DAS VOLKSLIED IM SCHAFFEN DER SLOWAKISCHEN KOMPONISTEN ZWISCHEN 1830-1918 JANA LENGOVÄ Slovenska akademia vied, Bratislava Izvleček: Ljudska pesem je bila pri oblikovanju slovaške nacionalne glasbe v 19. stoletju pomemben pojav, postala je tudi novo legitimno sredstvo inovativnosti, ki je prispevalo k slogovni bogatitvi tako uporabne kot tudi avtonomne glasbe. Ljudske pesmi so se pogosto harmonizi-rale in uporabljale v številnih umetniških delih. Njihove priredbe so služile deloma narodno-vzgojnim in kulturnopolitičnim, deloma umetniškim in estetskim namenom. Ključne besede: ljudska pesem, slovaški skladatelji, 19. stoletje Abstract: Folksong was an important phenomenon in the formation of Slovak national music in the nineteenth century and also became a new legitimate means of innovation that contributed to enriching the style of both functional and autonomous music. Folksongs were often harmonized and used in many artistic compositions. These adaptations partly served popular-education, cultural, and political aims on the one hand, and partly artistic and aesthetic aims on the other. Keywords: folk song, Slovak composers, nineteenth century In der Musikgeschichte bestand in allen Entwicklungsepochen eine bestimmte Komplementarität zwischen Kunst- und Volksmusik. Das Interesse für die Volkskultur lässt eine breite Skala von musikalischen und soziokulturellen Zusammenhängen erkennen, die von der Unterhaltung und Modeerscheinung bis hin zu ernsthaften national-emanzipatorischen Bemühungen, Konstruktion und Rekonstruktion der kulturellen, regionalen und ethnischen Identitäten reichen.1 Die spezifischen Erscheinungsformen im 19. Jahrhundert entsprachen der Ansicht der Romantiker, dass das Volkslied den Geist und das Wesen der Nation ideal widerspiegelt. Infolgedessen galt das Volkslied im Prozess der Formierung der nationalen Musik vor allem bei kleineren Nationen als Identitätsphänomen oder -symbol. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Zeitspanne 1830-1918, die in der slowakischen Musikgeschichtsschreibung traditionell als Zeitspanne der Romantik bezeichnet wird. Die von Johann Gottfried Herder in ganz Europa erweckte Begeisterung für das Volkslied fand ihren Widerhall auch bei slowakischen Gebildeten und führte zu einer reichen Sammel- und Editionstätigkeit. Obwohl schriftliche Quellen zur slowakischen 1 Peter Burke, Lidova kultura v rane novoveke Evrope [Populär Culture in Early Modern Europe], Praha, Argo, 2005, S. 31-47 (tschechische Übersetzung, englische Originalausgabe 2001). Folkloristik aus älteren Zeitperioden vereinzelt und im 18. Jahrhundert schon reichlicher erhalten sind, wurde dem Volkslied erst seit dem 19. Jahrhundert eine systematische Aufmerksamkeit gewidmet. Die ersten bedeutenden, jedoch noch nicht notierten slowakischen Liededitionen stammen aus den 1820er und 1830er Jahren und enthalten ebenso Volks-, volkstümliche wie Kunstlieder: Piesne svetske l'udu slovenskeho v Uhorsku (Weltliche Lieder des slowakischen Volkes in Ungarn), 2 Bände, 1823, 1827 (insgesamt 222 Liedertexte),2 herausgegeben von Jan Kollar und Pavel Jozef Safarik, und Narod-nie spievanky (Nationale Gesänge), 2 Bände, 1834, 1835 (insgesamt 2582 Liedertexte),3 herausgegeben von Jan Kollar. Sie stellten wichtige Ereignisse von literatur- und kulturgeschichtlicher Bedeutung dar. Die repräsentative Notenedition der slowakischen Volkslieder, die für die slowakische Musik von entscheidender Bedeutung war, wurde erst viel später veröffentlicht. Es handelte sich um die Edition Slovenske spevy (Slowakische Gesänge), die 1880-1926 in drei Bänden mit insgesamt 1977 notierten Liedern herausgegeben wurde und bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als unerschöpfliche musikalische Quellenbasis für Volksliedbearbeitungen diente. Es ist notwendig, in aller Kürze auf die terminologische Frage l'udova bzw. narodna piesen (Volks- bzw. Nationallied) einzugehen. Im 19. Jahrhundert gebrauchten slowakische Komponisten, Schriftsteller, Liedersammler und Herausgeber - vermutlich als Folge der Idealisierung der Volkskultur - fast ausschließlich die Begriffe Nationallied oder konkret slowakisches Lied, slowakischer Gesang.4 Sie wollten auch durch diese Benennung das Volkslied, das bis dahin als Randerscheinung galt, zu einem integralen Bestandteil der slowakischen nationalen Kultur erheben. Anfänglich legte man, vielleicht aus demselben Grund, auch keinen großen Wert auf die Differenzierung zwischen dem Volks- und dem volkstümlichen Lied, umso mehr, wenn es zwischen beiden Typen eigentlich nur fließende Grenzen gab. Die eindeutige Verwendung des Begriffs l'udova piesen (Volkslied) scheint sich erst etwa um die Mitte des 20. Jahrhunderts durchzusetzen. Das Verständnis für die Originalität des Volkslieds setzte sich zuerst eher intuitiv als exakt analytisch durch. In theoretischen, meist in enger Anbindung an die kompositorische, Sammel- und Editionspraxis stehenden Abhandlungen wurde über den musikalischen Charakter der Volkslieder, besonders über ihre Struktur, Tonarten bzw. Tonreihen und ihre Harmonisierung diskutiert. Das Grundproblem war offensichtlich das letztgenannte: man bezweifelte, dass es überhaupt möglich ist, die Liedweisen der älteren Schichten der slowakischen Volkslieder richtig zu harmonisieren, da sie eine eigene Struktur bzw. einen modalen Charakter hatten und ihre Harmonisierung sich den Prinzipien der tonalen Dur-Moll-Harmonik entzog. Zu den kühnsten, in der Praxis aber 2 Jan Kollar, Pavel Jozef Safarik, Piesne svetske ludu slovenskeho v Uhorsku [Weltliche Lieder des slowakischen Volkes in Ungarn], Diel prvy a druhy [1. Aufl. 1823, 1827], hrsg. Ladislav Galko, Nachwort Jozef Minarik, Bratislava, Tatran, 1988. 