^/<^<^^^ Ostindische Damen und Herren. Von lll-. I. ten Mrink. Aus dem Holländischen Wilhelm serg. ^ Vierter Theil. A/torisiite AuZZnbe. Leipzig: Ludwig Deuickc l8<>8. Die unterzeichnete Verlagshandlung wird unter dem Collectiv - Titel MRullmk MtVlltllitM eine Reihe von Schriften veröffentlichen, die uns mit der Natur und Cultur jener fernen Ländergcbiete näher bekannt zu machen bestimmt sind. Bereits sind publicirt die interessanten Werke van Hoevells, Aus dem indischen ^eben. 1 Thlr. vr. I. ten Brink's, Mind. Iamen und Aerren. 4 Bande. 3 Thlr. während andere Werke in Vorbereitung sind. So sollen alljährlich eine Anzahl Bände zu einem mäßigen Preise veröffentlicht werden mit dem ausge« sprochenen Zwecke: zu belehren und zu unterhalten. Leipzig, Verlag von Ludwig Dcnicke. InMcke Hibliotkek. V. vr. I. ten Brink Ostindische Damen und Herren. Vierter Theil. Autorisirte Ausgabe. Leipzig Ludwig D e n i ck e 1868. Ostindische Damen und Herren. Aus dem Holländischen von Wilhelm Berg. Vierter Theil. Autorisirte Ausgabe. Leipzig Ludwig Denicke 1868. Vier Beiträge zur Kenntniß der Sitten und Gebräuche in der europäischen ------^-^ Gesellschaft von Holländisch-Indien. Vcm vl. I. tcn Vrink. Inhalt. Ente 1. Worin sich eine alte Bekannte in einer neuen Stellung befindet und worin Herr Bokkerman verschiedenen Gästen auf seiner Villa zu Tji°Kocning ein Diner giebt .... 3 2. Wie der Geburtstag des Fräulein Bokkermau weiter gefeiert wird, und welche Triumphe Mevrouw Tinman Todding erlebt................. 30 3. Mevrouw Tinman Todding beweist, daß sie gut zu Pferde sitzt, und zugleich, daß sie die Gelegenheit benutzt, ihren Freunden gefällig zu sein............. 64 4. Neue Proben von Mevrouw Tiuman Toddings Geschick-lichkeit als Amazone. August Boktcrman denkt nach. Fräulein Serpenstcyu empfängt die Gästc nach ihrer Zurlickkchr. 104 5. Worin diejenigen, welche sonst sehr ehrerbietig: „Geehrte Leser nnd Leserinnen" heißen, ohne Umstände eingeladen werden, nach Batavia zurück zu kehren, und Zeuge eines Diner-de-garcou auf Vazar Varoe zu sein...... 141 6. Worin des Herrn William Woodlands Kopf an eine Menge wichtiger Dinge zu denken hat, und Mcvrouw Van Spra-nethuyzen, geborene Boklcrman, einen seltenen Beweis ihrer Freimüthigkeit giebt.............16? ?. In welchem Thränen, Gebete, Seufzer, Lächeln, Sonnenschein und Gamelanspicl einander im bunten Durcheinander ablösen.....................2UU VI Inhalt. 8. In dem viele Gäste auf Tji-Koening empfangen werden, und die eigentlichen Festlichkeiten ihren Anfang nehmen . 24 !j 9. Die Ueberraschung Miß Mary's wird betannt. Van Spra-nckhnyzen zwischen zwei Feuern...........273 10. Worin August Bokkerman eine unangenehme Pflicht er-fiillt; mit einem Anhange, der von den Vorfällen handelt, welche ein Jahr später in der Hauptstadt von Großbritannien und Irland stattfanden............301 Die große Intrigue. linais. — „Und da« hat mit ihrem Tingcn Die Loiclcy gcthan." Hcinliä) Heiüt. Indischc Viblu'thtk. V. 1 I. Vorin sich cine alle Vekmmle in riner ncur» Stellung liesindet, und worin Hcrr ^okkerman nelschicdenc» OlNim >uis >Vi»er Villa zu äji Hociuog ei« (3iiicr giclit. Fräulein Serpensteyn sah auf ihre Uhr. Es war schon über fi'mf. — „Mclatti! Melatti! VI main I06 älln? (Wo bist Du denn?)" Melatti kam langsam näher nnd zog einen kleinen Knaben von ungefähr fünf Jahren unter lautem Proteste uud Geschreie des Kleinen durch die hohe Galerie mit gedieltem Fußboden herbei. — „Va>va sini, leka», lekas! Dring ihn hierher, schnell, schnell!)" So lautete der Befehl der korpulenten Gouvernante. Aber der Knabe sträubte sich, und die Baboe konnte ihn trotz aller angewandten Mühe nicht vorwärts bringen; deshalb nahm sie ihn nnter gellendem Geschrei vom Fußboden auf und trug ihn in das Zimmer der Gou« vernante. 1» « Die große Intrigue. Der heulende Knabe war ein sehr häßliches Kind. Sein Gesicht war schmutzig, da seine unsauberen Finger fortwährend die Thränen aus den Augen rieben, — sein schwarzes, lockiges Haar hing in der größten Unordnung über seine Stirn und war mit Sand bestreut. Der kleine Schreier war beinahe nackend und lief mit seineu staubigen Füßen wie ein Rasender umher. Fräulein Serpensteyn erfaßte den kleinen Bengel bei seinem weißen Hemdchen, und zog ihn auf ihren hochachtbaren Schooß in Folio. Das Kind widersetzte sich auch ihr. wurde aber nichts desto weniger von ihr festgehalten. Dann sagte sie mit schmeichelnder, beruhigender Stimme: — „viain, äiam! (Still, still!) Piet darf nicht so nakai (unartig) sein! Kembang soll ihn gleich si-rammen (mit Wasser begießen) ^ und dann ankleiden!" — „I'ra maii) tra mau! (Ich will nicht, ich will nicht!)" — sagte der Knabe. — „Komm Piet, sei still, sonst hört es Papa und der Herr Bokkerman dort in der Vorgalerie, und dann darfst Du nicht mit am Tische essen!" Klatsch — klang der Schlag, den Piet mit seiner l Eigentlich: mit einem hölzernen ß»jonA (Wasscrschöpfcr) oder cincm Blccheimerchcn mit Henkel, Wasser ans den steinernen Gefäßen der Badckammer über den Kopf des Kindes gießen. Dic große Intrigue. H kleinen Hand in Fräulein Serpensteyns respectables Angesicht versetzte. Die Gouvernante wurde roth vor Arger, biß sich auf die Lippen, und hielt in ihrer linken Faust beide Hände des Kindes fest, während sie ihm mit ihrer Rechten einige sehr empfindliche Ohrfeigen gab. Das Brüllen des Jungen stieg jetzt zu einer solchen Höhe, wie selbst Fräulein Serpcnsteyn noch nicht erlebt hatte. Sie legte ihn auf den Mattenboden ihres Zimmers nieder und ließ ihn ausschreien. Plötzlich fiel durch die offenstehende Thür ein langer Schlagschatten. Fräulein Serpensteyn machte unwill-kührlich eine Bewegung des Schreckens. Ein sehr langer und sehr magerer Herr in Weiß stand auf der Schwelle, und fragte sehr gelassen i — „Was bedeutet das, Fräulein?" — „Piet ist sehr unartig, mein Herr, er will nicht iu die Badekammer!" — „N0N86118! Er muß. Schnell, Piet! Und wenn er nicht gleich still ist, Fräulein, dann schließen Sie ihn nur iu ein finsteres Loch, und dann darf er nicht zu Tische kommen!" Der sehr lange und sehr magere Herr entfernte sich mit vornehmen Gruße, und Fräulein Serpensteyn setzte sich leise seufzend auf ihren Stuhl, um sich von ihrer Überraschung und ihrem Schrecken zu erholen. Indessen ß Die große Intrigue. schrie Pict, gar nicht erschreckt von der Drohung mit dem dunkeln Loche, immer fort, und schlug mit seinen nackten Füßen in die Luft. Mclatti stand im Hintergründe und ordnete still die verschiedenen Toilettcn-gegenstände des Fräuleins. Fräulein Scrpensteyn konnte nicht begreifen, warum „Meueer" jetzt gerade vorbeigegangen sei, sonst kam er doch erst nach sechs Nhr zum Vorschein, und dann ging er immer gleich nach der Vorgalerie, um mit dem Herrn Bokkcrman auf Schaukelstühlen hin und her zu wiegen, bis die Tischglocke ertönte. Noch neulich hatte er gesagt, daß es sehr zu bewundern sei, wie verständig das Fräuleiu mit seinen Kindern umginge, daß Piet viel gehorsamer geworden, und daß sich Louise so anständig benehmen könne. Was sollte er nun denken, da der Bengel so entsetzlich schrie, — aber er nahm freilich Alles ziemlich gelassen auf, uud so würde' er es wohl bald vergessen. Sie hatte wahrlich über „Mcueer" nicht zu klagen — er war immer so zuvorkommend und höflich! Warum er nur so lauge bei der Familie Bokkerman blicb? Sie war viel lieber in Gedoeng Badak oder in Batavia. Dort tonnte sie vertraulicher mit ihm umgehen, und er ließ sich auch ziemlich leicht leiteu. Eilige Fußtritte auf der hölzernen Galerie vor ihrem Zimmer schreckten sie eilig auf. Eine zweite Baboe Die große Intrigue. 7 mit einem sehr nett gekleideten jungen Mädchen stand vor ihr. — „Schon fertig!" — sagte das kleine Fräulein, und schaute neugierig ins Zimmer. — „Was fehlt Piet?" — fuhr sie fort. — „Er wieder nakai mit Fräulein?" — „Ja, Luise, er will nicht in die Barestube, und wenn ich ihn auf meinen Schooß nehme, schlägt er mich ms Gesicht!" Luise nahm nicht viel Notiz von den Worten der Gouvernante, sondern lief zu dem heulenden Kinde, das noch immer am Boden lag, bückte sich zu ihm nieder, und flüsterte ihm leise einige Worte ins Ohr. Dann gab sie ihm schnell eine kleine Näscherei und hob ihn auf, woranf er sogleich auf die geduldig wartende Baboe zueilte. Fräulein Serpensteyn zuckte die Schultern und sagte scharf: — „Mainah! Xapan »in^o soeäak pakkeli, 5m->vli Koindaii äi «inik! Mainah! wenn der junge Herr angekleidet ist, bringe ihn hierher zurück!)" Die Baboe hatte das Kind schon aufgehoben und lief fchnell mit ihm weg. Fräulein Scrpcnsteyn stieß die Persiennes ihres Fensters auf. ließ die Mousselinvorhängc niederfallen, so daß kein zufällig Vorbeigehender einen Blick in ihr g Die große Intrigue. Zimmer werfen konnte — schloß die Thür und rief Melatti. Sie mußte sich mit der wichtigen Toilettenfrage beschäftigen. Luise lehnte sich an einen riesigen Koffer, der groß genug war, um beinahe alle Toiletten Fräulein Servensteyns aufzunehmen. Sie hielt ihr Taschentuch sehr sorgsam in der Hand und holte unaufhörlich Näschereien aus demselben hervor, die sie eifrig verzehrte. Die Gouvernante sah es wohl und warf von Zeit zu Zeit einen Seitenblick auf das Mädchen, der zwar freundlich schien, aber von mühsam verstecktem Ärger nicht freizusprechen war. Melatti stand hinter ihrer Herrin, und that alles Mögliche, um von dem dünnen, braunen Haare, so gut es ging, eine Coiffüre zu verfertigen, von welcher drei Viertel aus Band und Blumen bestand. — „Nnak, enak! (lecker, Mer!)" — flüsterte Luise sehr zufrieden. — „Was ißt Du, Luise?" — frug Fräulein Ser-pensteyn, indem sie sich vorbeugte, um in dem Spiegel den Effekt von einigen azurblauen Kornblumen und hellgelben Kornähren auf ihrem Kopfe zu beobachten. — „K'weL-invee sBackwerk), Fräulein!" — „Aber, liebe Luise, wenn Du so viel K>v66-K^es ißt, dann kannst Du Mittags bei Tische nichts essen, und dann ist Pa böse!" Die großc Intrigue. 9 — „Das schadet nichts! Pa böse oder nicht, traäk psräoeli! sDas ist mir einerlei!)" — „Nein, Luise, das ist nicht artig, willst Du denn Papa betrüben?" Die kleine Näscherin konnte nicht antworten, denn sie hatte den Mund ganz voll. Sie wählte sehr bedächtig das kleinste Stückchen aus ihrem Vorrathe K^v66-K^v66, und legte es lachend auf den Toilettentisch vor das Fränlein. Die Gouvernante machte eine ungeduldige Bewegung, und fragte sehr scharf: — „Wie kamst Du zu dem Zeug?" — „Mainah giebt es mir, wenn ich fertig. In der Pendopfto steht immer Thee mit Kw66-Inv66 und pi82,u^ ForenF sgebratener Pisang) '. L112K, Fräulein!" — „Aber, liebste Louise, Papa hat das Naschen verboten." — „Hm, hm!" — „Und ich habe es auch so oft gesagt!" — „Hm! hm!" — „Wenn Du bei Tische nicht ißt, sieht Dich Papa immer an, das weißt Du wohl!" — „Xeuapa? (Warum?)" — „Weil er natürlich gleich merkt, daß Du immer allerlei Früchte und Backwerk bei den Vaboes ißt, und weil er weiß, daß Du cavon krank wirst!" 1 ft Die große Intrigue. — „liäak 8llkit lnicht krank gewesen), Fräulein! In drei Wochen nicht!" — „Das thut nichts! Ich werde Mainah verbieten. Dir Mittags wieder ^vee-^ves zu geben." — „^iäak, ticilck! (nein, nein!)" Dabei steckte Luise ein großes Stück gebratenen Pi-sang in den Mund, stampfte mit dcu Füßen und sah ihre Gouvernante sehr entrüstet an. Fräulein Serpcn-steyn war gcrare mit der schweren Wahl beschäftigt, welche von ihren vielen goldenen oder diamantenen Brochen sie heute tragen solle. Sie sah deshalb nur flüchtig auf Lonisen, und setzte ihre Untersuchung fort. Das Mädchen war gerade mit ihren Näschereien fertig, sie warf die Krümchen aus ihrem Taschentuchc, kreuzte ihre mageren, gelben Arme über ihrer weißen Schürze, und murmelte dabei allerlei Verwünschungen gegen ihre Gouvernante. Diese hatte nun die Wahl ihres goldnen Schmuckes beendigt, stand anf, näherte sich lächelnd Luisen, und umarmte sie. Aber das Kind entzog sich ihr und lief nach der anderen Seite des Zinnners. — „Bist Du böse, Luise?" fragte Fräulein Ser-pensteyn schmeichelnd. — „Fräulein immer so nakai mit mir — Mama niemals nakai!" — „Weil Du niemals bei Deiner Mama gewesen Die großl Inliigllt. ^ z bist! Du liefst nur immer mit Mainah umher, später erhielt Dich Fräulein Brand, die Dir in Allem den Willen gab. Komm ;u mir!" Zögernd nahte Louise. Fräulein Serpcnstcyns Toilette war jetzt mit Hilfe ihrer gutabgcrichteten Baboe beendigt. Sie trug cin sehr tief ausgeschnittenes Ballkleid von hellgrüner Seide, wodurch ihre kolossalen Schultern und ebenso kolossalen Arme recht in die Augen fielen. Diese Toilette hatte sie durch so viel goldnen und diamantncn Schmuck vervollständigt, als nur irgend von einer indischen Dame getragen werden konnte. Ihre Finger und Arme glänzten bei jeder Bewegung, die sie mit ihrem vielfarbigen Fächer machte; geduldig wartete sie den Augenblick ab, in dem Luise endlich zu ihr kommen wollte, und warf dabei einen prüfenden Blick über ihre Toilette, worauf sie mit vollkommenster Befriedigung den Kopf wieder erhob. Jetzt stand das Kind vor ihr. Die Gouvernante setzte sich gemessen nieder und zog ihren Zögling sanft zn sich. — „Höre, bestes Kind, Du darfst nicht länger so unartig sein! Das würde mir sehr weh thnn! Wir gehen jetzt in die Vorgalerie, dort wirst Du sehr sauft und ruhig sein, und still mit Pict spielen. Wirst Du das thun, Kind?" Fräuleiu Serpensteyn strich bei diesen Worten Lni- ^ 9 Die große Intrigue. sens Schürzchen glatt, versteckte ein Bändchen, und ordnete das krause, schwarze Haar der Kleinen mit den Spitzen von Ihrer Wohlgeboren reichgeschmückten Fingern. Luise sah sie einen Augenblick gedankenvoll an, als ob sie herausforschen wollte, was diese Sanftmuth zu bedeuten habe — darauf flammte plötzlich eine sonderbare Gluth in ihren kleinen, schwarzen Augen, und schnell sagte sie: — ,M, Fräulein! Luise soll dswei (wirklich) sehr äiam sstill) sein, aber Fräulein sagt auch nicht an Mainah von dem K^vse-I^vee..." Die Kleine blickte sehr freundlich zu ihrer Gouvernante auf, zum ersten Male verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln. Fräulein Serpensteyn lachte leise mit und nickte schweigend. Der Waffenstillstand war geschlossen, Melatti wurde ausgeschickt, um den kleinen Piet zu holen. Bald kam auch das Kind in einem leichten weißen Anzüge in das Zimmer der Gouvernante. Es war sehr still und Mhig, aß aus beiden Händen die Näschereien, die Mainah ihm unaufhörlich zureichte, und ließ sich gedulvig führen. Fräulein Serpensteyn nahm nun Luisen bei der Hand und ließ die Baboe mit dem kleinen Piet folgen. Die hölzerne Galerie der Seitengebäude, welche sich an der Villa des Herrn August Bokkerman, unseres alten Freundes, aus- Die großc Inirigue. 1 I breiteten, war höher als der Garten, auf den die Gebäude die Aussicht hatten. Die Gouvernante stieg deshalb sehr gemessen die Treppe herunter, welche in den Garten führte, wendete sich links, durchwandelte eine kleine Allee mit fruchtbeladcncn Ramboetanbäumcn. und näherte sich endlich der Vorgallerie. in welcher sich die Hausgenossen und Gäste vor der Mahlzeit zu versammeln pflegten. In dieser Vorgalerie war eine zahlreiche Gesellschaft versammelt. Die jüngste Tochter des Hauses feierte ihren Geburtstag. Der alte Herr Bokkerman hatte die Gewohnheit, bei jedem häuslichen oder ländlichen Feste die Mehrzahl seiner europäischen Beamten und Freunde ans der Umgegend zu sich einzuladen. Bonhomie und Gastfreundschaft bildeten noch immer die Hauptmerkmale seines Charakters. Wir sehen ihn jetzt auf einem Schautelstuhle ueben dem mageren, langen Herrn sitzen, welcher der Vater der Fräulein Serven-steyn anvertrauten Kinder ist. Der alte Herr Bokter-man ist noch immer derselbe lautlachende, humane, steinreiche Grundbesitzer. Zumal in seinem eigenen Hause zeigen sich deutlich die vortrefflichen Eigenschaften seines Charakters. Heute ist er außergewöhnlich fröhlich, weil seine jüngste Tochter Marie das schöne Alter von neunzehn Jahren erreicht hat. weil sein Freund s H. Die große Intiigul. Anrermans sich »16^61-«^ auf Tji-Koening fühlt, weil sein bester Beamter, der Kontroleur Outshoorn und dessen liebes, fröhliches Frauchen gekommen sind, weil er noch eine große Menge bekannter Gesichter von Hausgenossen und Gästen um sich versammelt sieht. Seine Stimme übertönt noch das lärmenre Gelächter der jungen Damen, seine schneeweiße Kleirung läßt die braune Färbung seines Gesichtes sehr auffällig hervortreten. Der sehr lange und sehr magere Herr neben ihm ist also Herr Kornelis Andermans, der Kompagnon unsres Freundes Bnys. Andcrmans war seit einem halben Jahre Wittwer. Er hatte seinen Verlust gelassen getragen und seine wichtigen Geschäfte anf dem Komp-toir der Firma unverdrossen wahrgenommen. Später war er etwas nnwohl geworden, hatte an zunehmender Niedergeschlagenheit gelitten, und endlich beschlossen, eine geraume Zeit Urlaub zur Herstellung seiner Gesundheit zn nehmen. Buys hatte ihm sehr zugeredet, da seit einiger Zeit ein dritter Associe anf dem Komp- l lelvivöl — ciu speciell in Holländisch Indien gebrauchtes Wort, was selbst im Mutterlande in der dort üblichen Bedeutung nicht angewendet wird, Hicr: „behaglich" fühlt. I^ker machen: Es sich bequem im Kabaai machen;'^un1skker— unwohl, unbehaglich. Die große Intrigue. z H toire thätig war, der Herr Eberhard Lely. So war denn Andermans mit seinen Kindern nnd seiner Gouvernante nach Gedoeng Badat gezogen, nnd nachdem er einige Zeit daselbst zugebracht hatte, fühlte er sich mnnter geung, um der Einladung seines Freundes Bokkerman Folge zu leisten, da Tji-Koening in der Nachbarschaft lag. Wie Andermans gerade an Fräulein Serpensteyn gekommen war, wird sich bald zeigen. Sicher war es, daß er sich wirklich besser fühlte, nnd daß seine Munterkeit täglich zunahm. Seine außergewöhnliche Magerkeit bildete einen sehr sonderbaren Kontrast mit der Korpulenz der ganzen Familie Bokkerman. Andermans Gesicht war noch ebenso steif und vornehm, und seine kleinen Augen von unbestimmter graublauer Farbe funkelten noch immer in dem gewohnten, durchdringenden Glänze. Die einzige Veränderung, die mit ihm eingetreten war, bestand in einer größeren Sorgfalt für seine Toilette. Es schien, als ob sich der vierzigjährige Wittwer etwas darauf zu Gute thäte, daß er wieder I)g,oIiLic)r geworden war — Eins war wenigstens sicher, daß er sich den Tod seiner Frau nicht gar zu sehr zu Herzen nahm, obgleich es schon die zweite war, die er verloren hatte, und obgleich sie die Mutter seiner beiden Kinder gewesen war. ^ ß Die große Intrigue. Andermans und Bokkerman führten ein eifriges Gespräch über einen famosen Prozeß, den die Firma Buys und Andermans einmal von einem steinreichen Chinesen gewonnen hatte, und gaben auf Nichts Achtung, was um sie her vorging. Verschiedene Gruppen wandelnder und sitzender Gäste waren über die ganze, weite Veranda verstreut. An der äußersten Grenze, noch außerhalb des Gebietes der weißgetünchten Säulen, die das Dach der Villa tragen, bemerken wir ein junges Paar in sehr eifrigem und vertraulichem Geflüster. Er ist eine gesunde, kräftige Gestalt, mit stolzem Blicke der eunkeln Augen, — sie ist eine schöne, junge Frau mit langen rothblonden Locken und reizendem Augenauf-schlage. Vor ihnen steht eine Baboe, die einen kaum halbjährigen Säugling trägt. Beide lachen dem kleinen Wesen zu, das noch kein anderes Zeichen von Selbstbewußtsein giebt, als gewisse krampfhafte Geberdcn mit beiden Armen und fest zusammengepreßten Fingerchen. Beide fühlen sich äußerst glücklich, und versuchen, den kleinen Wicht zum Lachen zu bewegen — Beide sehen einander mit treuer, herzlicher Liebe in die Augen. Jetzt begann das Kind laut zu weiuen, und die Baboe ging singend mit demselben auf und ab. — „Sich nur, wie prächtig die Sonne untergegangen ist, Wilhelm!" — sagte die junge Frau. Die große Inttigue. ^ 7 — „Alles schwimmt in einer rosigen und goldenen Gluth. Sieh nur die Purpurfarben in der Luft! Welch' herrlicher Abend!" — „Dort hinter den Bergen," — fuhr der junge Mann fort, den seine Gattin Wilhelm nannte — „scheint ein Meer von Gold und Karmoisin zu fluthen. Und sieh nur über die Grasfiäche, jedes Hälmchen ist in Purpur getaucht. Sieh nur hinter Dich, die Säulen der Veranda schwimmen in Roth und Gold!" Das Bild, welches sich vor der Veranda ausbreitete, war wirklich entzückend schön. Die beiden jungen Ehelcute waren ganz versunken in der Betrachtung des Horizontes. Gerade vor ihnen streckte sich eiue riesige, mit Fußpfaden durchschnittene Grasfläche aus, weiterhin erhoben sich stolze Gruppen von Klapperbäumen und dichte Wälder von tropischen Fruchtbäumen. Hier und da schimmerte ein Dach durch das Grün, und die hohen Schornsteine der Dampfzuckerfabrik des Herrn Bokkcr-man erhoben ihre schwarzen Arme gen Himmel. Wald und Wohnungen, Grasflächen und Anpflanzungen vcr-schwammen in eine allgemein graue Färbung, und dcr Horizont wurde durch die sich sanft neigenden Linien der amcthystfarbigen Berge begrenzt. Und über das Alles ergoß die bereits hinter den Bergen weilende Sonne die herrlichsten purpurnen Tinten, und dcr Indische Viblil'tbcl, V. 2 ^ Q Die große Intrigue. ganze Luftraum war mit dem lebhaftesten Farbenspiel von sanftem Roscnroth bis zum dunkelsten Karmoisin durchwebt. — „Nein, davon kann man sich in unserem Vaterlande keinen Begriff machen, meine Liebe!" — sagte Wilhelm, den wir jetzt als unsern alten Freund Wilhelm Outshoom erkennen. — „Ich wußte früher nicht, daß die Natur solch einen starken, solch einen unvergeßlichen Eindruck hervorbringen könne. Ich fühle mich bewegt und möchte Jeden zwingen, diese schöne Landschaft mit mir zu bewunderen!" — „Und die Anderen bemerken es gar nicht!" — antwortete Henriette und schmiegte ihren schönen Lockentopf an die Schulter ihres Gatten — „Wie würden sie uns auslachen, wenn sie wüßten, wie wir da drüben, an der anderen Seite des Gebirges, Stundenlang in stiller Verzückung über die herrliche Natur um uns her zubringen können!". — „Aber darum dürfen wir doch nicht vergessen, meine liebe Schwärmerin, daß wir hier in Tji-Koe-ning sind, und daß wir an der allgemeinen Unterhaltung Theil nehmen müssen, wenn wir auch lieber von diesem prächtigen Sonnenuntergang sprächen!" Outshoorn zog seine hübsche Frau leise mit sich fort nach der Gesellschaft, und befand sich bald bei den Dit großc Intrigue. /s I Damen des Hauses. Mcvromv Bokkerman, stattlich und korpulent wie ihr Mann, hatte eine besondere Vorliebe für Henrietten, und vereinigte alle mögliche Höflichkeit und Zuvorkommenheit, um der hübschen Frau des hübschen Kontroleur Outshoorn ihre persönliche Zuneigung an den Tag zu legen. Auch Getsy, Anna und Marie, die drei Töchter des Hauses, waren gewöhnt, dem Beispiele ihrer Mutter zu folgen, und obgleich sie im Verkehr mit Fremden oder Gästen gewöhnlich sehr scheu und schweigsam waren, so hatten sie doch für Outshoorn und seine Fran eine solche Offenheit an den Tag gelegt, daß man dieß wohl zum größten Theile dem ausgezeichneten Takte des jungen Paares selbst zuschreiben mußte. — „Ein herrlicher Abend, Mevrouw!" — sagte Outshoorn. — „Nicht zu warm, he?" — „Wie in Holland an einem schönen Angust-abende!" — „Angenehmer, ^ als in Batavia, he?" — „Wir sind auch viel höher, Mevrouw!" — „Ich möchte nicht wohnen dort, immer so pa- ' Im Original das Inbisch.Holländische: I>kk.ei-äer. 2* 2y Die große Intrigue. na» (warm)'. Ich begreife nicht, warum Lucy immer sagt, sie wohnt lieber in Batavia, als hier." — „Haben Sie gute Nachrichten von Ihrer Tochter. Mevrouw?" — fragte Henriette. — „Sie bleibt noch immer oben, auf Goenoeng Agong bei Neffe William Woodlaur, Sie wissen wohl!" Ein lautes Klingeln nahm jetzt die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft in der Vorgalerie in Anspruch. Madams 6wit servi. Nun herrschte einen Augenblick lang das gewöhnliche wirre Ceremonie!!, ehe sich der Zug der Gäste in feierlichem Schritte nach der Peudoppo begeben konnte, wo die Mahlzeit ihrer wartete. Endlich ging die lange Gestalt des Herrn Kornetts Andermans sehr feierlich mit der Herrin des Hauses voraus. Hinter ihnen folgte ihr Mann, der mit so viel Eleganz, als sein Embonpoint nur zuließ, seinen Arm Mevrouw Outshoorn angeboten hatte. Ein gewisser Mr. Coole, Aufseher bei der Zuckerfabrik, führte Betsy Bokkerman, Outshoorn folgte mit Anna, und die jüngste Tochter des Hauses, das Geburtstagskind, ging am Arme eines sehr gesetzten Herren mit einem sehr gelben Gesichte, einem schwarzen Rocke und einer gelben Weste, also in einem Anzüge, wie sich eben nur ein sehr sonderbarer Altgast kleiden konnte. Den Zug Dic gwßt Inttiguc. Z ^ beschlossen zwei Damen — Fräulein Serpensteyn, von der Niemand besondere Notiz genommen hatte, — und eine noch ziemlich junge Dame mit einer sehr eleganten, sehr hellfarbigen und sehr in die Augen fallenden Toilette. Die Gouvernante führt Luisen an der Hand und spricht leise mit ihr, denn die junge Dame mit der vielfarbigen Toilette ist ihr nicht vorgestellt worden. Die Gesellschaft begiebt sich mit gemessener Ruhe durch die große, innere Galerie und vertheilt sich unter Wiederholung des früheren Ceremoniells um die kolossale Tafel in der Pendopvo. Die Anordnung der Plätze hatte der Wirthin wohl einiges Kopfzerbrechen gekostet. Sie war wegen Mr. Coole und Fräulein Serpensteyn verlegen gewesen, verlegen hauptsächlich wegen des Herrn in dem schwarzen Rocke und der gelben Weste, verlegen auch wegen dessen Gattin, der außerordentlich elegant gekleideten Dame, welche an der Seite von Fräulein Serpensteyn die Pendoppo betreten hatte. Der Wirth hatte sich schnell an den fürstlich ser-virten Tisch niedergesetzt. Mevrouw Outshoorn kam an seine rechte, die junge Dame an seine linke Seite. Ihm gegenüber saß Andermans, der zwischen der lautlachenden Wirthin und ihrer jüngsten Tochter Marie Platz genommen hatte. Die übrigen Gäste waren nach ihrem Range vertheilt. Outshoorn saß neben der Frau Qy Die große Inttigue. des Hauses, und Fräulein Betsy Bokkermau seiner Henriette schräg gegenüber. Der Herr mit dem schwarzen Rocke und der gelben Weste saß vi8-K-vi8 von Outshoorn, und neben dessen Frau. Beide Herren befanden sich an dem einen Ende der Tafel, während Fräulein Betsy Bokkermau den trait-ä'union an der schmalen obern Seite der Tafel bildete. An der unteren schmalen Seite saß Fräulein Ser-pensteyn mit Luisen; Mr. Coole's Platz war neben rer jüngsten Tochter des Hauses, doch so, daß auch Luise seiue Dame war. Fräulein Bokkerman Nr. 2 saß neben der elegant gekleideten Dame und neben der Gouvernante — sie fand die Anordnung ihrer Mutter sehr unglücklich, obschon sie sehr froh war, daß sie nicht mit diesem Mr. Coole sprechen mußte, sie konnte ihn doch nicht verstehen, mit seinen englischen Worten — nun konnte sich Marie mit ihm amüsiren. Das Diner nahm seinen Anfang. Die Baßstimme des Wirthes und das herzliche Lachen seiner Frau wurden am Meisten gehört, während auch Audermans scharfer, krähender Ton sich von Zeit zu Zeit über das allgemeine Geräusch erhob. Eine sehr große Anzahl Diener, Alle mit einer gewissen Eleganz in dunkelblaue, lange Kabaaicn gekleidet, die Frauen Alle mit buntfarbigen Sleudangs verziert, bewegten sich geschäf- Die große Intrigue. HI tig durch die Pendoppo. Diese war von allen Seiten mit den herrlichsten porzellainen und bronzenen Lampen erleuchtet und bot mit der reichgeschmückten Tafel und der zahlreichen Dienerschaft ein nicht uninteressantes Bild dar, welches von dem außerordentlichen Reichthum und der fürstlichen Freigebigkeit des Wirthes ein lobendes Zeugniß ablegte. Man konnte es den verschiedenen Theilnehmern an der Festlichkeit dieses Tages leicht ansehen, daß sie Alle mehr oder weniger mit einer gewissen Ehrerbietung vor dem steinreichen Landeigenthü-mcr erfüllt waren. Am Wenigsten war dieß bei Herrn Kornetts Andermans der Fall. Er war der hochwillkommene Gast des Grundbesitzers, welcher nach den weiten Begriffen von indischer Gastfreiheit sehr geschmeichelt über den Besuch eines so wichtigen Mannes, wie Herr Kornelis Andermans, war. Denn dieser war einer der Chefs der berühmten Advokatenfirma, die seit Jahren alle Geschäfte besorgte, welche der buiteuzorgsche Grundbesitzer ihr übertrug, und so war ganz natürlich die Beziehung vorhanden, durch welche sich beide Männer auf einem verhältuißmäßig gleichen Terrain befanden. Outshoorn war Beamter des freigebigen Wirthes, aber es bestanden persönliche Verhältnisse, welche Beide näher zu einander brachten, als es wohl in gewöhn- 24 Die große Iuttiguc. lichem Falle würde geschehen sein. August Bokkerman dachte stets an die Herzlichkeit, die ihm einst Ontshoorns Vater in schwierigen Verhältnissen bewiesen hatte, und sah in dem begabten jungen Mann eher einen lieben Freund, als einen brauchbaren Beamten. Es war selbst einige Rivalität entstanden zwischen den verschiedenen Kontroleurs der fünf Distrikte, meist Blutsverwandte, oder Freunde von Blutsverwandten. Man war nicht sehr zufrieden mit der großen Gunst, in welcher die Outshoorns bei dem Gutsbesitzer zu stehen schienen. Unwillkührlich bildete sich dadurch eine kleine I^onä?, an deren Spitze der Herr William Woodland, Bottcr-mans Neffe, stand. Der Umstand, daß Fräulein Lucy Bokterman, oder lieber Mevrouw Van Spranekhuyzen monatelang bei den Woodlands in einem der südlichsten Bergdistrikte wohnte, war in dieser Hinsicht nicht ohne Bedeutung. Während des Diners schwatzte die elegante Dame mit der auffälligen Toilette außerordentlich viel, und der Wirth neckte sie unaufhörlich, was ihr Mann an der anderen Seite der Tafel mit viel Vergnügen bemerkte. Wer ist wohl der sonderbare Mann mit seinem schwarzen Rocke und seiner gelben Weste? Die wohlerzogenen Farbigen haben die Gewohnheit, bei jeder Ant- die großt Inttiguc. ZI wort den Namen der Person, mit welcher sie sprechen, hinzuzufügen. Lauschen wir also einen Augenblick auf das Gespräch, daß zwischen ihm und Fräulein Betsy Bokkerman geführt wird. Er hat geraume Zeit geschwiegen, denn Mevrouw Outshoorn ist in zn eifriger Diskussion mit dem Hausherrn und ihren vis-K-vi8, als daß sie sich um den schweigenden Altgast bekümmern könnte. Nun will er aber auch irgend ein Gespräch beginnen, ergreift die kristallene Karaffe mit Wein, und sagt zu der ältesten Tochter des Hauses: — „Ein Glas Wein, he?" — „Dante, Herr Tinman Todding." Kleine Pause. Dann heißt es: — „Viele Mosquitos heute Abend, he?" — „Ja, Herr Tinman Todding!" Wieder eine kleine Pause. — „Keine Nachricht von Goenoeng Agong?" — „Nein, Herr Tinman Todding!" Tinman Todding! Ein alter Bekannter, den wir seit lange nicht gesehen haben! Und seine Gattin. Mevrouw Tinman Todding, geborne Jane Slijkers! Wie kommen sie jetzt nach Tji-Koening, wie sind sie die Gäste des Hern: August Bokterman geworden? Vorläufig nur diese Antwort: Tinman Todding hat mit seiner jungen Frau die schönsten Städte und Landstriche Iß Die g?oßc Intrigue. Europa's durchreist und sich trotz seiner ausgezeichneten Gesellschafterin immer gelangweilt. Er fand es überall unausstehlich steif und viel zu kalt. Jane hatte sich vortrefflich amüsirt, sie wäre gern noch länger auf der Reise geblieben, aber der Kontroleur auf Urlaub hatte plötzlich den Entschluß gefaßt, nach Indien zurück;ukehren, gerade als sie bestimmt erwartete, den Winter in Brüssel zuzubringen. Und die Plätze auf der englischen Mail wurden genommen, und Jane mußte es sich gefallen lassen, noch kein Jahr nach ihrem Auszug von Batavia wieder dorthin zurückzukehren. Dadurch war aber die freundschaftliche Stimmung zwischen beiden Eheleuten nicht gestiegen. Jane schmollte, und Tinman Todding rauchte Manillas. Ein ganzes Buch könnte man von ihrer Mailreise schreiben, zumal wenn man daran denkt, daß der Kontroleur sehr schlecht Englisch und Französisch sprach, und daß seine Gattin ziemlich bewandert in beiden Sprachen war. Als sie nach Batavia kamen, hatten sie ihre Wohnung einstweilen im Marinehötel aufgeschlagen. Dort empfing Jane von Zeit zu Zeit ihre Bekannten, und begrüßte daselbst auch einen alten Freund. Wer dieser alte Freund war, und zu welchem Resultate diese Begrüßung führte, wird an geeigneter Stelle mitgetheilt werden. Als Tinman Todding nach kurzer Wartezeit bei Die große Intrigue. 27 den Kulturen in Krawang angestellt wurde, führte cr seine Gattin nach dem Binnenlande der Assistenz-Residenzschaft und fand dort reichlich Gelegenheit, zu bemerken, daß Ihre Edelgeboren fortwährend sehr übler Laune war. Eine zweite Bemerkung, welche er oft bei sich selbst machte, war, daß Jane ihn unaufhörlich von den großen Grundbesitzern der Umgegend sprach, daß sie immer den Namen Bokkerman nannte und eine besondere Befriedigung an den Tag legte, als er ihr eines Tages mittheilte, daß er von Amtswegen verpflichtet sei, dem Herrn Bokkerman einen Besuch zu machen. Daraus war eine Bekanntschaft entstanden, da Bokkerman sich später zu dem Kontroleur begab und dessen Gattin mit seiner gewohnten Höflichkeit einlnd, den Damen auf Tji-Koening einen Besuch abzustatten. Jetzt machte Jane von dieser Einladung Gebrauch. Daß sie aufgeweckt und fröhlich war, bemerkte Jeder, der sie so lebendig mit dem höflichen August Bokkerman disputiren hörte — so lebendig, daß Fräulein Botkerman Nr. 2, daß Fräulein Servensteyn und Luise, daß Mr. Coole und Fräulein Bokkerman Nr. 4 Alle zum Schweigen gebracht wurden. Jane hatte in Fräulein Serpensteyn eine Rivalin entdeckt im Bezug auf Toiletten, und ferner hatte sie noch einen sehr wichtigen Grund, um vor drr Gouvernante auf Hg Die großc Inlngue. ihrer Hut zu sein. Jane brachte die neuesten Moden aus Paris mit. und sah mit ihrem leichten, weißen Ballkleide, mit ihrem blauen Gürtel und ihrer kolossalen vergoldeten Schnalle, mit ihren langen schmalen Ohrgehängen »en oi-ißtai äe rocke«, mit ihrem riesigen »oki^on « und übrigen Haarschmucke ganz anders aus, als eine der übrigen Damen, obschon ihr die Gouvernante am Meisten glich, und Mcvrouw Outöhoorn durch ihre Einfachheit und durch ihren guten Geschmack, durch ihre natürliche, schöne Haartracht Alle übertraf. Aber Jane breitete ihren ganzen Vorrath feiner Manieren aus, hatte eine Menge europäischer Sitten mitgebracht, und da sie zu ihrer bittersten Betrübniß Batavia verlassen mußte, so versuchte, sie wenigstens bei jeder Gelegenheit, ihre neu erworbenen Talente glänzen zu lassen. Deßhalb waren auch die Wirthin und ihre Töchter sogleich gegen sie eingenommen, und hegten im Stillen den Wunsch, daß der Besuch des Kontroleurs Tinman Todding und seiner Frau nur von kurzer Dauer sein möchte. Denn die Schüchternheit und Furchsamkeit, die Ängstlichkeit und die verschämten Manieren der treuherzigen Nonnaas traten mit der lauten Art und Weise, der Keckheit, der Dreistigkeit und den emancivirtcn Manieren der Kontroleursfrau in schrillen Kontrast. Die große Intrigue. Zg Aber die Letztere hatte sich sehr fest vorgenommen, einige Tage auf Tji-Koening zu verbleiben, da sie einen bestimmten Zweck verfolgte und einsah, daß der Herr Bokkerman durch seine eigenen Ideen von Gastfreiheit gezwungen war, seine Freude über ihren längeren Verbleib zu bezeugen, selbst wenn er im Geheimen einen kürzeren Besuch gewünscht hätte. Aber vor diesen geheimen Gedanken wollte sich Jane schon bewahren, und sie hatte sich vorgenommen, die beiden großen Herren, Andermans und Bokkerman, so viel als möglich zu amüsiren. Deswegen gab sie allerlei Geschichten über ihre Reise dnrch Frankreich und die Schweiz zum Besten, sowie über ihre Mailreise mit der I>6iün8n1ai-. anä-Orientai-Kav.-Oomp., und so bald sich nur eine Gelegenheit darbot, um die eine oder andere Anekdote geschickt anzubringen, so trug sie dieselbe mit so viel Schalkhaftigkeit und Gewandtheit vor, daß zuerst An-rcrmans, und dann auch Bokkerman von fröhlichem Lächeln zu schallendem Gelächter übergingen und immer lauter in dasselbe ausbrachen, je mehr Janes Erzählungen spaßhafter orer verwickelter wurden. Plötzlich wurde laut mit einem Messer an ein Glas getickt, und Alle schwiegen neugierig still. IH Dic große Inttiguc. II. Vie der Oelmrlslag des 5rä»lev me! . . . . I^ail1<^n........ Darf ich auf Ihre Gesundheit trinken, Miß Botker-man?" Marie nickte und ließ den vielsagenden Ton hören i — „Hm, bm!" — „Dabei muß man etwas sprechen!" — rief Fräulein Serpensteyn lächelnd — „denn Fräulein Marie feiert heute ihren Geburtstag!" Mr. Coole lächelte sehr freundlich und that fo, als ob er Alles verstände. — „Und dann muß Meneer ticken mit Mencer seinem Messer gegen Meneer sein Glas, geraoe wie Papa!" — rief Luise Andermans. Und die That zum Worte fügend, ergriff die Kleine ein Messer, und tickte so hart sie konnte an Mr. Cooles Glas. Welch' eine Wirkung dieses Ticken auf den Wirth und Aurermans hervorbrachte, die eben eine lange Erzählung von Mevrouw Tinman Todding mit Lachsalven unterbrachen, wissen wir aus dem Schlüsse des ersten Hanptstückcs. Als nun angccickl wnrrc, richtete man sogleich die Dic große Intrigue. I I Blicke auf Mr. Arthur Coole, und Alle schwiegen höflich. Der junge Engländer lächelte, verbeugte sich, lächelte nochmals, hob sein Glas auf, und lächelte zum dritten Male. Endlich räusperte er sich ziemlich nervös, und wandte sich zu der Hausfrau. — »I^adi68 »nü Fentiemen!« — ertönte es jetzt. — „Ich bitte maine Entschuldigung für das schlechte Holländisch — aber ich liebte nur in England und in 6HFII5K India! Ich bin noch nicht gewöhnt mit holländisch Sprechen......und mache viele mist».- Ices .... dut, .... aber .... dnt I pi-opose t1i6 kealtk ol 5liß8 Mary Bokterman!" Lauter Jubel unr allgemeine Begeisterung folgten diesen, wenigstens sehr herzlich gemeinten Worten. Fortwährend lächelnd nnd gegen jedes Mitglied der Gesellschaft sich verbeugend, trank Mr. Coole sein Glas leer, und hegte im Stillen die feste Überzeugung, daß er es schon hübsch weit im Holländischen gebracht habe. Fräulein Serpensteyn hatte ihren Zweck erreicht. Die Erzählung von Mevrouw Tinman Todding blieb abgebrochen, da nun Herr Andcnnans sein Glas erhob und den Eltern des Geburtstagskindes einen Festtrunk brachte. Dann folgte ein sehr langer Toast des Hausherrn auf alle Anwesenden, der durch die unaufhörliche Wiederholung desselben Gedankens: „wenn es Ihnen 3* kes .... but .... aber .... but I propose the health, of Miss Mary Bokterman!" Lauter Jubel unr allgemeine Begeisterung folgten diesen, wenigstens sehr herzlich gemeinten Worten. Fortwährend lächelnd und gegen jedes Mitglied der Gesellschaft sich verbeugend, trank Mr. Coole sein Glas leer, und hegte im Stillen die feste Überzeugung, daß er es schon hübsch weit im Holländischen gebracht habe. Fräulein Serpensteyn hatte ihren Zweck erreicht. Die Erzählung von Mevrouw Tinman Todding blieb abgebrochen, da nun Herr Andcnnans sein Glas erhob und den Eltern des Geburtstagstiudes einen Festtrunk brachte. Dann folgte ein sehr langer Toast des Hausherrn auf alle Anwesenden, der durch die nnaufhörliche Wiederholung desselben Gedankens: „wenn es Ihnen 3* ^^ Die große Intrigue. angenehm ist, bei mir zu sein, so fühle ich mich sehr geschmeichelt durch Ihre Gegenwart zu Tji-Koening!" viel länger dauerte, als nöthig war. Während dieser Vorgänge sah Fräulein Serpensteyn sehr sittig auf ihren Teller nieder, bis zu dem Augenblick, in dem ihr Luise ziemlich laut mittheilte, daß sie lieber herumspringen wolle. Flüsternd gebot sie dem Kinde, zu warten, bis Herr Botkerman einen passenden Schluß für seinen Toast gefunden haben würde. Dann sprang Luise von ihrem Stuhle auf, um bei Mainah, welche in einem der inneren Zimmer den kleinen Peter beaufsichtigte, noch eine gute Menge inanies-8kn (Confitüren) zu essen. Mevrouw Tinman Tod-ding, geborne Slijkers, war gar nicht erbaut über die Wendung, welche die Gespräle nahmen, und erzählte deßhalb dem Mr. Arthur Coole, daß sie an Bord der Mail auch oft die englischen Herren in längeren oder kürzeren Reden hatte bewundern können. Mr. Coole antwortete Englisch, sodaß Jane sogleich ihr Pcnsions-Englisch auskramen konnte, zu neuem Anstoß für Fräulein Serpensteyn, die es in dieser Sprache nicht sehr weit gebracht hatte. Indessen beendigte die Hausfrau die Mahlzeit, indem sie aufstand; welches Beispiel sogleich von den großen Herren und von allen Damen befolgt wurre. Die große Intrigue. I7 Tinman Todring und Coole schienen noch einen Augenblick sitzen bleiben zu wollen. Aber Herr Bokter-man zog auch sie mit sich fort, und die ganze Gesellschaft begab sich in derselben Ordnung wieder nach der Veranda zurück. Herr Bokkerman war in sehr aufgeweckter Stimmung und scherzte mit Jedem. Als man in rcr Vorgalerie angekommen war, trennten sich die Herren nnd die Damen. Die Damen des Hauses nahmen Heimelten in Beschlag, um Piano zu spielen, und bald erklang eine liebliche Melodie durch die äußere Galerie. Mevrouw Bokterman kam aber bald mit Fräulein Serpensteyn zurück, und ließ diese neben sich Platz nehmen, um recht zu zeigen, daß sie die „Iuf-rouw" des Herrn Andermans für eine besonders „geeignete" Person hielt. Die Herren außer Outshoorn, der sich zum Klavier begeben hatte, formten einen Kreis um Mevrouw Tinman Todding, welche je länger, je scherzhafter wurde und selbst, nach einer Aufforderung des Hausherrn, ihre Geschicklichkeit im Rauchen einer Manilla zeigte. So kam es, daß die Wirthin sich sehr ruhig mit der Gouvernante unterhalten konnte, und da sie selbst recht gesprächig und gar nicht wortkarg war, so wurre die Unterhaltung balc sehr intim. — „Mevrouw Buys hat mir viele Komplimente Iß Dir großc Inliigue. aufgetragen" — fuhr Fräulein Serpensteyu fort — „und auch Mevrouw Ruytenburg." — „Sehen Sie Mevrouw Ruytenburg noch?" — „Sehr oft, Mevrouw! Vielleicht wissen Sie, daß ich Unannehmlichkeiten mit dem Herrn Ruytenburg gehabt habe?" — „ Hm. hm! Andermans erzählt mir von dieser perkara l Sache) ! " — „Eigentlich war diefe Sache ein Zwist zwischen dem tollen Pönurot und Ihrem Schwiegersöhne Van Spranekhuyzen!" — „Sprechen Sie nicht von diesem Ziaäaii. ^Schurken)!" — „Werden Sie es mir nicht übel nehmen, wenn ich Ihnen die volle Wahrheit erzähle?" — „Ja, h'oda, (kommen Sie), erzählen Sie mir etwas von der Geschichte! Ich höre eigentlich nicht viel davon. Denn Bokkerman schweigt nur — und Lucy auch. Sie wissen. Lucy ist immer oben bei den Woodlands?" Fräulein Servensteyn beugte sich mit einem sehr geheimnißvollen, sehr ehrerbietigen und sehr lächelnden Antlitze zu Mevrouw Botkerman, und flüsterte schnell: - — „Das weiß ich Mevrouw'. Aber lassen Sie mich Die große Inlngut. HQ erst kur; erzählen, wie die Sache eigentlich steht. Lucy ist etwas eigensinnig!" — „Hm, hm!" — „So ist im Anfange Uneinigkeit zwischen den jungen Leuten entstanden. ..." Fräulein Serpensteyn überlegte sehr schnell. Sie war auf dem Punkte, Meorouw Outshoorn anzugreifen, aber erinnerte sich zu guter Zeit, daß dieß auf Tji-Koening nicht sehr diplomatisch wäre. Darum fuhr sie fort: — „Nun kommt noch eine zweite Sache dazu. In Batavia sind sehr viele Coterien ..." — „Sehr viele was?" — „Sehr viele Gesellschaften, die einander feindselig bereden und verläumden! Nun ist Herr Ruyten-burg in die Coterie der Van Weely's und Dubois gekommen, und die haben so lange gearbeitet, bis ein allgemeines Vorurtheil gegen den Herrn Van Spranek-huyzen entstanden ist . . . ." — „Aber er detoei auch «atoe ein) Finäak!