Musik als Opposition Die Frage über Musik als Opposition und sogar als Opposition gegen irgendein gesellschaftliches Establishment ist ziemlich kompliziert. Ich bin überzeugt, daß der Einfluß der gesellschaftlichen Zustände auf die Kunst des 20. Jahrhunderts noch viele Untersuchungen verlangt. Darum möchte ich hier nicht versuchen, diese Frage global zu erötern, sondern nur am Beispiel der alternativen Szene der slowenischen Musik in den letzten Jahren die Stellung der Gruppe Laibach zu schildern. Die Gruppe Laibach ist nämlich in den letzten Jahren auch international sehr bekannt und sogar ein Begriff geworden. Vorher aber noch einige historische Fakten. Als 1948 die jugoslawische politische Dezentralisierung einsetzte und man sich vom stalinistischen politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Block loszulösen begann, trat auch eine Abschwächung der Anschauung ein, wonach die Kunst ein politisch-revolutionäres Instrument sei. Eine Beratung junger Literaten im Jahre 1950 verurteilte den sozialistischen Realismus, der die Kunst in die Sackgasse führte. So entstand das erste unabhängige künstlerische Programm der damaligen generation in Jugoslawien. Der Zeitraum des sozialistichen Realismus war demnach in Slowenien verhältnissmäßig kurzlebig. Das bedeutet aber nicht, daß auch weiterhin viele Werke zur Ehre Titos und zu bedeutenden Ereignissen aus der Zeit des Freiheitskampfes nicht entstanden wären. Viele Jahrestage gaben Anlaß dazu, Werke zu schreiben, die dafür geeignet waren. So entstand sogar ein alljährliches Festival Musik und Revolution (gegründet 1973), welches vielen Komponisten ermöglichte neue Werke zu schreiben. Auch die Komponisten der s.g. Avantgarde nahmen daran teil. Das Werk Štirinajsta (nämlich die XIV. Division der slowenischen Partisanen) aus dem Jahre 1980 des Komponisten Darijan Boiè bezeugt es deutlich. Die neuen Verhältnisse nach dem Jahre 1948 ermöglichten den Zugang neuen Strömungen, besonders vom Westen und aus Polen. Schon in der 60er Jahren haben junge Komponisten eine starke und einflußreiche Gruppe Pro musica viva gegründet. Auch das Zagreber Biennale war in dieser Zeit als Quelle und Inspiration für die neue Musik in Slowenien bedeutend. Die Gruppe hat nicht lange zusammengearbeitet, jeder Komponist ging eigene Wege, aber die musikalische Szene blieb in Slowenien offen für alle Richtungen, die neu und interessant waren. So gab es sehr bald den Punk der neuen Linken als »Sprengmeister einer vermutlich revolutionären Situation« und eine Richtung, die die Perspektive des Punks in der Abrückung von mehr primitiven Formen und in seiner allmählichen Konvergenz mit der elitären Kunst sah. Andererseits entstanden viele Rock- und Popgruppen, die in den 70er und 80er Jahren eine besondere starke alternative Musikszene bildeten. Und so komme ich zum Kern meines Beitrages. Einzelne künstlerische Erscheinungen in Slowenien erfuhren teilweise breiteren Widerhall, das heißt, sie blieben nicht nur national begrenzt. Darunter ist die Gruppe Laibach anzuführen als der populärste Flügel der slowenischen Künstlervereinigung Neue slowenische Kunst. Der erste Auftritt der Gruppe im Jahre 1982 löste ihren schneller Aufstieg in der slowenischen neuen Welle aus, rief aber gleichzeitig auch heftige Polemiken hervor. Ihre weiteren Auftritte im slowenischen Fernsehen oder sogar auf dem Zagreber Biennale erregten die jugoslawische Öffentlichkeit. Die politischen Organi-sationen nahmen Stellung, der 301 Musik als Opposition Partisanen-Verband protestierte und warnte vor dem »dehumanisierten Ausdruck« dieser Gruppe, die »mit radikalsten Provokationen irritiert und mit eindeutigen Assoziationen auf Faschismus und Nazismus auftritt«. Die Gruppe wehrte sich, »obwohl sie prinzipiell keine Polemik führen wollte«, sie »konnte aber nicht zulassen, das man sie mit dem Faschismus gleichsetzte«. Die Affäre überwucherte in eine alljugoslawische, besonders nach den Auftritt der Gruppe in der Zagreber Biennale im Frühling 1983. Der Vollzugsausschuß