DIE GEOGRAPHISCHE LEBENSRAUMFORSCHUNG ALS BEITRAG ZUR REGIONALENTWICKLUNG Klaus Wolf* IZVLEÈEK UDK 911.52:711.2 GEOGRAFSKO PROUÈEVANJE ŽIVLJENJSKEGA OKOLJA - POMEMBEN PRISPEVEK K PROGRAMIRANJU REGIONALNEGA RAZVOJA V èlar.ku prevladujejo razmišljanja o vlogi geografije pri prouèevanju posameznih elementov in funkcij življenja. ABSTRACT UDC 911.52:711.2 GEOGRAPHICAL STUDIES ON HUMAN SURROUNDINGS - IMPORTANT KNOWLEDGE WITHIN REGIONAL DEVELOPMENT PROJECTS The article presents suggestion how geographical studies on human environments and functions of living can be used within certain regional development programmes. Die Regionalpianung und Regionalpolitik; wird noch stark bestimmt von der formal organisierten Handlungscbene (Systemebene), die vornehmlich regionale Infrastruktur - und Wirtschaftspolitik betreibt. Die Ebene des Ycrstehens menschlicher Handlungen in ihrem Lebensraum, die alltagswcltliche Lebensraumforschung wird erst in ersten Ansätzen berücksichtigt. Sie arbeitet mit qualitativen Verfahren (vor allem tciinehmcnder Beobachtung, problem-zentrierten Tiefeninterviews) und versucht die raumbezogene Alltagswelt der Menschen in ihrem Lebensraum zu analysieren. Die verknüpfende Betrachtung beider Ebenen zusammen, der Systemebene der Organisationen und der alltagswelllichen Ebene der Menschen in ihrem Lebensraum bietet erst die notwendigen Voraussetzungen für eine lebensraumorientierte Regionalplanung. Regionalentwicklung und Rcgionalpolitik sind bis heute in starkem Masse durch die Analyse sogenannter harter Standortfaktoren geprägt. Dazu zahlen u.a. die Infra-strukturausstatlung, das Arbcitskrüftepoteniial, das Arbeitsplatzangebot, zusammengefasst: im wesentlichen die ökonomischen Faktoren, die den Wert einer Region bestimmen. Die Regionalpolitik ist derauf gerichtet, besonders im ökonomischen Bereich und in der Infrastruktur-Ausstattung Defizite aufzuspüren und anhand geeigneter Entwicklungskonzepte Massnahmen zu ihrem Abbau zu ergreifen. • Dr.,red.univ.prof,, der Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt/Main, Senckenberg-anlage 36, BDR. K. Wolf __________ - 91 - Die geographische... Die für die Regionalpotitik verantwortlichen Institutionen und Organisationen, die formal organisierte Handlungsbereiche umfassen, steuern bisher weitgehend ausschliesslich die Entwicklung von Regionen. Hauptbeteiligte sind die zuständigen politischen und wirtschaftlichen Einrichtungen. Regionen sind aber räumliche Einheiten für und von Menschen, die hier als unteilbare Wesen in ihren persönlichen Lebensbezügen agieren. Mit Ausnahme aussengesteuerter Zeitrestriktionen unterscheiden sie im Denken und Handeln nicht so grundsätzlich oder sektoral zwischen Arbeiten und Freizeit oder Arbeitswelt und Lebenswelt, wie in bisherigen wissenschaftlichen Analysen, auch der Geographie, angenommen und erforscht. Daraus folgt, dass Regionalanalyse und Regionalpolitik nicht nur die formal organisierte Handlungsebene der Institutionen betrachten darf, sondern auch die private der Menschen. Sie ist gekennzeichnet von verständigungsorientierten Handlungsbereichen, die im wesentlichen auf Kommunikation beruhen. Habermas (1981) unterscheidet demnach in "System" (weit) der Organisation und "Lebenswelt" der Individuen und dürfte u.a. von Schütz (1974) angeregt worden sein. Diese Betrachtung gesellschaftlicher Systeme durch die Soziologie hat auch für die Weiterentwicklung der anthropo- (oder sozial-) geographischen Forschung etwas Bestechendes - allerdings ist sie nicht ohne den der Geographie immanenten Grundaspekt der Raumbewertung übertragbar. Die Soziologie oder zumindest wichtige deutschsprachige Vertreter (z.B. Luhmann nach Hard, 1987 a) messen dem Raum im interkommunikatcn System der Menschen keinerlei Bedeutung