« — „Nein, Mcvromv! Das sagen nur die Weely's! Man kann wohl Manches gegen ih.i sagen, denn er hat sich sehr unvorsichtig um Dinge bekümmert, die ihn nichts angehen . . . ." — „Schweigen Sie nur von ihm! Outshoorn hat gut gestraft, soeduli!" Hft Dlc gioßc Intrigue, — „Davon weiß ich eigentlich nicht viel, aber man hat mir für ganz sicher erzählt, daß auf Concordia nach einem Balle Streit zwischen den Herren entstanden ist. Sie wissen, man trinkt dort viel, und dann werden die Worte nicht abgemessen ..." — »8o6dg.1i! Sie sollen mir erzählen von der andern perkkra mit Penurot." — „Als Ihre Tochter Lucy in Batavia bei Me« vrouw Buys logirte, he? Das habe ich selbst mit erlebt. Lucy hat mir oft gesagt, daß sie mit Van Spra-nekhuyzen Mitleiden hätte, weil Jeder so gegen ihn eingenommen war, und daß sie gerade bei Mevrouw Buys logirte, weil diese den Verläumdungen der Van Weelys keinen Glauben schenkte..." — „Ja, aber die perkara. . ." — „Ach, da war ein junger Mann, der früher zu Van Spranekhuyzens Freunden gehört hatte und später der Schwiegersohn Van Weelys geworden war, der hat später gegen Van Spranekhuyzen intriguirt!" — „Hm, hm!" Mevrouw Bokkerman nickte, aber folgte dem Berichte des Fräuleins nicht mit der nöthigen Aufmerksamkeit. Sie hatte ihre Augen auf die Gruppe Herren gerichtet, die an dem Ende der Vorgalerie sich um die Frau d>?s Koutroleurs in fröhlichem Gespräche versam- Die große Intrigue. i j melt hatte. Sie bemerkt, daß Mevrouw Tinman Todding ihren englischen Freund Mr. Arthur Coole in die Enge treibt, und überdieß steht noch ein Bedienter mit Kaffee vor ihr. Mevrouw Botkerman ist eine sehr gutherzige, sehr gastfreie und sehr wenig entwickelte Nonna, die sicher das Pulver nicht erfunden haben würde, wenn sie in deu Tagen des seligen Berthold Schwarz gelebt, und dieser ihr die Sache überlassen hätte. Ihr größtes Vergnügen ist es, bei jeder Gelegenheit recht herzlich zu lachen, und dafür zu sorgen, daß alle häuslichen Geschäfte mit außergewöhnlicher Ordnung geregelt und ausgeführt werden. In allen größeren oder kleineren Verdrießlichkeiten des Lebens beruft sie sich auf das richtigere Urtheil ihres Mannes. Fräulein Serpenstcyn hat ihre Wirthin bald durchschaut. Sie ist schon einige Tage auf Tji-Koening, und hat ihre Berechnungen längst gemacht. Sie hat einen kleinen Plan gebildet, der sich seiner Zeit zeigen wird. Schon beginnt sie mit Anlegung ihrer Minen, und nimmt jetzt zuerst die Wirthin ^ iaire. Aber Mevrouw Bokkermau denkt nur an ihren Kaffee, uud schaukelt sich hin und her, während sie mit ihrem Kopfe den Takt zu Hcnriettens Akkorden schlägt, welche noch immer in fröhlicher Weise dnrch die Vorgalerie rauschen. Fräulein Serpensteyn führt das Gespräch «a Die große Intrigue. auf das alte Felr zurück, und gewinnt bald die Aufmerksamkeit der Wirthin durch die gewandte Erzählung, wie Van Spranekhuyzen und sie selbst als Opfer der batavischen oanoan» gefallen sind. Sie weiß Mevrouw Bokkermans Aufmerksamkeit sehr lange zu fesseln, trotz dem unaufhörlichen Gelächter und den lauten Gesprächen der Übrigen, und immer vertraulicher flüstert sie der Wirthin ins Ohr.. — „Glaube uur, ich sage immer, kasitm Lucy! AberBokkcrman wird niemals gut heißen, niemals..." Gerade als die Frau des Landeigenthümers diese beschönigende Antwort gab, entstand eine Bewegung unter den Herren, welche die drei Damen Bokkerman von dem Piano weggeholt und Mevrouw Outshoorn um einen Walzer gebeten hatten. Man wollte tanzen. Sogleich stand Fräulein Serpenstcyn auf. Sie tanzte gar zu gern. Und sie wollte auch gar zu gern wissen, ob solche gesetzte Herreu, wie Andermaus, Bokkerman und Outshoorn noch tanzen könnten. Mcvrouw Bokterman schüttelte sich vor Lachen, als sie ihren dicken Mann mit Mevrouw Tinman Todding herumgehen sah, und als Andermans mit ihrer ältesten Tochter folgte. Outshoorn erschien darauf mit rem Geburtstagskind Marie, Tinman Todding mit Anna. Mitten im froh- Die große Inlriguc. H.I lichsten Gelächter der Wirthin wurde dieselbe durch Mr. Arthur Coole unterbrochen, der äußerst höflich frug, ob er das „pisa^re" haben könnte, sie zum Tanze zu führen. Mevrouw Bokkerman entschuldigte sich, wies ihn aber an die Gouvernante. Fräulein Serpensteyn walzte gern und nahm den Arm des blonden Britten mit dem freundlichsten Lächeln an. Und Henriette spielte immer fort in dem Seitenzimmer, und sah von Zeit zu Zeit heraus, ob sie auch die Tänzer bemerken könnte, lächelnd, wenn sie ihren Mann oder den Landeigenthümer gewahrte. Dieser erste Walzer hatte gleichsam das Eis gebrochen. Angnst Botkerman wünschte, den Geburtstag seiner jüngsten Tochter fröhlich zu feiern; er schickte die Bedienten unaufhörlich mit Champagner herum, und erinnerte sich auf einmal, daß er eine Zimmerorgel besaß, welche eine Franchise, eine Polka und einen Galopp spielte. Tinman Todding probirte dieselbe und drehte sie sehr eifrig zur großen Satisfaktion aller Herren und Damen. Darauf wurre cine Francaisc arrangirt, bei welcher die Wirthin an Andermans Arm ihrem Manne und Hen-rietten gegenüber stand — und deren Figuren Fräulein Serpensteyn mit niedergeschlagenen Blicken folgte, da sie nicht aufgefordert war, mitzutanzen. Sie gab sich ailc Mühe. freundlich auszusehen, wenn ihr Auge ;n- H.z Die großc Intrigue. fällig auf Mevrouw Outöhoorn fiel — bei welcher endlich der junge Mr. Arthur Coole verschiedene „mistake" machte, da er es iu holländischen Quadrillen uoch nicht weit gebracht hatte, was ihm Fräulein Betsy sehr übel nahm, weil sie einen Fehler in einer Francaise für unverzeihlich hielt: für einen wirklichen -psetiö inortsi. Eine Viertelstunde später, nachdem die Tanzlust etwas befrierigt, und es sich deutlich herausstellte, daß mehr Ausdauer bei den Damen, als bei den Herren gefunden wurde, als die beiden großen Herren, ganz erstaunt über ihre Leichtigkeit, aber nach Athem keuchend sich in ein Paar Lehnstühle hatten fallen lassen, so bildete sich unwillkürlich ein großer Kreis, in dem sich Jeder setzte, wo er am liebsten wollte. Die beiden großen Herren nnd Mevrouw Bokkerman bildeten mit dem Herrn Tinman Todding und dessen Frau eine Gruppe, der sich auch Mr. Arthur Coole und endlich auch Fräulein Serpeusteyn anschlössen. Die jungen Damen des Hauses hatten Outshoorn und seine Hen-riette in Beschlag genommen, und bald bewies ihr fröhliches Gelächter, daß Outshoorns Mittheilungen über den beständigen guerilla mit seinem Kollegen Wilhelm Woodland von Goenong-Agong, sie herzlich amnsirten. Die drei Töckter des Hauses waren vollkommen nu tait mit dieser Frage. Sie wußten, daß der heftige und Die große Intrigue. ^ mißtrauische Woodland im Stillen auf die hohe Gunst sehr eifersüchtig war, welche Outshoorn von Seiten des Grundbesitzers genoß, aber noch mehr auf die gründlichen Kenntnisse und die unverkennbare Tüchtigkeit des jungen Kontroleurs. Denn Mr. William Woodland war wohl ein Blutsverwandter Boktermans, aber keineswegs ein Geistesverwandter Outshoorns. Und da sie sich zuweilen in Amtsgeschästen trafen, da man äußerlich einen gewissen oberflächlich freundschaftlichen Ton zeigen mußte, der aber von Outshoorns Seite durchaus keine Falschheit war, so kam es zuweilen zu kleinen Reibungen und Unannehmlichkeiten, welche in Tji-Koening mit dem höchsten Interesse verfolgt wurden. Daß sich Outshoorn diese Sache wenig zu Herzen nahm, baß er sie stets von der angenehmsten Seite vorzustellen wußte, bewiesen die Lachsalven, mit denen seine Mittheilungen aufgenommen wurden. Die Gruppe der großen Herren amnsirte sich indessen auf ebenso laute Weise; man war näher zusammengerückt und hatte sich en petit eoniite vereinigt, um auf den Vorschlag des Wirthes auf die Erzählung der Mevrouw Tinman Todding zu lauschen. Diesc junge Dame hatte schon bei Tafel eine lange Erzählung von ihrer Mailreise angefangen, welche den gutherzigen und fröhlich gestimmten August Bokkermau 46 Die großc Intrigue. so gefesselt hatte, daß er auch seiner Gattin dies Vergnügen verschaffen wollte. Nun entstand folgendes Gespräch: Der Wirth, indem er sich befriedigt die Hände reibt i — „I^o^ (Kommen Sie), Mevrouw Tinman! Erzählen Sie uns noch etwas von Ihrer Mailreise. Wir waren bis Suez gekommen!" Jane. — „Wenn mich Mr. Coole nur entschuldigt, daß ich nicht für englische Mailpassagiere schwärme!" Mr. Arthur Coole mit komischer Hast: —„Die englische ?. anä-O.l ist viel besser, als die irenok I deF 5011 Mläoii, englische PÄ886I1A61-8 kann nicht .... oaimot de eanipaiScl ^vitli tlis krenoli!" Jane. — „Nun, ich werde Ihnen auch eine Geschichte von einer englischen Dame erzählen, welche Ihnen beweisen wird, daß ich unpartheiisch bin! Ich glaube, daß Jeder, der eine Mailreise macht, schlechte Laune bekommt!" ' Tinman Todding, mit einem tiefen Seufzer und einem tüchtigen Schluck Champagner: — „Das glaube ich auch, Jane!" I a n e, das blaue Band ihres Gürtels behutsam um 1 Peninsular-and-Oriental-Steam-jN\ C. Messageries — english steamers and passengers, I beg you pardon, englische päLssn^r» kann nicht .... cannot be campared with the french!" Jane. — „Nun, ich werde Ihnen auch eine Geschichte von einer englischen Dame erzählen, welche Ihnen beweisen wird, daß ich uupartheiisch bin! Ich glaube, daß Jeder, der eine Mailreise macht, schlechte Laune bekommt!" ' Tinman Todding, mit einem tiefen Seufzer und einem tüchtigen Schluck Champagner: — „Das glaube ich auch, Jane!" I a n e, das blaue Band ihres Gürtels behutsam um Die großt Inmguc. l ^ ihren Finger wickelnd: — „Ich kenne wenigstens einen Passagier, einen holländischen Passagier, der den ganzen Tag auf einem Stuhl lag unr Cigarren rauchte, ohne nach seiner Frau zu sehen!" Lautes Gelächter des Wirthes und des Herrn An-dermans. Kleine Pause. August Bokkerman zu einem Berienten, der mit einer Flasche Champagner vorbeigeht i — „Nawa «ulk (Bring hierher!'." Zu Tinman Todding: „Erlauben Sie, daß ich Ihnen noch einmal einschenke. Herr Tinman! Oder wollen Sie lieber ein Gläschen di-unäy-saniil-^oi- (Arrack mit Nasser^ ? Das ginge wohl, he?" Tinman Todding nickt einigermaßen verlegen, hat aber im Bezug auf di-anäy-sama-aM- viel zu gute altgastlichc Begriffe, um sich nicht über den Vorschlag des Gutsbesitzers ;u freuen. Auch Anrermans und Bokkerman selbst folgen seinem Beispiele. Mr. Arthur Coole und die Damen trinken anFFoer poel. Mevromv Vokterman: — „Wir hören mm vie tjeiita ^Geschichte oon rcm 1v1ii8k6r8 wühlte, rief er schnell: — „Sie versprachen uns, Mistreß Tinman! tkat. Jane. — „Mit Vergnügen, Herr Coole! Als 4* H.) Die große Inttiguc. wir in Suez bei Tafel waren, hattc ich eine Dame zur Nachbarin, die sich sehr umständlich auf ihrem Stuhl arrangirte, sehr anspruchsvoll ihren Schleier in die Höhe schlug, und Alle der Reihe nach ansah. Sie war nicht jung, sie war nicht alt, nicht hübsch, nicht häßlich — sie war mittelmäßig. Gerade neben ihr saß ein Herr, welchen ich noch nicht kannte, aber es stellte sich später heraus, daß er ein Holländer war, obgleich er sich gern für einen Engländer ausgab. Er war noch sehr jung, und vereinigte in sich. wie ich bald die Gelegenheit haben werde zu bemerken, viel komischen Enthusiasmus und nervöse Aufregung mit eben so viel Unerfahrenheit und Unbeholfenheit. Er war Ingenieur für eine große Fabrik in Passoeroean und hieß Van der Beek. Die französische Dame hatte ihn schon einige Mal aufmerksam betrachtet, und endlich wandte sie sich mit der Frage an ihn, was an der Tafel von Suez eßbar sei. Den folgenden Tag an Bord waren sie in eifrigem Gespräche, und da Tinman Todding Bekanntschaft mit Van der Beek gemacht hatte, so hörte ich, daß die französische Dame Derosierres hieß und nach Bombay reiste, um ihren Gatten dort aufzusuchen. Wir machten schnell Bekanntschaft mit ihr. Das unaufhörliche Plaudern der französischen Dame vertrieb uns rie Zeit. Van der Beet war sehr galant. Die großc Intrigue. gg sehr zuvorkommend und sprach gut Französisch, so daß er sehr bald den französischen Weinkaufmann von Pon-» dichery in den Schatten stellte. Dieß gab zwischen beiden Herren eine heimliche Eifersucht, die sehr amüsant anzusehen war. Am zweiten Tage kam Madame Derosierres mit entstelltem Gesichte auf das Verdeck. Obschon die See ganz unbeweglich war, bekam sie doch Anfälle von Seekrankheit. Van der Beek und Colonne verordneten allerhand Mittel, welche Madame anwandte, aber vergebens. Den dritten Tag kam die Patientin gar nicht zum Vorschein. Unsere Gesellschaft vermißte sie sehr, und wir neckten den »verlegenen Van der Beek tüchtig über den schlechten Erfolg seiner Hausmittel. Tinman Tod ding. — „Er suchte nach dem Diner Trost bei mir, um ein wenig holländisch zu sprechen . . . ein langweiliger „Grüner!" Jane. — „Aber Madame Derosierres nahm ihre Zuflucht zur Feder und schrieb ein kleines Briefchen »ÄU 111011816111-Hoiiandai», (M pari6 iranc^is. « Ich sah darauf Van der Beek in einem sehr ernstlichen Gespräche mit dem Schiffsarzt der „Malta" — einem kleinen jungen Engländer mit weißem Knebelbart und favc>ri8: Mr. Andrew Linn. Dieß schien gute Folgen zu haben. Einige Tage später kam Madame Derosierres auf das Verdeck zurück. Ihre Toilette war »au monsieur Hollandais, qui parle francais. « 3$ sah darauf Van der Beek in einem sehr ernstlichen Gespräche mit dem Schiffsarzt der „Malta" — einem kleinen jungen Engländer mit weißem Knebelbart und favc>ri8: Mr. Andrew Linn. Dieß schien gute Folgen zu haben. Einige Tage später kam Madame De-rofierres auf das Verdeck zurück. Ihre Toilette war H4 Du gioßc Intrigue. sehr verwahrlost, und der Mangel an weißen Kragen und Ärmeln war sehr auffällig. Sie begann sogleich eine sehr lange intime Unterhaltung mit Van der Beek. Tinman und Monsieur Colonne leisteten mir Gesellschaft, und erst viel später verfügten sich die zwei auch zu uns. Sie erzählten uns eine sehr lustige Geschichte von des Doktors Besuchen bei Madame: wie er geschwiegen, kein Französisch gesprochen, ihren Puls befühlt, auf seine Uhr gesehen, und wieder geschwiegen hatte. Sie war aber noch nicht ganz hergestellt — wie wir bald zu bemerken Gelegenheit hatten, da sie sich zuweilen schnell über das Schiffsgeländer lehnte..." Jane machte eine sehr drollige Bewegung, über welche Mr. Arthur Coole und die beiden großen Herren in ein so ausbündiges Gelächter ausbrachen, daß selbst Fräulein Serpensteyn, welche bis jetzt kein Zeichen der Theilnahme gegeben hatte, sich den Luxus eines matten Lächelns erlaubte. Jane, sehr ruhig und mit viel Selbstbefriedigung-. — „Und das blieb so während des größten Theils der Reise. Van der Beet empfing noch immer vertrauliche Mittheilungen von Madame Derosierres, die merkwürdiger Weise im Punkte reiner Kragen ein sehr weites Gewissen zu haben schien. Eines schönen Morgens zog Van der Beet uns. Tinman und mich, ins Vertrauen Du greße Intrigue. HH und frug uns um Rath. Madame Derosicrrcs befand sich in großer Verlegenheit, denn sie hatte während ihrer Krankheit alle ihre Schlüssel verloren. Und ihre Koffer waren in dem Schiffsraume, in welchem das Gepäck aller Passagiere bewahrt, und zu dem nur einmal wöchentlich Zutritt gestattet wird, — sie hatte kein Leinenzeug und kein Geld. Tinman sagte, daß er bis zum folgenden Donnerstag warten müsse, wenn es „luFFkFs-aay" sei, und daß er dann nur die Koffer seiner Protegee aufsuchen und von einem Schlosser oder Zimmermann an Bord öffnen lassen müsse. Van der Beet machte ein sehr bedenkliches Gesicht, und blieb den ganzen Tag sehr verstimmt. Den folgenden Donnerstag sah man ihn eifrig mit der Untersuchung des Gepäcks beschäftigt. Er lief in dem Schiffsraume, bei einer Hitze von 96 Grad, umher, und kam mit dunkelrothem Gesichte und einem kleinen Handkofferchen, das Madames Namen trug, zurück. Später hotte ich, daß etwas Weißzeug zum Vorschein gekommen sei, aber der Koffer mit Geld blieb verloren..." Mr. Arthur Coole mit schelmifcher Miene: — „?00i- >Ii8tr688 Derosierres! Mit the?, and O. wird immer etwas verloren '. Schlechte Administration'. warum .... warum .... why did she not apply to the purser ?" 56 Dic gloßc Inlriguc. Jane, immer ruhig und gelassen: — „Der Pm-ser^ hatte sein Möglichstes gethan, denn er war glücklich einer der Schiffsbeamten, welche auch noch etwas Anderes als Englisch sprachen. . ." Mr. Arthur Coole räuspert sich und hustet unter plötzlichem Erröthen; die großen Herren sehen einander bedeutungsvoll an, Jane fährt fort: — „Der Purser that Alles, was in seinen Kräften stand, aber die Koffer von Madame Derosierres kamen nicht zum Vorschein. Man tröstete sich mit der Idee, daß man bei der Ankunft zu Point de Galle mehr Zeit und Platz zum Nachsuchen haben wurde, und indessen blieb der jugendliche Van der Beet der treue Cavalier von Madame. Indessen unterhielten sich die Iesuiten-paters zuweilen mit dem mageren Herrn Colonne, und ich nahm zu meinem Amüsement einmal an dem Gespräche Theil. Dadurch sonderte sich Madame Derosierres immer mehr von uns ab, weil sie ganz besonders gegen die Jesuiten eingenommen war, gerade so wie Herr Coole! Deshalb hörte ich in der letzten Zeit wenig von ihr, nur zuweilen an der Tafel sprachen wir über die Vorzüge einer französischen Küche vor der eng- ! Beamter, der mit der Sorge fllr die Passagiere imb ihr Gepäck beauftragt ist. Die große Intrigue. ^ tischen; ein Gegenstand, den sie mit Van der Beet wenigstens einmal des Tages verhandelte. Von den Paters und ihrem sprachseligen Abbe Chazal erzähle ich Ihnen ein anderes Mal — jetzt will ich Ihnen nur von unserer Ankunft in Point de Galle erzählen. Ich hatte viel mit meinem Gepäck zu thun, und Tinman auch, so daß ich Nichts von den Plänen der Reisenden hörte. Als ich wieder hinauf kam, fand ich die Engländer in sehr sorgfältiger Toilette bereit, sich an die Küste zu begeben. Eine Menge fremdartiger Schaluppen mit dem cingalesischen Balaucierwerkzeug umlagerten die Malta. Am Schiffsgeländer stanr Madame Dero-sierres mit einer Toilette, welche von besonderer Sorgfalt und Eleganz zeigte. Sie sah sich öfters sehr unzufrieden um, und stampfte vor Ungeduld mit den Füßen. Ich sprach sie an, und sie sagte sogleich: — „V0118 n avex PÄ8 vu Uonsikur Van der 1^66^?" Ich vermißte ihn auch. Bald hörte ich, daß er sich zum Beschützer von Madame aufgeworfen hatte, und daß sie Beide zusammen an das Land gehen wollten. Das war auch der Grund von Madame's Toilette Nach ziemlich langer Zeit erschien Van der Beet und flüsterte sogleich sehr verlegen mit der französischen Dame. Da Tinman sehr schnell ans Land gehen wollte, so verlor ich sie aus den Augen. Wir hatten uns mit dem 5 g Die große Intrigue, Geistlichen Drawbridge vereinigt, mietheten ein Boot und zogen zusammen nach Old°Mansion-House. In den vier Tagen, die wir in Galle zubrachten, scheint viel vorgefallen zu sein. Denn am dritten dieser Tage trafen wir sehr unvermuthet auf Monsieur Colonne und Madame Derosierres, welche Arm in Arm unter fröhlichem Plaudern am Strande wandelten. Ich saß in einem Wagen, der uns nach den Cinnamon-Gardens bringen sollte, und konnte also keine Aufklärung über das Vorgefallene erfragen. Erst bei unserer Abreise aus Galle wurde ich Van der Beek wieder gewahr, der uns sehr zerstreut begrüßte uur sich sogleich in seine Kabine einschloß. Aber den folgenden Tag mußte er beichten. Er wich aus, indem er sagte, daß er über die französische Dame nicht sehr erbaut sei, daß er sein Amt als ihr Cavalier bald aufgegeben, weil er gemerkt habe, baß dies doch nur eine Sinecure sei!" Neues Gelächter der großen Herren. Mevrouw Bokkerman unterdrückt einen leichten Gähnanfall — sie findet Mevrouw Tinman Todding sehr interessant, kann ihr aber nicht immer in die feineren Details ihrer Schilderungen folgen. Fräulein Serpensteyn, obgleich sie der Kontroleursfrau gegenüber sehr auf ihrer Hut ist, und beinahe noch kein Wort mit ihr gewechselt bat, findet doch, daß sie nicht übel erzählt. Und weil An- Die große Intrigue. Hg dermans sehr freundlich gegen die stets schwatzende Jane ist, so giebt auch sie durch ihre ganze Haltung zu erkennen, daß sie von der Erzählung sehr eingenommen ist. Andermans, mit einem vielsagenden Lächeln: — „Sie hatten doch natürlich die Geschichte gewiß längst durchschaut?" Jane: — „Natürlich. Der Purser von unserem neuen Dampfboot nach Singapore, der Purser von der Pekin, war außerordentlich gesprächig und bildete, nebst Van der Beek, meine einzige Gesellschaft, weil die Jesuiten kein Englisch sprachen, und weil die anderen Franzosen uns verlassen hatten, nm mit dem Bombay-Boot weiter zu reisen. Nach vielem Sprechen und Vermuthen begriff ich endlich, daß Madame Derosierres eine Abenteurerin war, und daß der arme Van der Beek das niätisr äe äupe ausgeübt hatte. Monsieur Colonne schien seine Landsmännin besser zu verstehen, denn er hatte sogleich den vakanten Platz als Cavalier eingenommen. Aber da Van der Beek in diesem Punkte sehr empfindlich war. so kamen wir aus Mitleiden nicht wieder darauf zurück!" Andermans: — „No ist der junge Mann geblieben?" Jane: — „Er logirte in Vatavia vorläufig mit uns im Marinehütel, da er Niemand weiter kannte..." Hy Die große Intrigue. Tinman Todding, arglos und unabsichtlich: — „Er hatte einen Empfehlungsbrief für Herrn Van Spra-nekhuyzen bei sich — und die Zwei standen später sehr gut zusammen." Jane: — „Weil er Herrn Van Spranekhuyzen eine sehr gute Nachricht aus Holland mitbrachte, vom Tode eines fernen Verwandten, der ihm eine hübsche Summe hinterlassen hat!" Tinman Todding, bestätigend: — „Ja, davon habe ich auch gehört!" Obschon Niemand auf diese Worte etwas erwiderte, so war es doch deutlich, daß sie auf alle Anwesenden einen tiefen Eindruck machten. Der Grundbesitzer erhob zornig den Koftf, als Van Svranekhuyzens Namen genannt wurde, und sah Tinman Todding fragend an. Mevrouw Bokterman nickte Fräulein Serpensteyn zu — und diese spielte so gewandt mit ihrem Fächer, daß Niemand bemerken tonnte, welche Bewegung sie verbergen mußte. Jane betrachtete die Gouvernante zum ersten Male etwas genauer. Darauf sahen sich beide Damen sekundenlang an, uud Beire versuchten, sehr gleichgiltig zu lächeln. Der Einzige, der sich um das Vorgefallene gar nicht kümmerte, war Mr. Arthur Coole. Er sah nur neugierig auf Mevrouw Tinman und sagte: Die große Intrigue. ^ — „Sie sehen wohl, Mistreß Tinman, daß die französischen Damen nicht ..... kein kair pl^ spielten!" — „Was Madame Derosierres angeht, das gebe ich Ihnen zu, Herr Coole! Aber wir hatten im mittelländischen Meere eine vornehme französische Dame an Bord, die immer neben dem Kapitain saß, die Frau eines Admirals der französischen Marine. Die englischen Offiziere wollten sie auf Französisch unterhalten, und da habe ich sie oft bewundert, wie gut sie sich bei der wunderbarsten Sprache, die sie anhören mußte, benahm. Einmal hatte man die Unterhaltung auf die französische und englische Sprache gebracht. Die vornehme Admiralsfrau behauptete, daß in der ganzen Welt mehr Französisch, als Englisch gesprochen werde. Einer der englischen Offiziere antwortete sogleich sehr ernst'. — »^t NUN, ^6 P6H8S, HU6 Is 1ai1FU6 ^.NFik- teirs 68t 211881 I'epkuäoii H116 1s 1anAU6 I'rÄiicais!" Aber die Französin schüttelte leise den Kopf und sagte: --- „1ii8 I6pan<1n6, HU6 1a nätr6 — eeia 8'6üt6iiä!" Es war freilich fchr viel Unterschied zwischen der gebildeten und geistreichen Frau und den englischen Damen, die während der Reise durch das rothe Meer kein Wort sprachen und enrlich alle Formen aus dem Auge ließen. ernst: — »Et moa, je pense, que le langue Angle-terre est aussi repandon que le langue Francais!" Aber die Französin schüttelte leise den Kopf und sagte: — „Chez vous, Monsieur, eile est certainement plus repandue, que la nötre — cela s'entend!" (Š8 war freilich sehr viel Unterschied zwischen der gebildeten und geistreichen Frau und den englischen Damen, die während der Reise durch das rothe Meer kein Wort sprachen und enrlich alle Formen aus dem Auge ließen. HH Die große Intrigue. indem sie auf dem H?oden des Salons einen Schlafplatz suchten!" Mr. Arthur Coole, mit großer Entrüstung, obgleich er den wahren Sinn der Erzählung nicht verstanden hat: — „Die englischen laäis» schlafen auf dem Fußboden des Salon. Nut, Sie müssen denken an die Wärme .... 8ne oannot «leen insiäe tlie cadin8 anä slept outzicle — never minä tnat!" Jane. — „Nein nicht never ininä tnat! Tinman konnte des Abends nicht durch, um in seine Cabin zu kommen. Er mußte den ganzen Salon durchlaufen, und konnte nnr an den Bänken hinkriechen — der Boden war von schlafenden Damen eingenommen. Mrs. Hill lag vor seiner Thür, und hinderte ihn, dieselbe zu öffnen. Als sie es endlich für gut fand, die Augen aufzuschlagen nnd zu bemerken, in welcher Verlegenheit er sich befand, sagte sie barsch: „^uinp in, 8ir! Never ininä tnat!" Und wiederum brachen die beiden großen Herren in fröhliches Lachen aus. Der Gutsbesitzer hatte eine Zeitlang gedankenvoll geschwiegen, als der Name Van Spranekhuyzens genannt wurde, hatte sich aber doch bald von der immerfort schwatzenden Jane hinreißen lassen. Jedermann that, als ob man den kleinen Vorfall kanm bemerkt habe. Indessen war auch Outshoorn Die große Intrigue. ag mit seinen Damen zu der Wirthin gekommen, und auch sie hatten den letzten Theil von Jane's Erzählung gehört. Henriette nahm Abschied. Es war sehr spät geworden. Die Baboe mit dem schreienden Kinde schien sie zur Eile anzutreiben. Auch Mr. Arthur Coole stand auf. Er hatte sich nicht so gut, wie gewöhnlich, amü-sirt. Er hielt Mistreß Tinman Todding für eine sehr anspruchsvolle holländische Dame. Auch hatte er mit dem Herrn Bokkerman nicht seine gewohnte Partie Schach gespielt. Er wollte Outshoorn sein Herz ausschütten, da sie ungefähr fünfzig Schritte bis zur Fabrik zusammen gehen mußten; dort waren Beider Wohnungen. Seit einigen Monaten hatte der Gutsbesitzer Herrn Outshoorn nach Tji-Koening berufen — ein Er-eigniß, welches das Mißbehagen des Mr. William Woodland nur vergrößerte. Als man im Begriff war. sich zu trennen, sagte der, Laudeigenthümer: — „Machen Sie morgen mit uns einen Ritt, Mr. Coole? Mr. Andermans, Mr. und Mevrouw Tinman werden uns begleiten!" Der junge Engländer verbeugte sich. Eine Einladung seines Chefs wollte er ungern ablehnen. Aber von der Seite warf er einen halbunzufriedenen Blick 64 Die große Intrigue. auf Jane. Diese eilte aber sogleich auf ihu zu. und versicherte lachend auf Englisch, daß sie schon alle ihre Beschwerden gegen Mailpassagiere mitgetheilt habe. Noch einmal ertönte eine Lachsalve über die Verlegenheit des jungen Engländers, unr in allgemeiner Aufregung beschloß man, am folgenden Morgen halb sechs Uhr einen Ritt ins Gebirge zu unternehmen. III. Nleuronw Tinman Kodding ßcwcist, daß sie gut zu Vserde sitzt, und zugleich, dal> sie die Gelegenheit benutzt, ihren Freunden gefällig zu sein, Fünf Uhr Morgens. Auf dem Vorplatze oer Villa zu Tji-Koening führt man vier Reitpferoe umher. Eins davon trägt einen zierlichen Damensattel — die Bedienten gehen schweigend durch das nasse Gras, die Pferde lassen von Zeit zu Zeit ein fröhliches Wiehern hören. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Die Schatten der Nacht weilen noch in der Dämmerung um das Landhaus und seitwärts bei den Fabrikgebäuden. Am südlichen Horizonte, über den Bergen, zeigt sich ein Streifen weißen Lichtes — der Bergesrücken selbst verschwimmt in hellblauen und amcthystfarbigen Tinten. Die große Intrigue ß« In der Umgebung der Villa, deren weißgetünchte Säulen all das graue Morgenlicht aufzufangen scheinen, ist noch nicht viel Leben zu bemerken. Die Kammerzungfer von Mevrouw Tinman Todding hat schon früh am Morgen sehr viel zu thun. Sie eilt sehr geschäftig hin und her. um nur alle Befehle der etwas hitzigen und eigenwilligen Jane ausführen zu können — denn die i^nnja will besonders schöne Toilette machen im Reitkleir von dunkelblauem Orleans mit langer Schleppe. Tinman selbst ist ganz fertig, er ist nach der Pendoppo geeilt, und amüsirt sich mit seiner Reitpeitsche und seiner Cigarre. Die Damen Bokkerman lassen sich noch nicht sehen — es ist noch sehr früh. aber das liebenswürdige und dienstfertige Fräulein Serpensteyn ist schon bei der Hand. Sie sitzt vor dem Tische mit Thee und Frühstück. Der kleine Piet sitzt zu ihrer rechten, iwise An-dermans zu ihrer linten Hand. Die Kinder versuchen Käse, Kuchen nnd kleine Näschereien wegzustipitzen. Die Gouvernante bringt sie mit „gebildeten" Worten zur Ruhe und hält den Kontroleur Tinman Todding für einen „ungebildeten" Menschen. Dann kehren ihre Gedanken zu dem vorigen Abende zurück, nnd sie erinnert sich an die Worte seiner Gattin. Bei diesem Gedanken runzelt sich ihre Stirn, und ihre Mundwinkel ziehen sich noch schärfer und spitziger zu- Iildlsche Bibln'lbtl, V, 5 ßß Die große Intrigue. sammen, als gewöhnlich. Sie verliert sich in einem Labyrinthe von Vermuthungen. Auf einmal verschwindet der strenge Zug um ihren Mund und macht einem freundlichen Lächeln Platz. Herr Andermans ist eingetreten. Er grüßt Tinman und das Fräulein mit seiner gewöhnlichen Gravität, geht auf seine Kinder zu und küßt sie flüchtig auf den Kopf. Darauf setzen sich die beiden Herren an den Tisch und trinken den Thee, welchen ihnen Fräulein Serpensteyn mit besonders freundlicher Stimme anbietet. Andermans findet, daß das Fräulein sehr akkurat ist, und daß er sehr recht gethan hat, sie und seine Kinder mit sich zu nehmen. Man wechselt einige Worte — Herr Bokkerman tritt hastig ein; er hat seinen weißen Sonnenhut schon auf dem Kopfe. Man sieht allerseits auf die Uhren. Es ist ein Viertel nach fünf. Es wird Zeit, aufzusitzen. Auch Mr. Arthur Coole zeigt sich in der Pendoppo. Er drückt den Herren und Fräulein Serpensteyn mit englischer Herzlichkeit die Hand. Plötzlich erhellt sich das Gesicht des Landeigen-thümers. Jane kommt in einem sehr eleganten, blauen Amazonenkleide zum Vorschein. Auf ihrem grauen Filz-Hütchen prangt eine kostbare, weiße Straußfeder. Ein breiter, lackirter Ledergürtel und eine glänzende Stahlschnalle vollenden diese Toilette, welche Tinman Tod- Die großt Intrigue. ^7 ding mit heimlichem Kummerblicke betrachtet. Denn seine zärtlich geliebte Gattin giebt sehr viel Geld aus, um sich elegant zu kleiden, und Tinman hat bereits einen großen Theil seiner früheren Ersparnisse verloren. Auch Jane will eine Tasse Thee nehmen. August Bokkerman macht sehr höflich die Honneurs. Fräulein Serpensteyn behält vollkommen die Macht über ihre Gesichtszüge, während sie Mevrouw Tinman hilfreich bedient und sich selbst in bescheidene Entfernung zu stellen sucht. In ihrem einfachen Kattunmorgenkleide — sie hat zu viel Rücksicht für die Gesellschaft, um in Kabaai und Sarong zu erscheinen — sticht sie sehr auffällig gegen Jane's Pracht ab, und wie hoch sich auch die Grundsätze der Gouvernante über den gewöhnlichen Ideengang der indischen Damen erheben mögen, im Bezug auf Toilette ist sie doch sehr schwach. Der Landeigenthümer machte ihrer peinlichen Lage ein Ende, indem er das Zeichen zum Aufbruch gab. Die ganze Gesellschaft eilte hinaus. Die Bedienten brachten sogleich die Pferde, dabei den schönen Schimmel des englischen Ingenieurs, an die Vorgalerie. August Vokterman war sehr galant und half Mevrouw Tinman Todding sehr gewandt beim Aufsteigen. Er hatte ein schönes, braunes Preanger Pferd für sie vorführen lassen, das Lieblingspferd seiner ältesten Tochter Betsy. 5* Hg Die große Inttiguc. Er warnte sie vor den möglichen Launen des Thieres, aber Jane nahm lautlachend die Zügel aus seinen Händen, und galoppirte sogleich über die Rasenfläche. Als auch die Herren aufgesessen waren, kam sie schnell zurück und begab sich mit sehr geschickter Wendung an August Bottermans Seite. — „Wenn Mevrouw und die Herren Nichts dagegen haben, wollen wir eine kleine Tour durch die Umgebung von Tji-Koemng machen. Erst zu dem warmen Brunnen in das Gebirge bei Poerbala und dann nach dem Kampong Boekit-Negara'. Ich habe es Woodland sagen lassen!" Dieser Vorschlag des Gutsbesitzers wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen. Zumal Mr. Arthur Coole, der erst einige Monate auf Tji-Koening zugebracht hatte und von ren Damen noch stets für einen unverbesserlichen „Grünen" gehalten wurde — zumal Coole legte seine höchste Zufriedenheit mit diesem Plane an den Tag. Im Anfange wurde wenig geplaudert. Andermans ritt neben dem Gutsbesitzer. Jane hörte auf dessen Bemerkungen über die Landschaft, welche sie umgab. Tinman hörte, ohne viel oavon zu verstehen, auf ein halb englisches Gespräch Mr. Coole's, der sich alle mögliche Mühe gab, sich in reinem Holländisch auszudrücken. Die beiden großen Herren sprechen sehr Die großr Intrigue, ^g wenig. Mr zuweilen wechseln sie flüchtige Worte. Bokkerman sagt nach einer Weile Schweigens: — „Eine nette Dame, dieses Fräulein Serpensteyn. so pünktlich und so eifrig!" — „Eine sehr passende Gouvernante für Luise und Piet!" — antwortet Andermans. — „Die pVi-kiu,-», (Geschichte) mit Ruytenburg scheint nicht viel zu bedeuten!" — „Ruytenburg ist ein Narr! Er kam wegen des lächerlichen Pmmrot mit ihr in Unannehmlichkeiten!" — „Ich habe eigentlich nur die Hälfte davon mit erlebl, und also auch nur die Hälfte davon verstanden. Es schien etwas zwischen der Gouvernante und diesem sonderbaren Ex-Assistenten vorgefallen zu sein ... Ich hatte damals mit wichtigeren Sachen zu thun ..." — „Ja wohl, ich erinnere mich sehr gut. Die meisten Damen in Batavia ergriffen die Partie von Fräulein Serpensteyn, und Mevrouw Ruytenburg und Mevrouw Dunsinger behaupteten immer, daß die Van Weely's etwas gegen die Gouvernante hätten!" — „Die Van Weely's sind sehr respektable Menschen! Aber sie hatten es eigentlich anf den Schuft, auf den Van Spranekhuyzen gemünzt!" — „Und Fräulein Serpenfwm hat niemals mit dem Kerl etwas zu thun gehabt. Das hat sie mir 7H Dic große Intrigue. selbst zu verschiedenen Malen versichert. Und andere Damen sagen es auch. Ich habe es gut mit ihr getroffen. Sie ist vortrefflich mit den Kindern und sehr anständig .... sehr anständig!" — „Gieb mal Acht, Andermans'. Sie sieht noch ziemlich gut aus! Und dann, so ein Wittwer und eine Gouvernante .... es ist mehr geschehen!" Unter lautem Gelächter sahen sich die beiden großen Herren an. Jane hatte ihr Gespräch sehr gut gehört, und mit dem bewundernswürdigsten Takt ihre Verwunderung zu verbergen gewußt; sie streichelte mit ihrer linken Hand die üppigen Mähnen ihres Pferdes, und that, als ob ihr das Gespräch der Herren ganz unverständlich sei. Eine entzückend schöne Landschaft breitete sich jetzt aus. Zuerst passirte man den Kampong Tji-Koening. Die hohen Betelpalmen und die dichten Bambusgebüsche verhinderten anfänglich die Aussicht — aber als man bald darauf außerhalb des Dorfes auf dem sich in die Höhe schlangelnden Hohlwege weiter ritt, entschlüpfte Mr. Arthur Coole ein Schrei der Verwunderung, als er die Spitzen der Bäume hinter sich und die sanften Wellenlinien des Gebirges vor sich in einer funkelnden Gluth von Nosenroth und Purpur schwimmen sah. Die Sonne erhob sich mit sichtbarer Schnelligkeit Die große Intrigue. 7 z über das Gebirge. Das fleckenlose Azurblau des Himmels verschwand sogleich vor dem Sonnengolde, das mit der jnngen Schönheit des neuen Tages über Wege und Bergwände, längs der Schluchten und Bergeshöhen strömte. Man verfolgte einen breiten Weg von rother Lehmerde; derselbe stieg fortwährend auf und führte nach einer Hügelspitze. Man legte den Weg bis zur Höhe bald zurück, und machte dort einen Augenblick Halt. August Bokkerman zeigte dem entzückten Engländer die schönste Seite des Panoramas, das sich jetzt vor ihren Blicken entfaltete. Der Horizont wurde von allen Seiten durch die sanftgeneigten Linien der Berge und Hügel-reihcn abgeschlossen. Die hohen Abhänge in der Nähe sind ganz mit Busch und Baumwert überdeckt. Im Hintergrunde dämmert es grün, graublau und violett, und endlich verschmilzt die kaum bemertliche Linie des Horizontes mit der schimmernden Gluth des Firmamentes. — „Wir wollen links durch die großen Kaffeeplau-tagen reiten!" — rief der Landeigenthümer — und im schnellen Trabe folgte ihm die ganze Gesellschaft nach. Jane ritt ausgezeichnet. Sie sang leise eine kleine Ariette aus einer italienischen Oper, die sie einmal in Mailand aehört hat. und bekümmerte sich gar 72 Die großc Intrigue. nicht um die Landschaft, hielt auch die Herren für sehr det,6, sich mit dem Betrachten von Bergen und Kaffeeplantagen aufzuhalten. Aber nichtsdestoweniger zeigte sie ein sehr vergnügtes Gesicht. Sie hatte noch den ganzen Vormittag vor sich, und hoffte sicher, sich einen Augenblick allein mit ihrem liebenswürdigen Wirth unterhalten zu können. Dieser läßt seinen Begleitern mit gerechtem Stolz die ausgezeichnete Einrichtung seiner Kaffeeplantagen bewundern. Unter laubigen Bäumen stand der zierliche Strauch in regelmäßigen Reihen. Die Pflanzungen zeigen die Aussicht unf eine gesegnete und überreiche Ernte. Mr. Arthur Coole, der sie schon einmal besucht, bleibt wieder mit dem höchsten Entzücken stehen, und hört anf die Erklärungen seines Chefs. Bald wird auch dieß Terrain verlassen, uud über eine Fläche von Alang-Alang erreicht man eine ziemlich steile Höhe. Rechts windet sich wieder der rothe Lehmweg aufwärts. Jane macht einen sehr häufigen Gebrauch von ihrer Reitpeitsche. Der stolze Preanger beugt seinen Nacken unter der leichten Last und eilt aufwärts. Bokkerman und Mr. Arthur Coole folgen ihr, und auch die Anderen bleiben nicht zurück. Zur rechten Seite falten sich die zierlichen Halme zahlreicher Bergfarre,,kränter. Die große Inttigue. ' ^«, die ihr silbergraues ^aub oft hoch über die Reiter ausbreiten. Und links, welch ein entzückendes Bild! Coole war auf seinen Zügen durch die Umgegend noch nie so weit gekommen, und gab jetzt eine Menge lauter englischer Ausrufungen zum Besten. Äuks an dem Reitwege sah man die Bergwand steil nach unten abfallen — hundert Fuß tief nach dem Abgrunde zu. Und dort an jener Seite erhob sich eine noch steilere Felswand, mit stolzen Bäumen bewachsen. Es schien dem Auge, welches über die Tiefe weg schweifte, als ob da unten die Wipfel der Bäume, leise im Morgenwinde bewegt, eine schwellende Rasenfläche bildeten. Mitten aus dem Dunkelgrün, da unten auf dem Boden des Abgrundes, schlangelte sich ein weißes glänzendes Silberband, — das ist der murmelnde Bergstrom, der kochend über sein Felsenbett dahineilt. Höher, auf der gegenüberstehenden Felswand, erhoben sich die üppigen Urwälder, wo die weißen Stämme der Kasuarinen, wo die riesigen Benzoes, wo weitausgebreitete Wäldereien von Akazien mit ihrem feingcfiedcrten Laub, und. schattenreiche Hati'-Bäume über den unberührten Boden herrschen. Die jähen Strahlen der höhersteigenden Sonne hüllen die ganze Landschaft in Gluth l äjati — indische Eiche, 7« ' Die große Inttigue. und Wärme ein, — rund umher ist Alles still — nur das Schnauben der Pferde und die lauten Ausrufe der Reiter unterbrechen die Stille. Schon hatte man die Höhe erreicht, und schon zog man die Zügel straffer an, um hinab zu reiten. An« dermans und Tinman fügten sich jetzt auch wieder zur Gesellschaft, und auch die Ehrenwache der Sundanesen mit ihrem Distriktsoberhaupt an der Spitze, die sich in Tji-Koening in ehrerbietiger Entfernung dem Zug angeschlossen hatten, näherte sich wieder bis auf den herkömmlichen Zwischenraum. Nun ging es schnell bergabwärts. Rechts zeigte sich schon hier und da ein einzelner Klapperbaum, ein Vorbote, daß das Leben der Menschen bald beginnen werde. In schlanker Beugung zeichnete sich dieser stolze Baum am glänzenden Blau des Himmels ab — hoch über den Köpfen der Reisenden. Mr. Arthur Coole hat noch immer Begeisterung für die tropische Wunderwelt, und denkt, während er im Stillen die lichtgrünen Fächer an der Spitze bemerkt, an die glänzenden Flammenpfeile, welche den Luftraum durchströmen, um sich in einen Regen blauer Feuerkugeln aufzulösen. Er wollte so gern mit seinem Nachbar Tinman etwas darüber sprechen, aber er fand keine holländischen Worte und erinnerte sich, daß man ihn in Tji-Koening wohl zuweilen auslache, wenn er voll Die große Intrigue. ^ Feuer über die herrlichen Scenen sprach, die er auf seinen Wanderungen ins Gebirge bemerkt hatte. Man kam bald unten im Thale an. Die Hufe der Pferde erklangen dumpf auf einer hölzernen Brücke — unten kochte der schäumende Bergstrom über riesige, phantastisch auf einander gethürmte Granitstücke. An der anderen Seite der Brücke stand eine PostHütte, in der sich eine Menge Sundanesen in den buntfarbigsten Röcken befanden. August Bokkerman gab seiner Gesellschaft das Zeichen, anzuhalten und abzusteigen, und sprang selbst schnell vom Pferde. Ein sehr gemessenes, sundanesisches Distriktsoberhaupt bezeugte auf die eigenthümlich unterthänige Weise seiner Nation einen sianiat (WillkommsgruA, und machte einige Schritte vorwärts. Andermans, Tinman Todding, Jane und der englische Ingenieur erwiedern seinen Gruß. — „Der Demang von Poerbala!" — sagte der Gutsbesitzer — und wechselte mit den Sundanesen einige freundliche Worte. Die Begleiter des Demangs beeilen sich, die Pferde der toe>v2n-w6>vaii fHerren) zu versorgen. Bokker-man lud seine Gesellschaft ein, dem Distriktsoberhaupt zu folgen. Neben der PostHütte war ein schräges awp, unter welchem sich ein Tisch und zwei Bänke befanden. Dort war Alles zum Empfange der Gesellschaft bereit. >^/. Die große IntriM. Der Demang hatte sein Möglichstes gethan, um die Gäste des we^van desaar (Landeigenthümer) so gut als möglich zu empfangen. Auf der Tafel prangte eine Auswahl von Obst. braunen Mangistans, purpurrothen Ramboetans und grünen Siretayaas, — daneben stand unter vielen andern Leckereien, kewepakl, tedos (Zuckerrohr- und gebratener Pisang. Die Tji-Koeningsche Ehrenwacht hatte einen Korb mit Getränken von dem Landgute mitgebracht, was von allen Mitgliedern der Gesellschaft mit großer Freude bemerkt wurde, da der Ritt, die Morgenluft uud die Sonnenwärme durstig gemacht hatten. Kaum saß man, als sich das sanfte, melodiöse Geläute der Zanikiaii Kindisches Orchester von Gongs (metallnen Becken) und kupfernen Stößern) aus dem Gebüsch neben der PostHütte vernehmen ließ. Der Demang von Poerbala hatte sich bescheiden entfernt; und die Gäste des Herrn Bokkerman sahen einander voll großer Befriedigung an. Es lag etwas sehr Anregendes und Angenehmes in diesem ruhigen Sitzen unter dem Schatten des schrägen Daches, nach dem schnellen Ritt ins Gebirge. Und die verbindliche l Xewvpäk: Gelochter Reis, zusammengepreßt und mit Ko° tosblättern bedeckt; dieselben sind in Streifen geschnitten und umgeben den Reis, wie ein Flechtwerl. Die große Intrigue. ^« Sorgfalt des Landeseigenthümers hatte ihnen ein herrliches lunok bereitet — bei dem Mevrouw Tinman Todving, mit der Schleppe ihres Amazonenkleides über dem Arm, die Honneurs machte. — „Und nun gehen wir nach dem warmen Brunnen, he? Mr. Coole, darf ich Sie bitten, die Flaschen Ale und Porter zu administriren?" Der junge Britte hatte schon mit einer gewissen Sorge zwei improvisirte Bediente beobachtet, welche die einzelnen Flaschen sehr ungeschickt öffneten, so daß die Hälfte des Inhaltes wegsprudelte. Nach der freundlichen Bitte des Wirthes bemeisterte er sich also gern der übrigen Flaschen, und schenkte ihnen die volle Sorgfalt eines europäischen Gentleman, der sich noch nicht an das indische Ikisssr-aiiki- und an eine zahlreiche Dienerschaft gewöhnt hat. Jane trank tüchtig mit und schwatzte munter unter dem Tang-ting-Ting-tang des Gamelan. — „Ein liebes Plätzchen hier'. " sagte sie. — Früher in Batavia und in Samarang hatte ich einen wahren Schreck, wenn ich an das Binnenland dachte. Noch neulich, als ich in Batavia im Marinehotel lo-girte, dachte ich mit Schrecken an den Tag, an welchem wir abreisen würden......" — „Weil Du so angenehme Abende hattest, he?" ^« Die großc Intrigue. ftagt Tinman mit gutmüthiger Ironie. — „Und weil Du so unglücklich im Quadrilliren mit unseren werthen Tischgenossen Brandelaar und Van Spranek- huyzen......" — „Der Schurke!" Das Wort entschlüpfte unwillkürlich August Bokker-mans Lippen. Andermans lächelte. Tinman Todding leerte sein Glas. Jane hatte plötzlich etwas an der Schleppe ihres Amazonenkleides zu ordnen. Mr. Arthur Coole blieb neutral und studierte die Etiketten auf Alsopp's Ale. Es entstand ein momentanes Stillschweigen. Nur der Gamelan klagte und klingelte unaufhörlich, während in ehrfurchtsvoller Entfernung von der Scheuer eine große Menge von Sundaneseu mit Frauen und Kindern niederkauerten, um in aller Gemüthlichkeit die Gesellschaft zu betrachten. Der Landeigenthümer begriff, daß er durch seinen unwillkührlichen Ausruf gegen die Gesetze der Höflichkeit gesündigt habe, und sah sich sehr angelegentlich um, um irgend ein Ableitungsmittel zu finden. Ein sundanesischer Knabe von zehn, zwölf Jahren, mit kurzgeschorenen Haaren und dickem, schmutziggelben Gesichte, gekleidet in einen ärmlichen Kabaai mit einem zerissenen Tuch um die Hüften, starrte mit glänzenden Die große Intrigue. ^^ Augen nach der Tafel mit Früchten und Flaschen. Botkerman bemerkte ihn und rief sogleich: — Mari 8ini! (Komm einmal her!)" der Junge näherte sich zögernd, und setzte sich zu den Füßen des tuenan desaar nieder. Dieser warf ihm eine Handvoll Ramboetans zu. und reichte ihm eine halbvolle Aleflasche. Mit kaum zurückgehaltenem Freudeschrei eilte der Knabe zurück. Mr. Coole lachte hellauf über die possierliche Freude des