3 Jan Kollar, Narodnie spievanky [Nationale Gesänge], [1. Aufl., 2 Bd., 1834, 1835], hrsg. Eugen Pauliny, Vorwort Frantisek Votruba, Bratislava, Slovenske vydavatel'stvo krasnej literatury, Bd. 2, 1953. 4 Ähnliche Tendenzen in der Terminologie kommen auch in der Musik der tschechischen nationalen Wiedergeburt vor, vgl. BBn (Bohuslav Benes), Narodni pisen [nationales Lied], Slovnik ceske hudebni kultury, Praha, Editio Supraphon, 1997, S. 603. kaum realisierbaren Ergebnissen gelangten die Gebrüder Julius und Eudovit Reuss, die ein anhand von Zahlenverhältnissen zusammengestelltes System dafür vorschlugen.5 Die bedeutendste Persönlichkeit der slowakischen Folkloristik vor 1918 war Milan Lichard (1853-1935), der in seiner Theorie schließlich drei musikstilistische Typen der slowakischen Volksliedmelodien aufstellte, und zwar a) modale Melodien (er verwendete die damals gebräuchlichen Begriffe kirchenmusikalische oder altgriechische Tonarten), b) moderne Melodien in der Dur-Moll-Harmonik und c) heterogene Melodien, die entweder als Ergebnis der Aneignung bzw. Assimilierung der Melodien anderer Ethnien oder als authentische Melodien entstehen konnten.6 Alle drei Typen mussten dann natürlich differenziert harmonisiert werden. Es ist festzustellen, dass der Unterschied zwischen der theoretischen Erfassung der Volksliedmelodien in der Vergangenheit und im Klassifikationssystem der zeitgenössischen slowakischen Ethnomusikologie in der Stufe der Abstraktion liegt,7 erst in diesem Klassifikationssystem kam das Postulat der Entwicklungsstilschichten des slowakischen Volkslieds zu Wort. Da Volksmusik und Kunstmusik hinsichtlich ihres sozialen Ursprungs und ihrer Funktionalität als zwei differenzierte Bereiche der Musik zu verstehen sind,8 sollten Volksliedbearbeitungen im Sinne der zeitgenössischen Ansichten einen Transfer vom Volksmilieu in das Milieu des Bildungsbürgertums, das heißt vom ursprünglichen ruralen Milieu in das andere, urbane, verwirklichen, um damit zur Popularisierung des Volkslieds in der breiteren Öffentlichkeit beizutragen. Nicht zu übersehen sind auch die erzieherischen und pädagogischen Zwecke der Bearbeitungen, ohne dass dabei die Autoren auf den künstlerischen bzw. ästhetischen Wert verzichten sollten und wollten. Im Vorwort zu seinen zweistimmigen Bearbeitungen der slowakischen Volks- und volkstümlichen Lieder für die Schuljugend stellte Karol Ruppeldt zum Beispiel fest, dass das Ziel seiner Sammlung ist, Schulkinder im Kunstgesang zu unterrichten und potenzielle Sänger für Singvereine zu erziehen.9 Eine andere Art von Polaritäten stellen die Begriffe autonome und funktionale Musik dar. Das Problem der Autonomie in der Kunst und Musik, das seit dem 18. Jahrhundert deutlich zu beobachten ist, ist aus historischer Sicht zu erklären: 5 Jana Lengova, Das musiktheoretische Denken in der Slowakei im 19. Jh., Kunstgespräche. Musikalische Begegnungen zwischen Ost und West. Festschrift Primož Kuret zum 60. Geburtstag, hrsg. Peter Andraschke, Edelgard Spaude, Freiburg im Breisgau, Rombach, 1998, S. 289-291. 6 Hana Urbancova, Milan Lichard a jeho teöria slovenskej l'udovej piesne [Milan Lichard und seine Theorie des slowakischen Volkslieds], Vybrane stüdie khudobnym dejinam Bratislavy, Mu-sicologicaSlovaca etEuropaeaXXIII, hrsg. Jana Lengova, Bratislava, Veda und Ustav hudobnej vedy Slovenskej akademie vied, 2006, S. 100. 7 Hana Urbancova, Jan Levoslav Bella a slovenska l'udova piesen [Jan Levoslav Bella und das slowakische Volkslied], Jan Levoslav Bella v kontexte europskej hudobnej kultüry, Bibliothe-ca Musicae Neosoliensis 1, Zbornik prispevkov z medzinarodnej muzikologickej konferencie, Banska Bystrica 24.-25. jün 1993, hrsg. Jana Lengova, Banska Bystrica, Nadacia J. L. Bellu, 1993, S. 47. 8 Alica Elschekova, Oskar Elschek, Uvod do stüdia slovenskej l'udovej hudby [Einleitung in das Studium der slowakischen Volksmusik], Bratislava, Hudobne centrum, [1. Aufl. 1962], 320 05, S. 14. 9 Karol Ruppeldt, Venček slovenskych narodnich piesni [Der Kranz der slowakischen nationalen Lieder], Praha, (in eigener Auflage), 1874, (Vorwort ohne Pagination). „Ein Teil der Kunst wird also autonom, [...] während die Heteronomie als historisch primäre Form der Koexistenz der künstlerischen und außerkünstlerischen Aktivitäten aber weiterhin überdauert, weil sich ein beträchtlicher Teil der künstlerischen Produktion in heteronom funktionellen Kontexten entfaltet [...]".10 Der vielerlei Zwischenstufen, Erscheinungsformen und Nuancen zwischen der autonomen und funktionalen Musik war sich auch Hans Heinrich Eggebrecht bewusst und infolgedessen postulierte er noch einen dritten, ergänzenden Begriff der „Zwischenbereichsmusik",11 in dessen Rahmen die meisten Bearbeitungen der Volkslieder des Arrangement-Typs gehören. Das Interesse der slowakischen Komponisten für das Volkslied führte im 19. Jahrhundert zu zahlreichen Volksliedbearbeitungen vor allem für drei Medien: Gesang und Klavier, Klavier solo und Chorbesetzung. Man kann sagen, dass sich in den Bearbeitungen der Volkslieder die zeitgenössischen Bedürfnisse widerspiegelten, die aus der reichen Tätigkeit der Gesangvereine und