Left 11. November 1931. XXXIV. Jahrgang. Lchriftlettung- Milstonsseminar St. fofcf, Ellwangen, Württemberg. Verwaltung- Misstonstiaus „Maria fntima", post Unterpremstütten bei GraZ. Österreich. V. b. b. Inhalt: Vom Nürnberger Katholikentag 161. — taufe 164. — Das moderne Afrika 165. — Kranken- Meine Reise nach Südafrika 163. — Wer cs fassen behandlnng in Glcn Cowie 167. — Bewirtung in kann, der fasse cst 166. — Der Sohn des Freimaurers einem Zulu-Gehöft 170. — Eine romantische Sitte in 171. — Abbildungen: Der Katholikentag in Nürn- Japan 171. — Holzschnitzerei aus Dahomey 173. — bcrg 161. — Huldigung der Jugend 162. — Äquator- Die Aufmerksamen 175. Totentafel. Wir empfehlen dem frommen Gebete die verstorbenen Abonnenten: Franz Brantner, St. gölten; Kreszenz Hultinger, München. R. I. P. Bücherbesprechungen. Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck—Wien—München. Schutzengel-Kalender für Kinder. Herausgegeben von Kanonikus Josef Liensberger. 60 Groschen. Der liebenswürdige Kinderfreund Kanonikus Josef Liensbcrger schenkt den lieben Kleinen den 31. Jahrgang seines Schuhengelkalenders, klein aber rein, wie immer! Die schönen Bilder im Farbdruck hat Nora Scholly gemalt und man mutz sagen: sie hat es gut getroffen; die Bilder passen vortrefflich zu den hübschen Eeschichtlein und Versen. Daneben gibt es auch Anleitungen zum Basteln und Weben und mit dem Unterhaltenden und Schönen ist manch gutes Wort und manch gute Lehre für unsere Kleinen verflochten. Eltern und Erzieher! Legt das Kalenderlein euren Kindern unter den Weihnachtsbaum; ihr werdet ihnen Freude machen. Verlag Herder & Co., Freiburg im Breisgau, Baden. Der grove Herder! Der Groge Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben. 12 Bände (mit 180.000 Stichwörtern und 20.000 Bildern) und 1 Weltatlas . (mit 226 Haupt-, vielen Neben- und Wirt-schaftskarten). Bei sofortiger Vorauszahlung ÜDtf. 300.—. In Leinen bei Ratenzahlung Mk. 325.— bis 345.—. In Halbfranz mit Goldschnitt pro Band Mk. 38.—. Band 1: A—Battenberg: 860 Seiten. 35 Tafeln. 1931. Nach der allgemeinen Besprechung, die wir in der vorausgegangenen Nummer dem ersten Band des neuen Lexikons gewidmet haben, sollen nun zwei Proben erläutern, wie dieser neue Lexikontyp in die Wirklichkeit einführt und wie er der Lebenspraxis dient. Wir wählen als Beispiele das Stichwort „Angst" und den Rahmen-artikel „Aszese". Angst, peinliches Gefühl der Unruhe, das sich iin Menschen einstellt, wenn er sich irgendwie, wenn auch nur ganz unbestimmt, im Sein oder in lebenswichtigen Gütern bedroht fühlt. Sie ist, je nach ihrem Grade (Steigerung zum Affekt), von körperlichen Erregungen und Hemmungen Begleitet, die bis zur Ausdrucks- und Bewegungsunfähigkeit, ja Bewußtlosigkeit gehen können. Gegen die Furcht grenzt sich die A. ab durch ihre Unbestimmtheit, oft Unbegründetheit und Unvernünftigkeit, sowie durch Neigung zu krankhaften Formen und Graden. Sie wird dann zu gegenstandsloser oder pathologischer A. Ängstlichkeit, oft ausgelöst durch Wahnvorstellungen, die ihrerseits in körperlicher Krankheit, besonders in Herzleiden, Angina pectoris, Asthma, wurzeln können. Bekannte Angstneurosen, das heißt Nervenerkrankungen, die sich in maßloser A. äußern, sind Platz-A., Messerfurcht, Schul-A. usw.; auf religiösem Gebiet Skrupel. Es gibt auch maskierte Formen der 91.; so ist