und durch patriotische, ist, wie es wohl nicht leicht wieder vorkommt. Wie abgeblasst und nichtsbedeutend erscheint dagegen unsere noch dazu ungleich hässlichere und unpraktischere Salontracht, und wie thäte auch uns Deutschen etwas not, das uns, wie eine montenegrinische Kappe, immerdar, im Sitzen und im Gehen, daheim wie auswärts, an die Liebe erinnerte, die wir dem Vaterlande schulden und die wir ihm doch so oft schuldig bleiben! Übrigens soll damit die schwache Seite dieser montenegrinischen Kopfbedeckung nicht vertuscht werden. Sie schützt in keiner Weise die Augen und die Stirn in einem Lande, dessen ausserordentliche Sommerhitze dies doch besonders nötig machte. Ein einfacher Schirm dürfte hier mannigfachen Erkrankungen vorbeugen, die in der heissen Jahreszeit auftreten. So glänzend aber der Anzug der Männer, so einfach und prunklos ist der der Frauen, wie wir dies in gleicher Weise, im Gegensatze zu unserer Mode, bei Naturvölkern mehrfach finden. Erscheint ja doch auch in der Tierwelt fast durchgängig das Kleid des Männchens reicher und in die Augen fallender als das des Weibchens. Die Farbe, die dem Weibe, das sich dem Manne zu eigen gegeben hat, allein zukommt, ist in Montenegro, ähnlich wie auch noch hier und da unter Völkerschaften, Schwarz, die F^arbe des Dienstes, der Unterwürfigkeit. Daher trägt die Frau der „schwarzen Berge»" meist einen schwarzen Rock, während der Oberkörper häufig nur mit dem grobleinenen Hemde bekleidet ist. Vor allem aber deckt den Kopf ein schmuckloses, schwarzes Tuch. Nur die Mädchen dürfen sich mit der nationalen Kappe bedecken, von der dann überdies noch ein dunkler Schleier recht malerisch auf den Rücken hinabfällt. Die so ungleich einfacher gekleideten montenegrinischen Weiber stehen auch sonst, selbst hinsichtlich des Körperbaues, den Männern nach. Währeftd diese vielfach hoch gewachsen sind, erreichen jene durchschnittlich nur Mittelgrösse. Das Gesicht, beim Manne infolge der ovalen Form, der hohen Stirn und der vielfach anzutreffenden Adlernase oft sehr schön, erscheint bei den Weibern breit, mit hervorstehenden, stark ausgebildeten Backenknochen. Und im Allgemeinen herrscht ein überaus gleichartiger Typus unter den Repräsentantinnen des schwächereu Geschlechts in der Crnagora, das Individuelle ist wenig ausgeprägt. Unbestreitbar kommt dies von dem zurückgezogenen Leben und der untergeordneten Stellung her, die das Weib in Montenegro zur Zeit noch einnimmt. Ähnliches habe ich auch bei den Araberinnen im Innern von Algerien und sonst noch im Oriente beobachten können. Übrigens lieferte gerade auch dieser Festtag Belege für die landesübliche Zurücksetzung der Frauen. Denn während die Männer behaglich in den Strassen lustwandelten, kam nur hier und da einmal ein Weib Geschäfte halber zum Vorschein. Manche wurden mit Lasten auf dem Rücken sichtbar, deren Schwere sie nötigte, tief vornübergebückt zu gehen. Trotzdem arbeiteten die schwieligen Hände noch eifrig am Strickstrumpf; der grösseren Bequemlichkeit halber war dabei der Faden um den Hals geschlungen. Die montenegrinischen Weiber haben sich mir überhaupt immer als Bild des Fleisses, der UnVerdrossenheit und der Demut gezeigt. Doch — da klingelt's zur table d'höte. Die einen der Genossen, die verheiratet sind, eilen fort zum Mahle am eigenen Herde, während die anderen mir auch drinnen noch Gesellschaft leisten. Überhaupt verflossen die Speisestunden in dem hauptstädtischen Hotel immer recht genussreich. Alle nennenswerten Fremden, die entweder schon längere Zeit in Cetinje anwesend oder eben erst eingetroffen waren, fanden sich hier an enger Tafel zusammen und wurden bald befreundet mit einander. So lernte ich bei dieser Gelegenheit Herrn Rovinski kennen, der dann bei meiner Tour durch das Land die Hauptrolle spielen sollte. Ausserdem waren hier regelmässig Herr Oberingenieur Slade, der geniale Erbauer der neuen Strassen des Landes, sowie zwei Dalmatiner, die sich um die Konzession für eine Dampferlinie auf dem Skutari-see bewarben, und andere anwesend. Ja selbst von denjenigen der Einheimischen, die zu Hause speisten, kamen stets einige sofort, nachdem sie ihr Mahl eingenommen, wieder zurück, um uns zu unterhalten, während war unserem bei der hohen Lage von Cetinje und seiner frischen Gebirgsluft stets hungrigen Magen Genüge thaten. Und auch dazu fehlte es in dem einfachen aber durchaus guten Hotel an den nötigen Vorbedingungen nicht. Die Gerichte waren durchweg reichlich und wohlmundend, dazu stand roter Crmnizaer, dieser montenegrinische Bordeaux, der angenehm säuerlich schmeckt und sehr leicht ist, ä discretion auf der Tafel. Nach Tische begaben wir uns meist in das im gleichen Hause etablierte Cafe, wo man Gelegenheit zu Billard-, Schach- oder Kartenspiel hat und jederzeit, oft selbst in später Nachtstunde, eine bunte Gesellschaft Kinheimischer antrifft. Auch ein Institut \<>n noch höherer Bedeutung birgt das Hotel, das eben in jeder Hinsicht das Centrum der kleinen Residenz genannt werden muss. Es ist dies die gleich an den Speisesaal anstossende Lesehalle, in welche der Fremde, eingeführt durch ein Mitglied, ohne weiteres Zutritt hat. In höchst lobenswerter Weise besteht nämlich in Montenegro, selbst in kleineren Orten, in denen bei uns. im hochgebildeten Deutschland, an so etwas nicht zu denken wäre, vielfach ein Verein, der für Beschaffung von guter, unterhaltender wie bildender Lektüre sorgt. Hier in Cetinje; in der entlegenen, von manchem wohl gar belächelten und in vieler Beziehung allerdings äusserst bescheidenen Residenz, fand ich neben einer Menge serbischer, italienischer, russischer und griechischer Zeitungen auch eine Anzahl deutscher Journale, unter anderem „Uber Land und Meer", „Fliegende Blätter" und dergleichen, gewiss ein erfreuliches Zeichen, wie für das dem montenegrinischen Volke innewohnende, auch sonst von mir viellach beobachtete Streben nach Bildung überhaupt, so für die llochschätzung deutschen Wesens insbesondere. . Gerade in einer Zeit, wo Völker, die mitten in unserem Lande wohnen, oder doch in engster Berührung mit ihm sich befinden, wie Ungarn und Böhmen, die deutsche Sprache möglichst zu verdrängen suchen, muss eine derartige Pflege der letzteren seitens der Deutschland verhältnismässig doch ungleich ferner stehenden Urnagorsen hoch angeschlagen werden.-Die guten Früchte solcher Bestrebungen durften aber auch für Montenegro nicht ausbleiben. Wo jene Völker in ihrer Verblendung sich unheilvoll isolieren, wird es mancherlei Anregung zur eigenen Hebung und Veredelung durch die Beschäftigung mit deutscher Kultur erhalten. Bald nach Tisch schon erschien Herr Landesschulinspektor Ischuturillö mit Dr. |o\ anovitsch, um mir zu melden, dass Se. Excellenz der Herr Minister des Innern. Maso Yrbica (sprich: Mascho Werbiza), der bei meiner projektierten Reise ganz besonders in Betracht kam. mich zu sprechen wünsche, und dass sie den Auftrag hätten, mich zu ihm zu begleiten. Also sollte doch schon der erste Tag meines Aufenthalts einen Schritt zur Ausführung meines Vorhabens bezeichnen. Natürlich war ich sofort im Frack und unterwegs. Die Wohnung Sr. Excellenz befindet sich unweit von dem "otel auf der Hauptstrasse. Es ist ein kleines aber sauberes Haus mit einer ersten Etage und zwei oder drei Fenstern Fronte. Wir stiegen die Treppe hinan und wurden von einem jungen, freund* liehen Mädchen in ein kleines, recht wohnliches Zimmer geführt, dein es sogar an einem gewissen, modernen Komfort nicht fehlte, bau Sopha und mehrere Divans, sowie ein Spiegel mit Goldrahmen und Konsole waren zu bemerken. Freilich der Herr Minister gilt auch für einen der reichsten Montenegriner. Besitzt er doch z. B. die Olivenölraffinerie bei Antivari u. a. m. indes hatte ich mich kaum flüchtig umgesehen, als der Erwartete eintrat. Er ist nicht so hoch gewachsen wie die Mehrzahl deines Volkes, dafür aber von äusserst massigem, robustem Körperbau, wie er denn in der That in vielen Kämpfen mit den Türken ausserordentliche Bravourstücke verrichtet hat. Jedoch verdient er "icht nur den Namen eines tapferen Haudegens, sondern auch den eines bedeutenden Kriegstheoretikers, denn er hat in seiner gleich-Zeitigen Eigenschaft als Chef der montenegrinischen Artillerie diese letztere Waffengattung, für welche die Terrainverhältnisse so viele Schwierigkeiten bieten, in anerkennenswerter Weise gehoben. Endlich bewährte er sich — was der alte Blücher bekanntlich für unvereinbar hielt mit persönlicher Tapferkeit — auch als feiner diplomatischer Kopf. Leider nur spricht er ausser seiner Müttersprache nichts anderes als russisch, das nebenbei vielen Montenegrinern geläufig ist, da es mit dem Serbischen, von dem das in Montenegro herrschende Idiom bekanntlich nur einen Dialekt und zwar vortrefflicher Art darstellt, eine ziemlich grosse Ähnlichkeit hat. So war ich denn, da mir damals beide slavische Sprachen noch fremd waren, gezwungen, mich meiner freundlichen Begleiter als Dolmetscher zu bedienen. Ein jeder, der in solcher Weise einmal eine Konversation geführt hat, weiss, wie umständlich und unangenehm das ist. Trotzdem verlebte ich doch eine recht schöne Stunde bei dem Herrn Minister. Denn er reichte mir gleich beim Eintritt die Hand, nötigte mich dann neben sich auf das Sofa, bewirtete uns mit Kaffee und sprach sich namentlich über meine Reisepläne sehr beifällig aus. Der Schutz und jede mögliche Unterstützung der fürstlichen Regierung solle mir, so äusserte sich Se. Excellenz, nicht fehlen, denn einen Mann mit solchen Empfehlungen könne man nicht unbeachtet lassen. Montenegro pflege auch die Freunde seiner Freunde als eigene Freunde zu betrachten. Nur vermöge er, ehe er mit Sr. Hoheit dem Fürsten und seinen Kollegen gesprochen, einen bestimmten Bescheid noch nicht zu geben, er werde mich aber, sobald ein Beschluss in dieser Angelegenheit gefasst sei, wieder zu sich bitten lassen. Man kann sich denken, dass ich in bester Stimmung fortging und dieselbe mir auch dann nicht trüben Hess, als ich hörte, dass der Herr Minister des Ausseren heute Polterabend habe und darum nicht- zu sprechen, ja überhaupt vorläufig nichts weiter in meiner Angelegenheit zu thun sei. Wussten meine Begleiter mir doch auch die Zeit aufs angenehmste zu vertreiben. Zunächst durchwanderten sie mit mir den Ort, was allerdings wenig Zeit erfordert. Cetinje ist ja nach modernen Begriffen eigentlich kaum eine Stadt, sondern vielmehr im Grunde nur ein' Dorf und zwar, weil es, selbst unter Umrechnung einer Anzahl über die Ebene verstreuter Häuser und Weiler, noch immer kaum 2000 Einwohner zählt, nicht einmal ein grosses zu nennen. Ich muss oft herzlich lachen, wenn man mich in der Heimat fragt, wie viel Cetinje Buchhandlungen oder Schnittwarenläden habe. In dieser Beziehung steht die Hauptstadt Orten wie Nikschitsch oder Kolaschin oder Dulcigno weit nach. Es besitzt ausser einigen kleinen Tabaksniederlagen und einer Anzahl Kaffee-, Bier-, Wein- oder Schnapsschenken keine eigentlichen kaufmännischen Geschäfte. Es umtässt lediglich Wohnhäuser. ' Diese aber bilden im Grunde nur eine einzige, von Norden nach Süden laufende, breite, ungepflasterte Gasse, die schon mehrfach genannte Hauptstrasse. Nur wenige und meist ganz kurze Seitenstrassen zweigen von dieser Hauptarterie des Cetinjer Lebens ab. Die Häuser, die sie aufzuweisen haben, sind von ärmlicher Art und meist unter Dach gebaut. Nur der obengenannte „Boulevard" oder „Corso" wird von etwas besseren Gebäuden eingefasst, die indes trotzdem fast sämtlich noch immer kaum den Bauwerken in einem kleinen deutschen Landstädtchen die Wage halten. Obgleich hier meist eine Etage aufgesetzt ist, so findet man doch selten eine Fronte von mehr als zwei oder höchstens drei Fenstern, und auch diese sind schmal und niedrig, jedoch meist mit Jalousieläden versehen. PZtwas mehr in die Augen fallen nur einige wenige Fläuser von Cetinje, die hier kurz erwähnt werden sollen, da sie zugleich die einzigen Sehenswürdigkeiten der Miniaturresidenz bilden. Links neben dem recht stattlichen Hotel steht das Mädcheninstitut, ein ziemlich geräumiges Gebäude, in welchem die Töchter aus den besseren Familien des Landes eine im allgemeinen treffliche Bildung erhalten. Die Vorsteherin ist zur Zeit eine russische Dame von noch jugendlichem Alter, die schon durch ihre angenehmen aber energischen Gesichtszüge sowie durch rasche und lebhafte Bewegungen verrät, dass sie die für eine so schwierige Aufgabe nötigen Eigenschaften besitzt. Da sie das Deutsche ganz geläufig handhabte, so konnte ich mich mit ihr recht gut verständigen und selbst vielfache Notizen über das von ihr geleitete Pensionat einziehen. Sie führte mich durch alle Räume, die übrigens — selbst das Wohnzimmer der Frau Direktorin nicht ausgenommen — äusserst einfach waren und dadurch mit der, wie mir schien, etwas spartanischen Erziehungsweise im Einklang standen. Am Hanse befindet sicli ein Garten, in welchem die Schülerinnen auch Gelegenheit haben, ihre Körper-kräfte durch entsprechende Arbeiten zu üben. So viel ich bemerken konnte, war bezüglich dieser Anstalt vornehme Geburt bisher gegenüber persönlicher. Tüchtigkeit in vieler Hinsicht bevorzugt worden. Die gegenwärtige, aufgeklärte Leiterin aber scheint entschlossen zu sein, mit diesem unheilvollen Prinzip zu brechen. Möge es ihrem vernünftigen Streben auch an Erfolg nicht fehlen und jede etwa gegen dasselbe gesponnene Intrigue — selbst an dergleichen Machinationen fehlt es leider unter einem verhältnismässig noch so unverdorbenen Volke nicht:—zu Schanden werden! Es dürfte dann die auch für diese Anstalt von Russland hochherzig gespendete jährliche Subvention von, wenn ich nicht irre> $000 Rubel wahre Zinsen tragen. Unweit des Töehterinstituts, aber auf.der gegenüberliegenden Seite der Hauptstrasse, stösst an diese letztere ein viereckiger, ziemlich geräumiger Platz, an dessen Südseite sich ein vielfenstriges Gebäude mit einem Hochparterre und einer Bel-Etage aber gleichfalls ohne allen ornamentalen Schmuck erhebt, mau müsste denn als solchen das grosse, .buntgemalte montenegrinische Wappen ansehen, das über der Eingangsthür prangt. Das ist das Schloss des Beherrschers der „schwarzen Berge", nach den Begriffen der schlichten Bewohner des Landes ein Palast aus „Tausend und einer Nacht", während es einen verwöhnten Sohn der abendländischen Kultur nur etwa wie der schmucklose Landsitz eines Edelmannes aus der kunstlosen Zeit des vorigen Jahrhunderts anmutet. Vom Standpunkte architektonischer Schönheit aus mag man die Einfachheit dieses Herrschersitzes, in dem ein Souverän wohnt, von welchem in mannigfacher Plinsicht die Ruhe auf der Balkanhalbinsel und damit auch die Ruhe Europas abhängt, und der ausserdem bei allem geringen Umfange seines Gebietes noch einer der wenigen wirklich unumschränkten Regenten unseres Erdteils ist, bedauern; auf der anderen Seite aber wird man den Sinn nur bewundern müssen, der unter einem zur Zeit noch blutarmen Volke, das vielfach in Hütten lebt, es verschmäht, für die eigene Person einen luxuriösen Palast zu beanspruchen, sondern mit einem schlichten Daheim fürlieb nimmt. Geht man vom Schlosse noch weiter westwärts, so gelangt man, an der bekannten Ulme, unter welcher der Fürst oft Platz nimmt, um nach alter, patriarchalischer Sitte Audienzen zu gewähren und die Anliegen selbst der Geringsten seines Volkes anzuhören, vorbei, zu dem „alten" Palaste, einem weitläufigen, festungsartigen, quadratischen Bau, den eine Mauer mit starken Tünnen an den Ecken einschliesst. Gegenwärtig sind hier die Kanzleien der Ministerien und dergleichen untergebracht. In dem geräumigen Hole aber lagern alte, mächtige Kanonenrohre, die in blutigen Gefechten den Osmanlis abgenommen wurden. Auf manchen von ihnen sieht man noch in schöner Arbeit die bekannte Chiffre des Sultans eingraviert, während andere sich gefallen lassen mussten, dass ihnen die frohlockenden Sieger auch allerhand scherzhafte Inschriften einritzten. So liest man auf einem dieser riesenhaften Feuerschlünde: „Es lockte mich mit Gewalt nach Cetinje Woiwode N. N.", und dergleichen mehr. Viel ernsterer Art von Haus aus und doch auf einen an unsere Verhälti üsse Gewöhnten kaum weniger komisch wirkend ist etwas, auf das wir nördlich hinter diesem Kastell stossen. Hier steht ein unter das Dach gebautes, höchst simples Gebäude. Zu jeder Tageszeit sieht man daselbst Männer vor der Thüre sitzen und gemächlich ihren Tschibuk rauchen. Wie ganz anders würde sich ein gleichen Zwecken dienendes Haus bei uns präsentieren! Da wären drei- und vierfache Mauern mit spitzen Glasspittern auf ihren Zinnen und eiserne Thore, Schildwachen und Thürhüter zu bemerken, da würde man das Rasseln von Ketten und das Klirren von Schlüsselbunden vernehmen. Von all diesen zum Teil so kostspieligen Dingen, von all dem ungeheuren modernen Isolirapparat hat das montenegrinische Landeszuchthaus — denn vor diesem stehen wir — nichts aufzuweisen. Die Gefangenen, unter denen sich meist auch schwere Verbrecher, oft selbst Mörder und Totschläger, befinden, gehen frei aus und ein. Niemand bewacht sie, weder bei 'Pag noch bei Nacht. Gewiss ein bequemes und billiges Detentionssystem, das dabei auch Seinen Zweck völlig erfüllt, denn es kommt so gut wie nie vor, dass ein Gefangener entweicht. Und doch bindet nicht etwa eine besonders gute Verpflegung wie dies bei Strafanstalten in anderen Ländern vielleicht der Fall sein könnte — die Inhaftierten an ihr unfreiwilliges und gleichwohl wiederum freiwilliges Asyl. Was sie zurückhält, das ist allein das Ehrgefühl, das sich in Montenegro in hohem Grade ausgebildet zeigt. Es erscheint als eine Schande für einen Crnagorsen, zu fliehen, sei es, wo es wolle, vor dem Schwert des Feindes, wie vor dem Schwert, das die Obrigkeit in der Hand hält. Ausserdem würde bei der Art des montenegrinischen Terrains ein Flüchtling unter freiem Himmel leicht elend verkommen müssen. Einer der Herren Konsuln, die ich in Cetinje kennen lernte, bezeichnete ganz treffend diese montenegrinischen Sträflinge als „Autogardisten". Schade nur, dass sich dieses System nicht auch bei uns anwenden lässt. Welch ungeheure Summen würden jährlich erspart werden ! Denn leider kosten uns die Bösewichter das meiste Geld. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich übrigens, dass in Montenegro bei gewissen Vergehen auch die Prügelstrafe noch in Anwendung kommt. Allein dieselbe ist in den Augen des Volkes eine so ungeheure Schmach, dass der davon Betroffene nicht länger im Lande zu bleiben vermag, sondern sich nach auswärts wenden muss. Unweit westlich von diesem Haus mit immerhin trauriger Bestimmung erhebt sich ein anderes Gebäude, das einen total verschiedenen Charakter trägt. Obschon noch ganz nahe am Orte, liegt es gleichwohl völlig isoliert von anderen Wohnungen, wie das einem heiligen Hause zukommt. Vor sich hat es die weite Ebene mit ihrem Wiesenteppich, hinter sich ein von der Westumrandung des Cetinjer Hochplateaus herabstreichendes, zackiges Mittelgebirge. Auf einem Vorsprung des letzteren erblicken wir ein seltsames, cylindrisches, niedriges Bauwerk, das eine Art Turm vorstellt oder auch an den steinernen Aufbau einer sogenannten holländischen Windmühle erinnert. Das ist die „Kula", die vielbesprochene Stätte, auf welcher einst die Köpfe gefallener Türken aufgesteckt wurden. Im Gegensatze zu diesem Orte voll Blut und Grausen stellt sich das Gebäude an seinem Fusse, das wir vor uns haben, als ein Asyl des Friedens und der Versöhnung dar. Denn „ecclesia non sitit sanguinem". Es ist nämlich das nicht weniger oft genannte Kloster von Cetinje, „Zur heiligen Jungfrau" genannt. Ehemals, als das Reich der „schwarzen Berge" noch ein Staat mit hierarchischer Regierungsform war, als der „Vladika", der Erzbischof, zugleich mit der geistlichen auch die weltliche Macht in der Pfand hatte, was bekanntlich noch bis zum Jahre 185 t der Fall war, da bildete dieses „Monastir" das Residenzschloss in dem kleinen Kirchenstaate. Diesen Charakter hat es seitdem verloren. Aber noch immer ist es als Wohnsitz des Oberhirten wie auch als eine Stätte, mit der die Geschicke des kleinen Landes schon vor Zeiten verflochten waren, ein Gegenstand der Ehrfurcht Tür alle Crnagorsen. Für den Fremden erscheint das Gebäude auch noch insofern wichtig, als es allein von allen Häusern der Stadt einigermassen monumental, nämlich im ersten Stockwerke mit einem Arkadengang geziert ist. Fan quadratischer Glockenturm überragt ausserdem das ehrwürdige Bauwerk, das samt dem dahinterliegenden wohlgepflegten Garten von einer starken Mauer umspannt wird. Für mich wurde der Eindruck, den dieses alte Serbenkloster macht, noch dadurch erhöht, dass bei unserer Annäherung auf dem Steine vor der Pforte eine Gestalt in einem langen, wallenden, violetten Talar, mit mächtigem Silberbarte und dunklen Augen, die in einem milden Feuer strahlten, Platz genommen hatte. Wer wäre da nicht auch erinnert worden an bekannte Stellen aus der Patriarchengeschichte wie die: „Und der Herr erschien Abraham im Hain Mamre, da er sass an der Thür seiner Hütte, als der Tag am heissesten war" (l. Mos. 18, l)! In der That kam dem ehrfurchtgebietenden Greis da unter dem Klosterthore auch der Name eines Patriarchen zu, denn wir sahen keinen Geringeren vor uns als Se. Eminenz den Herrn Metropoliten Hilarion von Montenegro, einen Kirchenfürsten in seiner FLr-scheinung wie nach seiner Würde. Trotzdem nahm uns der verehrte Mann wie seines Gleichen, ja so recht wie alte Bekannte auf. Mit herzgewinnendem Lächeln reichte er uns die Hand und schritt uns dann, auf seinen Stab gestützt, die steinerne Stiege nach seiner Wohnung voran. Durch dunkle Gänge und an rauhem, schmucklosen Mauerwerk vorüber gelangten wir so in ein einfach möbliertes, aber überaus trauliches Gemach. Hier musste ich mich zu dem hohen Herrn aufs Sofa setzen. Dann Hess er Kaffee, Tabak und Wein bringen und erwies mir überhaupt alle nur mögliche Freundlichkeit. Es schien fast, als ob Se. Eminenz dieselbe Sympathie, die ich vom ersten Augenblicke für ihn im Herzen fühlte, auch mir entgegenbringe. Zwar vermochten wir nicht direkt mit einander zu sprechen, da er nur des Serbischen und Kussischen mächtig war, trotzdem aber verstanden wir uns doch recht wohl. Übrigens hatte sich der Herr Metropolit doch auch einige Worte aus dem Deutschen angeeignet, ja dieselben gelegentlich selbst einmal recht gut an den Mann gebracht, wie er ans höchst spasshaft schilderte. Er war nämlich, um nach Petersburg zu gelangen, woselbst er die Bischofsweihen erhalten sollte, einstmals auch durch einen Teil unseres Vaterlandes gereist. Da hatte es der Zufall gefügt, dass eine russische Dame mit in seinem Coupe Pfalz erhielt, die des Deutschen nicht mächtig war und nun behufs der Besorgung des Gepäcks und der Beschaffung von Erquickungen auf den Stationen sich hilfesuchend an unseren Patriarchen wandte, der sich aber selbst in gleicher Verlegenheit befand. Da waren ihm denn eben einige aufgeschnappte deutsche Brocken wie „Schinken", „Kaffee", „Brod", „Bier" und dergleichen sehr wohl zu statten gekommen. Selbstverständlich drehte sich unser Gespräch auch um ernstere Dinge, namentlich interessierte den würdigen ' Herrn mein Reiseprojekt ausserordentlich. Dasselbe war der Fall bei dem Herrn Archimandriten, einem gleichfalls höchst angenehmen Mann, mit dem ich ausserdem, da er italienisch verstand, auch direkt zu sprechen vermochte. Er kannte Kloster Moraca (spr. Moratscha) sehr genau und schilderte es mir als die Perle des montenegrinischen Landes, was ich später vollständig wahr fand. Derselbe geistliche Herr erhielt auch von dem Prälaten, der sich in Beweisen von Liebenswürdigkeit gegen uns gar nicht genug thun konnte, den Auftrag, uns alle Sehenswürdigkeiten des Hauses zu zeigen. Wir gelangten dabei zunächst in die Lokalitäten für die Klosterschule, in welcher junge Leute auf Staatskosten zu Lehrern und Geistlichen herangebildet werden. Der ziemlich grosse und mit Schulbänken versehene Unterrichtsraum machte ganz den Eindruck eines gleichen Zwecken dienenden Gemachs bei uns. Auch treffliche Wandkarten waren vorhanden. Der Herr Archimandrit stellte sofort ein kleines Examen in Geographie mit den Schülern an, die im Allgemeinen einen recht guten Eindruck machten. Hierbei wurden deutsche Städte, wie Dresden, Berlin, Leipzig und dergleichen mit Sicherheit gezeigt, auch beispielsweise der Lauf der Elbe ganz richtig verfolgt. An diesen Raum stiess der gesunde, luftige Schlafsaal mit etwa ein Dutzend eisernen Bettstellen, in welchen ein ziemlich hartes Lager für die Zöglinge bereitet war. Uberhaupt ist die Erziehungsweise hier eine einfache, abhärtende, wie denn selbst Unterricht in gymnastischen Übungen sowie in Handhabung der Waffen erteilt wird. Auch dem Garten, den die Klosterschüler selbst bebauen, und dem kleinen Hofe widmeten wir einen Blick. In letzterem wurde uns sogar eine geographische Merkwürdigkeit gezeigt, nämlich der Eingang zu einer Höhle, deren Ende bis jetzt noch nicht zu ergründen war. Man behauptet von ihr, ebenso wie von der später zu erwähnenden Höhle von Rjeka, dass sie mit dem Meere in Verbindung stehe. Aus der Tiefe stiegen wir in die Höhe, nämlich auf den Boden des Gebäudes, wo sich die Schatzkammer mit einigen sehr sehenswerten Dingen befindet. Namentlich nahmen wir hier ausser den zahlreichen Messgewändern mit vortrefflicher Gold- und Buntstickerei, darunter besonders prachtvolle Rosen, ein kostbares Kruzifix aus getriebenem Silber und die erzbischöfliche Krone, auf die indes nur unechte Steine aufgesetzt sind, in Augenschein. Am wichtigsten aber war für mich die Besichtigung der unmittelbar an das Kloster angebauten Kirche, die von aussen wenig auffällt, dafür jedoch im Innern des Interessanten genug enthält. Von dem „Ikonostos , jener Scheidewand, die in den griechischen Kirchen das Schiff völlig vom Altarraume trennt, und seinen mit silbernen Gewändern bekleideten ölbilderfiguren will ich schweigen, denn Ahnliches findet man fast in allen Gotteshäusern dieser Konfession, da bekanntlich der Kultus auf diese Weise die verbotenen Statuen zu ersetzen verstanden hat. Viel wichtiger ist das Grab des heiligen Petar, gestorben am 18. Oktober 1830, der einer der grössten montenegrinischen Herrscher, eine Art wieder erstandener nltserbischer ( zar war und noch jetzt für jeden Crnagorsen der Gegenstand der höchsten Verehrung, der Nepomuk dieses 'Feiles der Südslaven ist, bei dem man selbst zu schwören pflegt. Er liegt in einem mit kostbaren Brokatteppichen bedeckten, hölzernen Sarg von geringem Umfange, den man wie einen Koffer aufschliessen kann. Es geschieht dies auch wirklich einmal im Jahre, Wobei dann alles Volk den verewigten Regenten sehen und seiner Verehrung gegen denselben Ausdruck geben kann. , Schwarz, Montenegro. 6 Aus besonderer Gunst hatte der Herr Metropolit befohlen, auch mir den Sarkophag zu öffnen. Ehe aber unser Führer dies that, küsste er den Deckel mit Inbrunst. Dann hob sich dieser und — der gewaltige Herrscher lag vor mir. Merkwürdig, wie klein er mir erschien, während er doch im Leben gewiss auch wie seine Unterthanen eine lange oder doch wenigstens ansehnliche Statur gehabt haben wird. So vermochte der unbarmherzige Tod Schönheit und Gestalt schwinden zu lassen. In gleicher Weise aber schrumpften unter seinem Hauche auch Herrschermacht und Herrscherweisheit, Ruhm und Geistesgrösse zusammen, bis nichts als dieser dürre, steinharte Kadaver blieb, der, wenn auch unter goldenen Decken schlummernd, doch nur um so mehr ein Bild von der Vergänglichkeit des Irdischen darstellt. „Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorrt und die Blume ist abgefallen!" Tief erschüttert traten wir aus dem stillen Kirchlein wieder heraus und noch lange klang uns so ernst das Ave-Maria-Glöcklein in den Ohren, das gerade seinen ehernen Mund zum Rufe ans Menschenherz aufthat, als wir das traute Kloster verliessen. Ja, dieser erste Tag in Cetinje, wie hatte er fröhliche und doch auch wieder so ernste Bilder mir vorgeführt, auf alle Fälle aber war er reich an Fandrücken gewesen! Und doch hatte ich ihn noch gar nicht bis zu Finde gelebt, etwas sollte mir noch aufgehoben sein. An der Abendtafel lernte ich nämlich einen Wiener Journalisten mit dem nicht ganz ungewöhnlichen Namen Meyer kennen. Derselbe war eben von Cattaro heraufgestiegen, wollte am nächsten Tage die Allerweltstour nach Rjeka unternehmen und dann, ebenfalls wie die allergrösste Zahl der Reisenden, die nach Cetinje kommen, wieder über Cattaro davoneilen. Dieser sehr liebenswürdige Herr lud mich ein, mit ihm dem Vertreter der Türkei Aleko Bey, den er kannte, noch einen Besuch abzustatten. Ich beschloss, dieser freundlichen Aufforderung um so mehr Folge zu leisten, als ich annahm, dass ich in dem Manne, dem unsere späte Visite gelten sollte, einen echten, mit untergeschlagenen Beinen auf eitiem Teppich kauernden, aus seiner Narghile rauchenden und mit dem Turban bedeckten Alttürken kennen lernen würde. Eine solche Begegnung war pikant und zu ihr durfte man allenfalls auch Hoch abends neun Uhr und in einfacher Touristenjoppe auszurücken wagen. Aber wie sehr sah ich mich getäuscht, als sich uns ein äusserst nett ausgestattetes Zimmerchen öffnete, in welchem ein im Ofen knisterndes Feuer behaglichste Wärme verbreitete und von einem aufs einladendste gedeckten Tischchen der Duft der brodelnden Thee-niaschine aufstieg, während ein jugendlicher Mann von aristokratischem Äusseren in untadelhaftester Salontoilette und von weltmännischer Tournüre uns aufs verbindlichste in geläufigem Deutsch bewillkommnete. Schon wollte ich mich bestürzt wieder zurückziehen, allein unser liebenswürdiger Gastgeber wusste mich mit der Versicherung zu beruhigen, dass die Herren Diplomaten, die am Hofe von Cetinje beglaubigt seien, sich durchaus nicht so streng an die Etikette zu binden pflegten, vielmehr, wenn sie ausser Dienstes sich befänden, möglichst frei sich bewegten. Dabei sekundierte ihm aus allen Kräften der schon vor uns erschienene Vertreter Griechenlands, Vice-Konsul Alexander A. Leonardos, ein nicht weniger einnehmender Herr, wenngleich die Verständigung mit ihm nur mittelst des französischen bewirkt werden konnte. Nach einigen Stunden anregendster Unterhaltung empfahlen wir uns, um unser Lager aufzusuchen. Bei dem Gang über die Strasse konnte ich noch mein Thermometer ablesen. Es zeigte ~ Grad Celsius, während wir am Tage 17—18 Grad im Schatten bei heiterstem Himmel erreicht hatten. Cetinje wusste also seine Gebirgslage auch in dieser Hinsicht zu dokumentieren. Am nächsten Morgen schreckte mich nicht wieder der Donner der Sprengschüsse aus meinem • Schlafe. Es war Alles noch so Still, als ich das Fenster aufstiess, um die kühle Morgenluft hereinzulassen. Über Stadt und Ebene lag der weihevolle Frieden, der dem Menschenkinde, auch wenn es nicht in den Kalender gesehen hat, doch zuruft: „Dies ist der Tag des Herrn!" Alhnälig regte sich das Leben. Mehrere Frauen traten aus den benachbarten Häusern, um Morgentoilette zu machen. Aus einem Töpfchen gössen sie sich zu diesem Behufe Wasser in die Hände, Merkwürdigerweise wurden bei der nun bewirkten Waschung die Haare weit mehr bedacht als das Gesicht, was ich auch sonst noch auf meiner Reise oft wahrnahm. Später läutete ein Glöcklein, dass es weithin durch die Gefilde schallte. Das zog auch mich auf die Strasse. Denn ich hatte gehört, dass heute grosse Kirchenparade, wie wir es nennen würden, stattfinden solle. Ich verfolgte die Hauptstrasse in der Richtung auf Cattaro bis über die letzten Häuser hinaus. Hier steht, etwas abseits vom Wege, auf grünem Rasen, mit vollem Blick auf das Schneehaupt des Lovtschen, die Pfarrkirche von Cetinje, ein kleines, niedliches Bauwerk mit dem durchbrochenen, niedrigen Glockenturm, der mehr eine Fortsetzung der westlichen Giebelwand über das Dach hinaus genannt zu werden verdiente. Es ist dies der Styl fast aller Kirchen im Lande. Rings um das winzige Gotteshaus lagerten malerische Gruppen von wettergebräunten Kriegern, die ihre Flinten zusammengestellt hatten und sich nun im milden Sonnenschein behaglich streckten -ein Bild, wie es ein Genremaler nicht prächtiger sich hätte wünschen könpen. Unweit dieser Gestalten voll Kraft und Feuer aber erhob sich ein dünner, etwa drei Meter hoher Kegel aus behauenen Kalksteinen, ein Bauwerk, das mitten in die Scenerie voll warmen Lebens den Gedanken „Tod" mischte. Denn es stellte ein Denkmal zu lehren einer Anzahl Cmagorsen dar, die den Brüdern im Nachbarlande in ihrem Verzweiflungskampfe gegen türkische Knechtschaft hatten zu Hilfe kommen wollen und dabei dem Schwerte des Erbfeindes zum Opfer gefallen waren. Ich trat in die Kirche ein. Sie war leer, der Gottesdienst schon vorüber. Aber ein dienstbeflissener Mensch, eine Art Kirchner, huschte herzu, um mich auf die farbenprangenden Ölgemälde auf dem Ikonostos aufmerksam zu machen. Schon glaubte ich, die angekündigte, interessante Feierlichkeit verschlafen zu haben. Gleichwohl machte ich mich noch nach dem Kloster auf den Weg. Und siehe, das Glück war mir günstig. Ich hatte mein Ziel kaum erreicht, da schritt auch schon ein prächtiger Festzug heran. Vorauf der Fürst in Landestracht, mit übergehängtem, hellblauen Seidenmantel. Neben ihm in grosser Gala der russische General. Dann folgten die Minister und verschiedene andere Würdenträger des Staates, das Ganze eine wahre Mustersammlung kraftvoller Leiber und farbenreicher Gewänder. In bescheidener Distanee ging ich dem Zuge nach und gelangte so wenigstens bis unter die weitgeöffnete Pforte der Kloster- kirche; Denn das Innere derselben war von den eben erwähnten offiziellen Teilnehmern am heutigen Festgottesdienste vollständig gefüllt worden. Aber auch hier in der Vorhalle sah ich mich bald von einer diehten Schar Andächtiger eingeschlossen. Da drängten sich Fan-wohner aus der Hauptstadt und sonnengebräunte Hirten aus dem Hochgebirge; neben dem jungen Krieger, der erst noch seine Lorbeeren zu verdienen gedachte, stand der alte Recke mit Narben im Gesichte und Medaillen auf der Brust. All diese trotzigen Söhne der „schwarzen Berge", die der Anblick der glänzendsten Armee des Halbmondes nicht eine Sekunde in ihrem stolzen Mute erschüttern würde, entblössten demütig ihr Haupt vor dem schlichten Kreuze, das sie aus dem kleinen Kirchlein heraus grüsste. Sehen sie doch drinnen sogar den, der auf ihrem Throne sitzt, *ich beugen vor dem König der Könige, vor dem Herrn der Heerscharen. Auch auf mich verfehlte dieser Anblick seine Wirkung nicht. Ich habe Fürst Nicolas noch mehrmals gesehen während meiner Anwesenheit, ich durfte sogar Aug' in Auge vor ihm stehen, al)er nie ist er mir fürstlicher, nie höher und gewaltiger erschienen als hier, wo er mit gesenktem Haupte sich selbst erniedrigte Vor dem Weltenlenker, gegen den wir doch alle nichts sind als Staub und Asche. Und nun drangen die einfachen, aber gewaltigen Klänge alt-slavischer Kirchenmusik, von einem Singchor, unter dessen Stimmen der tiefe Bass meines Freundes, des Herrn Schulinspektors, wohl herauszuhören war, recht gut wiedergegeben, aus dem weihrauch-diirchdufteten Räume heraus. Dazwischen die Worte des Geistlichen, der vor dem Ikonostos stand, voll Lobens und Flehens. 1 rat derselbe aber, wie dies von Zeit zu Zeit geschah, mittelst des Vorhangs, der den Eingang in den hinteren Altarraum verdeckte, ui den letzteren selbst zurück, so wurde wiederholt die ehrwürdige Uestalt des Metropoliten sichtbar, der wie ein Hoherpriester des alten Bundes dort im Allerheiligsten für sein Volk betete. Nach etwa einer Stunde war die ergreifende Feier zu Ende. I)(-'r Patriarch, heute in ganz neuem, untadelhafteu Talar, gefolgt Von den hohen Gestalten des Archimandriten, des Protodiakon und ''och anderen niederen Geistlichen, sämtlich in langen, schwarzen Geländern, trat aus der Kirche. Alles Volk machte ehrerbietig Platz oder nahte sich herzu, dem verehrten Manne Gottes die Hand zu küssen. Ich war als Andersgläubiger bescheiden etwas zurückgewichen. Aber das scharfe Auge des hohen Herrn hatte mich schon entdeckt. Freundlichst nickte er mir zu. Ja, er war mir kaum aus den Augen entschwunden, da kam ein Bote von ihm mit der Aufforderung, ihm in seine Gemächer zu folgen. Ich that dies, begleitet von Herrn Rovinski, meinem nachmaligen Mentor, der schon lange neben mir gewesen war, ohne dass ich ihn gleich erkannte, denn er trug heute ebenfalls grosse Gala, namentlich den weissen serbischen Kaftan mit dem angehefteten Danilo-( )rden, den ihm der Fürst während des letzten Krieges, wo er mit ausserordentlicher Hingabe verwundete Montenegriner pflegte, eigenhändig an die Brust gesteckt hatte. Se. Eminenz empfing uns wieder mit der früheren Leutseligkeit. Ja er liess sich sogar herbei, mir mit eigener, geschickter Hand eine Gigarette zu drehen, und küsste mich auf den Mund mit einem warmen Segenswunsche für meine mühe- und gefahrvolle Reise, als wir uns endlich empfahlen. Wieder kam ich gerade noch zu einem interessanten Schauspiele zurecht. Zum letzten Male nämlich sollte der russische General meine Wege kreuzen. Er hatte soeben beim Fürsten Abschiedsaudienz. Doch durften wir nur kurze Zeit warten, bis sich die Pforten des Schlosses öffneten und die hohe Gestalt des Betreffenden sichtbar würde. Mit ihm zugleich stiegen eine ganze Anzahl montenegrinischer Würdenträger zu Pferd, um dem geehrten Gaste entweder ganz bis Cattaro oder doch eine Strecke Weges das Geleit zu geben. Hierbei konnte ich die Bemerkung machen, dass die Crnagorsen, diese unerreichten Schnellläufer und Berggänger, auch recht sichere und elegante Reiter sind. Namentlich imponierte die kraftvolle Figur des Herrn Minister Vrbiza auch jetzt wieder. Es gab ein schönes Bild, diese Schar stattlicher Männer in ihren bunten Gewändern, wie sie durch die Hauptstrasse dahinzogen und das Feuer der fortwährend tänzelnden oder auch wohl hoch sich aufbäumenden Rosse mit ruhiger, starker Hand niederhielten. In mir rief die immer mehr aus dem Gesichtskreise schwindende Kavalkade — um es offen zu gestehen — auch noch ein anderes Gefühl als das der Bewunderung wach. Durfte ich doch nun, nachdem die offiziellen Feierlichkeiten vorüber waren, hoffen, dass meine Reiseangelegenheit in das rechte Fahrwasser gelangen werde. Freilich sagte ich mir dabei auch, dass am nämlichen Tage, zumal da es ein Sonntag war, kaum noch etwas in dieser Richtung zu thun sein würde und dass ich dafür den Montag abwarten müsse. Daher erklärte ich mich auch mit Vergnügen bereit, als meine freundlichen Wirte vom Abend vorher, der türkische und griechische Konsul, zu denen sich noch der östreichisch-ungarische Vicekonsul, Herr Graf Wass, gesellt hatte, mich einluden, mit ihnen einen Ausflug nach dem „Riesenberg", einem in der südwestlichen Gebirgsumrandung der Cetinjer Ebene aufragenden Gipfel, zu unternehmen. Verlangte es mich doch überhaupt darnach, einen höheren läinkt in der Umgegend der Residenz zu besuchen. Der Lovtschen wäre mir natürlich am liebsten gewesen. Indes deutete das weisse Neglige, das er trug, hinreichend an, dass er zu so früher Jahreszeit noch nicht zu sprechen sei. Darum nahm ich mit jenem seinen allerdings bedeutend niedrigeren Trabanten fürlieb. Wir schritten zunächst noch einmal am Kloster vorbei, um die unweit südlich ausgegrabenen Reste eines älteren Gebäudes gleicher Art zu besichtigen. Der Platz scheint eben mancherlei Geschicke gehabt zu haben. Wurde doch auch das gegenwärtige Kloster zweimal von den Türken zerstört. Von da traten wir in das Cetinjer F"eld („Cetinjsko polje") hinaus und gingen an den grasigen Mächen vorbei, die hinter dem Schloss sich ausdehnen und schon lange in einen fürstlichen Park umgewandelt werden sollten. Hier sahen wir die Familie Sr. Hoheit, die bekanntlich ziemlich stark ist, in fröhlichem Spiele sich tummeln. Auch die Mutter des Fürsten weilte in der Nähe. Sie ist eine korpulente Dame, die trotzdem, dass sie einem Souverän das Leben gegeben, doch ziemlich einfach gekleidet zu gehen liebt. Mehrfach soll sie selbst vor dem Schlosse mit dem Strickstrumpf in der Hand sitzen und es nicht verschmähen, mit der Schildwache ein Gespräch anzuknüpfen. Die weiten Gefilde, die von diesen „Gärten" bis an den Fuss der Gebirge sich ausdehnen, machten auf mich einen ausserordentlich angenehmen Eindruck. Erinnerten sie doch an die traute deutsche Heimat, die in dem bunten Blumenteppich, den sie allsommerlich auf dem Untergrunde saftiger Wiesen ausbreitet, einen Schmuck hat, wie man ihn in dem so farbenprunkenden und doch auch wieder dürren Süden vergeblich sucht. Hier oben hat die Höhenlage und der feuchte Charakter des Terrains eine Ausnahme bewirkt und die Kinder unserer nordischen Flora herbeigezaubert. Gelbe Butterblumen, rothe Kuckucks-, weisse Gänseblümchen und noch so manche andere von den alten, guten Bekannten grüssen uns daselbst aus dem grünen Grase. Das „Cetinjer Feld" ist aber keine so vollkommene Ebene, wie man wohl glauben möchte. Kleinen Inseln gleich, was sie jedenfalls einst auch in Wirklichkeit waren, als hier oben noch ein Landsee bestand, erheben sich bald da bald dort isolierte Miniaturberge, mehrere Dutzend Meter hoch. Von dem Gipfel eines dieser Kalkhügel pflegt der Fürst zuweilen einem Wettlaufen seiner Unter-thanen zuzuschauen. Der Sieger in diesen olympischen Spielen erhält zwar nicht einen Lorbeerkranz, wohl aber ein paar Pistolen, ein Geschenk, das einen Herzenswunsch jedes jungen Crnagorsen ausmacht. Auch wir nahmen uns die Mühe, diesen klassischen Fürstensitz zu ersteigen. Wie war auf dem niedrigen Hügel aber die Vegetation, wenngleich noch immer nordisch-deutsch, sofort so verändert! Da wuchsen Haselnusssträucher und an ihrem Fasse unsere lieblichen Frühlingskinder, Veilchen und Primeln. Doch gesellte sich hier auch schon ein Charakteristikum der montenegrinischen Flora, der Salbeistrauch*), hinzu. Weiter ging's dann an Getreidefeldern, die einen ziemlich guten Fandruck machten, aber auch an nassen und sumpfenden Stellen, die so recht an den ehemaligen Seecharakter dieser Hochebene erinnerten, vorüber zu dem breiten, steinigen Bette eines Bergwassers, das unweit von hier aus dem Felsen bricht und nicht selten bedeutenden Schaden in der Ebene anrichtet, jetzt indes bereits völlig vertrocknet war. Jenseits begannen wir auf leidlichem Ziegenpfade an den Gehängen des Riesenbergs emporzusteigen. Zwischen ungeheuren Kalkblöcken rechts und links wucherten allerlei Büsche, namentlich auch von Esche. Eine mannigfaltige Blumenwelt, violette Anemonen, gelbe Flyacintheu und dergleichen mehr, fehlte ebenfalls nicht. *) Salvia oflicinalis L. 4 Langsam rückten wir vorwärts. Immer unverkennbarer wuchsen die Chancen für eine kostbare Rundsicht. Aber die Luisse unserer Herren Diplomaten waren mehr an das Parket der Salons, denn an das rauhe Kalkgeröll unseres Weges gewöhnt. Auf halber Höhe machten sie Halt und versprachen, uns hier bei einem Kruge irischen Bieres, das sie unterdes aus dem Hotel würden holen lassen, zu erwarten. Nur Herr Graf Wass entschloss sich, mit mir den Gipfel zu nehmen. Bald wurde denn auch der Weg schlecht genug. Wir mussten von Block zu Block springen, ein Manöver, das der uns begleitende Montenegriner trotzdem, dass er meinen photographischen Apparat trug, mit der Leichtigkeit und Sicherheit einer Gemse ausführte. Endlich hatten wir den Gipfel, ein kleines, kahles Plateau, erreicht. Aber welch eine Aussicht, die uns für die geringe Mühe entschädigte! Da lag uns nördlich Cetinje zu Füssen. Wie aus einem Luftballon schauten wir auf den kleinen Ort und die dichtgedrängte Schar seiner weissen Häuschen inmitten der grünen Wiesen, die wieder von dem Kranze kahler Preisen umrandet wurden, nieder. Winzig klein und doch im hellen Scheine der Nachmittagssonne mit allen Einzelheiten klar zu erkennen, so stellten sie sich uns dar, das Hospital drüben unter den Kalkwänden, dann das Institut, das Hotel, das neue sowie das alte Schloss, dahinter das originelle Landesgefängnis, und das Kloster mit seiner Mauer, seinem Glockenturm und der Kula auf einsamer Höhe im Rücken; uicht eins fehlte von den charakteristischen Bauten der kleinen Residenz. Gewiss ist hier oben der günstigste Standpunkt zu ihrer Betrachtung, und da noch keine der vorhandenen Aufnahmen sie von dieser Seite gegeben, so Hess ich denn meinen Apparat auch in aller Schnelligkeit das reizende Bildchen fixieren. Für den Geographen war der Blick von hier oben noch insofern interessant, als er so zu sagen ad Odilos demonstrierte, dass den Kessel da drunten einst ein See gefüllt habe. Ganz scharf ist die Linie, die das Ende der Ebene und den Anfang der Berge markiert. Mehrfache Vorsprünge oder Zurückweichüngen derselben erinnern ausserdem an Vorgebirge und Buchten. Doch das ist nur ein Stück des kolossalen Panoramas, das auf diesem Berge vor uns liegt. Links über Cetinje haben wir wieder den Lovtschen, dessen Grabkirchlein sich wohl erkennbar vom blauen Himmel abhebt. Indes, das ist schon ein alter Bekannter für uns. Machen wir aber rechtsumkehrt, so zeigen sich die prachtvollen Bilder von neuem, die wir erst einmal, auf dem Wege von Cattaro herauf gesehen haben. Da steht weit draussen am Horizont ein schneeweisser Riese, eine isolierte, hochgehobene Masse mit drei scharfen Zinken, einer Krone gleich. Das ist der Korn, der gigantische Wächter an der Südostgrenze des montenegrinischen Gebiets. Links von ihm tauchen noch andere schneebedeckte Gipfel, darunter vielleicht die Precorniza zwischen Zeta-und Moratschathal, hinter einander auf. Dort liegt das Gebiet, in das wir binnen kurzem eindringen wollen. Welche Freude, aber auch welche Bangigkeit überkommt da das Herz! Rechts vom Koni präsentiert sich dagegen die uns.schon bekannte Kette der oberalbanesischen Alpen, gleichfalls in glänzendem Winterkleide aufmarschiert. Vor ihnen aber, den wilden Eindruck, den sie machen, abzuschwächen, die blaue, unermessliche Fläche des Sku-tarisees. Von unserem gegenwärtigen Standpunkte erblicken wir, was uns auf dem Joche zwischen Njegusch und Cetinje nicht möglich wrar, auch seine Westufer, ein wildes Bergchaos, aus welchem der südlichste der hohen Eckpfeiler der „schwarzen Berge", die Rumija, eine schöngeformte Pyramide, auf breitem Fussgestell aufragt. Nirgends in ihrer gesamten Umgebung ist noch ein Rückstand des Winters zu bemerken. Und darum giebt ihr der weisse Schnee-Hermelin, den sie allein noch trägt, ein um so königlicheres Ansehen. So malerisch aber ein derartiger Fernblick, so hässlich ist der Vordergrund auf dieser Seite. Bis gegen den Skutarisee hin zieht sich eine wahre Welt des Todes und Grauens, die für das westliche Montenegro so charakteristische Hochwüste von Kalkstein-trümmern. Keine Graslläehe, keine Baumgruppe verhüllt hier die harten, unschönen Bodenformen, das dürre Knochengerippe der Erde. Trichterartige Einsetzungen mit ringförmigen Rändern, wellige Kämme mit tiefen Furchen dazwischen, Flügelreihen in der Gestalt von Kratern und klaffende Schrunde, zersägte Grate und abgenagte Spitzen, ein Pmsemble, wie auf einer der bekannten Photographien der Mondoberfläche, ebenso grauschmutzig, so wirr und trostlos, so ausgebrannnt und erstarrt, das ist das Bild, das die Landschaft da oben zeigt. So wird vielleicht einst unser Planet aussehen, wenn alles Leben auf ihm sein Ziel erreicht hat und er dann nur noch wie ein Gespenst durch den Weltenraum schwebt, um schliesslich wieder in ungezählte Atome zu zerfallen. Doch die Stimme der Gefährten, die aus der Tiefe drunten heraufschallt, weckt uns aus unseren Träumen. Und gestehen wir es nur, auch der verheissene Trunk ist es, der uns wieder thal-wärts zieht. So wird denn der Rückzug von unserer Hochwarte angetreten, deren bisher noch nicht gemessene Höhe ich beiläufig barometrisch mit 833 Meter berechnete. Einige bunte Schmetterlinge umschweben uns bei unserem Abstieg, bis wir endlich vor dem mächtigen Bierkruge Halt machen. Als wir datin die Ebene wieder durchschritten, traten wir noch in Schulinspektors Garten, ein umzäunt es Stück Land, auf welchem unter der sorgsamen und kundigen Pflege des eifrigen Schulmonarchen Radieschen, Karotten, Spargel und dergleichen trefflich gediehen. Leider nur — was wäre denn vollkommen hie-nieden — fehlte auch ein Maulwurf nicht, der aller Bemühungen, seiner habhaft zu werden, spottete. haidlich wieder in die gastliche Lokanda zurückgekehrt, fanden wir hier mehrere der neuerworbenen FYeunde, die gleich uns die Umgebung durchstreift und als Beute die prachtvollsten Blumen-sträusse mitgebracht hatten. Ich aber benutzte die heitere Sonntagsstimmung, die alle bekundeten, um die Anlegung eines regelrechten Saumpfades auf den Riesenberg und die Aufpflanzung eines Signals auf der Höhe vorzuschlagen, damit den Touristen, die die kleine Hauptstadt besuchen, ein Aussichtspunkt geboten wird, der die geringe Mühe seiner Ersteigung mit einer wahrhaft unvergess-Üchen Rundschau lohnt. Am nächsten Tage erhob ich mich mit einem energischen „heute oder nie" vom Lager. Cetinje und sein in vieler Beziehung gewiss originelles Leben hatte ich sattsam kennen gelernt. Ich musste daher nun endlich meine Reise in das Innere des Landes ins Werk setzen oder einfach wieder heimkehren, in der Überzeugung, etwas Unmögliches erstrebt zu haben. Ich suchte deshalb sofort mehrere der einflussreichsten von meinen neuerworbenen Freunden auf, indem ich ihnen diese Alternative vorhielt. Zu meiner grössten Freude konnte ich bemerken, dass man von einer Umkehr meinerseits durchaus nichts wissen wollte. Man versicherte mir vielmehr aufs bestimmteste, dass meine Sache im besten Gange sei. Nur solle ich mich in Geduld fassen und daran denken, dass ich mich im Orient befände, wo der Begriff „Zeit" nicht so ausgeprägt sei, wie etwa bei uns. Also immer wieder warten, das wollte mir freilich nicht recht in den Sinn. Indes war ich doch nicht so ungeduldig, dass ich die Schwierigkeiten, die sich meinem Vorhaben entgegenstellten, nicht gewürdigt hätte. Ja, wenn ich der Landessprache mächtig gewesen wäre, dann hätte man mir einfach den ersten besten Mann als Begleiter mitgegeben. So aber bedurfte es eines förmlichen Dolmetschers. Und wenn nun auch in der Hauptstadt viele Leute das Deutsche vorzüglich handhabten, wo aber einen finden, der sofort zu einer so weiten und strapaziösen Tour bereit oder befähigt war? Ich dachte wiederholt an den Herrn Schulinspektor. Ich ging deswegen nochmals in seine nahe Wohnung. Ich fand in den freundlichen Räumen manches, was ich nicht erwartet hatte, nämlich die besten pädagogischen Werke aus der einschlägigen deutschen Litteratur; ich sah auch von meinem Freunde selbst verfasste Schulbücher in serbischer Sprache, namentlich eins mit einer neuen, durchaus praktischen Lesemethode; nur das, woran mir vor allem lag, einen getreuen Mentor für meine Reise, suchte ich auch hier vergebens. Herr Tschuturillo war durch dringende Geschäfte vorläufig noch an die Residenz gebunden. Nachdem ich auch bei Herrn Rovinski ohne Erfolg angeklopft hatte, befand ich mich in ziemlich niedergedrückter Stimmung. Doch brachte eine unerwartete, freundliche Einlädung etwas Erheiterung. Der Herr östreichische Konsul, Freiherr von Thoemel, den ich nur gelegentlich flüchtig gesehen hatte, ersuchte mich durch Herrn Grafen Wass, bei ihm zu Mittag zu speisen. In den behaglich eingerichteten Räumen des Konsulats, eines von aussen ebenfalls ganz unscheinbaren Häuschens, in welchem es, nach den humorvollen Worten meines liebenswürdigen Wirtes, „nicht allzu viel Flöhe, nicht allzu viel Wanzen und nicht allzu viel Mäuse" gab. verlebte ich einige recht angenehme Stunden, die sogar reichste Belehrung boten. Denn der Herr Baron hatte vordem eine vier-bis fünfmonatliche Reise von Dalmatien aus in das Innere der Balkanhalbinsel unternommen und war bis einundeinhalb Tagereise vor Saloniki gelangt. Gegen eine solche Riesentour musste. meine Reiseroute freilich zu einem Nichts zusammenschrumpfen. Während ich so in leiblichen und geistigen Genüssen schwelgte, hatte sich unerwartet meine Angelegenheit zum Besten gewendet. Herr Minister Vrbiza liess mich rufen,-um mir zu eröffnen, dass Herr Rovinski, der ebenfalls nütcitiert worden war, sich habe durch die Regierung bewegen lassen, mich zu begleiten. Die leidige Dol-metscherangelegenheit, der eigentliche casus criticus, war also beglichen. Ausserdem eröffnete mir Se. Excellenz, dass die fürstliche Regierung, wie sie meinem Unternehmen das grösste Wohlwollen entgegenbringe, so auch an allem Schutz und aller Förderung es nicht werde fehlen lassen. Persönlich hätten wir kaum etwas zu befürchten, da allenthalben im Lande die grösste Sicherheit herrsche. Jedoch stünden uns die gesammten Telegraphenlinien zur Disposition, damit wir jeden Tag ein Lebenszeichen geben, das Itinerar für den jeweilig folgenden Morgen mitteilen und namentlich auch von etwaigen besonders interessanten Erlebnissen-oder Entdeckungen Mitteilung machen könnten. Einige Soldaten, die er uns zur Begleitung anbot, lehnten wir, wenigstens für die erste Zeit, wo wir noch bekanntere Strecken durchziehen würden, ganz ab, ebenso verzichteten wir auf die Mitnahme von Matratzen, trotz des eindringlichen Zuredens Sr. Excellenz, indem wir versicherten, beide abgehärteter Natur zu sein. Der Herr Minister war sogar so freundlich, uns insofern einen Peiseplan an die Hand zu geben, als er riet, erst die wärmeren Gegenden der Crmniza und des Skutarisees zu besuchen und dann, wenn unterdes die Schneebedeckung in den östlichen Landesteilen geringer geworden sein werde, in diese letzteren vorzudringen; ein Weiser Wink, den wir gern befolgten. Schliesslich teilte mir mein hoher Gönner noch mit, dass auch Se. Hoheit der Fürst regelmässigen Vortrag über den Verlauf unserer Tour befohlen habe, dass er indes wegen plötzlich übernommenen Unwohlseins erst nach meiner Rückkehr mich werde empfangen können. Ich wollte für all dies ausserordentlich huldvolle Entgegen-, koinmen, das auch meine kühnsten Erwartungen überstieg, meinen tiefgefühltesten Dank stammeln, indes Se. Excellenz wies denselben von sich und bemerkte, dass ich dadurch, dass ich das Land möglichst eingehend erforsche und beschreibe, sowie dadurch, dass ich womöglich etwas fände, das der Armut desselben zu Hilfe käme, ja Gelegenheit genug zur Erkenntlichkeit habe. Mit einem festen Händedruck und einem herzlichen „Behufs Gott" nach echt serbischer Weise entliess er uns. Ich ging nun auch noch, den Herrn Minister des Ausseren, Stanko Radonitsch, aufzusuchen. Ich fand ihn in seiner Kauzlei im alten Palaste. Auch dieser Grosswürdenträger des montenegrinischen Staates, eine schlanke, geschmeidige P;rscheinung von vollendeten Manieren, brachte mir die ausgesuchteste Freundlichkeit entgegen. „Machen Sie für unser armes und vielfach verkanntes Montenegro in ihrem grossen und mächtigen Deutschland etwas Reklame," so rief mir diese I^xcellenz zu. Zum Schlüsse stellte mir der Herr Minister, der beiläufig das gewandteste Französisch spricht, sogar seine östreichische Generalkarte, die ich indes selbst schon besass, und noch alles andere zur Verfügung, was ich etwa gebrauchen könne. Nach diesen erfreulichen Erfahrungen befand ich mich in der rosigsten Stimmung, die nur durch den Gedanken an das notwendige, aber in diesem Pralle, wo ich so wenig wissen konnte, was von meinen vielen Utensilien mitnehmen und was nicht, doppelt fatale Einpacken etwas gedämpft wurde. Endlich aber war auch dies Geschäft erledigt und so konnte ich denn nun die letzten Stunden den lieben Freunden widmen, die mir die wenigen Tage meines Aufenthaltes in Cetinje erworben hatten. Und sie waren alle gekommen, die treuen Seelen. Da fehlte es denn, während der Becher kreiste, nicht an Ratschlägen aller Art. Ernste Bemerkungen wechselten mit scherzhaften Äusserungen. Selbst einen harten Kampf gab es. Y,a handelte sich nämlich um die Frage, ob wir besser Slibowitz, den bekannten Zwetschkenbranntwein der Donauländer, oder Rum mitnähmen. Obwohl zwei Arzte, ein Redakteur, ein Schiffskapitän, ein Schul-inspektor und ausser anderen auch ein Professor der Theologie anwesend waren und alle Mittel der Wissenschaft und der praktischen Erfahrung ins Feld führten, kam es doch zu keiner Entscheidung in dieser wichtigen Kontroverse, und fiel das Gutachten des hohen Rates schliesslich dahin aus, dass wir mit beiden uns wohl versorgen möchten. Schliesslich hatte ein Witzkopf sogar ein förmliches Rezept auf einem langen, dem bekannten ärztlichen Format nachgebildeten Papierstreifen entworfen, auf welchem die mannigfaltigsten Dinge, die, wie man sagt, „Leib und Seele zusammenhalten", nebenbei auch in bedenklich grossen Dosen verordnet standen. Mitternacht war längst vorüber, als wir endlich mit schwerem Herzen Schicht zu machen beschlossen. Noch einen tüchtigen Kuss von aller Lippen nach altserbischer Sitte, und dann aufs Lager, um Stärkung für die Strapazen des nächsten Tages zu suchen. In das Innere von Montenegro, IV. Von Cetinje durch die Crmniza und über den Sutorman-Pass nach Antivari. Entdeckung einer Petroleumquelle. Ein goldener Tag lachte mir ins Gesicht, als ich in nicht geringer Aufregung am folgenden Morgen die Augen aufschlug. Also nun wirklich hinein in das Land, in welchem es kaum Kusstapfen von Vorgängern gab; welches Hochgefühl und doch auch zugleich wie mancherlei bange Empfindungen musste dieser Gedanke wachrufen! Aber da war nicht viel Zeit zum Nachdenken. Bereits klopft es und auf mein „Herein" erscheint der Mann, den ich, ehe es fortgeht, doch noch förmlich vorstellen muss. Herr Rovinski, ein Russe von Geburt, lebt schon seit mehreren Jahren in Montenegro. Das Studium der südslavischen Rassen, das er sich zur Lebensaufgabe gesetzt, hat ihn hergeführt und die dabei erwachte Liebe zu dem heldenmütigen Volke ihn bisher festgehalten. Es war ihm aber auch schon vergönnt, diese Sympathie mannigfach zu bethätigen. Wenn er sich gleich nicht entschliessen konnte, mit der Waffe in der Hand direkt teilzunehmen am grossen und verzweifelten Unabhängigkeitskampfe gegen den osmanischen Erbfeind, — er trägt grundsätzlich nie ein Mordinstrument — so hat er doch indirekt der guten Sache durch die Pflege der Verwundeten zu dienen gesucht. Viele der berühmtesten FYeiheitskämpfer in den schwarzen Bergen verdanken ihm ihre Rettung; Zahllosen hat er in den bängsten Stunden lindernd und tröstend zur Seite gestanden. Daher ist er, obwohl ein Fremder von Haus aus, doch einer der populärsten Männer im Lande. Jedermann fast kennt ihn, und wohin er kommt, wird er mit der grössten Freude aufgenommen. Der Montenegriner hat sich förmlich an diesen Mann gewöhnt. Er ist ihm nahe/u unentbehrlich, sein Bleiben im Lande selbstverständlich geworden. Als ich einmal jemandem unter der Hand mitteilte, Herr Rovinski gedenke Montenegro bald für immer zu verlassen, erhielt ich die kurze, aber bestimmte Antwort: „Das ist unmöglich." Man kann sich'leicht denken, dass diese allgemeine Beliebtheit meines Führers auch mir zu gute kommen, dass gewisser-massen der Abglanz des Nimbus, der ihn umgiebt, auch mich treffen und in den Augen der Leute hochstellen musste. Aber Herr Rovinski ist ein Freund des crnagorischen Völkchens auch noch in höherer Weise. Er ist nicht nur auf die Heilung ihrer leiblichen Wunden bedacht gewesen, er will sie auch geistig heben und veredeln. Er mahnt und tadelt, oft sogar, wie ich selbst beobachten konnte, mit harten Worten. Lud wenn Einer, so ist er zu solchem Vorgehen befähigt und berechtigt. Er kennt die vielen guten Seiten der Bevölkerung, aber er durchschaut auch ihre Schwächen. Denn er hat wiederholt das ganze Land nach allen Richtungen durchstreift und ist in Hunderte von Hütten gekrochen. Was ihm dabei zu statten kam, das war vor allem seine ausserordentliche Fertigkeit im Serbischen, welches er nahezu wie ein Eingeborener spricht, ferner die unglaubliche Ausdauer und Widerstandsfähigkeit selbst gegen die ungewöhnlichsten Strapazen, die ihm sein herkulischer Körperbau verleiht. In der That nimmt er es in dieser Beziehung selbst mit den Söhnen des Landes auf Und hat, gerade wie sie, schon Tagesmärsche von unerhörter Länge niid Schwierigkeit, z. B. von Danilov^rad direkt über das Gebirge nach (letinje, ausgeführt. Daneben ist er ein Mann von vielseitigster Bildung und reichster Erfahrung. Vormals als Professor an einer russischen Anstalt thätig, hat er dann die halbe Welt durchwandert. Er kennt die Mongolei mit ihren toten Hochwüsten wie das fieberhaft pulsierende P.eben Amerikas, die slavischen wie die deutschen Gebiete, spricht mehrere Sprachen und beweist selbst in den schwierigsten Lagen Kaltblütig-keit und Umsicht. Schwarz, Montenegro. 7 Wie hinsichtlich seiner körperlichen Eigenschaften, so erscheint er auch in seiner Kleidung als vollständiger Crnagorse. Nie sah ich ihn anders als in der Landestracht. Nur eine einzige Abweichung von montenegrinischer Sitte gestattet er sich. Er trägt nicht, wie alle Söhne der schwarzen Berge mit Ausnahme der Popen, einen blossen Schnurrbart, sondern einen Vollbart, weshalb man ihn schon manchmal ebenfalls für einen Geistlichen gehalten hat. Und in gewisser Beziehung ist er auch ein solcher, nämlich ein Apostel des Friedens, der echten Herzensfrömmigkeit, der Bildung und Gesittung, der wahren Humanität. War es nicht ein grosses Glück zu nennen, dass ich einen in jeder Hinsicht so trefflichen Mann zum Führer oder, wie ich mich oft scherzhafter Weise ausdrückte, zum Generalstabschef erhalten? Seine treue Fürsorge hatte in der That auch, während ich noch schlief, ihre Thätigkeit schon begonnen. Fan Maultier scharrte bereits unter meinen Fenstern. Eine kräftige Frauensperson war als Treiber engagiert. Sie war beiläufig Witwe, was in Montenegro nichs Seltenes ist. Hier, wo bisher fast Jahr aus Jahr ein der Kampf um Sein oder Nichtsein die tapfere, aber gegen die Heerscharen des Feindes doch nur kleine Zahl der Männer ins Feld stellte, finden wir, wie kaum irgend wo anders auf der Erde, das Land der Witwen. Die „schwarzen Berge" würden ja rote heissen müssen, wenn das Blut zu sehen wäre, das sie in all den Jahrhunderten getrunken haben. Fan starker Leinwandsack, in welchem sich meine Apparate und der Proviant, der bei einer Fahrt in solche unwirtliche Gegenden eine Hauptrolle spielt, befanden, sowie ein Koffer mit Wäsche und Utensilien, Plaid, Paletot etc. wurden dem lastbaren Mulus aufgeladen und endlich noch Decken und Regenmantel oben darauf gelegt, so dass das kleine Tier wie unter einem Berge begraben war. Kein Wunder, dass es für den bevorstehenden Marsch lange nicht die Begeisterung empfand, die uns beseelte, vielmehr unmittelbar nachdem das mühselige Geschäft des Aufladens glückselig beendet war, so energisch mit den Beinen hinten ausschlug, dass nicht nur selbst die beherztesten Crnagorsen erschreckt zur Seite wichen, sondern auch die gesamte Bagage von ihrer stolzen Höhe wieder auf den Boden fiel. Meine photographischen Platten erhielten so noch vor Beginn der Reise Gelegenheit, ihre Erhabenheit über tierische Genieinheiten zu beweisen. Auf diese Weise geschah es, dass wir bereits um fünf Uhr in voller Toilette auf der Strasse standen und doch erst gegen acht Uhr wirklich abrücken konnten. Einige gute Freunde gaben uns noch durch die Ebene das Geleit. Als der Weg schwieriger zu werden anfing, sahen wir uns auf uns allein augewiesen. Wir marschierten in ziemlich genau südlicher Richtung. Denn in Befolgung der uns vom Herrn Minister gewordenen Direktive hatten wir Antivari als nächstes Ziel unserer Reise erwählt. Wir hätten nun allerdings nach Virpazar am Nordostende des Skutari-sees, von wo die Passage über den Sutormanpass ausgeht, viel bequemer gelangen können, wenn wir von Cetinje nach Rjeka gegangen wären. Denn von da ab kann man den Wasserweg Iiis Virpazar benützen. Allein unsere Losung war: nicht die bequemste, sondern die lehrreichste Route! Darum wählten wir den direkten Weg nach der Crmniza, der durch ungleich weniger bekannte Gebiete führt und namentlich das Orahovizathal, das Seitenstück zu jenen berühmten Gefilden, kennen lehrt. An einen eigentlichen Weg im Sinne einer modernen Strasse darf man indes für diese unsere Route ebensowenig, wie, mit Ausnahme der erst jüngst gebauten Strecke Cattaro-Cetinje, betreffs des ganzen übrigen Montenegro denken. Wae allenthalben im Lande hatten wir es auch hier vielmehr nur mit einem Hirtenpfade zu thun, der jedoch im allgemeinen leichter zu begehen war als die Mehrzahl dieser Wege im westlichen, „steinigen" Montenegro. Wir stiegen zuerst etwa eine halbe Stunde an der felsigen Südumrandung der Cetinjer Hochebene empor. Von oben konnten wir noch einen Scheideblick auf das anmutige Hauptstädtchen werfen. Dann aber verloren wir uns in die Fansenkungen zwischen den etwa 7—8xx> Meter hohen, verwitterten, altersgrauen Kalkbergen, welchen sich der Weg, vielfach gewunden und bald auf- bald absteigend, mehrere Stunden lang hinzog. Natürlich war inmitten dieses monotonen Hügelmeeres an eine Aussicht nicht zu denken. Um so mehr bot die Nähe dem Auge 'interessantes. Es machte sich in diesen Mulden oder flusslosen Thalera eine im Vergleich zu anderen (legenden, namentlich den östlichen Partien des Landes, freilich immerhin noch spärliche, im 7* Ganzen aber doch angesichts dieses Kalktrümmerchaos auffallende Vegetation geltend. Haselnusssträucher und, wo ein kleines Rinnsal floss, selbst Weiden, wilde Hirnbäume, vielfach in vollster Blüthe stehend — eine Erscheinung, die in der Felseneinöde wahrhaft elektrisierte — Ranunkeln, weissgelbe Stiefmütterchen, Vergissmein-nicht, ferner der sogenannte „gefleckte" Aron, ein Specificum des westlichen Montenegros, mit seiner grossen, innen weissen Blütenkapsel und dem braunen Kolben, der wie der ungeschlachte Klöppel in einer Glocke anzusehen ist, sowie Richen, die vielfach selbst auf den Abhängen der Berge bis weit hinauf zu entdecken waren, machten sich bemerklich. Ungleich mehr aber noch, als diese wilde Pflanzenwelt, musste das erfreuen, was Menschenhand hier in der Steinwüste mit bebewundernswerter Ausdauer geschaffen. Uberall, wo nur ein Fleckchen anbaufähigen Bodens zu finden gewesen war, meist in kleinen, trichterförmigen Vertiefungen, auf deren Boden durch hier periodisch zusammenfliessendes und dann vertrocknendes Wasser etwas Humus sich gebildet hatte — mitunter ein Stück Land von kaum sechs Quadratmeter Flächeninhalt — da war Feldwärtschaft versucht worden. Hier und da sah ich noch Maisstoppeln vom vorigen Jahre oder auch schon wieder frisch grünendes Getreide. Man erkennt, dass der Montenegriner nicht der träge, nur zum Kriegführen und Plündern geeignete und geneigte Mensch ist, für den man ihn vielfach bei uns noch hält, sondern dass er vielmehr mannigfach, namentlich ausserhalb der Hauptstadt, einen Pleiss und eine Ausdauer bekundet, die, wenn ihr entsprechende (ielegenheit und Anleitung zur Bethätigung gegeben würde, Grosses leisten dürfte. Übrigens wrar es mir stets, als ob hier immer nur die Heinzelmännchen der Sage arbeiteten, da Menschen stundenlang ebenso wenig sich sehen Hessen, wie die verschiedenen Dörfer, welche die östreichische Generalkarte auch für diesen Teil Montenegros ebenso verschwenderisch wie ungerechtfertigt angiebt. Erst nach längerer Zeit passierten wir ein einsam gelegenes Kirchlein und etwa 20 Minuten später ein kleines Dörfchen, Namens Ugni. Gegen Mittag machten wir bei einer aus dem Felsen sprudelnden Quelle Halt, die nach echt morgenländischer Sitte ein stehender Halteplatz für alle desselben Weges Ziehende ist. In der That tränkte hier auch bereits ein Hirt in zottigem Schaffliesse seine Herde. Wir zogen unseren Proviant aus dem ambulanten Magazin und nahmen unser Diner in der grossen Einsamkeit ein. Ausserordentlich erfrischte uns dabei das klare Gebirgswasser, das bei U° C Lufttemperatur nur 90 Wärme aufwies. Nahebei gab es auch noch eine andere Quelle, die als geographisches Kuriosuni unsere Aufmerksamkeit erregte. Denn sie fliesst, nachdem sie aus dem Schosse der Erde hervorgebrochen, nur drei bis vier Meter oberirdisch dahin und verschwindet dann mitten in ihrem Bette wiederum spurlos. Auch in anderer Beziehung noch ist unser Ruheplatz interessant. Unweit westlich von uns erhebt sich ein niedriger, aber langgestreckter Gebirgswall. Auf seinem Kamme läuft die östreichische Grenze, die Grenze desjenigen Staates hin, an welchen auch, fern im Norden, unser Sachsenland stösst. Wie wehte es uns da doch so heimatlich von jenen Bergen herunter an! Jenseits dieser Erhebung aber senkt sich das Terrain rasch zum Meere nieder. Stiegen wir hier vielleicht ein Stündchen lang an, so würden wir, obwohl jetzt noch mitten in der rauhen Felswildnis, die blaue Salzflut erblicken können. In der That führt auch von unserer Quelle aus ein Zickzackpfad dort hinan. Iis ist der Weg, mittelst dessen man in weniger als einem Tag von Cetinje nach der Bai von Budua gelangen kann. Wir aber müssen uns von hier ab, um nach der Crmniza zu gelangen, links wenden. Wir klimmen dazu, nachdem unsere träge Rosinante unter allerhand Schwierigkeiten wieder aufgezäumt worden ist, einen kleinen Abhang hinan. Oben unter einem gewaltigen wilden Birnbaum bleiben wir einen Augenblick stehen. Die See-nerie hat sich bereits ziemlich verändert. Zum ersten Male sehen wir etwas anderes als das ewige Einerlei von niedrigen Kalkhügeln. Der Koni mit seinen eisigen Nachbarn aus Oberalbanien taucht vor uns auf. Auch der Boden unter unseren Füssen ist bereits in etwas wenigstens ein anderer geworden. Statt des kompakten Kalkfelsens erscheint jetzt ein aus ziemlich grossen, eirunden und glatten Steinen zusammengesetztes Konglomerat mit einer derartig verhärteten Bindemasse, dass das Produkt an Festigkeit dem Felsen von vorher nichts nachgiebt. Ausserdem traten wir jetzt in einen förmlichen Wald von Rotbuchen und Fachen*) ein, •) Zerreiche, quercus cerris L. der zum Teil selbst recht ansehnliche Stämme aufwies. Leider lagen auch viele schöne Bäume am Boden, tun nutzlos zu verfaulen. Sogar die Tierwelt, vorher so gut wie atisgestorben, stellte jetzt Vertreter, zum Beweis, dass wir bereits nahe am Ende der öden Hochebene der westlichen Crnagora uns befanden. Kleine, behende Eidechsen raschelten durch das dürre Laub, das noch vom Winter her den Boden bedeckte, Bienen summten um die Birn-1)1 liten herum, weisse Schmetterlinge tummelten sich durch die Luit und selbst die wohlbekannte Stimme des Kuckucks schlug aus grösster Nähe an unser Ohr. loh hörte den komischen Burschen hier zum ersten Male in Montenegro. Von da ab aber blieb er mein treuer Begleiter durch das ganze Land. Wir wähnen wohl, er habe seinen eigentlichen, stehenden Wohnsitz bei uns. Indes habe ich nirgend in Deutschland auch nur annähernd so oft mich von der Anwesenheit dieses Vogels überzeugen können als hier. Montenegro scheint mir der rechte Sitz der Kuckucke zu sein. Und wie gut musste es ihnen hier gefallen! Denn sie Hessen häufig so oft hintereinander ihren monotonen Ruf erschallen, dass ich, wenn die Zahl, wie der alte Volksglaube will, auf die Jahre deutete, die ich noch vor mir hätte, fast die sprichwörtlich gewordene Lebensdauer des Methusalem erreichen würde. Aber die Bühnenverwandlung sollte noch besser und überraschender kommen. Wir kletterten, nachdem wir zuvor ein wenig abwärts gestiegen waren, rechts an ziemlich steilen Gehangen empor. Zur Linken blickten wir dabei in einen tiefen Kessel hinein, auf dessen Grund einige schmucke, helle Häuschen mitten in grünen Fruchtfcldern lagen. Ringsum war diese Einsenkung von jähen Lehnen derartig eingeschlossen, dass ihre Bewohner, wenn sie aus ihrer lieblichen Oase in die übrige Welt heraustreten wollen, wie aus einer A ersenkung heraufsteigen müssen. Vielen Leuten begegneten wir hier, unter denen sich mehrfach Frauen mit im-tadelhaft weissen, weithin leuchtenden Strümpfen auszeichneten. Sie kamen aus den reichen Gefilden der Crmniza, denen wir zustrebten. Faidlich standen wir auf einem hohen Joche. Aber welch ein Blick, der sich uns hier erschloss! Er zählt ohne Zweifel zu den schönsten, die es in dein an den mannigfaltigsten und reizvollsten Panoramen so reichen montenegrinischen Lande giebt. Vor uns dehnte sich wieder einmal die ungeheure Wassermasse des Skutarisees aus, jetzt aber nicht mehr in weiter, duftiger Lerne, wie dies der Fall ist, wenn man auf den Höhen um Cetinje steht, sondern schon ganz nahe und im intensivsten Azur erglänzend. Ebenso präsentierte sich seine schneebedeckte Ostumrahmung nunmehr viel gigantischer als vordem. Was aber vor allem das Auge entzückte, das war die saftig grüne Farbe, die sich jetzt zu dem vorher allein sich geltend machenden Weiss des Schnees und dem Blau des Wassers gesellt hatte. Denn den ganzen Zwischenraum zwischen uns und dem See, Höhenzüge wie Niederungen, bedeckte die üppigste, saftigste Vegetation. Arabia petraea liegt hinter uns, Arabia felix thut sich uns auf! Die Kornkammer und der Weinkeller der Crnagora, das Paradies der schwarzen Berge, die montenegrinischen Rheinlande, die fruchtbaren Gefilde, die man unter dem Gesamtnamen „Crmniza" begreift, dies ist es, was wir von hohem Standpunkt herunter liberschauen. Was aber der Blick von oben herab nur hatte ahnen lassen, das bestätigte jeder Schritt, den wir nun abwärts thaten. Wir waren wirklich unvermittelt in eine andere Zone eingetreten. Eschen und Eichen, an denen wir bisher kaum winzige Knospen zu entdecken vermocht hatten, präsentierten sich jetzt in vollstem Blätterschmuck. Der „Goldregen"*), den man drüben vergeblich suchen würde, dieses Kind des warmen Südosteuropas, trat hier zum ersten Male auf, anfangs nur mit Knospen, bald indes auch schon mit prachtvollen, citronengelben Schmetterlingsblüten geschmückt. Die kleine Eidechse aber, die wir noch unmittelbar jenseits des Joches fänden, hat sich nun in die grosse, über einen halben Meter lange und auf dem Rücken mehrere Cehtimeter breite, im prachtvollsten Gpldgrün schillernde „Perleidechse"**") verwandelt, die gleichfalls nur in den wärmsten Gegenden unseres Kontinents anzutreffen ist. Freilich bedeckt hier auch den Erdboden eine schuttige, schiefrige Masse, die ganz anders als der Kalkstein von vor- *) Citisus Laburnum L. ,;"*) l.acerta ocillata Daud. her die Sonnenstrahlen einzusaugen und wieder auszustrahlen versteht. Wie berauscht durch den köstlichen und doch so jähen Wechsel stiegen oder vielmehr rutschten wir den steilen Abhang hinunter und gelangten so in ein Thal, das sich in östlicher Richtung hinzieht. Unweit westlich von uns nimmt es seinen Anfang. Dort, am Fuss eines berasten, verhältnismässig niedrigen Ouerriegels, ist der Ursprung des kleinen Gewässers, der Orahoviza, die diese Terrainmulde durchströmt. Von einer Kultur vermochten wir im obersten Teile der letzteren noch nichts zu entdecken. Iiier treten vielmehr die hohen Uferlehnen rechts und links so nahe an das Flüsschen heran, dass wir mehrmals gezwungen waren, in seinem glücklicherweise trockenen Rette selbst zu marschieren. Aber das Wachstum, das die Natur aus eigener Kraft hervorgezaubert hat, ist entzückend. Das üppigste Buschwerk, aus den schon mehrfach genannten Laub-hölzern zusammengesetzt, hat einen förmlichen Überzug, dick und undurchdringlich, auf die Berge gelegt, so dass hier unten im Gegensatz zu dem in der Kalkregion droben so widerlich blossgelegten Erdkörper die Formen des Bodens verhüllt erscheinen. Ein wahres, nivellierendes Blättermeer tritt uns jetzt entgegen, ähnlich wie dies in manchen Gegenden des Südharzes oder Thüringens der Fall ist. Auch an das bekannte prachtvolle Weisseritzthal bei Tharandt in Sachsen erinnerte mich die Scenerie. Wer hätte solche idyllische Gründe voll saftigen Grüns in den „schwarzen Bergen" vermutet! Doch wohl verstanden, solche Üppigkeit zeigt mehr oder minder immer nur die gegen Norden gekehrte Uferlehne, während, namentlich weiter abwärts, wo das Thal breiter wird, das südwärts gerichtete Gehänge in höherem oder geringerem Grade wieder in die alte trostlose Kahlheit verfällt. Diese Erscheinung fand ich wiederholt im Lande bei Flussläufen mit der Richtung des Breitengrades, so dass man gar bald an ein allgemeines Gesetz denken musste. Die so tief südlich schon mächtig sengende Sonne, die den ihr voll exponierten Abhang ausdörrt, während sie dem anderen nicht alle nährende Feuchtigkeit zu nehmen vermag, sie liefert den Schlüssel zu dem Rätsel. Nur einer von all' den Stämmen scheint sich aus ihren mörderischen Pfeilen nichts zu machen, das ist der wilde Birnbaum, der selbst in dürrster Umgebung noch im vollsten Schmucke hellglänzender Blätter steht. Verschiedene Exemplare seiner Gattung sah ich hier, die so gerade wie eine Kerze und mit derartig regelmässig geformter Krone aufwärts strebten, dass man hätte meinen können, die Zaunschere des Gärtners habe sie zugestutzt. Nur zu bald ist die geschilderte äusserst anmutige, schluchtartige Partie durchwandert. Die hohen Berge treten auf beiden Seiten zurück und lassen einer sich rasch .verbreiternden Thalebene Kaum. Aber an die Stelle wilder Schönheit tritt nun der Reiz einer von Menschenhand ausgenützten, reichen Natur. Grobe Steinmauern grenzen Felder ab, auf welchen Mais, bereits mit hohem Schafte, und Weinstöcke wuchern, an welchen unter dichten Blättern schon die Traube zu erkennen ist. Reich mit Früchten be-ladene Quitten, ein Baum, der überhaupt mit Vorliebe in den besseren Gegenden gepflanzt wird, wechseln mit blassblättrigen Mandeln. Aber die unerschöpfliche Natur dieser paradiesischen Gefilde ist durch solch regelrechten Aderlass von Menschenhand noch nicht erschöpft. .Sie treibt noch Zaunrüben*) auf grasigen Stellen und saftige Kresse auf Plätzen, wo Quellen aus den Preisen brechen. An schattigem Mauerwerk heftet grossblättriger Epheii sein dunkles Kaub an, während zwischen hohen Blöcken die wilde Granate ihre gelbgrünen, von einem rötlichen Schimmer verklärten Blätter enthaltet. Der „Goldregen"" aber füllt ganze Flächen derartig aus, dass sie von weitem unseren Rapsfeldern in voller Blüte gleichen und den Nähertretenden fast durch den ausgeströmten, intensiven Duft betäuben. Auch an Tieren fehlt es nicht. Zottige Ziegen in braunem oder schwarzem Gewände und wollige Schafe drängen sieht an uns vorbei. Alles atmet Leben, verrät Gedeihen in diesen üppigen Gefilden. Und doch befanden wir uns noch immer in ansehnlicher Höhe. Bald aber treten wir aus einem kleinen Gebüsche heraus und nun erst liegt das wahre Eden uns zu Fussen. Die Orahoviza hat nämlich jetzt auch ihren Mittellauf vollendet. Über eine felsige Barriere wirft sie sich hinunter in einen weiten Kessel, um durch denselben, schliesslich noch einmal von Felsen eingeengt, dem *) Rryonia dioien Jacrj. Skutarisee zuzuströmen, in den sie sich gleichzeitig mit der von rechts fast unter einem rechten Winkel herbeikommenden Crmniza ergiesst. Diese gewaltige Thalweitung nimmt sich von unserem erhöhten Standpunkte prachtvoll aus. Gerade in ihrer Mitte liegt ein stattliches Dorf, umgeben von den üppigsten Gefilden, die in trefflich angelegten und .bearbeiteten Terrassen sich bis zu uns heraufziehen. Der ganze, anmutige Riesengarten aber wird von hohen, starren Felswänden eingeschlossen, die nur durch den schmalen Spalt, durch welchen die Orahoviza bricht, einen Rück auf den blauen Spiegel des Skutarisees gestatten. Auf steilem Pfade mit teilweisem, leider nur entsetzlich glattem Pflaster stiegen wir.abwärts. Aber während ich lediglich langsam und unter der steten Gefahr, Hals und Beine zu brechen, vorwärts rückte, kamen uns dürftig gekleidete Frauengestalten entgegen, die, den gelullten Wassereimer frei auf dem Kopfe balancierend, würdevoll wie Königinnen mit der Krone und doch leicht wie Tänzerinnen auf dem Parkett bergan eilten. Wiederum wurden wir einmal beschämt, während der Anblick des flüssigen Elements in den Gefässen zugleich unseren Durst erweckte. Brannte doch auch die Sonne inmitten dieser himmelragenden Felsen fast ärger als irgendwo in Dalmatien auf uns nieder. Sehnsüchtig richtete ich meine Augen auf das nahe Dorf. Wir Abendländer und wir Deutschen insbesondere können ja kaum eine Gruppe von drei oder vier Häusern sehen, ohne dass dabei der Gedanke „Wirtshaus" verlockend in uns aufstiege. Um wie viel mehr musste nicht diese stattliche Ansiedelung die Vorstellung von Bfer, Wein, Beefsteaks und (Kotelettes wachrufen! Aber du bist in Montenegro, begehrliches Menschenkind, wo solche Schöpfungen der Kultur kaum noch an den wenigen Häupt-verkehrsrouteu, geschweige denn in solchen versteckten Thälern angetroffen werden. Daher bleibt nichts anderes übrig, als abermals bei „Mutter Grün", wie der Berliner sagt, zu Gaste zu gehen. Und wahrlich, einen schöneren Platz für eine „Naturkneipe", als der war, wo wir uns niederliessen, dürfte man nicht so leicht wiederfinden! Aus einem Seitenthälchen kommt nämlich von rechts ein kleines Gewässer, das schliesslich dazu dienen niuss, eine primitive Mühle zu treiben. Der Überschuss der flüssigen Masse aber fällt dicht vor dem zu jenem Zwecke errichteten Gebäude über eine niedrige, mit einem Teppich von Algen und Moosen bekleidete Felsbarriere in drei Strähnen, die sich zwischen dem Grün wie Weisse Schleier ausnehmen, in ein kleines Sammelbecken nieder. Hier lagerten war, überschattet von dem dichten Blattwerk alter 'Feigenbüsche und zeitweise benetzt von dem feinen Wasserstaub der Cascaden, die hinter uns plätscherten, während das Auge nach vorn über den üppigen Thalkessel der Orahoviza schweifte, bis es an seinen gigantischen Umfassungsmauern hängen blieb. Wir waren indes nicht die Einzigen, die an dem lauschigen Plätzchen Gefallen fanden und aus seinem frischen Quell tranken. Nach kurzer Zeit sahen wir vielmehr eine ganze Schar von Lfeüten beiderlei Geschlechts sich ansammeln, die. wie es schien, auch bereits einen langen Marsch gemacht hatten, vielleicht sogar von der Bai von Budua heraufgestiegen waren. Sie benahmen sich äusserst anständig und quälten uns namentlich nicht, wie dies späterhin weiter Uli Innern des Landes mitunter der Fall war, mit neugierigen fragen. Die grössere Nähe der Kultur tibte hier ja gewiss schon ihren Einfluss. Ebensowenig aber waren sie etwa schüchtern, sondern wurden sogar, namentlich nachdem wir ihnen aus dem Blechgetässe, das Herr Rovinski, wie Scherasmin seinen goldenen Zauberbecher, an einer Schnur um den Hals- trug, Rum mit Wasser Vermischt zu trinken gegeben hatten, sehr zuthunlich. Insbesondere hatten die mitanwesenden Weiber bald alles Scheue, das ihnen ID Montenegro bekanntlich ankleben soll und hier und da wohl auch unter den Augen des gestrengen Gemahls und Gebieters wirklich anhängt, verloren und plauderten und scherzten in der heitersten Art. Doch die Sonne neigte sich bereits stark dem Horizonte entgegen. Darum galt es, schnell wieder aufzubrechen. Wir mussten Jetzt, um nach Virpazar zu gelangen, die Bodenschwelle überschreiten, die das Orahovizathal von dem der Crmniza trennt. FLs ■st dies im allgemeinen ein breiter, niedriger Rücken, der die üppigste Vegetation, namentlich wieder Wein trägt. Rasch waren wir aus dem Thale drunten da hinauf gelangt, hatten uns indes hei den vielen Feldwegen, die sich dortselbst kreuzen, bald verirrt. Unserer Witwe war der ungewohnte Rum an der Quelle unten frotz seiner bedeutenden Verdünnung mit Wasser zu Kopfe gestiegen; sie lächelte nur höchst vergnügt bei jeder Frage, wusste aber keine Auskunft zu geben. Nun war guter Rat teuer. Menschen Hessen sich nirgends sehen, die wenigen Häuser aber, die man gewahren konnte, standen, nach montenegrinischer Sitte ganz zerstreut, ziemlich hoch oben an der Lehne, mit welcher hier die langgezogenen Grenzgebirge des Westens gegen unser Plateau sich absenken. Indes Herr Rovinski schritt rasch bergan und kam bald mit der erhaltenen Auskunft zurück. So gelangten wir denn auch glücklich gegen fünf Uhr nachmittags an den Punkt, wo wir das ganze, breite Crmnizathal vom Sutormanpass im Westen bis zu seiner Ausmündung in den Skutarisee unter uns Hegen sahen, ein herrlicher Anblick, wie man ihn wohl gleichfalls in den „schwarzen Bergen" nicht zu finden erwartet hätte. Der weite, in das saftigste Grün gekleidete Thalboden, durch den das Silberband des Flusses sich schlängelte, die sanft gewölbten Bergränder, und die enge, tiefblaue Bucht von Virpazar, das Alles ergab ein überaus freundliches Bild, das indes noch mehr Anheimelndes gehabt hätte, wenn es belebter erschienen und hier und da inmitten der grünen Fluren ein schmuckes Dörfchen mit zierlichem Kirchturme nach Art unserer Thallandschaften zu sehen gewesen wäre. Aber die menschlichen Ansiedelungen meiden hier, ähnlich wie ich es in mehreren Flussmulden von Corsica fand, die zumeist heissen und daneben den Feinden leicht zugänglichen Niederungen und suchen sich an den Gehängen rechts und links einen Platz. Wir sollten das zum Verdruss unserer müden Beine noch heute praktisch in Erfahrung bringen. Der Herr Minister Vrbiza hatte mich nämlich gebeten, in dem Dorfe Bukovik in der Crmniza eine auffällige Quelle näher zu untersuchen. Nun wir hatten diesen Ort jetzt bereits deutlich vor Augen, aber er lag hoch oben, zwar auf dem nämlichen Ulergehänge, wo wir standen, aber von uns noch durch ein ziemlich tiefes Seitenthälchen getrennt, das hier zum Hauptthal sich niederzog. Die Möglichkeit, Virpazar noch zu erreichen, nach welchem der Weg links abbog, während wir rechts zu gehen hatten, und somit auch die Aussicht auf ein gutes Unterkommen wurden dadurch sehr beeinträchtigt. Indes nicht um in leiblichen Genüssen zu schwelgen, hatten wir unsere Reise angetreten. Darum stiegen wir denn auch unverdrossen zu dem hochgelegenen Bukovik empor. Die üppige Vegetation, die die Crmniza so berühmt gemacht hat, begleitete uns dabei bis an unser Ziel. Die wenigen Häuser, die das Dorf bilden, verschwanden förmlich in dem Grün der Maulbeerbäume, der Feigen und des Weines. Aber welche Wege in einem solchen Paradiese! Da war von einer regelrechten Strasse mit fortlaufenden Häuserreihen, wie etwa bei uns, keine Spur. Ohne irgend welche systematische Anordnung stand bald da bald dort ein Gebäude und dazwischen durch schlängelten sich, von Gartenmauern eingeengt und vielfach durch überhängende Zweige fast gesperrt, schmale Pusspfade, die hinsichtlich ihrer Beschaffenheit mit den übrigen Wegen des Landes getrost in Konkurrenz treten konnten. Fusshohes Geröll, daneben gelegentlich wieder knietiefe Löcher, Blöcke und Pfützen, das Alles bedrohte selbst noch mitten unter menschlichen Wohnungen Hals und Beine. Man kann sich denken, mit welchen Seufzern ich durch dieses erste montenegrinische Dorf, das wir betraten, dahinstolperte, nachdem wir bereits seit früh acht Uhr immer auf ähnlichem Boden auf-Und niedergestiegen waren. Mein vielgetreuer Mentor hatte denn auch Erbarmen mit mir. In ein Wirtshaus konnte er mich freilich auch hier nicht leiten. Ks musste — zum ersten Male auf unserer Tour — die Gastfreundschaft in Anspruch genommen werden. Dies geschah allerdings auf nicht ganz ungewöhnlichem Wege. Wir hatten nämlich erst noch eine Matter zu übersteigen, ehe wir zu Menschen kamen. Es war ein kleines, ärmliches Haus, in das wir traten, unter das Dach gebaut, wie alle hier oben. Ein einziger Wohnungs-raum, den zugleich verschiedene Tiere mit beanspruchten, war vorhanden. Doch verbreitete der darin aufgehängte Kessel einen So entsetzlichen Rauch, dass wir sofort wieder in den kleinen Hof zurücktraten. Die guten Leute aber eilten uns nach, um uns zu dienen. Freilich sie hatten selbst nicht viel. Sie brachten eine Kürbisflasche, wie solche im Süden üblich sind, mit frischem Wasser und dazu eben erst gebackenes, noch ganz warmes Maisbrot, die Hauptkost des Crnagorsen. Dasselbe hat die Form kleiner, matt-hrauner, flacher Kuchen. Im Innern zeigt es eine hellgelbe Farbe, wie eine mit mit vielen Feiern bereitete 'Portenmasse. Aber wehe, wer in dem Glauben, etwas derartiges vor sich zu haben, in dieses Backwerk hineinbeisst! Er wird bitter enttäuscht werden, denn es wird Ihm nicht anders sein, als ob er Sand zwischen den Zähnen hätte. Ist dieses Brot aber noch dazu neubacken, so stellt es sich ausserdem als derb und feucht dar. Welch einen Magen müssen die Leute haben, die eine so unverdauliche, und, wenn man sie in der Hand wiegt, erschreckend schwere Masse tagtäglich zu sich nehmen und sie wohl gar noch als Leckerbissen betrachten! Ich für meine Person hatte schon nach dem ersten Versuche genug und zog einen anderen Genuss vor. Ich streckte mich unter einem Feigenbaume auf ein Plaid aus, das mir die freundlichen Wirtsleute samt einigen alten Kissen aus dem Hause brachten. Während ich auf diesem Lager bald in einen festen Schlaf verfiel, entfernte sich Herr Rovinski, um über die zu untersuchende Quelle genauere Nachrichten einzuziehen. Er kam schon nach kurzer Zeit mit einem ganzen Trupp Leute, Hirten, Bauern und einigen Kapitänen, zurück, die der Herr Minister Vrbiza bereits telegraphisch zusammenberufen hatte, damit sie uns zur richtigen Stätte fuhren sollten. Leider war dieselbe nicht im Orte selbst, sondern angeblich noch LO bis 15 Minuten weiter oben. Bukovik liegt nämlich auf einer Art Terrasse, von der sich das Terrain rasch atisteigend zu den Grenzgebirgen im Westen hinaufzieht. Auf elenden Pfaden, zwischen Nesseln und Dornen hindurch, stieg die P^xpedition, ausgerüstet mit Schaufeln, Hacken und Staugen, und vermehrt durch verschiedene Neugierige, in derselben Richtung bergan. Nachdem wir mehrere Feldmauern oder Zäune überklettert hatten und durch das bereits mit bläulich schillernden Fettaugen bedeckte Wässerchen, das aus der ersehnten Ouelle in das erwähnte Seitenthal niederfliesst, gewaten, auch jenseits auf einer gerölligen Halde emporgestiegen waren, standen wir endlich, nach einem anstrengenden Marsche von fast einer Stunde, der mir zum ersten Male den Begriff eines montenegrinischen „Viertelstündchens" klar gemacht hatte, am Ziele. Wir befanden uns nahezu auf dem Gipfel des bereits mehrmals genannten Höhenzuges, mit welchem das montenegrinische Hochland auf seiner ganzen Westgrenze zum Meere abfallt. Nur eine niedrige Felsmauer stieg noch vor uns auf. Dieselbe schloss eine Art ostwärts geneigten Kessel ein, dessen Boden sich durchaus mit schiefrigem Geröll bedeckt zeigte. Die Vegetation hatte ihren reichen Charakter schon weiter unten verloren und bot hier fast nur noch einen Vertreter dem Auge, nämlich den sogenannten „Rujastrauch"*), aer eine der charakteristischen Pflanzen der wärmeren Regionen Montenegros und einen der wenigen Exportartikel des Ländchens darstellt. Die zarten, gelbgrünlichen, länglich runden Blätter der ansehnlichen, dichten Büsche, die bekanntlich bei uns als Zierpflanzen in den Gärten gezogen werden, hier aber von selbst überaus üppig gedeihen, milderten die rauhe Ode des hochgelegenen Punktes. Dazu kam eine herrliche Fernsicht über das ganze Crmniza-thal, das man auf diesem Punkte in der Längenrichtung vor sich hat. Infolge des letzteren L-mstandes gestaltete sich dieser Blick jetzt auch überaus instruktiv, viel mehr als die Niederschau von den Abhängen des Sutorman aus, wo nur noch der oberste Teil der grossartigen Fluss-Mulde sich dem Auge präsentiert. Hier dagegen sah man wie auf einer Reliefkarte die letztere immer breiter und breiter werden, bis sie sich endlich in die Bucht von Virpazar verliert, so dass man wohl auf den Gedanken kommen könnte, dass sie einst gleichfalls ein Ann des Skutarisees gewesen sei. Indes wir sind ja weder des Sumachs noch der Aussicht wegen hier herauf gestiegen. Etwas viel Wichtigeres beansprucht unsere Aufmerksamkeit. Wir sehen in eine trichterförmige (Öffnung hinein, deren Wände mit einem grauen, zähen Schlamm bedeckt sind, während auf dem vielleicht 60 Centimeter Durchmesser zeigenden Boden eine mit einer gelbgrünen Fettmasse überzogene Flüssigkeit zu entdecken ist. Schon von weitem hatten wir einen unverkennbaren Petroleumgeruch wahrgenommen, der jetzt fast bis zur Un-erträglichkeit sich steigerte und augenscheinlich dem hässlichen Loche vor uns entstammte. Natürlich war die ganze auffällige Erscheinung auch den Eingeborenen nicht entgangen, obwohl dieselben von Petroleum nicht viel wissen, überdies solches, da sie eine etwa nötige Beleuchtung *) Rhus cotinus L. (cotinus coecygaea Scop., im Deutschen auch Perücken-sumach oder Gelbholzsumach genannt), der bekanntlich vortreffliches Gerbe- und Schwarzfärbematerial liefert, und bei uns unter dem Vulgärnamcn „Schmack" (jedenfalls corrumpiert aus Sumach) in Handel kommt. ihrer Hütte mit einem Holzspan zu besorgen pflegen, kaum zu verwenden verstehen würden. Zudem gingen auch Schafe und Ziegen dem übel duftenden „Wasser" mit offenbarem Abscheu aus dem Wege. Man hatte darum vielfach in dem Loche herumgearbeitet, dasselbe ausgeschöpft, worauf es immer rasch wieder gefüllt erschienen war, und endlich eine Anzahl alter, halb auf-geweichter Balken hervorgezogen, die anscheinend einer früheren Schachtzimmerung entstammten. Auch dieses Holz zeigte gleich dem aufgeworfenen Schlamme den bereits gekennzeichneten Geruch. Vielleicht hatten hier vor Jahrhunderten schon Venetianer oder andere Völker Erdöl gewonnen, das, wenn es auch erst in der Gegenwart eine so hohe Bedeutung erlangt hat, doch bekanntlich bereits dem klassischen Altertum bekannt war, ja sogar in grauer Vorzeit von den Nationen Vorder- und Centraiasiens verwendet wurde. Da verlohnte es sich schon, dass ich bis zu dem Niveau der mysteriösen Flüssigkeit niederstieg, wenngleich dies bei der steilen und schlüpfrigen Beschaffenheit der Ränder Mühe genug verursachte. Ich stiess meinen Stock in das Loch und fand auch wirklich eine Art Spalte, der die fette Brühe, die obenaufschwamm, zu entquellen schien. Ausserdem sonderten auch kleine Risse rechts und links im Gestein denselben Stoff ab. Ich tauchte mein Schnupftuch ein und Hess es dann an der Luft trocknen. Der charakteristische, keinem anderen Produkt in gleicher Weise anhaftende Geruch war geblieben und äusserst intensiv. So konnte kaum noch ein Zweifel darüber obwalten, dass wir wirklich so glücklich gewesen waren, eine Petroleumquelle in Montenegro zu entdecken oder doch zu konstatieren. Die Freude meiner Eskorte, als ich ihr die Wichtigkeit dieses Fundes klar machte, war nicht gering. Um jedoch ganz sicher zu gehen, ordnete ich an, dass man mir eine Flasche von der Flüssigkeit nach Cetinje besorge, damit ich dieselbe behufs einer Untersuchung im chemischen Laboratorium der Frei-berger Akademie mit heimnehmen könne. Dass die auf diese Weise noch im Sommer des vergangenen Jahres erzielte Analyse auch wirklich den Charakter der fraglichen Substanz als Erdöl zweifellos festgestellt hat, sei dem Leser schon im voraus verraten. Ob indes die Ouelle so reichlich fliesst, dass eine Ausbeutung sich verlohnt, das kann allerdings erst eine nach bergmännischen Grund- sätzcn durchführte Bohrung ergeben. Mancherlei Anzeichen aber gestatten schon jetzt einen günstigen Schluss. So hat sich zum Beispiel ringsum die Erde mannigfach gesenkt und Spalten haben sich hier und da aufgethan, atis denen gleichfalls der speeifische Geruch emporsteigt. Danach Hesse sich vermuten, dass Klüfte und Höhlungen im Gestein, wie dies in ähnlichen Fällen oft vorkommt, voll des kostbaren Öles sind, welches bei entsprechender Abteufung in Masse sich ergiessen würde. Auch die Temperatur der Flüssigkeit in dem Loche, die 14° C. bei nur 12" Luftwärme ergab, scheint zu verraten, dass der zu Tage tretende Stoff aus grösserer Tiefe kommt, was ebenfalls für eine Bohrung günstige Aussichten eröffnet. Der Transport etwa zu gewinnenden Öls endlich würde bei der verhältnismässigen Nähe des bequem zugänglichen Crmnizathales und des Skutarisees, sowie des gleichfalls leicht zu passierenden Sutormanpasses keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Durch Ausfragen der neugierig herumstehenden Hirten erfuhr ich übrigens noch die Existenz eines zweiten übelduftenden Wassers, das fünf Minuten weiter oben unter einem Felsblocke hervorquellen sollte. Natürlich begab ich mich auch dorthin. Die Flüssigkeit, die ich daselbst antraf, zeigte nur 11° C./ war von ganz schwarzer Farbe und hatte Steine, Grashalme und Zweige mit einem grauen Niederschlag überzogen. Sie roch, wie man zu sagen pflegt, stark nach „Schwefel". Die Hoffnung, dass ich hier eine letztgenannte Substanz enthaltende Ouelle gefunden, die etwa zu medizinischen Bädern verwendet werden könne, hat sich jedoch nur zum Teil bestätigt, indem die Untersuchung des Wassers allerdings eine Mineralquelle, doch nur von schwacher Art konstatierte. Indes dürfte ihre Zusammensetzung immerhin für die Beurteilung der Bodenart von Interesse sein, vielleicht sogar einen günstigen Rück-schluss auf die Petroleumquetle gestatten. Unter solchen eifrigen Nachforschungen hatten wir die Zeit und die Bedürfnisse unseres Leibes ganz vergessen. Mit Schrecken bemerkten wir jetzt, dass die Sonne schon dem Horizonte zueilte. Was sollten wir thun? Nach Virpazar, das noch zwei las drei Stunden entfernt war, konnten wir kaum mehr gelangen. Unsere Beine und selbst unser abgetriebener Esel würden dagegen Protest eingelegt haben. Wo aber in dieser Wildnis ein Plätzchen finden, 'Uli dem wir unser Haupt niederlegen konnten? Schwarz, Montenegro. H Indes die Gastfreundschaft, dieser schönste Edelstein des Orients, dieser verklärende Sonnenstrahl inmitten der „schwarzen Berge", war wiederum unser Rettungsengel. Blicke da hinüber, dort auf dem Ostabhang des schon mehrfach genannten kleinen Seitenthälchens der Crmniza, auf dessen rechter Uferlehne wir uns befinden, liegt ein ansehnliches, weithin sichtbares Dort, Sutonitsche genannt. Dort hat der Kapitän, der die vom Herrn Minister uns zur Disposition gestellte Schar befehligt, seine Wohnung. Er lädt uns aufs freundlichste ein, in derselben unser Nachtquartier zu nehmen. Wenn es nur nicht noch eine Stunde bis dahin gewesen wäre! Denn wir mussten nun erst wieder tief niedersteigen und dann jenseits hoch emporklimmen. Und welch eine Mühe war das noch zu gutertetzt! Sahen wir uns doch gezwungen , in Ermangelung jeglichen Weges über Stock und Stein zu marschieren, Gräben zu überspringen, durch dichtes Buschwerk zu brechen, ja einmal sogar auf einer Mauer hinzulaufen. Indes bot sich uns auf diesem Parforcemarsche, der mir bald den Schweiss aus allen Poren trieb, doch wenigstens ein Lichtblick. Wir passierten nämlich ein einsames, ganz in Grün gebettetes Plans, aus welchem der Besitzer, sobald er unser ansichtig geworden, heraustrat, um uns zti ersuchen, bei ihm einen Schluck Wein einzunehmen. Mich, erinnerte diese freundliche Einladung an die schöne Stelle in der Bibel, wo Abraham, an der Thür seiner Hütte sitzend, drei Männer kommen sieht, denen er stracks entgegenläuft und die er, indem er sich bis zur Erde bückt, also anredet: „Habe ich Gnade gefunden, so gehet nicht vor eurem Knechte über!" Nach dem Vorbilde jener drei Wanderer wäre ich auch gern zu einem frischen Trunk bei dem wackeren Landwirt von Bu-kowik eingetreten, allein mein Mentor trieb, mit Rücksicht auf die Länge des Wegs, der noch vor uns lag, zu rücksichtslosem Weitereilen. Und so schritt denn der Kapitän, unser Wirt, Von neuem mit solchen Siebenmeilen- oder, wie der Norweger noch viel treffender sagt, Vierzehnmeilenstiefeln voraus, dass ich ernstlich zu fürchten begann, ich würde liegen bleiben. Wenigstens beschloss ich, die Schar Montenegriner hinter mir vorauszulassen, damit sie nicht durch mich am raschen Vorwärtskommen gehindert würden. Hierbei aber sollte ich abermals eine feine Eigenart der Crnagorsen kennen lernen. Sobald ich stehen blieb, hemmten auch jene sofort ihre Schritte. Es. gilt bei ihen nämlich als höchst unziemlich, einem Manne von Stand oder einem Fremden vorauszugehen. Nur der Kapitän, der den Führer machte, durfte sich dies ausnahmsweise erlauben. Wie haben doch diese Nattirkinder ein so feines Gefühl für den Anstand, und wie könnten sie in dieser Beziehung so vielen in unserem gerühmten Kulturlande zum Vorbilde dienen! Nebenbei bemerkt, dürfte diese Sitte in Gegenden, wo man nicht, wie in Montenegro, auf alle Fälle sicher ist, die unschuldigsten Menschen hinter sich zu haben, auch recht störend für den Reisenden sein. Endlich sahen wir denn das erste Haus von Sutonitsche vor uns. Jetzt mussten wir ja bald am Ziele unserer mühseligen Wanderung ankommen. Aber wir hatten nicht mit der Art eines echten montenegrinischen Dorfes gerechnet. Der Kapitän bewohnte nämlich unglücklicherweise gerade das letzte Haus des Ortes. Nun lagen aber die einzelnen Gebäude so weit auseinander, dass mau mitunter, wenn man das eine oder das andere passiert hatte, nieinen konnte, man sei wieder völlig ins Freie geraten. Auch lagen manche Häuser höher nach den Bergen hinan, manche wieder nahezu unten auf der Thalsohle. Dazwischen Gruppen mächtiger Steinblöcke oder dichter Büsche. Man kann sich denken, mit welchen Gefühlen ich da über die harten Felsbrocken grosser und kleiner Art weiterstolperte, die auch hier die „Hauptstrasse" des Dorfes zierten. Halb verzweifelt fragte ich wohl zehnmal, wenn nach langer Pause da oder dort wieder eine weisse Mauer in der Halbdämmerung auftauchte, die uns bereits umgab: „Sind wir noch nicht am Ziele?" Aber immer ging es wieder weiter, den ziemlich steilen Hang hinan. Jetzt indes zeigte der Kapitän auf einen isolierten Hügel mit einem einsamen Hause auf seiner sanft gewölbten Kuppe. Noch ein letzter Anstieg und — das Hotel ist erreicht. Aber noch immer Waren unsere Leiden nicht zu Ende. Unser Wirt führte uns Zunächst auf einen kreisrunden, mit einer niedrigen Lehmmauer umgebenen Platz, die Tenne, östlich vor dem Hause. Hierher brachte man uns Stühle, das heisst, kleine Holzklötzehen, aus denen man e'U Stück derartig ausgeschnitten hatte, dass man sich hineinsetzen und dabei auch anlehnen konnte. Leider nur waren dieselben kaum höher, als unsere gewöhnlichen Fussbänkchen, was ihre Benutzung für einen steifbeinigen Abendländer ziemlich unbequem machte. Auf diesen Divans, deren Härte allerdings durch aufgelegte Kissen gemildert wurde, sassen wir, Hessen uns nach der enormen Erhitzung, die der letzte Marsch mit sich gebracht hatte, in der Abendkühle vom Froste schütteln und tranken kaltes Wasser dazu. Was wollte es unter so bewandten Umständen besagen, dass unser Platz eine Aussicht bot so herrlicher Art, dass ein Königsschloss sich auf ihm erheben sollte? W^ie von einem Altane blickten wir hinunter in das uns gerade zu hassen liegende Crmnizathal, in welchem, seltsam kontrastierend mit den dunklen Uferbergen drüben, schon weisse Abendnebel hin und her wogten, während uns von Osten, bereits aus ziemlicher Nähe, der Spiegel der Bucht von Virpazar im Scheine des Zwielichts magisch entgegen glänzte. Bekanntlich giebt es Völker, die sich durch die grösste Gastfreundschaft auszeichnen, die aber jedesmal den Fremden, den sie bewirten wollen, einer streng festgehaltenen .Sitte folgend, nach seiner Ankunft noch längere Zeit warten lassen, ehe die dann allerdings um so reichlichere leibliche Erquickung stattfindet. Vielleicht handelte unser Kapitän nach dem gleichen Brauche, vielleicht auch musste man im Hause schnell noch einige Vorbereitungen treffen, von denen wir nicht Zeuge werden sollten. Auf alle Fälle aber hatte es unser Esel vorläufig besser als wir, denn er stak bereits im warmen Stalle. Endlich schlug auch für uns die Stunde der Erlösung. Wir wurden ins Haus geführt. Dasselbe war ein massiver Steinbau, erst vor kurzem vollendet. Unten führte eine Thüre in den Kaum für das Vieh, welch letzterem das ganze Parterre gewidmet war. In das erste Stockwerk, das den Menschen reserviert blieb, konnte man mir mittelst einer Treppe gelangen, die man aussen an der Wand angebracht hatte. Der Raum oben wurde mittelst eines aus Flechtwerk von ungeschälten Weiden hergestellten Verschlags in zwei Teile geschieden. In dem einen Gemache war die Küche etabliert, das heisst, in einer Ecke hing über einer Lage von Steinen an starker Kette der grosse, russige Kessel herab, der last in jedem Haus im Lande sich findet. Durch eine solche Kocheinrichtung wird übrigens ein doppelter Zweck erreicht, das Essen zubereitet und die Bewohnerschaft gewärmt. In diesem Räume schaltete die Hausfrau, nebenbei ein junges Weib von überaus lieblichen Gesichtszügen und in sauberstem Anzüge. Um sie herum kauerten mehrere Kinderchen, die den Bewegungen des Bratspiesses mit grösstem Interesse folgten, bei unserem Anblick aber, mit Ausnahme der älteren, sich scheu verkrochen. .Sie mochten wohl noch selten einen Menschen in einem anderen als montenegrinischen Gewände gesehen haben. Auch ein neugeborenes Kälbchen und eine Anzahl Hühner hatten sich hier einzudrängen verstanden. Die. Beleuchtung dieser Küche kann übrigens nur von dem Herdfeuer oder, wenn es die Witterung erlaubt, von dem durch die offene Treppenthüre hereinflutenden Tageslicht besorgt werden, da ein Fenster nicht vorhanden ist. Natürlich durften wir als Ehrengäste hier nicht stehen bleiben, sondern wurden sofort in die anstossende „gute Stube" geführt. Indess war auch hier die Ausstattung höchst einfach. Im Hintergründe standen zwei Betten, oder richtiger zwei einfache, unseren Feldbetten ähnliche Brettergestelle an den Wänden, belastet mit allerhand Kissen und Friesdecken. Mehr in der Mitte des Zimmers befand sich ein Tisch samt einigen Stühlen. Das war das ganze Mobiliar. Und doch nannte sich das Haus die Wohnung eines Vornehmeren. Wenn Gladstone die Montenegriner „moderne Spartaner" hinsichtlich ihrer kühnen Tapferkeit und körperlichen Vorzüge getauft hat, so verdienen sie diese Bezeichnung auch ihrer so einfachen Wohnungsverhältnisse wegen. Ich habe indes noch einen Luxusartikel in unserem Gemache zu nennen vergessen. Das ist ein Fenster oder, richtiger gesagt, eine kleine, längliche Öffnung in einer der Wände mit einem Innenladen. Da von draussen eine ziemlich kalte Luftströmung hereindrang, so machte ich von dem letzteren sofort Gebrauch, worauf es uns in dem einlachen Räume ganz behaglich zu Mute wurde. Allerdings trug dazu der Umstand bei, dass unser freundlicher Wirt von einem als Magazin für allerhand dienenden Brette oben an der Wand eine mächtige Flasche mit vortrefflichem Weinschnaps, wie man ihn ähnlich auch in Tyrol bereitet, herablangte und nicht müde ward, uns daraus einzuschenken. In nicht weniger liebenswürdiger Weise wurde bald darauf auch dem Hunger Genüge gethan. Eine dampfende Schüssel voll Reis, die eine ganze kleine Armee hätte sättigen können, stellte man vor uns hin. Danach kam das recht leidlich zubereitete Huhn, das wir zuvor schon am Bratspiesse die nötigen Rotationsbewegungen hatten ausführen sehen, und zuletzt noch in einem grossen Napfe kleine geschmorte Stücke von geräuchertem Speck, der indes wegen seines Thrangeschmackes für uns ungeniessbar war. Unser Wirt aber stand während der Mahlzeit bescheiden hinter unseren Stühlen, bereit, jeden unserer Wünsche sofort zu erfüllen. Wenn und wo er selbst gegessen, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. So sehr wir uns nun nach Ruhe sehnten, so mussten doch zuvor noch die nötigen Geschäfte besorgt werden. Zunächst setzte Herr Rovinski ein Telegramm an Herrn Minister Vrbiza auf, das von unserem Petroleum-Funde Kunde nach Cetinje bringen sollte. Ein von unserem Kapitän beschaffter Bote wurde hierauf angewiesen, noch in der Nacht nach dem zwei Stunden entfernten Virpazar zum Telegraphenamte zu eilen. Derselbe erhielt aber zugleich auch einen anderen Auftrag. Se. Excellenz hatte uns nämlich bei unserer Abreise huldvollst in Aussicht gestellt, dass er fortlaufend per elektrischen Draht das Nötigste im Voraus überall für uns anordnen werde. Infolge dessen war es uns an fast allen Orten, wohin wir gelangten, als ob gütige Feenhände bereits die Bahn geebnet hätten. Wir landen vielfach. Nachtquartier und selbst Essen bereit. Namentlich aber kam es uns zu statten, dass in der nämlichen Weise immer die nötigen Pferde für uns bestellt, beziehentlich oft mehrere Stunden weit aus einem grösseren Orte an den Punkt, wo wir am Abend eintreffen wollten, dirigiert worden waren. Im anderen Falle würde es uns manchmal unmöglich geworden sein, schon am nächstfolgenden Morgen unsere Tour wieder aufzunehmen. Diesmal bereitete uns allerdings die freundliche Fürsorge Seiner Excellenz etwas Verlegenheit. Von Antivari herbeicitiert, da sie in Virpazar kaum aufzutreiben gewesen wären, harrten die Lasttiere unsrer in letzterem Orte. Wollten wir nun am andern Morgen erst dahin uns begeben, so hätten wir, da wir ja über den Sutorman zu reisen beabsichtigten, dann wieder im Crmnizathale bis unter Sutonitsche zurückreiten müssen. Auf diese Weise wäre fast ein halber Tag verloren gegangen, wir würden nicht nach Antivari gekommen sein und hätten oben in der Umgegend des Passes auch Not mit dem Nachtquartier gehabt. So beschlossen wir denn, zumal in Virpazar kaum etwas zu sehen war, uns die Pferde noch