der Beliebtheit des Klaviers als Musikinstrument der Haus-, Salon- und Konzertmusik resultierten. Die Volksliedbearbeitungen bewegten sich hinsichtlich des Niveaus und des Charakters der kompositorischen Arbeit zwischen zwei Polen, einerseits dem Arrangement und andererseits dem Werk.12 Einen umfangreichen Bereich der Bearbeitungen des Arrangement-Typs bildeten die Harmonisierungen der Volkslieder, bei denen die gewählte Volksliedmelodie als eine intakte Invariante betrachtet, eventuell durch kleine Verzierungen oder passende rhythmische Änderungen geschmückt wurde. Die Hauptaufgabe des Komponisten / Bearbeiters bestand vor allem darin, die Harmonik „richtig" und den Satz passend zu gestalten. In den Harmonisierungen kam meist das harmonische Dur-Moll-System der Zeit zur Anwendung, und nur ausnahmsweise wurde ein Exkurs in das modale Denken unternommen, wie die Klavier- oder Chorlieder von Milan Lichard zum Beispiel zeigen. Die ersten veröffentlichten Klavierbearbeitungen wurden anlässlich der Herausgabe der ersten nichtnotierten slowakischen Liedereditionen ins Leben hervorgerufen: Die recht einfachen Harmonisierungen der Volkslieder von Martin Suchän (1830) und Vladislav Füredy (1837) konnten alternativ, entweder für Solo-Klavier oder für Gesang mit Klavierbegleitung ausgeführt werden. Erst seit den 1860er Jahren nahm der ganze Prozess größere Dimensionen an. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass das Volkslied auch erfolgreich in die importierten Gesellschaftstänze implantiert wurde. Die Funktionalität der Tanzmusik mit ihren normativen Modellen in Bezug auf Form, Metrik und Rhythmik verlangte entsprechende rhythmisch-metrische Änderungen in der Gestalt der zitierten Lieder vorzunehmen, wobei natürlich nicht alle Lieder für solche Adaptierungen geeignet waren. In den 1860er und 1870er Jahren erfreuten sich die national spezifizierten Quadrillen mit zitierten bzw. stilisierten slowakischen Liedern einer außerordentlichen 10 JVl (Jiri Vyslouzil), Autonomni hudba [autonome Musik], Slovnik ceske hudebni kultury, op. cit., S. 52. 11 Hans Heinrich Eggebrecht, Funktionale Musik, Musikalisches Denken. Aufsätze zur Theorie und Ästhetik in der Musik, Wilhelmshaven, Florian Noetzel GmbH, [1. Aufl. 1977], 32004, S. 169-171. 12 Vgl. JT (Jan Trojan), Upravy lidovych pisni [Bearbeitungen der Volkslieder], Slovnik ceske hudebni kultury, op. cit., S. 969. Popularität.13 Diese sogenannten slowakischen Quadrillen sind meist als Klavierstücke erhalten, sie wurden aber, nach zeitgenössischen Zeugnissen, auch von Musikkapellen in verschiedener Instrumentierung zum Tanz gespielt. Einige Quadrillen verweisen sogar auf kulturpolitische Zusammenhänge. Die als Nachhall auf die Revolutionsjahre 1848/49 geschriebene Quadrille Slovenski vyst'ahovalci (Slowakische Aussiedler) von August Horislav Krcmery wurde auf einem Ball in der mittelslowakischen Stadt Liptovsky Sv. Mikulas anlässlich der Rückkehr der slowakischen Rebellen aus dem Gefängnis, den Autor inbegriffen, am 29. Januar 1850 aufgeführt. Jan Levoslav Bella schuf seine 1862 erschienene SvätomartinsM kadrila (Sankt-Martins-Quadrille) zum Gedenken an die gesamtslowakische Volksversammlung am 6. und 7. Juli 1861 in Turciansky Sv. Martin, wo das Memorandum der slowakischen Nation im Sinne eines slowakischen politischen und kulturellen Programms verabschiedet wurde. Die vielleicht beliebteste slowakische Quadrille Marina-kadrila (Marina-Quadrille) von Maximilian Hudec (1836-1911) (sie erschien 1862 in Wien bei A. O. Witzendorf) wurde Marina Hodzova, einer namhaften passionierten slowakischen Schauspielerin, gewidmet. In der Quadrille wurden insgesamt 13 slowakische Volks- und volkstümliche Lieder zitiert. Im dritten Teil (Poule), der hier näher erörtert werden soll, wurden zwei besonders charakteristische Lieder mit nationaler Symbolik bearbeitet. In dem volkstümlichen Lied Hej, pod Krivanom (Ei, unter dem Krivan) wurde der Berg Krivan, der seit der Romantik als das Symbol des Slowakentums galt, besungen. Die einfache Liedweise enthielt durch die Melodieführung in Oktaven und die akkordische Satzstruktur eine festliche, fast feierliche Prägung. Das zweite zitierte Lied Nasa pani knahne (Unsere Frau Fürstin) gilt als eine der ältesten und schönsten slowakischen Volksliedballaden. Im 19. Jahrhundert glaubte man, dass ihre Genese bis in das 9. Jahrhundert, in die Zeit des altslawischen Pribina-Fürstentums zurückreicht.14 Die jüngsten Forschungen der Literatur- und Theaterhistoriker bestätigten diese Hypothese nicht, sondern verschieben ihre Entstehungszeit in das Spätmittelalter bzw. die Renaissance, mit der Eventualität, dass es sich um ein Relikt der westeuropäischen namentlich französischen aristokratischen Kultur handelt.15 Dass die Liedweise zu den älteren Schichten der slowakischen Liedkultur zu zählen ist, kann durch die musikalische Analyse bestätigt werden: der schmale Ambitus der Melodie im äolischen Modus besteht aus sechs Tönen mit der Dominante auf der Quinte und mit der Finalis auf der 2. Stufe, das tonale Gerüst bildet die Quinte.16 Ihr modaler Charakter wurde aber in der Bearbeitung von Maximilian Hudec nicht beachtet, sondern seine Harmonisierung entspricht den Regeln des harmonischen Dur-MollSystems. (Vgl. Notenbeispiele 1 und 2.) Die erwähnte Ballade und ihre Genese zeigen 13 Vgl. Jana Lengova, Postrehy k tanecnej hudbe na Slovensku v rokoch 1848-1918 [Several Notes on Dancing Music in Slovakia in the Period 1848-1918)], Slovenska hudba 31 (2005), S. 371-373. 