MUZIKOLOŠKI ZBORNIK — MUSICOLOGICAL ANNUAL XII, LJUBLJANA 1976 UDK 78(437.i)"i6/i7" DIE GESCHICHTLICHE PERIODISIERUNG DES TSCHECHISCHEN MUSIKBAROCKS Jan R a e e k (Brno) Die Frage der entwicklungsstilistischen Periodisierung des tschechischen Musikbarocks hängt vornehmlich und aufs innigste mit dessen Entstehung und stilistischer Weiterentwicklung zusammen. Diese Peridodisierung hat ihren spezifischen, von der periodischen Gliederung des europäischen, vornehmlich italienischen und deutschen, Musikbarocks etwas abweichenden Charakter.1 Es soll uns hier vor allem um eine historisch und stilistisch begründete Periodisierung gehen, deren wesentlichen Bewertungskriterien die sogenannten einigenden Stilprinzipien der musikalischen Strukturen sein sollen.2 1 Mit kunstgeschichtlichen und entwicklungsgeschichtlichen Problemen des tschechischen und slawischen Musikbarocks beschäftigte ich mich in den folgenden monographischen Arbeiten und Studien: Slohové a ideové prvky barokni hudby (Stilistische und ideelle Elemente der Barockmusik), Brno 1934; Buch èe-ského hudebniho baroku (Der Geist des. tschechischen Musikbarocks), Brno 1940; Italska monodie z doby raného baroku v èechach (Die italienische Monodie aus der Zeit des Frühbarocks in Böhmen), Olomouc 1945; Origines et débuts de la musique baroque en Boheme, in Musique des nations, Praha 1948); Grundlinien tschechischer Musikentwicklung, in: Musica XI, Kassel 1957); Collezione di monodie italiane primarie alla biblioteca universitaria di Praga, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Philosophischen Fakultät der Brünner Universität VII, Brno 1958; 5 ff.; Stilprobleme der italienischen Monodie. Ein Beitrag zur Geschichte des einstimmigen Barockliedes, Praha 1965 und The Baroque in Slav Music, in: Report of the Tenth Congress Ljubljana 1967, Bärenreiter, University of Ljubljana, 1970, 310 ff. 2 In der musikologischen Weltliteratur versuchten sich um eine Periodisierung der europäischen Barockmusik H. J. Moser in dem Vortrag Die Zeitgrenzen des musikalischen Barocks (ZfMw. IV, 1922, 353 ff.) und in dem Buch Geschichte der deutschen Musik IL (Stuttgart u. Berlin 1923, 5, 1930), A. O. Lorenz. Abendländische Musikgeschichte im Rhythmus der Generationen (Berlin 2 1928), ders., Periodizität in der Musikgeschichte (Die Musik 21, 1928—29, 644 ff.), ferner H. E. Engel in seiner Betrachtung Periodisierung in der Musikwissenschaft (Geistige Arbeit VII, 1940, Nr. 6, 5 ff.), vor kurzem M. Bukofzer in dem Werk Music in the Baroque Era (New York 1947) und S. Clercx in ihrer Arbeit La Baroque et la musique. Essai d'esthétique musicale (Bruxelles 1948, 19 ff.) und H. L. Clarke, Toward a Musical Periodisation of Music (Journal of the American Musicologica! Society IX, 1956, 25 ff). Von den tschechischen Musikhistorikern befaßte sich mit der dynamischen Entwicklungsperiodisierung der europäischen Musik vor allem V. Helfert in seiner tiefgründigen Studie Periodisace dëjin hudby. Prispevek k otâzce logiky huðeb- 31 Ihre gesetzmäßige Logik und ihr kinetischer Rhythmus bezeichnen denn auch die einzelnen Phasen und Perioden der MusikentWicklung. Also nicht etwa eine mechanische, statische, auf bloßen chronologischen Aspekten und genau festgesetzten Daten beruhende Periodisierung, sondern eine fließende, dynamische, nicht abgegrenzte Periodisation, aufgebaut auf der Basis des Entwicklungsprozesses des inneren Kompositionsgefüges, seiner Formen und stilistischen Ausdruckselemente, und zwar in ständiger konfrontierender Fühlungnahme mit der europäischen Musik und dem Lebensstil des 17. und 18. Jahrhunderts. Heute ist es bereits unerläßlich, die stilistischen Entwicklungsperioden der tschechischen Musik im Zusammenhang mit den Entwicklungsepochen der europäischen Musik zu sehen, wenn man sich nicht der Gefahr einer einseitig verflachten Blickrichtung aussetzen will und damit freilich auch einer unkritischen Einstellung gegenüber dem Ideengehalt und der kompositionstechnischen Formstruktur der tschechischen Musik im Kontext mit der europäischen Musik. Lediglich durch diesen methodischen Vorgang erreichen wir eine wenigstens relativ objektive Bewertungskonfrontation und Hierarchie der sich wechselseitig durchdringenden Stilepochen der musikalischen Strukturen und Kulturen. In unserem Fall geht es um eine Stilkonfrontation der Musikrenaissance mit dem Barock und im Endstadium wieder um eine solche des Barocks mit dem Klassizismus. Insbesondere die tschechische Musik des 17. und 18. Jahrhunderts ruft geradezu nach einer derartigen europäischen periodischen Gegenüberstellung, abgesehen davon, daß wir durch diesen Konfrontationsprozeß die tschechische Barockmusik aus ihrer bloßen territorialen, regionalen Isolierung auf eine höhere Ebene des europäischen Musikgeschehens bringen. Vor allem müssen wir uns dessen bewußt sein, daß sich der tschechische musikalische Barockstil mit einer bedeutenden Verspätung nach dem europäischen Musikbarock — vornehmlich dem des italienischen Südens und des deutschen Nordens — herauskristallisiert und konstituiert hat, das in seiner frühen Entwicklungsphase namentlich in Italien etwa um die Mitte des 16. Jahrhunderts aufzutauchen beginnt. Seine Anfänge können wir deutlich bereits in der Chromatik und im Tonkolorismus der italienischen Polyphoniker der Spätrenaissance, in der Bi- und Polychora-lität der Venezianischen Schule und schließlich in der Camerata fiorentina verfolgen. Das tschechische musikalische Frühbarock hingegen stabilisiert niho vyvoje (Periodisierung der Musikgeschichte. Ein Beitrag zur Frage