Pregledni znanstveni članek (1.02) BV 71 (2011) 4, 511—524 UDK: 272-72-1:27-1Benedikt XVI. Besedilo prejeto: 11/2011; sprejeto: 12/2011 Anton Strukelj Die Kirchlichkeit des Theologen - im Licht von Papst Benedikt XVI. Zusammenfassung: Die Bedeutung des Theologen und der Theologie für die ganze Gemeinschaft der Glaubenden ist auf dem Zweiten Vatikanum in einer neuen Weise sichtbar geworden. Um die Wurzeln der Kirchlicheit des Theologen Joseph Ratzinger zu verstehen, ist es gut, seinen Werdegang zu kennen. Joseph Ratzingers theologisches Denken wird in seinen autobiographischen Veröffentlichungen allseitig beleuchtet. Es fand aus verschiedenen Perspektiven statt, so der des Studenten, des Universitätsprofessors, des Konzilstheologen, des Bischofs und des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre. Schließlich widmet er als Nachfolger Petri und Oberhirte der Universalkirche seine kostbare Zeit ebenfalls der Theologie, was seine hervorragenden und »klassischen« Jesus-Bücher bezeugen. Am Abschluss der Abhandlung sind die Worte unseres Papstes Benedikts XVI. angeführt, die er freundlicherweise dem slowenischen Theologieprofessor Dr. Anton Strle in Ehrerbietung gewidmet hat. In seinem Geleitwort schreibt Kardinal Ratzinger: »Professor Strle habe ich 1974 kennenlernen dürfen, als wir zusammen Mitglieder der Internationalen Theologenkommission waren. Ich glaube sagen zu können, dass die Begegnung mit ihm bei allen Mitgliedern dieser Gemeinschaft von dreißig Gelehrten aus den verschiedensten Ländern der Welt einen großen Eindruck hinterlassen hat... Dieses Leben und Denken in der Gemeinschaft mit Christus gab Professor Strle jene Urteilskraft und jene Unterscheidungsfähigkeit, die aus bloßer Gelehrsamkeit nicht kommen können. Er hatte einen scharfen Blick für das Rechte und für das Abwegige, für das, was Glauben reinigt und wachsen läßt, und für das, was ihn zersetzt; er wußte - mit einem Wort - die Geister zu unterscheiden, und deshalb war sein Urteil wertvoll und gewichtig.« Schlüsselwörter: Christus, Kirche, Glaube, Gemeinschaft, Lehramt, Wesen und Auftrag der Theologie, kirchliche Berufung des Theologen, Freiheit Povzetek: Cerkvenost teologa - v luči papeža Benedikta XVI. Pomen teologa in teologije za vso skupnost verujočih se je na novo pokazal na drugem vatikanskem cerkvenem zboru. Da bi razumeli cerkvenostno zakoreninjenost teologa Josepha Ratzingerja, je dobro poznati njegovo znanstveno pot. Ratzingerjeva teološka misel je vsestransko predstavljena v avtobiografskih objavah. V teologijo se je poglabljal kot študent, kot univerzitetni profesor, kot koncilski teolog, kot škof in kot prefekt kongregacije za verski nauk. Končno kot Petrov naslednik in vrhovni pastir vesoljne Cerkve nadaljuje svoje teološko ustvarjanje; o tem pričujeta njegovi odlični »klasični« knjigi o Jezusu. Ob sklepu razprave so navedene besede, ki jih je naš papež Benedikt XVI. zapisal v svoji spremni besedi za knjigo prof. dr. Antona Strleta. S tem je pokazal na zgled cerkvenega teologa oziroma cerkvenosti teologije: »Profesorja Strleta sem smel spoznati leta 1974, ko smo se shajali člani Mednarodne teološke komisije. Mislim, da morem reči, da je srečanje z njim zapustilo velik vtis pri vseh članih te skupnosti tridesetih učenjakov iz najrazličnejših dežel sveta... To življenje in mišljenje v občestvu s Kristusom je dajalo profesorju Strletu tisto moč presoje in tisto zmožnost razločevanja, ki ne moreta prihajati iz gole učenosti. Imel je oster pogled za pravilno in za zgrešeno, za to, kar vero očiščuje in ji daje rast, in za to, kar jo ruši; znal je - z eno besedo - razločevati duhove, in zaradi tega je bila njegova sodba dragocena in pomembna.« Ključne besede: Kristus, Cerkev, vera, občestvo, cerkveno učiteljstvo, bistvo in poslanstvo teologije, cerkvena poklicanost teologa, svoboda Abstract: Ecclesiality of a Theologian - in the Light of Pope Benedict XVI The importance of theologians and theology for the whole community of the faithful became newly visible at the Second Vatican Council. In order to understand the ecclesial rootedness of the theologian Joseph Ratzinger, it is good to know his scientific career. Ratzinger's theological thought has been well presented in his autobiographical writings. He looked upon theology from the perspective of the student, the theology professor, the council theologian and the Prefect of the Congregation for the Doctrine of the Faith. Finally, as Peter's successor and the leader of the universal Church he continues his theological work, which is shown by his excellent and classic Jesus books. The treatise ends with the words written by our Pope Benedict XVI in his preface to the book of the Slovenian theology professor Anton Strle. He pointed to the example of an ecclesial theologian: »I got acquainted with Professor Strle in 1974 when we were together members of the International Theological Commission. I believe I can say that all members of this community of thirty scholars from all over the world were greatly impressed when they met him... Living and thinking in community with Jesus Christ gave Professor Strle the power of judgement and discernment that cannot result just from learning. He had a good eye for what is right and what is erroneous, for what cleanses the faith and what subverts it; he could - to put it in a nutshell - discern the spirits, therefore his judgement was valuable and weighty.