lautes, freches, lügenhaftes, trotziges Wesen häufig Äußerung innerer Angsthaltung (Minderwertigkeit). Die Psychoanalyse führt die krankhafte A. einseitig auf unterdrückte geschlechtliche Triebregungen zurück. Manche Formen der A. wurzeln in einem Schuldbewußtsein (schlechtes Gewissen). Nach R. Allers spielt die A., sichtbar oder maskiert, in allen abwegigen und daher schwer erziehbaren Charakteren, bei Erwachsenen wie bei Kindern, eine grundlegende Rolle, der daher der Erzieher große Aufmerksamkeit zuwenden muß. Erziehung: Vermeide bei Kindern zu große Strenge, Erschrecken, Bangemachen mit dem .schwarzen Mann", Einsperren in dunkle Räume. Keine Gespenstergeschichten! Bei phantasiereichen Kindern auch Vorsicht mit Märchen (Hexe, Zauberer). Sorge für Ruhe, Stärkung des Selbstvertrauens, frühzeitige Gewöhnung an Alleinsein, Dunkelheit und vertrauten Umgang mit der Natur unter Vermeidung schädlichen Zwanges. Entscheidend ist meist das Verhalten der Erwachsenen und die erstmalige Erfahrung, zum Beispiel mit kaltem Bad, Brause, Tieren, Gewitter. Suche vorhandene A.-zustände aufzuklären und durch ruhige Besprechung zu beheben. Erziehe zur Selbstbescheidung. Wichtig ist die Pflege rechten Gottvertrauens und eines guten, nicht skrupelhaften Gewissens. Aszese. Der Name Aszese (oder Askese) geht auf das griechische askein zurück, das bei den alten Griechen üben, und namentlich das für den Ringkampf nötige Üben bedeutete, dasselbe, was der heutige Sport als Training bezeichnet. Eine große Leistung kann nur durch beharrliches Wollen, Anwendung der besten Mittel und andauernde Übung erreicht werden. Nichts anderes als beharrliche Übung, aber auf religiösem Gebiet, ist die Aszese. Wort und Sache sind vielen m ÖKÜ60E liätzollschMirrwnsreüschnK herausgegeben von der Kongregation: TDIffionäre Sühne des heiligsten Herzens Jesu. preis ganzjährig: Österreich 2 50 6, Deutschland 2 Mark. Italien 6 Lire, Ungarn 2-50 pengS, Tschechoslowakei 12 ČK, Jugoslawien 25 Vinar, Schweiz 2*50 Franken, übriges Rußland 2 Goldmark. Unser heiliger Vater plus XI. hat wie schon früher papp plus X. der "Redaktion, den Abonnenten und Wohltätern den ftpoßo* lischen Segen erteilt. Für Wohltäter werden täglich heilige Messen gelesen. Mit Empfehlung der hochwürdigsten Oberhirten von Lrixen, Lrünn, 0raz, lüeitmeritz, Uinz, Olmütz, Marburg, Orient, Driest und Wien und Druckerlaubnis des Seneralobern. Keft 11. November 1931. XXXIV. Jahrgang. Vom Nürnberger Katholikentag. Die 70. Generalversammlung der deut- licht, freudiges Vertrauen weckend und zu scheu Katholiken, die vom 26. bis 30. August religiöser Tat begeisternd. Die Kulturin Nürnberg tagte, zählt zweifellos zu den 'kraft des katholischen Gedankens und die tröst- wie hoffnungsvollsten Ereignissen die- Bekenntnistreue seiner Anhänger traten so ses Jahres. In die grauen Tage der Not, offensichtlich zutage, daß auch die Ent-die gegenwärtig auf uns lasten, strahlt das mutigten und Verzagten sich des Eindruckes Nürnberger Erlebnis wie hellstes Sonnen- nicht erwehren konnten: die Kirche wird Der Katholikentag in Nürnberg. Blick in das Stadion. 