Knaben. Andermans rief ein anderes Kind aus der Menge, und schenkte ihm eine leere Flasche. Dann kam Jane — uud bald amüsirte sich die ganze Gesellschaft über die ausgelassene Freude des jungen Sunda. Dadurch wurde die fröhliche Stimmung wieder hergestellt, und man beschloß, auf den Vorschlag des Landsherren einen kurzen Spaziergang nach der warmen Quelle von Pocrbala zu machen. Als die Gesellschaft die PostHütte verließ, flog die Menge der Eingebornen in die Höhe, um freien Durchgang zu verschaffen. Der Weg. den man einzuschlagen hatte, wurde durch den Dcmang von Poerbala gezeigt. Jane stand einen Augenblick still und schenkte ihre Aufmerksamkeit einer ^varonß (inländische Restauration in der freien Luft) am Anfange des Bergweges. Hinter dieselbe war der größte Theil der Sundanesen in scheuer Ehrfurcht geflüchtet, dort war auch der Platz der Ga- HH Die große Intrigue. melanspieler. Die ^varon^ war mit einem kleinen schrägen Dache versehen, das auf zwei Bambusstützen ruhte. Eine junge, sundanesische Frau, die in ihrer hellrothen Kabaai gar nicht ungraziös aussah, war in lautem Gespräch mit einem Knaben, der sie die leere, von Andermans erhaltene Flasche bewundern ließ. Aber was am Meisten Jane's Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. war der Umstand, daß die Bambusstützen so viel als möglich mit rochen Etiketten von Alsopp's Ale und London Porter beklebt waren. — „Sehen Sie nur, Herr Bokkerman!" — rief sie aus. — „Sie haben die ^aronF mit Etiketten verziert!" Der Landeigenthümer lächelte und steckte seinen Kopf unter das niedrige Dach. Die Anderen folgten. Mr. Arthur Coole lachte hellauf. Deshalb also hatten sie so laut gejauchzt, als man ihnen die leereu Flaschen geschenkt hatte! Andermans und Tinman Todding besahen die Bambusstützen, und Bokkerman warf etwas Geld auf die Tafel mit Früchten und gayosrau (Gemüse). Die junge Frau zog sich ehrerbietig zurück, nachdem sie das Geld schnell aufgerafft hatte. — „So sind nun meine guten Sundanesen!" — rief der Gutsbesitzer fröhlich aus. — „Mit Allem sind sie glücklich, aus Allem wissen sie etwas zu machen. Die große Intrigue. a« Ich habe hier oft bei meiner Durchreise nach Boekit-Negara Halt gemacht und einige Flaschen zurückge-lassen. So eine Alestasche ist ein Schatz für einen Eingebornen! Und von den Etiketten macht er Illustrationen für seine -waron«-! Ich bin nur immer ängstlich, daß die hochweisen Herren in Holland sie noch gar zu glücklich machen werden mit ihren neuen Einrichtungen ........" August Bokkerman machte ein sehr ernsthaftes Gesicht, und stand langsam auf. Seine Gäste folgten seinem Beispiele. Der Demang von Poerbala wartete. Was in der Seele dieses sundanesischen Aristokraten vorging, als er sah, daß die hohe Gesellschaft sich herabließ, in dem unansehnlichen ^vaicin^ zu verweilen, ist schwer zu beschreiben. Äußerlich war freilich keine Verwunderung in seiner abgemessenen Förmlichkeit zu merken, aber voch schien es ihm sehr angenehm zu sein, als man den steilen Weg bergaufwärts einschlug. An« dermans hatte sich mit dem Gutsbesitzer in eine politische Diskussion verwickelt. — Jane flüsterte mit ihrem Gemahle über den Ausfall gegen Van Spranekhuyzen. — Der Engländer ging neben dem Demang, war aber nicht im Stande, ein Wort mit ihm zu wechseln, da er noch zu kurze Zeit in Indien war, um fließend malayisch zu sprechen. Indische VibNolket, V. 6 83 Die großl Inttiguc. Der Weg führte immer höher, an beiden Seiten vereinigte sich der üppigste Pftanzenwuchs. Hier war eine Gruppe Akazienbäume, dort beugten sich einzelne Lontarpalmen über den wilden Pisang, der zu ihren Füßen wuchs. Überall wehten die eleganten Farren-kräuter mit ihren Riesenfranzen über den bunten Blumenschmuck des Bodens. Eine feuchtwarme Atmosphäre herrschte unter den hohen Bäumen. Zahllose Insekten umschwärmten die Wanderer, deren Weg immer mühseliger wurde und Schwierigkeiten allerlei Art darbot. Es kamen unvermuthete Anhöhen, und oft stieß man auf große Massen Granit, welche deutlich bewiesen, daß man sich auf dem ausgetrockneten Bette eines Bergstromes befand. Der Demang von Poerbala wußte Tinman Todding und dessen Frau sehr bescheiren über alle die Besonderheiten des Bodens zu unterrichten. Ein sanft klagendes Rauschen von fließendem Wasser zeigte jetzt an, daß man dem Ziel der Wanderung nahte. Die Bäume wurden seltener, der Weg breiter. Die Aussicht wurde noch durch eine Bergwand verhindert, welche allmählig emporstieg und plötzlich stumpf abschnitt, wie eine riesige Klippe. Der Demang führte die Wanderer noch einige Schritte voraus, wandte sich dann schnell rechts und blieb auf einmal stehen. Man befand sich vor einem großen Wasserbecken, welches fortwährend durch eiue Menge Die große Intrigue. Hg kleiner Bergströme gefüllt wurde, welche eilig aus der Bergwand hervorsprudelten und irgenwo unten am Boden des Beckens einen Ausweg fanden. Große Nauch, säulen erhoben sich von Zeit zu Zeit über dem Wasser. Nir. Arthur Coole näherte sich zuerst unv tauchte unvorsichtig den Finger in dasselbe. Aber schnell fuhr er zurück, das Wasser war kochend. — „Eine vulkanische Erscheinung'." — sagte Ander-mans gemessen. — „Ich kenne mehrere dergleichen!" Der Demang gab ewige kurze Erklärungen, während er sich höflich einige Schritte näherte und Jane zur Vorsichtigkeit ermähnte, als sie ihre Hand ins Wasser stecken wollte. Das ernste Gesicht des Distrikt-oberhauptcs schien sich selbst zu einem matten Lächeln zu verziehen, als er die zierlich gekleidete Njonja (Mevrouw) sich mit kindischer Neugierde über das Becken mit kochendem Wasser beugen sah. Er führte darauf die Gesellschaft auf einige Anhöhen, von denen eine herrliche Aussicht zu genießen war, und dabei sah er selbst so ernst aus, als ob er aufs Tiefste von Bewunderung für diese Naturschönheiten durchdrungen war. Der Landbesitzer hatte indessen nach seiner Uhr gesehen. Es wurde Zeit, um nach Boetit-Negara aufzubrechen, wenn man noch zum Frühstück auf Tji-Koe- a i Die großc Intrigue. ning zurück sein wollte. Langsam stieg man deshalb von der Anhöhe herab. Der Demang unterhielt sich mit dem Landeigenthümer, Jane übte sich im Englischen, indem sie Mr. Arthur Coole einige sehr kecke Fragen vorlegte. Bald saß die Gesellschaft wieder im Sattel, und August Bokkerman erfüllte wieder mit der größten Zuvorkommenheit seine Pflicht als Kavalier, indem er Jane schnell und gewandt auf das Pferd hob. Der Landeigenthümer war sehr für seine Gäste eingenommen, er verfügte sich deshalb wieder an ihre Seite, nachdem er den unterthänigen .Gruß des Demangs von Poerbala mit Herzlichkeit beantwortet hatte. Er wollte sie gem wieder ins Schwatzen bringen, da er an ihren Erzählungen ein außergewöhnliches Vergnügen fand. Er war gewohnt, stets auf seinem Landgute im Innern des Buitenzorgschen zu leben — ferner war er stets auf denselben Personenkreis angewiesen, und so war es ihm angenehm, wenn ein munterer Schwätzer, oder eine fröhliche Schwätzerin aus der Umgegend bei ihm logirte, um den etwas eintönigen Schlendrian seines täglichen Daseins etwas zu beleben. Aber noch mehr, August Bokkerman war sehr bald für die Kontroleursfrau eingenommen gewesen. Seine Frau und seine Tochter waren nicht sehr gesprächig — Die große Intrigue. gg oder man mußte malayisch sprechen, und das war ihm vor den Gästen unangenehm. Obschon er im Äußern und in seinen Manieren ein vollkommner Sinjo, so hatte ihn seine europäische Erziehung weit über die gewöhnliche Menge der Farbigen erhoben. Er läugnete es sich nicht ab, daß seine Familie im Allgemeinen nicht europäisch gebildet war — und deswegen war es ein Ehrenpunkt für ihn, so viel als möglich europäische Elemente in seinem Kreise aufzunehmen. Darum zumal hatte er die Niederlassung Outshoorns und seiner Henriette auf Tji-Koening durchgesetzt. Er wußte wohl. daß seine Beamten diese Stellung mit scheelen Augen angesehen hatten, aber sein System zwang ihn zu dieser Ernennung. Es gab noch eine andere Konsequenz seiner Grundsätze, daß er nehmlich sehr häufig in Angst war, etwas Nachtheiliges oder Lächerliches von Sinjoos im Allgemeinen zu hören. Die Idee, daß die Holländer oder Engländer, welche ihn umgaben, vielleicht mit geheimen Stolze auf den Farbigen niedersahen, quälte ihn zuweilen heimlich mehr, als er sich selbst zugestehen wollte. Darum zeigte er sich stets als fröhlichen, gebildeten, echt holländisch gesinnten Wirth — der im Geheimen den heftigsten Zorn in sich aufsteigen fühlte, wenn er daran dachte, daß man ihn wegen seiner Ab- 0H Dit großc Intrigue. kunft geringschätzen könne. Darum war er auch so sehr für die Kontroleursfrau eingenommen, weil er hoffte, daß sie durch ihren freieren Ton die achtunggebietende Vornehmheit seiner Töchter vielleicht etwas mäßigen würde, weil sie ihn durch ihre Erzählungen zum Lachen brachte, und weil sie sehr oft das Gespräch auf ein Feld führte, an dem sich seine europäischen Sympathien genugsam ergötzen konnten. Mevrouw Tinman Todding hatte noch keine zweimal vier und zwanzig Stunden auf der Villa zu Tji-Koening zugebracht, und schon bemerkte sie mit Vergnügen, daß sie bei dem Wirthe in besonderer Gunst stand. Jane hatte verschiedene kleine Pläne, und suchte nach einer Gelegenheit, dieselben zur Ausführung zu bringen. Vielleicht war dieß auch der Grund, warum sie ihr munteres, braunes Pferd immer eifriger anspornte und so den verbindlichen Wirth zwang, sich immer mehr von der anderen Gesellschaft zu entfernen. Das Terrain, auf dem man sich jetzt befand, war auch sehr geschickt dazu. Anstatt längs der Bergwand führte jetzt ihr Weg über eine breite Grasfläche, die sich in der Mitte von Sawaas ausdehnte, zu den stets weiter verschwindenden Hügelreihen. Die Berge erstreckten sich immer weiter, während das Plateau langsam stieg. Andermans, der englische Ingenieur und Die große Intrigue. H^ Tinman Todding, immer in herkömmlichen Entfernung von der Ehrenwache von Tji-Koening gefolgt, ließen den Wirth mit Jane vorausreiten, während sie selbst meist schweigend neben einander ritten. Der Wirth hatte indessen sein Möglichstes gethan, um Jane das Eine oder das Andere von seinen Ländereien mitzutheilen — sie folgte diesen Erzählungen sehr aufmerksam, weil sie fürchtete, aus Langeweile ein verkehrte Antwort zu geben. Auf einmal frug sie: — „Ist Boekit-Negara noch weit?" — „Nein, Mevrouw Tinman! Sehen Sie dort hinten die Klapperbäume?" Jane folgte der Richtung von des Landeigenthümers Reitpeitsche und nickte zustimmend. — „Wenn wir dort sinr, wenden wir uns links, und reiten rechts nach dem Kampong zu!" Jane nickte wieder flüchtig, und frug weiter: — „Meneer Outshoorn ist Kontroleur über diese Landstriche, nicht wahr?" — „Nein! Outshoorn ist in Tji-Koening und hat die nördlichen Distrikte. Mein Neffe Woodland ist in Boekit-Negara. Ich habe ihm gestern angezeigt, daß wir kommen; ich denke wohl, daß er da sein wird!" — „Ich meine, baß es wohl sehr einförmig in Boekit-Negara sein muß! Ist Ihr Neffe verheirathet?" »a Die große Intnguc. — „Ja. Mevrouw! Er hat seine Frau aus Pro-bolingo mitgebracht! Eine englische Nonna! Sehr munter und sehr gesprächig, aber wir werden sie wohl nicht sehen! Woodland's Villa liegt eine halbe Stunde von dem Kampong, und Lucy logirt gegenwärtig bei ihnen!" Jane's Gesicht zeigte das größte Interesse beim Anhören dieser Nachricht. Sie lächelte still und sagte sehr gemessen: — „Ich erinnere mich noch sehr gut, Fräulein Lucy in Batavia begrüßt zu haben, ehe ich nach Europa abreiste. Damals war sie mit dem Junker Van Spra-nekhuyzen verlobt!" Botkermans Stirn runzelte sich. Er schleuderte wüthend den Rest seiner ausgerauchten Manilla in die Luft. Um sich wieder zu fassen, klopfte er sein Pferd auf den schön geformten Hals, und blieb eine Zeitlang still. Jane verbarg meisterlich ihre Enttäuschung und sprach schnell: — „Ich bin nach meiner Rückkehr noch nicht wieder auf einem Concordiaball gewesen — dort sah ich Fräulein Lucy mit Mevrouw Buys zum letzten Male'." Bokkerman schien jetzt zum ersten Male nicht auf sie zu hören. Er zog den Zügel an und ließ den schnellen Trab seines Pferdes in einen langsamen Schritt Die gsoßc Intrigue. ga übergehen. Jane folgte seinem Beispiele. Sie fühlte sich geschlagen, verzweifelte aber noch nicht. Bokker-man sah sich einige Male um, ob die Herren noch weit weg waren, und schwieg. Endlich wies er seinem Gaste eine Gruppe hochausgebreiteter tropischer Bäume, und zeigte ihr an, daß dort der Kampong Boekit-Ne-gara sei. Andermans ritt an ihre Seite, und hörte auch, daß man am Ziele angekommen sei. Er fand, daß die Sonne eine lästig stechende Wärme über sein lunzliches, gelbes Gesicht strömen ließ, und war sehr zufrieden, als man bei einer Art Tamarindenallee ankam. Hoch über den Köpfen der Reisenden rauschte jetzt das Tamarindengrün, während die abenteuerlich gebogenen Äste einer Waringin am Ende der Allee gleichsam den Weg nach dem Kampong zeigten. Schon von ferne ertönte das eintönige Geklingel der Gamelan, und das schwere metallene Gong dröhnte dumpf hindurch. Man war am Eingänge des Kampong und ritt über den breiten Hauptwcg nach dem aloen-aloen (Vorplatz). Die Wohnungen lagen an beiden Seiten hinter paF-Aars (Bambushecken) wie versteckt — die Dörflinge schienen etwas scheu zu sein, und verbargen sich vor dem Anblick der europäischen Gesellschaft, welche durch den tnevan dc?aai- angeführt wurde. Kaum war q^ Die große Intriguc. man in das Dorf geritten, als sich ein Reiterzug nahte, der von dem aloeu-aloyn kam. Ein Herr in Weiß mit grauem Filzhute führte diese Schaar an. Er war der Einzige, welcher europäisches Kostüm trug — die Übrigen waren Sundanesen. Der Herr in Weiß ritt schnell auf sie zu, und begrüßte die Gäste des Gutsbesitzers durch Neigen der Reitpeitsche. Man hielt an. Der Landeigenthümer stellte mit seiner gewohnten, weitschweifigen, höflichen Weise den Herrn William Woodland, Mevrouw Tinman Todding, ihrem Manne und dem Herrn Andermans vor. Mr. Arthur Coole schien Herrn Woodland schon zu kennen, da von beiden Seiten einige freundschaftliche Worte gewechselt wurden. Mr. Woodlands Gefolge von Sundanesen, welche Alle orangefarbige Kittel trugen und Lanzen mit bunten Fähnchen hatten, wurde nun zurückgeschickt — nur der Demang von Boekit-Negara, ein gemessener, alter sundanesischer Edelmann, blieb auf einen Wink des Landeigenthümers. Man ritt nun vereint durch das Dorf. Das klagende Klappern des Gamelan kam immer näher — als man über den Dorfplatz galoppirte, erhob es sich im schnelleren Takt. Mr. Woodland führte die Gesellschaft zu einem einfachen Landhaus von Holz und Bambus, welches aber für europäischen Gebrauch eingerichtet war — ein die großt Intrigue. g^ ^ioä-ll-trrro für ten t<»enan-do5lmr unt seinen Beamten. Allcs war zum festlichen Empfange vorbereitet. Der Platz vor dem Landhausc war mit tanzen geschmückt, auf welchen bunte Fähnchen wehten — eine Ehrenpforte von Waringingrün und Orangcfahnen stand am Eingang. An allen Seiten erhoben sich Zelte, unter welchen die Gamclanspieler ihr Orchester aufge» schlagen hatten, wo die schlanken, fremdartig aufgeputzten ron^inFs (Tänzerinnen^ ihre Kuustproduktioncn zum Besten gaben. Sobald der Landesherr mit seiner Gesellschaft auf den Platz ritt, fing der Gamelan ein lautes Ting-tang, Ting-tang an. und wurde durch das dumpfe Dröhnen der Metallbecken fleißig unterstützt. Unter zunehmenden Lärm des Orchesters stieg man von den Pferren, und folgte Mr. Woodland nach der Vorgalerie des hölzernen Hauses. William Woodland war eine sehr lange Gestalt mit einem sehr eckigen, sehr faltigen und sehr gelben Gesichte. Dabei war er sehr mager und trug in allen seinen Bewegungen etwas Abgemessenes und Ceremo-nielles. Sein weißer Rock schlug auf seinem Rücken breite Falten — jede Bewegung verrieth seine unglaub« liche Magerkeit. Sein Gesicht hatte einen eigenthümlichen Ausdruck, die großen, schwarzen Augen, die breiten NY Die große Intrigue. Nasenlöcher, die unzähligen Fatten um den vorstehenden Mund verriethen den Farbigen — den bengalischen Farbigen mit düsterem Ausdrucke, funkelnden Augen und großen, auffällig weißen Zähnen. Sein kurzabgeschnittenes, schwarzes Haar war mit Grau durchmischt, er erschien als ein Mann von hoch in den Vierzigen. Was aber seine Person besonders charakterisirte, das war sein Leinenzeug — große, breite Manschetten reichten über die Hälfte seiner braungelben Hände, und riesige Hemdkragen stiegen schneeweiß und pappsteif von seinem Hals zu seinen Ohren auf. Die Gefellschaft hatte sich indessen in der Vorgalerie versammelt. Ein hölzerner Fußboden, drei Stufen hoch vom Boden unter einem vorstehenden atap, bildete den Empfangssaal, in welchen Mr. Woodland die Gäste des Gutsbesitzers begrüßte. Eine längliche Tafel war mit einem leichten, indischen lunok servirt, k^vee-kwes (Gebäck) und Früchte bildeten dessen Hauptbestandtheile. Mr. Woodland ließ Jane an der Tafel Platz nehmen, und frug sie in ziemlich gutem Holländisch, obwohl in englisch-malayischem Dialekte, ob sie etwas zu sich nehmen wolle. Jane verlangte ein Glas Wasser und aß pro loi-nia ein Stückchen ^vee-kwee, da die Herren sich Alle entschuldigten und Nichts zu sich nahmen. Andermans und Tinman Todding ließen sich indessen Die große Inttigue. <^>z auf Mr. Woodlands dringende Bitten ein Glas Sherry bringen. Mr. Arthur Coole richtete seine volle Aufmerksamkeit auf die Scene außerhalb der Vorgalerie, und frug Jane über jedes Einzelne, was neu für ihn war. Unter den Herren herrschte große Zurückhaltung, welche Mr. Woodlands Gegenwart plötzlich hervorgerufen hatte. Dann entfernte sich der Landeigenthümer für kurze Zeit mit seinem Neffen — und Andermans nahm die Gelegenheit wahr, um von Zeit zu Zeit einige Ausrufe und einsilbige Bemerkungen mit Tinman Todding zu wechseln, während Jane über die drolligen Einfälle von Mr. Coole in lautes Lachen ausbrach. August Bokkerman hatte sich in ein sehr ernsthaftes Gespräch mit seinem Neffen Woodland vertieft. Beide ließen sich am äußersten Ende der Vorgalerie auf zwei schnell herbeigeschobene Lehnstühle nieder. Niemand konnte ihrer Unterhaltung folgen, denn sie sprachen halbflüsternd und englisch. — „Meine Damen sind zu Haus geblieben" — sagte Woodland — „da ^ucy nicht ganz wohl' ist. Auch wollte sie nicht gern der fremden n^oiija begegnen!" — „Hm, hm!" — antwortete der Grundbesitzer. — „Sie wird die tinkaas saunen) wohl niemals verlernen! Eine sehr amüsante Dame, die Frau des l Hier wieder im Holländischen: lekkt-r. 9H. Die große Inttiguc. Konttoleur! Eben ^^ls Europa zurückgekommen! Sie neckt meinen neuen Ingenieur Coole auf die geistreichste Weise! — Sonst nichts Neues?" — „Mrs. Woodland möchte gern einmal nach Tji-Koening kommen, aber Lucy hat keine Lust — sie fürchtet sich vor Begegnungen......" — „Mit wem, Neffe?" — „Mit der Familie Outshoorn!" Bokterman hob erstaunt den Kopf, und warf dem mageren, gelben Manne einen halbzornigen Blick zu. Es war augenfällig, wie ruhig Woodland diesen Blick ertrug, ja demselben trotzte. Mr. Woodland schien selbst eine Art geheime Freude zu fühlen — denn er schloß seine Augen, und öffnete den Mund, ohne zu sprechen. — „Lucy ist eine Närrin mit einer Menge Launen und tillkaa«!« — rief endlich Bokterman aus. — „Sie kann doch nicht immer auf G^enoeng Agong bleiben! " — „Ihre Tochter ist mir immer ein angenehmer Gast, Sir!" — „Sehr obligirt, Neffe! Aber ihr Platz ist in Tji-Koening!" — „Ihr Platz ist bei....." — „Weiter, Sir! Ihr Platz ist bei....." — „Bei ihrem Manne!" Die große Intrigue. ag August Bokterman stieß einen kräftigen englischen Fluch aus. — „Was fällt Ihnen ein, Mr. Woodland, daß Sie mir solche fremde, hochtrabende Worte zurufen? Ist es Ihr Plan, mich zu beleidigen?" — „Ich bitte um Verzeihung, Vetter! Ich habe nur die Absicht, Ihnen die Wahrheit zu sagen. Ich sehe und spreche Ihre Tochter täglich, und bin im Stande aufzumerken, was sie denkt, was sie wünscht. Sie war glücklich verheirathet, bis eine falsche, schlechte Frau eine Weile lang einen üblen Einfluß auf ihren Mann ausübte. Sie ist heftig und auffahrend. Ein bitterer Wortwechsel folgte; darauf kam sie nach Tji-Koening, fühlte aber schon einige Tage später Reue über ihren Schritt. Sie sah bald ein, daß der größte Theil der Schuld an den gewandten Kunstgriffen einer Coquette ..." — „Halten Sie ein, Sir! Sprechen Sie über Mevrouw Outshoorn?" Woodland nickte sehr auffällig. — „Dann verbiete ich Ihnen, noch ein einziges Wort in diesem Tone fortzusprechen! Mevrouw Outshoorn steht über Ihrer Qualification!" Mr. Woodland senkte scheu den Kopf, und zog einigermaßen verlegen seine weißen Manschetten über Iß Die große Inlnguc. seine faltigen, gelben Finger. Dann sah er mit seinen schwarzen, funkelnden Augen von der Seite nacb Bot« kerman, und fügte hinzu: — „Hören Sie, Vetter! Es wird Zeit, daß wir einander endlich gut verstehen. Sie denken, daß Me-vrouw Outshoorn eine sehr achtungswerthe Dame ist . . . nun, Lucy hat mich über diese Achtbarkeit näher belehrt und mir erzählt, was vorfiel, als sie noch Gouvernante bei Ruytenburgs war ..." — „Verläumdung, Woodland! Damengeschwätz, dem ein verständiger Mann keinen Glauben schenken muß! Lucy hat alle die gemeinen Streiche dieses Schuftes, der — Gott bessere es — ihr Mann ist, selbst erlebt und gesehen — und doch hat sie im Geheimen immer seine Partie genommen. Sie weiß, wie ich darüber denke! Sie mag sich in Acht nehmen, daß ich keine neuen Thorheiten von ihr höre!" — „Sie haben ein Vorurtheil, Vetter!" — „Nicht so sehr als Sie, Neffe!" Beide Sprecher sahen einander zornig an. Es war deutlich, daß Beide einen lauten, lärmenden Ausbruch vermieden. Woodland stand seinem Chef gegenüber, dem er Ehrerbietung beweisen mußte, aber dieser war zugleich sein Blutsverwandter und alter Freund, den er gern mit sittlichem Zwang zu seiner Meinung bekehren Die große Intrigue. 97 wollte. Woodland sah eine Weile nieder und sprach endlich noch sanfter, und so unterthänig, als möglich: — „Vetter Bokterman, Sie haben wahrlich zuviel gesunden Verstand, um nicht zweierlei zu begreifen. Erstens, daß Lucy unaufhörlich an ihren Mann denkt, daß sie sich langweilt, daß sie Alles, was er vielleicht verkehrt gethan hat, so viel als möglich beschönigt. . . Zweitens, daß alle Unannehmlichkeiten zwischen ihr und Ihnen, zwischen ihrem Manne und der holländischen Cöterie in Batavia — zwischen Outshoorn und mir eigentlich nichts Anderem zuzuschreiben sind, als dem angebornen Widerwillen, welchen diese holländische Cöterie zu Batavia gegen uns Sinjoos hegt, dem lächerlichen Stolze, mit welchem sie uns Sinjoos von oben herab betrachten!" Bokkerman hielt sich an seinem Stuhle fest und starrte seinem Neffen eine Zeitlang aufmerksam in's Gesicht. Dann kreuzte er seine Arme über der Brust und antwortete: — „Und Sie, Vetter Woodland, haben zu viel gesunden Verstand, um nicht einzusehen, daß ich erstens niemals wieder von Lucy's Sympathien für einen gemeinen Schurken hören will — und daß ich zweitens Ihr Urtheil über Sinjoos und alles Uebrige sehr gut entbehren kann!" Intlsckt Nidliolhcl. V.' 7 gg Dic großt Intrigue. Mr. Woodland ließ den Kopf auf die Brust sinken, aber richtete ihn plötzlich mit lebhafter Freude über feinen glücklichen Einfall wieder auf. Dann bog er sich näher zu feinem Chef, und flüsterte leife, fast tonlos. An der anderen Seite der Galerie fprach man um fo lauter. Mr. Arthur Coole stand neben Jane und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die schwebenden Tänze der ronFFinFs. Gerade neben der Galerie hatte man ein niedriges Schirmdach errichtet. Rund um dasselbe her saßen die Gamelanspieler und ließen fortwährend eine wehmüthig geheimnißvolle Melodie erklingen. Zwei Tänzerinnen saßen im Galakostüm an der Seite niedergekauert — zwei Andere schwebten langsam auf und nieder. Es waren magere, fremdartige Gestalten — die langen, braunen Arme, die schmalen, spitzigen Hände waren unaufhörlich in Bewegung mit Fächer oder «len-äauß (Gürtel oder Schleier). Ihre konäek» (Haarknoten), schwarz wie Rabenflügel, waren mit Melatties und goldenen Zierrathen geschmückt. Sie trugen einen braunen Sarong und ein roch und golden geblümtes kain panHanF lOalakleid) — verschiedene sienäanßg wehten von ihren Gürteln und über ihre halbentblößte Brust. Sie bewegten sich äußerst langsam und einförmig auf und nieder; zeigten auch durch keinen Blick, daß sie wußten, wie sehr sie beobachtet wurden — sie Die große Intrigue. gg setzten immer ihre einförmigen Bewegungen fort, standen zuweilen still, und führten ihren Fächer an den Mund, um laut kreischend ein kaum verständliches Recitativ hören zu lassen. — »Vut >v!iat is tke meaning ol it?« — fragte der junge englische Ingenieur. Und Jane antwortete auf Englisch: — „Das ist eigentlich eine sehr verwickelte Geschichte, Mr. Coole! Ich kann es Ihnen auch nicht so genau erklären, aber Tinman weiß es wohl!" Jane hatte ihr Möglichstes gethan, um so gemessen als möglich zu sprechen. Sie fand an dem „grünen" Engländer viel Vergnügen, dem sie Alles weiß machen konnte; sie dachte darüber nach, wie sie ihn nach echt indischer Sitte einmal recht anführen könne. — „Es ist unbegreiflich," — fuhr Coole in seiner Muttersprache fort — „daß man so etwas tanzen nennt. Sie gehen langsam auf und ab! Und was fchreien Sie doch?" — „Das ist zu unserer Ehre! Ich will einmal hören, ob sie von Ihnen sprechen!" — „Von mir?" — „Ja gewiß, und das ist eine sehr große Auszeichnung. Die lonFßinFs sind große Künstlerinnen, und stehen bei den Großen des Landes sehr in Gunst. 7* ^ yy Die große Intrigue. Die angesehensten Männer halten es für eine Ehre, mit ihnen zu tanäakken (tanzen), der Resirent, ja zuweilen der Generalgouverneur ..." Mr. Arthur Coole äußerte laut seine Verwunderung, und sah Jane an, als ob er sagen wollte: ich wollte es wohl gern glauben, aber ich kann nicht. Jane sah darauf nach Andermans und ihrem Mann, und rief dem Letzteren. Als er zu ihr kam, warf sie ihm einen Blick geheimen Einverständnisses zu und sagte: — „Meueer Coole will nicht glauben, daß es eine große Ehre ist, mit ronFßiuF8 zu tÄnäakksn! Er fragt, was ihr Tanzen bedeute!" Tinman Todding begriff sogleich, daß Jane sich mit dem „Grünen" lustig machte. Er antwortete deshalb geheimnißvoll: — „Sie tanzen eigentlich nicht, Meneer Coole! Sie führen eine Art Pantomime aus der heiligen Geschichte der Iavanen auf. Fürsten und Große finden es sehr interessant, mit zu tanäakken — es ist eine große Auszeichnung, dswei (wirklich)!" Mr. Arthur Coole, der durchaus noch nicht stark im Holländischen war, verstand den Kontroleur nur halb und nickte. — „Lut . . . aber man muß den Tanz erst kennen, muß man nicht?" Die große Intiigut. 4Y4 — „Den kennen Sie bald, wenn Sie es nur erst einmal probirt haben. Haben Sie noch nie tanä^ksn sehen?" — »^68! Einmal auf Tji-Koening in dem Kam-pong, drtt da war nur eine Tanzfrau!" Jane lachte wieder hell auf, und rief Andermans zu, Theil an der interessanten Diskufsion zu nehmen. Von drei Seiten wurde nun Mr. Arthur Coole über die hohe Bedeutung der ronFFin^ unterrichtet. Was aber Jane erwartete, gefchah nicht. Sie hatte gehofft, daß der Engländer Lust bekommen würde, einen Tanz mitzumachen. Er aber blieb fehr ruhig sitzen und murmelte bei sich selbst: — »tüurious, V6r^ curious inäesä!« Bei dem Geräusch nahender Tritte über den hölzernen Fußboden der Vorgalerie sahen sich Alle um. August Bokkerman hatte seine „officielle Unterhaltung über Geschäfte" — wie er sagte — beendet. Sein Gesicht zeigte Bekümmerniß und Sorge. Woodland folgte ihm, — dieser schien sehr zufrieden zu sein. Man sprach noch einen Augenblick zusammen. Jane erzählte, daß Mr. Coole nicht an die hohe Stellung der rouFFinFs in der indischen Gesellschaft glauben wollte. Der Landeigenthümer lächelte und bestätigte Alles, was Jane sagte. — »Curious, very curious indeed! « Bei dem Geräusch nahender Tritte über den hölzernen Fußboden der Vorgalerie sahen sich Alle um. August Bokkerman hatte seine „officielle Unterhaltung über Geschäfte" — wie er sagte — beendet. Sein Gesicht zeigte Bekümmerniß und Sorge. Woodland folgte ihm, — dieser schien sehr zufrieden zu sein. Man sprach noch einen Augenblick zusammen. Jane erzählte, daß Mr. Coole nicht an die hohe Stellung der rouFFinFs in der indischen Gesellschaft glauben wollte. Der Landeigenthümer lächelte und bestätigte Alles, was Jane sagte. ^ yQ Die großc Inttigue. — „In einigen Monaten feiern wir ein großes Fest zu Tji-Koening, Mr. Coole! Dann können Sie die inländischen Vornehmen mittanzen sehen!" — „Die inländischen Vornehmen, of course, but the european chiefs?" — „Ich selbst und Mr. Woodland und Mr. Outs-Hoorn, und Sie, und jeder Freund, rer zufällig bei uns ist, wir Alle wollen mit taudakkeu — das ist nun einmal so die Sitte!" Bokkerman wandte sich ab. Mr. Arthur Coole sah ihm so erregt und so verwundert m's Gesicht, daß er imwillkührlich lachen mußte. Die ernste und umständliche Förmlichkeit des Engländers schien sich mit dieser Idee durchaus nicht versöhnen zu können — es war deutlich zu sehen, daß er so wenig als möglich von dieser Sitte Gebrauch machen wollte. Eben führten die Bedienten die Pferde auf den Platz vor dem Höl. zernen Hause zu Soekit-Negara. Der Gutsbesitzer Hatte schon das Zeichen zum Aufbruch gegeben. Mr. Wood. lands Einladung, einen Spaziergang durch den Kam-vong zu machen und dem GewüHle des pasar l zuzusehen, wurde Höflich abgelehnt. Gerade als man auf- l Markt. Die große Intrigue. /> 03 steigen wollte, zog Woodland den Gutsbesitzer auf die Seite und flüsterte: — „Es bleibt bei unserer Absprache, Vetter! Ich wnde die Sache noch einmal genau untersuchen und noch mehr Beweise sammeln. Seien Sie so gut, nichts merken zu lassen, sonst würde man sich wahrscheinlich in Acht zu nehmen wissen — es ist eine ernste Sache, eine sehr ernste Sache, Sir!" — „Und ich warne Sie vor den Folgen, wenn Sie nicht bei Ihrer ersten Behauptung bleiben, Neffe! Ich werde schweigen, so lange Sie wollen, aber so lange glaube ich auch an Outshoorns Treue!" Diese wenigen Worte wurden wieder englisch gesprochen. Mr. Arthur Coole hatte indessen die Gelegenheit benutzt, Mevrouw Tinman Todding beim Aufsteigen behilflich zu sein; denn man war vollständig bereit zum Fortreiten. August Bokkerman schwang sich schnell in den Sattel, und die Cavalcade setzte sich in Bewegung. Mr. Woodland blieb auf den Stufen des hölzernen Hauses stehen. Er lächelte und schaute sehr vergnügt umher. Sein dunkles Auge funkelte — wie der rothbraune Augapfel des königlichen Tigers. lOz Die große Intrigue. IV. Uene 3lolien von Nevrouw Cinman Toddings OcschiMchkeit ale Uma- zone. Ullgust Vokkcrmau denkt nach. Fräulein Serpensteun cnipsangl die Oäste nach ihrer 3urüsßlle!ir. Der Landesherr von Tji-Koening galoppirte mit seinen Gästen über das breite Alang-Alang-Felv, welches eine Meile von Boetit - Negara seinen Anfang nahm. Er selbst hatte sich mit Jane, welche eine außergewöhnliche Liebhaberei für schnelleil Galopp an den Tag legte, weit von der Gesellschaft entfernt. An-dermans und der Kontroleur ritten neben einander und wechselten zuweilen einige flüchtige Worte. Mr. Arthur Coole blieb allein und grübelte über die Tänze der i-onAFiußs. Der junge Engländer fühlte sich noch gar nicht comfortable inmitten der zahlreichen, bunten Erscheinungen des java'schen Lebens. Er vermuthete, daß sich die Kontroleursfrau über seine Uncrfahrenheit lustig machte, und er beschloß mit der seinem Lande so eigenthümlichen Selbständigkeit und mit größter Energie, sich bald mit Allem bekannt zu machen, was in seiner Nähe vorfiel. Deshalb überlegte er sehr ernstlich, wen er Die gioßt Intngur. Rothe ihrer Wangen zeigte von ihrer bitteren Enttäuschung. Aber sie entgegnete nichts. Heftig griff sie in die Zügel — so daß ihr schönes Pferd einen Seitensprung machte. Der Gutsbesitzer sah erschreckt auf. Jane faßte sich augenblicklich, es kam ihr vor, als ob der alte Bokkerman unerschütterlich bei seiner einmal vorgefaßten Überzeugung bliebe. Hätte sie gewußt, welchen Eindruck ihre Erzählung hinterließ, sie würde sich wahrscheinlich weniger enttäuscht gefühlt haben. August Bokkerman ritt schweigend an ihrer Seite, und auch sie sprach geraume Zeit kein Wort. Aber der Landeigenthümer grübelte über dem, was er gehört hatte. In seinem Kopfe entstanden allerlei Vermuthungen. Er versuchte die Gründe aufzufinden, welche seinen Gast veranlaßten, dergleichen Anspielungen zu machen. Mevrouw Tinman kam gerade aus Europa — sie schien Lucy früher gekaunt zu haben — aber er hatte nie etwas von dieser früheren Freundschaft vernommen — welches Interesse mochte sie wohl für Van Spranethuyzen nähren — oder war Alles nur von dem einen festen Prinzip herzuleiten. 11 H, Dic große Inttiguc. sollte sie wirklich die Fürsprechern, der Farbigen sein? Und auf's Neue kam er zu der Überzeugung, daß ihre Behauptungen meistens sehr richtig waren! Wie oft hatte er die eingebildete Überhebung der weißen Race empfunden, während er doch immer sein Möglichstes that, um sich als gebildeter Europäer zu zeigen. Immer wieder ließ man ihn mit kränkender Großmuth fühlen, daß man es niemals aus dem Auge verlor, daß man es niemals vergaß: August Bokkerman ist doch nur ein Sinjo! Selbst Outshoorn, der humanste, der aufgeklärteste von allen seinen Freunden, selbst Outshoorn konnte sich köstlich ämüsiren, wenn er lang und breit über die Sonderbarkeiten William Woodlands sprach. Aus wel« chem Grunde berührte wohl die Kontroleursfrau diesen Gegenstand? Der Landesherr von Tji-Koening besaß einen geraden, ehrlichen Charakter. Er schauderte vor Umwegen, Zweideutigkeiten, Insinuationen. Plötzlich ließ er den schnellen Trab seines Pferdes in einen gemäßigten Schritt übergehen, und sah Mevrouw Tinman Tooding forschend, beinahe finster an. Dann sagte er sehr ernst: — „Mevrouw Tinman, ich muß Ihnen eine offene Frage vorlegen! Schon einige Male sprachen Sie von meiner Tochter Lucy und von dem Schufte, der ihr Mann ist. Warum?" Die große Intrigue. ^ ^ " Janes Lippe zuckte nervös, ehe sie antwortete. Ihre kleinen, braunen Augen funkelten vor Befriedigung. Schon lange hatte sie diese Frage erwartet, und als dieselbe nun wirklich ausgesprochen wurde, fühlte sie doch unwillkührlich einen leichten Schauer. Aber sie antwortete sogleich mit viel Aplomb: — „Aus sehr natürlichen Gründen, Herr Bolker-man! Als ich mit Tinman auf der Reise durch Europa war, empfing er von seinen Freunden verschiedene Briefe, worin so manches über die Ehe Ihrer Tochter stand, und wir unterhielten uns natürlich oft darüber. Nun wurde unlängst in Batavia diese Sache in den Familien, welche wir besuchten, wieder zur Sprache gebracht. Dort hörte ich sehr verschiedene Urtheile! Ich dachte unwillkührlich darüber nach, verglich die Berichte und kam endlich zu der Überzeugung, daß man von allen Seiten gegen das Glück Ihrer Tochter intriguirt hatte!" August Boktermaus Stirn umwölkte sich immer mehr. Er dachte an die geheimen Mittheilungen seines Neffen Woodland. Er fühlte, daß für ihn und die Seinen etwas Unangenehmes im Anzüge war, aber konnte durchaus nicht herausfinden, ^on welcher Seite es käme. Er fand Mevrouw Tinman's ermüdende Beharrlichkeit sehr verdrießlich — aber doch mußte er auf ihre Worte hören. Immer vermied er gern, über 1 jß Dic große Inttp,uc. Lucy und ihre unglückliche Ehe zu sprechen, weil seine Tochter nicht auf seinen Nath hören, weil sie sich nicht von ihrem schuldigen Manne scheiden lassen wollte. Indessen sprach Jane unaufhörlich weiter: — „Ich brauche Sie nicht wieder an die Erlebnisse zu erinnern, Herr Bokkerman! Ich ersuche Sie nur, auf alle Fälle über diese zwei Thatsachen ernstlich nachzudenken: daß Sie früher die Stelle als Kontroleur Ihrer Länder Ihrem Schwiegersohne angeboten haben; daß Herr Van Spranekhuyzen auch gern dieß Amt angenommen haben würde, wäre nicht auf irgend eine Weise der Herr Outshoorn dazwischen getreten. Weiter, daß Herr Outshoorn der Protegö war von den holländischen Kreisen, wo Mcvrouw Nuyts Van Weely präsirirt. daß Mevrouw Outshoorn die Ursache von allen Mißverständnissen zwischen Ihrer Tochter und deren Manu gewesen ist, — daß Alles, was weiter geschehen, auch auf ähnliche Weise erklärt werden muß... Aber ich sehe, daß meine Worte Sie unangenehm berühren, — das war nicht meine Absicht. Tief gerührt von der herzlichen Freundschaft, welche ich von Ihnen in so reichem Maaße erfahre, wollte ich Ihnen nur einen kleinen Wink geben. Später bin ich zu weiteren Erklärungen gern bereit!" Jane schwieg. Sie fürchtete, zu weit zu gehen. Die große Intrigue. ^ ^ 7 Bokkcrmans Gesicht war in der heftigsten Bewegung; seine Augen funkelten, seine Stirne zog sich in schweren Falten zusammen, sein Mund blieb fest geschlossen. Er antwortete keine Silbe, spornte sein Pferd zu schnellerem Trabe, — und ritt unter tiefem Schweigen weiter. Er fühlte, wie seine frühere Überzeugung wankend wurde. Denn er hatte an diesem Tage auf einmal zu viel vernommen, es war ihm unmöglich, sich sogleich Rechenschaft von seinen Empfindungen abzulegen. Wohl schreckte er vor Verdacht und Argwohn gegen die Outs-hoorns zurück, wohl weigerte sich sein offenes, edelcs und treues Gemüth, Vermuthungen und Beschuldigungen anzunehmen, bevor ihm die Wahrheit überzeugend entgegentrat, aber der erste, kaum bemerkbare Keim des Mißtrauens war doch in sein Herz gelegt. Er ließ den Kopf sinken und grübelte immer weiter. . . Die Gesellschaft näherte sich indessen der Villa Tji-Koening. Andermans und Tinman Todding fanden es angemessen, den Landeigenthümer in schnellem Galopp einzuholen. Ihnen folgte der junge Engländer. Alle verlangten nach dem Ziele der Neise. Alle klagten über die Gluth der Sonnenstrahlen im Gebirge. Jane schloß sich sogleich an Mr. Arthur Coole an, und lachte laut auf über eine sehr unschuldige Antwort des jungen Ingenieurs. Doch war es auffällig, daß der 11 8 Die gloßc Intrigue. Wirth gar nicht sprach. Darum schwiegen beinahe alle Übrigen auch, bis auf Mevrouw Tinman, die sich in einer außergewöhnlichen Aufregung zu befinden schien. Schon hatte man den Kampong bei der Villa erreicht. Im wilden Trabe flog man an den niedrigen Hänsern, den hohen Arengftalmen und Bambusgebüschen vorbei. Das Stampfen der Reisblöcke im Dorfe verstummte, — Kinder und Frauen kamen zum Vorschein, um den loewan dsLaar und die fremde Njonja vorbeireiten zu sehen. Schnell war der Vorplatz erreicht, an dessen Ende die weiße Säulenreihe der Villa lieblich aus dem Dunkelgrün der angrenzenden Gebüsche und Gärten hervorschimmerte. Beim Absteigen schien der Gutsherr ganz seinen frühern galanten Eifer vergessen zu haben. Er überließ es Mr. Arthur Coole, Mevrouw Tinman Todding aus dem Sattel zu helfen. Man fand die Damen Bokkerman in der Pendoppo versammelt, sie warteten ziemlich ungeduldig auf die Rückkehr der Gesellschaft. Es war spät geworden. Mevrouw Bokkerman war ärgerlich und gab sogleich den Befehl, das Frühstück zu serviren. Jane war hinweggeeilt, um ihr Amazonenkleid abzulegen — die meisten Herren waren verschwunden. In diesem Augenblicke trat es recht deutlich zum Vorschein, welch feiner Takt und welche angenehme Dic großc Intrigue. 1 z y Lebenserfahrung das eigenste Eigenthum von Fräulein Alphonsine Serpensteyn waren. Man fand sie in sehr gewählter Toilette mit den Damen Botkerman in der Penroppo, Luise und Peter bei ihr. Nur sie und der toekÄN spell (der Bediente, welcher mit der Aufsicht über die Speisen beauftragt ist) wußten, welche unaufhörliche Zufuhr von k-lvee-k-wes nöthig gewesen war, um die kleinen Tyrannen aus dem Stamme Ander« mans im Zaume zu halten. Aber doch war es ihr geglückt, die Kinder nett und geschmackvoll zu kleiden, während sie auch für ihre eigene korpulente Person eine zierliche Toilette ausgewählt hatte. Fräulein Serpen« steyn besaß eine besondere Vorliebe für goldenen Schmuck und farbige Coiffüren — deshalb fielen auch jetzt die azurblauen Blumen und schwarzen Sammetbänder ihres Kopfputzes, sowie ihre kolossale goldene Brocke am meisten ins Auge. Sie setzte sich neben Mevrouw Botkerman und erzählte der gutherzigen, aber jetzt etwas verstimmten Wirthin allerlei interessante Neuigkeiten von Batavia, von Mevrouw Ruytenburg und Mevrouw Buys, welche nun freilich nicht ganz den erwünschten Erfolg hatten. Aber die Wirthin wurde dadurch angenehm unterhalten, und die Störung ging ohne weitere Unannehmlichkeiten vorbei. Mr. Arthur Coole begab sich auch zu den Damen. ^IH Die große Intngut. Sein weißer Anzug hatte bei dem Spazierritte nicht viel gelitten; sein gelbblondes Haar und seine dito ^Ki8^6l8 schienen eben aus den Händen des Friseurs zu kommen. Er schloß sich an Miß Mary und Miß Betsy an, und versuchte sein Möglichstes, sich im Holländischen verständlich zu machen. So oft er bemerkte, daß man ihn nicht verstand, nahm er seine Zuflucht zu einem herzlichen Lachen, und wühlte mit seineu Fingerspitzen durch feine krausen lavoris. Miß Mary hatte ihre Nonuas - Schüchternheit schon in so weit überwunden, daß sie von Zeit zu Zeit überlaut lachte uud den Engländer über die Einzelheiten des Spazierrittes ausfrug. Das Erscheinen des Wirthes, dem auch Andermans und Tinman Todding folgten, unterbrach ihre Gespräche. Ein lautes Anschieben der Stühle über den marmornen Fußboden zeigte an, daß man sich zum Frühstück setzte. Mevrouw Tinman Toddiug kam gerade zeitig genug, um nicht zu bemerken, daß man auch ohne sie angefangen haben würde. Sie trug anstatt des Reitkleides ein sehr elegantes weißes Neglige, alle Spuren von Unordnung ihrer Toilette waren vollständig verschwunden. Da ihr Platz zwischen dem Wirthe und ihrem Manne, und gegenüber der Hausfrau war, so fand sie ausgezeichnete Gelegenheit, sich mit großer Dir große Intrigue. ^I^ Zungengeläusigkeit über alle Einzelheiten ihres Rittes auszulassen. Dabei spielte die Bekanntschaft mit Mr. William Woodland keine geringe Rolle. August Bok-kerman schwieg und wechselte nur mit Andermans einige freundliche Worte. Dieser hatte sich erst einen Augenblick mit seinen Kindern beschäftigt, zu großer Freude des Fräulein Scrpensteyn, welche freundlich lächelnd ihre Blicke rundschweifen ließ. Mr. Arthur Coole war eifrig mit den Damen Bokkerman Nr. 2 und Nr. 4 beschäftigt. Es war sichtbar, daß man sich an dieser Seite der Tafel etwas mehr akklimatisirte. Aber im Allgemeinen war die Unterhaltung doch etwas gedrückt durch die trübe Stimmung des Wirthes. Auch Mevrouw Bokkerman war mit ihren häufigen, lachenden Ausrufungen sparsamer, als gewöhnlich, und ihr Nachbar Tinman Todding sprach gar nicht, da er sich nur mit Reis, samdaian (Zuspeise), äin^-äinF (getrocknetes Büffelfleisch), 8at6ii (kleine Stücke gebratenes Schweinefleisch an kleinen Spießen), rothem Pfeffer, petek leine indische Hülsenfrucht von eigenthümlich scharfem Geschmack) und t6ior-a8in gesalzenen Eiern) beschäftigte. Das Dejeuner wurde schnell beendigt, — Jedermann schien eine außergewöhnliche Eß-lust mitgebracht zu haben. Und Jeder schien sich auch absichtlich zu beeilen, weil die Wirthin die laute Be« ^ HZ Dit große Intrigue. merkmig gemacht hatte, daß es ziemlich spät geworren sei. Da Andermans bei dem Auftragen der Früchte nur mit Mühe einen Gähnanfall unterdrückte, und klagte, daß er sich ermüdet fühle, so standen die Damen so schnell auf. als es das Dekorum der Bokkermau's zuließ, und Jede ging ihren eignen Weg, zum großen Verdrusse Mr. Arthur Cooles, der zum ersten Male sein gebrochenes Holländisch mit mehr Succeß anwandte. Nach der Einladung der Wirthin, in zwei Tagen bei ihr zu diniren, ging er in seine Wohnung bei der Zuckerfabrik zurück, und faßte auf diesem Wege den festen Plan, die Zwischenzeit zu ernstlichen Studien in den Anfangsgründen der holländischen Sprache anzuwenden. Als Jane in ihr Zimmer trat, zog sie sogleich einen Brief hervor, der am Morgen aus Batavia via Bui-tenzorg angekommen war. Ehe sie sich zum Lesen niedersetzte, blickte sie sich aber erst aufmerksam um. Ihr Mann lag auf einem Sofa von Matten ausgestreckt, um nach der Mahlzeit eine gute Siesta zu halten. Sein regelmäßiger, schwerer Athem bewies, daß ihm dieser Plan vollständig glückte. Jane schmiegte sich deshalb in.einen Schaukelstuhl und las' — „Meine schöne und muthige Jane! Gut ausgedacht und gut ausgeführt! Es könnte nicht besser Die große Intrigue. ^Zg gehen. Du bist nun im Lager des Feindes und kannst Deine Minen anlegen. Wir werden und müssen den Mann zu unseren Gunsten stimmen. Deine treue Liebe spricht für unser Gelingen. Ich schreibe Dir heute, um Dir noch einige kleine Winke zu geben. Auf Tji-Koening wirst Du einen alten ausgetrockneten Advokaten mit zwei ungezogenen Kindern und eine alte Gouvernante treffen. Der Mann heißt Andermans und die Dame Fräulein Serpensteyn. Beobachte sie gut, sie ist unsre Verbündete. Sie hegt eine außerordentliche Feindschaft gegen Mevrouw Outshoorn, deshalb habe ich sie in unsern Bund aufgenommen. Sei aber vorsichtig, denn sie ist sehr schlan. Wenn sie will, kann sie eine gefährliche Kanaille werden, aber wenn man sie etwas dirigirt, so ist sie vortrefflich zugebrauchen. Sie korrespondirt mit unserem revolutionnären Turteltäubchcn auf Goenoeng-Agong, und besorgt meine di11o t8-(i0ux. Versuche es, sie für Dich einzunehmen. Sie hört gern Schmeicheleien über ihre Toilette, und in der tiefsten Tiefe ihres umfänglichen Busens hegt sie ein heftiges Verlangen, Mevrouw Andermans II zu werden. Laß ihr niemals etwas von unserer Liebe merken. Sie ist so scklau; sie könnte leicht eine Waffe darin gegen uns finden. Mit einiger Vorsicht wird es Dir mit Deinem angebornen Takt vollständig glücken, die korpulente ^24 ^^ großc Intrigue. Gouvernante ganz für unsre Pläne einzunehmen. Eine Anspielung auf Outshoorns Frau kann nur von Nutzen sein. Schreibe mir, sobald Du kannst, welche Stellung die Gouvernante dort hat, und wie Ihr Beide zusammen steht. Wenn Du glaubst, irgend ein Resultat erreicht zu haben, so erwarte ich einen Wink, ob ich selbst handelnd auftreten soll. Morgen dinire' ich mit Spoon, Van der Beek und Brandelaar bei Mac-Killoch — ich glaube, daß sich die Geldangelegenheit wohl arrangiren wird. Dann komme ich wallfahrtend nach Goenoeng-Agong — denn ich zweifle durchaus nicht an den versöhnlichen Gefühlen meiner braven Lucy. Auf jeden Fall wird die Entwicklung nun bald vor sich gehen — wenn Du den alten Mann zu einer großmüthigen Amnestie bewegen kannst, so bin ich in wenigen Tagen zu Deinen Füßen, meine liebste Jane! Du kennst meine weiteren Pläne. Ich werde Woodland persönlich näher unterrichten, denn dieser Letztere kommt mir mit seiner Eifersucht gegen Outshoorn sehr zu Statten. Ich glaube, daß unser Angriff gut vorbereitet ist. So werde ich denn endlich ans Ziel kommen — ich habe wirklich lange Geduld gehabt! Wiederholt bitte ich Dich beobachte Fräulein Serpensteyn und versuche ihr Vertrauen zu gewinnen — sie war M große Intrigue. < a« schon früher meine Verbündete, und hat um meinetwillen mit Ruytenburg gebrochen, in der Zeit der fatalen Geschichte mit dem Fiaäak (Schurken) von Pö-nnrot! Und jetzt, vernichte diesen Brief, damit kein Stückchen davon übrigbleibe, und rechne auf alle Fälle auf Deinen ewig treuen Eduard, v. S. Batavia, 12. Mai 186.. Das war der Inhalt des Briefes, welchen Jane mit der größten Aufmerksamkeit und mit inniger Rührung durchlas. Einen Augenblick lang dachte sie nach — und stützte den Kopf in die Hand. Dann lächelte sie schnell. — „Nein, dafür hat Eduard doch zu viel guten Geschmack! Ich darf nicht argwöhnisch sein! Solch ein baufälliges Geschöpf!" Während sie aber dieß leise zu sich selbst sprach, zeigte doch ihr Gesicht einen Zug von Ärger und Sorge. Jane fühlte den stechenden Schmerz der Eifersucht. Sie stand von ihrem Schaukelstuhle auf und lief in ihrem Zimmer unruhig auf nieder. Zuweilen schüttelte sie den Kopf und preßte die Lippen fest zusammen, zuweilen stand sie still, um den Brief ihres „ewig treuen" Eduard noch einmal schnell zu überlesen. Sie beküm« ^«H Die großc Inlnguc. merte sich wenig um ocn würdigen Tinman Todding, der durch sein tiefes Athemholen bewies, daß er in festen Schlaf gefallen war. Immer eiliger durchschritt sie das Zimmer, — endlich faßte sie einen Entschluß! Leise öffnete sie die Thüre ihres Schlafzimmes, welches nach der inneren Galerie führte. Leise ging sie durch die Pendoppo. Alles war still in der Villa. Alles schien nach der Ermüdung des Morgens sich in die Genüsse der Siesta versenkt zu haben. Mevrouw Tinman Tod ding wandte hierauf ihre dunkeln Augen nach den Seitengebäuden, wo die Kinder des Herrn Andermans und Fräulein Serpensteyn wohnten. Sehr langsam stieg sie die drei hölzernen Stufen hinauf, welche nach der schmalen Galerie vor den Gastzimmern der Seitengebäude führten, die letzte Thüre war Fräulein Serpensteyns Zimmer. Sie näherte sich derselben geräuschlos. Das Zimmer der Gouvernante war offen. Jane überblickte es schnell. Fräulein Serpensteyn lag in ihrer ganzen umfangreichen Länge auf einem Sofa ausgestreckt. Kabaai und Sarong waren mit der größten Nachlässigkeit zurückgeschlagen. Die ehrwürdige Gouvernante rauchte mit großem Wohlbehagen eine Cigarre, und war ganz in die Lektüre eines Briefes vertieft. Sie lag mit ihrem Kopfe vom Fenster abgewendet — die Persiennes waren weit ge- Die große Intiiguc. 