während der Nacht herausbringen zu lassen, um gleich von Suto-nitsche ab die F'ahrt nach Antivari anzutreten. Nachdem der Rote abgeordnet war, zögerten wir nicht länger, uns der gewiss wohlverdienten Ruhe hinzugeben. Man hatte uns das eine der vorhandenen Betten eingeräumt, das allenfalls Raum für uns beide enthielt. Ks war rührend, mit welcher Ängstlichkeit Wirt und Wirtin, nachdem wir uns gelegt, alles Geräusch zu vermeiden suchten, um uns nicht zu stören. Und das wollte viel sagen, da ja die Kleinen zur Ruhe gebracht werden mussten. Dieselben erhielten das andere der beiden Betten. Hier wurden sie dicht wie Heringe neben einander geschichtet und dann eine dicke Wolldecke über das Ganze derartig gebreitet, dass nicht einmal eine Nasenspitze mehr herausschaute. Dass die Kinder, die übrigens im ganzen Lande ähnlich eingebettet werden, auf diese Weise nicht erstickten, ist mir unbegreiflich. Die beiden Jüngsten erhielten nebenbei ein selbständiges Lager. Sie wurden in eine Art Futteral, ähnlich etwa unseren Puppenwiegen, gelegt, das nur eben gross genug war, um den kleinen Leu) aufzunehmen. Auch hier durfte schliesslich die absolute Verhüllung nicht fehlen. Mann und Frau endlich, die ihre Gastfreundschaft um ihr gewöhnliches Lager gebracht hatte, schienen sich draussen auf harter Diele am Feuer ein Plätzchen zu suchen. Nach kurzer Weile war alles still, das heisst, soweit Menschen in Betracht kamen. Denn die Tierwelt wurde nun erst lebendig. Mäuse trippelten scharenweise über die Dielen und Ratten begannen dermassen energisch ihre Arbeit an den herumliegenden Knochen, dass man deutlich das Knacken und Schaben hörte. Mitunter war selbst ein Blick auf dieses gespenstische Treiben möglich, wenn einzelne glimmende Kohlen noch einmal aufflackerten und einen roten Schein im stockfinsteren Gemache verbreiteten. — Als ich am andern Morgen erwachte, geschah es mit höchst angenehmen Gefühlen. Denn ich hörte im Vorraum bereits das Feuer wieder knistern, der aromatische Duft der Kaffeebohne drang in meine Nase, und, was noch mehr wert war, ein Geräusch, als ob Rosseshufe ungeduldig den Boden scharrten, scholl von unten herauf. Unser nächtlicher Kurier hatte also seine Aufgabe gelöst, die Tiere waren da, wir konnten abreisen, dem schönen Antivari entgegen. .Sofort sprang ich vom Lager, um Toilette zu machen. Von all den Utensilien, welche für dieses Geschäft der moderne Komfort ersonnen, war freilich nichts vorhanden. Die freundliche Hausfrau geleitete mich vielmehr die Stufen hinunter und goss mir dort — ein Verfahren, das ebenfalls im ganzen Lande üblich ist — aus einem grossen Kruge Wasser in die hohlen Hände, mit dem ich mir dann das Gesicht benetzte. Aber wie erquickte dieser einfache Brozess in Verbindung mit der überaus frischen Luft, die auf dieser Höhe in der frühen Morgenstunde wehte, den ganzen Menschen, mehr als eine Waschung im elegantesten Baderaume! Und wie ganz anders, als gestern Abend, nahmen die erfrischten Augen jetzt das Panorama auf, das sich von diesem Punkte aus bietet! Ahnlich einem reizenden Negligehäubchen aus duftigem Mull mit zarten Spitzen, in welchem am Morgen der Kopf einer holden Schönen sich halb versteckt zeigt, schwebte über dein Thale und der Seebucht drunten ein weisser Dunstschleier, aus welchem nur hier und da an dünneren Stellelt ein Stück blauen Wasserspiegels oder grüner Matte wie verschlafen herausschaute, während die Berg-spitzen der jenseitigen Uferlehne, schon hingst von den ersten Sonnenstrahlen vergoldet, zum tiefblauen, wolkenlosen Himmel aufragten. Doch der Kapitän lädt zum Kaffee ein, daher rasch wieder hinauf zum wärmenden Feuer! Hier hatte sich unterdes auch schon Besuch eingefunden. Es war der greise Vater unseres Wirts, welcher kam, die fremden Gäste zu begrüssen. Der alte Manu war ein berühmter Freiheitskämpfer. Zahlreiche Orden und Medaillen zierten seine Brust. Trug er doch auch die Merkmale von nicht weniger als 24 schweren Verwundungen an seinem Leibe. Selbst andere Bewohner des Dorfes stellten sich ein und bald war das ganze Gemach gefüllt. Faner hatte auch einen Karpfen aus der Crmniza mitgebracht, der genau 52 Centimeter lang war, und doch sollte er nach Aussage der Leute noch nicht annähernd einer der grössten sein, die jenes Wasser beherbergt. Doch endlich war der Kaffee, eine trübe, etwas breiige, in kleinen Schalen kredenzte, aber leidlich mundende Flüssigkeit vertilgt, auch das Saumtier beladen. Nun noch die üblichen Abschiedsküsse an die Gäste und den wackeren Wirt, der bescheiden allen Dank ablehnte und vielmehr um Entschuldigung bat, dass er uns nicht besser habe bewirten können; einen derben Händedruck dann der Frau, der wir nur mit Mühe wehren konnten, dass sie uns die Rechte küsste, endlich etwas Ghokolade in die kleinen Kinderhändchen — die einzige geringfügige Gabe, womit ich meine Erkenntlichkeit bezeigen konnte, denn selbst der ärmste Montenegriner lässt sich auf keinen Fall seine Gastfreundschaft mit Geld bezahlen, ja würde schon ein dahin zielendes Anerbieten als Beleidigung betrachten. Dann aber sprangen wir in die Sättel und ritten in dei köstlichen Morgen hinaus. Zunächst galt es, die Thalsohle der Crmniza zu gewinnen, was bei dem steilen und steinigen Wege, den wir zu diesem Zwecke einhalten mussten, schwierig genug war. Doch entschädigte uns für alle Mühe der Blick auf die üppige Baum- und Büschwelt rechts und links. Endlieh fühlten wir ebenen Boden unter unseren Füssen. Wie herrlich ritt sich's nach dem harten Geröll auf den weichen Wiesen, die sich hier ausdehnten! Binnen kurzem schon waren wir am Ufer des von Weiden eingerahmten Crmniza-Flusses, der an dieser Stelle nur 10—2<) Meter breit, dagegen ziemlich tief war. Sein Gefälle zeigte sich so gering, dass das Wasser hier und da fast zu stehen schielt. Lange mussten wir am Ufer hinreiten, bis es uns gelang, eine etwas seichtere Stelle zu finden, wo wir den Ubergang riskieren konnten. Der junge Zigeuner, der unsere Rosse begleitete, benützte dabei das hochbepackte Saumtier, und es gab ein originelles Bild, wie der dunkelbraune, in grau-weisse, vielfach durchlöcherte FVieslappen gekleidete Bursche, auf dem hintersten, abschüssigen Teile des Pferderückens hockend, das hochaufspritzende Wasser passierte. Längere Zeit noch mussten wir hierauf die fruchtbaren Gefilde der durchschnittlich etwa 4 5 Kilometer breiten Thalebene stromaufwärts durchziehen, bis wir endlich am Fusse des in weitem Halbkreise gelagerten, sanft aufgebauten Gebirgsw alles standen, der die herrliche Niederung abschliesst. Hier begannen wir an der linken Seite den Aufstieg, der ein ziemlich leichter gewesen sein wurde. wenn nicht auch auf diesem Saumwege das für die montenegrinischen Strassen so charakteristische Geröll das Fortkommen äusserst erschwert hätte. Indes that sich uns unvermutet ein so zauberreiches Paradies auf, dass wir des elenden Pfades und seines Steinschotters bald gar nicht mehr achteten und nur noch rechts und links in die grüne Pflanzenwelt hineinschauten. Da streckten riesige Feigenbüsche ihre langen, verrenkten Arme in die Luft, während dicht daneben der geradlinige Stamm des Maulbeerbaums durch ein üppiges Blätterdach sich vor der südlichen Sonne schützte. Auf exponierten 'Perrassen schlang der Spender des roten Crmnizaer Traubenblutes seine saftigen Reben zu einem unentwirrbaren Chaos durcheinander, aus welchem nur hier und da noch die weisse Blüte einer Clematis oder buntfarbige Wicken aufzutauchen vermochten. Grasige Raine waren mit duftendem Thymian oder feurig rotem Mohn besetzt. An altem Mauerwerk Hess grossblättriger P^pheu seine Zweige emporlaufen, während unweit davon rötlich blühende „Je länger je lieber"*) eine Naturguirlande durch hochstrebendes Fachengebüsch flocht und drunten am Boden Farrenkraut die Lücken zwischen Steinblöcken füllte. Mitten in diesem Eden lag auch ein kleines Dörfchen mit dürftigen Hütten und einem verfallenen, ganz von Epheu erstickten Kirchlein, das auf einer vorspringenden Platte thronte. Von diesem kleinen Gotteshause aus erschloss sich über all das Blättermeer hinweg bereits ein umfassender Blick auf die weite Crmniza-Ebene mit ihrer mächtigen Bergumrandung. Weiter hinauf wurde die Landschaft allmählich einsamer und öder. Nur bisweilen erhoben sich noch vereinzelte Plätten mitten im Dickicht, bis auch sie verschwanden. Desgleichen gestaltete sich die Vegetation ebenfalls rasch ärmer. Eichen und Irschen herrschten ausschliesslich. Doch begleiteten uns vereinzelte, mitten in der Buschwildnis angelegte Imichtfelder bis dicht unter die Passhöhe. Vielfach sahen wir Menschen eifrig pflügen, und ihre Zurufe an die trägen Rinder schallten weithin in der reinen Ge-birgsluft. Plier und da machte sich uns die Betriebsamkeit dieser mon- *) Loniceia Periclymenum I,. tenegrinischen Ökonomen selbst in lastiger Weise geltend. Wiederholt nämlich war mitten über den Weg eine Mauer von mehreren Metern Höhe gezogen, oder auch ein Verhau aus Zweigen mit Rasenstückchen und Schutt angebracht worden, so dass wir uns genötigt sahen, mühsame Umwege zu machen. Ich habe dieses Verfahren noch oft beobachten können. Ks ist charakteristisch für die Crnagora und die Erfindsamkeit ihrer Bewohner. Man verlegt auf diese Weise auf Abhängen zur Regenzeit heruntereilenden Gewässern den Weg, so dass sich bald hinter der kleinen Barrikade ein schmutziger Teich anstaut. Ist später die Flüssigkeit verdunstet, so wird aus dem zurückgebliebenen, vom Wasser mitgeführten Humus sofort ein Fruchtfeld hergestellt. Im schroffsten Kontrast zu diesem slavischen Fleisse bewaes unser Zigeuner eine wahrhaft beispiellose Faulheit. Als ich nämlich einmal an einer besonders steilen .Stelle, um das Pferd zu schonen, abgestiegen und mit Rovinski vorausgegangen war, hatte sich der unverschämte Mensch schnell in den Sattel geschwungen. Und kaum war er von da herunter genötigt worden, so sah ich ihn, als ich mich wieder einmal umwandte, ganz unverfroren auf den Koffern des Packtieres thronen. Allmählich wurden die hohen Lehnen, welche die breite Einsenk ung, durch die wir autwärts klommen, rechts und links überragten, niedriger, ein Zeichen, dass wir uns der Passhöhe näherten. Dafür wehte auch die Luft schon recht kühl und die Spuren der verheerenden Macht der Elemente häuften sich. Ungeheure Blöcke, von den höheren Partien herabgestürzt, ja mitunter scheinbar ganze aufgelöste Berge umlagerten uns und hatten nicht selten die Mulde fast ausgefüllt. Durch wilde Giessbäche waren wieder anderwärts stiele Spalten gegraben und das Gestein, stellenweise schöner, weisser und rötlicher Marmor, blossgelegt worden. Immer alter erfreute dach das Auge noch Buschwerk, das häufig in wahren Wald überging, sowie ein stets ausgedehnterer Niederblick auf die Crmniza mit den vielfachen Windungen ihres Gewässers. Nur die untere Partie des Thaies gegen den Skutari-see hin und der letztere selbst waren nicht sichtbar, da ja der Mass etwa auf der Hälfte seines ganzen Laufes nahezu in rechtem Winkel umbiegt. Um so unverhüllter zeigte sich die Bergwelt gegen das Orahovizathal und weiter gegen Cetinje hin mit ihren vielen Spitzen und Kuppen und coulissenartig in einander geschobenen Zügen, ein ernstes Gebirgsbild, die echten „schwarzen Berge". Die Zeit zum Mittagsmahle war bereits vorüber, wir aber hatten uns, von einigen wenigen Minuten, die eine photographische Aufnahme des letztgedachten Panoramas erforderte, abgesehen, noch keine längere Rast zur Vertilgung unseres Proviants gegönnt, da die ganze Lehne sehr arm an Wasser war, das wir als echte morgenländische Reisende bereits nicht mehr bei einem Diner unter freiem Himmel entbehren zu können wähnten. Endlich aber hörten wir doch zu unserer Freude ein munteres Plätschern und Rieseln. Es war die Ouelle „Paschena Woda", die nur wenige Schritte unterhalb des eigentlichen Passeinschnittes aus dem Boden dringt. Ihr klares, reichlich Messendes Wasser zeigte eine Temperatur von kaum tode noch nicht gefunden. Selbst die Dörfer, die wir nun mehrfach passieren, haben ein anderes Aussehen. Sie sind enger zusammengebaut und bergen bereits manches schmucke Haus. Am auffallendsten aber haben sich die Menschen verändert. Die Männer tragen das rote türkische Fez, die Frauen sind nach morgenländischer Manier verhüllt und wenden ausserdem auch noch das Gesicht ab, wenn wir vorüberkommen. Es sind Amanten, die hier wohnen. Der Sutorman-pass bildet eine Völkerscheide, eine Art von Fantrittspforte in das Morgenland. Übrigens hat derselbe einen Rivalen, der noch schneller, wenn auch ungleich beschwerlicher, von drüben herüberführt. Das ist der von unserer Strasse aus deutlich erkennbare Fusspfad, der direkt ostwärts ansteigt und hoch oben, dicht neben dem Rumija-Gipfel, den steilen Kamm überschreitet. Fast könnte es dem Beschauer schwindlig werden, wenn er diesen Gemsjägerpfad mit den Augen verfolgt. Und doch ist es einer der von den Montenegrinern am meisten benützten Übergänge. Ganz vertieft in derartige Beobachtungen über Land und Leute trabte ich meinem Begleiter, der nun, wo die Serpentinen ihr Ende erreicht hatten und die Strasse, wenn auch noch hoch über dem Fhalboden, doch eben dahinlief, wieder zu mir gestossen war, munter voraus, als plötzlich ein Mann mit einer Flinte, der bis dahin regungslos auf einem Steine am Wege gesessen hatte, unter lebhaften Gestikulationen auf mich zukam. Im ersten Augenblicke glaubte ich wirklich, er wolle mich anfallen, und die alten Märchen von der Unsicherheit montenegrinischer Wege wurden in meinem Kopfe wieder lebendig. Als indes Herr Rovinski nachkam, klärte sich die Begegnung sehr einfach auf. In der Nähe wollte man ein Steinkohlenlager entdeckt haben und der Herr Minister Vrbiza hatte telegraphisch diesen Soldaten uns entgegen beordert, um uns an die rechte Stelle zu begleiten. Wir ritten nun auf einem Fusswege etwas links gegen die Berge an. Bei einem kleinen Weiler sassen wir ab und waren mit wenig Schritten am Ziele. Aus einem schuttigen Abhänge hatte man hier einen schwarzen Schiefer*) herausgewühlt, den man mir mit grösster Spannung^ präsentierte. Interessant war es, wie *) Lydit (Kieselschiefer, lap. 1yd.). die guten Leute sich dabei selbst zu belügen suchten. Denn einige behaupteten kühnlich, dass die Masse gut brenne; andere, die ich auf die Seite nahm.', meinten, sie brenne wohl, aber schlecht; nur einer war so offen, einzugestehen, dass sie gar nicht brenne. Ich trennte mit meinem Messer ein Stück von dem Funde ab und suchte durch die entstandene weissgraue Schnittfläche den Anwesenden ihren Irrtum klar zu machen. Natürlich sahen sie nur ungern ihre Freude zu Wasser werden. Als wir wieder aufsitzen wollten, trat aus einem recht netten Hause, das mit dem in Montenegro, wenigstens auf dem Lande, selten genug anzutreffenden Luxus einer Esse in Form eines kleinen Türmchens versehen war, eine Frau, die uns höflichst einlud, bei ihr eine Tasse Kaffee einzunehmen. Interessant war es, wie sie uns begrüsste, (indem sie nämlich nicht nur, wie die Weiber im übrigen Montenegro, uns die Hand küsste, sondern auf dieselbe dann auch noch ihre Stirn legte. Durch einen zierlichen Verschlag von Holz mit etwas Schnitzwerk traten wir aus dem schmalen Gang der Flausilur in das Staatsgemach, das ringsum gleichfalls mit Holz getäfelt war. Im I iegensatze zu den meist verrussten Wänden einer montenegrinischen Wohnung jenseits der Berge, präsentierte sich diese Bekleidung der Mauern in jener Sauberkeit, die nur durch fleissige Reinigung beziehentlich Scheuern zu erzielen ist. Rings um die Diele lagen bunt überzogene, längliche Kissen in echt morgenländischer Manier. Eigentliche Möbel waren nicht vorhanden. Doch zierte die Wände eine der langen albanesischen Flinten mit prächtigem Silberbeschlage, die bekanntlich ebenfalls ein unentbehrliches Stück der Staffage auf jedem orientalischen Bilde ausmachen, sowie eine Gusla, dieses oft genannte und beschriebene Lieblingsinstrument der Serben, welches nur eine einzige, über eine mit einem Trommelfell überzogene und mit einem langen Halse versehene, hölzerne Halbkugel gespannte Saite besitzt, die mittelst eines Bogens angestrichen wird. Ich hatte ein vortrefflich gearbeitetes, mit Schnitzwerk bedecktes Exemplar schon in Cetinje beim Herrn Metropoliten bewundern können. Dort gab mir auch einer der Anwesenden aus besonderer Gefälligkeit eine kleine Probe von der Art der Handhabung dieses sonderbaren Instruments. Die einfachen Weisen, die man demselben unter Recitation von Heldenliedern zu entlocken pflegt, entsprechen ganz der näselnden, isotonen, fortwährend nur zwischen wenigen Tönen sich auf- und abbewegenden Gesangs-weise der sämtlichen Völkerschaften im Osten Europas, Gern hätte ich auch hier noch etwas von dieser nach unserem Geschmack nicht gerade schönen, aber originellen, melancholischen, namentlich auch der schmucklosen Art des Serbischen Epos so ausserordentlich entsprechenden Musik» gehört, allein in dieser Beziehung hatte ich es schlecht getroffen mit meinem Besuche. Denn infolge des schrecklichen Endes des russischen Kaisers war eine zweimonatliche Trauer für das ganze Land angeordnet worden, die alles Singen und irgendwie lärmende Freudenbezeugungen aus-schloss. Wie hoch überhaupt der Herrscher des mächtigen ("Zarenreichs bei den Crnagorsen steht, konnte ich gerade in diesem Hause klar genug erkennen. Denn als wir unsere Wirtin, welche bald schon mit dem duftenden Mokka in zierlichen Schalchern erschien, nach ihrem Befinden fragten, antwortete sie: „Wenn der Fürst von Montenegro und der Kaiser von Russland gesund sind, geht es mir auch gut." Als wir nach einiger Zeit unseren Weg fortzusetzen im Begriffe standen, erhielten wir einen neuen Beweis dafür, dass wir im Grunde jetzt erst in den Orient eingetreten seien. Denn der kleine Knabe der Wirtsfrau, der an der Thüre stand, schüttelte, als er von mir ein Stück Chokolade erhalten hatte, auf die Frage, ob sie gut schmecke, energisch mit dem Kopfe, was liier „ja" bedeuten soll, während man im Verneinungsfalle nickt. Bekanntlich Werden im Morgenlande viele unserer Gebräuche gerade in umgekehrter Weise als bei uns angewandt. Nachdem wir, wieder im Sattel sitzend, anfangs noch eine ^eit lang die neue Strasse verfolgt hatten, bogen wir da, wo dieselbe anfängt, in die breite Küstenebene des „Eisenwasserthaies'* (Zeleniza) hinabzusteigen, um schliesslich mittelst einer gewaltigen Kurve nach Antivari einzulenken, links ab und stiegen durch Gebüsch auf dem alten Saumpfade an, um einen weit gegen das Meer Vorgeschobenen Gebirgsast zu überschreiten. Oben auf dem breiten Rücken wurden viellach mich Türkenschanzen, grob aufgeführtes Mauerwerk, sichtbar. Die üppige Natur aber war schon thätig Schwarz, Montenegro. 9 gewesen, um diese Überreste aus einer traurigen, blutigroten Zeit unter einem wahren Blätter- und Blütenmeere zu begraben. Feigen, ganz mit Früchten überladen, duftende Büsche von Goldregen und vor allem prachtvoller Lorbeer, letzterer bekanntlich ein echtes Charakteristikum der südlichen europäischen Zone und zugleich wieder ein Novum in der von uns bisher geschauten montenegrinischen Flora, wucherten auf dieser Höhe, von welcher man daneben einen schritten Blick in die weite, fast ganz von einem einzigen Olivenwald erfüllte Küstenebene in der Richtung auf Dulcigno geniesst. Antivari selbst war noch nicht sichtbar. Aber nur wenige Schritte noch vorwärts, dann fällt plötzlich das Terrain jäh ab und — unter uns haben wir ein Städtebild von so eigenartiger, wilder Schöne, dass selbst der verwöhnteste Reisende, der die renommiertesten Punkte der ganzen Welt gesehen hätte, es niemals wieder würde vergessen können, V. Antivari. Anblick der Stadt nach der Beschiessung. Das Fest des heiligen Georg. Ein Serail aus «iooi Nacht". Lämmerschmaus mit Nationaltänzen. Besuch des Hafens. Die neue Lesehalle und ihre hochherzigen Statuten. In einem engen, schluchtartigen Thale, das nach Westen rasch in die olivenreiche Strandebene ausmündet, im Rücken dagegen von breiten, massigen, in jähen Felswänden abstürzenden Bergen abgeschlossen wird, unter denen der Koloss des Lisin am bedeutendsten erscheint, thront auf einem niedrigen, aber nach allen Seiten scharf abgeschnittenen Plateau eine Stadt, die doch auch waeder keine Stadt mehr ist, denn „die Mauern sind zerfallen. Wolken ziehen drüber her". Nur die gigantischen Bollwerke mit ihren Türmen und Bastionen, die einst rings um das Felsennest aufgerichtet worden waren, zeigen sich noch leidlich erhalten. Aus ihren Luken ragt hier und da ein finsteres Geschützrohr und ver- einzelte Soldaten tauchen mitunter in ihrem Hereiche aut. Sonst ist alles ein immenses Grab voll Öde und Grausen, eine Riesenbrandstätte, mit all' den Schrecken, die einer solchen schon im Kleinen anhaften. Da bemerkt man kein unversehrtes Haus, kein verschontes Plätzlein. Überall starren die der Dächer beraubten, häufig auch durchlöcherten oder halb zusammengestürzten Umfassungsmauern empor. Selbst das Heiligste ist nicht. verschont geblieben. Denn mächtigen Säulenstümpfen gleich steigen die Minarets, vielfach nur noch in ihrer halben Höhe, aus dem Trümmerchaos auf, oder haben doch wenigstens ihre Spitze mit dem stolzen Halbmond verloren. Am festesten scheinen die hohen, runden Essen gewesen zu sein, die einst hier üblich waren. Denn sie machen einen wahren Wald kleiner Türmchen aus über dem ungeheuren Schutthaufen, den jetzt die Stadt bildet, in den engen Strassen, die ehemals das bunte Treiben des Orients erfüllte, schreitet kein lebendes Wesen. Die unheimliche Ruhe eines Kirchhofs lagert über der .Stätte. Das ist oder richtiger das war Antivari, die ehemals so blühende Seehandelsstadt, die feste Trutzburg des Halbmonds, die von ihrem Felsenversteck aus keck hinschaute auf das Meer, das einst die Galeeren des stolzen Venedigs beherrschten, auf dem die Kreuzfahrer sich sammelten zum Zug ins heilige Land und das die belebte Handelsstrasse der europäischen Christenheit nach dem Morgenlande bis in die Neuzeit hinein bildete. Lange blieb es unangefochten, dieses islamitische Zwinguri, das wie zum Hohn für das Abendland seinen Namen daher erhalten hatte, dass es mit seinem Angesicht über ein schmales Wasserhand hinweg gerade hinüber gegen die italienische Stadt Pari gerichtet war. Daun aber zogen die dunklen Wetterwolken des Kriegs, die bis dahin immer mehr über dem Centrum der Balkanhalbinsel sich entladen hatten, auch heraus bis zum Strande der Adria. Die Männer der „schwarzenBerge" rückten aus ihren Felsen, Urn die schöne Meeresbraut zu gewinnen. Aber die Türken au! den wohlbewehrten Wällen lachten ihrer. Was konnten die armen Schafhirten ihnen anthun? Doch auch diese letzteren haften sich mit den weithintreffenden Waffen der Neuzeit versehen. Von den Höhen der Berge ringsum, auf die sie ihr geübter Fuss samt den todbringenden Rohren leicht 9* emportrugj sandten sie den eisernen Hagel dichter und dichter immer auf die unglückliche Stadt nieder. Bereits lagen ganze Strassen in Schutt und Asche, feurige Lohe züngelte allerwärts gegen den blauen Südhimmel empor, zuckende Menschenleiber bedeckten in Masse den aufgewühlten Boden. Aber der tapfere Kommandant wollte sich nicht ergeben. Hoffend blickte er noch immer gegen Osten, von wo die Heerscharen des Padischahs sich nahen sollten, das freche Häuflein der Belagerer zu verscheuchen. Und sie blieb nicht aus, diese Hilfe. Türkische Panzerschiffe kamen herbeigedampft, um der bedrängten Stadt neue Streiter zuzuführen. Aber die umsichtigen Crnagorsen waren auch hier zur Hand. Von dem vorspringenden Kap von Volviza sandten sie den schwimmenden Ungeheuern einen so groben GruSS entgegen, dass die Insassen derselben bald von dem Besuch am Strande abstanden und sich wieder hinaus auf die weite, sichere Wasserfläche zurückzogen, die eingeschlossenen Glaubensgenossen ihrem Schicksal überlassend, dem sie nun auch nicht mehr entgehen konnten. Wurde doch die Not, der Mangel an allem, an Nahrungsmitteln wie an schützenden Asylen, immer grösser. Und als endlich durch einen tollkühnen Handstreich der Montenegriner auch noch die letzte Labung für die Hitze des Kampfgewühls, das Irische Quellwasser, dem Orte abgeschnitten worden war, da erkannten die Moslemims drinnen, dass Allah seine Kinder verlassen, da öffneten sich die Thore auch dieses Stützpunktes türkischer Herrlichkeit den einziehenden ('hristeusChareu. Das geschah am denkwürdigen 2 Da wir einmal den weiten Weg, nebenbei unter einer Sonnenglut zurückgelegt hatten, die sich trotz der frühen Morgenstunde ausserordentlich fühlbar machte, so wollten wir wenigstens auf einen Augenblick noch in das kleine Gottesbaus eintreten, wenngleich es leer war. Eilte doch auch der Pope, ein hochgewachsener, hagerer Mann in einem abgetragenen, schmutzigen Talar, dessen ursprünglich schwarze Farbe eine fatale, gelbgrünliche Nuance angenommen hatte, kaum dass er uns gesehen, mit einer Diensteitrigkeit herbei, dass das lange Gewand und die langen, blonden Piaare hinter ihm herflogen. Zu sehen gab es nun freilich in dem Kirchlein, das ebenfalls in dem schon bei Cetinje erwähnten Stile erbaut war, nicht viel. Aussei- einem recht netten, in Sanimet gebundenen Evangelienbuche fiel nur noch das wenig schöne Bild St. Georgs auf, welches aut einer Art Hock in der Mitte des Schiffes den Gläubigen zum Küssen dargeboten wurde» In dieser Weise wird übrigens an jedem hohen Festtage ein anderer Heiliger der Verehrung exponiert. Linser Pope war trotz seines wenig einladenden Äusseren ein seelensguter Mensch, der auch wusste, was Lebensart und Landessitte ist. Denn er ging nicht davon ab. wir mussten mit in sein nahe gelegenes Pfarrhaus, um eine PLrfrischung anzunehmen. Wie i" der Mehrzahl montenegrinischer Gebäude lag auch hier der eigentliche Wohhungsraum im oberen .Stockwerk. In dem geistlichen Geniach, einem hellen, höchst sauber gehaltenen, ziemlich grossen Zimmer, sah es übrigens recht kriegerisch aus. Denn statt dickleibiger Folianten, die in unseren Pfarrhäusern die Wände zu zieren pflegen, hingen hier Flinte und Pistole, Revolver und Handschar. Bekanntlich halten es die Geistlichen der Crnagora für nicht unvereinbar mit ihrem Friedensamte, Waffen zu führen und dem Abscheu gegen die Lehre Muhammeds. den sie so oft in WTorte kleiden müssen, auch einen thätlichen Ausdruck im wilden Schlachtgewühl zu gehen. Nachdem wir den Kaffee samt obligatem Raki, den die freundliche, junge Pfarrfrau - die niederen Welt-Geistlichen der griechischen Kirche pflegen ja verheiratet zu sein — kredenzte, vertilgt hatten, setzten wir unsere Wanderung wieder fort und gelangten bald an eine hohe, mit Schiessscharten versehene Mauer, die ein ausgedehntes Grundstück festungsartig umschloss. Jetzt gestatteten freilich grosse Löcher, welche die Kugeln der Geschütze gerissen, in das sonst wohlverwahrte Heiligtum hineinzukriechen. Dies thateu wir denn auch und standen nun in einem verwilderten Garten, dessen ehemalige Herrlichkeit indes noch wohl erkennbar war. In dichten Rüschen glühten dunkelrote Rosen in seltener Pracht, an uralten Oliven kletterten Weinranken empor, der Duft weisser Citronenblüten drang fast betäubend aus wahrhaft undurchdringlich gewordenen Hecken, während anderwärts wieder die ausgebreiteten Zweige riesiger Feigenbäume den Weg verlegten oder kniehohes Gras unser Vordringen zu hindern suchte. In diesem verwilderten, von der hochragenden Stadt drüben mir durch den Bach getrennten Paradies hauste einst Selim Beg, ein immens reicher aber auch ebenso übermütiger und gewaltsamer Türke, der sich in der Rolle eines alten Raubritters zu gefallen schien. Denn von Zeit zu Zeit brach er aus seiner Citadelle hervor, führte da oder dort ein schönes Weib, das seine Augen auf sich gezogen hatte, hinweg und barg sich dann mit seiner Beute wieder hinter die festen Mauern, um das alte Schlemmerlebeu. umgeben von der raffiniertesten Pracht, weiter zu fuhren. War doch sein geräumiger Palast, wie mau noch jetzt erkennen konnte, wirklich ein Stück aus „Tausend und einer Nacht", eine Alhambra im Kleinen, eine Kopie des zauberreichen Serails am Bosporus. In dem grossen Gemache, das einst seinen auserlesenen Harem barg, vermochte man noch die kunstvolle Malerei an den Wänden, in dem üppigen Baderaume und anderwärts den herrlichen, weissen Marmor zu entdecken, aus dem ein grosser Teil des Ganzen hergestellt gewesen war. Selbst ein elegantes Fremdenhaus zur Bewirtung seiner Freunde hatte nicht gefehlt. Aber auch dieser Belsazar an der Adria sollte seinem nur zu wohl verdienten Geschicke nicht entgehen. Als die Montenegriner gegen Antivari heranrückten, war er es besonders, der zum Widerstande riet und denselben auch auf eigene Hand mit der grossen Menge seiner Diener in seinem Schlosse etablierte. Namentlich unterhielt er von einer ganz kunstgerecht angelegten Hastion aus ein lebhaftes Feuer gegen die Belagerer. Natürlich machten nun die Letzteren auch nicht viel Umstände. Granate auf Granate sauste heran und bald lag die ganze Herrlichkeit in Trümmern. Der Unhold selbst aber wusste glücklich dem Verderben zu entgehen und haust nun in irgend einem besser vor den verhassten „Giaurs'" (Christen) geschützten Gebiete seines Sultans weiter. Drei Jahre sind seitdem vergangen. Was die Kugeln der Crnagorsen nicht vernichteten, daran hat die Vegetation das Zerstörungswerk mit Erfolg weiter betrieben. Feigen- und Rosenbüsche haben sich in den Fugen der kunstvoll angelegten Freitreppe, der Marmorfliesen und der Stuck wände eingenistet und drohen bald alles auseinander zu treiben, was noch trümmerhaft aufragt. Und so redet denn dies „verwunschene" Schloss nicht bloss von der Hinfälligkeit des Menschen und seiner Werke, sondern auch, damit die Wehmut sich wieder in Freude verwandele, von der Schöpferkraft einer höheren Hand, die nicht müde und matt wird. Und gerade hier, in dem so günstig gelegenen, geschützten Erdenwinkel, hier ist diese Schöpferkraft in hervorragendem Masse thätig, hier, wo während der ganzen langen Wintermonate, wenn uns in Deutschland Eis und Schnee deckt, die rote Rose in dunklem Laube niemals aufhört zu duften und zu glühen. Unweit der interessanten Ruine findet sich auch noch eine andere Merkwürdigkeit aus dem letzten Kriege. Wir müssen aber, um sie zu erreichen, den Bach, der das Thal von Antivari durchzieht, die Ritschana, überschreiten, was um deswillen keine ganz leichte Arbeit ist, weil da,s an sich unbedeutende Gewässer in einem tief ausgewaschenen und ausserdem noch von dichtem Gestrüpp erfüllten Bette fliesst. Auf dem anderen Ufer angekommen, gelangen wir mit wenig Schritten, dem Flusse entgegen, an die Stelle, wo das Thal in Wirklichkeit zu einem nur einige Meter breiten Schlund zusammen-gepresst ist. Zu beiden Seiten steigen senkrechte, glatte Felsmauern auf. Gerade über uns thronen hier die Bollwerke der zerstörten Stadt. Dies ist der Punkt., wo die kühnste That wahrend der ganzen Belagerung, ja eine der kühnsten, welche die Jahrhunderte umspannende Geschichte der montenegrinischen Kämpfe aufzuweisen hat. zur Ausführung kam. In dieser Schlucht befand sich nämlich das Wasserreservoir tler bedrängten Stadt. Von da ward das unentbehrliche Nass mittelst einer bedeckten, in die Felsen getriebenen Kinne bis auf die Höhe der Wälle droben hinaufgezogen. Selbstverständlich musste durch Zerstörimg dieser Anlage die Behauptung der Stadt bald unmöglich werden. Daher entschlossen sich denn eine Anzahl todesmutiger Cmagorsen, diese That auszuführen, Sie stiegen in die Schlucht hinab und hatten auch verhältnismässig rasch Hand ans Werk gelegt. Aber die Belagerten droben merkten die Sache und Hessen nun einen wahren Regen von todbringenden Geschossen auf die arbeitenden Männer drunten niederlallen. Für gar manchen ward da die kühle Felsenge zum frühen Grabe. Denen aber, die nach Vollführung des Wagnisses wieder heraufsteigen konnten zum Geben, ward von ihren jubelnden Bindern der ehrenvollste Empfang bereitet und sie durften nebst Orden und Medaillen das Bewusstsein mit in ihre Hütte nehmen, dass sie zu dem Falle des stolzen türkischen Bollwerkes und zur Eroberung des ersten, längst von Montenegro begehrten Seehandelsplatzes wesentlich beigetragen. Jetzt sah's freilich schon recht friedlich hier unten aus, denn stämmige Frauen mit nackten Armen wuschen ihre Wäsche und unweit erhob sich die neue OHvenölraffinerie. die erste ihrer Art im Lande. Als wir nach dieser mehrstündigen Exkursion itt die Stadt zurückgekehrt waren, hatte sich die Hitze unterdes so gesteigert, dass wir die Idee eines unserer Begleiter nur mit grösstem Beifall begrüssen konnten. Er schlug nämlich vor, eine Art Nische an der Aussenseite der Festungsmauer zu einer längeren Siesta zu benutzen. Bald sassen wir denn auch dort im angenehmsten Schatten, vor uns die ganze Strasse, die gegenwärtig allein noch Antivari bedeutet. Mehr als sonst entfaltete sich heute hier ein buntes Leben. Italiener von der gegenüberliegenden Halbinsel und Türken aus dem Innern, Dalmatiner und Griechen, Seeleute und Ackerbauer, dicht vermummte und wiederum halb nackte Frauengestalten, montenegrinische Kappas und muhammedanische Fezs oder Turbans wogten durcheinander. Mehrmals stiegen auch Einzelne aus dem Getümmel drunten zu uns herauf, um uns zu begrüssen, darunter wiederholt selbst Türken, beispielsweise ein alter, ehrwürdiger, mit weissem Turban und pelzverbrümtem Kaltau angethaner Agha, ein echter Alttürke, der nichtsdestoweniger ganz freundlich und verbindlich mit unseren montenegrinischen Begleitern verkehrte, Er lud uns sogar zum Kaffee für nachmittags zu sich ein. Doch waren wir bereits engagiert. Dafür Hess er sich aber herbei, seine Teilnahme an der Festlichkeit, die man für uns in den Nachmittagsstunden veranstalten wollte, zuzusagen. Auch noch eine andere interessante Beobachtung sollte ich machen. Einige kräftige montenegrinische Frauen hielten unweit von uns mit prächtigen, grossen, vielpfundigen Fischen, Karpfen, sowie Exemplaren jener Art, welche auf serbisch „Kuhla" heissl und den Lachsforellen unserer Alpenseen*) ähnelt, feil. Diese Tiere waren im Skutarisee gelangen und dann in der Nacht von den unermüdlichen Frauen auf dem halsbrecherischen Fasse, der an der Runiija vorbeiführt, herübergetragen worden. Trotzdem stellte sich der Preis der Ware ziemlich niedrig. Für zwei Pfund wurden nicht mehr als etwa 30 Kreuzer bezahlt. Wir kauften auch zwei der schönsten Exemplare, um sie am Abend zu verzehren. Leider nur verstand, wie sich später zeigte, der Wirt nicht, sie kunstgerecht zuzubereiten, so dass wir uns umsonst auf den Genuss gefreut hatten. Doch da kommen schon einige Abgeordnete des Festkomitees, um uns zur Hauptfeier des Tages abzuholen. Sau Giorgio ist nämlich in dieser Gegend das, was Himmelfahrt für manche Partien Deutschlands, eine Art Frühlings- oder Sommerfest. Man zieht da hinaus ins Freie und wie man bei uns gelegentlich jenes Festes zum ersten Male Semmelmilch geniesst, so beginnt mein hier am Georgstage Lämmerfleisch, die Lieblingsspeise aller Bewohner der Balkanhalbinsel, zu verzehren. Die betreffenden Tiere werden in einer besonders dazu bestimmten Hude geschlachtet. Mir thaten sie leid, die kleinen, netten Schäfchen, die bald hier bald da mit durchschnittener Gurgel, das zarte Fliess von Blut gefärbt, zum Verkauf auslagern Ganz Antivari aber vermochte kaum noch seinen Appetit nach dem leckeren Mahle zu zügeln. Auch meine Fuhrer, deren *) Trutta lacustris L. Zahl auf ein Dutzend angewachsen sein mochte, eilten so rasch voran, dass ich kaum zu folgen imstande war. Haid befanden wir uns auf einem grossen Platze westlich vor der Stadt. Ringsumher erhoben sich hundertjährige Ölbäume, die mit ihren durchlöcherten, verwachsenen und verwitterten Stämmen und verrenkten, knorrigen Ästen einer regen Phantasie in dämmeriger Nacht leicht als Erlkönig mit seinen dochtern und 'Trabanten hätten erschei neu k öl inen. Inmitten dieser alten, bizarren Haumriesen war aufschwellendem Rasen ein buntwollener 'Teppich von ungeheuren Dimensionen ausgebreitet, den wieder ein nur wenig kleineres, weisses 'Tischtuch zierte. Auf letzterem standen, weislich geordnet, bemalte 'Teller samt Messer und Gabeln, dazu auch Gläser. Haid hatten etwa 20 Personen an dieser improvisierten 'Pate! Platz genommen, ich auf einem eigens zu diesem Zwecke bereit gehaltenen, weichen Kissen obenan, die anderen rings herum auf der vom 'Tischtuch freigelassenen, breiten 'Teppichkante, alle aber nach der Sitte des Morgenlandes mit gekreuzten Beinen. Welch buntes Bild, diese 'Tafelrunde; wie hob es sich so lebhaft ab von dem grünen Kleid der Natur unter und über uns, das helle Rot und glitzernde Gold der Gewänder! End wie friedlich sassen sie hier beide nebeneinander, das Fez und die montenegrinische Kappa, der türkische Händler von der Meeresküste und der crnagorische Krieger, der den „schwarzen Hergen" droben entstammte! Selbst der Lehrer, ein noch jugendlicher Mann von brichst einnehmendem Wesen, fehlte nicht, so dass in der 'That die Elite der Stadt versammelt war. Nunmehr erschien zuerst ein viele .Meter langer, schmaler Leinwandstreifen, der ringsum über die Kniee der sitzenden Männer als gemeinsame Serviette gebreitet wurde. Hierauf eilten schmucke Diener geschäftig hin und her und legten lange Stücke schmackhaften Schwarzbrotes neben jeglichen 'Teller. Dann setzten sie den bauchigen, wohlumstrickten Riesenkrug, mit 'Traubenblut gefüllt, in die Mitte des Ganzen, damit der kummerverscheuchende und zungenlösende 'Trank nicht fehle. Haid kamen auch auf grossen Präsentier-lireltern von Blech die Löwen des 'Tages, die braun gebratene]!, duftenden Lämmer. Zwei der Kapitäne erhoben sich, die Handschar blitzte in der Luft und die saftige Speise war bald kunst- gerecht in viele Teile zerlegt, die von kräftigen Fäusten gefasst wurden und rasch im hungrigen Magen verschwanden. Dazu kreiste in weiten Schüsseln grüner Salat und die Becher mit dem feurigen Dalmatiner leerten sich, dass die bedienenden Blande sie kaum schnell genug wieder zu füllen vermochten. Aber auch der Strom der würzenden Rede stockte nicht, während so „die Hände sich streckten nach dem lecker bereiteten Mahle". In der Landessprache wie in den weichen Lauten des wälschen Tdioms, ja selbst in deutscher Zunge, deren einige mächtig waren, wurde geplaudert. Manch zündend Wort fiel, manch treffender Witz entfesselte das weithin schallende Gelächter der schmausenden Phäaken. Plötzlich aber sprang der junge „Intendant", der mir gerade gegenüber am anderen Ende der Tafel seinen Platz eingenommen hatte, eine muskulös kräftige und doch elegante Figur mit einem schelmischen Zuge im männlich schönen Antlitz, auf seine luisse. Er war ein streitbarer Held und doch, wie dies unter dem Volke der Serben so häufig, ein Dichter zugleich. Dieser hub an und redete mit wohlgesetzten Worten: „Fremdling, Du, der gekommen aus dem Herzen Deutschlands her nach der Crnagora, aus einem grossen Reich in einen kleinen Staat, aus gesegneten Gefilden in die Fanöde unserer Berge, sei uns gegrüsst! Ja, wir sind arm, Gold und Silber, Edelsteine und Perlen besitzen wir nicht, aber was wir haben, ein Kleines, von den Vätern überkommen, das sei Dir geweiht! Der Gastfreundschaft der Crnagorsen sollst Du Dich erfreuen. Wehe, wer Dir ein Haar krümmt! Wie wir Dir zu Ehren dies Mahl heute bereitet, so müsse Dir alles im Lande zu Diensten sein, damit Du, heimgekehrt, doch eins Deinem Volke von den armen Söhnen der schwarzen Berge zu rühmen wissest!" Sprach's, und siehe, da erhoben sich alle. Kräftig stiess die Rechte das Glas mit dunklem Weine gegen das Glas des Nachbars, während die Linke mit schnellem Griffe die Pistole dem Gürtel entriss und in die Lüfte feuerte, dass die Berge widerhallten. Wer hätte auf solchen Salut zu schweigen vermocht? Darum Dahin auch ich bald das Wort und, indem der Dolmetscher an meiner Seite Satz für Satz sofort in serbische Rede umsetzte, rief •eh: „Ihr Männer von Antivari, Helden der „schwarzen Berge". Schwarz. Montenegro. 10 meine Seele ist an diesem unvergesslich schönen Tage, hei einem Feste, so einfach und so zauberisch herrlich zugleich, wie ich es noch in keinem Lande Europas gefeiert, zu voll von freudigen Empfindungen. Ihr Leute der That und nicht langatmiger Reden, lasst mich kurz sein! Als ich mein Vaterland verlassen wollte, um zu Euch zu reisen, da hiess es von allen Seiten: Wehe Dir, man wird der Nase und der Ohren Dich berauben. Ich wähnte damals, dass es so schlimm nicht sein könne. Ich habe erkennen müssen, dass Ihr noch viel ärger seid. Nicht Nase und Ohren, aber mein Herz habe ich bei Euch verloren!" Kaum hatte ich geendet, so erhob sich ein gewaltiges Getümmel. Man schoss hinauf in das Laubdach der alten Oliven, die so griesgrämlich auf dies Treiben niederschauten, man trank mir zu, man umarmte mich. Nur allmählich kehrte die Ruhe und Ordnung zurück und das Mahl nahm seinen Fortgang. Diensteifrige Hände suchten die besten und grössten Stücke vom saftigen Braten, um sie auf meinen Teller zu legen oder Hessen auch nicht eine Sekunde vergehen, ohne den Becher vor mir wieder zu füllen, nachdem ich ihn geleert hatte. Aber als nun endlich „das Verlangen nach Trank und Speise gestillt war", da begann zur Feier des Tages noch allerhand Kurzweil. Zuerst führte der muntere Lehrer seine Kinderschar, etwa ein halbes Hundert mobiler, aufgeweckter Knaben im Alter von sechs bis zwölf Jahren, hierzu. Auch unter ihnen machte sich die in einer Stadt, wo noch die Ruinen aus dem furchtbaren Rassenkampf der letzten Jahre zu sehen sind, doppelt wohlthuende, friedliche Vermischung der Nationalitäten und Religionen gehend. Da waren kleine Bursche im kleidsamen montenegrinischen Kostüm, und wieder andere, auf deren krausem Haare das rote oder das hier noch häufigere weissfilzene Fez sass. In langer Reihe marschierten die Kleinen auf und sangen dann mit frischen Stimmen ihre Lieder, darunter auch die Hymne auf den Fürsten. Durchweg musste man bei diesen Vorträgen die gute Schulung anerkennen. Einzelne der jugendlichen Sänger verrieten sogar hohe musikalische Befähigung. Namentlich stimmte ein ganz armer, jedoch höchst intelligent dreinschauender, kleiner Mensch stets mit grosser Sicherheit die Lieder an, deren Zahl übrigens keine kleine war. Der Lehrer der wackeren Sänger aber pflegte in einer nach unseren Begriffen gewiss eigentümlichen Weise besondere Kraftstellen mit Schüssen aus seinem Revolver zu begleiten, was die Kleinen, die den Mann auch in der Schule stets in Nationaltracht und voller Bewaffnung vor sich zu sehen pflegen, durchaus selbstverständlich zu finden schienen. Beiläufig wird durch diese Erziehungsart der kriegerische Sinn gewiss schon in früher Jugend in den Herzen der jungen Crnagorsen entzündet. Aber auch die Erwachsenen riss der nationale Gesang mit fort. Einstimmen in die Weisen der Schuljugend durften sie nicht wegen der um Russlands willen dem Lande auferlegten, zweimonatlichen Trauer. Aber tanzen, das war erlaubt. Auch leitete sie dabei die Absicht, mir, dem Fremdling, die Eigenart der Bewegungen vorzuführen, welche die Crnagorsen unter jenem Namen begreifen. Und in der That wurde mir dadurch ein ebenso seltenes als originelles Schauspiel bereitet. Zwei der Männer sprängen auf ihre Füsse, um sich in geringer Distanz einander gegenüber zu stellen. Der eine zog dann die Handschar, der andere den Revolver aus dem Gürtel, und während ersterer mit der funkelnden Klinge blitzschnelle Hiebe durch die Luft führte, feuerte letzterer in kurzen Distanzen schräg in die Luft. Dazu chassierten sie, indem sie gummiballartig ihre Körper hoch emporschnellten und mit den flinken Fussspitzen, Ballettänzerinnen gleich, in der Luft wirbelten, bald rechts, bald links; avancierten jetzt, um gleich darauf zurückzuweichen, oder changierten auch, alles unter lebhaftem Jauchzen und Schnalzen mit Zunge oder Finger. Nach einer Weile aber fielen sie sich in die Arme und küssten sich herzlich. Hierauf traten zwei neue Kämpen auf, um in der nämlichen Weise sich zu produzieren. Später tanzten mehrere Baare zugleich, ja endlich war alles auf den Beinen. Dabei fielen jegliche Ständeunterschiede hinweg. Der vornehmste Kapitän hatte sich nicht selten den ärmsten Aufwärter zum vis-ä-vis herbeigeholt. Und nun gab es, wohin man blickte, ein Drehen und Wirbeln unter den altersgrauen Oliven; immer lebhafter blitzten die Augen, krampfhaft rasch wurden die Bewegungen; unter dem Einfluss des von allen in grossen Mengen genossenen, feurigen Rebensaftes steigerte sich dis Aufregung bald derartig, dass das Jauchzen und Schreien, das Ausstossen gellender, unartikulierter 10* Kehllaute, das Schnalzen und Schiessen förmlich das Ohr betäubte und die gleissenden Linien, die die blanken Klingen in der Luft beschrieben, das Auge blendeten. Die Gesichter liefen blaurot an, die Adern schwollen, die Lungen keuchten. Was anfangs harmloses Spiel gewesen, nahm mehr und mehr den Charakter eines wirklichen Kampfes an. Haarscharf fuhr die mörderische .Handschar am Haupte des Partners vorüber und die Kugeln fielen in immer grösserer Nähe aus der Luft nieder, so dass man glauben konnte, die alten Ölbäume Hessen ihre Früchte auf uns herab regnen. Es war ein schönes, aber auch ein ausserordentlich aufregendes Schauspiel. Selbst die Wangen der zuschauenden Kinder röteten sich höher. Welche Beweglichkeit, welch' natürliche Grazie, welche Schnellkraft eignet diesen Natursöhnen, aber welche Furie, welche Wildheit, welch verzehrendes Feuer auch steckt in ihnen! Jeden Augenblick fürchtete ich, dass da oder dort ein Blutstrahl in die Luft springen oder einer der Rasenden, von der Kugel durchbohrt, zu Boden sinken würde. Ich war daher trotz des lebhaftesten Interesses an diesem Kriegsspiele, das einem fremden Reisenden nicht so leicht wieder geboten werden dürfte, doch herzlich froh, als ein Ereignis mehr komischer Art dem ganzen unglaublichen Getümmel ein Ziel setzte. Während des Mahles war nämlich auch einmal vom Biere die Rede gewesen und ich hatte dabei geäussert, dass dasselbe das eigentliche Lieblings- und Nationalgetränk der Deutschen bilde. Augenblicklich hatten meine freundlichen Gastgeber, die nichts unversucht lassen wollten, um mir den Aufenthalt bei ihnen so angenehm als möglich zu machen, ohne dass ich etwas davon merkte, einen Boten nach dem eine gute Stunde entlernten Hafen geschickt, um aus einer dortigen Niederlage des Lloyd eine Quantität Flaschen mit Dreherschem Gerstensafte herbeizuschaffen. Jetzt nun kam die Ladung an und sofort war aller Aufmerksamkeit vom Tanze ab und auf den neuen Genuss gelenkt. Aber o weh, es fehlte an dem Schlüssel zu dem mühsam beschafften Schatze, an Korkziehern, die ja im Süden, wo man den Wein stets gleich vom Fasse weg in offenen Flaschen auf die Tafel bringt, entbehrliche Luxusartikel ztt sein pflegen. Glücklicherweise wusste ich Rat, indem ich den bekannten Kunstgriff in Anwendung brachte, mittelst dessen man zwei (kabeln schräg in den Kork der Flasche bohrt, dann ein Messer mit der Schneide nach aufwärts durch die Zwischenräume der Zinken steckt und hierauf, die improvisierte Handhabe fassend, den Pfropfen sicher und verhältnismässig leicht herauszieht. Nun hätte man aber das Erstaunen der guten Leute über diese einfache Manipulation sehen sollen. Sie vergassen die mit dem Inhalt der ersten Flasche gefüllten Gläser zu leeren und wollten nur immer wieder die Öffnung der. folgenden beobachten. Endlich jedoch waren die sämtlichen Bouteillen nicht nur entkorkt, sondern auch geleert und damit hatte das ganze Gelage ein Ende. Denn wir beabsichtigten an diesem Tage noch dem Hafen einen Besuch zu machen, da wir am nächsten Morgen Antivari wieder zu verlassen gedachten. Es war aber unter all dem Essen, Trinken und Tanzen bereits sechs Uhr geworden. Mit herzlichen Abschiedsküssen und Händedrücken gingen wir auseinander, einige in die Stadt zurück, während eine gute Anzahl uns das Geleite zu geben sich entschlossen hatte. Unfern scharrten schon die bereit gehaltenen Pferde den Boden. Wir sprangen in die Sättel und, animiert wie wir waren, sprengten wir unter den Abschiedssalven der Zurückgebliebenen in so tollem Galopp davon, dass wir die 5 Kilometer Wegs in 14 Minuten zurücklegten. Die im Ganzen gut gebaute Strasse, der nur wegen der Unmasse der sie bedeckenden, kleinen, spitzen Steine für einige Stunden einmal die Visite einer Strassenwalze — eines in Montenegro, wie mir schien, noch unbekannten Luxusartikels zu gönnen wäre, durchzieht zuerst den prächtigen Olivenhain im Westen der Stadt, um sich dann in die Strandebene hinunter-zusenken, durch welche sie darauf schnurgerade dem Meere entgegenläuft. Begegnet man aber schon auf diesem wichtigen Verbindungsweg zwischen einer Seehandelsstadt und ihrer „Marina", der übrigens bis zum Beginn des montenegrinischen Regimes nur ein elender Saumpfad war, kaum einem Fussgänger, geschweige denn einem Wagen, so wird man noch ganz anders enttäuscht, wenn man endlich den Strand selbst erreicht. Das Wort „Hafen" zaubert ja doch unwillkürlich einen Wald von Masten vor das Auge; man hört das schrille Pfeifen von ankommenden oder abgehenden Schiffen, vernimmt das Getümmel des Aus- und Einladens und fühlt sich hineinversetzt in das eigentümliche und unvergleichliche Getriebe, das man eben unter „Hafenleben" versteht. Von alledem ist hier nichts zu bemerken. Am Abhang des kahlen, niedrigen Höhenzuges, der das Vorgebirge von Volviza ins Meer hinaus entsendet, stehen vier bis fünf Häuser, von denen indes nur eins, in welchem sich das Hafenamt und die Lloydagentur befindet, ansehnlichere Dimensionen aufzuweisen hat. Vor dieser winzigen Kolonie sind eine Anzahl alter, ganz verrosteter Kauonenvollkugeln vom grössten Kaliber bis zur kleinen Kartätsche zu einem Haufen aufgetürmt. Unweit davon liegt das Wrack eines Karren, dessen Räder sich bereits bis an die Nabe in den weichen Sand des Ufers eingesenkt haben. Drei bis vier Ruderböte schaukeln in der seichten Flut oder sind auf den Strand gezogen und dort umgestürzt postiert worden. Damit ist aber auch die Aufzählung aller Anlagen und Füablissements, aller Docks und Strandbefestigungen, aller Masten und Flaggen dieses Hafens erschöpft. Kein rauchender Dampfschlot, kein geblähtes Segel belebt sein Bassin. Wird auch draussen auf hoher See einmal ein Fahrzeug bemerkbar, es lenkt nicht hier herein, es eilt vorüber, gastlicheren Gestaden entgegen. Um das Bild trostloser Öde aber noch zu vervollständigen, breitet sich dicht bei jenen Häusern eine ansehnliche Lache mit grasgrünem, übelriechendem Wasser aus, und rings umher wuchern zahlreiche Stauden der Thuja, des „Lebensbaumes", so dass das verlassene Gestade in der That das Aussehen eines Kirchhofes erhält. Und doch ist auch hier die Natur dem Menschen mit so reichen Gaben entgegengekommen. Fast alle Vorbedingungen zu einem blühenden Seestapelplatz sind an dieser Stelle vorhanden. Der weite Bogen, mit welchem das Meer in das Land hineinschneidet, grenzt ein geräumiges Bassin ab, das ganze Flotten aufnehmen könnte. Der Hügelzug von Volviza, der gegen Nordwesten ins Meer vorspringt und die Bucht von der offenen See trennt, verleiht, obwohl er nur 25 Meter hoch aufsteigt, doch ziemlichen Schutz. Nordwärts, wo das Wasserbecken ohne weiteres ins freie Meer übergeht, dürften Anlagen, wie sie die moderne Wasserbautechnik so meisterhaft zu entwerfen versteht, die Borastürme, die sich manchmal noch bis hier herunter verlieren, mit Erfolg abzuhalten imstande sein. Gegen Osten endlich bilden die hohen Mauern des Sutorman und der Rumija, zu denen drüben das Terrain rasch aufsteigt, treffliche Naturschutzmauern. Die ausgedehnte Ebene aber, die südöstlich den Halbbogen der schönen Bai umlagert, könnte in den blühendsten Gefilden die lebhafteste Seehandelsstadt tragen. Möchte es den neuen Herren dieses bedeutsamen Punktes, den Montenegrinern, gelingen, in solcher Weise hier die günstigen natürlichen Verhältnisse auszubeuten, möchte die blutige Einnahme von Antivari, durch die das Volk der „schwarzen Berge" seine Grenzen endlich bis ans blaue Meer vorgeschoben hat, dazu dienen, dass der Hirtenstamm eine seefahrende Nation werde und Wohlstand an die Stelle der Dürftigkeit trete! Zur Zeit liegt noch der Fluch der Türkenwirtschaft auf diesem Schemen Stück Erde. Hoffen wir, dass unter dem Kreuz, das den Halbmond hier gestürzt hat, statt dessen reicher Segen erblühe! Wir machten den Bewohnern des grössten der wenigen vorhandenen Häuser, dem Hafenkapitän und dem Lloydagenten, einer. Besuch. Wir lernten in beiden höchst angenehme Leute kennen. Alter namentlich der letztere befand sich trotz der freundlichen, aussichtsreichen Wohnung, die man ihm gegeben, wenig wohl. Er selbst wie auch seine ganze Familie litt schrecklich am Fieber, das, jedenfalls infolge der Ausdünstungen der erwähnten Lache und anderer sumpfender Stellen der Ebene, diesen Strand heimzusuchen pflegt. Die blassen Gesichter mit den breiten, dunklen Ringen um die Augen erweckten unser grösstes Mitleid. Wir sahen in den Bureaus der montenegrinischen Flafen-verwaltung die neuen, prächtigen Flaggen und die schön gemalten Schilder mit dem Landeswappen, die von nun an die montenegrinische Herrschaft hier anzeigen sollen. Möchte man mit diesen prunkenden Siegeszeichen sich nicht begnügen, sondern namentlich recht bald die Gesundheitsverhältnisse des Halens verbessern, was durch Entsumpfung der Ebene ohne grosse Kosten geschehen kann! Glücklicherweise bildete die Enttäuschung, mit der wir vom Halen zurückkehrten, nicht den Abschiuss unseres so genussreichen Aufenthalts in Antivari. Vielmehr sollte der letzte Abend noch zu einer recht schönen Erinnerung für uns werden. Auf der ziemlich hohen und steil abfallenden Erhebung im Westen der Trümmerstadt, die von dieser letzteren nur durch den breiten und tiefen, ganz vom Grün der Feigen erfüllten Wallgraben geschieden wird, erhebt sich ein nettes, weiss getünchtes Häuschen. Eine breite Treppe führt zu ihm empor* Oben ist vor der Fangangsthür mittelst schöner Steinfliese eine Plattform geschaffen, die durch eine Art Triumphthor gegen den Wallgraben hin abgeschlossen wird. Man hat antike und mittelalterliche Architekturfragmente, Säulenstümpfe, Grabsteine, Torsos von Statuen und dergleichen mehr nicht ohne tieschick zu einer Mauer verbunden. In der Mitte ist ein altes Steinbild mit einer leider ganz verwitterten Christusfigur angebracht, welche die noch wohl erkennbare Inschrift j. PI. S. (Jesus hominum Salvator) trägt. Über dem ganzen kleinen Kunstbau weht von hoher Flaggenstange die montenegrinische Fahne den zerstörten Mauern drüben entgegen. Mir war die niedliche Anlage deshalb noch ganz besonders interessant, weil sie mir bewies, dass dem einfachen montenegrinischen Volke auch Kunstsinn und ein erhaltender Zug eignet, der dem Osmanentum bekanntlich so fremd zu sein pflegt. Von diesem originellen Altan tritt man in ein ziemlich geräumiges, einfaches aber sauberes Gemach, in welchem auf einem grossen, runden Tische die verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften aufliegen. Wir befinden uns in der Lesehalle von Antivari, einer Schöpfung neuesten Datums. Also doch schon etwas Positives, das die ins Leben gerufen haben, deren erstes Auftreten hier nur Trümmer und Leichen im Gefolge zu haben bestimmt war. Und von welcher Weisheit und Mässigung zeigen die Grundsätze, nach welchen dieser Verein gegründet ist! Denn siehe, auf der Tafel, die dort an der Wand hängt, stehen die Namen von Christen und Muhammedanern, von griechisch und römisch Katholischen. Also auch hier die milde, billige und entgegenkommende Gesinnung, die den Türken, den man im Kriege als Todfeind bekämpfte, nun im Frieden als gleichberechtigten Volksgenossen anzusehen vermag. Diese Hochherzigkeit hat den Crnagorsen wie anderwärts so auch in Antivari Sympathien erweckt und verhältnismässig bald schon eine Annäherung der sonst durch eine so tiefe Kluft geschiedenen Nationen und Religionen erwirkt. Ehre den Montenegrinern dieser-halb, sowie überhaupt deswegen, dass sie, die bei uns so vielen noch als eine rohe und bildungsunfähige, nur auf Raub und Mord ausgehende Rasse gelten, in der zerstörten Stadt vor allem an die Begründung einer Stätte der Bildung und geistigen Nahrung gedacht haben! Wie manche sogenannte Kulturvölker und civilisierte Eroberer werden dadurch beschämt! Natürlich ist, wie in Cetinje, so auch hier, wo die papiernen Plauderer aus verschiedenen Ländern, aus Italien, Russland, Serbien, Griechenland, der Türkei u. s. w, zusammenfliegen, — deutsche Zeitungen fand ich nicht mehr vertreten, was bei der geringen Zahl der Einwohner Antivaris, die noch unserer deutschen Sprache mächtig sind, wohl erklärlich erscheint. — zugleich der Rendezvousplatz für die Elite des Ortes. Ich lernte daselbst beispielsweise den Herrn östreichischen Konsul, den römisch-katholischen Geistlichen u. a. kennen. Kurz, es war der Aufenthalt in dem Lokale, das insofern ein trockenes heissen musste, als weder Bier, noch Wein, noch Schnaps zu haben war, ohne welche Anziehungsmittel häufig Leute bei uns nicht auszudauern vermögen, doch so interessant, dass wir lange blieben und erst unser Quartier aufsuchten, als draussen schon der helle Mond regierte. Welch ein Bild aber, das sich uns dann noch wie zum Abschied auf dem Altan daselbst bot! Aus der finsteren Schlucht, in die das Licht der glänzenden Kugel droben nicht hineinfallen konnte, erhob sich, hell beleuchtet, die Trümmerstadt auf ihrem P'elssockel. In geisterhaftem Schimmer ragten die zerschossenen Mauern, die fragmentarischen Minarets in die Luft, eine grausige Illustration zu dem alten, trüben Wort: „Es ist alles von Staub gemacht, und wird wieder zu Stauf)." (Predig. Salom. {), 20.) VI. Von Antivari zu Land nach Dulcigno. Über den Moschur-Pass in die Bojana-Ebene. Dulcigno in der Phantasie der Litteraten und Dulcigno in der Wirklichkeit. Wandelnde Mumien. Zu Gast beim Gouverneur. Ein Piraten-Nest aus dem Altertum als Nizza der Zukunft. Am anderen Morgen galt es, schon frühzeitig auf den Beinen sein. Ich wollte der Sonne den Rang ablaufen. Denn ich hatte seiner Zeit bei unserer Ankunft auf dem Hügel im Norden der Stadt, von dem man den prachtvollen Blick auf das Ruinenmeer geniesst, um deswillen keine photographische Aufnahme machen können, weil der uns begleitende Zigeuner bereits mit dem Packpferde in die Stadt voraus gezogen war. Später hatte ich es unter all dem Schauen und Festieren nicht ermöglichen können, jenen Standpunkt noch einmal aufzusuchen. Ich wollte mir aber doch das hochpittoreske Städtebild nicht entgehen lassen. P2s konnte indes an eine Ausführung meines Vorhabens nur gedacht werden, so lange die Sonne noch nicht aufgegangen war und ihr blendendes Licht in meinen Apparat fallen Hess. Leider erreichte ich dies nicht. Als ich wieder da droben stand, stieg das glänzende 'Pagesgestirn bereits über das Felsenhaupt des Lisin empor. Natürlich versuchte ich das Abkonterfeien gleichwohl. Doch habe ich zu Hause die Platte leider leer befunden. Bei dieser Gelegenheit hatte ich ausserdem noch das Unglück, meinen Schlüsselbund mit sämtlichen Schlüsseln zu verlieren, was insofern ausserordentlich fatal war, als in Antivari und wohl auch im ganzen Lande kein Schlosser zu finden ist. Missgestimmt kehrte ich in die Stadt zurück, hatte aber die Freude, bald schon einen alten Türken mit den vermissten Gerätschaften ankommen zu sehen. Bei dieser Gelegenheit wurde mir mitgeteilt, dass hier überhaupt eine ausserordentliche Ehrlichkeit an der Tagesordnung ist. Beispielsweise wird alles, was die Leute finden, einfach an einer Schnur öffentlich ausgehängt, damit die berechtigten Eigentümer es sich abholen können. Auch noch ein Missgeschick war mir an diesem Morgen be- stimmt. Ich stand nämlich kurz vor der Abreise auf der Strasse vor unserer Wohnung. Plötzlich, ohne dass ich eine Bewegung gemacht hätte, zog es mir auf dem spiegelglatten Pflaster die Peine weg, ich stürzte nieder und verrenkte mir dabei die linke Hand dermassen, dass sie stark anschwoll und ich noch wochenlang Empfindung behielt. Indes was war zu machen? Bei der Grösse der Reise, die wir noch vor uns hatten, konnten wir unmöglich länger in Antivari bleiben. Und so stieg ich denn wenige Minuten später zu Pferd, wenn ich gleich nur mühsam den heftigen Schmerz vor meinen crnagorischen Begleitern verbeissen konnte. Denn selbstverständlich zog auch hier wieder der ganze Tross unserer rasch gewonnenen Freunde ein Stück Wegs mit uns. ja am liebsten hätte man uns noch zurückgehalten. Parier der liebenswürdigen Menschen versprach sogar, uns am nächsten Tage in sechs Stunden mit seiner Barke mühelos nach Dulcigno zu führen. Nun eine solche Segelfahrt hatte ihr Verlockendes, zumal das Wetter herrlich und die See ruhig war. Allein wir wollten ja das Land kennen lernen. Das grössere oder geringere Mass von Strapazen kam dabei nicht in Betracht. Deshalb blieben wir denn auch unserem alten Vorsatz treu, zu Land unser Ziel zu erstreben. Wir verliessen die Trümmerstadt in südlicher Richtung. Bei der einsamen Kirche, die wir am Tag zuvor besuchten, machte das stattliche Komitat Kehrt, nachdem wieder jeder einzelne uns geküsst und unter herzlichen Worten und Segenswünschen Abschied genommen hatte. Nur der sangeskundige Intendant konnte sich auch jetzt noch nicht von uns trennen; er hielt es für seine Pflicht, den Pmrengästen noch weiter das Geleit zu geben. Aber die Trennung hatte auch ihm, dem allezeit lustigen Poeten, den Humor verdorben. Still und in sich gekehrt ritt er uns auf seinem zierlichen Schimmel voran. Der Weg ist im ganzen recht gut und wenigstens viel besser, als die meisten der Pfade im „steinigen" Altmontenegro. Ja etwa ein Drittel seiner ganzen Länge, nämlich die Strecke bis dahin, wo es links ab nach Skutari geht, zeigt sogar kunstvolle Anlage, nämlich regelrechte Pflasterung. Denn zwischen Antivari und Skutari bestand jedenfalls schon früher ein lebhafter Karawanenverkehr, und es mag dieser mit den Mitteln damaliger Strassenbautechnik angelegte Saumpfad wohl bereits im Mittelalter, in der venetia-nischen Periode, hergestellt worden sein, wenn er nicht vielleicht gar bis in die Römerzeit zurückzuführen ist. Freilich nur weiss jedermann, welcher einmal derartige Wegverbesserungen, etwa in Südtyrol oder Italien, gekostet hat, dass sie bei der Glätte der runden Steine, die zur Pflasterung verwendet wurden, eher Weg-verböserungen heissen mussten. Auch das wäre ein Irrtum, wenn man, gestützt auf unsere für jene Gegend ungenauen Karten, glauben wollte, dass eine Reise tun Antivari nach Dulcigno immer gemächlich auf dem ebenen Strande sich fortbewegen könne. Das Gestade des Meeres ist auf dieser Strecke vielfach wieder Steilküste. Plateaus und selbst höhere Rücken treten bis ans Wasser vor und wollen erstiegen beziehentlich überstiegen sein. Und zwar fängt diese Arbeit gar bald an. Nur etwa eine halbe Stunde durchwandert man die weite Ebene, die sich hier vom Hafen aus noch ein Stück parallel mit dem Meere, aber von diesem schon durch eine Küstenkette geschieden, südwärts fortzieht. Dann aber sind wir genötigt, anzusteigen. Dabei geniesst man, sobald man sich umwendet, den prachtvollsten Rück auf die Bai von Antivari mit ihrem tiefblauen Wasserspiegel und das silbergrüne Meer von Olivenwäldern, das die ganze, stundenweite Niederung ausfüllt. Aber man hat nicht einmal nötig, sich umzuwenden, um voll höchstem Entzücken erfüllt zu werden. Denn hier breitet sich zur Rechten und Linken des schmalen Wegs eine Pracht der Vegetation aus, wie sie verschwenderischer an keinem Punkte der Mittelmeerküsten getroffen werden dürfte. Dickstämmige Ölbäume mit der dichten Krone ihrer mattglänzenden Blättchen, dazwischen die dürren, pilzartigen Pinien mit ihrem horizontalen Schirm aus dunklen Nadeln, Stauden wilder Granaten mit den gold und rot angehauchten Blättern, vielästige lAngenbüsche, von Früchten überladen, vor allem aber Myrtenhecken und grossblätterige Lorbeeren, letztere von äusserst regelmässiger, pyramidaler Gestalt, fünf bis sechs Meter hoch, von unten bis oben dicht bebuscht, das bildete unsere Umgebung. Welch ein Kapital, das waren meine Gedanken, als ich, nicht selten bis auf den Pferdehals niedergebückt, unter den überhängenden Zweigen durchritt, nur allein diese Prachtexemplare von Lauras nobitis, wenn man sie zu Hause im kalten Norden hätte und in die Orangerien und Wintergärten unserer Krösusse verkaufen könnte! Auch eine neue Pflanze gesellte sich jetzt zu den bisher in Montenegro von uns angetroffenen, lieblichen Kindern der Natur, ein hober und umfangreicher Strauch mit langen, mattgrünen, binsenartigen Stengeln. Es ist dies der sogenannte spanische Ginster*), dessen Käser im Lande neuerdings zu gröberen Geweben verwandt oder aber für die Zwecke der Papierfabrikation ausgeführt wird. Eine Textilpflanze fand ich auch auf den Äckern in dieser Gegend, und zwar keine geringere als unseren Lein, aus dessen hellem Grün sich hier und da Feldscheuchen zur Abwehr der Vögel erhoben. Doch schien mir diese Vorsichtsmassregel nicht recht angebracht. Denn trotz der üppigen Natur gab es hier, jedenfalls infolge der grossen Hitze, die bereits am frühen Morgen sich fühlbar machte, ausser dem unvermeidlichen Kuckuck und der Nebelkrähe**) nur wenige der gefiederten Bewohner der Lüfte. Dagegen waren Vertreter der Tiergattungen, die eine derartige Treibhauswärme lieben, nämlich Eidechsen, grosser wie kleiner Sorte, und ganz besonders Blindschleichen***) von einer Grösse, wie wir sie bei uns nicht kennen, äusserst häufig. Nach etwa anderthalb Stunden änderte sich die Scenerie. Wir waren auf eine ausgedehnte Hochfläche gekommen, die links von den nackten, grauen Wänden des Lisin begrenzt wurde, während sie sich rechts in einer Entfernung von drei bis vier Kilometern mit schroffen Klippen hundert bis zweihundert Meter tief zum blauen Meer niedersenkte, das sich als eine einzige, in dieser Gegend von keinem Eilande mehr unterbrochene, aber auch von keinem Schiffe belebte Fläche unermesslich vor dem Auge ausdehnte. Mit der Eänöde der blauen Salzflut stimmte auch der Boden, auf dem wir uns bewegten, der nach der unbeschreiblichen Üppigkeit, welche die Natur uns kurz vorher gezeigt, nur noch dürftige Maisfelder aufzuweisen hatte oder sich auch ganz kahl und mit unfruchtbarem Geröll bedeckt darstellte. Wie passten zu solcher Staffage so wohl die türkischen Fried- *) Spartium junceum L. **) Corvus corhix L. ***) Anguis fragilis L. höfe, die wir mehrmals passierten, uneingefriedigte, ebene Flächen, auf denen, dicht aneinander gereiht, zahlreiche Grabmonumente, lange, schmale Steine standen, die als einzige Zierde ausser ihren fremdartigen Schriftzeichen nur mitunter einen turbanähnlichen Kopf trugen! Die meisten von ihnen aber zeigten sich grau vor Alter, verwittert sowie auch schon ganz oder teilweise zusammengestürzt, ein Bild von dem Verfall des grossen Reiches selbst, dessen gläubige Unterthanen unter ihnen den ewigen Schlaf hielten. Das war so recht eine Landschaft für eine trübe Abschiedsstunde, wie sie uns nun bevorstehen sollte; denn der letzte unserer FYeunde von Antivari wandte hier sein Rösslein plötzlich auf den Hacken um. Er hatte mit uns noch einen Abschiedstrunk nehmen wollen, aber der „Man", ein kleines, dürftiges Flauschen, das am Wege lag, war verschlossen. Darum ritt er nur an jeden von uns heran und so wurde, Pferd an Pferd, der Abschiedskuss gewechselt. Dann sprengte der treffliche Mann davon und wir sahen uns von nun ab bezüglich der Unterhaltung auf uns selbst angewiesen, denn der Pferdediener, der uns begleitete, ein zerlumpter, aber diensteifriger Bursche, war ein Arnaute und selbst für meinen vielsprachigen Dolmetscher nicht zugänglich. Trotzdem wusste der Mensch sich die Zeit recht wohl zu vertreiben. Denn fast während des ganzen Marsches sang er in der isotonen, näselnden Weise des Orients vor sich hin. Herr Rovinski, der auch den Volksstamm, dem jener angehörte, wohl kennt, sagte mir bei dieser Gelegenheit, dass die arnautische Rasse im Gegensatz zu den Slaven, die zumeist nur ihre 'Perne hören lassen, wenn sie freudig bewegt sind, gerade dann den Mund zum Gesang öffnet, wenn sie sich in trauriger Stimmung befindet. Nach einiger Zeit glückte es uns endlich auch, eine bei der herrschenden Sonnenglut besonders nötige Erfrischung zu erlangen. Wir kamen nämlich an eine Ouelle, die den bezeichnenden Namen „Gutwasser" (dobravoda) führte. Unweit derselben stand ein zweiter Han, der bewohnt war. Freilich das Innere entpuppte sich nur als ein kleines, ganz verrusstes Loch, aber der Insasse, ein fürchterlich wild aussehender, jedoch in Wirklichkeit recht freundlicher Türke, der die Vorübergehenden durch Aufstellung kleiner Kaffeetassen auf einem Brette anzulocken pflegte, lieferte in Wahrheit einen recht erquickenden Trank. Von diesem Punkte aus zog sich unser Weg noch lange auf der Hochebene fort, immer mit den prachtvollsten Ausblicken auf die glitzernde Meeresfläche, bis wir in der Nähe eines uralten Ge-mäuers, jedenfalls eines ehemaligen Festungsturmes, der links sichtbar wurde, plötzlich in ein tiefes, in der Richtung von Ost nach West streichendes und in das Meer ausmündendes Thal hinabblickten, dessen breite Sohle Üppig grüne Getreidefelder füllten. Auf holprigem Wege stiegen wir hinunter, trafen aber, wie auf dem ganzen Marsche bisher, so auch hier, keine Menschen. Nur einzelne Häuser wurden weiter zurück sichtbar. Nachdem wir auf recht gutem, steinlosen Pfade die breite Niederung samt ihrem kleinen Wässerchen überschritten hatten, zogen wir an der jenseitigen Thallehne aufwärts. Aber welche Waldespracht, die uns jetzt umgab! Während, entsprechend einem schon wiederholt betonten Gesetze, das sich in diesen Gegenden geltend macht, das Gehänge drüben, welches dem vollen Strahle der südlichen Sonne ausgesetzt ist, fast kahl war, hatte die Nordlage dieses Höhenzuges ein ganz unglaubliches Wachstum begünstigt. Nie zuvor sahen wir in Montenegro eine ähnliche Fülle, und auf der Weiterreise fanden wir auch nur im äussersten Osten des Landes Seitenstücke dazu. In dichten Massen standen hier schnell emporgeschossene Fachen mit so intensiv glänzendem, lichtgrünem Laube, dass das Auge dadurch fast geblendet wurde. Leider waren die prächtigen, schkmken Stämme stellenweise dadurch verunziert, dass man — ein Verfahren, welches in vielen Teilen des Landes gehandhabt wird — bis weit hinauf die Äste abgehauen hatte, um Schafe oder Ziegen mit den Blättern zu füttern. Die infolge dessen vielfach nur noch an der obersten Spitze mit einem Laubbüschel gezierten, kahlen, hochaufgeschossenen Stangen beeinträchtigten das schöne Waldbild nicht wenig. Glücklicherweise hatte die unverdrossene Mutter Natur dafür den Boden zwischen diesen Bäumen um so herrlicher ausstaffiert. Wicken und Winden, Butterblumen und Citisusbüsche bildeten hier einen Teppich von ausserordentlicher Pracht. Linen ganz besonders eigenartigen Anblick aber bot eine Pflanze, die ich sonst kaum wiedergefunden habe. Sie zeigte eine grosse Ähnlichkeit mit unserer Rotbuche, nur waren die Blätter viel kleiner, äusserst schmal und mit tiefer eingezogenen Rippen versehen. Was indes das Merkwürdigste genannt werden musste, das Laub umgab die Äste, die der Stamm nach allen Seiten, vom Boden bis zur Krone, aussendete, und die nicht selten förmlich auf der Erde hinliefen, in ihrer ganzen Länge mit so dichten Büscheln, dass das ganze, allerdings meist nur ein bis zwei Meter hohe Ge-wächs ein einziger Blatthaufen wurde, an dem nichts von Holz und Rinde zu entdecken war. Als wir, durch diese oft schier undurchdringliche Wildnis ansteigend, endlich auf ebeneres Terrain gekommen waren, erblickten wir plötzlich durch eine Waldblösse, von dem saftiggrünen Rahmen der Laubhölzer wunderbar gehoben, die blinkende Kette der oberall »artesischen Schneealpen, die uns, seitdem wir die Crmniza verlassen, nicht mehr zu Gesicht gekommen war. Vom Sutorman bis hierher hatte die mächtige Coulisse des Rumijazuges die Ausschau gen Osten eingeengt. Jetzt, wo dieses Gebirge zu dem niedrigen Hügelzug bei Skutari herabgesunken war, vermochte das Auge wieder bis zu den alten, beeisten Häuptern zu schweifen, die uns schon beim Eintritt nach Montenegro begrüsst hatten. Der Skutarisee selbst aber war nicht sichtbar. Von diesem interessanten Punkte aus wandte sich unser Weg, der von jenem Thale ab südostwärts gerichtet gewesen war, wieder mehr der See zu, die wir nach einiger Zeit plötzlich dicht vor unseren Füssen, jedoch in beträchtlicher Tiefe, an schwarzen Klippen schäumen sahen. Liier aber war uns zugleich die Bahn verlegt, denn die Steilküste verwehrte den Alistieg seitwärts zum Strande hinunter, während vor uns ein mächtiger Bergwall querüber sich legte. Somit wurde denn unsere bisher ziemlich bequeme Wanderung nunmehr zur Kletterpartie. Auch der Wald war hinter uns zurückgeblieben. Auf steinigem klänge ging es aufwärts. Nur der schon beschriebene spanische Ginster und Wachholderbüsche zierten noch die luftige Höhe. Nachdem die endlosen Serpentinen, mittelst welcher der holprige Saumpfad den Anstieg bewerkstelligt, keuchend und schweiss-triefend — denn der grossen Steilheit dieses Weges halber hatten wir absitzen müssen — überwunden waren, standen wir auf der Höhe des Passes, der nach dem Namen, welchen die ganze massige Erhebung trägt, Moschur-Pass heisst. Derselbe bildete gleichzeitig nahezu den Kulminationspunkt der ersteren. Denn rechts und links steigen nur noch niedrige Aufsätze, von Türkenschanzen gekrönt, empor. Wir erklommen den rechts von uns belegenen dieser Gipfel und genossen von diesem über 600 Meter hohen Punkte eine treffliche Aussicht, denn wir überblickten die vielgestaltige Küste der Adria, die dicht unter uns brandete, bis gegen Cattaro hinauf. Coulissenartig hinter einander gelagert, zeigten sie sich wie auf einer Reliefkarte, all die Vorgebirge von Volviza, Spiza, Budua u. a. (regen Osten war dagegen der Blick vorläufig noch beschränkt. Erst als wir etwas abgestiegen waren, wairde auch nach dieser Richtung der Vorhang gehoben. Man sah plötzlich sogar das Meer auf der andern .Seite der weit vorspringenden Ecke, auf welcher Dulcigno liegt. Deutlich war der breite, gelbe Streifen zu unterscheiden, den die schmutzigen Wasser der Bojana noch lange nach ihrer Einmündung in die See mitten in den blauen Wogen der salzigen Flut zu bewahren wissen, jenseits der ausgedehnten, herrlich grünen Ebene aber, durch die der mächtige Abfluss des Skutarisees sich schlängelt, tauchten in duftiger Ferne noch Gebirge auf, die wohl bereits tief im Herzen von Albanien gelegen sein mochten. Nur zu bald wurde diese durch den ungewohnten Anblick einer mellenweiten Niederung für einen Montenegro-Reisenden gewiss höchst anziehende Femsicht von dichtem Eichenwald, in den wir abermals gelangten, unserem Auge wieder entzogen. Längere Zeit wanderten wir unter dem schillernden Laubdache dahin, bis unser Weg sich schliesslich in ein schluchtartiges Defile hineinbegrub. Plier umwehte uns nach der Hitze draussen, die noch auf der luftigen Höhe des Moschur 28° C. betragen hatte, die angenehmste Kühle. Das Thermometer zeigte nur. 22°. Da ausserdem in dieser Enge auch eine klare Quelle mit Wasser von 14° Temperatur sprudelte, so benutzten wir die günstige Gelegenheit zu einer längeren Rast, beiläufig der einzigen ihrer Art auf der ganzen Tour. Zu unserer Freude sollten wir nun endlich auch Menschen sehen. Ganze Trupps von Landleuten zogen an uns vorüber. Unter ihnen lenkten namentlich die Weiber unsere Aufmerksamkeit auf sich. Dieselben waren ganz und gar in blendend weisse Gewänder gekleidet, welche von einem roten Leibgurt zusammen- Schwarz, Montenegro. 11 gehalten wurden. Die, so viel man sehen konnte, recht zarten Gesichter verhüllten zwar nach der Sitte des Islam weisse Schleier bis auf die Stirn und Augen, dennoch wurden wir fast von allen mit einem recht freundlichen Grusse bedacht. Von den Männern Hessen sich einige sogar neben uns nieder, doch waren nur wenige zu bewegen, von unseren Lebensmitteln zu nehmen oder aus unserem Gefässe zu trinken. Überhaupt konnte ich aus dieser Begegnung so recht die Wahrheit der Behauptung meines Dolmetschers ersehen, dass der Moschur eine Sprach-, Völker- und teilweise selbst Religionsscheide sei. Wir waren aus dem slavischen in das albanesische, aus dem christlichen in das türkische oder doch aus dem griechisch-katholischen in das römisch-katholische Gebiet, aus der Nordhälfte der Balkanhalbinsel in deren Südhälfte gekommen. Als wir unseren Weg wieder fortsetzten, wandten wir noch mehr, als schon vom Passe aus, dem Meere den Rücken, um in südöstlicher Richtung zu wandern. Wir zogen jetzt in einem Thale abwärts, das sich rasch erweiterte, während die Wände rechts und links immer niedriger wurden. Es war eine ungemein milde Landschaft, die sich unseren Blicken bot, in allem fast das Gegenteil von der Art des bisher durchwanderten montenegrinischen Gebiets. Nicht nur, dass unser Pfad ein recht angenehmer, fast glatter und steinfreier zu nennen war, es zeigte sich namentlich allenthalben ein ganz überraschender Wasserreichtum. Von den Lehnen quoll das nützliche Nass aus zahlreichen Quellen nieder, um dann in einem ansehnlichen Bache durch die breite Thalmulde weiter zu rauschen. Kein Wunder, dass auch eine ausserordentliche Fruchtbarkeit herrschte. Saftige Wiesen wechselten mit wohlbestandenen Feldern, nordische Obstbäume mit Feige und Olive. An schlanken Pappeln kletterte der Wein mit einem 6—8 Zoll starken Stamm, der sich wie eine Riesenschlange um den Baum wand, 20—30 Meter hoch empor, um dann von oben seine Trauben um so verlockender niederhängen zu lassen. Aul dem Abhänge zur Linken, der, weil nach Westen gekehrt, wiederum fruchtbarer war, als sein Gegenüber, schauten aus dichtem Grün weissgetünchte Landhäuschen, deren Bewohner man überall auf den Fluren in emsigster Thätig-keit, pflügend oder grabend, erblickte, Das Ganze bot in der That ein Bild, wie ich es hier nicht zu finden erwartet hatte, ein Bild, dem fast etwas an die ferne Heimat Erinnerndes innewohnte, so voll warmen Lebens stellte es sich dar. Wenn noch eine Ähnlichkeit mit den fatalen Kalkgestaden am Ostufer der Adria vorhanden war, so offenbarte sie allein der rechte Hang dieses Thaies, der sich fast ganz mit grauen Felsstücken übersät zeigt, so dass er seinen Namen „Weisser Berg" nicht mit Unrecht trug. Doch sprosste auch an seinem Fusse etwas Leben. Farnkraut, Brombeersträucher und Stechpalme*) bildeten hier ein undurchdringliches Chaos. Endlich hat sich der Hügelzug links ganz verflacht, wir sind thatsächlich in der weiten Bojanaebene angekommen; aber wo ist Dulcigno, die Königin derselben, unser heissersebntes Ziel? Nun nur noch wenige Minuten Geduld, bis der Höhenzug zu unserer Rechten nach Westen umbiegt, dann liegt, wenn wir mit ihm schwenken, plötzlich die vor kurzem noch so wenig bekannte und doch so viel besprochene Stadt vor uns. Aber wie ist das, was wir hier vor uns sehen, so ganz anders, als was wir erwartet hatten! Als die europäischen Grossmächte vor wenig Jahren die bekannte Flottendemonstration ausführen Hessen, um die Türkei zur Abtretung von Dulcigno zu zwingen, da hiess es in den Tagesblättern, letzteres sei ein elendes Felsennest, welches all des weltbewegenden Rumors gar nicht wert erscheine. Mehrere illustrierte Journale brachten darauf selbst Abbildungen, auf denen ein Häuflein halbverfallener Häuser am Fusse eines aus dem Meere aufsteigenden, kahlen Berges mit der Unterschritt „Dulcigno" zu sehen war. Wiederholt hiess es sogar, dass die todesmutigen Bewohner entschlossen seien, die ganze Ansiedelung in die Luft zu sprengen; oder es wurde darüber debattiert, ob die schwimmenden Fanzerkolosse Europas die widerspenstige Stadt dem Erdboden gleich machen sollten oder nicht. Wie unendlich lächerlich erschien mir nun, wo Dulcigno leibhaftig vor mir lag, alles, was in dieser Weise über dasselbe verbreitet worden war. Wie stellten die thatsächlichen Verhältnisse nahezu das Gegenteil von jenen Phantasiegebilden dar! "*) Hex aquifolium L. Aus der weiten Bojanaebene steigt eine breite Mulde sanft gegen Westen an. Dieselbe ist ganz und gar erfüllt von dem üppigsten Grün der Feigen-, Oliven- und Mautbeerbäume. Hier und da schimmert aus dem Blättermeere ein graues Dach oder eine weisse Mauer. Diese Einsenkung wird links von einem niedrigen, aber, weil gegen Norden gekehrt, wiederum dicht be-busehten und bewaldeten, stellenweise ebenfalls mit zerstreuten Häuschen besetzten Höhenzug, rechts dagegen von dem bereits genannten „weissen Berge", einem der Sonne direkt exponierten und daher gänzlich kahlen, felsigen Hang eingeschlossen. Das ist Dulcigno, wohlverstanden aber nur der eine Teil desselben, das so zu sagen binnenländische, vom Meere gar nicht sichtbare Dulcigno. Dasselbe gleicht unbestreitbar mehr einem zertragenen Dorfe, denn einer förmlichen Stadt. Es imponiert nicht, aber es macht durch sein Grün und seine in demselben halb versteckten Gebäude einen anheimelnden Eindruck. Wie in aller Welt hätte man eine solche kolonieartige Ansiedelung in die Luft sprengen oder gar vom Meere aus bombardieren wollen? Doch vielleicht entspricht die andere, der See zugekehrte Stadthälfte dem Bilde mehr, das Europa von Dulcigno sich gemacht hat. Wir reiten daher in der Mulde aufwärts, an den auf einem Vorsprung des „weissen Berges" weithin sichtbar gelegeneu einfachen, aber netten Kirchen der beiden grossen christlichen Konfessionen vorbei. Bald befinden wir uns mittten unter den Häusern. Aber wahrlich, da könnte man sich von den Gestaden der Adria plötzlich an die des Bosporus versetzt wähnen! Hier entdecken wir ja schon statt der Fenster die bekannten dichten, buntbemalten Holzgitter, hinter deren jedem die Phantasie abendländischer Reisender eine Schöne aus den Harems vermutet. Ja da taucht auch wirklich bald da, bald dort eine der vermummten siehe, Frauengestalten auf, die trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Verhüllung ihrer Reize den Ländern des Muhammedanismus einen so grossen Reiz verleihen. Wenn aber vor kurzem der Scheikh ul Islam in Stambul in einem Erlass an die Gläubigen darüber klagte, dass die vom Koran angeordnete Verschleierung der Frauen allzu lax gehandhabt werde, so kann er damit unmöglich die Verhältnisse in Dulcigno im Auge gehabt haben. Hilf Himmel, welch eine geradezu abscheuliche Vermummung ist hier Sitte! Eine Art dicke, grobe Pferdedecke von schinutzigbrauner Farbe, die oben in eine lange, spitze Kapuze ausläuft, wie sie die Totenbrüderschaften in Italien tragen, umhüllt den ganzen Körper vom Scheitel bis unter die Kniee. Statt des Gesichts aber lässt diese einfachste aller Damengarderoben nur einen hässlich bunten, geblümten Kattun- oder Seidenstreifen zu Tag treten, der in allen Fällen so dicht ist, dass man nicht einmal die Gegend der Nase oder des Kinnes entdecken kann. Man meint in der That ägyptische Mumien, direkt dem Dunkel der Grabkammern entstiegen, dahin huschen zu sehen. Glücklicherweise scheinen die Schönen von Dulcigno bei dieser undurchdringlichen Einpuppung auch mehr der Ortssitte sich anzubequemen, als hyperorthodoxen Eingebungen zu folgen. Denn wenn zufällig kein Türke in der Nähe ist, so pflegen sie häufig, wie ich hundertmal beobachtet habe, das maskierende Tuch für eine Sekunde zur Seite zu schieben und ihr Antlitz zu zeigen. Endlich waren wir auf der obersten Höhe, zu der die Thal mulde emporsteigt, angekommen. Hier ist uns, wenn wir uns noch einmal rückwärts wenden, zunächst ein prächtiger Fernblick auf die weite, grüne Bojanaebene gestattet. Vor uns aber zieht sich von dieser jochartigen Einsattelung wiederum ein Thälchen abwärts, um bald ins Meer auszumüden, dessen blauer Spiegel von unten heraufgrüsst. Die rechte Einfassung dieser zweiten Mulde ist noch immer die Fortsetzung des „Weissen Berges". Jedoch werden jetzt auf dem kahlen Rücken eine Unmasse verfallener Häuser sichtbar. Das ist das alte Dulcigno, das, wie man behauptet, wegen Wassermangels verlassen werden musste. Der ganze Höhenzug stürzt endlich nach einem letzten, hohen, kuppenartigen Aufsatz, der die Festung samt einer Anzahl noch bewohnter Häuser trägt, steil zum Meere ab. Dieser letztere, in ziemlicher Entfernung über dem modernen Ort thronende alte Stadtteil ist das Dulcigno, das die Welt anlässlich der Flottendemonstration zu sehen bekommen hat. Ein unternehmender Korrespondent mag von einem Schiffe aus draussen auf hoher See, von wo das eigentliche, im laubreichen Thale versteckte Dulcigno gar nicht sichtbar war, eine Skizze von jenem Felsennest entworfen haben, das er für die wahre Stadt hielt. Von der rechten Thallehne ganz verschieden ist auch hier die linke. Sie trägt reichste Bewachsung. Wo aber, wie dies an einigen ausgedehnteren Stellen der Fall ist, weder Wald noch Busch gedieh, da bietet in ausserordentlich dichten Beständen die Tris mit ihren blauen Blumen im Frühjahr einen prachtvollen Anblick. Einzelne Häuschen haben sich auch hier weit am Abhang empor gewagt. Die eigentliche Stadt aber nimmt die Thalsohle ein, jedoch in der Weise, dass auch jetzt wieder von regelrechten, fortlaufenden Strassen kaum die Rede sein kann. Ganz willkürlich haben sich die meist recht netten Gebäude bald hier bald da in das üppige Grün hineingebettet. Nur einmal, gleich von der Höhe an abwärts, zeigt sich ein Ansatz zu einer wirklichen Stadt. Es ist dies der unvermeidliche Bazar, eine, genau besehen, ziemlich kurze Reihe von Holzbuden, in denen die verschiedensten Waren zum Verkauf ausliegen. Erwähnen will ich von all dem Kram, der da aufgestapelt ist, nur die Thongefässe, die — man staune — von Malta hierher gebracht werden, ferner Galläpfel, welche einen bedeutenden Handelsartikel bilden, denn die Damen des Orts pflegen sich damit die Haare, wie es die Mode vorschreibt, kohlrabenschwarz zu färben. Die betreffende Prozedur muss etwa alle vier Tage wiederholt werden. Vielfach wurden auch Lämmerfelle zu billigen Preisen, sowie Brennholz, das Weiber herzugetragen hatten, Bäcker- und Fleisch waren, letztere in wenig Appetit erregendem Zustande offeriert. In zahlreichen Boutiquen sah man natürlich auch hier, wie im ganzen Orient, Handwerker, namentlich Schuhmacher und Schneider, indes selbst Bäcker, ihr Gewerbe ausüben, während dicht daneben in zahlreichen Cafes primitivster Art andere dem süssen Nichtsthun huldigten. Leider wiederholten sich aber jetzt die Scenen, die sich bei unserem Fanzuge in Antivari so häufig abgespielt hatten, durchaus nicht. Keine reckenhaften Gestalten stürzten aus den kleinen Läden hervor, um uns stürmisch zu umarmen. Mein Begleiter zählte in der bis vor kurzem noch türkischen Stadt nur wenige Bekannte. Statt der Kappa dominierte hier das Fez, und viel häufiger als in Antivari, wo uns schon die ersten Vertreter der schwarzen Rasse entgegengetreten waren, bedeckte dasselbe nunmehr den Krauskopf eines Negers. „ Am Ausgang des Bazars steht ein interessantes Bauwerk, ein alter Uhrturm mit einem der türkischen Zeitberechnung angepassten Schlagwerk. Wenn wir von hier weiter abwärts schreiten, hört die „Stadt" zeitweilig sogar ganz auf. Der holprige Pfad zieht sich, vielfach von türkischen Gräbern eingerahmt, an dem von den üppigsten, fruchtstrotzenden Feigenbüschen nicht selten ganz verdeckten Rache dahin, der von der Höhe, die mitten in der Stadt eine richtige Wasserscheide bildet, dem Meere entgegenfliesst. Erst nahe dem letzteren bilden einige Dutzend Häuser eine Art Hafenstadt mit den bekannten türkischen Gässchcn, die so schmal zu sein pflegen, dass man nicht die Arme ausbreiten kann, ohne rechts und links an die Mauern anzustossen. Doch bis in dieses Labyrinth hinein verlieren wir uns nicht, sondern steigen links etwas am Abhang empor, um ein hochgelegenes Haus zu erreichen, aus dessen Fenstern uns eine Stimme bereits einen herzlichen Wallkommen in deutscher Sprache zuruft. Nach wenig Augenblicken stehen wir vor dem Gouverneur von Dulcigno, Herrn Simo Popowitsch. Der „General", so würde man das Wort Woiwode auf deutsch etwa wiedergeben müssen, ist ein Mann in noch jugendlichem Alter, von hohem, schlanken Wuchs. Seine Bewegungen atmen Kraft und Anmut zugleich. Der ganzen Erscheinung ist eilte wohl-thuende Mischung von Würde und doch leichtem, ungenierten, einnehmenden Wesen eigen. Das feine, nur schwach gerötete Antlitz mit dunklem Haar und dunklen Augen, das eine flüchtige Ähnlichkeit mit den Zügen des Landesherrn hat, verrät Geist und Bildung. Beides besitzt der Herr Woiwode, ein östreichischer Serbe von Geburt, allerdings auch in hohem Grade. Der deutschen Sprache vollkommen mächtig, hat er die reichen Schätze unserer Litteratur nach allen Richtungen hin durchforscht. In seinem einfach aber geschmackvoll eingerichteten Arbeitszimmer zieren die Werke der gefeiertsten Geistesheroen unseres Volks die Wände. Hier sind Poesie und Prosa, strenge Fachgelehrsamkeit und Belletristik, alte und neue Zeit wohl vertreten. Sogar das vielbändige Meyersche Konversationslexikon hat seinen Weg bis in diesen entlegenen Erdenwinkel gefunden. Herr Simo Popowitsch zeigt sich aber auch selbst produktiv. Er ist, entsprechend der vorwiegenden Beanlagung der serbischen -Nation, ebenfalls Dichter, und zwar einer, der sich mit den tief- innigen Weisen, die seiner Brust entströmt sind, bereits manche Lorbeeren verdient bat. Er sucht gleichzeitig seinem Volke auch die Perlen fremdländischer Litteratur zu vermitteln und übertrug deshalb die Mahabharata, jenes altberühmte indische Epos, aus dem Deutschen ins Serbische. Dabei ist er indes nicht, wie manche Poeten, ein Träumer, der für das Leben der Wirklichkeit ungeeignet erscheint, vielmehr ein Mann von wahrhaft staatsmännischem Geschicke, wie ich mich selbst überzeugen konnte. Die Stelle eines Gouverneurs von Dulcigno, die ihm der Purst, dessen Liebling er allerdings ist, verliehen hat, verdankt er nicht etwa nur blosser Gunst. Seine Hoheit that entschieden einen höchst glücklichen Griff mit dieser Besetzung. Man kann sich ja denken, dass die Verhältnisse hier nicht leicht waren, dass der Posten keine Sinecure sein konnte. Die Bevölkerung der Stadt, die immerhin einige Tausend Köpfe zählt, hat zu 99/ioo eine andere Nationalität, andere Sprache und anderen Glauben als die Crnagorsen. Ja, den letzteren Punkt anlangend, so gehört ein nicht unbeträchtlicher Teil sogar dem Hanl, der intolerantesten aller Religionen, an. Von dem alten Plass der Türken gegen die Montenegriner abgesehen, hatte nun aber die albanesische Liga, das heisst, wie jeder Mann dort zu Lande weiss, die Regierung in Konstantinopel, die sich jenes Kunstprodukt nur geschaffen hatte, um unbehindert den Plänen der Grossmächte entgegenarbeiten zu können — die Dulcignoten noch besonders aufzureizen gewusst, so dass, wenn auch, wie erwähnt, an ein in die Luft Sprengen der Stadt seitens der Einwohner nicht zu denken war, die nach der Pdottendemonstration und den langwierigen Verhandlungen endlich einziehenden Crnagorsen doch keinen besonders günstigen Boden vorfanden. Wenige Jahre erst sind seitdem vergangen, aber wie ganz anders liegen heute die Verhältnisse! Bemerkungen in wissenschaftlichen Werken, in politischen Blättern und dergleichen, wie die, dass die Erwerbungen, die Montenegro südlich von seinen alten Grenzen gemacht habe, infolge der dort wohnenden widerhaarigen Bevölkerung mehr als fraglicher Natur seien, treffen, wenigstens was Dulcigno anlangt, das doch als die Hauptstadt oder wenigstens als der wichtigste Ort der im Süden annektierten Territorien anzusehen ist, durchaus nicht mehr zu. Dulcigno erscheint thatsächlich beruhigt und schon nach so kurzer Zeit mit der neuen Ordnung der Dinge zufrieden. Das hauptsächlichste Verdienst hieran aber ist, wenn man von der türkischen Misswirtschaft absieht, die ja die Leute unter jedem anderen Regime sich Wohlbefinden lassen muss, zum grössten Teile der Amtsführung des Herrn Woiwoden Popowitsch zuzuschreiben. Er pflegt vor allem eine ganz unerhörte, wahrhaft geniale und wohl auch etwas gewagte Furchtlosigkeit und Vertrauensseligkeit zur Schau zu tragen, die allerdings ihres Eindruckes namentlich auf orientalische Seelen nicht verfehlen kann. Bei uns würden in einer unter ähnlich schwierigen Verhältnissen erworbenen Stadt alle Strassen von Waffen starren. Herr Popowitsch hat — man staune — nicht mehr als 15 Mann Soldaten in Dulcigno und auch diese weniger zur Sicherung seiner Person, als für deit Wachdienst und für Polizeizwecke. Er selbst, der Gouverneur, geht zu allen Tageszeiten ohne Begleitung, ja meist sogar ohne Waffen durch den Ort, und vor seiner Thüre steht kein Posten, vielmehr hat hier jedermann fortwährend freien Zutritt. Wir waren selbst bei einer dieser zwanglosen Audienzen zugegen. Ein alter, ganz in Lumpen gekleideter Albanese, der indes trotz seiner abschreckenden Erscheinung über ansehnlichen Grundbesitz verfügte, trat ein, die Hand auf einen verrosteten Ladestock stemmend, den er als einzige Waffe im Gürtel trug, und liess sich ohne weiteres zu den Füssen des Gouverneurs nieder, der auf einem Sofa sass. In dieser kauernden Stellung brachte er in umständlicher Auseinandersetzung sein Anliegen vor. Aus seinem ganzen Wesen sprach dabei das unbedingteste Vertrauen zu dem neuen Gebieter, das allerdings durch die leutselige Art, mit der der Letztere ihm antwortete, voll gerechtfertigt wurde. Interessant für ethnographische Studien war hierbei die Entgegnung des alten Albanesen auf eine slavische Anrede durch meinen FYeund Rovinski. Er sagte nämlich: „Herr, ich verstehe nicht ,naschki'." Dieser Ausdruck heisst nun aber wörtlich: „unsere Sprache". Er wird indes von den Albanesen ganz allgemein für „slavisch" gebraucht, ein Beweis dafür, dass ehemals die slavische Sprache in diesen Gebieten in der That überall „unsere", das heisst, die eigentliche Landessprache war. Dass übrigens Herr Simo Popowitsch im gegebenen Pralle auch den rechten Übergang von der Milde zur Strenge zu finden weiss, mag folgender P'all darthun. Vor einiger Zeit erschienen ganz heimlich eine Anzahl Abgeordnete der albanesischen Liga in Dulcigno, um die Bewohner des Orts gegen die neue Ordnung der Dinge aufzuhetzen. Eine Zeit lang liess der Gouverneur, dem ihre Ankunft verraten worden war, die Sendboten gewähren. Als sich aber klar genug herausgestellt hatte, dass das Volk von der türkischen Wirtschaft nichts mehr hören wolle, befahl er die Leute zu rufen und erklärte ihnen, dass sie nun, wo sie alle Register, wenngleich erfolglos, gezogen hätten, die Stadt auch sofort verlassen mussten, widrigenfalls Gewalt gegen sie zur Anwendung kommen würde. Trotz des Mangels alles militärischen Pompes in seinem Auftreten rechnet Herr Simo Popowitsch dennoch auch mit der Neigung des Orientalen zu Prunk und Glanz und geht deshalb stets in elegantester, reich mit Gold gestickter Uniform einher, durch die seine schöne, feine P:rscheimmg in der That etwas Blendendes und Bestrickendes erhält. Deshalb hat er sich endlich neuerdings auch auf überaus günstigem Platze ein nach unseren Begriffen zwar immerhin einfaches, aber im Vergleich mit den ärmlichen Häusern des Ortes entschieden stattlich zu nennendes Palais errichten lassen. Dasselbe, solid aus Steinen aufgeführt, enthält eine Anzahl luftige, hohe Zimmer; der luissboden besteht teilweise aus zierlichen, glasierten Ziegeln, an den Penstern aber sind grüne Holzjalousien angebracht. Dies die in Montenegro allerdings fast beispiellose luxuriöse Ausstattung des Häuschens, das etwa an eine italienische Villa erinnert und in dieser seiner Einrichtung auch dem warmen Klima des Ortes durchaus angepasst sein dürfte. Der schönste Schmuck dieses Gouvernementspalastes ist jedoch unbestreitbar die geräumige Veranda, welche an die erste Etage angebaut wurde, denn von hier erschliesst sich ein ganz reizendes Panorama, Man sieht rechts hinab in das üppige Blättermeer der Thalspalte, aus welchem bald hier und bald dort eins der kleinen, niedlichen türkischen Häuserchen herauslügt. Gerade gegenüber ragt die Festung mit ihren Minarets und zerborstenen Mauern zum Himmel auf, während links der Blick auf den zierlichen Miniaturhafen mit seinen zwei oder drei kleinen Schiffchen, der fröhlichen, im Ufersande spielenden Kinderschar und den verwitterten Sand- steinklippen fällt, an denen seitwärts die Wellen branden. Von dieser anheimelnden Idylle schweift dann das Auge hinaus auf den ungeheuren Ocean, der in seiner überall auf der Erde sich gleichbleibenden Grossartigkeit draussen sich ausbreitet. Wir konnten uns an dem zauberreichen Panorama gar nicht satt sehen. Hatte doch auch der freundliche Herr General alles aufgeboten, um uns den seltenen Genuss einer wahrhaft südlichen Scenerie noch zu erhöhen. Trefflicher Gerstensaft schäumte in den Gläsern und der schönste türkische Tabak war es, dessen Rauch wir in die reine Abendluft hinaussandten. Dazu kam noch eine prächtige Brise, die uns von,der Salzflut draussen nach des Tages Last und Hitze zuwehte. Wie wohl that uns, die wir von dem etwa achtstündigen Ritte auf und ab nicht wenig erschöpft waren, doch all' dies! Und, um unser Glück voll zu machen, nun auch noch eine lebhafte Unterhaltung in den trauten Lauten der Muttersprache. Wer hätte eine Vereinigung so vieler Annehmlichkeiten in dem verrufenen Neste erwartet, von dem ich eher gefürchtet hatte, dass ein fanatischer, erregter Pöbel uns chikanieren würde! Nur zu bald sank die Dämmerung nieder. Unwillkürlich wiegte uns da das leise, gleichmässige Plätschern der Meereswogen zu unseren Füssen in Träumereien ein, aus denen uns erst eine laute Stimme dicht neben uns aufschreckte. Unten am Strande erhebt sich nämlich eine Moschee von der hier üblichen Form, nach welcher die Facade nur von Latten gebildet wird, über die das an den Pocken abgerundete Dach vorspringt. Erst in der Mitte des ganzen Gebäudes folgt dann die massive Mauer, die den Raum absperrt, der für die Gottesdienste berechnet ist. Ein Minaret von der bekannnten spitzen Form fehlt indes an keinem dieser eigentümlichen Bauwerke. Das war auch der Fall bei dem uns direkt zu Füssen belegenen Gotteshause. Der schlanke Turm stieg aber so hoch empor, dass die unter seiner zuckerhutförmigen Spitze angebrachte Galerie gerade in gleicher Höhe mit dem Altan lag, auf dem wir sassen. Dort war nun, uns tinbemerkt, der Muezzin erschienen, ein halbwüchsiger Jüngling, der, beide Hände zur Verstärkung des Schalles an den Mund legend, in eigenartigen, bald in höchster Diskantlage gehaltenen, dann wieder rasch herabfallenden Tönen die Gläubigen angesichts der sinkenden Sonne und der herein- » brechenden Nacht mahnte, zu Allah, dem Herrn der Welt, Hand und Herz zu erheben. Er Umschrift dabei langsam die ganze Galerie und rief hinaus auf das blaue Meer und hinein in das grüne Thal. Von dem Minaret droben auf der Festung aber klang, wie ein fernes Echo, der Ruf eines seiner Kollegen nieder. Wie stimmten diese fremdartigen, melancholischen Töne so gut zu dem letzten rosigen Schimmer, der draussen auf der ehernen Flut lag, und den ersten Schatten der Dämmerung, die sich bereits auf das kleine, eingeschlossene Hafenbassin zu unseren Füssen legten! Wahrlich, es überkam uns da wie süsser Friede und doch wie eine übermächtige, unsagbare Traurigkeit zugleich! Lebenslust bringt der helle Morgen, Heimweh der stille Abend in die Menschenbrust. — Rasch, wie dies im fernen Süden zu geschehen pflegt, war es darauf ganz finster geworden. Nur die weissen Kämme der unaufhörlich von der hohen See draussen gegen das Gestade heranrollenden Wogen blinkten geisterhaft noch manchmal durch die Finsternis. Im Thale drunten aber, wo doch Tausende von Menschen wohnten, herrschte Totenstille. Die orientalischen Städte zeigen nichts von dem zauberischen Leben, das bei uns, wenn die Nacht gekommen, unter dem Scheine Tausender von Gasflammen die breiten Strassen durchflutet. Der General mahnte zum Aufbruch. Er wohnte nämlich noch nicht ganz und gar in dem neuen, teilweise noch unfertigen Hause. Die Küche war vorläufig im alten Palaste zurückgeblieben, der ein gut Stück weiter im Innern des Ortes lag. Die Abendmahlzeit rief uns deshalb dorthin. Nicht ohne Mühe krochen wir durch die engen, stockfinsteren Gässchen am Hafen. Doch langten wir nach einiger Zeit glücklich am Ziele an. Eine steile Treppe führte uns daselbst aus dem Parterre, wo die Pferde standen, in ein schmuckloses, von Holzwänden gebildetes Gemach. Hier hatte einst ein vornehmer Türke gehaust. Aber wie einfach sind doch diese orientalischen Wohnungen, die sich unsere Phantasie immer so glänzend ausmalt, in Wirklichkeit! Gleichwohl war es uns recht behaglich zu Mute. Nach einem frugalen, jedoch kräftigen Imbiss Hess mir der liebenswürdige Gastgeber eine echt türkische Wasserpfeife reichen, so dass nun auch gar nichts mehr fehlte, um mich in die schönen 'Page, die ich einst in Stambul verlebte, zurückzuträumen. Lange sassen wir so, in dichte Rauchwolken eingehüllt, zusammen. Alle möglichen Gegenstände wurden das Objekt unseres Geplauders. Besonders interessant waren mir die Gedanken, die der Herr Gouverneur über eine Hebung der ihm anvertrauten Ortschaft hegte. Ich sah auch hier wieder ein, dass der Fürst den richtigen Mann getroffen hatte, als er sich, gewiss nicht ohne Schmerz, von seinem Liebling, der bis dahin die Stelle eines Sekretärs des Regenten bekleidete, trennte,' um ihn in die fernste Stadt des Landes zu senden. Herr Popowitsch entwickelte über Ausbaggerung des Hafens, über zu gründende Dampfschifflinien, über etwaige Exportartikel und vieles andere die treffendsten Ideen. Selbst die gewöhnlichsten Dinge waren ihm nicht entgangen. Beispielsweise hatte er bereits einige Kapitalisten des Ortes dazu vermocht, der Erbauung eines Hotels, der ersten und nötigsten Vorbedingung eines zu erwartenden grösseren Fremdenverkehrs, näher zu treten, denn etwas derartiges hatte Dulcigno bisher noch nicht aufzuweisen. Letzterer Übelstand stellte sich denn, um dies beiläufig zu erwähnen, auch als Grund dar, dass wir hier selbst betreffs des Nachtquartiers die Gastfreundschaft annahmen, was uns wahrlich nicht leicht fiel, so sehr wir auch schon nach wenig Stunden von der Aufrichtigkeit der Freundschaft, die man uns entgegenbrachte, überzeugt waren. Selbstverständlich fehlte es trotz der tiefernsten Themen, um die sich unsere Unterhaltung zumeist drehte, sogar an verschiedenen heiteren Episoden nicht. Eine derselben ist mir besonders unvergesslich geblieben. Wir waren durch allerhand Kriegsgespräche auch auf den „Kanonenkönig" Krupp zu reden gekommen. Die Details, die ich dabei über das einzigartige Etablissement in Essen mitteilte, erregten im höchsten Grade das Interesse der Anwesenden. Namentlich konnte sich der „Adjutant" des Generals, ein hochgewachsener, biederer Crnagorse,' nicht genug über die fabelhafte Ausdehnung der weltberühmten Anlagen wundern. Der Gouverneur aber sagte zu mir: „Nun sollen Sie sehen, wie tief eingewurzelt die Verachtung der Zigeuner in der Brust jedes Montenegriners ist." Hierauf fragte er den wackeren Kriegsmann, ob er wohl die Tochter dieses unermesslich reichen Herrn Krupp zur Frau würde nehmen wollen. Die Antwort aber, in treuherzigstem Tone gegeben, lau- tete: „Herr, nicht für eine Million, wenn ich auch nur ein armer Mann bin!" Im Lande sind nämlich die Zigeuner, die in den Augen des Volkes kaum als halbe Menschen gelten, insgesamt Schmiede. Der gute Adjutant war infolge dieses Umstandes der Meinung, dass auch Krupp ein Angehöriger jener verabscheuten Parias sei. Daher seine Äusserung, die uns alle in die ungeheuerste Heiterkeit versetzte. Doch endlich hoben wir die Tafel auf, der General nahm Herrn Rovinski unter den Arm, um ihm in der neuen Villa drunten sein Bette anzuweisen, während ich mit dem Doktor, einem jungen bosnischen Arzte, der als Leibmedikus des Gouverneurs fungiert, indes auch in der Stadt praktiziert, das Quartier teilen sollte. Aber was war das? Als wir auf die stille, finstere Strasse, durch welche ein scharfer Seewind brauste, heraus traten, tönten zahllose Klagelaute, bald wie hoch oben aus den Lüften kommend, bald wieder wie aus dem nächsten Busche stammend, an unser Ohr. Fls war nicht anders, als wenn sich tausend verrostete Wetterfahnen unter der Wirkung einer Windsbraut um ihre Stangen drehten. Ich muss gestehen, es wurde mir förmlich unheimlich zu Mute unter all diesem hundertfältigen Krächzen und Stöhnen, das durch die wie ausgestorben daliegende Stadt zog. Unwillkürlich kam mir der Gedanke; Wie, wenn es jetzt plötzlich lebendig würde in den Büschen und auf den Höhen und die wilden Albanesenstämme der Umgegend mit lautem Schlachtgeheul hereinbrächen, um, die funkelnde Handschar in der Faust, mit dem Blute der ahnungslosen Crnagorsen die Schmach abzuwaschen, die der alten Veste des Islam durch den Einzug der Ungläubigen widerfahren! Aber der General spottete meiner Furcht und erklärte mir die auffallende Erscheinung höchst einfach. Eine Unmasse von Eulen*) nämlich, angelockt vielleicht durch die grosse Menge verfallenen Mauerwerks in der alten, aufgegebenen Stadt droben, hat Dulcigno zu ihrem Wohnsitz erkoren und veranstaltet allabendlich jenes schauerliche Konzert, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass *) Athene indigena Gray, südeuropäische Varietät der mehr in Mitteleuropa heimischen Athene noctua Gray („Steinkauz", „Leicheneule"). niemand „da capo" zu rufen sich veranlasst fühlt. Nun, mögen die Laute des „Totenvogels", die mir wie böse Omina in den Ohren tönten, in Wirklichkeit glückverheissend sein für Motenegro und seine neu erlangte Herrschaft am Gestade der Adria! Denn die Eule, dieser uns so wenig sympathische Vogel, galt ja merkwürdigerweise den Griechen als das Symbol der Klugheit, des Scharfsinns und der Erfindungsgabe. Das kleine, altertümliche Häuschen, das der Doktor ganz allein bewohnt, war bald erreicht. Wir traten in die stockdunkle Hausflur. Mein Wirt schob nur einen einfachen Riegel vor das wacklige Hausthor, dann tasteten wir uns eine etwas bedenkliche Treppe hinauf und standen endlich, nachdem noch ein enger Gang überwunden war, in einem kleinen, wunderlich ausstaffierten Gemache. Offenbar hatte dasselbe einst das Boudoir einer Odaliske vorgestellt. Die hölzernen Wände zeigten sich teilweise bunt bemalt, rings herum an ihrem Fusse aber hatte man niedrige, schwellende Polster auf die Diele gelegt. Dies echt türkische Gemach war indes seiner ehemaligen poesievollen Bestimmung dermassen entfremdet worden, dass es jetzt eher einer der mysteriösen Alchimistenküchen des Mittelalters ähnlich sah. Da standen auf Regalen grosse und kleine Flaschen, Büchsen und Krüge, insgesamt mit Inschriften versehen, die fürchterliche Gifte und verrufene Mixturen dem entsetzten Beschatter anzeigten. Auf dem Tische aber lagen Messer, Zangen und andere unheimliche Folterinstrumente . Indes auch dies Rätsel löst sich wieder einfach genug. Da Apotheken im Lande zur Zeit noch nicht existieren, so sind die Ärzte genötigt, wie ehemals auch unsere Heilkünstler, selbst zu rezeptieren, wozu sie die Rohmaterialien aus der Centraiapotheke in Cetinje erhalten. Mein höchst liebenswürdiger Gastgeber, der beiläufig von seiner Studienzeit in Ostreich her recht gut deutsch sprach, wickelte mir Cigaretten und braute eine Limonade. Wir sassen darauf noch lange zusammen und ich genoss höchst interessante Einblicke in die eigenartigen Verhältnisse der ärztlichen Praxis in einer solchen Stadt. Namentlich schilderte mir mein junger Äskulap die Behandlung der muhammedanisehen Weiber als äusserst schwierig. Nur schwer verstehen sie sich dazu, etwa die Zunge zu zeigen oder sich nach dem Puls fühlen zu lassen, von tiefer eingehenden Untersuchungen gar nicht zu reden. Spät begaben wir uns zur Ruhe. All' mein Sträuben half mir hierbei nichts, ich musste das Bett meines freundlichen Gastwirtes annehmen, während er sich auf einem der Divans ausstreckte. Nach all' den Mühen des erlebnisreichen Tages verfiel ich trotz der Eulen, die draussen ihr Wesen weiter trieben, und trotz der todbergenden Flaschen über meinem Haupte bald in den köstlichsten Schlummer. Am anderen Morgen weckte uns ein fürchterliches Gepolter an der Hausthüre. Mein Wirt sprang vom Lager und sah durch das Fenster. Ein Dulcignote war da, um Medizin zu holen. Bei dieser Gelegenheit wurde ich in die tiefsten Geheimnisse der Re-zeptierkunst eingeweiht. Ich sah den biederen Doktor aus verschiedenen Bouteillen allerhand Ingredienzen in einen Porzellanmörser schütten, dann mit einem Stösser fleissig rühren und endlich die heilbringende Masse in kunstgerecht gefalteten Papierstreifen zti Pulvern formen. Während der kundige Medikus hierauf seinen Berufspllichten nachging und bald da, bald dort in einem der sonst den Ungläubigen nicht zugänglichen Türkenhäuser verschwand, rückte ich mit Herrn Rovinski aus, den Hafen zu besehen. Ehe wir indes zum Wasser selbst hinunterstiegen, statteten wir noch einem unweit belegenen, ärmlichen Hause einen Besuch ab. In dem Gemache der ersten Etage, in das wir traten, waren beispielsweise in den groben, ganz abgenützten Brettern, welche die Diele bildeten, solche Löcher, dass man in die Hausflur im Parterre hinunterschauen konnte. Mit dieser elenden Beschaffenheit der Wohnung kontrastierten nicht wenig ein Barometer und Thermometer an den Wänden, grosse Rollen gedruckter Listen, schöne, buntfarbige Flaggen, die auf Tischen und Stühlen lagen, sowie endlich die Prachtfigur des Mannes, der uns in diesem kuriosen Räume entgegentrat. Selten habe ich in meinem Leben eine mächtigere Gestalt gesehen. Und doch sass auf diesem athletischen Körper ein Kopf mit so treuherzigen, fast möchte ich sagen deutschen Zügen, solchen Freundlichkeit und doch ein gewisses schelmisches Wesen zugleich verratenden Augen, dass ich mich kaum satt sehen konnte an der ganzen so einnehmenden Erscheinung. Es giebt gewiss unter den Serben prächtige Männergestalten, aber diese hier war ohne Zweifel eine der vollendetsten, der reinste Typus der südslavischen Rasse. Wir befanden uns, in dem Hafenamte und der Riese vor uns war der Leiter desselben, ein Mann, der sich für diesen Posten ganz vortrefflich zu eignen scheint, denn er hat sich auf vielfachen Reisen durch das ganze Mittelmeer vom Bosporus bis zu den Gestaden Frankreichs reiche praktische Erfahrungen auf dem nautischen Gebiete erworben, was unter, der crnagorischen Nation, die bis vor kurzem noch ein Binnenlands- und Bergvolk war, eine grosse Seltenheit genannt werden muss. In fliessendem Französisch gab uns der kundige Mann auf alle unsere Fragen nach dem Schiffs verkehre und den Seehandelsverhältnissen Dulcignos eingehendsten Bescheid. Freilich lautete sein Bericht wenig erfreulich. Die Stadt, die eine verhältnismässig günstige Lage hat, deren Fahrzeuge die Adria auf und ab bis Istrien und bis Griechenland durchschneiden könnten und die einst in der That auch auf dieser weiten und wichtigen Wasserstrasse eine grosse Rolle spielte, sieht heutzutage kaum noch loo winzige Schifflein alljährlich aus- und einlaufen. Selbst die kühnen Piraten von ehemals, die doch zu dem türkischen Regimente recht gut ge-passt hätten, sind ausgestorben. Kleine Küstenschiffer sind an ihre Stelle getreten. Die Dampfkraft, welche täglich die von ihr regierten Eisenkolosse weit draussen auf hoher See vorübereilen lässt, sie ist in dem Hafen von Dulcigno unbekannt. Hier herrscht noch, wie vor 300 Jahren, das Segel, und das kaum. Viel besser stellten sich die meteorologischen Beobachtungen dar, die uns der fleissige Beamte mitteilen konnte. Leider nur hatte man in der kurzen Zeit, seit der diese Station bestand, kaum die allernotwendigsten Instrumente anzuschaffen vermocht. Nicht einmal ein Ouecksilberbarometer war vorhanden. Ein Aneroid musste seine Stelle vertreten. Trotzdem gewann ich doch aus den geführten Listen die Überzeugung, dass Dulcigno eins der günstigsten Klimen an den gesamten Mittelmeergestaden habe und dass es mit viel grösserem Recht als Gesundheitsstation fungieren könnte, denn Nizza und andere. Doch nun nach diesen theoretischen Studien im Hafenamte hinunter zum Halen selbst. Dieser stellt ein ziemlich kreisrundes, ]udes nur massig grosses Bassin dar, das, im Gegensatz zu der Schwarz, Montenegro. 