« Key words: Christ, Church, faith, community, magisterium, essence and task of theology, ecclesial vocation of the theologian, freedom Unser Heiliger Vater Benedikt XVI. feiert dieses Jahr sein Diamantenes Prister-jubiläum. Als Neupriester, am 29. Juni 1951, ließ er auf sein Primizbild drucken: »Nicht Herren eueres Glaubens sind wir, sondern Diener eurer Freude.« (2 Kor 1,24) Diener eurer Freude - so heißt auch sein Buch mit den Meditationen über die priesterliche Spiritualität (Ratzinger 2010a; Štrukelj 2009). Wenn wir uns mit der Thematik »Spiritualität der Theologie« beschäftigen, dürfte unser begnadeter Meister und zuverlässiger Wegbegleiter Papst Benedikt XVI. sein - wohl der größte lebende Theologe und der künftige Kirchenlehrer. Er selber ist ein Theologe, der nun seit 65 Jahren sein Theologiestudium und seine wissenschaftlichen Untersuchungen in den Dienst der Kirche stellt, beseelt von der Überzeugung, dass Theologie von unbeirrbarer Kirchlichkeit geprägt sein muss. Theologie muss, seiner Ansicht nach, eng mit der Spiritualität verbunden sein, um echte Tiefe und Wirksamkeit zu haben. Die Spiritualität verringert nicht den wissenschaftlichen Charakter und Inhalt, sondern verleiht den theologischen Studien jene Methode, die zu richtigem Verstehen und Interpretieren führt. Papst Benedikt XVI. begründete selbst die Ausrufung eines Priesterjahres bei dessen Eröffnung 2009. Er formulierte in seiner eigenen, unnachahmlichen Art das Ziel, zu dem auch meine Überlegungen heute morgen hinführen möchten: »Um Diener im Dienst des Evangeliums zu sein, ist das Studium, verbunden mit einer sorgfältigen und ständigen theologischen und pastoralen Bildung, gewiß nützlich und notwendig. Noch notwendiger aber ist jene 'Wissenschaft der Liebe', die man nur im 'Herz-an-Herz-Sein' mit Christus erlernt. Er nämlich ist es, der uns ruft, das Brot seiner Liebe zu brechen, die Sünden nachzulassen und die Herde in seinem Namen zu führen. Gerade deshalb dürfen wir uns nie von der Quelle der Liebe entfernen: von seinem am Kreuz durchbohrten Herzen.« Zum Abschluß des Priesterjahres, am 11. Juni 2010, waren etwa 15.000 Priester aus der ganzen Welt auf dem Petersplatz versammelt. Der Papst hat seine wunderbare Homilie mit den folgenen Worten abgeschlossen, die nun auch am Gedächtnisbild zu seinem 60-jährigen Priesterjubiläums stehen: »Herr Jesus Christus, wir danken dir, dass du uns dein Herz geöffnet hast. Durch deinen Tod und deine Auferstehung bist du zur Quelle des Lebens geworden. Hilf uns, lebendige Menschen zu sein, die aus dieser Quelle schöpfen. Schenke uns die Gnade, dass auch wir selbst zur Quelle werden, um unserer Zeit Wasser des Lebens zu geben. Wir danken dir für die Gnade des priesterlichen Dienstes. Herr, segne uns und alle Menschen in unserer Zeit, die auf der Suche nach Dir sind.« 1. Joseph Ratzinger - Kirchliche Existenz und existenzielle Theologie Der neue Abt vom Zisterzienserkloster Heiligenkreuz bei Wien, P. Maximilian Heinrich Heim, zeigt in seiner kenntnisreichen Dissertation Joseph Ratzinger - Kirchliche Existenz und existenzielle Theologie (2005) das ekklesiologische Den- ken und Wirken des Heiligen Vaters Benedikt XVI., der das gelungene Werk mit seinem Geleitwort gewürdigt hat. Um die Wurzel der Kirchlicheit des Theologen Joseph Ratzinger zu verstehen, ist es gut seinen Werdegang zu kennen. Joseph Ratzingers theologisches Denken wird durch die autobiographischen Veröffentlichungen in ein aufhellendes Licht gesetzt. (Ratzinger 1996; 1998; 2000; 2010) Seine Reflexionen werden aus den verschiedenen Perspektiven vorgenommen wie der des Universitätsprofessors, des Konzilstheologen, des Bischofs und des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre. Schließlich als Nachfolger Petri und Oberhirte der Universalkirche widmet er seine kostbare Zeit ebenfalls der Theologie, was seine hervorragenden und »klassischen« Jesus-Bücher bezeugen. (Ratzinger 2007; 2011) Es ist charakteristisch, dass der Theologe Joseph Ratzinger nicht nur von der Identifikation mit der Kirche (Ratzinger 2010c) spricht, sondern sehr stark auch die Kirchlichkeit betont, die in der gelebten Liebe zur Kirche und im Fühlen mit der Kirche (sentire cum Eccleisa) zum Ausdruck kommt. Wir sollen »die Kirche lieben«. (Balthasar 1974, 162-200; Schönborn 1997) Als Christ soll man vom privaten Ich zum ekklesialen Ich hinübergehen: »Trinitarischer Glaube ist communio, trinitarisch glauben heißt: communio werden. Historisch besagt dies, dass das Ich der Credo-Formeln ein kollektives Ich ist, das Ich der glaubenden Kirche, dem das einzelne Ich zugehört, soweit es glaubend ist. Das Ich des Credo schließt den Übergang vom privaten Ich zum ekklesialen Ich ein. In der Subjektform ist demgemäß das Ich der Kirche vom Credo