162 Stern der Neger Heft 11 Huldigung der Jugend vor bent Apostolischen Nuntius auf dem Katholikentag. über alle sie bedrängenden Feinde obsiegen; der Katholizismus vermag dem Anprall aller gottwidrigen Gewalten unbeugsamen Widerstand entgegenzusetzen. Sowohl in den öffentlichen Versammlungen wie in den Sonderveranstaltungen — über 60 an der Zahl — wurden die religiös-sittlichen, die sozialen und karitativen Fragen der Gegenwart ernst beraten, und die Ergebnisse in praktischen Entschließungen gusammenge-gefaßt. In Anbetracht der schweren Ausgaben, die einer Lösung harren, galt es fruchtbare Arbeit zu keiften. Die Tagung stand im Zeichen des 700jährigen Jubiläums der hl. Elisabeth von Thüringen, in der wir das leuchtendste Vorbild helfender, rettender Nächstenliebe verehren. Am Sontag, den 30. August, erreichte der Katholikentag seinen Höhepunkt in dem Festgottesdienst und der Schlutzversammlung. In den Morgenstunden führten über 20 Sonderzüge zahlreiche neue Festteilnehmer aus allen Richtungen heran. Eine Wegstunde vor Nürnbergs Toren liegt, von Wäldern und Teichen umgeben, das Stadion, eines der größten und schönsten in ganz Deutschland. In diese gewaltige Arena zogen die vielen Zehntausende mit Musik, Fahnen und Wimpeln ein. Alle katholischen Organisa- tionen waren durch ihre Abordnungen vertreten. Von der Höhe der breiten Gehwege, die das Stadion umsäumen, bot sich dem Beschauer ein überwältigendes Bild. Staunen erfaßte ihn beim Anblick der Menschenmassen, die Galerien und Kampfbahn füllten. Ein Wald von Fahnen, leuchtend in allen Farben, starrte heraus. Die Studenten in Wichs, die Sängerchöre und Musikkapellen, die hohen Abgesandten des Reiches und der Länder, die Prälaten und Bischöfe, geschart um den Apostolischen Nuntius und mit ihm um den Altar, auf den der Gottkönig bei der Wandlung herniederstieg, und dann in weitem Bogen ringsum an 150.000 Katholiken aller Stände und Berufe, vielfach in den schmucken alten Trachten und den modernen Vereinskostümen, das frohe Beten und Singen, die blumenstreuenden Flugzeuge: alles das formte sich in den Herzen zu einem einzigartigen religiösen Erlebnis, in dem tiefer Glaube, kraftvolle Frömmigkeit, herzliche Liebe in jubelnden Akkorden zusammenklangen. Weihestnnden von solcher Eindruckssülle bleiben unvergeßlich für das ganze Leben. Zn einem großartigen Schauspiel gestaltete sich auch der Festzug, der sich am Nach- mittag vom Marktplatz zum Stadion bewegte. über 20.000 Jugendliche nahmen daran teil, eine herrliche Parade des jungen katholischen Deutschland. Die den einzelnen Gruppen vorgetragenen Transparente gaben Zeugnis von dem Glaubens-geist, der Kirchentreue und idealen Gesinnung der katholischen Jugendverbände. Da las man: „Einigkeit und Treue bis in den Tod!" —• „Treue unserer Kirche, die uns führt!" — „Wir folgen Christus dem König!" Wer diesen Aufmarsch mit ansah, dem klopfte das Herz vor Freude, dem schwanden alle trüben Gedanken, dem wurde es zur Gewißheit, daß die Gottlosenbewegung im katholischen Volke und seiner Jugend keinen Wurzelboden finden kann. Treffend kennzeichnete die „Augsburger Postzeitung" den Gesamteindruck aller Veranstaltungen des Katholikentages, als sie schrieb: „Sagen wir es laut, ja verkünden wir es mit gehobener Stimme! Im Erlebnis von Nürnberg hat sich gezeigt, daß trotz aller Gefahren und Not, trotz des versuchten Generalangriffes des Antichrist und seiner dunklen Mächte irrt katholisch-deutschen Volksteil ein vitaler religiöser Lebenswille lebendig ist, an dem jeder Ansturm der satanischen Mächte des Bösen unweigerlich