bei und Hard (1987 b) pflichtet dieser Auffassung auch noch einmal ausdrücklich bei. Die folgenden Ausführungen versuchen nachzuweisen, dass es einen Lebensraum als erweiterten Begriff der soziologischen Theorie des einzelnen Menschen gibt, dessen Analyse und Bewertung ebenso wie die Analyse des Systemraumes (z.B. als Ausstattungsraum mit Infrastruktur) Gegenstand geographischer Forschung sein muss. Die Erkenntnisse aus dieser Analyse müssen daher ebenfalls in die Perspektiven und Massnahmen zukünftiger Regionalpolitik einfliessen. Das Konzept der Lebensraumforschung geht von einem ganzheitlichen Ansatz der Analyse menschlichen Handelns aus und setzt für dieses Handlungskcnzept intersub-jektive Wahrnehmung und Verständigung, d.h. Kommunikation voraus. Lebensraum wird dabei im sozial-phychologischen Sinn als das gesamte alltägliche Bewusstseinsund Handlungsfeld des Menschen aufgefasst (vgl. auch Wolf 1989, 7 ff. und Wolf u.a. 1989, 587 ff.). Es ist der gesamte Erfahrungsraum eines Individuums, der von den Gegenständen, Personen, Ereignissen umschrieben wird, denen das Individuum im Vollzug seines K. Wolf - 92 - Die geographische... Alltagslebens entgegentritt (Klima 1978, s. 450). Ich vertrete sogar die Auffassung, dass der Lebensraum nach dieser Definition so umfassend angelegt ist, dass er "Lebenswelt" und "Systemwelt" umfasst. Der Lebensraum ist, um es noch einmal zu wiederholen, der Handlungsraum alltäglicher Lebensbereiche, in die Systemwelt der Organisationen und die Lebenswelt des Individuums verschränkend vernetzt sind und Anthropogeographie oder Kulturgeographie ist damit insgesamt Beschäftigung mit der Alltagswelt des Menschen. Die Erforschung des so beschriebenen Lebensraumes muss alle Bereiche der menschlichen Lebenswelt umfassen, von den auf die Person bezogenen Strukturmerkmalen (z.B. demographisch/ sozio-ökonomische Strukturdaten, Daten zur Persönlichkeitsstruktur, Werte/Einstellungen) bis zu umweltbezogenen (Umwelt im umfassend natur- und sozialräumlichen Sinn gemeint) Merkmalen (z.B. Wohnsituation, Arbeitssituaticn, Zeitstrukturen, Aktionsradien, politische und ökonomische Situation). Zur Opcrationalisierung dieses Ansatzes tragen einerseits die klassischen Verfahren wie Erhebung von Merkmalsdaten zur Darstellung demographischer und sozioöko-nomischer Strukturen bei, es müssen aktionsräumliche und zeitgeographische Ansätze zur Ermittlung z.B. von Verbringungsorten und -zeiten herangezogen werden und wahrnehmungsecographische Ansätze zur Auseinandersetzung mit Lebens-raum-Einschätzung und -bewusstsein sind dienlich. Bei den letztgenannten Verfahren zeigt sich schon, dass nicht nur sogenannte "harte" oder quantifizicrbarc Verfahren herangezogen werden können und müssen, sondern auch "weiche" oder qualitative Verfahren. Während zur Analyse des Systemteils des Lebensraumes auf Erkennen ausgerichtete Verfahren dienen, ist das Verstehen des lebensvveltlichen Teils des Lebensraums besser mit auf Verstehen angelegten Forschungsverfahren möglich. Dazu gehören vor allem die verschiedenen Formen der Tiefeninterviews, die Ermittlung von "behaviour settings", "narrative Interviews" und nicht zuletzt die teilnehmende Beobachtung. Mit der Kombination der Verfahren können die Strukturen von Regionen als politisch-ökonomische Systeme und menschliche Lebensräume, in denen die politisch-ökonomischen Systeme Subsysteme der Lebensräume sind, analysiert und Konsequenzen für ihre Entwicklung abgeleitet werden. Im umfassenden Wortsinn, nicht nur in einem bisher zumindest in der deutschsprachigen Geographie zu verkürzten Gebrauch kann man diese Vorgehensweise der K. Wolf - 93 - Die geographische... Anthropogeographie als ökologische Betrachtungsweise der Anthropogeographie bezeichnen oder: es macht keinen