Karel Novotny GRENZEN DER KLASSiSCHEN PHÄNOMENOLOGiE: DAS ANTLiTZ BEi E. LEViNAS UND DAS GEBEN, LA DONATION, BEi J.-L. MARiON Grenzen der Phänomenologie ist ein Thema, das in der Phänomenologie-Kritik 125 bei Emmanuel Levinas klar zum Ausdruck kommt. Welche Grenzen sind für die klassische intentionale Sinn-Analyse klar gezogen, was wird durch diese Methode nicht analysierbar? Das il y a, d.h. das unpersönliche Sein, das eben nach Levinas keinen Sinn hat. Aber auch das Leben, insofern es der Transzendenz des absolut Anderen ausgesetzt wird und dieser nicht verschlossen ist, und insofern es in dieser als ethisch charakterisierten Beziehung einen gewissen Sinn-Überschuß gibt, der eine klassische Analyse der Sinn-Gegebenheit in der »Sinngebung« durch meinendes Bewusstsein nicht ermessen kann. Ich werde von diesem ethischen Grund-Bezug bei Levinas ausgehen, so wie er gegen die Phänomenologie der Repräsentation gewonnen wird, um die analogische Bewegung bei Jean-Luc Marion einzuführen, die allerdings nicht zur Begrenzung, sondern Ent-Grenzung der Phänomenologie führt. Der Begriff der Phänomenologie und des Phänomens selbst wird dabei tiefgreifend umgewandelt. Dieser Umwandlung der Phänome-nalitätsauffassung bei Marion gilt unseres Interesse in diesem Aufsatz. Das, worauf es dieser Phänomenologie diesbezüglich ankommt - das letzte Prinzip der Phänomenalität, nämlich das Geben, la donation, als ihre universale Bedingung jedes Phänomens, ist nach Marions wiederholten Behauptungen selber nicht gegeben. Daher stellt sich eine Frage, ob sich das Geben, la donation, dem Prinzip der Phänomenologie entzieht? Wie wird dieses Prinzip rechtefer- 126 tigt? Wie wird rechtfertigt die Grenze der neuen Phänomenologie? Wenn jede Rechtfertigung in einer Phänomenologie (in der alten, klassischen, oder neuen, radikalisierten) durch die Analyse der Phänomene selbst zu leisten ist, soll die Phänomenologie ihre Grenze - die Nicht-Gegebeneheit, Nicht-Phänomenalität des Gebens selbst-an den Phänomenen selbst ausweisen. So geht auch Jean-Luc Marion vor, der von der Analyse der sogenannten gesättigten Phänomene ausgeht. Nach dieser Analyse J.-L. Marions bleiben die donation und das Phänomen prinzipiell unterschieden, das Verhältnis zwischen beiden wird allgemein auf folgende Weise charakterisiert: das Phänomen ist eine Entfaltung des Appells durch die Antwort in dem Menschen, der auf den Appell antwortet. Unsere Hypothese wäre: Das Geben wird als Phänomen nicht gegeben, es phänomenalisiert sich, ist aber im Phänomen als es selbst, als Geben nicht gegeben. Das wäre die (einzige) Grenze der Phänomenalität und der Phänomenologie. Um an diese Grenze der Phänomenologie zu gelangen, d.h. das Geben selbst zu erreichen, müssen wir eine phänomenologische Gegen-Methode betätigen. Die Phänomenologie hat den Zweck, sich selbst gegenüber dem Geben zurückzunehmen, um es zu erreichen. Daher Gegen-Methode. Die Grenze der Phänomenalität ist ihr Prinzip: das Geben. Um es zu erreichen, muss Phänomenologie bis zur eigenen Selbstverneinung radikalisiert werden, um einerseits nur Phänomene »von sich aus und durch sich selbst« erscheinen zu lassen, ohne ihnen (metaphysisch) einen Grund zu substruieren, um aber andererseits doch dem Erscheinen aller Phänomene das Geben selbst als Prinzip oder universale Bedingung zugrundezulegen. Das Paradox der Phänomenologie J.-L. Marions würden wir so formulieren: alles erscheint, wird Phänomen, insofern es gegeben wird, also von daher gibt es a priori keine Grenze dafür, was Phänomen werden kann: sogar der Tod, der Geburt, der Gott haben - als Grenzphänomene-eigene Phänomenalität, insofern sie sich geben. Um aber dieses »insofern«, diese universale Bedingung aller Phänomenalität zu enthüllen, muss die Phänomenologie so radikalisiert werden, dass sie selbst genauso wie das Phänomen als Antwort des donatairs, des Empfangenden sich selbst zurücknehmen muss, also praktisch muss die Phänomenologie sich selbst verneinen, um das zu erreichen, was außerhalb ihrer Grenzen liegt, also was phänomenologisch eben unerreichbar zu sein scheint. Wir haben in Phänomenologie nur Phänomene, nicht aber das Geben selbst. Es sei denn das gesättigte Phänomen ist eben diese Entfaltung des Gebens, die die Radikalisierung der Phänomenologie ermöglicht, vom Phänomen aus über dessen Grenze einen Schritt zu machen - bei Levinas war dieser Schritt keine Phänomenologie mehr, sondern ethische Beziehung des Lebens, die eine ethische Rede erfordert, die über die