strukturell vorausgesetzt: Nur in der communio der Kirche spricht sich dieses Ich aus; die Einheit des bekennenden Subjekts ist die notwendige Entsprechung und Folge des bekannten 'Objekts', des glaubend bekannten Gegenüber, das darin aufhört, bloßes Gegenüber zu sein«. (Ratzinger 1973, 23) Dementsprechend glaubt der Einzelne nicht aus seinem Eigenen heraus, sondern, wie Joseph Ratzinger betont, immer »mitglaubend mit der ganzen Kirche« (36). »Glauben ist seinem Wesen nach immer Mitglauben mit der ganzen Kirche. Das 'Ich glaube' des Bekenntnisses verweist nicht auf irgendein privates Ich, sondern auf das gemeinsame Ich der Kirche. Glaube wird möglich im Maß meines Einswerdens mit diesem gemeinsamen Ich, das mein eigenes Ich nicht aufhebt, sondern ausweitet und so erst ganz zu sich selber bringt«. (Ratzinger 1993, 82) Im Interviewbuch Salz der Erde sagt er: »Das Mitglauben mit der Kirche und das Wissen, dass ich mich diesem Wissen anvertrauen darf und dass die übrigen Erkenntnisse von ihm her Licht empfangen und umgekehrt ihn [den Glauben] vertiefen können, das hält doch zusammen. Vor allen Dingen ist es so, dass der grundlegende Akt des Glaubens an Christus und der Versuch, von daher das Leben zur Einheit zu bringen, die Spannungen vereint, so dass sie nicht zum Riss, zum Bruch werden«. (Ratzinger 1996, 36) Auf die Frage von Peter Seewald: »Was würden Sie selbst als das Spezifische an Ihrer Theologie sehen oder an der Art, wie Sie Theologie betreiben?« - antwortet Kardinal Ratzinger: »Ich bin vom Thema Kirche ausgegangen, und es ist in allem präsent. Nur war mir dabei wichtig und ist mir immer wichtiger geworden, dass die Kirche kein Selbstzweck ist, sondern dass sie da ist, damit Gott gesehen wird. Insofern würde ich sagen, ich betreibe das Thema Kirche in dem Sinn, dass der Ausblick auf Gott entsteht. Und in diesem Sinne ist Gott die eigentliche Zentralthematik meines Bemühens. Ich habe nie versucht, ein eigenes System, eine Sondertheologie zu schaffen. Spezifisch ist, wenn man es so nennen will, dass ich einfach mit dem Glauben der Kirche mitdenken will, und das heißt vor allem mitdenken mit den großen Denkern des Glaubens. Das ist keine isolierte, aus mir selbst herausgezogene Theologie, sondern eine, die möglichst breit sich öffnet in den gemeinsamen Denkweg des Glaubens hinein. Deshalb war für mich die Exegese immer sehr wichtig. Ich könnte mir keine rein philosophische Theologie denken. Der Ausgangspunkt ist zunächst einmal das Wort. Dass wir das Wort Gottes glauben, dass wir versuchen, es wirklich kennenzulernen und zu verstehen und dann eben mitdenken mit den großen Meistern des Glaubens. Von daher hat meine Theologie eine etwas biblische Prägung und eine Prägung von den Vätern, besonders von Augustinus. Aber ich versuche natürlich, nicht Halt zu machen in der alten Kirche, sondern die großen Höhepunkte des Denkens festzuhalten und zugleich das zeitgenössische Denken mit ins Gespräch hereinzuziehen«. (69f.) Das Thema »Kirche« kann man gewissermassen als Herzstück seiner Theologie bezeichnen, obwohl natürlich auch alle anderen theologischen »Traktate« und Fächer auf eine selbstständige, tiefgreifende und meisterhafte Art und Weise behandelt werden. Ein Blick auf das Gesamtverzeichnis seiner Veröffentlichungen bis zur Papstwahl bestätigt es ausreichend: Das Werk (2009) - Bibliographisches Hilfsmittel zur Erschließung des literatisch-theologischen Werkes von Joseph Ratzinger bis zur Papstwahl bringt auf 445 Seiten die Angaben seiner Schriften mit den Übersetzungen in 28 (30) Sprachen. (Ratzinger 2009) Die gesamte Fülle seiner allumfassenden wissenschaftlichen und pastoralen Lehrtätigkeit veranschaulicht uns die Herausgabe Joseph Ratzinger - Gesammelte Schriften (JRGS) in 16 Bänden.1 Der jetzige Papst hatte seine »eigentliche Berufung eigentlich darin gesehen ... Professor zu sein«; sein Werdegang vom Lehrstuhl über die Seelsorge nach Rom schärfte bei ihm das Gespür für »die innere Einheit von theologischer Forschung, theologischer Lehre und Arbeit und Hirtendienst in der Kirche.« Gern zerrt er deswegen die Theologen aus dem Elfenbeinturm hinaus in das größere Ganze der Kirche hinein: Sie sollen ihre Arbeit mit Gebet begleiten, »Modeerscheinungen« meiden und nicht vor lauter Betonung ihrer Wissenschaftlichkeit dazu beitragen, dass »vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück übrigbleibt«. »Wenn dies allein die ganze Wissenschaft ist, dann wird der Mensch selbst dabei verkürzt«. Aus den »Verknotungen ... unserer europäischen Wirklichkeiten« sind die Fragen und Antworten der Theologie weiterhin nicht wegzudenken; über die »strenge Wissenschaftlichkeit« hinaus kann sie vor allem immer wieder die sie Von den geplanten 16 Bänden sind 5 Bände schon erschienen im Herder Verlag, Freiburg i. Br. »durchbrechende, größere Frage nach der Wahrheit« stellen. Mit diesem »Mut des Fragens« (und der »Demut, auf die Antworten zu hören, die uns der christliche Glaube gibt«) ist Theologie nicht nur ein wichtiger Bestandteil von dem, was die Universität ausmacht, sondern kann den Menschen »helfen, zu