1 27 öffnet, Jane tonnte deshalb einen Augenblick über den blauen Fenstervorsetzer hinsehen, ehe sie bemerkt wurde. Die Vorsicht riech ihr aber, erst geräuschlos einige Schritte zurückzugehen, und dann erst mit hörbaren Schritten, mit hörbarem Schleifen ihrer rothen Sammtpantoffeln über den Boden nach Fräulein Serpensteyns Zimmer zurückzukehren. Die Gouvernante richtete sich auf und schlug hastig ihren weiten, weißen Kabaai über einander. Lächelnd stellte sich Jane an das Fenster. Fräulein Serpensteyn lächelte ebenfalls sehr freundlich, und faltete den Brief, welchen sie in der Hand hielt, sehr bedächtig zusammen, während sie ihrer Besucherin forschend und fragend ins Gesicht sah. — „Fräulein Serpensteyn, ich möchte gern einmal vertraulich mit Ihnen sprechen, Sie nehmen es mir nicht übel, ja? Jetzt schlafen Alle — und Abends an Tafel habe ich so selten Gelegenheit, Sie allein zu sprechen; Sie können mir einen großen Dienst erweisen, Fränlein Serpensteyn!" — „Mit Vergnügen, Mevrouw!" — „Ich will Ihnen sagen, um was es sich handelt. Ich bin als Fremde zu der Familie Bokkerman gekommen — aber weil es Tinman gern sah, wollte ich nicht zu Hause bleiben. Tinman hat mit Herrn Bokkcrman ,j ZA Die große Intiiguc. Geschäfte durch seme Stellung, ja? Nun finde ich es hier recht nett und hübsch — aber Eins hindert mich .... die Outshoorns!" Jane hatte sich vertraulich ans Fenster gestellt. Sie legte beide Arme auf den blauen Fenstervorsetzer, und spielte mit ihrem Taschentuche. Fräulein Serpensteyn blieb ruhig vor ihr stehen, und wartete ab, was sie sagen würde. Bei dem Worte: „Die Outshoorns!" warf die Gouvernante einen schnellen, geheimnißvollen Blick auf ihren Gast, sie erinnerte sich daran, was Mevrouw Tinman am vorigen Abend ausgesprochen hatte. Darauf schlug sie die Augen sittsam zu Boden. Jane begriff, daß ihr Gegenüber eine Maske vornahm und die Rolle als bescheidene Zuhörerin spielen wollte. Darum fügte sie hinzu: — „Ich hatte nicht das Vergnügen, Sie früher in Batavia zu begrüßen, aber doch glaube ich, Fräulein Serpensteyn, daß Sie mir einige Fragen über Outs-hoorn und seine Frau gütigst beantworten werden — das sind Menschen, die mir aus vielen Gründen im Wege stehen!" Fräulein Serpensteyn schien mit ihrem unverändert kalten Blicke zu fragen, welch' Interesse es ihrer gesetzten Person wohl einflößen könne, wenn Mevrouw Pic große Intrigue. 129 Tinman Todding gegen den Herrn Outshoorn und seine Frau eingenommen sei, obschon sie im tiefsten Herzen äußerst neugierig auf den fernern Inhalt der vertraulichen Mittheilungen war. Sie erwiderte deshalb mit höflichem Lächeln, daß Mevrouw nur zu fragen habe, und daß sie nach bestem Wissen und Gewissen antworten werde. Jane verwickelte sich hierauf in eine Menge Fragen über die batavische elironiyus 5cÄnäal6U8e und erhäschte von Zeit zu Zeit ein flüchtiges Wort von der Gouvernante. Dem äußern Scheine nach stimmte riese zufällige Unterhaltung beide Damen sehr freundschaftlich — obschon Beide zu schlau waren, um mit einem einzigen Worte zu verrathen, welches der wahre Zweck ihrer Fragen und Antworten sei. — „Und ich habe in Batavia gehört," — fuhr Jane fort — „daß diese Mevrouw Outshoorn ein sehr intriguantes Geschöpf ist. Sie war früher Gouvernante, wie ich meine — und da muß etwas mit dem Herrn Van Spranekhuyzen zu Batavia vorgefallen sein — etwas, wobei sie eine sehr schlechte Rolle gespielt hat. Tinman ist ein Freund des Herrn Van Spranethuyzen, und bei unserer letzten Anwesenheit in Batavia sahen wir ihn öfter bei uns....." — „So, Mevrouw!" — „Ja, aber wir sprachen niemals von der per- Indische Viblioldel, V, 9 4 Is) Dic großc Inttiguc. Kara (Geschichte) mit seiner Frau! Heute früh habe ich auf unserem Spatzierritte Manches bemerkt. Die junge Frau Van Spranekhuyzen scheint nicht gut mit ihrer Familie zu stehen. Ich verstand eigentlich die ganze Sache nicht recht. Aber ich möchte gern etwas Näheres darüber wissen, weil Tinman und Herr Van Spranekhuyzen gute Freunde sind....." — „Haben Sie den Herr Van Spranekhuyzen öfters in Batavia gesprochen, Mevrouw?" — „Wir wohnten Alle zusammen im Marinehötel, und dann kam er Abends nach dem Diner noch öfters, um mit uns zu plaudern. Kennen Sie ihn nicht, Fräulein Serpensteyn?" — „Ich habe ihn zuweilen bei der Familie Buys gesehen, Mevrouw!" Die beiden Damen verstanden vollkommen die Kunst, mit leichter Nonchalance über Personen und Sachen zu sprechen, welche ihnen heimlich sehr zu Herzen gingen. Deshalb fühlte auch Jane, daß sie ihre Lift verdoppeln müsse, wenn sie nur annähernd ihr Ziel erreichen wollte. Sie fuhr in demselben leichten Tone fort: — „Herr Van Spranekhuyzen hat wohl dann und wann von der Geschichte mit seiner Frau gesprochen. Später erzählte ein Herr Brandelaar, auch ein Gast im Marinehütel, mir und Tinman einmal noch spät Die große Intrigue. ^ g^ am Abende eine perkai-a von Van Spranekhuyzen und einem Herrn Palurot....." — „Penurot." — „Ah, richtig, Pönurot! Sie kennen die Geschichte, Fräulein Serpensteyn?" — „Die Geschichte nicht. Mevrouw! Aber Jedermann in Batavia kennt den tollen Penurot!" — „So! Nun, was mir Brandelaar erzählte, glaubte ich doch nicht, denn Tinman und er hatten so viel drandv-saink-ajer (Rhumgrog) getrunken, daß sie ins Blaue hinein schrieen......!" Fräulein Serpensteyn gähnte. Janes Neugierde war bis zum Äußersten gereizt. Aber sie sah zugleich, daß die Gouvernante sich sehr schweigsam verhielt. Sie begriff auch. daß sie das Gespräch nun nicht länger ausdehnen könne, weil die Hälfte der Siestazeit schon vorbei war. Sie mußte kapituliren, beschloß aber, die Belagerung später fortzusetzen. Nach einigen weiteren allgemeinen Fragen und Hösiichkeitsformeln dankte sie der Gouvernante für die Aufklärungen, die sie nicht erhalten hatte, und reichte ihr zum Abschied die Hand. Die Gouvernante erfaßte dieselbe sehr graziös, aber während sie die rechte Hand festhielt, gewahrte sie. wie Jane aus dem Taschentuche, welches sie in der linken 9' ^ H 2 Dit große Inttigue. Hand hielt, ein Papier fallen ließ, welches über den blauen Fensterschirm vor ihren Füßen niederflatterte. Mevrouw Tinman Todding war etwas enttäuscht und überdieß etwas verlegen über ihre eigne Haltung. Sie bemerkte deshalb ihren Verlust gar nicht, und schlich eilig weg, um ihr Gastzimmer wieder aufzusuchen', dabei faßte sie entschieden den Plan, an Van Spranekhuyzen zu schreiben, um ihn über seine früheren Beziehungen zu Fräulein Serpensteyn zu fragen, da er in seinem Schreiben diese Dame viel öfter erwähnte, als seiner „schönen und muthigen Jane" angenehm war. Fräulein Serftensteyn bückte sich gelassen nieder und hob das Papier auf, welches Jane hatte fallen lassen. Kaum blickte sie aber hiuein, als ihr ein Schrei des Schreckes und der Wuth entfuhr. Sie eilte zum Fenster — Mevrouw Tinman Toddiug war verschwunden! Dann fiel sie auf das Sofa zurück. Ihr Herz klopfte ungestüm. Hohe Nöthe bedeckte ihre faltigen Wangen — die Rothe des Zorns und der Wuth. Ihre ganze korpulente Gestalt kroch zitternd ineinander — sie las, sie las mit wildrollenden Augen, halbgeöffneten Lippen und mühsamen Athemzügen. Sie las, daß Junker Eduard Van Spranekhuyzen seine innige Liebe für seine „schöne und muthige" Jane bekannte — daß er vor „Fräulein Serpensteyn" warnte. Die große Intngur. ^ I I weil sie „eine gefährliche Kanaille" werden tonne. Sie las, daß er Jane allerlei Instruktionen gab, den alten Herrn Bokkerman für sich einzunehmen — sie las mit einem Worte Alles, was sie schon wußte, was sie auch eine Minute vorher in einem Briefe an sie selbst gelesen hatte, mit dem kleinen Unterschiede, daß in diesem Briefe nicht zu einer „schönen und muthigen" Jane, sondern zu einer „herzlich geliebten" Alphonsine gesprochen wurde. Wüthend preßte sie die Zähne aufeinander, und rathlos sah sie im Zimmer umher. Mit beiden Händen zerknitterte sie die beiden Verrätherischen Briefe. Ihre Brust hob und senkte sich bei ihrem ungestümen Athmen. Einen Augenblick darauf durcheilte sie ihr Zimmer mit wilden Schritten. Dann warf sie sich wieder auf das Sofa — mit dem Kopfe über beide Arme gelegt — ein dumpfes Schluchzen verrieth, daß Fräulein Serftensteyn weinte. Lange, sehr lange, verblieb sie in dieser Stellung. Eine volle halbe Stunde verstrich, ehe sie sich wieder aufrichtete. Als das Tageslicht ihr Gesicht wieder beschien, konnte mau auf demselben die Spuren eines jähen, tödtlichen Schmerzes wahrnehmen. Ihre Au-geulider waren dunkelroth von brennenden Thränen, welche sie geweint hatte. Ihr Mund war in schärfere 134 Die großc Intrigue. Linien zusammengezogen, als je vorher — das ganze Wesen der alten Jungfer schien in diesem Augenblicke eine jahrelange Veränderung erlebt zu haben. Plötzlich fuhr ein Gedanke durch ihren Kopf, sie sah auf ihre Uhr, es war halb vier. Sie stand auf und suchte beide Briefe, die sie wie rasend von sich weggeschleudert hatte. Jetzt faltete sie dieselben mit viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit; öffnete ihren Koffer, nahm ein Schreib -Portefeuille heraus, verbarg die beiden Briefe in einer verborgenen Seitentasche, und schloß Alles sorgfältig wieder zu. Dann trank sie Wasser, viel Wasser, um ihre Aufregung zu bezwingen, und wischte die Thränenspuren weg. Sie gab sich alle mögliche Mühe, um wieder den früheren, ruhigen, glatten, unterthänigen Ausdruck auf ihrem Gesichte erscheinen zu lassen. Als ihr dieß geglückt war, raffte sie einige Gegenstände für den Gebrauch im Badezimmer zusammen, und entfernte sich, um ein Bad zu nehmen. Eine Viertelstunde später saß sie wieder auf ihrem Sofa. äußerlich ganz gefaßt und ruhig. Nur die Linien um ihren Mund waren noch nicht ganz wieder verschwunden. Melatti kniete vor ihr und hielt den Schuh für den verhältnißmäßig kleinen Fuß der Gou< vernaute bereit. Das arme Mädchen neigte den Kopf Die große Intiigut. ^35 und zitterte vor Angst. Eine Fluth von Scheltworten und Schmähungen regnete auf sie nieder, und Melatti war sich doch keiner Schuld bewußt. Auf einmal versank die Gouvernante in tiefes Nachdenken. Sie saß vor ihrem Toilettenspiegel und kreuzte die dicken, fleischigen Arme über ihrer Brust. Melatti begann ihre mühselige Frisirarbeit unter Angst und Beben. Das Fräulein aber sprach kein Wort mehr, schien nicht einmal ihrer Coiffüre irgend eine Aufmerksamkeit zu schenken, und schloß geraume Zeit die Augen. Welche Gedanken mögen wohl durch ihr Hirn geflogen — welche Reihe bunter Bilder mag wohl vor ihrer Phantasie vorübergezogen sein? Zuerst war es ein Zimmer im Marinehotel zu Batavia, sie kommt Abends verstohlen in dasselbe, um einen Leidenden zn besuchen, einen Leidenden, der klagt und murrt, sobald alle Gefahr vorbei ist — sie spricht leise mit dem Unglücklichen, dessen Gesicht durch Brand-wunden entstellt ist, sie tröstet ihn, so gut sie kann, sie flüstert ihm zu, daß er die Hoffnung nicht aufgeben möge, daß sie ihm helfen wolle, daß sie Beide für immer verbunden sind, da auch sie sich jetzt in einer sehr schwierigen Lage befindet. Das währt so lange Zeit, bis der Kranke endlich wiederhergestellt ist, obschon die rothen Flecken und Narben seines Gesichtes seine 11ß Du gioßc Intrigue. trübe Stimmung immer vermehren. Aber immer wieder weiß sie ihn zu ermuthigen, und obschon eine wirtliche Gefahr für ihren guten Namen daraus entstehen könnte, kommt sie doch immer wieder zurück unr erzählt ihm, was sie von den vornehmen Kreisen Batavia's hört — wie sie Mcvrouw Ruytenburg's Gunst niemals verloren hat, da diese aus bloßer Parteilichkeit kein Wort von Penurots Erzählungen glaubt, um so mehr, weil jener selbst aus unerklärlichen Ursachen, Einige sagen Schulden halber, aus Batavia verschwunden ist. Niemand weiß. wohin. Endlich ist der Leidende wieder hergestellt. Noch einmal besucht sie in tiefster Stille das bewußte Zimmer im Marinehötel. Sie bringt wichtige Nachrichten. Mevrouw Nuytenburg hat ihr bei der kränklichen Mevrouw Andermans eine Stelle ausgemacht. Sie logirte bis jetzt immer noch bei ihren Freundinnen, den Damen Henkens, welche ihre Parthie genommen hatten — aber das mußte doch ein Ende nehmen. Der wiederhergestellte Patient nimmt lebhaften Antheil an der Erzählung, auf welche eine schnelle, flüsternde, lange Unterhaltung folgt. Der Bund zwischen Beiden wird erneut. Sie schmieden einen schönen Plan. Es war ein listiger, außerordentlich schlau angelegter Plan. Sie selbst stand für das gute Gelingen desselben ein — und er faßte Die gloßt Intrigue. 4 g^ nun erst wieber Muth. An diesem Abend wiederholt er ihr noch einmal die feurigsten Liebesgeständnisse, noch einmal schwört er ihr heilige Treue. Fräulein Serpcnsteyn unterbricht hier selbst den Lauf ihrer Gedanken, sie schüttelt wüthend den Kopf, und lacht bitter. Melatti, die gerade einen Tchilr-pattkamm in die dünnen, armseligen Haarsiechten stecken wollte, Melatti fuhr erschreckt zurück — tie arme Kammerfrau glaubte ihre Herrin verletzt zu haben. Aber laut und spitzig wurde ihr der Befehl ertheilt, ihr Werk fortzusetzen. Die Gouvernante träumt weiter, neue Bilder ziehen langsam durch den Nebel der Erinnerung. Sie hat ihre Stellung bei der Familie Andermans angetreten. Die Frau des Hauses ist fortwährend ernstlich krank — und Fräulein Serpcnsteyn führt die Wirthschaft. Zuweilen kommt es vor, daß nach dem Einbrechen der Dunkelheit leise an ihr Fenster geklopft wird — dann schleicht er hinein, um Alphonsinen allerlei Neues zu erzählen, mn mit ihr zu überlegen, sie um Rath;u fragen. Einmal frug er sie um .... Geld. Sie hatte Jahre lang gespart und hatte mehr auf die Seite gelegt, als man ahnte. Und sie hing sehr an ihrem Gelde, sie hatte gespart und zusammengescharrt, — fast greuzte es an Geiz. Aber als er sie darum bat, gab l Ig Die große Intrigue. sie ihm gle'vch einige verknitterte Hundertguldenbanknoten. Als einmal dieser Schritt gethan war, verlangte er mehr und fragte sie wiederholt unter den innigsten Betheuerungen seiner Liebe um Anlehen. Und Niemand entdeckte das Geheimniß ihres Verhältnisses, da er sich seit seinem Unfälle während des Brandes gänzlich aus der batavischen dean-inonäs zurückgezogen hatte, weil er sich von der ganzen Welt verkannt und verrathen wähnte. Mevrouw Andermans Tod erhob Fräulein Serpensteyn zur alleinigen Herrin in dem Hause des angesehenen Advokaten. Sie ließ ihn deshalb öfters kommen, wenn sie nur wollte; das war eine schöne Zeit gewesen. Sie hatte ihn aufrichtig aus tiefster Seele geliebt, trotz seines entstellten Gesichtes, trotz der Verachtung, mit der sein Name noch immer zuweilen von den angesehenen Bewohnern Batavia's ausgesprochen wurde. Aber immer mehr Geld hatte er von ihr verlangt, und schon war er ihr über zweitausend Gulden schuldig. Aber sie dachte gar nicht daran, so lange sie seiner Zuneigung sicher war, so lange er nur ihr allein gehörte mit der feurigen Leidenschaft, mit welcher er in so hochfliegenden Ausdrücken zu ihr sprach. Plötzlich entschloß sich Herr Andermans, Batavia zu verlassen, und sich zur Herstellung seiner Gesundheit Die große Intrigue. ,, gn nach Geroeng Badak und nach Buitenzorg zn begeben. Darauf wurde ein Kriegsrath gehalten zwischen dem verlegenen Romeo und der korpulenten Julia. Der mit so großer Sorgfalt im Marinehotel ausgearbeitete Plan kam auf's Neue zur Sprache — vielleicht kam sie nun mit seiner Familie zu Tji-Koming in Berührung — sie sollte nun anfangen, für seine Rehabilitation zu arbeiten, damit sie desto inniger zusammen verbunden sein könnten — damit sie Rache an Allen denen ausüben könnten, die sie gehaßt und verschmäht hatten. Das war der Inhalt ihres letzten Gespräch's gewesen. Und bei ihrem Abschiede hatte sie bittere Thränen geweint und fest an seine Treue geglaubt. Sie hatte darum beschlossen, ihn aus all' seinen Verlegenheiten zu retten, ihn über dieselben zu erheben. Sie wollte auch seinem Wuusche nicht entgegen sein, sich mit seiner Frau zu versöhnen. Sie war zu praktisch, um die Vortheile nicht einzusehen, welche diese Ver< söhnung mit sich führen mußte, und sie wußte aus Erfahrung über seinen täglich steigenden Mangel an disponiblem Gelde zu sprechen. Sie hatten beschlossen, einander so oft als möglich zu schreiben, da man von beiden Seiten verlangend war, den Gang der Verhältnisse zu wissen. Wirklich hatte sie in den letzten zwei Monaten während ihrer Reife mit Andermans bei jeder 1 40 Du grohc Intrigue. möglichen Gelegenheit Nachricht erhalten, und sie glaubte jetzt, daß sich der Augenblick herannahe, an welchem sich ihre wohlerdachten Pläne erfüllen würden. Und plötzlich hatte ihr ein Zufall den feigen Verrath des Mannes entdeckt, für welchen ihr kein Opfer zu schwer erschien. Wohl war ihr Talent für Selbstüberwindung zu bewundern, da sie nach diesem entsetzlichen Schlage scheinbar so ruhig und bewegungslos nachzudenken schien.. Sie durchschaute das Gewebe seiner ganzen Erbärmlichkeit, seiner ausgefeimten Heuchelei. Als sie von Batavia entfernt war, hatte er sich an die schwatzende, eingebildete Mevrouw Tinman Todding angeschlossen und diese betrogen, wie er auch sie betrogen hatte. Aber jetzt lag sein Geschick in ihrer Hand. Der Sturm der Leidenschaften in ihrem Innern hatte noch nicht ausgewüthet. Noch war es unentschieden, welches Gefühl den Sieg davontragen würde — ihr Wunsch nach Rache, oder ihre noch immer laut sprechende Hmgcbumg für den Mann, der sie verrieth. Jedenfalls hatte sie einen Beschluß gefaßt — abwarten, nichts offenbaren und endlich triumvhiren'. Melatti schreckte nochmals zusammen. Das Fräulein stand plötzlich auf und brach in ein lautes Gelächter aus. Die große Intrigue. ^ ^ V. Worin diejenigen, welche sonst sehr eljrerßielig: „Oeehrte Leser und Leser- i»n>'!«" heißen, ohne Umstände eingeladen werden, nach Valavia zurück zu kehren, nnd Zeuge eine« Hiner-de-garyon ans Vazar Baroe zn sein. Es war ungefähr sieben Uhr vorbei. Die Dunkelheit war schon vollständig hereingebrochen. Ein Pa-lankin fuhr eilig über die Schleusenbrücke zu Weltevreden nur schlug den Weg nach Bazar-Baroe ein. Einige Augenblicke später rollte der Wagen vor einer hinter den hohen Bäumen halbversteckten Wohnung vor — gleich darauf sprangen vier Herren aus dem Palankin und stiegen die steinerne Treppe hinauf, welche nach der Vorgalerie führte. Sie fanden hier den Wirth, der sie mit Ungeduld begrüßte und sie sogleich zu einem kleinen Seitentischchen führte, wo sie Kristallsiaschen mit Madeira, Konstantin- uud Portwein aufgestellt fanden. — „Allons! Schnell eine Herzstärkung, und dann zu Tische!" Komm Spoon, ein Glas Portwein, he?" Der so Sprechende war der Herr Jonathan Mac- ^ ^2 Die große Intngnc. Killoch. ein ziemlich gesetzter Mann in den Dreißigen. mit einem sonnverbrannten Gesichte, einem dicken, schwarzen Knebelbart und einem ganz weißen Anzüge. Derjenige von den vier angekommenen Gästen, welchen er mit dem Namen Spoon anredete, nickte stumm und nahm das angebotene Glas mit müdem Lächeln an. Spoon war eben so korpulent als der Wirth. Doch schien sein Gesicht anzudeuten, daß er bereits längst über die mittleren Jahre hinaus sei. Es war ganz bedeckt mit Falten, Runzeln und Gruben, und wenn er sprach, kamen seine Gesichtsmuskeln bei dem kleinsten Wörtchen in die wunderbarste Bewegung. Er trug eine buntkarrirte Weste mit einer schweren Uhrtette, an welcher eine Menge goldner Kreuzchen und Medaillons hing. Als sich die Herren mit einem Glas Portwein erquickt hatten, ging man auf Ersuchen des Wirthes rechts in die Vorgalerie, wo ein runder Tisch mit einer kolossalen Lampe für die Mahlzeit bereit stand. Eine junge Frau, welche sich bescheiden im Hintergrunde gehalten hatte, wartete geduldig am Tisch, bis es den Herren beliebte, das Diner zu beginnen. Ehe man sich aber niedersetzte, trat der Wirth mit dem einen seiner Gäste auf sie zu, und sagte: dit gießt IntriM. 1 4g — „Karoline, das ist Herr Van der Beek, von dem ich Dir neulich erzählt habe!" Die junge Frau lächelte verlegen. Der Vorgestellte verbeugte sich, als ob er sich in den Empfangssälen des General-Gouverneurs befände. Die übrigen Gäste nahmen indessen Platz. Spoon setzte sich zuerst in den bequemsten Lehnstuhl nieder, neben ihm saß ein Herr, den wir von Allen am Besten kennen: Junker Cduard Van Spranethuyzen. Neben diesem hatte sich der Wirth an der Seite der erröthenden Dame niedergelassen, welche er mit dem Namen Karoline angeredet hatte. Die zwei anderen Herren begaben sich in solcher Reihenfolge zu Tische, daß Van der Beek unter wiederholten Verbeugungen an Karolinens anderer Seite seinen Platz fand, und der Stuhl zwischen ihm und Spoon durch den vierten Herrn eingenommen wurde, den wir augenblicklich für unsern alten Freund Brandelaar erkennen, obschon er seine tiefe Baßstimme bis jetzt nur wenig hatte hören lassen. Die hohen Bäume auf dem Platze vor der Villa verhinderten, daß Vorbeigänger, — die übrigens auf dieser Seite von Baroe Bazar wenig zahlreich waren — einen unbescheidenen Blick hineinwerfen konnten. Mac-Killoch wußte dieß, und fand es darum räthlicher, in der Vorgalerie zu diniren, weil seine Pendoppo schlecht mcublirt 1^4, Die große Inttiguc, und theilweise zu seinem Atelier eingerichtet war. Es ist nöthig, hier mit kurzen Worten zu sagen, daß Mac-Killoch ein Mann von vielseitigen, kleinen Talenten war, — er malte, zeichnete, ätzte und photographirte, ganz nach Wunsch seiner zahlreichen Kunden, und endlich schreckte er auch vor der Verfertigung von Dekora-tionen und jedem anderen Gegenstande nicht zurück, an dem Leinwand, Pinsel und Farbe die Hauptbestandtheile waren. Mac-Killoch hatte sich damit eine unabhängige Existenz in Batavia zu verschaffen gewußt und galt in seinem Kreise für einen ausgezeichneten, gastfreien und talentvollen Künstler. Aber freilich müssen wir hinzufügen, daß dieser Kreis nicht sehr groß war und meist aus jungen Leuten bestand, welche sich spät am Abend und bis tief in die Nacht in der Harmonie versammelten — ein Klub, in dem Brandelaar und Van Spranekhuyzen seit geraumer Zeit den Hauptton angaben. Während einige Bediente die Suppe bringen, und Karoline die Honneurs bei Tische macht, bemerken wir, daß Junker Eduard Van Spranekhuyzen äußerlich sehr verändert ist. Noch immer kann man seine^ Sauberkeit und seinen guten Geschmack im Bezug auf Toilette loben — noch immer zeichnet ihn eine gewisse Eleganz aus, .sein Rock ist von hellgelber Seide und von zierlich- Die großc Intrigue. ^H erem Schnitte, als die der Anderen. Aber sein Gesicht hat einen augenfällig fremden, veränderten Ausdruck bekommen, durch einen rothblonden Bart, der Wangen, Kinn und Hals ganz bedeckt. Nur wenn er lacht, kommen seine glänzend weißen Zähne, mit denen er doch früher so eifrig prunkte, noch zum Vorschein. Über seine Stirn läuft eine breite, dunkelrothe Narbe, welche er vergebens durch weites Vorstreichen seiner schlichten, blonden Haare zu verbergen sucht. Auch auf seiner rechten Wange ist eine häßliche Narbe, welche aber sein Bart bedeckt. Seine Hände steckt Svranekhuyzen am liebsten in die Taschen seines weißen Beinkleides, wie einstens Perrol seine rothe Hand in einem schwarzen, ledernen Reithandschuh verbarg. Die Veränderung in des Junkers Äußerem spricht nicht zu seinem Vortheile. Sein früherer weißer Teint, welcher meistens sogar au matte Blässe grenzte, war durch die Verwüstung der Brandwunden gänzlich verschwunden. Bart uud Haupthaar war sehr zierlich geordnet, und überhaupt ließ er nichts unversucht, durch seine gewohnte Sorgfalt für Toilette sein Äußeres so angenehm als möglich zu machen. Aus seiner Korrespondenz mit Mevrouw Tinman Todding, aus den Träumereien Fräulein Serpensteyns erfuhren wir schon, was seit unserer letzten Begegnung mit ihm vorgegangen Indisch.- Vibliot^l, V. lO 1 4ss Die große Intrigue. ist. Bald werden sich auch seine neuen Pläne zeigen. Daß er nicht ohne bestimmten Zweck sein Diner öfter bei Mac-Killoch einnahm, schimmerte schon mit einem einzigen Worte aus dem Briefe an Mevrouw Tinman Todding durch. Indessen hatte die Gesellschaft schweigend die Suppe genommen. Die Bedienten brachten jetzt auf einen Wink des Wirthes andere Schüsseln. Spoon ergriff eine Karasse und füllte die Gläser seiner Nachbarn. Der ceremonielle Van der Beek, der Reisegefährte Mevrouw Tinman Toddings, folgte seinem Beispiele und schenkte dem Fräulein Karoline — die Meisten nannten sie Karolinchen — ein Glas ein. Die Letztere murmelte einige Dankesworte und sah mit schüchterner Angst auf Mac-Killoch, als wollte sie ihn um Rath fragen. Karoline war eine englische Nonna aus Bui-tenzorg. Sie war jung und reizend — der Reichthum ihres glänzend schwarzen Haares, und die lodernde Gluth ihrer dunkelbraunen Augen machten Anspruch auf wirtliche Schönheit. Jeder wußte, daß sie Mac-Killochs Haushälterin war, und da sie eine gewisse Bildung besaß, fließend englisch und gebrochen holländisch sprach, bekleidete sie einen Ehrenplatz am Tische des erfinderischen Tausendkünstlers. Ihre Gesellschaft wurde selbst Die große Intrigue. ^7 von den jungen Leuten seiner Bekanntschaft sehr hoch gehalten. — »8ap' aäa?« (Ist Jemand da?) — rief Spoon auf einmal laut aus. Ein malayifcher Bediente, dessen Amt es war, mit einem tali-api beständig in der Nähe zu bleiben, stand vor ihm. — »Kassi bottel - bottel semoea deri sayah poenja karetta!« (Bringe alle Flaschen aus meinem Wagen!) Wenige Augenblicke später kam der Bediente mit einer tüchtigen Anzahl Flaschen zurück, und erklärte gemessen 1 — »^.äa laßi!« (Es sind noch mehr da!) Spoon musterte die Etiketten der Flaschen, wählte einige aus, die er auf den Tisch stellte, und gab die anderen dem Bedienten, mit dem Befehle, sie bereit zu halten. Darauf entkorkte er die eine und schenkte der Gesellschaft ein. — „Koste einmal diesen Wein, John!" — sagte er zu dem Wirthe. — „Das ist meine Lieblingssorte und paßt gut für heute Abend!" Mac-Killoch versuchte den Wein sehr langsam und nickte. Es traf sich nämlich, daß Spoon in der vorigen Woche eine Wette an den Hausherrn verloren, und daß 10» ^48 Die grosic Intrigue. man den Entschluß gefaßt hatte, den gewonnenen Wein in Gesellschaft zu trinken. Spoon war mit Mac>Killoch aus Freundschaft und Interesse sehr eng verbunden. Spoon war im Handel ein ebenso talentvoller Tausendkünstler, als Mac-Killoch mit Pinsel und Farbenkasten. Spoon war ein Kenner von Antiquitäten, von Münzen, von Porzellan, von altem Gold nnd Silber, und hatte oft das Urtheil und die kunstfertige Hand Mac-Killochs nöthig, um seine Einkäufe zu beurtheilen und seine Handelsgegenstände zu restauriren. Es schien selbst, daß zwischen Beiden eine geheime Association bestand — mau sah sie wenigstens immer zusammen, und war fest überzeugt, daß Beide gute Geschäfte machten. Die Mahlzeit war schon weit vorgerückt. Brandelaar, der durch Van Spranekhuyzen mit Van der Beek an der Tafel des Marinehötels bekannt geworden war, und der auch beide Herren seinem Freunde Spoon vorgestellt hatte, — Brandelaar hatte seiner Gewohnheit nach sein Mittagsmahl ganz still zu sich genommen, war aber immer stummer Theilnehmer an dem Gespräche gewesen. — „Es ist doch Schade, Van der Beek, daß Du morgen mit dem Boote nach Samarang abreisen mußt!" — sagte Van Spranekhuyzen. — „Du wärst sonst ein recht gutes Mitglied unseres Clubs geworden!" Die gioßt Intrigue. ^ H.g — „Wie lange sind Sie nun schon in Batavia?" frug Mac-Killoch. — „Drei Monate!" — antwortete Van der Beek. — „Ich fühlte mich etwas unbehaglich von der Mailreise, und bat meinen Patron, mich hier etwas erholen zu dürfen, denn ich hatte viele Empfehlungen für Batavia, und amüsirte mich hier, Dank sei Van Spranek-huyzen, sehr gut!" — „Ist die Mailreise so ermüdend?" — frug Spoon, der auf Java geboren und nur einmal mit einem Segelschiffe nach China übergefchifft war. — „Ja, ich fand die Reise ziemlich unangenehm! Ich passirte das rothe Meer bei großer Hitze und wurde bei der geringsten Bewegung von der Seekrankheit befallen !" — „Du hattest aber gute Gesellschaft!" — bemerkte Van Spranekhuyzen. — „Tinman und seine Frau, die Du später in Batavia wiedergesehen hast, und dann hast Du mir auch hübsche Geschichten von französischen und englischen Passagieren erzählt!" — „Mevrouw Tinman Todding war gewiß sehr unterhaltend auf der Reise!" — ertönte auf einmal Brandelaars Baßstimme, während er absichtlich auf Van Spranekhuyzen sah. — „Mevrouw Tinman Todding" — antwortete dor8 (Fackeln) — diese ganze Menge strömte unaufhörlich auf dem großen Wege vorüber, während unsere Drei, durch die Sttauchgewächse und Bäume der Besitzung verborgen, sich über die lebendige Bewegung da draußen amüsirten. — „Ist heute Abend etwas Besonderes los?" — frug Van der Beet. — „Empfang bei dem General-Gouverneur! Wir müssen mal ein bischen zusehen! Es wird eine hübsche Menge Menschen auf Rijswijk versammelt sein!" Brandelaar sagte diese Worte sehr laut und sah sich um, wo die Anderen blieben. Als er aber bemerkte, daß der Wirth, Spoon und Van Spranekhuyzen an der anderen Seite der Vorgalerie in ein flüsterndes Gespräch verwickelt waren, so beschränkte er sich nur darauf, seine Augen zu schließen und eine neue Cigarre anzustecken. -^ „Nein, nicht zusehen auf Rijswijk! Iraäa doleli!" (Das darf nicht sein!) - rief Karolinchen aus. Die große Intrigue. 4 ^a — „Warum nicht?" — frug Brandelaar gleich-giltig. — «i'iuFai äi sinik! (Hier bleiben!) I'oenan Spoon 8o«äa^ dawa dan^jak dottsi (brachte viele Flaschen) für heute Abend! I'osnan Van der Heck geht morgen weg, sagt Mac-Killoch, und wir trinken erst noch »awe Glas auf siaiuat Haian (glückliche Reise)!" — „Sehr gut!" — rief Van der Beet, der seine Höflichkeit an den Tag legen wollte, — „wir sind hier so angenehm zusammen, daß auch ich lieber bleibe, als weggehe! Überdieß, was haben wir davon, alle die Equipagen mit großen Herren und Damen vorbeifahren zu sehen. Ich sitze hier ganz gemüthlich — ich sehe hier die prächtigen Bäume von Mac-Killochs Garten — über unseren Köpfen funkeln tausend Sterne — die Nachtluft weht uns von Zeit zu Zeit erfrischende Kü> lung zu; wo könnten wir besser sein?" Der geistreiche Ingenieur Van der Beet hatte zuweilen Romane aus der Leihbibliothek gelesen — er dachte deshalb in seiner höfischen Erregtheit, nicht wenig animirt durch Spoons feinen Wein, daß er seiner idealen Stimmung etwas Spielraum gewähren könne, um so mehr, weil er sich bei Karolinchen damit angenehm zu machen suchte. Aber diese hatte wieder einen plötz- 1 60 Du große Intrigue. lichen Gähnanfall und — summte leise eine Tanzweise. Brandelaar schloß die Augen und wiegte sich langsam auf und nieder. — „Sehen Sie," — fuhr Van der Beek zu der Nonna gewendet fort, — „wie ausgezeichnet schön diese einfachen Palmenbäume sind, die sich so kerzengerade am dunkeln Nachthimmel abzeichnen, wenn ihre Spitzen von dem aufgehenden Monde in Silber getaucht erscheinen..." — „Sind die Klapperbäume in Hollanv nicht so schön?" — „Die Klapperbäume in Holland?" — „Hm, hm!" Van der Beek sah die Nonna mit höchstem Erstaunen an. Dann brach Brandelaar, welcher dem Gespräche zugehört hatte, in eine laute Lachsalve aus, und Karolinchen lachte mit, weil sie lachen hörte und die Sprache des aufgeregten Ingenieurs durchaus nicht verstand. An der anderen Seite der Vorgalerie wurden viel wichtigere Dinge verhandelt. Van Spranekhuyzen faß neben seinen Freunden Mac-Killoch und Spoon, und sprach lange, sehr lange über einen Gegenstand, welcher ihn außerordentlich zu interessiren schien. — „Die Frage ist nur, ob ihr mir vertraut und helfen wollt!" — sagte er mit einem gewissen Hoch- Die große Intrigue. 1 g z much, der aber die beiden anderen Herren durchaus nicht einzuschüchtern schien. — „Vertrauen ist nicht das rechte Wort, das weißt Du wohl," — fiel ihm Spoon ins Wort. — „Wir können aber ohne solide Bürgschaft die Summe nicht geben'." — „Ihr habt erstens die Erbschaft meines Onkels, aber Ihr müßt freilich noch warten. Ich habe mit der ersten Mail geschrieben, die nach Van der Beeks Bericht abging, und erwarte so schnell als möglich Antwort!" Van Spranekhuyzen biß sich auf die Lippen. Er hatte geglaubt, daß man sein Anliegen schneller bewilligen werde und war erbittert, daß er seine beiden Freunde nicht schnell genug für sein Verlangen stimmen konnte. Aber Spoon und Mac«Killoch waren sehr vorsichtig und zögerten noch immer. — „Was willst Du eigentlich mit dem Gelde an« fangen?" — frug Mac-Killoch. — „Hört einmal!" — antwortete der Junker, — „ich will es Euch wohl sagen, aber im Vertrauen, in großem Vertrauen natürlich. Ich habe Schulden in Batavia; aber gleichwohl muß ich hier fort. Ich muß meine Frau sehen und sprechen. Deshalb muß ich eine theure Reise nach Buitenzorg unternehmen. Wenn ick Indisch« Viblislhel, V. l 1 1 HZ Dic grohc InNiguc. morgen auf vier Wochen Urlaub vom Sekretariat be-tomme, muß ich sogleich abreisen. Die Sachen stehen nun sehr günstig für mich. Ich habe in Buitenzorg gute Verbündete. Lucy begreift, daß unsere Stellung unhaltbar ist, und daß äs part et ä'aittre etwas zugegeben werden muß. Ich habe ihr die Nachricht von meiner Erbschaft geschickt. . . ." — „Hast Du Antwort von ihr?" — frug Spoon schnell. Van Spranekhuyzen zog ein kleines Portefeuille hervor, suchte einige Augenblicke in demselben und nahm ein zierlich gefaltetes Briefchen heraus. — „Seht hier!" — sagte er mit der unverschämtesten Gelassenheit. — „Ich will Euch einige Zeilen daraus vorlesen! — „Gestern bekam ich »awe »aerat leinen Brief) von Fräulein Serpensteyn — sie schreibt, daß sie mich sprechen will. Ich will nicht nach Tji« Koening, Du weißt wohl. Vrenkaii (vielleicht) kommt sie her. Dann werde ich hören, was sie sagt!" .... Run hier noch eine andere Stelle: — „Komme nur zu Vetter Woodland .... Du hast nun dan^k Geld, ja? Wenn Du dswsi thust, was Du sagst — dann wird Papa wohl gut finden, ja? Wenn Papa nicht gut findet, laß nur! Ich gehe doch. . ." Van Spranekhuyzen hielt hier inne, und sah seine Die große Intrigue. >>ßz Freunde bedeutungsvoll an. Spoon und Mac-Killoch schwiegen — die Vorlesung hatte ziemlichen Eindruck auf sie gemacht . . . und der Brief war echt. — „Die Herren begreifen nun meine Lage!" — fuhr der Junker fort. — „Meine Frau will Versöhnung. Mein Schwiegervater theilt auch ihre Gefühle, denn man hat ihn zu der Überzeugung gebracht, daß gegen uns Beide intriguirt wurde. Ich glaube, daß er Unannehmlichkeiten mit seinem Kontroleur Outshoorn bekommen wird. . . ." — „Warum?" — frug Spoon. — „Man hat mich davon benachrichtigt. Der alte Nabob war so sehr für ihn eingenommen, daß nur die größte Gewandtheit ihn von seinem Vorurtheile heilen konnte. Aber ich hatte einen ausgezeichneten eKai-Fs-liaikairss ..." — „So!" — sagte Spoon. — „Ihr dürft es wohl wissen! Wenn Ihr mir jetzt aus meiner Noth helft und dazu beitragt, mich zu einem reichen Manne zu machen, so will ich Euch auch nichts verbergen. Mein ek^ö-ä'aFaii-68 ist Mevrouw Tinman Todding!" — »M688 my 8uu1!« — rief Mac-Killoch aus. — „Ein pinter (kluges) Weib!" — sagte Spoon. — „Nun schreibt sie mir ... laßt mal sehen . . ." 164 Die große Intrigue. Van Spranekhuyzen suchte wieder in seinem eleganten Portefeuille, und nahm einen anderen Brief heraus. — „Sie schreibt mir i — „Nur einige Worte, um Ihnen mitzutheilen, daß wir schon anderthalb Tage auf Tji-Koening sind, und ich schon Gelegenheit gefunden habe, etwas für die fragliche Sache zu thun..." — Etwas weiter sagt sie: — „Heute Morgen bei einer Tour ins Gebirge habe ich den gutherzigen Sinjo tüchtig bearbeitet. Er fängt an, nachzudenken. Herr Woodland scheint mir sehr gegen die Outshoorns eingenommen zu sein ..." Nnün, auf den Rest kommt es nicht an!" Wieder sahen die drei Freunde einander an — die Vorlesung hatte wieder einen gewissen Eindruck auf sie gemacht — und wieder war der Brief echt. — „Daraus folgt," — fuhr Van Spranekhuyzen fort, — „daß ich den alten Herrn bald in meiner Macht haben werde. Das ist schon jetzt finanziell ein großer Vortheil, — und später, denn der Mann ist nicht unsterblich, wird schon mehr folgen. Ihr seht, daß ich auch ohne mein plötzliches Glück durch das Ableben meines Vetters, noch solide Bürgschaft bieten kann. Aber jetzt brauche ich nicht darauf zu warten — vielleicht in einigen Monaten ..." bit große Intrigue. 1 ßg — ,Hast Du noch eine andere Nachricht, als den mündlichen Bericht Van der Beets?" — frug Spoon. — „Sicher. Kurz darauf erhielt ich ein officielles Schreiben von dem Notar unserer Familie. Der Baron war Wittwer ... Ihr könnt selbst lesen!" Nochmals blätterte der Junker in seinem eleganten Portefeuille, und dießmal überreichte er seinen Freunden den Brief, ohne ihn selbst vorzulesen. Es war ein kurzes Schreiben eines Notars aus der Residenz, welcher das Ableben des Barons Van Spranekhuyzen meldete und sich die Vollmacht zur Testamentsvollziehung ausbat, da der Baron keinen Stammhalter nachgelassen habe. Das Lesen dieses Briefes machte den tiefsten Eindruck auf Mac-Killoch und Spoon — man nickte einander bedeutungsvoll zu ... aber der Brief war falsch! Schweigend legte ihn Van Spranekhuyzen wieder in seine Brieftasche. Nach einigen Augenblicken sprach endlich Mac-Killoch mit fester Entschlossenheit: — „Weißt Du was, Spranethuyzen! Ich glaube, daß es nicht freundschaftlich wäre, wenn die Mitglieder des Klubs: 1^68 6nlaiit,8 8»«8 pour 6t 8an8 rvproe^e sich nicht wie alte, gute Freunde beistänben!" Mac-Killoch hätte diese Bemerkung schon früher 1 gß Dic große Intrigue. machen können, aber er hielt es für angemessener, sie erst jetzt zu Tage zu fördern. — „Wenn Spoon nichts dagegen hat, wollen wir Dir die viertausend Gulden leihen ..." — „Gegen acht und ein halb Prozent für die Zeit von einem Jahre!" — fügte Spoon hinzu. — „Nach Abzug von verschiedenen kleinen Summen, früher von uns geliehen!" — schloß Mac-Killoch. Van Spranekhuyzen beugte mit müdem Lächeln den Kopf. Einige Minuten später verschwanden die Herren zu großer Verwunderung Karolinens und Van der Beeks in die inneren Zimmer von Mac-Killochs Wohnung. Als sie nach einer langen Weile zurückkamen, hatte Van Spranekhuyzen in seinem hübschen Portefeuille außer zwei echten Briefen und einem falschen Schriftstück eine Menge Banknoten im Werthe von 3640 Gulden. Das Resultat seiner Bettachtungen war folgendermaßen : Ich werde das Geld zurückgeben, wenn der alte Bokkerman mich erst ausgezahlt haben wird. Er wird mich auszahlen, denn wir können ihn nun schließlich noch mehr bestürmen. Ich bin jetzt ein reicher Mann und kann mich noch einige Zeit halten, wenn er vielleicht noch zweifelt. Die große Intrigue. ^7 Mißglückt Alles, so müssen leg enfant» sans peur st 82,N3 reproone meine Niederlage theuer genug bezahlen ! VI. Vorm oe« Herrn Müiam Voodland, Hops an eine Menge wichtiger Äinge zu denken Hal, und Nlevrouw Van SpranekyuMn, geßarene Bok- kerman, einen seltenen Beweis ihrer FreimülhigKeil giebl. Herr William Woodland wiegt sich leise in seinem Schaukelstuhle auf und nieder. Er bläst mit großer Befriedigung die blauen Rauchwolken seiner Manilla in die Luft, und hört aufmerksam auf die Erzählung einer zu seinen Füßen sitzenden Person. Er ist mit der sprechenden Person ganz allein in der Vorgalerie der Villa Goenoeng-Agong. Es ist ungefähr halb ein Uhr Mittags. Wood land hat schon mehrere Male auf seine Uhr gesehen, um sich davon zu überzeugen. Im Vorbeigehen sei hier bemerkt, daß der Herr William Woodland nach der Stunde des wncn schmachtete, da er eine Inspektionsreise in's Gebirge gemacbt hatte, und nun ziemlich müde und hungrig zurückkam. 