der Zagreber Musikbiennale schrieb sogar einen Brief an das politische Forum in Ljubljana. Das Komitee forderte sogar, alle, die die Gruppe eingeladen hatten, zu Verantwortung zu ziehen. Es ist charakteristisch für diese Zeit, daß niemand von den Unterzeichnern der Erklärung des Vollzugsausschußes beim Konzert der Gruppe anwesend war. Die ganze Anklage war aufgrund einiger tendenziöser Erklärungen Einzelner konstruiert zu dem Zweck politischer Kompromittierung. Die Gruppe arbeitete aber weiter und stellte sich vorerst als Retro-Avant-Garde, als monumentale Avantgarde vor. Das stark betonte avantgardistische Element im Retro-Avant-Garde Projekt der Gruppe Laibach ist aus dem Gesamtkonzept ihres Programms ersichtlich. Es wurde in der Zeitschrift Nova revija im Jahre 1983 nach Anweisungen der Gruppe veröffentlicht. Eine Studie über die Gruppe veröffentlichte dabei der Literaturhistoriker und Philosoph Taras Kermauner. Von ihm und aus Tine Hribars Buch Sveta igra sveta (Der heilige Spiel der Welt) möchte ich einige interessante Standpunkte über die Gruppe Laibach als Räpresentanten einer bestimmten Zeit und einer Epoche in Jugoslawien anführen. Die Anweisungen der Gruppe berücksichtigten die Inhaltseinteilung der Zeitschrift nach einzelnem Blocken. Für ihren Block verlangte die Gruppe Laibach den Titel Totalitarismus, das vorgelegte Material aber war unter dem Titel Aktion in Namen der Idee abgedruckt. Aus dem beiliegendem „Schema 1“: »Das Prinzip der Organisation und der Tätigkeit« ist das Vorbild totalitärer oder kirchlicher Organisation oder Parteien bevor sie die Macht ergriffen hat, begreiflicherweise auch die Illegalität; es nimmt nicht Wunder, das die Gruppe wegen ihres »illegalen« Auftretens seitens der Behörde später tatsächlich als illegal, daß heißt, als illegitim gekennzeichnet wurde. Der Name allein war wahrscheinlich nicht die Hauptursache dafür - die Gruppe tritt nämlich unter dem deutschen Namen Laibach für das slowenische Ljubljana auf. Wegen ihrer derartigen expliziten Einstellung stieß die Gruppe auch bei anderen Gruppen der damaligen Alternative auf Probleme. Sogar als die Gruppe Laibach im Jahre 1987 bei der Wilfried Minks’ Macbeth-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus mitwirkte, reagierte die deutsche Presse wegen des militärischen Erscheinungsbilden der Gruppe mit Faschismus-Verdacht. In die USA erhielten die Laibach-Mitglieder Einreiseverbot (als Kommunisten!). Und auch die Schriftleitung der Nova revija veröffentlichte das Material der Gruppe Laibach mit Reserve: »es handelt sich um ein Abbild des Totalitarismus, welches keine reelle gesellschaftliche Kraft besitze, den Totalitarismus wohl entlarven, nicht aber wirklich durchsetzen kann.« Es hatte sich also das bekannte Prinzip geltend gemacht, daß die Kunst ein Spiegel des Lebens ist und es für das Leben weniger schädlich sei, wenn es sein wahres Antlitz erblicke, als wenn dieses Antlitz verdeckt bliebe. Ähnlich blieb nach des Einführung Delegatensystem der verdeckte Parteihegemonismus bestehen und nach dem 302 PRIMO KURET (1935) zentralisierten Zentralismus die verdeckte zentralisierte Demokratie, die Demokratie der totalitär beaufsichtigten und dirigierten Gesellschaft. Der Gruppe Laibach ging es um einen Spiegel, in dem sich die Wahrheit widerspiegelt. Darauf weisen auch andere Formulierungen hin wie die, daß sich »Kunst und Totalitarismus nicht ausschließen«, oder daß »durch die totalitären Regime die Illusion der revolutionären individuellen künstlerischen Freiheit aufgehoben wird.