14 Vgl. Jùlius Pasteka, Piesen, balada alebo hra? (Pretrvavanie stredovekej divadelnej tradicie) [Das Lied, die Ballade oder das Spiel? Das Überdauern einer mittelalterlichen Theatertradition], Pohl'ady na slovensku dramatiku, divadlo a kritiku I, Bratislava, Narodné divadelné centrum, 1998, S. 9-36. 15 J. Pasteka, op. cit., S. 32. 16 J. Lengova, Postrehy k tanecnej hudbe na Slovensku, op. cit., S. 373. auch, dass die Volkslieder nicht immer einen autochthonen Ursprung haben mussten, sondern durch den Prozess der Migration und Transformation sogar internationale Züge tragen konnten.17 Notenbeispiel 1 Maximilian Hudec, Marina-kadrila (Marina-Quadrille), Wien 1862 - 3. Satz (Poule), Ausschnitt. Notenbeispiel 2 Nasa pani knahne (Unsere Frau Fürstin), in Slovenske spevy I, op. cit., 1880-1882, S. 167, Nr. 446. Ein einzigartiger Platz unter den slowakischen Volksliedern gehört den Wiesenliedern, slowakisch travnice genannt, die heute als eine spezifische Gattung der slowakischen Volksliedkultur angesehen werden.18 Sie wurden ursprünglich von Frauen unterwegs und bei der Arbeit auf den Wiesen bei der Heuernte vor allem in den Gebirgsgegenden gesungen. Im Prozess der Formierung der nationalen und kulturellen Identitäten im 19. Jahrhundert wurden sie zu einem der nationalen Symbole im Bereich der Musik erhoben. Ihre Po- 17 Auf etwa Ähnliches weist auch Carl Dahlhaus hin, in Die Musik des 19. Jahrhunderts, Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Bd. 6, Laaber, Laaber Verlag, 1980, S. 91. 18 Ausführlicher dazu Hana Urbancova, Travnice. Lucne piesne na Slovensku. Ku geneze, strukture a premenam piesnoveho zanru [Travnice. Meadow Songs in Slovakia. A Contribution to Genesis, Structure and Transformations of a Song Genre], Bratislava, AEPress, 2005. pularität war so groß, dass es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Verschiebung des Wortinhalts, offensichtlich im Kontext mit ihrem symbolhaften Charakter kam, und unter der Bezeichnung travnice verstand man eigentlich jedes beliebte Volks- und volkstümliche Lied. Nach den Ansichten der Zeitgenossen zeichneten sich die travnice vorwiegend durch den zwölfsilbigen Vers (Alexandriner), das freie Tempo und den Rubato-Vortrag aus. Es ist bemerkenswert, dass diese Ansichten im Prinzip mit jenen von Bela Bartok, der auch slowakische Volkslieder sammelte, übereinstimmen. Bela Bartok ordnete die slowakischen Wiesenlieder in seiner Systematik in die Stilgruppe der Melodien von vier sechssilbigen Versen, ohne punktierten Rhythmus und mit Parlando-Rubato-Vortrag ein, zusammen mit anderen Gattungen der Arbeitslieder in der Natur, Gebrauchs- und Wiegenlieder, und betrachtete sie, zusammen mit den sogenannten walachischen Melodien, als die charakteristischste Liedergruppe für die Slowakei.19 Ein außergewöhnliches Merkmal der slowakischen Wiesenlieder ist, dass sie oft zwei- und mehrstimmig gesungen werden. Unter dem Titel Travnice. 200 slovenskych närodnych piesni (Travnice / Wiesenlieder. 200 slowakische [nationale bzw.] Volkslieder), 1. Auflage 1892, 1893, 2. Auflage 1908) veröffentlichte Miloslav Francisci (1854-1926), Komponist und Arzt von Beruf, der seit 1886 in Cleveland (USA) lebte, seine Liederbearbeitungen in zwei Heften, die rasch eine große Verbreitung fanden. Die Melodien waren der Edition Slovenske spevy entnommen. Die Auswahl wurde jedoch nicht nach Gattungen, sondern nach der Popularität der Lieder getroffen, das heißt, im Sinne der schon erwähnten Verschiebung der ursprünglichen Wortbedeutung travnice. Die konzentrierten, kurzen Klavierparaphrasen sind so trefflich gestaltet, dass sie den Eindruck einer Analogie zum Charakterstück erwecken, als ob es sich um eine spezifisch slowakische Klavierminiatur handelte.20 Der Autor bemühte sich, die Stimmung des Liedes durch entsprechende kompositorische Mittel zum Ausdruck zu bringen, teilweise mit einer romantischen pianistischen Bravour. Für die Verwendung der melodischen Verzierungen und der chorijambischen Rhythmik, die als prägende Elemente des sogenannten neuungarischen Stils galten,21 erntete er zum Teil auch Kritik, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass sein Werk musikalisch geschmackvoll und ästhetisch überzeugend wirkt. Als Beispiel seiner Kompositionsweise soll das Lied Hej, pijü chlapci, pijü (Ei, die Burschen trinken, trinken) dienen. (Vgl. Notenbeispiel 3.) Dieses ist mit dem erwähnten Text als das Räuberlied der Hirtenkultur anzusehen und stammt laut dem Vermerk in den Slowakischen Gesängen aus der urwüchsigen slowakischen Ortschaft Detva.22 Die Liedmelodie in der hypoionischen Tonart hat eine offene Form, die vier Strophen mit den typischen sechssilbigen Versen und den 19 H. Urbancova, op. cit., 2005, S. 30-31. 20 Jana Lengova, Hudba v obdobi romantizmu a narodnoemancipacnych snah (1830-1918) [Musik zur Zeit der Romantik und national-emanzipatorischen Bewegungen: 1830-1918], Deji-ny slovenskej hudby, hrsg. Oskar Elschek, Bratislava, Ustav hudobnej vedy Slovenskej akademie vied und ASCO Art & Science, 1996, S. 218. 21 Zur Charakteristik des neuungarischen Stils vgl. näher Hana Urbancova, Der neuungarische Stil und seine Kontexte in der Musik von Franz Schmidt,Musicologica Istropolitana II, hrsg. Marta Hulkova, Eubomlr Chalupka, Bratislava, STIMUL und Univerzita Komenskeho, Filozoficka fa-kulta, Katedra hudobnej vedy, 2003, S. 177-178. 