Phänomeno-logie hinausgeht. Wie ist das bei Marion? I. Einführende Gegenüberstellung In einer Fußnote finden wir bei Levinas eine Formulierung, die seine Bemühungen in Philosophie auf eine Weise zum klaren Ausdruck bringt, so wie ein Fragment auf das Ganze in sich hindeutet. Ich wähle dieses Fragment als Auftakt für mein Expose aus, weil es sich auf eine der zentralen Fragestellungen der Phänomenologie schlechthin, ja in Levinas Augen sogar der westlichen Philosophie überhaupt bezieht. Wenn die klassische Phänomenologie davon ausgeht, daß »Erscheinen und Scheinen dem Sein koextensiv« ist, dann möchte demgegenüber Levinas die Frage stellen, ob »die Möglichkeiten des Geistes dadurch erschöpft sind«? Er fragt, ob der Geist doch nicht »das Sein übersteigt«? Sein Anliegen ist also dabei nicht so sehr, das Erscheinen und Scheinen vom Sein zu trennen, sondern diese Korrelation gelten zu lassen, aber in gewissen Grenzen eben, um jenseits oder auch diesseits dieser Korrelation zu anderen Bezügen zu durchbrechen, die für den Menschen wesentlich sind. Denn diese Fußnote setzt fort: »Die westliche Philosophie vermochte von diesem »über« (trans) sprechen, jedoch erklärte sie es sofort für eine Idee, d.h. sie interpretierte es in Seinsbegriffen und dadurch unterwarf sie den Gott der Ontologie.« Und Levinas schließt dieses Fragment unmissverständlich ab: »Unser Versuch schreitet in genau umgekehrte Richtung.«i Jean-Luc Marion gab bekanntlich seinem frühen Projekt den Titel »Gott ohne Sein«, Dieu sans l'etre gab,2 so dass es sich anbietet, die Nähe zum gerade zitierten Gedanken aus dem Fragment in die Augen springen. Während aber Levinas den Ansatz zu dem Jenseits des Seins eben nicht mehr im Rahmen der phänomenologischen Korrelation situiert und diesen Rahmen eindeutig verlässt, indem er der Phänomenologie Grenzen setzt, scheint sich Marion dafür entschieden zu haben, »in genau umgekehrte Richtung schreiten zu versuchen« und eine andere phänomenologische Korrelation zu universalisieren: sofern etwas gegeben wird, hat es damit auch eigene Phänomenalität. Das Kriterium der Phänomenalität ist Gegebensein. Gott hat eigene Phänomenalität, die Offenbarung, die Phänome-nalität wird daher in gewisser Weise entgrenzt, gewisser Einschränkungen soll sie loswerden, z.B. der sinngebenden Intentionalität, oder des Verstehens, um auch das erscheinen zu lassen, was jenseits des Entwurfs eines verstandenen Sinnes sich trotzdem gibt. Die Grenzen der klassischen Phänomenalität, die Grenzen der Phänomenologie sind durchbrochen. Bei Levinas wird die klassische Phäno-menalität durchbrochen durch etwas, was nicht erscheint - das, was im Gesicht des anderen Menschen die Phänomenalität des Gesichts zerreisst, verdringt, er- 1 E. Levinas, »Sprache und Nähe«, in: ders., Die Spur des Anderen, S. 272, Anm. 2 J.-L. Marion, Dieu sans l'etre, Paris 1982. 127 128 scheint selber nicht. Es gibt ein An-sich, das phänomenal, als Phänomen nicht gegeben wird: das Unendliche. Dieses Schema wird bei Marion umgeworfen: alles ist gegeben, und insofern es gegeben ist, hat es eigene Phänomenalität. In beiden Fällen, bei Levinas und bei Marion, wird beansprucht, »phänomenologisch vorzugehen«, in beiden Fällen stößt die Phänomenologie auf das Gegebene, einmal ist das Gegebene das, was die Grenze der klassischen Phänomenologie markiert, die dann bei Levinas zur Grenze der Phänomenologie tout court, als solcher wird, das andere Mal aber ist im Gegenteil das Gegebene als eine Falte (le pli) aufgefasst, deren Entfaltung erst der Phänomenologie - gegen ihre eigene Vorurteile-ihre Möglichkeiten aufweisen und sie auch in der Tat immens erweitern soll: bis zur Gegebenheit, also Phänomenalität des Unendlichen. Während in einem Ansatz das Gegebene und das Phänomenale im Gegensatz zueinander stehen, sind beide im anderen Ansatz korrelativ, sie gewinnen neuen Sinn, das Phänomen soll aus dem Gabevorgang hervorgehen, sein Sinn soll also aus seinem Gabevorgang und nur aus ihm genommen werden. Die immense Erweiterung des Sinnes der Phänomenalität, bis zur Phänomenalität des Unendlichen, soll exklusiv aus dem Gegebenen in seinem Gabevorgang gewonnen werden. Die Frage ist dann, wogegen richtet sich diese Exklusivität, was muss ausgeschlossen werden, damit sich die Phänomenalität auf alles Gegebene ausbreitet. Und woran erkennt man, dass etwas gegeben, also phänomenal ist. Wo beginnt und endet die Gegebene? Hat es keine Grenzen? Von diesem Punkt aus, vom Gegebenen, wollen wir ausgehen. Was ist