zerschellen muß." Meine Reise nach Südafrika. Von P. Franz M. Morscher, F. S. C. (3. Fortsetzung.) An der Goldküste. Nach kurzem Aufenthalt in Takoradi, währenddessen wir einen Abstecher in das Eingebornenviertel der nahen Stadt Se-kondim machten, ging die Reise weiter nach Accra. Die Landung in dieser größten Hafenstadt der englischen Goldküste war reich an interessanten Erlebnissen. Als wir morgens erwachten, blinkten bereits die Lichter der Stadt durch das Bullauge unserer Kabine. Auf dem Ladedeck über uns hörten wir schon das Rasseln der Krane; es galt innerhalb weniger Stunden gegen 2000 Fässer Zement, die man in Antwerpen für Accra eingeladen hatte, vermittelst Kähnen und Schleppboten nach dem zwei Kilometer entfernten Strande zu schaffen. Was unseren Blick fesselte, waren der schöne Leuchtturm am Hafen und die weißen, zinnengeschmückten, von Palmen umwogten Mauern des Schlosses Christiausborg. Im Jahre 1661 von den Schweden und Dänen erbaut, ist es nunmehr, wie ich hörte, Residenz des englischen Statthalters. Unsere Überraschung wuchs, als wir in der Ferne eine ganze Flotte von Kähnen erblickten, die geradewegs auf uns zusteuerten. Es waren lauter einheimische Pirogen, mit Schwarzen voll besetzt. An beiden Seiten der Kähne befanden sich, halb stehend, halb auf dem Bootsrand sitzend, je fünf Eingeborne; sie hatten in ihren Händen dreizackartige Ru- der, mit denen sie wie verrückt ins Wasser stachen. Sie taten das genau im Takt; man hätte beim Anblick der vollbemannten Boote glauben können, es krieche ein halbes Hundert schwarzer Tausendfüßler über die See. In jedem Boote stand ein Schwarzer auf der hintersten Spitze des Fahrzeuges, mit einem langen Ruder durch die Fluten steuernd. Das Meer wiinmelte in weitem Umkreis von solchen Eingeborenen. Sie besorgen den Güter- und Personentransport zwischen Dampfer und Hafen. Natürlich ging es nicht einen Augenblick ohne Höllenspektakel ab. Einzelne kletterten mit affenartiger Behendigkeit an den niederhängenden Tauen auf den Dampfer herauf und trieben sich, neugierig betrachtend und bettelnd, auf Deck umher. Bon allen Seiten wurden die Passagiere angepumpt. „Herr, Geld!" oder auch „Fräulein, ich habe Hunger", sagte einer nach dem anderen, wobei er nüt kläglicher Miene an seinen Bauch klopfte oder mit der rechten Hand die Gebärde des Essens machte. Wir gaben ihnen, was wir gerade in der Hand hatten, Orangen, Apfel, Brot. Mit tiefer Verneigung, die Rechte an die Stirne legend, dankten sie und verschwanden. Andere wieder bettelten in gebrochenem Englisch um Zigaretten oder Tabak. Etwas gefiel mir an den schwarzen Bettelsäcken. Wenn einer etwas Eßbares erhielt, aß er es nicht allein auf, sondern jeder l* Bissen wurde mit den Stammesgenossen geteilt. Der, welcher eine Zigarette bekommen hatte, tat zwei oder drei kräftige Züge und gab sie einem Zweiten, der sie nach einer Kostprobe wieder einem Dritten weiterreichte. Wie es scheint, steckt in diesen verachteten Schwarzen mehr soziales Empfinden als in vielen Kulturmenschen. Zur Mittagszeit belagerte eine ganze Horde von Negern die Türe zur Schiffsküche; unter lautem Schreien und Händefuchteln bettel- warmes Wetter. Jetzt wurde es unerträglich heiß. Tag und Nacht surrte in der Kabine der elektrische Windfächer und trotzdem war es fast unmöglich, auszuhalten. Das Schlafen hätte man am