leben«. Subjekt der Theologie sollte darum aber nicht der Theologe sein, sondern Gott, und die Theologen sollten auf eigene Wortmacherei verzichten, damit stattdessen »das Sprechen Gottes« zu hören ist. Zu einem »Mund der Wahrheit« sollen sie werden, »damit nicht wir es sind, die in diesem Wortschwall der heutigen Zeit sprechen«. In Wirklichkeit gehört Theologie »nicht nur als historische und humanwissenschaftliche Disziplin, sondern als eigentliche Theologie, als Frage nach der Vernunft des Glaubens an die Universität und in ihren weiten Dialog der Wissenschaften hinein«. Die Theologie will und soll etwas anderes sein als Religionswissenschaft. Sie ist mehr »als ein methodisch geordnetes Nachdenken über die Fragen der Religion«, weil »sie von einer Antwort ausgeht, die wir nicht selbst erfunden haben«. Aufgabe der Theologie ist es, das Wort, das Gott uns geschenkt hat, zu verstehen, und darum kann auch der einfachste Gläubige, selbst wenn er das wollte, nicht ganz ohne Theologie auskommen. Der Papst bekennt, ihm sei »dieses Voraussein von Gottes Wort, dem wir denkend nachgehen«, in über fünfzig Jahren Theologenleben »immer mehr zu ganz persönlicher Erfahrung geworden«. Als er mit dem Studium begonnen habe, glaubten viele Theologen - vor allem Exegeten -, eigentlich sei jetzt alles fertig erforscht. Mittlerweile aber, so Joseph Ratzinger, finde sich die Theologie wieder auf einer weiten »Wanderschaft voller Geheimnisse und Verheißungen«, und sie entdecke, dass das »Land des Glaubens unermesslich« ist. Allerdings, so warnt der Papst, muss das theologische Suchen die Autorität der Vorgaben, u. a. des Lehramtes, respektieren. Und die »Unruhe des Denkens« kann durchaus auch »vom Glauben wegführen - wir sehen es«. Theologische Arbeit hat für ihn »nur innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft ... einen Sinn«; sie verlangt nicht nur »wissenschaftliche Kompetenz, sondern auch und in nicht geringerem Maße den Geist des Glaubens und die Demut dessen, der weiß, dass der lebendige und wahre Gott ... alle menschlichen Fähigkeiten unendlich übersteigt.« (Kempis 2007, 232-234 [s.v. Theologie]; Ratzinger 2002) 2. Wesen und Gestalt der Theologie Was ist Theologie? Theologie ist ein spezifisch christliches Phänomen... Näherhin ergibt sich Theologie notwendig aus der Verschmelzung von biblischem Glauben und griechischer Rationalität .. Wenn das Johannes-Evangelium Christus als den Logos bezeichnet, so kommt diese Verschmelzung sehr deutlich zum Vorschein... »Theologie beruht auf der Voraussetzung, dass das Geglaubte, nämlich der eigene Grund, vernünftig ist, ja, die Vernunft selbst. Daher gehört es zum Glauben, dass er seinen Grund und seinen Gehalt zu verstehn sucht, und ge- nau dieses Unternehmen nennen wir Theologie; genauerhin sprechen wir von Theologie, wenn dieses Unterfangen in geordneter Form und unter gemeinschaftlich anerkannen, begründeten Regeln geschieht, die wir als Methode bezeichnen.« (Ratzinger 1987; siehe eine gelungene Darstellung Kurt Koch 2010) Glaube und Vernunft gehören zusammen. Glaube ist nicht richtig, wenn er nicht zu einer wenigstens rudimentären vernünftigen Einsicht führt, aber auch die Vernunft entzieht sich den Boden, wenn sie den Glauben auflöst. Im Vorwort zu seinem Buch Wesen und Auftrag der Theologie schreibt Kardinal Ratzinger: »Theologie und Theologen sind zu einem öffentlichen und zugleich zu einem kontroversen Thema in der Kirche, ja in der westlichen Gesellschaft geworden ... In dieser Situation ist das Gespräch über die Theologie, die Klärung ihrer Wege, ihres Auftrags wie ihrer Grenzen dringlich geworden.« Seine Überlegungen »können hilfreich sein, um die theologischen Arbeit in den Bedingungen unserer Zeit besser zu verstehen und um sie in ihrer wesentlichen Aufgabe zu unterstützen, der Erkenntnis der Wahrheit der Offenbarung und von ihr her der Einheit in der Kirche zu dienen« (Ratzinger 1993, 7-8). Im Abschnitt vom Vom geistlichen Grund und vom kirchlichen Ort der Theologie schreibt der Autor: »Wenn Kirche und kirchliche Autorität für Theologie ein wissenschaftsfremder Faktor ist, dann sind Theologie und Kirche gleichermaßen gefährdet. Denn eine Kirche ohne Theologie verarmt und erblindet; eine Theologie ohne Kirche aber löst sich ins Beliebige auf. Deswegen muß die Frage nach dem inneren Zusammenhang beider von Grund auf neu bedacht und zur Evidenz geführt werden; nicht um Interessensphären abzugrenzen; nicht um Macht zu erhalten oder zu beseitigen, sondern um der Redlichkeit der Theologie und schließlich um der Redlichkeit unseres Glaubens selber willen.« (41f.) Joseph Ratzinger will zuerst das eigentlich Grundlegende klären: den inneren Zusammenhang, der Kirche und Theologie miteinander verbindet. Es gibt viele Wege, diesen Zusammenhang darzustellen. Kardinal Ratzinger nennt folgende Theologen, die dies getan haben: Romano Guardini, Erik Peterson, Karl Barth, Heinrich Schlier. Am Denken dieser vier großen Gestalten wäre es reizvoll, das Thema Kirchlichkeit der Theologie zu beleuchten und zu bedenken. (42f)2 Um das Entscheidende an der Frage der Kirchlichkeit des Theologen richtig zu verstehen, behandelt Kardinal Ratzinger »das neue Subjekt als Voraussetzung und Grund aller Theologie«. Dabei meint er das Wort des Galater-Briefes, in dem Paulus das unterscheidend Christliche zugleich als umstürzende persönliche Erfahrung und als objektive Realität beschreibt: »Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir.« (Gal 2,20) »Dieses innere Ereignis in der geistlichen Autobiographie des Apostels ist zugleich ganz persönlich und ganz objektiv. Es ist eigenste Erfahrung, und es sagt doch aus, was das Wesen des Christentums für einen jeden ist ... Bekehrung in paulinischem Sinn ist etwas sehr viel Radikaleres als etwa Revision einiger Meinungen und Einstellungen. Sie ist ein Todesvorgang. Anders Aus dem französischen Sprachraum müsste mit gleichem Gewicht auch Louis Bouyer hinzugefügt werden (Bouyer 1980). ausgedrückt: Sie ist ein Subjektwechsel. Das Ich hört auf, autonomes, in sich selbst stehendes Subjekt zu sein. Das Ich geht nicht einfach unter, aber es muß sich in der Tat einmal ganz fallen lassen, um sich dann in einem größeren Ich und zusammen mit diesem neu zu empfangen.« (Ratzinger 1993, 44) Der Subjektwechsel schließt ein Passivum ein, das Paulus mit Recht als Tod, als Beteiligung am Kreuzesgeschehen bezeichnet. Es geht um einen sakramentalen, d.h. einen ekklesialen Vorgang. Das Passiv des Christwerdens verlangt das Aktiv der handelnden Kirche. Nur von hier aus kann man das paulinische Wort von der Kirche als dem »Leib Christi« angemessen verstehen. Es ist mit dem Christus-Anziehen bzw. Mit-Christus-überkleidet-Werden identisch, wobei das neue Kleid, das die Christen zugleich verhüllt und freimacht, die neue Leiblichkeit, der Leib des auferstandenen Christus ist. Was bedeutet das für unser Thema? »Zur Theologie gehört Glauben, und zur Theologie gehört Denken. Das bedeutet: Theologie setzt einen neuen Anfang im Denken voraus, der nicht Produkt unserer eigenen Reflexion ist, sondern aus der Begegnung mit einem Wort kommt, das uns immer vorangeht. Diesen neuen Anfang anzunehmen, nennen wir 'Bekehrung'. Weil es Theologie ohne Glaube nicht gibt, gibt es sie nicht ohne Bekehrung. Bekehrung kann viele Formen haben. Sie muß nicht immer in einem punktuellen Ereignis geschehen wie bei Augustinus oder bei Pascal, bei Newman oder bei Guardini. Aber in irgendeiner Form muß dieses Ja zu diesem neuen Anfang bewußt übernommen, muß die Wende vom Ich zum Nicht-mehr-Ich vollzogen sein. Es leuchtet von daher wohl ohne weiteres ein, dass die Chance zu schöpferischer Theologie um so größer ist, je mehr Glaube wirklich zur Erfahrung wurde; je mehr Bekehrung in einem schmerzhaften Prozeß der Verwandlung innere Evidenz erhielt; je mehr sie als der unerläßliche Weg erkannt wurde, in die Wahrheit des eigenen Seins vorzudringen. Deswegen kann sich an den Bekehrten immer wieder der Weg zum Glauben orientieren. Deswegen helfen sie uns am meisten darin, die Vernunft der Hoffnung zu erkennen und zu bezeugen, die in uns ist (1 Petr 3,15). Der Zusammenhang von Theologie und Heiligkeit ist daher nicht irgendein sentimentales oder pietistisches Gerede, sondern folgt aus der Logik der Sache und bestätigt sich die ganze Geschichte hindurch. Athanasius ist nicht denkbar ohne die neue Christuserfahrung des Mönchsvaters Antonius; Augustinus nicht ohne die Passion seines Weges zur christlichen Radikalität; Bonaventura und die franziskanische Theologie des 13. Jahrhunderts nicht ohne die ungeheuere neue Vergegenwärtigung Christi in der Gestalt des heiligen Franz von Assisi; Thomas von Aquin nicht ohne den Durchbruch zum Evangelium und zur Evangelisation bei Dominikus, und so könnte man fortfahren, die ganze Geschichte der Theologie hindurch. Die bloße Rationalität reicht nicht aus, um große christliche Theologie hervorzubringen. (Ratzinger 1993, 49f.) Kardinal Joseph Ratzinger, unser Heiliger Vater Benedikt XVI. würdigte den charismatischen Impuls der christlichen Prophetie, indem er wegweisend sagte: »Hans Urs von Balthasar ist undenkbar ohne Adrienne von Speyr. Ich glaube, man könnte bei allen wirklich großen theologischen Gestalten zeigen, dass neue theologische Aufbrüche nur dann ermöglicht werden, wenn zuerst ein prophetischer Durchbruch da ist. Solange man nur rational weiterarbeitet, kommt nichts wesentlich Neues. Es wird vielleicht immer genauer systematisiert, es werden immer subtilere Fragen erfunden, aber die eigentlichen Durchbrüche, in denen dann wieder große Theologie neu entsteht, kommen nicht einfach aus dem rationalen Geschäft der Theologie, sondern aus einem charismatischen, prophetischen Anstoß heraus. Insofern - glaube ich - gehören Prophetie und Theologie eng zusammen. Die Theologie als wissenschaftliche Theologie im strengen Sinn ist nicht prophetisch, aber sie wird nur wirklich lebendige Theologie, wenn sie von einem prophetischen Impuls angeschoben und erleuchtet ist.« (Ratzinger 1999, 183) 3. Die kirchliche Berufung des Theologen Am 24. Mai 1990 veröffentlichte die Kongregation für die Glaubenslehre die Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen. Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, hat seinerzeit vor der Presse Aufbau und Absicht des Dokumentes erklärt. In seiner Präsentation stellte er fest: »Die Bedeutung des Theologen und der Theologie für die ganze Gemeinschaft der Glaubenden ist auf dem Zweiten Vatikanum in einer neuen Weise sichtbar geworden. Vorher hatte man Theologie als eine Beschäftigung eines kleinen Kreises von Klerikern angesehen, als eine elitäre und abstrakte Angelegenheit, die für die kirchliche Öffentlichkeit kaum Interesse beanspruchen konnte. Die neue Weise, den Glauben zu sehen und zu sagen, die sich auf dem Konzil durchsetzte, war Frucht des vorher kaum beachteten Dramas einer theologischen Neubesinnung ... Liturgische Bewegung, Biblische und Ökumenische Bewegung, schließlich starke Marianische Bewegung gestalteten ein neues geistiges Klima, in dem auch eine neue Theologie aufwuchs, die im Zweiten Vatikanum für die ganze Kirche fruchtbar wurde«. (Ratzinger 1993, 89f.) Nach dem Konzil ging die Dynamik der Entwicklung weiter: die Theologen fühlten sich mehr und mehr als die eigentlichen Lehrer der Kirche; überdies waren sie von den Massenmedien entdeckt und für sie interessant geworden. Das Lehramt des Heiligen Stuhls erschien nun zusehends als ein letzter Rest eines verfehlten Autoritarismus ... »So ist eine Neubesinnung auf die Stellung der Theologie und des Theologen wie auf deren Verhältnis zum Lehramt notwendig geworden, die beides aus ihrer inneren Logik zu verstehen versucht und damit nicht nur dem Frieden in der Kirche dient, sondern vor allem auch einer rechten Weise der Verbindung von Glaube und Vernunft. Dieser Aufgabe versucht die Instruktion zu dienen«. (90) »Die Instruktion stellt das Thema Theologie in den großen Horizont der Frage von Wahrheitsfähigkeit und von wahrer Freiheit des Menschen: Der christliche Glaube ist nicht eine Freizeitbeschäftigung und die Kirche nicht ein Club, neben dem andere ähnliche oder auch unähnliche stehen. Der Glaube antwortet vielmehr auf die Urfrage des Menschen nach seinem Woher und nach seinem Wohin. Er bezieht sich auf jene Grundprobleme, die Kant als Kernpunkt der Philosophie bezeichnet hat: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Mit anderen Worten: der Glaube hat es mit Wahrheit zu tun, und nur wenn der Mensch wahrheitsfähig ist, kann man auch sagen, er sei zur Freiheit berufen. Im Alphabet des Glaubens steht an erster Stelle die Aussage: Im Anfang war der Logos. Der Glaube zeigt uns, dass die ewige Vernunft der Grund aller Dinge ist bzw. dass die Dinge vom Grund her vernünftig sind. Der Glaube will dem Menschen nicht irgendeine Art von Psychotherapie anbieten, seine Psychotherapie ist die Wahrheit. Deswegen ist er universal und seinem Wesen nach missionarisch. Deshalb auch ist der Glaube von innen her, wie die Väter sagen, quaerens intel-lectum, auf der Suche nach Verstehen. Das Verstehen, also die rationale Beschäftigung mit dem vorgegebenen Wort, gehört zum christlichen Glauben konstitutiv. Er bringt notwendigerweise Theologie hervor; das unterscheidet übrigens den christlichen Glauben auch rein religionsgeschichtlich von allen übrigen Religionen. Theologie ist ein spezifisch christliches Phänomen, das aus der Struktur dieses Glaubens folgt«. (90f.) Die Instruktion behandelt die Aufgabe des Theologen in diesem weiten Rahmen und macht damit die Größe der Sendung des Theologen sichtbar. »An der Gliederung wird auffallen, dass am Anfang nicht das Lehramt steht, sondern die Darstellung der Wahrheit als einer Gabe Gottes an sein Volk: Die Wahrheit des Glaubens ist nicht dem isolierten einzelnen gegeben, sondern Gott hat mit ihr Geschichte und Gemeinschaft bauen wollen. Sie hat ihren Ort in dem gemeinschaftlichen Subjekt des Volkes Gottes, der Kirche. Dann wird die Berufung des Theologen dargestellt. Erst darauf folgt das Lehramt und beider Beziehung zueinander. Das bedeutet zweierlei: a) Die Theologie ist nicht einfach und ausschließlich eine Hilfsfunktion des Lehramtes ... Theologie hat ihren eigenen Ursprung; das Dokument nennt im Anschluß an den heiligen Bonaventura zwei Wurzeln der Theologie in der Kirche: zum einen die Dynamik auf Wahrheit und Verstehen hin, die im Glauben ist; zum anderen auch die Dynamik der Liebe, die den näher kennen will, den sie liebt. Dem entsprechen zwei Richtungen der Theologie, die sich aber gegenseitig durchdringen: eine mehr nach außen hin gehende, die sich um den Dialog mit allem vernünftigen Suchen nach Wahrheit in der Welt müht; eine mehr nach innen gehende Richtung, die die innere Logik und Tiefe des Glaubens ergründen will. b) Das Dokument behandelt die Frage der kirchlichen Sendung des Theologen nicht in dem Dualismus Lehramt - Theologie, sondern in dem Dreiecksverhältnis: Volk Gottes als Träger des Glaubenssinnes und als gemeinsamer Ort allen Glaubens, Lehramt und Theologie. Die Dogmenentwicklung der letzten 150 Jahre verweist ganz deutlich auf diesen Zusammenhang: Die Dogmen von 1854, 1870, 1950 wurden möglich, weil der Glaubenssinn sie gefunden hatte, Lehramt und Theologie waren von ihm geführt und