nicht gegeben? Wie wäre es mit dem einfachen Datum (punktuell, ohne Ausdehnung und Tiefe), dem Roten in aktueller Impression? Ist es dem Bewusstsein erst in und durch eine Retention, oder schon vor der Retention gegeben? Levinas scheint die klassische Phänomenologie bei Husserl so zu interpretieren, dass man vom Gegeben im engeren Sinne nur bei der Urimpression eines Ichfremden sprechen kann, das sofort in das Bewusstsein aufgenommen wird und dadurch den Status des Gegebenen verliert. In dem Sinne gibt es im Bewusstsein nichts rein Gegebenes, das Gegebene wird als das und jenes aufgefasst, es bleibt nur eine Spur des ursprünglich Ichfremden im Phänomen, im Bewusstsein. »^ die Urimpression ist die Nicht-Idealität in ausgezeichneter Weise. Die unvorhersehbare Neuheit von Inhalten, die dieser Quelle allen Bewusstseins und allen Seins entspringen, ist Urzeugung, Übergang von Nichts ins Sein (in ein Sein, das sich in Sein-für-das-Bewusstsein modifiziert, ohne sich aber jemals zu verlieren), Zeugung, die es verdient, absolute Tätigkeit genannt zu werden, genesis spontanea (Hua X, 100); aber zugleich ist sie erfüllt über alle Vorhersicht, alle Erwartung, alle Anlage und alle Kontinuität hinaus; sie ist daher ganz Passivität, Rezeptivität eines 'Anderen', das das 'Selbe' durchdringt, Leben und nicht 'Denken'^« Das scheint das Motiv zu sein, warum Levinas das Gegeben dem Phänomen gegenübersetzt: im Gegebenen durchdringt das Andere in das Selbe. Sobald sich aber das Gegebene phänomenalisiert, bleibt nur eine Spur des Anderen im Selben. Marion scheint dasselbe Motiv in die Phänomenologie hinein nehmen zu wollen. Jedes Phänomen ist eine Spur des Gebens, seines Gebens. Das Geben integriert alles in sich. Gibt es etwas, was sich nicht gibt? Also eine Transzendenz gegenüber dem Geben, das als Spur die Phänomenalität der Phänomene, alles Phänomenale ausmacht? Gibt es etwas, was sich nicht phänomenalisieren kann? Etwas, was sich nicht gibt, kann es nicht geben. Nun, es geht um das Projekt Gott ohne Sein, also es geht nicht um »es gibt« im Sinne des Seins, sondern des Gebens, das nicht über das Sein präjudiziert: die Phänomenologie hält sich in den Grenzen des Gegebenen, die nicht überschritten werden sollen. Also doch eine strenge Grenze: das Geben darf in Phänomenologie Marion nicht in irgendeinen Gebenden gegründet gebunden, darauf hin wie auf seinen Grund metaphysisch überschritten werden. Eine Grenze wird also immer gezogen also, aber wie? Bei Levinas können wir gelesen, bis zur gewissen Grenze kann uns die phänomenologische Analyse hinführen, dann aber setzt die ethische Rede ein.3 Wie ist das mit der Grenzziehung, die die neue, radikalisierte Phänomenologie installiert, bei Marion? II. Über die Grenzen der Phänomenologie zu reflektieren. 1. Levinas: Das Meinen der intentionalen Phänomene und die Nähe als Gegebenheitsweise Eine Stelle ist uns in diesem Zusammenhang aufgefallen, im Aufsatz »Sprache und Nähe«, von dem wir auch für die Charakteristik der Position Levinas ausgehen werden, um den Kontext der Rede vom Gegebenen zu bestimmen. »Wollen wir im Fragen und Forschen weiterkommen,« sagt er da, »über die Phä-nomenologie hinaus und ihr Prinzip der anschaulichen Evidenz, dann werden wir erneut vom Gegebenen ausgehen müssen, das die Autorität wieder nur daher haben würde, dass es als Gegebenes genommen wäre«.4 Um den Sinn dieses Im- 3 E. Levinas, »Sprache und Nähe«, in: ders., Die Spur des Anderen, S. 264. 4 Ebd., S. 264. Die Übersetzung habe ich modifiziert. 129 130 perativs das Gegebene als Gegebenes zu nehmen getreu wiederzugeben, müssen wir kurz auf den Kontext eingehen, in den er in diesem Aufsatz eingebettet wird. Das Sinnliche ist ein Durchgang zum Anderen, das Sinnliche als Erlebnis gibt etwas, was vom Erlebnis selbst unterschiedlich ist. Einmal ist dieses Geben Erscheinen, einmal nicht bei Levinas, der hier in diesem Fall von der Nähe spricht, während dort das Sinnliche im Erlebnis als etwas identifiziert wird, was als eine Eigenschaft des Erkannten im Erkenntnis funktionieren wird. Dies betrifft mich nicht persönlich sozusagen, während die sinnliche Nähe mich ergreift, »hier ist das Leben«, sagt Levinas, während dort nur Identifikation im Gange war, die einem Erkenntnisinteresse vielleicht dienen wird, jetzt aber einfach nur in ihrem Vorkommen registriert wird, es ist da, es kommt vor - immer schon als etwas. Dieses als etwas weist auf ein Meinen zurück, das Levinas zufolge in der Husserl-schen Analyse auch die