der Logik der Musikent Wicklung), Musikologie I, Praha—Brno 1938, 7 ff. Periodisierungs-probleme der europäischen und tschechischen Barockmusik erläutert J. Racek in den Buchpublikationen üvod do studia hudebni vedy (Einführung in das Studium der Musikwissenschaft), Praha 1949, 39 ff); èeška hudba (Die tschechische Musik), Praha 1958, 89 ff. und schließlich in den Studien Entwicklungsgeschichtliche und kunstgeschichtliche Probleme des tschechischen Musikbarocks (Sammelband Bydgoszcz 1986, Kongreß Musica Antiqua Europae Orientalis); Zum Problem der Periodisierung des tschechischen Musikbarocks im 17. und 18. Jahrhundert, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Philosophischen Fakultät der Brün-ner Universität XVI, 1967, H 2, 71 ff. Die Periodisierungsprobleme des tschechischen Musikbarocks berührt auch T. Volek in seiner Studie Czech Music of the Seventeenth and Eighteenth Centuries in: Musica Antiqua Europae Orientalis, Bydgoszcz 1966. Acta scientifica congressus I. Editor Zofia Lissa. 32 sich in seiner typischen Form allmählich erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In der tschechischen Musik fehlt beispielsweise gänzlich das stilistisch so wichtige Übergangsstadium von der Hochrenaissance zum Frühbarock, das sich in der italienischen Musik seit Mitte des 16. Jahrhunderts bis etwa 1600 herausgebildet hat und das von der Kunsthistorikern als Manierismus bezeichnet wird.3 Die entwicklungsgemäße Verspätung der Konstitution des tschechischen musikalischen Barockstils wurde nicht allein durch spezifische kulturhistorische und kunststilistische Faktoren verursacht, sondern vor allem durch soziale und politisch-ökonomische Momente während des Dreißigjährigen Krieges und in der kritischen Entwicklungsphase durch den völligen Mangel an großen schöpferischen Persönlichkeiten. Gerade zu einer Zeit, wo in der europäischen Musik eine wichtige Entwicklungsetappe des organischen Stilübergangs von der Hochrenaissance zum Frühbarock anhebt, fehlt es in den böhmischen Ländern an ausgereiften Komponisten-Individualitäten. Das bedeutete allerdings eine Störung der organischen Entwicklung, die von der vorwiegend universalistischen gotisch-mittelalterlichen und neuzeitlich renaissancemäßigen Stilperiode welche einem sich immer schärfer abzeichnenden Barocksubjektivismus und zugleich auch dem ausdrucksmäßig potenzierten sogenannten Personalstil zustrebte, wenn man zu dieser Zeit allerdings schon von einem Personalstil in modernem Sinne des Wortes sprechen kann. Die Zäsur in der Entwicklung der tschechischen Musik offenbarte sich namentlich in einem langen Aus- und Nachklingen des polymelodischen und polyphonen Prinzips der niederländischen Schule, insbesondere der einheimischen tschechischen kontrapunktischen Vokaltradition. Dieses Phänomen läßt sich im Schaffen der tschechischen Polyphoniker, vor allem in dem der damaligen repräsentativen Persönlichkeiten wie Jan Trojan Turnovsky, Jifi Rychnovsky u.a. beobachten. Ein recht anschauliches Beispiel für die periodische Stilverschiebung der tschechischen Renaissancepolymelodie und -polyphonie bis ins 17. Jahrhundert hinein bietet uns die in ihrem Stil anachronistische und gewissermaßen konservative Persönlichkeit des namhaften tschechischen Polyphonikers Krystof Haran t von Polžice und Bezdružice (1564—1621), dessen im gipfelnden niederländischen polyphonen Stil geschriebene Kompositionen (Orlando di Lasso) erst in den ersten zwei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts entstanden, während in Italien bereits zum Ausgang des 16. Jahrhunderts ein konsequenter und ästhetisch gerechtfertigter Kampf gegen das niederländische polyphone Musikdenken entbrannt war.4 Wir können sogar erklären, daß die tschechische Musik zu Beginn des 17. Jahrhunderts logisch und orga- 3 Auf diese Tatsache hat L. Besseler in seiner bedeutsamen und gedanklich eindringlichen Studie Das Renaissanceproblem in der Musik (AfMw. XXIII, 1966, Heft 1, 1 ff) sehr überzeugend und mit Nachdruck hingewiesen. Siehe auch zwei folgende Studien: J. Racek, Zum Problem des Manierismus in der europäischen Musik des 16. und 17. Jahrhunderts unter Berücksichtigung der tschechischen Musikkultur, in: Colloquium Musica Bohemica et Europae, Brno 1972, International Musical Festival 1970 und ders., Il problema del manierismo nella musica europaea del XVI e XVII secolo, in: Memorie e contributi alla musica dal medioevo alla eta moderna offerti a Federico Ghisi, Bologna 1973, 365 ff. 3 Muzikološki zbornik 33 nisch weder an die Ausdrucksweisen der europäischen und tschechischen Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts noch an die stilistischen Anregungen des italienischen musikalischen Frühbarocks anknüpft. Damit wurde die Kontinuität des tschechischen Musiklebens in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gewaltsam unterbrochen und durch die verhängnisvollen Ereignisse nach der Schlacht am Weißen Berg gehemmt, ja buchstäblich in eine Isolation und Passivität getrieben. Ein tieferes Studium, der musikalischen Entwicklungsprobleme des tschechischen Musikbarocks muß unbedingt auch die spezifischen territorialen Entwicklungseigentümlichkeiten in Betracht ziehen, wie sie sich vornehmlich im 17. Jahrhundert in Böhmen und Mähren herausgebildet haben. In den böhmischen Ländern verlief die Entwicklung der Barockmusik in einer einprägsamen, den gegebenen spezifischen politisch-kulturellen Bedingungen entsprechenden Differenzierung. Während die musikstilistische Entwicklung in Böhmen schon gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts von der höfischen, stilistisch typisch ausgeprägten Musikkultur der kaiserlichen Residenz Rudolf II. zu Prag bestimmt worden war, kam es in Mähren erst in der zweiten Hälfte des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Milieu der Schloßresidenzen des spätbarocken mährischen Adels zu einer ersten größeren Entfaltung der musikalischen Barockkultur. Das Endstadium der Entwicklung des tschechischen Musikbarocks festzustellen dürfte wohl bei weitem schwieriger sein, als dessen Anfangsstadium. Die Stilelemente der tschechischen Barockmusik haben nicht nur in der Periode des musikalischen Rokoko, Vorklassimizmus und Klassizismus des 18. Jahrhunderts einen langen Aus- und Nachklang aufzuweisen, sondern das auch noch im Anfangsstadium der tschechischen Frühromantik der Wiedergeburtszeit, wenn sich hier auch schon eine erste organisierte Auflehnung gegen die stilistische Wesenheit und den ideologischen Gedankengehalt des Barocks erhebt. Diese Erscheinung können wir z.B. in der tschechischen Literatur, vor allem in der Dichtung, wahrnehmen, wo wir noch gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts archaistische Barockelemente und ein typisches barockes, pastoral-bukolisches Ausklingen des Barocks in der tschechischen bildenden Kunst feststellen können, und das vornehmlich in der Architektur, die einen vorwiegend universalistischen Charakter hatte. Es wäre gewiß eine Vulgarisierung, wollten wir sie mit einem nichtadäquaten und anachronistischen Nationalbegriff bezeichnen. Dieser Begriff hatte nämlich im tschechischen bildenden Barock eine andere Bedeutung und bekundete sich zudem in einer anderen Weise, als z.B. in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Die tschechische Barockmusik und Barockliteratur kann man hingegen unter dem Einfluß folkloristischen Elemente in einem bestimmten Sinne bereits als national bezeichnen, vor allem im Sinne einer ideellen Opposition gegen die Sieger 4 Mit der Frage des musikalischen Stilanachronismus in der tschechischen Musik des 16. und 17. Jahrhunderts befasse ich mich eingehend in meiner umfangreichen Arbeit Krystof Harani z Polžic a jeho doba (Krystof Harant von Polžice und seine Zeit. I.—III. Band), Brno 1970, 1972 und 1973. Siehe auch mein Buch Èeška hudba (Die tschechische Musik), Praha 1958, 73 ff. 34 am Weißen Berge und gegen die Ideologie nach dem Weißen Berg, da sich in dieser Kunst, wie nicht nur aus dem Werk des großen Reformators J. A. Komensky (1592—1670), sondern auch aus dem schöpferischen Vermächtnis der tschechischen Barocksriftsteller und -dichter wie Bedfich Bridel (1619—1680) odre Bohuslav Baibin (1621—1688) zu ersehen ist, die nationale Volkskraft konzentriert und gespeichert hat. Die spezifischen tschechischen Entwicklungsaspekte und -momente, hervorgerufen durch einheimische gesellschaftlich-politische und ökonomische Paktoren, hatten, wie man sieht, einen tiefen gestalterischen Einfluß auf die stilistische Eigenart, die künstlerische Qualität sowie auf die entwicklungsgemäße Zeitfolge der tschechischen Musik unter Berücksichtigung der großen europäischen Stilepochen, vorzugsweise des italienischen Musikbarocks. Dabei sei hervorgehoben, daß der Einfluß dieser Musik auf die tschechische Musikkultur des 17. und 18. Jahrhunderts, ungeachtet der zeitlichen Verspätung des tschechischen Musikbarocks nach der musikalischen Entwicklung der europäischen Musik, beträchtlich, wenn auch nicht in allen Bereichen von gleicher Natur, gewesen ist. Im engen Zusammenhang mit den Periodisierungsproblemen der tschechischen Barockmusik erscheint es notwendig, ihre hierarchische Beziehung zur tschechischen Volksmusik und umgekehrt wieder die Beziehung der Volsmusik zu der. sg. Kunstmusik festzulegen.5 Die Promiskuität der 5 Ich bin mir dessen wohl foewuß, daß man den Begriff der sogen, »hohen Kunst« terminologisch und sachlich nicht gut begründen und von dem der Volkskunst abheben kann, und zwar sowohl in der Musik als auch in den übrigen Künsten überhaupt, da diese begriffliche Formulation noch immer nicht genau und treffsicher ist. Ungeachtet dessen existieren diese beiden Kunstkategorien, wenn auch nicht isoliert und voneinander getrennt, sondern in ständiger Symbiose und Promiskuität. In unserem Falle kann man nicht einmal von zwei voneinander isolierten Musikkulturen sprechen. Umso weniger können wir von der »hohen Kunst« als einer »Herrenkunst« sprechen, wie dies in letzter Zeit manche tschechische Musikhistoriker (z. B. T. Volek in der oben zit. Studie) tun und sie von der Volkskunst scheiden. Ich kenne diese Disjunktion speziell in der tschechischen und slawischen Musik nicht, weil hier die krassen Unterschiede zwischen volkstümlicher, und künstlicher, so man will künstlerischer, Musik verwischt sind. Zu einer besonders anschaulichen Promiskuität zwischen diesen beiden Kunstkategorien kam es im tschechischen Musikbarock und Musikklassizismus, wo fast das gesamte damalige Kulturleben von der Volksmusik durchdrungen war. Diese Promiskuität ist freilich nicht nur für die tschechische Musik des 17. und 18. Jh. bezeichnend, sondern auch für die ältesten und älteren Entwicklungsperioden der tschechischen und slawischen Musikkultur überhaupt. Auf diese Symbiose der Volksmusik mit der Kunstmusik habe ich in meiner Studie Sur la question de la genese du plus ancien chant liturgique Ho-spodine, pomiluj ny im Sammelband Magna Moravia (Praha 1965, 435 ff.), hingewiesen. Sie ist zur Zeit des tschechischen Musikklassizismus und der Musikromantik besonders lebendig, ja auch heute noch kommt