« Oder: »Die Politik ist die höchste und alles umfaßende Kunst und wir, die die zeitgenössische slowenische Kunst kreiren, betrachten uns als Politiker« (z.B. Schallplatte Laibach 1985). Laibach lehnt es ab, sich direkt an Institutionen des Regimes zu binden. In politischen Systemen, wo die Avantgarde im Namen der Diktatur (des Proletariats) an der Macht ist, gibt es jedoch keine Institutionen außerhalb des Regimes. Deshalb war der Eintritt der Gruppe in die Institution der Nova revija eine regimebedingte Handlung. Der Philosoph Tine Hribar schreibt darüber, daß ein Unterschied zwischen aktiven und passiven Anhängern des Regimes besteht. Letztere dulden eben das Regime, weil ihnen nicht anders übrig bleibt, wenn sie nicht als »Volksfeinde« gekennzeichnet werden wollen. Ein solches Regime wird nur von denjenigen nicht unterstützt, die gerade deswegen emigrieren. Ihre erste Schallplatte aus dem Jahre 1985 mußte lange in Bunker warten. Aus dieser Schallplatte möchte ich Ihnen zwei kleine Beispiele der Laibach-Kunst vorstellen. Zuerst ein Stück mit dem Titel Inmitten des Krieges. Diese Stück hört man heute nach den letzten Ereignissen in meinem Land als gespenstische Prophezeiung. Der zweite - Der Staat - aber hat folgenden Inhalt: Der Staat kümmert sich um Schatz, Gedeihen und Nutzbarmachung der Wälder. Der Staat kümmert sich um die physische Erziehung des Volkes, zunächst der Jugend zum Zweck der Förderung der Gesundheit des Volkes, der nationalen, werktätigen und wahrhaften Fähigkeit. Er handelt immer nachgiebiger er läßt vollkommene Freiheit zu. Die Herrschaft ist bei uns die Herrschaft des Volkes. Die Laibach-Mitglieder zitierten gern Hitler, Stalin, Tito, Jaruzelski (z.B. »Die Kunst ist eine erhobene Sendung, die zum Fanatismus verpflichtet« - Hitler, oder: »Die Künstler sind Ingenieure der menschlichen Seelen« - Stalin). Sie bewegen sich in der Tradition der Industrial-Musik, lehnen aber Vergleiche mit Zeitgenossen ab. Laibach wollte im 303 Musik als Opposition Zentrum des Lebens stehen und war pragmatisch. Ehe die Gruppe bei Auftritten auf der Bühne erscheint, werden Tonbänder mit waidmännischen Lehrvorträgen oder mit der Musik von Penderecki oder Holst zugespielt. Man versetzen z.B. eine Rede Churchills (»We shall defend our island, whatever the cost may be ... we shall never surrender«) mit einer pathetischen slawischen Hymne. Man adaptiert triviale Pop-Nummern und kombiniert sie mit Zitaten aus der E-Musik; andernorts werden verschiedene Elemente der Musik paraphrasiert. Verwirrung stiftet hier nicht, das das Gegensätzliche gegensätzlich ist, das Widersinnige widersinnig, sondern die Tatsache, daß sich daraus kein dialektisches Paradigma konstituiren will. Das würde für die Gruppe Laibach gegenseitige Relativierung, eine Vielfalt von Meinungen symbolisieren, die sich gegenseitig aufheben und somit einem Zugeständnis an eine nach unten nivellierende Liberalität gleichkommen, die der Künstler als Intelektueller nicht befürworten kann. Der Künstler sieht seine Rolle als Konstrukteur von Gegenmodellen zu den herrschenden Mächten. Die Gruppe Laibach kommt aber aus einem Land, in dem Indikationen und Kontraindikationen des Sozialismus und der Konsumgesellschaft vielleicht am deutlichsten zu beiderseits relevanter Teilen wirksam geworden sind. Richtig ist auch die Feststellung, da die Laibachsche Kunst angesichts ihrer Inhaltslosigkeit schwer bemängelt werden kann, da es ihre Sache ist, keine Seele zu besitzen. Die schweren semiotischen Stoffe, die Gruppe Laibach ansammelt, bilden keinen Überbau, wie es zu erwarten wäre, sie selbst sind bereits Gegenstand dieser Kunst, sie ergeben einen gewaltigen Rahmen für ein Bild, das nicht gezeichnet wird. Die neue slowenische Kunst - Laibach ist ihr bezeichnendstes und in der Welt am meisten zur Geltung gekommene Beispiel der letzteren Jahre - hat sich als Kunst der neuen postrevolutionären (Transavantgarde-) Generation nicht damit zufrieden gegeben, mit ihrer erzieherisch-bildungsgezielten Tätigkeit die Neugier zu befriedigen, sondern entwickelte ihre eigene Neugier. An Stelle einer Reanimierung vergangener Stile verlangt sie die Revitalisierung des Verflossenen, noch immer Lebendigen, in diesen Stilen. Vergleicht man die Musik mit anderen Künsten, so ist es leicht festzustellen, daß in ihr »in höchst destillierter Weise der nationale Moment hervortritt« (so Mladen Dolar, Strel sredi koncerta [Ein Schuß inmitten des Konzerts]). Und zuletzt: ist der Titel meines Beitrages überhaupt