168 Die großc Intrigue. Unglücklicherweise bestanden aber gerade heute wichtige Gründe, welche ihn verhinderten, die Stunde des wnck zu verfrühen. Er erwartete einen Gast. Darum vertrieb er sich jetzt die Zeit durch Anhörung des Berichtes der vor ihm sitzenden Person. Niemand war in der Vorgalerie oder in der Nähe, der sie belauschen könnte, und doch flüstert der Sprechende immer leiser. Das Gespräch wurde malayisch geführt. Woodland antwortete zuweilen mit einem einzigen Worte, und sah dem Sprechenden forschend ins Gesicht. Es war ein sundanesischer Edelmann, wie sein Kostüm und eine gewisse Freimüthigkeit bewies, welche öfters durch alle seine Unterthänigkeitsbeweise hindurchschimmerte. Das Gesicht des Sundanesen war gar nicht bedeutend. Es war ein Mann in den mittleren Jahren, und seine schwarzen Augen waren immer auf den Terrassenfußboden von rothen, glattpolirten, viereckigen Ziegelsteinen gerichtet. Er saß niedergekauert, aber doch durchaus nicht in gezwungener Ehrfurcht, auf dem Rande einer steinernen Treppe, welche nach der Terrasse der Vorgalerie führte. Das karrirte Kopftuch war sorgfältig und zierlich um seine Schläfe gewunden. Vor ihm lag der kugelrunde, schildförmige Sonnenhut mit vergoldeten Streifen. Sein Kittel mit kurzem, aufwärts stehendem Die große Inttiguc. ^ Hg Kragen war von schwarzer Seide, die Knöpfe desselben mit kostbaren Steinen verziert. Der roth- und grün-tarrirte Sarong war an der einen Seite aufgerafft und ließ eine weite Hose von hellblauer Seide bemerken. Sein Name war Rahden Moeriah Kesoemah — er war Demang über den Distrikt Tji-Koening, und von Woodland eingeladen, nach Goenoeng-Agong zu kommen. Rahden Moeriah Kesoemah schien den Zweck dieser Unterredung zu wissen. Er hatte wenigstens den langen Ritt nach Woodlands Villa gern unternommen, obgleich er durchaus nicht zu dessen Beamten gehörte, sondern als Distriktsoberhaupt von Tji-Koening unter den unmittelbaren Befehlen Outshoorns stand. — „Erzählt mir noch mehr von den Handlungen Eures Kontroleurs, Demang!" — sagte Woodland auf Malayisch. — „Ja, Herr! Er ist sehr gegen mich eingenommen. All unsere frühere aäat (Gewohnheit, hat er gebrochen. Er spricht mit dem orauF-kevjii sgemeinem Manne) und hetzt ihn gegen mich auf!" — „Spricht er Böses von dem lok^an-desa^r (Landesherr^?" — „Heißt das nicht Böses sprechen, Herr, wenn der toevvan-kontroieur unseren oranF-ksh'ii gegen die Obrigkeiten aufhetzt?" ^7Y Die große Intrigue. — „Wißt Ihr nichts Bestimmtes anzugeben, De» mang?" Rahden Moeriah Kesoemah schlug seine schwarzen Augen flüchtig auf, und warf einen schnellen Blick auf Woodland. Kein Zug seines Gesichtes bewegte sich, selbst die breiten Nasenflügel, selbst die vorstehenden, braunrothen Lippen blieben starr und unbeweglich. Das Distriktsoberhaupt senkte langsam den Kopf als Zeichen seiner Unkenntniß, und sah dann wieder eben so steif auf den rothen Estrich der Vorgalerie. Woodland schien aber gar nicht enttäuscht zu sein, und sagte gelassen i — „Denkt einmal gut darüber nach, Demang'. Es ist uns Allen um das Wohlergehen des ^oev^an-dssaai zu thun. Wenn Ihr etwas Sicheres zu sagen hättet, dann könnten wir den Herrn bewegen, daß er den thörichten und ungeschickten Diener wegsende!" Rahden Moeriah Kesoemah bewegte zuckend die Lippen, dann sagte er unter immer leiserem Flüstern: — „In dem Kampong Menassan, nördlich von unserer Hauptstadt, besitze ich viele Blutsverwandte. Dort war mein Auge auf die einzige Tochter des alten Asban gefallen, dessen verstorbene Frau meine Nichte war. Ich sprach deshalb mit dem Greise — aber da gab es große Schwierigkeiten. Das junge Mädchen hatte einen Die große Intrigue. ,7^ armen Dörfling gewählt ... und verschmähte meine Liebe. Ich beschwöre Euch, Herr, daß ich um ihretwillen mich von meiner geliebtesten Frau getrennt hätte — ich sprach täglich mit ihr und ihrem Vater über mein Leid und meine Beeinträchtigung ... als mir plötzlich der tos^an-kontrolsui- von Tji-Koening in den Weg kam ..." Tmg-tang. ting-tang klingelte es plötzlich in ihrer Nähe. Es waren Gamelanspieler zur Seite der Villa vor den Nebengebäuden aufgestellt, mit dem Auftrage, bei Herannäherung von Wagen oder Reisenden ihren Willkommsgruß so laut als möglich ertönen zu lassen. Woodland sah eilig umher. Nichts zeigte sich im Augenblick auf dem breiten Rasenplätze vor der Villa. Darum horchte er wieder mit sichtlichem Interesse nach der Erzählung von Rahden Moeriah Kesoemah. Dieser sprach noch eine Zeitlang weiter, und dießmal in größerer Aufregung als vorher. — „Es ist gut, Demang'." — fiel ihm Woodland plötzlich ins Wort. — „Ich habe Euch verstanden. Herr Outshoorn sorgte für sich selbst, als er Euch bei dem alten Asban in den Weg trat. Dieß Letzte vervollständigt seine bösen Thaten. Ich habe jetzt gute Beweise . . . Haltet Euch bereit, um in dieser Sache vor dem i'oywaQ-d^aar Zeugniß abzulegen!" 4 72 Die große Intrigue. — „Es ist gut, Herr!" — „Wollt Ihr schon wieder fort?" Rahden Moeriah Kesoemah verließ seine gebückte Haltung und griff nach seinem Sonnenhute. — „Ich muß nach Tji-Koening zurück, Herr!" — antwortete er. — „Das Auge des Tages ist hoch gestiegen, und ich möchte nicht, daß meine Abwesenheit bemerkt würde!" Wood land erhob sich schnell. Der Demang verbeugte sich mit über der Brust gekreuzten Armen. Dann erfaßte er mit all den Beweisen der Ehrfurcht und Achtung, mit all der Höflichkeit, welche seiner Nation eigenthümlich ist, die ihm zugereichte Hand des bengalischen Farbigen. Beide stiegen jetzt die Terassentreppe herab. Sogleich erhoben sich zwei Männer, welche sich zur Seite der Treppe in den Schatten zurückgezogen hatten; Einer hielt das Pferd des Distriktsoberhauptes am Zügel. Woodland war in sehr fröhlicher Stimmung, und machte dem Demang einige schmeichelhafte Bemerkungen über seinen schönen Schimmel, ein koeäsk al«68 swerthvolles Reitpferd), wie Keiner der inländischen Oberhäupter auf den Gütern des Herrn Bok-kerman befaß. Rahden Moeriah Kesoemah verbeugte sich sehr aufgeregt, und bestieg das mit einem rothen Sattel und gelben Quasten buntgeschmückte Pferd. Die große Intrigue. ^g In diesem Augenblick erhob sich wieder ein lautes Getöse von Gamelanattorden. Am Ende der großen Rasenfläche vor der Villa zeigte sich ein mit vier Pferden bespannter Reisewagen, der sich im mäßigen Trabe nach der Terrasse fortbewegte. Schnell warf Woodland dem Distriktsoberhaupte noch einen letzten Gruß zu, und ging mit gemessener Würde bis an die Treppe zurück. Rahden Moeriah Kesoemah gab seinem Begleiter einen Wink; auch dieser stieg zu Pferde, und Beide sprengten in größter Eile vorwärts. Mr. William Woodland erstieg langsam die halbe Treppe, blieb dann stehen und sah sich nach dem heranrollenden Wagen um. Eben hielt derselbe an. Die Gamelanspieler thaten ihr Bestes — verschiedene Bediente Woodlands eilten aus den Seitengebäuden herbei, um dem Reisenden beim Aussteigen behilflich zu sein. Darauf lief auch der Herr des Hauses, in sichtlich verlegener Haltung, wieder ein paar Schritte von der Treppe herab, als auch schon der Herr aus dem Wagen mit größter Eile auf ihn zueilte und unter verbindlichen Verbeugungen sehr freundlich frug: — „Habe ich die Ehre, den Herrn Woodland zu sehen?" — „Ja, Herr Van Spranekhuyzen." Die beiden Herren reichten einander darauf freund- ^74 Die großc Intrigue. schaftlich die Hand mid erstiegen schweigend die Terrasse. Woodland rief Bediente herbei, welche für die Koffer seines Gastes, für die Pferde und für den Wagen sorgen mußten. So verstrichen einige Augenblicke, in welchen beide Herren einander nichts Besonderes zu sagen wußten; ein Zeitraum, in welchem Woodlands Verlegenheit immer mehr zunahm. Van Spranekhuyzen setzte sich auf eine unbestimmte Geste Woodlands in einen Schaukelstuhl nieder, sobald sein Wirth selbst Platz genommen hatte, und wartete, bis die Bedienten hinausgingen, um eine geregelte Unterhaltung zu beginnen. Doch kaum hatten sich die Letzteren entfernt, als Woodland, dessen Bestürzung zuzunehmen schien, laut ausrief: — ,M! käs« roko! Dringt Cigarren!)" Van Spranekhuyzen fühlte sich, wie immer, sehr comfortable. Er wußte, daß Woodland bei jeder neuen Bekanntschaft ziemlich scheu war — seine Corresponds mit Tji-Koening und Lucy hatte ihn vollkommen mit allen Verhältnissen bekannt gemacht. Er begriff, daß er sein Möglichstes thun müsse, um sich angenehm zu machen, und wartete deshalb, bis Mr. Woodland sich auch erst comfortable fühlen würde. Indessen nahm er von einem riesigen, sundanesischen Bedienten in einem langen, blauen Kabaai eine Cigarre, während ihm ein Die große Intrigue. ^ ^ « kleiner Junge im weißen Kittel mit rothen Aufschlägen das taii-api anbot. Van Spranethuyzen bemerkte sogleich, daß sein Wirth die wenigen holländischen Worte, welche er sprach, sehr sonderbar accentuirte, — er beschloß also, englisch zu sprechen, und sagte in dieser Sprache wieder so freundlich, als möglich: — „Ich muß zuerst um Entschuldigung bitten, Mr. Woodland, daß ich so spät komme. Ich verließ Bata-via vor vier Uhr. Aber wir halten einigen Aufenthalt in dem pasauFrakan zu Bekassi, da keine Pferde da waren, obgleich ich sie im Voraus bestellt hatte. Glücklicherweise arrangirte sich das bald nachher!" Woodland lächelte so freundlich, als es sein steifes, mageres Gesicht nur immer zuließ — zog seinen steinharten Hemdkrageu über seine Ohren, und seine breiten Manschetten über die Knöchel seiner Hand. Er fühlte sich nun ziemlich comfortable, weil er englisch sprechen tonnte, und antwortete gemessen: — „Es ist zuweilen viel Irrthum mit den Post» Pferden, Mr. Van Spranethuyzen! Die Schuld des Regenten vielleicht! Aber sind Sie nicht ermüdet von der Reise? Was darf ich Ihnen anbieten?" — „Sehr obltgirt. Mr. Woodland! Das Einzige, um was ich Sie bitten möchte, ist, mir Gelegenheit zu ,j 76 Die große Intrigue. geben, mich etwas comfortable zu machen und meinen bestaubten Reiserock ablegen zu können, ehe ich den Damen vorgestellt werde!" Sogleich stand Mr. Woodland auf. Es war ihm angenehm, dem Gaste seinen Weg nach dem für ihn bestimmten Zimmer zu zeigen. Endlich näherte sich doch der Augenblick, in welchem der lunck beginnen konnte. Beide Herren gingen nun sehr gemessen um die Vorgalerie der Villa, bis an das Ende der Terrasse links, stiegen dann eine Treppe hinunter, und wendeten sich nach den Nebengebäuden, in denen einzelne Gemächer für Logiergäste bestimmt waren. Woodland ging Van Spranekhuyzen voran, und führte ihn in ein luftiges Zimmer, wo Alles hergerichtet war, um dem neuen Gaste von Goenoeng-Agong einen möglichst angenehmen und anständigen Empfang zu bereiten. Als Van Spranekhuyzen allein war. ging er schnell an die Arbeit, um mit Hilfe seiner Koffer und Schachteln eine ganz neue und gewählte Toilette zu machen. Er sollte Lucy wiedersehen! Sie sollte die häßlichen Narben nicht bemerken, welche die Brandwunden auf Gesicht und Händen zurückgelassen. Sie hatte ein sehr engherziges Urtheil und faßte schnell nach dem ersten Eindruck günstige oder ungünstige Meinungen; er mußte Alles thun, um aufs Neue einen angenehmen Eindruck Die große Intrigue. ^77 auf sie hervorzubringen. Wer bei ihm in seinem Zimmer gewesen wäre, der hätte sicher die erfinderische Sorgfalt bewundert, mit welcher er Bart und Haar glattstrich, um die unwillkommnen Narben so wenig als möglich augenfällig zu machen. Mißmuthig bettachtete er darauf seine Hände — er konnte doch nicht mit weiß< seidenen Handschuhen an der Tafel erscheinen — wenn er sich auch bis jetzt in Gegenwart Woodlands mit Handschuhen präsentirt hatte. Auf jeden Fall war er besorgt, daß seine Kleidung so nett und elegant als möglich war. Er wählte einen Paletot von schwarzem Orleans, den die Gebrüder Ogier besonders für diese Reise verfertigt hatten, und übertraf sich selbst, seine gewohnte Eleganz in feinstem Leinenzeug und zierlich geknüpften Kravatten so viel als möglich an den Tag zu legen. Als er sich darauf im Spiegel betrachtete, fand er, daß er ziemlich gut aussah, und pfiff eine Lieblingsmelodie leise vor sich hin. Er wollte einen großen Wurf thun, um an's Ziel zu kommen; er wollte das einstens muthwillig verscherzte Glück aufs Neue gewinnen, und er hatte doch so viel verdorben und verloren durch seinen unverzeihlichen Leichtsinn — er mußte deshalb die Zuneigung seiner Frau aufs Neue gewinnen — er mußte ihr zum dritten Mal den Hof machen! Indische Vibliothtl, V. 12 4 78 Die große Intrigue. Gewann er sie, und war er ihrer Zuneigung sicher, — dann sollte, bann mußte Bokkerman folgen, oder, was in seinen Augen dasselbe war, dann sollte sein Anspruch auf das Vermögen seines Schwiegervaters ihm wiederum einen unbegrenzten Credit in der indischen Gesellschaft verschaffen. Das Gerücht von seiner Erbschaft hatte bis jetzt noch sehr wenig dazu beigetragen — man hatte sich darauf beschränkt, ihm gleichgiltig lächelnd Glück zu wünschen. Aber mit Lucy vereint, von seinem Schwiegervater wenigstens theilweise unter-stützt, war er gewiß bald im Stande als reicher Erbe aufzutreten. Je mehr Herr Bokkerman zu günstigen Gedanken über seinen bußfertigen Schwiegersohn gestimmt wurde, desto besser und fester wurde seine Stellung in Batavia. Und er hatte seine Minen vortrefflich angelegt .... Fräulein Serpensteyn hatte ausgezeichnet gewirkt, sie mußte er fortwährend sehr in Ehren halten, denn er würde ihre Hilfe und ihre Unterstützung in Batavia immer nöthig haben .... Aber Jane .... Mevrouw Tinman Todding hatte ihm einige Tage zuvor einen sehr sonderbaren, aufgeregten Brief geschrieben, in welchem sie durchschimmern ließ, daß sie sein Verhältniß zu der Gouvernante nicht ganz verstände .... da mußte etwas geschehen — und er hielt sich für einen zu gewandten lioninie 5 i-esZonross, Die große Intrigue. ^g um nicht bei Zeiten etwas Entscheidendes und Passendes herauszufinden....... — »ölakan toe^an, (Essen. Herr)!" So erklang jetzt die Stimme des kleinen Jungen im weißen Kittel und rochen Aufschlägen. Spranekhuyzen nickte dem Knaben zu, der am Eingänge seines Zimmers stehen geblieben war, goß ein Flacon mit Resedaodeur über sein feines Taschentuch, und beeilte sich ihm zu folgen. Erst ging man wieder über die kleine Galerie der Seitengebäude, wandte sich dann links um die Villa, erstieg die Terrassentreppe, und trat lints in die Pen-doppo, wo Mr. Woodland in eigner Person seinen Gast empfing. Die Pendoppo war außergewöhnlich geräumig und luftig. Da die Villa Goenoeng-Agong viele tausend Fuß über der Oberfläche des Meeres lag, da also auch eine viel frischere und reinere Atmosphäre herrschte, als in Batavia, so konnte die weite Galerie von allen Seiten geschlossen und in einen geräumigen Saal umgeschaffen werden. In der Mitte dieses Saales stand eine für den Innoli zubereitete Tafel, und neben der Tafel befand sich eine Dame, die mit dem Rücken nach Van Spranethuyzen zugewendet stand. Mr. Woodland murmelte einige englische Höflich« teitsformeln, und trat mit seinem Gast auf die Dame zu. Diese wandte sich beim Geräusch nahender Tritte 12» 18ft Die große Intrigue. um, gerade als Woodland unter feierlicher Verbeugung sagtei — „Vlrs. Woodland — Mr. VanSpranekhuyzen." Wiederholte Verbeugung. Spranekhuyzen hatte einen Augenblick Zeit zu beobachten, daß Mrs. Woodland ein sehr reizendes, hübsches, junges Frauchen war, das beim Lachen ganz bezaubernd wurde. Ihre Gesichtsfarbe war ein wenig gelb, denn sie war eine englische Farbige von Probolingo, wo Woodland als Administrator einer Zuckerfabrik ihre Bekanntschaft gemacht hatte, noch ehe er die Stellung bei seinem Vetter Bok-lerman bekleidete. Aber diese gelbe Farbe schadete durchaus nicht dem hübschen Aussehen Mevrouw Woodlands, denn sie stand in Übereinstimmung mit ihrem schönen, dunkelbraunen Haare und ihren lebendigen dunkelbraunen Augen, und bildete mit denselben ein sehr angenehmes Ensemble. Die junge Frau trug einen sehr langen Kabaai von außerordentlich feinem Batist, sodaß man kaum den Rand eines schönen, rothgeblümten Sarong bemerken tonnte. Das Gespräch wurde sogleich englisch geführt. Mrs. Wood land, munter und fröhlich: — „Wir empfangen Sie ohne Ceremoniell, Mr. Van Spranel-huyzen ; denn wir bettachten Sie als einen alten Freund — als den Mann unserer Freundin Lucy'." Dil große Intrigue, ^z^ Spranethuyzen, aufgeregt: — „Ich kann Ihnen nicht herzlich genug für diese Freundlichkeit danlen, Mevrouw! Um so mehr, weil Sie mich persönlich gar nicht kannten. Woodland, trocken: — „Können wir anfangen?" — Mrs. Woodland: — „Ja! — Lucy leidet heute früh an heftigem Kopfweh! Sie wird nicht erscheinen, um den lunek mit uns zu nehmen! Sie bittet die Herren um Entschuldigung — hofft aber am Mittag im Stande zu sein, unsern Gast zu begrüßen!" Van Spranekhuyzen lächelte sehr vergnügt — ob-schon sein Herz in ungestümer Angst klopfte. Was war das nun wieder für eine neue tinka (Laune) ? Sie hatte ihm doch geschrieben, daß er kommen sollte! Fräulein Serpensteyn hatte sie von Allem, selbst von der Veränderung in seinem Äußeren unterrichtet! War etwas dazwischen gekommen? Aber er hatte gar keine Zeit, sich diese Fragen vorzulegen, da verschiedene Bediente ihm nach einander Reis mit allerlei möglichen Zuspeisen anboten. Mrs. Woodland frug indessen nach seiner Reise von Batavia, nach Neuigkeiten aus der Hauptstadt, nach allerlei Dingen, welche ihrem Gaste sehr wenig Interesse einflößten; aber er befleißigte sich doch, so freundlich als möglich Bescheid darauf zu geben. Woodland aß mit besonderem Appetite. Er hatte q gZ Die große Intrigue, einen langen Ritt gemacht und schon geraume Zeit nach der Eßstunde verlangt. Das Geplapper seiner Frau war ihm gleichgiltig, wenn man ihn nur sein Frühstück in Ruhe genießen ließ. Spranekhuyzen begriff diesen Zustand sehr bald, und bemühte sich fortwährend, seine Wirthin so angenehm als möglich zu unterhalten. Mistreß Woodland schien sehr guter Laune zu sein, und that ebenfalls ihr Möglichstes, um ihrem Gaste freundlich und zuvorkommend zu begegnen. Sie hatte in der letzten Zeit sehr wenig Gäste auf Goenoeng-Agong gesehen — sie hatte sich, um die Sache beim rechten Namen zu nennen, nicht wenig gelangweilt, und fand es sehr angenehm, daß ein batavischer Herr von so distinguirtem Äußern an ihrer Tafel saß. Spranekhuyzen grübelte insgeheim nach der Ursache von Lucys Nichterscheinen am Früh-stückstische. Als Mistreß Woodland einen Augenblick schwieg, um ihren Reis zu essen, frug er mit ängstlich besorgter Stimme: — „Ich hoffe nicht, daß Mevrouw Van Spranek« huyzen oft an Kopfschmerzen leidet .... Sie ist doch immer wohl gewesen?" — „Sehr wohl!" — antwortete Mistreß Woodland — „aber da es heute so drückend heiß ist, fühlte Die gio je Intrigue. ^HI sie sich etwas unpäßlich. Es wird gegen den Nach mittag wohl besser werden!" Van Svranethuyzen machte wiederum eine Bewegung, als ob er ganz die Meinung der Hausfrau theile — aber seine Besorgniß verschwand darum doch nicht — er verstummte selbst für einige Minuten. Wood land saß am obern Ende der Tafel zwischen seinem Gast und seiner Frau, und da er gerade seine erste Eßlust befriedigt hatte, so faßte er sich ein Herz und nahm auch Theil an der Unterhaltung. — »Xa88i anFFosr aloe« (Bring feinen Wein'.)" lautete zuerst der den Bedienten ertheilte Befehl. Augenblicklich wurde dem Folge geleistet. Mit gemessener Umständlichkeit brachte nun Woodland einen Toast auf seinen Gast aus, um ihn auf Goenoeng-Agong zu bewillkommnen. Spranelhuyzen that sein Möglichstes, um sich selbst in Höflichkeiten und höchst« angenehmen Manieren zu übertreffen. Woodland wurde immer comfortabler und nahm regelmäßigen Antheil an der Unterhaltung, welche durch seine Gattin in so ausgezeichneter Weise geführt wurde. Während das Dessert servirt wurde, setzte man das GZsvräch folgendermaßen fort: Mistreß Woodland: — „Und wo bist Du heute Morgen hingeritten, Willy?" ^gz Die große Inttigut. Woodland, lächelnd: — «Ja. ich vergaß. Dir davon zu erzählen. Erlaubt Herr Van Spranekhuyzen?" Spranethuyzen, der das englische Cermoniell sehr umständlich findet, aber doch der Sprache mächtig ist, um ganz au lait zu sein, nickt mit sehr verbindlicher Kopfbewegung. Woodland: — „Erst mußte ich die Theekultur im Gebirge inspiciren, und dann ritt ich nach Poerbala, um mit dem Demang zu sprechen. Zu meinem Erstaunen fand ich dort den wewan desaar mit Herrn Andermans....." Spranekhuyzen, ihm schnell in die Rede fallend: — „War Herr Botkerman dort?" Woodland: — „Ja, ich war sehr verwundert, ihn zu finden. Aber sein Freund Andermans, der wegen seiner Gesundheit Bewegung nöthig zu haben scheint, erzählte uns, daß man jeden Morgen einen Ritt in's Gebirge unternähme!" Mistreß Woodland, eine Ananas vorlegend: — „Wer ist doch der Herr Andermans, Herr Van Spranekhuyzen? " Van Spranethuyzen, macht einen Versuch zum Scherz: — „Ein entsetzlich großer Herr, Mistreß Wood« land'. Es ist Schade, daß er Ihnen hier keinen Besuch gemacht hat, er hätte Sie gewiß mit seinem unaufhör- Die große Intrigue. < « « lichen Stillschweigen, seinem Gähnen und seinem dianä?-8«mll2,-aj6i-Triüten sehr amüsirt! " Woodland: — „Vetter Bolterman war steif, höflich und gar nicht gesprächig. Doch theilte er mir das Neueste von Tji«Koening mit!" Mistreß Woodland: — „Xasjan, daß Lucy nicht hier ist!" Spranethuyzen: — ..Erlauben Sie mir, Me-vrouw, ihr am Nachmittag diese Neuigkeiten mittheilen zu können!" Mistreß Woodland: —„Komm, Willy, erzähle nun schnell, was Du weißt!" Mr. Woodland leerte langsam sein Glas, und schenkte seinem Gaste eigenhändig ein. Darauf hatte er lange Zeit nöthig, um Kragen und Manschetten wieder in Ordnung zu bringen. Endlich begann er: — „Vetter Bokkerman war sehr übler Laune! Er hatte seit einigen Tagen an Meneer und Mevrouw Tinman Todding sehr angenehme Gäste gehabt . . . ." Spranekhuyzen beging hier die unverzeihliche Nachlässigkeit, sein Glas so ungeschickt aufzunehmen, daß er die Hälfte seines Weines über das Tischtuch schüttete. Wirth und Wirthin bekümmerten sich wenig darum und der Erstere fuhr fort: — „Aber die beiden Eheleute schienen sehr wenig /, gß Die großt Inttigut. zu Harmoniren. Wenigstens ist in der letzten Woche eine so heftige und wiederholte Mißstimmung zwischen Beiden entstanden, daß ihr Verbleiben auf Tji-Koening unmöglich wurde. Herr Tinman Todding kündigte also plötzlich an, daß er nach seiner Station Krawang zurückkehren wolle, und heute früh sind sie abgereist. So viel ich den Gesprächen Vetter Bokkermans und des Advokaten entnehmen konnte, that es Beiden sehr leid, daß Mevrouw Tinman Todding sie verlassen hat, da sie so amüsant erzählen konnte....." Mistreß Woodland, schnell in die Rede fallend: — „Hast Du sie nicht einmal in Boekit-Negara gesehen, Willy?" Woodland: — „Ganz recht! Es ist noch nicht lange her! Wir wollten erst Alle zusammen hmreiten, aber Du hattest später keine Lust dazu, und Lucy auch nicht. Ich bemerkte damals nur, daß sie sehr elegant war und sich mit unseren Freund Arthur Coole sehr amüsirte!" Mistreß Woodland: — „Xasian Mr. Coole'. Er ist erst so kurze Zeit hier, und wird immer geneckt!" Woodland: — „Die Pointe der Geschichte habe ich eigentlich nicht erfahren. Vetter Bokkerman nahm mich auf die Seite und fragte mich sehr umständlich nach der psrkar» mit dem Demang von Tji-Koening'." Die große Intngllt. < a^ Mistreß Woodland: — „War das der Mann. mit dem Du vor einer Stunde in der Vorgalerie sprachst?" Woodland: — „Ganz recht. Ich hatte ihm wissen lassen, daß er noch einmal zu mir kommen möchte, und er erwartete mich bei meiner Rückkehr. Unsre Sachen gehen voraus, Lizzy!" Mevrouw Woodland lachte sehr zufrieden. Beide Eheleute sahen einander fröhlich an, während Van Spranekhuyzen, um Fassung zu gewinnen, sich mit einer Schnitte Pompelmuse beschäftigte. Darauf folgte ein allgemeines Stillschweigen, welches der Wirth durch sehr verbindliches Einschenken auszufüllen suchte. Er trank dann auf Lucy's Wiederherstellung, ein Toast, welchem Van Spranethuyzen begeistert Bescheid that. Wieder folgten einige Augenblicke Schweigens und gezwungener Unterhaltung — bis endlich die Wirthin sich entfernte und lächelnd aus der Pendoppo verschwand. Woodland bot hierauf seinem Gaste eine Cigarre an, und als man das letzte Glas Wein getrunken hatte, schlug er vor. noch für einige Zeit in die Vorgalerie zu gehen. Spranekhuyzen folgte ihm sehr bereitwillig. Auf seinem Gesichte zeigte sich durchaus keine Verwunderung oder Neugierde. Und doch hatte er während 188 Die große Intrigue. Woodlands Erzählung sich Gewalt anthun müssen, um jeden Ausruf der Verwunderung zu unterdrücken. Warum hatte Jane so schnell das Terrain verlassen? Und doch fand er es auf der anderen Seite gar nicht unpassend, daß sie gerade jetzt abgereist war. War es aus Eifersucht? Sollte sie etwas ahnen im Bezug auf die Gouvernante? Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie ihm bald schreiben werde, und daß er sich wenigstens stellen müsse, als ob er sich weder mn ihren Mann, noch um sie selbst im Mindesten bekümmere. Als die beiden Herren sich in den Schautelstühlen der Vorgalerie niedergelassen hatten, war es der Wirth, der seine anfängliche Schüchternheit so viel als möglich ablegte und zuerst zu sprechen anfing: — „Kennen Sie auch diese Familie Tinman Tod-ding, Mr. Van Spranekhuyzen?" — „Der Name ist mir nicht unbekannt," — antwortete Van Spranekhuyzen — sie wohnten früher mit mir im Marinehotel zu Batavia!" — „Die Sache kam mir sehr sonderbar vor, Herr Van Spranekhuyzen! Mein Vetter sprach sehr geheimnißvoll darüber, und . . . ." Woodland zögerte einen Augenblick. Er war doch noch nicht ganz von seiner früheren Schüchternheit ge- Die große Intrigue. ^gg nesen. und wollte Van Spranethichzen erst ausforschen, denn er legte ein besonders großes Gewicht auf das Gelingen seines Planes. Er beschaute aber seinen Gast als seinen Bundesgenossen, weil er wohl wußte, welchen Haß dieser gegen die Outshoorns hegte. Nur zögerte er noch, ihm Alles mitzutheilen. Van Spra-nethuyzen vermuthete sogleich den Grund dieses Zögerns, und wagte einen Versuch, den bengalischen Farbigen zur Offenheit zu bewegen, — „Ich interessire mich natürlich für Alles, was auf Tji-Koening vorgeht, Mr. Woodland'." antwortete er schnell. — „Jemand, der mein persönlicher Feind ist, hat meinen Schwiegervater gegen mich eingenommen, nachdem es ihm schon geglückt war, sich an den mir zukommenden Platz einzudrängen." Woodland's schwarze Augen funkelten vor Freude. — „Das ist auch meine Meinung!" — rief er laut aus. — „Aber wir werden Alles anwenden, um Better Bokkerman auf andere Gedanken zu bringen. Und seien Sie überzeugt, wir haben gute Fortschritte gemacht!" — .Wirklich?" — „Ich fand heute früh den alten Herrn ganz anderer Meinung, als früher. Er war sehr unruhig und verstimmt. Ich hatte ihm schon früher einige 19ft Die gioßc Inttigue. Mittheilungen über seinen Günstling auf Tji«Koening — Ihren Feind, Herr Van Spranekhuyzen — gemacht, und nun brachte ich ihm die letzte Neuigkeit. Überdieß schien ihn die perkar«. mit seinen Gästen unangenehm zu berühren! Was für Menschen sind das doch?" Spranekhuyzen verzog sein Gesicht zu dem freundlichsten Lächeln. Er schob seinen Stuhl näher an seinen Wirth heran, und antwortete: — „Meneer und Mevrouw Tinman Todding sind Beide überspannte, sehr überspannte Menschen. Der Mann ist ein echter Altgast, der lange in Banka gewesen ist und sich dort durch ein Paar Leberleiden und eine Dyssenterie durchgeschlagen hat. Seine Frau ist die Tochter eines Tokobesitzers zu Samarang, der schon einige Male Bankerott gemacht hat, der Tokobesitzer nehmlich! Sie selbst ist eine unverbesserliche Schwätzerin, die einen achtlosen Mann sehr schnell fängt, und so hat Jane Slijkers Tinman Todding erobert'." Woodland lachte überlaut und überzeugte sich immer mehr, daß sein Gast nicht nur ein geeigneter Bundesgenosse, sondern auch ein sehr geistreicher Mann sei. — „L? lavs!" — rief er aus. — „Was führten die Leute doch in Tji«Koening aus?" — „Ich begreife es auch nicht!" — war Van Die große Intrigue. 494 Spranekhuyzens Antwort. — „Tinman Tobbing hat nach seiner Hochzeit eine Reise nach Europa gemacht, die aber nur sehr kurz währte. Als er zurückkam, wohnte er einige Zeit WBatavia, wie ich Ihnen schon mittheilte, und bort habe ich das Ehepaar etwas näher kennen lernen. Ich kann aber nicht behaupten, daß große Harmonie zwischen beiden Partheien bestand." — „Dieß scheint auf Tji-Koening auch der Fall gewesen zu sein! Vetter Bokkerman erzählte heute früh genug Pröbchen davon. In den ersten Tagen waren Meneer und Mevrouw Tinman Todding eine sehr angenehme Gesellschaft für ihn gewesen, dann war aber große Uneinigkeit zwischen den Eheleuten entstanden. Zumal Mevrouw schien ihre Abreise sehr beschleunigt zu haben, was von den Damen Bokkerman, welche nicht sehr eingenommen von ihr waren, sehr schnell acceptirt wurde....." Woodland mußte einen Augenblick innehalten, um einen Gähnanfall zu unterdrücken — er fühlte sich sehr ermüdet und verlangte, trotz der angenehmen Unterhaltung seines Gastes, nach Ruhe. Spranekhuyzen, der insgeheim große Sorge über die Vorfälle auf Tji-Koening hegte, — Vorfälle, welche auch sein Wirth nicht genauer erklären konnte, — Spranekhuyzen begriff, daß er für den Augenblick nichts Besseres thun ^ ^2 Die große Inttigut. konnte, als Warten und Zusehen. Da nun Mr. Woodland sehr nach seiner Siesta zu verlangen schien, wagte er doch nicht um weitere Mitheilungen zu drängen. — „Es scheint mir. Mr. Woodland" — siel er sehr gefaßt ein, während der Angeredete wiederholt seine Gähnlust zu bezwingen suchte — „daß wir einmal eine Reise nach Tji-Koening unternehmen müßten, um die Sache ordentlich zu untersuchen......Aber ich halte Sie nur mit meinem Schwatzen auf! Es wird Zeit, ein wenig zu ruhen." — „Richtig, das dachte ich auch, Mr. Van Spra< nekhuyzen! Sie kennen jetzt Ihr Zimmer....." Wieder gähnte der bengalische Farbige zu seiner eigenen, großen Beschämung, da er um keinen Preis für ungebildet gehalten sein wollte; aber die Natur ging dießmal über die Erziehung. Wirth und Gast wechselten noch einige Worte — man beschloß, sich noch am selben Abend alle möglichen Aufklärungen über die beiderseitigen Interessen zu geben, und schied endlich mit herzlichen Händedrücken und höchst erfreut über die gegenseitige Bekanntschaft. Als Van Spranekhuyzen seinen Wirth durch eine Glasthür in der innern Galerie verschwinden sah, verweilte er noch einen Augenblick, um seine Cigarre auszurauchen. Wohl fühlte auch er sich etwas ermüdet. Die gioßc Intliguc. 1 g^ aber die Neuigkeiten, welche er ebeu gehört hatte, beschäftigten seine Phantasie zu lebhaft, als daß er sogleich in sein Zimmer eilen konnte, um von seiner Ermüdung auszuruhen. Er setzte sich also noch einmal ruhig in seinen Lehnstuhl nieder, und iiberlegte....." Vor ihm dehnte sich eine weite Grasfläche aus, die von Akazien und Kapokbäumen begrenzt wurde. Gruppen von laulngen, tropischen Gebüschen begrenzten den Horizont, an dem sich ein Kampong im Grün versteckte. Mehr rechts konnte sein Blick weiter schweifen, weil dort wegen der allmähligen Bodensenkung ihm eine weitere Aussicht über die Landschaft verstattet war. Auf der Grasfläche selbst verweilte sein Auge auf zwei kleinen Gebäuden mit schrägen Dächern, deren Zweck und Bedeutung ihm fremd waren. Jetzt war er aber zn sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, als daß er sich über Alles Rechenschaft geben tonnte, was sich seinen Blicken zeigte. Er versuchte, die Augen zn schließen, und seinen Gedankengang zu regeln. Jane war von Tji-Koening abgereist. So lautete der Bericht seines Wirthes. Um seinetwillen hatte sie den Besuch auf Bokkermans Residenz ausgeführt, daran zweifelte er keineswegs, — warum war sie jetzt so schnell abgereist? Es war ohne Zweifel etwas vorge- Intisckc Vibliolbck. V. 13 194 Die großc Intrigue. fallen, was Jane zu der plötzlichen Abreise veranlaßt hatte — aber wie sehr er sich auch anstrengte, er grübelte vergebens nach einer richtigen Lösung. Ihr letztes Schreiben war kurz und etwas verwirrt. Sie erzählte ihm von ihrem Spatzierritt mit dem achtbaren Herrn Botkerman, ^ wie sie beständig in seiner Gunst stieg — wie sie sich schon ihrem Ziele nähere, da sie den Argwohn des alten Sinjo erregt habe. indem sie ihn alles Vorgefallene von einem einzigen Gesichtspunkte aus betrachten ließ, aus dem Gesichtspunkte der dünkelhaften Geringschätzung, mit welcher geborne Holländer auf Farbige niedersehen. Dann hatte sie ihn mit vielen Fragen über seine Freundschaft mit Ander-man's Gouvernante belästigt — hatte ihm sogar Vorwürfe gemacht und ihn mit allerhand feurigen Versicherungen von Liebe und Anhänglichkeit überschüttet. Sie hatte ihn raran erinnert, welche Opfer sie für ihn gebracht habe — wie sie Tinman Todding hasse, und wie ihr Herz für ewig mit dem seinen verbunden sei :c. lc. :c. . . . Sollte möglicherweise durch das Zusammentreffen beider Frauen — ein Umstand, den er wohl vorausgesehen, aber gegen welchen er sich gewaffnet hatte, indem er Beiden geheime Instructionen gab — sollte vielleicht darurch ein Unheil geschehen sein? Van Spra- Die große Intngut. ^^ nekhuyzen preßte die Lippen fest zusammen. Und leise flüsterte er bei sich selbst: — »lout vil mal! « Aber auf alle Fälle mußte er warten und durfte seine Unruhe nicht merken lassen. Bald würde ihm wohl Jane oder Alphonsine schreiben, und dann hoffte er, genauere Erklärungen zu erhalten..... Bei dem langsamen Öffnen der Glasthüre von der innern Galerie sieht er schnell auf, und plötzlich fliegt er von seinem Schaukelstuhle in die Höhe.... Seine Frau, Lucy, stand einige Schritte von ihm entfernt. Ihre Erscheinung war so plötzlich, so unerwartet, so unvorbereitet, daß er athemlos und wie im unsäglichsten Schrecken bewegungslos an seinem Platze blieb. Lucy ging langsam auf ihn zu, blieb gerade vor ihm stehen, und betrachtete ihn aufmerksam von Kopf bis zu den Füßen, ohne ein einziges Wort zu sagen. Sie war in vollständiger Morgentoilette. Der weiße Kabaai, der braune Sarong, die rothen Sammtpantoffeln, aber vor Allem das frei herabhängende, glänzende, üppige, schwarze Haar bewiesen hinlänglich, daß sie aus ihrem Zimmer weggelaufen sei, ohne sich im Geringsten um ihre Toilette zu bekümmern. Forschend richtete sie das funkelnde, schwarze Auge auf ihren 19ß Dic große Intrigue. Maun, aber keine Spur von Zorn sprach aus diesem Blicke. Man konnte selbst Theilnahme, innige Theilnahme in demselben lesen. Spranckhnyzen hatte sich schnell erholt. Erst schlug er bescheiden die Augen nieder, dann sah er Lucy demüthig, aber mit heimlicher Zuneigung an — wenigstens versuchte er, seinem Augen-aufschlage diesen Ausdruck zu geben. Und sonderbar, im Augenblick kam ihm das gar nicht so schwer vor. Er fand Lucy nicht mehr so auffällig korpulent und unangenehm mattgelb, als in der ersten Zeit seiner Ehe. Erstens brauchte Lucy jetzt keinen Vergleich mit Mathilde Van Hilbeek auszuhalten — und zweitens mußte er jetzt seine ganze frühere Unvorsichtigkeit wieder gut machen. Er sah mit sichtlicher Zuneigung in Lucy's rundes Gesicht, durch dessen gelbe Farbe jetzt die helle Rothe der Erregung schimmerte — er bewunderte im Stillen das seltsamschöne, glänzende Haar und ihre kleinen, dicken Hände — er wandte beinahe verlegen den Blick ab, als sie ihre funkelnden, schwarzen Augen noch immer neugierig auf ihm ruhen ließ. Mevrouw Van Spranekhuyzen verblieb geraume Zeit in diesem absichtlichen Schweigen. Endlich spielte der matte Anfang eines Lächelns um ihre Lippen. Die große Intiizuc. /> 97 Sogleich machte Ban Sprancthuyzen einen Schritt vorwärts und flüsterte: — „Bist Du noch böse. Lucy?" — „8da, Doktor!" — sagte Lucy — „Ihr versprecht eben, mehr von Tji-Koening zu erzählen!" Der Herr mit dem Purpurgesichte verbeugt sich sehr Die große Intrigue. V^I freundlich. Sein Name war Melchior Damme, sein Stand : Doktor unr Wundarzt von Gocnocng-Agong und Umgegend. Er war ein geschickter, ein sehr gelehrter Mann, aber ein Sonderling, der sich durch zu weit getriebene Misanthropic sehr scheu und verlegen in Gesellschaft benahm. Nur nach einer guten Mahlzeit und einem guten Glas Wein wurde Melchior Damme etwas gesprächiger. Er beeilte sich also auch jetzt mit möglichst gemessenem Gesichte Lucy zu antworten: — „Ich empfing gestern mit einem Koeli ein Briefchen von Doktor Green aus Tji-Koening. Das Kind des Kontroleur Outshoorn ist ernstlich krank. Von dem großen Schmerz der Eltern gerührt, und überdieß selbst nicht sicher, was der Kleinen fehlte, verlangte er meinen Rath und meine Gegenwart, da er weiß, daß ich ein besonderes Studium aus dieser Art Krankheiten gemacht habe'." Mr. und Mistreß Woodland machten bei dem Namen Outshoorn eine verächtliche Bewegung. Spranek-huyzen starrte aufmerksam über die Grasfläche, auf welcher das Gewühl der sundanesischen Menge zunahm, und das Gamelanorchester sich immer lauter hören ließ — obgleich er immer ein orsille-sn-okinpaFne für Doktor Damme's Erzählung behielt, welcher sich in yH4 Die großc Inttiguc. diesem Augenblicke speciell an Vucy wandte und fortfuhr: — „Heute früh habe ich mich nach Tji-Koening auf den Weg gemacht, um mit Doktor Green zu consul-tiren. Wir gingen sogleich in des Kontrolcurs Haus, und fanden das Kind in einem sehr bedenklichen Znstande. Ich bewunderte die junge Mutter, welche mit der größten Geduld und der tiefsten Betrübniß auf dem Antlitze unsern Ausspruch erwartete. Es waltete für mich sogleich kein Zweifel vor. Das Kind litt an Magen- und Darmentzündung, die mit Dyssenterie vereinigt war. Ich habe den Menschen nicht gesagt, was ich dachte, aber der Kleine hat nicht viel Hoffnung auf Wiederherstellung! Aber ich habe Green nach meinem besten Wissen anempfohlen, was er ;u thun hat, und man kann immer nicht wissen, welche Wendung die Sache nimmt!" Lucy hätte in einem anderen Falle sicher ein wohlmeinendes Xu8in,ii hören lassen, aber jetzt hatte sie ihre Gründe, sich über das Unglück der Outshoorns nicht übertrieben zartfühlend zu zeigen. So erging es auch den Anderen, und Niemand antwortete etwas auf die Mittheilungen Doktor Damme's. Woodland ließ indessen durch Ketjil eine Karaffe mit «opiinanis 'Liqueur) präsentiren, und fügte selbst einige Worte hinzu, Die große Intrigue. Zftg um oen Doktor zum Trinken m bewegen. Dieser leistete auch eifrigen Bescheir und frug Mistreß Woodland englisch etwas über die Versammlung der ronMin^s auf der Grasfläche. Aber Lucy's Neugierde war noch nicht ganz befrie-rigt, und wiederum fing sie an: — „Was erzählte Doktor Green Ihnen noch mebr?" — „Noch allerlei, Mevrouw'. Nächsten Freitag wird in Tji-Koening ein großes Fest für die Oberhäupter gefeiert '." — n "lau! (Ich weiß es!) Wir gehen hin, Eduard! Was mehr?" Van Sprauekhuyzen lächelte sehr verbindlich, dachte aber, daß diese Frage immer noch sehr bedenklich blieb. Doktor Damme antwortete sogleich: — „Green klagte über die üble Laune des loe^an-desaar! Es hatten ein paar Menschen aus Krawang bei ihm logirt, die Niemand von der Familie kannte, — ein Meneer und Mevrouw Tinman Todding — häßlicher Name, he? Der 1u6>van-deßaln- hatte sie zufällig kennen lernen und sie nach Tji-Koening eingeladen. Die Dame hatte bei Tafel allerlei drollige Geschichten znm Besten gegeben, worüber sich der alte Herr und Andermans — der noch bis nach dem Feste tzyH Die große Intrigue. ^^^ __ sehr amüsirten. Meneer und Mevrouw Tinman Todding schienen indessen große Unannehmlichheiten gehabt zu haben — sie waren wenigstens früher abgereist, als man erwartet hatte." — »1^ .love!« — rief Woodland verdrießlich, — „das habe ich schon heute früh gehört!" Doktor Damme schenkte sich noch ein Glas Kirschwasser ein, und antwortete aus Höflichkeit vor Mevrouw Van Spranekhuyzen holländisch auf den englischen Ausruf des Wirthes: — „Aber was das Kurioseste ist, Mr. Woodland, der alte Herr Botkerman hat sich ganz von der fremden Frau beherrschen lassen, und sie hatte mehrmals lange, geheime Unterhaltungen mit ihm, die ihn immer düsterer stimmten und ihn endlich in den letzten Tagen ihres Aufenthaltes beinahe unlenksam machten!" Spranekhuyzen schien noch immer alle seine Aufmerksamkeit den Volksvergnügungen am Fuße der Terrasse zu widmen, aber im Geheimen folgte er begierig den Worten des Doktors. — „Und" — fuhr dieser fort, leiser und geheimnißvoller sprechend — „was auch noch bemerkenswerth ist, das Vernehmen zwischen dem alten Herrn und seinem Kontroleur Outshoorn scheint sich in der letzten Zeit sehr verändert zu haben. Green erzählte mir. Die großl Intrigue. 207 daß man sich gegenseitig nicht mehr so häufig besuche — nur die Mädchen frugen ihn jeden Morgen bei seinem Besuche auf der Villa, wie es mit Outshoorns Kinde ginge! — ^ propos, noch etwas Interessantes vergaß ich Ihnen mitzutheilen, Mevrouw Van Spranek-huyzen'. Der neue englische Aufseher und Ingenieur auf Tj,i-Koening macht Ihrer Schwester sehr eifrig den Hof!" Lucy lachte hellauf. Ihr Mann lachte mit. Die Mittheilungen über den Zustand auf der Villa seines Schwiegervaters wurden immer beruhigender . . . Von Jane hoffte er auch bald Nachricht zu erhalten, um zu erfahren, was sie zur schnellen Aufgabe ihres Unternehmens bewogen hatte. Auch Woodland wurde immer aufgeräumter — so daß Ketjil bald befohlen wurde, minoEinaii (Getränke) zu bringen. Die Herren beschäftigten sich vor der Hand mit der Entscheidung, was getrunken werden sollte — die Damen erlaubten sich, bei ihren Gläsern anFFoer ßaina lvjer (Wein mit Wasser) eine Cigarre zn rauchen. Man amüsirte sich einen Augenblick mit Beobachten der Tänze, und schaukelte in den Stühlen auf und nieder. Doktor Damme rührte in seinem Glase, da er immer Limonenscheiben in seinen Brandy-Grog that, aus Hygiena, wie er sagte. Der Herr des Hauses schien in der richtigen Ttim- Zs)8 Die großt Intrigue. inllng zu sein, um Manches. was ihm auf dem Herzen lag, mitzutheilen. Er schob seinen Stuhl etwas näher, seine Frau folgte seinem Beispiele, Svranekhuyzen schien den Wink zu versieben — d?nn er rückte sogleich anch etwas näher — endlich saßen die Fünfe nahe zusammen. Woodland erhob darauf sein Glas und sagte, natürlich immer englisch. Folgendes: — „Nun muß ich Ihnen Allen doch einmal sagen, warnm ich über den Lauf der Sachen so erfreut bin. Mr. Van Spranekhnyzen weiß lange noch nicht Alles, was wir hier mit den unerträglichen Anmaßungen des Mannes zu kämpfen hatten, der da drüben auf Tji-Koening Kontroleur und der Günstling meines Vetters Bokkerman ist! Aber er kann sicher nicht mehr Gründe zur Unzufriedenheit mit ihm haben, als wir hier. Nun scheint der loswan-desnai' endlich eingesehen zu haben, wo die Ursache alles Übels sitzt. Ich lege eincn besonderen Werth darauf, Ihnen mittheilen zu können, daß es mir gelungen ist, überzeugende Beweise für die Untreue dieses großen Herrn Tutshoorn aufzufinden. Ich werde sie gegen ihn zeugen lassen am Tage des großen Festes vor den Landesobern zu Tji-Koening. Sie können sich nicht denken, welch Übermaß von Feigheit und Falschheit in den Vergehungen dieses Mannes liegt. Ich will es Ihnen ausführlich erzählen. Aber Die gioße Intrigue. Zyg ich sehe, daß Doktor Damme nicht trinkt. Nk KstM! dawa la^i dianä^! (Hierher, Ketjil! Bring' noch Arrak!)" Ketjil vollzog den Befehl. Darauf wandten sich Alle dem Wirthe zu, um seine Erzählung anzuhören. VII. In welchem Vhriinen, Oeßett, Seufzer, Lächeln, Sonnenschein nnd Oame» lanspiel einander im bunten durcheinander ablösen. Rund um die Villa Tji-Koening herrscht tiefe Dunkelheit. Es ist ungefähr halb fünf des Morgens. Draußen weht der frischkühle Luftstrom, der den baldigen Anbruch des Tages verkündigt. Aus der Fabrik von der anderen Seite der Grasfläche vor der Villa eilen einige Männer. Es sind Bewohner des Kam-pongs, die sich nach einer außerordentlich großen Zeltbude zu begeben. Dieses Zelt besteht aus einem riesigen, hohen und schrägen Dache, dessen viereckige, weißgefärbte Holz-Pfeiler sich kaum in dem nächtlichen Dunkel unterscheiden Indische Bibliothek. V. 14 Z > H Die gioßc Iittnguc. lassen. Die sundanesischen Dörsiinge begeben sich an die Arbeit, um das Zelt mit Waringingrün und Flaggen zu schmücken. Denn der langersehnte Festtag ist endlich angebrochen; heute werden die Oberhäupter der ganzen Bevölkerung auf den ausgedehnten Landgütern des Herrn Bokkerman sich an dem Hauptplatze versammeln, um von dem Landesherrn mit einer reichen Mahlzeit bei Spiel und Tanz festlich bewirthet zu werden. Ungefähr fünfzig Schritte von der Zuckerfabrik und dem eigentlichen Terrain des bevorstehenden Festes entfernt, befindet sich ein einfaches, weißgetünchtes, steinernes Haus, in welchem der Hauptbeamte des Distrikts, der Kontroleur Outshoorn wohnt. Auch hier ist noch Alles dunkel. In der Vorgalerie, in der Pendoppo und überall rund um das Haus herrscht die tiefste Stille; und doch war ein Lichtstrahl bemerklich, der aus einem der Zimmer auf der innern Galerie drang. In diesem Gemache zeigte sich jetzt ein rührendes Schauspiel. Es war ein einfaches Zimmer, welches nur die nöthigeu Möbel eines Schlafzimmers umfaßte. 