es zu einer dynamisch stilbildenden Geltendmachung dieser beiden Musikkulturen. Eine andere Frage ist es freilich, ob diese Promiskuität der Sache selbst dienlich ist oder nicht. Die falsch verstandene Disjunktion zwischen Kunst-und Volksmusik führt des öftern zu falschen und sachlich unhaltbaren Schlußfolgerungen. Auch die konventionelle und heute schon ganz und gar afuktionelle Teilung des Volksliedes in einen tschechischen und mährischen, bzw. slowakischen vokalen und instrumentalen Typ ist nach den neuen musikfolkloristischen und musikethnologischen Forschungen der Brünner und Preßburger Forscher gänzlich antiquiert. Auch in diesem Falle liegt doch eine strukturelle und ausdrucksmäßige Promiskuität der einzelnen musik- 35 Kunst- und Volksmusik tritt namentlich in der tschechischen Musikkultur der Renaissance und des Barocks besonders anschaulich zutage, wovon der große Aufschwung des Volksliederschaffens und der reichen tschechischen Kanzionalliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts sowie ihre enge Beziehung zur damaligen Kunstmusik Zeugnis ablegen. Es ist zwar richtig, daß sich die tschechische Musikkultur des Barocks auf einen reifen, aus verschiedenen Teilen des europäischen Kontinents in die böhmischen Länder importierten Musikprofessionalismus stützt, aber die tschechische Musikkultur dieser Jahrhunderte ist einfach undenkbar ohne die befruchtende Einwirkung des tschechischen Volksschaffens. Der Einfluß der romanischen, französich-italienischen, später dann germanischen, niederländischdeutschen Musikkultur auf die Entwicklung des kompositionstechnischen Gefüges der tschechischen Musik war ungemein fruchtbar, wenn auch um den Preis einer teilweisen Italianisierung und Germanisierung, wie wir sie beispielsweise in der zweiten und dritten Entwicklungsperiode des tschechischen Musikbarocks beobachten können. Wie ein wirksamer und eigenartiger, die Gefahr eines Musikepigonentums aufhebender Katalysator wirkte auf die tschechische Kunstmusik des 16. bis 18. Jahrhunderts die einheimische Musikfolklore, die im Verein mit dem tschechischen auto-chtonen Musikdenken das herausgebildet hat, was an dieser Musik originell und eigenständig ist. Aus unserer Erkenntnis der wechselseitigen Wirkungskraft und Symbiose der Kunstmusik mit der Volksmusik folgt der völlig logische Schluß vom Parallelismus und von der Kontinuität zwischen den einzelnen einigenden Stilprinzipien der Kunstmusik und den schöpferischen Prinzipien der Volksmusik. Ein solches kontinuierliches Einigungsprinzip der Volksmusik mit der Kunstmusik bildet die Diatonik, deren natürliche Tonart die Entwicklung des europäischen musikalischen Denkens schlechthin wechselseitig beeinflußt hat. Dabei müssen wir allerdings dessen eingedenk sein, daß trotz der seit den ältesten Zeiten der Musikentwicklung bestehenden Korrelation zwischen den beiden Musikkulturen die Entwicklung der Kompositionsstrukturen und Prinzipien der Kunstmusik immerhin einen weit komplizierteren Verlauf gehabt hat, als die Entwicklung der Volksmusik, die lediglich auf die Prinzipien der melodischen, stark von mesologischen folkloristischen Dialekte vor, die man heute kurz als Liedgebilde westlicher und östlicher Provenienz oder als Typen älterer und jüngerer Folkloreschichten bezeichten kann. Siehe die Studie von J. Räcek und K. Vetterl, in Musikologie IV, 1955, 174 ff.u. 181 ff. Siehe auch die Studie von J. Racek, Das tschechische Volkslied und die italienische Barockmusik des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Symbolae historiae musicae. Hellmut Federhof er zum 60. Geburtstag, Mainz, Schotts Söhne, 1971, 126 ff.) Mit Fragen der Periodisierungsgliederung der Musikfolklore beschäftigt sich J. Fukaè in seiner Studie K problemu periodizace evropského hudebniho folkloru (Zum Problem der Periodisierung der europäischen Musikfolklore), in: Stražnice 1946—1965, Brno 1966, 329, ff. Er vertritt hier die Ansicht, daß der wissenschaftlichen Periodisierung der europäischen Musikfolklore für die Erörterung ihrer historischen und entwicklungsmäßigen Zusammenhänge unter den einzelnen Äußerungen der volkstümlichen Musikkultur beinahe die gleiche methodologische Bedeutung zukommt, wie man sie der Periodisierung der Kunstmusik in der Musikgeschichte zuerkennt. Diese gewiß anregende und sehr kühne Ansicht und Hypothese wird allerdings erst noch durch ein eingehendes Detailstudium dieses interessanten Problems begründet werden müssen. 36 Faktoren beeinflußten Variabilität beschränkt war, abgesehen davon, daß der Volksmusik im Vergleich zur Kunstmusik neben einer stilisierenden schöpferischen Potenz keine bewußte stilbildende Kraft innewohnt. Aus dem Grunde machte die tschechische Barockmusik in bezug auf das Peri-odisierungsproblem einen weit komplizierteren Entwicklungsprozeß durch, als die Volksmusik dieser Stilepoche. Mit dem oben erwähnten kritischen Vorbehalt kann man sagen, daß das tschechische Musikbarock eine relativ einheitliche Stilepoche gebildet hat, die der Ausdruck des Lebens- und Kunststils dieser Zeit war. Diese Epoche entwickelte sich in dem Zeitraum etwa von Beginn des 17. bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts, also in der Zeit der Rekatholisierung der böhmischen Länder, in der Blütezeit des Jesuitenbarocks und der unerbittlichen Gegenreformation. Wir unterscheiden im tschechischen, ähnlich wie im europäischen Musikbarock, drei sich markant abzeichnende Entwicklungsperioden : 1. das Frühbarock — umfaßt in der tschechischen Musik die 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts von etwa 1600 bis 1650 2. das Hochbarock — entfaltet sich in der 2. Hälfte des 17. und im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts von etwa 1650 bis 1730 3. das Spätbarock — dessen stilistische Potenz vom Ende des 1. Drittels bis zum Beginn des 3. Drittels des 18. Jahrhunderts zur Geltung gelangt, entfaltet sich von etwa 1730 bis 1770, wo es sich als eigenständiger Stil bereits vollständig überlebt.6 Betrachten wir auf Grund dieser Dreiteilung die einzelnen Perioden des tschechischen Musikbarock etwas genauer, so erhalten wir annähernd folgendes Gesamtbild seiner stilistischen Entwicklung. In der ersten Entwicklungsperiode vom Beginn bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts kann man noch kaum von einem ausgeprägt bodenständigen tschechischen barocken Musikdenken sprechen, da die damalige tschechische Musik noch gänzlich unter dem Einfluß der importierten und vermittelten niederlädischen und italienischen polyphonen Kultur stand. Die große Entfaltung der niederländischen und italienischen polyphonen Musik, die am Prager kaiserlichen Hof Rudolfs II. vor sich ging, war mehr oder weniger auf die Umwelt des Hofs beschränkt und berührte das tschechische Musikdenken nur sehr unbedeutend. Das Studium des Noten-und des Aktematerials, das heute im Staatlichen Zentralarchiv von Prag aufbewahrt ist, zeugt nicht nur von der Wirksamkeit der niederlädischen Polyphonie in der Prager Umwelt, sondern wir finden darin bereits auch die ersten Einflußspuren der italienischen Barockmusik, die in dem kurzen Zeitabschnitt vor der Schlacht am Weißen Berg im Milieu der Prager ka- 6 Für die Gliederung des tschechischen Musikbarocks in drei Entwicklungsperioden habe ich ein heute in der musikwissenschaftlichen Literatur bereits eingebürgertes Modell verwendet. So teilt z. B. H. J. Moser den europäischen musikalischen Barockstil in Frühbarock, Mittelbarock und Hochbarock, E. Schenk in Frühbarock, Mittelbarock und Spätbarock, S. Clercx in Baroque primitif, Plein baroque und Baroque tardif und M. Bukofzer jüngst in Early Baroque, Middle Baroque und Late Baroque. Die Gliederung nach dem Modell der Suzanne Clercx halte ich für die beste. 37 iserlichen Residenz auftauchten. Schon zum Ausgang des 16. Jahrhunderts kommen in Prag Stefano Felis (um 1550 bis nach 1603), Francesco M i 1 -1 e v i 11 e (Lebensdaten unbekannt) und Agostino Agazzari (1578—1640), einer von den Angehörigen des römischen Opernstils, mit ihren Kompositionen zur Geltung. Um das Jahr 1603 eglangt der venezianische Stil mit den Kompositionen des Francesco S t i v o r i (Mitte des 16. Jahrhunderts) nach Prag, der die damals modernen Verse der pastoralen Lyrik des Jacopo Sannazaro und Ottavio Rinuccini in Musik setzt. Die italienische begleitete Monodie dringt erst im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts in Prag ein. In der Universitätsbibliothek ist eine sehr wertvolle Quelle erhalten, ein Sammelwerk von Drucken der italienischen Monodie, das sich im Jahre 1612 der kaiserliche Rat Franciscus Godefridus Troilus a Lessoth anschaffen ließ und in dem gleichsam der ganze Entwicklungsprozeß der italienischen Monodie erfaßt ist. Sein musikgeschichtlicher Wert ist umso größer, als es einige Unikatdrucke enthält, die man nicht einmal in den führenden europäischen Musikbibliotheken findet.7 Das handschriftliche Sammelwerk von italienischen Liedern aus der ehemaligen Bibliothek der Lobkowicz in Roudnice, Ariette in musica da diversi autori, das auch Monodien aus dem 1. Drittel des 17. Jahrhunderts enthält, kann für uns hingegen keinesfalls ausschlaggebend sein, weil es wohl erst viel später nach Böhmen gelangt sein dürfte, allem Anschein nach aus Spanien, wo ein Teil der Raudnitzer Musikaliensammlung erworben wurde.8 Die italienische Musik drang in Prag vor allem durch Verdienst des italienischen Adels ein, der aus Italien nicht nur die damaligen neuesten Komponisten, sondern auch ausübende Musiker mitgebracht hat. Auf sein Betreiben hin wurde in Prag auch das italienische Madrigal sowie das historische, allegorische und mythologische Ballet gepflegt. Aber auch dies sollte eine bloße Episode bleiben, ohne tieferen stilbildenden Einfluß auf die Entstehung des tschechischen Barockstils und beschränkt auf einen engen Kreis des kaiserlichen Hofes und des damaligen Prager und italienischen Adels. Doch wegen dieser Isolation konnten alle diese günstigen Entwicklungsanregungen und -Voraussetzungen als integraler Bestandteil des eigenständigen tschechischen Musikdenkens nicht zur Geltung kommen. Seine natürliche Kontinuität wurde durch die unerfreulichen politischen Verhältnisse gewaltsam unterbrochen. Diese Verhältnisse zwangen der tschechischen Kultur für lange Zeit das romanische, vornehmlich italienisch-spanische, Kulturklima auf. Der Entwicklungsverlauf des damaligen 7 S. Racek J., Italska monodie z doby raného baroku v èechach (Die italienische Monodie aus der Zeit des Frühbarocks in Böhmen), Olomoue 1945; ders., Origines et débuts de la musique baroque en Boheme. Contribution a l'historié de la chanson a une voix, in: Musique des nations, Praha 1948, 157 ff.; ders., Collezione di monodie italiane primarie alla biblioteca universitaria di Praga. Contributo alla storia della monodia italiana in Boemia, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Philosophischen Fakultät der Brünner Universität VII, Brno 1958, 5 ff.; ders., Stilprobleme der italienischen Monodie. Ein Beitrag zur Geschichte des einstimmigen Barockliedes (Praha 1965). 