12 offenen und fast ungeschützten Rhede von Antivari, von der Natur selbst zum Asyl für den Schiffer geschaffen worden ist, denn eine ziemlich schmale Wasserstrasse vermittelt .einzig und allein den Zugang. Dieselbe wird gebildet durch das hohe, mit senkrechten Wänden abstürzende, die Festung tragende Vorgebirge, welches von rechts, und eine niedrige Landzunge, welche von links vortritt. Die letztere trägt auf ihrem Scheitel ein kleines Plateau, auf welchem zur Zeit inmitten eines verwilderten Weingartens das einfache Landhaus eines reichen Skutariners sich erhebt. Dies wäre der Platz, auf welchem der Fürst sich eine Winterresidenz erbauen könnte, um die rauhe Jahreszeit, die in Cetinje fast sibirischen Charakter trägt, unter einem milden Himmel zu verleben. Auch die Spielbankhalter, welche Dulcigno mit einem ihrer I^tablisse-ments beglücken wollten, sollen es auf diesen Punkt abgesehen gehabt haben. Nach meiner Ansicht wäre da droben ausserdem für ein grosses, auf Wintergäste aus dem kalten Norden berechnetes Hotel der rechte Ort, denn von da geniesst man einmal den reizvollsten Blick auf den kleinen, netten Hafen zu Füssen, die steil aufragende Festung gegenüber und auf die in der grünen Thalmulde sich aufwärts ziehende Stadt, die, von dort aus betrachtet, vielmehr an einen süddeutschen Badeort, denn an eine türkische Niederlassung erinnert. Auf der anderen Seite dagegen, links, schwebt das Auge über einen Teil der Bojanaebene bis ztir Mündung dieses Flusses selbst und bis an die Gebirge, die noch jenseits des Drin in blauer Ferne aufsteigen. Auch diese Landzunge fällt übrigens mit senkrechten Wänden zum Haten nieder. Ja, Teile von ihr liegen als ungeheure Blöcke zerstreut sogar in diesem selbst. Alf dies Gestein weist zahllose Muschelpetrefacten (Austern) nach. Es wird hier und in der Umgegend selbst fossiles Pech am Strande gefunden, das man zum Kalfatern der Schiffe verwendet. Der übrige Teil des Hafenrandes, die Partie, auf der die Stadt bis an das Meer herantritt, ein schön geschwungener Bogen, ist Flachküste mit feinstem, weichem Ufersande. Leider nur zeigt sich die zähe Masse auch noch weiter draussen im Wasser, wo sie durch die stetig von der offenen See hereinbrechenden Wogen förmlich in Furchen geteilt worden ist, deren Kämme nicht selten selbst über das Niveau des nassen Elements emporragen. Ich sah häufig kleine Knaben viele Meter weit vorwärts waten, ohne dass die Flut ihnen höher als bis an die Kniee gereicht hätte. Da mussten allerdings neissige Hände sich regen, ehe die liebliche Bucht wieder zu einem Emporium des Seehandels werden könnte. Am Nachmittag wollten wir auch der alten Stadt einen Besuch abstatten. Wir stiegen deshalb auf heissem, steinigem Weg zu dem Rücken empor, auf dem sie liegt. Sobald wir keuchend und schweisstriefend die Herne erreicht hatten, erschloss sich das Meer auch von der anderen Seite dem Blicke. Aber hier ebenso, wie überall an diesen Gestaden bis weit gegen Antivari hinauf, nur unnahbare Steilküsten, an deren schwarzen, kfippigen, zerbröckelten Wänden die .See brandet. Oben am jäh abgebrochenen Rande ragen zahlreiche Büsche der Agave mit ihren starren, ungelenken Blättern und ihren langen, kahlen, holzigen Blütenstengeln, unzähligen Warnungszeichen gleich, empor. Das ist eine in der That recht passende Staffage für die Trümmerstadt, die sich rings um uns her ausbreitet. Schutthaufen und Mauerreste sind fast das Einzige, was das Auge hier erblickt. Nur türkische Gräber mit ihren charakteristischen Grabsteinen werden hier und da mitten in dem Chaos sichtbar, aber doch lediglich um das trübe Bild noch trüber zu machen. Nur weniges ist geblieben, das für den Archäologen Interesse bietet, so z. B. die Überreste einer alten lateinischen Kirche, deren Altaranlage sich noch wohl erkennbar darstellt. Desgleichen zeigen die Ruinen mehrerer Kapellen schöne romanische Bogen und dergleichen mehr. Von hier stiegen wir auf dem dürren Hang, auf welchem wir zum ersten Male während unserer Reise wilde Reseda*) trafen, noch vollends bis zur nahen Festung empor. Hier ist man mit einem Schlage mitten drin im gewaltigen Mittelalter. Gigantische Mauern und Bastionen, wie für eine Ewigkeit erbaut, umgeben uns. Auf einer der letzteren erschliesst sich eine wunderbare Fernsicht. Das weite, unermessliche Meer, die kleine Stadt im anmutigen Thale direkt unter unseren Füssen in schwindelnder Tiefe, in weiter, duftiger Ferne aber die schneebedeckten albanesischen Gebirge, das alles ergiebt ein Bild von seltenen Reizen. *) Reseda phyteuma L., von unserer Kultur-Reseda (R. odorata L.) nur da-, durch unterschieden, dass ihr der Geruch abgeht. Indes auch das, was wir in nächster Nähe bemerken, erscheint interessant genug. So ist z. B. die Aussenseite der hier oben befindlichen Moschee mit zwei antiken Säulen geziert. Aber die türkischen Barbaren, welche die schönen Stücke irgend einem zerstörten klassischen Bauwerk entnahmen, wussten nicht, was oben und unten war und so kam es, dass die beiden Säulen verkehrt eingemauert wurden. Wir stiegen auf die Galerie des Gebäudes, welches übrigens auch mehrfache Steine mit alten Inschriften aufzuweisen hat, hinauf und vermochten von da sogar in das Innere der Moschee hineinzusehen. Doch war dasselbe, wie das der meisten muhammedanischen Gotteshäuser; ziemlich interesselos. Einige alte verschossene Teppiche und plumpe Bronzeleuchter bildeten den einzigen Schmuck des kahlen Raumes. Hierauf durchwanderten wir noch die engen Strassen der kleinen Stadt, die die ausgedehnte Citadelle einst umschloss und die teilweise auch jetzt noch bewohnte Häuser aufweist. Hier hätte der Altertumsfreund abermals manches Anziehende finden können. So war beispielsweise in ein düsteres Gebäude ein Stein mit der Mittelinschrift-. „Jesus hominum Salvator" eingemauert. Aussen herum stand in Bogen: „nemo propheta in patria sua" (nirgends gilt der Prophet weniger, als in seinem Vaterlande). Über die Brustwehr, die sich senkrecht oberhalb des mehrere Hundert Fuss tief unten gegen die schwarzen Felsen donnernden und weissen Wutschaum hoch empor schleudernden Meeres hinzieht, schritten wir, zuletzt an ungeheuren Trümmerhaufen, die noch von der Belagerung des gewaltigen Bollwerkes durch die Vene» tianer im Mittelalter herrühren mögen, vorbei, zu den kolossalen Thorgewölben zurück und gelangten nach Passierung einer kleinen, bronzenen Lännkanone, die gegenwärtig die einzige Armierung der ehemals so stolzen Seefestung bildet, wieder in die Stadt hinunter. Wir hatten mit diesen kleinen Exkursionen auch alle Sehenswürdigkeiten Dulcignos an uns vorüberziehen lassen und hätten demnach schon am folgenden Tage unseren Wanderstab weitersetzen können; Allein der liebenswürdige Gouverneur erhob energischen Protest gegen eine derartige Absicht. Es sei, so begründete er seinen Einspruch, der Wille des Fürsten und der Regierung, dass mir, als dem ersten deutschen Gelehrten, der ganz Montenegro ZV bereisen sich entschlossen habe, alles nur irgendwie Bemerkenswerte vorgeführt werde. Da nun binnen kurzem in der Nähe von Dulcigno ein albanesisches Volksfest gefeiert werde, wie ich es so leicht nicht wieder zti sehen bekomme, so müsse ich bis dahin einfach in der Stadt bleiben. Diesen Gründen vermochten wir freilich nicht zu widerstehen, zumal wir auch selbst einige Ruhetage, wie sie sich uns unter dem milden Himmelsstrich Dulcignos und in der liebenswürdigen Gesellschaft unserer opferwilligen Gastfreunde So bequem darboten, wohl gebrauchen konnten. Und so verlebten wir denn noch eine zwar thatenarme, aber um so genussreichere Zeit in der alten Piratenstadt. In der Kühle des Morgens oder Abends sassen wir in anregendem Gespräche auf dem Balkon des neuen Gouverneurpalastes. Während der heisseren Tagesstunden aber lagen wir entweder, nach echt orientalischer Weise rauchend und mit offenen Augen träumend, auf den Divans in den kühlen Gemächern oder wir Hessen uns zwischen den Blöcken der linken Hafenseite von den kühlen Wellen hin- und herschaukelti. Diese Meeresbäder waren ein wahrer Hochgenuss. Das Seewasser, das bereits in Antivari eine Wärme von lH«C. gehabt hatte, zeigte hier sogar eine noch um einen Grad höhere Temperatur, und doch standen wir kaum in den ersten Tagen des Mai. Wie wohlig wurde uns zu Mute, wenn wir da drinnen herumschwammen, nachdem uns vorher die Hitze gequält hatte, die beispielsweise einmal mittags halb 12 PThr, trotzdem, dass ein ziemlich heftiger Wind wehte, nicht weniger als 290 C. betrug! Bei Gelegenheit dieser Seebäder gelang es uns auch, eine grosse Zahl recht schöner, kleiner Muscheln zu sammeln, die das feuchte Element hier stets auswirft. Nur zu rasch vergingen so „die schönen Tage von Aranjuez". Wir wollten von dem Platze des erwarteten Festes aus gleich Weiter reisen in das Innere von Montenegro hinein. Mühsale und Faitbehrungen standen uns wieder bevor, vielleicht noch in ganz anderem Massstabe als bisher. So nahmen wir denn vom milden Meeresstrande, den wir nun lange nicht mehr sehen sollten, und von allen Genüssen des Komforts, die uns die freundliche Stadt geboten hatte, mit schwerem Plerzen Abschied. Und doch ahnten wir noch nicht einmal, dass schon der nächste 'Pag uns in eine Situation von furchtbarem Ernst bringen sollte. VII. Von Dulcigno nach Skutari. Unter Eskorte an die Bojana-Mündung. Im Pfarrhause von San Nicolo. Eine Albanesen-Prozession. Predigt im Freien. Mord und Totschlag. Flucht auf die Bojana. Fahrt in der Londra. Ein amerikanischer Riesenstrom in Europa. Ein türkisches Gibraltar. Nachtquartier in einem Albanesendorfe. Die Akropolis von Skutari. Fan trüber Morgen, der erste seit meinem Aufbruch von der Hauptstadt, war es, den der für alle Zeiten meinem Gedächtnis unvergesslich eingeprägte 9. Mai brachte. Schwere Wolken, von einem warmen, föhnartigen Winde gejagt, zogen am Himmel hin. Aber wenn auch unser ahnungsloses Gemüt in ihnen böse Anzeichen gefunden hätte, der Rückzug war nicht mehr möglich. Bereits stampften die Rosse, die uns unserem Ziele entgegentragen sollten, den Boden. Bald auch kamen die Teilnehmer an der Exkursion, Militärs, Beamte, sowie Privatpersonen, darunter selbst einige türkische Begs, von allen Seiten, und gegen sieben Uhr sprengte auf prachtvollem arabischen Schimmelhengste der Gouverneur heran. Wie erinnerte mich der Mann heute so recht lebhaft an die mächtigen Satrapen des alten Perserreiches, die in den Hauptstädten des Landes eine prunkvolle Hofhaltung zu entfalten verstanden! Auf dem reich mit Gold gestickten, scharlachnen Untergewande glänzte eine ganze Reihe von Medaillen und Orden, darunter, wenn ich recht gesehen habe, auch die bekanntlich viel geschätzte russische vSt. Georgsdekoration. Von den Schultern flatterte der elegante spanische Mantel aus hellblauer Seide, während an der linken Seite ein schön verzierter türkischer Krummsäbel herabhing. Nachdem der hohe Würdenträger -mittelst graziöser Schwenkungen seines Streitrosses alle Versammelten, etwa zwölf an der Zahl, verbindlich gegrüsst, sprangen auch wir in die Sättel und unter Vorantritt einer kleinen Abteilung Infanterie, die mit geschultertem Gewehr in raschem Trabe avancierte, setzte sich die glänzende Kavalkade in Bewegung. Wir ritten zuerst durch den östlichen Stadtteil abwärts und gelangten in die weite Bojana-Ebene. Ein Galopp wäre hier als ein in Montenegro nur selten möglicher Genuas sehr am Platze gewesen. Allein bald nach der Abreise war noch eine wichtige Persönlichkeit, der Bezirksgerichtspräsident, ein alter, ehrwürdiger Türke, den mir der Gouverneur nach allen Regeln europäischen Ceremoniells vorstellte, zu uns gestossen; aus Rücksicht auf ihn wurde der „Schritt" beibehalten. Allein die jüngeren Crnagorsen in unserer Begleitung vermochten das langsame Tempo nicht lange zti ertragen. Kaum dass der General die Erlaubnis gegeben, so schoss bald da, bald dort einer wie ein von der Sehne abgeschnellter Pfeil in Carriere voraus. Dadurch wurden wieder andere verleitet, die noch grössere Schnelligkeit ihrer kleinen Renner darzuthun. Und so kam es schliesslich zu einem förmlichen Tourniere, in welchem es an allerhand ergötzlichen Scenen nicht fehlte. Nicht anders wie bei einer arabischen Fantasia, jenem bekannten; prachtvollen Reiterspiele der Nomadenhorden Nordafrikas, sahen wir uns fortwährend von sich Suchenden und dann wieder Fliehenden, von Voraussprengenden und dann wieder in rasender Jagd Zurückeilenden umschwärmt. W7em indes dies anmutige Schauspiel nicht behagte, das war der herrliche, aber überaus wilde Schimmel des Generals. Er sah viel geringere Kameraden Ehre und Ruhm ernten, während er, ein wahrhaft königliches Tier, in einem alle Geduld erschöpfenden, langsamen Schneckenmarsche dahinziehen musste. Wie schnaubten da seine Nüstern, wie troff der weisse Schaum in Masse von den Stangen des Gebisses! Nun, der kundige Reiter, der im Sattel sass, war nicht so grausam, dass er dem edlen Tiere nicht zeitweilig auch einmal Freiheit gestattet hätte. Er gab wiederholt einem der Bestberittenen eine Strecke vor, um ihn dann in kurzem Galopp mit wenig Sätzen wieder einzuholen. Es war gut, dass es uns in dieser Weise niemals an Unterhaltung gebrach, denn die Landschaft bot äusserst wenig. Endlos dehnten sich die Wiesenflächen, über die der bequeme Pusspfad führte, vor uns aus. Nur an den Seiten fasste sie niedriges Buschwerk von Haselnusssträuchern, Erlen und Fliehen ein, das indes immerhin hoch genug war, um jede Aussicht zu verhindern. Das einzige Interessante an dieser Staffage war dies, dass sie so ganz und gar nichts Südliches «der an die Nähe des Meeres Erinnerndes hatte. Man konnte sich leicht in nordischen Niederungen, in gewissen Gebieten deutschen Binnenlandes wähnen. Am allerwenigsten aber zeigte diese Tiefebene mit der Beschaffenheit des übrigen Montenegro eine Ähnlichkeit; denn während bekanntlich sonst die Crnagorsen von ihrem Lande berichten, dass daselbst dem lieben Gott, als er nach der Schöpfung auf die Erde niederstieg, um die Steine zu verteilen, der Sack, in welchem er jene trug, geplatzt sei, so dass der ganze rauhe Inhalt sich über das kleine Gebiet entladen habe, konnte jetzt der General behaupten, dass wir auf unserem ganzen, etwa dreistündigen Wege auch nicht einen Stein finden würden. Leider fing es nach einiger Zeit an tüchtig zu regnen, so dass ich mich, zum ersten Male auf der ganzen Reise, veranlasst sah, meinen Gummimantel hervorzuziehen. Ich war dabei ein gut Stück hinter dem Gros zurückgeblieben und warf daher, als ich einmal die undurchdringliche Hülle um mich gelegt, sowie die Kapuze über die Ohren gezogen hatte und nun, völlig gefeit gegen die Tücken des Himmels, nicht ohne Behagen die Tropfen auf mich niederfallen hörte, mein Pferd in Carriere. Schon erblickte ich die zuvor durch ein Gebüsch meinen Augen entzogene Schar wieder; noch wenige Minuten, so hätte ich sie eingeholt gehabt. Aber da plötzlich ein Ruck - und ich hatte den von der einen Seite des Zaumzeuges abgeplatzten Zügel in der Hand. Während ich mich nach vorn biege, um zu sehen, wie sich der Schaden wieder ausgleichen lässt, ein zweiter Ruck — der linke Steigbügel ist zur Erde gefallen, und das beides während der schärfsten Gangart des Rosses. Glücklicherweise war dasselbe ein recht vernünftiges Tier, das sich bald zum Stehen bringen Hess. Ich sass ab, um mein Reitzeug wieder in Stand zu setzen. Aber, hilf Himmel, welch miserabler Plunder war das! Die knochenharten Riemen, deren Farbe gar nicht mehr bestimmt werden konnte, mochten wohl ein halbes Hundert oder mehr Jahre hinter sich haben, Die Liederlichkeit und morsche Beschaffenheit erstreckt sich eben im Reiche Muhammeds von den höchsten Dingen bis auf die Pferdehalfter. Übrigens war ich nicht der einzige von solchem Unglück Betroffene. Als ich nach glüklich beendeter Reparatur •dem Gros wieder nahe kam, sah ich auch meinen Gastfreund, den Doktor, mit einem Steigbügel in der Hand neben seinem mutigen Rösslein hinschreiten. Herr Rovinski aber war am schlimmsten weggekommen, denn er hatte überhaupt gleich von Haus aus nur einen einseitigen Ruckzügel zur Lenkung seines Tieres erhalten. Doch unser aller Leiden neigten sich ihrem Ende zu. Denn siehe, plötzlich öffnet sich das Buschwerk zur Rechten und der Spiegel der Bojana blitzt uns aus nächster Nähe in die Augen. Wir sind dicht bei ihrer Mündung. Zwei oder drei Schiffe schweben soeben langsam aber majestätisch in die offene See hinaus. Jetzt tauchen auch die vordersten Häuser des Dorfes, dem wir zustreben, vor uns auf. Bald sind wir mitten in der ersten albanesischen Ansiedelung, die uns auf dieser Reise entgegentritt. Aber wie ganz anders stellt sieh San Nicolo, so ist ihr Name, dar, als die serbischen Bergdörfer, die wir bisher passierten! Hier sind die Gebäude nicht mehr, wie dort, Kilometer weit zerstreut, sondern bilden doch schon, wenngleich zumeist auch in weitläufigen Obstgärten gelegen, eine Art fortlaufende Strasse. Freilich sind sie selbst, obgleich in einer so gesegneten Ebene aufgebaut, vielfach von traurigster Beschaffenheit. Aber heute, wo im Orte das bunteste Leben sich entfaltet, wird Schmutz und Verfall kaum bemerklich. Denn siehe, bald hier, bald dort kommt eine malerische Gruppe bunt aufgeputzter Weiber oder wildblickender Männergestalten zum Vorschein. Schon möchte es uns fast ein wenig bange werden unter den einer so übel berufenen Völkerschaft angehörigen Scharen. Indes wir biegen bereits nach wenig Minuten in einen kleinen Hof ein und -welch ein beruhigender Anblick — da stehen sie, Gewehr bei Fuss, die Mannschaften unserer Eskorte, biedere Crnagorsen, deren Erscheinung uns vielleicht noch vor einem Monate bange gemacht haben würde und die wir jetzt schon als unsere Freunde zti betrachten gelernt haben. Doch da steigt ein Mann die auch hier meist von aussen ins obere Stockwerk führende Treppe herunter, um uns freundlichst hinauf zu bekomplimentieren. Seinen Kopf bedeckt eine ganz gewöhnliche, hohe, schwarztuchene Schirmmütze, aber der lange Rock von gleicher Farbe mit aufrecht stehendem Kragen kennzeichnet ihn als einen Diener der römisch-katholischen Kirche, deren Herrschaft begonnen hat, sobald wir aus den slavischen Gebteten ausgetreten sind. Das Gemach, in welches wir geführt wurden, war, trotzdem dass es sich statt der friedlichen Bücherreihen, die bei uns die Studierzimmer geistlicher Herren zu zieren pflegen, mit Flinten und anderen Mordwaffen ausstaffiert zeigte, doch ein recht freundliches. Namentlich genoss man aus den Fenstern eine schöne Aussicht auf die nahe, heute von besonders zahlreichen Fährzeugen belebte Bojana. Wir traten übrigens in eine schon recht ansehnliche Versammlung. Montenegriner und Albanesen, insgesamt aber kriegerische Gestalten, sassen ringsum auf den" niederen Polstern. Unter den ersteren trafen wir zu unserer FVeude auch den prächtigen Hafenkapitän von Dulcigno, der schon am Tage zuvor die Reise hierher zu Wasser gemacht hatte. Sein Verlangen war gewesen, auch uns über sein geliebtes Element ans Ziel zu spedieren. Allein bei dem herrschenden Winde hatte eine Bootfahrt über das offene Meer und eine Passage durch die Bojana-Mündung nicht viel Verlockendes für uns gehabt. Kaum dass wir sassen, so brachte unser albanesischer Gast-freund auch schon Erfrischungen, bestehend in mehreren Sorten von Schnaps und einem eigentümlichen, in kleinen Würfeln servierten Konfekt aus weissem Zuckerguss, samt Rosinen. Wir waren ja nun zu einem Volksstamm gekommen, welcher der edlen Konditorkunst, die in den südlichen und östlichen Partien der Balkanhalbinsel überhaupt ziemlich gepflegt wird, in hohem Masse mächtig ist, wie wir noch mehrmals zu erkennen Gelegenheit hatten. Trotz solcher verlockender Genüsse brachen wir doch schon nach kurzer Frist unter Vorantritt unserer Infanterieeskorte ebenfalls zu Fuss nach dem nahen Festplatz auf. Denn die Stunde für den Beginn des Gottesdienstes war erschienen. Nach wenig Minuten kamen wir auf einen grasigen Plan, den eine gewaltige Linde zierte. Aber unter diesem deutschesten aller unserer heimatlichen Bäume welch ein fremdartiges Gewühlt Seltsam aufgeputzte Frauen hockten da auf dem Boden, wilde Männergestalten lehnten an ihren kleinen Pferdchen, Dutzende von langen albanesischen Flinten waren an die nahe Kirchhofsmauer angelegt. Denn der Gouverneur hatte in weiser Vorsicht angeordnet, dass niemand die Mordwaffen mit sich in den Kirchhof nehme. Wir verfügten uns nun in den letzteren selbst, eine weite Fläche, in deren Mitte auf etwas erhöhtem Terrain ein schlichtes Gotteshaus stand, das indes als Wallfahrtskirche weit und breit berühmt ist. Wir traten in das Innere. Auch hier nur kahle, getünchte Wände. Den einzigen Schmuck bildete ein grosses, aber an sich unbedeutendes Bild des heiligen Nikolas in Rischofstracht, welches über dem Hauptaltar hing. Um so interessanter war das Treiben der Menschen, das sich daselbst entfaltete. Ununterbrochen gingen Leute aus und ein. Die Einen traten zu einem Seitenaltar, um dort Geld niederzulegen; manchen mochte indes die Münze, die sie gerade bei sich hatten, zu gross für den heiligen Nikolaus erscheinen, in diesem Falle'wechselten sie ganz ungeniert, indem sie sich dabei der verschiedenen Geldstücke bedienten, die ihre Vorgänger schon am nämlichen Orte deponiert hatten. Andere trugen blökende Lämmer oder meckernde Zicklein auf ihren Armen, setzten sie erst einige Minuten, wie zur Weihe, auf dem Hochaltar, auf dessen Stufen sie unbedenklich emporgestiegen waren, nieder, und transportierten die Tiere dann in die anstossende Sakristei, woselbst sich bald eine ganze Herde versammelt hatte, die einen nicht geringen Lärm verursachte. Aber die Gläubigen im Schiffe der Kirche' Hessen sich durch das profane Geräusch aus diesem improvisierten Schafstall nicht in ihrer Andacht stören, die sie stehend oder direkt auf den Steinen des Bodens kniend verrichteten. Fanige traten sogar an den Hochaltar, um das heilige Abendmahl zu gemessen. Darauf schien aber der Priester, der in seinem gewöhnlichen Rocke droben stand und die verschiedenen Opfertiere entgegennahm, nicht vorbereitet. Doch rasch entschlossen winkte er einem dienenden Geiste. Der brachte bald den verlangten weissen Überwurf. Ohne Zögern fuhr der geistliche Herr mit Kopf und Armen durch die Öffnungen desselben. Und nun begann er unverweilt mit dem Ausspenden der geweihten Speise, in gleicher Weise wurde nach vollendetem Werke von neuem vor aller Welt und an der heiligsten Stätte Toilette gemacht und das störende Messgewand mit einigen gewaltsamen Armbewegungen wieder abgeworfen. Als wir auf den Friedhof zurücktraten, hatte sich unterdes auch dieser weite Platz mit zahllosen Menschen gefüllt, die in eifrigstem, von lebhaften Gesten begleiteten Geplauder durcheinander wogten. Doch jetzt erklingt das helle Glöcklein der Kirche. Die Thüre thut sich auf, mehrere Geistliche treten heraus. Voran schreiten Sakristane mit einem uralten, ganz zerfetzten Bilde des Ortsheiligen, das in Form eines Wimpels an einer langen Stange getragen wird. Rasch ordnen sich alle anwesenden männlichen Albanesen zu einem Zuge, und nun geht's im Schnellschritt mehrmals um das Gotteshaus herum, wobei den rauhen Kehlen unaufhörlich das „ora pro nobis" (bitt für uns) in einer wahrhaft mark- und beindurchdringenden Weise entquillt. Noch viel eindrucksvoller aber, als dieses wüste Geheul, gestaltete sich die äussere Erscheinung der meisten Teilnehmer andern Bittgange. Die Körper waren in Leinwand oder noch häufiger in die vom Orient so bevorzugte, grobe, weissgraue Wolle gehüllt, doch traten beide Stoffe fast ausnahmslos in Form elender Lappen und Fetzen auf. Die Köpfe zeigten sich ganz'1 unbedeckt, jedoch wie fürchterlich entstellt sahen sie aus! Man hatte nämlich das Haar bis auf einen Schröpf, der von dem Wirbel ellenlang über den Rücken hinabhing, ganz glatt abgeschoren. In dieser Weise glichen die wilden Kerle mit den unruhigen, funkelnden Augen mehr den mordgierigen Rothäuten der amerikanischen Urwälder als „civilisierten" und christlichen Bewohnern Fairopas. Faidlich war die wahrhaft nervenangreifende Prozession vorüber. Die Messe begann. An der Ausseitwand der Kiche hatte man dazu einen Altar aufgebaut. Llmgeben von mehreren, entsetzlich schmutzigen Sakristanen, trat ein Geistlicher auf, der bisher noch nicht sichtbar geworden war und der einen Höheren Rang als die fintieren zu bekleiden schien. Denn er trug ausnahmsweise saubere, ja teilweise sogar glänzende und prunkvolle Amtstracht. Sein weisses Messgewand war mit reichster Stickerei in Grün und Gold bedeckt. Aulfallend aber kam mir vor, dass der Mann, der übrigens ein schönes, scharfgeschnittenes, echt südliches Antlitz hatte, einen blossen Schnurrbart trug, was bekanntlich sonst innerhalb der römisch-katholischen Geistlichkeit nicht stili ist. Die Predigt bildete den ersten Teil der heiligen Feier. Leider war mir dieselbe, da sie natürlich in der Landessprache gehalten wurde, ganz unverständlich. Doch konnte ich bei diesem Vortrage wenigstens die Bemerkung machen, dass das so wenig bekannte albanesische Idiom im allgemeinen und von den charakteristischen, oft wiederkehrenden, harten „rrt" Lauten abgesehen, recht wohl klingt. Allerdings schien der Prediger, nach der überaus fliessenden Weise, in der er sprach, und dem häufig zu Tage tretenden Feuer der Begeisterung zu urteilen, auch ein besonders befähigter Redner zu sein. Sein Thema war, wie man das am Nikolaustage nicht anders erwarten konnte, das Leben und die Thaten des gefeilten Heiligen. Das versammelte Volk musste übrigens,, soweit man darauf aus der tiefen Stille, welche herrschte, und dem Ernst auf den meisten Gesichtern einen Scbluss ziehen konnte, äusserst andächtig genannt werden. Was mich anbetraf, dem die Möglichkeit, es ihnen nachzuthun, benommen war, so machte ich unterdessen Volksstudien, wozu mich mein günstiger Standpunkt besonders befähigte. Ich hatte nämlich an der Seite des Gouverneurs auf einem etwas erhöhten, mit roten Decken belegten Ehrensitz meinen Platz erhalten. Von da aus beherrschte mein Blick nicht nur alles, was an dem nahen Altar vorging, sondern auch die nach Hunderten zählende Masse von Weibern, die dicht gedrängt auf dem weiten Friedhofe sassen. Und wahrlich, so abschreckend die Männer sich präsentiert hatten, so anziehend war die Erscheinung dieser Vertreterinnen des schönen Geschlechts. Nicht nur, dass viele den feinen, weissen, von einem leichten Rot überhauchten Teint, die schwarzen Haare und Augen sowie das feine Oval des Gesichts zeigten, durch welches sich die Weiber der südlicheren Stämme der Balkanhalbinsel so sehr von den Südslavinnen unterscheiden, auch der Anzug war ungleich interessanter als bei jenen. Die meisten erschienen ganz in Weiss gekleidet. Namentlich waren blendend weisse Schleier malerisch um das Haupt geschlungen. Die Gewänder, die den Leib einhüllten, bestanden dagegen nicht selten aus allerlei bunten, seidenen Läppchen und F'ähnchen. Eine ganze Anzahl trug um den Hals Ketten von glitzernden Goldmünzen, die in manchen Fällen wohl ein kleines Kapital repräsentierten. Die Männer, die jedenfalls bei der Prozession schon ihre Gottes- und Fleiligenverehrung hinreichend meinten bethätigt zu haben, standen mehr im Hintergrunde nach der Kirchhofsmauer hin. Ich konnte meinen Blick kaum von dem bunten Bilde wenden. Dieser Gottesdienst im Freien hatte doch auch zu viel Originelles. * Schon dankte ich im Stillen allen herzlich, durch die ich zur Teilnahme an einem so seltsamen Volksfeste veranlasst worden war. Ich ahnte nicht, dass ich in der nächsten Minute den Tag verwünschen sollte. Die Predigt hatte nämlich nach etwa einer halben Stunde ihr Paidt erreicht. Das Hochamt begann. Alles fiel auf die Kniee. Der Geistliche drehte sich am Altare um und hob die Monstranz über sein Haupt. Da — ein dumpfer Krach, ein aufflammender Blitzstrahl hinten in der Ecke des Friedhofs, wo die wilden Männergestalten am gedrängtesten standen, gefolgt von einer dichten Rauchsäule. Alles dreht sich um. Was ist geschehen? Eine dumpfe Ahnung wie von einem plötzlich hereinbrechenden Unglück bemächtigt sich meiner. Doch der General beruhigt mich. Man hat einen Böller losbrennen wollen zur Feier des Höhepunktes der heiligen Handlung, und das ist, wie das so oft passiert, nicht recht geglückt. Schon wollen wir uns der heiligen Handlung, die unterdes ungestört ihren Fortgang gern »innen, wieder zuwenden. Aber die Bewegung dahinten will noch nicht schwinden. Nein, sie pflanzt sich vielmehr, den Wogen des von einem Windstoss getroffenen Gewässers gleich, weiter und weiter fort. Die Männer laufen nach ihren Gewehren, die Weiber springen bestürzt vom Boden auf. Angstrufe und wilde Drohungen werden hörbar, Der General an meiner Seite und die vornehmen Montenegriner um uns her bewahren zwar eine bewunderungswürdige Ruhe, aber ihre Züge, auf die sich plötzlich tiefster Ernst gelegt hat, und die Hand, die unwillkürlich nach der Waffe im Gürtel greift, verraten uns gleichfalls das Bedenkliche der Situation. Man kann sich vorstellen, wie mir unter alf diesen Schrecknissen zu Mute wurde. Ich bin zwar auf meinen vielen Reisen, wie man begreifen wird, in manche missliche Lage gekommen. Aber niemals verlebte ich furchtbarere Augenblicke als jetzt. Das Handgemenge schien unvermeidlich. In der nächsten Minute musste das Gemetzel beginnen. Und ich hatte nicht einmal eine Waffe, um wenigstens mein Leben teuer verkaufen zu können. Mein Revolver lag ja noch im Koffer, der selbstverständlich im Absteigequartier zurückgeblieben war. Das nahe Gotteshaus hätte vielleicht ein rettendes Asyl geboten, aber die Thür zeigte sich verschlossen. Das Wort, das die besorgte Mutter häufig, wenn ich wieder ein- mal eine gewagtere Tour antreten wollte, ausgesprochen hatte: „Du wirst noch so oft hinausreisen, bis Du eines Tages nicht zurückkommst", tauchte plötzlich aus der Vergessenheit auf. Ich hielt mich für verloren. Aber nicht umsonst hatte ich mein Leben den wackeren Crnagorsen anvertraut. Ich war ihr Gastfreund. Nach der Väter heiliger Sitte mussten sie mich im Notfall selbst mit ihrem Blute verteidigen. Und siehe, da drängen sie sich auch schon durch die wogenden Massen, die streitbaren Krieger unserer Begleitung, nehmen uns in die Mitte und so gelangen wir doch noch glücklich auf die Strasse und in das Pfarrhaus zurück. Freilich die Zahl unserer Beschützer war verschwindend gering gegenüber der Menge der ausserdem ja gleichfalls wohlbewaffneten Albanesen. Hätten die Letzteren wirklich den Kampf begonnen, so wäre wohl nicht ein Mann von uns entkommen. Dass dies nicht geschah, das verdanken wir vor allem dem trefflichen Geistlichen, der, ein rechter Diener des Friedens, trotz des unvergleichlichen Getümmels sich in der Ausübung seines heiligen Berufs nicht stören liess. Noch als wir den Friedhof schon verlassen hatten, hörten wir, von ihm gesungen, Worte der Messe. Das war unsere Rettung. Die Albanesen, die bei all' ihrer Wildheit doch einen grossen Respekt vor dem Heiligen haben, nebenbei auch nicht wenig abergläubisch sind, wagten nicht anzugreifen, so lange der Gottesdienst noch nicht beendet war. Auch die Anwesenheit der Weiber tru^r zu dieser Bezähmung ihrer Blutgier bei. Denn es gilt für unziemlich, diese Zeugen des Mordens werden zu lassen. Wären diese Glücksumstände aber nicht gewesen, so hätte sich ganz bestimmt der stille Friedhof in ein Schlachtfeld verwandelt und für manchen, der lebend hierher gekommen, wäre gleich am Ruheplatz der Toten das letzte Stündlein erschienen. Die Wut und Erbitterung hatte auch einen zu hohen Grad erreicht, als dass es hätte ohne Blut abgehen können; Bei dem verunglückten Ka-uonenschuss sollten nämlich, so hiess es wenigstens lange Zeit, zwei Albanesen getötet worden sein, und zwar, wie ihre Landsleute behaupteten, absichtlich; Hinterher stellte sich die Sache allerdings als nicht ganz so schlimm heraus. Es waren nur dem Einen beide Augen ausgeschossen worden, während der Andere noch schwerere Verletzungen erlitten hatte. Auch gehörte ledig- lieh dieser Letztere der albanesischen Nation an. Der Geblendete war ein Montenegriner. Erwägt man aber, wie leicht schon bei uns Aufregung und Verwirrung grosser Versammlungen sich bemächtigt, so wird man begreifen, dass der Anblick jener beiden Unglücklichen, die sofort nach dem geheimnisvollen Schusse mit Blut übersrömt, von Pulver geschwärzt und am ganzen Leib verbrannt zu Boden stürzten, die rohen Albanesenhorden zur Wut aufreizen musste, zumal Misstrauen und Abneigung gegen die montenegrinischen Usurpatoren, noch vermehrt durch die Aufhetzungen türkischer Agitatoren, bereits vorher in den Gemütern jener Leute vorhanden war. Ja, ich bin überzeugt, dass es in dem allgemeinen Tumulte nur noch eines geringfügigen Anlasses, etwa des zufälligen Losgehens eines Gewehres bedurft hätte, um trotz Priester und Weiber den Rassenkampf zum Ausbruch zu bringen. Man wird nach alledem begreifen, dass mir selbst das freundliche Pfarrhaus verleidet war. Wie leicht konnte die aufgeregte Menge sich hierher wälzen, um ihrer einmal entflammten Leidenschaft Genüge zu thun! Eine Mahlzeit war für uns bereitet. Aber selbst auf die Gefahr hin, mir damit für die ganze noch übrige Tageszeit Fasten aufzuerlegen, wollte ich keinen Augenblick länger im Bereiche des heiligen Nikolaus bleiben. Noch ein kurzes aber herzliches Lebewohl an alle Freunde von Dulcigno, die wir nun hier zurücklassen mussten, und kaum zehn Minuten nach unserem Rückzüge aus dem Kirchhofe schwammen wir mitten auf der Bojana, selbst für die Kugel eines Hinterladers nicht mehr erreichbar. Zwar ging unsere Fahrt gerade hinein in das Land Albanien, das uns gleich auf seiner Schwelle so wenig freundlich empfangen hatte, aber vorläufig durften wir uns geborgen nennen. Der alte Reisemut samt der Lust und Fähigkeit zum Beobachten und Studieren hatte sich wieder eingestellt. Und wahrlich, es war nicht wenig, was sich unserem Auge bot! Zunächst musste natürlich unser Fahrzeug, das schwimmende Plans, das uns während zweier Tage zur Wohnung dienen sollte, unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wir reisten in einer sogenannten Londra, einer Art Kahn, die, so viel ich weiss, lediglich in dieser Gegend gebräuchlich ist. Ein solches Fahrzeug hat im Verhältnis zu seiner bedeutenden Länge nur eine äusserst geringe Breite. Die beiden Enden laufen in lange, hoch emporragende Spitzen aus. Die Wände sind aus ziemlich dünnem Holze hergestellt, so dass das Ganze kein grosses Gewicht besitzt. Die Fortbewegung geschieht durch Ruder oder auch mittelst langer Stangen, mit denen die vorn und hinten auf den schlanken Schnäbeln stehenden Bootsleute auf den Grund des Gewässers stossen. Doch kann bei günstigem Winde an einem Mäste, der zu diesem Zwecke iedesmal erst aufgerichtet wird, auch ein Segel entfaltet werden. Ein Steuerruder setzt man ebenso.nur in diesem Pralle ein, während sonst die Lenkung des Kahnes gleichzeitig mit seiner Fortbewegung, und zwar in höchst geschickter Weise besorgt wird. Das Fahrzeug erinnert, durch seinen Bau, mehr aber noch durch die schwarze Farbe, die ihm zumeist eignet, etwas an die gleichfalls so originelle venetianische Gondel. Mit den berühmten Kaiks der türkischen Hauptstadt aber hat die Londra das gemein, dass sie nicht nur gänzlich unbedeckt ist, sondern vor allem auch der Bänke entbehrt, so dass man in ihr ebenfalls nur am Boden oder allenfalls auf einem mitgebrachten Gepäckstück sitzen kann. Derartig sind die Boote, die alljährlich am St. Nikolaus-Tage von der Hauptstadt Albaniens herzuschwimmen, um einer Anzahl von Skutarinern die Teilnahme an jenem ländlichen Feste zu ermöglichen. Auf die dadurch gebotene Retourgelegenheit hatten wir, Rovinski und ich, schon in Dulcigno unsere Pläne gebaut. Aber o weh, als wir von dem Pfarrhause in St. Nicolo an den nahen Bojana-Strand gelangt waren, zeigten sich die wenigen dieser Kähne, die überhaupt am Ufer lagen, bereits insgesamt überfüllt. Selbst der, in welchem man uns noch ein Plätzchen einräumte, zählte schon gegen 30 Insassen. Indes hätten wir die nicht geringen Unbequemlichkeiten, die uns so erwuchsen, recht gern hingenommen, wenn wir nur sicher gewesen wären, unser Ziel in nicht allzu langer Zeit zu erreichen. Aber wie schlecht stand es erst in dieser Hinsicht mit unserer Fahrgelegenheit! Herr Rovinski hatte mir von 5 bis 6 Stunden gesprochen, in welchen wir die etwa ebenso viele geographische Meilen betragende Entfernung zwischen der Bojana-Mündung und , Skutari zurücklegen würden. Stromabwärts, wo das Schiffchen von der Kraft des grossen Flusses getrieben wird, mag eine solche Zeit auch wohl genügen, um jenen langen Wasserweg zu durchlaufen. Vielleicht ist dies unter günstigen Umständen sogar noch Schwarz, Montenegro. 13 rascher möglich. Ganz anders stellen sich die Verhältnisse indes bei einer Bergfahrt. Die Londra kann dann der starken Strömung wegen nicht die Mitte des Gewässers halten, sondern muss am Ufer entlang vorwärts zu dringen suchen. Von der Mühseligkeit eines solchen Beginnens kann man sich kaum einen genügenden Begriff machen. Wir hatten vier riesige Ruderer, von denen zwrei auf dem vorderen und zwei auf dem hinteren Schnabel des Fahrzeuges standen. Wie trieften die armen Kerle schon nach kurzer Zeit von Schweiss 1 Wrie liefen die Adern an Kopf und Hals an, so oft sie die langen, am oberen Ende mit einer Krücke versehenen Stangen viele Meter tief ins Wasser senkten und sich dann mit dem ganzen Leibe darauf warfen! Natürlich suchten sie sich diese furchtbar anstrengende Arbeit zu ersparen, so oft es nur ging. F2s wurde deshalb an geeigneten Stellen die lange Leine ausgeworfen. Zwei Mann sprangen hinaus, und nun zog mau uns. Aber die Freude währte meist nur kurze Zeit. Die zahlreichen Uferbüsche streckten heimtückischer Weise allzu häufig ihre langen Finger nach dem Faden aus, der uns mit dem Festlande verband, um sich mit ihm aufs engste zu verschlingen. Hoben die Schiffer aber die Stangen, um dieser unangebrachten Umarmung ein Ziel zu setzen, so machte das nasse Element unter unseren Füssen von seiner wieder erlangten Freiheit Gebrauch und liess den Kahn im Nu um mehrere Meter zurückgleiten. Häufig nötigten uns auch plötzlich auftretende Untiefen, Strudel oder von der Uferböschung niedergegangene Erdmassen, quer über den Strom nach der anderen Seite zu fahren. In diesem Falle wurde unsere Wasserreise geradezu gefährlich. Denn der gewaltige Fluss trieb das leichte Fahrzeug entweder rasch abwärts, dass es schien, als wäre es ganz der leitenden Menschenhand entrissen, oder er drehte es im Kreise um sich selbst. Auch die Möglichkeit, dass wir unter dem Anprall der ungeheuren Wassermasse umschlügen, war nicht ausgeschlossen. Man kann sich denken, dass wir auf diese Weise nur äusserst langsam vorwärts kamen. Wir legten in einer Stunde wohl kaum die Hälfte der Strecke zurück, welche ein leidlicher Fussgänger zu bewältigen imstande ist. „Ein Vergnügen eigner Art ist doch eine Wasserfahrt!" Und die unsrige war es in ganz besonderer Weise. Hundertmal mussten wir uns bücken, wenn wir unter überhängenden Büschen hinwegfuhren; hundertmal rissen mir, wenn ich den rechten Moment versäumt hatte, feuchte Äste den Hut vom Kopfe, wenn nicht gar die Brille von der Nase. Einmal fing es selbst an, recht ausgiebig zu regnen. Trotz all' dieser Tücken von unten und oben, von rechts und links war unsere Wasserpartie aber doch im wirklichen Sinne ein Vergnügen. Oder musste denn nicht in der That eine Schneckenpost, wie sie von unserem Retourkahne dargestellt wurde, in einer Zeit, wo man fast in allen Weltteilen mit Dampfeskraft in rasender Eile dahinfliegt, schon an und für sich als etwas Rares amüsieren? Und nun gar unsere Reisegesellschaft, welch ein ganz anderes Völkchen, als die blasierten Herren und modisch aufgeputzten Damen in den Coupes und Kajüten unserer Transportmittel! Ja, was für ein origineller Anblick, diese eng zusammengeschichteten Kinder Albaniens in ihren bunten Kostümen, die Männer mit dem Fez, die Frauen mit dem flatternden Kopftuch auf dem Haupte! Und wie fröhlich sie waren, diese Leute! Wie sie ein Lied nach dem andern anstimmten, ohne sich weder durch die Launen des Himmels noch durch die Wut des Flussgottes oder die heimtückischen Backenstreiche der Pflanzenwelt am Ufer auch nur im geringsten stören zu lassen. Namentlich war es ein Schuhmacher aus Skutari, ein junger, geist- und lebensprudelnder Mensch von herrlichem Wüchse und bildschönem Gesichte, der nicht müde wurde, die Gesellschaft auf alle nur mögliche Weise zu amüsieren. Nach den Erfahrungen, die ich auf dieser Fahrt gemacht, möchte ich die Skutariner fast für die lustigsten Leute in Europa halten. Trotz dieser Ausgelassenheit, die auch die Weiber und zwar selbst die ältesten unter ihnen teilten, fiel doch niemand uns, den einzigen Fremdlingen im Boote, irgendwie lästig. Vielmehr sollte es uns vergönnt sein, mitten in dieser unbekannten Menge ein Menschenkind zu finden, mit dem wir uns nicht nur in der trauten Muttersprache unterhalten konnten, sondern das uns auch für die ganze lange Flussfahrt und den nachherigen Aufenthalt in Skutari Dienste leistete, die von ganz unberechenbarem Werte für uns waren. Dieser Mann nannte sich Augustin Coltaja, ein Vollblut-Alba-nese aus der Hauptstadt am Skutari-See, der sich indes durch längeren Aufenthalt in östreichischen Landen, woselbst er auch das Deutsche erlernte, sowie infolge seiner Anstellung als Dragoman bei der englischen Grenzregulierungs-Kommission vollständig europäische Kultur angeeignet hatte und ein kenntnisreicher, gewandter, sowie durch und durch anständiger und bescheidener Mensch war. Für Reisende, die in das Innere Albaniens oder der Balkanhalbinsel einzudringen beabsichtigen, ist niemand besser zu empfehlen als er, der nicht allein selbst schon die Reise über Prizrend nach Saloniki gemacht hat, sondern auch alle für das europäische Gebiet der Türkei in Frage kommenden Sprachen beherrscht. Wir hatten Plerrn Augustin, wie er von seinen Bekannten schlechtweg gerufen wurde, bereits auf dem Kirchhof in San Nicolo kennen gelernt, wo er uns in bestem Deutsch anredete. Im Gedränge waren wir dann getrennt worden. Jetzt trafen wir ihn zu unserer grössten Freude wieder hier im Kahne, mittelst dessen er samt seiner Frau und einem munteren Söhnchen ebenfalls die Rückreise nach Skutari bewerkstelligen wollte. Gar bald sollten wir denn auch den Wert dieser jungen Be: kanntschaft praktisch erproben. Plerr Augustin holte nämlich aus einem umfangreichen Korbe Blechteller samt Messer und Gabeln, tranchierte dann kunstgerecht eine gut gebratene Schöpskeule, goss aus einem grossen Krug Wein in die Gläser und lud uns darauf höflichst ein, an dieser improvisierten Tafel Platz zu nehmen, da er sehr wohl wisse, dass wir weder an diesem Tage schon etwas zu uns genommen hätten, noch auch irgend welchen Vorrat bei uns führten. Nun, wir sträubten uns nicht lange, da sich nach dem über-standenen Schreck doch der Appetit wrieder eingestellt hatte. Und wahrlich, es mundete recht wohl in unserem schwimmenden Hotel! Unser Wirt holte schliesslich auch ein Dessert, einen aus zwei dünnen, mit einer Obstmasse gefüllten Scheiben von Maisteig bestehenden Kuchen, aus seinem Wunderkorbe hervor, der ein Nationalgericht von recht gutem Geschmack darstellte. Als die Tafel aufgehoben, das heisst, die übrig gebliebenen Brocken kurzweg über Bord geworfen waren, musste eine kleine Kaffeemaschine noch den braunen Mokkatrank liefern. Dann wickelte uns der gewandte Dragoman mit unglaublicher Fertigkeit in kürzester Frist eine Masse Cigaretten, und nun, während wir die blauen Dampfwölkchen in die Lüfte sandten, waren wir auch in der Stimmung, die unbekannte Landschaft genauer zu betrachten. Und wahrlich, das Bild, das sich uns bot, war interessant genug. Eine Bojanafahrt ist zwar keine Rheinreise. Hier giebt's keinen duftig grünen Wasserspiegel, keine malerischen Höhen, keine stolzen Burgen. Unserem Flusse fehlt die zauberische Anmut mitteleuropäischer Wasseradern, dafür aber präsentiert er sich tingleich imposanter als jene. Die Bojana, auf unseren Karten ein unansehnliches Küstengewässer, hat überhaupt kaum noch etwas Europäisches. Sie ist höchstens mit der Donau jenseits des eisernen Thores zu vergleichen. Gerade wie dieser unser vaterländischer Strom in seinem Unterlaufe, erinnert sie vielmehr an die wilde Majestät der amerikanischen Riesenflüsse. Träg wälzt sich auch hier die schmutzig gelbe Wassermasse dahin, die an Breite die Elbe bei Dresden fortlaufend um das Zwei- und Dreifache übertrifft und so mächtig ist, dass die grössten Seeschiffe von ihr sich tragen lassen können. Durch Untiefen bilden sich nicht selten weithin sichtbare Wirbel An manchen Stellen scheint das flüssige Element ganz zum Stehen gekommen zu sein, während es dort wieder, ein Strom im Strome, mit rasender Eile dahinschiesst. Vielfach schwimmen gewaltige Bäume, deren schlammtriefende Äste melancholisch aus dem Wasser herausragen, auf der unheimlichen Flut. Häufig genug haben sich solche gefallene Riesen an seichten Stellen selbst wieder in den Boden eingerammt und bedrohen die vorüberziehenden Schiffe. Zahlreiche Möven schweben unaufhörlich über dem rauschenden und gurgelnden Strome, um bald hier bald da unter krächzenden Lauten niederzustossen und tauchend einen der schwimmenden Bewohner zu ergreifen, die das Gewässer in ausserordentlicher Masse beherbergt. Echt amerikanisch sind Buch die Ufer, die den Fluss einschliessen, An den meisten Stellen wuchert ein wahrer Urwald. Dichte Massen von Ulmen und Erlen erscheinen durch die lianenartigen Guirlanden der Brombeersträucher zu einem undurchdringlichen Gewirr verknüpft. Vielfach wird diese wilde Buschwelt von Espen überragt, deren mächtiger Stamm fast bis zu Turmeshöhe ansteigt. Ander- wärts wieder bildet die mattgrüne Thuja, dieses echte Kind amerikanischer Wildnis, dichte Hecken. Nur selten, meist wo Dörfer in der Nähe sind, nimmt diese urwüchsige Flora einen etwas milderen Charakter an. Es zeigen sich dann Nussbäume und Feigen, oder es hängen auch Trauben von verwildertem Wein aus den Büschen zum Wasserspiegel nieder. An entholzten, sumpfigen Stellen aber sucht üppiges Farnkraut es an hochstrebendem Wüchse den benachbarten Sträuchern gleich zu thun. Häufig freilich hat der Stromgott dieser engen Umarmung seitens der Mutter Natur sich zu entziehen versucht und heimtückisch grosse Stellen des Ufers unterwaschen, so dass dann mächtige Partien sich gesenkt haben oder jäh abgebrochen sind und als Strandinseln im Wasser weiter vegetieren, während die des umhüllenden Erdreichs beraubten Wurzeln der am Ufer stehen gebliebenen Bäume wie Polypenarme gegen die Fluten vorragen. Erhöht wird der Charakter des Wüsten, den diese Strom-scenerie trägt, noch durch die ungeheure Einsamkeit, die wie ein AI]) über dem Ganzen liegt. Da sieht man nichts von leichtbeschwingten Segelbooten, von bandwurmartigen Holzflössen, von zierlichen Personendampfern oder keuchenden Remorqueuren, die bei uns die Wasserwege beleben. Hier eilt nur mitunter ein plumper Kahn, einem gehetzten Wilde gleich, quer über die breite Wasserfläche, um einige zerlumpte Albanesengestalten drüben ans Land zu setzen, die, sobald sie den festen Boden unter sich haben, eiligst ihre langen Gewehre laden und im Dickicht verschwinden. Mehrmals hörten wir auch wirklich einen Schuss fallen. Galt er einem Tiere oder war das mörderische Rohr auf eine Menschenbrust gerichtet gewesen? Wahrhaft erhebend, wie man leicht begreifen kann, musste es auf uns wirken, wenn wir hie und da einmal durch Lücken in dem Dickicht aus unserer Wildnis hinausblicken konnten auf die freundliche Ebene. Von dort grüsste uns doch warmes Leben, anheimelnde Scenerie. Getreidefelder dehnten sich aus und vereinzelte Hänsergruppen wurden sichtbar. Ja, da draussen standen, wenngleich in weiter, verblauender Ferne, selbst alte Bekannte, die stolzen Recken der Rumijakette, unter denen der Koloss des Lisin bei Antivari wohl zu erkennen war. Gegen Abend vollzieht sich sogar eine totale Bühnenverwand- hing. Fast unmerklich hat sich nämlich das rechte Ufer zu einem ansehnlichen Wall erhoben, der mit kahler, felsiger Böschung zum Flusse abfällt. Oben auf seinem Rücken aber werden zahlreiche, weisse Dreiecke tiemerkbar. Was kann das sein? Eigentümliche Hornsignale, die der Wind halb verweht zu uns niederträgt, geben uns Aufschlttss. Türkisches Militär hat da droben seine Zelte aufgeschlagen. Und allerdings ist dieser Punkt auch wie geschaffen für ein befestigtes Lager. Während wir nämlich dahinüberschauen, hat unterdes das jenseitige Gestade gleichfalls ein anderes Gewand angezogen. Ein gewaltiger Näturdamm begleitet jetzt auch auf dieser Seite das Gewässer. Auf solche Weise fahren wir bald in einem wahren Engpasse dahin, der nach freilich nur kurzer Dauer damit endigt, dass rechts und links zwei steile Kuppen mehrere Hundert Fuss über dem Wasserspiegel aufragen und so ein natürliches Thor von grossartigen Dimensionen bilden, jäh fallen die Felsen-flanken dieser Eckpfeiler zum Strome nieder, welcher, so auf die Hälfte seiner vorherigen Breite zusammengepresst, wie vor Ingrimm über diese Vergewaltigung mit mächtigem Getöse dahinschiesst. Das ist die sogenannte Position Belaj, die, wie man unschwer erkennt, für die militärische Beherrschung der Bojana ausserordentliche Bedeutung hat. Sie verdient das „Gibraltar" zwischen Mittelmeer und Skutarisee genannt zu werden. Kaum hatten wir jedoch diese Felspforte passiert, so war auch die Scenerie von neuem total verändert. Die Berge blieben hinter uns. Der Fluss, seiner Fesseln entledigt, breitete sich behaglich zu einem seeartigen Becken mit fast unbeweglichem Wasserspiegel aus. Iber die Ebene aber, die wir nun wieder vor uns hatten, schweifte der Blick weit gen Osten, um endlich an einer prächtigen, hochragenden, hier und da noch mit Schnee bedeckten Bergpyramide hängett zu bleiben. Das ist die aussichtsreiche, vielbestiegene Maranai, 1576 Meter, der höchste Gipfel in der näheren Umrandung des Skutarisees auf der Ostseite. Noch weit diesseits dieser Spitze liegt bereits unser Ziel, die Hauptstadt Oberalbaniens. „Ach, wären wir doch schon dort," diesen Seufzer vermochten wir angesichts des herrlichen Panoramas nicht zu unterdrücken. Denn bereits senkten sich die ersten Schatten der Dämmerung hernieder. Es wurde zudem recht kühl auf dem breiten Gewässer, so dass wir schon deshalb von einer Weiterfahrt die Nacht hindurch hätten absehen müssen, selbst wenn eine solche nicht auch aus anderen Gründen unthunlich gewesen wäre. Indes wo ein Quartier finden in dieser Einöde? Zwar legten wir jetzt an einem Hause an. Aber dasselbe war nur eine Art verrusste Höhle, in welcher man inmitten einer ziemlichen Zahl wahrer Galgengesichter ein zweifelhaftes Gebräu einnehmen konnte, für das unsere Bezeichnung „Fusel" noch ein Ehrenname gewesen wäre. Recht niedergeschlagen traten wir aus der Spelunke wieder heraus. Aber Herr Augustin hiess uns frohen Mutes sein, denn binnen kurzem würden wir eine allen billigen Ansprüchen genügende Nachtstation erreichen. Wie zum Beweis dafür liess er uns drei stattliche Exemplare der uns schon von Antivari her bekannten Fischgattung Kubla sehen, die er für unser Souper zum Preise von zwölf Kreuzer pro Stück hierorts käuflich erworben hatte. So stiegen wir denn ruhig wieder in unser Boot und steuerten von neuem auf dem mächtigen Strome dahin. Aber rasch sank die Nacht hernieder. Nur langsam tasteten sich unsere Schiffer weiter. Kein Uferfeuer leuchtete uns ermutigend zu. Vor uns in fahlem Scheine lediglich die jetzt in der Dämmerung doppelt breit erscheinende Wassermasse. Unheimlich rauschten und gurgelten ihre Wogen um uns. Ein immer dichter sich zusammenballender Dunstnebel wehte uns an wie Grabesluft, Da endlich machen die Fährleute Halt. Mit einem Satz sind wir draussen. Ja wahrlich, lieber hinaus unter die übelberüchtigten Albanesenhorden, als noch länger diese gespenstige Wasserfahrt! Nur mit Mühe und unter stetem Ausgleiten arbeiten wir uns an einem niedrigen, aber steilen und feucht lehmigen Abhang empor. Aber wo ist das verheissene Dorf, fragen wir unwillkürlich, als wir nun endlich oben sind. Wir sehen vor uns nichts als eine Anzahl dunkler Körper, riesigen Bienenkörben ähnlich, die wie aufmarschiert stehen. Ach, und unser treuer Helfer in der Not, Herr Augustin, war uns in der Dunkelheit völlig aus den Augen entschwunden. Ratlos standen wir da. Unsere Lage musste verzweifelt genannt werden. Allein in stockfinsterer Nacht an ein unbekanntes Gestade geworfen, auf freiem F'elde mitten in einer Gegend, die schon bei Tage zu durchwandern kaum ratsam erscheint; und nicht einmal imstande, sich mit den Leuten, wenn solche überhaupt ausfindig zu machen sind, zu verständigen, welch eine fatale Situation! Unsere lustige Reisegesellschaft aber empfand nichts von alledem. Denn kaum dass sie sich mit Sack und Pack aus dem Fahrzeuge herausgehaspelt hatten, so waren die sämtlichen Leutchen auch schon geschäftig, dem Vergnügen des Tanzes zu huldigen. Unermüdlich stampfen die Fusse den Boden, Jauchzen und Jubeln schallt durch die stille Nacht. Während wir noch verwundert diesem sonderbaren Treiben zuschauen, ist unversehens Herr Augustin wieder eingetroffen mit der Meldung, dass das Nachtquartier unserer harre. Wir folgen ihm und stehen nach zwei Minuten schon vor einem winzigen Häuschen, das wir vorher bei der herrschenden Dunkelheit gar nicht bemerkt hatten. Tief müssen wir uns bücken, um durch die niedrige Thür zu gelangen. Drinnen umfängt uns ein kleiner, höhlenartiger, verrusster Raum, in dessen Mitte ein Kessel über glimmenden Kohlen hängt. Hinter demselben hat unser freiwilliger Reisemarschall auf einer herdartigen Erhöhung bereits Teppiche und Mäntel ausgebreitet. Während wir uns hier niederlassen, facht er das Feuer an. Bald schmoren die mitgebrachten Fische. Der Wirt, ein gutmütiger Mensch, wenngleich von wildem Äusseren, der samt seiner Familie in die anstossende, finstere Kammer übergesiedelt wrar, bringt Maisbrot und eine kolossale Fdasche mit einem etwas trüben, aber recht wohlschmeckenden, blanken Landwein ; und nun beginnt das Souper, dem wir unter der Einwirkung des allmählig trotz unserer misslichen Lage wieder erwachten Hungers alle Fmre angedeihen lassen. Nachdem wir uns gesättigt hatten, traten wir noch einmal ins FYeie. Der Mond war aufgegangen und spiegelte sich in dem gewaltigen Strome, der mit leisem Rauschen vor unseren Füssen vorüberglitt. Still lag das hügelige Land auf dem anderen Ufer drüben. Diesseits aber war durch unsere Landung Leben entfacht worden. Grosse Hunde schlichen scheu herum, die unbekannten Gestalten zu beschnuppern. Hier und da tauchten Männer oder auch Frauen auf, die aus der l^erne nach den seltenen Gästen spähten. Unsere Reisegefährten jedoch tanzten noch immer und ibre Lustigkeit hatte jetzt den Charakter bacchantischer Ausgelassenheit angenommen. Das Ganze bot ein schönes, indes doch allzu fremdartiges Bild. Wir flüchteten wieder in unsere Hütte. Herr Augustin verbarrikadierte, so gut es ging, die Thüre, und nachdem er uns nochmals die Versicherung gegeben, dass wir, zumal als Gastfreunde eines der Dorfbewohner, nichts zu fürchten hätten, umfing uns trotz unseres harten Lagers bald der festeste Schlummer. Wie ernüchtert betrachteten wir doch am nächsten Morgen unseren Landeplatz, der am Abend uns so unheimlich erschienen war! Die finsteren Festungstürme, die am Ufer sich aneinander reihten, entpuppten sich jetzt als höchst geschickt konstruierte Cylinder aus Korbgeflecht, die zur Aufbewahrung von Mais dienten. Auch sonst präsentierten sich uns überall die Merkmale friedlicher Landwirtschaft. Da standen roh gearbeitete Karren, deren Räder von ungeheuren Holzscheiben gebildet wurden; an den Wänden lehnten die primitivsten Ackerpflüge, die sich hier noch erhalten haben; Hunde bellten, Hähne krähten. Wir hatten indes nur wenig Zeit, diese idyllischen Bilder in uns aufzunehmen. Denn horch, da tönt schon lustiger Gesang durch die weihevolle Stille des Morgens. Unsere Albanesen nahen sich. Rasch wird die Londra bestiegen, und kaum war 5 Uhr vorüber, so schwammen war schon wieder auf dem weiten Gewässer. Wie wir selbst, so haben auch die rauhen Fährknechte neue Kräfte gewonnen. Bald verschwindet Samaritj (sprich Samaritsch), unsere Nachtstation, samt dem ihm gegenüberliegenden Goritza hinter uns, die alte Urwaldsscenerie umgiebt uns von neuem. Gegen 8 Uhr wird die Landschaft belebter. Die Masten mehrerer grosser Segler tauchen auf. Später erscheinen auch einige Häuschen am rechten Ufer, bis war zuletzt eine ganze stattliche Ansiedelung vor uns haben. Das ist Oboti, der letzte Ort, bis wohin Seeschiffe von der Adria aus gefahrlos gelangen können. Zwei Drittel der ganzen Länge der Bojana etwa sind in dieser Weise von dem Wasserverkehr in grösserem Massstabe zu benützen. Man kann sich denken, dass Oboti infolge jener seiner Lage eine wichtige Rolle spielt. Kleinere, flachere Fahrzeuge bringen bis hierher die Landeserzeugnisse aus dem Inneren Albaniens, um dafür die Waren, welche grössere Schiffe aus dem Auslande herbeiführen, wieder mit hinwegzunehmen. So entsteht ein lebhafter Tauschund Umladeverkehr. Daher finden wir denn auch am Ufer ein türkisches Zollamt, dessen Beamte freilich im Punkte der Trägheit und des brutalen Wesens ihren Kollegen in anderen Gebieten des Halbmondes nichts nachgeben. Unsere Londra mit ihrer lustigen Ladung blieb glücklicherweise von ihnen verschont. Wir konnten ungeniert ans Land gehen. Von dieser Befugnis machten denn auch unsere Albanesen sofort Gebrauch. I-n corpore verfügten sie sich in das unweit gelegene, überaus freundlich aufgeputzte Pfarrhäuschen, um dort ohne Benachteiligung ihres Geldbeutels einen Kaffee einzunehmen. Sie mochten der Ansicht sein, dass der geistliche Herr, der sonst von ihnen unterhalten werde, Verpflichtet sei, nun auch einmal für sie aufzukommen. Ich ging, derweilen das Dorf zu besehen. Lange stand ich namentlich in der Schmiede eines Zigeuners, der mit funkelnden Augen und finsteren Mienen, jung Siegfried gleich, als er einst sich ein Schwert zusammenhämmerte, das glühende Eisen bearbeitete, dass die Funken stoben und die Hügel ringsum widerhallten. Dazwischen ging die Frau ab und zu, ein. hochgebautes, seltsam bunt gekleidetes Weib mit dem dieser rätselhaften Nation eigentümlichen Kupfergesicht und Rabenhaar. Sie trug Wasser in einem Zweihenkeligen Krug, den sie graziös auf dem Haupte balancierte, just wie vor Jahrtausenden die Töchter Ägyptens, die im Nil schöpften. Unsere Schiffer brauchten viel Zeit zu ihrem Frühstück. Denn erst gegen 10 Uhr gingen wir wieder „in See". Die Landschaft nahm von da ab einen ganz neuen Charakter an. Der Fluss, der Heimat der wilden Albanesenstrimme nun schon so nahe, verwildert gleichsam selbst mit. Nach allen Richtungen hin gestattet er seiner schmutzigen, trägflüssigen Masse sich auszudehnen und lässt es so-gar geschehen, dass bald hier bald dort buschige Eilande oder langgestreckte Sandbänke in dem stundenbreiten, seeartigen Gewässer emporragen und die Schiffer gefährden. Überaus trostlos ist solcher Anblick. Und doch muss sich der kundige Beschauer sagen, dass eine derartige Wasserwüste nicht einmal auf ihren gegenwärtigen, schon so ausserordentlichen Umfang beschränkt bleibt, sondern dass ihre gierigen Fluten immer mehr von der fruchtbaren Niederung an sich reissen, aber auch auf diese Weise selbst, was sie an Breite gewinnen, an Tiefe verlieren und dadurch ihre Bedeutung als nutzbare Wasserstrasse bald gänzlich einbüssen werden. Wie leicht liesse sich mit den Mitteln moderner Wasserbautechnik hier Abhilfe schaffen und der Landwirtschaft ein treffliches Stück Erde, der Schiffahrt aber ein ganz unschätzbarer Verkehrsweg erhalten, resp. wiedergewinnen! Wer wollte aber etwas Derartiges von der türkischen Misswirtschaft erwarten! Auch die Grossmächte, die betreffs der Balkanhalbinsel schon zu sehr durch die Fragen der höheren Politik in Anspruch genommen werden, dürften sich kaum bewogen fühlen, dem Gedanken einer Bojana-Regulierung näher zu treten. Und so werden denn dort die Naturkräfte ihr Zerstörungswerk weiter treiben, bis ein vielleicht nie wieder zu korrigierender Schaden angerichtet ist. Schon uns mit unserer kleinen Londra machte der unbändige Strom nicht wenig zu schaffen. Nur mit äusserster Anstrengimg und unter mannigfachen Gefahren vermochten die Schiffer sich durch das Labyrinth von Inseln und Wasserarmen, von Untiefen und Strudeln hindurchzuwinden. Mehrmal wurden wir von den Verhältnissen genötigt, nach der anderen Seite hinüberzulenken, und hierbei war das schwanke P'ahrzeug oft genug am Umschlagen. Bei diesen Kreuz- und Öuerzügen begegneten wir übrigens wiederholt auch Paschern, die in origineller Weise ihrem Gewerbe oblagen. In einem winzigen Kahne befanden sich zwei Männer. Der eine streckte, im Flinterteile sitzend, ein breites, kurzes Ruder derartig in die Finten, dass das Schifflein dadurch nahezu unbeweglich an die Stelle gefesselt wurde. Der andere dagegen stand und hielt an langer Stange ein an einem Bügelkreuz angebrachtes Netz in das Wasser, in das er zugleich mit scharfem Auge hinab spähte. Die Köpfe beider waren dabei mit dicken Tüchern umwunden, so dass sie eher fischenden Lappen oder Eskimos denn Bewohnern des heissen Südens glichen. Nicht weniger, als diese auf dem beweglichen Elemente gleichsam angenagelten Kähne mit ihren vermummten, regungslosen Insassen, passte zu dem wüsten Strombilde eine hochinteressante Ruine, die wir gegen Mittag passierten. Auf einer vom linken Ufer vorspringenden, flachen Landzunge erheben sich nämlich mitten in einer wahren urweltlichen Wildnis von Bäumen, Büschen, mannshohen Gräsern und rankenden Schlinggewächsen die noch ziemlich ansehnlichen Überreste eines Klosters, das, wie eine fast unverletzte Marmortafel über dem (westlichen) Haupteingang in griechischer Sprache verkündet, im Jahre 1290 von der musischen Königin Helene gegründet wurde. An den allerdings ihrer Überdachung beraubten Umfassungsmauern sind Rund- und hier und da auch Spitzbogen wohl erhalten. Im Innern ragen mächtige Säulenstümpfe zum Firmament auf und die Altarnische blickt noch ziemlich unversehrt gen Osten. Auf meine Bitten legten die Fährleute an der hochinteressanten Stelle an und wir verbrachten einige weihevolle Augenblicke in dem altehrwürdigen Gotteshause. Schlingt sich doch auch um seine verwitterten Mauern nicht nur der Zauber einer fast sechshundertjährigen, wandlungsreichen Geschichte, nein, auch hier, wie bei den meisten Klöstern, hat die Natur ihre schönsten Reize als Staffage geliefert. Ringsum ein blätter- und blütenreicher Garten, vor der Thür der rauschende, mächtige Strom, der dahinzieht, um die Grüsse dieser Fansiedlerstätte dem Weltmeere zuzutragen, und endlich im Osten, wohin die frommen Mönche einst betende Blicke richteten, wenn die Sonne heraufstieg, die gewaltigen Schneehäupter der albanesischen Hochgebirge, die wie Riesenfinger zum Himmel weisen. War waren noch nicht lange wieder unterwegs, da wurde uns eine neue Überraschung zu teil. Vor uns stieg über all' das niedrige Buschwerk der Ufer ein isolierter Bergkegel in die Lüfte, auf seinem Scheitel mächtige Mauern tragend, ein Anblick, der mich an die berühmte Akropolis von Athen erinnerte, wie sie den Fremdling grüsst, noch lange ehe er die um ihren Fuss gescharten Wohnungen der Sterblichen erreicht hat. Wir waren jedoch nicht drunten im schönen Hellas, sondern im Lande der rauhen Albanesen. Die Festung von Skutari präsentierte sich unseren Augen. Aber wie frohlockten wir doch bei solchem Anblicke! Dort winkt ja das Ende unserer leidensreichen Wasserfahrt, in einem Stündchen können wir am Ziele sein. Indes wir hatten wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Unsere Schiffersleute erklärten nämlich plötzlich, dass sie nun ihre Mittagsmahlzeit einnehmen mussten, lenkten ans Land uud lagerten sich im Gebüsch, Unsere Albanesen ihnen nach. Auf einem grasigen Plane war bald wieder das lustigste Treiben im Gange. Einige tanzten, andere beschäftigten sich damit, Kränze aus Blättern und Blüten um ihr Haupt zu winden, noch andere kauerten auf dem Boden und kochten Kaffee, dass die lodernde Flamme bis zu den Buschkronen emporleckte und der würzige Duft des braunen Getränks durch die Einöde zog. Uns blieb nichts übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und gleichfalls auszusteigen, wenn auch nicht, um zu essen und zu trinken. Denn leider hatten wir der ambulanten Speisekammer des Herrn Augustin gestern so zugesetzt, dass der arme Mann heute samt Frau und Kind selbst darben musste. Aber ich ersann wenigstens eine Kurzweil. In unserem Kahne befanden sich nämlich auch eine Anzahl recht artige und geweckte Alba-nesenkinder. Namentlich hatte mir ein kleines, zuthunliches Mädchen viel Vergnügen bereitet. Unter anderem waren meine Uhr, die Brille und das Notizbuch für sie Gegenstände von höchstem Interesse gewesen. In letzteres hatte sie auf mein Verlangen mit ganz gewandten Zügen ihren Namen „Giustina" eingetragen. Den Kleinen eine Freude zu bereiten, schnitt ich ihnen Pfeifen aus den zahlreich umherstehenden Weidenbüschen, wie ich solches in der Jugend im Pleimatdorfe erlernt hatte. Und bald schallte das stille Gehölz wieder von tiefen und hohen, schrillen und sanften Tönen. Aber nun hätte man die Erwachsenen sehen sollen! Kaum dass sie der kunstlosen Instrumente gewahr geworden waren, so hatten sie dieselben auch schon den Kinderhänden trotz alles Schreiens und Strampeins der Kleinen entwunden und fingen jetzt selbst an zu pfeifen und zu tuten, dass es eine Art hatte. Ja, bald genügte ihnen das nicht mehr. Sie wollten auch die Fabrikation meiner Naturflöten kennen lernen. Und so sass ich denn schliesslich inmitten eines ganzen Kreises lernbegieriger Schüler wie einst Apollo unter den Hirten oder Orpheus unter den Geistern der Unterwelt. Höchst ergötzlich war es dann anzusehen, mit welchem Eifer Männer und Frauen auf die Weidenstückchen loshämmerten, damit sich die Schale vom Holze löse. Je unkultivierter eine Nation, um so kleiner die Kluft, welche die Erwachsenen vom Stande der Kinder scheidet,- was übrigens jedenfalls der geringste Fehler ist, der Naturvölkern anklebt. Kommt aber einst ein Fremder nach Albanien und findet die edle Kunst des Pfeifens auf Naturschalmeien vor, so wisse er, dass ich es bin, der dieselbe eingeführt und so der höheren abendländischen Kultur in diesem wilden Lande den Boden bereitet hat! So amüsant indes auch dies Intermezzo war, die alte Ungeduld kam bei uns doch endlich um so mehr zum Durchbruch, als unsere Reisegesellschaft allen Ernstes sich anschickte, den übrigen Teil des Tages hier zu verleben. Ich pflichtete daher mit Vergnügen einem Vorschlage des Herrn Augustin bei, der dahin ging, die kurze Strecke bis Skutari zu Fuss zurückzulegen. Das Gepäck, das uns abgehalten hatte, schon in Oboti einen ähnlichen Entschluss zu fassen, sollte die Frau mitbringen, was für mich übrigens noch den Vorteil hatte, dass mir die türkische Zollvisitation erspart blieb. Und so überliessen wir denn die tanzenden, pfeifenden und singenden Albanesen ihrem Schicksale und schlugen uns seitwärts in die Büsche. Bald waren wir im Freien. Rings um uns die weite Ebene, zur Rechten begrenzt durch Hügelzüge, auf denen freundliche Dörfer mitten unter üppigem Grün Platz gefunden haben. Vor uns aber immer die hochragende Veste, der wir wohlgemut quer über Kukuruzfelder zuwandern. Bereits vernehmen wir ganz deutlich die Hornsignale des Militärs aus der oberalbanischen Kapitale, Plötzlich — ein unvorhergesehenes Hindernis. Ein seichter, aber ziemlich breiter Arm der Bojana zieht sich quer über unseren Weg bis in unabsehbare Fernen hinaus. Eine Umgehung ist also unmöglich. Ein Durchwaten aber erscheint bei unserer Erhitzung bedenklich. Schon wollen wir betrübt den Rückzug antreten. Siehe, da naht sich wie ein deus ex machina der Retter in der Not. Je zwei und zwei lange Stämme tragend, die in den Kasernen Skutaris als Brenn- und Bauholz verwendet werden sollen, erscheinen türkische Soldaten, geführt von einem Offizier. Der letztere hatte kaum unsere Verlegenheit gesehen, da Hess er auch schon einigen seiner Leute ihre Bürde abwerfen und uns dafür „Huckepack" auf ihre breiten Rücken nehmen. Und so bewegte sich denn nun diese plötzlich in Kavallerie verwandelte Infanterie langsam aber sicher durch das Gewässer. Komisch genug mag sich das freilich angesehen haben! Namentlich bot Herr Rovinski auf seinem improvisierten Rosse einen kostbaren Anblick. Seine dicke Masse rutschte immer tiefer vom Rücken seines keuchenden Trägers nieder und war schon nahe daran, das Wasser zu berühren, als zum Glück endlich die Landung jenseits erfolgte. Mit wenig Schritten erreichten wir von da den Drin, der, aus dem Herzen von Albanien kommend, sich hier mit der Bojana vereinigt. Er mündete einst selbständig in das Mittelmeer, wohin übrigens noch immer ein Arm von ihm sich ergiesst. Seine bei weitem grösste Wassermasse aber hat sich herüber nach der Bojana eine Bahn gebrochen, und zwar stösst der ungestüme Bergstrom, der übrigens jener an Breite, wenn auch nicht an Tiefe fast gleichkommt, mit solchem Ungestüm schräg auf die Fluten des anderen, aus dem Skutarisee voll aber trag abfliessenden Gewässers, dass das letztere gestaut und dadurch die erwähnte stehende Überschwemmung der oberen Bojanaebene bewirkt wird. Eine Bo-janakorrektur müsste also notwendigerweise auch den Drin mit in Berücksichtigung ziehen. Glücklicherweise führte eine solide Holzbrücke über den tosenden Fluss. Kaum sind wir hinüber, so liegt auch die Einöde, die wir zwei volle Tage lang zu ertragen gehabt haben, hinter, uns; reges Leben in echt orientalischer Form pulsiert, wohin wir unsere Augen lenken. Unter uralten Platanen von solch riesigem Umfang, wie man sie kaum am Bosporus wiederfindet, kauern Bettler der ekelhaftesten Art, darunter selbst Weiber mit dicht verhüllten Gesichtern. Verschämt und unverschämt, bittflehend und drohend, lispelnd und schreiend sucht man unsere Mildthätigkeit zu erwecken. Bakschisch (Trinkgeld) und Almosen, wie könnte auch das Morgenland ohne diese beiden auftreten! — Neben der Armut kriegerisches Gepränge. Hunderte von Soldaten werden unter entsprechendem Lärm misstönender Trompeten gedrillt. Mitten in all' dem Getümmel aber ragt ein Gotteshaus, eine Moschee, vor Alters eine christliche Kirche, empor. Das ist die Scenerie am Fuss des hier auf seiner Südwestseite in senkrechten Wänden abfallenden F*elskegels, von dem die Festung niederschaut. Aber auch ihre gewaltigen Mauern spiegeln lediglich den Verfall wieder, der dem ganzen Türkentum aufgeprägt ist. Denn das ungeheure Bollwerk ist nur noch eine Ruine. Menschen hat es getrotzt, einer höheren Hand vermochte es nicht zu widerstehen. Und das kam so. Der Kommandant hatte irgendwo die lobenswerte Erfindung der Blitzableiter kennen gelernt und beschloss, sein Pulvermagazin gleichfalls damit zu versehen. Aus Sparsamkeit aber und weil er wähnte, weiser zu sein, als die verachteten „Christenhunde", nahm er nur die Fangstangen. Da eines Tages ein Blitz und — die Festung war zum grössten Teil ein Trümmerhaufen. Und das ist sie noch, wie dies niemand Wunder nehmen wird, der den Schlendrian am Bosporus kennt. Doch hier sind die ersten Häuser der Stadt. Ihre Bevölkerung soll der fanatischsten eine sein im Orient. Wandersmann, fürwitziger, wie wird dir's ergehen! VIII. Von Skutari nach Podgoriza. Skutari. Fahrt über den See. Scylla und Charybdis, oder Borawut und Albanesenheimtücke. Beim Salzinspektot. Durch die Moratscha-Ebene. Wie war ich doch enttäuscht, als ich endlich das langersehnte Skutari, die vielgenannte Hauptstadt Oberalbaniens, das „Stambul des Westens", vor mir sah! In meinen Träumen hatte ich es mit allen Reizen des Südens und allem Zauber des Morgenlandes ausgestattet. Ein riesiger Felskegel, weit emporragend über die Lande; auf seinem Scheitel eine finster blickende Veste, an seinem Fusse aber, bespült von den blauen Wogen eines Alpensees und umkränzt von dem Grün der Palmen, Feigen und Citronen, eine prächtige Stadt, aus deren Pläusermeer die schlanken Minarets zum bläuen Firmament aufsteigen. So wenigstens hatten mir die illustrierten Werke, welche die Balkanhalbinsel behandeln, das „albanesische Paris" gezeigt. Aber das Bild war, wie dies bezüglich so vieler Erzeugnisse des Pinsels gilt, welche fremde, wenig zugängliche Lande betreffen, lediglich das Machwerk einer unverfrorenen Phantasie gewesen. Allerdings der isolierte Felsen ist da, die Burg auf seiner Zinne, wenngleich m kläglichem Zustande, ebenfalls. Sogar eine Ansiedlung zu ihren Füssen fehlt nicht. Aber diese letztere ist keineswegs die Stadt Skutari selbst, sondern nur deren „Bazar", eine Art Vorort, der Schwarz, Montenegro. 14 als Sitz des Handels und der Schiffahrt anzusehen ist. Diese „Marina", wie man in Italien sagen würde, stellt einen Komplex von einigen Dutzend hölzernen Buden dar, die so eng zusammengerückt sind, dass die vorspringenden Dächer ihrem Yis-ä-Vis fast die Hand reichen und so die schmutzigen, von den verschiedenartigsten Gerüchen erfüllten, mit glatten, schlüpfrigen Steinen gepflasterten (iassen bilden, die das Barackenlabyrinth kreuz und quer durchziehen und mehr bedeckte, tunnelartige Gänge denn eigentliche Strassen darstellen. Auch die Waren, welche in den kleinen, engen Verkaufsläden feil geboten werden, entsprechen nicht der Vorstellung, die man sich sonst von orientalischen Bazars macht. Goldgestickte Seidengewänder, asiatische Shawls, funkelnde Juwelengeschmeide, blitzende Damascenerklingen, wie sie in der Metropole des Halbmondes am Goldenen Horn das Auge des Abendländers erfreuen und seinen Sinn berücken, sucht man hier vergebens. Kleinere silberne Schmucksachen von geringem Metallwerte, wennschon von trefflicher Arbeit, sowie einfache Smyrnaer Teppiche im kreise von etwa 15 Gulden das Stück, das sind so ungefähr die einzigen Artikel, die der Luxus an dieser Stelle ins Leid führt. Im übrigen sieht man hierselbst mehr die Dinge vertreten, welche zu des Lebens Nahrung und Notdurft gehören. In der einen Strasse — der Orient liebt es bekanntlich, Waren gleicher Gattung immer auch an einem Platze zu vereinigen und in langer Reihe auszulegen — Proben von Getreide, die in kleinen, offenen Säcken auf den Ladentischen liegen; anderwärts wieder altes Eisen und Brennholz, weiterhin rote Fezs und Schnabelschuhe von gleich greller Farbe, dort weisse Tuche und Leinwand. Eine der Gassen auch beherbergte durchaus Fleisch von warmblütigen Tieren, das indes eben dieser seiner Eigenschaft wegen unter der Einwirkung der dumpfen Luft in den hölzernen Hallen eine fatale bräunliche Farbe, sowie einen Geruch angenommen hatte, den civilisierte Nationen nur am Wildbret lieben, Lunge, Leber und Milz, sowie die blutigen Köpfe der armen Schlachtopfer hingen dabei, die Käufer anzulocken, wie eine Art Schild von der niedrigen Decke der betreffenden Buden nieder. Kaum mehr Appetit erregend wirkte eine andere Strasse, in welcher lediglich Fische auslagern Dieselben, Aale, Karpfen, Forellen, waren zwar nicht selten Prachtexemplare ihrer Gattung, wie man sie bei uns kaum antrifft, allein auch sie verbreiteten bereits einen Duft, der nur zu sehr an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnerte. Übrigens ist man hier so kühn, mit Astrachan zu konkurrieren, indem man aus Fischroggen eine Art Kaviar bereitet, der sehr gelobt wird. Leider fand ich nicht Gelegenheit, mich zu überzeugen, ob dieses Fabrikat dem berühmten Erzeugnis der Wolga-Stadt die Wage hält, da die betreffenden Geschäfte gerade geschlossen waren. Indes bot sich Gelegenheit genug zu anderen interessanten Studien. Denn es wurde gerade, wie dies hier mehrmals in der Woche der Fall ist, Markt abgehalten. In den engen Verkehrsadern der Holzstadt wimmelte es von Menschen aller Art; Italiener und Griechen, Bosniaken und Dalmatiner, Türken und Christen, Wilde und Civilisierte drängten sich durcheinander. Welch eine Mannigfaltigkeit der Physiognomien und Gewänder! Ganz besonders aber fielen die Bergalbanesen in die Augen; aus den erbärmlichsten Lumpen, die man sich denken kann, schauten da wahre Galgengesichter lauernd und stolz zugleich heraus. Mit nicht gerade angenehmen Gefühlen musste ich auch wiederholt bemerken, dass man meinem Begleiter, der in seiner montenegrinischen Tracht sorglos durch die wogenden Massen schlenderte, mit höchst feindseligen Blicken nachschaute. Und doch befanden wir uns hier nur erst im Vorhofe des Sitzes islamitischer Intoleranz, der Skutari heisst. Wie erfreut war ich daher, als wir endlich aus all dem Geruch und Getümmel in eins der in der Nähe befindlichen Restaurants eintraten, das zwar nur eine verräucherte Höhle vorstellte, in welchem uns aber ein ganzes halbes Dutzend der lange nicht mehr gesehenen Crnagorsen entgegentrat! Wie schüttelte ich den braven Burschen die Hände! Unter denselben wussten wir uns ja sicher geborgen und gern gesehen. Auch nahm ich insofern noch besonderes Interesse an ihnen, als sie mit ihren starken Armen uns über den See zu rudern bestimmt waren. Indes hatte es damit vorläufig noch keine Eile. Wir mussten doch noch die eigentliche Stadt Skutari sehen, nachdem wir uns einmal bis hierher gewagt. f Wir traten wieder auf die Strasse. Nahebei war der Hafen, 14* ein kleines Bassin mit einer Anzahl unthätig liegender Londras. Eine hölzerne Brücke führt von hier über die mächtige Bojana. Drüben erheben sich die felsigen Massen des Tarabosch (572 Meter), des letzten Ausläufers der Rumijakette, zur Rechten aber breitet sich der Spiegel des ungeheuren Skutarisees aus, der von hier gar nicht zu übersehen ist. Unsere albanesische Reisegesellschaft war unterdes auch glücklich eingelaufen. Mein Gepäck hatte die türkische Zollgrenze unbeanstandet passiert. So hielt denn nichts mehr unseren Marsch nach der Hauptstadt auf. Dieselbe liegt noch etwa eine halbe Stunde von dem Bazar entfernt. Eine holprige Strasse verbindet sie mit dem letzteren. Auf ihr schritten wir in östlicher Richtung dahin. Der Burgberg blieb bald hinter uns. Nur ein rasch abfallender Hügelzug lief von ihm aus noch eine Zeit lang mit unserem Wege parallel, um dann gleichfalls in die Ebene überzugehen. Die letztere begleitete uns bereits auf der linken Seite. Aber ihre schönen Wiesenflächen waren jetzt, wie dies im Frühjahr immer der Fall zu sein pflegt, von dem See überschwemmt. Natürlich wurde auch der Anblick des letzteren dadurch beeinträchtigt. Eine duftig blaue Wasserfläche, in der sich die scharfen Konturen hoher Schneeberge spiegeln — jenes wunderbar anmutende Bild, wie es unsere Alpen so vielfach bieten — fehlte hier. Von dem flachen Ufer aus glitt das enttäuschte Auge über eine schier unermesslich ausgebreitete, trübe Wassermasse, aus der hier und da die Krone eines Obstbaumes traurig emporragte. Nur draussen in weiter Ferne, da veränderte sich das Tableau. Dort lag es wie ein duftiger Schimmer über der ausgedehnten Seefläche und stolze Felshäupter tauchten hinter einander auf. Dort ist das Nordufer des Gewässers, dort das Gebiet der „schwarzen Berge", die uns jetzt auf dem heimtückischen Boden Albaniens schon wie ein zweites Vaterland erscheinen. Nach einiger Zeit biegen wir vom See etwas landeinwärts ab und siehe, da sind wir auch schon in der Hauptstadt angekommen. Aber wo steht sie denn? Wo sind die düsteren Pforten, die in ihr unnahbares Innere führen? Wo Schildwachen und misstrauisch blickende Polizeimannschaften, wo Paläste und Serails, wo geheimnisvoll vergitterte Fenster und schwarzäugige Eunuchen? Nichts von alledem gewahren wir. Bald auf dieser, bald auf jener Seite unserer Strasse zeigt sich ein grosses Gehöfte, offenbar dem Landwirtschaftsbetriebe dienend. Das ist das Entree der oberalbane-sischen Kapitale. Nachlässig hängen die altersgrauen Thore in ihren Angeln, in den Ritzen der zerbröckelnden Mauern wuchert gelbblühender Setum. Dazwischen streckt auf verwilderten Feldern die Iris in dichten Massen ihre blauen Blumen keck empor. Schmutzige Soldaten und noch schmutzigere Eselstreiber mit ihren hochbepackten Tieren ziehen an 'uns vorüber. Endlich aber doch ein Stück Orient! Rechts drüben erhebt sich ein weissgetünchtes Gebäude mit mehreren Kuppeln auf seinem Dache. Das ist ein „Flämmam", ein türkisches Bad. Dahinter steigt ein Minaret in die Lüfte. Allmählich auch rücken die durch die Ebene verstreuten Gebäude enger zusammen. Es bildet sich eine Art Strasse. Verräucherte Cafes stehen neben feuerspeienden Schmieden oder friedlichen Schuhmacherwerkstätten. Späterhin erweitert sich die übrigens schon an sich ganz im Gegensatz zu den sonst so engen, düsteren morgenländischen Gassen ziemlich breite Strasse zu einem geräumigen Platze, den rings freundliche, weiss-getünchte, vielfach mit grünen Jalousien versehene Wohnhäuser, darunter manche selbst von recht stattlicher Art, inngeben. Das ist Skutari, gewiss eher einem einfachen deutschen Landstädtchen denn einer türkischen Kapitale vergleichbar. Siehe, dort sogar ein Hotel von ansehnlichem Äusseren; es fehlt nicht einmal die von dergleichen Häusern beliebte, nichtssagende französische Parma. Leider nur kann es uns seine gastlichen Räume nicht öffnen. Denn es ist in Bausch und Bogen an einen Grossgrundbesitzer aus dem Hochland, will sagen an den Häuptling eines der Räuberstämme dort oben in den unwirtlichen albanesischen Alpen vermietet. Derselbe hat sich in seiner Heimat eine Mordthat zu Schulden kommen lassen. Um der unter den Albanesen noch üblichen Blutrache zu entgehen, ist er dann mit Mann und Maus herunter in die sichere Hauptstadt geflüchtet. Hier "wird er nun so lange in fürstlicher Weise leben, bis er — wie dies in ähnlichen Fallen immer das Ende zu sein pflegt — eine unbedingte Leere in seiner Kasse wahrnimmt. Was dann werden wird, daran denkt der leichtsinnige Patron vorläufig jedenfalls noch nicht. Die Gebirge des geliebten Vaterlandes sind ja auch ausgedehnt genug, um noch einen Vagabunden mehr in ihren Ein- öden aufnehmen zu können, wenn ihn nicht etwa zuvor schon die Kugel des unermüdlichen Rächers aller solcher Sorgen überhebt. Wenig weiter tritt uns ein zweites Gasthaus entgegen, das zwar nicht ganz so stattlich sich ausnimmt, wie jenes, in welchem wir indes gleichwohl ein recht gutes Bett im ersten Stocke und ein Speise- wie auch ein Konversationszimmer im Parterre finden. Der Zugang zu letzterem führt durch einen kleinen, vom freundlichen Wirt unterhaltenen Kramladen. Hier sehen wir, was unser Herz erfreut, Sardines ä l'huile von den Küsten der fernen Provence, so recht etwas für den des ewigen Hammelfleisches überdrüssigen Magen. Dazu stattliche Reihen dickbäuchiger Flaschen mit Dreher-schem Biere. Bald sitzen wir schmausend und zechend am Tische, neben uns zwei junge, gebildete Skutariner, Bekannte meines Mentors von früher her. Der eine von ihnen ist wieder ein Lehrer, so dass also, wie drüben in Montenegro, so auch hier in Albanien das pädagogische Element uns als Träger der Kultur und —■ der Geselligkeit entgegentritt. Obwohl ich mich mit den beiden liebenswürdigen Leuten mittelst des Italienischen unterhalten kann, so gehen sie doch sogleich energisch daran, mich im Albanesischen zu unterrichten. Und in der That habe ich schon bald so gewaltige Fortschritte gemacht, dass ich, statt wie bisher in serbischer Sprache, nun im Landesidiom „zur Gesundheit" (brrd mir) beim Anstossen mit den gefüllten Pokalen rufen kann, was unter den noch ausserdem anwesenden Albanesen jederzeit die grösste Heiterkeit erweckt. Schon lachte ich innerlich über das Misstrauen, mit dem ich gestern die Grenze des Landes überschritten hatte, und fand den Aufenthalt in der berüchtigten oberalbanesischen Hauptstadt höchst gemütlich. Aber zu früh gejubelt, vertrauensseliger Wandersmann! Denn da tritt der Wirt herein und teilt uns heimlich mit, dass zwei Individuen da gewesen seien, die sich nach dem Zweck und Dauer unseres Aufenthaltes erkundigt hätten. Das war kaltes Wasser auf unsere ausgelassene Fröhlichkeit. Ich hielt sofort Kriegsrat mit meinem erfahrenen Begleiter und wir beschlossen, ohne Verzug uns unter den Schutz unserer beiderseitigen Konsuln zu stellen, denn wie mir der Wirt zu meiner grossen Beruhigung mitgeteilt hatte, war Herr von Testa, zu dessen Bezirk auch Albanien gehört und der jedes Jahr eine Zeit lang in Sku- tari zu residieren pflegt, bereits vor mehreren Tagen daselbst eingetroffen. Ich hatte das Glück, ihn gleich zu Hause zu finden. Mit der nämlichen herzgewinnenden Freundlichkeit, wie in Ragusa, trat mir der liebenswürdige Mann auch hier entgegen. Sehr lebhaft bedauerte er es namentlich, dass er mich nicht schon, entsprechend unserer damals getroffenen Verabredung, in Antivari gefunden hatte. Er war dort allerdings ans Land gegangen, aber auf die allgemeine Versicherung hin, dass Fremde in der Stadt nicht anwesend seien, hatte er, in der Meinung, ich habe meine Tour geändert, seine Reise sogleich per Schiff bis nach der noch südlich von Dulcigno nahe der Drinmündung gelegenen Lloydstation San Giovanni di Medua fortgesetzt, um von da aus nach Skutari sich zu begeben. Der letztgenannte Weg stellt beiläufig die frequen-teste, auch von der (reitenden) Post benutzte Verbindungsroute zwischen der oberalbanesischen Kapitale und der civilisierten Welt dar. Er ist freilich ebenfalls nur ein Saumpfad, indes, da er eine Länge von nicht mehr als neun Stunden hat, doch wenigstens in einem Tage zurückzulegen. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, die aufopfernde Gastfreundschaft, die ich seinerzeit in Ragusa bei dem trefflichen Vertreter des deutschen Reichs genossen hatte, hier nicht wieder anzunehmen, war ich doch nicht imstande, seine herzliche Einladung abzuschlagen, die dahin ging, dass ich gleich den ersten Abend bei ihm zubringen sollte. Ich musste sogar der Aufforderung des liebenswürdigen Diplomaten zufolge selbst meinen wackeren Rovinski herbeiholen. Und da sich unterdes auch ein Freund des Herrn von Pesta, der griechische Konsul Epaminondas, eingefunden hatte, ein ebenso feingebildeter als einfach-gemütlicher Mann, der eben zum Generalkonsul für Philippopel designiert worden war, so stellten wir eine ganze kleine Gesellschaft dar, die nach verschiedenen leiblichen Erquickungen trefflichster Art durch die noch höheren Genüsse einer lebhaften, in französischer Sprache geführten Konversation bis tief in die Nacht hinein zusammengehalten wurde. Der nächste Morgen sah mich wieder auf dem Wege nach dem Konsulate. Die beiden Herren hatten mich nämlich beim Abschied am Abend aufgefordert, mit ihnen eine Tour hoch zu Ross zu machen, damit ich die Umgebung der Stadt kennen lerne. Leider nur zeigte Jupiter pluvius, der launische Herr, kein besonders rosiges Gesicht. Indes, die Pferde waren einmal gesattelt. Vielleicht, dass das Glück uns wohl wollte. Bald hatten wir die Stadt im Rücken. Unser Ziel, der sanfte, schön bewachsene Höhenzug, welcher vom Festungsberge in östlicher Richtung in die Drinebene hineinläuft, lag vor uns. Auf seinem Scheitel sollte sich, nach der Versicherung meiner Begleiter, eine prachtvolle Ausschau nördlich über den ganzen Skutarisee und bis hinein in das Chaos der „schwarzen Berge", südlich aber über einen grossen Teil von Oberalbanien bis gegen die Ouellgebiete des Drin hin aufthun. Aber die neidischen Wolken gönnten uns diesen Genuss nicht. Tiefer und tiefer sanken ihre schweren Massen an den Gehängen nieder, bis endlich der furchtbarste Platzregen anfing, sich über uns zu entladen. Wir spähten nach einem schützenden Unterschlupf umher. Aber nirgends ein Haus oder auch nur ein Baum in der weiten Fruchtebene. Doch dort zur Linken erhebt sich ein kleines, viereckiges Gebäude; es hat vor Zeiten als Wachthaus für die Zollbeamten gedient. Jetzt ist es verlassen, die Thüre offen. Wir springen vom Sattel und ziehen unsere Tiere hinter uns in den engen Raum. In unseren triefenden Regenröcken, die spitze Kapuze über dem Kopf, dass nur Augen und Barte herausschauten, den Zügel um den Arm geschlungen, schweigsam und durch die engen Luken nach aussen spähend, glichen wir wohl feindlichen Reitern, die im Hinterhalt einen Überfall planen. Leider nur waren wir die Überfallenen. Doch der Himmel hatte ein Fansehen. Bald machte sich der Regen lediglich noch in Form einzelner Tropfen bemerkbar. Wir wollten wieder hinaus. Aber o weh, Unsere Pferde, die des engen Raumes wegen nur rückwärts durch die Pforte bugsiert werden konnten, sträubten sich energisch gegen einen solchen Krebsgang. Selbst mein Tier beteiligte sich an dieser Demonstration, obwohl man von ihm hätte Besseres erwarten können. Denn es bekleidete für gewöhnlich das Amt eines Brautführers, das heisst, die Töchter der Stadt, die sich anschickten, dem Erkorenen ihres Herzens die Hand fürs Leben zu reichen, pflegten sich dieses Rosses für den Weg nach dem Gotteshause zu bedienen. Und in der That schien es dazu auch durch seinen zarten, eleganten Bau und seine tadellos weisse Farbe recht wohl geeignet. Ob es an diesem Tage aber merkte, dass es nicht eine so süsse Last wie gewöhnlich trug, kurz, es war schon auf dem ganzen Wege bisher tänzelnd und unruhig gegangen, stets bereit, im Fluge davon zn sausen, sobald ich ihm Luft lassen würde. Endlich aber befand sich doch die kleine Kavallerieabteilung wieder unterwegs, leider aber nicht' vorwärts, sondern rückwärts. Denn das Firmament bot fortgesetzt das Aussehen eines verweinten Gesichts, das jeden Augenblick von neuem in heftiges Schluchzen auszubrechen droht. Das war das erste Missgeschick an diesem Unglückstage. Es sollte leider bald noch besser kommen. Kaum war ich nämlich wieder in meinem Hotel angelangt, so erschien auch schon ein Beamter des Gouverneurs, um mich zu letzterem zu laden, damit ich über Zweck und Dauer meines Besuchs in der ihm anvertrauten Stadt Auskunft gäbe. Indes es führen wohl viele Spuren in die Löwenhöhle, aber nur wenige wieder heraus. Statt daher mich in das Palais des türkischen Gewalthabers zu wagen, eilte ich sofort wieder zu meinem Konsul, tun mich unter den mächtigen Schutz des deutschen Reiches zu stellen. Herr von Testa war sehr empört über diese neue Vexation, die ich zu erleiden gehabt hatte, visierte schleunigst meinen Pass und sandte denselben mit dem energischen Ersuchen, mich nunmehr in Ruhe zu lassen, an den Gouverneur ab. Von da an konnte ich unbehelligt in Skutari weilen. Natürlich aber war mir doch der Aufenthalt daselbst ziemlich verleidet. Der Boden brannte mir unter den Füssen. Mein ganzes Herz verlangte darnach, wieder drüben in Montenegro zu sein, dessen Berge mich allenthalben grüssten. Deshalb konnte mir auch gar nichts unerwünschter kommen, als die bald nach jenem Rencontre mit der Landesbehörde von unseren Schiffern im Hafen einlaufende Nachricht, dass wir, weil der See noch sehr unruhig sei, nicht, wie beabsichtigt war, zu Mittag auszulaufen wagen dürften. Indes hatte sich das Wetter doch wenigstens so weit geklärt, dass wir einen Spaziergang vor die Stadt in östlicher Richtung zu unternehmen imstande waren. Dort breitet sich der fruchtbarste und anmutigste Teil der weiten Ebene aus, inmitten welcher Skutari liegt. Grüne Wiesen und wogende Gerstenfelder erfreuten überall das Auge. Auch Maulbeerbäume mit ihren dichten Kronen waren überall zu sehen. Jenseits der weiten Fläche aber tauchte die schlanke Pyramide der Maranai (1576 Meter) auf, die noch immer eine weisse Haube trug. Schon wollen wir dies Stück Oberalbaniens als ein kleines Paradies preisen, da sprengen rasch nach einander einige Gestalten an uns vorüber, die unsern Mund sofort wieder verstummen lassen. Alle Wetter, was ist das! Stand weiland Don Quixote wieder aus der Gruft seiner Väter auf, um mit einer Schar Doppelgänger über die Erde zu ziehen, oder haben sie Fleisch und Bein angenommen, die gespenstischen Figuren mit grinsendem Totenkopf und langen, bleichen Knochenarmen, unter denen die Dichter seit alten Zeiten den grausigen Sensenmann, den Tod, abzubilden liebten? Auf struppigen, knochigen Mähren hocken, die zusammengekrümmten Beine bis an den Leib herangezogen, spindeldürre Reiter. Aus den weissgrauen Lappen, die ihre Körper umhüllen, schauen Gesichter, fast schwarz vor Schmutz. Unruhig wandern die blitzenden Augen nach allen Seiten. Auf dem Rücken aber hängt die lange, dünne albanesische Flinte, meist noch mit altem, wunderlichen Steinschloss versehen. Doch führte mancher dieser Kavaliere zugleich auch einen Hinterlader, so dass dann zwei F'euer-schlünde von seinem Rücken in die Luft ragten, Waffen der lezt-genannten, modernen Art hat die türkische Regierung seiner Zeit den Leuten selbst in die Hände gelegt, um sie zum Kampfe gegen die Bestimmungen des Berliner Vertrags zu befähigen. D/mn, als sich die todbringenden Rohre wiederholt gegen die hohe Pforte selbst zu richten drohten, hat sie vergebens versucht, dieselben ihren Trägern wieder zu entwinden. Zu den Flinten kamen bei unseren Reitern ausserdem auch noch uralte, silberbeschlagene Pistolen und Messer verschiedener Länge, so dass selbst die Montenegriner hinsichtlich der Fülle von Mordwerkzeugen nicht mit ihnen hätten konkurrieren können. Das sind die Bewohner dieser gesegneten Gefilde, harmlose Landleute aus der Umgegend von Skutari, wie sie sich nennen, in Wahrheit aber das, als was sie auch ihre unheimliche Erscheinung kennzeichnet, Banditen und Wegelagerer, welche ungeniert rauben und morden, wo die Gelegenheit, dies ohne Gefahr thun zu können, sich bietet. Denn feig ist das Gesindel trotz seiner Masse von Waffen. Wahrlich, diese petits diables könnten schwach-nervigen Personen im Traume vorkommen! Zum mindesten aber möchte ich Den wissen, dem ihr Anblick nicht unwillkürlich ein gelindes Grauen einflösste. Ich habe wenigstens unter Arabern und Berbern, die doch, was schmutzige, wetterharte Gesichter, rollende Augen und zerlumpte Gewänder anlangt, auch ihren Mann stellen, kaum je solche abschreckende Gestalten gefunden als hier. Vorwärts, zurück in die Strassen der Hauptstadt, wo doch wenigstens einigermassen Sicherheit herrscht! Aber gerade als wir wieder bis zu den ersten Häusern gelangt waren, sollten wir erkennen, dass es Leute giebt, die auch an derartigen Zerrbildern der Menschheit Gefallen finden. Denn siehe, da wandelte ein Engländer mit Gattin und Tochter einher, der in dieser Begleitung den Miriditen in einem der wildesten Teile Albaniens einen Besuch hatte abstatten wollen. Nur die Antwort, welche ihnen die Färstin jenes Stammes hatten zugehen lassen, dass zur Zeit noch zu viel Schnee in ihren Gebirgen liege, war imstande gewesen, den kühnen Sohn Albions von seinem Projekte abzubringen. Diesmal hatte nicht der Fuchs die Trauben, sondern letztere sich selbst für zu sauer ausgegeben. Wahrlich, schon der Plan zu einer solchen Vergnügungsreise bewies, woher die Passanten da vor uns stammten, auch wenn Sonnenhelm, Schleier und Plaid es uns nicht verraten hätten! Als wir wieder in das Hotel zurückgekehrt waren, erhielten wir die Meldung vou unseren Schiffern, dass sie in der Frühe des nächsten Tages zur Abfahrt bereit sein würden. Also endlich sollte die Stunde der Erlösung aus der Unthätigkeit und Unsicherheit, die hier unser Los waren, schlagen! Dieser frohen Aussicht musste ein „Hoch" gebracht und ein feierlicher Abschied von der Hauptstadt Oberalbaniens genommen werden, Wir wanderten daher nach dem Park, der an die eine Seite des Hauptplatzes der Stadt anstösst. Derselbe ist zwar nur von massigem Umfang, aber so gut gehalten, dass er als wahres Wunder in dieser unwirtlichen Gegend dasteht. Breite Promenadenwege führen um zierliche Beete mit herrlich duftenden Rosen, denen sich hier und da blaue Iris und violetter Rittersporn zugesellen. Unter buschigem Oleander mit blassroten Blumen und hochgewachsenen, weissblühenden Götterbäumen*) sind Tische und Stühle aufgestellt. Lassen wir uns auf einem dieser Plätzchen nieder, so zaubert ein Wort von uns auch noch ein anderes exotisches Gewächs herbei, das freilich nicht aus dem fernen Ostasien, sondern nur atis unserer nordischen Heimat stammt. Ein verhältnismässig recht gutes Glas Gerstensaft nämlich wird von dem einfachen, inmitten dieses Gartens gelegenen Cafe geliefert. Wir sassen unter solchen Genüssen lange in dem kleinen Eden und waren wiederholt nahe daran, zu glauben, dass wir uns in dem Jardin public einer französischen Stadt oder in den Anlagen eines deutschen Badeortes befänden, wenn nicht gellende Trom-petenstösse aus den anstossenden Kasernen uns immer wieder daran erinnert hätten, dass wir inmitten eines befestigten Türkenlagers und auf einem Boden weilten, über den sich jeden Augenblick die drohenden Wolken blutigen Aufstandes und Bürgerkrieges entladen konnten. Und so sahen wir denn nicht ohne wahre PVeude den Abend, den letzten in Skutari, herannahen. Nur eine Pflicht, die wir noch zu erfüllen hatten, erweckte gleichzeitig auch wehmütige Gefühle in unserer Brust. Galt es doch nun, von unseren Konsuln uns zu verabschieden, die uns beiläufig am Nachmittag eine feierliche Staatsvisite abgestattet hatten. Bei dieser Gelegenheit war ich also auch mit dem Vertreter des russischen Reichs, einem Mann von offenem, biederem Wesen, bekannt geworden, der infolge seiner Verheiratung mit der Schwester des Lehrers, mit dem wir gleich am ersten Abend unseres Aufenthaltes Freundschaft geschlossen hatten, durch doppelte Bande an die Stadt gefesselt ist. Herr von Testa wohnte nicht mehr in dem Hause, wo ich ihn zuerst aufgesucht hatte; er war unterdes in das neuerrichtete deutsche Konsulatsgebäude übergesiedelt, das dem von uns occu-pierten Hotel schräg gegenüber liegt. So sauber die mit grünen Jalousien versehene Wohnung, von aussen betrachtet, sich darstellte, so wenig behaglich erschien sie im Innern, da die Einrichtung erst zum geringsten Teile vollendet war. Ich traf meinen liebenswürdigen Gönner und Schutzpatron in einem grossen, hallenden, !) Ailanthus glandulosa Desf. saalartigen Gemache, in welchem die Lampe auf dem Tisch kaum ein schwaches Licht zu verbreiten vermochte. Nur zu sehr erinnerte mich diese Scenerie daran, welch ein einsames, ödes Leben ein solcher Mann in einem derartigen Orte zu führen verurteilt ist, wie er verzichten muss auf die meisten Dinge, die das Dasein erst angenehm machen, und wie er dabei auch noch Gefahren nicht geringer Art ausgesetzt ist. Denn die bekannte Katastrophe von Saloniki dürfte doch hier, inmitten der unruhigen Albanesen, mindestens eben so gut möglich sein als anderswo. So erfordert denn ein solches Amt, das viele für einen mühelosen und genussreichen Ruheposten zu betrachten geneigt sind, in Wirklichkeit keine geringe Liebe zum grossen, deutschen Vaterland. Ich war indes zu wehmütig gestimmt, als dass ich dem hochverehrten Manne, den ich in kurzer Zeit so liebgewonnen hatte, jetzt, wo unsere Wege, die sich zweimal gekreuzt hatten, vielleicht für immer auseinander gehen sollten, die Gefühle vollster Anerkennung für seine so schwierige und doch so segensreiche Wirksamkeit hätte auszusprechen vermocht. Nur noch ein fester Händedruck, und dann huschte ich über die stockfinstere, menschenleere Strasse in mein Zimmer zurück. Herrn Rovinski fand ich noch nicht vor. Darum legte ich mich zum Fenster hinaus, um die milde Abendluft zu gemessen. Alles war still. Nur hie und da liess ein Käuzlein in einem der zahlreichen Gärten, die an die Rückseite der Häuser anstossen, seine melancholischen Töne erklingen, oder eine Patrouille zog klirrenden Taktschrittes vorüber. Da endlich laute Stimmen, aus denen ich die meines Mentors deutlich heraushöre. Ein Trupp Menschen bewegt sich auf das Hotel zu, vorauf eine lange Gestalt, welche sich beim Schimmer der Fackel, die sie in der Hand trägt, als in scharlachrote Gewänder gekleidet darstellt. Eine aufgeregte Phantasie konnte den unheimlichen Mann leicht für den Plenker des Gouverneurs halten, der komme, uns fortzuschleppen. In Wahrheit aber war es ein „gut Freund", der da einherschritt, nämlich ein Kawass des russischen Konsulats, der den Refehl erhalten hatte, meinem Mentor auf dem Heimwege zu leuchten, da Skutari sich zur Zeit noch im Belagerungszustande befand und abends nach 9 Uhr niemand ohne Laterne die Strasse passieren durfte. Bereits nach 4 Uhr kehrten wir am andern Morgen unserem gastlichen Haus den Rücken, denn die Aussicht, aus dem unheimlichen Albanien endlich wieder nach Montenegro zu kommen, hatte uns nicht lange schlafen lassen. Als wir auf die Strasse traten, stand der Kawass von gestern Abend schon bereit, um uns auf Befehl des russischen Herrn Konsuls nach dem Hafen zu geleiten. Leichtlieh hätten ja die Schergen des türkischen Befehlshabers uns noch Schwierigkeiten in den Weg legen können. Bald stiess selbst Herr Augustin, unser Freund von der Bojanafahrt her, der auch in Skutari fast immer in unserer Nähe gewesen war, zu uns. Die treue Seele wollte es sich nicht nehmen lassen, uns noch das Komitat bis ans Boot zu geben. Hätte nur auch der Himmel ein Einsehen gehabt! Der aber blickte mit umwölkter Stirn zu uns nieder und im Bund mit ihm blies sogar der Gott der Winde schon die Backen auf, um uns Verlegenheiten zu bereiten. Aber vorwärts auf alle Fälle, so lautete unsere Losung! Im Bazar war noch alles still! Nur hier und da fuhr ein bösartiger Köter hinter einer der verschlossenen Buden hervor, um uns anzubellen. Als wir aber um die letzte Ecke bogen, da stiessen wir auch schon auf unsere Montenegriner, vier robuste Schiffersleute, die wohl bereits manchen harten Strauss mit Menschen wie mit Naturgewalten bestanden haben mochten. Rasch war die schlanke Londra ins Wasser hinabgeschoben, unser Gepäck darinnen untergebracht und unsere eigene Person placiert. Dann legte die Mannschaft die Ruder aus und unter den Segenswünschen des wackeren Augustin nahm die Wasserreise ihren Anfang. Der kleine Hafen war bald durchschnitten. Eine Wendung und — der offene See liegt vor uns; aber wie ganz anders erscheint er heute, als damals, da wir ihn zum ersten Male von den Zinnen der „schwarzen Berge" sahen! Statt des duftig blauen Spiegels nur noch eine endlose, graugrüne Fläche und an Stelle der hochragenden Schneegebirge ringsum nichts als dicke, schwere Wolken, aus denen kaum da oder dort, wenn ein Windstoss eine Bresche gelegt, hoch oben eine dunkle F'elsmasse gespenstisch niederschaut. Ja, noch sind wir nicht weit gekommen, so beschränken herabsinkende Nebelmassen unseren Horizont bis auf ein Minimum. Festung und Bazar verschwinden hinter uns. Wie auf hoher See finden wir uns ringsum nur noch von der fahlen Wassermasse umgeben, das flüssige Element verschwimmt sogar mit der Atmo- Sphäre in eins, so dass wir durch den leeren Weltenrauni zu segeln scheinen. Und doch war eine klare Ausschau so nötig! Denn noch fuhren wir nicht auf dem eigentlichen See, sondern nur auf überschwemmtem Terrain. Da gab es Untiefen und heimtückische Baumstämme, namentlich zahlreiche Weiden mit einem wahren Fangnetz von Wurzeln und Ästen. Waren wir diesen Hindernissen glücklich entgangen, so verwickelten wir uns wieder in die ellenlangen, strickartigen Stengel von Wasserlilien, die in dieser Gegend, mitunter auf weite Strecken, den See einnahmen. Links drüben taucht eine dunkle Masse von riesigem Umfang aus den Nebelmassen auf. Das ist der Regierungsdampfer, ein ziemlich grosses Schiff, welches die Bestimmung hat, nötigenfalls die Herrschaft des Halbmondes über dies Gewässer zu stützen, sonst aber unthätig zu liegen und zu verfaulen, statt dass es zur Unterhaltung eines regelmässigen Verkehrs auf dem dafür so günstig gelegenen See benützt würde. Höchstens stellt man das Fahrzeug einmal einem Diplomaten oder sonstigen Würdenträger, der sich nach den „schwarzen Bergen" begeben will, zur Disposition. Durch Verwendung meines Konsuls wäre die Maschine vielleicht auch für mich geheizt worden. Allein eine derartige Begünstigung zu erlangen kostet viel Mühe und noch viel mehr - Trinkgelder. Es bietet sich aber allwöchentlich eine bei weitem einfachere wenn auch weniger bequeme Gelegenheit zur Überfahrt über den See durch die sogenannten Salzschiffe. Montenegro ist nämlich so unglücklich, kein Salz zu produ eieren, es kauft dasselbe vielmehr in Gemässheit eines Vertrags mit der Pforte in Skutari, wohin es, so viel ich erfahren konnte, von Malta gebracht wird. Die Londras nun, welche vom montenegrinischen Nordende des Sees kommen, das unentbehrliche Produkt zu holen, nehmen gegen geringe Gebühr auch einige Passagiere auf. Das von uns benützte Boot hatten wir beiläufig extra gemietet, da zur Zeit gerade ein Salztransport nicht vom Stapel gelassen wurde. Endlich kamen wir in tieferes und freieres Fahrwasser. Aber da überfiel uns ziemlich unvermittelt ein so furchtbarer Sturm, dass das leichte Fahrzeug bedenklich ins Schwanken geriet. Es war nicht anders, als ob ein boshafter Kobold, wie weiland bei der Irrfahrt des Odysseus, den Sack des Äolus geöffnet und all die ungestümen Gesellen entfesselt habe. Und ach, sie kamen von Norden, diese dämonischen Gewalten, von den Bergen Montenegros herunter, gleich als ob das geliebte Land uns nicht wieder aufzunehmen, sondern an den Boden Albaniens gefesselt zu sehen wünschte. Anfangs freilich leisteten unsere unerschrockenen Crnagorsen noch tapferen Widerstand. Sie gebrauchten ihre sehnigen Arme, dass die Ruder sich bogen. Aber bald zeigte es sich, dass der Kampf mit den übermächtigen Elementen doch zu ungleich war. Wir kamen nicht vorwärts, eher rückwärts. Ganze kleine Wogen-berge wälzten sich gegen uns heran und selbst die Möglichkeit lag nahe, dass das verhältnismässig schmale Gefährte umschlug. Dazu peitschte uns ein heftiger Regen ins Gesicht und vereinte sich mit den Sturzfluten, die uns gelegentlich übergössen. Unsere Lage war nicht beneidenswert. Sogar der Rückzug erschien ohne Gefährdung kaum mehr ausführbar. Zugleich war die Temperatur ziemlich niedrig, das Thermometer zeigte nur 12° C, während doch das Wasser l6° hatte. Der Frost schüttelte uns. Was war zu thun? Selbst unsere Schiffersleute machten ein bedenkliches Gesicht. Doch fanden sie noch einen Ausweg. Der Wind trieb nämlich nuser Fahrzeug rasch dem östlichen Seeufer zu. Wenn es uns gelang, dort in eine Bucht zu schlüpfen, so waren wir gerettet. Bald erblickten wir in der That auch ein kleines, engumgrenztes Becken mit ruhigem Wasser. Aber es verdiente ein nicht geringes Wagnis genannt zu werden, die Einfahrt dahinein zu versuchen. Denn in dem dichten Schilf, das die Bai vom offenen See abschloss, war nur ein schmaler Wasserarm frei geblieben, in welchem eine gewaltige Strömung bemerklich wurde. Indes mit staunenswerter Geschicklichkeit wussten die Bootsleute eine mit weissem Schaumkamm gezierte Woge, die von weitem heranbrauste, zu benützen. Ein mächtiger Ruck, als sollte das Schiff in Stücke gehen, eine Schwankung, die uns über Bord zu schleudern drohte, dann lagen wir unbeweglich inmitten des kleinen Naturhafens von Vraka*), kaum 6—8 Kilometer von Skutari. Wir waren vor der Hand geborgen. Draussen tobte der Sturm in alter Heftigkeit weiter. Mit Ungestüm rollten die Wellen, einander über- *) Nicht Varzka, wie die östreichische Generalkarte statuiert, die auch ein gar nicht existierendes Flüsschen gleichen Namens hier angiebt. stürzend, heran, wie hungrige Raubtiere, die uns zu verschlingen gelüstete. Eine wahre Brandung toste an dem Walde von Schilf, der uns von der Aussenwelt abschloss. Aber diese Naturmauer Hess alle Wut des entfesselten Elements zu Schanden werden. Unser Boot rührte sich nicht. Erleichtert atmeten wir auf. Die Schiffersleute, denen der Schweiss von der Stirn troff, zogen die Ruder ein, Rovinski aber brachte die Schätze seines Proviantsackes ans Tageslicht. Unter der Einwirkung eines erwärmenden Raki wurde es mir bald so wohl, dass ich am liebsten ein Lied angestimmt hätte. Ach, ich wusste ja nicht, dass wir von der Scylla in die Cha-rybdis gekommen waren, eine Gefahr vermieden hatten, um in eine neue, fast noch schlimmere zu geraten. Unsere Bucht zeigte sich nämlich gerade nur so gross, dass unsere Londra Platz hatte. Von da dehnte sich landwärts ein wohl 3 Kilometer breiter und viele Kilometer langer, dicht mit Schilf bewachsener Sumpf aus. Wo dieser in festen, langsam gegen die Gebirge im Hintergrund ansteigenden Boden überging, stand ein Dörfchen. Wie friedlich grüsste doch die kleine Kirche herüber! Aber es waren keine zahmen Küchlein, die es unter seinen Pattigen versammelte, sondern bösartiges, gieriges Raubgevögel, wie solches das ganze Ostufer des Skutarisees, soweit als es Albanesen bewohnen, beherbergt. Keine Gegend in Albanien, ja vielleicht auf der gesamten Balkanhalbinsel ist unsicherer, als diese da. Wehe, wer ohne starke Bedeckung, wohl gar schutzflehend, hierher kommt! Ohne Erbarmen wird er kalt gemacht, selbst wenn die Beute, die er bietet, nur in einigen elenden Gewändern bestünde! In der That waren wir noch keine halbe Stunde in unserem Asyl, so sahen wir auch schon eine schwarze Gestalt, von zwei Hunden begleitet, bald näher, bald ferner durch Sumpf und Gebüsch sich bewegen. Dem Anscheine nach jagte der Mann, es entging uns indes nicht, dass er wiederholt scharf nach uns ausspähte. Um ihm dies, soweit es sich thun Hess, unmöglich zu machen, duckten wir uns tief im Kahne nieder, bis der unheimliche Waid-niann endlich wieder ausser Sicht war. Der älteste unserer Bootsleute aber sprach dann: „Der Himmel mag geben, dass wir heute loch wieder auf den See hinausfahren können! Denn wenn wir hier bleiben mussten, so wird der Mann in der Nacht zurück- Schwarz, Montenegro. *ö kommen, und dann dürfte nicht einer von uns am Leben bleiben." Auch Herr Rovinski hegte ähnliche Besorgnisse, denn er gestattete mir nicht einmal, eine Landkarte zu entfalten, in der Überzeugung, dass auch noch andere Spione, da oder dort im Dickicht verborgen, uns beobachteten. Wenn aber selbst diese unerschrockenen, an Gefahren aller Art gewöhnten Leute so ernst über unsere Lage dachten, so bedarf es keines Beweises weiter, dass dieselbe in der That eine kritische war. Indes, in alle Angst fiel unerwartet auch ein Hoffnungsstrahl. Derselbe Bootsmann nämlich, der zuvor so Arges für uns in Aussicht gestellt hatte, rief plötzlich, nachdem er den noch immer wolkenbehangenen, monoton grauen Himmel längere Zeit aufmerksam beobachtet hatte: „Nachmittag werden wir gutes Wetter und günstigen Wind haben." Und die Tausende von Schneeglöckchen*), die rings um uns die grünen Blätter aus dem seichten, schwarzen Wasser emporstreckten, läuteten mit ihren weissen Blüten Ja und Amen dazu. Konnte ich auch noch nicht begreifen, wie eine solche Prophezeiung jetzt schon möglich war, so hatte ich doch neuen Mut gewonnen und suchte mir die Zeit des Wartens, so gut es ging, zu vertreiben. Namentlich erregte die zahlreiche Vogelwelt, die in dieser Gegend hauste, meine Aufmerksamkeit. Sperlinge lärmten in den Büschen, Schwalben schwebten über der Wasserfläche. Mi wen schössen mit melancholischem Gekreisch in die Fluten nieder, Störche wateten gravitätisch wie lange Magister durch den Sumpf und Pelikane standen gleich beleibten Standespersonen in endloser Reihe unbeweglich am Ufer. Über diesem interessanten Tierleben vergass ich bald alle Angst, ja als trotz des bedeckten Himmels und heftigen Windes doch mehr und mehr eine bleierne Schwüle sich geltend machte, da umfing mich zuletzt — so gewöhnt sich der Mensch selbst an Gefahren —■ sogar ein fester Schlaf. — Welch eine Bühnenverwandlung hatte sich vollzogen, als ich wieder erwachte! Der Wind war abgefallen. Nur noch leise plätscherten die Wellen an unserer Schilfcoulisse. Durch Risse in der Wolkendecke über uns schaute hier und da ein Stücklein *) Nicht unser „gemeines" Schneeglöckchen (galanthus nivalis L.), sondern das sogenannte grosse Schneeglöckchen, Leucojum Vernum L. blauer Himmel nieder. Mächtige Bergriesen traten auf allen Seiten aus den flatternden Nebeln. Draussen auf dem offenen See flog ein Schifflein nach dem anderen mit aufgeblähten Segeln vorüber, der albanesischen Hauptstadt entgegen. Da konnten auch wir nicht länger unthätig bleiben. Einer der Matrosen sprang ins Wasser, um das aufsitzende Fahrzeug wieder flott zu machen. Dann gings an die Ruder, und wenige Minuten später schwammen wir von neuem auf dem grosseh Gewässer. Freilich noch immer wehte etwas Nordwind und Hess uns nur langsam vorwärts rücken. Aber nach kurzer Weile schon erhoben sich die Schiffer, hängten ein Steuerruder ein, stellten einen Mast in der Mitte des Botes auf, entfalteten ein Segel, und warteten mit eingezogenen Rudern der Dinge, die da kommen sollten. Und ihre Berechnung hatte sie nicht getäuscht. Die erst schlaff und trag am Baume hängende Leinwand fing plötzlich an zu rauschen und sich zu recken und zu dehnen, bis endlich die hässlichen Falten und Runzeln geglättet waren und weit geöffnete, straffe Arme den daherbrausenden Sirocco empfingen. ja, das feindselige Albanesenland sandte uns plötzlich den günstigsten Südwind nach; welch eine Freude! Die Schiffer streckten sich, das Gesicht nach unten, auf dem Boden des Fahrzeugs aus und erfreuten sich nach aller Mühe des süssesten Schlummers. Wir aber, Rovinski und ich, genossen die zauberisch schöne Fahrt, in Welche die schlimmste aller Wasserreisen sich unvermittelt verwandelt hatte. Es war nicht anders, als ob wir flögen, so sanft und leicht glitten wir über die Wasserfläche. Ja, wiederholt war ich versucht, zu glauben, dass war still stünden, bis ein Blick auf die rasend schnell vorüberschwebenden Uferlandschaften mir sagte, dass 'wir fast mit Kurierzugsgeschwindigkeit vorwärts eilten. Und dazu das kostbare Panorama nach allen Seiten hin! Nunmehr von allem Gewölk frei, kamen die Uferlandschaften rings um die weite Wasserfläche klar zum Vorschein. Prachtvoll hob sich das frische Grün der Niederungen von dem glänzenden Stahlblau ab, in welches jetzt das flüssige Element sich gekleidet hatte. Hinter freundlichen Ortschaften stiegen die massigen Fels wälle des Hochgebirges auf, gekrönt von vielgestaltigen Zacken und Spitzen, zwischen denen noch häufig weisse Schneestreifen sichtbar wurden, ungeheuren 15* Leinwandlappen gleich, mit denen die finsteren Gestalten ihre nackten Knochen und dunklen Schrunde zu decken suchten. Über dem allen aber spannte ein wolkenloser Himmel sein duftiges Äthergewölbe aus. Da wir uns meist in der Mitte des durchschnittlich 3—4 Stunden breiten Seebeckens hielten, vermochten wir auch beide Gestade gleichzeitig zu überblicken. Und hierbei ergab sich denn ein gar wächtiger Unterschied. Links fiel der Rumija-Zug mit so steiler Böschung in das Wasser ab, dass von einem Vorlande gar keine Rede mehr sein konnte. Die kleinen Dörfchen klebten so zu sagen an den Felsen. Trotzdem aber beherbergt diese Seite eine durchaus friedliche, ehrliche und fleissige Bevölkerung von meist sla-vischem Stamme. Rechts dagegen haben die Gebirge fortlaufend einer ziemlich breiten Uferebene Raum gelassen, die überaus fruchtbar ist und sich teilweise mit wahren Wäldern von üppigen Obstbäumen besetzt zeigt. Wie schon angedeutet, entspricht aber nur leider die Art der Bewohner dieses Terrains der Vortrefflichkeit ihrer Gefilde nicht. Es sind Albanesen von unruhigem, heimtückischem und räuberischem Wesen. In ähnlicher Weise trifft man bekanntlich auch anderwärts die besten Menschen nicht selten auf dem schlechtesten Boden, und umgekehrt, zum Beweis dafür, dass Arbeit und Kampf unsere Natur veredeln, Wohlleben und Über-fluss aber dieselbe leicht verderben. Einmal zeigt übrigens auch das östliche Ufer ein wilderes Gesicht. Ein schmaler Seearm zweigt nämlich da, wo wir etwa die Hälfte des Sees hinter uns haben, in rechtem Winkel von dem grossen Bassin ab, um etwa 12 bis 15 Kilometer weit ins Land hineinzuschneiden. Das ist der See von Hum („Humsko Blato"). Senkrechte Felswände engen ihn zuletzt ein und Schneeberge ragen im Hintergrunde aus seiner dunklen Flut auf, wie ein Blick in die schmale Mulde hinein zeigt. Ein milder, norwegischer Fjord ist mit einer Wasserfläche verbunden, die mehr an den freundlichen Bodensee erinnert. Während wir diese wechselnden Bilder an uns vorüberziehen Hessen, verfehlte mein kundiger Geleitsmann auch nicht, mir alles das, was er gelegentlich wiederholter Fahrten auf dem See über 7 OD denselben in Erfahrung gebracht hatte, mitzuteilen. Die Tiefe des ausgedehnten Beckens ist nur massig; sie schwankt zumeist zwischen zwei und drei Faden. Doch finden sich vereinzelt auch Stellen, die wahren Abgründen gleichen. Die Schiffahrt auf dem schönen Gewässer führt im Ganzen, trotz der vielfach gebrechlichen Boote, die man verwendet, selten Unglücksfälle herbei, da ziemlich konstante Winde wehen und die Schiffer mit allen einschlagenden Verhältnissen äusserst vertraut sind. Nur im vorigen Jahre verloren vier Mann das Leben infolge des Umstandes, dass ihr Boot umschlug. Natürlich spielte auch unsere fernere Reise eine Rolle in unserem Geplauder. Wir hatten bei unserer Abfahrt von Skutari gehofft, schon zur Mittagszeit in Plavniza am oberen Ende des Sees eintreffen zu können. In diesem Falle hätten wir Podgoriza, unser vorläufiges Ziel, noch früh am Tage erreicht. Diese Hoffnung war durch das schlechte Wetter am Morgen vereitelt worden. Indes der liebenswürdige Zephyr, der uns jetzt trug, versprach vieles wieder gut zu machen. Wir hatten in zwei Stunden fast zwei Dritteile der ganzen Seelänge, die gegen 40—50 Kilometer beträgt, zurückgelegt, und die Uhr zeigte erst auf vier. Noch eine Stunde solch sausender l?ahrt, und wir können am Lande anlegen, um dann immerhin noch bis Podgoriza zu gelangen. 