untersten, basalsten Weisen des Erscheinens charakterisiert - auch das zusammenhangloses Auftauchen der ununterscheidbaren Gegebenheitsmomente im Fluss des Aufscheinens, apparoir der apparences, ist bereits ein Identifizieren, ein etwas als etwas Auffassen, sei es auch im passiven Geschehen der Selbstkonstitution der »Zeit-Objekte« im inneren Zeitbewusstsein. Dagegen die Urimpression als Empfindung, in der ich mit dem Empfundenen so koinzidiere, dass ich von ihm ergriffen bin, ohne es mich zu unterwerfen und in dem Sinne erreichen zu können, ist ein Stück meines Lebens. Der empfindungsmäßige, sinnliche Kontakt ist in der Nähe so unmittelbar, so aufdrängend, dass das Erleben es nicht schafft, sich etwas als etwas erscheinen zu lassen. Es ist in dem Kontakt so passiv, dass ihm kein, für die Erscheinung von etwas nötiger Abstand gegönnt wird, schon bin ich im Sichtbaren, Tastbaren, Essbaren, Riechbaren, allerdings ohne seine Andersheit mir gegenüber eliminieren zu können. Auch dieses Andere (und nicht nur Der Andere) erscheint aber laut Levinas nicht, denn es wird nicht aus der elementaren Distanz des Bewusstseins als etwas identifiziert. Ist überhaupt so etwas möglich, muss man sich fragen. Welche Beispiele gibt Levinas denn dafür? Er spricht zwar schon davon, dass »mit den Augen essen« kein bloßes Metapher sei, und dass also bei jedem Sinn der Sinne so etwas passiert, doch der wahre Punkt des Durchbruchs ist bekanntlich das Antlitz als diesmal Metapher für jede ethische Beziehung der Nähe, die natürlich nicht nur im Tasten, Berühren mit der Haut geschieht. Um die Transzendenz in der Sinnlichkeit zu gründen, ohne die Vermittlung des Aufscheinens, apparoir, ist Levinas bereit, auch und gerade dem Beißen und Kauen das Transzendenzverhältnis zuzuschreiben. Das Verhältnis zu dem, was mir die Welt als Nährung bietet, geschieht diesseits oder jenseits des Erscheinens ebenso, wie das ethische Verhältnis zum anderen Menschen. Doch den Ursprung der nichtphänomenalen Transzendenz situiert Levi- nas in den Kontakt mit dem Antlitz, also in die Beziehung des Berührens und Berührtwerdens zu dem, was zärtlich ist und eine Zärtlichkeit erfordert und dem also nur in der Welt der Menschen begegnet werden kann. Wenn es noch Zweifel gibt darüber, welchen Status die Reduktion des ursprünglichen Bezugs zur Wirklichkeit auf das Berühren hat - dass es nämlich nur in ihm, oder von ihm aus, das rein sinnlich Empfindbare, also das Gegebene gibt, das als Gegebenes genommen wird, dann ist es hilfreich den Schluss dieses Abschnittes zu lesen, wo es Levinas ganz ausdrücklich sagt: Dieses Nehmen ist kein Korrelat des Erscheinens, keine Phänomeno-logie, sondern Ethik. Der Andere erscheint ursprünglich nicht, seine ursprüngliche Gegebenheitsweise ist nicht phänomenal vermittelt, also ist nicht phänomenal. Punkt. Es gibt hier keine phänomenale Falte, die auf eine phänomenologische Weise zu entfalten wäre. Das aber scheint aber eben für Marion wesentlich für das Erscheinen zu sein, wenn er dezidiert seinen Ausgangspunkt in der Verallgemeinerung solcher Gegebenheitsweisen unter dem Titel »gesättigtes Phänomen« situiert. 2. Gabevorgang als Sättigung des Meinens? Der erste Schritt der Verallgemeinerung des Begriffes des Gegebenen scheint Jean-Luc Marion damit zu machen, wenn er nicht nur das signitive Meinen, sondern auch sein Korrelat, das bloß signitiv Gemeinte, auch als Gegebenes interpretiert. Die klassische Opposition, von der Levinas ausgeht als von einer Voraussetzung der klassischen Phänomenologie, nämlich der Gegensatz zwischen dem Auffassen und dessen sinnlich gegebenen Inhalt, verschwindet in der Analyse J.-L. Marions. Das bloß Gemeinte muss doch auch gegeben werden. Aber wie? Das ist doch nicht dieselbe Gegebenheitweise? Sicher ist es nicht gegeben in der Sinnlichkeit der Empfindungen, denn deren Absenz im Erlebnis definiert eben das Erlebnis des bloß signtiven intentionalen Aktes. Bloß signitiv Gemeintes ist klassisch in der Entgegensetzung mit der Erfüllung durch sinnlich gegebene Inhalte in der sinnlichen Anschauung abgehoben. Soll allerdings beides aufeinander bezogen werden können, dann nur deshalb, dass beides, beide Korrelate, das Korrelat des signitiven als auch das Korrelat des anschaulichen Aktes, irgendwie gegeben wird, nicht nur eines, das der sinnlichen Anschauung. Denn einfach gegeben wird eigentlich kein Korrelat, die Relation ist eben durch ein Meinen vermittelt. Nicht einmal sinnliches Datum ist ja einfach gegeben, sondern auch