22 Slovenske spevy [Slowakische Gesänge], Turciansky Sv. Martin, Knihtlaciarsky ucastinarsky spolok, Bd. 2, 1890-1897, S. 112, Nr. 305. freien Rubato-Charakter. Auf die Beliebtheit der Melodie und den spezifischen Prozess der Variantenbildung in der Volksmusik verweist dieselbe Melodie in den Slowakischen Gesängen wiederum aus Detva stammend, die diesmal unter dem Titel Hej, pofukuj, po-vievaj, vetricek vonavy (Ei, blase und wehe, mein duftiges Windlein) aufgezeichnet ist,23 nach dem Textinhalt ist sie jetzt als Wiesenlied zu bezeichnen. Notenbeispiel 3 Miloslav Francisci, Hej, piju chlapci, piju (Ei, die Burschen trinken, trinken), Travnice, Turciansky Sv. Martin, 21908, S. 44, Nr. 102, Takte 1-9. Während die Klavierbearbeitungen der Volkslieder vor allem für die Hausmusik und nur teilweise auch für öffentliche Produktionen bestimmt waren, entstanden die Bearbeitungen der Volkslieder für Chorbesetzung primär für das öffentliche Auftreten von Singvereinen, deren Tätigkeit in der Slowakei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Aufschwung erlebte und auch die damit zusammenhängende Blüte des einheimischen Chorschaffens beeinflusste. Die Chorlieder wurden meist von den Chorleitern für eigene Chöre sowie von anderen, mit dem Gesangverein zusammenarbeiteten Musikern, geschrieben. Nach den ersten aus den 1860er Jahren erhaltenen Männerchören folgten in einem bestimmten Zeitabstand auch Chöre für gemischte, Frauen- und Kinderbesetzung. Als standardisierte Faktur galt die Vierstimmigkeit, es gibt aber auch drei- und zweistimmige Chorlieder. Die Bearbeitungen der slowakischen Volkslieder bildeten einen wesentlichen Bestandteil des Repertoires der slowakischen Singvereine. Diese Tatsache ist einerseits mit der Idealisierung des Volkslieds als substantielles Phänomen im Prozess der Formierung der nationalen Musik, andererseits aber auch mit dem Mangel an authen- 23 Slovenske spevy [Slowakische Gesänge], Turciansky Sv. Martin, Knihtlaciarsky ücastinärsky spolok, Bd. 1, 1880-1882, S. 210, Nr. 556. tischem einheimischem Chorschaffen zu erklären. Außerdem entsprach das proklamierte Einfachheitsideal des Chorsatzes mit seiner edlen Simplizität gut der Vorstellung von der Übertragung der einfachen Gestalt des Volkslieds in die Kunstmusik. Das Chorlied24 war allgemein durch liedhafte Züge, strophische Form, homophone Faktur mit sporadischen Imitationen, kurzen Sologesangs-Abschnitten und gelegentlicher Tonmalerei, natürlich mit Berücksichtigung des Deklamationsverlaufs des Liedtextes geprägt. Ab und zu wurden auch anspruchsvollere kompositorische Mittel verwendet. Um eine umfangreichere mehrteilige Komposition zu schaffen, konnten die Harmonisierungen mehrerer Volkslieder als eine Art Potpourri oder Quodlibet zusammengesetzt werden, die dann als vence (Kränze), vermutlich nach dem tschechischen Vorbild25 bezeichnet wurden. Es seien nur drei Komponisten erwähnt, die sich für die Entfaltung des slowakischen Chorliedes bis zum Jahr 1918 am meisten verdient machten. Karol Ruppeldt (18401909), der langjährige Chorleiter des gemischten Gesangvereins Tatran in Liptovsky Sv. Mikulas, bereicherte seinen Chorstil um beachtliche Imitationsverfahren, Brummendo oder sogenannte vokale Instrumentalismen, er verwendete auch gern Kontraste von Solo-und Tutti-Abschnitten in der Faktur, aber auch die Gegenüberstellung der Männer- und Frauengruppe im gemischten Chor. In seinen Harmonisierungen der Wiesenlieder (trav-nice) für Frauenchor spiegelt sich die Art und Weise des Volksgesangs, wie man ihn im Gebiet Liptov pflegte.26 Seine aus sechs Quodlibets bestehenden Harmonisierungen erschienen 1909 unter dem Titel Kytky slovenskych piesni (Sträuße slowakischer Lieder). Notenbeispiel 4 Karol Ruppeldt, Kytky slovenskych piesni, Turciansky Sv. Martin, 1909, S. 13, III. Quodlibet, Frauenchor (1. Chorlied Mâm ja miluckého [Ich habe einen Liebsten], Wiesenlied). 24 Das Chorlied wurde anscheinend im ganzen europäischen Raum durch das Sangbarkeitsideal und einfache Setzweise geprägt. Vgl. dazu Rheinhold Brinkmann, Musikalische Lyrik im 19. Jahrhundert, Musikalische Lyrik. Teil 2, hrsg. Hermann Danuser, Handbuch der musikalischen Gattungen, Bd. 8,Teil 2, hrsg. Siegfried Mauser, Laaber, Laaber Verlag, 2004, S. 78-85. 25 Boris Banary, Slovenske närodne obrodenie v hudbe [Slowakische nationale Wiedergeburt in der Musik], Martin, Matica slovenska, 1990, S. 99. 26 Dazu vgl. Jozef Kresanek, Vznik narodnej hudby v 19. storoci [Die Entstehung der nationalen Musik im 19. Jahrhundert], Dejiny slovenskej hudby, Bratislava, Vydavatel'stvo Slovenskej akademie vied, 1957, S. 308-309. Notenbeispiel 5 Karol Ruppeldt, Kytky slovenskych piesni, op. cit., S. 15, III. Quodlibet, Gemischten Chor (5. Chorlied Prsi, prsi [Es regnet], Anfang). In Budapest wirkte als Lehrer und Chorleiter des Slowakischen Gesangvereins Eudovit Izak (1862-1927), der unter dem Pseudonym Miloš Lihovecky schrieb. Ähnlich wie Ruppeldt versuchte er in seinen Chorwerken die Stimmung des Liedes und den Textinhalt zum Ausdruck bringen. Milan Lichard (1853-1935), der schon erwähnte Theoretiker und Komponist, von Beruf Beamter und Publizist, zeigte ein großes Interesse an dem slowakischen Volkslied. Seine Chöre und Volksliedharmonisierungen entstanden meist während seines Wirkens in der mittelslowakischen Stadt Martin (1897-1906), wo er mit dem dortigen Slowakischen Singverein zusammenarbeitete. In der Suche