besten an den Nagel hängen können. Die sonst immer etwas bewegte See lag an manchen Tagen ruhig und ohne Wellenfurchen da wie ein silberglänzender Metallspiegel. Es wimmelte von Fischen. Delphine, von den Seeleuten auch Schweinssische genannt/ trieben ihr munte- Äquatortaufe. ten sie um Fleisch. Da riß schließlich unserem Oberkoch der Geduldsfaden. Mit drohend geschwungenem Küchenmesser jagte er die Burschen in die Flucht . . . Nachmittags dampften wir weiter nach Lagos, dem Haupthafen von Nigeria. Wegen der ungesunden feuchten Hitze eilte unser Kapitän, wegzukommen. Am Äquator. Von Freetown ab waren wir beinahe immer geradeaus gegen Osten gefahren. Nach unserer Abfahrt von Lagos nahm die „Wangoni" nunmehr direkten Kurs nach Süden. Schon feit dem Wendekreis des Krebses hatten wir andauernd sonniges, res Spiel um das Schiff. Durch ihre tollen, übermütigen Luftsprünge — manche schnellten bis zu einem Meter hoch über die Wasserfläche empor — boten sie den Passagieren Abwechslung und Erheiterung. Oft begegneten uns ganze Schwärme von fliegenden Fischen, die wie aufgescheuchte Vögel über weite Wasserstrecken hinwegflogen, um schließlich wieder im Meere unterzutauchen. Auch Haifische wurden zahlreich gesehen. Sie waren kenntlich an der dreieckigen, aus den Fluten herausragenden Rückenflosse. Sogar einzelne Rudel von Walrossen habe ich beobachtet, allerdings schon jenseits des Äquators in der Gegend von Walfischbay. Etwas vom Schönsten aber war das söge- nannte Meerleuchten bei Nacht. Es wird hervorgerufen von Milliarden winzig kleiner Tierchen, die bei jeder Wellung des Wassers wie kleine elektrische Flämmchen aufblitzen. Bis 11 Uhr nachts stand ich manchmal vorn am Schiff, um das wundervolle Schauspiel zu beobachten. Der Bug des Dampfers schien in eine bläulich leuchtende Wolke bengalischen Feuers gehüllt zu sein. Zu unserer Verwunderung zeigten sich auch verschiedene Veränderungen am nächtlichen Himmel. Der Große Bär schien beinahe im Meere zu ertrinken, er verschwand schließlich fast ganz unterm Horizont; neue, noch nie gesehene Sterne und Sternnebel tauchten auf. Der sonst so stramme Orion schien auf dem Kopf zu stehen; auch der gute Mond schien gänzlich verrückt. Obwohl wir zunehmenden Mond hatten, zeigte er sich unserem, nach europäischem Maßstab urteilendem Auge als abnehmender. Wir sahen, daß wir in vielen Dingen umzulernen hatten. Das einzige, was uns der Himmel noch zu schauen verwehrte, war das Kreuz des Südens. An der Grenze beider Halbkugeln. Mit Jahresschluß gelangten wir in die Nähe des Äquators. Dieses Ereignis wird auf allen Schiffen, auch auf der „Wangoni", durch die sogenannte Äquatortaufe gefeiert. Am Nachmittag des 31. Dezember rief ein Zeichen der Dampfpfeife alle Passagiere auf das Vorderdeck. Dort war ein großes Schwimmbassin errichtet worden. Punkt vier Uhr sollte die lustige Zeremonie beginnen. Richtig, da ertönt auch schon helles Trompetengeschmetter: Neptun, der Beherrscher des Meeres, hält mit großem Gefolge feierlichen Einzug. Vor dem Meergewaltigen schreiten zwei als Pastoren verkleidete Herren; zwei grimmig dreinschauende Polizisten mit Tropenhelm, die Nilpferdpeitsche in der Hand, folgen ihnen. Unser Hauptaugenmerk aber richtet sich auf die hohe Gestalt in blauem Faltengewande, die Königskrone auf dem Haupte, ein dreizackiges Zepter in der