das Datum konstitutiert sich als Einheit, als Zeit-Objekt, wie wir gerade bei Levinas gesehen haben. Also die von Marion in Anspruch genommene Erweiterung des Begriffs des Gegebenen muss eigentlich als eine klare Verabschiedung des naiven Konzeptes des Gegebenen und dessen Ersetzung durch einen operativen Begriff verstan- 131 den werden, dessen jeweilige Bedeutung von Kontext zu Kontext wechselt, nie aber auf ein »rein sinnlich Empfindbares« zurückverweist, mit dem Levinas, wie wir gesehen haben, doch wirklich rechnet, denn er bezieht sich darauf durchaus positiv, empiristisch, würde man fast sagen. Was wird durch diese Entgrenzung/ Ersetzung des Gegebenen bei Marion phänomenologisch gewonnen? Eine ganze neue Phänomenologie. Alles ist dort gegeben, obwohl nicht alles ercheint, diese Worte haben aber eine neue Bedeutung. Welche? III. Jean-Luc Marion: Gabevorgang als Bedingung und seine Unbedingtheit Die Phänomenalität ist in dieser Phänomenologie insofern grenzenlos, alles zeigt sich insofern auf eigene Weise, inwiefern es gegeben ist. Was nicht gegeben ist, davon hat es vielleicht keinen Sinn zu sprechen. Sobald wir von etwas sprechen, ist es eo ipso gegeben, hat eigene Art Phänomenalität. Dies gilt trotz dem Umstand, von Marion hervorgehoben wird, dass das Gegebene letztlich in der Sprache nicht als es selbst ausdruckbar ist.5 Gibt es noch eine Grenze der Phänomenalität, eine Grenze der Phänomenologie, auch der radikalisierten? Wir finden im Etant donne einen Hinweis auf eine 132 mögliche Grenze, die wir zu verfolgen versuchen. Warum ist das Geben, der Gabevorgang die Grenze der Phänomenologie? Weil er selber nicht erscheint, er gibt die Phänomene, selber aber nicht erscheint. Das Prinzip der Phänomene bleibt jenseits der Phänomenalität. Um zu diesem Prinzip als dem letztem Prinzip zu gelangen, muss radikalisierte Reduktion ausgeübt werden. Die kritische Frage dann lautet: inwiefern ist die Gegen-Methode der radikalisierten Reduktion noch eine phänomenologische Methode? Der Ausgangspunkt ist insofern phänomenologisch, als die Analyse von einer konreten Erscheinung des Erscheinden, von einer cogitatio, ausgeht. In einem Erlebnis hat sich etwas auf gewisse Weise gezeigt. Die eigentliche Methode der radikalisierten Phänomenologie Marions kommt danach: und sie besteht darin, nachträglich nicht nur das Erscheinende noch einmal in seinem Erscheinen zu zeigen, sondern dieses Erscheinen selbst abzuheben, das das Erscheinende uns im Erlebnis auf eine bestimmte Weise gegeben hat. Es ist eine Gegen-Methode, weil sie diese bestimmte Gegebenheitsweise von den unangebrachten Deutungen befreien will. Worauf stützt sich diese Methode, auf die einzelne cogitatio als das sichzeigenden Zeigen oder auf das Ideal der reinen Gegebenheit in diesem 5 Ich danke für diesen Hinweis Giuseppe di Salvatore. Zeigen? In der transzendentalen Reduktion Husserls ist das Sichzeigen des Zeigens als reines Phänomen gefasst: das Erlebnis, in dem sich etwas zeigt, wird zum Phänomen, zum etwas Sichzeigenden, nur aufgrund der Epoche und Reduktion, das Erlebnis zeigt sich sonst, von ihm aus, nicht. Es wird zum reinen Phänomen, insofern es reduktiv von der Interpretation befreit wird, die es als Erlebnis als psychische Realität setzen würde. Reine Selbstgegebenheit soll sich dem redukti-ven Blick des Phänomenologen zeigen, das ist das Selbstzeigen des Erscheinens. Warum ist dieses Modell für Marion unzureichend, warum muss die Reduktion radikalisiert werden? 1. Das gesättigte Phänomen als aus der Phänomenologie hinausweisende Instanz dessen, was jenseits der Phänomenologie sich gibt: des Gebens selbst Welche Rolle spielt dabei das gesättigte Phänomen? Wir konnten bisher eher eine Dekonstruktion der Bedignungen der Möglichkeit verfolgen, die dem Sichgeben des Sich-zeigens im Wege stehen könnten. Wir haben den Eindruck, dass die Phänomenologie hier einen Umweg gehen muss, um zum echten Phänomen, also zum Erscheinen als solchem im Sinne dessen, was in sich und aus sich selbst erscheint, zu gelangen. Es scheint, dass die Antwort auf das gesättigte Phänomen, das mich anspricht, zum Beispiel im Gesicht des anderen Menschen, nicht nur mich als den Verantwortlichen erst installiert, sondern auch mein Zugang zum Sich-zeigen ermöglicht, ohne den Umweg der Reduktionen. Das gesättigte Phänomen bezeichnet die folgende Situation: Ich bin ergriffen durch den Über-schuss am Sinn gegenüber meinen Möglichkeiten zu verstehen. Bei Levinas ist das kein Phänomen, das mich in