'Prägt uns doch auch schon unser Blick bis in jene Gegenden, wo die ersehnte Stadt liegt. Denn siehe, bereits gleitet der Hum, ein zwar nur massig hoher, aber isoliert aufragender, dicht am Wasser belegener Kegel, das Wahrzeichen der Gegend, an uns vorüber. Latin aber thut sich eine ungeheure Ebene vor unserem Auge auf. Oer hohe Gebirgszug, der bisher das albanesische Seeufer begleitete, tritt weit zurück, wir schauen in nordöstlicher Richtung tief ins Land hinein. Es ist die Niederung der unteren Moratscha, die wir vor uns haben. Nahe ihrem jenseitigen Ende werden auf Felsvorsprüngen rechts einige weisse Forts bemerklich. Unter denselben liegt, wenngleich von hier noch nicht wahrnehmbar, das in den Kämpfen der letzten Jahre vielgenannte Podgoriza. O, wie schlug uns das Herz so rasch bei dem Gedanken, noch heute durch diese vom hellsten Nachmittagssonnenschein verklärte Ebene galoppieren und dann morgen schon die Wanderung tiefer ins Land der «schwarzen Berge" antreten zu können. Aber der Mensch denkt und — der Wind lenkt, so hiess es hier. Während wir nämlich, behaglich im eilenden Fahrzeuge zurück- gelehnt, noch in unsere Reiseplane vertieft waren, schlug plötzlich das Segel mit klatschendem Geräusch gegen den Mastbaum und blieb dann matt und schlaff an ihm hängen. Was war das? Die Schiffer, die trotz des festen Schlafes, den ihr Schnarchen eben noch bekundet hatte, doch beim ersten Laut emporfuhren, wussten's wohl. Rasch gingen sie daran, das Segel abzunehmen und den Mastbaum niederzulegen. Aber sie waren noch kaum mit dieser Arbeit fertig, da brauste auch schon nach einer nur Augenblicke währenden Windstille ein Nordweststurm heran, der uns nicht allein aus allen frohen Träumen heraus, sondern auch fast in das kalte Wasser hineinschleuderte. Und nun, als der erste Schrecken vorüber war, begann das langweilige und mühevolle Rudern von neuem, ja, da es bei dem so unverhofft losgebrochenen Orkan unmöglich erscheinen musste, noch ferner auf offenem See zu bleiben, so sahen wir uns zur Küstenfahrt verurteilt, die infolge der vielfachen Krümmungen, welche das Ufer hier beschreibt, doppelt zeitraubend wurde. Daneben gab es auch Untiefen und vor allem des dichtesten Buschwerkes so viel, dass wir, ähnlich wie auf der Bojana, wieder häufig die bedenklichsten Carambolagen mit Ästen und Wurzeln mit in Kauf zu nehmen hatten. Schauten wir uns aber an einer weniger bedrohten Stelle einmal um, die gemachten Fortschritte zu kontrolieren, so waren in einer Viertelstunde meist kaum einige Meter zurückgelegt worden und die Citadelle von Skutari grinste uns wie zum Hohne noch immer von Süden her an. Endlich jedoch, als erneute Windstösse unser Boiot gerade derartig hin und her warfen, dass wir uns anhalten mussten, um nicht über Bord zu fallen, lenkten unsere Schiffersleute mit einem Male direkt in das dichteste Gebüsch hinein und bewegten das Fahrzeug durch Ziehen an den Ästen und Wurzeln einige Zeit lang durch dasselbe weiter, bis sich unerwartet eine schmale Wasserstrasse vor uns aufthat. Es war dies ein kleines Flüsschen, Setiza genannt, das hier in den See einmündet. Das Wasser desselben stand indes bereits ganz still und hatte beträchtliche Tiefe. Auf ihm glitten wir jetzt dahin. Der Sturm könnte uns nichts mehr anhaben. Nach allen Seiten hatten wir ein so hohes und dichtes Gestrüpp von Schilf und Weiden, dass wir wie in einem förmlichen Walde fuhren. Wie mit Zauberschlag waren wir der Aussenwelt entrückt worden, nichts vermochte das Auge mehr von See und Gebirge zu erblicken, die uns soeben noch umgaben. Dafür streckten Wasserlilien ihre gelben oder weissen Blumen zu Tausenden aus dem stillen, schwarzen Gewässer empor. Die ausserordentliche Länge der rostbraunen, strickartigen Stengel, mit denen sie bis zum Grunde niederreichten, bewies, wie wohlig es ihnen in dieser wahren Urwildnis zu Mute sein musste. Denn einer derselben, den ich mit grosser Mühe herausriss, mass mehrere Meter, ohne dass ich sein Ende erreicht gehallt hätte. Späterhin wurde das Wasser seichter, so dass nun auch schon gelbe Iris*) und gleichfarbige Ranunkeln**), sowie hochragende Sumpf-Wolfsmilch***) aufzutreten vermochten. Zu gleicher Zeit zogen sich jetzt so zahlreiche Wasserstrassen nach allen Seiten durch den Riesenmorast, dass entschieden nur ganz ortskundige Schiffer sich in dem Labyrinth zurecht finden konnten. haidlich trat das Buschwerk zurück, wir gelangten heraus auf einen weiten, grünen Wiesenplan, wo unser Fahrzeug, nachdem es die Bootsleute mit ihren langen Stangen noch einige Zeit über den schlüpfrigen Moorgrund hingetrieben hatten, endlich unbarmherzig sitzen blieb. Was nun thun? Aussteigen konnten wir unmöglich, ohne uns auf dem schwammigen Boden völlig nasse Schuhe zu holen oder gar auszugleiten, vielleicht selbst stecken zu bleiben. Unsere Männer wussten auch in dieser heiklen Lage Rat. Zuerst sprang der Alte über Bord, Hess sich einen Teil unseres Gepäcks auf seinen breiten, schaffellbedeckten Rücken laden und stampfte davon, dem %och etwa 10 Minuten entfernten Festlande entgegen. Nachdem ein anderer mit dem Rest gefolgt war, boten die beiden Kräftigsten uns selbst ihre Schultern dar. Wir stiegen auf und gelangten auf diesem allerdings nicht ganz gewöhnlichen Wege glücklich auf trockenen Untergrund. Einsam blieb die Londra drüben im Sumpfe stehen, wir aber jubelten laut vor Freude, denn montenegrinische Erde, Freundesland war es, auf dem wir endlich wieder einhergingen. Und welch ein anheimelndes Landschaftsbild, das sich uns *) Iris pseudacorus L., die „Teichlilie", „Wasserschwertblume". **) Ranunculus sceleratus L., der „Giftranunkel" oder „Froschpfeffer". *) Euphorbia palustris L. gleich beim ersten Schritte bot! Aus saftigem Rasen nickten uns die bunten Wiesenblumen der fernen nordischen Heimat den Will-kommengruss zu, junge Pferde tummelten sich auf dem weiten Plane, Rinder, beiläufig von so kräftigem Schlage, wie ich sie bisher noch nicht im Lande gesehen hatte, und langhaarige Schafe zogen, von wettergebräunten, stämmigen Hirten getrieben, an uns vorüber. Kaum weniger erfreute das Dorf, das wir bald darauf erreichten, unser Auge. Die sauberen Steinhäuser hatten sich meist ausnahmslos in Gärten hineingebettet, in welchen stattliche Obst- und Maulbeerbäume gediehen. Das Wachstum aber, das üppige, saftige Grün, die Fülle von Blättern und Blüten, die allenthalben zu Tage trat, war so ausserordentlich, dass sie sich selbst bis auf die Zäune erstreckte, welche die nebenbei recht leidlichen Dorfwege einfassten. PJicht belaubte Weinranken kletterten hier an schlanken Pappeln empor oder hatten sich mit dem Gebüsch von Eichen, Eschen und Weissdorn zu einer undurchdringlichen Wand verschlungen. Den Eindruck warmen Lebens noch zu erhöhen, zogen Landleute in der bunten Nationaltracht mit knarrenden Karren und Ackerpflügen an ans vorüber, nicht ohne uns ein freundliches „dobra wetscher" (guten Abend) zuzurufen. Nach ziemlich langer Wanderung hielten wir vor einem Häuschen von wahrhaft winzigen Dimensionen. Und doch stellte dasselbe einen Luxus dar, den nur wenige montenegrinische Dörfer aufweisen können. Es war der Gasthof, für uns noch besonders bedeutsam, denn hier sollten wir die Nacht zubringen. Der Tag neigte sich nämlich bereits seinem Ende entgegen, es* war unmöglich, noch bis Podgoriza zu kommen. Und selbst wenn wir den nächtlichen Ritt dahin hätten riskieren wollen, so waren doch nicht sofort Pferde disponibel. Denn die vom Herrn Minister für uns bestellten Tiere befanden sich in dem noch eine Stunde weiter nördlich gelegenen Plavniza, wo wir ursprünglich hatten landen wollen, ehe der wiedererwachte Sturm und der hereinbrechende Abend uns nötigten,'bereits bei Berislavzi, so hiess das eben beschriebene Dorf, den See zu verlassen. Ich hatte mich schon lange mit dem Gedanken, das gastliche Podgoriza an diesem Tage nicht mehr zu erreichen, vertraut gemacht. Aber als ich nun in die ganz verräucherte, enge und niedrige Plöhle hineintrat, welche jene Schenke darstellte, da wollte doch meine Geduld zu Ende gehen. Ich eilte sofort wieder ins Freie und heschloss, lieber hier mich während der langen Nacht vom Frost schütteln zu lassen, als da drinnen meinen Körper einer Art Fleringsräucherung auszusetzen. Ich war nicht lange allein. Aus dem Restaurant krochen nach einander wohl ein ganzes halbes Dutzend biedere Dorfbewohner, unter ihnen auch der gleichfalls montenegrinisch gekleidete Pope, den uns nur der Vollbart als solchen verriet. Die guten Leute mochten in dem Häuschen manchen ,,Raki" genossen haben, denn ich hatte an einem verrussten Balken eine Anzahl Kreidestriche gesehen, deren Bedeutung durchaus nicht unklar sein konnte. Das ,,Kerbholz", diese Erfindung der Kultur, hat also seinen Weg auch hierher gefunden. Eine Masse wohlgemeinter Ratschläge, betreffend unser Nachtquartier, wurden nun laut. Aber wir waren noch zu keiner Klarheit gekommen, als plötzlich ein hochgewachsener, bildschöner, junger Mann, den die Goldstickerei auf der Scharlachweste als einen Angehörigen der besseren Stände kennzeichnete, in urlseren kleinen Kreis hereinbrach und meinen Begleiter stürmisch umarmte. Es war der Inspektor der in diesem Dorfe errichteten fürstlichen Salzniederlage, den alte Freundschaft mit Rovinski verband. Natürlich hatte sich nunmehr die Wohnungsfrage ohne weiteres und zwar in einer für uns höchst vorteilhaften Weise entschieden. Denn der freundliche Beamte ergriff ohne Umstände unseren Arm und geleitete uns nach seiner nahen Wohnung. Es war dies ein Haus von der in Montenegro beliebten und bereits beschriebenen Art. Ganz aus Stein gebaut, beherbergte es im fensterlosen Parterre das Vieh, während die „Bei-Etage" als Wohnungsraum diente; nur führte hier, wie dies nicht immer der l'all ist, die Treppe im Innern hinauf. Es erhält dadurch ein solches Gebäude noch mehr den Charakter und den Wert einer kleinen Festung, Der Kessel an langer Kette und die Feuerstätte in der Ecke fehlten droben ebenfalls nicht. Gar bald war denn auch \mser freundlicher Wirt im Verein mit einer jungen Verwandten, die ihm das Hauswesen besorgte, beschäftigt, ein Abendmahl für uns zuzubereiten. Hier der Speisezettel: Faer mit Speck, Eier mit Käse, Milchreis, Käse, Wein, Schnaps und zu guter Letzt noch Kaffee. Ich kann ^uch versichern, dass wir es uns recht gut schmecken Hessen. Als es dann zum Schlafen ging, trat der liebenswürdige Inspektor uns sein in einer Art Verschlag befindliches Bett ab, in welchem wir so gut ruhten, dass es schon ziemlich spät war, als wir am andern Morgen erwachten. Gerade da wir auf die Strasse hinunterstiegen, zog eine ganze Karawane von Saumtieren vorüber, die am Tag zuvor Waren nach dem See transportiert hatten und, nun leer nach Podgoriza zurückgingen. Das kam uns äusserst gelegen. Sofort wurde für eine Kleinigkeit ein Mietkontrakt mit den Treibern abgeschlossen. Indes erst das fünfte Pferd, das wir probierten, war zum Transport des Gepäcks zu verwenden, denn beim ersten riss der Gurt, die beiden nächsten schlugen derartig aus, dass wir sofort unsere Effekten wieder herunternehmen mussten, sollte nicht alles in Stücke gebrochen werden, das vierte aber war, nachdem man es mühsam beladen hatte, nicht von der Stelle zu bringen. Als das Gepäck endlich glücklich abgegangen war, stiegen auch wir zu Ross, aber das war ein Ritt mit Hindernissen! Statt des Sattels hatten wir nur das überall in Südeuropa verwendete Packgestelle, als Zügel aber drückte man uns einen ganz kurzen Strick in die Pfand, der nur an der einen Seite des Zaumes befestigt war. Glücklicherweise jedoch gehörte der vier- bis fünfstündige Weg nach Podgoriza nicht zu den sonst so halsbrecherischen Pfaden Montenegros, denn er führt ununterbrochen durch die weite Mo-ratscha-I^bene, die übrigens nicht nach diesem Flusse, sondern vielmehr „untere Ceta" genannt wird. Nach dem Abmarsch von Berislavzi, das etwa 60 Häuser und 300 Einwohner hat — unter den letzteren befinden sich beiläufig nur noch zwTei bis drei Türken, da alle übrigen Muhammedaner nach der Annexion des Terrains durch Montenegro auswanderten — durchzogen wir zunächst auf einem breiten, aus einer Unmasse neben einander herlaufender Fahrgleise bestehenden Wege angebaute Fluren, auf denen indes infolge zu grossen Wasserreichtums nur elende Gerste sich präsentierte. Trotzdem wurden mehrmals in dieser Gegend recht ansehnliche Dörfer bemerklich, so namentlich Golubovzi, eine Ansiedelung von nicht weniger als 200 Häusern. Links über der selbst nicht wahrnehmbaren Moratscha zeigten sich die Kalkklippen, mit denen dort die eigentlichen „schwarzen Berge" wieder ihren Anfang nehmen; rechts dagegen steigt der isolierte Hum aus der meilenweiten Niederung auf, überragt von den riesigen Albaneser Alpen, die den fernen Hintergrund bilden. Nach etwa anderthalbstündigem Ritte gebietet uns ein nur massig tiefer, aber schon ziemlich breiter Fluss, die Cjevna Halt. Das klare, harmlose Gewässer kommt aus einem wilden, unnahbaren Lande, dem .Sitze des mächtigen Albanesenstammes der Cle-menti, zwischen dem Kom und den nordalbanesischen Alpen, um sich unweit von uns in die Moratscha zu ergiessen. Einstmals hat es bessere Tage gesehen; da führte eine stattliche Steinbrücke über seine Fluten hinüber. Aber späterhin zerstörte Menschenhand in dieser Gegend alles wieder, was Menschenhand mühsam geschaffen. Neben den Ruinen einer Mühle und eines alten Hans (Wirtshaus) ragt nur noch ein Stück von einem Bogen melancholisch über das Wasser hin. Als wir glücklich auf dem jenseitgen Ufer waren, befanden wir uns plötzlich in einer ganz anderen Landschaft. Die Felder sind verschwunden, die unermessliche, fruchtbare Ebene hat sich in eine wahre Steppe verwandelt. So weit das Auge reicht, nirgends ein Baum oder ein Strauch; kleine, scharfe Kalksteine bedecken massenhaft den Boden. Was jenseits und in der ganzen Gegend nach dem See hin zu reichlich vorhanden, das fehlt hier, wo das Terrain schon etwas höher liegt und nicht mehr regelmässig überschwemmt wird, das Wasser. Vermöchte man dieses herbei zu leiten und dem nackten Steinboden eine Humusdecke zu geben, so würde diese weite Fläche ein gesegnetes Gefilde darstellen, wie kaum ein anderes. Montenegro wird es nach all den Anstrengungen, welche die Eroberung des Bodens verursachte, nun auch an Arbeit, um denselben zu verwerten, nicht fehlen. Am Abhang eines niedrigen, klippigen Zuges, der nunmehr die Moratscha vollends unseren Augen entzieht, steht, recht wohl barmonierend mit der öden, kaum hier und da durch die Gestalt eines zerlumpten Hirten und seiner wenigen, erbärmlichen liere belebten Landschaft, ein einsames Kirchlein, das eine für das jahrhundertlange Verhältnis zwischen Türken und Crnagorsen sehr charakteristische Geschichte hat. Wiederholt von den Horden des Islam zerstört, war es endlich in seiner jetzigen Gestalt aufgeführt worden. Auf Bitten der Christen gestattete der türkische Machthaber der Gegend, dass der Metropolit Danilo von Montenegro herbeikomme, um es zu weihen. Aber als. der Gottesmann erscheint, wird er gefangen genommen und nachdem man ihm nur auf das inständige Flehen der ihn verehrenden Volksmassen das Leben geschenkt, an dem Stadt-thore von Podgoriza unter den Armen aufgehängt. Es kam indes ein getreuer Pope, stützte den Schwebenden mit seinen Schultern und flösste ihm Nahrung ein, bis endlich seine PYeilassung verfügt ward. Natürlich kehrte der misshandelte Kirchenfürst in grösster Erbitterung heim, die er denn in der Folge auch dadurch kund gab, dass er allen Muselmännern in seinem Lande nur die Wahl zwischen der Taufe oder dem Tode Hess. In dieser Weise erzeugten Gewaltthaten auf der einen meist wieder Repressalien auf der anderen Seite. Das ist der Hauptinhalt der Geschichte dieser Grenzlande. Während mein Freund Rovinski noch von dem eben mitgeteilten Ereignis, das in das Jahr 1692 fallen soll, berichtete, wurde plötzlich bei einer kleinen Wendung, die wir ausführten, in der Ferne ein Wald grüner Bäume und Büsche sichtbar, aus welchen einige schlanke Minarets aufragten. „Podgoriza," rief erfreut mein Begleiter. Ich dagegen war, um es nur zu gestehen, etwas enttäuscht. Die in den letzten Jahren so vielgenannte, berühmte Stadt, das oberalbanesische „Leipzig", der belebteste Handelsplatz weit und breit, hatte in meiner Phantasie eine ganz andere Gestalt erhalten. Ich dachte mir ihn nicht anders als einen der vielen pittoresk gelegenen Orte, welche die Crnagora besitzt. Und nun war es eine unbedeutende, in der weiten Ebene fast verschwindende Häusermasse, die den berühmten Namen führte. Podgoriza hatte demnach allerdings auch hinsichtlich seiner Lage mit seinem sächsischen Gegenstücke grosse Ähnlichkeit. Nur einen Reiz konnte man nicht verkennen; das war die ungeheure Masse der Hochgebirge des Kutschi-Bezirks, welche den düsteren Hintergrund des Ortes bildeten und die weite Niederung abschlössen. Da es etwas zu regnen anfing, so war unser Eifer, ein gastliches Dach zu erreichen, doppelt gross. Wir spornten daher unsere Mähren zu einem energischen Trabe an, so dass wir trotz der miserablen Beschaffenheit unseres Reitzeugs die traurige Fläche rasch durchschnitten. Immer deutlicher kamen die Details zum Vorschein. Wir sahen die Türkenschanzen rechts am Fusse der Gebirge, mittelst deren die Pforte einst die Ebene beherrschte. Auch die weissglänzende russische Kirche auf einem Hügel hinter der Stadt fiel deutlich in die Augen. Eine andere niedrige Erhebung linker Hand krönte ein starkes Fort, zu dem ein gut angelegter Zickzack weg hinaufführte. Wie vom belebenden Hauche der menschlichen Niederlassung getroffen, hatte auch die Landschaft ihre alte Starrheit verloren. Mehrfach wucherten mächtige Büsche von Klatschrosen, im Ganzen eine Seltenheit im Lande, am Wege. Auf dem dunklen Humus, den menschlicher Fleiss über dem harten Schotterboden der Alluvialebene aufgehäuft hatte, standen fruchtbeladene Feigenbäume. Auch die edle Tabakpflanze nahm weite Flächen ein. Gehört doch das Kraut, das hier gebaut wird, wie ich selbst in Erfahrung gebracht habe, zu den edelsten Produkten, welche die Balkanhalbinsel den Rauchern liefert, während es zugleich den Vorzug ausserordentlicher Billigkeit besitzt. So versöhnte die nächste Umgebung der vielgerühmten Stadt mit der Monotonie ihrer weiteren Umgegend. Möge sie, die ehemalige Christenfeindin par excellence, auch in ihrem Innern uns nur Angenehmes bieten! IX. * Von Podgoriza nach Nikschitsch. Podgoriza. Durch das Ceta-Thal nach Spusch. Danilovgrad. Uber den Planiniza-Pass in die Ebene der oberen Ceta. Podgoriza erweckt in dem Ankömmling die verschiedenartigsten Empfindungen, bau düsteres Thor, das er durchschreiten muss — beiläufig das nämliche, welches einst das halbe Martyrium des Vladika Danilo sah, — ein verwitterter, grauer Uhrturm, die in so vielen türkischen Orten anzutreffende „Sahat Kula", könnten ihn glauben machen, dass er in eine mittelalterliche Stadt eintrete. Die sauberen, grünen Oellampen au den Mauern, bestimmt, die Strassen zu beleuchten, erinnern dann wieder an moderne Einrichtungen, von denen der Morgenländer nichts weiss. Endlich aber wird doch der Charakter einer durch und durch orientalischen Stadt überwiegend sich geltend machen. Welch ein buntes Leben und Treiben herrscht doch schon auf dem kleinen Platz, den wir unmittelbar hinter dem Thor betreten! Serben und Albanesen, Christen und Türken, Vornehme und Zerlumpte, Soldaten und Hirten, Bauern aus der Umgegend und Händler aus fernen Regionen, verhüllte und unverhüllte PYauen, Turban und Strohhut, Fez und Kappa, alles wimmelt geschäftig durcheinander. In den Holzbuden ringsum locken ja auch allerlei Sächelchen zum Kaufen. Wie aber die meisten orientalischen Städte irgend einen Lieblingsartikel haben, so fallen hier namentlich die zahlreichen Verkaufsläden der Waffenschmiede auf. Wie blitzen da auf allen Seiten die blanken Klingen, wie funkeln die edelsteinbesetzten Gefässe und Scheiden! Von diesem Marktplatze bogen wir in die von da aus den ganzen Ort durchziehende Hauptstrasse ein. Diese Bezeichnung für die eigentliche Verkehrsader Podgorizas erscheint allerdings etwas euphemistisch. Denn die .Strasse ist eng und vielfach gekrümmt. Das Pflaster besteht aus so ungleichmässigen, spiegelglatten und meist durch wahre Löcher und Versenkungen von einander getrennten Steinen, dass ein Ungeübter nicht anders wie ein Trunkener über solch ein eigenartiges Parquet schwankt. Mitten in dieser Hauptstrasse läuft ein schmaler Graben, dessen Bedeutung mir nicht klar wurde, da er völlig trocken lag. Ich gestattete mir, ihn als eine Art Trottoir aufzufassen, da ich bald entdeckt hatte, dass sich in ihm ungleich besser marschieren liess als ausser ihm. Trotz solcher elenden Beschaffenheit oder vielmehr gerade infolge derselben machte dieser „Cörso" der ober-albanesischen Handelsstadt einen echt morgenländischen Eindruck. Nahmen doch auch hier Verkaufsläden und offene Werkstätten beide Strassenfronten ein und das Menschengewühl war so gross, dass man nur mühsam sich vorwärts bewegen konnte. Vor einem Hause, in welchem Regale mit zahllosen Schnapsflaschen sichtbar wurden und jedes Aushängeschild überflüssig machten, hielten wir. Das höchst unscheinbare Gebäude stellte das Hotel der merkantilen Metropole dar. Im oberen Stockwerk, zu welchem aus dem Hofe eine Freitreppe führt, besitzt dasselbe zwei oder drei Zimmer mit etwa zehn leidlichen Betten, während das Parterre von der „Gaststube", einem nach der Strasse zu fast Völlig offenen, verrussten Räume mit einigen harten Holzschemeln eingenommen wird. Der Wirt war indes ein prächtiger Kerl, der uns mit grosser Herzlichkeit empfing. Natürlich verbreitete sich die Kunde von unserer Ankunft mit Blitzesschnelle durch die immerhin nur kleine Stadt, und wir hatten uns kaum gesetzt, so waren wir auch schon von einem ganzen Schwärm biederer Crnagorsen umgeben. ' Und nun ging's an das Küssen und Raki -Trinken, das bisher noch jedesmal die Grundzüge unserer Bewillkommnung gebildet hatte. Ich lernte bei dieser Gelegenheit auch den Doktor des Ortes, eine Art me'dicinae practicus, kennen, der ebenfalls in Nationaltracht und mit voller Bewaffnung einher-schritt. Ein Schüler Aeskulaps in diesem Aufzuge würde sich vielleicht für die Nervenkranken, an denen die Kulturländer so reich sind, empfehlen. Ausserdem fand sich hier noch ein liebenswürdiger Grieche und ein italienischer Schiffskapitän, gleichfalls ein recht angenehmer Mann, ein. Der letztere musste mir, der ich auch die Handelsverhältnisse des Landes zu studieren beflissen war, vornehmlich deshalb noch besonders interessant sein, weil er, wie er mir mitteilte, im Innern von Albanien Pferde, das Stück für den enorm billigen Preis von circa 6 Napoleons, ankaufte, um sie dann über den Sutormanpass nach Antivari zu transportieren, von wo sie mittelst eines ihm zugehörigen Segelschiffes nach Bari an der gegenüberliegenden italienischen Küste geführt zu werden pflegten. Ich frage, könnte Montenegro, das, wie es selbst bekennt, so arm ist, und doch Geld haben muss, soll es eine allgemeine Blüte erreichen und nicht bloss ein Kriegsstaat, ein grosses Heerlager bleiben, nicht selbst den Profit eines derartigen höchst lukrativen Handels in die Tasche stecken? Die hauptsächlichsten Vorbedingungen dazu, zwei leidliche Seehäfen, besitzt es ja gegenwärtig endlich. Möchte denn nun auch seine merkantile Plagge sich entfalten! Nachdem wir uns ausgeruht und erquickt hatten, mussten wir natürlich daran denken, unseren offiziellen Verbindlichkeiten gerecht zu werden und dem Stadtkommandanten einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Ich war um so rascher zu diesem Gange bereit, als ich schon aus mehrfachen Beschreibungen und Schilderungen des betreffenden Mannes wusste, dass ich einen der interessantesten Crnagorsen würde kennen lernen. Wir durchschritten mehrere der zahlreichen, kaum l—2 Meter breiten Nebengässchen, die sich an die Hauptstrasse anlegen, und standen endlich vor einem etwas isoliert auf einer kleinen Erhöhung gelegenen, umfangreichen Gebäude. Das war der Palast des Oberbefehlshabers des wichtigen Ortes. Aber keine Schildwache kennzeichnet ihn als solchen. Der Mann, der da drinnen residiert, bedarf keinen Schutz. Sein Name schon ist den Feinden weithin ein Schrecken. Wir traten in den Hof, den auf mehreren Seiten Bauwerke umschlossen, deren einzige Zierde eine vor der ersten Etage hinlaufende Galerie bildete. Wir stiegen die Treppe hinan und gelangten in ein geräumiges, mit Plolz getäfeltes Zimmer, in welchem auf den rings um die Wände hinlaufenden Polstern mehrere Türken sassen und gemütlich mit einem Manne plauderten, der bei unserem Erscheinen rasch aufsprang und uns mit der grössten Herzlichkeit bewillkommnete. Es war Marko Miljanov, einer der gewaltigsten Helden der Crnagora und zugleich eine der gefeiertsten und populärsten Persönlichkeiten des Landes. Er verdient aber auch in Wirklichkeit beides, den Ruhm und die Liebe. Auf einem wahrhaft riesigen Körper sitzt ein Kopf mit einem so offenen, so biederen, so treuherzigen Gesichte, dass man schon beim ersten Anblick dieses Mannes gefangen ist. Aus seinen Augen blitzt todeskühner Mut und doch wieder schelmischer Frohsinn, Sein Haar ist schneeweiss, indes sein elastischer Gang, die Kraft und die Gewandtheit, die aus allen seinen Bewegungen spricht, verraten, dass es nicht von der Last der Jahre gebleicht worden ist. Der Gouverneur steht noch im besten Alter. Aber was hat dieser urkräftige Recke nicht alles schon durchgemacht! Zahllos sind die Wunden an seinem riesigen Leibe, und wenn er nicht aus Stahl und Eisen wäre, würde er längst nicht mehr unter den Lebenden weilen. Jedoch er zahlte den Feinden auch heim, was sie ihm anthaten, und zwar zehnlach. In manchem wilden Scharmützel, wo die Türken bereits siegesfroh ihn umzingelt hatten, mähte er ihre Häupter wie Distelköpfe und warf ganze Massen nieder, wie einst Simson, als ihn die Philister mit Stricken banden und ihn darum in ihrer Macht wähnten. Unser Pleld ist aber auch von dem rechten Stamme. Seine Fleimat ist nicht hier unten im verweichlichenden Flachlande, sondern dort droben in den gigantischen Gebirgen, die hinter Podgoriza aufsteigen, um sich bis zum schneebedeckten Korn hinan übereinander aufzutürmen. Der Clan der Kutsehis, dieser stählernsten der stählernen Crnagorsen, hat ihn gezeugt. Nachdem wir eine Weile neben dem prächtigen Manne gesessen hatten, stand er plötzlich auf und sprach: „Um Euch, meinen besten Freunden, die grösste Ehre, die es im Morgenlande giebt, zu erweisen, will ich Euch nun auch in meinen Harem führen." Ich muss gestehen, ich war äusserst betroffen von dieser Rede, jene türkische Unsitte in einem christlichen Hause? Ein so kerniger Mann ein Weiberknecht? Trotzdem folgte ich dem Voranschreitenden nach. Über einen schmalen Gang gelangten wir in einen anderen Flügel des Palastes. Der Gouverneur klopfte dort an eine Thüre und auf ein vernehmliches „Herein" traten wir in den „Harem". Aber was sahen unsere Augen? Nicht phantastisch aufgeputzte, gold- und juwelenbehangene Oda-lisken, die in träger Üppigkeit auf schwellenden Polstern ruhten; nein, im Hintergrund eines ganz einfach aber modern behaglich ausgestatteten Zimmers sass ein weibliches Wesen an einer — Nähmaschine. Statt der nationalen, gerade in Bezug auf die Frauen wenig hübschen Tracht, umhüllte ein braunwollenes Kleid mit einem schwarzen Sammetjackett den feinen, zierlichen Körper. Auf unseren ehrerbietigen Gruss wandte die Frau uns das Antlitz 211 und wir sahen hinein in jugendlich angenehme, sanfte Züge. Bescheiden, aber ohne alle Schüchternheit trat sie uns dann entgegen und bot uns herzlich die kleine Hand. Dies einnehmende Wesen, dem so ganz und gar der Typus einer bürgerlich-deutschen Hausfrau aufgeprägt erschien, war die Gemahlin des gewaltigen montenegrinischen Kriegsmannes, des Häuptlings der wilden Kutschi, und das kleine Kindlein, das in einer ganz simplen Wiege unter e|ner bunten türkischen Decke schlummerte, sein Söhnlein, der Erbe seines Namens und hoffentlich auch seiner edlen Kraft. Ich gestehe, ich war ganz versteinert. Also das war der »Harem"? Es fehlte nicht viel, so hätte mir diese unerwartete Wylle, der Einblick in das glückliche, an die ferne Heimat und die schönsten Güter und Seiten unseres deutschen Volkes erinnernde Stillleben eines Helden, der das blutige Schwert zu schwingen gewöhnt war, die hellen Thränen in die Augen gezwungen. War Schwarz, Montenegro. 16 das wirklich das Heim eines aus dem Volke der Montenegriner, dieser tapferen aber auch stolzen Haudegen, die, wie man vielfach und nicht ohne Grund behauptet, das Weib noch heute als die Sklavin des Mannes oder doch als ein unter ihm stehendes Wesen betrachten? Wie weit also war der schlichte Kriegsmann aus der rauhen Wildnis der montenegrinisch-albanesischen Grenzgebirge seiner Nation in geläuterter Erkenntnis vorausgeeilt, wie hoch stand er auch innerlich über ihnen, deren Mehrzahl er schon äusserlich um eines Hauptes Länge überragte! Möchten die Männer der „schwarzen Berge", die der kriegerischen Laufbahn dieses mächtigen Recken nacheifernde Bewunderung zollen, doch auch jenes sein schönes häusliches Leben sich zum Vorbild erwählen! Ja wahrlich, das ganze Volk hätte es sehen müssen, das liebliche Bild, das sich unserem Auge bot, als jetzt der gewaltige Woiwode die schwielige Hand auf den Scheitel des schwachen Weibes legte und mit herzgewinnendem Lächeln sagte: „ich diene nur noch meiner Frau," während sie, schamhaft errötend und doch freudigen Stolz in den leuchtenden Augen, zu ihm aufschaute und mit weisser bland seine gebräunte Wange streichelte! So rankt sich die zarte Rebe empor am knorrigen Eichbaum, der schützend seine starken Äste über sie ausbreitet. Mir fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen. Wie war doch das? Was hatte ich noch in der Heimat gelegentlich meiner Vorstudien für diese Reise irgendwo gelesen? Da war einem jungen Mädchen in Nikschitsch Freundinnen gegenüber die Äusserung entschlüpft, sie könne sich kein grösseres Glück denken, als von „Mar Miljan", wie das Volk' den Helden gemeiniglich nennt, dessen Thaten gerade damals in aller Mund waren, geküsst zu werden. Diesen Wunsch der schüchternen Jungfrau hatte man dem General, der bald darauf in jener Stadt eintraf, zufällig verraten. Er ging in ihr Flaus, zog das zum Tod erschrockene Mädchen an seine Brust und sprach, indem er ihr zugleich einen funkelnden Ring an den langer steckte: „Hier der gewünschte Kuss. Du sollst mein Weib sein!" Die Heldin dieser kleinen Geschichte voll rührender Naivetüt war es, die ich jetzt vor mir sah. (iah mir doch auch ihr Mund selbst die Bestätigung meiner Vermutung, als sie nun anhub, von ihrer schönen Heimat dort droben auf der grünen Aue der Nik- schitscher Hochebene zu erzählen, und ihre herzlichste Freude darüber aussprach, dass wir dahin unsere Schritte lenken wollten. Daneben verstand es die kleine Generalin übrigens auch, in anmutigster Weise ihres Amtes als Hausfrau zu warten. Auf einen Wink von ihr brachte ein dienstbarer Geist in Gestalt eines stämmigen Soldaten einen dickbauchigen Krug, aus welchem sie saubere, gläserne Pokale füllte, um sie uns sodann auf einem grossen, roten Präsentierteller kredenzen zu lassen. In der so eigenartigen Umgebung, in der wir uns befanden, hätte wohl auch ein Trunk einfachen Braunbieres schon gemundet, für das ich die uns dargebotene Flüssigkeit nach ihrem Aussehen zu halten geneigt gewesen war. Sie entpuppte sich aber schon beim ersten Schluck als reiner Nektar, als ein Göttertrank, der süss, würzig und mild über die Zunge floss und dann doch wie Feuer durch alle Adern rann. Dabei musste das ausserordentlich erquickende Gebräu auch noch das vollste Interesse des Forschungsreisenden wachrufen. Denn es war nichts Geringeres als „Meth", das Lieblingsgetränk der Kutschi, welches da droben in den Bergen des Kom aus Honig und Wasser ohne alle weiteren Zuthaten bereitet wird. Bekanntlich spielte ein Fabrikat gleichen Namens und vielfach auch gleicher Bestandteile unter unseren germanischen Vorfahren ebenfalls eine Rolle, und es ist nicht unmöglich, dass die Südslaven die Kunst, dasselbe zu bereiten, sich aneigneten, als sie noch in Mitteleuropa ihre Wohnsitze hatten und mit jenen in vielfache Berührung kamen. Man wird es mir aber glauben, wenn ich sage, dass mir das Scheiden aus dem unvergesslichen Gouverneurspalaste schwer geworden sein würde auch ohne Meth. Hatten wir aber in dessen schlichten Räumen den Gouverneur von Podgoriza als Mensch kennen gelernt, so mussten die wenigen Schritte nur, die uns lunter dem Hause ins Freie führten, die blutigsten Bilder aus seinem Kriegerleben wieder vor unsere Augen stellen. Wir befanden uns zwar noch auf der weiten Ebene, in der die seiner Zeit so viel genannte Stadt liegt. Aber dicht vor uns brach die meilenweitc Fläche plötzlich viele Meter tief in ein enges Thal ab und jenseits desselben erhoben sich die Flochgebirge der Kutschi, schwarzgraue Felsen, so plump-massig angehäuft und aufgerichtet, wie ich es sonst im ganzen Lande nicht wieder gesehen habe. 16* Es schien nicht anders, als ob Titanen diese jähen, nackten Wände aufgebaut und die dicken, ungefügen Felstürme, von denen dieselben vielfach gekrönt wurden, darauf gesetzt hätten. Ganz oben aber war aus dem Grate ein grosses, beinahe genau viereckiges Stück ausgeschnitten und in dem so entstandenen, tiefen Sattel wurde ein bei der bedeutenden Höhe winzig erscheinendes Gebäude sichtbar. Das ist die während des letzten türkisch-motenegrinischen Krieges vielgenannte Festung Medun. Trotz der fast unnahbaren Lage, durch welche dieser wahre Adlershorst, dieses F'elsennest sich auszeichnet, tauchten doch eines Tages die kühnen Gestalten der Crnagorsen vor seinen Mauern auf, um es zu bezwingen, und die kurz zuvor noch so übermütige Garnison sah sich plötzlich vor die grausige Alternative gestellt, entweder der montenegrinischen Handschar im Rücken zum Opfer zu fallen oder in den furchtbaren Abgrund sich hinunterzustürzen, der dicht vor ihren Flüssen gähnte. Marko Miljanov hat das Flauptverdienst daran, dass es soweit kam, ihm gebührt die Palme dafür, dass auch dieses, Podgoriza und seine herrliche Ebene bis zum Skutari-see dominierende, türkische Zwinguri fiel. Das erhabene Gebirgstableau lag gerade in der rechten Beleuchtung, als wir es bewundernd betrachteten. Düstere, dräuende Gewitterwolken hingen auf die gigantischen Felsmassen nieder, deren grausige Wildheit durch mehrfache Schneeflecken, die von der obersten Höhe niederblickten, nur noch verstärkt wurde. Mitunter aber brachen sich vereinzelte Sonnenstrahlen Bahn durch die finsteren Massen am Himmel und Hessen grelle Streiflichter auf die winzigen, hellgrünen Wiesenfleckchen fallen, welche sich auf vereinzelten Terrassen an der jähen Steinmauer bemerklich machten. Glitt dagegen das Auge, wie erschreckt von dem grotesken Hochgebirgsbilde, einmal in das tiefe Thälchen nieder, das uns von jenen Felsen trennte, so bot sich ihm hier ganz unvermittelt eine wahrhaft idyllische Landschaft. Da floss mit sanftem Gemurmel ein kleines Flüsschen, die Ribniza, dahin; ihr Wasser klar und hell, wie sich das schickt für ein echtes Kind der Berge. Denn sie entspringt mitten drinnen im Schoss des wilden Hochgebirges. Dort gewiss hüpft sie, den Gemsen gleich, die von ihrem blanken Nass schlürfen, keck zwischen den Steinen dahin, ihre Jugend und Freiheit geniessend. Hier unten aber legt man ihr, gerade so wie dem Menschen, wenn er älter wird, die Fessel an. Sie muss den prosaischen Bedürfnissen des Lebens ihre Kräfte widmen. Denn siehe, rechtwinklig zu ihrem Laufe sind allenthalben kleine Kanäle angelegt, die ihr Wasser entführen, um damit das schmale Humusband an beiden Ufern zu benetzen. Auf den so entstandenen Rieselfeldern bauen die Einwohner Podgorizas das trefflichste Gemüse, Gurken, Melonen, Schoten und anderes mehr. Die Albanesen sind eben — was man sonst auch Ungünstiges von vielen der Gebirgsbewohner unter ihnen sagen möge — im Grunde doch unbestreitbar praktische und betriebsame Leute. Wir verfolgten auf dem hohen linken Ufer, in dessen Diluvialmassen zahlreiche Höhlen von ausserordentlicher Grösse und Tiefe sich finden, das muntere Flüsschen bis zu seiner Einmündung in die Moratscha im Nordwesten der Stadt. Dort stand einst auf etwas erhöhtem Terrain die türkische Citadelle. Aber zu der Furie des Kriegs, die gegen die Herrschaft des Islam sich erhob, gesellte sich auch noch der Zorn des Himmels. Ein Blitzstrahl fuhr eines Tages, während die Höhen ringsum bereits von den kämpf begierigen Crnagorsen besetzt waren, hernieder und traf die Pulverkammer der alten Veste, so dass ihre starken Bollwerke wie Kartenblätter zerrissen wurden und an 7° Mann Soldaten ihr Leben verloren. Wir traten in den Greuel der Verwüstung hinein. Mitten unter den riesigen Trümmern ragte noch eine, wenn schon ebenfalls stark beschädigte Stein treppe empor, die zu einer Bastion führte. Wir stiegen nicht ohne Gefahr hinauf und genossen von droben einen lohnenden Überblick rückwärts auf die ansehnliche Stadt und ihre Minarets, sowie über die weite Ebene bis hin zu dem isolierten Hügel Hum, der an den Gestaden des blauen Skutarisees aufragt, während wir, wenn wir Kehrt machten, Zeuge der Vermählung der schwarzen Ribniza mit der hellgrünen Moratscha wurden, bis unsere Blicke an der grossen Gebirgsmasse haften blieben, die unweit von da am Ende der freundlichen Niederung wie eine verschlossene Welt ernst und erhaben aufragte. Nur der tiefe Einschnitt der Moratscha gestattete einen Blick in dies Allerheiligste der Natur, bis die beginnenden mäandrischen Windungen jenes Flussthaies auch dem ein Ende setzten. Und doch wollen wir uns schön morgen in dies unbe- kannte Stück Erde hineinwagen! Wird es uns auch die Heimkehr nicht verlegen?' Gedankenvoll wandten wir uns in die Stadt zurück. Als wir an einem finster blickenden Albanesen vorüberschritten, stiess mich Rovinski heimlich an. Es war der Schurke, durch dessen Bosheit einst eine Anzahl Montenegriner am hellen, lichten Tage in Podgoriza hingeschlachtet worden waren. Als nämlich jene Söhne der „schwarzen Berge" nach Ablegung ihrer Waffen — so wollte es damals noch das türkische Gesetz — das Thor der Stadt passiert und sich arglos unter die Masse der Käufer und Verkäufer gemischt hatten, waren zahlreiche Fanatiker, die jener Mensch durch das gänzlich grundlose Gerücht, dass soeben mehrere Albanesen auf montenegrinischem Gebiete niedergemetzelt worden seien, in die fürchterlichste Wut zu versetzen gewusst hatte, über jene Wehrlosen hergefallen und hatten sie erwürgt. Trotz alledem geht dieser Bösewicht jetzt, wo doch Podgoriza in montenegrinischer Gewalt sich befindet, völlig unangefochten einher, ein Beweis für die ausserordentliche Gutmütigkeit, welche die Crnagorsen im Frieden den geschlagenen Feinden gegenüber an den Tag legen, sie, die in wilder Feldschlacht Pardon weder zu geben noch zu nehmen gewohnt sind. Welch ganz andere Gefühle, als die Begegnung mit jenem blutbefleckten Menschen in uns wachgerufen hatte, musste doch die Bekanntschaft mit einem Manne verursachen, die ich wenige Minuten später machen durfte. Es war dies der Pope des Ortes, eine Erscheinung von so einnehmender Art, dass sie mir noch jetzt lebhaft vor Augen steht. Auf einem schlanken Körper sass ein Kopf mit einem bleichen, von rabenschwarzem Haar und Bart umrahmten Antlitz, das die überraschendste Ähnlichkeit mit dem berühmten Christusbilde auf Titians „Zinsgroschen" zeigte. Der Ausdruck eines tiefen Leidens, durch den doch eine innerliche Hoheit siegreich durchbricht, wie Vollmondschein durch düstre Nachtwolken, trat auch hier zu Tage. Lange musste ich den stillen Mann anschauen und konnte mir es auch nicht versagen, ihm mein Interesse an seiner Erscheinung durch Worte kundzugeben. Er lächelte freundlich und bemerkte, dass ihm von Malern schon Ähnliches gesagt worden sei, doch habe es nur mit dem Leiden in seinem Gesichte seine Richtigkeit. In Cetinje nämlich, wo er früher angestellt war, habe ihm das kalte Fieber arg mitgespielt, so dass er selbst durch seine Versetzung in das gesündere Podgoriza noch nicht ganz wiederhergestellt worden sei. Der milde' Gottesmann, der uns schon lange in den Strassen des Ortes gesucht hatte, liess nicht nach, wir mussten ihm in seine einfache, aber saubere Behausung folgen, wo uns sein junges Weib, • ein bleiches, liebliches, sanftes Wesen, wie der Mann selbst, mit duftendem Mokka und würzigem Kaki regalierte. Kaum waren wir wieder auf die Strasse getreten, so hatte die unerschöpfliche montenegrinische Gastfreundschaft bereits einen neuen Schlagbaum über unseren Weg gezogen. Ein freundlicher Crnagorse nahte sich uns mit der Bemerkung, dass wir doch die Lesehalle des Orts ansehen mussten. Wir folgten ihm in ein einfaches Haus, in dessen erstem Stockwerk in einem grösseren Raum, den Bänke und Tische zierten, verschiedene Journale, darunter auch die in Wien erscheinende illustrierte „Serbska Zora", auslagern Zum ersten Male übrigens wurde uns hier neben der geistigen Nahrung, mit der sonst derartige montenegrinische Institutionen allein sich befassen, auch eine leibliche Erquiekung, nämlich ein Glas Meth gereicht, wie wir solchen schon im Hause der Frau Generalin, der „Rose von Nikschitsch", getrunken hatten. Als wir endlich unserem Hotel wieder zupilgerten, kamen mehrere Schulknaben des Weges daher, die bereits, ehe sie uns noch ganz erreicht hatten, ihre Kopfbedeckung vor uns abnahmen Und dieselbe nicht eher wieder aufsetzten, als bis sie an uns vorüber waren. Wo fände man bei uns heutzutage noch eine solche Höflichkeit unter der Jugend, wie sie uns hier mitten in der albanesischen Stadt entgegentrat und wie ich sie beiläufig fast überall auf montenegrinischem Gebiete an den Kleinen beobachten konnte? Auch in Podgoriza hatten wir die Freude, eine grössere Anzahl einflussreicher Männer, zumeist alte Bekannte meines Mentors, noch einige Stunden um uns versammelt zu sehen, ehe wir uns zur Ruhe legten. Dabei erlaubte ich mir den Spass, einen dieser unserer Gäste, der von einem plötzlichen Unwohlsein heimgesucht wurde, an die Salmiakflasche aus meiner kleinen Taschenapotheke riechen zu lassen. Die Wirkung war eine äusserst drastische, da der biedere Crnagorse seine Nase allzunahe an das ominöse Gefäss gebracht und dessen Dunst überaus energisch eingesogen hatte. Ki war im ersten Augenblick weder imstande zu sprechen noch auch nur Atem zu holen, doch kämpfte er, wie man dies deutlich auf seinem Antlitz beobachten konnte, auf das Energischste mit sich, um diese Schwäche nicht bemerklich werden zu lassen und sich damit lächerlich zu machen. Der arme Bursche that mir fast leid, doch hatte ich die Genugthuung, bald schon aus seinem Munde zu hören, dass sich infolge der treulichen Medizin, die allerdings etwas stark gewesen sei, alles Unwohlsein empfohlen habe. Ich mochte es darum den Übrigen ebenfalls nicht wehren, als sie fast samt und sonders das Mittel zu probieren wünschten, war freilich aber auch so boshaft, mich an den wunderbaren Gesichtern zu weiden, die sie dann der Reihe nach um den Tisch herum schnitten. Doch bildete diese meine Kurpfuscherei nur eine komische Episode mitten in der im übrigen ernsteren Unterhaltung. Namentlich versäumte ich nicht, über die gegenwärtigen Verhältnisse der einst so blühenden albanesischen Handelsstadt genauere Erkundigungen einzuziehen. Da hörte ich denn nun leider nicht viel Erfreuliches. Das regsame Leben, dessen Schauplatz Podgoriza unter der Herrschaft des Halbmondes gewesen, ist auf ein Minimum herabgesunken, die Hälfte der Bewohner hat sich anderswohin gewendet. Doch trägt an diesem Verfall nicht etwa das montenegrinische Gouvernement Schuld, sondern lediglich die Mangelhaftigkeit der neuen Abgrenzung des beiderseitigen Gebiets. Stadt und Ebene gehört wohl den Crnagorsen, aber nicht die unfern davon aulsteigenden Hochgebirge, ja nicht einmal die kleinen Festungen, die auf zahlreichen Vorsprüngen dort am Südrande der gesegneten Niederung, sich erheben. Mit leichter Mühe würden von diesen dominierenden Stellungen aus die Plorden der benachbarten wilden Albanesenstämme in einer finsteren Nacht imstande sein, in die offene Stadt einzubrechen, um ihren Hass im Blute ihrer christlichen Todfeinde zu kühlen. Diese misslichen Umstände verhindern ein Wiederaufblühen der eroberten Stadt. Wenn sie in Wegfall kämen, was freilich nur durch die Ausdehnung des montenegrinischen Gebiets bis auf die Höhe der oberalbanesischen Alpen, welche die Natur so recht zu einer natürlichen Scheidewand zweier Nationen gemacht hat, geschehen könnte, dann würde bei der nicht gerhigen Fähigkeit der Montenegriner, einen modus vivendi auch mit dem muselmanischen Elemente herzustellen, wie sie solche in Dulcigno und anderwärts bereits genügend erwiesen haben, Podgoriza bald wieder werden, was es ehedem war. Ja bei seiner so eminent günstigen Lage am Ausgange der Hochgebirge, unweit des Zusammenflusses der beiden bedeutendsten Flüsse des ganzen Landes, inmitten einer weiten, fruchtbaren Ebene, die an den grossen Skutari-See stösst und damit auch in verhältnismässige Nähe des Meeres gerückt ist, müsste es sich unfehlbar in nicht allzu ferner Zeit zu einem Emporium des Handels für einen nicht geringen Teil der gesamten Balkanhalbinsel und der Adria aufschwingen. Welch schöne Perspektive für das bisher so arme Montenegro, wenn nur nicht jene an sich freilich unbedeutenden Vorbedingungen wären, zu deren Erfüllung indes Europa bei der Ängstlichkeit, mit der es an orientalische Dinse zu rühren sich hütet, sobald wohl kaum sich aufraffen dürfte. Was uns anging, die wir nicht Diplomaten, sondern nur einfache Wanderer waren, so konnten jene betreffs eines albanesischen Überfalles ausgesprochenen Befürchtungen nicht gerade angethan sein, uns im frohen Gefühle der Sicherheit unser hartes Lager aufsuchen zu lassen. Aber wie erschrak ich erst, als sich, kaum dass wir uns ins Bette gelegt hatten, die Thür unseres Zimmers öffnete und zwei nicht eben vertrauenerweckende Gestalten, deren Tracht sie uns bald als Albanesen verriet, eintraten, Um ohne weiteres von den beiden noch vorhandenen Betten Besitz zu ergreifen. Rovinski versicherte mir zwar, dass es reisende I laudier friedlicher Natur seien. Indes selbst als der eine der beiden eine Unterhaltung mit uns auf italienisch anfing und uns über Ziel und Zweck unserer Reise, über Namen, Stand, Vaterfand und dergleichen mehr ausfragte, konnte ich mich noch nicht ganz zufrieden geben, bis mich Gott Morpheus, der Sorgenver-scheucher, in seine Arme nahm und aus einer etwas unheimlichen Wirklichkeit in die lieblichen Gefilde seiner Träume entführte. Als wir am nächsten Morgen aus dem Bette sprangen, lagen unsere beiden fremdartigen Zimmergenossen, die struppigen Häupter ganz mit blutroten Tüchern umwunden, noch im besten Schlafe. Von ihren regsamen Landsleuten in der Stadt aber waren nicht wenige schon auf den Beinen. So arbeiteten, obwohl die LThr kaum auf fünf zeigte, vier junge Schuhmacher, sämtlich in das bunte Nationalkostüm gekleidet, in einer engen Bude unserem Hotel gegenüber, lustig singend und pfeifend, bereits mit höchster Energie an zierlichen Schnürstiefeln, wie solche hier in der „Grossstadt" die primitiven Sandalen der Landbewohner längst verdrängt haben. Bald verkündete auch lauter Hufschlag auf dem harten Pflaster das Nahen der Rosse, die uns in das Herz des Landes hinein zu tragen bestimmt waren. Aber von was für seltsamen Burschen wurden die Tiere eskortiert! Nie in meinem vielbewegten Wanderleben hatte ich mich originellerer Diener zu erfreuen. Es waren zwei junge Menschen im Alter von IQ und 17 Jahren. Der erstere zeigte eine hochgewachsene, dabei aber schlanke Figur mit einem ansprechenden Gesicht, aus dem Unternehmungslust und ein gewisser Stolz redete. Der andere erschien als das gerade Gegenteil von alledem. Sein Körper war klein, zwergartig, aber muskulös, und in seiner Physiognomie lag eine so merkwürdige Mischung von Unterwürfigkeit und Verschlagenheit, dass man unwillkürlich lachen musste, wenn man den Burschen ansah. Die Kleidung beider war gleich, nämlich gleich arm und dürftig. Auf dem absolut kahl geschorenen Haupte sass, statt des roten Fez der reicheren Klassen, eine Art weissen, gestrickten Käppchens, das einem Kinderhäubchen glich. Denn obgleich unverkennbar slavischer Herkunft und die slavische Zunge redend, bekannten auch sie sich, wie die Mehrzahl der Bewohner Podgorizas, zur Religion des Islam-. Den übrigen Körper bedeckte grober Wollenstoff von schmutziggrauer Farbe, doch zeigte derselbe allenthalben so bedeutende Defekte, dass man höchst bequem ausgiebigere Studien über die Hautfarbe ihrer Rasse anstellen konnte. Die beiden Prachtexemplare von Kammerdienern schienen indes die Mangelhaftigkeit ihrer Toilette keineswegs zu fühlen, denn sie zogen singend und trällernd heran und haben uns auch während des ganzen langen Tages, an dem sie zu Fuss unseren Pferden über Stock und Stein folgen mussten, durch ihren unerschöpflichen Humor, die steten Neckereien, die sie gegen einander in Scene setzten, das sich Flaschen und Verstecken, mit dem sie sich, wie leichtbeschwingte Schmetterlinge um uns herumscbwebend, die Zeit zu vertreiben suchten, viel Vergnügen bereitet. Sie wussten indes nicht bloss zu scherzen. Sie verstanden es auch, durch Ansteiligkeit und Gewandtheit, durch Diensteifer und Aufmerken auf jedes unserer Bedürfnisse uns die Mühsale des Reisens in diesen Gegenden vielfach zu erleichtern. Schon vor dem Abmarsch entfalteten sie ihr Domestikentalent aufs glänzendste. Als es nämlich ans Packen gehen sollte, sprang der Kleinere gewandt auf das Saumtier und belud dasselbe nun ganz in der Weise, wie der Landmann bei uns, wenn er den Erntewagen aufbaut, höchst bequem aber auch kunstgerecht zugleich mit den Gepäckstücken, die ihm sein Berufsgenosse von unten zureichte. Nach dieser Probe von Erfindungsgabe konnten wir den Leutchen das ganze, unangenehme Geschäft der Bagageversorgung getrost überlassen und einstweilen immer zu Fuss vorausgehen, da die Beschaffenheit des Pflasters ein Reiten innerhalb der Stadt durchaus widerriet. Nachdem wir die Strassen der letzteren unter herzlichen Segenswünschen, die man uns noch aus verschiedenen Häusern nachrief, durchschritten hatten, passierten wir die Ribniza und gelangten nach einer kurzen Strecke, die noch ebenen Weg brachte, zu einer an sich unbedeutenden, steinigen Erhebung, die indes, abgesehen davon, dass sie die nette griechische Kirche trug, deshalb bemerkenswert erscheinen musste, weil sie der Stadt den Namen gab, denn „Podgoriza" heisst zu deutsch: „am kleinen Berge". Nebenbei waren wir hier vor eine wichtige Entscheidung gestellt. Entweder wir behielten die bisherige Richtung bei und wanderten auf dem linken Ufer der Moratscha, welche dicht hinter jenem Hügel fliesst, weiter, um mittelst dieses Flussthaies in das Innere von Ostmontenegro zu gelangen, oder wir schwenkten links ab, in die breite Furche der Ceta hinein. Wir entschieden uns bald für das letztere, da das eben genannte Thal viel direkter der südlichen Sonne ausgesetzt ist, als der mehr nach Westen gerichtete, enge und gewundene, dazu auch viel rascher in das Hochgebirge hinein sich verlierende Einschnitt der Moratscha. Während 111 diesem gewiss der Winter noch halb sich bemerklich machte, durften wir dort schon schneefreie und in der Entwicklung fortgeschrittenere Gebiete zu finden hoffen. So gingen wir denn daran, die Moratscha zti passieren, wozu gerade an dem erwähnten Punkte die beste Gelegenheit geboten war. Denn hier gab es eine Brücke, was in Montenegro, wie in allen noch wenig kultivierten Ländern, immerhin eine grosse Seltenheit genannt werden muss. Das Bauwerk aber, das an dieser Stelle den Reisenden trockenen Fusses ans andere Ufer gelangen lässt, stellt sogar die weit und breit berühmteste aller derartigen Anlagen vor. Es ist die „Wessirbrücke", so genannt, weil sie ihre Existenz einem der wenigen türkischen Statthalter (Vezir) verdankt, die von der ihnen anvertrauten Provinz nicht immer nur zu nehmen, sondern derselben auch einmal etwas zu bringen verstanden. Das Ganze besteht aus einem einzigen, etwa 20 Meter weiten, kühnen Bogen, doch ist derselbe nicht derart über den Fluss gespannt, dass er oben gleiches Niveau mit den beiderseitigen Ufern zeigte, vielmehr ragt seine mächtige Rundung, wie wir dies bei älteren Brückenkonstruktionen auch anderwärts, beispielsweise in den Alpen, sehen, weit über jene empor, so dass man bei Überschreitung dieses Viadukts nicht, wie auf unseren modernen Flussüberbrückungen, eben dahingeht, sondern erst bis zur Mitte steil aufwärts und dann von dort ebenso wieder abwärts steigen muss. Von weitem bietet das albanesische Bauwerk auch noch dadurch einen originellen Anblick, dass die als Brüstung dienende Mauer nicht dem Pfalbkreise, den der Unterbau beschreibt, sich anschmiegt, sondern in einer gebrochenen Linie aufgeführt ist und so ein gleichschenkliges Dreieck, eine dachartige Spitze bildet. In dieser Weise kehrt die Brücke dem Wasser unter sich einen romanischen, dem Himmel über sich einen gotischen Bogen zu. Auch der kriegerische Sinn der Türkei hat sich hier einen Ausdruck gegeben, indem an jedem Ende dieses wichtigen Überganges ein mit Schiessscharten versehenes Häuschen errichtet wurde, dass imstande war, eine kleine Garnison aufzunehmen. Heutzutage, unter montenegrinischem Regime, sind die Brückenhüter aus diesen Miniaturforts verschwunden und wir konnten un-au{gehalten passieren. Nur auf der hochgehobenen Mitte des originellen Bauwerkes blieben wir aus eigenem Antriebe stehen, denn hier bot sich ein recht interessanter Niederblick. Gerade an dieser Stelle bildet sich in dem ohne besondere Uferbildung senkrecht tief in den Kalkfelsen eingeschnittenen Flussbette ein Wasserfall, der zwar nicht durch seine Höhe, wohl aber dadurch imponiert, dass das hellgrüne Nass in äusserst ansehnlicher Masse mit betäubendem Tosen über die ausgewaschenen, altersgrauen Blöcke in die Tiefe stürzt. Jenseits angelangt, ritten wir anfangs noch eine kleine Weile an dem hier ebenfalls bereits eng zusammengepressten und dämm noch immer donnernden und lärmenden Bergstrome dahin, auf der anderen Seite von jähen, felsigen Gehängen begleitet, bis sich plötzlich links ein Einschnitt öffnete; aus welchem ein zweites, aber ganz anders geartetes Gewässer hervorfloss, um sich in jenes zu ergiessen. Wir stehen an der Ceta, die, fast noch einmal so breit als die Moratscha, auch viel wasserreicher ist als jene oberhalb der Vereinigung, trotzdem aber ungleich sanfter und stiller auftritt, als ihre Nebenbuhlerin. Sie hat es freilich auch nicht nötig, viel Lärmens und Polterns zu machen. Denn sie verdient, von der Bojana abgesehen, die als Ausfluss des Skutarisees hier nicht in Betracht kommen kann, der bedeutendste Fluss des ganzen Landes auch insofern genannt zu werden, als ihr weites Thal die gesamte Bevölkerung Montenegros zu ernähren imstande sein würde, während der enge Spalt der Moratscha vielfach nicht einmal einen schmalen Raum für die Passage frei lässt. Aber wir sind nicht nur an einer geographisch interessanten Stelle angekommen, sondern auch bedeutsame geschichtliche Re-miniscenzen legen sich uns hier nahe. Das ebene Stück Land da drüben, das von den beiden Gewässern umflossen wird, bis es diesen gelingt, sich die Hand zu reichen, trug einst jene römische Stadt, Namens Dioclea, in welcher 239 n. Chr. der Kaiser geboren wurde, dessen Spuren wir schon in Spalato begegneten. Die An-siedlung hatte, das lässt sich nicht verkennen, einen überaus günstigen Punkt gewählt. Hinter sich das mächtige, an Naturprodukten reiche Hochgebirge, vor sich die Ebene bis zum Skutarisee, rechts l'nd links je einen bedeutsamen fluss mit bis'weit ins Innere des Landes hinein führenden Thälern, welche Bedingungen zu einer blühenden Entfaltung hätten noch gefördert werden können? Aber die nichts verschonende, an Reichtum und Befähigung sich nicht kehrende Zeit hat auch die alte Römerstadt angetastet, und heutzutage steht auf dem klassischen Boden kaum noch einiges unscheinbare Mauerwerk, das hochragender Mais und üppig rankende Reben ebenfalls den Blicken des forschenden Wanderers zu entziehen bemüht sind. Nur dem Ackersmann, wenn er den Boden aufwühlt, um ihm die nie versagenden Gaben der Natur zu entlocken, fällt manchmal noch ein kümmerlicher Rest von den Werken aus Menschenhand, eine verrostete Münze, ein vergilbtes Stück Marmor zu. Erfreulicherweise hat Se. Hoheit der Fürst meinem Freund Rovinski, der ein äusserst kundiger Archäologe ist, die Erlaubnis zu umfassenden Nachgrabungen auf dem hochwichtigen Terrain erteilt, und es ist zu verhoffen, dass auf diese Weise mancher wertvolle Fund zu Tage gefördert werden wird. Doch nun kehren wir Römern wie Albanesen den Rücken, um uns in das Cetathal hinein zu verlieren. Schon nach wenig Schritten umfängt uns da eine andere Welt. Denn ähnlich vielen Alpengewässern, zieht sich jene sonst weite und geräumige Mulde gerade gegen ihre Mündung hin schlundartig zusammen. Es bleibt jücht einmal mehr für den schmalen, elenden Saumpfad Raum übrig, der auch in diesem reichen Thale zur Zeit noch die Stelle einer bequemen Verkehrsstrasse vertreten muss. Wir sehen uns genötigt, an dem steilen Ufergehänge hinzuklettern, das, weil es die Sonnenseite darstellt, auch wieder die alte montenegrinische Dürre und Kahlheit zeigt. Dafür bot der jenseits aufsteigende, hohe Gebirgsrücken, weil seine Lehne gegen Abend gekehrt ist, schon ein recht erfreuliches Bild. Noch hoch oben wurden auf breiten Terrassen üppig grüne Flecke bemerkbar, deren Farbe sich grell von dem rötlichem Kolorit abhebt, wrelches dort das Gestein angenommen. Auch der Fluss, der drunten kaum merklich dahin-fliesst, ist bereits von dichtem Gebüsch umkränzt. Dort, wo unser Gehänge einmal etwas zurücktritt und einer kleinen, ebenen Fläche Platz macht, erhebt sich neben einer halb verfallenen Mühle ein gleichfalls in höchst desolatem Zustand befindliches türkisches Fort, mittelst dessen einst die hohe Pforte dieses wichtige Defile beherrschte. Bald darauf wird das letztere noch enger als zuvor, indes in der nun entstandenen Schlucht, in welcher die sengenden Sonnenstrahlen ihre Macht verloren haben und ein kühler, feuchter Wasserdunst herrscht, timgiebt uns plötzlich die mannigfaltigste Vegetation. Weissblühende Brombeersträucher und Wicken mit gelben Blüten ^92246 mischen sich unter saftig grüne Büsche von Buche und Eiche; die Weinrebe aber versteht es, auch durch diese Wildnis hindurch noch ihre Arme zu schieben. Wir mochten etwa eine Stunde in der Thalenge geritten sein, als sich dieselbe plötzlich Öffnete und wir wie durch einen dunklen Rahmen hinausschauten auf eine weite, grasige Niederung, aus welcher sich völlig isoliert ein hoher, spitzer Felskegel erhob. Während in unserer Schlucht fast noch Dämmerung herrschte, blitzten die Fenster der stolzen Burg, die dort zum blauen Himmel aufragte, bereits im hellsten Morgensonnenschein — wahrlich, ein köstlicher Anblick, den wir noch mehr würdigten, als wir aus dem Munde unseres kundigen Mentors erfuhren, dass dies Spusch, jene alte Trutzburg sei, von der aus die Muselmanen vordem nicht allein das ganze Cetathal auf und ab bis Nikschitsch und Podgoriza beherrschten, sondern auch die Verbindung zwischen Ost- und Westmontenegro erschwerten. Die alte Bergveste war in der That ein rechter Pfahl im Ideisch der Crnagora. Darum suchten denn auch die erbitterten Söhne der „schwarzen Berge" unzählige Male sich ihrer zu bemächtigen, bis »endlich im letzten Kriege wirklich der Tag erschien, wo das „heilige.llion'" hinsank. Wir traten aus unserer hohlen Gasse hinaus in die weite Niederung, welcher hier die namentlich links in weitem Bogen zurückweichenden Uterberge Raum lassen. Aber o weh, was wir aus der Ferne für eine prachtvolle Kulturfläche gehalten hatten, das entpuppte sich, wie so manches Stück Erde, über die der eiserne Fuss der türkischen Horden geschritten, gleichfalls als Wüste. Kaum hie und da hatte ein unternehmender Geist angefangen, einige Ackerfurchen zu ziehen, und daneben ein elendes Strohhüttchen aufzurichten, sonst war alles öde; nur das unvermeidliche Farnkraut gedieh daselbst in zahllosen Stengeln von halber Manneshöhe. Es bewies uns zur Genüge, was wir dann auch selbst in Erfahrung brachten, als wir auf den sumpfigen Pfaden, mittelst deren wir die Ebene durchschritten, fast stecken blieben, dass es hier weder an Humus noch an entsprechender Feuchtigkeit fehlt, sondern dass nur der Mensch die Schuld trägt, wenn diese weite Fläche, der schönsten eine im ganzen Lande, nicht eine Kornkammer für Tausende geworden ist. in der That wagte es früher unter dem türkischen Regiment bei der Unsicherheit, die noch dicht unter den Fenstern der Festung herrschte, niemand, diesem gesegneten Stück Land seinen Fleiss zu widmen. Nur sausende Geschosse zogen in manch wilder Schlacht ihre Furchen und edles Menschenblut düngte den Boden. Seitdem aber Montenegro das wertvolle Terrain erworben hat, konnte es um deswillen noch zu keinem regelrechten Anbau kommen, weil die Privatansprüche der früheren Besitzer auf dies Land noch nicht beglichen worden sind. Auf einem niedrigen Hügel dicht vor der Stadt, wo sich doch .wenigstens ein trocknes Plätzchen bot, machten wir Halt, um unser Frühstück zu verzehren. In einer Hinsicht erschien der Ort freilich schlecht gewählt, denn er diente den Muhammedanern als FYied-hof. Nach allen Seiten hin erhoben sich verwitterte Steine mit türkischen Inschriften. Diejenigen dieser einfachen Monumente, unter denen ein Angehöriger des stärkeren Geschlechts schlummerte, waren mit einem ziemlich geschickt ausgemeiselten Turban versehen, während jene, die auf Gräbern weiblicher Individuen sich erhoben, einfach mit einer dreieckigen Spitze endigten. Da hatte ich doch die Einwohner der Reichshauptstadt am Bosporus einst galanter gefunden, als die rauhen Bürger von Spusch. Denn auf den Friedhöfen jener waren die Denksteine entschlafener FVauen je mit einer Rose von der Grösse einer Faust geziert, die nebenbei dem Bildhauer alle Ehre machte. Wir hatten kaum unseren Proviant entfaltet, so sahen wir auch schon Tischgäste sich nahen, freilich nicht zweibeinige, denn unsere beiden Domestiken verschmähten es als gute Muhammedaner, von der unreinen Speise der Christen zu kosten und begnügten sich mit ein wenig quarkartigem Käse und hartem Maisbrod, der gewöhnlichen Kost der Leute hier zu Lande, die sie in einem Säckchen mit sich führten. Schweine waren es vielmehr, alte, struppige Eber und winzig kleine Ferkel, die plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, uns umringten und ohne jegliche Scheu an unserem Gepäck und selbst unseren Stiefeln zu nagen begannen, so dass wir unser Lager bald wieder abzubrechen genöthigt wurden. Als wir weiterzogen, tönte uns wie Hohn die Hirtenflöte nach, die von den Beherrschern jener unserer unsauberen Quälgeister gespielt wurde. Es war das einzige Mal auf meiner ganzen Reise, dass ich dieses Instrument hörte; vielleicht haben es ehedem türkische Soldaten, die nach Spusch in Garnison kamen, aus fernen Gegenden hierher importiert, ohne dass die Crnagorsen dann auch in anderen Landesteilen dem fremden Produkte Pangang gestatteten, obwohl dasselbe mit der von ihnen geliebten Gusla insofern eine Ähnlichkeit hat, als auch hier in höchst monotoner Weise immer nur die drei Töne: e, fis, g, und zwar aufwärts wie abwärts, zu Gehör gebracht werden. Der Weg nach Nikschitsch wendet sich bei Spusch von dem rechten Flussufer auf das linke, so dass wir genötigt waren, die Stadt zu passieren, da sich die Brücke innerhalb derselben befand. War durchschritten ein finsteres, ebenfalls stark befestigtes Thor und standen auf der Hauptstrasse. Aber Öde und Grausen auch hier. Nur die dicht am Weg errichtete fürstliche Gewehrreparaturwerkstätte stellt ein leidlich ansehnliches Gebäude dar, sonst stolpert map fortlaufend auf dem elendesten aller Pflaster zwischen verfallenen Hütten die abschüssige Strasse hinunter. Jenseits des Flusses, den wir mittetst einer etwas wackligen, hölzernen Brücke überschritten, steigen die furchtbaren Wände des Felszahnes auf, welcher die Burg trägt. Ar* sie angeschmiegt, zieht sich eine Reihe Flauschen hin, die den eigentlichen Hauptteil des Ortes bilden. Wir traten in eine schmutzige, hölzerne Bude, welche ein Cafe vorstellen sollte, um unser unterbrochenes Dejeuner fortzusetzen. Aber wir hatten uns noch kaum niedergelassen, so kam der schmucke Leiter der hoffnungsvollen Schuljugend von Spusch mit noch einigen Honoratioren des Ortes, um uns, wie es die Sitte vorschreibt, mit Mokka und Raki zu bewirten. Ich machte hier nebenbei noch eine andere, weniger angenehme, aber doch interessante Bekanntschaft. Denn es trat während unseres Aufenthaltes auch ein Mann von nicht gerade Vertrauen erweckendem Äusseren herzu, der einst unter dem Namen eines Grafen oder bisweilen selbst eines FYirsten an verschiedenen Höfen v°n Europa sich Eingang zu verschaffen gewusst hatte, bis ihn das rächende Schicksal entlarvte. Überall mit Hohn und Verachtung überhäuft, hat er endlich hier in der verödeten Türkenfestung ein bergendes Asyl gefunden. So jämmerlich sich uns Spusch in seinem Inneren zeigte, so grotesk präsentierte es sich, als wir es wieder verlassen hatten, ^ast steiler noch, als am Morgen von der Thalenge drunten be- Sc h war z , Montenegro. 17 trachtet, sah sich der isolierte Zinken an, auf dem das alte Bollwerk thronte. Von dieser Seite in Augenschein genommen, machte der ungefüge Kegel sogar den Eindruck, als ob er nach Osten überhinge. Aber auch im Vorblick bot sich uns genug des Interessanten. Die Ebene ist in dieser ihrer nördlichen Hälfte etwas höher gehoben, als unterhalb Spusch, und darum auch trockener. Dichtes Gebüsch von Ulmen, Eschen und Eichen, das oft bereits in förmlichen Wald übergeht, bedeckt den Boden. Dazwischen mächtige Felsblöcke und wunderlich gebildete Klippen, von denen manche unverkennbar die Form des Spuscher Festungsberges nachahmen. Späterhin muss diese Wildnis der Kultur weichen. Auf weiten Feldern mit fetter F>de gedeiht in niedrigen, aber laubreichen Stauden der Weinstock. Keine F>age, dass hier selbst der Ölbaum mit Leichtigkeit einzubürgern sein würde. Um aber dem Nützlichen auch das Romantische zuzugesellen, grüsst von der Höhe der mächtigen Gebirgswand des Östlichen Ufers ein weissglänzendes Gebäude, das Kloster Schelia, nieder. Man könnte über das plötzliche Auftreten einer so freundlichen Landschaft nach, der Öde, die unterhalb Spusch herrschte, erstaunt sein, wenn man nicht wüsste, dass in der Türkenzeit nördlich von der Festung die Grenze lief. Christliche, montenegrinische Hände also haben das Paradies hier geschaffen, während der südliche 'Peil der Ebene als muselmamsches Gebiet tot liegen blieb. Daher erklärt sich aber auch die befremdende Erscheinung zerstörter Häuser, die uns jetzt fast bei jedem Schritt in die Augen fallen. Der Feind, der den tapferen Crnagorsen selbst in ihren Bergen nicht auf den Leib rücken konnte, liess seine Wut wenigstens an ihren unschuldigen Pläusern in der Niederung aus. Allmählich verengt sich das Thal von neuem. Die gottgesegnete Ebene von Spusch, die eine Länge von 3—4 und eine Breite von 1—-2 Stunden aufzuweisen hat, erreicht ihren Abschluss; die hochgebaute F'este gleichen Namens, die bisher, je weiter wir auch vorrückten, uns noch niemals aus den Augen gekommen war, ja, so oft wir uns nach ihr umwandten, nur um so höher emporzuwachsen schien, versteckt sich endlich. Dafür wird links drüben eine helle I läusermasse sichtbar, das ist Danilovgrad, unser nächstes Ziel. Zwar führt der Weg nach Nikschitsch, ohne dasselbe zu berühren, auf dem linken Cetaufer weiter. Allein wir haben und zwar unter immer sengenderer Sonnenhitze und auf elenden Pfaden bereits eine Strecke von fünf Stunden ab Podgoriza zurückgelegt und verdienen wohl eine etwas längere Rast. Darum denn links ab, dem funkelnagelneuen Städtchen, das nach Danilo, dem um das Land wohl verdienten Vorgänger des jetzigen Beherrschers der „schwarzen Berge", benannt worden ist, entgegen! Der Platz für die junge Ansiedlung muss entschieden als nicht übel gewählt bezeichnet werden. Denn sie ist dort auferbaut, wo die Berge des rechten Ufers etwas zurückweichen und einer vielleicht 30 Meter über dem Flusse liegenden, breiten Terrasse Raum lassen. Erscheint eine solche Position auch nicht gerade schön und imposant, so verdient sie doch eine überaus praktische zu heissen, da sie, ohne den Launen des oft rasch anschwellenden Stromes ausgesetzt zu sein, gleichwohl Platz genug zur freiesten Entfaltung gestattet und mit einem ungehinderten Blick thalauf- und thalabwärts bereits einer frischeren Atmosphäre, als die Landschaften direkt am Flusse drunten, sich rühmen darf. Nachdem wir die hier gerade besonders breite Ceta, auf welcher — eine in Montenegro unerhörte Errungenschaft der Neuzeit — eine recht zierliche Schiffsmühle schwamm, mittelst der erst vor kurzem an Stelle einer im letzten Kriege zerstörten Vorgängerin errichteten, soliden Holzbrücke passiert hatten, stiegen wir die sanfte Lehne jenseits hinan und standen bald vor der Stadt. Zu meiner Verwunderung lenkte Rovinski nicht nach einem der besseren Häuschen, sondern in eine elende Lehmhütte, deren Inneres nur einen einzigen, engen, verrussten Raum enthielt. Es stellte diese Höhle aber in der That das Gasthaus des Ortes dar. Wer hätte ahnen können, dass wir hier eins der besten Quartiere auf der ganzen Reise finden würden? Kaum waren wir nämlich eingetreten, so wusste auch schon die stille, blasse Frau, die an dem Feuer mitten im Gemache kauerte, durch allerhand Kissen und Decken uns auf einer der harten Bänke, die das einzige Mobiliar des Hotels darstellten, einen deichen Sitz herzurichten. Darauf brachte sie uns einen trefflichen Frunk kühlen Weines und ging selbst in einer zu den besten Hoffnungen berechtigenden Weise daran, einen solennen Imbiss zu bereiten. Eine wohlgenährte Henne ward vom Hofe geholt und geschlachtet. Aus einer Schüssel langte sie sodann mehrere Stücke 17* einer eben erst gefangenen, riesigen Lachsforelle, die nicht weniger als 25 Pfund gewogen hatte, und während das Federvieh in den Kessel wanderte, um Sauce und Fleisch zu einer Art Fricasse zu liefern, schmorten die Fischstücke auf den Kohlen, dass der Duft durch das enge Gemach zog. Als endlich unter emsiger Beihilfe unserer zwei Sklaven alles fertig war und in sauberem Geschirr vor uns serviert wurde, mussten wir beide bekennen, dass wir lange nicht so gut gespeist hatten als in dieser Spelunke. Hätte ich freilich ahnen können, dass wir in derselben auch unser Nachtquartier würden aufschlagen müssen, so hätte mir die lukullische Mahlzeit jedenfalls nicht halb so gut gemundet. Ich lebte aber der festen Zuversicht, dass wir an dem nämlichen Tage noch Nikschitsch oder doch wenigstens Kloster Ostrog erreichen würden, da der Weg dahin nur 5> beziehentlich 4 Stunden betragen sollte und Mittag kaum vorüber war. Indes höhere Gewalten hatten es anders über uns beschlossen. Während wir nämlich noch eine kleine Siesta hielten, um dann neugestärkt wieder aufzubrechen, hatte sich, verursacht durch die furchtbare blitze, die an diesem Tage über dem engen Thale lag, ein schweres Gewitter zusammengezogen. Dunkle Wolkenmassen wälzten sich mit unaufhaltsamer Gewalt dem leuchtenden Himmelsgestirn entgegen. Der helle Mittag verkehrte sich in unheimliche Dämmerung, die durch die blinden Fensterscheiben unseres Gemachs noch derart verstärkt wurde, dass wir fast im Panstern sassen. Bald zuckten auch gleissende Blitzstrahlen ringsum am trüben Firmament und krachende Donnerschläge hallten durch die unnatürliche Stille, in welche plötzlich die ganze Natur wie aus Angst vor dräuendem Unheil versunken war; die Riesenmauern aber, die das Thal rechts und links einrahmen, warfen in vielfachem Echo den Schall zurück, dass es auf allen Seiten wie Rottenfeuer von Legionen und wie Schnellsalven, von zahllosen Batterien dröhnte und knatterte. Nicht lange dauerte es, so klatschten auch grosse Tropfen auf den sonnengedörrten Boden nieder und diesen Vorboten folgte unmittelbar ein solcher Regenguss, dass es vor unserer Thür wie ein Bach rauschte und bald sogar eine ansehnliche Pfütze auf dem Lehmparquet unseres Salons sich gebildet hatte. Indes mit derselben jähen Schnelligkeit, mit der das Unwetter gekommen war, flüchtete es sich auch wieder von dannen. Das Tageslicht kehrte zurück und aus den wogenden Wolkenmassen am Himmel schauten bald schon grosse Flecke blauen Himmels. Wir traten unter die Thür unserer Hütte; welch ein Anblick! Ob auch die Ceta zu unseren Füssen, von schmutzig gelber Flut geschwellt, noch wie grollend toste und schäumte, Wald und Flur erglänzten wie in frischen Farben und die alten Felsgebilde kamen wie grösser noch und ansehnlicher geworden aus flatternden Nebeln wieder zum Vorschein. Aber was ist das? Tragen sie nicht gar glänzende P'est-gewande? Unverkennbar liegen breite, weisse Streifen da drüben auf dem Gehänge des linken'Ufers. Kann das Schnee sein, hier, wo wir so tief im Süden und auf so geringer Seehöhe uns befinden? Wir sollten bald über die merkwürdige Erscheinung aufgeklärt werden. Es kamen Leute, welche betrübtet! Antlitzes meldeten, dass es dort auf dem Gebirge fürchterlich gehagelt habe. Ach, und wie viel Freude war damit vernichtet, wie viel redliche Anstrengung in einem Nu vereitelt worden! Denn die braven Thalbewohner dehnen ihre agrikultureilen Bestrebungen bis auf die höchsten Rücken aus, die an ihrem geliebten Flusse aufsteigen. Auf schmalen Terrassen, neben denen der nackte Fels senkrecht in die Tiefe abstürzt, wurde Humus aufgehäuft und die Rebe eingesenkt. Die eisigen Geschosse der eben durchlebten Schreckens-stunde aber zeigten den emsigen Menschen, dass wir nur zu säen und zu pflanzen, nicht aber auch das Gedeihen zu geben vermögen. Indes selbst für" mich hatte das Unwetter eine nachteilige Wirkung. Der freie Wandersmann war plötzlich zum Gefangenen geworden. In einem Lande wie Montenegro ist das Reisen oft £anz unvorhergesehenen Zwischenfällen unterworfen. Die vielfach brückenlosen Gewässer können nach einem unvermuteten Platzregen ohne Lebensgefahr nicht sobald wieder passiert werden und einfallende Nebel vermögen in den endlosen Steinwüsten sogar den Kundigen dergestalt zu täuschen, dass das rettende Asyl nicht erreicht wird. Ich freilich wollte mich in meiner Ungeduld noch nicht ohne weiteres solchen, von den verschiedensten Seiten vorgebrachten Vernunftgründen fügen. Allein der erfahrene Rovinski erklärte kürz und bündig, der Fürst habe ihn für mein Leben verantwort-i ■ i uch gemacht und darum werde er heute keinen Schritt weiter thun. Um indes doch nicht ganz brach zu liegen, ging ich daran, noch den Ort zu besehen. Das ist nun freilich bald abgemacht. Danilovgrad hat, wie alle modernen Städtegründungen, etwas Monotones. An breiten, geradlinigen, rechtwinklig sich kreuzenden Strassen erheben sich Häuschen, insgesamt zwar sauber und neu, aber ebenso auch ohne Ausnahme einander ähnlich, wie ein Ei dem andern. Selbst ein etwas regeres Leben, wie man es wohl von einer Stadt erwarten könnte, die vielleicht dereinst noch die Residenz des neuen Montenegro abgeben soll, ist nicht zu verspüren. Ich sah wohl in einem Laden, in den ich trat, eine recht leidliche Kollektion von den verschiedenartigsten Stoffen, einen Käufer für die Waren jedoch sah ich nicht. Als die Sonne unterging und die ersten Schatten der Dämmerung sich über das stille Thal breiteten, stand ich auf dem Friedhof des kleinen Ortes. Derselbe entbehrte zwar auch noch jeder Umzäunung, gleich den türkischen Begräbnisstätten, aber es herrächte hier, im Bereich des Christentums, doch schon eine ganz andere Ordnung und Weise als dort. Statt der unansehnlichen, verfallenen Steine, die wir bisher immer über den muhammedanischen Toten aufgepflanzt fanden, legte man hier mächtige Kalkplatten, schön behauen, geglättet und mit Inschriften versehen, über die Grüfte. Einen eigentümlichen Schmuck hatte die Natur zu der Zierat aus Menschenhand gefügt. Denn fast in all1 diesen steinernen Grabdecken fanden sich so zahlreiche Petrefacten*) eingewachsen, dass sie fast wie mit kleinen, weissen Röschen besetzt erschienen. Unter einem dieser gefälligen Monumente hatte ein Hauptmann seine Ruhestätte gefunden, der unweit von hier im mörderischen Kampfe gegen den Erbfeind gefallen war. Man hat ihn in dem paradiesischen Thale, das er mit seinem Herzblute dem geliebten Vaterland zu erwerben beitrug, zum ewigen Schiummer eingebettet. Bilder aus dem letzten mörderischen Kriege stiegen unwillkürlich vor unseren Augen auf, als wir uns zum Weitergehen anschickten. Wir wurden aber unseren Gedanken durch ein eigentümliches Geräusch entrückt, das aus einem unweit gelegenen Garten erscholl. Dort fochten ziemlich erwachsene Burschen mittelst hölzerner Schwerter. „Die Grossen sind hier zu Lande noch ') Exogyra columba. wie Kinder," sagte Rovinski, ich aber setzte hinzu: „Armes Volk, das durch eine jahrhundertelange, blutige Vergangenheit so an Kampf und Streit gewöhnt wurde, dass selbst das harmloseste Spiel den Charakter des Gefechtes annimmt!" Unsere Domestiken erwarteten uns in dem primitiven Absteigequartier längst schon sehnlichst, um uns ihre Dienste zu weihen. Ich hatte mich kaum niedergelassen, so knieten sie auch bereits vor mir, um höchst gewandt meine Fasse von den nassen Stiefeln und Strümpfen zu befreien. Vergeblich aber sah ich mich nach einem für uns bereiteten Rette um, bis die Wirtin, unsere Müdigkeit bemerkend, eine kleine Öllampe anzündete und uns ihr zu folgen ersuchte. Wir krochen durch eine niedrige, bis dahin tinbemerkt gebliebene Thür in eine Art Stall, in welchem Massen dürrer Reiser als Brennmaterial aufgetürmt waren. In einer Ecke hatte hier die Frau auf einen breiten Haufen des nämlichen Materials Kissen gelegt, Leinentücher über das Ganze gebreitet und so recht geschickt ein zweimännisches Bette für uns hergestellt. Leider beherbergte der improvisierte Schlafsalon bereits auch andere Gäste, nämlich zahlreiche Ratten, die in seltener Unverfrorenheit um uns herum ihr Wesen trieben. Als ich mir aber die Bemerkung erlaubte, dass diese frechen Tiere leicht durch direkte Angriffe unseren Schlaf zu stören geneigt sein möchten, entgegnete Rovinski in seinem fremdartig accentuierten Deutsch nur: „o, höchstens etwas Ohren," was mich in eine derartige Heiterkeit versetzte, dass ich noch immer lachte, als mein Schlafgenosse bereits mächtig .schnarchte. Während ich so mit offenen Augen dalag, wairde plötzlich die Thüre fast geräuschlos geöffnet; ich hörte deutlich, wie etwas in den stockfinsteren Raum hereinhuschte und dicht neben unserem Lager niederfiel. Die Sache war mir doch etwas unheimlich. Ich schlug Feuer und hielt Umschau. Aber was sah ich? In ihre groben Decken von Sackleinwand gewickelt und wie Schlangen Zusammengeringelt, lagen auf dem harten Boden vor unseren Betten unsere beiden Sklaven. Die treuen Seelen hielten es für ihre Pflicht, auch im Schlaf um uns zu sein. Die Strahlen der aufgehenden Sonne waren noch nicht bis in das tiefe Thal hineingedrungen, als wir am anderen Morgen aufbrachen. Eine kühle aber wunderbar frische Brise wehte uns nach der Backofenglut von gestern entgegen. Wir schritten wieder nach dem anderen Ufer hinüber, auf dem sich von da ab der Weg ununterbrochen bis Nikschitsch bewegen sollte. Leider nur stellte sich derselbe nunmehr viel schlechter dar, als zuvor, wo er stundenlang den ebenen Kessel von Spusch durchzog. Zumeist läuft er in grösserer oder geringerer Höhe an dem durchweg steinigen Hang des östlichen Rückens hin. Wenn er aber einmal in die Niederung hinabsteigt, dann wird er erst recht fast unpassierbar. Denn dort wölbt eine üppige Busch weit häufig ein dichtes Laubdach über ihn hinweg, das dem trocknenden Sonnenstrahl keinen Durchgang gewährt. Daher bildet der Boden nicht selten einen Teich von endloser Länge, in welchem die gequälten Rosse tief einsinken. Wasser und Schmutz spritzten uns hierbei oft genug bis in Augen und Ohren. Auf diese Weise brauchten wir Stunden, um ganz kleine Strecken zurückzulegen. Und doch hatten wir eine solche Verzögerung nicht zu bereuen. Denn wir durchmassen auf den teuflischen Pfaden ein wahres Paradies. Rechts und links die wohl an 2000 Fuss hohen Riesenmauern, welche das Thal fortlaufend einschlössen, kahle, nackte, aber imposante Gebirge. Im schroffsten Kontraste mit ihren grauen Mauern prangte die durchschnittlich zwei bis drei Kilometer breite Thalsohle in üppigster Fülle. Saftige Wiesen wechselten mit wogenden Korn- oder Gerstefeldern, aus deren Mitte in fast regelmässigen Abständen stattliche Stämme aufragten. Das hellgrüne Laub der Maulbeerbäume, die dunklen Blattmassen der Feigenbüsche und die silberweiss glänzenden Kronen der Weiden bildeten eine Mischung von wunderbarer Schönheit. Um die Mannigfaltigkeit dieser Flusslandschaft zu erhöhen, sprangen von dem Westrande drüben wiederholt felsige Seitenäste quer in das Thal vor, das auf diese Weise nicht selten in zwei und mehr Parallelen geteilt wurde. Auf den Vorsprüngen jener Mittelgebirge thronten vielfach kleine, saubere Dörfchen. Die Krone unter all diesen reizvollen Ansiedlungen gebührte aber unstreitig dem etwa vier Kilometer von Danilovgrad entfernten Orealuka, welches mit seiner netten Kirche und einem weissglänzenden Palais des Fürsten von einem Höhenzuge niederschaut, der im allgemeinen die Form eines liegenden Löwen nachahmt. Die östliche Thaleinfassimg, an deren Fuss unser Weg hinlief, streckte zwar derartige Arme nicht vor, indes auch sie gestattete sich kleine Extravaganzen. Namentlich passierten wir nicht selten wahre Steinmeere, die durch massenhaft von der Höhe des Grates niedergestürzte Felstrümmer gebildet worden sein mochten. Einmal war ein derartiges Chaos von riesigen Blöcken dicht mit Salbei-büschen bewachsen, aus deren grau-grünem Blattwerk zur Zeit gerade die langstengligen, blauen Blüten emporragten. Einen weiteren Reiz der Gegend bildete der Wasserreichtum, der uns hier allenthalben entgegen trat. Wir hatten derartiges bisher noch nicht gesehen im Lande. Rechts und links, höher und tiefer sprudelten Quellen, von denen manche gleich als stattliche Rinnsale mitten aus dem harten Gesteine brachen. Klar, wie Demant, waren sie in der Regel auch frisch genug, um erhitzte Wanderer zu laben. Bei l6° Lufttemperatur zeigten sie nur q° und noch weniger. Kein Wunder daher, dass die vielen uns jetzt begegnenden Leute gleich uns fleissig tranken, Es ist überhaupt bemerkenswert, dass die Montenegriner kaum an einem fliessenden Wrasser vorübergehen, ohne von seinem Nass zu schöpfen. Fanmal passierten wir auch auf guter Brücke einen stattlichen Nebenfluss der Ceta, der nur wenige Schritte vorher ebenfalls unvermittelt aus der Erde herausdringt. Vielleicht zwei Kilometer vmterhalt) der Stelle, wo derselbe sich in den Hauptstrom ergiesst, trägt auch dieser letztere selbst zur Verschönerung der Thalscenerie bei, indem er über eine mehrere Meter hohe Felsbarriere, zu weissen Schaummassen aufgelöst, hinabstürzt. Man nennt diese Stelle Slap. In solcher Weise wurde der mittlere Teil des Cetathales im Grunde zu einer Art riesigem Park umgewandelt, in welchem Felspartien, Wassereffekte und Vegetation dazu beitrugen, das Auge zu fesseln. Selbst die Tierwelt schien diesen Zauber zu empfinden. Denn während in der jungfräulichen Wildnis der Ebene von Spusch drunten lautlose Stille geherrscht hatte, erklang hier so anheimelnd der Lockruf der Wachteln aus dem fetten Getreide und in den Wipfeln der Bäume kreischte die listige Paster. Da mochten auch wir nicht länger immer nur weiter eilen. An einem mächtigen Felsblock machten wir Halt, um in Gottes schöner Natur zu gemessen, was die gute Frau in Danilovgrad uns eingepackt hatte. Der Platz war zu einem solchen Beginnen wie ge- schaffen. Denn aus dem Kranze von saftiger Brunnenkresse, der den Fuss des altersgrauen Steinriesen umgab, sprudelte eine ganze Menge klarer Quellen, die, nachdem sie uns und unseren Tross gelabt, noch Kraft genug behielten, um vor unseren Augen eine kleine, halbverfallene Mühle zu treiben, deren munteres Klappern weithin durch die erhabene Stille des Thaies tönte. Wir waren übrigens mit diesem Punkte auch an dem Ende der bisherigen Idylle angekommen. Die Scenerie wurde nunmehr rasch öder und wilder. Die Wände rechts und links wuchsen bis lOOO Meter oder selbst mehr an und rückten näher zusammen. Die breite Thalebene verschwand, der eingedämmte Fluss eilte mit Getöse zwischen felsigen Ufern dahin. Aber für die hinter uns zurückgebliebenen Reize bot die Landschaft jetzt ein Bild, das ebenfalls interessant genug war. Hoch oben an dem Hang zu unserer Rechten, der hier fast als eine einzige, senkrechte Wand niederstürzte, wurde eine nischenartige Vertiefung in dem grauroten Freisen bemerkbar, in welcher das staunende Auge ein längliches Gebäude mit einer kleinen Kapelle bemerkte. Ich brauchte meinen Mentor nicht erst zu fragen, ich wusste, dass dies üstrog sei, jenes alte, mit der Geschichte Montenegros aufs engste verwachsene Kloster. Dasselbe stellte zu allen Zeiten gleichsam die verkörperte Ploffnung des viel gehetzten Völkchens dar. Mochten die Heerscharen des Halbmondes von allen Seiten in ihre armen Berge einbrechen, so lange nur Ostrog noch stand, erfüllte auch Vertrauen die Brust der bedrängten Crnagorsen. Mitten zwischen die feindlichen Zwingburgen Nikschitsch und Spusch hineingesetzt, war Ostrog ihre Burg Zion, zu der die Augen in den Tagen der Not emporschauten, die sie als Unterpfand betrachteten für bessere Zeiten. Schläft doch auch da droben, hoch über dem Getümmel der Schlachten und allem Weh des Daseins einer der gefeiertsten Nothelfer der „schwarzen Berge", der heilige Basilius. Tag und Nacht wacht die ernste Gestalt eines Mönches in dunklem Gewände am Sarge des grossen Toten, damit demselben seine Ehre werde und er zum Dank dafür seines Volkes nicht vergesse. Von unserem Standpunkte aus kann man kaum begreifen, wie ein Mensch dahinauf gelangen kann. Adlersfittige scheinen nötig, um diese Höhle zu erreichen, über der wie unter der die nackte, glatte Felswand noch Plünderte von Metern sich fortsetzt. Gleichwohl führt ein ganz sicherer, wenn auch mühsamer Bergpfad bis an die Schwelle dieser originellen Einsiedelei, in welcher ein Erzbisehof in der Gesellschaft von nur drei bis vier Mönchen, abgeschieden von den Genüssen aber auch dem Elend der Welt, dem Himmel dient, dem er so viel näher ist als wir übrigen Sterblichen. Gern wäre ich zu einem kurzen Besuch hinangestiegen, aber Freund Rovinski meinte, dass wir durch einen derartigen Umweg zu viel Zeit und — Kraft verlieren würden, und damit mochte er recht haben. Gleichwohl bereue ich es noch heute, dass ich nicht auf meinem Vorsatz beharrte, zumal ich hinterdrein erfuhr, dass die wackeren Gottesmän'ner, denen von unserer Reise erzählt worden war, lange Zeit mit nicht geringer Freude auf unsere Ankunft aufgesehen hatten. Damals freilich, als ich von unserem Standpunkt im tiefen Thale so sehnsüchtig nach der erhabenen Einsiedelei emporschaute und mich kaum entschliessen konnte, ohne einen Abstecher dahin weiterzugehen, hatte ich noch keine Ahnung, dass wir am nämlichen Tage gleich hoch, ja noch höher würden emporsteigen müssen. Liegt doch Nikschitsch, dem wir zustrebten, ebenfalls an der Ceta, und so kann man leicht zu der Ansicht kommen, man brauche nur im ebenen Thale weiter zu wandern, um dorthin zu gelangen. Indes die Laune der hohen Flerren, die uns hier in Form von mächtigen Gebirgen umgeben, schuf in dieser Gegend Verhältnisse, die als hochinteressante Kuriosa auf dem Gebiete der Erdkunde gelten müssen. Haben jene nämlich bisher die Ceta in ziemlicher Entfernung von einander rechts und links begleitet, so reichen sie sich nunmehr mit einem Male die Hände und schliessen die breite Thalmulde durch einen felsigen Querriegel völlig ab. Die Welt ist hier buchstäblich, wenn auch nicht mit Brettern, wohl aber mit senkrechten Wänden vernagelt. Daher schwenkt unser Pfad, noch ehe er ganz bis an jenes „finis terrae" gelangt, rechts ab und klimmt an der steilen Lehne empor. Für die Anstrengungen aber, die uns diese Frontveränderung in sengender Mittagshitze verursacht, entschädigt uns der Anblick der stattlichsten Eichbäume, die uns jetzt, einen förmlichen Wald bildend, umgeben, nachdem die Kinder des warmen Südens, an denen wir drunten vorübergezogen sind, mit der Niederung uns gleichfalls verlassen haben. Nach etwa einem Stündchen bleibt auch jene, schon kühlere Verhältnisse gewöhnte Vegetation hinter uns zurück; wir treten auf eine Art grasigen Plateaus heraus, auf welchem bereits eine empfindlich kalte Gebirgsluft weht. Trotzdem kriecht hier noch ein ziemlich grosses Exemplar der Landschildkröte*) über den Weg, die sich wohl nur auf diese Höhe verlaufen haben mag, da ihresgleichen sonst lediglich in den tieferen Partien des Landes anzutreffen sind. Aber horch, welch ein eigentümliches Geräusch, das, die Stille des Hochgebirges unterbrechend, an unser Ohr schlägt, während wir noch das träge Schalentier betrachten! Dumpfer Donner mischt sich mit sausenden und zischenden Lauten. Rasch gehen wir der Richtung des Schalles nach, brechen durch ein Gebüsch und — ein gewaltiges Naturschauspiel bietet sich unseren Augen. Eine nackte, jäh abstürzende Felsmauer speit aus einem klaffenden finsteren Spalt einen Riesenstrahl zu weissem Schaum aufgelösten Wassers, das nun dicht vor unseren Füssen mit zahllosen Kaskadensprüngen, wie ein aus engem Gewahrsam entflohenes Wild, wohl an 200 Meter hoch in die Freiheit des von drunten lockenden, grünen Thaies hinunterrast. Das ist die Ceta, deren Bette wir zuvor so plötzlich enden sahen. Aber wir täuschen uns, wenn wir glauben wollen, dass wir sie nun zum letzten Male erblickt haben, dass wir an ihrer Ouelle stehen und dass wir daher von ihr Abschied nehmen müssen, die uns so viel Schönes gezeigt. Nein, sie wird in rascherer Folge, als bisher, noch mehrere grossartige Bilder an unserem Auge vorüberfuhren. Vor der Hand kennen wir erst zwei Drittel ihrer ere-samten Länge, den Unter- und Mittellauf; wo aber werden wir sie wieder finden, nachdem sie sich hier scheinbar ins Innere der Erde verloren? Gespannt klimmen wir weiter, die mächtige Gebirgskette zu unserer Rechten wird immer niedriger, so hoch haben uns unsere Rosse schon emporgetragen. Bereits sind wir auf gleichem Niveau mit dem seitwärts drüben liegenden Kloster Ostrog, dessen wenige Gebäude in ihrer Felsnische wir jetzt ganz genau zu erkennen ver- !) Die sogenannte griechische Schildkröte, testudo graeca L. mögen. Von hier ans führt sogar ein Weg ziemlich horizontal, wenngleich sehr beschwerlich, dahin. Doch nimmehr ist uns das Verlangen, der luftigen Eremitage einen Besuch zu machen, schon sehr vergangen. Wir sind froh, dass wir gleich dicht an unserem Weg ein Haus für eine kurze Einkehr finden. Es ist dies ein dürftiger Han, an dieser Stelle erbaut zu ähnlichen Zwecken, wie die Hospize auf den Alpenpässen, nämlich um dem Wanderer in der Öde der wilden Gebirge Schutz vor Unwetter und leibliche Erquickung zu gewähren. Wir hatten beides nötig. Nach dem etwa anderthalbstündigen, sauren Anstieg auf steilem und steinigem Hange brennt uns die trockene Kehle, während den erhitzten Körper der mark- und beindurchdringende Wind schauern macht, der in dieser Höhe herrscht. Wie wohl thut uns da der dampfende Kaffee, den die armen Wirtsleute uns samt krystallhellem aber eisigkaltem Wasser vorsetzen! Neu belebt traten wir den Weitermarsch an. Denn noch haben wir eine Stunde bis auf die oberste Höhe des Übergangs. Indes die steilste Partie liegt hinter uns. Auch bietet sich uns jetzt für alle Mühe ungeahnteste und reichste Entschädigung. Ein „Ah" freudigster Verwunderung entschlüpft unseren Lippen, als wir uns zufällig einmal umdrehen. Das ganze Cetathal liegt uns zu Füssen. Wie auf einer Reliefkarte überschauen wir die tiefe, saftiggrüne, von den grauen Felscoulissen eingeschlossene Mulde, ja das trunkene Auge vermag noch weiter zu schweifen; über die ausgedehnte Moratscha-Ebene und den duftig blauen Skutarisee gleitet es hinweg, um erst an den starren Wänden der noch immer mit einem Schneehäubchen versehenen Rumija ein letztes Ziel zu finden. Aber man hat auf diesen Höhen nicht bloss eine der schönsten Fernsichten, an denen Montenegro so merkwürdig reich ist, vor sich; nein, auch ein erhebender Einblick, und zwar hinein in die Treue und Unermüdlichkeit des so vielfach verkannten Volkes wird uns hier ermöglicht. Denn siehe, da drüben auf der westlichen Phalwand glänzen uns mitten aus dem monotonen Grau kahler Eelsmassen kleine, grüne Flecke wie Oasen in der Wüste entgegen. Wo ein Wässerchen sprudelte, hat dort der Mensch, oft dicht am Rande furchtbarer Abgründe, in einer Höhe von 7tx>-l(X)C) Meter Fruchtfelder angelegt, die an Originalität die berühmten hängenden Gärten der Semiramis wohl noch übertreffen dürften. Welch unermessliche Strecken fruchtbarsten Bodens in bequem zugänglicher Niederung liegen doch auf der weiten Erde, ja selbst auf der Balkanhalbinsel noch brach, und hier muss ein Volk in dieser Weise mit jedem Quadratfuss geizen und bis auf Punkte hin sich wagen, zu denen man nicht ohne Grausen aufblickt! Wenden wir aber unseren Blick von den westlichen Gehängen hinüber nach dem den Fluss östlich einschliessenden Höhenzuge, .so wird ein ganz entgegengesetztes Bild vor uns aufsteigen. Dort oben, wo die gigantischen Steinmassen mit scharfer Kante und jähen Wänden plötzlich ins Thal abstürzen, auf dem obersten Grat, senkrecht hoch über dem Kloster Ostrog, bewegte sich einst eine mächtige Heeressäule dahin. Suleiman Pascha, jener tollkühne türkische Anführer, der berühmte Verteidiger des Schipkapasses, war es, der diesen sonderbaren Weg sich aussuchte, um sein Wort einzulösen. Er hatte ja gelobt, durch ganz Montenegro zu ziehen, was freilich an sich nicht viel heissen will, wenn man, wie er, nur die Absicht hat, von Nikschitsch, mit welchem nördlich das türkische Gebiet weit ins Innere der Crnagora vorragte, bis Spusch zu gehen, wo von Süden ein Keil feindlichen Gebiets in das schon an sich so kleine Ländchen eingetrieben war. Da indes die tapferen Crnagorsen dem kühnen Pascha den verhältnismässig bequemen Thalweg verlegten, so musste er eben da oben auf der hohen Kante hinziehen. PLr vermochte auch, trotz wiederholter Versuche, in die Niederung herabzusteigen, jene mehr als bedenkliche Marschrichtung nicht zu ändern, bis er in den schützenden Bereich der Kanonen von Spusch gelangte. Als er aber endlich dort unter dem festen türkischen Bollwerk lagerte und die Häupter seiner Lieben zählte, da sah er, dass ihm diese forcierte Passage immense Opfer an Menschenleben gekostet. Freilich, er hatte sich schadlos gehalten, und zwar boshafter Weise an mühsam erworbenem Pfab und Gut, an harmlosen Hütten und friedlichen Häusern. Von seiner weithin schauenden Höhe herab hatte er fast jedes Gebäude im Thale beschiessen lassen. Daher die vielen Spuren von Verwüstung, die uns allenthalben auf unserem Wege entgegengetreten waren. Selbst das Heiligtum von Ostrog hatte der unbarmherzige Wüterich nicht verschont, doch war dasselbe infolge seiner Lage in der tiefen Felsnische nur in geringem Grade für die türkischen Feuerschlünde erreichbar gewesen. Doch die Sonne sinkt tiefer und tiefer am Horizont. Wir müssen uns trennen von dem unvergleichlichen Panorama hinter uns, das nun auch infolge vielfacher Windungen, die der Weg macht, rasch den Blicken entschwindet. Dafür sollte bald ein neues, ebenfalls köstliches Gemälde vor uns aufgerollt werden. Als wir nämlich endlich keuchend auf dem etwa 1200 Meter hohen .Pass von Planiniza angekommen sind, erschliesst sich mit einem Schlag die Ausschau nach Norden. Das Auge gleitet hier zwar nicht halb so tief hinab' wie dort, aber wie einnehmend, wie anheimelnd dafür die Landschaft, die wir überblicken! Rings umschlossen von einem Kranz zwar nur massig hoher, indes mannigfach gestalteter Berge, breitet sich eine meilenweite Ebene aus, der allerdings jeglicher Baumschmuck fehlt, die dafür aber den prächtigsten Wiesenteppich zeigt. Die Silberadern mehrerer Flüsschen durchziehen in vielfachen Krümmungen die ausgedehnte Fläche, Lerchen, dem übrigen Montenegro fremd, schmettern in den Lüften, und fern im Norden schaut ein ungefüger Riese, der 1968 Meter hohe Woinik, in die kleine Idylle herein. Von der kühnen Spitze bis zu den Lenden herab reicht ihm der königliche Schneemantel, aber auf seinem breiten lutssgestell lagert eine auffallend dunkle Decke. Das ist Schwarzwald, nordischer, deutscher Wald, der erste, den wir auf unserer Reise sehen. Ja, wie war der Blick da hinunter ein so ganz anderer, als die kurz vorher genossene Aussicht ins Cetathal! Dort der heisse Süden, hier der kühle Norden, dort die fremdartige Niederung, hier Hochebene von wohlbekannter, heimatlicher Art. Dazu erschien die Hochwarte, auf der wir jetzt standen, auch vom Standpunkte geographischer Wissenschaft äusserst interessant. Denn wir haben zwar einen förmlichen Pass, die tiefste Einsattelung des Querriegels, der das Thal drunten abschloss, aber gleichwohl keine Wasserscheide erreicht; die Ebene da vor uns ist immer noch Ceta-Gebiet, bedeutet den Oberlauf unseres l'lusses. Wie mag dies zugehen? Dies sollten wir bald erfahren, als wir, wiederum an einem ärmlichen Plan, der auf dieser Seite dem Wanderer einen Unterschlupf gewährt, vorbei, auf recht leidlichem Wege bis zur Ebene niedergestiegen waren. Dort erhob sich mitten auf dem Wiesenplan ein Chaos von gewaltigen Kalkblöcken, aus dessen Mitte eine Wolke von Wasserdunst in die Luft stieg. Zu gleicher Zeit ertönte von daher ein dumpfes Poltern, das sich bis unter unsere Fusse fortzupflanzen schien. Wir traten näher, kletterten auf eins der mächtigen Felsstücke hinauf und — wären vor Schreck fast vornüber gefallen. Denn ganz unvermittelt gähnte vor uns ein Abgrund grauenerregendster Art. Dem Schacht eines Bergwerkes gleich, senkte sich ein von schwarzen, wassertriefenden Wänden eingefasster Schlot in unergründliche Tiefe. In seinen nachtschwarzen Schlund stürzte sich mit ansehnlicher Wassermasse der Fluss, der sich kurz vorher hier oben erst aus der Vereinigung der verschiedenen, die Ebene durchziehenden Bäche gebildet hat. Es ist die junge Ceta, die hier so bald schon ein frühes Grab findet, doch nein, nicht ein Grab. Nachdem sie dort unten in den Eingeweiden der Erde sich weitergewühlt hat, bricht sie an jener Stelle, wo Avir vor wenig Stunden den schönen Wasserfall bewunderten, siegreich aus der Felswand, um dann im schönen Thale dem See und dem blauen Meere entgegenzuströmen, ein erhebendes Sinnbild für Sterben, um aufzuerstehen und ewig zu leben. Von meinen Begleitern hinten am Rocke gehalten, starrte ich mit weit vorgestrecktem Plalse lange Zeit hinunter in den fürchterlichen Strudel, der nicht so leicht seines Gleichen haben dürfte. Es gelang mir sogar, in dieser unsicheren Position eine Aufnahme des hochinteressanten Punktes zu machen. Aber je länger je mehr wehte es mich wie todbringende Grabesluft von drunten herauf an. Ich eilte davon. Nach wenig Schritten schon war rasch, wie es gekommen, das erschütternde Naturschauspiel auch wieder hinter uns verschwunden. Licht und Leben umgab uns von neuem. Wie marschierte es sich doch so weich und leicht über den ebenen Wiesengrund! Wir verschmähten es, unsere Rosse wieder zu besteigen. Die Fusswanderung war hier ein wahres Vergnügen. Unsere beiden Muhammedaner aber machten sich dies zu nutze. Rasch schwangen sie sich auf die ledigen Rosse und sprengten hin und her über den Rasen, bis wir an einen Arm der Ceta kamen, zu dessen Überschreitung wir selbst wieder in die Sättel zu steigen genötigt waren. Jenseits trat auch unser Ziel immer schärfer in den Gesichtskreis. Wie zur Einlädung, unter ihre gastlichen Dächer zu treten, glänzten uns die Fensterscheiben der niedlichen Häuschen der Stadt Nikschitsch im letzten Abendsonnenstrahl entgegen. Aber als wir nach etwa zweistündiger Wanderung vom Planiniza-Passe ab bereits flicht vor den Mauern der alten Türkenfeste standen, sahen wir uns doch noch zu einem kleinen Umweg veranlasst. Seitwärts rechts hatten wir schon seit geraumer Zeit ein langgestrecktes Gebäude bemerkt, das in seiner ganzen Erscheinung an eine der stattlichen Schäfereien auf manchen unserer Rittergüter erinnerte. Als wir die wenigen Schritte bis dahin fast zurückgelegt hatten, kam uns eilenden Laufs ein junger Mann entgegen, der mit seinem blonden Haupt- und Barthaar und den treuherzigen blauen Augen einen so entschieden deutschen Eindruck machte, dass ich ihn unwillkürlich auch in der trauten Muttersprache anredete. Aber ich hatte mich geirrt; Monsieur Chevalier, so hiess der Mann, ein Westschweizer, war nur des Französischen mächtig. Doch konnten wir in der That nicht freundlicher empfangen werden, als von ihm. Bereitwillig schritt er dann auch sofort voran, uns sein Reich zu zeigen. Wir traten in das mysteriöse Gebäude ein. Mitten durch die ganze Länge desselben lief eine Art erhöhter Gang, auf welchem dahinschreitend man rechts und links vor sauberen Raufen zahlreiche Vertreter der „schleppfüssigcn" Rinder, 80 Kälber und etwa eben so viele Kühe, erblickte. Ja, wir waren in einen regelrechten Stall geraten, und zwar stellte derselbe die von Fürst Nicolaus begründete und Herrn Chevalier als „Schweizer" unterstellte Versuchsstation vor. Freilich gehörten die meisten der vorhandenen gehörnten Wiederkäuer noch immer der bisher in Montenegro fast ausschliesslich gezüchteten, kleinen, dürftigen Rasse an. Indes man beabsichtigt, mehr und mehr die entwickelteren und besseren Ertrag gewährenden Arten der Schweiz und Deutschlands hieisher zu importieren. Und die weite, einer „Alm" in der That ähnliche Nikschitscher Hochebene mit ihrer kühlen Temperatur und ihrem saftigen Graswuchs dürfte solchen Acclimatisationsversuchen auch entschieden entgegenkommen. Wird man aber erst einmal so weit sein, dann kann eine Hebung der Viehzucht im ganzen Lande ebenfalls nicht ausbleiben. Und die Landwirtschaft bildet, wie für jeden Staat Schwarz, Montenegro. 