nach der Altertümlichkeit der slowakischen Volkslieder, neigte er in seinem Schaffen dazu, die modalen Strukturen zur Geltung zu bringen, wie es ausdrücklich aus dem Titel seines Chorwerkes Šest' vencov zo slovenskych narodnych piesni složenych v antickych stupniciach (Sechs Kränze aus slowakischen nationalen / Volksliedern in antiken Tonleitern gesetzt) zu entnehmen ist. Das Kunstwerk ist als ein integrierendes strukturelles, aus verschiedenen Schichten bestehendes Ganzes zu verstehen, das immer durch die individuelle und subjektive Aussage seines Schöpfers geprägt wird. Im autonomen Schaffen konnte das Volkslied auf vielerlei Art verwendet werden, beginnend von fragmentarischen oder kompletten Zitaten bis hin zur Stilisierung, natürlich alles - in der erforschten Zeitspanne - im Rahmen des kompositorischen Kanons der Romantik. Wegen der ungünstigen politischen Verhältnisse der Slowaken im ehemaligen Ungarn und der ungenügend strukturierten musikinstitutionellen Basis mussten slowakische Komponisten damals ihre künstlerischen Vorhaben fast nur auf die Chor- und Kunstlieder sowie die Klavier- und Kammermusik beschränken. Einen Weg, die stilisierten Volksliedelemente in Chorkompositionen und Kunstliedern zu verwenden, suchten praktisch alle Komponisten, die sich mit der Harmonisierung der Volkslieder beschäftigten. Unter den Stilmitteln wurde großer Wert auf die volksliedhafte Melodik gelegt. Die volksnahe Melodie des originellen Chorliedes Dobre mi, dobre mi (Es geht mir gut, ja gut) für Männerchor von Karol Ruppeldt auf ein Gedicht von Pavol Orszagh Hviezdoslav fand zum Beispiel einen breiten Anklang und wurde volkstümlich.27 Im autonomen Chorschaffen mit stilisierten Volksliedelementen reichten die Faktur und Tektonik vom einfachen homophonen Satz bis zur durchkomponierter Form sowie zu meist mehrteiligen Kompositionen vom Typ musikalischer Genrebilder. Im Kunstlied lassen sich verschiedene Einflüsse und Tendenzen erkennen, zu den radikalsten Ansichten gelangte Milan Lichard, der die Kunstlieder im Volkston, wörtlich „Kunstvolkslieder" (umele ludove piesne), zu schaffen verlangte: das neue Kunstlied sollte wiederum als „das volkstümliche nationale Lied" zum Volk zurückkehren und Eigentum des Volkes werden. In diesen Intentionen schuf er seinen Liederzyklus Jonäsove piesne (Jonas-Lieder) (1909, herausgegeben 1912) zu dem volksnahen Text von dem Dichter Jonas Gouth. In der Klaviermusik mit folkloristischen Idiomen wurden kleinere musikalische Formen bevorzugt, besonders Variationen, Rhapsodien und Fantasien. Die freie Form der Rhapsodie und Fantasie ermöglichte verschiedene kompositorische Zugänge, außer der Stilisierung auch die Verwendung von Zitaten aus Volksliedern sowie die simplifizierten Kompositionsweisen, die nur aus einer Aneinanderreihung von für Klavier bearbeiteten Volkslieder im Sinne eines Potpourris oder Quodlibets bestanden. Man muss hinzufügen, dass auch in diesem Bereich nicht nur ästhetische, sondern auch gesellschaftliche und erzieherische Kriterien eine nicht gerade unwichtige Rolle spielten vor allem, wenn es sich um Salonmusik handelte. Unter den Klavierrhapsodien und -phantasien zählt zu den gelungensten das im Jahr 1885 erschienene Werk Slovenske zvuky (Slowakische Klänge) von Bo-huslav Laciak (1852-1891). Der Autor bearbeitete hier einige bekannte teils volkstümliche, teils Volksweisen. Die große Anziehungskraft im Ausdruck vermählt sich mit einem originellen kompositorischen Zugang. Die Stilisierung der Volksliedmelodie Ked' sa vlci zisli (Als die Wölfe sich versammelten) am Schluss des Stückes erinnert schon zum Beispiel mit ihren kühnen harmonischen Änderungen und der komplementären rhythmischen Pulsation an einige kompositorische Verfahren in der Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der größte slowakische Romantiker Jan Levoslav Bella (1843-1936), der sich auch theoretisch mit dem slowakischen Lied beschäftigte,28 hinterließ in seinem Schaffen mehrere Werke, in denen die slowakische nationale Idiomatik zur Geltung kam. Es handelt sich um Chorwerke, Kunstlieder, Instrumental- und Kammermusik sowie vokal-orchestrale Kompositionen, wobei die slowakischen Idiome sogar in einigen seinen Werken nach deutschen Texten spürbar sind. Ähnlich wie seine Zeitgenossen arbeitete er fast ausnahmsweise mit Liedern der neueren harmonischen Liedertradition, obwohl er die vorharmonischen Stilschichten der slowakischen Lieder hoch schätzte. In seinen zwei Klaviervariationen über die slowakischen Volkslieder verbinden sich die nationalen Einflüsse mit der romantischen Pianistik mit ihrer technischen Bravour. Die Klaviervariationen über das Lied Pri Presporku na Dunaji (In Preßburg an der Donau), die 1866 und 1879 erschienen sind, haben zwei völlig verschiedene Fassungen der Introduktion.29 Während 27 J. Kresanek, op. cit., S. 308. 28 Vgl. H. Urbancova, Jan Levoslav Bella a slovenska l'udova piesen, op. cit, 1993, S. 44-52. 