3n einer Ecke desselben, auf einem Toilettentische neben dem Spiegel, stand eine große Lampe, deren Schein das Zimmer genugsam erhellte, um Alles in demselben Befindliche deutlich wahrnehmen zu können. Die Aufmerksamkeit fiel bald auf eine kleine, eiserne Die große Intrigue. H^ Kinderbettstelle, deren Moskitogardinen von Gaze in die Höhe geschlagen waren. Ein zartes, kleines Kind von kaum einem halben Jahre schlief unter diesen Gardinen. Die Augen waren geschlossen, der Mund halb offen, die kleinen Hände geballt — aber kein Athemzug bewegte die Lippen des Kleinen — das Kind war todt. In einiger Entfernung von der Bettstelle kauerte die Baboe, die das Kind getragen und versorgt hatte, wenn die Mutter bei Tische saß, oder wenn die beiden Gatten einen Besuch auf der Villa des I'oe^an-dssaai abstatteten. Die arme snndanesische Frau blickte starr auf die Matten des Fußbodens nieder. Sie hatte das Kind lieb, und war tief bettübt, am Meisten erschütterte sie aber der große Schmerz der Eltern. Diese waren auch im Zimmer. Neben der Schlafstätte mit der Kinderleiche, auf einem Mattensofa, saßen Outshoorn und seine Frau. Outshoorn stützte den Kopf in die linke Hand und umfaßte mit dem rechten Arme rie Gestalt seiner Frau, welche ihr Gesicht an seiner Brust verbarg, um ihren Thränen und Schluchzen freien Lauf zu lassen. Beide sprachen kein einziges Wort; der Schlag, den sie so lange gefürchtet hatten, war endlich niedergefallen. Ihr liebes, reizendes, kleines Kind fing vor uugefähr acht Tagen zu kränkeln an — und mit jeder Stunde nahm die Krankheit zu. 14* 2 ,j I Die große Intrigue. Vergebens that Doktor Green Alles, was in seiner Macht stand, vergebens rief man seinen Collegen von Goenoeng Agong zu Hilfe. Der Kleine litt an einer gefährlichen Magen- und Darmentzündung, zu der sich endlich auch eine tödtliche Dyssentene gesellte. Vergebens hatte die arme Mutter ihre inbrünstigen Bitten zu dem himmlischen Vater aufgesandt — zu ihm, der Rettung kann geben in jeder Noth. — Vergebens weinte sie die bittersten Thränen ... vor anderthalb Stunden erlag das zarte Wesen der Gewalt der Krankheit. Outshoorn hatte sich entschlossen und verständig benommen. Er ließ seine zärtlich geliebte Henriette ausweinen, als der erste stechende Schmerz sie mit maßlosem Weh auf das Vett des gestorbenen Kindes niederwarf. Endlich hob er sie auf, zog sie zu sich auf das Sofa nieder, und versuchte ihre tiefe, schmerzensreiche Betrübniß durch weiche, trostreiche Worte einigermaßen zu mildern. Die arme Mutter hörte ihn zuerst gar nicht — sie hielt ihre lieben, blauen Augen so fest auf das Gesicht ihres Mannes gerichtet, und aus jedem Zuge ihres von Thränen überströmten Antlitzes sprach eine so tiefe Trauer, daß Outshoorn vor der Hand alle Trostversuche aufgab und, selbst durch tiefes Leid niedergebeugt, den Kopf in seine linke Hand fallen ließ. Die großc Inlriguc. Z^g So saßen sie geraume Zeit. Nichts unterbrach während derselben die Stille, als das laute Schluchzen Henriettens und zuweilen ein tiefer Seufzer der alten Baboe, welche dann mit beiden Händen allerhand fremdartige Geberden machte. Nach einer langen Pause erhob Outshoorn den Kopf. Er sah den ersten Schimmer des anbrechenden Morgens durch die Persiennes der beiden Fenster. — „Komm, Liebe!" — flüsterte er gerührt und mitleidig der armen, jMgm Frau zu. — „Der Tag bricht an. Wir wollen die Sonne hinter den Bergen aufgehen sehen! Wir haben frische Luft nöthig! Komm mit!" Sanft zog er Henrietten von dem Sofa, und stieß schnell die Persiennes des nächsten Fensters auf, welches die Aussicht über Feld und Wiese bis an den fernen Horizont hatte, an dem sich das Gebirge in sanfter Neigung erhob. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der helle Schein im Osten verkündigte ihr Erscheinen. Wohlthuend strömte der frifche Morgenwind herein. Die Fächer der Klapverbäume rechts von Outshoorns Wohnnug, bei der Zuckerfabrik, bewegten sich lustig in rer kühlen Luftströmung des Morgenwindes. Alles athmete neue Lebensfreude und neuen Lebensgenuß. 21 z. Die große Intrigue. Outshoorn hielt seine Gattin voll inniger Liebe umschlungen, und flüsterte ihr sanft zu: — „Henriette, meine Liebe! Höre mich! Sieh mit mir da hinaus! Wie schön ist der neue Morgen'. Wie wunderbar frisch ist Baum und Orün! Komm, erhebe Deinen Kopf, mein süßer Engel! Der weise Meister, der Alles gemacht hat, giebt uns wieder einen herrlichen, neuen Tag, er nahm in dieser entsetzlichen Nacht unser liebes Kind zu sich — und noch niemals haben wir eine so bittere Stunde erlebt, als diese; aber glaubst Du denn nicht, meine Liebe, mit all dem Reichthum von heiligem Vertrauen, der in Deinem reinen Herzen lebt, daß unser kleiner Dulder jetzt von allem Schmerz und Leid erlöst ist?" — „Wilhelm!" — schluchzte die junge Frau mit einem Male, — „Gott sucht uns schwer heim!" — „Sei nicht ungerecht, mein liebes Kind!" — erwiderte Outshoorn. — „Wohl haben wir viel ver» loren, aber uns bleibt doch unsere Liebe! Haben wir seit unserer Vereinigung nicht das seligste Glück genossen? Denke nur, welche Freude uns jede Stunde, jeder Augenblick, den wir zusammen verlebt, bereitet hat — mit welchem Entzücken ich Dich durch dies herrliche Paradies geführt habe — mit welcher Begeisteruug ich Dich immer wieder umfing, wenn meine Dienst- Die gioße Inliigut. Z^g pflichten mich auf kürzere oder längere Zeit von Dir entfernten; es war, weil ich meine Henriette stets schöner, stets reizender, stets liebenswürdiger wiederfand, als ich sie verlassen hatte! Haben wir nicht vereint dem guten Vater gedankt, daß er diese gegenseitige Liebe in unser Herz legte — und müssen wir, die das Gute empfingen, uns nicht demüthig beugen, nun es sein Wille ist, daß wir trauern sollen?" Henriette richtete den schönen Lockenkopf matt in die Höhe. Zum ersten Male wieder sah sie ruhig in ihres Gatten Gesicht; sie schlug ihre Arme um seinen Hals und umarmte ihn feurig. — „Wilhelm!" — flüsterte sie leise, während unaufhörliche Thräuen über ihr Gesicht flössen, — „Deine Liebe ist mir über Alles theuer, wird mich jedes Leid der Erde gelassen ertragen lassen, aber ich hatte unsern kleinen Engel so lieb! Mutter und Kind sind so innig mit einander verbunden!" Henriette fühlte, daß ihr Schmerz aufs Neue zu heftig hervorbrechen wollte, darum verbarg sie ihr Gesicht wieder an der Schulter des heißgeliebten Gatten, der immer von Neuem versuchte, sie zu trösten. ^ — „Sieh nur, mein Engel!" — sagte er so ruhig als möglich — „da glänzt das erste Morgenroth an den Hügelspitzen, bald wird uns die Sonne überraschen! y.j ß Die großc Inttiguc. Die lachende Natur kümmert sich nicht um das Leib der Menschen..." Plötzlich unterbrach er sich. Von draußen klang das Geräusch von Menschenstimmen in sein Ohr — und dazwischen klagte und klingelte das Gamelanorchester. Outshoorns Gesicht verzog sich schmerzlich. Auch Hen-riette lauschte aufmerksam. Immer deutlicher und deutlicher trug der Wind das Tönen und Dröhnen des inländischen Orchesters zu ihnen herüber. — „Ich hatte es vergessen," — sprach Outshoorn trübe, — „es ist heute auf Tj,i-Koening großes Fest. Alle Dorfoberhäuftter und Distriktsvorsteher kommen hin, um bewirthet zu werden und zu tanzen! Wird man auch auf meine Gegenwart rechnen?" — „Aber das geht nicht, Wilhelm'." — fiel ihm Henriette schnell und ängstlich in die Rede, während sie ihre Thränen zu trocknen versuchte. — „Ich kann Dich heute nicht entbehren — Du mußt bei mir bleiben und mir Muth einflößen. Ich müßte vor Schmerz sterben, wenn ich allein wäre!" — „Es ist wahr, ich kann heute nicht bei diesem Festgewühle erscheinen. Ich will sogleich die Nachricht von unserm Schicksal nach der Villa schicken. Wenn man es nur nicht übel nimmt!" — „Aber das wäre doch unbillig!" Die gloßt Inttignl. ^7 — „Gut, aber erinnere Dich nur, wie schweigsam und finster unser Freund Bokkerman in der letzten Zeit war. Während der ernstlichen Krankheit unseres Lieblings habe ich ihn gar nicht gesehen! Welches mögen die Gründe davon sein?" — „Es können keine Gründe bestehen, die von Dir abhängen, Wilhelm. Du hast Deine Pflicht treu gethan. Du hast Dir nichts vorzuwerfen. Darüber brauchen wir uns keine Sorge zu machen! Niemand kann verlangen, daß Du in einem solchen Augenblicke auf Deinem Posten bist!" Und die durch ihren tiefen Schmerz anfänglich ganz rathlose Mutter sprach nun eifrig weiter, um dem geliebten Manne Mnth und Vertrauen einzustoßen. Sie hatten die Rollen vertauscht. Die innige, zarte Zuneigung für ihren Mann hatte bei Henrictten für den Augenblick den schneidenden Schmerz über den Verlust ihres Kindes zum Schweigen gebracht. Eine halbe Stunde nach Sonnenanfgang war das Zeltgebände bei der Zuckerfabrik ganz fertig. Die weißgefärbten Pfeiler waren mit Festons von dunkelgrünem Waringinlaub umwunden, der Boden war mit Matten belegt. Rund umher waren Lanzen in den Boden ge- «1 H Die großc Intiiguc. steckt, auf denen bunte Wimpel flatterten. Überdieß waren überall Draperien von Orange und Roth-Weiß» Blau in dem Festgebäude angebracht. Eine große Zahl eifrig arbeitender Sundanesen lief eifrig hin und her, um die Befehle Rahden Moeriah Kefoemah's zu erfüllen, des ernsten Distriktsoberhauptes, der in diefem Augenblicke als Ceremonienmeister zu fungiren schien. Von weit und breit strömte schon früh am Morgen eine neugierige Menge nach dem Kampong und dem Festplatze. Gegen l0 Uhr Vormittags sollte der fest« liche Aufzug der Dorfoberhäupter und ihres Gefolges Statt finden. Dann sollten verschiedene Volksbelustigungen zum Besten gegeben werden, ein großes Festessen und ein feierlicher Festtanz sollte den Tag beschließen. Es war die alte Gewohnheit des Herrn Botkerman, von Zeit zu Zeit dergleichen Feste für die Oberhäupter seiner Bevölkerung zu geben — eine Gewohnheit, welche ganz mit dem aüat des Landes übereinstimmte und nicht wenig dazu beitrug, das Band zwischen dem Landesherrn und seinen Unterthanen immer fester zu knüpfen. Schon bemerkte man die fröhlichste Stimmung bei der versammelten Menge, und schon verkündete das Gamelanorchester den Anfang des Festes. Gerade in diesem Augenblicke begrüßten sich zwei Herren in ganz weißem Anzüge am Eingänge des Gebäudes. Die große Intrigue. y j H — „Guten Morgen, Mr. Coole!" — hieß es auf Englisch. — „Guten Morgen, Mr. Green!" — war die Antwort. Mr. Iosua Green war ein langer, magerer, englischer Doktor, der, was sein verbranntes, gelbes Gesicht mit braunen Flecken betraf, sehr gut für einen Farbigen gelten konnte. — „Früh bei der Hand, he?" — bemerkte der Doktor. — „Ja, ich wollte einmal nachsehen, wie weit es hier mit den Vorbereitungen zum Feste sei. Outshoorn bat mich gestern darum. Er kann wegen der schweren Krankheit seines Kindes nicht selbst kommen." — „Es ist heute früh gestorben." — „Der arme Vater!" — „Ich komme gerade von seinem Hause. Er hat mir einen Brief für den loe^van-desaar mitgegeben, den ich bei meiner gewöhnlichen Morgenvisite übergeben will!" — „Es trifft sich sehr unangenehm, gerade mit dem Feste!" — „Sehr unangenehm, es ist wahr!" Als die Herren soweit in ihrem Gespräche gekommen waren, schwiegen Beide eine Weile und lächelten. IHY Die gioßc Inlrigur. Beide wollten gern zu ihren Morgengeschäften übergehen, waren aber zu wohlerzogen, um ihre zufällige Unterhaltung ohne Übergang so plötzlich abzubrechen. Doch Rahden Moeriah Kesocmah, der Demang von Tji-Koening, näherte sich jetzt mit höflichem Gruße und nahm Mr. Arthur Coole in Beschlag. Doktor Green fand also Gelegenheit, seinen Weg nach der Villa des Herrn Bokkerman fortzusetzen, und hinterließ den gefälligen Ingenieur in der größten Verlegenheit, weil er noch uicht im Stande war, alle höflichen Fragen des Demang anf malayisch zu beantworten. Doktor Green hatte bald die Villa erreicht. Als er in der Pendopfto erschien, waren noch nicht alle Hausgenossen versammelt. Der Herr des Hauses und seine Frau fehlten. Fräulein Betsy Bokkerman saß sehr würdig am Frühstückstische und lächelte nur flüchtig, als ihr der Doktor nach englischer Weise die Hand reichte. Andermans lief in der Pendoppo auf und ab. Er war immer sehr matinös, denn sein Schlaf war sehr unruhig; und obgleich er an Kraft und Gesundheit sehr zugenommen hatte, so war er doch noch immer unter der Behandlung des Arztes. Deshalb begab sich Doktor Green sogleich zu ihm, nnd fragte in gebrochenem Holländisch nach seinem Befinden. Während beide Herren durch die Pendoppo gehen, haben wir Gelegen- Die gioßt Intrigue. 22^ heit zu bemerken, daß Betsy Bokkerman nicht allein am Frühstückstische sitzt. Fräulein Serpensteyn befindet sich mit ihren beiden Zöglingen an ihrer Seite, und bereitet den Thee. Fräulein Serpensteyn sieht heute recht vergnügt und zufrieden aus. Sie spricht sehr eifrig mit Betsy und steckt dem kleinen Peter so viele Näschereien zu, als sie nur erreichen kann, denn sie will das Kind um jeden Preis zufrieden stellen, da Fräulein Betsy ihr sehr wichtige Neuigkeiten erzählt. — „Wußten Sie noch nicht?" — fragte diese eben. — „Nein!" — antwortete die Gouvernante. — „Gestern hatte ich zu heftige Kopfschmerzen, um lange in der Vorgalerie sitzen zu können!" — „Ich begreife nicht von Papa" — fährt Betfy fort — „er immer so nakai mit Lucy und ihrem Manne. Aber gestern Abend er sagt selbst, daß Lucy kommt heute." — „So? — Kommt Herr Woodland auch mit?" — „Sie kommen Alle 8aina-8ania (mit einander)." — „Herr Van Spranekhuyzen auch?" — „Hm, hm!" Fräulein Serpensteyn athmete tief auf. In ihren Augen glänzte ein Feuer, das ebensowohl von hoher Erregung, als auch von hoher Befriedigung über nahes Z22 Die großc Inlrigur. Glück zeugte. Die scharfen Züge um ihren ehrbaren Mund verriethen indeß, daß dieses Glück vielleicht der bittersüße Genuß einer lang verschobenen Nache war. Ihre achtunggebietende Brust keuchte unter dem leichten Morgenkleide. Sie schob ziemlich laut zweimal ihren Stuhl hin und her. als ob sie sich besser für ihre Pflichten am Frühstückstisch einrichten wollte — und gab in Gedanken Luisen einen schweren Schlag auf die Finger, weil sie ein Stück Zucker aus einer Kristallschale nahm. Luise stieß einen lauten Schrei aus. über den die Damen Anna und Marie Bokkerman, welche in diesem Augenblick an der anderen Seite der Pcn-doppo beschäftigt waren, ein Paar Vasen mit Blumen zu ordnen, erschreckt aufsahen. Im Vorbeigehen sei hier bemerkt, daß die Damen diese Liebhaberei für Blumen Mevrouw Outshoorn verdankten, und daß sie sich vor der Bekanntschaft mit derselben niemals um irgend eine Blume bekümmert hatten. Fräulein Serpensteyn hatte indeß Luisen ein zweites Stück Zucker zugeworfen, um den Zorn der jungen Schreierin zu bezwingen — was ihr auch bald glückte, da Luise sogleich schwieg. Sie konnte sich deshalb in ungestörtes Nachdenken versenken, da Betsy vorläufig mit ihrem Frühstück anfing und sich, wie gewöhnlich. Die große Intrigue. 223 mit einer achtunggebietenden Menge Neis bediente. Fräulein Serpensteyn schien viele Gründe zur Zufriedenheit zu haben, denn ihr Gesicht zog sich in die lieblichsten Falten, und in ihren Augen glänzte eine große Erregung. Sie überlegte im Augenblick viele und wichtige Dinge. Sie erwog einen Beschluß, den sie schon lange genommen hatte — und wieder trug derselbe ihren Beifall davon; sie begriff, daß der Augenblick seiner Ausführung gekommen sei. Eben erschienen Herr Bokkerman und seine Frau in der Pendoppo. Der Landesherr hatte in Morgenkleidung und rothen Pantoffeln, im weißen Kabaai und braun geblümten Morgenbeinkleid ein doppelt so ehrwürdiges Aussehen, als in der gewöhnlichen weißen Tagestoilette. Überdieß zeigte sein Gesicht die deutlichsten Svnren von Kummer und Sorge — wie auch die Züge seiner Frau große Mißstimmung verriethen. An-dermans und Green wandten sich sogleich mit herkömmlicher Förmlichkeit zu ihnen. Augnst Vokkerman beantwortete ihren Morgcngruß mit seinem gewohnten, gemessenen Wohlwollen, aber doch konnte man deutlich wahrnehmen, daß ihm irgend etwas im Kopfe herum ging. Man setzte sich unter vollkommenem Stillschweigen an die Tafel nieder. Anna und Marie kamen sogleich 224 Dit gloßc Inttigue. herbei. Doktor Green nahm in einiger Entfernung von der Tafel Platz, mn anzudeuten, daß er in seinem Berufe käme, und nicht um zu frühstücken. August Bot« kerman beobachtete ihn indefsen nicht fehr. richtete felbst nicht einmal, wie es doch seine Gewohnheit war, an Andermans das Wort, mn ihn über sein Befinden zu befragen. Er sah nur auf seinen Bedienten, der ihm Reis und Zuspeisen brachte, denn es war Sitte bei ihm, schon am frühen Morgen ein tüchtiges, inländisches Iruiok einzunehmen, eine Sitte, welche seine Frau und Töchter ebenfalls angenommen hatten. Während der ersten Viertelstunde sprach Niemand ein Wort, als die unvermeidlichen zu den Bedienten. Einmal, als der kleine Peter Andermans in lautem, drängendem Tone um einen Zwieback bat, sah ihn der Landesherr von seinem Platze aus mit so weitgeöffneten, zornigen Augen an, daß das Kind sogleich schwieg. Endlich, als es als sicher anzunehmen war, daß der Gutsbesitzer seinen ersten Hunger gestillt habe, räusperte sich Doktor Green sehr bescheiden, und überreichte Outshoorns Brief. Botkerman lehnte sich in seinem Stuhle zurück, und las mit gerunzelten Augenbrauen. Darauf ließ er die Hand mit dem Briefe niedersinken, wandte sein Gesicht nach seiner Gattin, und sagte vernehmlich: Die großc Inttigue. 22 H — „Outshoorn zeigt mir das Ableben feines einzigen Kindes an! Er kann heute nicht Theil an unserem Feste nehmen!" — »L 231211!« —" sagte die ^oi^a-dsskal, und das Chor ihrer Töchter sagte es nach: — »X 581211!« Sonderbar, — auch Fräulein Serftensteyn entfuhr ein Ausruf des Mitleids! Doktor Green nahm die Gelegenheit wahr, um noch einige Einzelheiten über Outshoorns Unglück zu erzählen. August Bokkerman hörte ihm aufmerksam zu, aber kein einziger Ausruf der Theilnahme kam über feine Lippen. Sehr gemessen und bezüglich sagte er endlich: — „Es thut mir leid, daß dieser Sterbefall gerade heute eintrat. Ich hatte heute auf seine Gegenwart gerechnet !" Und wieder sah er seine Frau an. August Bokkerman war wirtlich in keiner beneidens-werthen Lage. Er hatte Outshoorn lieb gehabt, ihn beschirmt und vorwärts gebracht, ihn znm Freund erwählt, ihm in seiner nächsten Nähe eine Wohnung und eine sehr gut besoldete Stellung gegeben — um endlich zu bemerken, daß der junge Mann nicht allein von seinem Standpunkte als gebildeter Holländer auf ihn, Indisch« Nibliethcf. V. 15 2Z6 Die großc Intrigue. August Botkerman, semen Herrn, der ein Farbiger war, mit Geringschätzung niedersah, sondern um auch einzusehen, daß Outshoorn die ihm anvertraute Macht mißbrauchte, mdem er Grundsätze und Systeme bei der inländischen Bevölkerung in Anwendung brachte, welche nach des Landesherrn Meinung noch ganz Kor8 äs 8»i80n waren. Nur sehr langsam hatte der rechtschaffene, gerade, wenig argwöhnische August Bokker« man diese Überzeugung gewonnen. Aber vielerlei Umstände hatten mitgewirkt, um ihn langsam zu derselben zu bringen. Verschiedene Personen hatten direkten oder indirekten Einfluß auf ihn ausgeübt. Die Klagen seines Vetters Woodland hatte er anfänglich wenig angeschlagen, — aber sein Gast, Mevrouw Tinman Todding, hatte ihn zum Einsehen gebracht, daß in all dem Vorgefallenen mit Outshoorn und dessen Frau gegenüber seiner Tochter Lucy und ihrem Manne viel Geheimnißvolles lag — daß man in Vatavia absichtlich versucht hatte, den Junker Van Svranekhuyzen gegen seine Frau aufzuhetzen, weil man ihm nicht vergeben konnte, daß er eine Farbige geheirathet habe. Das natürliche Resultat davon war, daß Lucy in ihrer Hitze sich ihrem Manne widersetzte, und daß Outshoorn die schöne Rolle des Rächers spielte! Dic große Intrigue. yQ>? August Bokkerman hatte sich alle diese Betrachtungen so oft wiederholt, daß er endlich die Beweise als unwidersprechlich und sicher annehmen mußte. Und doch widersprach die Stimme seines edlen Herzens diesen Folgerungen. Oft hatte er sie schon von sich abgeschüttelt, oft wollte er selbst mit Outshoorn über die Sache sprechen, — aber eine gewisse Befangenheit ließ ihn immer wieder schweigen. Er war im Bezug auf Sinjoschaft sehr empfindlich, und schrak förmlich davor zurück, in einer solchen Angelegenheit auftreten zu müssen. Dazu kam noch, daß Woodland ihm seit einiger Zeit eingeflüstert hatte, wie Outshoorns Regierung über die nördlichen Distrikte wohl einmal sehr jämmerliche Folgen für die eingeborne Bevölkerung haben könne. Outshoorn hatte sonderbare, holländische Theorien, und versuchte, die Eingesessenen seiner Distrikte — gegen den aäat — an allerlei ungewohnte Freiheiten zu gewöhnen. Woodland hatte immer versprochen, Beweise für seine Anklagen aufzubringen, und bis dahin wollte der immer mehr in Unsicherheit gebrachte Landesherr warten. Indessen war Outshoorn wegen der Krankheit seines Kindes in den letzten Tagen nicht mehr auf der Villa erschienen. Mevrouw Bokkerman und ihre Töchter hatten sich sehr theilnehmend und mitfühlend bewiesen. Aber August Bokkerman enthielt sich aller Theilnahms- 15» 228 -^ große Inttiguc. beweise. Die beiden Eheleute hatten manches Wort darüber gewechselt, das zu ziemlich unangenehmen Differenzen Anlaß gegeben hatte. Dabei war auch der Besuch von Mevrouw Tinman Todding wieder zur Sprache gekommen. Mevrouw Bokkerman fand, daß ihr Mann seit der Bekanntschaft mit dieser Dame ganz verändert sei. Und doch setzte sie durchaus kein Vertrauen in dieselbe, Fräulein Serpensteyn hatte ihr im Geheimen mitgetheilt, welchen Ruf die Dame in Ba-tavia genoß . . . und es war sehr gut geweseu, daß sie so bald abgereist sei. Welche wichtige Mittheilungen hatte doch die Mevrouw Tinman Todding dem I'ue-wan-desaar zu macheu? Hierüber bewahrte derselbe ein vollkommenes Stillschweigen. Nur in einem Punkte schien Bokkermans Meinung eine günstige Veränderung erfahren zu haben. Er zeigte sich weniger streng in seinem Urtheile über Lucy und ihren Mann. den Junker Van Spranekhuyzen. Diesen Morgen hatte wieder ein Wortwechsel zwischen beiden Eheleuteu Statt gehabt, welcher die gute Laune des Landeigenthümers ganz verdorben hatte. Die 5HoHä-b68»ar hatte ihm verwiesen, daß er nicht mehr wie früher, rundweg und geradeaus mit seiner Meinung an den Tag kam, und der loe^an-dssaar hatte die Richtigkeit dieses Verweises eingesehen — aber gerade Die großc Intrigue. HZ9 deshalb war sein Ärger gestiegen. Er hatte Alles so eingerichtet, daß er alle betreffenden Partheien in seiner unmittelbaren Nähe beim Fest versammeln wollte, um die Sachen gründlich zu untersuchen, da ihm Woodland heute die Beweise von Ontshoorns Schuld bringen wollte. Das Nichterscheinen des Letzteren, wie sehr auch in den äußeren Umständen begründet, war aufs Neue ein lästiges Hinderniß, da er jetzt nur die eine Parthei hören konnte. Aber er behielt sich vor, seinen Beamten, falls er schuldig befunden werden sollte, sogleich persönlich davon zu benachrichtigen. Dieß war das Resultat von August Bokkermans Erwägungen, nachdem er die beiden Kasans seiner Familie vollkommen ungerührt angehört hatte. Das Frühstück war indessen beinahe abgelaufen. Doktor Green, der das Mißvergnügen seines Chefs deutlich bemerkte, schien sehr verlegen über seine eigene Haltung zu sein. Er betrachtete mit der größten Aufmerksamkeit die Spitzen seiner Schuhe, und sah sich dann ziemlich zerstreut um. Die Xjo^Ä-besaai zeigte fortwährend ein verstimmtes Gesicht, über das aber ein Zug von geheimer Entschlossenheit lag, welcher in dem Doktor nur zu begründete Vermuthungen über häusliche Scenen einflößte. Weiter bemerkte der magere 23ft Die große Intrigue. Arzt in seiner Langeweile und Verlegenheit, daß Miß Betsy guten Appetit habe, daß Fräulein Serpensteyn das Unmögliche anwandte, um durch sammetweiche Schmeichelworte die kleinen Tyrannen aus dem Stamm Andermans im Zaume zu halten, und daß sie selbst höchst ehrerbietig und höchst liebenswürdig lächelte. Was Mr. Cornells Andermaus anging, so fand er es sehr zu beklagen, daß häusliche Unannehmlichkeiten anf Tji-Koening entstanden waren, aber er hatte besondere Gründe, Nichts zu bemerken. Endlich sah August Bokkerman, daß sein magerer Äsculap nicht sehr comfortable war, und um dem Malaise der ganzen Familie eine passende Ableitung zu geben, richtete er sich an Doktor Green mit der Frage: — „Wissen Sie, wen wir heute hier beim Fest erwarten, Doktor?" Der Arzt wandte sich seinem Chef sogleich sehr aufmerksam zu, und gab seine Unkenntniß zu verstehen. — „Erstens Mr. und Mrs. Woodland, die wir seit einem Jahre nicht gesehen haben, unr dann Lucy mit ... ihrem Manne!" Green strengte sich möglichst an, um nur nicht gar zu verwundert auszusehen, und wiederholte unwill-kührlich -. — „Mit ihrem Manne . . . ." Die gloßt Intrigue. a»g« — „Ja, Sir! Ich kann nichts mehr in der Sacke thun! Lucy hat sich vollständig mit ihm ausgesöhnt. Sie kennen die Verhältnisse, Green! In den letzten vier Wochen habe ich noch Manches gehört, wonach ich die Sache aus einem anderen Gesichtspunkte betrachte! Ich werde Lucy Freiheit geben, zu thun, was sie will! Sie will wieder nach Batavia, das begreifen Sie! Und ich werde nun nicht gar zu eigensinnig sein, und einen Beweis geben, daß ich wohl meine Meinung verändern kann, wenn ich von dem Gegentheil überzeugt werde. Lucy und ihr Mann mögen hierher kommen, wenn sie wollen, zum heutigen Feste — morgen gehen sie nach Batavia!" — „So schnell?" — frug Anderman eilig; er hatte viel aufmerksamer zugehört, als sein bewegungs- und ausdrucksloses Gesicht vermuthen ließ. — „Ja!" — fiel Mevrouw Bokterman ein — „Ich finde auch wohl etwas schnell! Sie kommt heute, sie geht morgen!" — „Ich verwundere mich nicht von Lucy," — setzte Fräulein Betsy hinzu. — „Sie betoei nicht lekksr hier, sie will immer nach Batavia!" Fräulein Serpensteyns Herz klopfte in diesem Augenblick mit wildem, fieberhaftem Schlage. Nur so kurze Zeit sollte das versöhnte Ehepaar in Tji«Koening blei« Z32 Dic große Iulriguc. ben. Sie bebte bei dem Gedanken, daß ihr lange vorher berechneter Plan mit einem Male mißglücken könne. Wie konnte sie Alles ausführen, was sie sich vorgenommen hatte! Aber betrogene Liebe und Rache, Eifersucht und verborgene Bitterkeit des Herzens sind starke Triebfedern zum Handeln. Sie machte gleich ihren pikn-äe-dataills für diesen Tag, und schenkte Allem ein aufmerksames Gehör, was ferner gesprochen wurde. — „Lucy schreibt, morgen früh um vier Uhr vier Pferde für sie bereit zu halten!" — bemerkte der Lan< desherr lachend. — „Der Junker Van Spranekhuyzen hat PostPferde bis Batavia bestellt!" Bokkerman sagte diese letzten Worte mit einem schwachen Lächeln, welches einestheils einer hochmüthigen Geringschätzung, anderntheils einer gewissen heimlichen Zufriedenheit zuzuschreiben war. — „Der Junker Van Spranekhuyzen scheint un-vermuthet eine große Erbschaft gemacht zu haben!" — bemerkte Andermans trocken. — „Sehr glücklich, dewsi!" — rief die Njoi^'a- — „Hm, hm!" — ließ ihr Mann hören. Doktor Green schloß aus Allem, daß Schwiegervater und Schwiegersohn noch nicht sehr innig versöhnt waren — obschon es ihm schon sehr merkwürdig vor- Die großc Inttiguc. 233 kam, daß eine so große Annäherung Platz gehabt habe. da er mehrere Male das Urtheil des Gutsbesitzers über seinen Schwiegersohn gehört hatte, bei denen es nicht an sehr sprechenden Eigenschaftswörtern fehlte. In diesem Augenblicke flüsterte ein Bediente der Xjol^a-desaar etwas in's Ohr. Mr. Arthur Coole wünschte der Gesellschaft seine Aufwartung zu macheu, und betrat mit einem fröhlich lachenden Gesichte die Pen-doppo. Die jüngere Hälfte der Gesellschaft stand sogleich auf. August Bokkerman und seine Frau erwiederten sitzend den Gruß des Ingenieurs. Mr. Arthur Coole war ganz von dem Gedanken an das bevorstehende Fest erfüllt. Er sprach sehr schnell und fragte auf englisch um Erklärungen der Dinge, die da kommen sollten. Bald zerstreute sich die ganze Gesellschaft; denn Jeder dachte an seine Geschäfte bei den nahenden Festivitäten. Der ^u6>van-d68ilar ging mit Coole nach seinem Bureau, einem kleinen, steinernen Gebäude neben der Villa. Doktor Green frug noch flüchtig nach der Gesundheit der Damen, und entfernte sich schnell, voll Erstaunen über das Gehörte. Die Ihoi^a-deLaÄi-ging an's Werk, indem sie ungefähr vierzig Bedienten und Mägden ihre ausführlichen Befehle ertheilte. Die Damen dachten an die Blumen und an ihre Toilette 234 Die große Inttiguc. — denn es erschienen viele Gäste beim Dejeuner. Fräulein Serftensteyn ging mit ihren Zöglingen nach der Logierstube, um die täglichen Lektionen zu beginnen. Andermans gähnte, holte eine eben empfangeuene Nummer der Mailausgabe der „Rotterdammer" und der Hoine-Ke-ns hervor, welche er in seinem Zimmer durchstudieren wollte, um die Zeit todtzuschlageu, die noch bis zehn Uhr verlaufen mußte — der eigentliche Zeitpunkt, auf dem das Fest anfangen sollte. Fräulein Serpensteyn hatte wie gewöhnlich ihre Lektion begonnen. Sie setzte sich dabei an ein kleines Tischchen, und Luise schob mit einem französischen Auf« gabenbuche in der Hand und mit schlecht verhehltem Unwillen auf dem Gesichte einen Stuhl herbei. Me-latti hatte gewöhnlich die Oberaufsicht über den kleinen Peter — der mit Spielzeug und Früchten ruhig gehalten wurde. So saß denn die Gesellschaft in zwei Gruppen vertheilt, während die Gouvernante sehr spitzig und zerstreut umhersah. Luise empfing harten Tadel, weil sie laut gähnte und ihr Bnch verknitterte — und dabei so unachtsam aussah, daß Fräulein Serpensteyn zu weiterer Ermuthigung sie am Arme zog und drohend anblickte. Diese Drohung war so kräftig, daß Luise Die große Intrigue. yII es für gerathener hielt, sich mäuschenstill an die Arbeit zu begeben. Fräulein Serpensteyn kreuzte ihre kolossalen Arme über ihren kolossalen Busen, und dachte nach..... Nicht einmal vier und zwanzig Stunden waren ihr geschenkt, um Hand an's Werk zu legen. Aber mit Vergnügen dachte sie daran, daß Alles bereit sei, daß sie ihre Minen springen lassen könne! Nur etwas war ihr nicht klar — ihr eignes Gefühl gegenüber Van Spranekhuyzen! Haßte sie ihn, oder liebte sie ihn noch? Zuweilen glaubte sie das Erstere — in anderen Augenblicken war sie vom Gegentheil überzeugt. Eduards Verbrechen war seine Liaison mit Mevrouw Tinman Todding, an die er ungefähr in derselben Weise schrieb, wie an sie. Sollte er sie, die ehrsame Alphonsine Serpensteyn, deren jungfräuliches Herz sich ihm so ganz ergeben hatte, der kein Opfer zu groß erschien, wenn er es von ihr verlangte — sollte er sie wirklich verrathen haben? Sie dachte lange und angelegentlich nach, aber welche Wendung ihr Gedankengang auch nehmen mochte, stets fester wurde die Überzeugung in ihr, daß sie auf die feigste Weise betrogen sei, daß sie sich rächen müsse! Dann schweiften ihre Blicke voll großer Befriedigung nach ihrem riesigen Koffer in der Zimmerecke — 236 Dic großc Inttiguc. dort 'lagen ihre Beweisstücke verborgen! Sie sollte bald, heute noch, einen glänzenden Sieg über den Mann gewinnen, der sie, nach seinem eigenen Ansdrnck, für eine „gefährliche Canaille" hielt. Und dann schwebte noch ein unbestimmter, sonderbarer Plan vor ihrer Phantasie, ein Plan, der den listigen Intriguant wohl überraschen sollte, aber zu dessen Ausführung sie ihn zu nicht geringer Freude ihres erbitterten Herzens insgeheim verurtheilt hatte. Auf einmal sah Fräulein Serpensteyn auf. Auf der hölzernen Galerie vor den Gastzimmern erklangen Schritte. Mr. Cornelis Andermans stand vor ihr. Luise erhielt schnell einen freundlichen Blick, obschon das Kind sie sehr unverschämt und unzufrieden ansah. Andermans zog einen Mattenstuhl an den Arbeitstisch und setzte sich. — „Ich komme, um mit Ihnen zu sprechen, Fräulein Serpcnsteyn!" — sagteer so förmlich und trocken, wie immer. Die Gouvernante stand Höftich auf, verbeugte sich lächelnd und sprach einen langen Wortschwall, nur um Herrn Andermans zu überzeugen, daß ihr ganzes Herz feinen Interessen geweiht sei. — „Es thut mir leid" — fuhr dieser fort — „daß ich so wenig Erfolge für meine Gesundheit durch Dit große Intrigue. u^ meinen Aufenthalt hier bemerke! Um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, ich fühle mich zuweilen noch eben so liniskkel, als bei meiner Ankunft. Das wird sich auch nicht ändern! Mein Leiden ist von ganz besonderer Art! Ich bin stets niedergeschlagen und verstimmt! Zerstreuung, Gesellschaft — das sind meine Heilmittel!" — „Es ist hier auf Tji-Koening wohl etwas ein« förmig!" — sprach die Gouvernante möglichst theil-uehmend. — „Ich glaube, daß Sie die Wahrheit sagen, Fräulein Serpensteyn! Ich kann nur mit dem höchsten Lobe von Bokkermans Liebenswürdigkeit, Herzlichkeit und Güte sprechen! Er und seine Familie stehen über meinem Lobe. Ich werde mich ihnen stets verpflichtet fühlen.....aber .... aber, enKn, der tägliche Verlauf der Dinge wird mir zu einförmig, ich verfalle wieder in meine frühere Schwermuth . . . ." — „Aber das ist gar nicht gut! Sie müssen Luftveränderung suchen, Meneer! Wollen Sie nicht ins Gebirge gehen — zu der Familie Woodland, zum Beispiel!" Andermans verbeugte sich sehr gemessen, und schüttelte dann ebenso gemessen den Kopf. — „Nein, Fräulein Serpensteyn! Das habe ich auch überlegt. Ich wiederhole Ihnen, mein Leiden ist 238 Dic großc Intrigue. ganz seelischer Art! Ich habe Zerstreuung nöthig — Abwechselung und Bewegung. Interesse an Diesem und Jenem! Ganz recht" — wiederholte er bei sich selbst — „Interesse an Diesem oder Jenem!" Es kam Fräulein Serpensteyn vor, als ob ihr Herr sie mit einem bedeutungsvollen Ausdrucke ansah. Jetzt erst bemerkte sie, daß Andermans außergewöhnlich nett gekleidet war, und daß in seiner Stimme eine gewisse Rührung lag. Blitzschnell kam ihr ein Gedanke in den Sinn, der ungefähr so zu übersetzen wäre: Herr Andermans wünscht sich zumzweiten Male zu verheirathen, und wird mir gleich seinen Antrag machen! Zu den geheimen Idealen Fräulein Servensteyn's hatte diese Heirath schon lange gehört. Sie hatte dieß auch Spranekhuyzen mitgetheilt, der die Sache gar nicht übel fand — als Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Position. Damals hatten Beide für diese Idee geschwärmt, weil sie sich dann täglich sehen konnten. — Die Gouvernante als Herrin des Hauses Andermans, der Junker, mit den BokkermanS versöhnt, und von dem Gelde der Bokkermans lebend, als ihr innig verbundener Freund, diese ganze Idee stieg jetzt wieder in ihrer Seele auf — sie lächelte schnell und bitler — sie dachte an eine Stelle in Spranekhuyzens Brief an Tinman Toddings Die große Intrigue. Zgg Frau. Auch dieß Geheimniß hatte er mit dem grenzenlosesten Leichsinn verrathen! Alle diese Gedanken kreuzten sich in dem Kopfe der gewandten Gouvernante. Aber sie stimmte mit einer Fluth von Worten Andermaus Meinung bei. Zu besonderem Vergnügen und persönlicher Satisfaktion fand sie auch für gut, Luisen zu sich zu winken, und dem Kinde einen Kuß auf die Stirne zu hauchen. Luise fürchtete sich vor ihrem Vater, und ließ sich deshalb, obwohl sehr ungern, liebkosen. Andermans erwachte aus dem kurzen Hinbrüten, in welches er nach seinen letzten Worten versunken war, lächelte seinem Töchter« chen zu, und antwortete seiner sprachseligen Gouvernante : — „Da es hier also ein wenig einförmig zu werden anfängt, so habe ich beschlossen, noch diese Woche nach Batavia abzureisen!" — »Vnak, 6ukk!« — fällt Luise ins Wort, die sehr gut begriffen hat, was ihr Vater sagt. — „Nach Batavia — nach Hause! Viel hübscheres Zimmer, als hier'." — „Wenn Sie mich fragen, Meneer!" — setzte das Fräulein hinzu — „ich bin viel lieber in Batavia! Ich wurde hier wirklich sehr herzlich und freundlich aufgenommen — ich kann nur mit großem Lobe 24 ft Die große Intrigue. davon sprechen, aber ich verlange doch sehr danach, unsre Freunde wiederzusehen'." — „Halten Sie sich also fertig, in einigen Tagen abzureisen, he? Ich will versuchen, mir selbst so viel Abwechselung als möglich zu machen! Aber was ich eigentlich sagen wollte! Ich bin sehr zufrieden über das Betragen der Kinder, Fräulein! Und ich mache Ihnen sehr mein Compliment über Ihre Sorgfalt während unseres Aufenthaltes bei der Familie Botkerman!" Fräulein Serpensteyns Wange zeigte eine leichte Rothe! Ihre Herzlichkeit gegen Luisen war im Steigen. Als das Kind gelobt wurde, zog sie dasselbe noch näher an sich heran — sie strich ihm das Haar glatt, sie glättete sein Schürzchen unc lächelte sehr süß. Aber sie antwortete nichts — auf so viel Lob vermochte ihre Bescheidenheit nichts zu erwiedern! Andermans fuhr fort: — „Ich schmeichele mir, Fräulein Serpensteyn, daß Sie mit Ihrer Stellung bei mir zufrieden sind! Ich möchte Sie aber mehr oder weniger auf Veränderungen vorbereiten, welche ich in Znkunft zu machen gedenke!" Die Gouvernante betrachtete sehr aufmerksam den blauen Umschlag von Luisens Schreibehefte, und wartete mit Herzklopfen ab, was kommen sollte. Die große Intiigul. »i j — „Es ist mein Plan, mich zum zweiten Male zu verheirathen, Fräulein Serpensteyn'." Luise starrte ihren Vater mit weitaufgerissenen Augen an — ihre Gouvernante entdeckte immer wichtigere Gesichtspunkte auf dem blauen Umschlage. Herr Andermans fuhr eben so gemessen und ruhig fort i — „Ich glaube, daß es auf die Dauer auch für meine Kinder wünschenswerth ist, wenn sie eine zweite Mutter haben, die ihnen den Verlust der ersten einigermaßen ersetzt! Zu gleicher Zeit halte ich es für meine Pflicht, zuerst mit Ihnen davon zu sprechen'." — „Ich bin sehr tief gerührt von der großen Ehre, die Sie mir erzeigen, Meneer Andermans! Ich kann Ihnen heilig versichern, daß ich Sie stets mit der ehrerbietigsten Werthschätzung geachtet habe! " Jetzt war die Reihe des Verbeugens an Andermans. Darauf sprach er weiter: — „Ihre guten Gesinnungen sind mir sehr angenehm, Fräulein Serpensteyn! Sie geben mir im Voraus die Überzeugung, daß Sie mein Anliegen erfüllen werden, welches ich an Sie zu richten gedenke!" Fräulein Serpensteyn suchte nach ihrem Taschentuche, da sie nicht wußte, welche Gemüthsbewegung ihr vielleicht bald bevorstände! Indische Niblwlhcl. V. 16 24Z Die große Intrigue. — „Es ist mir vom höchsten Werthe, daß Sie fortwährend in meiner Familie bleiben, Fräulein! Und darum wollte ich mich im Voraus davon versichern, ob Sie auch ferner Lust haben, die Erziehung meiner Kinder zu vollenden, auch nach meiner zweiten Ehe mit Fräulein Betsy Bokkerman!" Mit einem Ruck erhob die Gouvernante den Kopf. Vergebens wollte sie etwas sagen. Klatsch! erklang ein Schlag in der Zimmerecke, in welcher der kleine Peter saß. Der kleine Oewaltthätige hatte Melatti einen tüchtigen Schlag gegeben, und fing nun ein lautes Geschrei an. In der daraus entstehenden Verwirrung konnte Hen Andermans nicht verstehen, was die Gouvernante antwortete. Die große Intrigue. »ig VIII. In dem viele 8van-de8aai- gab in allgemeinen Ausdrücken zu verstehen, daß er Ursache zur Klage über einige Vorfälle in der inländischen Verwaltung habe.......und sollte es — fügte er mit besonderer Bedeutung, die aber nur von Wenigen verstanden wurde, hinzu — der Fall sein, daß diese Ehrfurcht, aus welchem Grunde auch, durch den oi-anF-Key'ii verletzt würde, so wolle er dafür wachen, daß die strengsten Strafen in Anwendung gebracht würden. Mit beinahe flüsternder Stimme antwortete der Die große Intrigue. Jgg Alteste der Demangs. ein ruhiger, suudauesischer Edel-man mit dem Titel Rahden. Man verstand nichts weiter davon, als unzählige Glückwünsche für den 1uo>van-d68aar, die X^uiija-desÄar und ihre ganze Familie. Herr Bokkerman erklärte die Versammlung für geschlossen, ersuchte aber die Gesellschaft, noch eine Weile auf ihn zu warten. Dann gab er dem Demang von Tji-Koening, Rahden Moeriah Kesoemab, einen geheimen Wink; dieser erhob sich schnell aus seiner gebückten Haltung, und verneigte sich demüthig vor seinem Herrn. Zu aller Erstaunen entfernte sich darauf der loe^n-desaar mit Andermans, Woodland und dem Demang von Tji«Koeniug. Man betrat ein Seitengemach, in welchem sich ein Schreibtisch befand, über dem mehrere sehr sorgfältig geschriebene Tabellen über Bevölkerung, über Dienstpflichten und dergleichen mehr, hingen. Als die Vier in dieses Zimmer getreten waren, schloß August Bokkerman sehr feierlich die Thüre. — „Andermans" — fragte er in sehr ceremoniellem Tone — „wollen Sie mir die Ehre erweisen, hier in einem sehr ernsten Verhöre als mein Zeuge aufzutreten ?" Andermans verneigte sich bejahenr, und setzte sich neben seinen Wirth auf einen bequemen Rohrstuhl, Z54 Die große Inlrigue. während Woodland einen hohen Komptoirstuhl erhielt, und der Demang in einiger Entfernung von den Herren auf den Boden niederkauerte. Als man sich gesetzt hatte, fing August Bokkerman wieder zu sprechen an, dießmal aber Malayisch, damit das Distriktsoberhauftt Alles verstehen könne: — „Es wird Ihnen nicht entgangen sein, Freund Andermans, daß ich in meiner Rede von so eben meine Unzufriedenheit über einige Vorfälle in der innern Verwaltung zu erkennen gab. Seit einiger Zeit kommen mir nehmlich Klagen zu Ohren, die ich erst für nicht wichtig hielt, aber die nach und nach meine volle Beobachtung erforderten. Die Klagen wurden ausgesprochen von meinem Vetter und Beamten, Woodland, hier gegenwärtig !" Woodland verbeugte sich, heimlich und zufrieden lächelnd, auf seinem hohen Sessel. — „Sie richteten sich stets" — fuhr der Landesherr fort — „gegen meinen Freund Wilhelm Outs-hoorn, dem ich die Kontrole über den Distrikt Tji-Koe-nmg in meiner unmittelbaren Nähe anvertraut habe. häusliche Verhältnisse ernster Art verhindern meinen Kontroleur, hier gegenwärtig zu sein, was ich sehr beklage , da er uns auf alle unsre Fragen gleich hätte antworten können!" Die große Intrigue. 255 Woodland lächelte nochmals flüchtig; er hatte schon mit einer gewissen Besorgniß an Outshoorns Erscheinen gedacht. Er glaubte zwar, sichere Beweise vorzubringen, aber es war ihm doch angenehm, als er hörte, daß Outshoorn nicht erschienen sei. . Der ^06^v2Q-de8aai- fuhr fort: — „Ich darf Ihnen nicht verschweigen. Freund Andermans, daß, allem Anscheine nach, die Anklage meines Vetters Woodland durchaus nicht aus der Luft gegriffen zu sein scheint. Es liegen Beweise vor. Heute Morgen hoffte ich noch, beide Partheien einander gegenüber zu stellen — ein unglücklicher Zufall verhindert dieß. Ich bitte Sie deshalb freundlich, in Ihrem Berufe als Advokat auf die Erklärungen meines Betters Woodland und des Demang achten zu wollen. Später werden wir meinem Kontroleur das Vernommene mittheilen. Aber ich fürchte sehr, daß es ihm nicht glücken wird, sich von aller Schuld zu reinigen!" Es erfolgte eine kleine Pause. Woodland zog wiederholt seine riesigen Manschetten über seine knochigen Finger, und sah seinen Chef an. Dieser winkte ihm, zu sprechen. — „Vetter Bokkcrman weiß" — sing dieser an — „was ich zu sagen habe. Ich beklage es, unter meinen Amtsgenossen einen Konttoleur zu wissen, der die weisen 236 Dic großc Intrigue. Verwaltungsmaßregeln, welche der Landesherr selbst vorgeschrieben hat, heimlich entkräftet. Lange Zeit hat mein geehrter Vetter nicht auf meine Beschwerden hören wollen. Endlich scheint er einzusehen, welche Gefahr ihm droht. Die ganze Bevölkerung unsers nördlichen Distriktes ist in Aufruhr. Unser Demang. Rahden Moeriah Kesoemah, wird es Ihnen bezeugen. Die Anleitung dazu giebt der Kontroleur Outshoorn. Dieser hat den Dorfsoberhäuptern allerlei sonderbare Ideen vorgeschwatzt — hat die Bevölkerung bei dem Anlegen von Wegen und Brücken in seinem Distrikte der Herrendienste entschlagen, während er Alles versucht, um die elendesten und trägsten doech'anF» (Tagelöhner) in seinen Dienst zu nehmen!" — „Das Alles hat nichts zu bedeuten, Sir!" — rief August Bokkerman ungeduldig aus — „Erzählen Sie uns wichtigere Thatsachen!" — „Ich fahre fort!" — sagte der bengalische Farbige, während er unbemerkt mit der sundanesischen Obrigkeitsperson einen Blick des Einverständnisses wechselte. — „Der Kontrolenr Outshoorn hat den bei uns stets hoch gehaltenen aäat gebrochen, hat den oranF-kstM gegen seine Oberhäupter aufgehetzt — hat verschiedene Male verboten, daß die Bewohner aus dem Kamvong Baryassa und aus dem Kampong Menassan Dit große Intrigue. 