18 der Erde, so auch für Montenegro die Vorbedingung wahren Gedeihens. Neben dem Stalle hat Seine Hoheit auch ein stattliches, zweistöckiges Wirtschaftsgebäude errichten lassen, das zur Zeit meiner Anwesenheit bereits so weit vollendet war, dass wir die geräumigen, kühlen Milchkammern, die nach den bewährtesten und neuesten Grundsätzen angelegten Käsedarren und anderes mehr in seinem Inneren besichtigen konnten. Ehre dem Fürsten, der, nachdem er mit dem Schwert in der starken Hand den äusseren Feind bezwungen, nun auch daran geht, sein Gebiet innerlich zu heben. Möge dasselbe in Wahrheit aus einer Felswüste, die es bisher darstellte, mehr und mehr ein Land werden, in welchem Milch und Honig fliesst! Das waren die Gedanken, mit welchen wir in Begleitung des biederen Schweizers von der fürstlichen P'erme aus dem nahen Nikschitsch zustrebten. X. Aus dem Thal der Ceta in das Tuschina- und- Tarathal. Nikschitsch. Über die Hochweiden von Krnowo in das Bukowizathal. Prachtblick auf den Dormitor. Das Chamounix Montenegros. Frauenemancipation. Das Tuschinathal. Nachtquartier am Fuss der Somina Planina. Übergang über die Sinjawina. Die Waldgründe des oberen Lipovthales. Es begann bereits zu dunkeln, als wir in Nikschitsch einrückten. Daher begaben wir uns denn auch ohne Aufenthalt in das von dem Herrn Minister telegraphisch für uns in einem Privathause bestellte Quartier. Zu unserer Freude war daselbst sogar schon ein kräftiges Abendessen bereitet. Bei dieser Gelegenheit wurde mir beiläufig auch ein bedeutsamer Beitrag für meine ethuo-' graphischen Beobachtungen geliefert. Als nämlich die äusserst dienstbeflissene Wirtin zu dem gebratenen Lamme, mit dem sie uns regalierte, Kartoffeln servierte, erlaubten wir uns die Frage? woher dieselben denn stammten, da sie doch offenbar hier oben kaum gewachsen sein konnten. Jene aber antwortete nach einigem Zögern unter lebhaftem Erröten: „Entschuldigen Sie, Frauen haben sie von Risano heraufgebracht." So gering geachtet ist also das Weib noch hier zu Lande, dass Viktualien, die auf seinem Rücken transportiert worden sind, fast als nicht recht koscher, als unrein gelten. Hatten wir indes gehofft,' nach beendetem Souper unsere müden Glieder ohne weiteres dem erquickenden Schlummer überliefern zu können, so war wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht worden. ' Plötzlich nämlich öffnete sich die Thüre und herein traten sechs bis acht kräftige Gestalten, die Honoratioren des Ortes, welche kamen, uns feierlichst zu begrüssen und in ihrer Stadt willkommen zu heissen. Zu gleicher Zeit teilten sie uns mit, dass an diesem Abend die konstituierende Versammlung des für Nikschitsch projektierten Lese- und Bildungsvereins stattfinden werde, zu der wir mit Bestimmtheit erwartet würden. Wir konnten diese liebenswürdige Einladung nicht abschlagen, ohne die guten Leute zu verletzen. Auch war ich gespannt, zu sehen, wie man sich bei der in Rede stehenden Angelegenheit benehmen werde. Deshalb überwand ich alle Schläfrigkeit und nachdem wir unsere Gäste mit einem Kruge Wein gelabt, brachen wir auf. Wir durchmassen einen weiten Platz, den der Mond mit hellstem Lichte übergoss, krochen dann in einem grossen Gebäude eine finstere Treppe hinan und befanden uns schliesslich in einem einfachen, aber geräumigen Saale. Derselbe diente sonst der lernbegierigen Jugend des Bergstädtchens als Aufenthaltsort. Aber heute hatten sich wettergebräunte, bärtige Männer, Handschar und Revolver im Gürtel, in die engen Schulbänke hineingezwängt, und auf dem Katheder thronte das Bureau, bestehend aus einem Vorsitzenden und dem Schriftführer. So war denn — was in einem SO entlegenen Erdenwinkel nicht wenig auffallen musste — Alles ganz modern parlamentarisch zugeschnitten. Selbst die Präsidentenklingel fehlte nicht, obwohl man sie gerade füglich hätte entbehren können. Denn trotzdem, dass die Geister im Laufe der Debatte nicht selten mit echt südländischer Leidenschaftlichkeit auf einander platzten, wurde doch von allen der Anstand peinlich gewahrt, deiner, der gerade das Wort hatte, von irgend einem der An- 18* wesenden unterbrochen, aber auch von keinem Redner irgend jemand verletzt. Und doch traten bei der an sich scheinbar so einfachen Sache im Laufe der Verhandlungen, die sofort nach unserem Eintritt begannen, heikle Schwierigkeiten in Menge zu Tage. Darüber, dass die Religion keinen Unterschied machen dürfe und Christen wie Muhammedaner Zutritt zu dem Bunde haben sollten, wurde man auch hier glücklicherweise bald einig. Aber nicht so betreffs des anderen Punktes, ob die junge Vereinigung Politik zu treiben oder sich derartigen Fragen gegenüber ebenfalls völlig neutral zu halten habe. Zwei Parteien waren es, in die sich hier die Anwesenden zerteilten. Doch gelang es der gemässigten Richtung, auch hinsichtlich dieses Streitfalles die Majorität zu erlangen! So viel ich bei meiner Unkenntnis der Sprache wahrnehmen konnte, übte der Lehrer des Ortes hierselbst den nämlichen bedeutenden Einfluss aus, den sich die Leiter der Jugend im ganzen Lande zu erringen verstanden haben. Doch zeigten sich fast alle, die das Wort ergriffen, als sehr gewandte Redner, und was den Protokollant betrifft, so schrie!) derselbe eine auffallend schöne Hand, wie er denn auch ein ganz geschicktes Resume der Verhandlungen zu Papier gebracht zu haben schien. Mitternacht war längst vorüber, als letztgedachtes Schriftstück endlich zur Verlesung kommen sollte. Aber der Präsident nahm, indem tiefste Stille eintrat, noch einmal das Wort und bemerkte, dass der Verein unter günstigen Auspicien ins Leben träte, da die Vertreter zweier grosser Nationen, der deutschen und der russischen, seine Paten hätten sein können, Die Versammlung habe daher zur Feier dieses seltenen Glücksumstandes beschlossen, uns, Rovinski und mich, zu Ehrenmitgliedern ihres Bundes zu ernennen, worüber uns künstlerisch ausgeführte Urkunden würden zugesendet werden. Eine solche Auszeichnung konnten wir nicht stillschweigend hinnehmen. Ich ergriff daher auch das Wort und nachdem ich unserem herzlichen Dank Ausdruck verliehen hatte, gab ich meine Freude darüber kund, dass ich hier so viel parlamentarische Schulung gefunden habe. Ich müsse daraus erkennen, dass Montenegro nach jeder Richtung hin auf dem besten Wege sei, in die Reihe der modernen europäischen Kulturstaaten einzutreten. Nur sähe ich mich veranlasst, an die Versammlung die Bitte zu richten, wie dies heute schon so deutlich zu Tage getreten sei, so auch späterhin, wenn die Beratung noch um ganz andere Dinge sich bewegen, wenn die Crnagora ihre Constitution erhalten haben würde, was ja doch nicht ausbleiben werde, immer und bei allen Meinungsverschiedenheiten das, was alle eine, nicht zu vergessen. Montenegro werde in diesem Falle nicht, wie die parlamentarischen Körperschaften mancher grossen modernen Staaten, das betrübende und widerliche Schauspiel geben, dass die Partei nur kämpfe um der Parteiehre willen, dass an Stelle ehrlicher Opposition, die der Sache gelte, kleinliche Gehässigkeit der Person gegenüber zur Geltung komme und das doch beabsichtigte Zusammenwirken der Besten des Vaterlandes zu einem leidenschaftlichen sich Entgegenarbeiten aller ausarte. Die Liebe zum Vaterlande müsse über dem eigenen Ruhme stehen, sein Wohl, nicht der eigene Glanz das oberste Ziel bleiben. Dann erhalte das ganze konstitutionelle Wesen erst die rechte Weihe und ein wohlthuender Hauch des Anstandes, der Ordnung und des Friedens bleibe wie ein Sonnenschimmer selbst noch den Stunden gewahrt, wo die Wogen der Meinungsdifferenzen so hoch wie nur möglich gingen. — Schon früh am nächsten Morgen rückten wir aus, die .Stadt zu besehen. Wie freundlich präsentierte sie sich doch in den ersten goldenen Sonnenstrahlen! Nikschitsch macht in der That gleich der grünen Hochwiese, von der es nach allen Seiten umgeben ist, keinen südlichen oder gar morgenländischen, vielmehr einen mehr nordischen, fast deutschen Fandruck. Der ganze Ort besteht im Grunde aus einer einzigen, sehr langgezogenen, breiten, lichten und luftigen Strasse. Dieselbe läuft an einer isoliert aus der Ebene aufsteigenden, niedrigen aber schroffen und vielzackigen Klippenkette hin, von der eine Anzahl malerischer Festungstürme vornehm auf die einfachen jedoch sauberen Häuser an ihrem Fusse niederschauen. Auf freundliche Einladung der unter der Thüre stehenden Besitzer traten wir auch in zwei Kaufläden ein, in welchen, ähnlich wie in abgelegenen deutschen Gebirgsstädtchen, allerlei Kram bunt durcheinander aufgestapelt war. Trotzdem herrschte grosse Ordnung und Sauberkeit. Als ich mit prüfendem Auge sie alle Revue Passieren Hess, die baumwollenen Stoffe und eisernen Nägel, die Tabakspäckchen und Porzellantassen, haftete mein Blick plötzlich an Aufschriften in der trauten Muttersprache. Ja, es ist keine Täuschung, da steht zu lesen: „deutsche Fettglanzwichse von Gebrüder Seydelmann", oder: „feinste Glycerinseife". Also doch einmal Landsleute im wildfremden Lande. Wie dies gleich das Herz erhebt, wenn sie auch uns nicht anreden können und so wenig bedeutender Art sind! In der Fremde zeigt sich das Herz für jeden, auch den einfachsten Gruss aus der geliebten Heimat dankbar. Übrigens musste man es doch wohl bedeutsam nennen, dass von allen europäischen Ländern gerade Deutschland Reinigungsmittel lieferte und von allen montenegrinischen Städten gerade Nikschitsch solche konsumierte, eine Fmre für das eine wie für das andere. Überhaupt war es nicht zu verkennen, dass in diesem so weit nördlich gelegenen Orte schon die grössere Nähe des central-europäischen Kulturherdes einwirkte. Ich fühlte mich wahrlich fast zu Hause, als rein gewaschene Kinder mit Schiefertafel und Stift in das Schulhaus strömten und bald darauf auch die bekannten Laute gemeinsamen Lesens und Buchstabierens von oben herabtönten. • Indes sah ich dicht neben diesem internationalen Institute auch etwas ganz Fremdartiges und Uneuropäisches. Es waren dies transportable Häuser, aus Brettern oder auch nur Geflecht hergestellt, welche zur Zeit noch um einen grossen Platz herumstanden, im Sommer aber aufgehoben und höher in die Berge getragen werden, gewiss eine originelle Idee, den zahllosen Personen, die bei uns jetzt alljährlich einmal aus den dumpfigen Städten in die Sommerfrische entweichen, zur Nachahmung zu empfehlen. Leider mussten wir nun auch selbst mit unseren wandernden Wohnungen, unseren Rossen, wieder weiterziehen, obwohl uns das gemütliche Nikschitsch nicht wenig zusagte. Zuvor aber galt es noch, mit den einflussreichsten Leuten des Ortes, die uns schon am frühen Morgen wieder aufgesucht hatten, Kriegsrat halten. Denn guter Rat war jetzt teuer. Unser Ziel war das obere Moratscha- und Tarathal. Verschiedene Wege, wenn man von solchen überhaupt reden konnte, führten dahin, aber alle erschienen schwierig, weil von nun an überhaupt der wildeste und gebirgigste Teil des ganzen Landes uns entgegentrat. Ich, der ich lediglich die noch dazu so unvollkommenen Karten berücksichtigte, wäre am liebsten direkt über die Hochflächen zwischen den beiden Haupt-flüssen Montenegros nach dem Moratschakloster hinübergegangen. Aber unsere Freunde schüttelten zu diesem Plane lächelnd den Kopf und sagten nur „unmöglich". Nach langem Hin- und Herreden kamen sie vielmehr zu dem Beschluss, dass wir jene Partie ganz umgehen und nordöstlich das Tuschinathal zu gewinnen suchen sollten, um dann von dort nach der nahen oberen Moratscha zu gelangen. Auf diese Weise allein würden wir itt entsprechenden Zwischenräumen Nachtquartier und vielleicht nicht allzu viel Schnee finden, auch uns weniger der Gefahr aussetzen, von wilden Tieren angefallen zu werden oder irre zu gehen. Die letztere Möglichkeit, die hier zu Lande unter Umständen mit umkommen gleichbedeutend erscheint, lag überhaupt in den öden und selbst den Eingeborenen noch wenig bekannten nordöstlichen Gebieten sehr nahe. Daher mussten wir denn jetzt auch unsere beiden treuen Muhammedaner entlassen, obwohl dieselben uns fast kniefällig baten, sie doch auf unserer ganzen Reise zu behalten. An ihre Stelle traten handfeste, landeskundige Männer, die sorgfältig ausgesucht worden waren. Wir brachen erst verhältnismässig spät auf, da wir an diesem Tage aus Rücksicht auf das erwählte Nachtquartier nicht mehr als acht Stunden zurückzulegen hatten. Auch war dieser erste Teil unserer Tour noch ziemlich leicht zu nennen, obwohl er mit vollstem Rechte als die schönste Exkursion im ganzen Lande bezeichnet werden muss. Wir durchzogen zuerst, wiederum von jubelnden Lerchen be-griisst, in (istlicher Richtung die Nikschitscher Ebene und stiegen hierauf mit halber Wendung nach links über breite Kalkplatten wie auf Treppenstufen an einem niedrigen Gebirgsausläufer empor. Mit dem Ende des Plateaus erschien auch die montenegrinische Bergflora wieder, Büsche von Esche, Buche und Eiche, zu denen sich noch blühender Weissdorn, die kürbisartige Zaunrübe*), die wir schon in der Crmniza gefunden hatten, und der sogenannte grüne Niess-wurz**) gesellte. Der letztere war hier vielfach schon abgeblüht *) Bryonia dioica Jacq. *) Helleborus viridis L. \md die scharf geschnäbelte Samenkapsel an die Stelle der hellgrünen Kelchblumen getreten. je höher wir emporstiegen, um so schöner wurde auch der Rückblick. Die weite, liebliche Ebene von Nikschitsch mit ihrem trauten Städtchen, links davon über dem natürlich nicht mehr sichtbaren Cetathale die wilden Kalkschrofen von Ostrog, rechts die langgestreckten Kamme, welche die seiner Zeit viel genannten Duga-Pässe bilden, im fernsten Westen aber, einsam aufsteigend und gleichsam einer ganz anderen Welt angehörend, der schnee-weisse Koloss des Orjen an der nördlichen Bocche di Cattaro, das alles vereinigte sich zu einem abwechslungsreichen Bilde. Als wir nach kurzer Weile schon die Höhe des Zuges erreicht hatten, veränderte sich das Panorama. Was hinter uns lag, war verschwunden; vor uns that sich eine starre Welt von nackten, grauen Gebirgszügen auf, die wie langgezogene Wogenkämme sich hinter einander reihten. Aus diesem unentwirrbaren Chaos aber stieg eine scharf umgrenzte, mit Schneestreifen geschmückte Pyramide riesengross zum wolkenlosen Himmel empor. Dies war die Pre-korniza, und das Gebirge, das sie krönte, das Scheidegebirge zwischen Ceta und Moratscha. Und dahinein, in dieses vielfach noch nie von eines Sterblichen Fuss berührte Labyrinth voll Öde und Grausen hatte ich gewollt! Jetzt erst begriff ich die energische Opposition unserer Nikschitscher Berater und die Gründe, aus denen sie uns einen grossen, scheinbar unnötigen Umweg diktierten. Von neuem Vertrauen auf unsere Führung erfüllt, stiegen wir in das kleine Thälchen nieder, das quer über unseren Weg zog, um weiter unten in die Ebene von Nikschitsch auszumünden. Ein freundliches Dörfehen, Lukowo genannt, war in diese sanfte Mulde eingebettet, die nur insofern etwas Auffallendes hatte, als man irgend ein fliessendes Gewässer nicht zu entdecken vermochte. Jenseits dieser Senke lief unser Pfad, wie man schon von unten gewahrte, schnurgerade auf einem überaus steilen, kirchdach-artigen, mit Steinschotter übersäten Abhang empor, der augenscheinlich durch Verwitterung eines höheren Kammes entstanden war. Dahinauf sollten wir, den Strahlen der bereits hoch am Himmel stehenden Sonne unbarmherzig preisgegeben — uns grauste. Wir wollten wenigstens dem Durste gehörig vorbeugen. Aber ach, wie auf dem ganzen folgenden Wege bis Schawnike, so war auch hier schon das Wasser rar. Da erspähten wir unweit des Weges eine elende Hütte. Wir traten ein und setzten dem struppigen Hirten unser Anliegen auseinander. Sofort stellte der Mann Schemel für uns zurecht und brachte eine grosse Mulde schmutziggrauer Schafsmilch, auf welcher, um das Ganze noch weniger einladend zu machen, dicke Häute von Sahne schwammen. Indes wir durften uns, schon um den freundlichen Gastgeber nicht zu verletzen, kaum viel besinnen. Wir ergriffen die langen Holzlöffel und schöpften mit Todesverachtung darauf zu, und siehe, die unappetitliche Flüssigkeit erwies sich als höchst erfrischend. Der gute Mann zwang uns dabei die schwimmenden Lappen als „das Beste" förmlich auf, ohne zu ahnen, dass wir an diesen am meisten Anstoss nahmen. Eine halbe .Stunde später standen wir, wenngleich keuchend und schweisstriefehd, auf der Höhe des fatalen Abhangs und damit war auch das schlimmste Stück Arbeit für den ganzen Tag erledigt. Denn von da ab stellte sich die Wanderung bis nahe an unser Ziel als ein ziemlich leichter und stets unterhaltender Spaziergang dar. Zuerst nahm uns droben ein Wald von hoch- und dickstämmigen Buchen auf, nach welchem die ganze Erhebung „Bukowik", das ist eben „Buchenwald", heisst. Nachdem wir eine Zeit lang wie in den „heiligen Hallen" von Tharandt und fast eben dahin gewandelt waren, zog sich der Pfad in ein enges Thälchen hinunter, in welchem die sogenannten „vier Brunnen" quellen, deren Wasser mdes sich nur von leidlicher Beschaffenheit erwies. Hier weideten unter den mächtigen Wipfeln der Bäume mit ihren eben erst entfalteten, hellgrünen Blättern zahlreiche weisse Lämmchen. Daneben bewiesen leider auch nicht wenige umgehauene, halb verkohlte Stämme, dass dies der Lieblingsplatz der Hirten sei. Beim Anstieg an der jenseitigen Lehne mischten sich Prachtexemplare von Eichen unter die Rotbuchen, doch hatten sie es noch kaum bis zu Knospen gebracht, ein Beweis, dass wir uns bereits in ansehnlicher Höhe befanden. Auf einem freien Plätzchen stand hier auch eine Hütte, vor welcher mehrere Weiber sassen, die indes sofort ehrerbietig aufsprangen und sich in Positur stellten, aIs wir uns nahten. Nur zu bald hatte der Wald ein Ende und das unvermeid- liehe Gerolle übernahm von neuem die Herrschaft. Indes erfreute hier vielfach recht schöner roter Kalk das Auge, den man wohl eines Tages noch zu Bau- oder Kunstzwecken verwenden dürfte. Auch blickten wir zur Linken wieder einmal in einen jener für Karstterrain, als welches das westliche Montenegro zu bezeichnen ist, so charakteristischen Trichter hinein, auf deren Boden eine kleine Humusschicht mitten in der nackten, grauen Steinwüste einem grünen Fruchtfelde zur Unterlage zu dienen pflegt. Ein etwa halbstündiger Anstieg von da ab brachte uns aui einen Punkt, der den im Lande ziemlich häufigen Namen Krstatsch, das ist: „höchste Höhe", führte. Hier war es, wo für uns eine Bühnenverwandlung so totaler Art eintrat, dass wir uns fast aus dem steinigen Montenegro in einen ganz anderen 'Peil Europas versetzt wähnten. ■ ' Vor uns dehnte sich eine weite Fläche aus, die lediglich an den Seiten hier und da von höheren, mit spärlichem Buchenwald bedeckten oder auch mit glitzernden Schneefeldern überkleideten Anschwellungen eingeschlossen wurde, sonst aber nur leicht gewellt war. Uber all' diese Unebenheiten des Bodens, über Hügel und Fansenkungen breitete sich wie ein riesiger Teppich der weichste, sammetartige Rasen, der nur selten das nackte Erdreich in Form eines schwarzen, weichen Moorgrundes zum Vorschein kommen Hess. Vielmehr war er auf ausgedehnte Flächen hin mit der köstlichsten Alpenflora, gelben Stiefmütterchen, blauen Gentianen und vor allem zierlichen Krokussen in verschiedenen Farben, vermischt mit den dicken Blätterkolben der weissen Nieswurz*), durchwebt. Dazu die reinste Luft und — die tiefe, heilige Sabbathstille des Hochgebirges. Denn hier oben zirpte kein Vogel mehr; auch das kleinste Bächlein war versiegt und „der Mensch mit seiner Qual" tief drunten zurückgeblieben. Jungfräulich, unentweiht lag die stumme Landschaft vor uns. Und damit es ihr neben allen Reizen der Lieblichkeit auch au einem ernsten, erhabenen Hintergrund und majestätischem Abschluss nicht fehle, stieg dort, uns zur Linken, die massige Gestalt des Woinik auf, jetzt, aus so relativ grosser Nähe betrachtet, noch *) Veratrum album L ungleich imposanter sich präsentierend als gestern, wo wir ihn vom Planiniza-Passe zum ersten Male bewunderten. In seinen Wäldern und tiefen Schluchten haust noch der plumpe Bär und der ge-frässige Wolf. Aber sie können nur den friedlichen Wanderer zurückschrecken. Der kühne Waidmann lässt sich vielmehr von ihnen anlocken — und dämm bilden die Flanken des schneehäup-tigen Woinik beliebte Jagdgründe für den Hof von Cetinje und Fürst Nicolaus pflegt fast regelmässig die heisse Sommerszeit auf jenen luftigen Höhen zuzubringen. Was aber dort, rechts von dem eben genannten Koloss, am äussersten Horizont in duftiger Ferne aufragt, was ist das? Eitt Gebilde der Phantasie, wunderlich aufgetürmte Wolken oder Wirklichkeit? Wie ein scharfer Eberzahn gestaltet, ragt eine weiss-glänzende Masse, alle anderen Höhen ringsum'tief unter sich lassend, zum wolkenlosen Firmament empor. Unser Führer kommt unserer Unkenntnis zu Hilfe. „Dormitor" schallt es von seinen Lippen, und „Dormitor" hallt's in unseren Herzen wieder. Also sehe ich dich endlich von Angesicht zu Angesicht, du stolzer Herrscher des gesamten Nordwestens der Balkanhalbinsel, dessen Namen ich SO oft mit Ehrfurcht genannt, und bis zu dem in seinem unnahbaren Heiligtum ich vorzudringen kaum jemals hoffen durfte? Habe Dank, dass du mir nicht gleich heute, wo ich dich zum ersten Male erblicke, dein hehres Angesicht durch Nebelmassen verbirgst, und bewahre mir dies Wohlwollen auch ferner! Denn Rovinski und meine Karten sagen es mir, wir werden noch bis an die Stufen deines Thrones vordringen. In gehobenster Stimmung verliessen wir unsere Hochwarte und waren bald mitten in dem Meere von Hügeln. Singend und scherzend wanderten wir von da an auf und ab über den weichen Rasen, auf welchem nur das kundige Auge unserer verlässlichen 1' ührer noch die rechte Richtung einzuhalten verstand. F^s war mir wicht anders, als ob ich wieder, wie so oft als junger Student, auf einer Schweizerreise begriffen sei und auf grüner Alm lustwandele. Daher kam es denn auch, dass wir allmählich eine recht ansehnliche Höhe gewannen ohne es zu merken. Nur der Durst wollte nach einiger Zeit gestillt sein, und siehe, auch dazu war Gelegenheit vorhanden in dieser doch so menschenleeren Region. Wir erreichten nämlich bald nach Mittag ein kleines Plateau, auf welchem mitten in der baumlosen Hochebene, einer Oase gleich, ein Buchenhain sich ausbreitete. Unter den mächtigen Wipfeln endlich auch einmal eine menschliche Wohnung, freilich nur dürftigster Art, und in dem höhlenartigen, verrussten Innern des kleinen Hauses ein solch beizender Rauch, dass wir sofort wieder ins Freie zurückeilten. Die Wirtsleute aber — wir waren nämlich beim Han Gowozd angelangt — versprachen uns einen Kaffee zu kochen. Freilich ansehen durfte man sie nicht, sollte nicht aller Appetit schwinden; denn beide, der Mann wie die Frau, zeigten sich entsetzlich schmutzig. Doch verdiente die Erscheinung der letzteren wenigstens in ethnographischer Hinsicht das höchste Interesse. Es war klar, wir hatten eine bedeutende Grenzscheide erreicht. Die schmucklose, schwarze Tracht der montenegrinischen Weiber war dem bunten, gefälligen Kostüm der Flerzegowineriunen gewichen. Unsere Gastgeberin trug weisse, bauschige Hosen; das Hatipt bedeckte ein rotes, fezartiges Käppchen, von welchem ein langer Schleier über den Rücken hinabfiel. Wir hatten uns unter den ehrwürdigen Buchen gelagert. Gerade gegenüber, kaum zehn Minuten entfernt, erhob sich ein schön geformter Hügel, von dessen Flanken bereits ansehnliche Schneestreifen niederhingen; seitwärts aber schweifte das Auge über die schier unabsehbare, grüne Hochwiese. Jetzt kam der Wirt mit dem Kaffeeservice und der Wasserkaraffe, das heisst genauer, mit einer alten, verbogenen Blechkanne, welche ein trübes Gebräu von zweifelhaftem Gerüche enthielt, und einer Art Hundenapf, in welchem schmutziger, half) geschmolzener Schnee schwamm. Gut nur, dass wir selbst noch etwas Vorräte mit uns führten, sonst wäre das Diner ziemlich schlecht ausgefallen. Denn der Kaffee hatte etwas tabakssaftartiges und dem Schneewasser war durch den Schmelz-prozess über dem Kesselfeuer ein rauchiger Beigeschmack geworden, der es gleichfalls ungeniessbar machte. Die kühle Luft, die uns, erhitzt, wie wir vom langen Marsche waren, nun, wo wir sassen, auf einmal fühlbar wurde, Hess uns ausserdem selbst die Ruhe nicht gemessen. Es fing uns bald an stark zu frösteln. Zeigte doch auch das Thermometer nur nt >ch l6° C. Wir brachen daher wieder auf, herzlich erfreut darüber, dass uns nunmehr ein steilerer Anstieg bevorstehen musste. Das eben verlassene Hospiz deutete ja doch wieder die Nähe eines Passes an. Indes blieb der Weg auch jetzt noch ganz trefflich, nur die Schneefelder, die wir von da ab häufiger, als zuvor, zu überschreiten hatten, wurden uns mitunter durch ihre weiche, wasserreiche Beschaffenheit unbequem. Übrigens sagten uns die Führer, dass auf der meilenweiten Hochebene, die beiläufig den Namen Krnowo führt, die Überreste des Winters niemals ganz verschwinden, ja der Himmel oft im Hochsommer für Nachschub sorgt. Wir waren um so mehr geneigt, diesen ihren. Berichten Glauben zu schenken, als mit jedem Schritte fast, den wir auf den grasigen Halden aufwärts thaten, der kühle Luftzug von drunten zunahm, bis er uns zuletzt als förmlicher Sturm umtoste, der uns durch Mark und Bein ging, trotzdem die Sonne hell und klar niederschien. Indes alf unsere kleinen Leiden waren mit einem Schlage vergessen, als wir auf einer Art breiten Sattels anlangten und nach der zuletzt doch etwas monoton anmutenden Ebene ganz unvorbereitet ein Hochgebirgsbild von vollendetster Schönheit und wahrhaft berauschender Pracht gemessen durften. Vor uns zog sich, rechts und links von hohen, steilen, buschigen Hängen eingefasst, eine breite Mulde jäh gegen ein Thal von solcher Tiefe nieder, dass wir nicht bis auf seinen Grund zu sehen vermochten. Jenseits aber bauten sich mit glatten Wänden mächtige Bergwälle auf. Diese letzteren bildeten das Fussgestell für eine gigantische, bis hoch in den Äther hinaufragende Masse, welche, einer Götterburg vergleichbar, mit Zinnen und Türmen sich besetzt zeigte. Eine tadellos Weisse Schneedecke überkleidete diese fast architektonisch regelmässigen Formen, deren Konturen sich haarscharf von dem tiefblauen Südhimmel abhoben, während über die uns zugekehrte Breitseite die Nachmittagssonne einen magischen Glanz ausgoss. Fast hätte man glauben können, eine Fata morgana vor sich zu haben. Ich habe wenigstens nur einmal noch in meinem Leben etwas Ähnliches gesehen. Es war damals, als ich von dem monotonen Bernina-Pass niederstieg, und, um einen Vorsprung biegend, plötzlich in den engen Spalt des Morteratschthales hineinschaute, aus dessen Hintergrund die Berninagruppe in die Luft stieg. Lange stand ich auf der herrlichen Anhöhe, dem fast 1600 Meter hohen Passe von Glava Kmowa. Ich brauchte nicht erst meine Begleiter zu fragen, ich wusste, dass ich wieder den Dormitor vor mir hatte. Auf keinem anderen Standorte dürfte derselbe einen so ergreifenden Anblick gewähren als hier. Glava Krnowa ist der Glanzpunkt von allem, was eine Montenegro-Reise bieten kann. Ich zählte mit Rovinski die Zahl der einzelnen, bedeutenderen Gipfel der mächtigen Gruppe. Sie betrug nicht weniger als zehn. Der höchste derselben steht gerade im Centrum. Er bildet einen nach Art des Matterhorns auf allen Seiten in schrecklicher Steilheit abfallenden Turm und gilt als unersteiglich. Der eisige Wind, den uns der gestrenge Herrscher da drüben zusandte und der die Quecksilbersäule rasch bis auf 90 C. hatte fallen lassen, vertrieb uns endlich von unserem Joche. Aber leider war mit dem Ende der prächtigen Alpenwiese hinter uns auch das Ende des guten Weges gekommen. Das Terrain fiel steil ab und zeigte sich mit tiefem, zähen Schmutz oder aber mit feuchten, glatten Platten bedeckt. Längere Zeit hindurch schwebten wir trotz aller Vorsicht in steter Gefahr, auszugleiten und Hals und Beine zu brechen. Endlich wurde der Böschungswinkel geringer, auch die erstarrende Kälte nahm ab, und wir gelangten in einen schützenden Buchenwald, der leider nur wieder vielfach verwüstet erschien. Die Urheber dieser beklagenswerten Thatsachen waren auch hier nicht schwer zu erraten. Denn unweit unseres Pfades erhob sich eine Sennhütte, die indes mit ihren gleichen Zwecken dienenden Colleginnen im Bereiche der Alpen wenig Ähnlichkeit zeigte. Sie war nämlich aus Stroh in Form eines regelrechten, spitzen Kegels erbaut. Dicke Stangen, die man in kurzen. Distancen ringsum schräg an die Aussenseite gelehnt hatte, sollten den luftigen Bau vor etwaigen Umsturzideen der launischen Winde bewahren. Wie gut, dass der dunkle Föhrenwald des Woinik, welch letzterer uns hier die steil abfallende Ostseite zukehrt, so hoch oben seine Stätte sich erwählt hat, sonst dürfte auch er nicht verschont bleiben! — Späterhin führte uns unser Weg auf eine fast ebene Fläche, welche zu unserer Rechten in ein enges, einsames Hochthal abbrach, das sich von dem gleichen Rücken, den wir eben verlassen hatten, niederzog und auch demselben Ziele, dem wir zustrebten, entgegenlief. Das Wasser, das da drunten floss, hiess Bjela, ein nebenbei in slavischen Landen häufig anzutreffender Flussname* Ks gehörte bereits dem Stromgebiet der Donau an; und so entdeckten wir nachträglich noch eine neue, bedeutsame Eigenschaft des Passes, den wir überschritten hatten. Er bildet eine Wasserscheide zwischen dem Schwarzen und dem Adriatischen Meer.e. Leider nur Hess sich die Thalspalte dort in der Tiefe nicht als bequemer Weg nach unserer Nachtstation benützen. Wir mussten uns auf dem hohen Rande des linken Ufers halten, ja endlich sogar noch einmal an einem ansehnlichen Gebirgswall, der sich quer über unseren Weg zog, emporklimmen. Fiel uns diese ganz unvermutete Aufgabe nach des Tages Last und Hitze nicht gerade leicht, so entschädigte uns doch einigermassen ein schöner und seltener Anblick, der sich uns jetzt bot. Unser Abhang war dicht mit Wald bestanden, der sich aus Buchen mit jungfräulich zartem Laub und blühenden Kirschbäumen zusammensetzte. Völlig verschwunden aber war unser Verdruss über die anstrengende Kletterei, als wir endlich die Höhe erreicht hatten. Wir sahen uns ja zu unserer grössten Überraschung auf dem Scheitel der linken Ufermauer des Thaies, dem wir zueilten. Stundenweit vermochten wir dasselbe auf und ab mit einem Blicke zu überschauen. Und welch eine Pracht trat uns dabei entgegen! Noch nie hatte ich eine wechselreichere Landschaft gesehen. Da stiegen ungeheure Wände empor, auf deren Zinnen dunkles Nadelholz thronte, während dicht daneben sanfte Lehnen, ganz mit einem wahren Meer saftiggrünen Buchenlaubes bedeckt, gegen das Wasser hin sich abdachten. Jetzt musste der Fluss einer weit vortretenden Felsnadel ausweichen, um dann wieder einer tiefen Einbuchtung des Ufers zu folgen. In diese Thalidylle voll unwiderstehlichen Zaubers aber schauten von jenseits die Riesen des Dormitors herein. Und welch ein wunderbarer Friede lag über dem Ganzen! Ich war völlig hingenommen. So hatte ich einst als Jüngling auch das wunderbare Thal von Chamounix mit der erhabenen Gestalt des Montblanc von der Höhe des Col de Bahne aus im verklärenden Schimmer der untergehenden Sonne gesehen. Aber wenn ich die Wahrheit sagen soll, dem Thal von Schawnike, in Welchem zu der Majestät der starren Eiswelt noch ein Hauch südlicher Milde sich gesellt, möchte ich fast die Palme reichen. Nebenbei fehlte es auf unserem kostbaren Standpunkte auch nicht an interessanten Details. Wir brauchten nur eine halbe Wendung nach rechts auszuführen, so glitt unser Auge an senkrechten Wänden in das Bjela-Thal nieder, in welchem, direkt zti unseren Füssen, aber in grausiger Tiefe, auf grünem Wiesenplan ein , einsames Holzkirchlein mit zwei schlichten Gebäuden, das Kloster Maline, lag. Während im weiten Thal von Schawnike noch hellster Sonnenschein herrschte, breiteten sich da drunten in der engen Schlucht bereits die ersten Schatten der Nacht über die bescheidene Einsiedelei aus. Die letztere war übrigens buchstäblich von der Welt abgeschnitten. Denn dicht hinter ihr zog sich das Thal zu einer vollständigen Klamm zusammen, deren ungeheure Naturmauern nach oben sogar noch überhingen, so dass wir von unserem Standpunkte aus gar nicht in den finsteren Schlund hinunterzublicken vermochten, aus dessen Tiefe nur ein dumpfer Donner unser Ohr traf. Wir gingen endlich wohlgemut daran, von der mühsam erreichten Höhe in das Thal von Schawnike niederzusteigen. Doch wurde unsere Fröhlichkeit etwas gedämpft, als unsere Begleiter uns versicherten, dass wir noch fast zwei Stunden bis zu den Häusern von Schawnike würden zu wandern haben, obgleich wir dieselben, wenngleich winzig klein, bereits erblickten. Unser Standpunkt mochte wohl noch immer mehrere Hundert Meter hoch sein. Indes ging die Thalfahrt leichter von statten, als wir geglaubt hatten. Nach kurzer Zeit schon standen wir an der Bjela, die wir mittelst einer alten, soliden Steinbrücke überschritten. Bei dieser Gelegenheit vermochten wir auch einen Einblick in die schon von oben bemerkte Klamm zu thun, und mussten uns gestehen, dass dieselbe mit den wildromantischsten aller derartigen Partien in den Alpen concurrieren würde können. Zwischen den wohl hundert Meter hohen Mauern, die einen ganz engen, gewundenen Schlund bildeten, toste der auf ein Drittel seiner vorherigen Breite zusammengepresste Fluss, dass zu Schaum aufgelöste Wassermassen weit an dem kahlen, schwarzen Preisen emporstiegen. Leider ging es jenseits der Bjela noch einmal steil aufwärts, da die Beschaffenheit der Ufer eine Thalwanderung bis Schawnike nicht gestattete. Ich gestehe, dass meine Kraft fast erschöpft war. Einem Trunkenen gleich stolperte ich über das grobe Geröll empor, das zur Abwechselung wieder einmal unseren Weg bildete. Der Abstieg jenseits drohte uns gar Hals und Beine zu brechen, da es zu allem Malheur nachgerade auch ganz dunkel geworden war. Endlich rauschte ein breites Gewässer dicht vor unseren Füssen. P;s war die Bukowiza, unser Ziel konnte nicht mehr ferne sein. Und diesmal täuschten wir uns nicht. Nachdem wir den Fluss auf einer wiederum aus Stein hergestellten Brücke passiert hatten, befanden wrir uns bald inmitten einer kleinen Gruppe von zum Teil recht ansehnlichen Häusern, aus welchen hier und da ein Lichtschimmer einladend in die Finsternis herausfiel. Aber leider nur rief er uns nicht. Bis hierher in den entlegenen Norden des Landes reichte das montenegrinische Telegraphennetz noch nicht. Der Herr Minister hatte uns demzufolge auch kein Quartier im voraus bestellen können. Es galt ein solches erst zu suchen, was bei der schon vorgerückten Abendstunde keine besonders leichte Aufgabe genanttt werden musste. Rovinski bedeutete mich, einstweilen zu warten, dieweil er auf Rekognoszierung ausgehe. Als sich seine Gestalt mit wenig Schritten in der dichten Finsternis verloren hatte, stand ich ganz allein unter freiem Himmel, da die Leute mit den Pferden noch zurück waren. Tiefe Stille herrschte um mich. Nur das Rauschen und Gurgeln der Gewässer tönte unheimlich durch die Nacht. Kein Sternlein, das mir einen Gruss aus der fernen Heimat hätte bringen können, leuchtete von dem mit finsteren Wolken behangenen l'irmamente nieder. Hier und da kamen lediglich einmal die schwachen Umrisse einer himmelragenden Bergmasse, einem Ge-spenste gleich, verschwommen zum Vorschein. Fast wollte mir hange werden. Aberhorch, da schallt schon meines treuen Mentors nme durch die Nacht: „Gefunden, gefunden, Victoria!" Bald blitzten auch Fackeln auf, eilige Schritte nahten sich, starke Arme umfingen mich, und ehe ich mich dessen versah, war ich eine kleine Anhöhe hinauf- und in ein niedriges 1 lauschen hineingezogen. Line Thüre öffnete sich — wir befanden uns in einem tiemache, dessen Ausstattung uns die Frage nahe legte, ob wir denn nicht etwa verzaubert seien und sich uns wie im Märchen mitten unter bilden Freisen das Thor eines verwunschenen Sehlösslein aufgethan habe? Mindestens in Montenegro musste ein derartiges Schmuckkästchen von einem Zimmer etwas ganz Unerhörtes genannt werden. Da war zunächst die dicke eichene Thüre mit trefflichem Schwarz, Montenegro. 19 Schnitzwerk bedeckt. Blanke Nägel, die man noch obendrein in das Holz eingeschlagen, dienten dazu, dem Ganzen eine weitere Zier zu verleihen. Die Wände glänzten im hellsten Weiss der Kalktünche. Auch hingen an ihnen lange albanesische Flinten mit Perlmuttereinlage und Pistolen, die ganz mit getriebenem Silber überkleidet waren, oder hinwiederum Fausthandschuhe aus brauner Wolle mit aufgenähten, hellfarbigen Perlen. Die Fenster zeigten regelrechte Glasscheiben, sowie selbst eine Art Gardinen. In zwei Ecken des Gemachs standen saubere Betten, auf welchen Steppdecken mit rot und grünen Überzügen lagen. In einer dritten Ecke befand sich ein Ofen aus weissen Kacheln mit grünen Rosetten. Auf einem kleinen Tischchen daneben bemerkte man ein mächtiges Waschbecken, dessen Material blankes Weissblech bildete, das • zahlreiche Verzierungen aus einer Art schwarzer Fanaille aufzuweisen hatte. Weiterhin machte sich eine buntfarbige Truhe bemerklich, deren Deckel aufgeschlagen war, so dass man die wohlgeordneten Kleinodien einer sorgsamen Hausfrau, Wäsche aller Art, aber auch buntfarbige, reich mit Gold und Silber gestickte Gewänder bewundern konnte. Die Besitzerin mochte in der Pale, mit der sie die Vorbereitungen für unsere Aufnahme getroffen hatte, ihre Schatzkammer wieder zu schliessen vergessen haben. Was aber hungrige Gebirgswanderer, wie wir waren, am allermeisten erfreuen musste, das war der Anblick eines aufs einladendste gedeckten Tisches inmitten des Zimmers. Man hatte ein Tischtuch von sehneeweissem Linnen aufgelegt. Zwei Stearinkerzen in blanken Leuchtern verbreiteten hellstes Licht. Neben Porzellantellern mit bunter Bemalung lagen Messer von so kunstvoller Arbeit, dass selbst eine fürstliche Tafel deren sich nicht zu schämen gebraucht hätte. Denn in den dunkelblauen Stahl der langen, scharfen Klingen sah man zierliche Arabesken aus gediegenem Golde eingelegt — albanesische Produkte, wie mir die Erinnerung an ähnlich gearbeitete Papierscheren sagte, die ich seiner Zeit beim Consul Testa bewunderte. ' Aus dieser gediegenen Ausstattung des Tisches liess sich auch ein günstiger Schluss auf die Küche des Hauses ziehen. Und in der That dampften bald schon überaus schmackhafte Gerichte vor uns, darunter zarte Steinforellen aus den Gebirgswässern des Ortes-Zur Stillung unseres Durstes wurde Meth gereicht, den wir noch von Podgoriza her in gutem Andenken hatten, und zum Schluss Slibowitz aus Bosnien. Wir waren also so zu sagen in eine andere Schnapszone gekommen. Das im übrigen Montenegro unbeschränkt herrschende Gebräu aus Weintrauben hatte dem in den Donauländern bevorzugten Pflaumenextrakt die Herrschaft abgetreten. Diese an sich unbedeutende Wandlung mehr komischer Art war gleichwohl dazu angethan, uns die Rätsel zu lösen, die uns hier überall umgaben. Die Gewässer dieses glücklichen Thaies strömten nicht mehr, wie die anderen hauptsächlichsten Flüsse des Landes, dem wilden, unkultivierten Albanien'zu, sie nahmen die Richtung hinaus zu dem grossen, kulturvermittelnden, Abendland und Orient so glücklich verknüpfenden Strome Centraieuropas, der Donau; sie bildeten nicht mehr, wie jene, Sackgassen, die in die verkommene Türkei hineinführten. Es war, als ob auf solche Weise eine mildere Luft in diesen Gebieten herrsche, als in der übrigen Crnagora, als ob hier die Kultur leichter Zugang habe finden können, als dort. Das bewies unser wohnliches Gemach, das bewiesen aber in noch viel höherem Grade unsere Wirtsleute. Der Mann war, äusserlich betrachtet, ein echter Montenegriner, lang wie eine Pappel und doch kernig wie eine Eiche. Aber schon seine Familienverhältnisse hatten für ihn leichtere und günstigere Wege bedingt, als für die Mehrzahl seiner armen Landsleute. Er entstammte einem alten, begüterten Geschlechte, das mit seineu Reichtümern zugleich auch immer den edlen, aristokratischen Sinn den Nachkommen vererbte. So erzählte mir Rovinski namentlich von der Mutter unseres Kapitäns, dass sie, eine Frau voll von edelstem Patriotismus und reinster Menschenliebe, einen nicht geringen Teil ihres Vermögens benützt habe, um Gefangene von den Türken loszukaufen. Der Sohn hatte die Milde der Mutter geerbt. Man musste ihm unwillkürlich gut sein, dem Riesen, wenn man ihm nur in das offene, biedere Gesicht schaute. Aber ich war mit dem Manne, so musterhaft er alle seine Pflichten als Gastgeber erfüllte, noch nicht zufrieden. Ich wollte auch seine bessere Hälfte kennen lernen. Bereitwillig ging er, sie zu holen. Als sich die Thüre wieder öffnete, erschien ein junges Weib. welches ebenfalls von der Erscheinung der meisten übrigen Montenegrinerinnen durch helleren Teint, zarteren Gliederbau und 19* anmutigere, weichere Züge sich unterschied. Dazu trug sie sich Völlig europäisch. Auf meine verbindliche Einladung nahm sie in unserer Mitte Hätz und nun verlebten wir das erste Plauderstündchen auf dieser Reise in gemischter Gesellschaft. Zwar zeigte sich die gute Frau, die jedenfalls noch nie für längere Zeit unter Männern gesessen hatte, anfangs nicht wenig schüchtern, allein allmählich taute sie auf und verriet namentlich ausserordentliches Interesse für die Stellung des Weibes in unseren Ländern, ein Thema, das ich, um nach schwachen Kräften auch zur inneren Hebung der so gut beanlagten, aber unter dem Fluche unseliger Verhältnisse zurückgebliebenen montenegrinischen Nation beizutragen, auf meinem ganzen Streifzug so oft anschlug, als ich nur konnte. Ihre Wangen röteten sich, ihre Augen blitzten, als ich ihr auseinandersetzte, dass jeder echte deutsche Mann seilte Gattin nicht als seine .Sklavin, sondern als gleichberechtigte Genossin ansehe. Ich erzählte ihr, wie unser grösster Dichter eine der schönsten von ihm geschaffenen Gestalten, den reisigen Götz von Berlichingen, in den begeisterten Lobpreis auf seine treue Lebensgefährtin ausbrechen lasse: „Wen Gott lieb hat, dem schenk' er eine solche Frau!" Ich fügte hinzu, dass bei uns nur rohe und ehrlose Subjekte ein schwaches Weib zu misshandeln imstande seien, dass aber ein Mann von Ehre ganz im Gegenteil dem zarteren Geschlechte in edler Ritterlichkeit wie in den ältesten Zeiten so auch heute noch zu dienen beflissen sei. Wenn nun, so schloss ich meine Deduktion, die Crnagorsen den Namen Helden, den sie nach Seite der Tapferkeit gegenüber dem Feinde gewiss schön jetzt verdienten, im vollsten und höchsten Sinne beanspruchen wollten, so sei es das Erste, dass sie anfingen, ihre Frauen höher zu schätzen. Hier unterbrach mich unsere liebenswürdige Gastgeberin, indem sie mit einem reizend verschämten Aufblick zu ihrem Mann erzählte, dass der letztere als Bräutigam schon eine unerhörte Ausnahme von der alten montenegrinischen Sitte gemacht und ihr die Hand geküsst habe, statt dass er diese Ehrenbezeugung von ihr verlangte. Unser wackerer Haudegen wollte zwar erzürnt aussehen, dass die kleine Frau so aus der Schule schwatzte, aber wir Hessen ihn gar nicht dazu kommen, sondern zollten ihm warmes Lob über jenen Bruch mit der alten, barbarischen Tradition und baten ihn, doch ja in dieser Hinsicht sein Licht unter seinen Landsleuten leuchten zu lassen, was er, indem er'mit seiner riesigen Faust das zarte Händchen seines Weibes fast zerquetschte, auch heilig und teuer gelobte. So blühe denn, edle Blume schöner Häuslichkeit und lieblichen Friedens im gottgesegneten Thal von Schawnike, damit die rauhen Söhne der „schwarzen Berge", von deinem Duft bezaubert, dich auch anpflanzen in ihren Felsen! Mitternacht war vorüber, als unsere freundlichen Wirtsleute endlicn von uns schieden, um uns in den trefflichen Betten der erquickendsten Ruhe zü überlassen. Kaum vermochte energisches Pochen an der Thüre am nächsten Morgen uns zu erwecken. Wir öffneten und siehe, da traten die Angesehensten im Orte herein, um die Fremdlinge zu begrüssen, Leute, von denett einige gleichfalls durch ihre ganze F>scheinung eine höhere Stufe der Kultur verrieten. Als wir den Wunsch kundgaben, den Ort zu besehen, erboten sich alle zugleich, uns zu führen. Wir traten ins PYeie. Ueber dem engen Thale lag noch halbe Dämmerung, verbunden mit einer feuchten Kühle. Die Häupter der Berge aber wurden bereits vom ersten Sonnenstrahle geküsst. Namentlich schimmerten die Schneefelder des Woinik, dessen Nord-flanke hier jäh abstürzt, in gelbrotem Lichte. Den Dormitor kann man dagegen in Schawnike selbst ebensowenig wie den Montblanc in Chamounix sehen. Wir erklommen eine kleine Anhöhe und genossen von da nicht nur eine landschaftlich prächtige, sondern auch wissenschaftlich höchst interessante Aussicht. Blickten wir doch hinein in nicht weniger als vier Thäler, die, ein förmliches Kreuz bildend, hier zusammentreffen. Von Süden bricht aus ihrer schauerlichen Klamm die Bjela, ihr wirft sich nach kurzer Weile, von Osten her kommend, mit bedeutender Masse die Bukowiza entgegen, die hoch oben in den Schneewüsten des Dormitor geboren wird. Wenige Augenblicke nach der Vereinigung beider spendet auch der Norden in der Gestalt des Schawnike seinen Tribut, und das so aus der Verschmelzung von drei Flüssen entstandene, ansehnliche Gewässer strömt in der allein noch übrig gebliebenen westlichen Richtung davon. Alle auf diese Weise bei Schawnike zusammentreffenden Phäler sind, wenigstens hier an ihrer Kreuzungsstelle, äusserst eng, selbst das letzterwähnte ist, soweit man es noch mit den Augen verfolgen kann, kaum etwas anderes als eine Schlucht zu nennen. Nur da, wo der Fluss, rtach welchem der Ort seinen Namen erhielt, einmündet, hat sich eine kleine Alluvialfläche gebildet, und auf dieser liegt unser Dörflein. Es besteht kaum aus einem halben Dutzend Häuserchen, aber diese sind von zumeist recht freundlicher Erscheinung, die Dächer mit Schindeln gedeckt, die weiss beworfenen Wände mit blanken Fenstern versehen, so dass die kleine Ansiedelung einen überaus anheimelnden Eindruck hinterlässt. Derselbe wird auch durch einen Einblick in das Innete der meisten Wohnungen nicht wieder zerstört. Wir hatten Gelegenheit, uns davon zu überzeugen, da einige von unseren, Begleitern es sich durchaus nicht nehmen Hessen, uns in ihr Daheim zu führen, um uns dort mit Kaffee und Spirituosen zu bewirten. In dem einen von diesen Leuten lernten wir auch einen der tapfersten Streiter aus den letzten Türkenkriegen kennen. Er selbst wusste die Beweise dafür beizubringen, indem er, an sich ein armer Mann, eine prächtige, goldene Remontoiruhr aus seinem Brustlatz zog und auf die Frage, wie er zu solch wertvollem Besitz gekommen sei, verschiedene, nicht misszuverstehende Bewegungen mit der Handschar ausführte. Auch der fein gearbeitete Revolver, den er uns noch ausserdem zeigte, mochte auf ähnliche Weise erworben worden sein. Bei einem anderen der Dorfbewohner entdeckten wir fast eben so viel Komfort wie bei unserem Kapitän. Sein Haus enthielt gleichfalls eine Art „gute Stube" und in derselben einen Kachelofen, sowie anderes mehr. Was mich aber wieder am meisten erfreute, war die Beobachtung, dass auch dieser Mann in dem Verkehr mit seiner jungen, lieblichen Frau eine viel höhere Auffassung von der Ehe verriet, als die grosse Mehrzahl seines Volkes. Zum Schluss unserer kleinen Rundreise durch Schawnike durchschritten wir noch das ganze Thal des gleichnamigen Flusses. Das will nun freilich nicht viel bedeuten, denn nach kaum zehn Minuten ist man schon am Ziele. Aber unsere Fuhrer hatten wohl daran gethan, uns dahin zu geleiten. Denn wir sahen hier einen der malerischsten Wassereffekte des an dergleichen so reichen Ländchens vor uns. Aus einer geräumigen, finsteren Höhle, die sich tief in eine gewaltige Felswand hineinzog, stürzten vier Wasser- Schawnike. fälle auf einmal, um, unten angekommen, sich zu vereinen und so als Schawnike den kurzen Lauf bis zum nahen Hauptstrom anzutreten. Was aber diesen originellen Flussursprung noch besonders interessant machte, das war der Bericht unserer Begleiter von dem zeitweiligen Aussetzen der tosenden Kaskaden. Originell genug erklärten sie sich diese auffällige Erscheinung aus der Thätigkeit eines bösen Wesens, das im Innern des wassersprudelnden Felsens wohne und bei Anwandlung von übler Laune das segensreiche Nass zurückzuhalten pflege. Vergebens suchte ich ihnen klar zu machen, dass intermittierende Quellen zwar etwas Seltenes, aber doch nichts Unerklärliches seien. Sie schüttelten ungläubig mit dem Kopfe und blieben bei ihrem „Dämon". Vielleicht hatten in grauer Vorzeit ihre Väter demselben sogar Verehrung gezollt und die Kunde von ihm ihren Nachkommen hinterlassen. Stammten die Serben von den alten Griechen, welche bekanntlich die Quellen zum Sitz einer Gottheit machten, so Hesse sich der Aberglaube der guten Schaw-niker allerdings noch leichter erklären. Doch da kommt unser Kapitän, um uns zu melden, dass alles bereit sei. Es war mir nämlich vorher der Wunsch entschlüpft, eine kleine Gruppe charakteristischer Gestalten aus diesem interessanten Thale zu photographieren. Sofort hatte er seine Frau veranlasst, sich in die grösste ortsübliche Gala zu werfen. Welch ein überraschender Anblick, als sie jetzt bei unserer Rückkehr derartig kostümiert aus dem Hause trat! Wie unschön und bedeutungslos erschien uns einer solchen reichen und geschmackvollen Nationaltracht gegenüber unsere moderne Damentoilette. Und zogen wir nun gar erst Vergleiche zwischen dieser Schawnikerin und ihren meisten Schwestern im übrigen Montenegro, so stachen sie, was den Anzug anlangte, von einander ab wie ein Goldfasan von Krähen. Auf dem Hinterkopf sass ein aus feinen Goldfäden gewebtes Netz. Um den Hals war eine mit grossen, goldenen Münzen gezierte Kette gelegt. Das ebenfalls mit glänzender Stickerei aus dem gleichen Metalle bedeckte Leibchen erschien vorn unter der Brust ausgeschnitten, um einem feinen Spitzentuche Platz zu lassen. Die Taille umschlang die buntseidene Schärpe, deren breite, mit langen Fransen versehene Enden über den mit farbigen Streifen besetzten Rock hinabfielen. Die linke Hand endlich hielt ein Taschentuch von zartem Linnen mit zierlichster Nadelarbeit. Als die Aufnahme, zu der unser gastfreundliches Ehepaar samt einigen Dorfbewohnern bereitwilligst sich gestellt hatte, beendet war, schickten wir uns an, aufzubrechen, da die Uhr bereits auf acht zeigte. Aber so schnell Hessen uns die freundlichen Leute nicht aus dem Garne. Wir mussten erst noch ein opulentes Frühstück einnehmen. Als wir uns dann gesättigt erheben wollten, siehe, da brachte die Frau Kapitän auch noch Gastgeschenke, wie dies Sitte war in der goldenen Zeit homerischen Heldentums. Die Wahl der Gaben aber, die wir erhielten, bekundete, dass sie erraten hatte, woran uns am meisten gelegen sein musste. Denn sie überreichte uns Erzeugnisse der Hansindustrie des Thaies, nämlich ein Batisttaschentuch mit so kunstvoller Handstickerei, dass man es für die Arbeit einer unserer Maschinen hätte halten können; ausserdem noch ein Paar wollene Strümpfe, in welche mit kaum geringerer Geschicklichkeit bunte Blumen eingestrickt waren. Dies Übermass der Gastfreundschaft rührte mich so, dass auch ich in meine Tasche griff und — die Auswahl konnte bei mir nicht gross sein — dem liebenswürdigen Paare eine kleine, aber gut gearbeitete Handlaterne überreichte mit der Bitte, des flüchtigen Wan-dersmannes aus grosser Ferne zu gedenken, so oft das helle Fläminchen da drinnen durch das Glas scheine. Noch mehr Freude fast, als diese Gabe, bereitete ihnen eine Photographie meiner Frau, die ich dem hinzufügte und die sogleich auf einem günstigen Platze Aufstellung fand. Dann ging's ans Abschiednehmen, und wahrlich, das wurde nicht bloss mir, dem verweichlichten Sohne der Kultur, sondern auch den rauhen Crnagorsen, die wenig von Sentimentalität wissen, sauer genug. Wohl zehnmal nahm man mir in aller Form das Versprechen ab, mich im nächsten Jahre wieder einzustellen, und der gute Kapitän bemerkte einmal über das andere: „Ihr Bestich war eine Gnade Gottes für uns." Als aber endlich die Frau des Hauses sich gar anschickte, mir die Hand zu küssen, da ergriff ich vor allen anwesenden Dorfbewohnern die zarten Fingerspitzen und führte sie an meine Lippen. — Wir traten aus dem kleinen Hofe auf die Strasse. Neue Überraschung! Fan gesatteltes Pferd mit reicher Schabracke steht vor uns. Der Kapitän bittet mich, dieses sein Schlachtross doch • wenigstens für die erste Stunde des Weges zu benützen, während welcher ein so steiler Hang überwunden werden müsste, dass ich, wenn ich zu Fuss gehen würde, leicht zu sehr ermüden könnte. War diese zarte Aufmerksamkeit nicht rührend? Um den lieben Menschen nicht zu verletzen, nahm ich seine Freundlichkeit an, schwang mich unter zahlreichen „Beiruts Gott" in den Sattel und ritt davon. Ich muss bei dieser Gelegenheit bemerken, dass wir unsere Rosse von gestern nach Nikschitsch zurückgesandt hatten, da wir von nun ab voraussichtlich dermassen im Hochgebirge zu reisen hatten, dass sie uns jedenfalls nur hinderlich geworden wären. Ein einziges Pferd begleitete uns des Gepäcktransportes wegen, dies hatten wir aber erst in Schawnike gemietet, um in seinem Treiber zugleich einen ortskundigen Mann zu haben. Denn von mm an wurde die Orientierung immer schwieriger, ein verhängnisvolles Verirren immer leichter. WTar sich doch selbst unser Kapitän über die Art und Weise, auf welche man aus diesen Thälern nach der oberen Moratscha gelangen könne, nicht recht klar, wie er uns denn auch nicht verhehlte, dass wir bei dem Wagnis, den nordöstlichsten, ausschliesslich von mächtigen Hochgebirgen erfüllten Winkel der Crnagora zu durchschneiden, Schwierigkeiten, als Schnee, Unwegsamkeit, Mangel an Unterkommen sowohl wie an Nahrung und anderem mehr begegnen würden, die uns leicht zur Umkehr zwingen könnten. Doch riet er uns, vorläufig auf alle Fälle bis in das Tuschinathal zu dringen, da man dort uns über die in Frage kommenden Übergänge bessere Auskunft würde geben können. So stiegen wir denn nicht ganz ohne Sorgen an dem Nordrande des Thaies empor, der allerdings so steil war, dass mir der Sitz in des Kapitäns weichem Sattel recht wohl that. Auf halber Höhe standen eine Anzahl junger, hübscher Mädchen um eine Quelle herum; ihren freundlichen, unter verschämtem Kichern uns gebotenen Grass nahmen wir als ein gutes Omen für unsere ungewisse Fahrt. Als wir endlich den Scheitel dieses Thalrandes erreichten, präsentierte sich uns das kleine Paradies, das wir eben verlassen hatten, noch einmal, aber aus bedeutender Tiefe. Bezaubernd lag die winzige Gruppe der sauberen Häuser von Schawnike auf ihrer wasserumflossenen Halbinsel, dahinter die waldreiche Masse des Woinik. Ade, du sthöner, unbekannter Fleck Erde, den ich wohl nie wiedersehen werde! Wir wanderten auf einer grasigen Hochfläche dahin, welche links von starren Kalkklippen eingerahmt wurde. Hinter denselben musste der Dormitor thronen. Das verriet uns auch der rauhe Gruss, der uns hier oben ganz unvermittelt entgegengebracht wurde. Eine kalte Windsbraut sauste daher und übergoss uns mit Regen und peitschenden Graupeln, Vorboten vielleicht von den Unbilden der Witterung, die uns nunmehr beschert sein konnten. Als der Himmel wieder ein freundliches Gesicht machte, führte uns der Weg an einem einsamen Dörfchen vorbei, in dessen Umgebung fleissige Landbebauer pflügten, ein langentbehrter, anheimelnder Anblick. Hierauf rückte der nördliche Gebirgsrand so weit südlich vor, dass das kleine Plateau ein Ende hatte und wir an jähem Abhang hinklettern mussten. Rechts erschien jetzt tief unter uns plötzlich ein enggebetteter, reissender Bergstrom. Es war wieder die Bukowiza, an deren Gewässern wir schon in Schawnike standen. Die Unzugänglichkeit der wilden Spalte, in welcher sie von hier bis dort fliesst, hatte uns zu einem grossen und beschwerlichen Umweg genötigt, während wir sonst an ihrem Ufer hätten hingehen können. Mitten in der wilden Scenerie auch eine liebliche Idylle. Auf einem kleinen Stück angeschwemmten Landes liegt drunten das Kloster Schinna. Einladend grüssen seine freundlichen Gebäude zu ans herauf, aber wir mussten Adlersflügel besitzen, wollten wir dem Rufe folgen. Erst nachdem wir noch lange hoch über dem Flusse hingezogen und drüben aus einem engen Schlund die Tuschina haben in denselben einmünden sehen, zieht sich unser Weg zum Wasser nieder. Der letzte Teil des Marsches war auch geologisch interessant gewesen. Nach dem Kreidekalk, den wir zeither in Montenegro fast ausnahmslos und bis zum Überdruss unter unseren Fassen gesehen hatten, erschienen plötzlich eruptivische Massen, die sogenannten Grünsteine*), und Schiefer. Nachdem wir die Bukowiza, deren Spalt sich nun geraden Wegs nördlich zu dem schon nahen, aber stetig unsichtbar bleibenden Dormitor hinanzieht, mittelst einer Knüppelbrücke überschritten, *) Diabas. auch jenseits an einem steilen Hang uns emporgearbeitet hatten, befanden wir uns plötzlich in einem breiten, flachen Hochthate Hier lag auf saftigem, baumlosen Wiesengrund ein stattliches Dorf. Die schindelgedeckte Häusermasse, das freundliche Kirchlein in ihrer Mitte, das rauschende Gewässer, das unweit vorüberfloss, die sanften, bebuschten Höhen, die rechts und links niedergrüssten, das alles ergab ein Bild, welches völlig neu war in Montenegro und uns eher an Ansiedlungen im heimatlichen Erzgebirge erinnerte. Wir traten zuerst bei dem hier in Tuschina residierenden Woi-woden ab, mit welchem mein Mentor persönlich bekannt war. Der hohe Würdenträger wohnte in einem dürftigen Hause. Seine lange Kriesrerlaufbahn hatte ihm also wohl nur Wunden, aber keine Schätze eingetragen. Eine steile Treppe führte uns in sein Wohngemach, in welchem infolge des Kesselfeuers ein solch dichter Rauch herrschte, dass mir die Augen thränten. Hier sass der alte, hochbetagte Kämpe, just wie Vater Zeus in den Wolken des Olymp. Doch empfing er uns höchst leutselig, Hess uns sofort von seinen flinken Töchtern Kaffee kochen und begann von seinen Thaten und Leiden während eines fast siebzigjährigen Kampfes gegen den Erzfeind zu erzählen. Da er indes über den Übergang ins Mo-ratschathal, der uns jetzt allein interessierte, ebenfalls eine klare Auskunft nicht zu geben vermochte, so Hessen wir den Alten bald in seinem erstickenden Dunste sitzen und wanderten der Schenke am Ende des Dorfes zu. Dort fanden wir nämlich, was wir suchten. Ich meine damit nicht den delikaten Schöpsschinken, ein Nationalgericht der „Brda", des (istlichen Teiles von Montenegro, der uns in kleinen Würfeln serviert wurde, sondern, was für uns in unserer prekären Lage ungleich wertvoller sein musste, bestimmte Weisungen über unsere Weiterreise aus sachkundigem Munde. Wir waren nämlich noch kaum fünf Minuten unter dem gastlichen Dache, so eilten auch schon die Notabein des Ortes herzu, uns zu bewillkommnen. Denn die Ankunft zweier Fremder in dieser abgeschiedenen Ansiedlung hatte natürlich Jung und Alt auf die Beine gebracht. Waren doch schon, als wir die Schule bas-sierten, sämtliche Kinder einschliesslich des Lehrers herausgeeilt, die Wundertiere zu betrachten. Unsere Gäste, unter denen sich auch der Pope befand, schüt- telten zu unserem Plane, direkt von Tuschina aus über den links-ufrigen Höhenzug nach der Moratscha hinüberzusteigen, bedenklich den Kopf. Zwar sei es, so meinten sie, an sich nicht eigentlich weit, aber der Anstieg bis zur Höhe so steil, und die ersten menschlichen Wohnungen auf der anderen »Seite erst so weit thalabwärts befindlich, dass wir einen ganzen Tag zu diesem Marsche würden verwenden und daher vorläufig in Tuschina liegen bleiben müssen. Ausserdem sei der Schnee oben auf dem Plateau der über 2O0O Meter hohen Gradischte jedenfalls noch so massig und, bedingt dadurch, die Angriffslust der wilden Tiere derartig, dass überhaupt das Unternehmen als ein höchst bedenkliches bezeichnet werden müsse. Dagegen rieten sie, falls wir nun einmal durchaus von hier noch östlich vordringen wollten, zum Übergang ins Tarathal, für den sie uns genaueste Weisungen gaben. Wir acceptierten diesen Vorschlag um so lieber, als derselbe uns für den nämlichen Tag nur noch einen Marsch von etwa drei Stunden vorschrieb und die Sonne schon tief stand. Mit bestem Dank für die freundlichen Ratgeber brachen wir sodann wieder auf und zogen zunächst noch im Tuschinathal weiter aufwärts. Dasselbe ward bald enger, die Gebirgsiimrandung höher. Diese letztere zeigte links, auf den der Sonne zugekehrten Hängen, nur tristes Gestein, rechts dagegen würden wiederholt prächtige Bucheu-waldungen sichtbar. In das hellgrüne Blättermeer der letzteren mischte sich, je höher wir kamen, um so reichlicher das dunkle Kolorit der Nadelhölzer. Im Thale selbst aber und am Saum der Abhänge blieb fort und fort das beste Weidegras bemerklich. Denn ganz ausserordentlich war allenthalben der Wasserreichtum, was sich daher erklärt, dass beide Lehnen droben in höhere, schneetragende Rücken auslaufen. Nirgends im ganzen Lande fliesst das befruchtende Nass so reichlich, als hier. Bald rechts, bald links sprang ein klarer Ouell aus dem Berge, um jetzt in anmutigen, zahlreichen Kaskaden, dann wieder in einem einzigen wilden Sturze zu uns herabzueilen. Daher gedieh denn auch die edle Zunft der Hirten gar wohl in diesem Teile des Thaies. Da und dort erhoben sich auf Vorsprüngen ihre Hütten. Dieselben wurden für uns nicht selten die Veranlassung zu Verirrungen. Denn von den verschiedenen Wegen, die sich hier und da kreuzten, schlugen wir gewöhnlich, in der Meinung, das Richtige zu treffen, den betretensten ein, bis wir uns plötzlich vor einer iener Wohnungen sahen, aus denen oft genug wütende Hunde auf uns losfuhren. Zum Glück waren immer auch die Herdenlenker selbst zur Hand, um die Bestien zurückzutreiben und uns freundlich wieder auf den rechten Weg zu weisen. Nach einigen Stunden leichter Wanderung zog sich unser Pfad an einem sanften Ouerriegel in die Höhe. Als wir oben angekommen waren, sahen wir die'letzte Thalstufe der Tuschina, eine etwa zwei Kilometer lange, jedoch nur massig breite, üppig grüne Alpenwiese vor uns, die der Fluss, jetzt im Grunde kaum noch ein Bach zu nennen, in vielfachen Krümmungen durchzog. Links senkten sich höhere und schroffere, wenig bewachsene Gebirgs-massen nieder, während rechts ein sanfter Höhenzug wieder von dem üppigsten Buchenwald bedeckt wurde. Am entgegengesetzten Faide des grünen Planes stand eine gigantische Berg-Pyramide, die mit so schroffen Felsmaiiern zu dem jungen Gewässer niederstürzte, dass nur an vereinzelten Stellen stolze Köhren sich hatten einwurzeln können, dazwischen lagen grosse Schneeflecke. Diese isolierte Gebirgsmasse trug den Namen Somina Planina. Es war ein Platz voll Weltverlorenheit und Stille, den wir betreten hatten. Kaum ein halbes Dutzend winziger Hirtenhäuser standen zerstreut umher. Dem hintersten derselben, das dicht unter den jähen Abhängen der Somina sich erhob, steuerten wir zu. Es sollte uns Nachtquartier bieten. Freilich, je näher wir ihm kamen, um so mehr entsank uns der Mut. Dies Hotel stellte ja nur einen fensterlosen Schuppen dar, der nach Art der Blockhäuser aus starken Klötzen zusammengefügt und so niedrig war, dass er doch kaum als menschliche Wohnung verwendet werden konnte. In der That herrschte auch lautlose Stille in seiner Nähe. Nur mitunter wurde einmal das dumpfe Brüllen einer Kuh hörbar, die mit einer Anzahl ihresgleichen in einem von hohen, spitzen Pfählen umhegten, kreisrunden Pferch neben der Hütte unter freiem Himmel logierte. Nach langer Weile erst knarrte eine niedrige Thür und heraus kroch ein alter Mann, der nur höchst notdürftig bekleidet und fürchterlich schmutzig war, auch sonst nicht viel Vertrauenerweckendes hatte. Indes wir mussten gute Miene zum bösen Spiele "lachen, da die hohen Berge ringsum uns sagten, dass wir für diesen Tag auf die Gastfreundschaft des Greises angewiesen seien Derselbe war ja niemand Geringeres, als der sogenannte „Kapitän", der als Ältester der ganzen Hirtenkolonie hier die Hauptrolle spielte, obwohl er in Wirklichkeit keinerlei amtliche Stellung bekleidete. Wir bekämpften daher denn auch unseren Ekel und bewillkommneten den „göttlichen" Rinderhirt nach serbischem Brauche mit Handschlag und Kuss, indem wir ihm zugleich die Grüsse von Bekannten aus dem Thale drunten übermittelten. Zum ersten Male jedoch trat uns die montenegrinische Gastfreundschaft nicht so glänzend entgegen, wie sonst; denn der Herr „Kapitän" geruhten, unseren Grtiss, der freilich mit dem Kusse des Judas eine bedenkliche Ähnlichkeit gehabt hatte, nur äusserst kühl zu erwidern und uns dann einem peinlichen Verhör über das „Wer", „Woher", „Wohin" zu unterwerfen. Komischer Weise äusserte er bei dieser Gelegenheit auf die Bemerkung Rovinski's, dass ich ein Deutscher sei, „schade, dass der Türke, der neulich hier war, wieder fort ist, sonst hätten die beiden mit einander reden können". Nach seinem Begriffe gab es keine andere Sprache auf der Erde, als die der Serben und die ihrer Feinde, der Bekenner des Islam. Da der Gebieter der Ziegen und Schweine auch nach Beendigung seiner Recherchen noch keinerlei Anstalten traf, uns in sein Daheim zu führen, so nahmen wir, ermüdet wie wir waren, auf einem am Boden liegenden Klotze Platz und befahlen unserem Pferdetreiber, das Gepäck abzuladen. Wir sollten aber hierbei bald mehr Gesellschaft erhalten, als uns lieb war. Denn siehe, von den nahen Bergweiden liefen die Söhne und Fankel des Alten herbei, während aus dem Häuschen deren brauen, halbnackte und halbwilde Weiber, huschten, die uns erst scheuen Tieren gleich umkreisten, binnen kurzem aber schon in das gerade Gegenteil verfielen und uns durch eine dreiste Zudringlichkeit und Neugier lästig wurden. Die meisten von diesen Naturkindern mochten wohl noch nie einen Fremden gesehen haben. Als ich, die Müsse zu benutzen und die Höhe des Ortes zu berechnen, mein Anäroid hervorzog, griffen sogleich ein halbes Dutzend schmierige Hände nach dem wertvollen Instrument, um es als Spielzeug zu verwenden. Nur mit Mühe vermochte ich ihre Aufmerksamkeit ab und auf eine Cigarettenmaschine zu lenken, die ich gleichfalls in der Tasche führte. Da wollte denn nun freilich das Erstaunen kein Ende nehmen, als mit einem Male die fertige Cigarette oben aus dem Deckel sprang. Ich liess deshalb auch die kleine Zauberdose, die beiläufig späterhin überall im Lande, wo ich sie zeigte, die gleiche Verwunderung und nicht selten ein so eingehendes Studium ihres Mechanismus hervorrief, dass dadurch das ganze Instrument gefährdet wurde — wacker arbeiten und teilte die fertigen Fabrikate freigebigst aus, so dass bald die ganze Rotte, Männer und Weiber, Erwachsene und Kinder, um uns herum dampfte. Ob nun dieses Manöver wirkte oder der Alte überhaupt ein menschliches Rühren fühlte — fing doch auch die feuchte Abendluft, die von den hohen Schneegebirgen herunterwehte, nachgerade an, unsere erhitzten Körper zu schütteln — kurz, er gebot uns, ihm in das Haus zu folgen. Gebückten Hauptes passierten wir die kleine Thür und gelangten dann aus einem Vorraum, wo das Herdfeuer brannte, über eine ungewöhnlich hohe Schwelle in das eigentliche Wohnzimmer, welches so niedrig war, dass ich kaum aufrecht stehen konnte. Doch zeigte sich dasselbe geräumig genug, um eine Anzahl interessante Utensilien zu beherbergen. Unter anderem standen hier zwei primitive Webstühle; über denselben hingen an den Wänden Garnknäule, so gross wie Kanonenkugeln. Auf derartigen Höhen und in solchen Einöden ist ja natürlich von der sonst überall herrschenden Nationaltracht nichts mehr zu verspüren. Die Leute weben sich aus der Wolle ihrer Schafe die grobhärenen Gewänder, mit denen sie notdürftig ihre Blosse decken. Im Hintergrunde des Gemachs war aus Brettern eine trittartige Erhöhung hergestellt, ähnlich, wie sie bei uns in den Werkstätten der Schuhmacher und Schneider zu finden sind. Diese Vorrichtung bildete das Meublement, Stuhl, Sopha und Bett der armen Leute. Auch wir nahmen hier Platz und nun waren uns selbst kulinarische Genüsse beschert, freilich welcher Art! Zuerst brachte man uns ein Gebräu, welches Kaffee vorstellen sollte, indes einen wirklich fürchterlichen Geschmack hatte. Dann folgte das Diner. Auf eine Art rundes Kuchenbrett, an welchem niedrige Holzklötzchen befestigt waren, so dass es den lisch vorstellen konnte, setzte man einen grossen, äusserst schmutzigen Blechnapf; derselbe umschloss eine Masse hautiger Schöpsknochen, die in einer höchst zweifelhaften Brühe schwammen. Dann kam der landesübliche quarkartige Käse, der von den Weibern mittelst der einfachsten aller Teller, nämlich in der hohlen Hand herbeigetragen ward. Den Beschluss der opulenten Mahlzeit machte saure Milch in einem mächtigen Holzkübel. Der Alte, der neben uns Platz genommen hatte, nötigte tüchtig zum Zulangen. Da wir indes beide nach einigen schwachen Versuchen unter dem Vor wände allzu grosser Müdigkeit ablehnten, machte er sich unverzagt selbst ans Werk und verzehrte in kurzer Zeit unglaubliche Massen von den leckeren Vorräten. P>st als er seinen Hunger gestillt hatte, kamen Kinder und Enkel, die bis dahin ehrerbietig umher standen, an die Reihe, und als nun ein Dutzend von blanken Zahnreihen an den Knochen nagten und von dem harten Brote bissen, da klang es nicht anders, als ob eine ganze Herde Eichhörnchen ihre Nahrung zu sich nähme. Wir hatten uns aber verrechnet, als wir glaubten, nach der Mahlzeit würden wir uns der ersehnten Ruhe hingeben können.. Vielmehr öffnete sich jetzt die Thüre und herein streunten sämtliche männliche Bewohner der benachbarten Hütten, um die seltenen Ankömmlinge zu mustern. Bald war das ganze Gemach gefüllt und wir sassen wie in einer Volksversammlung. Und nun ging's an ein Ausfragen ohne Ende. Zum ersten Male bedauerte ich es nicht, dass mir die Kenntnis der serbischen Sprache verschlossen war. Um so mehr hatte mein wackerer Rovinski zu thun, all die mannigfaltigen Prägen zu beantworten. Betreffs meiner Person hielten sich die Anwesenden insofern schadlos, als sie mich ununterbrochen und ohne alle Zurückhaltung um Tabak angingen. Waren dann die langen Pfeifen gestopft, so nahten sich dienstfertig die Weiber aus dem Vorraum mit glühenden Kohlen, die sie in der blossen Hand trugen. Und wenn das Kraut in dieser Weise endlich Feuer gefangen hatte, so pflegten sie den Herren und Gebietern auch noch die schmutzige Hand zu küssen, um sich sodann geräuschlos wieder zurückzuziehen. Als das Schäferstündchen gar kein Ende nehmen wollte, machte Herr Rovinski schliesslich einfach Strike und streckte sich auf unserer Elstrade aus, ohne noch irgend einem der Interpellanten Rede zu stehen. Wohl oder übel entfernten sich darauf die getreuen Nachbarn. Auf Befehl des Stammesoberhauptes wurde nun die Thür zum Schutz gegen Bären -und Wölfe, die hier oben oft nächtliche Haussuchungen zu unternehmen versuchen, verbarrikadiert, die hölzernen Schieber vor die kleinen Luken, welche die Stelle der Fenster vertraten, gebracht und die Lampe, in der geflochtene Wollfaden, die man mit Fett getränkt hatte, als Docht figurierten, ausgeblasen. Wir waren Gefangene. Undurchdringliche Finsternis umgab uns. Gewiss, es hätte uns bange werden können, wenn uns nicht bald schon durch das Schnarchen unserer Gastgeber unzweideutige Beweise von ihrer Friedfertigkeit geworden wären. Trotzdem gewann ich es nicht über mich, einen Teil meiner Kleidung abzulegen. Ich schlief in voller Rüstung, den wuchtigen Stock in der Rechten, oder vielmehr ich schlief nicht. Es war doch auch zu heiss und dunstig in dem elenden Räume. Und selbst wenn ich vor Müdigkeit einmal in eine Art Taumel verfiel, so weckten mich gar bald widerliche Katzen, die über mein Gesicht streiften, oder noch kleineres, dafür aber nur um so bösartigeres Ungeziefer, das von allen Seiten herankroch, den feinfühligen Abendländer zu quälen. O, wie schlichen da die Stunden so langsam vorüber, und wie oft seufzte ich mit dem alten Worte: „Hüter, ist die Nacht schier hin?" Aber niemand gab Antwort. Ich lag wie im Grabe. Alles hat einmal ein Ende. Und so fiel denn schliesslich auch ein matter Dämmerschein durch eine Lücke im Dache herein in unsere Hütte. Welch eine originelle Scenerie, die er beleuchtete! Dicht neben einander geschichtet lagen zahlreiche, weissgraue Ballen auf der Diele. Nur hier und da verriet ein blossgelegter Arm oder ein vorgestrecktes Bein, dass in diesen formlosen Hüllen lebende Wesen versteckt seien. Ich fühlte mich wie gerädert, aber gleichwohl war ich glücklich , dass die Stunde der Erlösung aus diesem Schlafsalon geschlagen hatte. Ich weckte meine Begleiter und während die Hirtenfamilie drinnen ruhig weiter schlief, zogen wir mit hoch aufatmender Brust in die- frische Morgenluft hinaus. Freilich erwies diese letztere sich fast ein wenig zu frisch. Dazu kam noch ein feuchter Nebel, der vom wolkenbehangenen Firmament niederhaute. Übernächtig, wie wir waren, der Kopf wüst, der Magen ^er, schauerte es uns, als wir über den nassen Wiesengrund zogen. Aber es sollte uns bald eingeheizt werden. Schwarz, Montenegro. 20 Wir verbessert nämlich nunmehr endgütig die Tuschina, die rechts von unserem Nachtquartier in Käskaden durch Wald herabeilt, und wandten uns dem hohen Nordrande der Alm zu. In ausserordentlicher Steilheit stieg hier der Pfad aufwärts. Unzählige Male rutschte der Fuss auf dem feuchten, lehmigen Boden aus. Oft genug musste ich die stellenweise wuchernden Büsche zu Hilfe nehmen, um mühsam erkämpftes Terrain nicht wieder zu verlieren. Da hatte es die schwarze Schnecke freilich besser, die sorglos über unsere Bahn zog. Sie war übrigens das einzige Exemplar ihrer Art, das ich in Montenegro beobachtete. Das sonst so unschöne Tier mutete mich hier wie ein Gruss aus der Heimat an. Endlich blieb die Baumregion hinter uns. Wir gelangten auf Wiesenboden und der Marsch ward bequemer. Die grossen Schneeflächen, die wir mitunter zu passieren hatten, zeigten sich noch hart gefroren, so dass wir leicht wie auf dem Parkett darüberhin wandelten. Wo das winterliche Leichentuch schon von dem Erdreich genommen war, da schimmerte uns ein wahres Riesenbouquet farbenreichster Alpenflora entgegen. Namentlich blühten Tausende von gelben Plimmelschlüsselchen und weissen oder violetten Krokussen auf den saftig grünen Matten. Nach etwa U/sstündigem Marsche erreichten wir eine Art Pass, eine Einsattelung in einem niedrigen Rücken, und nun dehnte sich ein welliges Hochplateau vor unseren Blicken aus. So weit das Auge reichte, Hügel an Hügel; kaum weniger zahlreich Schneeflecken grösserer oder kleinerer Art, über dem Ganzen aber dichte Nebelmassen, von jähen Windstössen für Augenblicke einmal gehoben, um dann sofort wieder in alter Trägheit sich niederzu-senken — wo hatte ich doch ganz ähnliche Landschaftsbilder schon gesehen? Richtig, in Norwegen droben, am entgegengesetzten Ende von Europa, da war's; dort durchwanderte ich einst gerade solche unermessliche Hochflächen, dort war mir die nämliche merkwürdige Mischung von abschreckender Monotonie und doch wohlthuender Ruhe entgegengetreten. Nur die Namen sind verschieden, denn der Nordländer nennt solche Horizontalflächen auf dem Scheitel grosser Erhebtingen „Felder" (Fjeld), der Südslave „kleine Ebenen". Sinjawina Planina hiess speziell diejenige, auf der wir jetzt angekommen waren. Sie hat durchschnittlich eine Höhe von fast 2000 Meter und darum ein rauhes Klima. Das Thermometer zeigte nur 5° C, als wir über sie hinzogen. Wie wohl that uns daher der Morgenkaffee, der uns ganz unerwartet beschert wurde! Ein Hund schlug plötzlich in unserer Nähe an. Wir erhoben die Augen, und siehe da, in einer kleinen Einsenkung stand eine Sennhütte, ein „Katun", wie man hier zu Lande sagt. Entsprechend der windumtosten Höhe ihres Standpunktes war dieselbe auch schon recht solid hergestellt. .Zu unterst ein Gerippe von starken Pfosten in Form eines länglichen Zeltes, dann Maisstroh, und zu oberst dicke Schichten von Dünger; ein solches, zwar nicht schönes, aber praktisches Bauwerk konnte schon etwas aushalten. Als wir eben vorüberschreiten wollten, trat ein hochgewachsener Mann heraus, der uns in herzlichster Weise einlud, doch bei ihm eine kleine Erquickung einzunehmen. Gern folgten wir, setzten uns am wärmenden Feuer nieder und schlürften einen recht leidlichen Kaffee. Hierbei bemerkte ich, dass sich in einer Ecke des kleinen Raumes etwas bewegte. Auf Befragen erklärte uns der Wirt, dass dies einer seiner Söhne sei, der an schwerer Krankheit leide. Ich trat hinzu und glaubte zu erraten, dass der arme Bursche sich eine starke Erkältung zugezogen habe. Ich gab ihm daher eine Dosis Chinin und legte ihm mehrere Senfpflaster auf den schmerzenden Leib, was der wackere Mensch ertrug, ohne eine Miene zu verziehen. Der alte Hirt wusste nicht, was er vor Dankbarkeit anfangen sollte. Das Liebste war uns aber, dass er einen seiner Knaben rief, der uns über die weite, pfadlose Hochebene begleiten sollte, da sich bei dem herrschenden Nebel selbst unser Führer nicht recht auskannte. Wie gut, dass wir nicht einen Tag eher gekommen waren! Denn die Hirtenfamilie hatte erst gestern ihr hochgelegenes Sommertpiartier bezogen. Nachdem war etwa l7a Stunden die trostlose Fläche hin und her durchwandert hatten, veränderte sich unvermutet die Scenerle. Wir standen am Rande eines tiefen Abgrundes. Von drunten herauf grüssten anmutige Thäler mit grünen Bäumen und silberglänzenden Wasseradern, welch ein erhebender Anblick, nachdem wir lange Zeit nur Nebel und Schneefelder vor uns gesehen hatten! Wir jubelten, denn wir ahnten nicht, welche Kluft uns noch von dem Eden drunten schied. In der That, etwas Schlimmeres als der Abstieg von unserer Flöhe Hess sich kaum denken. In einer 20* Art jäher Rinne zog sich der Weg abwärts, häufig von breiten, glatten Platten oder tiefem Schlamm liedeckt. Wenn mir aber einmal die Kniee den Dienst versagen wollten, so durfte ich mich nur nach dem Packpferd hinter mir umsehen, um beschämt zu werden. Der. Führer pflegte sich nämlich gar nicht um das Tier zu kümmern. Ohne Zügel und Halfter, ging es seine eigenen Wege. Und mit welcher Geschicklichkeit und Sorgfalt wählte es diese'. Immer wurde erst mit dem Hufe der Stein geprüft, den es überschreiten musste. War die betreffende Stelle einmal zu glatt und steil, so setzte es sich einfach auf die Hinterbeine und Hess sich so hinabgleiten. Endlich lag die böse Sinjawina hinter uns. Wir befanden uns in einem engen Waldthale von wunderbarer Schönheit. Murmelnde Gewässer, saftige Grasplätzchen mit gelben Butterblumen, massige Rotbuchen und langgestreckte Kiefern*), scharfkantige Irelsnadeln und abgescheuerte Blöcke bildeten unsere Umgebung. Wie so enorm verschieden von dem dürren Westen trat uns doch hier der Osten der Crnagora entgegen! Nur eins war sich gleich geblieben, nämlich die Laune des Gewässers, das auch hier an manchen Stellen plötzlich verschwand, um wenig später wieder zum Vorschein zu kommen. Wir ruhten an einem besonders lieblichen Punkte. Glaubten wir doch nunmehr gewonnen zu haben. Drüben hatte man uns ja versichert, vier Stunden seien es bis Kolaschin. Unser Ziel konnte also nicht mehr weit entfernt liegen. Aber der Führer lachte und meinte, wir hätten nun noch vier Stunden zu marschieren. Er hatte in Wirklichkeit so unrecht nicht. Wir brauchten gerade noch sechs Stunden bis Kolaschin. Unser Waldbach leitete uns hinab zum Lipov, einem Neben-fluss der Tara. Die Scenerie gestaltete sich jetzt wieder anders. Weite Wiesenflächen wurden links von den schroffen Zacken und Wänden eingerahmt, mit denen die Sinjawina hier abstürzt. Rechts dagegen erhoben sich hohe Rücken, die zu oberst mit rabenschwarzem Nadelholz bedeckt erschienen, während tiefer unten das Laubholz erst mit vereinzelten, kecken Exemplaren auftrat, bis es endlich als dichter Wald ganz allein noch herrschte. Ich habe *) Pinus halepensis. selten in Gottes herrlicher Natur etwas Schöneres gesehen, als diese Untermischung zweier so ganz verschiedener Vertreter der Wildnis. Die dunklen Kiefern hoben sich von dem leuchtenden Blättermeere der Buchen nicht anders ab, wie schwarze Emaille von glänzendem Goldgrunde. Überhaupt ist das obere Lipovthal die Krone von allem, was Montenegro an Waldscenerie Herrliches bieten kann. Unser Thal wurde rasch breiter und milder. Auch Häuser kamen zum Vorschein, leider nur fast alle noch mit deutlich erkennbaren Spuren von Verheerungen des letzten Krieges. Selbst die Menschen machten in dieser herrlichen Gegend keinen günstigen Eindruck. Sie schienen wenig kultivierter als die Halbwilden an der Somina Planina drüben. Viele von ihnen Hessen bei unserem Anblick Pferde und Pflug im Stiche, um spornstreichs aus grosser Entfernung herbeizueilen und uns ohne weiteres anzuschreien: „Wer seid ihr, was wollt ihr hier," und dergleichen. Rovinski aber war nicht der Mann, der sich das bieten Hess. Er blieb in diesem Pralle immer stehen und sagte mit Nachdruck: „Wie, wisst ihr denn gar nicht, dass man erst grüssen muss, ehe man nach etwas fragt? Was soll dieser Fremdling von euch denken? Geht und schämt euch!" Eine Ausnahme machte ein junges, hübsches Mädchen, das sich unaufgefordert erbot, uns die in dichtem Erlengebüsch versteckte Brücke über den Lipov zu zeigen. Gern folgten wir und balancierten hinter ihr über die beiden knorrigen Stangen, die in einer Distanz von mindestens einem halben Meter neben einander von einem Ufer zum anderen gelegt waren und das ganze Bauwerk ausmachten. Man musste ein Montenegriner sein, um sich, den einen Fuss hier, den andern dort, auf diesen schwanken Hölzern gefahrlos über das breite und tiefe Gewässer zu lotsen. Nachdem wir hierauf noch eine Weile an der tosenden Tara hingezogen waren, hiess es plötzlich: „Kolaschin in Sicht," und alles Leid war vergessen. XL Aus dem Tarathal an die Moratscha und über Rjeka nach Cetinje und Cattaro. Kolaschin. Nächtliche Irrfahrt und Ankunft im Monastir Moratschki. Die „Chartreuse" der „schwarzen Berge". Nachtquartier in einer Sennhütte. Abstieg nach Podgoriza. Über die Berge nach Rjeka direkt. Wieder in der Hauptstadt. Audienz beim Fürsten. In Nacht und Grauen hinab ans Meer. Abschied vom Lande. Kolaschin imponiert dem Wanderer, der von Westen kommt, wenig. Zwar bricht der Fluss oberhalb der Stadt aus engen Gründen, die von hohen, dichtbewaldeten Bergen dominiert werden, und in gleicher Weise verliert er sich auch unterhalb der letzten Häuser bald wieder in eine wahre Schlucht hinein; aber da, wo der Ort selbst seine Stätte gefunden hat, umfliesst die Tara eine geräumige Halbinsel, deren anfangs ebene Fruchtgefilde hinter der Stadt sanft zu höheren, indes noch immer bebauten Erhebungen ansteigen. Auch die Stadt als solche hat, von weitem gesehen, nichts Anziehendes. Die, genau genommen, doch nur kleine Masse der Gebäude zeigt fast durchweg schindelgedeckte Dächer und erinnert an einen der freundlichen, aber interesselosen Flecken, wie sie sich in deutschen Mittelgebirgen finden. Eine tolale Bühnenverwandlung aber tritt ein, wenn man die solide Holzbrücke, die über den seichten, jedoch breiten und rauschenden Gebirgsfluss führt, überschreitet und sich dem Orte nähert. P)ann hat man im Rückblick das mit steilen, vielfach dicht be-buschten Wänden abfallende linke Ufer vor Augen, von dessen hoher Kante mehrere alte türkische Forts herabschauen, während dahinter immer neue und höhere Gipfel aufragen. Auch das Innere der Stadt überrascht. Dieselbe besteht im Wesentlichen aus einem grossen, natürlich ungepflasterten Platz, den niedliche, saubere Häuschen mit offenen Läden, nach Art der türkischen Bazare, umgeben. Waren findet man hier, deren Konsum schon einen höheren Kulturstand der Bewohner des Ortes verrät. Es kann uns dies übrigens kaum Wunder nehmen, denn wir befinden uns zum zweiten Male in einem Thale, das nicht nach der verlotterten Türkei, sondern nach dem lastbaren Donaustrom hinaus sich öffnet. Ist der Weg von dort bis hierher auch weit, der belebende Hauch der Civilisation hat ihn doch zu finden gewusst. Eine besondere Genugthuung aber musste es mir gewähren, dass ich auch in dieser Ansiedlung wieder Erzeugnisse deutschen Gewerbfleisses antraf, und zwar in Gestalt von nichts Geringerem, als Bleistiften von Faber in Nürnberg. In Nikschitsch Seife und Stiefelwichse, hier Schreibmaterialien; welche von beiden Städten steht nun höher da? Die ausländischen Luxusartikel haben indes auch in Kolaschin das uralte montenegrinische Bodenprodukt, die Gastfreundschaft, nicht zu verdrängen vermocht. Wir hatten noch keine zwei Schritte im Orte gethan, so wurden wir auch bereits in ein Haus geladen. Obwohl nämlich die Stadt erst seit dem jüngsten Kriege Montenegro zugehört, so hat die Fürsorge der Regierung doch schon den elektrischen Draht bis hierher geführt. Kein Wunder, dass man von unserer bevorstehenden Ankunft bereits seit langer Zeit unterrichtet war. Ja, es sollte uns sogar eine ausserordentliche Überraschung beschert sein, denn unser Wirt schleppte mit einem Male eine ganze Batterie dickbauchiger Flaschen herzu, die nichts Geringeres enthielten, als Bier. Ja, Bier, Bier, und keine Täuschungl O wie mundete der Trank, wenn man vielleicht auch nach unseren Begriffen manches daran hätte aussetzen können- Hatten wir doch seit Skutari keinen Tropfen des germanischen Lieblingsgebräues mehr auf die Zunge bekommen. Aber wie ist denn das edle Nass hierher gelangt, in diesen entlegenen Erdenwinkel, den furchtbare Bergbarrieren von dem sonst den Handelsverkehr der Crnagora vermittelnden Adriatischen Meere scheiden? Das Rätsel löst sich uns, wenn wir' wieder an die Richtung der Tara denken. Auf dem Naturweg, mittelst dessen dieselbe ihr Wasser hinaus zum herrlichen Donaustrom führt, ist der Gerstensaft hereingeflossen. Von Serbien hat man ihn gebracht. Welch eine Entfernung, die die unscheinbaren Bouteillen zurücklegen mussten! Es giebt also im Lande Montenegro nicht nur eine grosse Wasser-, sondert) so zu sagen auch eine Bierscheide zwischen Adria und Danubius. Unsere Ankunft hatte auch hier das ganze Städtchen auf die Beine gebracht. Der Lehrer wie der Kapitän, der Telegraphist wie der Intendant eilten herbei und in ihrem Gefolge noch mancher Bürgersmann. Alle nahmen es für ausgemacht an, dass wir diesen Tag bei ihnen bleiben würden. Nun, was mich anbetrifft, so hätte ich, zumal ich mich schon ziemlich ermüdet fühlte, in dem gemütlichen Ort gern einen längeren Aufenthalt genommen. Allein ich musste, um die passende Schiffsgelegenheit zu finden, in vier Tagen wieder in Cattaro sein. Das aber war nur in dem Falle möglich, wenn wir noch am nämlichen Abend Kloster Moratscha erreichten. Daher ordnete ich denn, wenn auch mit schwerem Herzen, bereits nach zweistündigem Aufenthalt den Weitermarsch an. F>s kostete mir freilich keine geringe Anstrengung, mit meiner Absicht durchzudringen, denn die guten Kolaschiner wurden nicht müde, mir vorzustellen, dass wir in die Nacht kommen würden und dass dann die Wanderung leicht bedenklich werden könnte. Ich hielt indes alle diese Besorgnisse nur für einen Ausfluss ihres Wunsches, uns bei sich zu halten, und griff sie, um der Sache ein Ende zu machen, zuletzt bei der Ambition an, indem ich sagte, ich hätte nicht geglaubt, dass Montenegriner sich so vor einem dreistündigen Marsch in der Dämmerung fürchten könnten. Natürlich war nun alle Diskussion abgeschnitten, doch drangen die freundlichen Leute in uns, wenigstens Pferde mitzunehmen, um schneller fortzukommen. Darauf gingen wir denn auch ein und stiegen gegen 5 Uhr in den Sattel. Ein ganzer Schwann guter Freunde, alle gleichfalls hoch zu Ross, gab uns bis an den Fluss das Geleite. Ehe wir denselben überschritten, sassen wir insgesamt noch einmal ab, denn eine mitleidige Seele hatte ein Fässchen Wein mit herausgeführt, das zum Abschied geleert werden sollte. Bei dieser Gelegenheit hielten die fürsorglichen Leute noch einmal Kriegsrat und das Resultat war, dass zwei der Bestberittenen bestimmt wurden, uns ans Ziel zu geleiten. Zum ersten Male ging mir da eine Ahnung auf, dass unser Unternehmen doch ein recht ernstes sein könnte. Indes hoffte ich noch immer, wir würden das schützende Asyl vor Eintritt völliger Dunkelheit erreichen. Unser Weg hatte uns in südwestlicher Richtung aus der Stadt geführt. Da die Brücke über die Tara auf der entgegengesetzten Seite und ziemlich weit entfernt lag, so mussten wir jetzt den Fluss durchreiten. Das war um deswillen keine schwere Aufgabe, weil derselbe an dieser Stelle von erlenbewachsenen Sandbänken in mehrere seichte Arme zerteilt wurde. So gelangten wir denn, während die zurückgebliebenen Freunde Salve auf Salve aus ihren Revolvern entsandten, glücklich ans andere Ufer. Von da zog sich der recht gute Pfad in das Thal eines von Westen kommenden Nebenflüsschens, der Bistriza, hinein. Überraschend war die Scenerie, die uns hier umgab. Der rauhere Gebirgscharakter, der der Umgebung des noch cpo Meter hoch gelegenen Kolaschin anhaftet, hatte sich mit einem Male verloren. Eine fast südlich üppige Natur präsentierte sich uns. Die mannigfaltigsten Sträücher und Büsche wucherten derartig auf allen Seiten, dass die enge Spalte von einem förmlichen Laubdache überwölbt wurde, durch welches kaum die letzten Strahlen der untergehenden Sonne zu brechen vermochten. Es war ein wonniges Reiten in diesem urweltlichen Paradies, wie es ähnlich das ganze Land kaum wieder aufzuweisen hat. Unsere kleine Expedition legte darum denn auch die rosigste Stimmung an den Tag. Die munteren Crnagorsen begannen sogar die Nationalhymne zu singen und ich fiel, so gut dies ging, mit ein. Die markige Weise des schwungvollen Liedes zog mächtig dahin durch den lauschigen Wald, aus welchem hier und da noch ein spätes Vöglein respon-dierte. Leider nur hatte das unvergleichliche Thälchen bald ein Paule und nun ging es auf allmählich schlechter werdendem Wege längere Zeit auf und ab, bis wir, vielleicht nach lJ/2 Stunden, eine Art Pass erreichten. Ich war im hellen Übermut ein wenig vorausgesprengt. So genoss ich denn auch zuerst und ganz allein das unvergessliche Schauspiel, das sich völlig unerwartet auf dieser Höhe bot. Über eine schräg geneigte Lehne schaute ich hinab in ein tiefes Thal, dass gerade unter mir in einem rechten Winkel nach Norden umbog, um sich dort in das Herz schneebedeckter Hochgebirge hinein zu verlieren, während es gegen Westen endlos sich hinzog, rechts und links von bald sanfteren, waldtragenden, bald wilderen, nackten Höhen eingeschlossen. Jenseits dieses tiefen Einschnittes ein Meer vielgestaltiger Berge, von denen einer immer hinter dem anderen auftauchte, bis in duftiger Ferne kaum noch schwache Konturen zu unterscheiden waren. Und in dieser ungeheuren Welt kein Laut, keinerlei Zeichen von Leben. Alles still, voll süssen Abendfriedens. Wie heimelte mich dies Bild an, und doch kam es mir im Augenblick darnach auch wieder so fremd, so unheimlich vor, dass mich fast ein Schauer überlief. Das war so recht ein Standpunkt, \im die Eigenart der „schwarzen Berge" zu erfassen. Der laute Hufschlag eines galoppierenden Pferdes weckte mich aus meinen Träumen. Einer unserer freiwilligen Geleitsmänner, ein prächtiger junger Mann von geschmeidigen Gliedern und allzeit munterem Sinn, war mir nachgeeilt. Auf der Höhe angekommen, stieg er gleichfalls ab und nahm neben mir am Boden Platz. Und so. sassen wir denn nun beide da auf der wunderbaren Aussichtswarte, das Herz so voll und doch, Dank der leidigen Sprachverschiedenheit, der Mund stumm. Wir schlugen einander nur immer auf die Kniee und lachten uns verlegen ins Gesicht, fatale Situation! So weilten wir lange, beide entzückt von dem Panorama vor uns, das stets neue Reize gewann. Denn während die Sonne anfangs noch das ganze unermess-liche Terrain mit ihrem goldenen .Scheine übergössen hatte, sammelte sie auf ihrem immer beschleunigteren Rückzüge ihre zerstreuten Strahlen mehr und mehr und nun hielt die Dämmerung ihren Einzug, erst im tiefen Thale drunten, dann fielen lange Schatten auch auf die Hänge, bis endlich selbst die eisigen Hochgipfel die rotgüldene Krone hingeben mussten, die ihnen ein flüchtiger Augenblick aufs hehre Haupt gedrückt hatte. Als der Tross nachgekommen war, begannen wir von unserer flöhe, die wieder eine Wasserscheide zwischen Adria und Schwarzem Meere darstellte, hinabzusteigen. Dies ging anfangs recht gut, da der Weg leidlich war und immer noch ziemliche Helligkeit herrschte. Als wir nach einiger Zeit an eine einsame Häusergruppe kamen, ordneten unsere Begleiter einen Mann ab, der die Ankunft der Kavalkade im Kloster drunten anmelden sollte, damit wir nicht etwa in später Nacht an verschlossene Thüren gelangten. Es war vorauszusehen , dass dieser Bote in seinen Opanken das Ziel um vieles früher als wir erreichen würde. Von hier ab wurde unsere Lage leider sehr bald eine höchst kritische. Es war rasch ganz finster geworden. Kein Sternlein glänzte an dem wolkenverhangenen Himmel. Der Pfad aber zeigte sich wieder von der alten steinigen Art montenegrinischer Wege- Ja, bald stellte es sich heraus, dass wir ihn ganz verloren hatten. Aufs Geratewohl mussten wir nun vorwärts zu dringen suchen, und welche Hindernisse, die sich uns dabei ununterbrochen entgegenstellten! Hier kämpften wir uns Bahn durch dichte, stachelige Büsche, dort galt's, auf steil geneigten Platten abwärts zu rutschen. Jetzt stiegen wir auf nachgebendem Geröll in eine tiefe Schlucht nieder, um, mit heiler Haut drunten angekommen, sofort auf dem jenseitigen Rande über scharfkantige Preisen uns wieder empor zu arbeiten. Mehrmals mussten wir selbst Gewässer passieren, die zwar seicht waren, aber nicht selten im tiefen, schwer zugänglichen Bette dahinflössen. Natürlich erschienen unsere Pferde unter solchen Verhäftnissen ziemlich wertlos. Hatten wir uns an einer etwas günstigeren Stelle wirklich wieder einmal auf ihren Rücken gewagt, so mussten wir schon in der nächsten Minute abermals herunterklettern. Ja, oft genug fielen uns die wackeren Tiere sogar recht zur Last. An heiklen Punkten weigerten sie sich zu folgen oder glitten aus und drohten, die Reiter, die sie am Zügel hielten, mit sich in gähnende Tiefen zu reissen. Natürlich rückten wir auf diese Weise nur äusserst langsam vorwärts und ich bereute es bald genug bitter, dass ich diese Par-forcetour erzwungen hatte. Wenn nur ein Haus in der Nähe zu entdecken gewesen wäre, mochte es sein, wie es wollte, ich hätte meine Begleiter genötigt, mit mir dort den hellen Tag abzuwarten. Aber die Lichter, die vereinzelt zwar, aber unausgesetzt aus dem Phale drunten wie uns zum Hohne herattfglänzten, waren nach Ro-vinskis Versicherung noch stundenweit entfernt, obwohl es stets den Anschein hatte, als könnten wir sie in wenigen Minuten erreichen. Wie es in solchen Lagen oft zu gehen pflegt, so bemächtigte sich meiner, mit veranlasst durch grosse Müdigkeit, allmählich eine dumpfe Resignation. Mechanisch folgte ich meinem Vordermann. Ja, sobald ich nur einmal wieder eine Minute im Sattel sass, nahte lrrir der heimtückische Schlaf, der sonst doch so manchmal uns flieht, ^enn wir ihn suchen. Zum Glücke Hessen mir meine montenegrinischen Begleiter keine Ruhe. Sie, die sich anfangs dem problematischen Ritte widersetzt hatten, bewahrten jetzt, wo sich die Sache nicht mehr ändern liess, einen stoischen Gleichmut, der sogar häufig Ln ausgelassenste Fröhlichkeit überging. Diese Leute kennen ja weder Ermüdung, noch Furcht vor Gefahren. Haid rief der eine, bald der andere mich an: „Gospodin Doktor, kako ste (Herr Doktor, wie geht's)?" Mit erzwungener Seelenruhe antwortete ich dann jedesmal, wie es die cmagorische Sitte vorschreibt: „Dobro fala, kako vi (Danke, gut, wie Euch)?" Ausserdem stimmten sie häufig lustige Lieder an oder riefen mit ihren urkräftigen Lungen: „Zivio. Zivio", dass es weithin durch die Stille der Nacht hallte und das Echo von der jenseitigen Thalwand wiederklang. Nach langen Stunden, die mir wie eine Ewigkeit deuchten, sollte die Rettung sich nahen. Wir hatten wieder einmal zu Pferd steigen können und ein traumartiger Zustand, intensiver als je zuvor, war von neuem über mich gekommen, als es plötzlich dicht neben mir grell aufblitzte und unmittelbar darnach ein fürchterlicher Krach die Luft erschütterte. Mein Pferd machte einen Seitensprung, dass ich fast aus dem Sattel geschleudert wurde, ich war auf einmal ganz nüchtern geworden und wollte schon an Räuber denken, als es bald auch im Thale unten donnerte und gleich darauf eine leuchtende Flammengarbe aus der Tiefe autstieg. Nun erklärte sich die auffällige Begebenheit. Meine Montenegriner hatten alle mit einem Male ihre Gewehre abgefeuert, um den Leuten im Kloster ein Zeichen zu geben und sie zu veranlassen, uns durch Feuersignale die Richtung anzudeuten. Noch einmal, aber zum letzten Male, mussten wir steil abwärts steigen, dann rauschte die Moratscha vor unseren Füssen. Indes, meine Kraft war nun auch erschöpft. Ich wäre vom Pferde gesunken, wenn mich nicht meine aufmerksamen Geleitsmänner aufgefangen hätten. Sie fassten mich rechts und links mit ihren starken Armen und so, mehr getragen, als durch eigene Kraft fortbewegt, gelangte ich nach einem kurzen Anstieg in den Klosterhof, die Treppe hinauf und in ein hellerleuchtetes Gemach. Aber ich achtete nicht der aufgetragenen Gerichte und der lockenden Flaschen, die einen sauber gedeckten Tisch einnahmen, ich sank auf ein Sopha und verfiel sofort in den festesten Schlaf, aus dem ich nur halb erwachte, als man mich über einen langen Gang 1,1 ein Zimmer führte und dort in ein weiches Bette legte. Wir waren aber auch von früh 4 Uhr ab bis l 1 Uhr in der Nacht unterwegs gewesen. Als ich am anderen Morgen die Augen aufschlug, fiel bereits Hof des Moratscha-Klosters. hellster Sonnenschein ins Gemach, wiewohl es mir war, als ob ich nur fünf Minuten gelegen hätte. Ich trat ans Fenster, welch ein herzerhebendes Bild, das meine Augen erblickten! Ich sah hinab in einen schmalen, aber ziemlich langen, von einer festen, mit Schiessscharten versehenen Mauer umschlossenen Hof, den das schlichte, jedoch sauber weiss getünchte, einstöckige, mit Schieferplatten gedeckte Gebäude, in dem ich mich befand, im Halbkreis einschloss. Ein vorspringender Erker dieses Hauses trug zwei Glocken. Ein frischer Quell sprudelte mitten aus der Mauer. Dem Klostergebäude gegenüber erhob sich die in einfachen, edlen Verhältnissen aufgeführte Klosterkirche, das einzige wirklich stilvolle und ansehnlichere Gotteshaus im ganzen Lande. Auf seiner mir zugekehrten Giebelwand prangte ein grosses Freskogemälde, welches den Kampf des heiligen Georg mit dem greulichen Drachen darstellte. Flinter dem hochragenden Gebäude kamen überall die vielgestaltigen und mit reichstem Buschwalde besetzten Uferberge zum Vorschein. Auf ihren teilweise beschneiten Gipfeln glänzte schon die Morgensonne, während hier unten im tiefen Thale noch die Schatten der Nacht lagen und eine erquickende Frische sich bemerklich machte. Auch war noch alles von heiliger Stille erfüllt. Erst nach einiger Zeit begann das Klosterglöcklein zu läuten und sein heller Ruf verhallte nicht ungehört, denn bald knarrte die Hofthüre und herein schritten montenegrinische Weiber in ihrem dunklen, nonnenhaften Anzüge, drückten ihre Lippen ehrfurchtsvoll auf die Kirchenpforte und verschwanden dann im Innern des heiligen Hauses. Später erschien auch der Archimandrit, der dem Kloster vorsteht, eine hohe Gestalt mit einem Antlitz, das von Milde und F>nst zugleich redete. Sein Gewand war ein langer, schwarzer Talar mit weiten Ärmeln, das Haupt hingegen zierte die nationale Kappe. Der freundliche Gottesmann hatte mich kaum erblickt, als er die Treppe heraufeilte, um mich zu begrüssen. Ich musste ihm sodann nach dem Wohnzimmer folgen, wo er mich für die gestern ertragenen Mühseligkeiten mit den ausgesuchtesten Gerichten zu laben beflissen war. Ich erwähne von diesen letzteren nur die im trefflich gehaltenen Klostergarten von den Mönchen, deren die Einsiedelei im Ganzen nur zwei beherbergt, selbst gezogenen und dann ausgekernten und getrockneten Pflaumen, die man zu dem Schafschinken zu verzehren pflegt, mit dem wir auch hier regaliert wurden. Während ich wacker kaute, erzählte mir unser liebenswürdiger Gastgeber mit grossem Vergnügen, dass schon in aller Frühe eine Anzahl Kranker aus der näheren und weiteren. Umgegend herbeigekommen wären, um sich von dem „Doktor", dessen Ankunft ihnen kund geworden war, heilen zu lassen. Ach, wer doch da die Hände hätte auflegen und gesund machen können! Natürlich musste ich die Kirche sehen, die allerdings einen Besuch auch in hohem Grade verdient. Sie wurde, der Sage nach, bereits im Jahre 1220 im romanischen Stile errichtet. Über der Kreuzung von Quer- und Langschiff erhebt sich ein turmartiger Aufbau von cylindrischer Form mit einem kegelähnlichen Dache, auf dessen Spitze ein zierliches, vergoldetes Kreuz glänzt. Das Innere ist durchaus, selbst bis in jene Art Kuppel hinauf, mit Freskomalereien bedeckt, denen Gegenstände aus der heiligen Geschichte zu Grunde liegen. Nur auf einem der abgeteilten Felder wird auch ein profanes Motiv, nämlich die Erbauung der Kirche selbst, behandelt. Man sieht da beispielsweise, originell genug, die Maurer auf den Gerüsten und die Schieferdecker auf dem Dache hantieren. Rechts neben dem Eingang steht ein marmorner Sarkophag, der die Gebeine Stephans des Heiligen, eines der grössten unter den altserbischen Czaren, einschliesst. Vor dem Altare hängt an einem dünnen, kaum erkennbaren Faden ein riesengrosses Crucifix aus Holz, einem Damoklesschwert gleich, von der hohen Decke nieder. Der Altar selbst umschliesst recht schöne heilige Gefässe und Kleinodien, darunter ein Crucifix aus getriebenem Silber mit eingelegter Miniaturholzschnitzerei. Interessanter noch, als dieses Gotteshaus, ist für den Archäologen eine kleine, ganz einfache Kapelle in einer Ecke des Klosterhofes. Auch ihre Wände sind mit Schildereien, jedoch viel höheren Alters, bedeckt. Die Zeichnung erinnert auffallend an die steife, kindliche Manier der ältesten deutschen Schule. Das Objekt bilden hier zunächst eine Anzahl Bischöfe, deren lebensgrosse Portrait^ auffallender Weise vielfach der Augen entbehren. Die Türken kratzten bei ihren wiederholten gewaltthätigen Besuchen in der friedlichen Klausnerei dieselben mit ihren Schwertern aus. Glück- licherweise haben sie den beiden hochinteressanten Gebäuden sonst keinen Schaden weiter gethan, was von den Montenegrinern für ein Wunder gehalten wird. Auch das Leben des heiligen Nikolaus, dem beide Kirchen gewidmet sind, findet sich in einer ganzen Serie von Bildern behandelt. Namentlich originell ist das Tableau, welches den Kaiser Constantin im Bette liegend darstellt, über ihm schwebend ein Engel, der ihn. von dem Vorhaben, den Heiligen hinrichten zu lassen, abmahnt. — Leider war auch in dieser anmutigsten aller Einsiedeleien unseres Bleibens nicht.. In aufrichtiger Rührung nahmen wir von den freundlichen Mönchen Abschied, die uns in ihrer wahrhaft väterlichen Fürsorge für Unsere Sicherheit noch einen Soldaten mit geladenem Gewehr mitgaben, nicht etwa zur Verteidigung gegen Menschen, die ja eben nirgends im Lande zu fürchten sind, sondern gegen bösartige Vierfüssler, die in den höheren Regionen, die wir zu durchziehen gedachten, noch in grösserer Anzahl vorhanden sein sollten. Dieser unser militärischer Begleiter war übrigens äusserst kriegslustig gesinnt, führte eine ganze Anzahl Patronen, die in einem Gürtel um den Leib wie Orgelpfeifen neben einander steckten, bei sich und versprach mir allen Ernstes, mindestens einen Bären zu schiessen. Ich will gleich hier verraten, dass wir nicht einmal einen solchen zu sehen Gelegenheit hatten, was wohl auch für uns das* beste war. Trotzdem kam uns unsere Eskorte wohl zu statten, denn der Mann zeigte sich stets zu unserem Dienst bereit und hielt mich an schwierigeren Stellen, selbst während ich zu Pferde sass, am Arme fest. Wenige Schritte westlich vom Kloster gönnten wir uns erst noch den herrlichen Blick, den man dort auf dasselbe geniesst. In der That dürften wenige derartige Ansiedelungen, so glücklich sie auch zumeist in der Wahl ihres Platzes waren, eine solche Lage aufzuweisen haben, wie Monastir Moratschki, die Perle der Crnagora. Die heiligen Gebäude thronen auf einer kleinen, ebenen Terrasse des linken Pdussufers, welche im Rücken die mächtige, mit Buschwerk und Felszacken gezierte Thalwand hat, nach vorn aber 50—60 Meter tief senkrecht zu dem rauschenden Gewässer drunten abfällt, das an dieser Stelle gerade von einer malerischen Brücke überspannt wird. Ein dichtes Gewirr üppiger Sträucher umgiebt wie eine Giürlande den obersten Rand dieses Absturzes. Aus dem überhängenden Blätterdickicht schiessen zwei ansehnliche Bäche heraus, um als prächtige Wasserfälle zur Moratscha nieder-zuwallen. Dazu ringsum eine wahre Mustersammlung von Bergen, hohen und niedrigen, wild aufragenden und sanft gewölbten, in weisse Wintergewänder gekleideten und im saftig grünen Frühjahrshabite prangenden. Nur mit Mühe vermochten wir uns von dem berückenden Gemälde zu trennen. Doch wir hatten noch einen langen und beschwerlichen Weg vor uns. Die Moratscha war ja nicht, wie die Ceta, so gütig, uns neben ihrem Bette hin einen Weg zu gestatten. Sie nimmt zumeist den ganzen Platz im engen Thale in Anspruch und wirft sich bald rechts, bald links den alten steinigen Riesen an die Brust, die längs ihrer Ufer aufmarschiert stehen. Daher sieht sich der Wanderer, der den unhöflichen Wildläng auf seiner Reise begleiten will, stetig genötigt, auf- und abzusteigen und zeitraubende Umwege zu machen. So mussten wir gleich zu Anfang unserer Weiterreise, statt in der Richtung des Flusses westlich zu gehen, direkt südlich uns wenden und vorerst wieder die äusserst steile Thallehne hinanklimmen, die dem Kloster gegenüberliegt und auf der wir bereits gestern die grausige Niederfahrt bewerkstelligt hatten. Es war schon ziemlich heiss geworden und wir litten nicht wenig vom Durst. Aber wenn wir einmal, Atem zti schöpfen, stehen blieben, so wurden wir für alle Mühe entschädigt. Im Rückblick zeigte sich uns noch lange, jedoch in immer grösserer Tiefe, das friedliche Kloster, das sich an die hohen Rücken jenseits anschmiegte, wie ein zärtliches Kindlein an den starken Vater. Als wir endlich die höchste Höhe unseres Uferrandes erreicht hatten, lief der Weg, jetzt in genau westlicher Richtung, auf dem breiten Grate für mehrere Stunden ziemlich eben fort. Dabei war er auch sonst von angenehmster Beschaffenheit. I?