haben ihn langsam einzuholen versucht. Damit ist dann auch die wesentliche Kirchlichkeit der Theologie schon ausgesagt. Theologie ist nie einfach die Privatidee eines Theologen. Als solche könnte sie wenig zählen; sie sinkt dann schnell ins Bedeutungslose ab. Die Kirche als lebendiges und in den Wandlungen der Geschichte beständiges Subjekt ist vielmehr der Lebensraum des Theologen; in ihr sind die Erfahrungen des Glaubens mit Gott verwahrt. Theologie kann nur dann geschichtlich bedeutsam bleiben, wenn sie diesen ihren Lebensraum anerkennt, sich in ihn einsenkt und von innen her an ihm Anteil gewinnt. Deswegen ist die Kirche für den Theologen nicht eine dem Denken äußerliche und fremde Organisation. Sie ist als gemeinsames, die Enge der einzelnen überschreitendes Subjekt die Bedingung der Möglichkeit, dass Theologie überhaupt wirksam werden kann. So versteht man, dass für den Theologen zweierlei wesentlich ist: zum einen die methodische Strenge, die zum Geschäft der Wissenschaft gehört; das Dokument verweist dabei auf Philosophie, historische Wissenschaften und Humanwissenschaften als privilegierte Partner des Theologen. Zum anderen braucht sie aber auch das innere Teilnehmen am Lebensge-füge der Kirche; den Glauben, der Gebet, Betrachtung, Leben ist. Erst in diesem Zusammenspiel wird Theologie.« (92f.) »Von da aus ergibt sich auch ein organisches Verständnis des Lehramtes. Zur Theologie gehört Kirche, sagten wir. Kirche ist aber nur dann mehr als eine äußere Organisation der Glaubenden, wenn sie eine eigene Stimme hat. Der Glaube geht der Theologie voraus; sie ist Suche nach dem Verstehen des nicht von uns erdachten Wortes, das unser Denken herausfordert, aber nie in ihm versinkt. Dieses dem theologischen Forschen vorausgehende Wort ist Maß der Theologie und braucht sein eigenes Organ - das Lehramt, das Christus den Aposteln und durch sie ihren Nachfolgern übergeben hat.« (93; Müller 2002) Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation zeigt in seiner Präsentation, wie das Dokument das Verhältnis von Lehramt und Theologie entfaltet. Unter dem Titel Die gegenseitige Zusammenarbeit stellt es die eigene Aufgabe beider und die rechten Formen ihres Miteinander dar. Die Überordnung des Glaubens, die dem Lehramt Autorität und ein letztes Entscheidungsrecht gibt, löscht die Eigenständigkeit theologischen Forschens nicht aus, sondern gibt ihr erst ihren festen Grund. Das Dokument verschweigt nicht, dass es auch im günstigsten Fall Spannungen geben kann, die aber fruchtbar sind, wenn sie von beiden Seiten in der Anerkennung der inneren Zuordnung ihrer Funktionen bestanden werden. Der Text sagt - wohl erstmalig in dieser Offenheit -, dass es Entscheidungen des Lehramtes gibt, die nicht ein letztes Wort in der Sache als solcher sein können, sondern zunächst auch ein Signal pastoraler Klugheit. Ihr Kern bleibt gültig, aber die von den Umständen geprägten Einzelheiten können korrekturbedürftig sein. Im zweiten Teil des letzten Kapitels wird gegenüber diesen gesunden Formen von Spannung auch eine Fehlform unter dem Titel Dissens behandelt. Wo die Theologie ein »Gegenlehramt« aufbaut, das den Gläubigen alternative Handlungsweisen anbietet, verfehlt sie ihr Wesen. Mit dem Abrücken vom Lehramt verliert sie den Boden unter den Füßen, der sie trägt. Abschließend sagt Kardinal Ratzinger: »Die Instruktion wurde veröffentlicht in der Hoffnung, dass die Unterscheidung zwischen sinnvollen Weisen der Spannung und einer verkehrten und unannehmbaren Form der Entgegensetzung von The- ologie und Lehramt hilfreich sein kann, um das Klima in der Kirche wieder zu entkrampfen. Die Kirche braucht eine gesunde Theologie. Die Theologie braucht die lebendige Stimme des Lehramtes. Die Instruktion soll zu einem erneuerten Dialog zwischen Lehramt und Theologie beitragen.« (Ratzinger 1993, 94f.) An einer anderen Stelle schildert der Kardinalpräfekt hervorragend das Lehramt und zeigt dabei die innere Haltung der kirchlichen Autorität. »Der Auftrag des Lehramtes ist es, sich nicht dem Denken entgegenzusetzen, sondern die Autorität der Antwort, die uns geschenkt ist, zur Sprache zu bringen und so der hereintretenden Wahrheit selbst Raum zu schaffen. In solchem Auftrag zu stehen, ist aufregend und gefährlich. Es verlangt die Demut der Unterwerfung, des Hörens und des Gehorchens. Es geht darum, nicht das Eigene zur Geltung zu bringen, sondern den Raum für das Sprechen des Anderen offen zu halten, ohne dessen gegenwärtiges Wort alles Übrige ins Leere fällt. Das recht verstandene Lehramt muß ein demütiger Dienst dafür sein, dass wahre Theologie möglich bleibt und dass also so die Antworten vernehmlich werden, ohne die wir nicht recht leben können.