2 57 ihrem Demang die gebräuchlichen Geschenke überreichten — hat unser Distriktsoberhaupt Rahden Moeriah Ke« soemah persönlich auf die feigste Weise in seinem Ansehen mttermmirt!" Andermans wandte unaufhörlich seine kleinen, funkelnden Augen von dem bengalischen sin^'o auf den Demang. Dann bewegte er sehr gemessen den Kopf und sagte: — „Die Beschuldigungsakte klingt sehr schwer, wenn jede der Thatsachen nehmlich gerichtlich bewiesen werden kann!" - Herr Bokkerman machte eine befehlende Geberde zu dem Distriktsoberhaupte, der den Kopf auf die Brust sinken ließ und beinahe flüsternd begann: — .„Vergieb mir, Herr, wenn ich meinen Muud in Deiner Gegenwart öffne. Aber wenn ich meinen großmüthigen Beschützer von Goenoeng Agong sprechen höre, darf auch ich nicht länger schweigen. Ich habe hier viele meiner Leute in der Nähe, die Alles bezeugen können — der to^van-kontl-oioiii' hat meinem Ansehen entgegengewirkt — er erzählte dem oranF-Kktjii aus dem Kampong, daß sie mir gar keine Geschenke zu geben hätten. Er verbot es ihnen, mir dieselben zu bringen. Draußen stehen zwanzig meiner Leute aus Baryassa, die können es beschwören!" Indische Nibliolhtl. V. 17 258 Die großc Intrigue. August Bokterman bewegte sich unruhig auf seinem Stuhle hin und her. Im Geheimen hatte er noch immer einige Hoffnung gehabt, daß die Anklagen gegen Outs-hoorn unbegründet sein würden. Aber er kannte seine Sundanesen zu gut, um nicht einzusehen, daß der De-mang Gründe für seine Behauptungen habe. Er sah deshalb Andermans sehr bedeutungsvoll an und sagte: — „Was ist die Ursache von Eurer persönlichen Feindschaft mit dem Kontroleur, Demang?" Rahden Moeriah Kesoemah erhob flüchtig den Kopf. Ein schneller flammender Blick blitzte aus seinen schwarzen Augen. Der Sundanese war in seiner tiefsten Seele beleidigt — er wollte sich rächen, deshalb sagte er: — „Dein Diener würde von seinem eignen Leid geschwiegen haben, Herr, wenn er nicht glaubte, daß sein Schweigen in Zukunft vielleicht schwarze Tage über diese gesegneten Fluren bringen könne. In dem Kam-pong Menassan hatte ich eine schöne Jungfrau zu meiner Gattin erwählt: Sie war meine Blutsverwandte — die Tochter Asban's, meines Vaters Stiefbruder. Für sie hätte ich gern meine Frau verstoßen, denn sie war sehr schön, Herr. Aber sie wies mein ernstliches Anliegen zurück — sie hatte ihre Liebe einem kleinen, unbedeutenden Kampongbewohner geschenkt, der sie in kurzer Zeit heirathen sollte, wie es hieß. Endlich be- Die große Intrigue. Zgg merkte ich, daß der ws^Hn-KontroIsu,- oft in den Kam-pong kam — daß er sich lange mit Asban unterhielt, — daß er den Vater und die Tochter aufhetzte, meine Bitte schmählich abzuweisen, weil ich ihr Oberhaupt und Regent war, und daß es gut und recht sei, wenn man mir entgegenwirke. Und vier Männer aus dem Kam-pong Menassan, die draußen auf ein Zeichen harren, haben es gesehen, wie die schöne Jungfrau, die Blume des Kampongs, in den Armen des toewan-koinruieur lag .... Allah ist groß, er wird Gerechtigkeit üben!" August Bokkerman sah Andermans schweigend an. Dieser betrachtete aufmerksam seine Fingernägel, und schwieg auch. Woodland sah sich triumphirend um. Wieder trat eine Pause ein. Endlich sagte der Landesherr sehr ernst: — „Demang, folgt uns hinaus, wir wollen das Zeugniß Deiner Lente hören!" Am selben Tage, ungefähr eine Stunde später, strömte die große Menge der Festfeiernden nach der Zelthütte bei der Zuckerfabrik. Der Aufzug der Priester und loerkli» (Dorfsoberhänpter) hatte die Umgebung der Villa und den Kampong durchkreuzt. Man erwartete die Rückkehr des Demangs mit dem loengn-desaar, um die Feierlichkeit fortzusetzen. In diesem Augenblick l?» Zßy Die große Inttigue. zeigte sich eine Gruppe Damen bei der Zuckerfabrik, die sich mit der lang erwarteten Gesellschaft nach der Fest-Hütte begaben. Die ^onja-dsFaar ging sehr würdig und zufrieden zwischen Herr und Frau Van Spranek-huyzen voran. Man hatte vor einigen Augenblicken auf der Villa beschlossen, sich auf den Weg zu machen, da die Konferenz des Landesherrn mit den Demangs außer« ordentlich lang dauerte. Aber sobald man sich dem Komptoir — so nannten die Damen das Bureau des Gutsbesitzers — näherte, kamen die dort versammelten Herren zum Vorschein. Das Privatverhör der Oberhäupter war abgelaufen. Als die beiden Gruppen zusammentrafen, machte man einige Augenblicke Halt. Die ^jonM-desaar, in dunkelblauer Seide, mit einem Bedienten in ihrem Gefolge, der einen breiten p^'onF über ihrem mit vielen Edelsteinen frisirten Kopfe hielt, die ^jnn^-desaar ging sehr gemessen auf ihren Mann zu, und führte ihm Lucy am Arme entgegen. Die Begrüßung, welche nun folgte, war viel weniger steif und kühl, als man heimlich erwartete. August Bokkerman umarmte mit sichtlicher Freude und sehr herzlich seine Tochter. ^- „So, Kind!" — sagte er mit ernstem Wohlwollen. — „Kommst Du endlich zu Deinen Eltern Die große Intrigue. a«« zurück? Ich dachte, daß wir Dich niemals wiedersehen sollten!" Und darauf wandte er sich an Van Spranethuyzen, welcher in ehrerbietiger Haltung neben Lucy stand: — „Guten Morgen, Herr Van Spranekhuyzen! Viel verändert, he? Aber Versöhnung ist immer ein gutes Ding — die Welt ist gegenwärtig sehr schlecht!" Jeder war durch den außergewöhnlichen Ernst des Landesherr« getroffen. Aber zu gleicher Zeit war es Allen deutlich, daß er seinen Worten einen tiefern Sinn gab, als man im Augenblick meinte — wenn es auch unzweifelhaft war, daß er ungewöhnlich wohlwollend im Bezug auf Spranekhuyzen und dessen Frau gestimmt war. Nach einigen ehrerbietigen Höflichkeitsversicherungen des Letzteren, setzte sich der Zug in Bewegung. August Bokkerman flüsterte seiner Frau einige Worte zu, die einen sehr tiefen, unangenehmen Eindruck auf sie hervorbrachten — und ließ sie dann feierlich mit Lucy und Van Spranethuyzen vorausgehen. Andcrmans ging an des Wirthes Seite, Fräulein Betsy Botkerman begab sich zu ihnen — sie war in besonders festlicher Toilette, in einem weißen, tiefausgeschnittenen Staatskleide, und trug an beiden Armen eine außergewöhnlich große Anzahl goldener Armbänder und Iuwelnadeln in ihrem Haartnoten. Ihr Gesicht zeigte einen besonders geheim- Z62 Die große Intrigue. nißvollen Ausdruck, der nicht ohne einen gewissen Stolz und innere Zufriedenheit war. Die übrigen Gruppen sonderten sich weniger von einander ab, als die, zu, welcher der Landesherr und seine Gemahlin gehörten. Doktor Green, der ein Wittwer war, machte bei feierlichen Gelegenheiten den jungen Damen der Gesellschaft den Hof. Dießmal begab er sich zu Fräulein Serpensteyn, die mit den beiden Kleinen und mit Anna Bokkerman bescheiden das Ende des Zuges bildete. Mr. Arthur Coole hatte sich zu der Familie Woodland begeben, vielleicht, weil er sich dort ungestört seiner Muttersprache bedienen konnte, vielleicht weil Fräulein Mary Bokkerman sich an der Seite von Mrs. Woodland befand. Auf ziemlich großen Abstand von den Damen und Herren erschien die Gruppe der Distriktsoberhäupter, denen der bunte Zug ihrer Diener auf dem Fuße folgte. Langsam schlng man den Weg nach der Zuckerfabrik ein, und wandte sich nach der Festhütte. Die Stimmung der Gesellschaft war ziemlich aufgeregt. Die drei Damen Bokkerman zumal lachten zuweilen hellauf. Besonders Fräulein Mary, wie sie jetzt vorzugsweise genannt wurde, seit Mr. Arthur Coole auf ihrem letzten Geburtstag ihre Gesundheit ausge« bracht hatte. Woodland flüsterte sehr eifrig mit seiner Frau, und erzählte ihr von der Zusammenkunft mit Die große Intrigue. HßI Rahden Moeriah Kesoemah. Ihr Triumph über Outs-hoorn war vollkommen — viele Zeugen hatten ihre Anklage bestätigt. Vetter Bokkerman war vollkommen überzeugt. Indessen hatte der höfliche Ingenieur allerlei Liebenswürdigkeiten an die jüngste Tochter seines Chefs gerichtet. Er hatte etwas mehr Fortschritte in der holländischen Sprache gemacht, als damals bei der Mahlzeit, bei der wir ihn zum ersten Male sahen. Aber meistens drückte er sich noch fehlerhaft genug aus. — „Und wann soll diese Überraschung sein?" — frug er nach einer Behauptung der jungen Dame. — „Ich weiß nicht — Sie müssen nicht fragen, Meneer Coole! LrenFkaii (vielleicht) heute!" — „Ein 8p1enäi<1 Tag heute! Und auch viele Gäste, ist eS nicht so?" — „Sie gehen heute nicht nach der Fabrik, ja?" — „Nein, Miß Mary'. Mistreß Botkerman lud mich ain, um bai Ihnen iuneli und dinner zu nehmen. Ich gehöre bai das Fest — weil ich Herrn Outshoorn versprochen habe, überall für ihn nachzusehen!" — „Xasian Outshoorn! Sein kleines anak (Kind) inati (todt) heute früh!" — „Es ist ein Jammer, wirklich! Aber, erzählen Sie mir, Miß Mary! Der Fentieman mit sainem 2ß4 Dic großc Intnguc. hellem Barte ist Mr. Van Spranethuyzen, ist's nicht so?" - „Ja, das ist Spranekhuyzen'. Ich halte nicht viel von ihm, 8«e<1ak!" — „Von wem halten Sie denn viel, Miß Mary?" Der junge englische Ingenieur erröthete bei seiner vermessenen Frage — er sah sich sehr verwirrt um, und berührte in seiner nervösen Verlegenheit Mary's Hand. Die junge Dame schien darüber sehr zu erschrecken — wenigstens nahm sie schnell Mrs. Woodlands Arm und flüsterte ihr eilig etwas zu. Das laute Geklingel und Gebimmel des Gamelan zeigte jetzt an, daß man sich dem Festplatze nähere. Die Gruppen vereinigten sich hier, und fast Alle unterhielten sich mit lachendem Gesichte in fröhlichem Tone. Nur zwei der Anwesenden schienen davon eine Ausnahme zu machen, der Landesherr selbst und Andermans achtungswerthe Gouvernante, Fräulein Serpensteyn. Aber Beide suchten ihre Stimmung zu verbergen, so daß endlich die ganze Gesellschaft sehr aufgeräumt das Zelt betrat. Eine unübersehbare Menge Sundanesen war von allen Seiten herbeigeströmt, um der Festlichkeit von ferne zuzusehen. Aber Niemand wagte sich einen Schritt weit in den von Lanzen abgesteckten Raum, so daß man in der Festhütte nur zwei Reihen niederge- Die großc Intrigue. 2ßH kauerter Demangs bemerkte, die sich sehr symmetrisch geordnet hatten, während hinter ihnen verschiedene Ga-melanspieler überlaut trommelten und rasselten. Rahden Moeriah Kesoemah trat sogleich in die Reihe der losraks und gab sich die größte Mühe, sein wichtiges Amt als Oberceremonienmeister wieder anzutreten. Er lief mit einem beschriebenen Papier in der Hand umher, denn auch er mußte bald eine Anrede an den Landesherrn richten. Dieser hatte indessen mit den Damen am Eingang der Festhütte Platz genommen. In einiger Entfernung von ihnen knieten fünf Priester in der demüthigsten Haltung. August Bokterman wandte sich zu denselben, nachdem ein Bedienter der Villa einen Haufen weiße Leinwand und verschiedene Stücke Kaschmir von einer schönen Orangefarbe zu seinen Füßen niedergelegt hatte. Hierauf schwieg rund umher der Gamelan. Laut und kräftig fing der Gutsbesitzer wiederum an, die Priester zu bewillkommnen, unr nun auch mit ihnen über ihre Pflichten gegen oranF-ksdjii zu sprechen. Als er geendigt hatte, erhob die ganze Menge ein lautes, sonderbares Geschrei, welches ihren herzlichen Beifall bedeutete. Darauf empfing zuerst der Älteste der Priester aus der Hand des loe->van-d68aar ein Stück weiße Leinwand und einen Streifen orangefarbigen Kaschmir, als Festgabe für ein 266 Dit großl Inttigue. neues Gewand. Der Greis sprach hierauf mit unverständlicher Stimme seinen Dank aus, welcher ebenfalls mit lautem Jauchzen begrüßt wurde. Nun folgte die Anrede von Rahden Moeriah Ke-soemah. Er sprach mit deutlich zu verstehender Stimme, und wandte sich meistens an die versammelten Dorfs» oberhäupter und an die zahlreiche Menge außerhalb der Festhütte. Es waren fortwährende und immer zunehmende Lobeserhebungen des Landesherrn, seiner Frau und seiner Kinder. Der orientalische Reichthum an Adjectiven stieg bis zu den äußersten Grenzen der Möglichkeit. Das Toben und Jauchzen der Menge am Schlüsse seiner Rede zeigte von ihrer Übereinstimmung und Begeisterung. Hiermit waren die officiellen Vorfälle des Morgens beschlossen. Nun erst begann die eigentliche, besondere Freude der inländischen Bevölkerung. Die Oberhäupter erhoben sich aus ihrer gebückten Haltung, und zerstreuten sich über den Festplatz. Die Herren und Damen der Villa gingen umher und betrachteten die verschiedenen Vorbereitungen zu den Volks» Vergnügungen. Außerhalb der Festhütte waren überall zeltartige Gebäude mit schrägen Dächern eingerichtet, unter welchen eine ganze Schaar r«nFFinF8 sich zu den Tanzaufführungen vorbereitete, — unter welchen auch das java'sche Marionettentheater aufgeschlagen war, und Die große Intrigue. »««s wo der inländische Bühnenkünstler sich für seine Pantomime koftümirte. Gerade am Eingänge der Festhütte hielten sich jetzt Mr. und Mrs. Woodland auf, welche eben einen Neuangekommenen Gast sehr herzlich begrüßten — Doktor Damme, der zu Pferde von Goenoeng Agong kam. Da Coole ihm noch nicht vorgestellt war, so entledigte sich Woodland mit viel Takt dieser Aufgabe. Es entstand sogleich eine lebhafte Unterhaltung, da Damme von Allem unterrichtet werden mußte. Seine einzige Frage war jedoch: — „Wie geht es mit Outshoorns krankem Kinde?" — „Zneäuk m»ti (gestorben)!" — rief Lucy, die mit Van Spranethuyzen herbeieilte, um den Doktor zu begrüßen. Der Arzt bewegte den Kopf mit einer zustimmenden Bewegung, und verfiel gleich darauf in sein misan« thropisches Schweigen. Dann machte er seine Aufwartung bei dem Landesherrn und seiner Gemahlin, welche sich an der anderen Seite der Festhütte befanden. August Botkerman wandte Alles an, um seine gedrückte Stimmung zu vergessen oder zu vertreiben. Deshalb hatte er einen großen Sack mit Kupfergeld von der Villa bringen lassen, und lenkte die Aufmerksamkeit der außerhalb der Festhütte versammelten sundanesischen Jugend 268 3>k großc Inttignc. auf diese Thatsache. Jetzt belustigte er sich damit, Hände voll äoeiet (kupferne Heller) hinaus zu werfen, und brach immer in ein lantes Gelächter aus, wenn die durcheinander drängenden, wühlenden und taumelnden Knaben sich unter lautem, begeisterten Schreien über das weite Grasfeld in der drolligsten Weise bewegten. Andermans lachte von Herzen mit, ebenfalls Fräulein Betsy Bokkcrman, welche an seiner Seite blieb und seit heute früh außerordentlich viel mit ihm gesprochen hatte, zu großer Verwunderung Mancher, die noch unbekannt mit der Überraschung waren, auf welche Mary in ihrem Gespräch mit dem blonden, brittischen Ingenieur hindeutete. Als Doktor Damme sich zeigte, wurde er mit einer allgemeinen Lachsalve empfangen, was aber den verlegenen Arzt nur noch mehr verstimmte. Doch lauschte er mit erheuchelter Aufmerksamkeit auf Herrn Bokkermans Bericht über die Festlichkeiten, und versuchte selbst mitzulachen über das Umtaumeln des jungen Sunda. Die Aussicht auf ein gntes lunLk und eine gute Mahlzeit bei seinem Chef auf der Villa Tji-Koening ließ ihn jedoch mit ziemlicher Ruhe sein Schicksal ertragen. Indessen hatten sich die übrigen Mitglieder der europäischen Gesellschaft nach allen Seiten zerstreut, um die Vergnügungen der Sundanesen in Augenschein zu neh- Die große Intrigue. Ißy men. An dem einen äußeren Ende der Festhütte war eine große Menge versammelt, um den Vorstellungen des 'vvaMiF koslit (inländisches Marionettenspiel) zuzuschauen. Arthur Coole mit den beiren jungen Damen Bokkerman befand sich auch dort, und frug nach der Bedeutung der verschiedenen Vorstellungen. Vor sich cmf dem Fußboden sah man eine Art Bühne, welche nur drei Fuß hoch war und eigentlich nur aus einem Bambusbalken mit einigen aufrechtstehenden Vambus-latten bestand, welche wiederum durch Bambus verbunden waren. Dahinter kauerte ein alter Sundanese, der aus einer Kiste allerlei sonderbare und mißgestaltete Puppen zum Vorschein brachte, welche zu Schauspielern auf seiner Bühne bestimmt waren. Hinter dem Alten hatte sich das Gamelanorchester aufgestellt, welches fortwährend mit rnhelosem Eifer seine räthselhafte, eintönige Melodie hören ließ. — „Was ist die Meinung hiervon, Miß Mary?" — frug der englische Ingenieur, indem er auf den Spieler zeigte, welcher eine der Puppen in den Bambusbalten gesteckt hatte. — „1>da, sehen Sie!" — lautete die Antwort. — „Sie müssen nur sehen nach dem alten Mann seine Hände — er nimmt dairjak Puppen aus seiner Kiste. Hören Sie, er singt!" 270 Dic große Intrigue. Wirtlich hob der Spieler jetzt eine Art vaterländisches Recitativ an, während der Gamelan schwieg. Zwei Marionetten standen mit ihren dünnen, spukhaften Körpern auf dem Balken, und schienen die Hauptpersonen des dargestellten Drama's zu sein. — „Aber" — frug Mr. Coole weiter — „was singt er denn? Können Sie es begraifen, Miß Mary?" — „Ich weiß nicht! Ich kann nicht verstehen! Iava'sch, ja? Gleich spricht er mälayisch — dann werde ich wohl sagen!" — „Aber was meinen die Puppen denn?" — „Eine hübsche tjerita (Geschichte) von sawL Prinz und 8ato6 Prinzeß — sehr hübsch, ja? Sie heirathen auch, aber erst kommt etwas von Fechten darin, ja?" — „So eine Geschichte kenne ich auch, Miß Mary! Kein Prinz, aber ... ein junger Mann, a daokslor, ol oolite — und keine Prinzeß, aber eine sehr liebe, junge Lady — ich weiß nicht, ob sie heirathen, aber ich weiß sicher, daß sie nicht fechten werden!" Mary sah sehr verlegen vor sich nieder, nahm den Arm ihrer Schwester und lief schnell weg, während ihr der junge Britte sogleich folgte, ohne sich weiter um die Vorstellungen des wa^nF koslit zu bekümmern. In der Festhütte hatte sich eine andere Gruppe um einen Künstler versammelt, der sich knieend neben den Die große Intrigue. y^ Gamelanspielern tostümirte. Er hatte das lange, schwarze Haar, welches gewöhnlich unter dem Kopftuche getragen wird, losgemacht, und versuchte, es unter eine Art Diadem zu ordnen. Dann zog er eine weiße Maske hervor, deren Züge abscheulich und auffällig waren. Dann ordnete er die Falten eines sonderbaren, weißen Obertleides, und erhob sich vom Boden. Woodland und Van Spranekhuyzen sahen zu. Der Mann mit der Maske wand sich jetzt in allerlei Krümmungen, und machte mit seinen Armen allerlei krampfhafte Gesten, bei welchen zumal seine Finger in unaufhörlicher zuckender Bewegung waren. Einer der Gamelanspieler fiel nun mit einem begleitenden Gesänge ein, dessen Inhalt Woodland an Van Spranekhuyzcn erklärte. Der Künstler schien in seiner Kunst sehr erfahren zu sein, immer wieder hörte man das Beifalljauchzen des Publikums. Die Damen verweilten nicht lange dabei, sie wollten gern die Menge außerhalb der Festhütte beobachten. Inder Mitte eines Stromes Vorübergehender wurde Spranekhuyzen auf kurze Zeit von Lucy geschiecen. Er sah sich um, gerade neben ihm war das achtbare Fräulein Serpensteyn. Sie war ihm gefolgt — schon lange gefolgt, mit Andermans Kindern an der Hand, aber sie hatte noch keine passende Gelegenheit gefunden, ihm ein 272 Dic große Intrigue. kurzes, aber nöthiges Wort zuzurufen. Jetzt sah sie ihn kalt und ausdruckslos an und sagte: — „Ich muß Dich allein sprechen, heute noch! Alles steht auf dem Spiele!" — ,Ma Hers Alphonsine! Ich bin ganz zu Deinen Diensten!" Spranekhuyzen lächelte vergebens so freundlich als möglich. Fräulein Serpensteyn sah ihn eben so kalt und herausfordernd an, als mit ihrem ersten Blicke. Wiederum sagte sie: — „Heute muß ich Dich sprechen! Sorge, daß Du in mein Zimmer kommst, wenn Alle nach dem Frühstück schlafen! Ich wohne in den Seitengebäuden im letzten Zimmer! Es ist kein Irrthum möglich! Und sollte ein Irrthum entstehen — weh Dir, Eduard, weh Dir!" Die große Intrigue. 2,7 g IX. "Die Aeberraschung Nist Naru'e wird ßekannt, Van Spranckynuzm zwischen zwei Feuern Mevrouw Bokkerman fühlte sich gar nicht recht comfortable. Nicht weil es an der Tafel an irgend etwas gebrach, nicht weil sie jetzt eine größere Anzahl an derselben versammelt sah, als gewöhnlich — nicht weil die kostbare und reiche Mahlzeit in irgend einer Weise ihren Tadel verdiente — aber sie dachte zuweilen an Alles, was sie über Outshoorn gehört hatte, und was sie nicht glauben wollte. Sie dachte im Allgemeinen nicht besonders über die verschiedenen Umstände des täglichen Lebens nach — aber sie hatte Mitleiden mit dem jungen Manne, der sein einziges Kind verloren hatte und in seiner Abwesenheit so schwer beschuldigt wnrde. Und noch ein anderer Umstand quälte sie, daß Lucy schon am anderen Tage abreisen wollte, während sie doch im Stillen gehofft hatte, ihre Tochter nach langer Abwesenheit wieder lange bei sich zu behalten. Ein dritter Umstand war ihr auch nicht ganz recht, aber da er mit Indische Viblioll'tt, V. 18 274 Dic große Inttiguc, der mehrerwähnten Überraschung in Verbindung steht, müssen wir denselben noch verschweigen. Das Frühstück war im vollen Gange. Das Geräusch der von allen Seiten sehr lebhaft geführten Gespräche bewies, daß die Festfreude von da draußen den günstigsten Einfluß auf die Stimmung der verschiedenen Gäste ausgeübt hatte. August Bokkerman hatte viele Gründe zu heimlichem Kummer, aber versuchte doch, durch eifriges und lautes Sprechen sich in eine gekünstelt frohe Laune zu schwatzen. Outshoorns Angelegenheit that ihm sehr leid — er hatte beschlossen. Alles ruhen zu lassen, bis sich der Beschuldigte selbst vertheidigen könne. So lange wollte er sein Urtheil ausstellen, obgleich er im Stillen der Überzeugung war, daß die Schuld vollkommen erwiesen sei. Andermans war ungemein fröhlich. Er saß neben der Njo^a-desaar und ihrer ältesten Tochter Betsy. Da er selbst seinen Plan, sich zum zweiten Male zu verheirathen, seiner Gouvernante mitgetheilt hat, so können auch wir das Siegel des Geheimnisses aufheben, unter welchem die Hausgenossen noch die wichtige Neuigkeit bewahren mußten. Andermans hatte während seines Aufenthaltes bei der gastfreien Familie Bokkerman langsam den Plan gereift, der ältesten Tochter des Hauses den ehrenvollen Die gloßc Inlriguc. »7«; Titel: Mevrouw Andermans mit allen den damit verbundenen Emolumenten anzubieten. Von seiner Seite sprach viel dafür. Fräulein Betsy war nicht mehr blutjung, sie zählte mehr als fünfundzwanzig Jahre, und wurde einstens die Erbin von einem Theile des Bokker-manschen Vermögens. Seine Kinder standen zwar unter der Sorge Fräulein Serpensteyns, mit welcher er sehr zufrieden war, und die er auch nach seiner zweiten Heirath als Gouvernante zu behalten hoffte — aber es war in jeder Hinsicht doch besser, ihnen eine zweite Mutter zu schenken. Auch für sein persönliches, häusliches Leben zu Batavia schien ihm eine zweite Ehe sehr wünschenswerth, und deshalb hatte er, nach reiflicher Erwägung aller Gründe, mit seinem Wirth über den Plan gesprochen. Bokkerman nahm sein Anliegen sogleich sehr günstig auf. Das Ansehen und Gewicht seines Freundes in der indischen Gesellschaft waren der Art, daß er keinen Augenblick zögerte, Andermans An< liegen wohlgefällig anzunehmen. Als Fräulein Betsy über diese Sache zu Rathe gezogen wurde, hatte sic erst geheimnißvoll geschwiegen, dann gelacht, nachher wieder geschwiegen, endlich sich auf ihre Mutter berufen, und auf sehr verwickelte Weise ihre Zustimmung zu erkennen gegeben. Andermans war wohl über die vierzig, aber man tonnte doch auch nicht 18» 276 D't große Inttigue. behaupten, daß er wie ein Greis aussah. In Batavia eigene Villa, Equipage, einen Empfangstag zu halten, schien ihr auch eine lachende Aussicht, da sie die Vergnügungen und Veränderungen des Lebens auf Tji-Koening bis jetzt sehr genau hatte kennen lernen. Die Einzige, welche den Heirathsplan aus einem weniger günstigen Gesichtspunkte ansah, war, wie schon gesagt, die ^jon^-d682ar> die ihren zukünftigen Schwiegersohn für viel zu alt hielt, und die Aussicht, noch eine Tochter nach Ba» tavia ziehen zu sehen, sehr unangenehm fand. Dieß war also der dritte Grund zu der unangenehmen Stimmung der würdigen Frau. Auch die Gäste von Goenoeng-Agong gaben während des Frühstücks die unzweideutigsten Beweise von hoher Freude mit dem angenehmen Festtage. Woodland erlaubte sich, mit dem Landesherrn laut englisch zu sprechen — seine Frau, die rechts neben dem losn-an-dssaar saß, folgte seinem Beispiele. Doktor Melchior Damme sprach sehr wenig, aber aß und trank desto mehr — er saß zwischen Fräulein Serpensteyn und Fräulein Anna Bokkerman und machte zuweilen einige mißglückte Versuche, Artigkeiten zu sagen, die aber kaum bemerkt wurden. Die achtbare Gouvernante schenkte Luisen ihre ganze Aufmerksamkeit, deren Eßlust bei dem Dessert von Früchten und Gebäck gar Die große InttMl. Z77 nicht genug zu bekommen schien. Weiter hatte sie Doktor Green zu antworten, der neben Luisen saß und sein Möglichstes that, um der umfangreichen Schönen seine Festtagscourtoisie so deutlich als möglich zu beweisen. Niemand vermuthete, daß in diesem Augenblicke zwei gewaltige Leidenschaften in ihrem Herzen um den Vorrang stritten: Haß und Jalousie. Aber zuweilen sah sie unbeobachtet auf Spranekhuyzen, der an der anderen Seite der Tafel zwischen Lucy und seiner Schwiegermutter saß — und dann blitzte so viel droh-enrer Zorn und bittere Geringschätzung aus ihrem Blicke, daß der geistreiche Junker gewiß davor zurück-gebebt wäre, wenn er sich nicht gar zu eifrig damit beschäftigt hätte, die Gesellschaft mit geistreichen Redensarten zu unterhalten. Zuweilen verirrte sich ihr Blick auch zu Andermans, und dann kräuselte sich ihre blutlose Lippe zur drohendsten Verachtung. Von Zeit zu Zeit lächelte sie still vor sich hin — sie dachte daran, daß die Stunde der Rache nahe, daß sie die ganze Familie Votkerman, die ganze hier versammelte Menge, Gäste und Hausgenossen auf die nachdrücklichste Weise daran erinnern werde, daß man sie, Alphonsine Ser-pensteyn, beleidigt habe! Ganz andere und friedlichere Gedanken enthielt das Gespräch, welches an der anderen Seite der Tafel Mr. 278 Dtt Wfic Intrigue. Arthur mit Miß Mary führte. Woodland, Spranek-huyzen und Lucy, welche in seiner Nähe saßen, hätten ihn mehrere Male auf galant äelit von verliebten Blicken, leise geflüsterten Schmeicheleien und stillem Verständniß ertappen können, wenn nicht Jeder selbst mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen wäre, welche sich wenig um Mr. Arthur Coole's verliebte Stimmung bekümmerten. Inmitten dieser vielseitigen Interessen im Gespräche wurde die allgemeine Aufmerksamkeit Plötzlich durch ein lautes Ticken an das Glas und eine laute Aufforderung des ^oe^an-deZaar in Anspruch genommen, der einen Kelch mit Champagner erhob und gemessen, aber sehr verständlich wiederholte: — „Meine Damen und Herren!" Augenblicklich herrschte vollkommene Stille. Der Landesherr sah sich erst um. winkte den Be« dienten, ruhig zu bleiben, und sprach nochmals: — ..Meine Damen und Herren! Es ist mir eine besondere Freude, bei dieser festlichen Gelegenheit Sie Alle an meinem Tische versammelt zu sehen. Ich hoffe, den ganzen Tag und den Abend in derselben angenehmen Stimmung mit Ihnen zu durchleben. Vergönnen Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit auf ein Ereigniß zu lenken, das Ihnen wahrscheinlich noch unbekannt ist, und das Die große Intrigue. Z^g ich, zur Erhöhung unserer Festfreude, gern Allen mit« theilen möchte. Wir feiern heute noch ein anderes, ein häusliches Fest. Ich will nämlich mit diesem Trunke einem verlobten Paare meinen Glückwunsch darbringen — ich will meinem Freunde Andermans Glück wünschen zu dem neuen Verhältniß, worin wir jetzt stehen, durch seine Verlobung mit meiner ältesten Tochter Elisabeth !" Natürlich war die Sensation der Anwesenden sehr groß, und was auch der lo^an-dssaHr zur nähern Erklärung seines Toastes noch beifügte, Jeder beeilte sich aufzustehen, um mit dem vornehm grüßenden Andermans und der verlegen nickenden Betsy anzustoßen. Die allgemeine Erregtheit trat in eine neue Phase — alle Herren hielten es für ihre Pflicht, Reben zur Beglückwünschung der Neuverlobten zu halten. Andermans antwortete würdig und in juridischer Kürze. Woodland frug um Erlaubniß, eine englische Rede halten zu dürfen, wonach auch Mr. Arthur Coole sehr herzlich in seiner Muttersprache das Wort ergriff. Miß Mary hörte sehr aufmerksam zu, aber da sie kein Englisch verstand, wußte sie nicht, was der junge Britte sagte. Van Spranekhuyzen hielt die Gelegenheit für geeignet, sich höflich und dringend der Gunst seines Schwiegervaters und zukünftigen Schwagers anzube- 280 Die grosic Intrigue. fehlen. Doktor Green bewies sein Talent, einen humoristischen Toast auszubringen, worauf Doktor Damme begriff, daß er ruhig schweigen könne, da sein Amtsgenoß ihn in dieser Hinsicht weit übertraf. Aber die 5hcii^a-de8inr erwartete ungeduldig den Augenblick, in dem das Ende dieser ausführlichen und steifen Glückwünsche kam — die so viel Zeit kosteten und das Frühstück bis zu einer ungewöhnlich späten Stunde ausdehnten. Und es mußte diesen Tag noch viel vollbracht werden. Die Mahlzeit der Oberhäupter sollte um sieben Uhr anfangen, zu gleicher Zeit sollte das Diner der Villa beginnen, und nach Ablauf desselben wollte man sich auf's Neue auf eas Terrain der Festfreude begeben. Sie fand deshalb Andermans Vorschlag sehr vernünftig, die Fortfetzung der Toaste bis auf den Nachmittag zu verschieben, da es Zeit sei, an die gewohnte Mittagsruhe zu denken. Die Herren Green und Damme nahmen Abschied von der Gesellschaft — ihnen folgte Mr. Arthur Coole, der gegen sieben Uhr wieder an der Festtafel zn erscheinen versprach. Eine Viertelstunde war nach dem Frühstück verstrichen. Niemand war in der Pendoppo. Alles war still — Jeder ruhte. Glücklicherweise war auch keiner Dic qroßc Intiiguc. Z^ s der Bedienten zurückgeblieben, — denn einer der Gäste lief mit seinen Pantoffeln in der Hand, in Kabaai und Morgenbeinllcid äußerst vorsichtig durch die hintere Galerie. Es ist der Junker Van Spranethuyzen. Seine bloßen Füße machen nicht das mindeste Geräusch auf dem marmornen Fußboden. Er schleicht sich vorsichtig hinaus, nach den Seitengebäuden. Das Herz des falschen und ehrlosen Schelms klopft ungestüm. Er war ängstlich, denn die Halwng der Gouvernante war drohend. Er ahnte Unheil, gerade im Augenblicke, wo er sich seinem Triumph so nahe wähnte. Aber noch hatte er nicht alle Hoffnung aufgegeben! Noch rechnete er auf seinen guten Stern — auf seinen erfinderischen Geist. Noch hatte er Alphonsinen nicht gesprochen — und er wußte, daß seine Gegenwart großen Einfluß auf sie ausübe. Sein Zustand war sehr bedenklich. Er hatte sich heimlich aus seinem Zimmer weggestohlen, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ^!ucy in tiefen, festen Schlaf versunken war. Er schleicht athemlos vorwärts. Leise ersteigt er die Treppe, welche nach der hölzernen Galerie vor den Nebengebäuden führt. Er läuft an den Zimmern vorbei, wo die Woodlands Siesta halten, und nähert sich jetzt dem letzten Zimmer. Die Thüre steht offen. Vor- Z82 Die große Inlriguc. sichtig blickt er hinein. An einem Tische sitzt die Gouvernante, noch vollständig gekleidet und frisirt, wie bei der Festtafel heute früh. Sie erhebt den Finger, und winkt ihm gebieterisch zu, einzutreten. Dann steht sie schnell auf und schließt die Thüre, während sie den Schlüssel aus dem Schlosse nimmt und in der Tasche ihres Kleides verbirgt. Spranekhuyzen wartet einen Augenblick, bis sie sich wieder niedergesetzt hat, dann nähert er sich ihr lächelnd: — „Aber was giebt es doch, beste Alphonsine?" Er spricht so freundlich als möglich, und versucht, ihr in die Augen zu sehen. Fräulein Serpensteyn preßt die Lippen fest aufeinander und wirft ihm einen Blick voll zerschmetternder Verachtung zu. — „Bist Du bös. ma ekere? Gut, aber dann sage doch wenigstens warum?" Die Gouvernante lehnte hintenüber in ihrem Schautelstuhl. Sie will etwas sagen, aber Zorn und Erregung ersticken ihre Stimme. Spranekhuyzen kommt einen Schritt näher, läßt sich auf sein rechtes Knie nieder, erfaßt ihre Hand und versucht, dieselbe an seine Lippen zu drücken. Aber die wüthende Frau zieht plötzlich ihre Finger zurück, und führt mit derselben Hand, die er küssen will, einen schallenden Schlag in sein Gesicht aus. Tödtlich entstellt taumelt der Junker zurück. Dit großt Inlriguc. 2^^ Er blickt zur Thüre und unterdrückt einen heisern Schrei des Schreckens und der Wuth. Fräulein Serpensteyn verfolgt seinen Blick und findet Plötzlich die Stimme wieder: — „Nein, entkommen sollst Du nicht, dafür habe ich gesorgt, denn ich bin „eine gefährliche Kanaille", he? Gieb mal Acht, ainioe! Ich bin noch viel gefährlicher, als Du denkst!" Van Spranekhuyzen blieb bleich vor Entsetzen stehen. Unwillkürlich zeigte er nach seiner Stirn, um zu zeigen, daß er sie für verrückt hielt. — „Nein, Mensch!" — krächzte die Gouvernante heiser, — „verrückt bin ich nicht! Gott bewahre mich! Ich werde es Dir beweisen! Du brauchst Dich nicht so mitleidig umzusehen! Hier kann uns Niemand hören. Woodlands schlafen auf der andern Seite — kein Sterblicher ist in unserer Nähe! Ich habe lange darauf gewartet, und lange danach verlangt, Junker Van Spra-nethuyzen, einmal einen Augenblick allein mit Dir zu sein, um Dir einmal nach Herzenslust sagen zu können, welch einen elenden Hundsfott, welch einen feigen Schuft, welch einen ewig verdammten Schurken ich das Vergnügen habe, hier in Person vor mir zu sehen!" Spranekhuyzen war todtenbleich geworden. Er zit» terte an allen Gliedern. Rache über die Beleidigung, 284 Dic Wßc Inttiguc. die ihm zugefügt war, und Furcht vor den Gefahren, welche ihm drohten, bannten ihn bewegungslos auf seinen Platz. Die Gouvernante hatte sich selbst in die äußerste Wuth gesprochen. Die Gegenwart des Mannes, welchem sie Alles geopfert, auf dessen Liebe sie ihre unbegrenzte Hoffnung gesetzt, der sie so geringschätzend verrathen hatte, verdoppelte ihre Erbitterung. — „Nicht wahr, Junker Van Spranekhuyzen? Das hättest Du nicht gedacht von der „alten Gouvernante"? Nicht wahr — man kann sie „vortrefflich gebrauchen, wennman sie nur ein wenig zu lenken versteht?" Aber Jammer, he? —„daß sie so ausgefeimt ist?" Jammer, he — daß sie gegen eine solch ungeschickte Frauensperson, gegen solch eine verächtliche xrostituee, wie Mevrouw Tinman Todding, gewachsen ist!. . ." Spranethuyzen machte hier schnell einen Schritt vorwärts. Schon lange ahnte er die Ursache, welche die Gouvernante so übermäßig aufbrachte — jetzt war er seiner Sache sicher. Alphonsine war eifersüchtig — also hing sie noch an ihm, ihre Wuth, ihre unbändige Raserei zeigten dieses genugsam. — „Einen Augenblick, Alphonsine!" — fiel er so laut ein, als sein Entsetzen nur immer erlaubte, — Dic großc Intrigue. Zo« „sprich kein Wort mehr! Du könntest es später bereuen. Ich begreife Alles, Du hast mit Mevrouw Tinman Todding gesprochen, und das verrückte Weib hat Dir vorgeschwatzt, daß sie mich nur zugut kennt!" Fräulein Serpensteyn lachte laut. Sie warf den Kopf zurück, ergriff eine Brieftasche, und suchte darin nach einigen Papieren. Bald hatte sie ein Blatt gefunden, und warf es dem Junker vor die Füße. — „Da lies! — rief sie erbittert aus — lies, was Du selbst an das verrückte Weib geschrieben hast, lies, was Du Deiner schönen und muthigen Jane zu erzählen hattest über die korpulente Gouvernante, die im Innern ihres umfangreichen Busens ein starkes Verlangen hat, Mevrouw Andermans II zu werden. Du hast es selbst geschrieben, amice, und ich habe es, zu Deinem besonderen Vergnügen abgeschrieben. Das Original ist hinter Schloß und Riegel, won eker!« Trimnphirend wies Fräulein Serpensteyn auf ihren Koffer, wo sie das Original bewahrte. Spranekhuyzen begriff in einem Augenblicke alle Gefahren seines Zustandes. Eine gefaßte Haltung, ein schneller Beschluß waren nöthig. Deshalb ermannte er sich. — „Und ist das Alles, Alphonsine!" — sagte er so ernst und ruhig als möglich - „Ist das Alles? 286 Dic gioßc Intrigue. Und deswegen fällst Du mich so heftig und ungerecht an? Du hast einen Brief von mir an die Person ge« lesen, und wiewohl ich nicht begreife, wer Dir den Brief in die Hände spielte . . . ." — „Sie selbst, Meneer Van Spranethuyzen! Sie wollte mich aushorchen, die reizende Frau, und ließ in ihrer Verwirrung und Ungeschicklichkeit den theuren Liebesbrief fallen!" — „Nun, mag es so sein! Aber was liegt in diesem Briefe außergewöhnlich Entsetzliches . . . ." Fräulein Serpensteyn lachte wiederum hell auf, und sah Sprcmekhuyzen zum ersten Mal lang und forschend an. Ehe er ein Wort sprechen konnte, fiel sie hastig ein: — „Weißt Du das nicht, amioe? Dann will ich es Dir sagen. Dieser Brief hat mich mit einem Male unglücklich gemacht — mit einem Schlage nahm mir dieser Brief all meine Hoffnung, all! meine Erwartung für die Zukunft! Es ist erbärmlich, sehr erbärmlich .... aber es ist so!" Fräulein Serpensteyns Stimme wurde weicher. Sie ließ ihren Kopf auf den Arm sinken — und starrte düster auf den Fußboden. „Ich hätte mich durch solch einen Scandal nicht so leicht außer Fassung bringen lassen sollen!" — fuhr sie mit muthloser Bitterkeit fort - „aber zu Die große Intrigue. ao^ meinem Unglück hatte ich früher ein Herz, das litt, das liebte und fühlte — ich war arglos, ich glaubte! Deshalb habe ich die schändlichen Lügen geglaubt, die Du der alten Gouvernante weiß gemacht hast, damit war ich glücklich — verfluchte Thörin, die ich war! — Ich bildete mir ein, daß mich Jemand wirklich lieb habe, daß es einen Menschen gäbe, der mich vor allen Anderen auserwählt habe! Bah, daß ich so eitel und thöricht war, baß ich auf so gemeine Weise gefangen wurde; bah, tausendmal bah!" — „Aber das mußt Du nicht sagen, Alphonsine! Es ist nichts verändert zwischen uns....." — „Schweig, lüge nicht länger! Ich habe noch nicht Alles gesagt. Du mußt Alles hören! Ich war wirklich glücklich durch Deine geheuchelte Liebe. Junker Van Spranekhuyzen. Ich hatte wohl Gründe dazu — sonst könnte ich mir es selbst niemals vergeben! Ich war mein ganzes Leben lang ein armes, unglückliches Geschöpf — eine der unseligen, anständigen jungen Damen, vor denen man in Holland mitleidig die Nase rümpft, weil sie nicht schön, nicht reich, nicht vornehm sind! Meine Eltern waren arm, mein Vater ein schlecht besoldeter Beamter mit einer großen Familie. Von meinem achtzehnten Jahre an war ich Gouvernante, allerlei Schmach, allerlei Erniedrigung habe ich m 288 Dic große Intrigue. Holland und hier erdulden müssen — selten vernahm ich ein Wort des Wohlwollens, niemals das der Freundschaft. Dann bist Du gekommen, Eduard, mit sanften Worten und Schmeicheleien, dann hast Du mich lange Zeit bethört. Ich hielt kein Opfer für zu schwer, ich wollte Alles für Dich thun! Ich habe Dir treu in Noth und Elend beigestanden — damals, als Deine schlechten Streiche Dir ein schweres Unglück zugezogen hatten! — Ich habe Dir auf jede Weise fortgeholfen — ich habe gesorgt, daß Du mit den Bokkermans versöhnt bist — daß Du morgen Lucy mit der Hoffnung auf ihr Geld zurückführen kannst — daß Du an den Outshoorns gerächt wirst, glänzend gerächt! Ich habe Dir meine Ehre, meine Ruhe, mein Geld: Alles habe ich Dir geopfert — um einfach betrogen zu werden, wie eine gemeine Maitresse! Das ist Dein Werk edel-geborner Hen Van Spranekhuyzen'. Ha! Ha! Du denkst, daß die Stunde Deines Triumphes nahe, he? Aber so weit sind wir noch nicht! Es giebt noch eine Frau, die Alphonsine Serpensteyn heißt, die Dir wie eine wüthende Furie auf den Fersen sitzt — die Dich verfolgen, verrathen, vernichten wird, ha, ha!" Mit einem Male fiel der Kopf der Gouvernante heftig auf den Tifch nieder! Mit einem lauten Schrei Die großc Intrigue. 2gg brach sie in wildes Weinen aus. Ihre ganze Gestalt zitterte — Thränen tröpfelten durch ihre Finger. Spranethuyzen hatte unter den Angriffen der erbitterten Frau den Kopf gebeugt. Eine geheime Stimme sagte ihm, daß in diesem wilden Zorn noch ein Rest von heimlicher Zuneigung zu ihm verborgen sei; — er konnte nicht glauben, daß die Entdeckung seines Ver-rathes sie so plötzlich, so gründlich verändert habe. Er hatte in seinem Leben tausendmal Liebe geheuchelt, tausendmal Verrath geübt, und oft war es ihm geglückt, die beleidigte Frau mit neuen Lügen zu bethören, wenn nur ein Funke Liebe in ihrem Herzen geblieben war. Und die heißen Thränen Alphonsinens sprachen deutlich dafür. Er nahm all seinen Muth und feine Seelenkraft zusammen — er wartete, bis sie den Kopf erhob. Erst schwieg er eine Zeitlang. Dann trat er auf den Tisch zu. auf welchem sie mit ihrem Kopfe ruhte, und fing sanft, vorsichtig und so freundlich als möglich, mit ihr zu sprechen an. — „Alphonswe'. Höre nun ruhig an, was ich Dir zu sagen habe! Sei um Gottes Willen ruhig und verständig! Die Augenblicke sind kostbar. Es gilt unser Beider Glück und Zukunft. Der Schein ist gegen mich! Ich habe Niemand geliebt, als Dich allein Al-Phonsine! Die Geschichte meines Verhältnisses zu dieser Indische Nibliothel, V. 19 29t) Die großc Intrigue. Frau ist kurz und bedarf keiner Erklärungen. Der Kontroleur Tinman Todding und seine Frau waren die Gegenstände allgemeinen Spottes im Marinehötel! Alle jungen Leute, selbst Brandelaar machten der Kontro-leursfrau den Hof, weil sie im höchsten Grade eitel und kokett war. Sie hatte in Batavia fünf Kavaliere, die k tour äs räis in ihrer gnädigen Beschirmung standen — auf Anregen der Anderen ließ ich mich auch unter ihre Günstlinge aufnehmen. Als Tinman jedoch eine Stelle in Krawang empfing, beschloß ich, das Weib zu ütilisiren, und sie zu unserm Werkzeug zu machen!" Spranekhuyzen hielt hier wieder inne, um zu beobachten, welchen Eindruck diese Worte auf sie hervorbrachten, dann fuhr er fort: — „Ich gab ihr soviel Aufklärungen, als ich für nöthig hielt — und sie war eifriger, als ich erwartete, unsre Sache zu unterstützen. Da ich nun aber eine Begegnung von Euch Beiden vermeiden wollte — da ich mit Recht Deine übertriebene Eifersucht fürchtete, Alphonsine, mußte ich in meinem Briefe an sie Deine Person in ein solches Licht stellen, daß die Kontroleurs-frau auf ihrer Hut vor Dir war! Ich that dieß mit der besten Absicht — und ein Zufall spielte Dir den Brief in die Hand, den Du mit der größten Einseitig« Die große Intrigue. »I^ keit gelesen und beurtheilt hast, den Du mir wie eine Anklageakte vorwirfst, während ich mir selbst doch nichts Böses bewußt bin!" Die Gouvernante erhob ihren Kopf. Ihr Auge war matt von Thränen und ihr Mund krampfhaft geschlossen. Sie sah den Junker mit spottendem Erstaunen an. Darauf nahm sie wieder ihre vorige Haltung an, lehnte sich mit über der Brust gekreuzten Armen in ihrem Stuhle zurück, und sagte sehr ruhig: — „Du hast doch auf alle Fälle wieder eine Erfindung bereit, Non oker! Und was mich wundert, ist, daß Du nicht mit der grenzenlosesten Unverschämtheit Alles zugestehst, weil es Dir doch einerlei ist. ob Du eine Person mehr oder weniger betrügst. Aber es ist wahr, so etwas sagt Don Juan nicht selbst, das überläßt er Leporello....." Und Fräulein Serpensteyn flüsterte leise vor sich hin: ..Und in Hlspanien zweitausend und drei Und Sie sind auch dabei!" Spranekhuyzen wandte den Kopf weg. Mit künstlich verstelltem Schmerze führte er seine Hand an die Stirn, und antwortete: — „Nein, Alhponsine, überschütte mich lieber mit Scheltworten, wie früher ! Spotte nicht über mich! Ich wußte nicht, daß Du so bitter und ungerecht sein tönn- 19» Z9Z Die großc IntriM, test! Begreife doch nur, wie die Sache wirtlich ist! Dir allein habe ich meine Ansichten, meine Seele geoffenbart. Du selbst hieltest es für gut, daß ich mich mit Lucy versöhne — Du warst niemals eifersüchtig auf sie. Du wußtest, daß ich sie mit der größten Gleichgiltigkeit bettachtete, wie.....ein nothwendiges Übel. Aber denkst Du denn, daß jemals ein Funke von wirklicher Zuneigung für die Kontroleursfrau in mir geglüht hat? Solch einer lächerlichen, solch einer übertriebenen, solch einer leichtsinnigen und verächtlichen Frauensperson konnte ich nur zu meinem Amüsement einige übertriebene Höflichkeiten sagen. Du hättest selber darüber gelacht, Alphonsiue'." Die Gouvernante lächelte verdrießlich. — „Aber das ist nur eine Laune! Du sprichst gegen Deine eigne Überzeugung Alphonsine! ..... Bist Du denn auch eine indische große Dame geworden, voll tineas und Lächerlichkeiten? Habe ich Dir denn nicht tausendmal wiederholt, daß wir Beide mit unserem echt holländischen Geiste, mit unserer holländischen Bildung einen herrlichen Genuß haben können, wenn wir die insipiden Farbigen nach unserem Willen regieren! Denn wir hatten uns lieb — wie ich Dich noch lieb habe - trotz alledem, was Du mir eben gesagt hast! Ich kann nicht anders .... Ich wähnte immer, daß Die große Intrigue. ZIg wir bald die Früchte unserer Vereinigung genießen würden .... ich war so glücklich in dem Gedanken an die Zukunft. Und nun stoße ich an Deine unmäßige Eifersucht — nun muß unser Glück in Stücke zerfallen, weil wir es selbst mit eigner Hand zerbrechen! Wir wären stark gewesen. Alphonsine, — stark gegen jeden Anfall. Wir sind Beide durch Umstände gezwungen, uns scheinbar dieser Bande hier anzuschließen — aber unsere Liebe, auf Einheit des Geistes und Sinnes erbaut, hätte uns herrlich belohnt...... Du hast es nicht gewollt, Alphonsine; der herrliche Traum wird nicht erfüllt!" ^ Spranekhuyzen hatte mit der größten Wärme und Überzeugung gesprochen. Bei den letzten Worten ließ er den Kopf auf die Brust sinken. Er spielt sein Spiel meisterlich. Die Gouvernante hat sinnend die Augen geschlossen, aber auf einmal fliegt sie aus ihrer sitzenden Stellung auf. Sie läuft in tiefen Gedanken im Zimmer auf und nieder. Dann steht sie dicht bei dem geistreichen Junker still, der wie fest gebannt und schweigend stehen bleibt. — „Höre mich, Spranekhuyzen!" — sagte sie zum ersten Male äußerlich ruhig und zufrieden. — „Es ist noch möglich, daß wir gute Freunde bleiben. Aber 294 Du große Inttigue. meine Bedingungen sind hart. Hast Du Muth, mich anzuhören?" Der Junker sah sie forschend und ehrerbietig fragend an. — „Spranekhuyzen ich glaube, daß Du Ehrgefühl hast! Ja, das glaube ich wahrlich! Ich verlange also zuerst, daß Du mir auf Deine Edelmannsehre versicherst, daß Dir Tinman's Frau vollkommen gleichgiltig ist!" Van Spranekhuyzen erhob zum ersten Male frei den Kopf. Er sah einen Ausweg. Es war auch wahrlich Zeit. Er schwur feierlichst — er tonnte es ^mit gutem Gewissen thun! Was kümmerte es ihn in diesen schwierigen Verhältnissen, ob Jane's Name von ihm gesegnet oder verflucht werde. Er hätte eben fo gern ihr Todesurtheil unterzeichnet, wenn er damit seine Pläne im Mindesten hätte fördern können. Fräulein Serpensteyn nickte flüchtig, nachdem er seine Ehre als Edelmann verpfändet hatte, daß Me-vrouw Tinman Todding nichts für ihn gewesen sei, als ein Gegenstand des Spottes und des Amüsements, wie für alle Habitues an der Tafel des Marinehotels. Dann sagte sie: ^ «Ich verlange keinen Eid von Dir, Eduard, daß Du mich wirklich liebst! Das mußt Du mir beweisen! Nach allem Vorgefallenen darfst Du nicht Dit große Intrigue. »gg erwarten, daß ich die Sachen nach unserem ursprünglichen Plane sich entwickeln lasse. Du kehrst nicht mit Lucy nach Batavia zurück!" Spranethuyzen unterdrückte einen Fluch und erwiederte schnell und honigsüß i — „Ich verstehe Dich nicht, ma okeie!