8 Zur Raudnitzer Sammlung s. Netti P., über ein handschriftliches Sammelwerk von Gesängen italienischer Frühmonodie, in: ZfMw. II, 1919—20, 83 ff.; ders., Exzerpte aus der Raudnitzer Textbücher Sammlung, in: StzMw. VII, 1920, 143 ff.; ders., Musik-Barock in Böhmen und Mähren (Brno 1927). 38 tschechischen Volksschaffens war dagegen nicht in dem Maße gestört, wie die Entwicklung der tschechischen Kunstmusik, da es organisch an die reiche Überlieferung der tschechischen geistlichen und weltlichen Musikfolklore des 15. und 16. Jahrhunderts anknüpfen konnte, was vor allem in der katholischen Kanzionalliteratur des 17. Jahrhunderts zum Ausdruck kam. In Verbindung mit der tschechischen Kunstmusik schuf die Volksmusik neue Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung der tschechischen Musik des 17. Jahrhunderts. Deshalb tauchte selbst in dieser anscheinend sterilen Zeit, wenn auch etwas zaghaft und schüchtern, dennoch ein neuer Kompositionsstil auf, und zwar knapp vor der Katastrophe am Weißen Berg. Das läßt sich gewissermaßen ablesen an den geistlichen Kompositionen des Jifi Altimontanus (+ 1608), des Magisters Jan Campanus Vodhansky (1572—1622), und denen van Vaclav Piscenus Palco (Anfang des 17. Jahrhunderts), Jan Bufler (+ 1655), Jakub Krištof Rybnicky (um 1600—1639), ebenso in der Kanzionalliteratur bei Jiff Tfanovsky (1592—1637), sowie in dem Amsterodamer Kanzional (1659) von Jan Arnos Komensky (1592—1670). Neue Stiltendenzen machten sich insbesondere im Schaffen des Jan S i x t von Lerchenfels (um 1570— 1629) geltend, der 1584 an der Hofkapelle Kaiser Rudolf II. als Sänger tätig war. Wir vermögen daher nur gemeinhin zu konstatieren, daß es bei den meisten der obengenannten Komponisten zu einem wechselseitigen Einwirken zwischen der tschechischen Musikfolklore und Kunstmusik kam, und zugleich zur Schaffung einer Grundlage für eine neue tschechische Volksmelodik; das läßt sich sehr anschaulich in der zweiten Periode des tschechischen Musikbarocks nachweisen. In der zweiten Entwicklungsperiode, die den Zeitraum von der 2. Hälfte des 17. bis in die dreißiger Jahre des darauffolgenden Jahrhunderts umspannt, bildet sich bereits der tschechische musikalische Barockstil heraus und erreicht zugleich auch seinen Höhepunkt. In dieser Periode von kaum 80 Jahren erlebte das tschechische Musikschaffen und der tschechische Musikgenius einen neuen schöpferischen Aufschwung. Damals entstanden nämlich auf dem Gebiet der Kunstmusik Werke von bleibendem Kunstwert und außerordentlicher Bedeutung für die künftige Weiterentwicklung. In dieser Zeitspanne können wir schon auf Grund verläßlicher Quellendokumente (Kompositionen und Musikalieninventare) mit Sicherheit ihre stilistische Grundorientierung und ihren künstlerischen Beitrag maßgeblicher auswerten und zwar nicht allein für die tschechische, sondern in einem gewissen Maße auch schon für die europäische Musikkultur.9 Es handelt sich hier vorwiegend um vokale Kirchen- und zum Teil auch weltliche Instrumentalmusik, die sich in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts unter starkem Einfluß der aus Italien, Wien und Deutschland 9 Sehr wertvolles Quellenmaterial bieten der Forschung die Musikinventare der Kirchenchöre, Klöster, Ordenskollegien und Schloßresidenzen. Vgl. hierzu Racek J., Hudebni inventare a jejich vyznam pro hudebnë historické bâdâni (Die Musikinventare und ihre Bedeutung für die musikhistorische Forschung), in: Èasopis Moravského musea XLVII, 1962, 135 ff. 39 importierten Vokal- und Instrumentalmusik entwickelt hat. Einer der bedeutendsten der Komponisten, die sieh auf dem Gebeit der Kirchenmusik ein großes Verdienst erworben haben, war Vincenzo A1 b r i c i (1631—1696), der zur Zeit seines größten Schaffensaufschwungs in Prag gelebt hat, wo er gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine ungemein fruchtbare kompositorische und organizatorische Tätigkeit entwickelte. Von da an erscheinen in der tschechischen barocken Kirchen- und Instrumentalmusik dieser Periode melodische, kompositorische und stilistische Elemente, die dem italienisch-deutschen, insbesondere Wiener-neapolitanischen Stil nahestehen, wie ihn Arcangelo Gorelli, Ales. Scarlatti, Ant. Caldara, Nicola Porpora, Ant. Vivaldi, Leon. Vinci, Fr. Bart. Conti, Ant. Draghi, Tommaso Albinoni, Joh. Seb. Bach und Georg Friedr. Händel repräsentieren, wenn aulch der Einfluß des Letzgenannten auf die tschechische Barockmusik nur sporadisch zur Geltung und zum Ausdruck kam.10 Der italienische, der Wiener und teilweise auch der deutsche vokalinstrumentale Stil machte sich besonders gegen Ende des 17. und im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts im Repertoire der Adelskapellen bedeutender böhmischmährischer Schloßresidenzen geltend, die wichtige Zentren der Barockmusik waren. Von ihnen seien wenigstens die bedeutendsten Schloßkapellen in Prag, Roudnice, cesky Krumlov, Kuks, Lysä, Tovaèov, Kro-mefiž, Brtnice, Holešov, Jaromërice a.d. Rokytnä und Vyskov genannt. Wichtige Zentren der tschechischen geistlichen Vokalmusik waren die Kirchenchöre und Klöster, wo die Formen der Messe, Kantate, des Oratoriums und die für die tschechischen Verhältnisse besonders charakteristische Form des Sepolcro eine besondere Pflege erfuhren. Das Sepolcro drang aus dem Wiener Kreis und aus Italien zu uns, entwickelte sich hier aber zu einem eigenständigen tschechischen musikdramatischen Gebilde, das sich vom deutschen oder italienischen Prototyp durch seinen tschechischen Volkscharakter unterschied. Die Oper war das ganze 17. Jahrhundert hindurch in den böhmischen Ländern fast unbekannt