einer solchen Situation anspricht, sondern die Situation ist eben die der »Auflösung des Erscheinens« durch den Appell, der daher an mich geschieht diesseits des Mediums der Phänomenalität, wobei man sagen kann, dass dies gerade, im gewissen Sinne, auch bei Levinas, ein anarchisches Prinzip oder Ursprung aller Phänomene ist.6 Bei Marion ist das Paradigma aller Phänomene das gesättigte Phänomen, insofern sein Geben unmittelbar ist, von sich aus geschieht, es ist schon da mit mei- 6 Ich habe »leibhaft« immer schon mit der menschlichen »gegebenen« Welt zu tun, und deswegen kann diese auch im Medium des Vermeinens erscheinen. Von den flüchtigen Apparenzen bis zu den objektiven Phänomenen hat dieses Erscheinen sein Prinzip im Anderen, zunächst in den anderen Menschen. Denn bei Husserl schon kann etwas als etwas vermeint werden, das heißt erscheinen, sich zeigen, nur auf dem Grunde der Intersubjektivität. Wenn aber Levinas etwa schon in der Totalität und Unendlichkeit sagt: »Der Andere ist das Prinzip des Phänomens...«, will er noch auf anderes als jene Intersubjektivität hinaus. Im Kontext dieser Schrift wird diese Tendenz noch mit folgenden ontologischen Mitteln ausgedrückt: Erst durch die Rede, mit der sich der Andere an mich wendet, gewinnt die Erscheinung, die Apparenz die Konsistenz, Festigkeit eines Phänomens, das ein Phänomen von einem Sein ist. Vg. Auch den Schluß des Aufsatzes »In-tentionalität und Empfindung«, in: ders., Die Spur des Anderen, S. 182 f. 133 134 ner Antwort darauf. Das gesättigte Phänomen ist da mit meiner Antwort auf einen Appell, die Phänomenologie ist aber keine Antwort auf einen Appell, sie fliegt wie die Eule erst nach dem verschwindenden Tag der hellen Manifestation los. Sie muss nachträglich reduktiv noch einmal die Falte entfalten, die sich im Ereignis des Erscheinens als cogitatio, als ein repons^ realisiert hat. Doch Marion wehrt sich dagegen, die Differenz des Gebens gegenüber dem gegebenen Phänomen zeitlich zu deuten. Die Phänomenologie ist also die Rekonstruktion der unzeitlichen Entfaltung der Falte des Gebens, die sich phänomenali-siert hat - das Geben als Prinzip dieser Entfaltung, d.h. der Phänomenalisierung muss dabei dekonstruktiv erweitert werden, d.h. die Rekonstruktion der Phä-nomenalisierung wäre ein Abbau der Horizonte und der anderen transzendentalen Bedingungen, die das Denken dem Erscheinen auferlegt. Doch das gesättigte Phänomen stellt sich in der Antwort von sich aus ein, ohne theoretischen Abbau, ohne die Aktivität des Dekonstruierenden. Wieso braucht es dann das universale Prinzip der Gegebenheit? Wird dieses Prinzip jenem Phänomen nicht übergestülpt? 2. Beispiel des gesättigten Phänomens: das Leben, die Selbstoffenbarung des Lebens im Erleben des Fleisches Um die Positionen von Levinas und Marion im Bezug auf ein gesättigtes Phänomen zu vergleichen, wähle ich zum Schluß das Erlebnis eigener leiblichen Sinnlichkeit als Selbstoffenbarung des Lebens. Dieses gehört ausdrücklich zu den gesättigten Phänomemen, so Marion im Etant donne.^ Bei Levinas sind wir vom Leben im Gegensatz zum Denken ausgegangen, so wie er im Aufsatz »Sprache und Nähe« zum Ausdruck kommt.9 Nicht die phänomenalisierende Entfaltung der Falte des Gegebenen muß dekonstruktiv - im Diskurs einer neuen Phä-nomenologie, in der Gegen-Methode der radikalisierten phänomenologischen Reduktion - rekonstruiert werden, sondern die phänomenologisch analysierten Befunde - also »ethische Beziehungen, deren Vernküpfungen etc.« - führten Le- 7 Die phänomenalisierende Antwort auf den Apell des Gegebenheit faßt Marion terminologisch als le repons, im Unterschied zu la reponse, einer Antwort, auf. Vgl. dazu. Etant donne, S. 390 ff.. 8 Ebd., S. 409. 9 So etwa folgende Stellen: »Die Liebkosung des Sinnlichen im Kontakt und im Berührten - die Zärtlichkeit, d.h. die Nähe - erwacht erst wirklich im Ausgang von einer menschlichen Haut, von einem Antlitz, bei der Näherung des Nächsten.«, E. Levinas, »Sprache und Nähe«, in: ders., Die Spur des Anderen, S. 279 f. - »Nur in seiner Rolle als Erkenntnis ist das Sinnliche oberflächlich. In der ethischen Beziehung zum Wirklichen, d.h. in der Beziehung der Nähe, welche das Sinnliche herstellt, gibt sich das Wesentliche zum Unterpfand. Hier ist das Leben.« Ebd., S. 279. - »Jenseits der Intentionalität«, d.h. jenseits der Reichweite »der phänomenologischen Beschreibung des Wissens ^ ist die Nähe die Beziehung zum Nächsten im moralischen Sinne des Wortes«. Ebd., S. 280 f. vinas »zum Gebrauch einer Terminologie und zum Gebrauch von Bedeutungen, die das Ethische bezeichnen.