Unterschied zwischen Kulturgeographie/ Sozialgeographie und ökologischer Geographie. Auch für die Bewertung der Analysen und ihre Verwendung für die Einschätzung zukünftiger Entwicklungen bieten sich Verfahren an, unter ihnen besonders die sogenannte Delphi-Methode (Mehrrunden-Befragung von Experten) und die Szenario-Methode. Den Lebensraum als Gegenstand anthropogeographischer Analyse im vorgetragenen Sinn haben wir am Beispiel des hessischen Rieds, einer in den letzten 40 Jahren stark industrialisierten und suburbanisierten Landschaft zwischen den Verdichtungsräumen Rhein-Main und Rhein-Neckar gerade untersucht und fanden unsere eingangs angemahnten Defizite der zu geringen Beschäftigung mit der Lebenswclt des Menschen bzw. mit dem menschlichen Lebensraum bestätigt, bzw. konnten neue Erkenntnisse für die Regionalentwicklung gewinnen. In 50 1 - 2-stündigen, problemzentriertcn Tiefeninterviews wurden Gespräche geführt und später die Tonbandprotokolle der Gespräche ausgewertet. Die Gespräche waren anhand eines sorgfältig vorbereiteten Gesprächsleitfadens auf das Verstehen der räumlichen Lebenssituation der Interviewpartner ausgerichtet. Die Themenbereiche - räumliche Vorsteillung - räumliche Erfassung - Besonderheiten des Raumes - Präsentation des Raumes - Lebensraumsatisfaktion - Erlebniswelt innerhalb und ausserhalb des Raumes und - Fremdeinschätzung des Raumes wurden versucht in dem Gespräch anzusprechen. Die Probanden wurden teils über Zeitungsinformation mit der Bitte um Meldung bei Interesse, teils durch persönliche Vermittlung gefunden. Die qualitativ arbeitenden Verfahren, die auf Verstehen ausgerichtet sind, arbeiten nicht repräsentativ im Sinne der repräsentativen Umfrageforschung, dafür ist aber auch ihr Informationsgewinn gerade im Bezug auf das Verstehen von Zusammenhängen ungleich grösser. Die Ergebnisse Hessen zum Lebensraum Ried Aussagen zu hinsichtlich der Komponenten K. Wolf -94- Die geographische... - Naturraum - Siedlungsraum und - Sozialraum (Raum der persönlichen Beziehungen). Unabhängig von den Ergebnissen im einzelnen, die im wesentlichen für die Regionalplanung vor Ort wichtig sind und bisher zu wenig berücksichtigt wurden, lasst sich an allgemein verwertbaren Erkenntnissen solcher Forschungsverfahren zur Lebensraumforschung festhalten: Sic eröffnen die Perspektive der lebensweltlichen Bewertungen räumlicher Zusammenhänge durch die Menschen in ihrem raum-zeitlichen Kontext und vermitteln Verständnis für die daraus resultierenden Handlungen der Menschen in ihrem alltäglichen Dasein. Besonders folgende Komponenten daraus sind erfahr - bzw. vermittelban - die Rolle des Naturraums, bzw. die Einschätzung dessen, was die Probanden unter Naturraum verstehen und wie sie ihn für ihr tägliches Leben bewerten. Wohlbefinden hängt dabei weitgehend davon ab, dass - scheinbar auch in unmarkanten Landschaften - noch so kleine markante Landschaftspunkte oder - arcale vorhanden sind und zur Identifikation herangezogen werden. Im Falle der untersuchten Landschaft, die an den Rhein grenzt, das inselartige Areal eines Rhcin-Altarms mit dem Namen Kühkopf. - Überraschend auch die Erkenntnis, dass regionale Zugehörigkeit nach der lokalen rangiert, regional ist man - zumindest in solchen verdichteten Regionen wie der untersuchten, schon weitgehend der suburbanen Region verpflichtet, die ihren Namen aus den grossen über - oder vorgelagerten Regionsnamen bezieht. - Wichtiger scheint die lokale Zugehörigkeit zu einer Siedlungssiruktur, in der man in der untersuchten Region auch die möglichst ungestörte, noch ländlich empfundene Gcgenwclt zur Grossstadt-Welt der Arbeit sucht bzw. gefunden zu haben meint. - Dieser lokalbezogencn Verhaltensweise im siedlungsräumiichen Bereich passt sich auch das