und tauchte erst später in ihrem Wiener-neapolitanischen und venezianischen Typ auf den einheimi- 10 Mit dieser Stilorientierung beschäftigt sich ausführlich V. Helfer t in seinem Buch Hudba na jaromëfickém zâmku (Die Musik auf Schloß Jaromërice), Praha 1924, und in den folgenden weiteren Studien: Die Jesuitenkollegien der böhmischen Provinz zur Zeit des jungen Gluck, in: Festschrift für Johannes Wolf, Berlin 1929; Hudba barokni (Barockmusik), in: sustovy déjiny lidstva, Bd. VI, Praha 1939, und Prukopnicky vyznam èeške hudby v 18. stoleti (Die bahnbrechende Bedeutung der tschechischen Musik im 18. Jh.), in: Co daly naše zemë Evropë a lidstvu (Was unsere Länder Europa und der Menschheit gaben), Praha 1939. Um die Erforschung der tschechischen Barockmusik unter diesem Gesichtspunkt hat sich E. Trolda in seinen zahlreichen monographischen Studien verdient gemacht. Ein Verzeichnis seiner Studien hat A. Buchner in der Publikation Hudebni sbirka E. Troldy (E. Troldas Musikaliensammlung), Praha 1954 abgedruckt; diese Bibliographie enthält auch einen thematischen Katalog von 250 Spartationen Troldas, von denen die meisten stilgemäß der Barockperiode der tschechischen Musik angehören. Vgl. weiter O. Kampers Buch Hudebni Praha v 18. vëku (Das musikalische Prag im 18. Jh.), Praha 1936, sowie die Studien von B. štedron Spolecenské ukoly hudby v 18. stoleti (Die gesellschaftlichen Aufgaben der Musik im 18. Jh., in: èasopis Matice moravske LXIX, 1950, 300 ff.) und Zemšti trubaèi a tympanisté v Brnë (Die Laxidestrompeter und Tympanisten in Brunn), in; Vlastivëdny vëstnik moravska VII, 1952, Nr. 3, 122 ff, 40 sehen Schloßbühnen auf. Wenn dies auch ohne Teilnahme der tschechischen Komponisten geschah, so waren sie dennoch durchschlagend richtungweisend für die Stilentwicklung des tschechischen musikdramatischen Schaffens. Erst im 18. Jahrhundert, besonders aber nach der Prager Aufführung der Oper Costanza e fortezza (1723) von Joh. Jos. Fux, kommen die ersten tschechischen musikdramatischen Versuche in Sicht, vor allem volkstümliche Singspiele, musikalische Kloster- und Schuldramen, die wegen ihrer primitiven kompositioneilen und stilistischen Faktur schon dem tschechischen musikalischen Vorklassizismus und Klassizismus angehören. Typisch für die zweite Periode der tschechischen Barockmusik ist die Tatsache, daß in dieser Zeitspanne reife repräsentative Komponisten-Persönlichkeiten zur Geltung gelangen, die kraft ihrer selbständigen schöpferischen Potenz und ihres urwüchsigen melodischen und harmonischen VorstellungsVermögens dieser Periode ihr stilistisches Gepräge geben. Die tschechische vokale Kirchenmusik der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts wird durch das inventionsreiche Werk des Adam Vaclav M ich na von Otra-dovice (1600—1676) repräsentiert, insbesondere durch seine meisterhafte Missa S aneti Venceslai, durch die Sammlung von Kirchenkompositionen Sacra et Litaniae (gedruckt 1654), und durch ein monumentales Magnificat.11 Die weltliche Instrumentalmusik dieses Jahrhunderts hatte ihren namhaften Vertreter in Pavel Josef Vejvanovsky (um 1640—-1693), der in selbständiger Weise an den venezianischen polychoralen Stil der Kan-zonensonaten anknüpfte.12 Eine Synthese von Hochbarockstil mit klassizistischen Tendenzen offenbarte sich im Schaffen des Josef Antonîn P1 a -nicky (etwa von 1691—1732), der sich in seinem schwungvollen barocken Pathos und rezitativartigen Arioso-Stil in der tschechischen Musik als Vorläufer der Bach-Händelschen Diktion ausweist. Die Gipfelphase dieser Stilperiode, die man bereits als Übergangsstadium zur dritten Periode ansprechen kann, ist durch das stilistisch beachtenswert ausgewogene Instrumentalwerk des Jan Dismas Zelenka (1697—1745), sowie durch das seinem Ausmaße nach nicht besonders große schöpferische Vermächtnis des Minori ten Bohuslav Matëj cernohorsky (1684—1742) vertreten.13 èernohorskr vollendet mit seinem Kompositionsstil in dem er sich auf 11 Michnas Missa S. Venceslai erschien im Druck in der kritischen Ausgabe von J. Sehnal, in: Musica Antiqua Bohemica (MAB), Bd. 1, Serie 2, Praha 1966. Vgl. Bužga J., Der tschechische Barockkomponist Adam Michna z Otradopic, in: Festschrift für Heinrich Besseler, Leipzig 1961, 305 ff. 12 P. Vejvanovskys Orchesterkompositionen erschienen in der von J. Pohanka besorgten Gesamtausgabe in MAB, Bd. 36 (Praha 1958) und Bd. 47—49 (Praha 1960—61). S. Petras O., Suitoué orchestrâlni skladby Pavla Josef a Vejvanovského (P. J. Vejvanovskys Orchesterkompositionen in Suitform, Diss. Brno 1948, Maschinenschrift). 13 Die Kompositionen des J. D. Zelenka und B. M. cernohorsky wurden ebenfalls in MAB herausgegeben, Bd. 3 (Praha-Brno 1937, 31949, Revis. Fr. Michälek) und Bd. 61 (Praha 1963, Revis. C. Schoenbaum). Siehe auch Šafafik J., K otâzce vokâlniho nâstrojového stylu B. M. cernohorského (Zur Frage des Vokal- und Instrumentalstils des B. M. cernohorsky), Diplomarbeit Brno 1960, Maschinenschrift. 