ür die Reise eines Fürsten hatte man vor Zeiten hier oben eine förmliche Wandelbahn angelegt, und die Natur war dann dem Beginnen der Menschenhand beigetreten und hatte ihre reichsten Schätze aufgethan, um auf dieser Höhe eine Promenade zu schaffen, wie sie im ganzen Lande einzig dasteht. Rechts und links junge Eichen; so hoch aber dieselben sich auch emporgeschossen zeigten, es war ihnen Moratschathal mit dem Kloster, aus der Vogelperspective. doch noch so viel Kraft geblieben, um gleich unten von der Wurzel an das üppigste Ast- und Blattwerk zu entwickeln. Natürlich gefiel sich auch die Tierwelt in dieser köstlichen Wildnis. Winzige Eidechsen spielten Versteckens in dem Dickicht, kleine und grosse Blindschleichen ringelten sich unter dem Laubdache zusammen, Käfer mit blau schillernden Flügeldecken hockten unter den schützenden Zweigen. Wo aber in dem frischgrünen Walde einmal eine Lücke sich zeigte, da sahen wir rechts wie links in das stille Moratschathal hinab, denn der Fluss umkreiste diesen hohen, weit vorspringenden Rücken in einem mächtigen Bogen. Als wir später wieder abwärts stiegen, trat an die Stelle der Fachen der Nussbaum, der in Tausenden von Exemplaren das Gewässer begleitet. Er ist für das schon etwas kältere Moratschathal so charakteristisch, wie die Feige für den gluterfüllten Einschnitt der Ceta. Häufig rankt sich an den mächtigen Stämmen auch noch ver-wildeter Wein empor und es giebt Stellen, wo im Sommer die reifen Trauben bis zum Wasserspiegel niederhängen, um, da sie niemand pflückt, schliesslich den immer hungrigen Forellen zur Beute anheimzufallen. An der Moratscha endlich wieder angekommen, sahen wir uns durch die fernere Beschaffenheit des linken Ufers genötigt, auf die rechte Seite zurückzugehen. Dazu bot sich uns hier eine Brücke eigener Art. Dieselbe war nämljch aus Korbgeflecht hergestellt und hing wie ein Spinnengewebe über dem unten mit bedeutender Wassermasse zwischen Felsen schäumenden Flusse. Nur nach langen Bemühungen glückte es uns, die furchtsamen Rosse zum Gang über das schwankende Bauwerk zu bewegen. Während wir hierauf eine Zeit lang an dem Gewässer hinschritten, hatten wir Gelegenheit, Troglodytenwohnungeu origineller Art zu beobachten. In den harten Schottermassen, die hier die Uferwände bilden, finden sich zahlreiche und ausgedehnte Höhlen, Die Thalbewohner nun schliessen den Eingang derselben mittelst eines Verschlages von Stangen und Brettern ab und lassen in den so improvisierten Ställen ihr Vieh überwintern. Man behauptet, dass dasselbe sich da drinnen der angenehmsten Wärme erfreue. In dieser Gegend war es auch, wo wir, das einzige Mal auf unserer ganzen montenegrinischen Tour, angebettelt wurden. Es Schwarz, Montenegro. ■* geschah dies seitens eines zerlumpten Weibes von ganz verwildertem Aussehen. Sie war wahnsinnig, wie unser Begleiter uns versicherte. Denn im normalen Zustande verschmäht auch der ärmste Crnagorse das Almosen. Weiterhin zog ein gewaltiges Getöse unsere Aufmerksamkeit auf sich. Wir sollten die Ursache desselben bald kennen lernen. Unser Weg führte uns an eine Stelle, wo die dort mehrere Hundert Meter hohe rechte Uferwaud wie durch den Schwertstreich eines Titanen gespalten ist. Aus dem so entstandenen engen, wilden Schlund bricht ein tosendes Gebirgswasser hervor, um sich in die stille Moratscha zu ergiessen. Es ist die Mertwiza, der bedeutendste, ja fast einzige Nebenfluss, den jene aufzuweisen hat. Dieselbe kommt aus den ödesten und unbewohntesten Gebieten von Centrai-Montenegro, dem Hochplateau zwischen Ceta und Moratscha. Glücklicherweise brauchten wir die ungestüme Ache nicht zu durchreiten. Der treffliche, seiner Zeit unter Mörderhänden gefallene Fürst Danilo hat seiner Mutter zti Ehren eine solide Steinbrücke erbauen lassen, die uns an das jenseitige Ufer führte. Von da ab hatten wir nur noch kurze Zeit das Vergnügen, auf weichem Rasen an der Moratscha hingehen zti können, welche hier ausnahmsweise einmal einer ganzen Anzahl kleiner, von Gärten und blühenden Kirschbäumen umgebenen Bauernhäuschen Raum verstattet. Dann beginnt das Steigen von Neuem, da das Thal sehr bald wieder in seine Neigung zur Schlundbildung zurückfällt. Stundenlang klimmen wir aufwärts. Immer neue Rücken türmen sich vor uns auf, wenn wir auch einmal wähnen, nun die oberste Erhebung erreicht zu haben. Indes konnten wir doch bald wahrnehmen, dass wir schon gar hoch emporgekommen seien. Denn wenn wir uns einmal umwandten, so beherrschte unser Auge ein schier endloses Meer von Gipfeln und Rücken, zwischen denen sich in zahllosen Krümmungen die Moratscha so tief drunten hindurchwand, dass wir ihr Thal kaum noch herausfinden konnten. Aber auch die Details um uns her waren interessant. Wiederholt traten wir ganz unvermittelt aus den uns umgebenden Stein-massen auf eine Terrasse, die in Form einer flachen Mulde saftige Wiesen oder humusreiche Fruchtfelder umschloss. Hirten, be- ziehentlich Ackersleute trieben daselbst ihr Wesen. Damit aber die kleinen Oasen den Blicken der profanen Welt verborgen blieben, zeigten sie sich meist mit einem dichten Kranze von Eichen- und Buchengebüsch umgeben, aus dessen Blätterfülle zahllose Nachtigallen die im Anzug begriffene Abendkühle mit süssem Gesänge be-grüssten. Nirgends im ganzen Lande sind diese gefiederten Virtuosen so zu Hause als im Moratschathale. Als wir einmal, das vielstimmige Vogelconcert zu gemessen, uns auf dem Boden niederlassen wollten, rissen sofort mehrere montenegrinische Reiter, die unterwegs zu uns gestossen waren, die Schafvliesse, welche sie als Sättel benützten, von ihren Rossen, um sie uns unterzulegen; so aufmerksam sind diese einfachen Leute. Noch wertvoller wurde die zufällige Begegnung für uns dadurch, dass wir Erkundigungen über etwaiges Nachtquartier, wegen dessen wir in nicht geringer Sorge schwebten, einzuziehen vermochten. Die Männer rieten uns, noch einige Zeit anzusteigen, dann würden wir auf Sennhütten stossen. Wir folgten diesem Winke und von neuem ging's endlos aufwärts, als wollten wir noch heute bis zu den Sternen gelangen, deren erste Vertreter bereits am dunkelnden Abendhimmel sichtbar wurden. Über allen Wipfeln war Ruh', die Vöglein schwiegen im Walde, ja, wenn wir nur hätten mit dem Dichter hinzufügen dürfen: „warte nur, balde ruhest du auch!" Aber nirgends war eine Spur von Leben zu entdecken. Es wurde uns in der grossen Einsamkeit des Hochgebirges recht beklommen zu Mute. Da plötzlich, als wir wieder einmal inmitten eines Gehölzes emporstiegen, schlugen helle Stimmen an unser Ohr. Wir drangen durch das Gebüsch in der Richtung jener Laute, tind siehe, vor uns lag mitten in den wilden Kelsen eine der Einsenkungen, die für das Karstterrain so charakteristisch sind. Ein bis zu den Hüften ganz nackter Mann war hier unter fürchterlichem Schreien und Lärmen beschäftigt, mit den trägen Stieren das engumgrenzte Stück Kulturboden zu lockern. Am Rande des Feldes aber stand eine Hütte, zwar nur ganz roh aus Brettern und Reisern erbaut, aber aus dem niedrigen Dache drang einladender Rauch hervor. Wir traten näher. Mehrere Frauen, gefolgt von kleinen, völlig unbekleideten Kindern, kamen zum Vorschein, um uns freundlich zu 21* begrüssen. Bald erschien auch eine männliche Gestalt, der wir unsere Bitte um Obdach vortrugen. Der biedere Hirte war anfangs ganz bestürzt und antwortete immer nur: „o, wie können solche Herren in einer so elenden Hütte bleiben!" Aber als wir ihm wiederholt versichert hatten, dieselbe genüge unseren Ansprüchen vollständig, erklärte sich der Mann mit tausend Freuden bereit, uns zu beherbergen. Wir nahmen natürlich unser „Hotel" vorläufig einmal in Augenschein. Tief gebückt krochen wir durch das Loch, das die Stelle der Thüre vertrat. Aber o weh, drinnen herrschte ein solcher beissender Rauch, dass wir sofort wieder ins Freie flüchteten, entschlossen, hier wenigstens so lange zu bleiben, als es möglich war. Auf einem grossen Steine nahmen wir Platz und Hessen Augen und Gedanken ins Weite schweifen. Wir waren noch immer dicht an der Moratscha, aber gewiss wohl looo Meter über ihrer Thalsohle, zu der wir gar nicht hinabzublicken vermochten. F>s sah vielmehr täuschend so aus, als ob wir mit wenigen Schritten die jenseits aufragenden, ungeheuren Felsmassen erreichen könnten. Während wir noch so sassen, drangen wiederholt eigentümliche, langgezogene, wie aus den Lüften herabkommende Töne an unser Ohr. Rovinski wusste die auffallende Erscheinung zu erklären. Er sagte mir, dass in dieser Weise die Hirten mit an den Mund gelegten Pländen sich zu unterhalten und in einer Minute eine Verbindung der beiden Uferrücken herzustellen pflegten, die der Fuss in Folge der Terrainschwierigkeiten oft kaum in einem Tage zu bewerkstelligen verstünde. Nebenbei hat man diese merkwürdige Fertigkeit der Bergbewohner auch gelegentlich schon officiell ausgebeutet und wichtige Nachrichten in kürzester Zeit über Fait-fernungen hin befördert, welche Eilboten nur in längerem Marsche würden haben bewältigen können. Den FVemdling aber wird dieses Rufen von Berg zu Berg hin durch die Abendstille leicht melancholisch stimmen. Zu unserem Verdrusse erkannten wir übrigens auch an einigen aus dem Chaos von Bergen, das man hier vor sich hat, leicht herauszufindenden Gipfeln, dass wir nach einem angestrengten Tagesmarsch in Luftlinie noch kaum zwei bis drei Stunden vom Kloster entfernt seien. Man kann darnach ermessen, was für Um-und Abwege wir zu machen gehabt hatten. Wir waren allmählich beide in tiefes Sinnen versunken, als das Gebahren des Hirten plötzlich meine Aufmerksamkeit erregte. Er schwang sich nämlich jetzt behend über einen dicht neben uns befindlichen Pferch, in welchem sich eine Masse munterer Zicklein, meist in braunem Röckchen, tummelten. Erschreckt sprangen die zierlichen Tiere zur Seite. Ehe aber ich oder Rovinski imstande waren, den Mann von seinem Vorhaben, das wir zu ahnen anfingen, zurückzuhalten, hatte'er schon eins derselben erfasst und ihm mittelst eines haarscharfen Messers blitzschnell die Kehle durchgeschnitten, dass das arme Geschöpf blutend und sterbend zu Roden fiel. Fast eben so rasch war ihm dann auch sein zottiges Gewand abgestreift und das Fleisch in Stücke zerteilt, die unverzüglich in den wallenden Kessel wanderten. Nur Lunge, Leber und Milz wurden anders präpariert, nämlich mit Salz bestreut und mehrfach zerlegt, dann an einen Stock gespiesst und direkt über den Flammen geröstet. Als alles zum Mahle bereit war, lud uns der opferbereite Gastgeber ein, in die Hütte zu treten und es uns schmecken zu lassen. Natürlich kosteten wir ein wenig, um dem guten Mann den Gefallen zu thun, dann aber überliessen wir das Ganze der Familie, die, noch verstärkt durch einige Gäste aus benachbarten Sennereien, die seltenen Gerichte, die sie entschieden nur unserer Ankunft verdankte, in kürzester Zeit und mit unglaublichem Appetit bis auf die nackten Knochen verzehrte. Diese letzteren wurden schliesslich den grossen, bissigen Hunden vorgeworfen, die das Amt hatten, draussen vor der verrammelten Hüttenthüre die ganze Nacht hindurch zu wachen und hungrige Wölfe oder Bären fernzuhalten. Nachdem alles gesättigt war, plauderten wir noch eine Zeit lang mit den guten Menschen. Sie gestanden uns hierbei, dass das öde Terrain hier oben nicht mehr imstande sei, sie zu ernähren und dass sie sich darum entschlossen hätten, in die Gegend von Kolaschin auszuwandern, wo sie hofften, infolge des letzten Krieges herrenlos gewordenes Land zu finden. Während wir noch so sprachen, kniete unvermutet einer der stämmigen Natursöhne neben mir nieder und fing an, mit solcher Kraft an meinen Beinen zu zerren, dass ich fürchtete, er werde mich in Stücke reissen. Lrst nach und nach sah ich ein, dass der Bursche mir die Stiefel ausziehen wollte, damit ich es mir bequem mache. Sein guter Wille war aber entschieden grösser als seine angeborene Befähigung zum Hausknecht. Nach einiger Zeit wickelten sich sämtliche Bewohner der luftigen Wohnung in ihre Decken und bald schon verkündeten ihre regelmässigen Atemzüge, dass sie in den festesten Schlummer verfallen seien. Die letzten aufflammenden Kohlen vom Kessel-feuer aber warfen matte Streiflichter auf die vermummten Gestalten. Als wir bei Tagesgrauen zum Abmarsch bereit waren, versuchten wir vergeblich, dem Herrn des Hauses eine Entschädigung für alle gehabte Mühe in die Hand zu drücken. „Wir sind arm," sagte er, „aber unsere Freunde bewirten wir nicht für Geld. Euer Besuch war eine Ehre und FYeude für uns!" Wir konnten uns schliesslich nur so abfinden, dass wir den zahlreichen Kindern einige Münze schenkten, obwohl der Hirt selbst das nicht geschehen lassen wollte. Mit welch aufrichtigem Herzen erfüllten doch diese blutarmen, ungebildeten Menschen das schöne Bibelwort: „Seid gastfrei ohne Murmeln!" Unser Weg war an diesem Tage leichter als zuvor. Wir hatten lediglich noch eine kurze Zeit zu steigen, dann betraten wir eine prachtvolle Alpenwiese, die nahezu den Gipfel des gesamten Uferrückens darstellte. Nur zu unserer Rechten stiegen wilde Klippen auf, die wohl noch 2—300 Meter höher sein mochten. Dunkler Urwald schaute von ihrer Zinne nieder. Ursprünglich hatten wir über diese Höhen unseren Weg nehmen wollen. Aber von dem Hirten war uns dies widerraten worden, da dort zu viel Gefahr von wilden Tieren drohte. Seinen genauen Angaben nachgehend, schlugen wir einen Pfad ein, der, ohne die Hochplateaus da droben, die die Scheidegebirge zwischen Ceta und Moratscha bilden und zu den unbewohntesten Teilen des ganzen Landes gehören, selbst zu berühren, gleichwohl dicht unter ihnen stetig am hohen Gehänge über der Moratscha hinführt. Als wir am Ende jener Wiese eine Art Joch erreicht hatten, begann unser Weg abwärts zu steigen. War das für unsere müden Glieder in mancher Beziehung eine Wohlthat, so trat damit in einer Hinsicht auch eine keineswegs erfreuliche Bühnenveränderung ein. Die üppige Vegetation, die uns von unserem Eintritt in das Cetathal an fast ausnahmslos durch den gesamten Norden und Osten des Landes begleitet hatte, blieb nun wieder hinter uns zurück, wir waren von neuem in das westliche, steinige Montenegro, in die karstartige Westhälfte des Landes gekommen. So weit das Auge reichte, trat uns abermals die alte, abschreckende Kalksteinwüste entgegen. Nur einmal erquickte auch hier die Natur unser Auge. Denn siehe, ein ganzer Berg zeigte sich mit gelben Tulpen und Tazetten besetzt. Wir- machten inmitten dieser lieblichen Kinder Floras einen kurzen Halt, da dort ein Wässerchen sprudelte, was nunmehr ebenfalls eine Seltenheit genannt werden musste. Einige Wanderer, die'von unten herauf kamen, setzten sich nach freundlichem Grusse ungeniert neben uns nieder und begannen ein Gespräch. Einer, wie es schien, ein reisender Händler, präsentierte uns sogar Cigaretten. Und wie mancher in der Heimat meint, dass hier in jedem Begegnenden ein Bandit stecke! Auch noch eine andere Entschädigung wurde uns für die Ode der Umgebung. Es thaten sich uns jetzt wieder die prachtvollen Fernsichten auf, die gerade für das sonst an Reizen so arme westliche Montenegro charakteristisch sind. Fern im Südosten thronten die Schneegipfel des Kom, zu welchem der Weg, von unserer Höhe aus weithin zu übersehen, über den sogenannten Veternik, eine ungeheuer steile, geröllige Plalde jenseits der Moratscha, führt, die dem Reisenden in der Regel viele Seufzer auspresst. Weiter nach rechts schauten auch bereits einige beeiste Spitzen der ober-albanesischen Alpen über die hohen Uferrücken herein; endlich im Südwesten ein alter, lieber Bekannter, der duftig blaue Skutari-see, den wir seit dem Übergange über den Planiniza-Pass nicht mehr gesehen hatten. Je tiefer wir niedersteigen, um so mehr verengt sich auch dieser weite Horizont wieder, ja als wir endlich ebenes Terrain erreichen, das schon fast auf gleichem Niveau mit dem Flusse liegt, da sind wir unversehens in ein wohl eine halbe Stunde breites Steinmeer hineingeraten, das sich durch einen Bergrutsch vor Jahren gebildet hat. Nur mühsam winden wir uns durch das Trümmerchaos, bis wir schliesslich eine ausgedehnte Wiesenfläche erreichen, die bereits als zu der Podgoriza-Ebene gehörig zu betrachten ist. Könnten wir in der Nähe den Fluss überschreiten, so hätten wir einen recht bequemen Weg bis an unser Ziel. Aber weit und breit ist hier keine Brücke zu finden. Daher sind wir genötigt, noch einmal steil anzusteigen, um den hohen Rücken zwischen Ceta und Moratscha zu überwinden. Ais wir aber seufzend und keuchend oben auf dem Grat angekommen sind, siehe, da fliesst tief unter uns auch der schöne, grüne Strom, den wir vordem in seiner ganzen Länge von Dioklea bis Nikschitsch verfolgt haben. Wir stiegen zu ihm nieder und übersetzten ihn auf eine Weise, die für mich hinsichtlich meiner ganzen Reise eine neue und einzigartige war. Es bestand nämlich hier ein regelmässiger Fährdienst, aber vermittelst welch erbärmlichen Betriebsmateriales! Ein aus rohen Brettern zusammengenagelter Kahn mit einem kaum weniger primitiven Ruder, das war alles. Es musste angesichts der bedeutenden Wassermasse des Flusses nicht ganz tinbedenklich genannt werden, sich einem so elenden Fahrzeuge anzuvertrauen, aber es blieb uns keine Wahl, wollten wir nicht einige Stunden stromaufwärts bis zur Brücke von Spusch reiten. Während wir Platz nahmen, wurden unsere Pferde abgezäunt. Sie mussten neben uns her wie Hunde durch das Wasser schwimmen. Am jenseitigen Ufer angekommen, befanden wir uns wieder auf dem Wege, den wir früher geschildert haben. Wir erlebten auch nichts Bemerkenswertes weiter, wenn ich nicht eines kleinen Intermezzos gedenken will, das zuguterletzt noch recht erhebend auf uns wirkte. In dem Augenblicke, wo wir die alte Mühle nahe an der Vereinigung der beiden Ströme passierten, trug ein Mann, der uns schon von weitem beobachtet haben mochte, eine grosse, hölzerne Mulde voll Milch heraus mit der herzlichen Bitte, zu nehmen und uns zu erquicken. Als endlich die Dämmerung sich niedersenkte, zogen wir, eskortiert von einigen Freunden, die uns mehrere Stunden weit entgegengeritten waren, wieder in dem alten Podgoriza ein. — Am frühen Morgen des nächsten Tages schon traten wir in Begleitung jener beiden jungen Muselmanen, die uns seiner Zeit durch das Cetathal geführt hatten und bereits am Abend ins Hotel gekommen waren, um uns ihre Dienste wieder anzubieten, die Rückreise nach der Residenz ah. Wir hätten dieselbe verhältnismässig bequem bewerkstelligen können, wenn wir an der Moratscha abwärts bis an den Skutarisee geritten und dann mit Rjeka-Thal und Nordende des Skutari - Sees, von den östlichen Gehängen aus. einem Boot auf der Rjeka bis zu dem gleichnamigen Ort gefahren wären. Indes wir verschmähten seihst für das letzte Stück unserer Tour den Wasserweg und beschlossen, noch einmal über die Berge zu steigen. Nachdem wir wieder die Wessirbrücke passiert hatten, galoppierten wir längere Zeit in westlicher Richtung durch die weite Ebene von Podgoriza. Hierbei trat mein Pferd einmal mit den Vorderfüssen in ein heimtückisch von Flugsand überdecktes Loch und stürzte derartig nieder, dass ich aus dem Sattel geschleudert wurde. Glücklicherweise hatte ich mich nicht erheblich beschädigt. Weiterhin setzte die seichte Martiza, ein Nebentluss der Moratscha, unserem eiligen Ritte ein Ziel. Während unsere Rosse uns durch ihr Gewässer trugen, hatte sich der grössere unserer beiden dienstbaren Geister, welcher den stolzen Namen Hussein trug, auf den breiten Rücken des kleinen Sadik geschwungen, der sich aber das Vergnügen machte, den faulen Burschen in das kalte Nass zu werfen. Jenseits des Flusses erreichte die Ebene ihr Ende, indes hier, am Fusse der schützenden Höhen, war eine Kultur zu bemerken, wie sie die ganze unermessliche Fläche leider noch nicht aufzuweisen hat. Namentlich gedieh der Weinstock auf wohlbestellten Feldern, im Gebüsch von Granaten, wilden Birnen und Dornen aber krochen die letzten Exemplare der griechischen Schildkröte, die die Ebene von Podgoriza in so grossen Massen bevölkert. Ich wollte unsere Begleiter veranlassen, mir eins der trägen 'Piere zu längen und bis Cetinje zu tragen, aber sie bezeigten eine wahrhaft abergläubische Furcht vor den harmlosen Panzerträgern und behaupteten hartnäckig, sie bissen. Als wir unseren Fuss auf den steinigen Boden des uns entgegenstehenden Gebirges setzten, war alle südliche Herrlichkeit mit einem Male verschwunden. Uber das alte, uns nur zu wohl bekannte Geröll stiegen wir lange Zeit mühsam und unter glühender Sonnenhitze aufwärts. Auch als wir die Höhe erreicht hatten und nun ein weites Plateau nach allen Richtungen hin sich ausdehnte, sahen wir nichts, was das Herz erfreut hätte. Steine rechts und Steine links, dazwischen höchstens ein magerer Dornen* husch. Wie überrascht mussten wir daher sein, als sich uns bei einem schonen Exemplare des Zürgelbaumes*), den die Crnagorsen für heilig halten, weil er an den kahlsten, steinigsten Hängen, sofern sie Sonne genug haben, wenn auch nur immer vereinzelt, gedeiht, ganz unerwartet der Blick auf das wunderbare Thal der Rjeka und den obersten Teil des Skutarisees erschloss! War doch das ein Bild, welches von allem, was wir bisher gesehen, so grundverschieden sich darstellte! Das breite, tiefe Gewässer füllte die ganze, von welligen, dicht bewachsenen Höhen eingeengte Mulde aus, so dass an eine Uferentwicklung gar nicht zu denken war. Auch floss dieser Eluss nicht, wie andere seinesgleichen, sondern er stand still, unbeweglich. Es ist eben die Rjeka im Grunde gar kein Fluss mehr, sondern ein schmaler Arm des Sees, der sich weit in die Berge hinein gezwängt hat. Für seinen stagnierenden Charakter zeugt die Wasserlilie, die in unglaublicher Menge grosse Strecken seiner Oberfläche einnimmt. Heute war das trübe Gewässer übrigens nicht tot, sondern ausnahmsweise belebt. Zahlreiche Londras, von kräftigen Armen fortbewegt und von singenden und jubelnden Menschen angefüllt, bewegten sich vorwärts, dem weiten Skutarisee draussen entgegen. Wie winzige Nussschalen waren die stattlichen Kähne von unserer Flöhe aus anzusehen. Man hatte in Rjeka Bazar abgehalten. Daher auch die Scharen von Menschen, die uns von unten herauf über die steile Lehne entgegenströmten. Sieht man die verstreuten Häuser, die die Dörfer im Lande bilden, so glaubt man gar nicht, dass es überhaupt so viele Leute geben könne. Mir kamen diese Jahrmarktsbesucher übrigens recht gelegen. Dieselben befanden sich in Sonntagsschmuck und Sonntagslaune. Ich wollte eine Aufnahme von dem schönen Panorama machen, das wir vor uns hatten, und jene Leute sollten dazu belebende Figuren abgeben. Aber da kam ich schön an! Sie waren der Meinung, ich wolle noch Geld für ihre Gefälligkeit haben. Einige der Gutmütigsten, fragten darum geradezu, wie viel ich fordere, andere aber wurden sogar witzig und äusserten, die Kaufleute drunten auf dem Jahrmarkt hätten sie schon hinreichend gezeichnet. *) Celtis australis L. Als wir abwärts stiegen, sahen wir einen Menschen am Wege liegen, der offenbar des Guten zu viel gethan hatte. Ich erwähne dies deshalb, weil es der einzige Betrunkene war, den ich auf der ganzen Reise bemerken konnte. Einen erfreulicheren, leider nur kaum weniger seltenen Anblick bot uns ein anderer Mann, der seine Frau ganz ungeniert an der Bland führte, während doch sonst ein rechter Crnagorse schon sich scheut, seiner Ehehälfte auf öffentlichem Wege zu begegnen oder gar mit ihr zu reden. Nachdem wir noch längere Zeit am steilen Hange stromaufwärts hingegangen waren, führte endlich der Weg zum Wasser nieder, und — wir befanden uns in Rjeka. Bekanntlich nennt der Montenegriner diesen Ort sein „Nizza" und er thut daran nicht unrecht. Rjeka liegt in einem engen Kessel, der auf drei Seiten von 6—8oo Meter hohen, steilen Bergen eingeschlossen ist, so dass alle rauhen Winde abgehalten werden, während die warmen Lüfte des Südens durch das Thal des Flusses unbedingt zuströmen können. Es besitzt daher ein Klima, das einen eigentlichen Winter ausschliesst. Aus diesem Grunde hat sich auch der Fürst ein übrigens höchst einfaches Palais erbauen lassen, in welchem seine Familie in der Regel während der kälteren Jahreszeit weilt. Im Sommer dagegen haucht die stagnierende Wassermasse giftige Dünste aus, die leicht Fieberanfälle hervorrufen. Der Ort besteht im Grunde nur aus einer einzigen, parallel mit dem Flusse laufenden Häuserreihe. Doch sind die Gebäude durchgängig recht sauber, ja vorspringende Erker und Veranden aus Holz verleihen ihnen einen italienischen Anstrich. Zwischen dieser Strassenfront und dem Flusse ist noch Raum für eine breite Allee geblieben, den Korso der kleinen Ansiedelung, der stets von Lustwandelnden oder Reisenden belebt ist, die mit den Londras, welche hier immer in grosser Zahl vor Anker liegen, angekommen sind oder von dannen eilen wollen. In dieser Weise ist Rjeka in jeder Hinsicht ein recht angenehmer Ort und zugleich der einzige im ganzen Lande, dem etwas von dem interessanten Leben und modernen Komfort europäischer Bade- oder Sommerfrischorte anklebt. Es wurde uns daher auch gar nicht schwer, hier die Nacht zu bleiben, da unterdes die Tageszeit so weit vorgerückt war, dass es nicht ratsam erschien, den beschwerlichen Ritt nach Cetinje noch zu unternehmen. Zwei Landsleute, dies Wort allerdings im weiteren Sinne genommen, nämlich ein östreichischer Schlesier und ein Wiener leisteten uns Gesellschaft, bis wir das Lager aufsuchten. Der erstere war der „Kapitän" des Miniaturdampfers, den der Fürst einst vom russischen Kaiser geschenkt erhielt und der gleich unterhalb des Städtchens vor Anker zu liegen pflegt, bis er für Se. Hoheit selbst oder einen der Gäste desselben einmal behuis einer Exkursion in Anspruch genommen wird. Jn dem anderen lernten wir einen k. k. Büchsenmachermeister kennen, der über Ansuchen des Hofes von Cetinje für einige Monate hierher kommandiert wurde, um geeignete Leute im Reparieren der Gewehre für das Militär zu unterweisen. Das letztere hatte sich, unserem Berichterstatter zufolge, in der ersten Zeit um deswillen als eine schwierige Aufgabe erwiesen, weil die Volksmeinung ja immer das von Zigeunern betriebene Schmiedehandwerk oder eine irgendwie mit demselben im Zusammenhange stehende Thätigkeit für etwas Unehrenhaftes ansieht. Noch einmal mussten wir am andern Morgen frühzeitig aufbrechen, aber wir sprangen wohlgemut in die Sättel, da ja nun menschlicher Voraussicht nach der letzte der sauren Wandertage gekommen war. Nur kurze Zeit bleibt der Weg nach Cetinje noch im engen Thale der Rjeka, die oberhalb des Ortes zu einem elenden, wasserarmen Rinnsal zusammenschrumpft, welches unweit aus dem Bauche einer finsteren Höhle von unergründeter Länge heraus-fliesst. Dann beginnt wieder die unvermeidliche Kletterei, und zwar in einer Weise, wie sie schlimmer kaum irgendwo anders im Lande vorkommt. Der schmale Saumpfad ist zumeist in Form roher, mit Gerolle bedeckter Stufen angelegt, über die das keuchende und stolpernde Ross mit solcher Mühe sich hinaufarbeitet, dass es auch das Herz des fühllosesten Reiters erbarmen muss. Doch ihn selbst, der scheinbar so bequem auf dem Rücken des Tieres thront, könnte man gleichfalls bemitleiden. Denn häufig steigt an seiner linken Seite die glatte Felswand empor, während drüben unvermittelt der Abgrund gähnt. Ein Fehltritt des Pferdes, und er ist verloren. Zum Glück sind diese Tiere so sicher, dass man niemals von Unglücksfällen hört. Künftighin werden es die 16 Reisenden freilich bequemer haben, da die schöne Fahrstrasse von Cetinje nach Rjeka unterdes bereits fertiggestellt wurde. Nur einmal war uns eine etwas leichtere Strecke beschert, das war dort, wo, etwa auf der Hälfte des ganzen Weges, die mächtigen Kalkrücken ein wenig zurücktreten, um dem ziemlich üppigen Kessel von Dobrsko-Selo Platz zu lassen. Aber kaum hatten wir dieses kleine Eden passiert, so begann die alte Steinwüste von neuem uns zu umfangen. Indes dort, wo rechts und links, vorn und hinten nur Öde und Grauen herrschte, schlugen wiederholt hohe, helle Töne an unser Ohr, die das Herz nicht wenig erheben mussten. Sagte uns doch Rovinski, dass in dieser Weise einfache Weiber aus dem Volke, dieweil sie sicheren Füsses über Berge und an Abgründen vorbeischritten, ihrem entseelten Gatten die Totenklage sängen. Todespoesie in einer Landschaft voll Tod, wie gut stimmte das zusammen! Aber Ehre auch diesen Frauen, die im Leben von dem Manne wohl manchmal Schlimmes erdulden müssen, und dann doch dem Abgeschiedenen ein rührendes Gedächtnis widmen! Vier Stunden waren fast verflossen, als wir eine Höhe erreichten, von der aus wir hinter uns den blauen See von Skutari, vor uns aber, o Wonne, auf einer grünen Wiese die weissen Häuser von Cetinje sahen. Es war uns, als seien wir schon wieder zu Hause angekommen. Und in der That konnte uns auch der Empfang, den wir fanden, in diesem Gefühle bestärken. Das Umarmen und Händeschütteln, Glückwünschen und Ausfragen wollte kein Ende nehmen. Natürlich war die Kunde von meiner glücklichen Heimkehr bald auch bis ins Schloss gedrungen. Fan Adjutant erschien, und brachte mir den Befehl zur Audienz für nachmittag 3 Uhr. Als diese Stunde gekommen war, wurde ich in dem geräumigen Schlosse eine Treppe hinauf und durch einen weiten, im ganzen einfach aber gediegen ausgestatteten Saal in ein anstossendes, kleineres Empfangszimmer geleitet, dessen Wände grosse Ahnenbilder zierten. Ich sollte nicht lange warten. Ein fester Sporenschritt ertönte, die Gardine wurde zurückgeschlagen und — Seine Hoheit erschien. Fürst Nicolatis ist von langer, muskulöser Statur, wie die Mehrzahl der Montenegriner, dabei aber auch ziemlich voll.. Das scharf geschnittene Gesicht verrät Intelligenz und Mut, verbunden mit Milde und Freundlichkeit. F> trägt nach Landessitte Schnurrbart, doch ausserdem noch etwas Backenbart. Auch seine Kleidung ist die nationale, selbstverständlich nur entsprechend reicher in Stoff und Zierat. Seine Hoheit bezeigte sich äusserst gnädig gegen mich und sprach wiederholt die Hoffnung aus, dass künftighin moch mehr deutsche Gelehrte kommen würden, um sein Land in allen Beziehungen zu erforschen. Meine Bitte, die Konversation in meiner Muttersprache führen zu dürfen, schlug er mir jedoch ab, indem er lächelnd bemerkte, dass er zwar bisweilen in seiner Umgebung des Deutschen sich bediene, indes sich hüten werde, dies auch geborenen Deutschen gegenüber zu thun. Zum Zeichen höchsten Wohlwollens überreichte er mir aber eine Cigarette, was bekanntlich auch der Flerrscher am goldenen Horn nur thut, wenn er irgend jemand besonders ehren will. Auf Wunsch Sr. Hoheit referierte ich nun in französischer Sprache über meine Reise, rühmte, was ich Lobenswertes gefunden hatte, — und dessen war nicht wenig — hielt indes auch nicht zurück mit dem, was nach meiner unmassgeblichen Meinung noch zu ändern, bezüglich zu verbessern sein dürfte. Se. Hoheit stimmte mir in vielem bei, wies aber auch auf die Verhältnisse des Ländchens hin, die in vielen Dingen nur einen langsamen Fortschritt möglich machten. Mit festem Händedruck und dem Wunsche, mich bald einmal wieder in Montenegro zu sehen, entliess mich der Beherrscher der „schwarzen Berge". Es wurde freilich nun auch hohe Zeit, dass ich mich auf den Weg machte. Zeigte doch die Uhr schon fast 5 und die Sonne neigte sich bedenklich dem Horizonte zu. Mein Gepäck war bereits abgegangen, ich konnte mich daher nicht einmal umziehen, sondern im Frack musste ich zu Pferd steigen. Zahllose innige „auf Wiedersehen" schallten mir nach, als ich nach kurzem, aber bewegtem Abschiede — denn die Trennung ging mir und den lieben Freunden nahe — davonsprengte. Ich benützte diesmal, um rasch vorwärts zu kommen, die unterdes fertig gestellte neue Strasse. Auf der höchsten Höhe, die wohl 1300 Meter betragen mag, warf ich noch einen kurzen Scheideblick zurück. Über dem Kessel von Cetinje lag schon die erste Dämmerung, aber der Skutarisee erglänzte noch einmal im feurigen Abendröte, wie am Tage, da ich ankam. Dann Hess ich den Vorhang fallen auf das unvergessliche Gemälde und hielt nach 2% Stunden auf der Höhe des Krstatsch, angesichts des ^aus grausiger Tiefe heraufschimmernden Oceans. Hier übergab ich das Pferd einem bereits wartenden Diener, damit er es nach Cetinje zurückbringe, während ich mit meinen beiden Gepäckträgern, einem Mann und einer Frau, den Abstieg, zum Meeresstrand begann. Erinnert man sich, wie entsetzlich mir dieser Weg schon am bellen Tage erschienen war, so wird man begreifen, was er erst zu bedeuten hatte in finsterer Nacht, die nur zeitweilig durch gleissende Blitze erleuchtet wurde, welche, begleitet von fernem Donnergrollen, weit drüben über der fahlen Wassermasse aufzuckten. Ach, und ich musste den sauren Gang in dünnen Salonstiefeln ausführen, da meine Alpenschuhe, denen die montenegrinischen Pfade den Todesstoss gegeben hatten, in Cetinje verabschiedet worden waren. Ich stolperte und fiel ohne Aufhören, und wenn nicht meine wackeren Begleiter, die mich halb trugen, gewesen wären, so hätte ich vielleicht das Ziel nicht erreicht. Die Erschöpfung aller Kräfte würde mich zu Boden geworfen haben. Welch eine Wonne daher, als endlich die Lichter von Cattaro aufblitzten! Zwar versuchten zwei etwas angetrunkene östreichische Grenzwächter mich noch vor den Stadtthoren anzuhalten, aber Geld und gute Worte verstanden die allzu pflichteifrigen Leute zu beschwichtigen. Mitternacht war nahe, als ich den Boden des komfortablen Lloydschiffes betrat, wahrhaft selig in dem Gefühl, nun wieder ini Bereiche all' der Segnungen zu sein, die das eine Wort „Kultur" umschliesst. Als ich daher am anderen Morgen von dem sanft über die Wogen dahingleitenden Fahrzeuge aus noch einmal, zum letzten Male, zu den hohen Grenzgebirgen der Crnagora das Auge erhob, als mir noch einmal all' die Armut, der Mangel an so vielem, die jahrhundertelange, blutige, jede Entwicklung hemmende Geschichte, von der jene alten Berge zeugen, zum Bewusstsein kamen, als ich dabei aber noch einmal zugleich all' die Vorzüge, all' die edlen Anlagen, die dem Völkchen da droben geworden sind, überdachte, da waren es herzlich und aufrichtig gemeinte Wünsche für jene meine Freunde, die aus meinem Herzen aufstiegen. Ja, möchte doch eine Stimme von oben herab auch über die „schwarzen Berge" hin aussprechen ihr allmächtiges Schöpferwort: „Es werde Licht!" Zweiter Teil. Geographie der Crnagora. Schwarz, Montenegro 22 1. Die einschlägige Litteratur. A. Die textliche. Heinrich Barths Tagebuchblätter über seine Reise von der Moratscha zur Tara. Wenn wir an dieser Stelle zuerst einen Blick auf die Litteratur über Montenegro werfen, so thun wir damit, will uns scheinen, etwas, was von keinem Verfasser einer geographischen Monographie unterlassen werden sollte. Denn nicht nur, dass er damit sich selbst dient, indem in dieser Weise eventuell die Bedürfnisfrage betreffs seines Buches am schlagendsten nachgewiesen wird. Nein, er erleichtert auch etwaigen Nachfolgern, beziehentlich Reisenden die Arbeit nicht unwesentlich und trägt endlich, was die Hauptsache ist, mit zum Aufbau einer erdkundlichen Disciplin bei, die zwar nur den Hilfswissenschaften der eigentlichen Geographie zuzuzählen, nichtsdestoweniger aber von ausserordentlichem Werte ist, der Bibliotheca geographica, der Literaturgeschichte der Erdkunde. Es ist auch nicht zu leugnen, dass eine derartige, an sich nur formale Aufgabe in vielen Fällen eine höchst dankbare und interessante ist, indem dabei der später realiter zu behandelnde Gegenstand bereits in ein bestimmtes Licht tritt und ein wahres Stück Kulturgeschichte zu Tage gefördert wird. Um ein Beispiel anzuführen, so kann es kaum etwas Bemerkenswerteres geben als die Fältwickelung der Litteratur über ein an sich kleines und geringfügig erscheinendes geographisches Objekt, nämlich die Insel Corsica, die gewisse Analogieen zu Montenegro aufweist. Denn das innerhalb derselben zu Tage tretende 22* Vorherrschen der historischen Richtung, vertreten von einer ziemlich grossen Anzahl eingeborener Autoren, deutet bereits auf den hohen Grad von Patriotismus hin, der dem corsischen Naturell eigen ist. Die Litteratur über die Crnagora kann sich nun freilich weder, was das Alter, noch was den Umfang angeht, mit der in beiden Beziehungen gross dastehenden Bibliotheca Corsica messen. Sie ist im grellsten Gegensatz dazu jüngsten Datums und unzureichendster Art. Montenegro teilt dieses Geschick mit der Balkanhalbinsel überhaupt, der sein Gebiet ja angehört. Und auch dieselben bedingenden Ursachen finden wir hier wie dort für den beregten Übelstand. Die wilden Stürme, die seit Jahrhunderten über den vom Halbmond occupierten Osten Europas dahinbrausten und eine wissenschaftliche Durchforschung unmöglich machten, verschonten auch Montenegro nicht, ja erschienen hier noch intensiver in Permanenz erklärt, als anderwärts. Bedingt durch den ewigen Krieg, war ferner daselbst eine Unsicherheit an der Tagesordnung, die erst vor wenig Decennien durch ein unerbittliches Gericht gegen alle Räuber beseitigt worden ist. Lag nun aber auch die Crnagora für eine Bereisung durch Vertreter westeuropäischer Civilisation infolge der verhältnismässigen Nähe der Adria bequemer, als die mehr centralen Partien der Halbinsel, so musste wieder die weit verbreitete Meinung von der unbedingten ()de und Interesselosigkeit der „schwarzen Berge" manchen Wanderer zurückhalten. In dieser Weise konnte es kommen, dass das kleine indes in vieler Hinsicht bemerkenswerte Ländchen fast gänzlich unbeachtet blieb. Nur ein Reisender von Namen gewann es über sich, ihm einen leider allzu flüchtigen Besuch zu schenken. Es war dies unser grosser Heinrich Barth, der bekanntlich den Mittelmeerländern überhaupt und der Balkanhalbinsel insbesondere ein so lebhaftes Interesse entgegenbrachte. Leider hat er ein ausführlicheres Werk über diese seine über einen grossen Teil der Türkei ausgedehnte Tour nicht mehr ausarbeiten können, doch besitzen wir noch seine Tagebuchblätter. Dieselben sind zwar, während sie für die südlicher gelegenen Partien, wie namentlich Epirus, Albanien und Mazedonien, nach sachkundigem Urteile noch immer Neues enthalten sollen — weshalb ihre Herausgabe gleichfalls beabsichtigt wird — betreffs Montenegros allzusehr nur trocknes und flüchtiges ftinerar, gleichwohl aber dürften sie, als aus der Feder des berühmten Mannes geflossen, doch so \iel antiquarischen Wert besitzen, dass wir sie, die uns durch die dankenswerte Freundlichkeit des grossen Kartographen der Balkanhalbinsel, des Herrn Professor II. Kiepert, zugegangen sind, an dieser Stelle zu veröffentlichen wagen. Wir übergehen dabei das ganz Unwesentliche, fügen aber unten einige Noten von unserer Hand hinzu. 1865. 2. Juli. Podgoritsa, kleines Städtchen von 600 Häusern*) und 5 Moscheen am Rande der grossen Kesselebene und am Fusse der Hügel sich im Kreise herumziehend nach NO., von dem gewundenen Laufe der ziemlich tief eingeschnittenen Rennitsa begrenzt, mit einer steinernen und einer hölzernen Brücke. Abgeritten nachmittag 4.45 SO. die Steinbrücke zur Seite lassend, um 4.50 N. 25 O., um 4.55 passiere die Rennitsa (Ribnitsa) auf der oberen Holzbrücke auf breiter Strasse, der Fluss hart zur Rechten mit kleinen Fruchtstellen**), wie Oasen in der Wüste auf dem oberen Gehänge, r. die Bergdörfer von Kutschi, 1. ganz nahe ein niedriger Höhenzug***), der die Moratscha mit dem Viziromostf) verdeckt. Man überschaut aufwärts die Strasse nach Medttn, auf verschiedeneu Stufen durch Wachthäuser verteidigt. 5.2Ö 1. schaut über die weit zurücktretenden Höhen in N. 37 W. die Festung Sputzff) hervor. 5.30 die flache, grüne Thalebene hier wohl Va St. breit. 5.52 l- nahe die Moratscha in tiefem Bett mit grünlichem Wasser. Stjena, eine gänzliche Verengungftf) der stets *) Rechnet man durchschnittlich 5 Bewohner pro Haus, so hatte P. damals etwa 3000 L\, d, h. halb so viel, als kurz vor der montenegrin. Invasion, und etwa gerade so viel als heute. **) Wohl ilie von mir beschriebenen Rieselfelder. ***) Die der .Stadt den Namen gebende Gori/.a. f) Wessirbrücke. ff) Richtige Aussprache = Spusch. ttt) Kiepert schreibt mir: unterstrichen, weil Ii. au das griechische Wort denkt, während es slavisch „Felsen" bedeutet. mehr und mehr von beiden Seiten eingeengten Ebene rindet statt. Die Felsen weisen regelmässige Schichtungen auf, weisser Jura'*). 5.55 scharfe Biegung nach O. 30 N. 6 die Thalschlucht bildet eine kleine Erweiterung mit Farn**). 6.3 bis 10 reiches Quellbecken, am Rande des Flusses an der Grenze der Juraschichten und neuer Konglomeratmassen hervorbrechend. Dann kleine Erweiterung mit den für 3 neue, kleine Grenzforts bezeichneten Stellen, auf Hafiz Bey's Betrieb hier längs der Grenze zu errichten zu grösstem Arger der Montenegriner. 6.20 ein Konglomerat hart am Felsrande der tief eingeschnittenen Moratscha***), — NO. 6.40 auf der Flussseite steigen die Kalkwände stellenweise in rötlicher Färbung von Fäsenoxydf) steril und massenhaft empor, gleich so viel Kastellen, mit Höhlen hart über dem Pdusse, die menschliche Bewohner hatten ff); auf unserer Seite kleines Kartoffelfeld und Grundriss zu einem Fort: schönes Echo. 7.15 aus dem eigentlichen Pass hinaus, kleine Erweiterung. 7.20 neue, wilde Passverengung. 7-33—38 hübsche Ackerweitung. Bar. 27° 8' 3". Der hohe Doppelgipfel Brodnikfft) ragt in N. 10 O. herüber. 8 Biotschi*f), „das Zwiegewässer" (mehrfach wiederkehrend, *) B. hielt also das in der Westhälfte der Crnagora vorherrschende Kalkgestein für älter, als es in Wirklichkeit ist (Kreideformation). **) Wie auf der Spuscher Ebene und anderwärts an feuchten, humusreichen Stellen des Bodens. ***) B. will damit entschieden den Erosionscharakter des Moratschathales andeuten, der auch sonst durch die zumeist hoch über dem jetzigen Flussniveau an den Gehängen sichtbaren Schottermassen bewiesen wird, f) Wie die Felsen des linken Ufers der Ceta. t|) Ob B. hierbei an Troglodyten in früherer Zeit denkt? Vielleicht waren die beobachteten Höhlen nur Viehställe, wie ich sie im mittleren Moratschathal sah und beschrieb. ttf) Brotschnick nach deutscher Schreibung. *t) Die neue russ. Karte, die den Ort übrigens als Kirchdorf anführt, schreibt Bijotsche. Vioutze bei Hecquard p. 307), Dorf von etwa 1 Dutzend zerstreut liegender Steinhäuser in einer ansehnlichen Thalerweiterung mit ganz reifen Maisfeldern, an der Vereinigung der aus NO. kommenden Mala Rjeka mit der von NW. kommenden Moratscha. Viel Flöhe und Gesindel, daher im Freien kampiert, bei drohendem Wetterleuchten. Alles, auch das Wasser zu bezahlen*). 3. Juli 1865. Sonnenaufgang'Therm. 130, Bar. 27" S1'.. 5.45 Aufbruch nach NO. 5-55 über die schäumende Malarjeka auf der soliden „Grenzbrücke", Grariitsa most, Grenze seit 1860. Gegenüber auf türkischer Seite ein kleines Fort. Nun auf der r. Flussseite auf rauhem Kalkboden in ziemlich dichtem Eichenwald allmählich ansteigend. 6.12 Fluss r. tief unten in Schlucht. Der Führer begrüsst die über die Berggipfel hervortretende Sonne mit Bekreuzigung. Nunmehr NNW. 6.25 auf dem Rücken (Barom. 27" 4) mit Blick 1. in das mannigfach gestaltete Thalbecken der Moratscha (»Mo* raschnik"), begrenzt im S. von der bedeutenden Masse des Brodnik, an dessen oberen Gehängen man den Weiler Kipri**) erblickt. 6.55 eigentliche Rücken***) erreicht (Barom. 26° LO), ohne Plateaufläche, obgleich ziemlich eben, abgesehen von höheren Aufspringen nach allen Seiten, r. stets tiefe Thalschlucht. Alles Eichenwald mit kleinen angebauten Stellen. Begegnen Kohlenbrennern auf ihrem Wege nach Podgoritsa, lassen etwas r. die kleine Häusergruppe Paulitif). 7.18 1. im Kalkfelsen 3 grosse, höhlenartige Einsenkungen zum Teil mit Wasseransammlungen. 7.45 nahe r. auf Höhe Kirche und Eintritt ins Dorf — wie Oase in Steinwüste — Bratonosischeff) oder -zitsch oder *) 1!. reiste in der ungünstigen, dürrsten Sommerszeit, in welcher selbst in Cetinje das Wasser nur gegen Geld zu haben ist. **) Fehlt auf russ. Karte ebenso wie auf der Ostreich. ***) Die ganze Passage heisst Veternil< und gilt für sehr anstrengend, f) P'ehlt auf russ. K., auf östr.: l'avlitschitschi. t|) russ. K.: Bratanoschitschi, Kirchdorf mit mehreren herumgruppierten Weilern. vielmehr einen Teil desselben von 20 Häusern, genannt Pelebrik (Polev-Briegh, Hecquard p. 322), der andere Teil heisst Briskot (Beoskut Heq.), die ganze Woiwodschaft Bratonozitsch hat 2Ö0 Häuser. Vom Woiwoden wurde ich auf Vorzeigung meines Empfehlungsschreibens aus Skutari freundlich aufgenommen, war aber wegen Unwohlseins nicht fähig, von seiner Gastfreundschaft etwas zu gemessen. Dazu mein Dragoman unfähig, um nützliche Erkundigungen einzuziehen, wozu hier reiche Gelegenheit gewesen wäre. Um 1.40 auf derselben SW.-Soite zum Dorf hinaus, dann nördlich hinter demselben herum und östlich aufwärts am Kalkgehänge mit grossartiger, durch die wechselnde Beleuchtung auf schwarzem Gewölkhintergrund gehobener Gebirgsansicht*). 2.5 r. die grossartige Felskluft der Gradiska mit cirkus-ähnlichem Abschluss, weit das eigentliche Felsthal beherrschend. 2.30 Dorf Briskot-seio in rauhem Felskessel des nach S. zum Plussthal gehenden Gehänges. Weitschimmernde Kirche, etwas Weinbau. Aufenthalt beim einzigen Schmied der ganzen Woiwodschaft wegen Beschlagens eines Pferdes. 2.50 Wieder fort. Das P'elsterrain wird immer unwegsamer, ganz labyrinthisch, voll kleiner Kessel und Trichter, die zu diminutiven Kartoffelfeldern benutzt werden**). Der Weg öfters in den Felsen gehauen. 4.15 Weiter Aussichtspunkt'bis Podgoritsa, dessen Moscheen genau in SW. Betreten herrlichen Buchenwaldes. 5.12 Der hohe, schneebedeckte Motera***) in (). 13 S. •) Auch ich genoss wiederholt derartige Effekte der lieleuchtung, die allerdings dann die Kalkfelsen schwarz erscheinen Hessen, woher vielleicht der Name des Landes. **) Also auch 15. bezeugt die mühselige agrikultureile Thätigkeit der Crnagorsen, die wohl die allgemein verbreitete Ansicht, dass das Volk faul sei, am besten widerlegt. ***") Wohl die Komgruppe. 5-35 Yabelan*), Weiler mit Kornbau in hübscher Kesseleinsenkung, wo die Mergelschiefer riftweise in die Höhe gehoben sind. Die Verschiedenheit des Bodens bemerkt man an der trotz der ansehnlichen Höhe (Bar. 24.7) mannigfachen Vegetation. Nun durch grünes Hügelland abwärts. 5-55—6.5 unten an der Lositsa, welche die Liva Rieka bildet (bewohnt von 230 Familien)**). An der r. Flussseite N. 20 O. aufwärts über dicht be-buschte Gelände (besonders Haselnüsse). 6.25 Thalverengung. 6.4O über den Bach nach r. 6.45 hart r. die neue Kirche Sveti Spas, neben der eben das neue Priesterhaus gebaut wurde. L. tiefe Waldschlucht, überhaupt das Ganze ein malerisch zerklüftetes Waldland. 6.37 durch einen von r. in die Schlucht fallenden Bach. Bar. 24 9, dann steigend. 7-5 1. ab in ein Kesselthal. 7.15 Dorf Lepat***) (Klopot?) mit 30 Häusern. 4. Juli früh 5. Tb. in". Bar. 24' 6V2. 6.50 aus dem Kessel wieder nach O. hinaus. 7 am Bach aufwärts, in enge WTaldschlucht hinein SO. Steigend, r. tiefe Waldschlucht, vor uns die Tserna Planinaf). 7-30—40 Eintritt in kleine Seitenschlucht. 7-45 schönes Weideland mit Rindern, Schafen und Schweinen, itt dem nach NO. sich verengenden und senkenden Thalboden Veruscha. 7.55 an der 1. Seite eines Baches, der Veruscha [Tara?]ff) zum Engpasse. *) Harth schreibt, wie Kiepert bemerkt, tlas deutsche j immer mit y- Jfablan s= Apfel. **) Kiepert schreibt: offenbar das Dorf Ljeva (in der Ostreich. Karte nach dem Russen Bykow mit russ. Femininendung Ljevaja genannt), Die neue russ. K. hat: Lijewa. *#*) Kiep.: Lopata, nach der östr. K. Die neue russ.: Lopotji. Klopot giebt die östr. wie russ. nonlöstl. über dem Kloster Duga im Moratschathal an. f) Crna Planina, nach der russ. K. 1864 Meter. ff) Kiepert schreibt: „sie! soll wohl bedeuten, dass B. den Bach für den Oberlauf oder für einen Zulluss der Tara hielt." Dies ist in der That auch so. 8.10 waldige Seitenschlucht von 1. immer in dichtestem Grün. 9.lü auf Holzbrüche über den nun nach W. sich ziehenden Bach. 10.20 die Thalseiten niedriger. 11—2.50 Halt bei Sennhütten, Milch und Käse. Bar. 24. Kr72. Durchaus Mergelfc)rmati(>n. Beim Aufbruch trifft der Woiwode Milan ein, voll Zetergeschrei über den in Gusinje begangenen Mord; bei der Aufregung unseres Geleitsmannes darüber fehlt (Telegenheit zti fragen, ob Plestawitj ein Flussname ist? Wohl nicht! Wir kreuzen einen Zufluss, dann den ansehnlichen Haupt-fluss, die Vereinigung erfolgt, entgegengesetzt dem gewöhnlichen Falle, in umgekehrtem spitzen Winkel. Nun durch dichte Waldung mit viel alten gefallenen Baumstämmen an der r. Flussseite N. 3.20 Bach von 1. herzu, in dessen Thal nahe aufwärts die Residenz des Voivoden Moratschki*). 3.55 über den Fluss. 4.20 in dichtem Walde hoch ansteigend. 4.35 auf der andern Flussseite das Fort Kolaschim No. 3 in N. 5 O. 4.40 zum Fluss hinab, auf derselben Seite weiter. 5 unter dem auf dieser Seite hochgelegenen Kastell Kindji (No. 2) vorbei, überblicken den aus Holzbuden neu entstandenen Ort Kolaschin mit Moschee. 5.5 biegen nach O um. 5.15 erreichen den Marktplatz, Quartier im unvollendeten hölzernen Chan. Von hier die 3 Kastelle No. 1 Birindja**) N. 40 O. No. 2 ikindji S. 30 W. No. 3 ütschindji W. 30 N. auf der andern Flussseite Nach der neuen russ. Karte bilden die Wijeruscha (1.) und die Pisaniza (r.) den nach der Vereinigung beider, Pesza genannten, westlichen (und am weitesten nach Süden reichenden) Quellzufluss der Tara. *) Moratschki nicht Eigenname, sondern Adjektiv. (Woiw. des Bezirks Moratscha.) **) Diese Namen sind die tiirk. Ordinalzahlen. Ausgezeichnete Militärküche. Fleisch und Milch sehr billig. Kaimakam und Miralai nahmen mich sehr freundlich auf. Mittwoch 5. Juli früh 5, Therm. 6". Bar. 24' 6V2. 6.15 ab. 6.23 über den Fluss auf solider Holzbrücke Veruscha. Am l. Ufer hart unter der Kuppe mit Fort No. 3. 6.40—45 kleines Gefälle der Veruscha, in tiefer .Schlucht. Sehr beschwerlich gekreuzt. 6.50 Durchführten neben der Holzbrücke die Blasnitsa, die etwa halb so gross als die Veruscha. 7.5 am Eingang des Fäigpasses unter der hohen Kuppe. Schöne, scharfe Formen der Kalkfelsen, besonders der Yablano genannten Spitze*). Nicht unten in die Sohle des Passes hinein, wie ich erwartete, sondern 1. über demselben die Freisen hinauf. 7.15 höchst malerische Preisbildung, Trebälivo genannt. 7.25 wieder unten am Fluss. 7.35 schmaler Durchbruch des Flusses mit Resten einer früheren Brücke und beackerte Thalhalden. 7.45 1. Reste des Dorfes Trebälio**), von wo ein Zubach; r. macht der Fluss grosse Biegung. 7.50 grosse Biegung des Flusses durch enge Waldschlucht, l. über dem Wege das Wachtfort. 7.55—8 r. dicht am Fluss zahlreiche Pferdekarawanen mit Mais begegnen uns. 8.15 reiche Waldpartie, Schlucht von r. einmündend. 8.25 der Fluss still wie ein Seebecken, mit starker Biegung nach O. 20 S., wo er dann über ein durchsetzendes Felsen- riff stürzt. 8.30 grosse Biegung mit Wachtposten. 8.45 scht'ine farnbekleidete Waldblösse; r. ragt ein Felskamm Prep ran***) herüber. 8.50 trockene Schlucht von 1. 8.52 Ouelle von L., an derselben aufwärts N. 15 O., während der Fluss r. durch gewundene Schlucht abzieht. *) Jablonowi vrh der russ. K., 2168 M. **) Russ. Karte = Trebaljewa. ***) Die Prepren-Felsen der östr. Karte. 9.13 grösste Höhe mit Wachtposten, Bar. 24' 8V*, abwärts, ein breites Flussthal zur 1. übersehend. 9.30 unten auf grasiger Ebene voll Quellbäche. 9.35 über die nach r. Iliessende Stitaritsa.*) 9.37 kleiner Zufluss von 1., immer ansteigend über die quellen- und farnreiche Halde. 9.45 (breite Kuppe**) mit etwas Schnee (). 35 S.), Weg O. 9-53 abwärts über Thonschiefer. Bar. 24' 81/«. 10.20 betretene Ebene voll Hütten. IO.45 auf grosser Holzbrücke Namens Moikowitsch ***) wieder über den Fluss, der mit gewaltigen Biegungen zieht. — Die für die Geographie in vielfacher Hinsicht bedeutsame Occupation von Bosnien und der Herzegowina seitens Ostreichs, welche der Atistoss zu einer wissenschaftlichen Erschliessung dieser Länder watrde, lenkte endlich auch auf das angrenzende Montenegro die Augen Wiener Reisender. Namentlich war es der bekannte Geologe Dr. Tietze, der vordem, im Jahre 1879, mit Dr. v. Mojsisovics und Dr. Bittner zusammen die erstgenannten Gebiete in gründlichster Weise durchforscht und bearbeitet hatte, welcher nun, im Sommer 1881, wenige Wochen nach meiner Reise, die Crnagora besuchte, so dass dieselbe also in kurzer Zeit auch ihre geologische Schilderung haben dürfte. Fehlte es, wie aus dem bisher Gesagten erhellt, an Männern, die sich in die „schwarzen Berge" hineinwagten, so konnten natürlich auch die über dieselben erscheinenden Monographieen nicht von wirklich erschöpfender Natur sein. In der That bietet ein Blick atif dieselben wenig Erfreuliches. Kaum, dass wir ein halbes Dutzend einschlagende Werke oder richtiger Werkchen, denn es sind meist dünne Bände oder Broschüren, besitzen. Und wie erfüllen diese ihre Aufgabe! *) Schtitariza, nach beiden Kart. **) Wohl die Bijelasiza, der mächtige Scheidewall zwischen Lim und Tara, 2084 M. ***) Dieser Name (östr. K. Mojkovac, russ. Majkowaz) gebührt der ganzen Ansiedlung. Hier die jetzige Grenze Montenegros, daher wir Barths Bericht abbrechen. Von dort wandte er sich weiter nach Bjelopoljc, das er am nämlichen Tage abends 6 Uhr erreichte. Da ist beispielsweise ein Buch*), das wohl auf seinem vielversprechenden Titel das Wort „Montenegro" zeigt, dann aber komischer Weise durch seine sämtlichen Seiten hindurch von Montenegro überhaupt nicht redet. Den übrigen Werken glückt es zwar, wirklich bis ins Land zu kommen, aber der kühne Schritt, den sie thun, reicht trotz ihrer stolzen Firmen, wie: „Ins Innere von Montenegro" etc. mit einer einzigen Ausnahme, wo der Autor noch des Klosters Ostrog im Cetathale erwähnt, nicht über die bekannten und für das ganze Land wenig charakteristischen Gebiete von Cetinje und Rjeka hinaus. Ja wir dürfen nicht einmal betreffs dieser winzigen Terrainabschnitte weitergehende Ansprüche erheben. Sämtliche Autoren halten sich in den Bahnen leichter, touristischer Schilderung, ohne sich auf wissenschaftliche Behandlung, wie sie die neuere Zeit mehr und mehr selbst von Reisewerken wenigstens in etwas verlangt, irgendwie einzulassen. Abgesehen von diesem Mangel, hat uns die jüngste Zeit wenigstens ein recht treffliches Büchlein**) geliefert, das in schmuckloser, knapper Schilderung gleichwohl wahrhaft plastische Gemälde namentlich von Cetinje und dem Leben in dieser originellen Kapitale entwirft. Das im allgemeinen ganz unterhaltende, indes an den bekannten Überschwenglichkeiten und Übertreibungen des Verfassers besonders reiche Werkchen von Rasch***), das selbst den Crnagorsen ein Lächeln abzunötigen pflegt, soll hier nur der Vollständigkeit wegen genannt werden. Bei weitem nüchterner und gründlicher ist eine Schrift f) in französischer Sprache, die sowohl hinsichtlich ihres Umlanges als auch namentlich insofern alle Kolleginnen übertrifft, als sie bereits einen wenngleich noch höchst dürftigen Anlauf zu wissenschaftlicher Darstellung nimmt. *) Sterneck, geographische Verhältnisse etc. und das Reisen in Bosnien, der Herzegowina und Nord-Montenegro. Wien 1877. **) Th. Ritter Stefanovic von Vilovo, Wanderungen durch Montenegro, Wien 1880 (enthält die Beschreibung einer Tour von Cattaro über Cetinje nach Rjeka und Podgoriza, sowie einer Seefahrt von Cattaro nach Antivari). ***) Montenegrinische Skizzen, Dresden 1875. f) Frilley und Wlahovitj, le Montenegro contemporain, Paris 1876. Endlich möge noch ein Buch*) genannt werden, das wir, wenn wir nur unserem eigenen Gefühle folgen wollten, am liebsten übergangen hätten, das wir aber, um einer Pflicht der Ehrenrettung gegen unschuldig Beschimpfte nachzukommen, dennoch anführen wollen, und zwar um so mehr, als dasselbe in Deutschland wie in Frankreich —■ es ist nämlich auch in der Sprache letztgenannten Landes erschienen — vielfach die einzige Ouelle des Publikums bei einer Orientierung über Montenegro bildet. Einem solchen Zwecke genügt diese Schrift aber trotz ihres hochtrabenden Titels nicht nur nicht, sondern sie wirkt demselben durch vielfache Verkehrungen des wahren Thatbestandes sogar direkt entgegen. Allerdings betont der Verfasser in der Einleitung, dass er, weil ein ganz unabhängiger Mann, auch ganz unparteiisch schreiben werde. Indes fast jede Seite seines Buches zeugt vom Gegenteil. Ja, der Autor ist trotz jener Versicherung so unvorsichtig, an mehreren Stellen den Grund des grossen Verdrusses, der aus ihm redet, ganz deutlich merken zu lassen. Er wird von der Meinung beherrscht, in Cetinje nicht die Aufnahme gefunden zu haben, die er, wer weiss weshalb, verdient haben will. Ob dem so gewesen ist, oder nicht, vermögen wir zwar nicht zu unterscheiden, wohl aber müssen wir bezeugen, dass die Art, wie Herr Gopcevic seinem Unmut Luft macht, eine wenig würdige und in der deutschen Litteratur nahezu unerhörte ist. Herr Gopcevic betont allerdings wiederholt geflissentlich, dass er ein Slave ist, allein eine so gehässige Polemik ist unter jener Nation ebensowenig die Regel und dem Autor muss sie nur um so weniger Ruhm bringen, als es ja eben seine Volksgenossen sind, dieser derartig bloßstellt. Und wenn dies wenigstens noch mit einer gewissen Beschränkung geschähe! Aber er verschont selbst die würdigsten Repräsentanten der montenegrinischen Nation nicht. Ich denke dabei namentlich an den leutseligen, überall verehrten, nunmehr auch zur ewigen Ruhe eingegangenen Metropolit Plilarion, über den Gopcevic mit den plunipesten Witzen, die meine Feder nicht einmal wiedergeben möchte, herfällt. Überhaupt will der Autor doch dem Volke der Crnagorsen ') Gopcevic, Montenegro und die Montenegriner, Leipzig 1877. seine Fehler vorhalten, ein gewiss an sich ganz löbliches Unternehmen, aber statt dessen kommt er über eine Art Chronique scandaleuse, die sich sogar bis an das geweihte Haupt des Regenten und seine Familie wagt, nicht hinaus. Wie viel mehr hätte der Verfasser der Sache und sich genützt, wenn er seine Kräfte auf die Besprechung der geographischen Verhältnisse des Landes verspart hätte, welche allenthalben interessieren, während der obskure „Klatsch" — ein weniger imparlamentarischer Ausdruck', der zugleich eben so treffend wäre, lässt sich leider nicht finden — kaum für das grössere Publikum Bedeutung besitzt. Allerdings kommt der Verfasser auch einmal auf das erstere Gebiet zu sprechen, aber in welch oberflächlicher Art! Da heisst es z. B., dass es in Montenegro äusserst wenige Blumen gebe und dass er, Gopcevic, nur einmal eine Nelke gefunden habe. Man vergleiche damit unsere unten gegebene Darstellung der crnago-rischen Flora und man wird über die Unverfrorenheit eines Schriftstellers, der das ganze Land bereist haben will und eine Geographie desselben zu geben sich anmasst, erstaunt sein. Welchen Wert die übrigen Angaben des Buches haben, ist nach diesem einen Beleg wohl leicht zu ermessen. — Soviel über die textlichen Publikationen, welche Montenegro zum Objekt haben. Aus der Art derselben erklären sich zur Genüge die Unkenntnis wie die schiefen Urteile, welche bezüglich der allermeisten Verhältnisse jenes Landes noch herrschen. Es dürfte aber nunmehr auch der Versuch gerechtfertigt erscheinen, über das in mehrfacher Hinsicht so bedeutsame Terrain ein orientierendes Werkchen zu publieieren, wie ein solches allein dem gegenwärtigen Standpunkte der Erdkunde entspricht. — B. Die Kartographie. Schreibweise südslavischer Namen. Bot die beschreibende Litteratur über Montenegro ein überaus klägliches Bild, so dürfen wir noch weniger von graphischen Arbeiten viel erwarten, weil, abgesehen von den Unruhen, denen das Ländchen ununterbrochen Jahrhunderte lang ausgesetzt war, noch besondere lokale Schwierigkeiten sich geltend machten, so dass von einer regelrechten Aufnahme im modern-wissenschaftlichen Sinne bis vor kurzem nicht die Rede sein konnte. Nur eine allerdings ziemlich vollständige Rekognoszierung im Massstabe von 1 : 15,000 wurde im Jahre 1866/67 (also selbstverständlich nur innerhalb der alten Grenzen) von dem russischen Oberst Rykow ausgeführt. Von dieser verdienstlichen Arbeit erhielt Professor Kiepert, wie er mir selbst mitteilt, eine photographische Kopie (gegenwärtig in der königlichen Bibliothek in Berlin befindlich), welche von demselben auch schon seit 1870 in seinen Karten der Balkanhalbinsel verwertet wurde. Fane Veröffentlichung des russischen ()riginals selbst fand übrigens nicht statt. Doch muss wohl auch Ostreich in die Lage gesetzt worden sein, von demselben zu profitieren, da die allerdings stark reduzierte, sonst aber alles nötige enthaltende Zeichnung auf Blatt K. 12 („Ragusa") und L. 12 („Skutari") der „Generalkarte" des Wiener Instituts, Massstab l : 300,000, Ausgabe 1880, auf derselben Grundlage beruht. Nur einige Namen neuentstandener Ortschaften sind beigefügt. Um übrigens das montenegrinische Gebiet in seiner gegenwärtigen Erweiterung vollständig zu beherrschen, müsste man noch Blatt K. ti („Bosna Serai") und L. 11 („Uzice") derselben Karte hinzunehmen, doch sind diese nach Kieperts massgebender Ansicht fast nur Phantasiebild, „da jene Gegenden am Dormitor zu den bis jetzt wenigst bestichtesten und noch nie topographisch rekognoszierten gehören." Natürlich kann es infolge dessen an Mängeln auf diesen letzteren Blättern nicht fehlen. So ist, um einiges Hauptsächliche herauszugreifen, das ganze Plusssystem der oberen Piwa falsch, indem z. B. die Bukowiza nicht östlich neben dem Dormitor, sondern direkt auf dessen Südabhang entspringt, die Tuschina viel südlicher herzufliesst, als angegeben, u. dergl. mehr. Aber auch im Centrum des Ländchens findet sich manches Falsche. Die Mrtwiza, ein rechter Nebeniluss der Moratscha, umkreist den Leberstnik durchaus nicht in einem Bogen; ferner ist die Ceta der Hauptfluss, nicht die Moratscha, aber wie unansehnlich, kaum bemerkbar ist nicht jene gezeichnet! Ähnliches liesse sich noch betreffs vieler anderer Gewässer konstatieren. Selbst in der Nähe des doch schon sehr bekannten Skutarisees fehlt es nicht an Ungenauigkeiten. So existiert ein Zufluss auf dem südöstlichen Ufer, Namens Varzka, gar nicht, während die kleine, dort vorhandene (flusslose Bucht) Vraka heisst. Der Hafenort von Podgoriza, Plavniza, steht viel zu viel südlich, da, wo Berislavzi stehen muss. Überhaupt zeigt sich bezüglich der Ortsnamen, namentlich auch deren Schreibweise, noch viel Unrichtiges, wie denn im allgemeinen nicht verkannt werden kann, dass sich die Karte mit allzuviel Namen belastet hat. Die angegebenen Dörfer bestehen häufig nur aus zwei oder drei Hütten, oder existieren auch gar nicht, wie dies beispielsweise von einem im Cetathale angegebenen Orte Namens Slap gilt, an dessen Stelle ich in Wirklichkeit nur einen Wasserfall fand, den man so getauft hatte. Am unvollkommensten aber erscheint die Urographie. Viele Erhebungen tragen falsche Namen oder ganz unzutreffende Höhenangaben. So ist, um nur auf ein Exempel hinzuweisen, der Leberstnik nach Zeichnung und beigefügten Zahlen das dominierende Massiv zwischen Ceta und Moratscha, und Maganik und Prekorniza .erscheinen als untergeordnet, während es in Wirklichkeit gerade umgekehrt ist. Es muss daher, wenn man gleich dem in vielen anderen Beziehungen wieder vortrefflichen Kartenwerke alle Anerkennung zollen wird, doch nur mit Freude begrüsst werden, dass Russland wiederum einen Schritt zum Besseren gemacht hat. Seit Jahren nämlich sind Offiziere des Czarenreichs thätig, das Ländchen endlich eingehend zu vermessen und aufzunehmen. Ich selbst sah ihre Signale auf den Höhen der Nikschitscher Ebene. Vor kurzem wurde in der That auch die mühsame Arbeit vollendet. Leider nur ist das aus derselben hervorgegangene Kartenwerk noch nicht zur Ausgabe gelangt. Der Freundlichkeit meiner Bekannten in Cetinje verdanke ich indes den Besitz von Korrekturabzügen, die ich bei der Anfertigung der diesem Buche beigegebenen, allerdings bedeutend reduzierten Karte verwenden konnte. Jenes Werk besteht aus vier Blättern, die freilich, wenigstens in der mir überlassenen Form, der Terrainzeichnung entbehren, doch sind alle irgendwie bedeutenden Erhebungen mit den Angaben genauer Messungen versehen, so dass dadurch und durch die Veröffentlichung noch einer ganzen weiteren Anzahl bestimmter Höhen Schwarz, Montenegro. 23 im „Glas Crnagorsa", von mir weiter unten in der Übersetzung mitgeteilt, eine zuverlässige Basis für die Urographie der Crnagora gegeben ist, was als das Hauptverdienst der neuen Karte angesehen werden muss. Daneben wurde auch die Hydrographie vielfach bereichert, und Schreibweise sowie Lage der Ortschaften festgestellt. In letztgenannter Hinsicht muss es namentlich als ein grosser Fortschritt erscheinen, dass die Kirchdörfer vor blossen Weilern ausgezeichnet wurden, was uns ermöglichte, auf unserem viel kleineren Blatte die unwesentlicheren Namen auszuscheiden. Dass auch auf diesem grossen Kartenwerke, dessen Benutzung infolge der Anwendung mehrerer verschiedener serbischer Schriftarten (Druckschrift und Schreibschrift, beide in grossen und kleinen Buchstaben) nebenbei keine leichte war, noch Fehler zu entdecken sind, darf bei der Schwierigkeit eines derartigen Unternehmens nicht verwunderlich erscheinen. Beispiels weise fehlen die beiden nicht unwichtigen Ortschaften Sutonitsche und Bukowik, in deren Nähe ich die Petroleumquelle fand, gänzlich. Eine soeben unter dem Titel: „Spezialkarte vom südlichen Bosnien und Dalmatien, sowie vom Fürstentum Montenegro" erschienene, von F. Handtke entworfene und bei Flemming in Glogau hergestellte kartographische Arbeit (Massst. l : ö(x>,ooo) können wir als eins jener flüchtigen Produkte, wie sie gelegentlich irgend eines Krieges sofort zur Hand zu sein pflegen, füglich übergehen. Das Blatt wimmelt, was Montenegro angeht, von dem wir hier allein handeln, von Fehlern. Schon die Grenze ist, namentlich im Süden, dort, wo sie von der Bojana abgeht, ganz willkürlich gezogen, der Skutarisee höchst mangelhaft gezeichnet, sehr wichtige Ortschaften, wie Danilovgrad, weggelassen und andere falsch placiert, oder in ihrer Benennung corrumpiert. Die Terrainzeichnung trägt den Charakter willkürlicher und verschwommener Darstellung; die Hydrographie ist vielfach kaum weniger verständlich. Beispielsweise hat der Verfasser davon, dass die Ceta in der Ebene von Nikschitsch und die Ceta im Thale drunten identisch sind, entschieden keine Ahnung gehabt. Die Mertwiza fehlt ganz. und so geht es durch jeden Ouadratzoll des Blattes hindurch, so dass demselben wohl eine ganz andere Benennung als die einer Spezialkarte gebührte. Schliesslich müssen wir noch auf die Bereicherang hinweisen, welche die crnagorische Kartographie erfahren wird, wenn die Arbeiten der internationalen militärischen Kommission, die mit der Vermessung der neuen Grenzen des Landes betraut ist, zur Veröffentlichung gelangen werden, was betreffs Serbiens, Bulgariens und Ostrumeliens (im Massstab von 1 : 30,000 oder l : 42,000, 66 Sektionen) bereits geschah. Nachdem die Kommission im Sommer 188L wieder gerauhte Zeit thätig gewesen, dürfte die sehnlichst erwartete Publikation wohl kaum noch lange auf sich warten lassen. — Ks sei uns im Anschluss an dieses Kapitel nur noch ein erläuterndes Wort über die von uns im Text wie auf der Karte angewandte Schreibweise slavischer Namen gestattet 1 Bekanntlich bedient sich das Volk der Crnagora geradeso wie der weitaus grösste Teil der Slaven, namentlich soweit sie der griechischorthodoxen Kirche angehören, also besonders Russen und Serben, des sogenannten Cyrill1 sehen Alphabets für die Schrift. Dasselbe, der Hauptsache nach aus altgriechischen Charakteren bestehend, enthält aber zugleich auch eine Anzahl zur Wiedergabe von der slavisehen Sprache eigentümlichen Lauten, namentlich mehrfacher Zischlaute bestimmter Zeichen, die, wie jene Laute selbst, uns fremd sind. Wir müssen also, um derartige Elemente enthaltende Worte reproduzieren zu können, eine Transskription vornehmen. Für eine solche Manipulation ist bereits ein geregeltes System vorhanden, indem die der römisch-katholischen Kirche und dem östreichischen Staatsverbande angehörigen Kroaten und Slovenen seit etwa fünfzig Jahren das lateinische Alphabet angenommen, verschiedene Konsonanten desselben aber zur Bezeichnung jener eigentümlich slavisehen Laute mit gewissen Zeichen. Häkchen und Accenten, versehen haben. Indes empfiehlt sich das so entstandene kroatische System für unseren Gebrauch nur wenig. Denn einmal bedarf es zu seinem Verständnis selbst erst wieder eines Kommentares, sodann aber sind entsprechende Typen nur selten in unseren Buchdruckereien ZU finden, und die Herstellung von Karten wird, namentlich bei kleiner Schrift, durch die dann winzigen und nicht leicht zu unterscheidenden Differenzierungszeichen äusserst erschwert. Deshalb hat sich denn auch der Altmeister der Kartographie, H. Kiepert, zur Annahme des phonetischen Frincips entschlossen und beispielsweise in seiner „neuen Generalkarte der unteren Donau und Balkanländer" (Berlin, 1880) ein in den beigefügten Erläuterungen näher beschriebenes, förmliches System phonetischer Transskription slavischer Worte aufgestellt, welches den feinen Nuancen zwischen den verschiedenen Zischlauten gerecht zu werden bestrebt ist. Unverkennbar aber wird dadurch gerade die Sache abermals erschwert und auch hier wieder für den Kommentar ein neuer Kommentar nötig. Beispielsweise ist damit, dass man für SpUZ, dessen Endkonsonant wie ein weicher Sch-laut, etwa ähnlich dem französischen j in jottr klingen soll, Spush schreibt, doch nur wenig geholfen. Es wird übrigens, selbst wenn der deutsche Leser sich im einzelnen Falle allemal besinnt, dass dies sh die Umschreibung für jenes weiche sch sein soll, demselben doch, namentlich am Ende eines Wortes, wie gerade bei Spush, gar nicht gelingen, eine dem betreffenden slavisehen Laut wirklich adäquate Aussprache zuwege zu bringen. Es ist dies unserer Zunge eben verwehrt. Ich halte es demnach für das Einfachste, wenn wir, mit Verwerfung auch des halbphonetischen Kiepertschen Systems, die slavisehen Wörter einfach nach ganz phonetischen Principien, d. h. so schreiben, wie sie eben auch unser an jene feinen Nuancen nicht gewöhntes Ohr hört. Denn ich vernahm bei meinem Aufenthalte in Spusch selbst niemals etwas anderes als eben Spusch oder Nikschitsch, das Kiepert Nikschitj schreibt. Was dann aber die verschiedenen Z-laute betrifft, denen wir begegnen, so schreibe ich c überall da, wo dasselbe auch jiach den Grundsätzen unserer Aussprache wie z lauten würde, also vor den hellen Vokalen e und i, z. B. Ceta, Cetinje, Berislavci; dagegen z, wo unser c wie k prononciert werden würde, also vor a, o, u, wie Podgoriza, Mertwiza, und vor Konsonanten. In letzterer Beziehung mache ich nur da eine Ausnahme, wo es sich um allgemeiner bekannte Worte handelt, deren Sehreibweise sich bereits fixiert hat, wie namentlich Crnagora, Crmniza und andere, vorzugsweise die Verbindungen von er, von denen schon jedermann weiss, dass sie wie Zer zu lesen sind, während sie, in letztgedachter ungewöhnlichen Form geschrieben, das Auge verletzen würden. Auf alle Fälle aber dürfte unsere Schreibweise den Vorzug haben, dass sie nicht erst wieder eines Kommentars bedarf, sondern ohne weiteres verständlich ist*'). IL Der Name des Landes. Woher der Name Crnagora oder, wie die alten Venetianer schon dies slavische Wort auf italienisch wiedergaben, Montenegro (in Dalmatien hört man neuerdings vielfach dafür auch Montenero) gekommen ist? Nichts scheint einlacher zu sein, als die Beant-wortung dieser Frage, die viele überhaupt für ganz überflüssig halten werden. „Schwarzer Berg" — wer dächte da nicht zunächst an dunkles Gestein, durch das der Boden ties Landes gebildet wird? Und in der That finden wir auch, dass diese Deutung die verbreitetste ist. So sagt Daniel, Handbuch der Geographie, 4. Auflage, Bd. 2, p. 67 A. 1.: „Alle drei Namen (er nimmt noch das türkische ,Karadagh' hinzu) bedeuten dasselbe: Schwarzer Berg, von dem düsteren Ansehen des Landes. Fan Berichterstatter nennt die Berge, die aus der Bucht von Kattaro aufsteigen, schwärzer als Kohle." So wären wir denn gleich fertig, wenn nur auch die Prämisse richtig wäre. Aber daran fehlt es eben merkwürdiger Weise. Die „schwarzen Berge" sind gar nicht schwarz, viel eher findet das Gegenteil statt. Den Boden der Crnagora bildet, um dies schon hier zu erwähnen, ein weisslich-grauer, auf frischem Bruche sogar hellweisser, in mergeligen Partien durch eingesprengte Muskowit-Glimmerblättchen vielfach selbst intensiv leuch- *) Ähnlichen Schwierigkeiten unterliegt selbstverständlich die Schreibweise der Namen aller Völker, die ein fremdes Alphabet haben, namentlich der Araber. Die in der Erdkunde gerade besonders häufig auftretenden, dieser Sprache entlehnten Worte sind anerkanntermassen eine wahre Crux für unsere Wissenschaft. Möchte auch hier bald eine allgemein acceptierte Transskription herrschend werden. Ich habe dafür in meinem „Algerien", Leipzig 1881, ebenfalls ein bequemes System aufzustellen versucht. tender Kalkstein, der durch Eisenoxyd an vereinzelten Punkten, im Ceta- (linke Uferwand) und im Moratschathal allenfalls rot, nirgends aber schwarz erscheint. .Selten also dürfte das Witzwort von lucus a non lucendo mehr am Platze und der Name weniger bezeichnend für die Sache sein, als hier. Namentlich betreffs der Westhälfte des Ländchens (Karstterrain) ist die weisslich-graue Färbung geradezu charakteristisch. Steigt man dort auf irgend eine Höhe hinauf, so ist dies das nahezu einzige Kolorit, welches dem Beschauer, soweit das Auge reicht, entgegentritt. Für diese Partie muss auch eine weitere Annahme, welche möglich erscheint, nämlich die, dass der Name von der dunklen Uberkleidung des an sich hellen Untergrundes herrühre, ausgeschlossen werden. Weder können, wie der betreffende Artikel im Meyerschen Konversationslexikon statuirt, die die Felsen überziehenden schwarzen Flechten noch meilenweit ausgedehnter Föhrenwald in Verbindung mit der fraglichen Bezeichnung gebracht werden, da in jener Landeshälfte, die noch dazu den Haupt-bestandteil des alten Montenegro bildete, weder Flechten noch Wälder vorhanden sind, sondern mit verschwindenden Ausnahmen die absoluteste Nacktheit des Gesteins herrscht. Will man aber auf frühere bessere Zeiten rekurrieren, in denen diese Gegenden einen reichen Holzbestand aufzuweisen gehabt hätten — dahin geht die gewöhnliche Ansicht der* Crnagorsen selbst, die in ihrem Patriotismus nicht selten auch diesem Kapitel ihre Aufmerksamkeit widmen — so ist zunächst zu erwidern, dass bei der herrschenden Bodenart überhaupt die ehemalige Bewaldung nicht nur von West-Montenegro, sondern der ganzen Ostküste der Adria von der Südseite der Alpen bis zur Bocche di Cattaro höchst fragwürdig erscheinen muss, dass aber, angenommen, dieselbe sei nicht bloss eine Fama, dann hier nicht Nadel-, sondern Laubhölzer, namentlich Rotbuchen vorherrschend gewesen sein werden, da jetzt noch, wenngleich meist nur spärlich, einzelne Partien der westlichen Kalkwüsten, beispielsweise in der Umgebung der Hauptstadt, mit dieser Art Waldbäumen ausgestattet erscheinen. Es gilt dies selbst noch von hohen Lagen am Lovtschen. Unzweifelhaft würden in dem beregten Landesteil, wo die Sommerhitze eine bedeutende und langandauernde zu sein pflegt, Coniferen erst in einer Höhe von über 1500 Metern in grösserem Massstabe gedeihen, während doch die durchschnittliche Höhe jener Plateaus kaum über 8—900 Meter beträgt; denn in der wasserreicheren und mit einem gleich-massigeren, kühleren Klima ausgestatteten Osthälfte Montenegros, der Brda, kommt Schwarzholz kaum noch unter 12(X) Meter Meereshöhe vor. Überhaupt aber tritt es selbst dort nicht in so ausgedehnten Beständen auf, dass davon die Benennung des ganzen Landes hätte ausgehen können. Vielmehr erscheint das Laubholz, namentlich die Rotbuche und verschiedene Fachenarten, vorauf die Zerreiche (quercus cerris L.), als der in der Waldregion Montenegros dominierende Baum, sö dass also, wo nicht das grauweise Kolorit auftritt, die hellgrüne Farbe und zwar in ausserordentlicher Lichtpracht zur Geltung gelangt. Selbst die durchschnittliche Erscheinung des Himmels, der über den „schwarzen Bergen'' ausgespannt ist, kann nicht — wie manche wollen — zu jener Bezeichnung Veranlassung gegeben haben. Denn nicht „hängt hier jahraus jahrein die düstre Wolke am wilden Felszinken", noch breitet sich, nur selten gelüftet, ein farbloser Nebelschleier über diesen Kehrichthaufen der Natur, vielmehr strahlt, von den kurzen Regenzeiten im Frühjahr und Herbst abgesehen, neun Monate lang ein kaum vorübergehend getrübtes, heiteres Firmament nieder, dessen intensive Bläue sich eindrucksvoll von der grellen Färbung des nackten Gesteins abhebt. Es bliebe sonach, wenn man den Ausdruck „schwarze Berge" im wörtlichen Sinne nehmen will, nur noch übrig, an eine eigentümliche Beleuchtung zu denken, in der dieselben, aus der Ferne und von tiefer gelegenen Standpunkten aus betrachtet, zuweilen, namentlich in späteren Nachmittagsstunden, sich darzustellen pflegen. Es ist dies nicht eine dem Gebirge inhärierende Eigenschaft, sondern ein optischer Effekt. Die coulissenartig hintereinander autsteigenden Rücken zeigen dann, im Schatten liegend, allerdings eine eigentümlich düstere Färbung. Dieser Erscheinung gedenkt schon Barth in seinem oben mitgeteilten Itinerarium, und auch ich beobachtete dieselbe in der Crmniza, vom Skutarisee und von der Ebene von Podgoriza aus. Während mich selbst in der Niederung noch blendender Sonnenschein umflutete, blickte das hochgehobene Bergland wie eine finstere Riesenburg nieder. Obwohl es nun auf alle Fälle nicht recht wahrscheinlich genannt werden muss, dass der Name eines Landes sollte buchstäblich so weit hergeholt sein, so ist dieser Erklärungsgrund doch immerhin wenigstens ein möglicher, was von den bisher erwähnten nicht gesagt werden konnte. Sollte er aber wirklich die Quelle des rätselhaften Namens gewesen sein, so stammte dieser letztere möglicherweise von den Türken, die ja die Niederungen im Süden innehatten, und dann wäre die bei denselben noch jetzt übliche Benennung „Kara Dagh" das Original und nicht erst eine Übersetzung von dem slavisehen „Crnagora". Unzweifelhaft aber kommen wir weiter, wenn wir überhaupt darauf verzichten, jenes Epitheton wörtlich zu nehmen und lieber eine tropische Deutung heranziehen. Das Einfachste ist dann, das „schwarz" im Sinne von „öde", „wild", „schauerlich erhaben", „unwirtlich", „unheilvoll" aufzufassen, ähnlich wie dies schon die Alten thaten, wenn es in einer ihrer Dichtungen heisst: „Hic niger est, hunc tu, Romane, caveto" — oder wie wir noch heute von einem „schwarzen" Fl erzen, einem „schwarzen" Verhängnis und dergleichen sprechen. Vielleicht aber ist diese Deutung noch etwas tiefer zu begründen. Man weiss, dass die Religion der Slaven ein dualistischer Naturdienst war. Swantewit mit dem Füllhorn und dem Bogen in der Ff and, sowie dem vierfachen, die Himmelsgegenden darstellenden Antlitz repräsentierte das Licht, die Helle, das Reine, Gute. Czernebog dagegen vertrat die Finsternis und damit zugleich das Böse. Daher finden wir denn Weiss und Schwarz in der Anschau-ungs- und Ausdrucksweise der alten slavisehen Völker derartig vorherrschend, dass alle anderen Farben daneben fast ganz verschwinden. Im Tatragebiete stossen wir zwar auch auf ein „rotes" Wasser (Tscherwenawoda), aber derartige Benennungen müssen eine grosse Seltenheit genannt werden. In Montenegro giebt es nur einen „weissen" (bei Dulcigno) und einen „schwarzen" Berg (Cerna Planina im Kutschi-Gebiete). Vielleicht ist selbst die auf das altklassische „Pontus EuxinUS gefolgte und jetzt allgemein aeeeptierte Benennung „schwarzes Meer (Tschernoje More, neugriech. Mauri Thalassa) sowie die jedoch fast nur bei den Griechen eingebürgerte Bezeichnung des aegäischen Meeres (oder richtiger des ganzen Mittelmeeres) als des „weissen" (Aspri Tb.) im letzten Grunde auch auf slavisehen Ursprung zurückzuführen. Indes auch jene beiden, so konträren Farben finden sich nicht gleich häufig angewandt, vielmehr herrscht das „Schwarz" in ausserordentlicher Weise vor, wie die tausendfältige Verbindung des Cemo mit allen möglichen Worten beweist. Das ist daher gekommen, dass der „finstre" Gott nicht mit dem absoluten Gegensatz gegen alles Gute,' wie das etwa in der biblischen Teufelsidee liegt, identisch war. Er repräsentierte die wilden Naturgewalten, die, so zerstörend sie auch auftreten, doch durch Sturm und Unwetter segnend wirken. Nimmt man nun noch hinzu die Sympathie für das physisch Gewaltige, das wild Erhabene, das Düstere und Geheimnisvolle, die, wie allen Naturvölkern, so auch den alten Slaven eigen war, dann wird man begreifen, dass Cernebog sogar die populäre Gottheit war. Zahlreiche Opferstätten wurden für seinen Kultus angelegt, von denen wohl viele auch seinen Namen erhielten. Beispielsweise dürfte die Benennung eines Berges in Sachsen, des Tschernebogs in der Lausitz, auf diese Weise entstanden sein. Da nun aber solche jener Gottheit geweihten Lokalitäten, entsprechend dem Wesen ihres Patrons, natürlich auch einen wilden, düsteren Charakter getragen haben werden, so kann man sich leicht denken, dass in der Folge überhaupt öden, unwirtlichen Landschaften das Prädikat „schwarz" beigelegt wurde. Was Montenegro anbetrifft, so wäre es selbst nicht unwahrscheinlich, dass das Ländchen von einer einzigen Opferstätte des „schwarzen" Gottes seinen Namen erhalten hätte. Der Ausdruck „schwarzer" Berg, der viel gebräuchlicher ist, als der doch ungleich näher liegende Plural, kann wenigstens auf eine solche Vermutung führen. Vielleicht ist der Lovtschen, dieser noch jetzt im ganzen Lande heilig gehaltene Gipfel, der serbische Parnass, der Taufstein der Crnagora gewesen. Dafür spricht möglicherweise auch der Umstand, dass die Eingeborenen nicht das ganze Land, sondern nur die Westhälfte unter der Bezeichnung „Crnagora" verstehen, dagegen die Osthälfte: „Brda" (Gebirge) nennen, wie dies schon der volle Titel des Fürsten: ^ Fürst und Flerr des freien Montenegro und der Brda" darthut. — III. Die horizontale Gliederung des Bodens. Die Grenze in alter und neuer Zeit. Unumgängliche Korrektion derselben in der Zukunft. Grösse des Landes. Wie auch immer der Name Crnagora entstanden sein mag, sicher ist es, dass man die „schwarzen Berge" rote, blutrote heisscn musste, wenn man die Geschichte des kleinen Gebiets berücksichtigen wollte. Ist doch von da an, wo nach der unglücklichen Schlacht auf dem Amselfelde („Kossowo polje") im 14. Jahrhundert, durch welche das so rasch emporgediehene, einen grossen Teil der Balkanhalbinsel umspannende, alte Serbenreich in Trümmer gelegt wurde, ein Häuflein der Besiegten auf das Gebiet des Fürstentums Genta flüchtete und dort im öden, schwer zugänglichen Hochgebirge sich ansiedelte, jener versteckte Winkel ein steter Tummelplatz für die Furien des Kriegs und Blutvergiessens gewesen. Ähnlich wie ehemals im heiligen römischen Reiche deutscher Nation, schlachteten sich die einzelnen Stämme jenes Bruchteils des grossen Serbenvolks auch selbst ab, die Thäler und Schluchten hallten wieder von dem wilden Kampfgeschrei derer, die auszogen, die Blutrache an den Stammesgenossen zu vollziehen, bis der Ruf des „Wladika", des Fürstbischofs oder Priesterkönigs — denn frühe schon hatte sich das kleine Reich in eine Flierarchie, eine Art Kirchenstaat verwandelt — zum Streit gegen den Erbfeind der Christenheit, den Türken, die Uneinigen wie durch Zauberkraft einte. In dem Masse, als der innere Krieg seltener, das Völkchen zahlreicher und selbstbewusster wurde, nahmen diese Feldzüge gegen die Muselmanen immer mehr zu. War man anfangs froh gewesen, so man sich nur mit Glück in der Defensive zu halten vermochte, so ging man allmählich immer mehr zur Offensive über. Die „schwarzen Berge" wurden zu einem stets in den Angeln knarrenden Ausfallsthor gegen den Halbmond, der armselige, verachtete Duodezstaat zu einer Beunruhigung der hohen Pforte und damit Europas, über welchem seit Jahrhunderten die orientalische I'rage wie ein Damokles-Schwert schwebte, überhaupt. Vergebens setzte der Padischah seine ganze Kraft daran, das kleine, widerspenstige Häuflein zu erdrücken. Unter Aufgebot tingeheurer Armeen gelang es ihm wohl, nach hundert Niederlagen einmal einen Sieg zu erringen. Aber es waren nur Pyrrhussiege. In den wilden Kalkklippen', wo die geschultesten Krieger ratlos vor unüberwindlichen Hindernissen standen, während die Eingeborenen wie Katzen über Stock und Stein huschten, bedeckten nicht selten Pausende der Feinde den Boden, während Montenegro keine hundert Mann verloren hatte. So musste der Mut, die Verwegenheit der armen Berghirten unter all' den Stürmen der Jahrhunderte nur grösser und grösser werden. Während sonst der Name der 'Türkei überall im civili-sierten Abendlande Schrecken verbreitete, hatte der wilde Stier hier seine Bremse gefunden, die er vergeblich abzuschütteln suchte. Wollte irgend eine Macht der Pforte Verlegenheit bereiten, ohne sich selbst zu exponieren, so steckte sie sich hinter Montenegro. Wollte sie offen losschlagen, aber doch leichteren Sieges halber die Streitkräfte des Halbmondes teilen, so wurde Montenegro vermocht, zu gleicher Zeit den Säbel zu ziehen. Und gab es einmal keine officieile Beschäftigung, so zogen einzelne Stämme, ja selbst einzelne Familien auf eigene Faust zu einem Überfall gegen die benachbarten Muselmanen aus. Ja selbst wenn die Pforte, um die ewigen Ouälgeister endlich einmal los zu werden, zu einer grossmütigen Cession angrenzender Gebietsteile sich herbeiliess, so war schon am nächsten Tage wieder Anlass zum Losschlagen gegeben. Man würde aber irren, wollte man ein derartiges, durch Jahrhunderte fortgesetztes, professionsmässiges Kriegi'ühren aus einer dementsprechenden Anlage des montenegrinischen Volkes erklären. Die Slaven gehören im Gegenteil unzweifelhaft zu den friedlicher beanlagten Nationen der Erde, wie dies ein Blick auf die Slowaken, die Russen und namentlich die Bewohner des heutigen Serbiens beweist, die, obgleich ebenfalls Jahrhunderte lang in feindseliger Berührung mit den Türken, doch eine viel weichere und unkriegerische Art zeigen als die Crnagorsen. Nach alledem werden wir die Wurzel, aus welcher die blutige Vergangenheit Montenegros erwachsen ist, mindestens nicht ausschliesslich innerhalb, sondern auch ausserhalb des Volkes selbst zu suchen haben. Und zwar muss es den Geographen mit hoher Ge-nugthuung erfüllen, dass wir sie in Verhältnissen finden, auf die gerade durch die von ihm vertretene Wissenschaft ein helles Licht geworfen wird. Nirgends auf Erden nämlich ist es jemals deutlicher zu Tage getreten, was sogenannte natürliche Grenzen zu bedeuten haben und welch einen schweren Fehler die Politik begeht, wenn sie jene unberücksichtigt lässt, als dort. Das Gebiet, welches ursprünglich Montenegro umfasste, vermochte nicht, einen lebensfähigen Staat zu bilden. Wohl eignete sich seine hochgehobene Steinwüste zu dem, was sie für jene Flüchtlinge von Kossowo Polje hatte sein sollen, zu einem Asyle, das Schutz gegen die verfolgenden Feinde gewährte. Aber diese Ansiedler nun auch dauernd zu fesseln, ihnen Unterhalt und alles zur gesunden Entwicklung eines Staatswesens Nötige zu liefern, dazu war sie ausser Stande. Eine Bergfestung vermag Wohl für die kurze Frist einer Belagerung, aber nicht für immer eine grössere, aus der Umgegend zusammengeströmte Menschenmasse zu beherbergen. Die alten Mauern werden bald zu eng werden. Schneidet man einem Menschen die Möglichkeit, sich zu ernähren ab, so wird er sich unfehlbar zu Diebstahl und Raub getrieben fühlen. Das alte Montenegro umfasste nur weniges Kulturland. Es war im Grunde auf die beiden Thäler der Ceta und der Crmniza beschränkt, da das Moratschathal zu eng ist, um in Frage zu kommen. Wenige Tausend Menschen hatten dort Raum, während l—200,000 seiner Einwohner auf das Hochland angewiesen waren, das nicht einmal, wie andere Gebirge, saftige Alpenwiesen oder nutzbare Holzbestände bot. Diese Armut ihres Territoriums musste sich den Crnagorsen um so fühlbarer machen, als sie von ihren Höhen aus fast rings um sich die üppigsten Landschaften und zwar im Besitz entweder des Erbfeindes der Christenheit oder slavischer Brüder sahen. Beides reizte nicht wenig:, die erstere Thatsache zur Vertreibung der Be- sitzer, was in diesem Falle noch als ein verdienstliches Werk erscheinen musste, die letztere zur Vereinigung mit ihnen, um so ein lebensfähigeres Gemeinwesen zu bilden. Gewiss wenigstens dürfte man kaum irgendwo ein Gebiet antreffen, das aus der grössten Öde heraus lachendere Fernsichten erschlösse, als Montenegro. Was zuerst den Westen angeht, so sieht man überall auf der aufgewulsteten Kante der Riesenmauern, mit welchen dort die Ralkanhalbinsel zur Adria abstürzt, vom Orien bis zum Sutorman, das weite Meer mit Gestaden, denen der vollste Zauber des Südens eigen, direkt unter sich. Es ist dem Reschauer da droben fast, als müsse er den Duft der Orangen und Rosen aus der Tiefe riechen, während ihn auf seiner schwindligen Höhe eine scharfe, oft genug selbst eisige Luft umweht, O klopfen wir doch an die eigene Brust, in der die Sehnsucht nach dem schönen Süden wohnt, schon ehe wir ihn gesehen, und sagen wir uns dann, dass Hunderte von Montenegrinern auf ihren sauren Erwerbsgängen von Cetinje nach Cattaro, über den Sutorman nach Antivari oder von Nikschitsch nach Risano täglich das lockende Bild vor Augen haben; erinnern wir uns, dass unsere Väter mit dem Schwert in der streitbaren Faust immer und immer wieder auf ihren Römerzügen die Alpen überschritten, obwohl ihnen im Wunderland Italia keine Stammesgenossen wohnten, halten wir uns dann ein, dass der Crnagorse da drunten am Schemen Adriastrande Brüder angesiedelt weiss, wollten wir es dann noch immer so unnatürlich und ungerechtfertigt finden, dass ihn dorthin ebenfalls des Herzens Verlangen zieht? Werden wir dann nicht das Jahrhunderte lange Ringen des hungernden Völkchens besser verstehen als bisher und es aufgeben, immer nur von unruhigem und unersättlichem Raubgesindel und gemeinen l lammeldieben zu reden, wie dies beispielsweise in grossen und anständigen Tagesblättern wieder anlässlich des jüngsten Aufstandes in der Krivosclü geschah? Aber nicht bloss der Westen, das Meer, lockt die abgeschiedenen Crnagorsen. Auch gegen Mittag hin ist überall ein Vorhang aufgezogen, der ihnen aus ihrem finsteren Sperrsitz heraus einen Blick in eine glänzende Ferne gestattet. Ja, gerade in dieser Richtung liegen Panoramen, die vielleicht zu dem Effektvollsten zählen, was Europa Derartiges bietet. Es ist der Skutarisee mit seinem weiten, blauen Wasserspiegel und der in Nordosten an ihn angrenzenden, ausgedehnten, grünen Ebene von Podgoriza, die dort sichtbar werden und namentlich im Vergleich mit der öden, nackten, grauen Kalkwüste des westlichen Montenegros ein geradezu überwältigendes Bild bieten. Überall, wo man dasselbe erblickt, glaubt man, mitten in der wüsten Rumpelkammer der Natur, in der man sich befindet, ein von Feen herbeigezaubertes Tableau zu sehen oder von einem freundlichen Traum getäuscht zu werden. Hat das karstige Montenegro, schon an sich betrachtet, eine gewisse Ähnlichkeit mit der Sahara, so scheint, um diese zu vervollständigen, selbst die Fata morgana nicht zu fehlen. Denn so und nicht anders mutet in dem dürren, trockenen Gestein die in der Perne auftauchende, duftig blaue Wassermasse an. Und zum Unglück präsentiert sich dies wunderbare Bild auch fast auf allen nur irgendwie höheren Punkten des Ländchens, bei Grahowo wie auf dem Planiniza-Pass südlich von Nikschitsch, bei Cetinje wie von den Uferbergen des Moratscha-Thales aus. Fast jedesmal, wenn man um eine Ecke biegt, oder aus einer Schlucht tritt, liegt der herrliche Gebirgssee bald näher, bald ferner vor Augen. Aber selbst damit ist die lockende Perspektive, die ehemals die Crnagorsen genossen, noch nicht erschöpft Sie blickten auch nördlich herab auf die stundenweit ausgedehnte, anmutige lloch-alpenwiese von Nikschitsch, sahen östlich Kolaschin und seine fruchtbaren Gelände unter sich liegen, und genossen, damit auch die letzte der vier Himmelsgegenden nicht fehlte, vom hochragenden Kom die Aussicht hinunter in die reich gesegnete und namentlich das herrlichste Obst erzeugende Hochebene von Gusinje und Plawa mit dem nach letzterer Stadt benannten, anmutigen Gebirgssee. Fassen wir dies alles zusammen, so müssen wir sagen, dass die armen Montenegriner aus ihrem Felsversteck heraus nach allen Seiten hin ein Paradies erblickten, dass für sie aber ein verlorenes und verschlossenes war. Es erging ihnen nicht anders, denn dem Moses, den Jehova an der Grenze des gelobten Landes, drin Milch und Honig floss, auf einen hohen Berg führte, indem er zu ihm sprach: „Mit deinen Augen wirst du es sehen, aber hineinkommen sollst du nicht!" Die Qualen des Tantalus, vor dessen Augen köstliche Früchte hingen, die entwichen, sobald er darnach griff, musste« sie erdulden. „Raum für alle hat die Erde, warum nur für uns nicht?" Daneben war diese unnatürliche Abgrenzung des montenegrinischen Gebiets im allgemeinen noch in einer besonderen Hinsicht verschärft und nahezu unerträglich gemacht worden. Ziemlich durch die Mitte des Ländchens floss in der Richtung von Norden nach Süden die Ceta, aber 'nur der Mittellauf derselben gehörte der Crnagora an; der Oberlauf, der in der schon erwähnten Alm von Nikschitsch liegt, und der Unterlauf, zu dessen Gebiet die weite Ebene von Podgoriza gehört, waren der Türkei vorbehalten, ja das Territorium der letzteren ragte selbst noch in das Thal der mittleren Ceta soweit hinein, als dasselbe in grösserem Massstabe kulturfähig war, das heisst, es umschloss noch die dort gelegene, herrliche Ebene von Spusch, in deren Mitte auf isolirtem Felskopf die starke Zwingburg lag, die jenen weit in den Leib des montenegrinischen Landes eingetriebenen Keil schützte. Durch diese beiden, von Norden und von Süden vorgeschobenen Flügel türkischen Gebiets war das kleine, montenegrinische Land so zu sagen in seinem Centrum unterbunden und nahezu in zwei getrennte Hälften zerlegt worden; es hatte etwa die Form einer menschlichen Lunge mit ihrem Lappenpaar. Selbstverständlich wurde dadurch die Position der Crnagorsen schon taktisch nicht wenig geschwächt. Zwei türkische Armeen, die eine von Nikschitsch, die andre von Spusch vorrückend, konnten sich bequem an einem Tage die Hand reichen und so das Land in zwei getrennte Teile zerreissen. In der That versuchte denn seiner Zeit auch Suleiman Pascha seinen bekannten Durchzug durch „ganz Montenegro" mittelst des gekennzeichneten kürzesten Durchmessers zu bewerkstelligen, wobei er freilich infolge der Tapferkeit der Crnagorsen ganz andere Schwierigkeiten fand, als man nach Lage der Sache erwarten konnte. Ein weiterer Nachteil jener Zusammenschnürimg Montenegros gerade im Herzen seines Territoriums war natürlich auch dies, dass seine einheitliche innere Entwicklung gehemmt wurde und die Osthälfte im Vergleich mit der mehr in dem Rereiche des abendländischen Kultureinflusses gelegenen Westhälfte zurückblieb. Endlich wurde dadurch, dass im Norden und Süden die Türken standen, bereit, von starken Stützpunkten aus einzufallen und alles zu verwüsten, der Besitz des mittleren Cetathales, das doch neben der Crmniza das Hauptkulturland, die Getreidekammer Montenegros bildete, im Grunde gänzlich illusorisch. „Gott sei Dank," sagen daher die Crnagorsen, „Gott sei Dank," auch alle Freunde des europäischen Friedens wie alle Menscheitfreunde überhaupt, dass der Berliner Kongress diesen schreienden Übelständen wenigstens einigermassen abgeholfen hat. Zwar sehen die tapfereu Bergbewohner von der Höhe des Krstatsch über Cattaro noch immer auf das kaum einen Büchsen-schuss in Luftlinie entfernte Meer hinab, ohne es das ihre nennen zu können. Die Bocche di Cattaro, die sie im Verlaufe ihrer vielhundertjährigen Kriegsgeschichte mehrmals eroberten, ist ihnen nicht zugesprochen worden. Sie empfinden dies, das ist sicher, schwer genug, und ob sie bei den gegenwärtigen Unruhen dort unten ihre Hand im Spiele haben oder nicht, erscheint ganz gleich. Thatsache ist, dass ihr Flerz bei ihren gegen die Habsburgische FTerrschaft sich auflehnenden südslavischen Stammesgenossen weilt. Indes thuen die Montenegriner entschieden unrecht, sich so auf den Besitz der Bocche di Cattaro zu klemmen. Einmal ist dieses Streben, so lange es noch ein Ostreich giebt, ganz vergeblich. Denn dieser Staat bedarf jenes prächtigen Naturhafens, der mit seinen weiten Innenräumen ganzen Flotten zur Operationsbasis wie zu einem Rückzugsasyle dienen kann, ohne dass bei dem engen, wohlverwahrten Zugange eine feindliche Flotte folgen könnte, unbedingt. Dort liegt das östreichische Gibraltar. Ohne die Bocche keine ('»streichische Adriaherrschaft, ja kaum ein Ein-fluss, ein Flandel Ostreichs auf dem Mittelmeer und nach dem Orient, sogar kaum noch ein östreichisches Triest. Montenegro dürfte sich also durch sein fortgesetztes Schielen nach dem schönen Meerbusen nur des mächtigen Nachbars Missgunst zuziehen, ohne etwas zu gewinnen. Sodann alter würde jener Besitz, so kostbar er für Ostreich erscheint, nicht einmal für die Crnagorsen besonders wertvoll sein. Das Hinterland der Bocche, das Gebiet von jenseits Cattaro bis ans Cetathal, ist das ödeste, unproduktivste und zukunftsloseste Stück montenegrinischer Erde, baue Verbindung mit der See an dieser Stelle würde also wenig Gewinn verheissen. Ausserdem müsste ein solcher durch die überaus schwierige Kommunikation, welche von dem gerade an den Ufern der Bocche ausserordentlich steilen und tiefen Abfall des Hinterlandes bedingt wird, wieder sehr in Frage gestellt werden. Für die Montenegriner war nur — wie dies für die gedeihliche Faitwicklung jedes modernen Staates unerlässliche Vorbedingung ist — der Besitz einer Meeresküste nötig. Derselbe ist ihnen denn nun endlich auch zugefallen und zwar an einem für sie viel günstigeren Punkte. Die Türkei musste ihnen zunächst Antivari, das sie übrigens durch regelrechte Beschiessung sich selbst erworben hatten, überlassen. Dieser Adriahafen ist nicht nur von einer ziemlich ausgedehnten, äusserst fruchtbaren Strandebene umgeben, er hat vor allem mit dem Inneren von Montenegro, und zwar mit den produktivsten Teilen desselben durch den im ganzen bequemen Sutor-manpass Verbindung. Podgoriza mit seinem hochbedeutsamen Markte, sowie das produktenreiehe Ceta- und Crmnizathal, von denen letzteres einstmals vielleicht selbst noch mineralische Schätze (Petroleum, Eisen, Steinsalz) wird abgeben können, vermögen nun leicht mit dem Meere zu kommunizieren. In der That konnte ich bei meinem Aufenthalte in Podgoriza auch bereits die ersten Anfänge eines Handels zwischen Albanien und Italien, der diesen Weg nahm, beobachten. Bedeutsamer noch ist für Montenegro der Erwerb von Dulcigno. Denn mag auch dieser Punkt etwas weit im Süden liegen, so darf man doch nicht vergessen, dass dort allein das Hinterland in Form unerniesslicher Niederungen an das Meer anstösst, dass also dort, abgesehen von dem Wert dieser Tiefländer an sich, auch die Verbindung des Hinterlandes mit dem Meere am leichtesten ist. Für eine solche bietet übrigens die Bojana, deren von dem nahen Dulcigno aus zu beherrschende Mündung nunmehr gleichfalls montenegrinisch ist, noch besondere Vorteile. Denn dieselbe ist der schiffbare Ausfluss des grossen Skutarisees, welcher seinerseits Wieder das Sammelbecken der teilweise vielleicht ebenfalls schiffbar zu machenden, auf alle Fälle aber auch durch ihre Thal-Spalten Naturwege in das Herz der sonst so unzugänglichen Crnagora eröffnenden Müsse des Landes darstellt. Schwarz, Montenegro. 