29 Jan Levoslav Bella, Variacie na slovenskü l'udovü piesen „fri Presporku na Dunaji" / Variations on the Slovak Folksong "In Pressburg by the Danube", hrsg. Daniela Varinska, Vladimir Godar, Süborne dielo A:I Skladby pre klavir / Complete Works A:I Compositions for Piano, Bratislava, Narodne hudobne centrum, 1999, S. 22-28 (1. Fassung), 29-34 (2. Fassung). die erste Fassung der Introduktion, geschrieben im sogenannten neuungarischen Stil, die zeitgenössische Vorliebe für diesen Stil in ganz Mitteleuropa widerspiegelt, bringt die zweite, „neutrale" Fassung der Introduktion, die als Folge einer auf die Verwendung der angeblich fremdartigen Stilmittel zielenden Kritik geschaffen wurde, keine Andeutung mehr an die nationale couleur locale. In der Kritik dieses Werkes von Bella ist aber auch die allmähliche Veränderung der zeitgenössischen ästhetischen Ansichten der slowakischen folkloristisch orientierten Musiker über das Volkslied zu erkennen. Der neuungarische Stil, der bekanntlich auch in einigen Werken von Komponisten wie Franz Liszt, Johannes Brahms, Johann Strauß Sohn, Franz Schmidt und vielen anderen Verwendung fand, wurde immer stärker als eine Synkrise der neuen städtischen volkstümlichen Musikkultur mit den Einflüssen der ungarischen / magyarischen Musikkultur und der spezifischen Interpretationsweise der Roma-Musiker, die sich wesentlich um seine Verbreitung verdient machten, wahrgenommen. Eine Reaktion auf diese Tatsache war die Forderung der meisten slowakischen Musiker und Folkloristen, von diesem Stil, der aber in der musikalischen Praxis sehr stark eingebürgert war, Abstand zu nehmen, und sich mehr auf die älteren Schichten der Volksmusik bzw. der bäuerlichen Musik zu konzentrieren. Die innige Beziehung Bellas zur Kammermusik fand ihren Ausdruck in den vor allem für verschiedene Streicherbesetzung komponierten Werken. In seiner schöpferischen Synthese sublimierte Bella die Anregungen der klassisch-romantischen Musik mit intentionaler Nutzung der slowakischen Idiomatik. Eines der schönsten Beispiele dafür stellt das Finale seines Streichquintetts d-Moll für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncello dar,30 in dem er mit den Themenkomplexen arbeitet. Im Bereich der Hauptthemen exponierte er zwei kontrastierende, jedoch aneinandergefügte Themen, wobei das zweite durch einen Tanzcharakter, der an die Spielweise der Volkskapellen erinnert, geprägt ist. Das Werk wurde vom Komponisten selbst hoch geschätzt und erhielt 1876 in einem vom Prager Kammermusikverein ausgeschriebenen Wettbewerb den zweiten Preis. In einem anderen Werk, dem Streichquartett B-Dur,3 das um 1887 im Siebenbürger Hermannstadt (heute Sibiu in Rumänien), wo Bella 1881-1921 tätig war, entstand, verwendete er im Schlusssatz als zweites, imitatorisch bearbeitetes Thema das slowakische Volkslied Gül'alo sa gül'alo, to cervene jablcko (Es rollte, es rollte, das rote Äpfelein). (Vgl. Notenbeispiel 6.) Die fröhliche Stimmung des Liedes entspricht dem edlen Charakter des ganzen Werkes mit klaren klassizistischen Linien im Aufbau. 30 Jan Levoslav Bella, Slacikove kvinteto d mol /String Quintet in D Minor, hrsg. Vladimir Godar, Suborne dielo A:V / Complete Works A:V, Bratislava, Narodne hudobne centrum, 2001. 31 Jan Levoslav Bella, Slacikove kvarteto B dur / String Quartet in B Flat Major, hrsg. Vladimir Godar, Suborne dielo A:IV, 4 / Complete Works A:IV, 4, Bratislava, Narodne hudobne centrum, 2003. Notenbeispiel 6 Jan Levoslav Bella, Streichquartett B-Dur, (vgl. Anm. 31), 4. Satz, Anfang des zweiten Themas, Takte 52-58. Für die Generation der in den 1870er und 1880er Jahren geborenen slowakischen Komponisten, deren musikalisches Denken sich noch vor dem Ersten Weltkrieg nach den Prinzipien der musikalischen Romantik bzw. Spätromantik formierte, jedoch deren Wirken und reifes Werk in die Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert fielen, war die Beziehung zum slowakischen Volkslied weiterhin von substantieller Bedeutung. Die stilistische Originalität ihres Schaffens und ihre höheren künstlerischen Anforderungen zielten primär schon in den Bereich der autonomen Musik. Der Komponist und Pädagoge Viliam Figus-Bystry (1875-1937) sammelte auch selbst Volkslieder, vor allem in der Umgebung von der mittelslowakischen Stadt Banska Bystrica, genauer im Ort Zvolenska Slatina. Da unter den Liedern die Mehrzahl der Hirtenlieder einen quinttonalen Aufbau aufwiesen, wurde er - im Unterschied zu seinen Vorgängern sowie auch Zeitgenossen - in seinen Bearbeitungen durch die archaische Gestalt dieser Lieder beeinflusst. Wie Ladislav Burlas feststellte: „Damit näherte er sich tonal jenen Intonationen, die in der Zeitspanne zwischen den Kriegen von den Komponisten der Musikmoderne32 in vollem Ausmaß genutzt wurden."33 Als einzigartiger Kunstliedkomponist wird Mikulas Schneider-Trnavsky (1881-1958) metaphorisch der „slowakische Schubert" genannt. Man kann sagen, dass gerade er die neuzeitliche slowakische Kunstliedtradition im beträchtlichen Maß geprägt hat. Er amalgamierte in seinem individuellen kompositorischen Stil die Elemente der europäischen Romantik und der neuen harmonischen Stilschicht der slowakischen Volkslieder. Es handelt sich aber keinesfalls um eine Nachahmung des Volkslieds, sondern, wie 32 Zu der slowakischen Musikmoderne gehören die führenden Komponisten der slowakischen Musik des 20. Jahrhunderts wie Alexander Moyzes (1906-1984), Eugen Suchon (1908-1993) und Jan Cikker (1911-1989). 