41 das italienische und süddeutsche konzertante Orgelprinzip stützt, die tschechische vokal-instrumentale polyphone Tradition.14 In den Werken dieser Komponisten vollzog sich auch eine stilistische Emanzipation vom europäischen musikalischen Barockstandart, bedingt nicht nur durch einen subjektiv ausgeprägten kompositorischen Ausdruck, sondern auch durch einen neuen beträchtlichen Eingriff der einheimischen Musikfolklore, der dann auch das tschechische musikalische Hochbarock befähigte, mit seinen eigenen schöpferischen Werten dem europäischen musikalischen Vorklassizzismus etliche, wenn auch untergeordnete Impulse zu geben. In der d r it t e n Periode des tschechischen Musikbarocks, die von den dreißiger Jahren bis in die siebziger Jahre des 18. Jahrhunderts reicht, zerfällt das tschechische musikalische Barockdenken als selbständiger Stilfaktor in kleinere ornamentale, melodische Rokokogebilde. Diese verhält-nißmäßig kurze stilistische Zwischenzeit ist ein wichtiges Übergangsstadium zum tschechischen musikalischen Vorklassizismus und Klassizismus. Einer der markantesten Repräsentanten dieser Stilperiode ist der Komponist Jan Zach (1699—1773), der in seinem Vokal- und Instrumentalwerk das spätbarocke Pathos mit dem frühen vorklassizistischen Musikausdruck verbindet. Die gleiche stilistische Synthese weist das Schaffen von Frant. Vaclav Mica (1694—1744), Fr. Ign. Tum a (1704—1774),Fr. Vaclav Habermann (1706—1783), Jos. Antonin ¦ S e h 1 i n g (1710—1756), Jos. Ferd. Norbert Seger (1716—1782) und von vielen Ordenskomponisten dieser Zeit auf. Das Stilprinzip der dritten Periode der tschechischen Barockmusik erreichte seinen Höhepunkt ohne Zweifel in dem Schaffen des Prager Organisten und Komponisten Frant. Xaver Brixi (1732—1771), in dessen umfangreichem Kirchen- und Orchesterwerk sich das melodische Volkselement mit dem ausklingenden Barockpathos und dem frühklassischen Musikausdruck vermengt.15 Das tschechische Barock erlosch erst zur Zeit des tschechischen aufgeklärten Rationalismus, der im Grunde genommen antibarock war. Die tschechische nationale Wiedergeburt sagte dem Barock und den Barocktendenzen den Kampf an, ohne dieselben als barock zu bezeichnen. Dieser Kampf gegen das Barock wurde im Geiste der Philosophie von Descartes, 14 Außer diesen führenden Erscheinungen macht sich in der Zeitspanne noch eine ganze Gruppe von Ordenskomponisten mit ihrem Kompositionswerk geltend, von denen wenigstens Jan Pecelius (2. Hälfte des 17. Jh.), Jifi Meltzelius (1624—93) und Mikulaš Fr. Xaver Wentzely (um 1643—1722), Kapellmeister des St. Veitsdom in Prag, genannt seien. 15 Tumas Stabat Mater gab J. Plaveè heraus (Praha 1959), Segers Kompositionen erschienen i.d. Revision von V. Bëlsky in MAB, Bd. 51 und 56 (Praha 1961—62) und die Ausgabe der Kompositionen von Brixi besorgten J. Reinberger, V. J. Sykora und V. Bëlsky, gleichfalls in MAB, Bd. 12, 14, 26 und 2 (Serie II, Praha 1953, 1964 und 1967). Siehe auch die nachstehende wichtigste Literatur: Komma K. M., /. Zach und die tschechischen Musiker im deutschen Umbruch des 18. Jh. (Kassel 1938, mit einem thematischen Katalog der Zachschen Kompositionen), Vogg H., Fr. Tuma als Instrumentalkomponist (Diss. Wien 1951, Maschinenschrift) und Kamper O., Fr. X. Brixi (Praha 1926). Eine erschöpfende Monographie über Mica schrieb V. Helfert in seinem Buch Hudba na jaromëfickém zamku (Die Musik auf Schloß Jaromëfice), Praha 1924. 42 Leibniz und der Wolff sehen Popularphilosophie geführt und zwar sowohl gegen den Aristotelismus in der Konzeption des Suarez und Ariago, wie ihn die Jesuitenschulen bei uns verdolmetscht haben, als auch gegen die Scholastik eines Duns Scotus. Abschließend möchte ich noch hervorheben, daß ich mir der Unvollstän-digkeit meiner periodischen Gliederung (Periodisierung) der tschechischen Barockmusik, vornehmlich in ihren klassifizierenden und wertenden Urteilen über die einzelnen Komponisten-Persönlichkeiten des 17. und 18. Jahrhunderts, ganz und gar bewußt bin. Sicherlich werden neue, eingehendere Forschungen in unseren Ländern sowie im Ausland so manches an dieser meiner Periodisierung berichtigen. Ungeachtet dessen bin ich aber davon überzeugt, daß es in der Tat nur Details sein werden, die im Grunde kaum Wesentliches an der gesamten Entwicklungskonzeption und -linie des tschechischen Musikbarocks ändern können, wie sie von mir hier in aller Knappheit und Gedrängtheit entworfen wurde. POVZETEK Študija obsega dva dela. V prvem obravnava avtor splošna naèela dinamiène glasbene periodizacije. Glavni metodološki kriterij zgodovinsko in stilno utemeljene periodizacije so zanj skupni stilni principi glasbenih struktur, njihova zakonita logika in ritem gibanja. Drugi, posebni del je posveèen periodizaciji èeškega glasbenega baroka v neposredni povezavi s periodizacijo evropske baroène glasbe. Primerjava pokaže, da se je èeški glasbeni barok izoblikoval z zamudo glede na razvojne, faze evropske glasbe. To zakasnitev pa niso povzroèili le specifièni kulturno zgodovinski in umetnostni, ampak predvsem družbeni, politièni in gospodarski dejavniki obdobja pred in po bitki na Beli gori. V èeškem glasbenem baroku se odraža prekinitev razvoja predvsem v poèasnem ugašanju nizozemskih polifonih principov pozne renesanse in domaèe kontrapunkt-ske vokalne tradicije, èeški glasbeni barok se je oblikoval kot relativno enovito obdobje šele od zaèetka 17. pa do prve tretjine 18. stoletja. Zato razlikujemo v èeškem glasbenem baroku tri razloèno zaèrtane razvojne faze. Zgodnji barok se je razvijal v prvi polovici 17. stoletja, približno od leta 1600 pa do 1650. Srednji barok sega prek druge polovice 17. še v prvo tretjino 18. stoletja, torej približno od 1650 do 1730. Pozni barok, èigar stilna potenca je prišla do veljave od konca prve tretjine 18. do zaèetka 19. stoletja, se razvija od leta 1730 do 1770, predno ugasne kot samostojen umetnostni stil. Lahko reèemo, da se je èeški glasbeni barok izoblikoval šele v drugi polovici 17. stoletja, in to sorazmerno hitro po zaslugi nekaj izrazitih skladateljskih osebnosti, ki so v svojih znaèilnih delih znale navezati na zaèasno prekinjeno evropsko in domaèo glasbeno tradicijo. 43