« 1° Die Unmittelbarkeit der Selbstgegebenheit des Lebens ist die »Ergriffenheit«, die den Ergriffenen, ja Besssenen »be-sitzende Nähe des Nächsten«, die in der nur ethisch zu nehmenden Beziehung »das Bewusstsein überspringt: nicht aus Mangel, sondern aus Überschuss, aus dem 'Überschiessen' der Nähe,«" das wäre der Höhepunkt der Unmittelbarkeit der Selbst-Offenbarung des Lebens, die hier allerdings kein Zusammenschmelzen, confusion, ist, denn dieser Unmittelbarkeit wohnt die Abwesenheit inne, in der sich der Nächste hält. Dieses ethische Selbst-Bedeuten par excellence, das ich hier auf die Unmittelbarkeit des Selbst-Offenbarung des Lebens beziehe - denn »hier ist das Leben«, wie wir gelesen habeni2 - nennt Levinas das Bedeuten im Antlitz.: »... im Antlitz gehen die Erkenntnis und das Erscheinen des Seins oder die Wahrheit in einer ethischen Beziehung unter.«i3 Das Antlitz bedeutet in der ethischen Beziehung so, wie es z.B. folgende Passage nahebringt: »nicht autochthon zu sein; heraus-gerissenzusein aus der Kultur, aus dem Gesetz, aus dem Horizont, aus dem Zusammenhang; durch eine Abwesenheit, die die eigentliche Anwesenheit des Unendlichen ist, sich in dem Nicht-Ort der Spur zu finden - es ist dies das direkte Auf-dich-Zukommen, das Erscheinen kraft der Auflösung der Erscheinung ... der Punkt, an dem die Epiphanie Nähe wird,«i4 d.h. an dem die Epiphanie Leben wird, würde ich hinzufügen. In der Systematik der gesättigten Phänomene Marions tritt das Leben in der Selbst-Affektion auf. Der Appell, die Inanspruchnahme, la revendication, die das Leben gibt, so dass es zum gesättigten Phänomen wird, ist die Selbst-Affektion - das ist in dem Fall der Gabevorgang, in dem das Leben zum gesättigten Phänomen wird. Im gewissen Sinne scheint gerade dieses gesättigte Phänomen ein Privileg zu haben. In ihm wird die letzte Grenze der radikalisierten Phänomenologie Marions, nämlich die zwischen dem gesättigten Phänomen und seinem Geben, durchbrochen. Denn: »jeder Relation entbunden« ist der Gabevorgang, in dem mir mein Fleisch gegeben wird. »Die Fleischwerdung, la prise de chair, ist es, in der ich ergriffen bin. Ich bin ergriffen - nicht als ein Gefangener oder in Hausarrest Ge- 10 Ebd., S. 281. 11 Ebd. 12 Ebd., S. 279. 13 Ebd., S. 282. 14 Ebd., S. 285. 135 136 stellter, sondern wie auf frischer Tat ertappt, wiedereingefangen durch und als mein Selbst,« so Marions Formulierung im Aufsatz »La chair et la donation de soi«.15 Was hier auf frischer Tat ertappt, also im Gabevorgang selbst selbst-gegeben wird, ist mein Fleisch - und dadurch, aber das sagt J.-L. Marion hier nicht - mein Leben. Hier ist mein Leben gegeben, nicht nur mein Selbst, das ja vom lebendigen Fleisch nicht zu trennen ist. Die Selbst-Offenbarung des Fleisches wird als Gabe dargestellt: »das Fleisch gibt mich mir selbst - ich bin ihm übereignet.«i6 Prinzip der Phänomenalität bei Marion besagt: der Gabevorgang gibt etwas, was sich als gesättigtes Phänomen entfaltet. Aber hier ist die Entfaltung, also die Phä-nomenalisierung mit dem Gabevorgang identisch. Alles Phänomen müsste sich nach Marions Prinzip nach Maßgabe der Falte der Gegebenheit entfalten. Das Fleisch wird da nach Marions Formulierung: »zum einfachsten und zwingendsten Fall dessen, was wir andernorts das gesättigte Phänomen oder Paradox nennen. Leibhaftig bin ich durch eine Intuition - z.B. den Schmerz - affiziert, der mich restlos einnimmt, noch bevor ich seine Bedeutung kenne In dieser Intuition scheint sich Marion der Idee der Selbstaffektion Michel Henrys anzuschliessen, derzufolge es in der Enfaltung dieser Phänomenalität keinen sei es auch minimalen Abstand gibt, also auch keine Falte der Gegebenheit. Die Phänomenalisierung scheint hier anders als eine Entfaltung geschehen, die immer die Differenz des Gebens und des Phänomens aufrechterhält. Die zentrale Stelle des Aufsatzes ist aus diesem Gesichtspunkt die folgende: »das Fleisch bezieht sich auf sich selbst sowie es sich selbst-affiziert. Im Folge dessen entzieht es sich aller Relation - mein Schmerz, meine Lust bleiben einzigartig, nicht mitteilbar, unersetzlich - in einer Absolutheit ohne Rücksicht, ohne Hinsicht, ohnegleichen. Diese Absolutheit, unbefleckt von jeder Relation, konstituiert übrigens das Privilegium, das sie geeignet macht, mir mich zuzuweisen in meiner Individualität. Wenn das Fleisch es nicht schaffte, sich von jeder Relation zu befreien, würde es nicht schaffen, das zu vollenden, was nur es vollenden kann - mich mir selbst zu bieten, mich mir selbst gegenüber rührbar zu machen - in zweierlei Sinne mir meinen eigenen Ort zuzuweisen und mich dazu zu bringen, seine Macht des Fleisches zu fühlen. 