24 Solchen Acquisitionen gegenüber wollen die übrigen Grenzerweiterungen, welche Montenegro in Berlin erreicht hat, wenig besagen, wenngleich für ein so armes Land die grasreiche Hochebene von Nikschitsch sowie das gut bewaldete und stellenweise auch anbaufähige Tarathal immerhin wertvolle Errungenschaften genannt werden müssen. Die Zukunft, die Lebensfähigkeit des kleinen Staates aber hängt unbestreitbar nicht von einer Ausbreitung nach Norden, wo sich innner wieder Gebirge an Gebirge reihen, sondern von dem Besitz der ausgedehnten Tief lande im Süden und des dort gelagerten, mit dem Meere verbundenen Skutarisees ab. Das in dieser Richtung sich absenkende Hochland deutet doch auf dasselbe hin, und wer es mit Montenegro gut meint, kann ihm keinen besseren Rat geben als den: verlegt euren Schwerpunkt nach Süden! — Um so mehr ist es zu beklagen, dass die europäische Diplomatie hinsichtlich dieses Kardinalpunktes das Werk nur halb gethan hat, beziehentlich dass sie durch den Popanz der sogenannten albanesischen Liga, die lediglich eine schlaue Erfindung der Pforte war, von ursprünglich weitergehenden Plänen sich hat abbringen lassen. Infolge dessen ist nur das eine Ufer der Bojana in den Besitz Montenegros gelangt. Nun, wir Deutsche, denen eine ähnliche unnatürliche Teilung dessen, was von Haus aus zusammengehört, Gut und Blut genug gekostet hat, können beurteilen, was das sagen will. Dazu kommt, dass bei der Bojana eine solche widersinnige Massnahme doppelt unheilbringend wirken muss, weil dieser an und für sich herrliche, breite und tiefe Strom ganz nötig einer Korrektion bedarf, um seinen Beruf, eins der bedeutsamsten Gewässer des Südens zu werden, auch erfüllen zu können. Aber wer von den beiden Besitzern, die sich Gewehr im Anschlag aul den beiden Ufern gegenüberstehen, wird Ruhe und Geld genug finden, um jenes Werk auszuführen? Übrigens gehört Montenegro sogar nur der unterste Teil jenes Stromes. Noch bevor die Hälfte seines gesamten Laufes erreicht ist, zieht sich die Grenzlinie wieder nördlich zurück, um, schräg mitten durch den Skutarisee laufend, nahe an dessen Nordende das jenseitige Festland zu erreichen. Dort geht sie dann am Südrande der Ebene von Podgoriza hin und steigt hierauf zu dem mächtigen Eckpfeiler des Korn empor. Was nützt, so wird man mit Recht fragen, die Mündung eines Flusses, wenn die übrigen Partien dieses Wasserlaufes in den Händen einer feindlich gesinnten, ausserdem aber auch trägen und verkommenen Rasse sich befinden? Selbst der Wert des Skutarisees wird durch die 'Peilung desselben fast auf Null reduziert. Namentlich kann sich ein lebhafter Handelsverkehr über seine ausgedehnte Fläche hin, zu welchem alle übrigen Bedingurlgen vorhanden sind, nicht entwickeln, so lange nicht die Räuberhorden, die noch dort an den Ufern hausen, ausgerottet sind, wozu die Pforte weder den guten Willen noch die Kraft und den Mut hat. ja sogar das schöne Geschenk von Podgoriza mit seiner weiten Ebene wird dadurch problematisch, dass dicht an deren Südseite hin die türkische Grenze gezogen worden ist, sodass die muselmanischen F'orts noch drohend von nahen l^elszacken in die friedliche Landschaft niederschauen. Diesem Übelstande ist es namentlich zuzuschreiben, dass sich Podgoriza, das albanesische Leipzig, die bedeutendste Handelstadt weit und breit, noch immer nicht von den Schädigungen des letzten Kriegs erholen kann, obwohl alle Vorteile, denen es seine ehemalige grosse Blüte verdankte, noch vorhanden sind, ja durch die montenegrinische Öccupation entschieden einen Zuwachs erhalten haben. Im Interesse Montenegros wie im Interesse des europäischen Friedens, der leider noch immer von der Ruhe auf der Balkanhalbinsel abhängt, müssen wir also eine nochmalige Grenzkorrektion oder richtiger einen naturgemässen Abschluss der einmal eingeleiteten Korrektion wünschen. Derselbe würde vor allem davon auszugehen haben, dass der ganze Skutarisee und die ganze Bojana, weil beide für die P.xistenz Montenegros unentbehrlich sind, ausserdem auch zum Flussgebiet dieses Landes von Natur gehören, demselben zuzufallen halien. Um jedoch die Türkei möglichst zu schonen, sollte zu diesen beiden Wasserobjekten nur das nötigste Areal von jenseits geschlagen werden. Ziemlich schwierig scheint dies letztere betreffs der Bojana durchzuführen, da sie ja mit dem Drin, einem aus dem Herzen von Albanien kommenden und daher türkisch zu verbleiben habenden Flusse in ein und derselben Ebene liegt. Indes zieht 24* sich doch, wie ich bei meiner Bojanafahrt beobachtet habe, und wie auch die östreichische Generalkarte (L. 13, Durazzo) angiebt, ein wenngleich niedriger und nicht allenthalben erkennbar fortlaufender Höhenzug zwischen beiden Wasseradern hindurch, der als Naturscheide angenommen werden könnte. * Leichter ist die Sache bei dem Skutarisee, obwohl hier, soll das Becken wirklich ein gesicherter Besitz werden, ein etwas tieferer Schnitt in das Fleisch der Türkei ausgeführt werden müsste. Die Natur hat an dieser Stelle selbst eine gewaltige Grenzmauer aufgeführt, dies ist das oberalbanesische Alpengebirge, das in ganz richtiger Erkenntnis ehemals auch schein der Berliner Kongress zu gleichem Zweck ins Auge gefasst hatte. Freilich, da dieser Riesenwall nur gegen die Mitte des Seegestades hinweist, Skutari aber, schon um die Bojana zu behaupten, mit in den montenegrinischen Besitz einbezogen werden müsste, so würde man zunächst die Hügelzüge hinter jener Stadt als Grenzfundamente anzunehmen und dann auf dem von dein Hauptstocke des genannten Hochgebirgs südlich sich herabsenkenden Seitenaste, dem Zukali, der eine Höhe von über 18OO Meter hat, und Wasser sowohl nach der Bojana als dem Drin entsendet, hinzugehen haben. Auf diese Weise würde Montenegro zu den Niederungen, die es im Süden, der Ebene, die es im Herzen seines Gebiets bei Spusch, und der Hochebene von Nikschitsch, die es im Norden erhalten hat, auch noch ein prächtiges Kultur- und Weideland in dem wilden Nordosten seines Gebiets, die Hochebene von Gusinje und Plawa, gewinnen. Man wird zwar einwenden, dass das letztere Gebiet, weil von Albanesen bewohnt, nur eine Ouelle der Unruhen abgeben müsse. Allein einmal sind mehrere der dort hausenden, zur Zeit noch unter türkischer Herrschaft stehenden Stämme gar nicht albanesischen, sondern slavisehen Ursprungs. Sodann ist bei der grossen Uneinigkeit und Eifersucht, welche zwischen den zahlreichen Clans der echten Albanesen herrschen, ein Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit, an dessen Existenz das türkische Kunstprodukt der albanesischen Liga uns glauben machen wollte, gar nicht vorhanden und die Herausbildung eines einheitlichen albanesischen Volkes und Reiches zur Zeit wenigstens ein Ding der Unmöglichkeit. Ausserdem dürfte die klare Erkenntnis von der völligen Unfähigkeit der Regierung am Bosporus, die sich, wie überall unter den der Türkei unterworfenen Stämmen, so auch unter den Albanesen mehr und mehr Bahn bricht, und die dadurch geförderte Überzeugung, wie viel mehr von einem Anschluss an Montenegro zu erhoffen ist, nicht wenig zur Pacifikation jener Gebirgsbewohner im. Fall einer montenegrinischen Annexion beitragen. Als Beleg für diese Ansicht diene das 'bereits recht leidliche Verhältnis, das in Dulcigno zwischen Crnagorsen und Amanten herrscht, während man uns doch seinerzeit einredete, die letzteren hegten die Absicht, sich mit ihren Usurpatoren in die Luft zu sprengen. Was die übrige Abgrenzung anlangt, so ist an derselben im Grunde wenig auszusetzen. Nur das eine ist nicht abzusehen, nämlich warum man den Thallauf der Tara als Scheide im Nordosten angenommen hat, während doch ein zwischen dieser und dem Lim fast ohne Unterbrechung streichender, im Mittel über 1200 Meter hoher Zug eine viel natürlichere und beruhigendere Grenzlinie ergeben haben würde. Im Norden endlich, wo das montenegrinische Hochland ohne klare Trennung in die Gebirge Südbosniens und der Herzegowina übergeht, und in Montenegro entspringende Flüsse der Donau zueilen, ist eine durchgehende, bestimmte Naturgrenze nicht anzugeben. Doch erscheint dies dort, wo ja Ostreich der Grenznachbar ist, auf dessen Grossmut der kleine Staat immer angewiesen bleiben wird, auch ungleich weniger nötig, als nach türkischem Gebiete hin. In letzterer Richtung allein liegt der Schwerpunkt der ganzen Frage und es bleibt sicher, dass erst wenn dort die Verhältnisse naturgemäss geregelt sein werden, die Crnagora sich friedlich und gedeihlich entwickeln und wenn auch keinen Grossstaat, ja nicht einmal ein besonders reiches Gebiet, so doch wenigstens ein lebensfähiges Land wird darstellen können. Montenegro, das vordem noch nicht 100 □Meilen hatte und jetzt, nach dem Berliner Vertrag, deren circa 150 umfasst, dürfte dann etwa dem Königreich Sachsen gleichkommen und gegen 260 DMeilen mit 2 bis 300,000 Einwohnern einschliessen. Es würde nach einer solchen Abrundung auch $ine weniger ungewöhnliche Form darstellen als jetzt, Wo es einer bauchigen Flasche mit langem, schmalem, in südlicher Richtimg ausgestrecktem Halse gleicht, der uns schon die Schwierigkeit einer Verteidigung andeutet. IV. Vertikale Gliederung des Territoriums. Höhentabelle. Wir haben die soeben geforderte Gebietserweiterung Montenegros mit den ungenügenden Verhältnissen des Terrains in der bisherigen Ausdehnung motiviert. Wir müssen daher denselben noch eine etwas eingehendere Betrachtung widmen. Das Unglück Montenegros liegt in der Art seines Gebirges. So sei denn davon vor allem die Rede! Die Crnagora ist, wie dies schon in ihrem mit gora, „Berg", zusammengesetzten Namen liegt, im wesentlichen ein Gebirgsland. Ja, sie stellt sich, wie man dies ebenfalls durch die Benennung, nämlich die Verwendung des Singulars gora, für angedeutet halten könnte, im Grunde nur als ein einziger Berg dar. Es ist die Massenerhebung, die hier zur Erscheinung kommt. Im Gegensatz zu Einzelgebirgen, welche, wenn auch oft in bedeutender Längenentwickelung („Zug", „Rücken"), in der Regel doch mit geringerer Breite aus relativen Niederungen aufsteigen und, indem in grösserer oder kleinerer Höhe die Flanken sich schneiden, die normale, auf der Grundidee des gleichschenkligen Dreiecks, der Pyramide, beruhende, dachartige Gebirgsform darstellen — die Tatra in Oberungarn ist ein ziemlich vollkommenes Modell — im Gegensatz dazu, sage ich, bildet die Crnagora eine Erhebung, die zwar auch verhältnismässig steil aus den Tiefländern, beziehentlich von der Meeresküste aufstrebt, aber auf der Höhe in ausgedehnter Weise zu horizontaler Pattfaltung zurückkehrt. Die Bodenform Montenegros ist nicht das Hochgebirge, sondern das Hochland*;. *) Wir gestatten uns, das Wort Hochland in dem Sinne von Hochplateau, Massenerhebung /,u verwenden , obwohl es bisher, mehr vulgär, nur für „GebirgS" Indes tritt dasselbe hier im einzelnen doch, wenn auch Analogien dazu zufällig in nächster Nähe liegen, vielfach anders auf, als in anderen, im allgemeinen ähnlich gestalteten Ländern. Ja, innerhalb der Crnagora selbst trägt die Erhebung an verschiedenen Punkten einen ganz verschiedenen Charakter. Wir haben vornehmlich zwei Gebiete zu unterscheiden, die orographisch von entgegengesetztem Charakter sind, einmal die Westhälfte des Landes, vom Gestade der Bocche di Cattaro bis zu dem tiefen, nahezu durch ganz Montenegro sich ziehenden Thaleinschnitt der Ceta, dessen Sohle, wenn man von dem kurzen, etwa 650 Meter Meereshöhe aufweisenden Oberlaufe in der Nikschitscher Ebene absieht, durchschnittlich kaum über 50 Meter liegt. Dem steht dann die zweite, östliche Hälfte, von der Ceta bis an die Tara, beziehentlich bis an den Lim entgegen. Die erstgenannte Partie kommt im allgemeinen ihrem Bauplane, der Idee der Hochebene, am nächsten, indem sie verhältnismässig wenig Abweichungen von der Horizontallinie, sowohl positive, Gipfel, als auch negative, Thäler, zeigt. Ihre in dieser Weise ziemlich konstante Höhe kann zu 7 bis 800 Meter angenommen werden. Nur da, wo nach Südwesten hin die horizontale Lagerung plötzlich fast rechtwinklig in die vertikale Gliederung übergeht, um mit Steilwänden zur Adria abzufallen, macht sich stellenweise eine Kantenaufwulstimg bemerklich, so dass also dann Randgebirge entstehen. Dieselben weisen bald grössere, bald geringere Höhe auf; ihre mächtigste Entfaltung jedoch erreichen sie in der Gruppe der Stirovnik (Lovtschen), wo sie es bis zu 1723 Meter bringen, was etwa das Doppelte der durchschnittlichen Gesamthöhe des ganzen Plateaus ausmacht. Charakteristisch ist es für die Neigung zu horizontaler Entfaltung, die dem Gebiete überhaupt innewohnt, dass auch diese dominierende Erhebung nicht in einer scharfen Spitze kulminiert, sondern in einen breiten, sargdeckelähnlichen Rücken mit einem kleinen, felsigen Plateau ausläuft. Was das Innere des gegen das Meer hin abgesperrten Gebiets anlangt, so sind nur wenige über das allgemeine Niveau der Hochland" im allgemeinen gebraucht wurde. Das wissenschaftlich längst acceptierte Wort „Tiefland" dürfte aber unseren Gebrauch rechtfertigen. fläche markant sich erhebende Gipfel bezüglich Gruppen mit nicht .selten ebenfalls wieder horizontaler Scheitelabflachung zu erwähnen. Wir nennen, im äussersten Norden anfangend, namentlich die gewaltige Masse des Maglitsch, südwestlich vom Zusammenfluss der Tara und Piwa, 2347 Meter, dann südlich darunter den Orlowo Brdo, 1954 Meter; ebenso immer weiter nach Süden die Dobreliza, 1864, und die Ledeniza, 1913 Meter. Dann folgt am Nordende des Duga-Passes die Golija, 1913 Meter, und nordöstlich von Nikschitsch der Woinik, 1968 Meter, der westlich und südlich von einer ganzen Reihe kleinerer Gipfel umgeben ist. Hierauf müssen wir einer gleichfalls beträchtlichen Zahl ausgeprägterer Einzelerhebungen in dem breiten Räume zwischen Bilek und Nikschitsch gedenken. Die bedeutendsten derselben sind die Kita, am Westende der Nik-schitscher Hochebene, 1225 Meter, noch weiter westlich der Wardar, 1513 Meter, und, bereits unweit der Trebischniza, die Straschiste, 1225 Meter. Zwischen Trebinje und Cetathal (Ostrog), doch näher nach letzterem gelegen, erhebt sich nur der Pusti-Lisaz, 1448 Meter, sowie etwas tiefer, zwischen Risano und Spusch, der Ktschewo-Lisatz, der nicht höher als 1134 Meter ist, doch bringt es der Goratsch, nordwestlich hinter Danilovgrad, den man, in Anbetracht des tiefen Einschnittes der Ceta auf seiner Ostseite, gleichfalls ein Randgebirge nennen könnte, noch bis zu 1423 Meter. Zwischen Spusch und der Bocche di Cattaro finden wir, wieder auf weiter Fläche, nur den Stawor mit 1220 Meter, südwestlich von Cetinje den „Riesenberg", 823 Meter, und südöstlich über Rjeka die Bobija, 422 Meter. In dem ganzen Räume zwischen Cetinje und dem Sutormanpass treten, von einzelnen ansehnlicheren Gipfeln des schon erwähnten Randgebirges, z. B. der Gradina hinter Budua. 644 Meter, abgesehen, eigentliche Spezial-Erhebungen in der weiten Einöde der Hochebene nicht mehr auf. Aus diesen kurzen Angaben ersieht man also ein zweifaches, nämlich einmal dies, dass in der Westhälfte von Montenegro die dem Hochplateau aufgesetzten Einzelgebirge nach Norden hin an Zahl zunehmen, dagegen im Süden sich mehr und mehr verlieren; es gewinnt also das fragliche Gebiet nach Norden hin mehr den Charakter des Hochgebirges, während es, je weiter nach Süden zu, um so mehr ausnahmslose Hochebene wird. Als zweites ist dabei noch zu beachten, dass auch diese noch vorhandenen Einzelerhebungen in der letztgenannten Richtung an Höhe einbüssen. Im Anschluss daran muss zugleich konstatiert werden, dass überhaupt dieser ganze, beiläufig etwa 50 □Meilen umfassende Teil der Crnagora eine nordsüdliche Abdachung zeigt, wie solche mehr oder minder dem ganzen Lande eigen ist. Es liegt nämlich die Hochebene von Gazko (Gazko Polje) noch über 1000 Meter, Korita noch 996 Meter hoch, zwischen Nikschitsch und Trebinje aber ist das Plateau bereits auf ein ungefähres Niveau von 800 Meter gesunken, das beiläufig nach dem Thal der Tre-bischniza rasch noch um mehr als die Plälfte fällt, und Cetinje endlich erreicht nicht einmal mehr 7tx> Meter. Zusammenfassend also dürfen wir sagen: Westmontenegro, d. h. das Gebiet zwischen Adria und Ceta, bildet ein zwischen fcOOQ und 600 Meter Höhe schwankendes, nach Süden hin sich neigendes, auf dem Westrande bis über 1700 Meter aufgewulstetes Hochland, das in seinem Centrum mit inselartigen Aufsatzerhebungen versehen ist, welche gleichfalls in der Richtung nach Süden an Zahl wie Höhe abnehmen. Hat demnach das westliche Montenegro, für einen grossen Teil seines Areals wenigstens, in der That einen an die Hochebene anstreifenden Charakter, so ist es doch immerhin noch weit davon entfernt, eine wirkliche, ebene Fläche darzustellen. Vielmehr zeigt es sich mit ganz geringer Ausnahme nach allen Seiten hin zer-schruckt und zerschrundet. Kreuz und quer streichen kleine Kämme, anderwärts wieder haben sich wahre Ringgebirge gebildet, die kraterförmige Vertiefungen einschliessen. Einem von heftigen Wind-stössen aus allen vier Himmelsgegenden aufgewühlten und dann plötzlich erstarrten Meere gleich liegt das vielgestaltige Steinlabyrinth vor dem Beschauer da. Wir werden schon nach dieser kurzen Charakteristik kaum mehr zweifelhaft sein können, wo wir Analogien für eine solche Art der Bodenerhebung zu suchen haben und welchen Namen wir ihr, rein orographisch betrachtet, zuerkennen müssen. Die südliche Herzegowina und Dalmatien, in deren vielfach ganz ähnlich beschaffene Hochflächen Montenegro im Norden und Nord-Westen ohne jegliche scharfe Scheidung übergeht, sind es, an die wir unwillkürlich erinnert werden. Ja, cla auch diese Gebiete, wie ein mehr oder minder breiter Saum, mit welchem die Balkanhalbinsel von Fiume ab an die Adria tritt, überhaupt den gleichen landschaftlichen Charakter tragen, und im Grunde nur als Fortsetzung jenes merkwürdigen 'Feiles der südlichen Ostalpen zu betrachten sind, welchen man als „Karst" bezeichnet, so werden wir auch dem westlichen Montenegro denselben Namen geben müssen. Wird doch der letztere, um von der ebenfalls gleiche Zusammensetzung ergebenden geologischen Betrachtung vorläufig noch abzusehen, auch durch eine Menge von Einzelheiten, die uns entgegentreten, gerechtfertigt . Die „Dolinen", jene merkwürdigen, trichterförmigen Vertiefungen , auf deren Grund angesammelter Humus unvermittelt inmitten der Steinwüste eine kleine Oase hervorzaubert, finden sich vielfach auch hier. Eine weitere Verwandtschaft bezeichnen die ungeheuren Höhlen und Naturtunnels, die in Westmontenegro gleichfalls häufig sind. Beispielsweise wurde mir bei Rjeka ein solcher unterirdischer Gang gezeigt, in welchem glaubwürdige Zeugen bereits wiederholt stundenweit vorgedrungen waren, ohne das Ende zu erreichen. Dasselbe soll, nach der Versicherung der Fangeborenen, erst am Meeresstrande sich finden. Eine andere Höhle, von der das Gleiche behauptet wird, sah ich im Hofe des Klosters von Cetinje. Leicht möglich, dass beide zusammenhängen und so in der That der Boden eines nicht geringelt Teiles von Montenegro hohl ist. An den Karst erinnern endlich auch meteorologische und hydrographische Verhältnisse, von denen später die Rede sein wird. Wesentlich anders stellt sich die Osthälfte des Ländchens dar. Das auch hier noch gleich als Ganzes gehobene Terrain ward von einer Anzahl im allgemeinen in nordsüdlicher oder südnördlicher Richtung parallel laufender, tief eingeschnittener Flussthäler in mehrere, im Vergleich mit einander fast gleich breite oder, genauer genommen, gleich schmale Streifen zerlegt, die schon mehr dem Typus von Kettengebirgen entsprechen, zumal ihnen stockartig wieder kleinere, selbständige Erhebungsgruppen in Menge aufgesetzt sind, von denen es manche, wie z. B. der Dormitor, bis zu wirklichen, durchgebildeten, scharfen Gipfeln bringen, während andere, und zwar die Mehrzahl, auf ihrem Scheitel von neuem der alten Neigung des gesamten Terrains, Plateaus zu bilden, nachgeben. Pur diese letzteren hat die slavische Sprache den so bezeichnenden Namen „Planina" (kleine Ebene) angenommen. Wir sind also, während die Westhälfte des Landes nur eine einzige, unteilbare, ja selbst von weiten Gebieten jenseits der Grenzen nicht zu trennende Masse darstellte, betreffs der Osthälfte in die Lage gesetzt, bestimmte Gebirgssysteme zu unterscheiden, die für ihre bei weitem grösste Ausdehnung selbständig auftreten und nur noch durch die Wasserscheiden der sie umfurchenden Flüsse mit dem Grundstock des Ganzen zusammenhängen. Dies sind. 1) im Centrum*. Das Ceta-Moratscha-Massiv. 2) weiter nach Osten: D as Moratscha- T a r a - M a s s i v. 3) im äussersten Osten: Das Tara-Lim-Massi v. 4) nordöstlich und nördlich diesen vorgelagert: Das T a r a - P i w a - M a s s i v. l) Das Ceta-Moratscha-Massiv. Dasselbe steht nördlich durch die im Mittel 1200 Meter hohen Alpenwiesen von Krnowo mit dem westlichen Tafelland in Verbindung, wird aber im übrigen durch die tiefen Thäler der Ceta und Moratscha, welche in der Mitte ihres Laufes nur noch eine Seehöhe von etwa 50 bez. 4 Metern aufweisen, und sich im Süden die Hand reichen, halbinselartig vom übrigen Hochlande abgeschieden. Verstärkt erscheint dieser Charakter landzungenähnlicher Abgeschiedenheit noch dadurch, dass sich die Erhebung zum Moratschathal nur mittelst äusserst steiler Terrassen, gegen das Cetathal aber sogar in fürchterlichen Steilwänden (namentlich bei Ostrog) absenkt. Die mittlere Herne des Scheitels dieser mächtigen Plateaumasse mag wohl lO(XJ —1200 Meter betragen. Wir finden also hier bereits eine nicht unwesentliche Zunahme gegen die Durchschnittserhebung der Westhälfte des Landes. Indes kommt das Niveau der eigentlichen Hochfläche nur wenig zur Geltung, da hier fast stetig wieder neue Erhebungsgruppen aufgesetzt sind, deren Höhe bereits nahe an die mächtigsten Hochgipfel des gesamten Landes streift; es sind dies vornehmlich: der Ostri-Kuk, 2300 Meter, die Wlasulja, 2296 Meter, der Brnik, 2091 Meter, der Maganik, 2018 Meter, der Orlowo Brdo, 1954 Meter, die Prekorniza, 1893 Meter, der Leberstnik, 1824 Meter, und der Jelenak, 1740 Meter. Ausserdem ist dies Massiv, das den eigentlichen Kern des Landes bedeutet, auch verhältnismässig breit und arealreich, indes wegen seiner überaus wilden Beschaffenheit gleichwohl am wenigsten bewohnt und kultiviert. Auf ausgedehnte Strecken, namentlich zwischen Prekorniza und Leberstnik, ist die Menschenleere eine absolute, und es giebt Partien genug, die noch nie eines Sterblichen Fuss betrat. 2) Das Moratscha-Tara-Massiv. Dieser Gebietsstreifen, der der schmälste unter allen ist, wird von der südlich fliessenden Moratscha und der nach Norden ziehenden Tara eingeschlossen, so dass er also nach beiden Seiten hin mit dem übrigen Lande verbunden ist. Die Hochfläche auf seinem Rücken liegt zwar noch etwas höher, als die des zuvor erwähnten Gebietsstreifens, etwa 1200 Meter, allein sie zeigt weniger Aufsätze als jene, nämlich nur vier: der Sto, 2232 Meter, die Gradischte, 2l8l Meter, der Hnm na Wutschjem, 1909 Meter, die Ostrobiza, 1739 Meter. Die zu zweit erwähnte Erhebung, die zugleich die Verbindung mit der westlichen wie nördlichen Landmasse (Dormitorgebiet) vermittelt und Tuschina (Piwa), Moratscha und Tara (Lipowo) auseinanderhält, erreicht zwar durch ihre absolute Flöhe fast die gewaltigsten Gipfel des Centrai-Massivs, indes stellt sie doch, ebenso wie ihr Vis-ä-vis, die Sinjawina Planina, nur wieder ein breites, der markierten Spitzen entbehrendes Plateau dar. Im Süden geht die ganze Partie mählich in die hohen Erhebungen der Kutschi-Ländereien über. Infolge jenes seines sanfteren, hoch- plateaumässigeren Charakters ist der ganze Terrainabschnitt ziemlich dicht bewohnt und zählt in dieser Hinsicht zu den bevölker-teren Distrikten Montenegros. Namentlich gilt dies von dem südlichen Theil, der zwischen der mittleren Moratscha und oberen Tara liegt. 3) Das Tara-Lim-Massiv. Im Süden in die Kom-Gebirge, die zweithöchsten des ganzen Landes (2448 Meter), übergehend, wird dieser Gebietsstreifen in'der Richtung nach Norden, wohin die beiden ihn begrenzenden Flüsse sich ergiessen, erst weit drinnen im bosnischen Lande durch die dort erfolgende Vereinigung von Piwa-Tara (Drina) und'Lim abgeschlossen. Somit umfasst er, der an Breite schon das vorhergehende Massiv wieder überragt, auch das bedeutendste Areal. Ferner liegen zwar die Thalsohlen der genannten Flüsse im Mittel bereits ziemlich hoch (Tara bei Kolaschin 920 Meter und Lim bei Berane circa 800 Meter), allein auch der Rücken des Plateaus ist hier noch etwas höher als zuvor, nämlich durchschnittlich 12—L400 Meter. Jedoch fehlen auch in diesem Terrainabschnitt bedeutendere aufgesetzte Gruppen namentlich im Norden fast gänzlich. Nur die Bjelasiza, 2084 Meter, die indes ebenfalls wieder ein Plateau auf ihrem Rücken trägt, sowie der Kliutsch, 1898 Meter, und der Kriwido, 1838 Meter, seien erwähnt. Daher lagen auch hier die Verhältnisse für eine gewisse Kultur nicht so ungünstig wie im Centrum des Ländchens, und wenn auch perennierende Wohnungen selten sind, so macht sich doch dort ein ziemlich ausgebreitetes Sennereiwesen geltend. 4) Das Piwa-Tara-Mass iv. Dasselbe trägt, wenngleich die beiden in Betracht kommenden Flüsse auf beiden Seiten im Mittel noch etwa 700 Meter hoch liegen, doch infolge des Umstandes, dass dieselben sich nördlich vereinigen, am entgegengesetzten, südöstlichen Ende aber Tuschina- und Lipov-Quelle, d. h. Piwa- und Tarawasser, ganz nahe bei einander sich finden, einen fast noch peninsuläreren Charakter, als das Ceta-Moratscha-Massiv. F'erner steht es auch an Grossartigkeit der Erhebung jedem anderen Landesteil voran. Denn das Plateau-Niveau liegt hier im Durchschnitt nahezu t500 Meter hoch, überragt also beispielsweise die Westhälfte nahezu um das Doppelte. Dazu kommt, dass diesem bedeutenden Untergestelle fast allenthalben wieder neue vertikal aufstrebende Massen aufgesetzt sind, die ausserdem untereinander zusammenhängen. Denn zwischen Dormitor und Sinjawina Planina gellt das Terrain kaum unter 1600 Meter herunter und selbst das lediglich für kurze Strecken, um alsbald wieder massig anzustreben. Endlich verliert auch von der Sinjawina an die gewaltige Auftürmung nur wenig an Höhe, sondern bringt es im Gegenteil bis dicht an die Tara wieder zu neuen, mächtigen Bildungen. Besonders zu nennen sind von diesen aufgesetzten Gruppen der Dormitor, 2483 Meter, die Sinjawina Planina, durchschnittlich 1800 Meter, die Somina Planina, 1579 Meter, der Jablanow Vrh, 2168 Meter, der Wrhowi Potsehoraz, 2012 Meter, die Planiniza, 1859 Meter, und der Staraz, 2002 Meter. Wir haben also auf einem im Grunde nicht allzu ausgedehnten Raum eine ganze Serie von Gipfeln, die fast alle 2000 Meter erreichen. Mögen sie nun auch zum Teil, wie namentlich die Sinjawina, gleichfalls keine ausgebildeten Gipfel tragen, sondern nur wieder Hochebenen darstellen, so gleicht doch dies alles die grossartige Gestalt des Dormitor aus, der es zu einer stattlichen Reihe scharfer Spitzen bringt, und so einen wahrhaft erhabenen Anblick bietet. Er ist, wie eins der bedeutendsten Hochgebirge der Balkau-halbinsel, so auch die entwickeltste Erhebung der Crnagora, mit der selbst der schräg gegenüber am anderen Ende des Landes sich erhebende Kom, obgleich ebenfalls eine mehrgipflige, schöne Bergfigur, doch, weil auf einer viel hochgehobeneren und ausgedehnteren Basis stehend, nicht konkurrieren kann. Rechnen wir nun noch hinzu, dass das eben besprochene, gewaltige Massiv nach beiden Seiten, sowohl zur Piwa als zur Tara, in steilen Terrassen abfällt, so wird es kaum noch Wunder nehmen können, dass wir es hier mit einem Teil montenegrinischen Gebiets zu thun haben, der, was spärliche Bevölkerung und fürchterliche Einöde anlangt, das wilde Centrum des Landes nahezu noch übertrifft. Ehe wir aber diesen Abschnitt beenden, müssen wir noch ein kurzes Wort über die Benennung des bereits erwähnten Königs der montenegrinischen Bergriesen sagen. Dieselbe bedeutet entweder: „Schläfer". In diesem Sinne wird das lateinische Wort in der nachklassischein Periode und zwar von Martial gebraucht. Die Bezeichnung dürfte dann ihren Grund in der weissen Schlafmütze haben, die der ungefüge Koloss fast das ganze Jahr hindurch auf dem hehren Haupte zu tragen pflegt. Vielleicht aber ist das den Montenegrinern selbst unerklärliche Wort auch aus dem rumänischen „domnitor", Plerr, Regent (Name für den Herrscher Rumäniens) korrumpiert. — überblicken wir nun noch einmal die ganze, eben geschilderte Osthälfte des Landes, so müssen wir sagen, dass wir hier, im Vergleich mit der Westhälfte, eine höher gehobene und reicher gegliederte Masse vor uns haben, deren Eigenart auch der Crnagorse selbst empfindet, denn er nennt diesen Landesteil „Brda", das ist „Hochgebirge", im Gegensatz zu dem nach dem Meere hin angrenzenden Hochland oder Hochplateau. Suchen wir aber auch für diese zweite Hälfte der „schwarzen Berge" Analogien, wie wir dies betreffs des Westgebiets thaten, so werden wir uns leicht darüber klar werden, dass die benachbarten Teile von Bosnien und Albanien ganz ähnlich gebaut sind. Dort finden wir ebenfalls auf mehr oder minder hohem Untergestelle inselartige, auf ihrem Scheitel von neuem abgeplattete Gebirgs-gruppen. Da dies aber im allgemeinen zugleich der Charakter der Bodengestaltung von der gesamten centralen wie östlichen und südlichen Balkanhalbinsel ist, während die Westhälfte der „schwarzen Berge" mehr mit den Verhältnissen des Ostgestades der Adria überhaupt stimmt, so könnte man betreffs Montenegros von einem adria-tischen und einem balkanischen, einem litoralen und einem binnenländischen, continentalen Gebirgssysteme reden. — Eine Verschmelzung beider vollzieht sich im südlichen Teile des Ländchens, sowet derselbe nicht von dem Skutarisee ausgefüllt wird. Während sich nämlich zu diesem letzteren die centrale Partie des ganzen Gebiets absenkt, läuft die westliche Karst-flächc, schmäler und schmäler werdend, noch weiter fort, bis sie, zuletzt fast ganz identisch geworden mit dem ihr vorher westlich aufgesetzt gewesenen hohen Rand, auf dem nur wenige Meilen breiten Räume zwischen dem Meere und dem See von Skutari, vom Sutormanpass angefangen bis gegen die Bojana hin, zu einem förmlichen Gebirgsrücken zusammengedrängt wird, der, da auf der Ostseite statt des Hochlandes nun der fast auf dem Niveau des Meeres gelegene See sich ausbreitet, auch den Charakter des Randgebirges verloren hat, den bis dahin die Kante des Steilabfalls Montenegros, ja der Balkanhalbinsel gegen die Adria hin überhaupt getragen hatte. Dieses Scheidegebirge zwischen Skutarisee und Meer hat im allgemeinen, namentlich auf der Ostseite, etwas Kompaktes, Jähes, Mauerartiges und verläuft, fast immer genau auf der Mitte des ganzen Isthmus, ziemlich geradlinig in der Richtung von Nordwest nach Südost, ist also ein Diagonalgebirge, während die übrigen isolierten Erhebungen Montenegros bald in der Richtung des Meridian, bald latitudinal stehen, bald eine bestimmte Richtung überhaupt nicht erkennen lassen. Nur einmal, ziemlich in der Mitte des ganzen, etwa 5° Kilometer langen Zuges, zweigt sich ein Seitenast ab; es ist dies der kurze, aber schroffe, im Lisin eine Höhe von 1334 Meter erreichende Rücken, der die Stadt Antivari halbkreisförmig umspannt. Im Süden spaltet sich die Erhebung, indem sie ein kurzes Ende gegen den Schas-See südlich entsendet, das dort mit dem nur noch 489 Meter hohen Katerkol in die Bojana-Ebene abfällt, während das andere Ende sich südöstlich nach Skutari hin wendet, wo es mit dem ebenfalls niedrigen Eckpfeiler des Tarabosch (572 Meter) dicht über dem Ausfluss der Bojana aus dem See endet, oder vielmehr über den breiten Strom hinüber durch den Festungsberg der oberalbanesischen Hauptstadt Fühlung sucht mit den Drin-Gebirgen. Der ganze Rücken gipfelt in der gleichfalls ziemlich die Mitte bezeichnenden Rumija, 1569 Meter, einem kuppenartigen Aufsatz auf dem hochgehobenen Kamme, nach welchem das ganze Massiv Rumija-Gebirge genannt wird. Auch dieser Name ist, gleich dem des Dormitor, nicht slavisehen Ursprungs. Vielleicht, so wage ich zu vermuten, rührt derselbe vielmehr schon von den Phöniziern her. Jene alten Seefahrer beehrten möglicherweise den weithin sichtbaren Gipfel mit der Bezeichnung „Königin", f»MHi (ov, hoch mächtig sein). Wenigstens finden wir dasselbe Wort noch auf dem Boden Algeriens, wo ein numidisches Mausoleum in der Metidscha-Ebene Kubr-er-rumija heisst, was die Araber fälschlich mit „Grab- mal der Christin" (wörtlich „Römerin", dann „Abendlünderin", „Christin") übersetzten, während es in Wahrheit „Grabmal der Königin" bedeutet. Für die Geographie der Balkanhalbinsel wie der Adria ist beiläufig die „Rumija" deshalb noch besonders wichtig, als mit ihren in die Bojana-Niederung abfallenden Ausläufern das von Fiume an streichende Steilufer wenigstens ein vorläufiges Ende gewonnen hat. — Werfen wir nun nach diesen specielleren Bemerkungen, die in ihrer, auf natürlichen Verhältnissen basierenden Zergliederung des gesamten Terrains hoffentlich das Verständnis des auf den ersten Anblick nur schwer entwirrbar erscheinenden Chaos der „schwarzen Berge" erleichtern werden, noch einen abschliessenden Blick auf das gesamte Relief des Landes, so finden wir, dass sich der Boden in der Richtung des Breitengrades von Osten nach Westen, jedoch von Hochgebirgen mittleren Ranges nur las zur Hochebene, dagegen in der Meridianrichtimg von Norden nach Süden und zwar hier von bedeutenderen Erhebungsmassen (Dormitor etc.) bis zur Tiefebene absenkt. Die östlichen Partien allein sind insofern anders geballt, als die schon an sich hochgehobene Masse nach den beiden Grenzen hin von noch höheren Gebirgen, dem Dormitor und dem Kom, eingerahmt wird. Sq weist also schon das orographische Element für eine Kulturentwicklung nach Süden. Schliesslich sei, anlangend die rein landschaftliche Plrscheinungs-form der montenegrinischen Gebirge, noch ein Wort zur Widerlegung einer häufig anzutreffenden Ansicht gesagt. Die Crnagora ist nämlich nicht, wie leider auch die Pinsel mancher Maler bei Gelegenheit kriegerischer Verwicklungen uns immer wieder glauben machen wollten, ein Gebiet schauerlich-grossartiger Gebirgsscenerien. Abgesehen von vereinzelten Schluchten, wie z. B. der wahrhaft grausigen Klamm, zu welcher sich das Bjela-Thal kurz vor Schawnike verengt, und einigen Steilabstürzen, etwa der Thalwände bei Ostrog im Cetathale, des Krstatsch über Cattaro und dergleichen, bat Montenegro nicht Perfekte von solch erschütternder Wirkung ^vie die Alpen, der Kaukasus, Schottland oder Norwegen. Senkrechte Felsmauern, himmelhohe Spalten, in denen stets halbe Nacht herrscht, schmale Grate, auf deren beiden Seiten höllische Abgründe Schwarz, Montenegro. gähnen, und demähnliche Absonderlichkeiten kommen selbst in den gebirgigsten Partien der Crnagora fast gar nicht vor. Das Wilde, Grauenerregende liegt hier mehr in der vielfach vegetationslosen und menschenleeren Einöde und in der verworrenen Anhäufung toten, kahlen Gesteins, als in grotesken Formen selbst. P.s wird diese Erscheinung nicht allein durch die Neigung des Bodens zur Plateaubildung, sondern auch durch die mit dieser letzteren allerdings selbst wieder im Zusammenhange stehende geologische Beschaffenheit des Terrains bedingt. Der weichere, leichter verwitternde Kalkstein, der hier vorherrscht, ist so schroffer Bildung nicht fähig, wie krystallinischer Schiefer oder eruptivische Massen. Daher sind auch die WTege in Montenegro zwar höchst beschwerlich durch die Unmasse aufliegenden Steinschotters, aber nur selten gefährlicher Art in dem Sinne, wie dies manche halsbrecherische Gemsjägerplade in den Alpen und anderwärts genannt zu werden verdienen. Auch in dieser Hinsicht spuckt vieles in den Köpfen extravaganter Touristen und figuriert selbst in unseren wissenschaftlichen Werken, was mit den thatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt*). Die eben besprochenen Thatsachen aber führen uns bereits von der rein formellen Behandlung der „schwarzen Berge" zur mehr stibstanziellen, will sagen geologischen Betrachtung derselben. Ehe wir aber dazu übergehen, möge hier noch eine Höhentabelle**) der wichtigsten Punkte der gesamten Crnagora angefügt sein, die sich auf die trigonometrischen Messungen russischer Offiziere in den Jahren 187c; und 80 stützt. Dieselbe ist namentlich auch deshalb höchst interessant, weil sie fast durchweg von den Angaben der auf Bykows barometrischen Berechnungen fussenden östreichischen Generalkarte und damit auch aller unserer Lehrbücher abweicht. In verschiedenen Fällen muss die Berichtigung *) So ist aueh Daniels Wort (Handbuch, 4. Aullage, IL 34): „Die Berge von Montenegro, zu dessen höchsten Gipfeln man nur durch schwierige l'ässe aufsteigen kann —" durchaus nicht zutreffend, von dem überhaupt recht vagen Ausdrucke ganz abgesehen. **) Dieselbe wurde (in serbischer Sprache) veröffentlicht im Glas Crnagorsa, in der Nummer vom 21. Juni 1881, und von mir übersetzt. Es sei hierbei noch bemerkt, dass eine Anzahl der gemessenen Punkte der näheren Angabe, wo sie sich finden, ganz entbehren, so dass wir, da auch die neue russische Karte sie häufig nicht enthält, nicht immer Aufschluss über ihre Lage zu geben imstande waren. sogar nicht nur als für die Landeskunde von Montenegro, sondern ganz allgemein als für die Erdkunde wichtig angesehen werden. So wird beispielsweise der Dormitor, eine der bedeutendsten Erhebungen der Balkanhalbinsel und Europas, von 2ÖOO Meter, die ihm noch die neue Kiepertsche Karte (Generalkarte der unteren Donau etc.) giebt, um fast 200 Meter herabgesetzt. Andere Gipfel rücken über die bisher angenommenett Zahlen hinauf, und zahlreiche Punkte, über deren Plöhe man zuvor noch gar keine Schätzungen besass, finden sich neu bestimmt. Höhentabelle. Meter Metel Bjelasiza (/.wischen Tara u. Lim) 2084 Kamenik (Pipersk.)..... 1758 „ (/.wisch.Rjeka u. Crmniza) 547 1225 Bobija (hinter Schabljak) 422 Kljutsch (östl. von Kolaschin) 1898 Brnik (obere Moratscha u. Mrtwiza) 2091 Koblenowa-glawiza (Rudine) . . 1134 Brotschnik (Ceta-Moratscha-Mas- Kokotitsch........ 1331 249 Budosch ......... 1196 933 Burutschkowaz....... 2063 Korn wasojevvitschki .... 2422 Busownik . . . 610 2448 Dobre-liza....... 1864 1894 Dobrschtak........ 914 Kostadin (bei Rjeka) .... 493 2419 Kriwi do (zwischen Kolaschin u. 2483 1 833 Garatsch (bei Danilovgrad) 1423 Ktschewski-Lisaz (Westen) . . 1134 1701 Kurosep..... 1090 Golija Kutschajevviza ....... 1755 Golik (beim Sutorman) .... 977 Lisa (zwischen Kolaschin und Berane)........ 1846 Gorni-wrh (bei Rjeka) .... 630 Leberstnik (Ceta-Moratscha-Massiv) 1824 Gradischte........ 2181 1875 Lisaz (Ceta-Moratscha-Massiv) 1538 Helm (Kutschi-Gebiet) .... 974 Lisin ,.......... 1334 Hum (Gebiet von Cetinje) . , 974 Lonaz (beim Sutorman) . . . 1163 Hum-hotski........ 254 Hum na Wutschjem (zwischen Ko- Lukanitschelo....... 2016 laschin u. Kloster Moratscha) 1909 1715 Hum Orahowski (Kutschi-Gebiet) 1804 äoiB Iwiza (nordöstl. von Schawnike) 1725 Maglitsch (an der nordwestlichen Jahlanow-wrh (Sinjawina-Gebiet) 2168 Landesgrenze)..... 2347 Jelenak (Ceta - Moratscha - Massiv) 1740 Moschura-planina (vor Dulcigno) 623 Jerinja-Glawa (Gebiet von Waso- Mrajanik......... 1317 jewitsche....... 1523 Nikschitsch (Festung) .... 6 52 Meter Meter Njegosch (Nordwest) .... 1698 1177 1415 Objaj.......... 1155 1579 1867 Spinschtak (Lubotin) . , 714 80 18 Orlowo-brdo (Ceta-Moratscha) 1954 Staraz (Sinjawina) 2002 Ostri kuk (ebenda)..... 2800 1145 Ostrobiza (südwestlich von Ko- 1220 1739 Sto (zwischen Kloster Moral:- cha 1143 und Kolaschin) . 2232 Padesch......... 1131 Straschischte..... 1225 Planiniza (zwischen Tara u. ob. 870 Tuschina) ....... 1 839 119« Podgoriza (Stadt)...... 43 1996 „ (Citadelle) .... 50 Tali........ 2029 1114 Prokletija (oberalban. Alp. 2643 rm 1 538 Fusti-Lisaz (Westplateau) . . . 1448 Turija (Wasojewitsch.) ■ 1821 Rasowasch........ 1975 Wardar (unter dem Korn) . 1513 Welje-brdo (bei Podgoriza) 278 1569 498 1776 Wisitor...... . 2174 Schiowo (Kutschi)..... 2099 Wjeternik (Bratandsch) . 1263 2109 Wlasulja (Ceta-Moratscha-Mas siv) 2296 Schischman (Nikschitscher Ebene) 1479 Wojnik....... 1968 Schtirownik (neben Lowtschen) . 1723 Wolujza....... 185 Schtulaz Belji...... 2071 Wrhowi ilk Potschoraz (auf der „ Mali...... 1983 2012 821 Zrna-planina (Kutschi) . 1864 Sla gora (bei Nikschitsch) . . 1437 Zrni-wrh....... 1612 Aus dieser Liste ergiebt sich, dass Montenegro, ein Land, welches beispielsweise nicht viel über die Hälfte von dem Areal des. Königreichs Sachsen umfasst, nicht weniger als 23 Punkte, die zwischen 2000 und 2500 Meter*), 38 „ „ „ 1500 „ 2OO0 „ und noch 28 „ „ „ 1000 „ 1500 „ Höhe schwanken, aufzuweisen hat, wobei überdies zu bedenken *) Vergleichsweise sei der Schiern bei Bötzen mit 256t Meter citiert. ist, dass die russische Arbeit schwerlich bereits eine erschöpfende sein wird. So ergiebt sich selbst hier wieder der eminente Ge-birgscharakter des Landes, den wir schon vorher konstatieren konnten. — ' V. Geologisches*) und Mineralogisches. Analyse der aufgefundenen Petroleumquelle. Betreffend das Geologische der Crnagora, so ist zunächst im allgemeinen zu bemerken, dass auf dem gesamten Terrain nirgends Urgestein auftritt, wir es hier vielmehr mit einem ausschliesslichen Produkte sedimentärer, beziehentlich, was kleinere Partien angeht, eruptivischer Bildungen zu thun haben. Und zwar herrscht die mesozoische, spezieller die Kreideformation vor. Ihr gehören die Unmassen dichten Kalksteins, sowie die (namentlich zwischen Cetinje und der Crmniza häufigen) groben, aber äusserst fest verkitteten Kalkkonglomerate an, welche die Westhälfte des Landes, vom Maglitsch bis zur Rumija, bedecken. Die Partie der Crnagora, welche schon orographisch eine auffällige Monotonie der Bildung zeigte, legt diese also auch geologisch an den Tag. Ganz anders verhält sich die Osthälfte. Dieselbe, in jeder Hinsicht, wie wir später sehen werden, namentlich auch botanisch günstiger, beziehungsweise interessanter und reicher ausgestattet, bietet hinsichtlich ihrer Bodenart gleichfalls ein ganz anderes Bild. Zwar treten hier vielfach noch immer Kalke auf, aber dieselben müssen doch, so schwer es auch in jedem einzelnen Pralle sein mag, genaue Bestimmungen darüber zu geben, älteren Bildungsperioden, nämlich der Trias oder wenigstens, was die zwischen Nikschitsch *) Es ist zu bedauern, dass Herr Dr, Tietz, der, wie bereits erwähnt, auch Montenegro in geologischer Beziehung eingehender untersuchte, noch nicht in die Lage gesetzt war, seine grössere Arbeit hierüber zu veröffentlichen. Doch hat er einen, wenn auch nur kurzen, vorläufigen Bericht in den Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt (r88i, Nov. 13) geliefert. und Kloster Piwa von Tietze beobachteten roten Kalke angeht, dem Jura zugeschrieben werden. Ferner e/scheinen, was in der Westhälfte gar nicht vorkommt, in der östlichen Hälfte auch massenhaft Sandstein und Schiefer, die Tietze ebenfalls als älter, nämlich als etwa den Werfener Schichten (ältere Trias) entsprechend angesehen wissen will. Endlich zeichnet sich dieser Landesteil vor der karstigen Westhälfte auch noch dadurch aus, dass daselbst sogar eruptivische Massen in Gestalt von diabasischen Grünsteinen neben häufigem roten Hornstein bemerklich werden, die teilweise vielleicht selbst der ältesten Sedimentformation, der paläozoischen, angehören. Zeigt in dieser Weise der Osten des Landes ältere Bildungen, so finden wir mehr nach dem Süden hin auch solche jüngeren Alters. So entdeckte Tietze Nummuliten in den Hügeln südlich von Podgoriza sowie vielfach dem PTysch correspondierende Sandsteine und Schiefer, beispielsweise in der Gegend von Antivari und Dulcigno. Bei letzterer Stadt wurden auch tertiäre Bildungen marinen Ursprungs konstatiert. Die etwas mergeligen, gelblichen Sandsteine am dortigen Hafen mit ihren zahllosen Austernbänken sind nach der Ansicht unseres Gewährsmanns als plioeän zti bezeichnen. Quartäre Bildungen hat namentlich das Moratscha-Gebiet (und zwar bis weit stromaufwärts ins Land hinein, dort in grosser Höhe über dem jetzigen Flussbette) in Form von diluvialen, zu losen, horizontal geschichteten Konglomeraten verkitteten Schottermassen au fzti weisen. — Was nun etwaige mineralogische und metallische Schätze anlangt, um die es selbstverständlich dem armen Volke der „schwarzen Berge" besonders zu thun ist, so sei hier nur das Wenige erwähnt, was der Verfasser bei seiner beschwerlichen und pressierten, auch mehr allgemein geographischen als speziell montanen Interessen gewidmeten Reise zu beobachten in der Lage war*). Es war dies Gips, an vielen Stellen, ferner Achat (Karneol) *) Dr. Tietze vertröstet uns betreffs dieses wichtigen Kapitels am Ende seines interessanten Berichts auf sein grösseres Werk, In einem l'rivatbriefe an mich aber bemerkt er, dass er Spuren von Kupfer beobachtet habe, die indes nirgends zum Abbau eingeladen hätten. Auch ich beobachtete dergleichen in der Gegend des Dormitor. auf der Südseite des Dormitor, Kieselschiefer (Lydit) jenseits des Sutorman, Granat (Pyrop, erbsengross) in der Crmniza, grauer Mergel und Mergelschiefer in der Umgegend von Rjeka und anderwärts, ferner Scheelspat (Scheelit), der unter Umständen auf Zinn deutet, mehrfach, Brauneisenstein (6o°/o Eisen) bei Boljewitschi in der Crmniza und auch sonst noch, ungleich wichtiger aber, als alles dies, Petroleum bei Bukowik (Crmniza). Die näheren Umstände, unter denen ich jenes- Bodenprodukt beobachtete, sind im erzählenden Teile dieses Buches angegeben. Hier finde nur das Resultat der in dem chemischen Laboratorium der Freiberger Bergakademie von den Herren Bergrat Prof. Dr. Winkler und Assistent Dr. Schulze ausgeführten Analyse des Stoffes einen Platz. Analyse,des Bukowiker Rohpetroleums. Das Untersuchungsobjekt bestand aus circa 1 Liter rohem Erdöl, das sich mit circa •/« Liter Wasser in einer verlöteten Weissblechflasche befand. 1. Das Wasser war stark molkig getrübt, jedoch arm an mineralischen Bestandteilen, unter denen sich Chlornatrium (Kochsalz) und Gips mit Sicherheit nachweisen Hessen. 2. Das Rohpetroleum war dem äusseren Ansehen nach lichtbraun und undurchsichtig, sowie von öliger Beschaffenheit. Sein specif. Gewicht ergab sich zu 0,874 ~ 3O0 Baume. Hierzu sei bemerkt, dass sich aus dem specifischen Gewicht noch kein Urteil über die Güte des Rohöles, d. h. über Qualität und Quantität des aus demselben zu erwartenden Leuchtpetroleums (Brennöles) ableiten lässt. Man kann nur ganz im allgemeinen sagen, dass die schweren Öle geringwertiger sind als die leichteren. Insofern nun wäre unser Rohöl in der That den minder guten zuzurechnen, denn die specifischen Gewichte der pennsylvanischen Rohöle sind = 0,820 —0,782 Baku-Öle „ — 0,875 —0,860 galizischen Rohöle „ = 0,879 —0,807. Sichere Anhaltspunkte für die Brennölausbeute liefern jedoch nur direkte Destillationsversuche, und diese ergaben die recht günstigen Resultate von 1,7 Gewichts0/« = 2,1 Vol.% Rohnaphta, 47,2 Gewichts°/o = 49,3 Vol.°/o Brennöl von 0,830 sp. Gew. === 40° B. 51,1 „ =48,6 „ Schmieröl „ 0,912 „ „ = 230 B. Zum Vergleiche sei hinzugefügt, dass pennsylv. Rohöle 55 70 Gew.% Brennen von 38—480 B. Baku-Öle 33 46 „ „ „ 42° B. galizische Rohöle ca. 50 „ „ „ 40° B. liefern. Das Brennöl zeigte zwar noch die im Handel unerwünschte ausgesprochene gelbe Farbe und den widrigen Geruch des rohen Öles; beide Übelstände verschwinden indes bei genügender Raffination dieses ersten und noch nicht weiter gereinigten Destillates. Bemerkenswert aber war, dass bereits dieses den für gute Brennöle charakteristischen blauen Schimmer deutlich wahrnehmen liess. Auffallend niedrig ist übrigens der Gehalt des Rohöles an Roh-naphta, d. i. an leichtsiedenden Ölen (Leichtöle, Petroleumäther), der z. B. bei pennsylvanischen Ölen 5—20%, bei galizischen 10—20%, bei hannoverschen circa 13,% beträgt. — Hierzu sei noch bemerkt, dass auch Herr Dr. Tietze, der die Ouelle gleichfalls aufsuchte, insofern ein günstiges Urteil abgiebt, als er äussert, dass dieselbe wohl das einzige sei, um deswillen es sich verlohne, einige Tausend Gulden für Bohrungen auszugeben. Glücklicherweise bedarf es einer solchen, für das arme Montenegro wenigstens hoch erscheinenden Summe gar nicht. Denn nach einem Voranschlag des Herrn Prof. Bergrat Kreischer in Freiberg dürften die Kosten für eine Bohrung bis 100 Fuss, die einstweilen genügen würde, soweit die nötigen Apparate in Betracht kommen, noch nicht 800 Mark betragen. Hierzu würden noch Honorar und Reiseaufwand für einen das Unternehmen leitenden Bohrtechniker kommen, während als Arbeiter ganz wohl Eingeborne verwandt werden könnten. Es ist dabei aber auch zu beachten, dass die Bohrapparate für jene Summe in das Eigentum des Staates übergehen würden und also auch noch anderweit im Lande zu Untersuchungen zu verwenden wären. Was ferner die Verwertung des etwa zu gewinnenden Öles anlangt, so dürfte dieselbe infolge der Nähe des bequemen Sutor-manpasses, beziehentlich des Skutarisees und des mit ihm verbundenen Meeres eine sehr leichte sein. Möge also der montenegrinischen Regierung, die zu einem Versuche bereit ist, jene Ouelle zu einer Quelle reicher Einnahmen werden, möge aber ein günstiges Geschick ihr dabei oder gelegentlich anderweitiger, im Anschluss daran ausgeführter Sondierungen auch noch weitere Schätze des Bodens, vor allem — .wozu mehrfache Aussichten vorhanden sind (man denke an den Salzgehalt des Petroleums und den Lydit, der ja bekanntlich nur durch Kohle schwarz gefärbter Quarz ist), — Salz und Kohle, die das Ländchen recht nötig brauchen könnte, bescheren. Freilich dürfen die Bewohner der „schwarzen Berge", ob sie nun linden, wenn sie suchen, oder nicht, auf keinen Fall vergessen , dass nach jahrhundertjähriger Erfahrung in allen Landen nicht die Schätze, die der Bergmann, sondern die, die der Landmann dem Boden entlockt, den wahren und bleibenden Wohlstand eines Staates bedingen. In dieser Hinsicht aber kann und muss in der Crnagora noch viel geschehen. VI. Das Klima. Bei der geringen Kultur, welche die Crnagora zur Zeit noch aufzuweisen hat, darf man selbstverständlich betreffs dieses Kapitels eine umfassendere meteorologische Darlegung nicht erwarten. Private waren bisher in den allermeisten Fällen noch nicht fähig, dahin zielende Beobachtungen anzustellen, und der Staat besitzt erst seit dem letzten Kriege zwei dürftig ausgestattete meteorologische Stationen in Antivari und Dulcigno, die überdies vorzugsweise nautischen Interessen zu dienen bestimmt sind. Indes müssen sich doch schon aus dem ganzen Bau und der Eigenart des montenegrinischen Bodens, wie wir ihn bisher schilderten, eine ganze Anzahl Schlüsse ziehen lassen. Es wird sich namentlich zunächst ergeben, dass auch klima-tologisch das Ländchen in zwei einander ganz entgegengesetzte Teile zu zerlegen ist. Was zunächst den Westen, das Karstgebiet, anlangt, so werden die beiden Faktoren, die hier ein Klima von italienischer Herrlichkeit, charakterisiert durch eine gemässigte Wärme, herstellen mussten, die südliche Breite (Montenegro dehnt sich von 43V» bis zu 421/« n. Br. aus, was etwa der Partie Italiens zwischen Livomo und Rom entspricht) und die Nähe des Meeres, durch einen dritterj Faktor, die bedeutende Höhe, verbunden mit der ebenen, ungeschützten, waldlosen und steinigen Beschaffenheit jener Hochfläche, die speciell noch den die Sonnenwärme besonders leicht aufsaugenden und sehr intensiv ausstrahlenden dichten Kalk aufzuweisen hat, nahezu neutralisiert, so dass sich hier nicht ein ozeanisches, sondern mehr ein kontinentales, steppeuartiges Klima ergiebt mit den Extremen eines nordisch kalten und eines afrikanisch heissen Sommers, in welch letzteren jener ohne eigentliches PYüh-jahr unvermittelt übergeht. P)er Dämon, der Bora heisst, gesellt sich hinzu, um, ähnlich wie im eigentlichen Karst, den Aufenthalt in diesen Gegenden oft nahezu unmöglich zu machen. Extreme haben hier übrigens auch selbst die einzelnen Tage zu verzeichnen, indem, wie es der Verfasser in der montenegrinischen Residenz selbst erlebte, auf eine Nachmittagstemperatur von 25° C. Wärme nicht selten eine Nacht mit zwei bis drei Grad Kälte folgt. Dagegen sind, wie mir wiederholt versichert wurde, im Hochsommer die Nächte nach lästigster Tageshitze von wunderbar erquickender PVische und Klarheit. Von diesen Verhältnissen des Westens weicht sehr wesentlich der Osten ab. Hier, wo an Stelle der Hochebene das Hochgebirge mit seinen Gipfeln und Thälern tritt, mildern die von den Schneefeldern herabwehenden Winde die Glut des Sommers, während die südliche Sonne in den Niederungen der Flussläufe einen allzu harten Winter fern zu halten imstande ist. Beide Jahreszeiten stehen sich also hier nicht mehr so schroff gegenüber, wie im Karstgebiete, sondern nähern sich einander, indem jede von ihrem Extrem einbüsst. Ja, während dort nur jene zwei Jahreszeiten existierten, treten hier auch wieder bestimmter die Übergangsglieder zwischen beiden auf, die wir Frühling und Herbst nennen. Im allgemeinen aber dürfen wir das durchschnittliche Klima dieses Landesteiles als ein mehr ozeanisches bezeichnen, und so haben wir denn die merkwürdige Thatsache, dass, während im übrigen Europa das Küstenlandsklima im Westen und das Binnenlandsklima im Osten vorherrscht, hier gerade das Umgekehrte der Fall ist, excessive Verhältnisse in den dem Meere benachbarten Gebieten, moderierte im Inneren. Selbstverständlich wird durch allerhand Momente, namentlich durch die verschiedenen Höhenlagen, die in der Brda ja so viel mannigfaltiger auftreten, als in Westmontenegro, das allgemeine Gesetz, das wir lür die erstere fanden, vielfach altericrt. Namentlich ergeben sich zwei Modifikationen, entweder der Winter nähert sich mehr dem Sommer, also milder Winter, aber heisser Sommer, oder umgekehrt, der Sommer kommt mehr dem Winter entgegen, also kühler Sommer, indes auch strengerer Winter. Für ersteres ist besonders charakteristisch das Cetathal mit seinem wahrhaft exquisiten Klima. Infolge der überaus geringen Seehöhe (durchschnittlich im Mittellauf etwa 40—50 Meter), sowie der bedeutenden Breite seiner von hohen Wänden eingeschlossenen Mulde und endlich des Umstandes, dass die letztere fast direkt gegen Süden sich öffnet, ist hier der Winter bereits auf ein Minimum reduziert und fast das ganze Jahr hindurch herrscht eine warme, oft heisse Temperatur. Etwas kühler ist schon das mehr nach Westen gekehrte und bereits höher gelegene Moratschathal, obwohl dessen Enge nicht wenig dazu beiträgt, dass Sommer wie Winter eine höhere Temperatur haben, als dies sonst der Fall sein würde. Einen noch viel grösseren Abstand markieren die Thäler der Tara, des Lim, der Tuschina und das Sammelbassin für die Quellzuflüsse der Ceta, die Ebene von Nikschitsch, die infolge ihrer sehr bedeutenden Höhenlage nur noch massige Wärmeverhältnisse aufzuweisen haben. Es tritt uns somit eine Abstufung zwischen den Hauptthälern des Landes — und diese bilden hier zugleich die eigentliche Basis für eine Kultur — entgegen, die mindestens der zwischen Oberitalien, Südwestdeutschland und Norddeutschland entspricht. Die Vegetationsverhältnisse der einzelnen Gebiete, von denen wir weiter unten zu sprechen haben, werden das voll bestätigen. Mit dem Aufstieg in noch höhere Lagen ändern sich die Verhältnisse selbstverständlich immer mehr. Viele der ausgedehnten Planinas kennen nur einen kurzen, massig erwärmten Sommer und einen langen, rauhen Winter. In einer Höhe von 1200 Metern schneit es daselbst nicht selten noch in den besten Monaten. In der Region der eigentlichen Hochgebirge aber sind die vier Jahreszeiten schliesslich fast auf eine einzige, den Winter, zusammengeschrumpft. Es herrschen hier arktische Verhältnisse. Der in den eigentlichen Wintermonaten massenhaft fallende Schnee schmilzt nur in den heissesten Sommerwochen, ja bleibt an schattigen Stellen ganz liegen, obwohl es eigentlichen ewigen Schnee (mit Firn- und Gletscherbildung) selbst am Dormitor und Kom nicht giebt, da die Grenze des ewigen Schneens unter diesen Breiten etwa erst zwischen 2800 und 30OO Metern liegen würde, bis wohin keiner der montenegrinischen Gipfel reicht. Es sei an dieser Stelle jedoch gleich bemerkt, dass sich an der Ostseite des Lovtschen (Westhälfte) eine Eishöhle findet, deren kaltes Material dazu dienen muss, in den heissen Sommermonaten den Bewohnern der Residenz das Bier zu kühlen. Das warme Cetathal und die sogar mit noch etwas höherer Temperatur ausgestattete Crmniza bilden den Übergang zu einer dritten Art montenegrinischen Klimas, dem Süden. Hier finden wir wieder veränderte Verhältnisse, nicht etwa nur wegen der im Grunde doch nur wenig südlicheren Breite, sondern vor allem wegen gänzlich anderer Höhenverhältnisse. Denn dort, wo das Terrain zur Tief- beziehentlich selbst Strandebene absinkt, muss auch die bis dahin durch die mächtige Erhebung des Terrains vielfach paralysierte Wärme des Südens voll zur Geltung kommen. Wie auf dem Hochgebirge, nur in umgekehrter Weise, resultiert hier im Grunde ebenfalls lediglich noch eine Jahreszeit, der Sommer, während der Winter auf eine kurze Regenzeit zusammengeschrumpft ist. Bezüglich der nördlichsten Partie des neuerworbenen Adria-strandes, der Gegend von Antivari, werden diese Verhältnisse noch insofern verstärkt, als die nahe Mauer des Rumija-Gebirges gegen Osten und Norden hin fast alle rauheren Luftströmungen absperrt, so dass auf dem schmalen Küstensaum ein fast afrikanisches Klima zur Geltung kommt. Etwas freier und luftiger liegt das im Rücken von der Bojanaebene umgebene Dulcigno, so dass hier eins der paradiesischsten Klimen von ganz Europa die Herrschaft gewinnt, zumal die Bora, die Antivari. von dem niedrigen Wall des Sutormanpasses herunter- stürmend, noch immer manchmal heimsucht, bis hierher nicht mehr zu dringen vermag, die Südwinde (Scirocco) aber, die an ihrer Stelle dominieren, durch den Gang über das Meer abgekühlt und mit Wasserdunst imprägniert worden sind. Niemals, wie doch so häufig in Nizza oder Mentone, sinkt das Thermometer unter Null. 4° ist das noch dazu seltene Minimum. Fieber, wie sie der sumpfende Strand von Antivari erzeugt, sind gänzlich unbekannt. Barometrische Schwankungen treten scheinbar auch nur in geringem Masse auf. So balancierte das Instrument in den vier Monaten, während der man bis zur Zeit der Anwesenheit des Verfassers Beobachtungen hatte anstellen können, lediglich zwischen 748 und 770 Millimeter. Nach alledem dürfte die alte Piratenstadt überaus trefflich zum klimatischen Kurort sich eignen. Werfen wir nach diesen Details noch einen zusammenfassenden Blick auf die Klimatologie der Crnagora, so finden wir als weitere interessante Thatsache dies, dass zwei Teile des Landes, der Karst und die Brda, wohl etwa gleiche mittlere Jahrestemperatur haben mögen, dass dies Resultat aber bei dem ersteren ganz anders als im letzteren Gebiet zustande kommt, nämlich durch grosse, hier aber durch geringe Divergenz der Kälte- und Wärme-Maxima. Mit anderen Worten: Wir können wohl den Westen des Landes mit dem Osten durch eine Isotherme, nicht aber durch eine lsochimene und Isothere verbinden; die erstere würde wenigstens nur die höheren Partien der Brda treffen kramen, die letztere aber eher durch den Süden zu legen sein. Wir lassen daher, wenn wir nun noch den Jahresdurchschnitt der hauptsächlichsten Punkte in Zahlen geben, die Karstpartie ganz bei Seite und lassen nur den Süden und Osten ins Auge. Ks gönnen dann etwa folgende mittlere Jahrestemperaturen statuiert werden: Antivari und Dulcigno : -f- t6°. Crmniza und mittlere Ceta : -f" 12°. Mittlere Moratscha : 4* 8°- Lim-, Tara-, Tuschinathal und Nikschitsch : -f- 6°. Hochweiden : 0..........2 , Abgesehen also von dem monotonen Westen mit seinem Steppen- oder Wüstenklima, haben wir auf dem beschränkten Räume des Ländchens immerhin eine bedeutende klimatologische Mannigfaltigkeit. Die Zonen Europas von Norwegen bis nach Sizilien und —■ rechnen wir den Westen mit hinzu — auch von Frankreich bis Russland sind hier vertreten. VII. Hydrographie. Die Crnagora ist, wie man dies aus alledem, was wir bisher über ihr Klima und die Art ihrer Erhebungen, namentlich auch über die Schneeverhältnisse der letzteren angegeben haben, bereits erkennen wird, ein wie leider an so manchem anderen so namentlich auch an Wasser, jenem Stoffe, von dem schon Pindar sagt, dass er „das Beste" sei, im allgemeinen armes Gebiet. Doch werden auch von dieser Kalamität nicht alle Landesteile gleich-massig betroffen. Es giebt Partien, die an Dürre der Sahara in Afrika drüben nahezu gleichkommen, und andere, wo es rauscht in Gründen und von den Höhen, wie auf den feuchten Eilanden Britanniens oder in Norwegen. Die ersteren werden namentlich wieder von der Westhälfte, diesem auch in allen übrigen Beziehungen am ungünstigsten angelegten und lediglich „steinreichen" Landesteil, repräsentiert. Das an sich allerdings äusserst reichliche Mass der Niederschläge, die hier platzregenartig zweimal im Jahre, am Anfang und am PLnde des etwa vier Monate in Anspruch nehmenden Winters, statthaben, wird weder von ausgedehnterem Holz- und Buschbestand noch von irgend welchen bemerkenswerten Sammelbassins zurückgehalten; vielmehr verliert sich dasselbe bald in den zahllosen Höhlen des Karstbodens und nur zu rasch schlägt der Überfluss wieder in Mangel um. Cetinje beispielsweise, dessen Verhältnisse etwa typisch sind für die gesamte Landeshälfte, von der wir reden, sieht sich regel massig im ersten Frühjahr wie im ersten Herbst von einem wahren See umgeben. Während dann die dünnen Wände der kleinen Häuser so viel Feuchtigkeit angezogen haben, dass die Bewohner ziemlich stark an Rheumatismus leiden, muss wenige Wochen später das unentbehrlichste Trinkwasser meilenweit herbeigeholt und teuer bezahlt werden. Ja selbst in der nächsten Zeit nach dem reichlichen Empfang des wertvollen Nasses lässt der poröse Boden dasselbe nur sehr vereinzelt in Quellen wieder aufsteigen. Die Leute sind vielmehr gezwungen, sich selbst zu helfen und in Cisternen den Segen des Himmels aufzufangen resp. zu bewahren. So musste ich schon im April in der Residenz mit dem Inhalt einer solchen meinen Durst löschen, oder richtiger zu Löschen suchen. Denn in dem Kalkstein, der von der in jener Jahreszeit bereits herrschenden Tageshitze leicht durchglüht wird, hält sich das Wasser natürlich nur wenig kühl. Beispielsweise zeigte ein solches Reservoir auf dem etwa 400 Meter hohen Plateau zwischen Podgoriza und Rjeka die Badewassertemperatur von t6°. Eigentliche Quellen kommen in diesem ganzen, immerhin doch ausgedehnten Gebiet äusserst selten vor, und versteckt, wie sie zumeist sind, in engen Spalten oder hinter grossen Blöcken, haben in der Regel nur die Eingeborenen von ihrer Existenz Kenntnis. Im Hochsommer versiegen selbst diese, gewöhnlich dünnen und nicht selten von kalkigen Bestandteilen getrübten oder ungeniessbar gemachten Wasserfäden gänzlich, so dass dann der Reisende hier ebensogut in Gefahr, zu verdursten, geraten kann, wie in der Wüste. Dieser Wassermangel ist es natürlich auch, was neben manchen anderen Übelständen, namentlich der geradezu entsetzlichen Beschaffenheit der Wege, ein etwaiges Kriegfuhren in jenen Gegenden so bedenklich macht. Der Soldat muss hier sein Trinkwasser auf Tage hinaus mit sich führen, wie anderwärts Pulver und Blei, und landeskundige Leute —■ für eine fremde Armee gewiss nicht leicht aufzutreiben — sind nötig, um die wenigen örtlichkeiten sicher zu finden, wo die bei der herrschenden excessiven Hitze leicht verdunstenden Vorräte wieder ergänzt werden können. Es versteht sich von selbst, dass bei derartigen Verhältnissen auch von einem Flussnetz nicht die Rede sein kann. Ja, es giebt überhaupt keinerlei Messendes Gewässer im ganzen westlichen Montenegro. Vorteilhaft unterscheidet sich von diesem letzteren auch in dieser Beziehung die „Brda", die Osthälfte des Landes. Nur kleine Partien, und zwar im allgemeinen lediglich die noch dem Karste benachbarten und ihm verwandten, wie der Abfall des Ceta-Moratscha-Massivs gegen die Vereinigung der beiden ebengenannten Flüsse hin, und der Kutschi-Gebirge in der Richtung auf Podgoriza, leiden ebenfalls an Dürre. Im übrigen haben wir es hier nicht selten sogar mit wasserreichen Gebieten zu thun. Die vielen Hochgebirge, deren Scheitel so häufig wieder weite Horizontalflächen tragen und so der Aufnahme von Schnee besonders günstig sind, bilden, wenigstens für drei Viertel des Jahres, ausreichende Reservoire. Ja, selbst im Hochsommer versiegt ein grosser Teil der nach Tausenden zählenden Quellen, die hier sprudeln, nicht, was vorzugsweise dem Umstände zu danken ist, dass sie, aus grossen Tiefen resp. von weither kommend, längere Zeit unter Benutzung von horizontalen Hohlräumen in dem herrschenden Flötzkaik unterirdisch dahinfliessen und so in ähnlich providentieller Weise vor den verzehrenden Strahlen der südlichen Sonne geschützt sind, wie die zahlreichen subterrane'fschen Wasseradern der Sahara. Diese Angaben werden schon durch die niedrige Temperatur gestützt, welche vieler dieser Wässer aufzuweisen haben. So zeigte eine Ouelle, die ich im Cetathale oberhalb Orealuka am Morgen des 15. Mai (also schon mitten im Sommer) dieses tiefen, so warmen Plusseinschnittes beobachtete, nur 9" bei l6° Luft; mehrere noch etwas weiter flussaufwärts aus dem Boden brechende Bäche hatten circa 1C° bei 170 Atmosphäre, hau dem Boden entquellendes Wasser im Piwagebiete zeigte nach einem heissen Tage Abends 6 Uhr nur 6° bei cf Luft, ein anderes im oberen Lipov-thale (Taragebiet) gar nur 50 bei 90 Luft. Für eine schon längere unterirdische Vergangenheit spricht ferner auch der Umstand, dass nicht wenige dieser montenegrinischen Gewässer mit äusserst ansehnlicher Wassermasse zu Tage treten, wie dies sonst bei Quellen nicht der Fall zu sein pflegt, wenn wir von den ähnlich angelegten dalmatischen Nachbargebieten absehen. Mehrmals ist es nicht mehr ein Bach, sondern bereits ein Pduss, der unvermittelt aus der nackten P'elswand bricht. In vielen Fällen treten derartige Quellen auch intermittierend auf, wie die des Schawnike beim gleichnamigen Orte im Piwa-Gebiete. Ebenso verschwindet nicht selten ein schon recht statt- liches Rinnsal, nachdem es kaum ans Licht getreten, mitten in seinem Laufe wiederum spurlos, um weiterhin ebenso unvermittelt von neuem aufzutauchen. Häufig wiederholt sich ein derartiges Schauspiel bei ein und demselben Gewässer mehrmals und rasch hinter einander. Dies die hydrogenetischen Merkwürdigkeiten des montenegrinischen Landes, denen wir nun die kaum weniger interessanten Verhältnisse der eigentlichen fliessenden Gewässer folgen lassen. Hierbei ist zunächst im allgemeinen festzuhalten, dass die Hauptabflussrichtung des Gebietes eine meridiane ist, und zwar eine, die von Norden nach Süden geht. Daneben aber macht sich auch eine Neigung von Süden nach Norden geltend, so dass also die Flüsse der Crnagora in ziemlich genau entgegengesetzten Himmelsrichtungen auseinandergehen. Die erstere Richtung dominiert im Centrum, die zweite im Osten. Es herrscht also in dieser Hinsicht eine gewisse Konstanz. Eine solche ergiebt sich weiter auch daher, dass die in dieser Weise divergierenden Gewässer nicht von der Mitte des Landes ihren Lauf nach entgegengesetzten Richtungen antreten, sondern dass ihre Wasserscheiden über einander hinüber greifen in der Weise, dass die nach Norden laufenden Flüsse im Süden, die nach Süden sich wendenden aber im Norden entspringen. Auf diese Art geschieht es, dass sie trotzdem, dass die einen hierhin, die anderen dorthin strömen, doch insgesamt Parallelen bilden, die ausserdem auch noch durch etwa gleich breite Terrain-beziehentlich Gebirgsintervalle von einander geschieden werden. Um die Regelmässigkeit in diesen hydrographischen Verhältnissen noch zu vervollkommnen, sind der nordwärts sich wendenden Flüsse gerade so viele zu verzeichnen, wie der südwärts gerichteten. Es besteht aber zwischen beiden Gruppen nicht nur der Unterschied der Lage des Ursprungs und der Richtung des Laufes; sie gehören auch einem total verschiedenen Mündungsgebiete an. Obwohl nämlich tief im Südosten, ja teilweise selbst noch ausserhalb des Landes entspringend, bleiben doch jene nach Norden gerichteten Gewässer nicht im Lande, wie die des Centrums, sondern werden, obwohl den letzteren mehrmals ziemlich nahe kommend, durch Gebirgsriegel, die im Osten des ganzen Gebiets den Norden mit dem Süden verbinden, nach rechts abgedrängt Schwarz, Montenegro. 26 und genötigt, über die Landesgrenze hinaus nach Norden zu strömen. So haben wir also nicht nur ein nordsüdliches und ein südnördliches, sondern auch ein internes und ein externes Flusssystem. Dem ersteren gehören Moratscha, Ceta, Rjeka, dem letzteren Lim, Tara, Piwa an. Die erstgenannten strömen dem gemeinsamen Sammelbecken des Skutarisees zu, der zum Adria-Gelnet gehört, die letzteren, die bekanntlich auf bosnischem Terrain sich zur Drina vereinigen, eilen über die Abdachung der bosnisch-serbischen Hochländer zur ungarischen Tiefebene dem Rieseustrome der letzteren, der Donau, und sonach dem schwarzen Meere zu. Es muss sich damit natürlich auch ein ausserordentlicher Unterschied in der Länge der Flüsse beider Gruppen ergeben. Die einen haben ein so fernes, die anderen ein so nahes Ziel, dass der Lauf der erstgenannten fast so viel Hundert Kilometer misst, als der der anderen Zehner. Es interessiert uns jedoch, was die ersteren betrifft, nicht ihre absolute Länge, da dieselbe zum allergrössten Teil auf das Ausland entfällt, sondern nur die Länge des auf Montenegro kommenden Teiles. In dieser Hinsicht steht obenan die Tara, die auf etwa 70 Kilometer dem Lande zugute kommt. Indes fliesst sie nur für etwa 30 Kilometer, nämlich von der Ouelle bis Majkowaz, vollständig auf ernagorischem Gebiete. Von dort ab bildet sie die Nordostgrenze des Ländchens, so dass demselben nunmehr nur ihr linkes Ufer zugehört. Auf alle Fälle aber stellt die Tara das längste aller fliessenden Gewässer der Crnagora dar. Der Lim liegt nur für etwa 30 Kitometer und zwar eigentlich nur mit seinen verschiedenen Ouellzuflüssen innerhalb des Landes. Dagegen schneidet die Piwa das letztere auf einer Ausdehnung von etwa 60 Kilometer. Was die Länge der Pdüsse des internen Systems anlangt, so misst die Moratscha hier am meisten, nämlich etwa 60 Kilometer, die Ceta dagegen nur circa 50. Nach ihrer Vereinigung legen dieselben bis zu ihrer Einmandung in den Skutarisee noch etwa 20 Kilometer zurück. Wollte man den vereinigten Fluss nun aber auch durch den eben genannten See und die anschliessende Bojana bis ans Meer fortgesetzt denken, so beträgt die grösste Länge eines fliessenden Gewässers in Montenegro doch noch immer kaum 150 Kilometer, was, selbst wenn wir nur mittlere deutsche Ströme (Saale 364 Kilometer) zum Vergleich heranziehen, eine lächerlich niedrige Zahl genannt werden muss. Durch diese an sich schon bedauerliche Kürze der internen Flussadern des Landes wird selbstverständlich ein zweiter Ubel-stand, der sehr bedeutende Fall derselben, bedingt. Allerdings kann derselbe bei Ceta und Moratscha nicht der gleiche sein, da die Höhe des Ursprungs beider durchaus verschieden ist. Er beträgt bei der ersteren nur etwa 700 Meter, bei der zweiten aber mindestens das Doppelte. Es ergiebt sich daraus, dass die Moratscha, um von 1400 Meter auf eine Distanz von nur 60,000 Meter bis zu 50 Meter (Podgoriza) herabzusinken, ein noch ganz anderes Gefälle als jene (l : 44) aufweisen muss, dessen Rapidität um so grösser ist, als der bedeutende l^all durchweg nur successive und nicht etwa mittelst hie und da auftretender Stromschnellen bewerkstelligt wird. Letzteres ist bei der Ceta zu constatieren, die schon überdies auf 50,000 Meter Distanz nur 650 Meter (l : 76) abzusteigen hat. Sie überwindet nämlich von dieser geringen Höhe noch circa 4(X) Meter, unter Zuhilfenahme einer Kaskade, so dass für ihren vom Ende dieses Sturzes ab noch ungefähr 40 Kilometer langen Lauf nur 250 Meter Höhe übrig sind, was ein Gefälle von lediglich 1 : 160 ergiebt. So geschieht es, dass die Ceta, wiewohl noch mitten im Gebirge, doch bereits wie ein Fluss der Tiefebene, langsam und trag, dahinzieht, ein Eindruck, der beiläufig durch ihre relativ bedeutende Wassermasse noch erhöht wird. Ubertroffen wird in dieser Hinsicht die Ceta, um aus einem später zu nennenden Grunde von der sogar stillstehenden und mit massenhaften Wasserlilien übersäten Rjeka abzusehen, von der Crmniza und der Bojana, welch letztere im allgemeinen nur noch ein Gefälle von 1 : tooo hat. Ganz anders liegen natürlich die Verhältnisse bei den PTüssen des externen Systems. Denn diese entspringen in einer Höhe von 1500—2000 Meter. Daher sind sie in der That auch, im Gegensatz zu den eben genannten Wasseradern, rechte Gebirgswässer, deren Ungestüm durch zahlreiche Plindernisse aller Art noch ver- 26* mehrt wird. Indes verteilt sich ihr Fall doch auf eine weite Strecke, so dass sie es an raschem und gewaltsamem Vorwärtseilen der Moratscha allerdings nicht gleich thuen. Immerhin aber müssen wir sie mit jener zusammen als die östlichen Bergflüsse den Tieflandsflüssen des Westens entgegenstellen. Durch die soeben gegebenen Ausführungen wird auch ein weiterer Unterschied zwischen diesen Gewässern ersichtlich, das ist die gänzlich verschiedene Höhe ihrer mittleren Lage. So fliesst die Ceta 20 bis 30 Kilometer von ihrem Ursprünge nicht einmal mehr auf einer Seehöhe von 100 Meter, die Moratscha dagegen liegt bei Moratscha Monastir schon etwa 400 Meter, die Tara bei Kolaschin bereits über 900 Meter hoch, so dass also die Sohlen dieser etwa parallel laufenden Thäler Terrassen und zwar von bedeutenden Vertikal- bei nur geringen Horizontalabständen ergeben. Viel weniger als hinsichtlich der bisher betrachteten Beziehungen unterscheiden sich die Flüsse der Crnagora inbetreff ihrer Breite und Wassermasse von einander, wenigstens wenn wir bei ihrer Betrachtung uns auf die centralen und östlichen Gewässer beschränken. Dieselben sind insgesamt Flüsse niedrigsten Grades, d. h. solche, deren durchschnittliche Breite nicht mehr als etwa 20—30 Meter bei einer mittleren Tiefe von nicht über 1 Meter beträgt. Nur die Ceta bildet schon einen Übergang zu den inhaltlich bedeutenderen Gewässern des Südwestens, indem zwar auch ihre Breite von der angegebenen Zahl nicht weit abweichen dürfte, jedoch ihr Wasserreichtum, begünstigt durch den trägen Lauf, derart ist, dass die Tiefe im Mittel 5 und mehr Meter beträgt. Auch Tara und Piwa verwandeln sich, die erstere etwa von Kolaschin, die letztere von der Einmündung der Komarniza ab, in ansehnlichere Flüsse, sowohl was Breite als Tiefe anlangt. Trotz alledem kommt es doch bei keinem dieser Gewässer so weit, dass sie im weiteren Sinn schiffbar würden, obwohl die Tara im Nordosten des Landes bereits Fähren und die Ceta in ihrem unteren Teile Schiffsmühlen und kleinere Kähne zu tragen vermag. Es fehlt, um permanent einem wenn auch nur leichteren Pdussverkehr dienstbar zu werden, an aushaltender Wassermenge. Auch bietet die überaus felsige Beschaffenheit der Ufer wie des Bettes nicht geringe Schwierigkeiten. Indessen würden einige Korrekturen vielleicht das aus dem Zusammenfluss von Ceta und Moratscha entstandene Gewässer für kleinere Fahrzeuge praktikabel zu machen imstande sein, wiewohl das Gefälle nach der Vereinigung ein viel rapideres ist, als dasjenige, das die Ceta vorher allein aufwies. Etwas anderes ist es mit dem Flössereibetrieb, wovon später die Rede sein wird. Ungleich günstiger liegen die Verhältnisse in dieser Hinsicht weiter nach Südwesten hin. Hier haben wir es mit Schiffbarkeit sogar in eminentem Sinne zu thun. Zunächst kommt die Rjeka in Betracht, die zwar noch immer eine geringe Breite, jedoch bereits eine durchgängige Tiefe von mehreren Metern hat, ausserdem aber auch im Hochsommer nur wenig abnimmt. Dieser äusserst günstige Umstand wird jedoch durch Ausnahme Verhältnisse bewirkt. Es ist nämlich der Skutarisee selbst, der die tiefe Mulde bis zu dem Flecken Rjeka ausfüllt. Die Rjeka muss in der That als ein schmaler, etwa 10 Kilometer ins Land hineingezwängter Seearm angesehen werden. Der eigentliche Fluss dieses Namens, der von seinem Ursprung aus einer früher schon erwähnten ungeheuren Höhle bis zu jenem Flecken einen Lauf von kaum l Kilometer Länge hat, präsentiert sich als ein überaus dürftiges Gewässer, das kaum den Namen Bach verdient und schon im Frühjahr fast ausgetrocknet ist. In einem so unwegsamen Lande, wie die Crnagora, muss natürlich ein Wasserweg doppelt erwünscht sein, und daher ist denn auch der Verkehr auf dem tiefen, stagnierenden Gewässer zwischen Rjeka und dem See ein äusserst frequenter und der relativ lebhafte Ort jenes Namens verdankt seine Blüte nur dem schiffbaren Charakter des erwähnten Natur-Kanales. In noch viel grossartigerer Weise machen sich derartige günstige Verhältnisse bei der Bojana geltend, die zti dem im übrigen so wasserarmen Lande keinen geringeren Gegensatz darstellt, wie etwa die südlich üppigen Fruchtgefilde von Antivari zu den nordisch öden und kalten Hochflächen um Cetinje. Merkwürdiger Weise wird dieses Gewässer, der einzige wirkliche Strom des Landes wie der ganzen Umgegend weit und breit, und nächst der Donau und Save der bedeutendste Fluss der Balkanhalbinsel, ja eine der mächtigsten Wasseradern des ganzen Erdteils, ausserordentlich verkannt. Die Kartographen zeichnen es nur als dünnen Faden, ein doch in weiten Kreisen verbreitetes Konversationslexikon (Meyer, neueste Auflage) giebt ihm eine Länge von 5 Kilometer (!) und alle Handbücher der Erdkunde erwähnen seiner ausschliesslich als Abflusses des Skutarisees, beziehentlich fassen sie es wohl auch nur als Schlussglied der Moratscha auf, die, nachdem sie den See durchströmt, in dieser Weise dem Meere zueile. Um mit dieser letzteren Annahme zu beginnen, so ist zunächst zu constatieren, dass dieselbe ganz unmöglich erscheint. Denn nicht allein, dass die Moratscha in einer fast rein westlichen Richtung in den See sich ergiesst, während die Bojana demselben mit südöstlicher Direktion entfliesst, so dass man mit viel grösserem Rechte die Bojana als Fortsetzung der Rjeka würde bezeichnen können; nein, auch die Breite und Wassermasse beider ist so durchaus verschieden, dass man die Bojana unbedingt als selbstständiges Gewässer oder doch mindestens als Fortsetzung der Crmniza, der Rjeka und aller anderen, den See nährenden Wasseradern auffassen muss. Die Bojana hat eine Länge von circa 30 Kilometer und eine durchschnittliche Breite von mehreren Hundert Metern. Ihre Wassermasse ist so bedeutend (beispielsweise noch dicht an den Ufern vielfach 5—10 Meter Tiefe), dass sie für die ganze Länge ihres Laufes die grössten Seeschiffe zu tragen imstande wäre, wenn nicht die Natur selbst diesen trefflichen Wasserweg schädigte. Bekanntlich hat sich ja der der Bojana südlich parallel fliessende Drin vor einigen Jahrzehnten an dem Punkte, wo er aus dem albanesischen Gebirgsland in die Strandebene tritt, um ebenfalls Tieflandsstrom zu werden, einen Weg zu seiner Nachbarin gebrochen, so dass er jetzt mit bedeutender Wassermasse und starkem Anprall nahezu rechtwinklig auf diese stösst und Stauungen verursacht, die Anlass zu stehenden Überschwemmungen der Niederungen im obersten Teile des Laufes der Bojana abgeben. Dem Strom wird dadurch viel Wasser entzogen und die Fahrbahn ruiniert. Immerhin aber können die Schiffe direkt aus der Adria bis Oboti, das heisst für eine Strecke von circa 20 Kilometer auf dem Strome aufwärts dringen und müssen erst dort auf kleinere Fahrzeuge umladen. Soll aber der ganze treffliche Wasserweg wieder benutzt und damit auch der Verkehr auf dem Skutarisee belebt werden, ja noch mehr, soll nicht nach und nach die ganze Fahrstrasse selbst betreffs der jetzt benützten, schon beschränkten Länge impraktikabel gemacht werden, so ist eine und zwar bald auszuführende Korrektion unerlässlich. Dieselbe müsste in der Weise bewerkstelligt werden, dass nicht allein der Bojana selbst aufgemauerte Ufer hin durch die steinlose, humusreiche Niederung gegeben würden, sondern dass man auch mittelst Dammbauten den durchbrochenen Arm des Drin' wieder in den Hauptstrom zurückführte. Die Kosten eines solchen Riesenbaues könnten freilich nicht gering sein, allein 'dieselben würden — um nicht von den allgemeinen Vorteilen, die sich damit erzielen Hessen, zu reden — zu einem nicht geringen Teile durch das bedeutende Areal gedeckt werden, das man damit dem Ackerbau zurückgewänne. Überdies könnte ja wenigstens eine Zeit lang eine Abgabe von den Schiffen erhoben werden, die dann in nicht geringer Zahl Handelsverkehr mit Albanien unterhalten würden. Wie man hört, haben auch schon Konsortien ihre eventuelle Bereitwilligkeit, das Werk durchzuführen, bekannt werden lassen, allein "die Pforte soll die Bedingung gestellt haben, dass ihr die aufgebrachten Summen in die Pfand gelegt werden, damit sie selbst den Bau ausfuhren lasse. Natürlich wird darauf niemand eingehen, und so dürfte es denn bei frommen Wünschen bleiben. — Zu den bisher schon betonten Vorteilen, welche die Boiana bietet, sei abschliessend noch hinzugefügt, dass dieselbe mittelst der etwa auf der Hälfte ihrer Gesamtlänge belegenen Position Belaj, einer von isolierten Bergklippen auf beiden Seiten gekrönten Felsenenge, durch die der Strom fliesst, auch trefflich überwacht, resp. abgeschlossen und so die Hauptstadt Skutari vor einem Plotten-angriff vom Meere her geschützt werden könnte, wie denn in der That schon gegenwärtig das militärisch wichtige Defile einen Stützpunkt der Türkenherrschaft in dieser Gegend bildet. Überblicken wir nun noch einmal altes, was wir betreffs schiffbarer Flüsse angeführt haben, so müssen wir doch sagen, dass die Verhältnisse hier entschieden viel günstiger liegen, als man glauben möchte. In einem Lande, das sich mehr oder minder als eine einzige, hohe und wilde, unzugängliche Erhebungsmasse darstellt, wenigstens von Westen aus betrachtet, hat die Natur auf 70, bez. 90 Kilometer einen relativ bequemen Wasserweg geschaffen, der nahezu bis ins Herz des Ländchens reicht. Aber auch betreffs der übrigen, nicht schiffbaren Flüsse gilt es, dass dieselben für den Verkehr von höchstem Werte sind. Denn indem die tief eingeschnittenen Mulden derselben die Gebirgs-massen so ausgiebig durchziehen, sind verhältnismässig leichte Bedingungen für ein das ganze Land umspannendes Strassennetz gegeben. — Indem wir oben die Gewässer Montenegros mit Rücksicht auf ihre Höhenlage in Gebirgs- und in Niederungsflüsse teilten, sind wir auch, schon einem weiteren Unterschied zwischen denselben, der allerdings ein mehr unwesentlicher ist, nahegetreten. Dies ist die Farbe. Auch hier haben wir eine eigentümliche Abstufung. Während das Wasser der externen Flüsse und der Moratscha jenes hellgrüne, perlucide Kolorit hat, welches Hochgebirgsbächen eigen zu sein pflegt, sofern sie nicht von Gletscherabflüssen gespeist werden, erscheint das Wasser der Ceta, wenngleich auch noch grün, so doch schon getrübt. In noch intensiverer Weise ist das bei der stagnierenden Masse der Rjeka der Fall, und die Bojana stellt sich, wie alle Ströme der Tiefebene, schmutzig gelb und opak dar. Diese Farbendifferenzen werden bekanntlich in nicht geringem Grade durch die Art der Ufer, beziehentlich der Thäler überhaupt bedingt, und daher erübrigt uns noch, einen Blick auf diese zu werfen. Lim, Tara, Piwa und Moratscha haben auch in der Beziehung wieder Gleichartiges. Sie entspringen sämtlich in einer bedeutenden Höhe (im allgemeinen nicht unter 1500 Meter). Hierbei sei gleich noch betreffs der Quellen bemerkt, dass auffälligerweise die beiden höchsten Erhebungsgruppen des Landes, Dormitor und Kom, dem Lande kein Gewässer liefern und nur die externen Flüsse erzeugen. — Diese letzteren bleiben auch während ihres ganzen Laufes innerhalb der Crnagora im eigentlichen Hochgebirge. Ihre Mulden sind daher eng, vielfach gewunden und reich an malerischen Partien. Häufig ziehen sie sich selbst schlundartig zusammen, so dass nicht einmal für einen Weg Raum bleibt. Doch fehlt es auch an ebenen Uferstreifen und sogar kesselartigen Erweiterungen nicht, so dass Anbau und Kultur vielfach möglich wurden. Natürlich kann bei diesen Flüssen, da sie sämtlich ja doch nur die Quellflüsse der Drina darstellen, von einer Einteilung in bestimmte Laufglieder noch nicht die Rede sein. Doch lässt sich betreffs der Tara immerhin sagen, dass bei Majkowaz, wo sie aus einem längeren Defile tritt und nun mittelst eines nahezu rechten Winkels aus der bis dahin eingehaltenen nordöstlichen Richtung nordwestlich umbiegt, um fortan bis zur Landesgrenze auch nach dieser Himmelsgegend zu strömen, ihr Oberlauf endigt. In ähnlicher Weise könnte man auch betreffs der Piwa behaupten, dass ihr Mittellauf dort beginnt, wo sie nach Aufnahme der Bukowiza und Komarniza den Woinik passiert und, nun auch erst Piwa genannt, nach einem mehr westlich gerichteten Lauf, wenngleich nur allmählich, zur ziemlich direkt nördlichen Richtung übergeht. Was das Paläogeographische angeht, so dürfte es interessant erscheinen, dass Tietze sowohl am Lim als auch an der Tara noch deutlich markierte Thalterrassen beobachtete. — Wie schon angedeutet, zeigt die Moratscha ähnliche Verhältnisse. Auch ihr Thal ist bis nahe an die Vereinigung mit der Ceta echtes und zwar wegen des rascheren Falles und des dadurch bedingten tieferen Einschnittes viel engeres Hochthal, als wir dort finden. Ansätze zu Uferebenen sind hier noch seltener und die Bevölkerung daher dünn. Auch die Erosion ist in dieser Mulde viel stärker aufgetreten. P)ie interessantesten Belege dafür sind noch vorhanden. Bis auf die Hälfte des ganzen Laufes hin werden an den Thalwänden hoch über dem jetzigen Bette des Flusses Schottermassen sichtbar, die einst dort oben abgesetzt wurden. Total verschieden ist von diesen Hochthälern das Thal der Ceta. Es wurde bereits erwähnt, dass wir es hier mit einer noch vorhandenen, überaus mächtigen Terrasse zu thun haben. Aber das Wasser stürzt sich nicht frei über dieselbe herab, sondern durchbricht den ihr entgegenstehenden Wall unterirdisch mittelst der „Perte de la Ceta", wie wir das seltene Phänomen nach Analogie der ähnlichen Stelle im Laufe des Rhone nennen wollen. Aber auch schon bis zu diesem Punkte war der Fluss, oder die Flüsse — denn es handelt sich hier um mehrere Ouellzuflüsse — anders geartet, als die vorher besprochenen. Das Bette liegt dortselbst inmitten einer ausgedehnten Kesselebene, in deren Kiesmassen die Wasser sich mehr oder minder tief eingegraben haben. Es kann kaum ein Zweifel darüber obwalten, dass wir es hier mit einem alten Seebecken zu thun haben. Nachdem die Wasser, die dasselbe ehemals füllten, lange Zeit unterirdisch ihre Zerstörungsarbeit an dem weichen Kalkboden getrieben hatten, mag dann eines Tages, als endlich ein Tunnel durch die felsige Barriere im Süden fertig war, die ganze Masse in die Tiefe des heutigen mitt- * leren Cetathales durchgebrochen sein. Das letztere stellt aber ebenfalls, trotz seiner gigantischen Uferwände, kein eigentliches Hochthal dar. Es ist von bedeutender Breite, die teilweise selbst einige Kilometer beträgt, und der meist ebene Boden zeigt sich mit trefflicher Kulturerde bedeckt. Bemerkenswert erscheint noch, dass im obersten Teile dieser Mittelstufe mehrfach Äste von den Gebirgen der Ränder vorspringen und das Thal so in Parallelen zerlegen. Vielleicht war diese ganze breite Mulde mit ihrer geringen Seehöhe ehemals auch noch Meeresarm, gerade so wie die Crmniza*). Sicher aber hat die Natur hier selbst die übliche Dreiteilung begründet. Der Oberlauf umfasst die Strecke von den Quellen bis zum Fall, der Mittellauf die Fortsetzung bis zur Vereinigung mit der Moratscha, und der vereinigte Fluss stellt den Unterlauf dar. — Eine letzte Eigentümlichkeit dieser montenegrinischen Flüsse linden wir, wenn wir die Nebenflüsse betrachten. Im allgemeinen fällt hier der relative Mangel an solchen auf. Derselbe erklärt sich durch den tiefen Einschnitt der Thäler, resp. durch die Steilheit und Plöhe der beiderseitigen Uferwände , die wir sowohl bei der Moratscha als der Ceta konstatieren mussten. Namentlich die letztere hat in der obersten Plälfte ihres Mittellaufes absolut keine nennenswerten Zuflüsse, da hier auf beiden Seiten senkrechte Felsmauern stehen, die ausserdem auf dem rechten auch noch den Charakter von Randgebirgen tragen. Erst in der Spuscher *) Betreffs des letzteren Flussthaies wird unsere Behauptung vielleicht auch durch das Vorkommen des Petroleum an dem linken Gehänge gestützt. Denn bekanntlich behaupten neuerdings bedeutende Geologen die Entstehung jenes Produktes aus abgesperrten und dann verwesten Seetieren, wozu auch das rote Meer mit seiner steten Neubildung des fraglichen Stoffes einen bedeutsamen Beleg liefert. Ebene, wo auf der eben genannten Seite das Gebirge niedriger wird, tritt die Suschiza auf. Was die Moratscha anlangt, so ermöglicht es ein ungeheurer Spalt der Mrtwiza, die Schneewasser aus den wilden Hochgebirgs-massen zwischen Moratscha und Ceta zu Thal zu bringen. Und überhaupt treten hier schon häufigere, wenn auch wenig bedeutende Zuflüsse auf, weil die Lehnen rechts und links, wenngleich noch sehr steil, doch nicht mehr vertikal sind, wie zumeist bei der Ceta. Ein entwickelteres Nebenflusssystem aber hat erst die Ceta-Moratscha in der weiten Podgoriza-Ebene aufzuweisen, in welche die im Halbkreis um dieselbe sich gruppierenden Hochgebirge ihren Überschuss an Flüssigkeit niedersenden. Der Bojana gehen infolge des Umstandes, dass sie zumeist in weiter, der näheren Berge entbehrenden Tiefebene fliesst, nur wenige und unbedeutende Nebenflüsse zu. Was die externen Pdüsse angeht, so ist bei denselben besonders die Menge von Quellzuflüssen bemerkenswert, aus denen sie sich bilden und deren verschiedenartige, einheimische Benennungen dem Topographen nicht wenig Schwierigkeiten bereiten. Wie leicht ersichtlich, so wird dieser Reichtum durch den schon erwähnten Umstand, dass jene Flüsse den so schneereichen Gruppen des Koni und Dormitor entstammen, bedingt. Wir haben bei unserer bisherigen Besprechung der Plüsse des Landes einer Gruppe, der Küstenwässer, noch gar nicht gedacht, deren Montenegro auf dem ihm nun gehörigen Littorale zwischen Antivari und Dulcigno ebenfalls einige aufzuweisen hat. Indes dieselben stellen sich, obgleich ihre Zahl ansehnlich ist, im Grunde nur als bedeutungslose, im Sommer meist trocken liegende Bäche dar. Auch über die stehenden Gewässer ist nicht viel zu sagen. Gebirgsseen fehlen gänzlich, wenigstens wenn man von einigen kleineren Wasseransammlungen im Dormitor- und Kom-Gebiet absieht, die, ähnlich wie viele der Tatraseen, einer Erwähnung nicht wert sind. Von ausserordentlicher Wichtigkeit erscheint dagegen der Skutari-See, der, obwohl fast noch rings von Hochgebirgen umgeben, dennoch, da sein Niveau lediglich etwa 10 Meter über dem Meere liegt, als Tieflandssee zu betrachten ist. Er bildet für die Crnagora unter den Gewässern das, was das Cetathal unter den Landstrichen. Er ernährt einen nicht unbeträchtlichen Teil des Volkes, teils im wörtlichen Sinne des Wortes, mit seinem Reichtum an Fischen, namentlich an Scoranzen, deren Fang mit derselben Leidenschaftlichkeit und handwerksmässigen Fertigkeit betrieben wird, wie etwa anderwärts der Härings- oder Thunfischfang; teils aber giebt auch die Schiffahrt auf ihm und der damit verbundene Handel nicht wenigen ihren Lebensunterhalt. Der Skutari-See hat eine Länge von etwa 40 und eine Breite von circa 12 Kilometer. Seine Tiefe beträgt im allgemeinen nur 2—3 Faden, doch fehlt es auch nicht an wahren Abgründen. Nordwind (Bora) und Südwind (Scirocco) herrschen auf seiner Oberfläche vor und werden oft beide gefährlich. Das Wasser hat in der Regel eine stahlblaue Färbung. Im Bezug auf seine Umrandung offenbart sich ziemliche Mannigfaltigkeit. Flachland (imNordosten und im Süden), müssig ansteigendes, hügeliges Terrain (Ostufer) und Hochgebirge (Westseite, Rumija) schliessen ihn ein. Da letzteres in Form schroffer Wände fast ohne Vorland aufsteigt, so fliesst ihm von dorther kein Wasser zu. Wohl aber spenden solches ausser den bereits besprochenen montenegrinischen Flüssen, die nördlich einmünden, eine Anzahl von Wasseradern, die das oberalbanesische Alpengebirge über die Abdachung des östlichen Ufers dem See zusendet. Über die Entstehung dieses mächtigen Sammelbassins, das mit dem Bodensee, dem es auch sonst etwas ähnelt, rivalisieren kann, dürften wir kaum im Unklaren sein. Es ist wohl unzweifelhaft, dass wir es mit einem ehemaligen Meeresbusen zu thun haben, der späterhin infolge von Hebungen in der Gegend der heutigen Bojana-Ebene von der offenen See abgesperrt wurde. Jedenfalls war sein Wasserstand, von dem man behauptet, dass* er jetzt infolge der erwähnten Stauungen wieder in einem stetigen Wachstum begriffen sei, früher viel höher, so dass der See auch noch die untere Crmniza und die Ebene von Podgoriza bedeckte, ja möglicherweise selbst das Cetathal inclusive der Ebene von Spusch ausfüllte. Es muss noch erwähnt werden, dass man daran gedacht hat, ihn ganz trocken zu legen. Indes angenommen selbst, dass dies möglich wäre, so ist es doch sehr fraglich, ob das gewonnene Areal mehr nutzen würde, als das jetzige Seebecken, von dem, wie uns dünken will, eine zu erhoffende Blüte Montenegros ganz wesentlich bedingt wird. — VIII. Flora. Haben wir schon bisher in mehr als einer Beziehung das doch an sich so kleine Gebiet von Montenegro, welches viele für ein durchaus monotones Land halten, als ein Terrain der Ungleich-artigkeit und der Gegensätze erkannt, so gilt dies nicht am wenigsten, wenn wir die Vegetation ins Auge fassen. Ja, die arme Crnagora ist kahl und unfruchtbar, kahler und unfruchtbarer, öder und trauriger noch, als sich die Meisten denken. Aber dasselbe Land, das so in der That ein Stück Wüste umschliesst, birgt auch wieder parkartige Gelände, vereinigt das heilige Düster nordischer Waldespracht mit den schillernden Farben der Gärten der Ples-periden. Wir werden uns aber nach dem, was wir bisher über montenegrinische Bodenart des weiteren ausgeführt haben, unschwer solche Ungleichartigkeit erklären, beziehentlich die Grenzen der angegebenen Kontraste ziehen können. Wir werden eben auch botanisch das ganze Land in zwei Teile zerlegen und zunächst den karstähnlichen Westen für das Gebiet der Ode ansehen. In der That giebt es dort auch weite Strecken, die wie mit dem Rasiermesser geschoren erscheinen und wo das absolut nackte Gestein herrscht. Und doch hat die Natur, die unermüdliche, selbst hier nicht ganz auf ihre Thätigkeit verzichtet. Wo nur etwas Wasser oder Humus war, da hat sie auch ein Wachstum geschaffen, das oft wahrhaft in Erstaunen setzt. Namentlich überzieht ein ziemlich dichtes Buschwerk von Haselnuss und Esche oft ausgedehnte Gebiete; mitten aus den Steinwüsten streckt eine reiche Wiesenflora die bunten Köpfchen. Ihre Hauptrepräsentanten sind-dieselben, die die Fluren von Mitteleuropa zieren, wie „Himmels, schlüsselchen" (Primula veris Sm.), „Plundsveilchen"" (Viola canina L.), „gelbe Stiefmütterchen" (Viola tricolor L.), „Waldröschen" (Anemone nemorosa L.), „Gänseblümchen" (Bellis perennis Li), „Butterblume" (Ranunculus repens L.) und viele andere. In höheren Lagen bildet die Rotbuche (Fagus sylvestris L.) nicht selten recht leidliche Bestände, während auf den wärmsten und dürrsten Punkten die wilde Birne (Pirus Achras Gaertn.) mi wahren Prachtexemplaren, ausgestattet mit pyramidal geformter, dichtbelaubter Krone und schlankem Stamme, sich präsentiert. Auch der „gemeine Aronsstab" (Arum maculatum L.) ist für wärmere, aber etwas beschattete Stellen charakteristisch. Überhaupt wird das Wachstum gegen den Süden, die Crmniza, hin reicher, jedoch in der Art, dass, was die Thäler oder Hänge angeht, jedesmal die der Sonne abgekehrte Seite besser bestanden ist, als die andere, ein Gesetz, das sich fast innerhalb des ganzen Landes geltend macht. — Im allgemeinen aber ist doch trotz alledem Kahlheit das Charakteristicum von ganz Westmontenegro. Um so gewaltiger wirkt der Kontrast, in welchem dazu der Osten und der Süden des Landes stehen. Hier sind ja, wie wir sahen, die Bodenverhältnisse vielfach ganz andere, hier herrscht andere Luft, anderes Klima, hier ist namentlich das Wasser reichlicher vorhanden. Darum haben wir es in diesen Partien in der That auch mit einer vielfach wahrhaft üppigen Vegetation zu thun, die nebenbei noch höchst mannigfaltig sein muss, da dortselbst infolge der vertikalen Gliederungsverhältnisse des Terrains die Klimen ganz Europas, von Unteritalien bis zum Polarkreis, vertreten sind. Unverkennbar treten uns in den genannten Landesteilen ziemlich scharf markiert die Pflanzenzonen unseres Erdteils entgegen. Wir haben ¥ 1) eine hochalpine Region, etwa von 1800 Meter, der ungefähren Baumgrenze in der Crnagora, an aufwärts. Hier treffen wir eine wenn auch nicht an Arten, so doch an Individuen reiche Alpenflora, der jedoch Rhododendron, welches in der Spec. Rhododendron hirsutum L. sonst gerade den Kalkboden liebt, zu fehlen scheint. 2) eine subalpine Region, zwischen 12Q0 und l800 Meter. Hier finden wir Nadelholz, das indes zumeist nur durch eine Art, Pinns marit. Mill., vertreten wird. Doch erreichen diese Schönen Bäume in den Gebirgen der Crnagora die stattliche Höhe von nicht sehen 25 Meter und mehr. Es sei bei dieser Gelegenheit gleich noch bemerkt, dass die ausgedehntesten Wälder auf den Abhängen des Woinik, des Dormitor, im Lipovthale, im Komgebiet und auf den Planinas zwischen Ceta und Moratscha, also weniger im Innern des Landes als rings um dasselbe in weitem Bogen, peripherisch anzutreffen sind. 3) eine Region der blattwechselnden Laubhölzer, zwischen 400 und 1200 Meter. Innerhalb dieser Zone müssen wir indes einige Unterabteilungen machen, nämlich a) die Region der Buchen, etwa zwischen 800 und 1200Meter. b) die Region der (blattwechselnden) Eichen, zwischen 400 und 8O0 Meter. Hier ist namentlich die durch ihre essbaren Früchte und noch mehr durch ihr treffliches, starkes Holz bekannte „Zerreiche" (Ouercus cerris L.) reichlich vertreten. In dieser Region linden sich auch die Wallnussbäume (Juglans regia L.) und die Obstbäume (zumeist nur Pflaumen). c) Die Region der Feige, des Maulbeerbaumes und des Weines, zwischen 100 und 400. Während die unter b. genannte besonders durch das mittlere Moratschathal repräsentiert wird, gehört dieser Zone namentlich das mittlere Cetathal in seiner obersten Hälfte an. 4) eine Region der immergrünen Laubhölzer, zwischen o und 100 Meter. Hier finden sich namentlich Granaten, Cistineen, Myrten, Lorbeeren, Oliven und Orangen. Diese Zone umfasst vor allem die südliche Hälfte des mittleren Cetathales, die Crmniza, die geschützteren Gegenden am Skutarisee und die Strandpartie von Antivari bis Dulcigno. — Nach diesem allgemeinen Abriss sei es uns gestattet, noch einige der hervorragendsten botanischen Produkte des Landes und zwar aus allen Teilen desselben zu nennen. Wir verzichten dabei auf eine bestimmte systematische Anordnung um so mehr, als wir eventuell gleich die bevorzugten Standorte, sowie die landesübliche Verwendung und dergleichen beifügen wollen. Auch die einheimischen (serbischen) Namen geben wir bei den bedeutsameren Specialitäten an. Celtis australis L., der „Zürgelbaum" (serb. Koschela). Lediglich im alten Montenegro (doch inclusive Antivari und Dulcigno), auf dem steinigsten, dürrsten Boden, sofern nur Sonne genug vorhanden. Der Baum wird dieser seiner, in einem Lande, wie die Crnagora, überaus schätzbaren Eigenschaften wegen fast wie heilig gehalten. Er erfreut sich vielfach der unbedingten Schonung seitens des Volkes. Nur wo sich grössere Bestände finden, werden die jungen, dünnen Exemplare zur Bereitung von Fassreifen und zur Herstellung der kleineren Teile, namentlich der Pflöcke am Ackerpfluge, benützt, während stärkere Stämme als Bauholz Verwendung finden. Paliurus aculeatus L., der „Judendorn" (serb. Dratscha). Ein dornartiges Gebüsch, das unter ähnlichen Bedingungen ebenfalls nur im alten, mehr mediterranen Montenegro verbreitet ist und als Material für lebende oder tote Zäune verwendet wird. Kommt häufig zusammen vor mit Rubus fruticosus Heyne (die „gemeine Kratzbeere", „Brombeere"). Cornus mascula L., die „Korneliuskirsche", gebüschartig, doch auch als kleiner Baum wachsend, und zwar in der Crmniza, bei Podgoriza, Antivari, Dulcigno und im Ceta- und Moratschathal. Aus dem süss-säuerlich schmeckenden, korallenroten, länglich-runden, etwa l Centimeter messenden, im Innern mit einem überaus harten Kern versehenen Früchten bereitet man vielfach im Lande Confitüren, und in Gegenden, wo kein Wein gedeiht, auch „Rakia" (Schnaps). Das sehr feste Holz endlich wird zu allerhand Schnitzarbeiten, namentlich auch zur Plerstellung von Spazierstöcken, ähnlich wie in dem weltberühmten Ziegenhain bei Jena, verwendet. Beispielsweise führte der Begleiter des Verfassers einen solchen von recht guter Arbeit. Spartium junceum L. (Sparthiantus junceus Lk.), der „spanische Ginster" oder „wohlriechende Pfriemen" (serb. Schukwa), ein hoher Strauch mit langen, binsenartigen Blättern und gelben, wohlduftenden, Schmetterlings-Blüten, welcher grobe Leinwand zu " Schürzen, Säcken und dergleichen liefert. Er wird dazu im Lande einer besonderen Manipulation unterworfen. Man legt nämlich die abgeschnittenen Stengel in Meerwasser und zwar 2 bis 3 Monate lang. Dann werden sie getrocknet und mit einem be- sonderen Instrumente gerieben, bis die Faser von der harten, spröden Hülle befreit ist. Hierauf spinnt und webt man sie. — Oder man flechtet die Zweige zu kleinen Säcken, deren man behufs der Auspressung der Oliven in den Ölraffinerien benötigt. Phytolacca decandra L., die „Kermesbeere". Das hoch aufschiessende Kraut liefert in seinen dunkelroten Früchten die bekannten Beeren, nach denen die Pflanze genannt ist. Man färbt mit diesen letzteren in Serbien den Wein, in Montenegro aber hält man dieselben, deren Saft allerdings Brechdurchfall erregt, für äusserst giftig und glaubt, dass sie Wahnsinn hervorzurufen imstande sind. Sambucus ebulus L. (der „Zwergholhmder", „Attich"), unserem gemeinen („schwarzen") Plollunder (Pdieder) in vieler Hinsicht ähnlich, doch nie über einen Meter hoch werdend. Besonders häufig in der nordöstlichen Umgebung des Skutarisees. Plantago lanceolata L., der „Wegerich" (Spez. mit länglich lanzettförmigen Blättern), serb. Bokviza. Die Pflanze wird im ganzen Lande, in dem eine geordnete Ausübung ärztlicher Praxis fast noch durchaus fehlt, bei Wunden, Geschwülsten etc. angewendet. Xanthium acanthifolium L., „Spitz- oder Kropfklette" (serb. Boka oder Dikiza), auch in Bosnien und Serbien, an der Sokwa und Donau häufig. Wie die Eingeborenen behaupten, ist das Gewächs von Ragusa eingeschleppt worden, als dort die Pranzosen hausten. Die Leute in den Donauländern lassen es dagegen durch Kameelkarawanen aus Konstantinopel gekommen sein. Ebenso behaupten die Russen, dass es vor etwa 40 Jahren in das Gouvernement Astrachan aus dem Kaukasus eingewandert sei. In gleicher Weise soll bekanntlich auch die in Deutschland heimische Spez. (Xanthium spinosum L.) durch Kosakenpferde aus Südrussland nach der Walachei und von da durch Schweine und Schafwolle zu uns weiter verbreitet worden sein. Eine Art (X. macro-carpum Dec.) war übrigens bereits den Römern bekannt. Sie verwendeten es zum Blondfärben der Haare. Buxus sempervirens arborescens L. (der „echte" Bux-baum), in stattlichen, oft mehrere Meter hohen Büschen, in der Gegend zwischen Rjeka und Podgoriza. Hex aquifolium L. („gemeine Stechpalme") auf dem weissen Berg bei Dulcigno, und anderwärts. Schwarz, Montenegro. 27 Calamogrostis lanceolata L., das „Federgras" (serb. Wisch). Dasselbe gedeiht im alten Montenegro zwischen Felsen und erreicht eine ziemliche Flöhe. Es wird dortselbst, wo man noch nichts von Wiesen weiss, wie sie die Hochgebirge der neu erworbenen Territorien umschliessen, sehr geschätzt, mühsam gesammelt, in Bündel gebunden und die Oka (2V2 Pfund) für 5 bis 10 Kreuzer verkauft, ein recht sprechender Beweis für die Dürre und Kahlheit des Karstlandes. Nymphaea alba L., (die „Wasserlilie") und N. lotos (der „ägyptische Lotos", serb. Loquan) in grossen Massen und prächtigen, üppigen Exemplaren im Skutarisee. (Eine andere Art von Wasserlilie kommt in dem unteren Crmnizallusse vor; dies wohl Potamoget. lluitans). Trapa natans L. (die „Wasserkastanie", „Jesuitennuss", letztere Benennung jedenfalls wegen ihrer windmühlenflügelartigen, wie die Hüte der Jesuiten in drei Spitzen auslaufenden Früchte, serb. Raschak und Kassaronja). Die zwar weit verbreitete, aber gleichwohl überall eine Rarität bildende Pflanze kommt in Montenegro sehr massenhaft, jedoch nur in der Rjeka und an schmäleren Stellen des Skutarisees vor. Man isst die Früchte, füttert sie aber noch häufiger in die Schweine. Ende August und während des Septembers werden dieselben eingesammelt. Merkwürdig erscheint, was die Eingeborenen über das Vorkommen der Pflanze beobachtet haben. Sie wächst nämlich in einer ungefähren Tiefe von 3 Meter und selbst mehr. Ist aber der Gegend ein regenloser Sommer beschert, dann sucht man sie vergeblich. Althaea officinalis L. (der „gemeine Eibisch", serb. Schljes) mit grossen, rosafarbigen Blumen, in bedeutenden Mengen vorkommend, wie überhaupt, um das gleich hier zu bemerken, das Land reich ist an Medizin- bez. Giftkräutern. Wir schliessen einige der gewöhnlichsten gleich hier an. Rhus cot in vis L. (Cotinus Coccygea Scop., der „Perücken-sumach", „Gelbholzsumach", auch „Rujastrauch" genannt, serb. Ruj; das betr. Färbematerial heisst im Handel immer kurzweg: Schmack). Wächst in den Bergen von Rjeka und Crmniza auf dem harten Kalkboden und bildet einen der wenigen Exportartikel des Ländchens. Jährlich ca. 20,000 Centner, die mit etwra 150,000 Gulden bezahlt werden. Datura Stramonium L. („Stechapfel", „Tollkraut"), zumeist auf Misthaufen. Hyoscyamus niger L. („Bilsenkraut"), desgleichen. Satureja L. („Pfefferkraut", hortensis L. u. a.), häufig. Mentha L. („Münze", ebenfalls in vielen Arten, als M. pipe-rita, M. sylvestris L. etc.), desgleichen. Polygonum Bistorta L. („Natterwürz"), ebenso. Chenopodium vulvaria L. („Schanikraut"). Euphorbia Lathyris L. und E. palustris L. („Wolfsmilch"), letztere in seichten, sumpfenden Stellen des Skutarisees. Helleborus niger L. („schwarze Niesswurz"), auf mittleren Gebirgshöhen. Carduus ftutans L. („Bisams- oder Eselsdistel"). Triticum repens L. Cichorium fntybus L. („Cichorie"). Bryonia dioica Jactp („rotfrüchtige Zaunrübe"), in den wärmeren Landesteilen, wie Crmniza etc. Arum maculatum L. (der „gemeine Aronsstab"), meist nur im westlichen Montenegro, dort aber häufig. Polypodium vulgare L. („gemeiner Tüpfelfarn"). Juncus acutus L. („Binse"). Tussilago Farfara L. („Huflattich", „Eselslattich"). Periplexa graeca L. Als solche ist vielleicht der Strauch zu bezeichnen, den die Montenegriner Rakita nennen. Er wächst in den wärmeren Landesteilen, namentlich in der unteren Crmniza, bei Rjeka, Podgoriza und Spusch, in der Niederung auf feuchtem Boden. Seine Blüten, die Ende Juli oder im August erscheinen, riechen nach Wermut und haben eine weisse oder lilae Färbung, gerade so, wie die Blüte des „türkischen Flieders" (Syringa vulgaris L.), der sie auch in Hinsicht der Form etwas ähneln. Clematis Viticella („blaue Waldrebe") und Cl. Pdammula L. („P"euerkraut"). Salvia officinalis L. („Gartensalbei") im „steinigen" Montenegro auf sonnigen Stellen oft in ungeheuren Massen. Rammen Ins L. („Hahnenfuss", „Butterblume"), in verschiedenen Arten. Adonis vernalis L. („Adonisröschen"), vielfach auf Kalkboden, den die Pflanze bekanntlich auch sonst liebt. Anemone L. („Windröschen"), in verchiedenen Arten, namentlich auch A. hepatica L. Sedum acre L. und Sedum album L., der gelbblühende („Steinpfeffer") und weissblühende („weisse Tripmadam") Sedum, am Skutarisee und in Podgoriza. Narcissus poeticus L. („weisse Narcisse", „Sternblume"), an den sonnigen Lehnen des mittleren Moratschathales u. a. Crocus vernus Smith („Frühlingskrokus"). Veratrum album L. („weisse Nieswurz"), vielfach auf den Alpenwiesen mittlerer Höhe in der Osthälfte des Landes. Papaver rhoeas L. („Klatschmohn", „Kornrose"). Nerium Oleander L. („Oleander", „Rosenloorbeer"). Nur im Littorale. Convolvulus L. („Winde"), in verschiedenen Arten, so C. Sepium L., die „Zaunwinde", C. arvensis L., die „Ackerwinde", C. tricolor u. a. Pyrethrum cinerariaefolium Trev., wird auch hier, wie in Dalmatien, zur Herstellung von Insektenpulver verwandt. Cytisus Laburnum L. (der „Goldregen"), in den wärmeren Landesteilen. Iris, und zwar sowohl I. germanica L. („Himmelslilie", blaue Blüten), als I. pseudacorus L. („Wasserschwertel", gelbe Blüten), erstere im Littoral., namentlich bei Dulcigno, letztere im Überschwemmungsgebiet des Skutarisees. Gentiana lutea L. (der „gemeine Enzian"), auf den Alpenmatten der centralen und östlichen Hochgebirge. Ebenda auch die blaublühende G. acaulis L. Thymus vulgaris L. (der „Gartenthymian"). Punica granatum L. („Granate"), in den wärmeren Teilen des Landes, namentlich in der Crmniza und am Strande. Prunus spinosa L. („Schwarzdorn", „Schlehe"), vielfach. An diese reiche Zahl von officinellen oder officinell gewesenen Gewächsen schliessen wir noch eine Anzahl Pflanzen, die unter anderem dadurch interessant sind, dass sie bei uns als Zierpflanzen dienen. So Reseda Phyteuma L. („wilde Reseda"), am Mittelmeer. Hedera Hei ix L. („Epheu", „Eppich"). Myosotis palustris With („Vergissmeinnicht"). Hyacinthus orientalis L. („Gartenhyacinthe"). Verwildert. Lonicera Periclymenum L. („riördl. Gaisblatt"). Leucojum Vernum L. (^grosses Schneeglöckchen"), am Skutarisee. Tulipa sylvestris L. („wilde Tulpe", gelbblüherid). Vicia L. („Wicken", in verschiedenen Arten). Vielfach. Agave Americana L., nur im Littorale. Ribes grossularia L. (der „gemeine Stachelbeerstrauch"). Einzig und allein in den Dugapässen. Fragaria vesca L. (die „Walderdbeere"), vielfach im Kalkgenale. Rubus Idaeus L. („Himbeerstrauch"), desgl. Pirus Cydonia L. (Cydonia vulgaris Pers., „Gemeiner Ouittenbaum"), ein Liebling der Montenegriner, der in wärmeren Teilen des Landes, namentlich in der Crmniza, viel kultiviert wird. Aus den Früchten bereitet man Confituren. Pinns peuce (serbisch: Molika), nur in den Hochgebirgen von Wassojewitschi. Schon diese kurze Aufzählung, die weit davon entfernt ist, vollständig zu sein und lediglich das Bemerkenswerteste um-schliesst, beweist, dass selbst der Botaniker in den ödSk „schwarzen Bergen" Interessantes genug finden und beobachten kann. IX. Die Fauna der „schwarzen Berge". Mit der 'Pierwelt wird der Klimax von Verhältnissen, von denen die jeweilig vorhergehenden niedrigeren Ranges die nachfolgenden, höheren in der Weise bedingen, dass beispielsweise von der Erhebungsart das Klima, von beiden zusammen wieder das Wasser, und von allen dreien in ihrer Vereinigung die Pflanzenwelt abhängt, eine weitere Stufe hinzugefügt. Denn der bei weitem grösste Teil der Tiere ist mit seiner Existenz auf die Pflanzenwelt beziehentlich auch auf die Verhältnisse angewiesen, auf denen diese letztere schon basiert. Wo nun diese Grundbedingungen für die Entwicklung einer Tierwelt mangelhaft sind, da muss natürlich die letztere selbst dürftig auftreten. Dies wird der Fall sein in den karstigen Teilen der Crnagora, die wir in so vielfacher Hinsicht ungünstig beanlagt fanden. In der That. gesellt sich dort zu der Kahlheit des steinigen Bodens auch der Eindruck des Todes infolge des Mangels an animalischem Leben. Kein Bächlein rauscht, aber ebenso schallt auch kein Vogelgesang durch die Lüfte, kein behender Vierfüssler schlüpft über die Fluren. Unheimliche Stille herrscht hier, intensiver fast, als in der arktischen Zone oder in den doch mitunter noch von flüchtigen Gazellen oder Straussen belebten Einöden der Sahara. Nur wo die Pflanzenwelt einen wenngleich schüchternen Anlauf genommen hat, tritt sofort auch ein gewisses tierisches Leben auf. Da flattern weisse und bunte Schmetterlinge in den Lüften, da rascheln zahllose kleine Padechsen (Lacerta agilis L.) durch die Blätter am Boden und, notdürftig nur in dem spärlichen Buschwerk versteckt, lässt der Kuckuck (Cuculus canorus L.) seine monotone Melodie hören. Der letztere ist übrigens gleichmässig durch ganz Montenegro, im Westen wie im Osten, in den Hochgebirgen des Centrums wie in den heissen Niederungen am Skutarisee, verbreitet. Es scheint fast, als ob es dem wunderlichen Kauz nirgends in der Welt so wohl gefiele, als in den „schwarzen Bergen". So massenhaft tritt er hier auf. Es sei bei dieser Gelegenheit gleich bemerkt, dass überhaupt die montenegrinische Fauna, wo sie einmal zur Erscheinung kommt, zwar nicht reich an Arten, wohl aber an Individuen ist, wie dies ähnlich auch betreffs der Botanik gilt. Selbstverständlich müssen die übrigen Gebietsteile des Landes, wo so viel günstigere Vorbedingungen gegeben sind, auch ganz andere faunische Verhältnisse zeigen, als wir sie bisher fanden. Dort haben wir zunächst Wasser und dämm auch eine Klasse von Tieren, die in Westmontenegro absolut fehlt, die Fische. Die Gewässer der Crnagora sind auffallend reich an solchen, wenngleich, wie bereits angedeutet, eine grosse Mannigfaltigkeit auch in dieser Beziehung nicht erwartet werden darf. Relativ am ärmsten erscheinen die Flüsse des externen Systems, da dieselben ja mehr oder minder doch nur Quellflüsse sind, soweit sie innerhalb Montenegros laufen. Doch tritt dort wenigstens die Steinforelle (Trutta Fario L.) bereits in ziemlicher Menge auf. Ungleich bevölkerter sind die internen Wasseradern, denn diese stehen mittelst des Skutarisees und der Bojana mit dem offenen Meere in direkter Verbindung, so dass sie also wanderlustigen Meeresbewohnern, wie sie auch die Adria zahlreich beherbergt, Gelegenheit zu Exkursionen genug bieten. So haben wir z. B. massenhafte und" stattliche Exemplare von Anguis vulgaris Flam., dem Flussaal, der in Lim, Tara und Piwa schon deshalb nicht angetroffen werden kann, weil diese Gewässer zum Gebiet des Schwarzen Meeres gehören, welches jener Fisch ebenso meidet, wie den Kaspischen See. Namentlich im Skutarisee sind Tiere von 5 Kilogr. Schwere und darüber keine Seltenheit. Sehr häufig ist ferner auch der „Teich"- oder „Flusskarpfen'" (Cyprinus carpio L.), der die stilleren Buchten des genannten Seebeckens und ganz besonders die träge, schlammreiche Crmniza bevorzugt. Die letztere beherbergt vielfach wahre Prachtstücken von 30 Kilogr. und selbst mehr. Noch massenhafter fast tritt die Lachsforelle (Trutta lacustris L.) auf, die, wie alle P'orellenarten, schon etwas bewegteres Wasser liebt und darum namentlich in der Bojana und der Ceta vorkommt. Sie erreicht oft genug ein Gewicht von 12—15 Kilogr., ohne dass ihr Fleisch dabei etwas an seiner Schmackhaftigkeit verlöre. Der Fang ist so bedeutend, dass, wie wir im erzählenden Teile berichteten, selbst nach der Meeresküste damit Handel getrieben wird. Der interessanteste Fisch der Crnagora aber, der zugleich auch am massenhaftesten, in ungezählten Legionen, ähnlich wie im Norden der Häring auftritt, das ist die Scoranze. Leider nur scheinen die Gelehrten noch nicht einig darüber zu sein, zu welcher Gattung dieselbe wissenschaftlich zu rechnen ist. Nur das eine soll feststehen, dass sie weder mit den Anchovis (Engraulis encrasicholus L.), die allerdings auch im Miltelmeere vorkommen, und jener namentlich hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Grösse nahe stehen, noch mit der Sardelle (Clupea sardina Cuv., auch Sardine genannt, die im Mittelmeer sogar überaus häufig ist, auch in der That vielfach der Scoranae ähnelt), identisch ist. Frilley und Wlahovitsch (Le Montenegro contemporain) äussern sich dahin, dass der mysteriöse Fisch dem „Mugel" oder „Gold-harder" (Mugil cephalus Cuv., auch „gemeine Meerasche" genannt) verwandt sei, der allerdings fast ausschliesslich im Mittelmeer wohnt und ebenfalls zu den Zugfischen zählt. Beispielsweise steigt er im Frühjahr in dem Rhone, dem Po und der Tiber empor. Nur stimmt die Grösse nicht, die hier durchschnittlich 40 Centim. und mehr erreicht. Vielleicht sollte man darum mehr an die viel kleinere Art, welche „Grauäsche" oder „Romado" (Mugil capito Cuv.) heisst, denken, die freilich in der Regel nördlichere Meere bewohnt, jedoch auch im mittelländischen Becken häufig angetroffen wird. Wie dem aber auch sein möge, auf alle Fälle steht fest, dass das Tier, welches man in jenen Gegenden Scoranze nennt, ein sardellenartiger, silberweissglänzender Fisch ist, dessen Grösse zwischen 10 und 18 Centim. schwankt und der, um zu überwintern (also nicht im Frühjahr!) aus dem offenen Meere mittelst der Bojana und des Skutarisees in die tiefe, stagnierende, von hohen Uferbergen eingeschlossene Rjeka dringt und in ihr weit aufwärts geht. Die Scoranze erscheint so zu sagen charakteristisch für diesen Fluss (oder, wie wir gezeigt haben, richtiger Seearm). Sie wird dort auch gefangen und bildet, infolge der Massenhaftigkeit, in der sie aufzutreten pflegt, einen wesentlichen Erwerbszweig des so armen Völkchens. Sie ist für Tausende Nahrungsmittel und Handelsartikel zugleich. Schon um ihretwillen war der Besitz des nördlichen Teiles des Skutarisees für die Crnagorsen zu allen Zeiten eine Lebensfrage und die Aussicht, ihn zu verlieren, die in den jahrhundertelangen Kämpfen mit dem türkischen Nachbar mehrmals drohte, hatte stets des Beängstigenden genug für das Ländchen. Daher wird denn auch der Fang, der sich auf wenige Tage beschränkt und die Zeit wahrnehmen muss, wenn im ersten Frühjahr der Fisch aus seinem Winterschlafe erwacht, um wieder in kühlere Gewässer zurückzugehen, stets als ein wahres Volksfest gefeiert. Die Verwendung des Tieres betreffend, so kennt man leider nur das Trocknen, wodurch das an sich delikate Fleisch des kleinen Fisches selbstverständlich ausserordentlich verliert. Wie ganz anders Hesse sich dasselbe verwerten, wenn man — wozu es sich überaus gut eignen würde — Salzsardellen oder Ölsardinen, als welche unter anderem ja auch die Anchovis fungieren müssen, fabrizieren wollte. Freilich würde dann die Scoranze für efn Volksnahrungsmittel zu teuer und könnte nur noch als Handels-beziehentlich Exportartikel betrachtet werden. Aber bei dem hohen Preise jener Luxusfischwaren würden leicht einige Hunderttausend Gulden zu erzielen sein, die dem Unterhalt des Völkchens ganz anders zu gute kommen würden, als die dürren, fast zu einem Nichts zusammengeschrumpften Fischchen jetzt, die beiläufig ausser von den Montenegrinern nur noch von den benachbarten Albanesen consumiert werden, sonst aber nirgends unterzubringen sein dürften. Möchte Montenegro doch endlich anfangen, wenigstens die bescheidenen Schätze, die ihm die Natur in den Schoss geworfen hat, zu verwerten. — Die Gewässer, von denen wir bisher gesprochen haben, bergen aber nicht nur in sich selbst eine immerhin reiche Fauna, sie geben auch die direkte Veranlassung zur Entwicklung einer weiteren Tierwelt, nämlich einer beträchtlichen Menge von Wasser- und Sumpfvögeln, die sich an ihrem Strande aufhalten. Es gilt dies namentlich von dem Skutarisee und der Bojana, deren Ufer von Pelikanen, Reihern, Störchen und dergleichen wimmeln. Auch Möven, die das nahe Meer sendet, schweben in Massen kreischend über der weissen Wasserfläche des oben genannten Seebeckens. Wenden wir uns nun zu der Fauna des eigentlichen Yest-landes, so müssen bei den so verschiedenen Höhenverhältnissen und dem dadurch bedingten verschiedenen Klima natürlich auch grosse Verschiedenartigkeiten auftreten. In den tiefen, heissen Partien am Strande der Adria dürfen wir eine südeuropäische, beziehentlich spezieller eine südosteuropäische Fauna erwarten, während in dem kühlen Hochgebirge des Centrums und Ostens mehr die Tiere unserer Zone zu Hause sein werden. Dem ist in der That auch so. In den mächtigen Erhebungsgebieten des Dormitor, des Kom, des Ceta-Moratscha-Massivs und den nächst angrenzenden Landesteilen finden wir noch die stärksten und gefährlichsten Raubtiere unseres Erdteiles vertreten. So haust dort vor allem der „braune Bär" (Ursus arctos L.). Neben dem Balkan, wo er ebenfalls noch zu finden ist, dürften diese seine montenegrinischen Wohnsitze (circa 42V20 nördlicher Breite) wohl die südlichste Grenze bezeichnen, bis zu welcher er gegenwärtig in Europa noch herabgeht, während er vordem bekanntlich unseren ganzen Erdteil bevölkerte. Ihm leistet in jenen eklen, unzugänglichen Gegenden ein viel feigeres, aber trotzdem ungleich gefährlicheres Raubtier, der Wolf (Canis lupus L.), Gesellschaft, der auch in den benachbarten Gebieten von Bosnien und Serbien keine Seltenheit ist. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass diese Bestien sich nicht immer auf den centralen und östlichen Teil der Crnagora beschränken, sondern mitunter ihre Streifzüge selbst bis in die karstigen Regionen des Westens ausdehnen. So soll noch vor wenig Jahren ein Bär in der Nähe von Cetinje gesehen worden sein. Die höchsten Gebirge des Landes beherbergen neben diesen von den Montenegrinern mit Recht gefürchteten Bewohnern auch noch einen sehr harmlosen Gast, das ist die Gemse (Rupicapra rupicapra Sund.). Bei den innerhalb der „Brda" in vielfacher Hinsicht gegebenen Vorbedingungen fehlt selbstverständlich auch eine ziemlich reiche Vogelwelt nicht, die die Vertreter der verschiedensten Gattungen, von dem Raubgevögel, das in hohen Felsen nistet, bis herab zu dem kleinen, harmlosen Sänger im Busche aufzuweisen hat. Man könnte übrigens auch hier wieder fast bestimmte Zonen unterscheiden. So findet sich die gelbe Bachstelze (die Gebirgsstelze, der „Sticherling", Motacilla sulfurea Bechst., nicht die weisse, der „Wippsterz", M. alba L.), die weiter im Norden (bis circa 500 nördlicher Breite) schon in der Hügelregion vorkommt, hier nur in dem kühleren Hochgebirge, an den Flüssen des externen Systems, z. B. bei Schawnike, Kolaschin etc., während dort die Nachtigall (Luscinia Philomela Bp., vielleicht auch der ganz ähnliche, nur etwas grössere „Sprosser", der bei uns sehr selten, dagegen namentlich in Osteuropa heimisch ist) nicht angetroffen wird. Dieselbe wohnt schon tiefer, in der Zone der blattwechselnden Laubhölzer, namentlich in dem Zerreichengebüsch des Moratscha-thales, wo sie in ausserordentlichen Mengen vorkommt. Die Wachtel hinwiederum (Coturnix communis Bonn.) bevorzugt die getreidereichen Niederungen des Cetathales. Auf einer noch tieferen Stufe der Erhebung des ernagorischen Bodens hat ein Nachtvogel, der „Steinkauz" (Athene indigena Gray, Südost- europäische Varietät unserer A. noctua Gray), seine Wohnung aufgeschlagen. Er geht kaum nördlich über Podgoriza hinaus, südlich aber bis ans Meer. Man trifft ihn abends auf Telegraphenstangen und Steinen sitzend, namentlich aber liebt er altes Gemäuer. Er ist daher in der verlassenen Oberstadt von Dulcigno in geradezu unglaublicher Menge anzutreffen. Ein gleichfalls noch für das so beschränkte Gebiet der montenegrinischen Niederungen charakteristisches Tier ist die sogenannte griechische Schildkröte (Testudo graeca L., die den Landschildkröten, Chersemydae Strauch, zugehört). Sie bewohnt namentlich die Ebene von Podgoriza, hier aber ist sie ebenfalls so massenhaft vorhanden, dass sie in späteren Tagesstunden, wo sie ihre Schlupfwinkel verlässt, in ganzen Herden zum Vorschein kommt. Sie erreicht in vielen Exemplaren die immerhin stattliche Länge von 25 bis 30 Centim. In den noch heisseren Landesteilen endlich, so in der Crmniza und im Litorale, tritt uns eine den Verbältnissen Dalmatiens analoge Fauna entgegen, die unter anderem durch grosse, farbenschillernde Eidechsen (Lacerta ocellata Daud., oft über % Meter lang), ungewöhnlich entwickelte Blindschleichen (Anguis fragilis L.) und mehrere gefährliche Viperarten (so Vipera aspis Merr., die „Viper", die sich selbst noch bis auf die sonnendurchglühten Abhänge des Westplateaus über der Podgoriza-Ebene versteigt, sowie die „Sandotter", Vipera ammodytes Dum. et Bibr.) repräsentiert wird. X. Die Bevölkerung. Abstammung. Sprache. Beziehungen zur serbischen Litteratur. Abriss der Geschichte. Typus. Tracht. Wohnung. Bevölkerungszahl und -Dichtigkeit. Lebensweise. Familienverhältnisse. Charaktereigenschaften. Staatliche Einrichtungen. Kirche. Schule. Handel und Industrie. Nötige Reformen, beziehentlich Neuschöpfungen. Die Zukunft Montenegros. Der Mensch ist das vollkommenste aller Wesen auf dieser Erde. Das wird unter anderem auch dadurch erwiesen, dass er, obwohl betreffs seiner Existenz auf die ganze Staffel niederer Organismen, auf Steine, Pflanzen und Tiere zugleich angewiesen, dennoch auch wieder eine verhältnismässige Unabhängigkeit von ihnen zu bewahren imstande ist. Mit anderen Worten, der Mensch vermag allenthalben, auch auf ungünstigem, dürftigem Roden, zu gedeihen, ja im Gegenteil, auf einem solchen, da, wo ihm die Natur nicht mit vollen Händen entgegenkommt, wo er genötigt ist, mit ihr um ihre Gaben zu ringen, da entfalten sich seine reichen Anlagen nicht selten am glänzendsten. Daher die merkwürdige Erscheinung, dass wir in einem armen Lande, im Hochgebirge, in Steppen und Einöden häufig einen trefflicheren Menschenschlag finden, als in den gesegnetsten Gegenden. Belege dazu liefert auch das der Crnagora benachbarte Gebiet. Auf dem westlichen Ufer des Skutarisees, das steil, felsig und wenig fruchtbar ist, wohnt ein fleissiges, friedliches, redliches Völkchen, während das sanft sich absenkende, wohlbewässerte, üppige Ostgestade verwilderte, träge und räuberische Horden beherbergt. Aber auch Montenegro selbst ist ein schlagender Beweis für unsere obige Behauptung. Auf einem Terrain, das teilweise wenigstens zu den traurigsten Gebieten unseres ganzen Erdteils gehört, findet sich ein Stamm, der zu den edelsten Nationalitäten zu zählen ist. Freilich gerade dieses Urteil dürfte auf den allgemeinsten Widerspruch stossen. Noch wegwerfender, als etwa über die Bodenprodukte des Landes, über seine Pflanzen und Tierwelt, äussert sich die Meinung fast der ganzen Welt über die Bewohner der Crnagora. Diese That-sache ist so bekannt, sie macht sich so oft, namentlich bei jeder neuen Phase der Orientpolitik, wo immer nur Montenegro in Frage kommt, geltend, dass es besonderer Belege nicht weiter bedarf. Wir wollen nun aber zur Widerlegung derartiger geringschätziger Urteile über das Völkchen der „schwarzen Berge" gar nicht etwra darauf hinweisen, wie bedenklich es auf alle Kalle genannt werden muss, bei irgend einem Volke einzig und allein Schlechtes annehmen zu wollen, und wie ein gerechter, von chauvinistischer Befangenheit freier Beurteiler, der über dem nationalen das kosmische Moment nicht ganz vergessen hat, an jedem Stamme auch gute Seiten zu entdecken imstande sein wird. Nein, wir wollen vielmehr vorläufig lediglich zu bedenken geben, wie es doch schon im Hinblick auf das jahrhundertelange Ringen mit den Türken unmöglich erscheinen muss, das montenegrinische Element als ein schlechtes, ja auch nur als ein gewöhnliches zu bezeichnen. Denn ein solcher Krieg erforderte, wie ohne weiteres zugegeben werden muss, nicht nur rohe Tapferkeit, er setzte auch eine ausserordentliche Energie und Zähigkeit, ja mehr noch, eine hohe, edle Begeisterung für die höchsten Güter der Menschheit voraus. Die Weltgeschichte lehrt es, dass zu einem derartigen Freiheitskampf immer nur wirklich edel angelegte Nationen fähig waren. Müsste in dieser Weise eigentlich schon die grosse Bildungswelt, trotz des Mangels an wirklich eingehender Litteratur über Montenegro, aus der sie sich hätte informieren können, doch eine richtigere Ansicht über das dort wohnende Volk haben, so erscheint es doppelt befremdlich, dass selbst wohlunterrichtete Leute, denen es an Gelegenheit zu Spezialstudien nicht gefehlt hat, wie dies ganz unzweifelhaft von dem Verfasser einer längeren Abhandlung über südslavisches Land und Volk, Ausland, Jahrg. 1882, No. 12, trotz seiner Anonymität („J. G. A.") behauptet werden muss, die wegwerfendsten Urteile über die Crnagorsen, beziehentlich die Südslaven vorzubringen imstande sind. Jener Atitor spricht nämlich den Montenegrinern gute Eigenschaften allerdings nicht ganz ab. Er nennt als solche vielmehr ausdrücklich schnelle Auffassung, klaren politischen Blick, grosse Rednergabe, Massigkeit, strenge Grundsätze in Bezug auf Familienglück und persönliche Ehre, tollkühne Tapferkeit, Kraft und Ausdauer. Aber dem stellt er eine Reihe so schwerer Anschuldigungen gegenüber, dass die aufgezählten Tugenden dagegen eigentlich wenig bedeuten wollen und das Fach der Rechnung ein negatives wird. Er wirft dem crnagorischen Volke Arglist, verstocktes, lauerndes Wesen vor, das sich in ihrem unstäten, unheimlichen Blick offenbare, dazu Arbeitsscheu, Trägheit, Treulosigkeit und Grausamkeit. Man wird zugeben, dass man kaum noch Schlimmeres von einem Volke sagen kann; man wird darum aber auch jetzt schon das ganze Expose des anonymen Verfassers nicht als unbefangener, nüchterner, klarer und gerechter Prüfung und Beurteilung entsprungen hinstellen können, vielmehr hinter demselben einen Mann vermuten, der durch besondere Umstände zur Härte und Entstel- lung der thatsächlichen Verhältnisse getrieben worden ist. Da der Aufsehen erregende Artikel kurz nach Beginn des jüngsten dal-matinisch-herzegowinischen Aufstandes erschien, so mag wohl die Aufregung über diese neue Beunruhigung des europäischen Friedens die Feder geführt haben. Um so mehr wird es recht und billig erscheinen, wenn wir nun auch einmal eine objektive und von Vorurteil freie Beurteilung des vielgeprüften Völkchens herbeizuführen versuchen. Man wird zwar vielleicht den Verfasser ebenfalls für befangen, wenngleich im gerade entgegengesetzten, optimistischen Sinne halten. Dies Bewusstsein soll uns aber nur ein um so grösserer Antrieb sein, von den günstigen Eindrücken, welche die freundliche Aufnahme, die wir allenthalben im Lande, vom Fürstenpalast bis in die Hütte, fanden, sicher hervorrufen musste, uns nicht allein leiten zu lassen, sondern alle Momente heranzuziehen, welche die Wahrheit über Montenegro ans Licht zu bringen angethan sind. Um mit dem zu beginnen, was bei der Betrachtung einer Nation das erste zu sein pflegt, der Abstammung, so sind wir betreffs dessen in einer so günstigen Lage, wie nicht immer in ähnlichen Verhältnissen. Wir brauchen uns nicht allein auf die Symptome der Sprache und des Typus zu verlassen, die nicht durchweg ausschlaggebend sind; wir haben hier vielmehr festen, geschichtlichen Boden unter uns. Es ist sicher bezeugt, dass die heutigen Montenegriner Abkömmlinge von den christlichen Streitern sind, welche der Knes Lasar in der unglücklichen Schlacht von Kossowo Polje am 15. Juni L389 den Türken entgegenstellte. Dieser Todestag eines grossen Reiches war also zugleich der Geburtstag des montenegrinischen Stammes. Aus Blut und Grauen, die die Folgezeit bis heute für ihn bringen sollte, ist er erwachsen. Somit bezeichnet also der Name Montenegriner nicht eine besondere Rasse unter den Völkern Europas, auch nicht einmal einen besonderen slavisehen Stamm, sondern nur einen unter besonderen Verhältnissen abgetrennten und dann selbständig weiter gediehenen, infolge dessen natürlich auch vielfach modifizierten Zweig von dem Stamme der Serben, der bekanntlich auch seinerseits nur wieder einen Ast an dem grossen Stamm der slavisehen Rasse darstellt. Die Montenegriner sind also den sogenannten Südslaven zu- zuzählen, welche im 6. und 7. Jahrhundert aus den alten Sitzen der Gesamtslaven zwischen Ostsee und Schwarzem Meere südwärts vorrückten und sich nach Überschreitung der Donau südlich über Mösien (das heutige Serbien), Thracien, Mazedonien, westlich aber über Panonien und Dalmatien bis an die Adria ausbreiteten, wo sie unter dem Namen der Serben, der allmählich immer mehr nur zur Bezeichnung der Bewohner des eigentlichen Serbiens*) gebraucht wird, sowie der Kroaten, Slowenen, Illyrier u. s. f. noch immer wohnen und, gegen 7 Millionen stark, etwa den elften Teil zu der grossen Slavenmasse stellen, die zwischen 70 und 80 Millionen zählt. Somit ist denn das numerisch so unbedeutende Völkchen der „schwarzen Berge" verwandtschaftlich mit einer der an Kopfzahl stärksten Nationalitäten unseres Kontinents, um nicht zu sagen der Erde, verknüpft, was manches in seiner Geschichte, sowie in seinem Denken und Empfinden erklären dürfte. Nachdem wir in dieser Weise die Abstammung erörtert haben, ist im Grunde auch schon das Kapitel von der Sprache abgethan. Als Serben bedienen sich die Montenegriner eben auch der serbischen Zunge, des sogenannten serbokroatischen Idioms, welches mit dem Russischen, Ruthenischen, Bulgarischen (Kirchenslavischen) und Slovenischen den südöstlichen Zweig der slavisehen Sprache bildet. Derselbe wird nämlich so genannt im Gegensatz zu dem westlichen Zweige, welcher das Polnische, Tschechische, Slovakische und Serbowendische umschliesst. Die erwähnte serbische Sprache hat erst in diesem Jahrhundert eine massgebende Epoche in ihrer Geschichte erlebt. In früherer Zeit war sie ein Gemisch von serbischen Vulgärdialekten und Kir-chenslavisch, jener ältesten slavisehen Mundart gewesen, in welcher die Apostel der Slaven, Cyrillus und Methodius, im 9. Jahrhundert diesem Volke die Bibel gaben und welche noch jetzt bei den verschiedenen slavisehen Völkern griechisch-katholischer Konfession, auch der Crnagorsen, die Sprache des Gottesdienstes bildet. In •) In gleicher Weise verengte sich schon früher der Ausdruck „Serben", der mit dem Namen „Veneter" (woraus „Wenden" geworden ist) zusammen ursprünglich die Gesamtmasse der Slaven bezeichnete, zur Benennung eines slavisehen Stammes. diesem ihren unentwickelten Zustande hat die serbische Sprache sich zur Schriftsprache nicht zu erheben vermocht. Die ältesten Denkmäler des betreffenden Stammes sind vielmehr nur in Kirchen-slavischem niedergelegt, so die Geschichte der serbischen Zaren („Rodoslow") vom serbischen Metropoliten Daniel, um 1300, und das Gesetzbuch („Zakonik") des grossen Königs Stephan Duschan, um 1350, u. a. Auch die mannigfachen, selbst Dramen umfassenden Produkte der serbischen Dichter, die im 16. und 17. Jahrhundert in der kleinen Republik Ragusa ihr teilweise bedeutendes Talent zu entfalten Gelegenheit hatten (es seien z. B. Lukitsch und Tschubrenowitsch genannt), während auf der übrigen Balkanhalbinsel die blutigen Türkenkriege die Musen verscheuchten, gehören hierher. Erst im vorigen Jahrhundert regten sich Patrioten (besonders zu nennen Obradowitsch), welche die serbische Vulgärsprache, wie sie sich in den uralten, herrlichen Volksliedern einen so bedeutsamen Ausdruck gegeben hatte, zur Schriftsprache zu erheben bemüht waren. Indes drangen sie anfangs mit ihrer Ansicht nur teilweise durch, so dass die zweite Hälfte des vergangenen und die ersten Jahrzehnte des gegenwärtigen Säkulums mit ihren gerade zahlreichen Produkten serbischer Litteratur ein Übergangsstadium, charakterisiert durch das tollste Sprachgewirr und die konfuseste Orthographie, darstellen. Zu gleicher Zeit war aber die damalige Dichtung der Serben auch relativ mangelhaft. Übersetzungen und Nachahmungen fremder Muster machten sich fast ausschliesslich geltend. Und wenn wirklich einer einmal selbständig produzierte, da that er es in der künstelnden, handwerksmässigen Weise, welche seiner Zeit auch die deutsche Litteratur kennzeichnete, ehe die grosse Epoche der Wiedergeburt erschien. „Man war der Überzeugung, dass der Dichter nicht eigentlich geboren, sondern gelernt sein müsse." Selbst der bereits genannte Obradowitsch, welcher unter anderem Irabeln schrieb, machte keine Ausnahme. „Die Poesie blieb ein Versuchsfeld für ungeschickte Reimkünstler und jämmerliche Oden-sänger." Erst um die Wende des Jahrhunderts trat ein Umschwung ein. Derselbe wurde eingeleitet von dem phantasiereichen, durch und durch originellen Milutinowitsch, welcher in der Weise des alten slavisehen Volksepos in seiner „Serbianka" die serbischen Freiheitskämpfe besang. Er brach dabei auch mit dem sprachlichen Unwesen, der üblichen slavo-serbischen Mischung (Kirchen-slavisch und .Serbisch) und legte sich selbst eine Diktion zurecht, die indes bei der Lektüre seiner Werke einen Kommentar nötig macht. Der volle Tag sollte der Dämmerung bald folgen. Zunächst erschien der sprachliche Reformator Vuk Karadschitsch, welcher mit ausserordentlichem Geschick die Erhebung der Sprache der alten Volksdichtung zur Schriftsprache durchzuführen verstand, seine fruchtbringende Thätigkeit aber auch auf die Orthographie ausdehnte. In Bezug auf diese letztere herrscht seitdem das phonetische Prinzip, welches indes mit so weisem Masshalten in Anwendung gekommen ist, dass in dieser Hinsicht die serbische Sprache mancher modernen Kultursprache weit voraus ist. Aber auch sonst hat jene zahlreiche Vorzüge, namentlich übertrifft sie durch ihre altertümlichen Laute alle anderen slavisehen Mundarten. Zu der formalen Reformation gesellte sich gleichzeitig die reale. Und hier treffen wir auf die Thatsache, die es uns doppelt nahe legte, diesen Exkurs über die Entwickelung der serbischen Litteratur an dieser Stelle einzuflechten. Denn ein Montenegriner ist es, der die aufgehende Sonne der neuen Aera bildete, der Wladika Petar II. Njegusch, in dessen Hand sich damals noch die weltliche Herrschaft über die Crnagora mit der geistlichen Oberhoheit einte. Der junge Fürst, in dessen Brust hoher, poetischer Flug der Phantasie mit der Tiefe philosophischer Meditation in eins verschmolz, verstand es, nationale Themen in der edel einfachen Sprache und Weise der alten Volksepen zu behandeln. Er ist der eigentliche Klassiker der Serben, der grösste Dichter jenes slavisehen Stammes, aber zugleich auch ein Dichterheros der allgemeinen menschheitlichen Litteratur zu nennen. In der That erregte auch sein Hauptwerk „Gorski Vienaz", in welchem er die montenegrinische Bartholomäusnacht, die Ermordung aller muham-medanischen Crnagorsen durch ihre eigenen Volksgenossen im Jahre 1702, feiert, selbst weit über die Grenzen des serbischen Gebiets hinaus Aufsehen. Wie früher erwähnt worden, hat der grosse Poet seinem Wunsche gemäss atich ein poetisches Grab auf der Höhe des Lovtschen gefunden, während seine Ahnen alle in der Klosterkirche der Hauptstadt beigesetzt sind. Schwarz, Montenegro. 28 Dem grossen Bahnbrecher folgten rasch eine ganze Anzahl bedeutende Geister, wie Branko Raditschewitsch (Lyriker), der Erzbischof von Karlowitz Lucian Muschitzki (Oden) und andere. Aber nicht nur alle Zweige der Poesie, das Drama eingeschlossen, fanden Bearbeiter, auch die Prosa wurde trefflich angebaut. Vom Roman schritt man zur Geschichtsschreibung, ja selbst bis zur Philosophie fort. Und heutzutage giebt es keinen Zweig des Wissens mehr, der nicht mit Glück von nationalen Autoren behandelt worden wäre. Schon aus dieser einen Thatsache ersieht man, wie Unrecht man thut, wenn man, wie oft geschehen, den Südslaven die Fähigkeit zu selbständiger Produktion abspricht. Überhaupt aber dürfte die obige kurze Charakteristik der serbischen Litteratur auch auf die Crnagorsen ein günstiges Licht fallen lassen. Der Umstand, dass wir bisher immer nur von einer serbischen Sprache geredet, könnte leicht die Meinung hervorrufen, als werde dieselbe ganz gleichmassig von sämtlichen 6 Millionen, welche zu ihrem Gebiete gehören, gesprochen. Dem ist aber in Wirklichkeit nicht so. Es giebt, wie dies schon die weite geographische Verbreitung dieses slavisehen Idioms erklärlich macht, welche von Südungarn bis zum Skutarisee, vom eisernen Thor bis Fiume reicht, auch innerhalb dieser Gesamtsprache Dialekte, und zwar namentlich drei, nämlich 1) die östliche | 2) die westliche 1 Mundart. 3) die südliche, mittlere I Die Differenzpunkte sind allerdings sehr untergeordneter Natur. Sie bestehen im Wesentlichsten darin, dass der altslovenische Doppellaut Ii im Osten wie ein reines e, z. B. „Wera" (Glaube), im Westen „ „ i, „ „Wira", im Süden „ „ je, „ „Wjera" ausgesprochen wird. Der unter 1 genannte Dialekt herrscht in Nordost-Serbien und partiell in Altserbien, sowie teilweise in Südungarn und Syrmien, der andere ebenfalls in Südungarn, Slavonien, Kroatien und in manchen Gebieten Dalmatiens, der dritte aber in Kroatien, Slavo- nien, Dalmatien, Bosnien, der Herzegowina, der Bocche di Cattaro, Nord-Albanien, Südwestserbien und — Montenegro. Das letztgenannte Idiom ist also das geographisch verbreitetste von allen dreien, sowie, da es die getreueste Form der ältesten Sprache darstellt, auch das schönste, klangreichste, und am meisten zur Sprache der Litteratur berufen. In Wirklichkeit aber bedient sich die gegenwärtige geistige Produktion der Serben der östlichen Mundart. Durch ein zu erwartendes Wiederaufblühen der Südstaaten und namentlich Montenegros dürfte die letztere jedoch leicht eines Tages ihre Herrschaft verlieren. Endlich wird ausser dem Serbischen in Montenegro von einem kleinen Bruchteil der Bevölkerung, nämlich etwa 5000 Menschen, das Oberalbanesische gesprochen. — Müssen wir nach den somit gegebenen, kurzen linguistischen Ausführungen die Montenegriner mit den Serben zusammenschliessen, so ist es die geschichtliche Betrachtung, welche sie auch wieder von denselben separiert und uns eine eigentümliche selbständige Entwicklung des einst gewaltsam vom Ganzen getrennten Teiles vorführt, deren unschwer erkennbare Merkmale sich selbst bis auf das Körperliche erstrecken, wie wir späterhin bei der Schilderung des montenegrinischen Typus finden werden. Die Hauptmomente jener bedeutsamen Geschichte der Crnagorsen nach ihrer Loslösung vom Rumpfe des serbischen Stammes also mögen in den nächsten Zeilen tabellarisch vorgeführt sein! 1389 Schlacht von Kossowo Polje. Teile des von den Türken infolge von Verrat geschlagenen Serbenheeres flüchten in die Berge des Vasallenstaates Genta. 1421 Die fürstliche Familie Balschitschi stirbt aus. Man wählt Stephan Zrnojewitschi zum Woiwoden. 1485 Kloster Cetinje wird gegründet und zur Residenz erhoben. Anlegung zweier Niederlassungen an der Adria. Alliance mit der Republik Venedig. 1515 Nach der Abdankung des Georg Zrnojewitschi wird die weltliche Herrschaft mit der Würde des Metropoliten („Vladika") verknüpft. Montenegro erscheint als Hierarchie (Kirchenstaat). 1697 Regierungsantritt des grossen Wladika Danilo Njegusch. 28* 1702 28. December Montenegrinische Bartholomäusnacht. Alle muhammedanischen Crnagorsen werden ermordet. Alliance mit Russland und Venedig. Das Wladikat wird in dem Stamme Njegusch erblich. Creirung des Amtes eines neben dem Wladika stehenden Gubernators, das bald zu Misshelligkeiten zwischen beiden führt. 1767 Der Kroat Stephan Mali giebt sich für den ermordeten Zar Peter III. von Russland aus und erlangt grossen Anhang. 1774 Pseudopeter fällt bei einem Aufstande. 1785 Wladika Peter I. Petrowitsch, „der Heilige", kommt zur Regierung. 1788 Erlass der Kaiserin Katharina II. von Russland und des Kaisers Joseph II. von Ostreich an die Crnagora, die Beteiligung der letzteren an dem gegen die Türkei geplanten Kriege betreffend. 179 t PYiede von Sistowa. Die Montenegro gemachten Versprechungen bleiben unerfüllt. 1798 Peter codifiziert die traditionellen Sitten und Gebräuche durch Aufstellung des Reichsgesetzbuches („Zakonik"). 1805—7, 1810—14 Montenegro beteiligt sich an den Kriegen Russlands gegen Frankreich und die Türkei. 1812 Peter erobert die Bocche di Cattaro. 1830 Peter II. Petrowitsch, in Petersburg gebildet, besteigt den Thron. Gubernatoramt abgeschafft, Senat von 12 Köpfen errichtet. Klassensteuer eingeführt. 1851 Danilo I. Petrowitsch kommt zur Regierung. 1852 Derselbe legt das Amt eines Metropoliten nieder und verwandelt die Oberherrschaft über die Crnagora in ein weltliches Fürstentum mit erblichem Charakter. Dynastie Petrowitsch (Familie) — Njegusch (Stamm). 1855 Codex Danilo erlassen. Grundsteuer und allgemeine Militärpflicht an Stelle der erblichen Kriegerwürde. 1852—54 Kampf mit der Türkei parallel dem Krimkriege. 1860 Danilo fällt durch Meuchelmord. Nikolaus I. Petrowitsch-Njegusch besteigt den Thron. 1862 Offener Krieg gegen die Pforte, mit wechselndem Erfolge geführt. 1862 Die Türken besetzen Rjeka, vermögen aber nicht Cetinje in ihre Hand zu bekommen (wie irrtümlich in den meisten deutschen Werken angegeben). Friede von Rjeka. 1864 Grenzregulierungs vertrag. 1874 Heimtückische .Ermordung einer Anzahl wehrloser Montenegriner in Podgoriza. 1876 Krieg gegen die Türkei gleichzeitig mit Serbien. 28. Juli 'grosser Sieg über Mukhtar Pascha. 21. Oktober Festung Medun erobert. 1877 Waffenstillstand. Die Türkei verweigert die von den Grossmächten beantragten Gebietserweiterungen. Wiederausbruch des Kriegs. 17.—24. Juni der unglückliche, verlustreiche Zug Suleiman Paschas von Nikschitsch nach Spusch. 8. September Festung Nikschitsch kapituliert. 28. Dezember Festung Antivari desgl. nach längerer Belagerung und Beschiessung. 1878 31. Januar Waffenstillstand- 13. Juli Berliner Vertrag. Vergrösserung des montenegrinischen Gebiets. 1881—82 Montenegro bethätigt seine Neutralität im Kample der dalmato-bosnischen Insurgenten gegen Ostreich durch Aufstellung eines starken Grenzcordons, mittelst dessen die übertretenden Flüchtlinge entwaffnet und interniert werden. — Schon aus dieser kurzen Übersicht erkennt man, welch stetem Wechsel der Geschicke der kleine Staat unterworfen war. Der billige Beurteiler wird in Berücksichtigung dieser interessanten Geschichte, die einen einzigen, fast ununterbrochenen Krieg darstellt, manches milder zu beurteilen wissen, ja die unverkennbare Thatsache, dass das kleine Reich trotz aller Unruhen und der damit bland in Hand gehenden Erschöpfung der gesamten Kräfte doch im Sinne moderner Staaten sich allmählich weiter entwickelt und Gesetze und Ordnungen aufgestellt hat, wird ihm das Völkchen der „schwarzen Berge" sogar schon in einem günstigen Lichte erscheinen, in demselben treffliche, wenngleich zum besten Teil noch schlummernde Anlagen voraussetzen lassen. Diese Vermutung wird durch die Darlegung der wesentlichen Eigenschaften der Crnagorsen, zu der wir nun übergehen, bestätigt. Wir beginnen selbstverständlich mit dem Äusseren, spezieller dem Typus. Dieser letztere ist naturgemäss im allgemeinen der der süd-slavischen, serbischen Rasse, der sich von dem Typus der nördlicher oder östlicher wohnenden übrigen .Slaven namentlich durch schärfer geschnittenes Profil, dunklere Haut- und Haarfarbe und schlankere, längere Statur abhebt. Es bedarf aber kaum der Erwähnung, dass bei der durch die geographische P.age und die stete Kriegsbereitschaft gegen den früher wenigstens fast ringsum das Ländchen einengenden Erzfeind bedingten langen Isolierung der Crnagorsen, sowie infolge der herrschenden Monogamie, welche das bei dem türkischen Nachbar übliche Kebsweibertum perhorres-zierte, jener allgemein serbische Typus besonders rein und allgemein erhalten werden musste. Tritt ja doch bei Naturvölkern überhaupt das Generelle auf Kosten des Individuellen mehr hervor. Daher findet man denn unter den Crnagorsen eine für den Abendländer wenigstens auffällige Gleichartigkeit oder doch Ähnlichkeit der Gestalten und Gesichter. Ja die Beschaffenheit des Terrains und die einseitige kriegerische Beschäftigung musste jene typischen Merkmale noch verschärfen. Die Nase erscheint besonders kühn geschwungen, und auch der Blick des funkelnden Auges hat etwas vom Adler der Gebirge. Dass aber, wie der bereits früher citierte Artikel im „Ausland" will, derselbe ein „unsteter und unheimlicher" sei, in welchem sich das „versteckte, lauernde Wesen" der Rasse offenbare, kann nur ein Voreingenommener behaupten. Es wäre ja sonst auch der Menschenschlag kein wirklich schöner, was er in der That in eminentem Sinne ist. Kühnheit, Unerschroekenheit, Kampfesfreudigkeit, im Affekt selbst auflodernde Wildheit spricht aus dem Antlitz des Volkes, nichts anderes. Es ist der Blick des Löwen, nicht der des 'Ingers, den wir finden. Betreffs der Haarfarbe muss noch nachgetragen werden, dass neben dem vorherrschenden Schwarz gar nicht allzu selten auch Brünett und selbst Blond zur Erscheinung kommt. Die Gesichts- färbe ferner ist gesund, mindestens in der Regel lebhafter als bei den Romanen der apenninischen und pyrenäischen Halbinsel. Die Zähne zeigen sich infolge des vielen Aufenthaltes in frischer Luft und der einfachen Lebensweise, besonders des Genusses des harten Maisbrodes, von blendender Weisse. Was den übrigen Körper anlangt, so sind beleibte Personen in Montenegro äusserst selten. Die grosse Mehrzahl der Bewohner erscheint vielmehr hager, wie dies ja bei den uns schon bekannten Faktoren, welche hier in Betracht kommen, der dürftigen Lebensweise , der gleichwohl Strapazen aussergewöhnlicher Art gegenüberstehen, nicht Wunder nehmen kann. Nichtsdestoweniger muss der Crnagorse als äusserst muskulös bezeichnet werden. Namentlich gilt dies betreffs der Waden, deren aussergewöhnliche Entwicklung dem Fremdlinge ohne weiteres in die Augen fallen wird. In der That steht auch unter allen körperlichen Leistungen des Bewohners der „schwarzen Berge" die wahrhaft erstaunliche Marschfähigkeit obenan. Trotz der grossen Unebenheiten des Terrains und der miserabeln Beschaffenheit der Wege legt er grosse Entfernungen in einem wahren Schnellschritt und mit fabelhafter Ausdauer zurück. Zwanzig und mehr Stunden fast ununterbrochener Wanderung gehören hier durchaus nicht zu den Seltenheiten. Distanzen, die andere Sterbliche mühsam genug in 3—4 Tagen bewältigen, wie die zwischen Kolaschin und Cetinje, sind schon von manchem dieser geborenen Schnellläufer in einem einzigen Tage durchmessen worden. In dieser Beziehung dürfte der Crnagorse in Europa einzigartig dastehen. Und dabei erweckt dieses forcierte Wandern nicht einmal den Eindruck des Mühsamen. Höchst gemächlich reihen diese Bergbewohner, gleichviel, ob bergauf oder bergab, einen Schritt an den anderen oder springen mit der Leichtigkeit der Gemse von Stein zu Stein. Aber nicht bloss ihren Füssen, denen allerdings die für die lokalen Terrainverhältnisse besonders günstige landesübliche Bekleidung sehr zu statten kommt, eignet eine so grosse Gewandtheit 1 Der ganze Körper des Crnagorsen hat etwas geschmeidiges, katzenartiges, was ihm unter anderem im Buschkriege gegen die schwerfälligeren regulären Truppen der Türkei immer einen grossen Vorsprang verlieh. Daneben ist er auch ein trefflicher Schütze, ein flinker Fechter, namentlich mit der nationalen Handschar, und trotz seines dem Sport so wenig günstigen Bodens selbst ein kühner Reiter. Aller Gelenkigkeit der Glieder jedoch, aller Leidenschaftlichkeit auch, die dem Mann der „schwarzen Berge" selbst im unblutigen Kampf der wohlgesetzten Rede, den er gleichfalls leidenschaftlich liebt, seine Arme zu lebhaften Bewegungen erheben lässt, ungeachtet, bewahrt er für gewöhnlich eine imposante Ruhe und Würde, wobei ihm seine lange Statur nicht wenig Vorschub leistet. Denn der Montenegriner zeigt fast ausnahmslos mehr als Mittelgrösse. Man sieht sogar äusserst häufig Gestalten, die l,8o Meter und darüber messen. Von der Haltung, die meist eine gerade, militärische zu sein pflegt, abgesehen, trägt zu dem Eindruck des Stolzen, Majestätischen, den man schon in Cetinje beim Anblick langsam promenierender Crnagorsen erhält, auch die Tracht, von der wir später zu sprechen haben, und namentlich das lange, von den Schultern rechts und links fast bis auf den Boden niederhängende Plaid zur Erreichung des besprochenen Effekts bei. Ich wenigstens wurde oft genug an die prachtvollen Figuren der Araber erinnert, deren natürliche Grandezza ich in Nordafrika manchmal bewundern musste. Alles aber, was wir bisher über den montenegrinischen Typus gesagt haben, gilt fast ausnahmslos nur von dem männlichen Geschlecht. Die Weiber heben sich von diesem, ohne Zweifel mit infolge der niedrigeren Stufe, auf der sie bisher erhalten wurden, sowie der schweren Arbeit, die man ihnen zumutet, scharf ab. Sie erreichen im allgemeinen kaum die Mittelgrösse. Die Gesichter sind weniger scharf geschnitten und regelmässig, und werden, wenngleich in jüngerem Alter ebenfalls meist anziehend, bald unschön, hart und knochig. Ebenso büssen die Formen rasch ihre Fülle und Rundung ein, und die Taille nähert sich, wie allenthalben, wo die Frau schwere Arbeit thun muss, mehr und mehr der des Mannes. Dem Auge haftet etwas Demütiges, Scheues an, wenigstens in der Öffentlichkeit, während im Hause unter günstigen Verhältnissen auch diese Töchter Evas fröhliche Mienen und lebhaften Blick zu offenbaren vermögen. In Einem aber kommen die montenegrinischen Weiber den Männern nahezu gleich, das ist in der ausserordentlichen Muskelkraft, Zähigkeit und Ausdauer, von der der Fremdling häufig genug die über- raschendsten Beweise zu sehen Gelegenheit hat. ja in dem Tragen schwerer Lasten thun sie es dem stärkeren Geschlecht fast noch zuvor. Allerdings fehlt es ihnen an Übung in dieser eigentümlichen Geschicklichkeit nicht. Denn die Frauen bilden in der That die gebräuchlichsten aller Transportmittel in diesem originellen Ländchen. Nahezu sämtliche Artikel sowohl des Imports als des Exports sieht man sie auf den miserabelsten aller Wege im raschen, sicheren Schritte über Stock und Stein befördern, und während der stark gekrümmte Rücken mittelst verschiedener Stricke oder unter Benutzung einer Art hölzernen Reffs Bündel von 25 Kilogramm und darüber trägt, arbeiten die rauhen Hände auch noch aufs emsigste am Strickstrumpf. Gewiss erhellt hieraus, dass der dem montenegrinischen Volke so oft gemachte Vorwurf der Trägheit und Arbeitsscheu wenigstens betreffs des weiblichen Geschlechts nicht aufrecht erhalten werden kann. Der Abstand, den wir in der Crnagora in körperlicher Hinsicht zwischen Mann und Frau konstatieren mussten, macht sich auch betreffs des Kostüms geltend. Dasselbe ist für den ersteren prunkvoll und kleidsam, für die letztere nüchtern und einfach, fast hässlich. Was die erstere Tracht angeht, so weist dieselbe übrigens noch andere treffliche Eigenschaften auf. Sie ist vor allem nationalsymbolisch, und zwar von der Kopfbedeckung bis zum Strumpfe, Die „Kappa" auf dem Haupte mit ihren schwarz-rot-goldenen Farben und der eingestickten, über den Initialen des Herrschers erglänzenden, das Gegenstück zum türkischen Halbmonde darstellenden aufgehenden Sonne versinnbildlicht, ähnlich wie dies bezüglich unseres Volkes die alte deutsche Trikolore that, die Trauer, den Kampf und die Hoffnung der serbischen Nation. Indes ist an dieser allerdings leichten Bekleidung des Hauptes das Eine auszusetzen, dass sie infolge des Mangels eines Schirmes das Gesicht' absolut nicht schützt, während dies doch bei der oben gekennzeichneten Sommerwärme eines grossen Teiles des Landes dringend nötig wäre. Daher kommt es denn auch, dass der Teint des Crnagorsen im allgemeinen viel dunkler ist, als er es unter normalen Verhältnissen sein würde. Denn sobald einer der Männer seine Kappa abnimmt, wird eine Stirn sichtbar, auf der eine fast mitteleuropäisch helle Hautflüche von einer tief braunen Partie durch schärfste Abgrenzung geschieden ist. Mindestens darf hieraus geschlossen werden, dass der Montenegriner die bekannte gelbliche Couleur seines italienischen Nachbars nicht besitzt. Die übrigen Bekleidungsstücke stellen die altserbische Trikolore in der Weise dar, dass die Shawl-Weste scharlachrot, die Beinkleider blau und die Strümpfe weiss ersehenen. Von allen diesen einzelnen Teilen kann man behaupten, dass sie, im Gegensatz zu der Kappa, auch äusserst praktisch sind. Namentlich gilt dies von den Pantalons und der Bekleidung des Unterschenkels. Die ersteren sind sogenannte Pump- und Kniehosen, deren weite, bauschige Beschaffenheit nicht nur Kühle gewährt, sondern auch das bei den Wanderungen hier zu Lande einmal unvermeidliche Steigen erleichtert. Dem letzteren kommen ganz besonders auch die landesüblichen „Opanken", die bekannten Bundschuhe mit rauher, weicher Sohle entgegen, die wenigstens da, wo als Terrain nicht Schnee und Eis, sondern nur trockener Fels in Betracht kommt, wohl die besten Gebirgs-Pussbekleidungen darstellen. PYei-lich erfordert ihr Gebrauch eine längere Abhärtung der unteren Fussfläche. Die Opanken sind ausserdem das Einzige, was die Tracht des Mannes mit der des Weibes gemein hat. Denn auf dem Kopfe trägt die montenegrinische Frau nur ein schlichtes, schwarzes Tuch, den Oberkörper bekleidet gewöhnlich nichts als das Hemd, dessen Stoff im Vergleich mit der feinen Wäsche vieler Männer auffallend grob erscheint, und schmucklose, dunkle Röcke vollenden das Ganze. Lediglich die unverheirateten, jungen Mädchen dürfen die nationale Kappa in Verbindung mit einem kurzen Schleier, der nach hinten fällt, benützen. Es versteht sich von selbst, dass in den entlegeneren und öderen Gegenden, namentlich in den Hochgebirgen, für beide Teile der Anzug gleich arm und schlicht wird und selbst das Patriotisch-Symbolische dem Einfachsten, Selbstverfertigten weichen muss. Nur die Waffen, die der Crnagorse im Verlauf der jahrhundertelangen Kämpfe fast als integrierende Teile seiner selbst anzusehen sich gewöhnt hat, fehlen in der gewöhnlichen Form, als Handschar und kurze Schusswaffen, in der Regel sogar bei den dürftigsten Hirten nicht, und es ist bereits früher darauf hingewiesen worden, wie jenes fortwährende Tragen mehrerer und gewichtiger Mordinstrumente auf der Magengegend jedenfalls in Beziehung selbst zu mancherlei Krankheiten steht, die unter der an sich so kerngesunden Männerwelt der „schwarzen Berge" aufzutreten pflegen. In ähnlicher Weise wirken auch die Wo Innings Verhältnisse ziemlich ungünstig ein. Denn dieselben sind allerdings durchgängig recht primitiv. Im allgemeinen kann man zwei Arten von montenegrinischen Häusern unterscheiden, nämlich die der Viehbesitzer und die der einfachen „Häusler", wie wir sagen würden. Beide Wohnungen sind mit nur geringer Anwendung von Holz aus dem roh zugehauenen Kalkstein des Bodens massiv aufgemauert und meist auch dürftig getüncht, so dass sie, wenn ihnen nicht der fast gänzliche Mangel der Fenster etwas Düsteres, Festungsartiges verliehe,, ganz freundlich anzusehen sein würden. Um so unbefriedigender ist das Innere. Dasselbe besteht bei den Wohnungen erstgenannter Art immer aus zwei Etagen. Die eine derselben, das Parterre, dient als Viehstall. Sie entbehrt meist aller und jeglicher Lichtöffnungen. Die Menschen halten sich im oberen Stockwerk auf, wohin entweder eine äussere oder eine innere Treppe emporführt. In der Regel besteht dieser ganze Wohnungsraum, da die Gebäude durchweg schmal sind und nach moderner Rechnungsweise nur etwa zwei bis drei Fenster Front haben würden, lediglich aus einer einzigen, grob gedielten Piece. Möbels sind mit Ausnahme einiger roh gearbeiteter Stühle und eines Tisches oder auch nur mehrerer niedriger, mit einer Aushöhlung als Sitz versehener Holzklötzchen zumeist gar nicht vorhanden. Die Fenster werden gewöhnlich durch kleine, mit Innenladen bewehrte Luken vertreten. Niemals aber fehlt der russige Kessel, welcher an einer Kette von der Decke niederhängt. In ihm wird von der Hausfrau fast sämtliche Nahrung zubereitet. Seltener ist die Anwendung des Bratspiesses, der dann aber ebenfalls auf den Steinen der niedrigen Feuerstätte, die unter dem Kessel hergestellt ist, in Thätigkeit gesetzt wird. Eine Esse zur Ableitung des durch das Feuer entwickelten Rauches kenneu montenegrinische Wohnungen noch nicht, so dass man sich leicht einen Begriff von der in einer solchen herrschenden Atmosphäre und der absoluten Schwärze machen kann, die den einzigen Schmuck der rohen Wände bildet. In einem Winkel oder auch einer Art Verschlag stehen die Retten der Familie, das heisst, meist nur mit Decken und Laken versehene, feldbettartige, harte Rrettergestelle. — Die Wohnungen der anderen Klasse, jener, die kein Vieh besitzen, bestehen in der Regel nur aus einem Parterre, das meistenteils noch insofern einfacher ausgestattet ist, wie das Domicil der Reichen, als hier statt der morschen, durchlöcherten und rauhen Diele gar nur das nackte, harte, oft genug auch feuchte P>dreich als Pussboden dienen muss. So dürftig das alles genannt zu werden verdient, so ist es gleichwohl nur in den besseren Teilen des Landes die Regel. In dem ärmeren, öderen Hochgebirge treten statt jener Luxushäuser elende Hütten auf, deren Material indes, da an ihren Standorten das Holz häufiger anzutreffen ist, meist von dem letzteren gebildet wird. Die in den östlichen Gebieten nicht seltenen Sennhütten sind aber, obgleich ebenfalls sehr primitiv, vielfach äusserst praktisch angelegt und ausgeführt. Als Curiosa seien nur noch die tragbaren Häuser von Nikschitsch erwähnt. Nebengebäude kennt man im ganzen Lande meist noch nicht. Ihre Existenz würde ja auch die bei der ganzen Anlage im Vordergrund stehende leichte Verteidigungsfähigkeit des Heims beeinträchtigen. Die in den Höhlen der Ufer des mittleren Moratschathales etablierten Viehställe sind natürlich nur für die Zeiten tiefen Friedens berechnet und überhaupt exceptionelle Erscheinungen. Was nun die Verteilung der somit gekennzeichneten montenegrinischen Häuser, von denen beiläufig je eins in der Regel nur von einer P'amilie bewohnt wird, über das Land hin angeht, so finden wir auch hier, wie fast bei allen Völkern der P'rde, eine gruppenweise Zusam-menhäufung einer mehr oder minder grossen Anzahl derselben, indes doch in der Weise, dass innerhalb der Grenzen eines solchen Komplexes die einzelnen Gebäude nicht nur planlos durcheinander gemengt sind, sondern auch durch Intervalle von den Nachbarn geschieden werden, die nicht selten ein Kilometer und darüber betragen. Mutatis mutandis darf man auf die Crnagorsen anwenden, was Tacitus von den Germanen sagt: „colunt discreti, sicut fons, sicut nemus placuit." Natürlich kann bei einer derartigen Anordnung der Häuser von förmlichen Wegen durch die Ansiedhmgen ebenfalls kaum die Rede sein. Nicht selten bestehen diese letzteren auch aus mehr reren weilerartigen Häusergruppen von verschiedenen Namen, deren realen oder idealen Mittelpunkt die Kirche bildet, welche häufig ebenso, wie hie und da selbst das Schulhaus, isoliert und weit entfernt von irgend einer menschlichen Wohnung ihren Platz gefunden hat. Der auf solche Weise aus mehreren kleineren Gemeinden gebildete Kanton führt dann auch noch eine Gesamtbenennung. Bekanntlich ist dies eine uralte Form der Ansiedlung, wie wir sie beispielsweise auf Corsica1 wiederfinden, wo beiläufig die bereits um das Jahr 1000 in Blüte stehende demokratische Vertretung auf dieser Gliederung beruhte. Auch viele Bevölkerungscentren der algerischen Wüste, wie Biskra, Wargla u. a., sind auf solche Weise entstanden, beziehentlich präsentieren sie sich noch heute in derselben Form. Es lag dieselbe eben Naturvölkern besonders nahe. Nur wenige Orte der Crnagora machen eine Ausnahme in der Weise, dass die Häuser eng aneinander gerückt und so regelrechte Strassen gebildet worden sind. Um den Begriff der Stadt zu vervollkommnen, treffen wir dann mitunter, wie in Antivari und Podgoriza, selbst auf eine Art Pflasterung der allerdings meist engen und krummen Gassen. Auch ein Markt mit dem für den Orient so charakteristischen Bazar gesellt sich häufig hinzu. Im Ganzen umschliesst das Land von derartigen bedeutenderen Ansiedelungen nur 12, nämlich Podgoriza, Antivari, Dulcigno, Nikschitsch, Kolaschin, Andrijewiza, Danilovgrad, Spusch, Wirbasar, Rjeka, Njegusch und Cetinje, von denen, entsprechend den früher geschilderten physischen Verhältnissen, die meisten dem Süden, beziehentlich dem Centrum und dem Osten angehören, während die grosse Westhälfte, von der Residenz bis in den nördlichsten Winkel zwischen Maglitsch und Piwa, auch nicht eine derselben aufzuweisen hat. Indes auch diese so dünn gesäten Städte wollen nur wenig besagen. Sie sind, abgesehen von Podgoriza und allenfalls Antivari oder Dulcigno, doch im Grunde nur das, was wir Flecken nennen, selbst die Hauptstadt nicht ausgenommen. Ihre Einwohnerzahl übersteigt in keinem Falle 3O0O, was in Anbetracht der geringen Bevölkerung des Landes und jeglicher übrigen wenig günstigen Verhältnisse, namentlich des Fehlens aller Industrie, kaum Wunder nehmen kann. Erwägen wir nun noch, dass die bei weitem grösste Anzahl jener „Städte" und namentlich diejenigen unter ihnen, die allenfalls diese Bezeichnung verdienen, erst durch die neueren Gebietserweiterungen gewonnen worden sind, so haben wir ein Land vor uns, das bei einer relativ immerhin bedeutenden Ausdehnung von Haus aus nur Dörfer besass. Unter diesen letzteren finden wir allerdings manche ansehnliche; einzelne umschliessen selbst mehrere Hundert Häuser; andere wieder aber bestehen nur aus zwei bis drei Gebäuden. Es hängt dies natürlich von der mehr oder weniger günstigen Lage ab, und daher finden wir denn, wenn wir die Bevölkerungsdichtigkeit der Crnagora ins Auge ziehen, dass dieselbe im Cetathale, der Ebene von Podgoriza, in der Crmniza, sowie überhaupt im Süden und in den wenigen Niederungen am grössten, auch in den Thälern des Ostens und Nordens noch bedeutend ist, dagegen im Karstgebiet und im Hochgebirge herabsinkt. Um hieran gleich Notizen über die Gesamtzahl der Bevölkerung der „schwarzen Berge" zu schliessen, so sei zunächst der auffallenden Thatsache gedacht, dass man bisher allgemein dieselbe viel zu hoch angenommen hat. In den meisten geographischen Hand- und Lehrbüchern wird von 250—300,000 und selbst noch mehr gesprochen. I^s mag dieser Irrtum wohl mit daher gekommen sein, dass man einen Schluss aus der allerdings hohen Ziffer zog, mit welcher die montenegrinische Armee trotz aller Schwächungen in den ewigen Kämpfen immer wieder vor die erstaunte Welt treten konnte. Neuerdings sind nun genaue Erhebungen hierüber angestellt worden, deren Resultate dem Verfasser gütigst mitgeteilt wurden. Darnach umschliesst das ganze Gebiet, inclusive der neugewonnenen Territorien, kaum 160,000 Menschen, wovon — infolge der steten blutigen Kriege — der kleinere Teil, nämlich etwa 75>00°> dem männlichen Geschlechte angehört. Es kommt also, um einen naheliegenden Vergleich heranzuziehen, hinsichtlich der Kopfzahl fast die eine Stadt Triest dem ganzen Fürstentum der Crnagora gleich. Vergleichen wir die angegebene Ziffer mit dem Flächeninhalt des Landes, so finden war, dass auf die □ Meile nur etwa 1067 Menschen kommen, eine Zahl, die nicht allzu hoch über der des europäischen Russlands (749 : l) steht und von dem in dieser Hinsicht herrschenden europäischen Maximum (Belgien 9253 : l) fast um das Neunfache übertroffen wird. Aus dem aber, was wir oben über die verschiedenen Grade der Bevölkerungsdichtigkeit in den verschiedenen Landstrichen der Crnagora gesagt haben, ergiebt sich, dass die angegebene Durch-schnittsziffer in den günstiger situierten Partien allerdings weit übertroffen, umgekehrt aber auch vielfach sogar nicht einmal annähernd erreicht wird. Über die Verhältnisse der Zunahme fehlen leider alle statistischen Angaben. Doch dürften dieselben kaum besonders starke sein. Wenigstens gewahrte der Verfasser in keiner der Familien, in die er einen Einblick thun konnte, einen Kinderreichtum, wie er anderwärts, etwa in Mitteldeutschland, beobachtet wird. Ohne Zweifel sind auch 'unter anderen slavisehen Stämmen, namentlich den Russen, die Geburten viel zahlreicher als hier, wofür mancherlei besondere Umstände, vor allem aber wohl die schwere Arbeit der PYauen, Erklärungsgründe liefern dürften. Leider haben wir auch darüber keinerlei sichere Nachricht, mit welcher Zahl einst nach der Schlacht auf dem Amsel fehle die Crnagorsen in den Bergen von .Genta erschienen und welches Anwachsen seitdem zu verzeichnen gewesen ist. Gewiss aber muss das eine genannt werden, dass dieses letztere nur ein massiges gewesen sein kann, da die unausgesetzten äusseren und, was die früheren Jahrhunderte angeht, auch inneren Kriege das Volk selbstverständlich stark deeimierten. Dass trotz alledem das kleine Häuflein immer und immer wieder überraschend zahlreiche Kriegsmassen dem alten Erzfeind entgegenwerfen konnte, das beweist nicht nur eine ungewöhnliche moralische, sondern auch physische Kraft, die in diesem Stamme steckt. Es gleicht das ernagorische Völkchen in der That der Hyder, deren Köpfe immer von neuem wachsen, nachdem man sie abgehauen. Und das alles trotz der erbärmlichen Nahrung, wie wir sie hier finden. In Wahrheit wird es in Europa wenig Nationen geben, die in dieser Hinsicht mit den Craaeorsen konkurrieren können. Die Araber wenigstens, die, was das anbetrifft, etwas leisten, leben nicht einfacher als die harten Söhne der „schwarzen Berge". Flaches, kuchenähnliches Brod von grob gemahlenem Mais, welches die Bewohner jedes Hauses mit eigener Bland zubereiten, dazu noch etwas quarkartiger, ungeformter Käse, das allein bildet die tägliche Mahlzeit der meisten Crnagorsen. Fleisch, und zwar dann fast ausschliesslich das von Schafen, kommt nur in Ausnahmefällen auf ihren Tisch. Auch mit den Getränken steht es kaum anders. Wasser, welches sehr reichlich genossen wird, muss fast allein herhalten. Kaffee, den sie alle sehr lieben, ist schon ein seltenerer Luxusartikel. Fast häufiger noch geniesst man den allerdings auch ziemlich billigen Rotwein aus der Crmniza und dem Cetathal, oder eine Art Schnaps („Rakia"), der von Privaten zumeist aus Weinbeeren hergestellt wird. Der aus Honig bereitete Met kommt nur in einigen Gegenden der Brda vor. Aber nicht nur die Einfachheit, sondern auch die geringe Zahl der täglichen Mahlzeiten muss unser Erstaunen erregen. Öfter als zweimal, mittags und abends, nimmt nur selten ein Montenegriner Nahrung zu sich. Die erste Hälfte des Tages verbringt fast jedermann nüchtern. Die ausserordentliche Anspruchslosigkeit in Bezug auf Kost und Wohnung, die wir in solcher Weise gefunden haben, streift schon an die inneren Seiten des montenegrinischen Volkslebens, zu denen wir nun übergehen wollen. In dieser Hinsicht sei zuerst bemerkt, dass natürlich auch in solcher Beziehung eine Übereinstimmung mit den Anlagen und der Pagenart der übrigen Serben herrschen muss, dass aber die besondere geschichtliche Entwickelung dieser und jener manches hier verstärkt und dort abgeschwächt hat. Es musste ja selbstverständlich die lange Knechtschaft, in der die Bewohner der angrenzenden Herzegowina und Bosniens seufzten, einen ganz anderen Ein-fluss ausüben, als der freie, fröhliche Krieg, den die Crnagora gegen den Halbmond unterhielt. Das gilt ganz besonders hinsichtlich einer Pagenschaft, die innerhalb der „schwarzen Berge" in ausserordentlicher Stärke zti Tage tritt, der Vaterlandsliebe, dieser Kardinaltugend des Crnagorsen. Mögen seine Preisen auch noch so nackt und öde sein, er hängt doch an ihnen mit unwandelbarer Treue. Es ist in letzter Zeit wiederholt vorgekommen, dass Leute, denen in den neuerworbenen Territorien bessere Landstriche zugewiesen worden waren, vom Heimweh wieder in die alten tristen Wohnsitze zurückgetrieben wurden. Für das geliebte Vaterland opfern die Bewohner der Crnagora ohne Besinnen selbst ihr Leben, und zwar nicht bloss die Männer, sondern auch die Angehörigen des schwächeren Geschlechts, die häufig jenen in den Kampf folgen und, wenn sie nicht selbst das todbringende Rohr handhaben, doch dasselbe für die Hand des Gatten laden. Der hohe Grad von Patriotismus ist es auch, welcher selbst die Priester kein Bedenken tragen lässt, trotz ihres Friedensamtes sich ebenfalls mit auf das Schlachtfeld zu wagen. Sollten wir nicht das Völkchen schon um jenes Zuges der Vaterlandsliebe willen hochschätzen, da doch das klassische Altertum es für „dulce et decorum" erklärte, „pro patria mori"? An die eben besprochene Eigenschaft müssen wir einige andere anschliessen, die im Dienste derselben stehen, ja zum nicht geringen Teil von ihr getragen und unterhalten werden. Dies ist die Tapferkeit in Verbindung mit Kühnheit und Furchtlosigkeit, alles Dinge, beziehentlich derer kein anderes Volk es den Crnagorsen zuvorthut. Sie sind wohl aber auch diejenigen Attribute des montenegrinischen Wesens, die ihnen selbst ihre ärgsten P'einde nicht abzusprechen wagen. Die Weltgeschichte hat ja längst die vielfach märchenhaft klingenden Kriegsthaten des kleinen Völkchens in ihre Tafeln eingezeichnet. Es sei indes hier nur noch darauf hingewiesen, dass jener Tapferkeit auch noch ein, wie soll man sagen, patriarchalisch-klassischer Zug eignet, den unsere moderne Kriegsführung längst verloren hat. Der Panzelne thut sich hervor, und nicht selten sucht ein berühmter Recke von diesseits einen gefürchteten Kämpen in den Reihen der Gegner, wie zu Zeiten Pfomers, zum Zweikampfe zu reizen. Auch Bravourstücke aller Art, tollkühne Verhöhnung des P"eindes und andere derartige Dinge dürfen nicht fehlen. Aus der Liebe zum Vaterland entspringt ferner auch der edle Stolz, das ausgeprägte, äusserst empfindliche Pmrgefühl des Crnagorsen. Er erkennt sich eben als Sohn eines Landes, das eine grosse Vergangenheit hinter sich hat, das in traurigen Jahrhunderten trotz seiner Kleinheit ein Bollwerk des civilisierten und christlichen Europas gegen das Türkentum bildete, und dem noch eine grosse Zukunft winkt. Er sagt sich auch, wie viel in dem gewaltigen Kampfe immer gerade auf jeden Einzelnen ankam und darum dünkt er sich, sei er auch der ärmste, doch dem höchsten und besten gleich, ja tritt mit einem gewissen kühnen Selbstbewaisstsein sogar dem Landesherrn unter die Augen. Es steckt entschieden etwas Edel-republikanisches in diesen Leuten, es ist, als ob hier auch jeder den Marschallsstab im Tornister trüge. Schwarz, Montenegro. 29 Und doch, wie das Vaterland das Ich des Einzelnen auf der einen Seite so stark hervortreten lässt, so vermag es auch dasselbe gegebenen Falls wieder zurückzudrängen. Nirgends findet sich eine grössere Ehrfurcht vor der Majestät des Gesetzes, denn hier. Ja, der Fall, dass Strafgefangene durch nichts anderes, als ihr Pflichtgefühl, an ihren Kerker gefesselt werden, wie wir dies in Cetinje sehen können, dürfte ohne Beispiel in Europa dastehen. Ebenso hegt der Crnagorse die grösste Ehrfurcht gegen das geheiligte Oberhaupt des Staates trotz des freien Tons des Verkehrs mit ihm. Und endlich bringt er die Hochschätzung, die er für sich selbst von Seiten anderer beansprucht, auch diesen wieder entgegen. Der Geringste unter den Volksgenossen ist sein Bruder, und er führt diesen Namen, der unter den Slaven überhaupt so hoch gehalten wird, nicht nur im Munde, er bestätigt seine Gesinnung auch durch die That. Infolge dessen tritt die Ungleichheit der äusseren Verhältnisse, die selbst unter einem durchgängig so armen Volke nicht ganz fehlt, hier viel weniger fühlbar auf als anderwärts. Der Minister in reicher Uniform verkehrt mit dem zerlumptesten Hirten wie mit seinesgleichen, und scheut sich unter Umständen selbst nicht, ihm den üblichen Be-grüssungskuss angedeihen zu lassen. Indes tritt der Crnagorse nicht nur den Stammesgenossen freundlich entgegen. Er hat trotz seiner allerdings hohen Schätzung der eigenen Nationalität doch die billige Beurteilung fremder Leistungen nicht verloren. So finden wir beispielsweise vielfach Verständnis und selbst Verwertung deutscher Kultur. Die montenegrinische Schule hat in mancher Beziehung die Grundsätze deutscher Pädagogik acceptiert, und in den Lesehallen ist deutsche oder doch sonstige ausländische Litteratur vielfach vertreten. Ebenso kommt man dem Fremden, welcher das Land besucht, welcher Nationalität er auch sei, äusserst höflich, offen und dienstwillig entgegen, und selbst ein herzlicher Verkehr ist bald herzustellen. Ja, sogar dem Feinde gegenüber weiss der Crnagorse sich trefflich zu benehmen. So furchtbar diesem sein Zorn im Kriege entgegenlodert, so versöhnlich zeigt er sich hinterher, und es ist geradezu einem besonderen pacifikatorischen Geschicke zuzuschreiben, dass viele der neu erworbenen, von widerhaariger, albanesischer Bevölkerung be- wohnten Gebiete bald nach der Annexion schon mit der Neuordnung der Dinge zufrieden waren. Allen aber, sie seien Freund oder Feind, Inländer oder Ausländer, gilt die Gastfreundschaft, die im ganzen Lande hoch und heilig gehalten wird. Es sei bei dieser Gelegenheit gleich bemerkt, dass, wie jene schöne, uralte Sitte an sich schon etwas Patriarchalisches hat, so etwas Derartiges überhaupt dem crnagorischen Volksleben vielfach eignet. Ebenso ergiebt die Prüfung des moralischen Standes noch ein gut Teil von ursprünglicher Natürlichkeit und Reinheit. Der Crnagorse freut sich seines Lebens, aber er thut dies in harmloser und nüchterner Weise, Trunkenheit ist fast unbekannt, und die bei Volksfesten üblichen Tänze und sonstigen Vergnügungen sind durchaus einfach und frei von allem Lasciven. Die eheliche Treue wird von beiden Teilen gewahrt, wenn auch bei der Leidenschaftlichkeit des südlichen Blutes in manchen Fällen mehr die Macht der Sitte, eventuell die Furcht vor der gesetzlich bestimmten Strafe, als wirkliche freie Tugend das Verdienst daran haben mag. Prostitution besteht nirgends im Lande. Ungeachtet solcher, im Vergleich mit den entsprechenden Verhältnissen des übrigen Europa spartanisch erscheinender Sittenstrenge klebt doch dem montenegrinischen Wesen nicht im mindesten etwas Pedantisches, Philiströses an, vielmehr wird dasselbe von einem mächtigen poetischen Hauche durchweht. In der That ist dieses so arme und verachtete Völkchen nicht nur eine Nation von Helden, sondern auch von Dichtern. Der geringste Mann, der einfachste Flirte macht hierin keine Ausnahme. Sie singen alle, selbst die sonst so scheuen Weiber. Lagern sie abends um das knisternde Kesselfeuer, die streitbaren Recken, dann ergreift einer nach dem andern, je nachdem die Begeisterung die Brust überkommt, die Gusla, dieses einfache Instrument, und während die einzige Saite desselben, von dem rohen Fiedelbogen angestrichen, kunstlose, eigentümlich schnurrende, meist nur auf einer Skala von drei Tönen sich auf- und abbewegende melancholische Klänge giebt, entströmen den bärtigen Lippen kaum weniger simple aber markige Lieder von der Väter Thaten und der Enkel Hoffnungen, bis die trag hingestreckten Gestalten wie erwachende Löwen auffahren, die Augen funkeln und die Faust sich um die Handschar ballt. 29* Die Weiber hingegen lassen ihre Stimmen draussen erschallen, in Thälern und auf Höhen, indem sie die Tugenden des Gatten besingen, den der unerbittliche Tod vielleicht fernab auf blutiger Wahlstatt von ihrer Seite gerissen. So gedeiht in dem öden Ländchen die kostbare Blume des Volksliedes in ihrer ganzen ursprünglichen Schöne, wie fast nirgends sonst in Europa. Selbstverständlich setzt dieses Selbstvortragen eigener, freier Dichtungen auch ein gewisses musikalisches Talent voraus. In dieser Hinsicht ist der Sohn der „schwarzen Berge" ähnlich günstig beanlagt, wie die meisten anderen slavisehen Stämme, namentlich die Tschechen. Freilich bewegt sich sein Gesang zumeist noch in den näselnden und isotonen Weisen, die wir bei so vielen Völkern des Orients hören können, indes kommt nicht selten auch schon eine schwungvollere, rhythmus- und modulationsreichere Art zum Durchbruch. Als Probe geben wir hier die Melodie der montenegrinischen Nationalhymne, die in dieser Hinsicht besonders charakteristisch ist. Indes bildet das dichterische, beziehentlich musikalische Talent nicht die einzige Anlage der Crnagorsen. Noch eine andere Fähigkeit von allerdings gerade entgegengesetztem Charakter kann ihnen nicht abgesprochen werden. Wir meinen die politische Beredsamkeit, die hier in geradezu frappanter Weise zu Tage zu treten pflegt. Die einfachsten Leute handhaben die Sprache mit grosser Fertigkeit und einer Art parlamentarischem Geschick. Wie selbstverständlich, geht solche P>>rmengewandtheit Hand in Hand nicht nur mit politischem Interesse und Verständnis, sondern auch mit einer gewissen freien Anschauung in politischen Dingen. Bei aller Ehrfurcht vor dem geheiligten Institute der Monarchie sehen die Männer der „schwarzen Berge" wahres Heil für ihr Land nur in einer umfassenden Teilnahme des Volks an der Regierung , und das Verlangen nach einer gesetzlich geordneten Vertretung der Nation ist weit verbreitet. Ein freier Zug geht ferner auch durch ihre Religiosität hindurch. Allerdings ist der Montenegriner ein aufrichtig gottes-fürchtiger Mensch. Streng befolgt er die Vorschriften der Kirche. Ja, er geht noch weiter. In gewissem Sinne füesst für ihn Staat und Kirche in eins zusammen. Obwohl die hierarchische Regierungsform in der Crnagora längst abgeschafft ist, betrachtet sich der Montenegriner doch, wenn er für die Freiheit des geliebten Vaterlandes kämpft, zugleich auch als Streiter Gottes, als einer, der die Sache des gesamten Christentums gegen die Angriffe des Heidentums verficht. Es steckt so etwas von den ehemaligen Ordensrittern und Tempelherren in diesen Leuten. Gleichwohl aber sind sie frei von aller Bigotterie und pietistischem Wesen, vielmehr ein lebhaftes und munteres Völkchen. Rechnen wir ■ nun zu den erwähnten besonderen Anlagen noch eine schnelle Auffassungsgabe, welche unter anderem auch die Kleinen in der Schule schon bekunden, sowie eine gewisse Rührigkeit, Anstelligkeit beziehentlich Schlauheit im allgemeinen, so stehen wir in der That vor einem recht wohl talentierten Menschenschlag. Es wird dann aber allerdings auch die Frage nach den Mängeln, die ja einmal nicht fehlen können, laut werden. Und diese wollen wir nun zu beantworten suchen. Von allen Anklagen, die je gegen die Montenegriner vorgebracht worden sind, muss die der Grausamkeit zuerst Beachtung finden. Denn sie ist einmal am weitesten verbreitet, sodann aber scheint sie auch am meisten Boden zu haben. Gelegentlich der verschiedenen Kämpfe mit den Türken sind ja in der That haarsträubende Berichte über von beiden kämpfenden Parteien verübte Unthaten in alle Welt hinausgegangen. Zugegeben mm auch, dass derähnliches von den Crnagorsen — denn mit diesen 'haben wir es allein zu thun — wirklich verübt worden ist, so muss man doch zuerst bedenken, dass in jedem Kriege, selbst zwischen den civilisiertesten Nationen, solche Dinge zu Tage treten. Oder wollte man. die Franzosen eines besonders grausamen Naturells zeihen, weil 1870 von ihnen mancherlei haarsträubende Thaten gegen die Unseren verübt worden sind? „Cest la guerrel" Weiter aber darf man, selbst abgesehen davon, dass der .grössere Teil der Montenegriner zur Zeit noch auf einer niedrigen Kulturstufe steht, nicht vergessen, dass jene Kämpfe im Laufe der Jahrhunderte immer mehr den Charakter fanatischer Religions- und Rassenkämpfe angenommen hatten, das heisst also in wahre Vernichtungskriege ausge- artet waren. Und was ist unter ähnlich gestalteten Verhältnissen nicht auch von anderen Nationen gesündigt worden, ohne dass man deswegen die Grausamkeit gerade als in ihrem Wesen begründet fand! Sodann muss, wer die Geschichte der Crnagora kennt, einräumen, dass mit der fortschreitenden Civilisation schon seit Jahren mildere Gesinnungen an Stelle jener rauen Wildheit getreten sind, die wohl unter Umständen meinte, Gott einen Dienst zu thun, wenn sie gegen den gehassten Feind mit aller entfesselten Wut, mit Brand und Geissei vorging. Schon längst trägt der berüchtigte Turm hinter dem Kloster von Cetinje keine aufgespiessten Türkenköpfe mehr. Ja, wir sind in der angenehmen Lage, jener schweren Anklage sogar vollgültige Beweise für das Gegenteil, für die schon früher behauptete milde Grundstimmung des crnag(irischen Wesens entgegenstellen zu können. Laut officiellen, von beiden kriegführenden Parteien unterzeichneten Protokolls wurden von Montenegro nach dem letzten Feldzuge 11,000 Gefangene unversehrt an die türkischen Heerführer abgeliefert, während von diesen letzteren nicht ein einziger lebender Crnagorse übergeben werden konnte! — Aber vielleicht trifft der Vorwurf der Arbeitsscheu und Trägheit zu, der ebenfalls von vielen erhoben wird. Nun, wir haben schon gesehen, dass er mindestens auf die Frauen des Landes nicht ausgedehnt werden darf. Was die Männer anbelangt, so ist er allerdings berechtigt, indes nur in einer sehr beschränkten Weise. Die echten Krieger, jener infolge der unausgesetzten Kämpfe der letzten Jahre allerdings zu einer stattlichen Rotte herangewachsene Teil des Volkes, der schliesslich alle anderen Beschäftigungen bei Seite setzte, beziehentlich aus Not setzen musste, und das Kriegführen allmählich handwerksmäßig betrieb, hält es allerdings mit dem Nichtsthun, indes weniger aus Liebhaberei, als aus Prinzip, weil die Arbeit eines Streiters und Helden unwürdig sei, ähnlich, wie man auch jetzt noch in civilisierten Landen urteilen hört, oder wie doch wenigstens unsere Vorfahren dachten, ohne dass deswegen die Faulheit in ihrem Blute gelegen hätte. Dass aber die eigentliche ernagorische Art eine fleissige, ja emsige und unermüdlich thätige ist, ja dass die grosse Mehrzahl des Völkchens auch angestrengt arbeitet, das wird jeder zugeben, der von der Hauptstadt mit ihren stolz promenierenden Recken in das Innere gedrungen ist, und dort den mühseligen Feldbau gesehen hat. In ähnlicher Weise sind auch andere Beschuldigungen, wie die der Treulosigkeit, der Heimtücke, des verlogenen Wesens und dergleichen, völlig unbegründet. Viel berechtigter erscheinen einige Ausstellungen, die bisher wohl noch von niemandem gemacht worden sind. In erster Linie sollte hier das mangelhafte Familienleben betont werden, das seinen Grund in der falschen Stellung der Frau hat. Die letztere steht in der Crnagora in der That fast noch auf der Stufe einer Sklavin. Von der christlichen Idee der gleichberechtigten Gehilfin keine Spur. Es fliesst diese Anschauung des männlichen Geschlechts allerdings weniger aus einer eigentlichen Verachtung oder doch bewussten Geringschätzung, als vielmehr aus einer bei Naturvölkern häufig anzutreffenden Überschätzung der rohen, physischen Kraft und der kriegerischen Leistungen. Natürlich blieb auch der Einfluss der polygamischen Nachbarn, trotzdem, dass diese die Feinde waren, nicht aus, und schliesslich hatte das Herkommen das ganze Verhältnis so fixiert, dass selbst vereinzelte bessere Anschauungen und Regungen nicht dagegen aufkommen konnten. Wenn auch ein Montenegriner seine Lebensgefährtin schätzt und liebt, er wagt doch, aus Furcht vor der öffentlichen Meinung und dem Spott der Nachbarn, nicht so leicht diese seine Gesinnung irgendwie zu verraten, sondern stellt sich ebenso,kalt, hart und barsch gegen das arme Geschöpf an seiner Seite, wie es die anderen in Wirklichkeit sind. Daher sieht die Frau nur mit den Augen scheuer Furcht, nicht herzlicher Liebe zum Manne auf. Und wenn sie ihm auch die Treue hält, so geschieht es aus Zwang, nicht zufolge wahrer, freier Tugend. Es kann bei einem solchen Verhältnis nicht Wunder nehmen, dass die Ehescheidungen früher wenigstens an der Tagesordnung waren. Ja auch jetzt, wo diesem Unwesen gesetzlich gesteuert worden ist, fehlt doch der Crnagora das schönste Kleinod eines Landes, das Kleinod: Familienglück.. Ks ist aber bekannt, dass erst da, wo dieses sich findet, wahres Gedeihen, ja selbst auch äussere Grösse als Folge innerer Veredelung möglich ist. Allerdings treten, wie der Verfasser konstatieren musste, schon hie und da die Zeichen eines Umschwungs zu Tage. Möchten sie sich mehren und das Bewusstsein der allgemeinen Gleich- berechtigung und Menschenwürde, diese grösste Errungenschaft der Civilisation, bald das ganze Volk durchdringen! Ein weiterer Tadel, den ich vorbringen möchte, bezieht sich auf zwei einander gerade entgegengesetzte Dinge, die sich im crnagorischen Naturell vereint finden. Die Montenegriner sind nämlich Optimisten und Pessimisten zugleich, auf der einen Seite leicht geneigt, alles im rosigsten Lichte zu sehen, in dem Be-wusstsein zu schwelgen, dass schon ausserordentlich viel erreicht sei, dass kaum noch etwas zu thun übrig bleibe, dass es ihnen gar nicht fehlen könne, während sie hinwiederum auch so leicht in düstere Gedanken verfallen und wähnen, dass für sie ein Emporkommen, eine Blüte ganz unmöglich sei. In ersterer Beziehung pochen sie nicht nur zu sehr auf ihre kriegerischen Errungenschaften und verkennen vielfach den ungleich höheren Wert der Segnungen und Schöpfungen des Friedens und der Kultur, sondern sie hoffen und erwarten auch zu sehr alles von Russland, das ihnen freilich schon ausserordentlich viel Gutes erwiesen, indes sie auch, wo seine eigenen Interessen es geboten, oft genug in Stich gelassen hat. Was aber den gerügten Pessimismus anbetrifft, den man nebenbei mehr oder minder einen Grundzug des gesamten Orients nennen könnte, so sind sie allzusehr geneigt, den europäischen Grossmächten zu misstrauen und sich als von ihnen zurückgesetzt oder übervorteilt anzusehen, während sie doch die immensen Schwierigkeiten, welche die endgiltige Lösung der orientalischen Frage und damit auch die definitive Abgrenzung Montenegros im Gefolge hat, sowie den mannigfachen Vorschub, der ihnen bereits geleistet worden ist, nicht verkennen sollten. Möchte doch zu dem an sich allerdings berechtigten Stolz auf kriegerische Lorbeeren auch die klare Erkenntnis von dem Vielen, was dem Lande noch not thut, sich gesellen, andererseits aber ebenso an die Stelle dumpfer, verzweifelter und lähmender Resignation die freudige Zuversicht treten, dass es auch für sie noch, ja jetzt schon ein wenngleich bescheidenes Glück giebt, so nur alle Hände sich regen. Wir gehen damit zu einigen Desideria über, die uns für Montenegro nach sorgfältiger Erwägung auf dem Herzen liegen. Leicht möglich, dass dieselben „pia desideria" bleiben, vielleicht aber finden sie, wie sie aus wohlmeinendem Herzen kommen, auch da oder dort innerhalb der Crnagora wie ausserhalb derselben bei ihren Freunden ein offenes Ohr. Wir wollen allerdings bei dieser Gelegenheit das viele Gute, was in Montenegro bereits erreicht ist, nicht unerwähnt lassen, um so mehr, da das meiste von demselben nichts weniger als allgemein bekannt sein dürfte. Was zunächst das rein Staatliche angeht, so muss namentlich des ganz trefflichen Codex Danilo Erwähnung gethan werden, der zwar erst seit 1855 eingeführt ist, indes doch im Wesentlichen auf älteren traditionellen Kochten beruht. Seinen Einzelbestimmungen liegt der grossartige Gedanke zu Grunde, dass alle Landesangehörigen vor dem Gesetze gleiche Rechte haben. Im Übrigen ist unter den zahlreichen Paragraphen für die weise Gerechtigkeit, von der das Buch diktiert ist, besonders jener bedeutsam, welcher statuiert, dass wenn einer seinen Beleidiger in der ersten Zorneswallung tötet, er straffrei ausgehen soll, dass er dagegen des Todes schuldig ist, wenn er auch nur eine Stunde später Hand an ihn legt. Man sieht, die modern-juristische Unterscheidung zwischen Totschlag und Mord ist hier schon zu finden. Andere Bestimmtingen sind von drakonischer Strenge. So wird Diebstahl beim zweiten Rückfall mit dem Tode bestraft. Hinwiederum aber sichert der Codex auch allen Flüchtlingen ohne Unterschied unbedingtes Asyl zu, so lange sie sich den Landesordnungen fügen. Ganz weise erscheint auch die alte Einteilung des ganzen Landes in 8 grössere Bezirke („Nahia"), die ihrerseits wieder in Stämme („Plemena", wohl von plebs, wie das corsische „pieve") zerfallen, welche die einzelnen Familien timfassen. Auf diese Weise ist eine Art konzentrische Selbstverwaltung gegeben, deren Organe insofern auch wieder an der Centrairegierung teilhaben, als sie nötigenfalls von dem Staatsoberhaupte, dem Fürsten, zur Beratung mit ihm und seinen Ministern zugezogen werden. Erinnert man sich hierbei, dass von Haus aus die Krone nicht erblich war, sondern durch Volkswahl übertragen wurde, so erkennt man, dass das crnagorische Staatswesen aus rein demokratischer Grundlage erwachsen ist, woher wohl dem Volke noch der bereits betonte demokratische Zug geblieben sein mag. Über die militärischen Verhältnisse noch etwas zu sagen, wäre überflüssig, da Proben von der Vortrefflichkeit der diesbezüglichen Einrichtungen genug vorliegen. Nur das sei im Einzelnen noch erwähnt, dass ein überaus zweckmässiger, wohldurchdachter und bis ins kleinste Detail durchgeführter Mobilmachungs-plän vorhanden ist, welcher in kürzester Zeit eine bedeutende Streitmasse zusammenzuziehen ermöglicht. Durch umfassende Ankäufe und grossartige Kriegsbeute ist das Arsenal des Landes neuerdings auch mit allen Waffen der modernen Kriegskunst ausgerüstet worden. Zufriedenstellend erscheint ebenso die Ordnung der kirchlichen Angelegenheiten. P^s teilt sich nämlich confessionell die Bevölkerung also ein: Die in dieser Weise weitaus dominierende russische Kirche untersteht der Leitung eines in Cetinje residierenden Metropoliten. Indes nimmt der Bischof von Ostrog eine fast coordinierte Stellung ein. Die niedere Geistlichkeit ist in grosser Zahl über das ganze Land verteilt. Ihre Glieder zeichnen sich dadurch aus, dass sie echte Volksmänner sind, nicht nur insofern, als sie das National-kostüm tragen, sondern auch deshalb, weil sie im lebhaftesten Verkehre mit den Laien stehen und an deren Interessen wärmsten und thätigsten Anteil nehmen. Neben der Weltgeistlichkeit, der bekanntlich auch das Heiraten gestattet ist, steht der klösterliche Klerus, welcher mönchische Kleidung, langen, schwarzen Talar, jedoch mit der nationalen Kappa, trägt und in den Klöstern des Landes, deren etwa ein halbes Dutzend existiert, seine Wohnung hat. Indes ist die Zahl dieser Mönche äusserst beschränkt. Die genannten Ansiedlungen haben in der Regel nur 2 bis 3 Insassen. Auch sind ihre Baulichkeiten überaus einfach und die Subsidien gering, sodass also von der bekannten klösterlichen Üppigkeit hier nichts zti finden ist. Die Anlageplätze sind aber meist trefflich gewählt und die Bewohner nichts weniger als finstere, zelotische Einsiedler, vielmehr freundlich, dienstwillig und gastfrei gegen jedermann. Griechisch-orthodoxe Muhammedaner . , Römisch-katholische 140,000 Seelen. 15,000 „ 5000 „ Summa: 100,000 Seelen. Am meisten Lob von allen crnagorischen Schöpfungen verdient aber das Schulwesen. Dasselbe gereicht in der That dem Völkchen zu grosser Ehre, namentlich wenn man die vielen entgegenstehenden Schwierigkeiten, darunter in erster Linie die steten Kriegswirren und die dadurch bedingte finanzielle Erschöpfung des bereits an sich so armen Ländchens mit in Erwägung zieht. Ganz trefflich erscheinen schon die betreffenden gesetzlichen Vorschriften, .die aus dem Jahre 1870 und 78 stammen. Wir verbreiten uns über dieses bedeutsame Kapitel etwas ausführlicher, weil betreffs desselben bislang noch nicht das Geringste an die Öffentlichkeit drang. § 2 bestimmt vor allem, dass im Fürstentum Montenegro der Schulbesuch obligatorisch und jeder Staatsangehörige, sofern er physisch und geistig gesund erscheint, gehalten ist, demselben sich zu unterziehen. § 3. Alle anerkannten Konfessionen sind in der Sehlde gleichberechtigt. § 5. Jede konfessionelle Gemeinschaft ist verpflichtet, für die religiöse Ausbildung ihrer Angehörigen Sorge zu tragen. § 6. Der Schulbesuch ist gänzlich unentgeltlich. § 7. Die allgemeine Schulpflicht währt vom 7. bis inclusive 13. Lebensjahr. § 9. Eltern oder Vormündern, welche beharrlich ihre Kinder beziehentlich Mündel von der Schule zurückhalten, wird ihr Eltern- oder Pflegerrecht abgesprochen und ihren Pflegebefohlenen ein Vormund bestellt, der denselben auf Kosten der Pflichtvergessenen den Schulunterricht vermittelt. § 19. Nur offenbare oder nachgewiesene Krankheit, häusliche Unfälle, drückendste Armut, allzu grosse Entfernung vom Schulhausie sowie Elementarereignisse vermögen das Wegbleiben von der Schule zu entschuldigen. § 25. Wo eine Mädchenschule besteht, gelten alle diese Bestimmungen auch für schulpflichtige Mädchen. (Mit Recht wird man hierin einen erfreulichen Fortschritt zur Gleichstellung beider Geschlechter erkennen.) § 26. Wo keine Mädchenschule besteht, ist es den Eltern gestattet, ihre Töchter in die Knabenschule zu schicken, falls dieselben nur das 10. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Nach diesem Termin darf ein Kind weiblichen Geschlechts die Schul-anstalten für Knaben nicht mehr besuchen. § 28. Die Schulkinder haben die Pflicht, neben der Schule auch die Gotteshäuser an Sonn- und Feiertagen zu besuchen und sind die grundlos Ausbleibenden ebenso, wie wegen der Schulversäumnisse, zu bestrafen. Im Jahre 1878 wurde auch ein eingehender Lehrplan für die Elementarschulen aufgestellt. Dieselben zerfallen danach in ein-, zwei- oder vierklassige Schulen. Die letzteren haben die Bezeichnung Hauptschulen zu führen. Die obligatorischen Lehrgegenstände sind: Religion, serbische Sprache, Rechnen, Elemente der Geometrie, Geographie, serbische Geschichte, Naturgeschichte, Physik (Elemente), Kaligraphie, Zeichnen, Singen, Gymnastik; Die Ausbildung der Lehrer vermittelte früher das Geistlichen-und Lehrerseminar in Cetinje. Der Kursus auf demselben war dreijährig. Im Jahre 1876 musste dasselbe leider geschlossen werden, da die Kriegserklärung an die Türkei Lehrer wie Zöglinge ins Feld rief. Infolge der durch den fünfjährigen erbitterten Krieg herbeigeführten äussersten Erschöpfung der Staatskasse, aus der die Anstalt unterhalten wurde, war auch eine Wiedereröffnung derselben bisher noch nicht möglich. Unter den nämlichen ungünstigen Umständen hatten auch die Schulen selbst zu leiden. Vor 1876 zählte man im Lande ihrer 52 mit zusammen 3159 Schülern und 62 Lehrern. Nach Beendigung des Krieges 1880 konnten aber nur 22 Anstalten wieder eröffnet werden, da die Mittel fehlten. Jedoch waren Anfang 1882 schon 35 Schulen in Thätigkeit mit einer Lehrerzahl von 43. Unter ihnen befinden sich auch zwei Mädchenschulen (Cetinje und Podgoriza). Die Zahl der Schüler beträgt gegenwärtig 2045, worunter 138 Mädchen. Die Gehalte anlangend, so belaufen sich dieselben in Klasse 1 auf 500, » 2 „ 400, „ „ 3 „ 300 Gulden östr. W. Von den gegenwärtig amtierenden Lehrern beziehen 10 den Gehalt erster, 20 zweiter und 12 dritter Klasse. Was die Aufbringung der nötigen Mittel angeht, so ist die Ausbildung und Dotierung der Lehrer Sache des Staates, Bau und Unterhaltung der Schulgebäude dagegen, sowie die Beschaffung der Lehrmittel liegt den Gemeinden ob. Wir meinen, in dieser Art der Teilung der Lasten offenbart sich eine ausserordentliche Weisheit, die derjenige namentlich anerkennen wird, der eingesehen hat, welche Last für Gerneinden die völlige Unterhaltung ihres Schulwesens selbst inclusiv der Alterszulagen darstellt und in was für eine schiefe Stellung die Lehrer infolge dessen jenen gegenüber geraten. In dieser Hinsicht ist also die montenegrinische Gesetzgebung der unsrigen weit voraus. Was die Regierung anlangt, so müssen ihr zur Deckung der Kosten für das Volksschulwesen zuerst die Einkünfte von den Klostergütern, sodann eine Steuerauflage von 70 Xr. pro Haus dienen. Ausser den Elementar-Unterrichtsanstalten und dem als eine Art Hochschule zu betrachtenden Seminar bestehen im Lande und zwar gleichfalls in der Hauptstadt noch zwei Mittelschulen, nämlich das Mädcheninstitut und das Realgymnasium. Das erstere hat die Aufgabe, jungen Mädchen aus Montenegro und angrenzenden Ländern eine höhere Bildung zu vermitteln, sowie namentlich auch Lehrerinnen heranzuziehen. Die Anstalt ist eine Stiftung der verstorbenen russischen Kaiserin Marie. Der Lehrplan unifasst 5 Jahreskurse. Das Lehrerpersonal besteht aus 6 ständigen Lehrern und 3 Privatlehrern. Die Schülerinnen haben im Institute völlig freie Station und Unterricht. Ihre Zahl beträgt gegenwärtig 35. Das Realgymnasium wurde erst 1881 begründet und hat vorläufig nicht mehr als 2 Klassen, denen jedoch jedes Jahr eine neue zugefügt werden soll, bis in dieser Weise schliesslich die Anstalt, die Staatsinstitut ist, den normalen Umfang gewonnen haben wird. Was ztdetzt die Leitung des gesamten Schulwesens betrifft, so ist dieselbe in die Hände eines Unterrichtsministeriums und eines Landesschulinspektors gelegt. —- Haben wir bei Betrachtung der Fürsorge für das geistliche Wohl des crnagorischen Völkchens in dieser Weise sehr erfreuliche Wahrnehmungen machen dürfen, so sind wir leider betreffs des Standes der äusserlichen, materiellen WohBahrt des Landes nicht in der gleich günstigen Lage. Vielmehr treffen wir hier auf recht traurige Zustände. Die Landwirtschaft, die bekanntlich den goldenen Boden jedes Staatswesens darstellt, befindet sich fast durchweg noch in sehr primitiver, wenig ergiebiger Verfassung. Eine Industrie existiert gar nicht und der Handel ist noch kaum über die ersten schüchternen Versuche hinausgekommen. Der Export beschränkt sich im Grunde auf den bereits mehrfach erwähnten Sumach, während der Import, der noch dazu ganz und gar in fremden Händen liegt, beziehentlich von fremden Häfen ausgebt, fast alle Bedürfnisse des Lebens umschliesst und daher dem Ländchen viel Geld entzieht. Werden nun auch diese beklagenswerten Umstände zum nicht geringen Teil von Verhältnissen bedingt, die ausserhalb menschlichen Machtbereichs liegen, so dass man also Montenegro nicht ohne weiteres Vorwürfe machen kann — wir weisen nur auf das hin, was wir früher über Bodenart und dergleichen gesagt haben — so steht es doch ebenso auch fest, dass selbst bei solcher Sachlage mit gutem Willen und ohne reiche Mittel manches sich vorteilhaft würde ändern lassen. Es sei uns gestattet, das Hauptsächlichste davon nunmehr näher zu bezeichnen. Zuerst kämen einige Gesichtspunkte betreffs der einzuhaltenden äusseren Politik in Betracht. Unbeschadet der durch nationale Beziehungen und jahrhundertjährige Traditionen geheiligten Freundschaft mit Russland würde ein innigeres und aufrichtigeres sich Anlehnen an den mächtigen Nachbarstaat Ostreich für Montenegro von grösstem Nutzen sein, ähnlich wie dies etwa auch bezüglich Serbiens und Rumäniens gilt. Einmal ist ja Montenegro viel zu klein, um mit Erfolg eigne Politik treiben, eine Rolle als selbständiger Staat spielen zu können. Sodann aber dürfte es wohl niemandem entgehen, dass Ostreich mehr und mejir die dominierende Macht auf der Balkanhalbinsel wird. Eine spätere Neuordnung der Dinge dortselbst wird also wesentlich in dessen Händen liegen. Vielleicht, dass es dann Montenegro gelingt, nach Süden hin in der Weise sein Territorium naturgemäss abzurunden und zu ergänzen, wie wir es schon früher als unbedingt nötig für sein Aufblühen bezeichnet haben. So lange Montenegro dem mächtigen Kaiserstaat feindselig oder doch wenigstens zweifelhaft gegenübersteht, wird derselbe natürlich ein Interesse daran haben, dass das kleine Nachbarreich nicht lebensfähig werde. Überhaupt aber muss die Regierung von Cetinje jene südliche Ausdehnung als ihr höchstes Ziel fest ins Auge fassen und zu seiner Erreichung alle erlaubten Schritte thun, namentlich auch die übrigen Grossmächte darüber aufklären, dass die Erlangung der betreffenden Gebiete für sie eine Lebensfrage darstellt, dass sie aber auch dann sich, zufrieden geben und nicht immer nach weiteren Erwerbungen streben würde. Dies bezüglich der äusseren Politik. Was nun die inneren Verhältnisse angeht, so möchten wir vor allem eine Massregel vorschlagen, die allerdings scheinbar nur von untergeordneter Bedeutung ist. Dieselbe betrifft die auch in Cetinje selbst schon zur Anregung gekommene Verlegung der Residenz. Cetinje war zum Sitz der Regierung allerdings recht wohl geeignet, als der Krieg noch die oberste Aufgabe des Landes bildete. Derselbe konnte unverkennbar von dem schwer zugänglichen Felsenhorst aus trefflich geleitet werden. Die friedlichen Ziele, die von nun an immer mehr in den Vordergrund treten müssen, verlangen aber einen hierzu geeigneteren Centraipunkt. Derselbe sollte, schon rein wörtlich genommen, mehr im eigentlichen Mittelpunkte des Territoriums liegen. Er muss namentlich auch den produktiveren Landesteilen näher sein, als das mitten im öden Karst aufgebaute Cetinje, das nebenbei seit der Vollendung der schönen Strasse nach Cattaro auch durchaus nicht mehr so unangreifbar erscheint, als früher. Dazu kommt, dass es in gesundheitlicher Beziehung ebenso überaus ungünstig genannt werden muss und selbst der Bestand der Dynastie infolge dessen in Frage gezogen wird, der doch für jedes Land von grosster Bedeutung ist. Als Ersatz für Cetinje empfehlen viele und mit Recht das so ziemlich die Mitte des mittleren Cetathales, der Kornkammer des Landes, bezeichnende Danilovgrad. Wäre die Natur-Mauer des oberalbanesischcn Gebirges bereits zur Grenze der Crnagora erhoben, so dürfte allerdings Podgoriza noch geeigneter erscheinen. Auf alle Fälle aber muss dieses letztere als Centraipunkt für einen künftigen montenegrinischen Handel im Auge behalten werden. Als nächstes Erfordernis möchte die Verbesserung der Verkehrsmittel anzusehen sein. Denn die wahrhaft entsetzlichen Wege des Landes müssen jedes regere Leben verbieten, selbst wenn für dasselbe alle anderen Bedingungen vorhanden wären. Es ist ja nicht zu leugnen, dass die natürlichen Verhältnisse gerade in dieser Beziehung sehr erschwerend auftreten, und dass Kunststrassen in einem so gebirgigen Lande ungeheure Summen bedingen. Allein es bedarf dergleichen auch gar nicht in grösserem Umfange. Es mussten einfach, ähnlich wie bei uns, die Gemeinden angehalten werden, die Wege von Ort zu Ort in Stand zu erhalten. Wenn man sie alle mit Steinhämmern bewaffnete und dann auch nur das gröbste Material, das allenthalben die Pfade bedeckt, zerkleinert würde, wäre schon viel gewonnen. Natürlich mussten die Hauptrouten auch wirkliche Strassen haben. Bekanntlich ist damit schon ein recht energischer Anfang gemacht worden. Im Frühjahr 1881 wurde die Linie Cattaro-Njegusch-Cetinje vollendet und schon im Herbst folgte Cetinje-Rjeka, während Wirbasar-Sutormanpass-Antivari sich im Bau befindet. Leider nur sind die beiden erstgenannten Anlagen weniger für das Land als für die unproduktive Hauptstadt von Wichtigkeit, obwohl sie wegen der ungünstigen Terrainbeschaffenheit grosse Summen verschlangen. Nur die dritte der genannten Linien, welche das fruchtbare Crmnizathal und infolge dessen auch den Skutarisee, Podgoriza und das Cetathal mit dem Meere in Verbindung setzt, ist ein wirklich praktischer Bau. Es weist dies eben wieder auf die schon besprochene Verlegung der Residenz hin. Wäre Cetinje, wie es dies verdient, bereits zu einem einfachen Gebirgsdorfe degradiert gewesen, so wären jene beiden Tracen nicht ausgeführt worden. Wohl aber hätte man mit den für dieselben ausgegebenen Geldern eine Strasse durch das Cetathal bauen können, die von ausserordentlichem Werte sein würde, und hätte auch noch Mittel genug gehabt, um dem Moratschathale die Wohlthat eines Fahrwegs zu gewähren. Diese beiden tief in das Land hineinschneidenden Thalmulden mussten entschieden vor allem berücksichtigt werden. Natürlich wäre von der Vereinigung beider bei Podgoriza der Bau noch bis Plavniza am Skutarisee fortzuführen. Mit der Zeit würde dann auch die Fortsetzung von den entgegengesetzten Endpunkten über Nikschitsch ins Piwathal und andererseits über Kolaschin nach Bjelopolje zu ermöglichen sein, vielleicht in ferner Zukunft auch sogar ein Anschluss an die für Südbosnien und Oberalbanien projektierten Eisenbahnen gewonnen werden. Sicher erscheint wenigstens ein derartiger Schienenweg, der von der grossen Linie Belgrad-Saloniki rechtwinklig nach der Adria abzweigte, dadurch, dass er relativ reiche Hinterlande mit dem Meer in Verbindung brächte, ein gar nicht unrentables Unternehmen. Neben den Landwegen mussten auch die Wasserstrassen berücksichtigt werden. Die Häfen Antivari und Dulcigno wären auszubaggern, beziehentlich mit den nötigen Baulichkeiten zu versehen und der Handelsverkehr, der jetzt zumeist noch über Cattaro geht, hierhin zu lenken. Antivari wird bereits einmal wöchentlich von einem Lloyddampfer angelaufen. Eine gleiche Vergünstigung müsste für Dulcigno angestrebt werden. Ferner hätte man darnach zu trachten, dass auch ein italienischer Hafen, etwa Brindisi, mit Antivari oder Dulcigno durch eine regelmässige Schiffahrt in Verbindung gesetzt würde, damit sich ein lebhafter Tauschhandel zwischen der apenninischen Halbinsel und geeigneten Teilen der Balkanländer über Montenegro entwickeln könne. Dass ein solcher bereits im Werden begriffen ist, darüber haben wir in unserem Buche schon gesprochen. Von der Bojana-Regulierung ist gleichfalls die Rede gewesen, indes ebenso auch bereits erwähnt worden, dass bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge auf der Balkanhalbinsel an die Ausführung dieses so nötigen und zugleich so verheissungsvollen Werkes nicht zu denken ist. Dagegen würde die Einrichtung einer regelmässigen Dampfschiffahrt auf dem Skutarisee kaum nennenswerten Schwierigkeiten begegnen, dafür aber ebenfalls sicheren Gewinn in Aussicht stellen. Die grossen Ortschaften an diesem Wasserbecken haben zumeist ausserordentlich besuchte Märkte und schon jetzt einen regen Bootsverkehr. Es könnte wohl leicht ein älteres, für diesen Zweck aber noch ausreichendes Fahrzeug angekauft und der Preis durch Amortisierung vom Gewinn allmählich gedeckt werden. Dass ein derartiges Unternehmen rentabel sein würde, dafür bürgt übrigens auch die Thatsache, dass zur Zeit der Reise des Verfassers zwei Italiener in Cetinje anwesend waren, welche um die diesbezügliche Konzession nachsuchten. Schwarz, Montenegro. 30 Endlich wäre durch Sondierungen zu ermitteln, ob nicht auch die Ceta für einen Teil ihres Laufes schiffbar zu machen sein würde. In Wahrheit trägt sie jetzt schon eine SchifTsmühle (bei Danilov-grad), und einen allerdings nur eine Überfahrt vermittelnden Kahn. Doch dürfte dies immerhin beweisen, dass kleine Fahrzeuge auch in ausgiebigerer Weise auf ihr zur Verwendung kommen könnten. Was die Moratscha anlangt, so würde dieselbe vielleicht wenigstens einem Flössereibetrieb dienen können, mittelst dessen man die herrlichen Hölzer des Inneren (Zerreiche für Schiffsbau) zu verwerten imstande wäre. Diese letztere Bemerkung führt uns nunmehr überhaupt zu einer Besprechung der Naturschätze, die in der Crnagora der Erschliessung bedürften. Hierbei müssen wir zuerst wieder der Land-wirtschaft gedenken. Die Schätze des herrlichen Cetathales sind erst zum geringsten Teile gehoben. Hunderttausende von Oliven Hessen sich hier anpflanzen und reicher Ertrag daraus ziehen, während Montenegro die edle Pflanze gegenwärtig nur erst bei Antivari kennt. Ähnliches gilt von der Crmniza, wo unproduktive Ouittenbäume den Boden aussaugen. Was den Wein anlangt, der in beiden Thälern bereits massenhaft gebaut wird, so wäre mehr auf dessen geeignete Verwertung zu sehen. Gegenwärtig ward er zu überaus niedrigen Preisen innerhalb des Landes verschleudert. Freilich ist er infolge ungeeigneter Behandlung vielfach auch von der Art, dass an eine Ausfuhr nicht zu denken ist. Ebenso fehlt es trotz der Eichen- und Kiefernwälder im Inneren und der Berge im ganzen Lande an Passern, an Pech, an Lagerräumen, kurz an allem. Und doch ist das Gewächs, das der Boden der Crnagora erzeugt, an Güte den Weinen der Gironde gleichzustellen. P2s würde sich also bei der in letzten Jahren so ausserordentlich verminderten Produktion Frankreichs leicht ein Absatzgebiet im Centrum der Kultur Finden lassen, wie solches auch andere entlegenere Länder, beispielsweise Griechenland, neuerdings gefunden haben. Ein anderes wertvolles Erzeugnis des crnagorischen Bodens ist der Tabak, der jetzt allerdings nur erst in der nächsten Umgebung von Podgoriza gebaut wird, indes mit demselben Erfolge auch auf den ausgedehnten Flächen der „unteren Ceta" und der Bojana-Ebene, sowie bei Spusch angepflanzt werden könnte. Das erstgenannte Gebiet müsste dazu allerdings zuvor noch besonders präpariert, die tiefer gelegene, nasse Partie trocken gelegt, die höhere, dürre Hälfte aber durch Röhrenleitungen und Bohrungen, welch letztere hier ganz zweiffellos schon in geringer Tiefe auf reichliches Wasser stossen würden, bewässert, und soweit sie von steiniger Beschaffenheit ist, auch mit einer Humusdecke überkleidet werden. Pur letztere würden die weichen Mergelmassen in der Umgegend von Rjeka .(namentlich bei Ljubotin) trefflichstes Material liefern. Freilich müsste dann der gewonnene Tabak, ebenso wie der Wein, sachkundig behandelt und kaufmännisch vertrieben werden, während jetzt die an sich vortreffliche, dem besten türkischen Kraut gleichkommende Ware in einem stets halbfeuchten, unfertigen Zustande zu Schleuderpreisen abgegeben wird. Auf dem Littorale zwischen Antivari und Dulcigno könnten mehrfach Orangeplantagen behufs lohnenden und leichten Exports der süssen Frucht über das nahe Triest nach dem Norden angelegt werden. In den kälteren Landesteilen aber giebt es zahllose Fleckchen Erde, wo unsere deutschen Obstbäume gedeihen würden, um dem hungernden Volke eine willkommene Speise zu liefern. WTas den Wald angeht, der im Centrum und Osten des Landes bereits reichlich vorhanden ist, so ist von seiner Verwertung durch Flössereibetrieb auf der Moratscha schon geredet worden. Es würden sich aber auch Holzschleifereien, deren Produkt der italienischen Papierfabrikation zugeführt werden könnte, anlegen lassen. P^s muss ferner bemerkt werden, dass in jenen Gegenden, namentlich in zahlreichen Thälern, noch viel trefflicher Waldboden der Anpflanzung harrt. Ja, es könnte sogar manches Stück öder Karstfläche durch die Arbeit erfahrener Forstleute der Kultur erobert werden. Auf alle Falle jedoch thäte ein strenges Waldschutzgesetz not, damit durch die schonungslose Holzverschwendung der Hirten nicht auch noch die baumreiche Brda zur Wüste werde. Steigen wir noch weiter aufwärts, so muss auf die ungeheuren Hochweiden hingewiesen werden, die die Osthälfte des Landes um-schliesst. Allerdings treiben daselbst Viehzüchter bereits ihr Wesen, indes doch immer erst in sehr bescheidenen Dimensionen, beziehentlich in verkehrter Weise. Wir meinen damit namentlich 30* die wenig rentable Ziegenwirtschaft, durch die übrigens auch der Wald grossen Schaden leidet. Dafür müsste die Rindviehzucht allgemeinen Eingang finden. Kommt doch auch der Umstand, dass die Gebirgswiesen hier bereits vom April an und bis in den Oktober hinein benützt werden können, dem Sennereiwesen sehr zu statten. Dass Se. Hoheit der Fürst durch Gründung eines Zuchtstalles in Nikschitsch bereits Hand ans Werk gelegt hat, ist schon früher erwähnt worden. Möchte nur ebenso dem ganzen Lande bald die rechte Erkenntnis aufgehen! In manchen Teilen der Crnagora, namentlich auf den weiten Tiefebenen in der Umgebung des Skutarisees, Hesse sich auch mit gutem Erfolg Pferdezucht in grösserem Massstabe treiben. Das milde Klima würde dieselbe nicht wenig begünstigen, für die Ausfuhr aber in den benachbarten Ländern, namentlich in Italien Gelegenheit genug sich bieten. Es ist schon früher betont worden, dass selbst dem Wasser durch eine feinere Behandlung der Scoranzen mehr Ertrag abgewonnen werden könnte. Es sei an dieser Stelle nur noch darauf hingewiesen, dass auch der Fischfang an der Meeresküste bei Antivari und Dulcigno sehr im argen liegt, obwohl doch die Adria als ein sehr fischreiches Gewässer bezeichnet werden muss. — Man sieht, es giebt selbst in dem relativ so armen Montenegro noch Naturprodukte genug, die besser verwertet werden könnten. Dem Volke, das bisher fast nur Krieg geführt, müssen aber hierüber die Augen geöffnet werden. Hierzu möchten sich die Geistlichen und Lehrer des Landes besonders eignen. Dieselben sollten in dem Seminare der Hauptstadt entsprechende Anleitung in allen Zweigen der Agrikultur, beispielsweise auch in der bisher nur im Kutschi-Bezirk ausgiebiger betriebenen Bienenzucht, erhalten und dann in ihren Sprengein kleine Versuchsgärten anzulegen, sowie in landwirtschaftlichen und allgemeinen Vereinen zur Hebung des Volkswohlstandes das Interesse der Bewohner zu erwecken und zu nähren verpflichtet werden. Wo aber die Anleitung durch Laien nicht ausreicht, da würde das benachbarte Ostreich auf freundliche Bitte wohl leicht einen geeigneten Fachmann für einige Zeit als Instruktor entsenden. So legt sich der Anschluss an den mächtigen Kaiserstaat auch von diesem Gesichtspunkt aus nahe. Es gilt dies in gleicher Weise beziehentlich der Ausbeutung der eigentlichen Bodenschätze, der mineralischen Objekte. Von dem Petroleum, das unter günstigen Umständen eine reiche Einnahmequelle für das Ländchen werden kann, haben wir schon gesprochen, auch davon, dass infolge von Bohrungen entweder an der nämlichen Stelle oder auch anderwärts innerhalb der „schwarzen Berge" Steinsalz, vielleicht selbst Kohlen gefunden werden könnten. Ebenso haben wir aucji bereits des Brauneisensteins (Limonit) Erwähnung gethan, der sich vielfach in dem Plötzkalk des Bodens eingelagert findet und unschwer auszubeuten sein würde, damit die Crnagorsen wenigstens in Hinsicht des unentbehrlichsten aller Metalle von anderen Ländern unabhängig würden. Es sei nur noch darauf hingewiesen, dass, selbst angenommen, man fände im festen Boden kein Salz, doch eine verhältnismässig leicht auszubeutende, gleichwohl aber niemals sich erschöpfende Salzgrube in Montenegro bereits vorliegt. Das ist die grosse Salzflut der Adria, die seit dem letzten Kriege ja nun auch die „schwarzen Berge" direkt bespült. Auf dem flachen Strande von Antivari liesse sich leicht ein Salzgarten anlegen, der, unterstützt von der dort herrschenden Gluthitze, das unentbehrliche Gewürz in mehr als ausreichender Menge für das ganze Völkchen liefern würde. Dergleichen Anlagen bestehen bekanntlich in dem angrenzenden Dalmatien schon, und wieder wäre es also der mächtige Nachbar, der mit Rat und That helfen könnte ynd gewiss auch helfen würde. — In ähnlicher Weise liesse sich noch manches nennen, dessen Berücksichtigung dem Lande mehr oder minder ergiebige Hilfsquellen erschlossen würde. Indes meinen wir, dass das Eine, worauf es uns besonders ankam, bereits klargestellt ist, nämlich dies, dass das Volk der „schwarzen Berge", wenn es vielleicht auch niemals ein reiches und grosses Volk werden wird, doch schon jetzt in den Stand gesetzt ist, ein Volk darzustellen, das sich seiner Hände Arbeit zu nähren und dadurch Glück in sich und Anerkennung in der Welt zu finden vermag. Möge diese Erkenntnis in den Herzen des armen Volkes sich endlich Balm brechen, damit statt des trüben Zweifels an ihrem Heile, dem sie nur zu sehr zuneigen, Zufriedenheit und Hoffnung, und mit der Hoffnung auch Thatkraft sich ihrer bemächtige! Ja, möchten sie mit aller Kratt dem Erworbenen und Erreichten, der Gegenwart sich widmen, und die Beantwortung der Frage, ob sie — wozu sie ihre mannigfachen edlen Anlagen allerdings unleugbar befähigen — noch eine grössere Rolle auf der viel umworbenen Balkanhalbinsel spielen werden, der ewigen Weltenlenkung überlassen! Haben sie doch auch, bei allen Wünschen, die noch übrigbleiben mögen, in der That schon Grosses erreicht. Ein Häuflein in die Berge versprengter Flüchtlinge ist zu einem Staatswesen geworden, mit dem Europa wohl oder übel rechnen muss. Aus den wilden Felsen heraus haben sie sich ausgebreitet bis ins gesegnete Tiefland hinunter, wo im dunklen Laub die Goldorange glüht, ja bis hin an den Strand des allumschliessenden Ozeans. Sie haben sie damit, wenn auch nur im Kleinen, durchlaufen, die Bahn der Entwickelung, die im Grossen allen den mächtigen Reichen der Neuzeit vorgeschrieben war. „Vom Fels zum Meer", aus unzugänglichem Versteck an die grosse Strasse des Weltverkehrs, aus der Barbarei zur Kultur, aus Blut und Grausen bis hin zum weiten Schauplatz des friedlichen Wettstreites der Nationen; dies die Vergangenheit der Crnagorsen. Mit dem Meere haben sie auch einen ersten Abschluss ihrer Geschichte, einen grossen Wendepunkt erreicht. Möge er es ihnen ganz und voll werden! Möge von der weiten Salzilut, die sie lange sehnsüchtig nur mit Augen verfolgt haben, und auf die jetzt nach Jahrhunderten die Trikolore der alten serbischen Zaren von neuem hinausweht, nun der Gang ihrer Entwicklung ebenso wieder hineingehen bis in den innersten Winkel ihrer Berge, und mit den Waren, die die lastbare Adria von fernher bringen wird, auch immer mehr das edle Gut wahrer Kultur und Gesittung ins Land eindringen! In diesem Sinne rufen wir mit den Schemen Worten, die der Brust des edlen Fürsten Nikita entströmten, als er, siegreich die Türken vor sich hertreibend, die funkelnde Handschar in der nervigen Rechten, zum ersten Male von der Höhe des Sutorman auf die brandende Flut tief unter seinen Füssen niederschaute: Sei gegrüsst in deiner Pracht! Selig will das Herz mir pochen. Doch dein Anblick mahnt mich auch, Was die Welt an uns verbrochen. 1 lielt sie denn nicht zwei getrennt, D'rauf noch freie Herzen schwellen, Zwei, die beide gross und hehr, Meine Berge, deine Wellen? Doch vorbei, ich fluch' ihr nicht, Ob auch Leid uns d'raus entsprossen. Blaues Meer, nun bist du mein Durch das Blut, das wir vergossen! Bleibe mein, gewalt'ges Meer, Schäum' an meinen Fels in Wonne Bis zum Untergang der Welt, Bis — dich ausgeschöpft die Sonne! Leipzig, Druck von Otto Dürr. Nachträge bezieh. Berichtigungen. Nach Abschluss des Buches gehen mir von Herrn Schulinspektor Tschuturillo, der das Land schon öfters nach allen Richtungen durchzogen hat und der gründlichste Kenner aller einschlagenden Verhältnisse genannt werden muss, noch folgende Bemerkungen über die Fauna zu: „Im westlichen Montenegro sind zu Hause: Wölfe, jedoch in ziemlich geringer Zahl, Füchse, diese massenhaft, desgleichen auch Steinmarder (Mustela Foina Briss.); Bären, Rehe und Gemsen fehlen dagegen ganz, wohl aber sind Rebhühner überaus häufig. Im östlichen Teile des Landes (Brda) ist der Reichtum an wilden Tieren viel bedeutender. Hier finden sich Bären, Wölfe, Rehe, Gemsen (diese im Durmitor) in Fülle; auch Hasen sind ziemlich häufig, Füchse jedoch seltener. Die Jagd erscheint also in dieser Landeshälfte sehr ergiebig. In der Umgebung des Durmitor kommen Gemsen und Rehe in grossen Rudeln vor. Wildschweine finden sich in der Brda auch noch, gehen aber dem Aussterben entgegen." Betreffs der Scoranzen bemerkt mein Gewährsmann noch, dass er an manchen Stellen des Skutarisees schon förmliche Inseln dieser winzigen Tiere beobachte^ habe. Nach seiner Versicherung wird von dem getrockneten Fische auch nach Süditalien exportiert, doch fügt Herr Tschuturillo, mit unserer Ansicht übereinstimmend, dem ebenfalls hinzu, dass der Frtrag des Fanges bei rationellem Betrieb ein ganz anderer sein könnte. Der Sumach Montenegros, der nach meines Freundes Angabe besonders gut sein soll, findet, wie er schreibt, namentlich nach Holland Absatz, und ist Staatsmonopol. Endlich macht mich der Herr Schulinspektor noch auf eine nationale Industrie, nämlich die von einheimischen Weibern gewebten Seiden-, Leinen- und Wollstoffe aufmerksam, von denen namentlich die ersteren wegen ihres gefälligen Äusseren und der grossen Haltbarkeit von Fremden gern gekauft würden. — Schliesslich sei es mir gestattet, einige Unrichtigkeiten im Texte wie auf der Karte zu korrigieren. So ist durch Schuld des Druckers auf S. 3 Tschernagora für Crnagora gesetzt worden. Ferner ist in der Partie über die Urographie Leberschnik das Richtige, und nicht Leberstnik. Ich bin durch die russ. Karte, die übrigens auf den Blättern ihrer soeben erschienenen definitiven Ausgabe sich ebenfalls korrigiert hat, zu dem Irrtum verleitet worden. Zur Ergänzung meiner Litteraturnoti/.en sei übrigens noch bemerkt, dass die „Zeitschr. für allgem. Erdkunde" von Koner in ihrem 13. Band (1862) S. 217 ff. eine Übersicht der älteren kartograph. Arbeiten giebt, sowie eines Buches gedenkt: l'aic und Scherb, „C'ernagora, eine umfassende Schilderung des Landes und der Bewohner", Agram, 1851, 2. Aufl., dessen Erwähnung mir früher entgangen war, so dass ich das Werk leider nicht gesehen habe. Vorlag v. l'aul Krohbei'C in l.pipzi'j.