sozialräumliche Verhaltensmuster an, so dass als - sehr verkürzte - Grund-clemente dieser im suburbanen Raum angesetzten Untersuchung festgestellt werden könnte: Im Gegensatz zu geschlossenen, vcrdichtungsraumfernen Regionen (Küstenabschni-tte, Hochgebirgstäler) ist in offenen, urban bzw. suburban transformierten verdich-tungsraumbenachbarten Landschaften das Regionsbewusstsein bei der Bevölkerung nicht mehr so stark prägend wie in ersteren, sondern eher loka'.bczogen mit Ausnahme der naturräumlichen Identifikation. K. Wolf - 95 - Die geographische... Deraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Systemebene der regionsbezogenen ökonomisch und infrastrukturbetont ausgerichteten Entscheidungen vielleicht zu stark von einem erkennend - bewertenden Denken und Handeln ausgeht, ohne das anders geartete Verhalten und Handeln der Regionsbewohner verstehend mit einzubeziehen und von der lokalen Ebene her lebensraumorientierte Regionalplanung, wie ich sie nannen möchte, zu machen. Im methodischen Bereich ist es ganz wichtig, dass durch solche qualitativen Ansätze überhaupt erst in stärkerem Masse Lebensraumbewertungen der Menschen verstanden werden und in die Zukunftseinschätzung der Raumentwicklung eingebracht werden können. K. Wolf ________________________- 96 -________________Die geographische... LITERATUR Blotevogcl, H.H.; G. Heinrilz; H. Popp, 1989: "Regionalbewusstsein". Zum Stand der Diskussion um einen Stein des Anstosses. In: GZ, Jg. 77, H. 2, S. 65-88. Wiesbaden. Habermas, J. 1981: Theorie des kommunikativen Handels. Frankfurt am Main. Hard, G. 1987 a: "Bcwusstseinsraume". Interpretationen zu geographischen Versuchen, regionales Bewusstsein zu erforschen. In: GZ, Jg. 75, H. 3, S. 127-148. Wiesbaden. Hard, G. 1987 b: Auf der Suche nach dem verlorenen Raum. In: Fischer, M.M./Säu-bcrer, M. (Hrsg.) 1987: Gesellschaft - Wirtschaft - Raum. Beiträge zur modernen Wirtschafts- und Sozialgeographie. Festschrift für Karl Stiglbaucr. = Mitt. d. Arbeitskreises für Methoden in der Regionalforschung, Vol. 17, S. 24-38. Wien. Klima, R. 1978: Lebenswelt. In Lexikon zur Soziologie, S. 450. Opladen. Schütz, A. 1974: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. Frankfurt am Main. Wolf, K. 1989: Aufgaben der Geographie der Freizeit und des Tourismus in der "Freizeitgesclischaft". In: Beiträge zur Freizeit-, Erholungs- und Tourismusforschung I, hrsg. v. Hans Elsasser. = Wirtschaftsgeographie und Raumplaunung, Vol. 4, S. 7-25. Zürich. Wolf, K. u. G. Otto (unter Mitarbeit von F.Böttcher u. M. Rummler) 19S9: Das Hessische Ried. Name und Abgrenzung einer hesischen Landschaft im Regionalbewusstsein ihrer Bevölkerung. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, Bd. 63, H. 2, S. 5S7-623. Trier. K. Wolf -97- Die geographische... GEOGRAFSKO PROUÈEVANJE ŽIVLJENJSKEGA OKOLJA - POMEMBEN PRISPEVEK K PROGRAMIRANJU REGIONALNEGA RAZVOJA Regionalno prostorsko planiranje in regionalno urejanje opredeljujejo še v veliki meri formalno zasnovani miselni vzorci in ukrepanja (sistemski nivoji) prednostno zasnovani na bazi infrastrukturne in gospodarske politike. Razumevanje èlovekovih ukrepanj v okviru lastnega življenjskega okolja se kot vsakdanja-nazorna oblika prouèevanja življenjskega okolja uveljavlja le zlagoma oziroma jo upoštevajo le v zametkih. Delo poteka na ravni kvantificiranja (predvsem zapažanj ali problemsko zasnovanih anket) pri èemer poizkuša prostorsko relevantne dejavnike èlovekovega žitja zaznati in analizirati v njem lastnem okolju. Združeno videnje obeh nivojev prouèevanja, sistemskega (institucij in organizacij družbe) in vsakdanjega (antropogenega v življenjskem okolju),bi posredovalo prepotrebno temeljno izhodišèe uporabno za potrebo k realnemu življenju usmerjenega regionalnega planiranja.