15 J.-L. Marion, Du surcroit. Etudes sur lesphenomenes satures, Paris 2001, S. 116. Ich zitiere die Übersetzung des Aufsatztes von L. Langbehn, K. Novotny, M. Staudigl und H. R. Sepp, in: M. Staudigl (Hg.), Phänomenologien leibhaftiger Existenz. Neue Beiträge, Turia + Kant, Wien 2010/11 (im Erscheinen). 16 Ebd., S. 119. 17 Ebd., S. 120. Mehr als das. Es geht nicht nur um ein der gesättigten oder paradoxen Phänomene unter anderen _ Mit dem Fleisch, gibt mir in der Tat ein Phänomen mich selbst in meiner Absolutheit: das einzige und erste Phänomen in der Welt, das sich übrigens nicht anders als durch mich phänomenalisiert, dieses Phänomen gibt mich mir selbst. Mit dem Fleisch, geht es um das erste und einzige gesättigte Phänomen, welches das Ego ihm selbst bietet - welches das Zugegebene ihm selbst bietet, indem es ihm zuweist, in ihm selbst allein zu verbleiben. Es freut sich also vom Privilegium, das unvergleichbar ist im Bezug auf alle andere Paradoxen.«i8 Es ist sicher nicht so, dass sich das Leben als gesättigtes Phänomen nur hier, in der Selbst-Offenbarung des Fleischwerdens geben würde. Hier wird aber das Leben auf eine privilegierte Weise gegeben, die uns erlaubt, sowohl einen Unterschied zum Levinasschen Ansatz zu vermerken als auch auf eine Grenzsituation hinzuweisen, die vielleicht das Prinzip der radikalen Phänomenologie Marions wiederum in Frage stellt. »Mit dem Fleisch gibt in der Tat,« schreibt Marion im zitierten Aufsatz, »ein Phänomen mich mir selbst in meiner Absolutheit.«i9 Für Levinas ist das Fleisch auch eine Art Separation, also Ab-solutheit, aber eine Ergriffenheit, der Höhepunkt des Lebens, ist doch etwas anderes als Selbst-Offenbarung im Schmerz zum Beispiel, die etwa eher ein solipsistischer Höhepunkt sein könnte. Schmerz als Selbstoffenbarung ist darüber hinaus ein Phänomen, in dem der Gabevorgang selbst auf frischer Tat ertappt wird, und nicht eine Entfaltung der Gegebenheit, die über sich hinaus, eben auf Geben, hinausweist, über die Grenze der Phänomenalität. Die Phänomenologie hat hier so aber keine Grenze mehr. Zusammenfassung Grenzen der Phänomenologie, was ist damit gemeint? Bei E. Levinas sind die Grenzen klar gezogen, gegenüber dem ily a, als dem unpersönlichen Sein, aber auch dem Leben selbst, so wie im vorliegenden Aufsatz angedeutet wurde. Die Grenze der Phänomenologie macht also nicht nur die Transzendenz des absolut Anderen aus, die sich im menschlichen Leben kundgibt. Im Bezug auf J.-L. Marion ging es um folgende Frage: Gibt es für die reduktive Gegen-Methode der radikalisierten Phänomenologie Marions noch bestimmte Grenzen der Phänomenalität? Eine Antwort wird wiederholt und explizit ge- 18 Ebd., S. 121. 19 Ebd., S. 121. 137 138 geben: das, worauf es dieser Phänomenologie ankommt - das letzte Prinzip der Phänomenalität, ihre universale Bedingung, nämlich das Geben-ist selber nicht gegeben, und entzieht sich insofern dem Prinzip der Phänomene. Die Radikalisierung der Phänomenologie stützt sich bei ihren Durchbruch und Erweiterung der Phänomenalität auf die gesättigten Phänomene, die als Gegebenheiten auf das sich gebende Geben selbst nur hinweisen. Nach dem, was J.-L. Marion vorschlägt, bleiben so das Geben (la donation) und das Phänomen unterschieden, das Phänomen ist eine Entfaltung des Gebens, die durch die Antwort in dem Menschen ereignet, der auf einen Appell antwortet. Das Geben selbst wird als Phänomen nicht gegeben, es phänomenalisiert sich, ist aber im Phänomen als es selbst, als Geben nicht gegeben. Unsere Hypothese war daher: Das wäre die (einzige) Grenze der Phänomenalität. Um an diese Grenze der Phänomenologie zu gelangen, d.h. das Geben selbst zu erreichen, muss eine phänomenologische Ge-gen-Methode betätigt werden. Die Phänomenologie hat den Zweck, sich selbst gegenüber dem Geben zurückzunehmen, um es zu erreichen. Die Grenze der Phänomenalität ist ihr Prinzip: das Geben. Um es zu erreichen, muss Phänome-nologie bis zur eigenen Selbstverneinung radikalisiert werden. Wenn sich einige gesättigten Phänomene - so wie die Selbstaffektion des Lebens, la chair - allerdings ohne Distanz geben, ohne Appell und Antwort, dann scheint die einzige Grenze der Phänomenalität durchbrochen zu sein. Alles ist dann Phänomen.