« (Ratzinger 2002, 33) 4. Weiterführende Perspektiven Aus der behandelten Thematik werden, so hoffe ich, zwei grundsätzliche Gedanken ersichtlich. Zum einen die Überzeugung des Papstes, dass wir der Kirche Christi dienen, und zum zweiten, dass wir die Mitarbeiter der Wahrheit sind. Zum Abschluss möchte ich die Worte von unserem Papst Benedikt XVI. anführen, die er freundlicherweise dem slowenischen Theologieprofessor Dr. Anton Strle in Ehrerbietung gewidmet hat. In einem Geleitwort zu dessen Buch Gloria Dei - vivens homo. Theologische Anthropologie schreibt Joseph Kardinal Ratzinger (Rom, am Fest des hl. Apostels Jakobus 1991): »Professor Strle habe ich 1974 kennenlernen dürfen, als wir zusammen Mitglieder der Internationalen Theologenkommission waren. Ich glaube sagen zu können, dass die Begegnung mit ihm bei allen Mitgliedern dieser Gemeinschaft von dreißig Gelehrten aus den verschiedensten Ländern der Welt einen großen Eindruck hinterlassen hat. Professor Strle ist zwar immer bescheiden im Hintergrund geblieben; er wollte gern ein Lernender sein und selber nur sprechen, wenn er etwas wirklich Eigenes, von anderen nicht Gesehenes zu sagen hatte. Aber gerade diese Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen und einzig der besseren Erkenntnis der Wahrheit unseres Glaubens den Vortritt zu geben, hat auf ihn aufmerksam werden lassen. Von seiner demütigen und gütigen Persönlichkeit ging ein großes inneres Licht aus; man spürte einfach, dass dieser hagere Mann ganz von der Berührung mit Gott geprägt war. Wenn man ihm auch eine tief asketische Lebensführung ansehen konnte, so sprach doch diese Askese vom Positiven: von einer inneren Nähe zum Herrn, die alles andere zweitrangig werden ließ. Dieses Leben und Denken in der Gemeinschaft mit Christus gab Professor Strle jene Urteilskraft und jene Unterscheidungsfähigkeit, die aus bloßer Gelehrsamkeit nicht kommen können. Er hatte einen scharfen Blick für das Rechte und für das Abwegige, für das, was Glauben reinigt und wachsen läßt und für das, was ihn zersetzt; er wußte - mit einem Wort - die Geister zu unterscheiden, und deshalb war sein Urteil wertvoll und gewichtig. Ich freue mich darum, dass hier ein Band mit seinen anthropologischen Aufsätzen veröffentlicht wird, durch den sein Beitrag zum Ringen um das rechte Bild des Menschen größere Verbreitung und Wirksamkeit erlangen kann. Der Weg der Kirche ist der Mensch, hat unser Heiliger Vater gesagt; er hat aber auch hinzugefügt, dass der Weg des Menschen Christus ist. Wie der Mensch seinen Weg finde, ist in den Wirren unserer Zeit unsere gemeinsame Frage. Sie ist eigentlich gleichbedeutend mit der Frage, wie der Mensch heute Christus neu begegnen könne. Zu solcher integraler Anthropologie leistet Professor Strle in diesem Buch einen wichtigen Beitrag, dem ich viele Leser wünsche.« Referenzen Balthasar, Hans Urs von. 1974. Skizzen zur Theologie. Bd. 4, Pneuma und Institution. Einsiedeln: Johannes Verlag. Bouyer, Louis. 1980. Das Handwerk des Theologen. Einsiedeln: Johannes Verlag. Heim, Maximilian Heinrich. 2005. Joseph Ratzinger - Kirchiche Existenz und existentielle Theologie. Ekklesiologische Grundlagen unter dem Anspruch von Lumen gentium. 2., korrigierte und ergänzte Auflage. Mit einem Geleitwort von Joseph Kardinal Ratzinger. Frankfurt: Peter Lang. Kempis, Stefan von. 2007. Benedikt XVI. - das Lexikon. Von Ablass bis Zölibat. Leipzig: Edition Radio Vatikan und Benno Verlag. Koch, Kurt. 2010. Das Geheimnis des Senfkorns. Grundzüge des theologischen Denkens von Papst Benedikt XVI. Ratzinger-Studien Bd. 3. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet. Kongregation für die Glaubenslehre. 1990. Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen (24. Mai 1990). Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 98. Bonn: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Müller, Gerhard Ludwig. 2002. Mit der Kirche denken. Bausteine und Skizzen zu einer Ekkle-siologie der Gegenwart. 2. Ausgabe. Würzburg: Verlag Naumann. Ratzinger, Joseph [Benedikt XVI.]. 1973. Einheit des Glaubens und der theologische Pluralismus. In: Internationale Theologenkommission, 17-51. Einsiedeln: Johannes Verlag. ---. 1987. Kirche, Ökumene und Politik. Neue Versuche zur Ekklesiologie. Einsiedeln: Johannes Verlag (aufgenommen in: Gesammelte Schriften. Bde. 8/1 und 8/2. Freiburg: Herder, 2010). ---. 1992. Geleitwort. In: Anton Strle. Izbrani spisi. Zv. 3: Božja slava - živi človek. Teološka antropologija [Ausgewählte Schriften. Bd. 3, Gloria Dei - vivens homo. Theologische Anthropologie], 5-7. Hrsg. Anton Štrukelj. Ljubljana: Družina. ---. 1993. Wesen und Auftrag der Theologie. Versuche zu einer Ortsbestimmung im Disput der Gegenwart. Einsiedeln: Johannes Verlag. ---. 1996. Salz der Erde. Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Stuttgart: DVA. ---. 1998. Aus meinem Leben. Erinnerungen. München: DVA. ---. 1999. Das Problem der christlichen Prophetie. Niels Christian Haidt im Gespräch mit Joseph Kardinal Ratzinger. IKaZ Communio 28:177-188. ---. 2000. Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald. München: DVA. ---. 2002. Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio, 15-33. Festgabe zum 75. Geburtstag. Hrgb. vom Schülerkreis. Redaktion Stephan Otto Horn und Vinzenz Pfnür. Augs- burg: Sankt Ulrich. ---. 2007. Jesus von Nazareth. Bd. 1, Von der Taufe in Jordan bis zur Verklärung. Freiburg: Herder. ---. 2009. Das Werk. 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