« — „Verstehe mich denn besser! Nach der Lesung Deines Briefes an die Frau des Konttoleurs habe ich dafür gesorgt, daß die Beiden sich unmittelbar darauf entfernen mußten. Ich habe dem armen Manne einige vertrauliche Mittheilungen gemacht, natürlich ohne Namen zu nennen — aber ich habe versprochen, ihm Alles mitzutheilen, wenn er mein Verlangen erfülle und die Villa verließe. Daher schreibt sich ihre eilige Abreise, die Herrn Bokkerman so sehr verstimmte. Heute schickte ich einen Brief nach Krawang, worin ich ihn aufs Genaueste von Allem unterrichte; dabei sandte ich die Kopie Deines Briefes an seine Frau." — „Alphonsine!" Spranekhuyzen hielt sich krampfhaft am Tische fest, und murmelte die heftigsten Verwünschungen. — „Bleibe ruhig, Eduard!" — fuhr Fräulein Serpensteyn fort — „Ich habe noch nicht ausgesprochen. Du wirst Dich noch mehr wundern, mon oder! Du sagst, daß Du mich lieb hast, sei vorsichtig, daß ich 296 Die große Intrigue. nicht zweifeln muß! Höre weiter! Du wirst mit Lucy nicht nach Batavia zurückkehren. Der Kontroleur Tinman wird bald hier erscheinen, um Dich zu suchen. Ich habe dafür gesorgt, daß er tüchtig aufgehetzt ist! Aber höre weiter! Dein oi-äevant Schwiegervater, der würdige Herr Bokkerman empfängt morgen bei Tagesanbruch einen Brief, worin er von unseren Plänen unterrichtet wird. Er soll wissen, welches Verhältniß zwischen Dir und Tinman's Frau bestanden hat — er soll wissen, was zwischen uns vorgefallen ist, vom Anfang bis zum Ende . . . Alles, Alles soll er wissen, bis auf die Geldsumme, die Du mir und den batavischen Freunden schuldig bist! Er soll die Falschheit Deiner vorgeblichen Erbschaft hören! Er soll wissen, daß Outshoorn unschuldig ist, daß Woodland und ein inländisches Oberhaupt sich gegen den ehrlichen Kontroleur verschworen haben — Alles. Alles soll er wissen, bis auf den kleinsten Umstand — bis zu dem Geheimsten !" Van Spranethuyzens Antlitz war so todesbleich, so ekelhaft verzogen, daß die Gouvernante einen Augenblick inne hielt. Der ausgefeimte, geistreiche Intriguant fühlte, daß der Boden unter seinen Füßen wegsant. Noch immer hatte er Hoffnung gehabt — einen Augenblick hatte er sogar einen günstigen Ausweg gesehen. Dic großc Intrigue. Zg^ jetzt wußte er, daß dieser Ausweg sein rettungsloses Verderben war. Er taumelte. Er fühlte, daß seine Füße wankten, daß seine Kniee brachen. Allerlei sonderbare Gedanken durchjagten mit grenzenloser Schnelligkeit sein Hirn. Er sah diese fürchterliche Frau vor sich stehen — die Frau, die er um jeden Preis von seiner Liebe überzeugen mußte, die ihn zur äußersten Verzweiflung trieb, während er schweigen und dulden mußte, auf die Gefahr hin.....daß sie ihn noch tiefer erniedrigte, noch tiefer hineinstieß in den klaffenden Abgrund von Elend und Verzweiflung. Da erinnerte er sich plötzlich, daß er in seinem Zimmer einen geladenen Revolver in seinem Koffer habe, und daß in der Tasche seines schwarzen Orlsans-frackes ein Dolchmesser verborgen war. Aber traurig schüttelte er den Kopf. Fräulein Ser-pensteyn starrte ihn forschend an, er mußte sich auf jeden Fall verstellen .... verstellen.....Mit kaum hörbarer Stimme flüsterte er: — „Aber was bedeutet das Alles? Ich verstehe Dich nicht mehr. Du willst meinen Fall, mein Vorderben, und sprichst davon, daß Du mich liebst! Pfui, Alvhonsine!" Die Gouvernante lächelte. Die Stunde der Vergeltung war gekommen! Sie hatte den erfinderischen 298 Die große Intrigue. Ränkeschmied in dem Netze seiner eigenen Pläne gefangen! Er sah keinen Ausweg! Dieß zeigte sein muthloser Ton, seine muthlose Haltung deutlich an. Aber sie stellte nur halbes Vertrauen in seine reuigen Gesinnungen. Deshalb antwortete sie: — „Ja, darin sprichst Du die Wahrheit, Eduard! Ich hatte Dich lieb — und mein armes, betrogenes Herz spricht noch in diesem Augenblick zu Deinen Gunsten! Aber ich habe dieß vorausgesehen, und habe mich vor jeder weiteren Täuschung bewahrt! Gerade deshalb habe ich Deinen Plan vernichtet! Darum giebt es für Dich kein Heil mehr! Du mußt je eher, je lieber von diesem Orte fort, morgen kommt Alles heraus! Es ist keine Änderung möglich. Der Brief ist schon in Mevrouw Bokkerman's Händen, die Outshoorn's Parthei genommen hat, und der ich feierlich habe geloben lassen, mein Schreiben nicht vor morgen früh ihrem Manne zu übergeben! Morgen werden all Deine Streiche und Ränke bekannt, morgen bist Du rettungslos verloren!" Spranekhuyzen sank zusammen. Keine Auskunft, wohin er sich auch wandte! Die Gouvernante hatte ihm überall den Weg abgeschnitten! Immer hatte er Muth und Vertrauen besessen in der Spannkraft "'seines biegsamen Geistes, jetzt stand er ganz zerschlagen, ganz Dit große Intrigue. 299 demoralisirt, ganz abgemattet und voller Angst. Er mußte fort aus diesem Zimmer — seine Frau konnte erwachen — und konnte ihn suchen. Und da vor ihm stand die Gouvernante, und beobachtete ihn mit durchbohrenden Blicken. Ein Gefühl grenzenloser Herzensangst und Verzweiflung ergriff ihn — er schüttelte in stiller Wuth den Tisch, an dem er sich festhielt, hin und her. Endlich flüsterte er: — „Ein Mann von Muth und Ehrgefühl ist niemals ganz verloren..... Es giebt Mittel . . . ." — „Die Du nicht anwenden wirst, Eduard! Ich hoffe, daß Du den Muth dazu gefunden hättest, wie es nöthig war. Aber ich habe Dir einen Vorschlag zu machen, Eduard, um uns Beide zu retten. Ich will Dir eine bessere Aussicht eröffnen, wenn Du mich wirklich lieb hast! " Spranekhuyzen blieb regungslos stehen. Es mußte ein Ende dieser Marter kommen. Er war auf Alles vorbereitet. Die Gouvernante legte zum ersten Mal ihre Hand auf seine Schulter, und fragte: — „Eduard, willst Du mich Dein Lebenlang lieb haben?" — „Ja, Alphonsme!" — „Gut, jetzt besitzest Du nichts, als Schulden, 300 Die große Intrigue. als Verachtung — und etwas Geld, in Batavia geliehen !" — „Ja, Alphonsine!" — „Deine Zukunft ist dunkel! Ich weiß nicht, was aus Dir werden soll, wenn ich Dich Deinem Schicksal überlasse!" — „Ja, Alphonsine!" — „Aber es giebt einen Ausweg. Morgen sind Pferde nach Batavia bestellt!" — „Nun?" — „Du kannst morgen flüchten. Aber anLuch's Stelle werve — ich selbst Dich begleiten!" Spranekhuyzen erhob überrascht den Kopf. Sein Erstaunen ließ ihn keine Antwort finden. — „Höre wohl auf. Ich besitze beinahe fünfzehntausend Gulden, die ich ehrlich verdient und erspart habe. Davon können wir in Europa leben — wenn wir uns irgendwo an einem stillen Orte niederlassen, wo uns Niemand kennt, wo wir glücklich leben können in unserer Liebe. Hier in Indien habe ich Dir jeden Ausweg abgeschnitten — aber den einen Rettungsweg hielt ich für Dich offen! Ich wollte Dich allein und für immer besitzen! Ich hatte mir das geschworen! Aber ich zwinge Dich nicht, mit mir zu fliehen. Du kannst wählen! Aber bedenke, ehe Du entscheidest! Die gloßc Intrigue. g^ Wenn Du noch einen Funken Ehrgefühl hast. betrüge mich nicht — die Folgen würden entsetzlich sein!" Junker Eduard Van Spranekhuyzen beugte sein Gesicht an das Ohr der Gouvernante, und flüsterte ihr leise seine Antwort zu. X Norm Ungnst Vokkerman eine unangenehme Vfiichl erfüllt, mil eine« Anhange, der uon den Vorfällen handelt, welche ein Jahr später in der Hauptstadt von Oroftbrillanien und Irland stattfanden. Kaum waren zwei Mal vier und zwanzig Stunden nach dem großen Feste von Tji-Koening verstrichen. Es war etwas über acht Uhr Abends. In der Vor-galerie von August Bokkermans Villa standen drei Personen, bereit auszugehen. Es war der Landesherr. Andermans und Fräulein Betsy. Der Weg wurde unter feierlichem Schweigen begonnen. Man verfolgte einen Pfad durch die Grasftäche, und wandelte schweigend immer weiter, begünstigt durch das silberne Licht des vollen Mondes. Man wandte sich gerade der Fabrik und der Gruppe Gebäude zu, welche um die- 302 Die großc Inttiguc. selbe herum lagen. Aber das Ziel der Wanderung lag noch weiter. Man ging nun rechts, auf Outshoorns Wohnung zu. Dort angekommen, zeigte August Bok-terman auf das matte Licht, das in der Vorgalerie fchimmerte, und auf das scheinbar einsame Aussehen des Hauses. Betsy äußerte darauf, daß Outshoorn und seine Frau sich gewöhnlich in der Pendoppo aufhielten, und der — »8ap ad»,? « Ein Bediente lief sogleich herbei, um den Besuch anzumelden. Bald kam er zurück und begleitete die Gäste nach der hinteren Galerie. Outshoorns Pendoppo war klein, aber sehr bequem eingerichtet. Das schräge Dach ruhte auf weißgetünchten Säulen, von dort war am Tage eine weite Aussicht über die schöne Berglandschaft. Jetzt ließ zwar das helle Mondlicht einen Theil der Gegend erkennen, aber der Schein der Lampen beschränkte den Blick auf das Zimmer, und lenkte zuerst die Aufmerksamkeit auf die Personen in demselben. Henriette hatte einen Augenblick zuvor an einem kleinen Tische gesessen, um den Thee zu bereiten. Sie stand jetzt an Outshoorns Seite, und ging mit ihm vorwärts, um die Gäste zu bewillkommnen. Der I'os^au-Kesakr eilte Allen voraus uno ging Die grostc Iütngul. g^I gerade auf sie zu. Mit der größten Herzlichkeit drückte er Beiden schweigend die Hand. Eine außergewöhnliche Rothe bedeckte seine braune Wange. August Bot-lennan war sehr aufgeregt. Dreimal versuchte er, zu sprechen, aber immer versagte ihm die Stimme. Und immer wieder schüttelte er Beiden die Hände, und seine schwarzen Augen wurden feucht, und er machte vergebliche Anstrengungen, seine Rührung zu verbergen. Endlich ermannte er sich, ergriff nochmals die Hände der Gatten, sah sie halb verlegen an, und sagte: — „Liebe Freunde! Ich komme. Euch um Verzeihung zu bitten. Ich komme, um rundweg und ehrlich zu bekennen: August Bokkerman hat Unrecht, großes Unrecht gegen Euch gehabt! Während Ihr durch einen schweren Schicksalsschlag heimgesucht wurdet, hat er kein einziges Zeichen der Theilnahme gehabt, schien er Euch ganz zu vergessen. Aber ich hatte meine Gründe! Leider hatte ich mich betrügen und an der Nase herumführen lassen, — wie nur ein Folio-Esel, wie nur ein unverzeihlicher alter Narr angeführt werden kann. Das will ich Euch Alles ausführlich erzählen. Aber erst eine Frage: Wollt Ihr mir von ganzem Herzen vergeben, und glauben, daß ich aufrichtigen Antheil an Eurem schmerzlichen Verluste nehme — wollt Ihr das wirklich?" 39i Die große IntriM. Outshoorn zögerte keinen Augenblick. Er drückte die Hand seines alten Freundes sehr warm. Henriette erhob die schönen, nun vom Weinen müden Augen, und dankte dem Landesherrn mit einem langen, wehmüthigen Blicke. Eine augenblickliche Pause erfolgte. Outshoorn rief einen Bedienten, der Stühle herbeischob, und unwillkürlich füllte das Platznehmen der Gäste die entstandene Pause aus. Henriette, welche Beschäftigung und Zerstreuung suchte, begab sich sogleich wieder an den Theetisch, wo ihr Betsy Gesellschaft leistete. Und sogleich begann die Letztere eifrig und lebhaft zu schwatzen, und erzählte Henrietten die Neuigkeiten der drei letztverflossenen Tage. Ein wenig seitwärts bei der Säulenreihe saßen Andermans, Bokkerman und Outshoorn. Auch der ^06^an-ds8aar erstattete einen ausführlichen Bericht über Alles, was in der letzten Zeit in seinem Hause vorgefallen war. Er erzählte Outshoorn den ganzen Anschlag, welchen man gegen dessen Lebensglück und Zukunft geschmiedet hatte. Von der Abreise der Familie Tinman Todding an bis zu der Versammlung der Oberhäupter am Festmorgen, bis zu den Beschuldigungen von Rahden Moeriah Kesoemah schilderte er den Gang der Sachen mit lauten Ausrufungen von Selbstvorwurf und Selbstverurtheilung. Indessen hatten sich auch Dic große Intrigue. IyI Henriette unb Betsy zu ihnen begeben, und das Interesse war bei allen Gliedern der Gesellschaft groß genug, um die sehr ausführliche Erzählung des Landesherrn mit der größten Aufmerksamkeit und ohne Unterbrechung anzuhören. — „Ehegestern bei dem Feste" — fuhr August Botkerman fort — „stand ich so gänzlich unter dem Eindruck, den die Zeugnisse der Demangs auf mich gemacht hatten, daß ich Outshoorns Schuld für erwiesen hielt. Ich weiß, was Sie sagen wollen, lieber Freund!" — fuhr er schnell fort, als er bemerkte, daß Outshoorn sich plötzlich mit flammenden Augen aus seiner lehnenden Haltung aufrichtete — „das Zeugniß war falsch, durchaus falsch! Andermans hat sich heute mit mir überzeugt, daß die lügnerischen Angaben Rahden Moeriah Kesoemah's durch bösartige Rachsucht erdacht waren. Heute Morgen haben wir uns nach dem Kampong Menassan begeben — ich hatte dem Demang Auftrag gegeben, uns zu begleiten! Wir haben den alten Asban, seine Tochter und deren Bräutigam vorgerufen und verhört. Die Sache ist uns jetzt deutlich geworden. Rahden Moeriah Kesoemah ist allein schuldig. Er wollte das junge Mädchen den Armen ihres Bräutigams entreißen — dem alten Asban bangte vor dem Ansehen des Distriktsoberhauptes, als Outs- Indisch« Vi»ll«lhtl. V. 2t> 306 Die grosic Inlriguc. hoorn dazwischen kam und das junge Paar beschützte. Das einstimmige Zeugniß verschiedener Kampongbe-wohner hat dieß unwiderruflich bewiesen! Dann haben wir den Demang und seine vier Zeugen vor uns be-schieden. Einige unschuldige Beweise von Dankbarkeit und Anhänglichkeit des jungen Paares, als Outshoorn neulich in dem Kampong erschien, waren die Anleitung, daß man eine so falsche Anklage formulirte, wie ehe-gestern früh in meinem Komptoir im Beisein von An-dermans und meinem schuftigen Vetter Woodland eingereicht wurde. Die Sache ist jetzt vollkommen aufgeklärt, wollen Sie mir nochmals vergeben, Outshoorn, daß ich einen Augenblick gezweifelt habe?" Outshoorns Gesicht zeigte zum ersten Male seit vielen Tagen Aufgewecktheit und Freude. Die dunkle, drohende Gefahr, welche ihn längst heimlich beunruhigt hatte, die er uicht kannte, aber doch ahnte, hatte sich endlich als nichtig gezeigt. Jetzt segnete er im Geheimen die trübe Nothwendigkeit, welche ihn am Festtage an sein Haus gefesselt hatte. Hätte ihn an Woodlands und Andermaus Gegenwart der Demang mit solchen groben Beschuldigungen überschüttet, ohne die nöthigen Zeugen zu seiner äöok^s — so hätte er vielleicht seine Geistesgegenwart verloren und, vor Zorn ent- Dic gioßc Inniguc. IH^ brannt, vielleicht den Schein auf sich geladen, als ob seine Handlungen strafbar wären. August Bokkerman drückte ihm nochmals warm die Hand. Der junge Kontroleur ging darauf zu seiner Frau, und umarmte sie lange und feurig. Leise, so daß die Anderen es nicht verstehen konnten, flüsterte er ihr ins Ohr: — „Siehst Du wohl, Liebe, daß noch Freude in diese Wohnung einziehen kann? Wir sind von einem großen Leid verschont geblieben, mein Engel! Vor einer höheren Macht mußten wir uns beugen, aber es wäre wohl schwer zu tragen gewesen, wenn die Bosheit unserer Feinde uns die Ehre geraubt hätte!" Henriette sah ihn dankbar an, und auch ihr Mund verzog sich zum ersten Male seit langer Zeit zu einem lieblichen Lächeln. Als Beide wieder saßen, fuhr der Landesherr fort: — „Aber nehmen Sie es mir nicht übel, Outs-hoorn, warum haben Sie mir auch niemals von der per-Kara mit dem Demang gesprochen? Dadurch wäre das Mißverständniß unmöglich gewesen!" Outshoorn fühlte, daß ihm eine leichte Nöthe ins Gesicht stieg. Schnell antwortete er: — „Ich will Ihnen Nichts verbergen, Meneer Bokkerman! Ich kannte Ihre edelmüthigen Ansichten 20 * 308 Die groß»' Inttiguc. über die Regierung dieser Ländereien, aber ich erinnerte mich auch, daß Sie mich aufs Ernstlichste ermahnt hatten, so viel als möglich Freundschaft und Frieden mit den Volksoberhäuptern zu halten. Meine Zwischen-kunft in Alsban's Familie hatte die Erbitterung unsres Demangs im höchsten Grade erweckt. Ich fürchtete also. Ihnen eine unangenehme Nachricht zu bringen, um so mehr. weil ich bemerkte, daß in der letzteren Zeit unser gutes Einvernehmen gestört war....." — »8o6äÄiil Ich verstehe Sie! Aber nun, Outs-hoorn, rathen Sie einmal, wer uns Alle auf die richtige Spur wegen des Umschlages gebracht hat? Rathen Sie einmal — wenn Sie es noch nicht gehört haben — wer uns auf die unerwartetste Weise die Augen geöffnet hat — auf das Überraschendste?" Outshoorn wartete mit höchstem Interesse und erwartungsvoll, was nun noch kommen sollte. Betsy flüsterte indessen Henrietten die Antwort in's Ohr. — „Die Person, der Sie in diesen Verhältnissen viel zu danken haben" — sagte August Botkerman sehr feierlich — „trägt den Namen Alphonsine Serven-steyn, Efgouveruante meines Freundes und zukünftigen Schwiegersohnes Andermans!" Andermans verbeugte sich sehr gravitätisch vor Outshosrn und Henrietten, und nahm ihre stillen Glück- Dit greßc Intrigue. IHI wünsche entgegen, während Betsy sehr passend und förmlich lachte. — „Sie begreifen sicher nicht viel davon, und haben vielleicht das Rechte noch nicht davon gehört?" — fuhr der Landesherr fort. Wirklich hatte Niemand in den beiden letzten Tagen Outshoorn besucht — so daß er heute früh bei der Beerdigung seines Kindes ganz allein gestanden war. Jeder hatte an dem Feste vernommen, welches Unwetter sich über den Köpfen der Outshoorn's zusammengezogen habe. Woodland hatte es deutlich genug gesagt, so daß selbst Green und Coole es für das Verständigste hielten, sich nicht um ihn zu bekümmern. Die Neugierde des jungen Kontroleurs stieg immer höher, als August Bok-terman weiter sprach: — „Ich werde Ihnen gleich Alles erklären! Am Festtage wurre mir die hohe Auszeichnung zu Theil, daß ich einen Besuch von dem Elenden erhielt, der sich Junker Van Spranekhuyzen nennt. Er hatte sich mit Luch versöhnt! Ka8ian Lucy! Ich nahm ihn freundlich auf, deun ich war gerade von allen Seiten gegen Sie aufgehetzt werden! Ich war so blind, daß ich mich nochmals durch den Hundsfott betrügen ließ! Am Dejeuner des Festtages sprach er einen Toast aus, für welchen ick ihm meinen vollen Beifall bezeugte. Beim Diner 310 3ic großc Iiittiguc. hielt er sich still und flüsterte fortwährend mit Lucy. Er wollte nur einen Tag bleiben. Lucy wollte durchaus nach Batavia zurück; das arme Kind dachte sich zu amüsiren! Er hatte am frühen Morgen PostPferde bestellt, und gab sich überhaupt sehr vornehme aii-8, denn er streute das Gerücht aus, daß er in Holland eine reiche Erbschaft gethan habe. Denken Sie sich nun, Outshoorn, daß ich vor Tagesanbruch auf den Füßen war, um Alles für ihre Abreise vorzubereiten — als mir meine Frau sehr geheimnißvoll mittheilte, daß ein Brief für mich da sei, den ich ungefähr um fünf Uhr lesen müsse. Ich wußte nicht, was das heißen sollte, als ich ein ziemlich dickes Packet erhielt. Ich öffnete den räthselhaften Brief — er war von Fräulein Servensteyn; diese berichtete mir, daß ich in jeder Hinsicht durch den abgefeimten Schelm betrogen war, den ich am vorigen Tage so gnädig wieder aufgenommen hatte; daß der Junker Van Spranekhuyzen in dem Augenblick, in dem ich den Brief lesen würde, schon viele Meilen von meiner Wohnung entfernt sei, während sie ihn aus Gründen persönlicher Art begleitet habe. Mitten in der Nacht war er aus meinem Hause mit Andermans Gouvernante geflohen. Diese Letztere hatte für Alles gesorgt und die Vorbereitungen für die Flucht gemacht. Das Die große Intrigue. g^ verrückte Weib schrieb mir weiter, daß Lucy nicht hoffen solle, ihn je zurückzusehen — daß er sie vom Anfang an betrogen habe; sie schickte mir zum Beweis ein Packet Briefe des galanten Junkers an sie selbst während ihres Aufenthaltes in meinem Hause, nebst einem sehr kompromittirenden Brief desselben an Mevrouw Tinman Todding. Sie begreifen, daß ich in äußerste Wuth gerieth — ich wollte dem Schurken nachreisen — aber meine Frau brachte mich davon zurück — darauf erschien Lucy in der äußersten Bestürzung bei uns, und erzählte, daß Eduard verschwunden sei, sie wisse nicht wohin, sie wisse nicht wann, und daß er seinen Reisekosser mitgenommen habe! Nun mußte ich auch ihr die wichtige Nachricht mittheilen. Ich glaube wohl, daß ich etwas zu harte Worte angewendet habe, denn das arme Kind fiel sogleich ohnmächtig zu meinm Füßen nieder — und nun ist sie schwer krank, und das ist auch der Grund, warum uns meine Frau nicht hierher begleitet hat." Outshoorn war von seinem Stuhle aufgestanden. Verwunderung und Überraschung hatten sich seiner in so hohem Maße bemächtigt, daß er sich Bewegung machen mußte. Er lief langsam an der Säulenreihe auf und nieder. — „Es war ein schönes Komplott!" — fiel An- 312 Dic grosic Inliigue. dermans mit der Zurückhaltung eines offenbaren Geheimnisfes in's Wort. — ,Herr Van Spranekhuyzen rechnete auf zwei Frauen, die er Beide belog, um eine dritte gründlich anzuführen. Fräulein Serpensteyn muhte hier auf Tji-Koening die Versöhnung zwischen Schwiegereltern und Schwiegersohn vorbereiten, uud als sie das gewünschte Resultat nicht schnell genug erreichte, betrat eine zweite Verbündete die Bühne, Mevrouw Tinman Todding. Wie früher durch die Gouvernante nuf Mevrouw Bokkerman eingewirkt wurde, fo wurde nun ein neuer Versuch durch die Kontroleursfrau aus Krawang gemacht, und dieser war gegen den Herr Bokterman gerichtet. Es ist deutlich erwiesen, daß Van Spranekhuyzen in einem unerlaubten Verhältniß mit meiner Gouvernante in Batavia lebte. Später knüpfte er ein eben so unerlaubtes Verhältniß mit Mevrouw Tinman Todding an — und in vollkommener Übereinstimmung mit diesen Damen, und unter ihrer Mitwirkung versuchte er sich mit seiner Frau zu versöhnen. Es war aber ein schwaches Glied in dieser Kette von List und Intrigue — weder meine Gouvernante, noch die Kontroleursfran wußten oder vermutheten, daß sie Beide einen Platz in dem Todtenhause gefunden hatten, wie wir das Herz dcs Junkers Eruarb Van Spranekhuyzen wohl nennen können. Die Gou- Dic großc Inttigut. g^g vernante entdeckte es durch die Unvorsichtigkeit ihrer Rivalin, welche ein Schreiben des Junkers in ihrem Zimmer verlor, während sie gerade Fräulein Serpen-steyn ausforschen wollte. Da begann Fräulein Serpen-steyns Rache. Sie drohte Mevrouw Tinman Todding, dem arglosen Kontroleur Alles zu offenbaren. Daher die große Uneinigkeit zwischen beiden Eheleuten, die sehr unerwartet Tji-Koening verließen. Fräulein Serpen-steyn hat ihre Rache vollendet — aus ihrem Schreiben an den Herrn Botkerman stellt es sich heraus, daß sie eine ausführliche Mittheilung alles Vorgefallenen mit Kopien von des Junkers Briefen an Tinman Todding geschickt hat!" Ontshoorn stand neben Andermans Stuhl. In der Verwirrung, welche die Aufhäufung so vieler Nachrichten hervorgebracht hatte, war ihm noch Manches in dem Zusammenhang der Thatsachen undeutlich geblieben. — „Und warum ist sie dennoch mit dem Schelm geflüchtet?" — frug er schnell. — „Weil sie ihn liebte," — sagte der Landesherr spöttisch. — „Sie schreibt mir, daß sie geschworen hatte, ihn allein besitzen'zu wollen! Auch nach der Entdeckung seines Verrathes wollte sie, wie wüthend und eifersüchtig sie auch war, diesen Eid halten. Darum wartete sie, bis Allcs eine gewisse Höhe erreicht hatte, 314 Dit große Inlrigut. bis Alles rem schändlichen Glücksritter zuzulachen schien — um ihrer Sache desto sicherer zu sein. Sie ließ sich selbst herbei, mir mitzutheilen, daß sie die Besitzerin eines nicht unansehnlichen Kapitales sei, daß Spranel-huyzen auch etwas Geld habe, daß sie zusammen nach Europa gehen wollten, um dort irgendwo glücklich zu leben. Sie sorgte aber zugleich, daß ihrem vortrefflichen Reisegefährten alle Gelegenheit abgeschnitten sei, je wieder nach Java zurückkehren zu können, da sie seine prooeäe« sowohl hier, als auch in Batavia und Kra-wang bekannt gemacht hatte. Sie that dieß, um ihn desto besser beherrschen und . . . lieben zu können! Die tolle, alte Jungfer schmeichelt sich mit der Idee, sehr glücklich zu werden!" — „Sie kann ihn später sogar heirathen'." —fügte Andermans so gemessen wie immer hinzu. — „Im Auftrage meines geehrten, zukünftigen Schwiegervaters werden wir in Batavia eine Scheidungsklage einreichen, wegen böswilligem Verlassen uno schlechtem Bettagen'." — „Aber" — frug Outshoorn weiter — „wie stand das Alles mit dem Anschlag in Verbindung, den Woodland und der Demang gegen meine Sicherheit und mei« nen guten Namen geschmiedet hatten?" — „Es war ein feiner und wohlüberlegter Plan!" — antwortete August Botkerman. — „Man brachte Die große Intrigue. g/zg mich zu dem Glauben, daß ich früher ungerecht gegen Van Spranekhuyzm gewesen sei — daß seine ersten Zerwürfnisse mit Lucy nur aus dem Mißvergnügen einer gewissen Coterie in Batavia abzuleiten sei. die seine Heirath mit der Tochter eines Farbigen für eine Mesalliance hielt — daß Mevrouw Outshoorn vor ihrer Verheirathung mitgewirkt habe, um Spranekhuyzen die Geschmacklosigkeit seiner Frau fühlen zu lassen, daß Outshoorn dann als Rächer aufgetreten sei, daß man Van Spranekhuyzen schließlich überall den glücken gewendet, weil er die Tochter des Sinjos August Bok-kerman geheirathet habe. Weiter versuchte Mevrouw Tinman mich persönlich zu überzeugen, daß Outshoorn ganz im Geiste dieser batavischen Coterie, mich, seinen Chef, verachte, weil ich ein Sinjo sei. Dazu kamen Woodlands Klagen, daß Outshoorn neue Regierungsmaßregeln ergreife, welche ganz gegen den säat stritten, — endlich die pericara mit dem Demang. Nun, Fräulein Serpensteyn warnte mich in ihrem Schreiben, nichts von den Anklagen des Demangs zu glaubeu, sie überlieferte mir die Fäden der Intrigue, welche sie selbst gesponnen hatte. Mit Van Spranekhuyzens Wiederherstellung in meiner Gunst mußte Outshoorn fallen. Aber nach der Entdeckung von des Junkers Verrath veränderte die Gouvernante das Programm der Unter- 316 Die gM Inliiguc. nehmung. Sie gab mir den Rath, die Anzeigen Woodlands und des Demangs eifrig zu untersuchen, und behauptete, daß alle Anklagen falsch seien!" Jedes Wort dieser Erklärung wurde von Outshoorn und Henrietten mit dem größten Interesse angehört. Die junge Frau hatte ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes geschmiegt, und zitterte heimlich bei dem Gedanken an die Gefahren, welchen sie so wunderbar entkommen waren. — „Ich werde Woodland entlassen!" — fügte der Landesherr streng hinzu. — „Auch der Demang soll gehörig bestraft werden!" Henriette erhob schnell den Kopf. Sie verließ Outs-hoorns Seite, und setzte sich auf dessen niedrigen Sessel neben dem loe^vaii-desaai'. Dann sagte sie: — ..Wollen Sie mir eine dringende Bitte erfüllen, Meneer Botkerman?" ^- „Gern, Mevrouw, wenn es möglich ist!" — „Sie wissen, wie tief wir von dem harten Schlag gebeugt sind, der uns Beide getroffen hat! Aber es wäre noch entsetzlicher gewesen, wenn mein lieber Wilhelm so ungerecht und schlecht in Ihren Augen verdächtigt gewesen wäre! Ich sehe, daß wir glücklich vor großem Unheil bewahrt geblieben sind, daß der gute, himmlische Vater uns nicht verläßt! Vergönnen Die großt Intrigue. HZ 7 Sie mir aber noch eine Bitte! Sie wollen den Kon« ttoleur Woodland aus seiner Stellung entlassen! Aber er hat eine junge, unschuldige Frau! Ich weiß, was ich gelitten haben würde, wenn mein Wilhelm durch seine Feinde unglücklich geworden wäre! Haben Sie Mitleiden mit der armen Frau Woodlands, und lassen Sie ihn in der Stellung bleiben! Er ist schon genug gestraft durch das Mißlingen seiner Pläne, und über-dieß war er nicht der Schuldigste! Glauben Sie mir, Herr Bokkerman, Edelmuth und Selbstverleugnung sind sehr schön. Erlauben Sie mir, für diese Familie, welche vergebens unsern Untergang schmiedete. Mitleiden bei Ihnen zu erwecken. Behalten Sie Woodland, damit seine junge, unschuldige Frau nicht unglücklich werde'." Henriette hatte mit Feuer und tiefem Gefühl gesprochen. Die Thräne, die ihr eben entrollte, war eine Thräne des Mitgefühls für Anderer Leid — sie hatte noch Thränen des Mitgefühls, nachdem sie schon so viele über eigenen Schmerz vergossen hatte. Ihre Worte machten auf Alle einen tiefen Eindruck. August Bokkerman betrachtete sie mit stummer Bewunderung. Seine großen, schwarzen Augen wurden feucht. Er ergriff ihre beiden Hände und sprach mit bewegter Stimme: 318 Dic große IlUnguc. — „Nun. Mevrouw, so lege ich denn das Loos der Woodlands in Ihre Hände. Ihr Wille geschehe!" Zum Schluß unserer indischen Geschichte erzählen wir eine kleine Tour nach Europa. Ein Jahr liegt zwischen den letzten Begebenheiten und dem gegenwärtigen Zeitraume. Wir befinden uns im südwestlichen Theile Londons, welcher unter dem Namen Westminster bekannt ist. Es ist ein drückend heißer Iuniabend, gegen halb zehn Uhr. Ein Wagen fährt im mäßigen Trabe an den schönen Hotels von Belgrave-Square vorbei, setzt seinen Weg durch Bel-grave-Street fort und durch die höchst vornehmen Quartiere, die nach St. James-Park und zu dem Palace-Garten führen. Bei Grosvenor-Street verläßt der Wagen seine Richtung, erwählt Eaton-Street, und verfolgt endlich stets in südlicher Richtung Vauxhall-Bridge Road. Nach einer halben Stunde Fahrens ist Vauxhall-Bridge erreicht, und der Wagen fährt in den südlichen Theil der Weltstadt ein, welcher Lambeth heißt. Es war, als ob die Personen, welche in dem Wagen saßen, die lebendige, echt bürgerliche Lebhaftigkeit von Lambeth für interessanter hielten, als die hochadeligen, steifen Reihen vornehmer Häuser von Westminster. Sie fingen wenigstens jetzt lebhaft zu sprechen. Die großc Intrigue. g ^ g zu lachen und zu gestikuliren an. Der korpulente Herr, über die mittleren Lebensjahre hinaus, der am lebhaftesten von Allen spricht, scheint eine außerordentliche Liebhaberei für weiße Farbe an den Tag legen zu wollen. Sein Gesicht jedoch ist hellbraun mit schwarzen Flecken — er hat das Aussehen eines indischen Baum-wollenpflanzers von Madras — kurz, es ist unser alter Freund August Bokkerman aus Buitenzorg. In der jungen Dame an seiner Seite, in eleganter Sommerrobe von weiß und roth gestreiftem Mousseline, die sehr oft etwas an einem runden Strohhut mit weißer Feder zu rücken hat, erkennen wir seine Tochter Lucy. Der Herr, der gegenüber den Beiden sitzt, ist schon mehr europäisch, mehr englisch gekleidet, obschon auch er die Spuren eines längeren Aufenthaltes in den tropischen Ländern durch die gelbe Farbe seines Gesichts und durch die sonderbare, altmodische Form seiner Kragen und Manschetten verräth. Bei näherer Betrachtung seiner korpulenten Figur, seines schwarzen Knebelbartes und seiner glänzenden, kleinen Augen, erinnern wir uns an einen alten Bekannten aus Batavia, an den Herr Jonathan Mac-Killoch, in dessen gastfreier Wohnung zu Batavia wir vor einem Jahre Zeuge waren von einem Diner-de-garoon, welches er den bedeutendsten Mitgliedern des 330 Dil gloßc Intrigue Clubs: Les enfants sans peur et sans repioche gab. Wie ist es möglich, daß gerade Jonathan Mac-Killoch sich mit dem alten Herrn Bokkerman und seiner Tochter Lucy auf einer Reise nach Europa befindet? Wir berichten deshalb, daß Lucy jetzt den Namen Mrs. Mac-Killoch führt. Sie ist von ihrem ersten Manne, dem Herrn Van Spranekhuyzen, geschieden, der vor ungefähr einem Jahre sich mit einer Dame von mittleren Jahren aus Batavia entfernte. Die Gefchichte von Mac-Killochs Ehe ist kurz und einfach. Lucy hatte lange Zeit an dem Schreck gelitten, den die Nachricht von der Flucht ihres Mannes ihr bereitete. Mac-Killoch, welcher sich alle mögliche Mühe gab, Spranck-huyzens Spur zu entdecken, um die geliehenen Geldsummen zurück zu erhalten, Mac-Killoch hielt eine Reise nach Tji-Koening für eine der wichtigsten Maßregeln, da er die Sache am Orte selbst untersuchen wollte. Von der Familie Bokkerman gastfrei aufgenommen, wurde er von derselben bald überzeugt, daß er von einem schändlichen Schwindler betrogen sei. Hieraus war eine gewisse Annäherung entstanden, die später, als Lucy nach Batavia ging, um bei ihrer Schwester, Mevrouw Andermans, zu logieren, um sich von ihrer langen Krankheit zu erholen, zu wiederholtem Begegnen mit Die große Intrigue. I 2 ^ Mac-Killoch Anlaß gab. So war langsam der Plan zur Verheirathung herangereift — welche auch nach einigen Schwierigkeiten und zu großem Verdrusse von Fräulein Karoline, Mac-Killochs Haushälterin, endlich Statt fand. Eben befinden sich unsere Drei auf einer Reise durch Europa, da August Botkermans Gesundheit durch das Klima viel gelitten hat. Mac-Killoch, dessen Geschäfte durch engere Association mit Spoon, der ein Wechsel-komptoir errichtet hat, ihm die Abwesenheit einiger Jahre erlauben, hat auf Luchs Bitten beschlossen, seinen Schwiegervater zu begleiten. Sie haben vorläufig ihren Aufenthalt in einem sehr vornehmen Hütel von Vel-grave-Square genommen, und sind jetzt auf dem Wege, um einige von Londons Sommervergnügungen mit einem Besuche zu beehren. Mac-Killoch, der seine Jugend in London zubrachte, hat dem Kutscher seine Befehle ertheilt. Der Nagen ist eine Zeitlang über New-Bridge-Street gefahren, wendet fich links, und hält vor einem riesigen, eifernen Gitter still. Man ist am Ziele der Fahrt. Mac-Killoch springt so schnell als möglich aus dem Wagen, hilft seiner an Umfang stets zunehmenden Gattin langsam aussteigen, und begiebt sich, von seinem Schwiegervater begleitet, sehr gemessen an das Gitter, welches zu dem Indische Vibln'chck. V. 21 32Z Die große Inttigue. berühmten Sommergarten führt, der in der Hauptstadt von Großbrittanien unter dem angesehenen Namen Vauxhall-Gardens bekannt ist. Lucy's Gesicht ist sehr vergnügt — sie hält Mac-Killoch fest am Arme, während man die breiten Alleen, welche nach dem innersten Heiligthum des Gartens führen, langsam durchwandelt. Auch der alte Bokkerman ist in sehr guter Laune. Mit seiner Ankunft in London hat er sich täglich wohler gefühlt. — „Hast Du den Brief aus Tji-Koening schon gelesen, John?" — fragt er Mac-Killoch. Dieser antwortet verneinend. — „Ich gebe Dir ihn morgen! Es giebt nicht viel Neues. Meine Frau schreibt über häusliche Sachen — Outshoorn über die Theekultur bei Poerbala, und daß seine Frau ihn zum glücklichen Vater von einem Sohne machte — Coole ist voll überschwänglichen Lobes über unsere Mary; ich glaube, daß die jungen Leute einander sehr gut verstehen und eine sehr glückliche Ehe führen!" Lucy nickte und dachte, daß, wenn sie zwischen den beiden englischen Herren, den Schwiegersöhnen ihres achtbaren Vaters, zu wählen hätte, sie Mac-Killoch doch bei Weitem den Vorzug über Coole geben würde! Coole blieb noch immer so „baarsch" und fremd - aber Dit großt Iuttigur. ^y^ Mac-Killoch war ein durch und durch indischer Manu, und vollkommen geschickt, um mit indischen Damen umzugehen. Die große Menge der Vorbeigänger schenkte unsern Dreien wenig Aufmerksamkeit. Einige junge Londoner sahen sich einen Augenblick um, als die ganz weiße Gestalt des Herru Bokkerman sich zeigte, aber das war nur fluchtig, da das Publikum von Vauxhall-Gardens in Kleidung und Äußerem der zahlreichen Besucher noch viel sonderbarere und augenfälligere Figuren und Farben anbot. Bald waren sie im Mittelpunkt des Gartens angekommen. Der alte Herr Botterman wollte sich in eine der nächsten Lauben setzen, um einen kühlen Trunk zu sich zu nehmen, aber Lucy wollte lieber immerfort durch den Schwärm der Besucher streifen. Überall war das Gas angezündet, und überall wogte eine bunte Menge buntaufgeputzter englischer Herren und Damen auf und nieder. Mitten auf dem Platze erhob sich im Centrum einer hölzernen Plateform ein hellerleuchteter Kiosk, ans dem sich die munteren Töne einer lebhaften Tanzmusik hören ließen. Eine Unmasse Tänzer und Tänzerinnen schwebten dort im hellen Gaslicht über die Plattform — die Herren mit Hüten und Stöcken, die Damen mit Shawls und Sonnenschirmen. Lucy fand das Tanzgewühl sehr amüsant, und schaute lange Zeit zu. 21» 32z Die große Intrigue. Endlich zog Mac-Killoch sie mit sich fort und schlug mit ihr die Seitenalleen ein, um die weiteren Amüsements von Vaurhall-Gardens, die refrezkmoiit-rooin«, das Feuerwerk, das Schauspiel und den Circus zu besuchen. Nachdem Herr Bokkerman seinen Wnnsch befriedigt und ein großes Glas Ale in wenigen Sekunden geleert hatte, lenkte Lucy beim Umbiegen um eine Allee die Aufmerksamkeit auf ein hellerleuchtetes Gebäude, das mit riesigen Anschlagzetteln bedeckt war. Es war der Circus. Überall war mit sehr augenfälligen zinnoberrochen Buchstaben angekündigt, daß diesen Abend eine große Vorstellung Statt finden sollte, welche besonders durch die Mitwirkung einer Person gehoben würde, welche der Zettel mit folgenden Worten anführte i »The most celebrated, wonderfully gifted Clown Mr. Ambrogio Perez D'Oroglia.« Die Wunder, welcher dieser ausführte, wurden jetzt mit Hochgespannten Lobeserhebungen Hervorgehoben — ein Portrait in grobem Holzschnitt, das einen Mann mit langem Barte vorstellte, war Überall der Ankündig-ung Hinzugefügt. Als Lucy dieses Portrait sah, that sie einen plötzlichen Ruck an Mac-Killochs Arm, und blieb unbeweg- Die großc Intrigue. g»« lich stehen. Mac-Killoch schenkte ebenfalls der groben Gravüre seine besondere Aufmerksamkeit, nnd August Bokkerman sah sich zornig um, als ob sein Blick etwas Unangenehmes gesehen habe. Man beschloß darauf, die Vorstellung zu besuchen. Mac-Killoch drang mit seiner Gattin durch die neugierige Meuge, welche die Wiche durchstudierte, und trat in das Vorportal, um an das Bureau zu kommen. Eine sehr elegant gekleidete Dame gab die tiekst« aus. Ihr rechtes Auge war unter einem schwarzseidenen Tuche verborgen, und ein Theil ihrer Wange war blau, wie von einer heftigen Quetschung. Mac-Killoch allein sah sie, als er sich vor der kleinen, viereckigen Öffnung bücken mußte, welche am Bureau zum Empfang der tiokets diente. Die Vorstellung fing sogleich an. Der Circus war klein und unbedeutend. Der alte Herr Bokterman nahm schweigend Platz — Lucy und Mac-Killoch flüsterten leise. Nach einigen Stücken mit Pferden, Ringen und Reifen — sprang ein possierlicher, weißgefärbter Clown in den Circus, der mit allerlei Körperverdrehungen die Lachlust des nicht zahlreich versammelten Publikums zu wecken suchte. Als er erschienen war, drängte sich Lucy dichter an ihren Gatten, als fürchtete sie die Annäherung dieses Maunes. Dann gab dieser einige fade Witze mit einem Bereiter zum Besten, 326 Die großc Intrigue. der den Circus aufharkte, und in diesem Augenblick sahen sich die Herren Bokkerman und Mac-Killoch vielbedeutend an. Da die Vorstellung indeß nichts Merkwürdiges darbot, so verließen unsere Dreie bald drn Circus, um draußen von einer Laube aus dem Gewnhle der Tanzfestlichkeiten zuzusehen. Sie mochten ungefähr anderthalb Stunden gesessen und ungefähr anderthalb Flaschen Portwein getrunken haben, als ihre Aufmerksamkeit von einem vorbeigehenden Paare in Anspruch genommen wurde. Der Herr sah sehr verlaufen aus, seine Kleidung war zu gleicher Zeit lächerlich elegant und verfallen; ein verdrückter weißer Hut, eine verschossene, rothseidene Kravatte, ein abgeschabter, brauner Frack mit Mctallknopfen machten die Hauptbestandtheile derselben aus. Die Dame trug eine viel passendere,, obgleich auch sehr aufgeputzte Toilette. An dem schwarzen Tuche und der blauen Farbe ihrer Wange erkannte Mac-Killoch die Büreaudame des Circus. Als Beider Blick diese Drei gewahr wurde, stießen Alle einen halbunterdrückten Ausruf der Überraschung aus. Man hatte sich gegenseitig erkannt. Der verlaufene Mann war Junker Eduard Van Spranekhuyzen, und die Büreaudame Fräulein Alphonsine Serpenstcyn. August Vokkerman brach in ein lautes Gelächter Die große Intiigue. g) 7 aus, als sie vorbei waren, und Mac-Killoch rief einen waiter, der in der Nähe war. — „Sehen Sie den Herrn und die Dame?" — frug er den Bedienten auf englisch. — „Ja, Sir!" — „Wer sind sie?" — „Das ist: tke mögt ooiedratsä, vvonäsrfuii^ Fift6ä lIovvn, ^lr. ^.indiDFio ?sre2 ä'OroFlia und seine Frau, Mrs. d'Oroglia!" — „Warum trägt die Dame ein Tuch über die Augen?" — „Mr. Ambrogio ist meistens betrunken, Sir! Und dann prügelt er seine Frau, Sir! Aber sie weiß sich zu vertheidigen, Sir! Sie ist ihm gewachsen! Es ist Jammer um diese Beiden, Sir, denn sie arbeiten Beide gut, und wir springen allemal dazwischen, Sir, wenn es zu arg wird!" — „£)a$ ist: the most celebrated, wonderfully gifted Clown, Mr. Ambrogio Perez d'Oroglia nnb seine Frau, Mrs. d'Oroglia!" — „Warum trägt die Dame ein Tuch über die Augen?" — „Mr. Ambrogio ist meistens betrunken, Sir! Und dann prügelt er seine Frau, Sir! Aber sie weiß sich zu vertheidigen, Sir! Sie ist ihm gewachsen! Es ist Jammer um diese Beiden, Sir, denn sie arbeiten Beide gut, und wir springen allemal dazwischen, Sir, wenn es zu arg wird!" Druck r,'n Vnittorf une HäncI in Leipzig. Im Verlage von Ludwig Denicke in Leiplia erschien ferner: ^ ' ^ Das Mikroskop ein Mittel der Belehrung nnd Unterhaltung für Jedermann sowie des Gewinns für Viele von Dr. Julius V«gel Proscssri i» Hallt. Mit l»9 Griginal-Hchschnilten. gr. 8. gebunden. 1 Thlr. Lebenskunst. Anleitung sich körperlich und geistig gesund zu erhalten, dadurch glücklich zu wcrden und ein hohes Älter zu erreichen. l>r. Julius Vogel Professor dti Hei! l» »tc in Halle >1. ^. Wit zahlreichen Abbildungen. l. u. 2. Lieferung, brosch. 5 Tgr. pro Lieferung. Wird in oa. 5 Lieferungen abgeschlossen. Mische Mwthck. V. vs..I. ten Mink. Ockndischt Dilmen nnd Herren. Vierter Theil. tfjlkWibililU eiuixialx. Leipzig: Ludwig Äcnickc 1868. ?riit< vrn Vlcillopf ui,e H>il!c! >N vtipzig.