berechtigt? Offensichtlich ist auch in diesem zitiertem Fall, das sich die Musik gewisser Floskeln, Formeln und Zitate bedient, die eine semantische Funktion behalten, um eine gewiße Stellung zu erörtern. Und auch hier ist schließlich das Wort jenes Element, welches im Zusammenhang mit anderen Parametern z.B. einen Protest gegen das bestehende Establishment ausdrückt. Der Komponist Vinko Globokar, der die Musik der Darstellung etwas Außermusikalischen verflicht, meint sogar: »Ich glaube nicht an die Universalität der Musik. Die Musik ist ein Reflex der Gesellschaft, in der man sich entwickelt, ihre Funktion hängt vom Milieu ab, für das man schafft. Dies wird übrigens dadurch bewiesen, daß die Komponisten überall auf der Welt eine gemeinsame Sprache bei Dingen des Handwerks, also bei Fragen der Technik, der Klangmaterials, der Technologie besitzen, doch sicher nicht bei ästhetischen Fragen oder bei Problemen der Funktion der Musik.« Die Probleme, die ich zeigen wollte, waren immer in der Geschichte präsent: es ist die Kontroverse zwischen den Künstler und der Gesellschaft. Es geht also um eine latente 304 PRIMO KURET (1935) Frage, die jede Gesellschaft in seiner Zeit lösen muß. Die totalitären Regime in unserem Jahrhundert stellen einen gewißen Höhepunkt in diesem Sinne dar, und die Kluft zwischen einigen Künstlern und dem Regime war außerordentlich scharf, meistens aber für den Künstler sogar folgenschwer. Die Gruppe Laibach hätte vor einige Jahre in Jugoslawien noch nicht exsistieren können. Ihre Herausforderung war zu extrem, zu provokant und zu schockierend. Aber die Gruppe ist in einer Zeit aufgetreten, in der sich die gesellschaftlichen Verhältnisse schon sehr gemildert hatten, obwohl die ersten Reaktionen noch drohend waren. Trotzdem ist aber die Gruppe Laibach mit allem ihrem Extremen und Attacken an das Regime doch ein Beweis, daß dieses Regime in den 80er Jahren in Jugoslawien im Prinzip liberaler war, als man vermutete. Warum, ist aber schon eine andere Frage. Literatur KORUZA, J., ZADRAVEC, F.: Slovenska knjievnost (Slowenische Literatur) 1945-1965, II, Ljubljana 1967. Nova revija 13/14, 1983. Zbornik Punk pod Slovenci (Sammelband Punk unter den Slowenen), Ljubljana 1985. GLOBOKAR, V.: Vdih - izdih (Einatmen - Ausatmen), Ljubljana 1987. „Kapitalizem je mrtev“ (Kapitalismus ist tot), Mladina št.26, 6.7.1992. BARBER-KERŠEVAN, A.: „Laibachova simulacija totalitarizma kot izziv semi-totalitarnemu politiènemu reimu“ (Laibachs Simulation des Totalitarismus als Herausforderung des Semitotalitaren politischen Regime), in: Sammelband Slowenische Musiktage - Provokation in der Musik, Ljubljana 1994, S. 89-101. HRIBAR, T.: Sveta igra sveta (Der heilige Spiel der Welt), Umetnost v post-moderni dobi (Die Kunst in der Post-Moderne Ära), Ljubljana, 1990. ADORNO, T.: Uvod v sociologijo glasbe (Einleitung in die Musiksoziologie) mit Begleitwort von Mladen Dolar: Strel sredi koncerta (Ein Schuß inmitten des Konzerts), Ljubljana 1986. Objavljeno v: Hudba ako posolstvo. Symposion 1993, Bratislava, 11.–13. november. Hudba a totalita. Symposion 1991, Bratislava 17.-19. október. Vydal Festival Melos–Ethos. Bratislava, Festival Melos–Étos, 1995. Str. 49–53. Povzetek Glasba kot opozicija Avtor se loteva razprave o glasbi kot opoziciji s potrebno mero previdnosti in skepse, ne na naèelni ravni, temveè ob pretresu slovenske alternativne glasbene scene s konca osemdesetih – ob delovanju skupine Laibach. Avtor poda zgodovinski okvir glasbe in protesta v nekdanji Jugoslaviji (festival Glasba in revolucija, utemeljen 1973) in zaèrta smernice, ki razkrivajo povezavo med glasbo in uporništvom in so bile najbolj izpostavljene na podroèju popularne glasbe. Skupina Laibach, ki je prviè nastopila leta 1982 in do danes (p)ostala kultni pojav drubeno zavzete, kritiène, opozicijske sile, ne le na slovenskem, temveè na celotnem jugoslovanskem prostoru, je umešèena v kulturnopolitièni kontekst in orisana skozi njene glavne uprizoritve. (Leon Stefanija) 305 Musik als Opposition