33 Ladislav Burlas, Die Stilentwicklung der slowakischen Musik im Lichte der musikwissenschaftlichen Forschung, Entwicklungswege der Musikwissenschaft, Musicologica Slovaca XI, hrsg. Oskar Elschek, Bratislava, Veda, 1986, S. 23. die musikalische Analyse seiner Lieder zeigt, um eine substantielle strukturelle Ähnlichkeit zwischen seinen Kunstliedern und dem Typus des neuen slowakischen harmonischen Volkslieds. Seine drei berühmt gewordenen Liederzyklen bzw. Liedersammlungen aus seiner Jugendzeit sind ein überzeugendes Zeugnis dafür: Drobne kvety op. 16 (Kleine Blumen), erschienen 1907 ursprünglich unter dem Titel Povodne slovenske piesne (Originale slowakische Lieder), Slzy a üsmevy op. 25 (Tränen und Lächeln), erschienen 1912, und Zo srdca (Vom Herzen), komponiert und herausgegeben 1920.34 Alle seine Liedersammlungen erschienen in mehreren Ausgaben. Mikulaš Schneider-Trnavsky widmete sich auch der Bearbeitung slowakischer Volkslieder, die Liedmelodien schöpfte er aber dabei aus der Edition Slovenske spevy. Er knüpfte also noch nicht an die ältere Bauernkultur an, wie das von den Vertretern des slowakischen Neofolklorismus im 20. Jahrhundert in ihrem Programm gefordert wurde. Sein Schaffen bildet damit ein wichtiges Entwicklungsbindeglied zwischen der romantischen Tradition und der Moderne. Notenbeispiel 7 Mikulaš Schneider-Trnavsky, Daleko, široko (Weit und breit) op. 16, Nr. 3, Text: Volkslied (Sämtliche Lieder, op. cit., S. 11, vgl. Anm. 34), Anfang des Liedes, Takte 1-6. Der künftige Weg der modernen slowakischen Musik wurde in der jugendlichen Sonate für Violoncello und Klavier (1905) von Frico Kafenda (1883-1963) angedeutet, die zwar Züge der Spätromantik trägt, jedoch im dritten mit po slovensky (alla slovaca) bezeichneten Satz macht sich schon in der Melodik, Harmonik und Rhythmik ein neuer Zugang zu folkloristischen Elementen bemerkbar. 34 Mikulas Schneider-Trnavsky, Piesnova tvorba /Sämtliche Lieder, hrsg. Edita Bugalova, Bratislava, Hudobne centrum, 2001. Jana Lengova: Das Volkslied im Schaffen der slowakischen Komponisten zwischen 1830-1918 Abschließende Bemerkungen Im 19. Jahrhundert wurde nach der nationalen Eigenart der slowakischen Musik in der Volksmusiktradition gesucht. Man glaubte, dass das Volkslied, vor allem seine ältere Stilschichten, die Historizität und Altertümlichkeit der neuzeitlichen Nation beweisen könnten. Infolgedessen wurde das Volkslied zur Inspirationsquelle, Ikone, zum Symbol oder Identitätsmerkmal der nationalen Musik erhoben. Die Harmonisierungen der Volkslieder erfüllten teilweise volkserzieherische Intentionen und sind in erster Linie soziokulturellen und kulturpolitischen Zielen nachgegangen, jedoch ist auch ihre künstlerische und ästhetische Wirkung nicht zu unterschätzen. Heute ist aber das - und zwar nicht nur slowakische -Volkslied außer der oben erwähnten Sicht auch noch unter einem anderen Aspekt zu betrachten: Das Volkslied wurde nämlich auch ein neues legitimes Innovationsmittel, das zur Stilbereicherung der funktionalen und ebenso der autonomen Musik im 19. und 20. Jahrhundert beigetragen hat. LJUDSKA PESEM V USTVARJANJU SLOVAŠKIH SKLADATELJEV MED LETOMA 1830 IN 1918 Povzetek Obdobje med letoma 1830 in 1918 je zaznamovalo iskanje slovaške nacionalne samobitnosti v tradiciji ljudske glasbe. Ljudska pesem je postala vir inspiracije, ikona, simbol ali zaščitni znak slovaške nacionalne glasbe. Reprezentativna notna izdaja slovaških ljudskih pesmi Slovaški napevi (Slovenske spevy), 1880-1926, je pri tem služila kot neizčrpen glasbeni vir za prirejanje ljudskih pesmi. Priredbe ljudskih pesmi lahko glede na estetsko in umetniško vrednost kot tudi glede na funkcionalnost uvrstimo bodisi v kategorijo avtonomne bodisi funkcionalne glasbe, večinoma pa pripadajo vmesni kategoriji, ki jo je Hans Heinrich Eggebrecht označil kot „Zwischenbereichsmusik" (»glasba, ki se dotika več področij«). Glede na značaj skladateljskega dela nihajo med dvema poloma, prirejanjem oziroma harmonizacijo na eni strani in samim [glasbenim] delom na drugi. Čeprav so harmonizacije ljudskih pesmi izpolnjevale predvsem vzgojne, družbeno-kulturne in kulturnopolitične cilje, njihovih umetniških in estetskih učinkov ne smemo podcenjevati. Številne harmonizacije slovaških ljudskih pesmi so nastale predvsem za petje in klavir, za klavir in zbore. Zrcalijo tedanje potrebe bogate dejavnosti pevskih društev in so posledica priljubljenosti klavirja - inštrumenta za domače, salonsko in koncertno muziciranje. Izjemno popularne so bile slovaške četvorke (med drugim M. Hudec, J. L. Bella) in harmonizacije pesmi, ki so se pele pri košnji, imenovane travnice (M. Fran-cisci). V zborovskih skladbah je opaziti preprostost, ki je bila tedaj razširjen kompozicijski vzor. Med priznane zborovske skladatelje so uvrščali med drugim Karola Ruppeldta, Milana Licharda in Eudovita Izaka. Ljudska pesem je bila v avtonomni ustvarjalnosti lahko uporabljena na različne načine, od delnih in popolnih citatov do stilizacije. S tem namenom so pogosto ustvarjali zborovska dela in umetne pesmi. V klavirski glasbi s fol-kloristično govorico so nastajale manjše glasbene oblike, še posebej variacije, rapsodije in fantazije. Najpomembnejši slovaški romantik Jan Levoslav Bella (1843-1936) je ustvaril več del s slovaškim nacionalnim idiomom (zborovska dela, umetne pesmi, inštrumen-talna in komorna dela kot tudi vokalno-orkestralne skladbe). Slovaška ljudska pesem je bila bistvenega pomena za generacijo slovaških skladateljev, rojeno med sedemdesetimi in osemdesetemi leti 19. stoletja (med drugim V Figuš-Bystry, M. Schneider-Trnavsky, F. Kafenda), katerih glasbeno mišljenje je bilo osnovano na načelih glasbene romantike oziroma pozne romantike. Tradicijo moderne slovaške umetne pesmi je v znatni meri zaznamoval Mikulaš Schneider-Trnavsky (1881-1958). V prispevku so natančno analizirana izbrana dela slovaških skladateljev.