Hand; schlangenartig wallt der meergrüne Bart auf die Brust nieder. Das ist Neptun; neben ihm sieht man seine Gemahlin, ein als Meernixe gekleideter Engländer. Zwei seiner Hofastronomen mit hohen, zuckerhutförmigen Mützen, mächtige Fernrohre — zusammengebundene C'ham-pagnerflaschen — an der Seite, bilden das hohe Ehrengeleite. Die vier Hosbarbiere Neptuns, mit gestrenger Miene halbmeterlange hölzerne Scheren und Rasiermesser schwingend, schließen den Zug. Hinterdrein kommen unter wilden Luftsprüngen, laut brüllend und die Augen rollend, zwei schwarze Teufel. Bei ihrem Anblick fingen Das moderne Afrika. Umsut-Negcr in Barberton. die anwesenden Kinder zu weinen an und verkrochen sich zitternd hinter Mutters Schürze. Nun begann die Zeremonie der Äquatortaufe. Zuerst stellten die Astronomen mit ihren Fernrohren fest, daß der Äquator in Sicht sei. Hierauf hielt einer der Pastoren, der als Täufer fungierte, mit ernster Miene eine Ansprache an die versammelten Passagiere: „Hochverehrte anwesende und nicht anwesende Damen und Herren! Neptun, der Gott aller Flüsse, Sümpfe, Meere und Moräste, der König und Beherrscher aller Fische, Walfische, Tintenfische, Haie und Seehunde, würdigt sich, euch Sterbliche zu grüßen. Er hat die Kunde vernommen vom Herrn Kapitän, daß ihr vorhabt, seine Residenz zu durchfahren, das heißt, den Äquator zu überqueren. Es ist ihm nicht entgangen, daß sich viele unter euch befinden, die noch nicht getauft sind. Deshalb will er sein Gnadenwasser reichlich über euch ausgießen; denn nimmer sollt ihr mit dem Schmutz der nördlichen Halbkugel behaftet seine Residenz durchfahren. Wir Meeresbewohner haben Mitleid mit euch ungewaschenen Kindern des Nordens. Darum sollt ihr getauft werden im Namen Neptuns". Dann fuhr er weiter, indem er die Deckel eines hölzernen Buches aufschlug: „Nun vernehmt die Worte, die geschrieben stehen im ersten Buche Jonas, welcher von einem Walfisch verschluckt, später aber wieder ans Land gespien wurde; höret die Verse, welche vom 23. Breitegrad bis zum Äquator also lauten: „Ihr werdet von: Schmutz der nördlichen Halbkugel gereinigt werden und an Leib und'Seele gesäubert einziehen in die südliche Halbkugel." Nun wurden die Passagiere der Reihe nach vorgerufen. Der erste, an dem die Äquatortaufe vorgenommen wurde, war ein beleibter Norddeutscher. Feierlich erhob der tausende Pastor seine Hand, beschrieb einen Kreis und sprach: „Ich taufe dich im Namen Neptuns, des Beherrschers aller Flüsse, Meere, Sümpfe und Moräste; dein Name sei von nun an See-Elefant"." Hieraus wurde der Täufling von den Hosbarbieren Neptuns ergriffen, mittels eines kleinen Besens eingeseift und unter allgemeiner Heiterkeit mit dem hölzernen Riesenmesser rasiert. Schließlich stürzten ihn die Teufel kopfüber in das nahe Wasserbassin. Dort konnte er unter lautem Gelächter der Zuschauer die letzten Schmutzreste der nördlichen Halbkugel von sich abwaschen. Als zweiter wurde ein langer Engländer der ersten Klasse zitiert. „Ich taufe dich im Rainen Neptuns, des Königs aller Fische, Walfische, Tintenfische und Seehunde. Dein Name heiße von nun an ,Meerkater"." Dann wurde auch er gefaßt, geseift und ins Wasser bugsiert. Ein dritter wurde herangeholt, getauft, und da er seinen Badeanzug vergessen hatte, samt Hemd und Hose in das Bassin befördert unter fröhlichen Zurufen feiner Freunde und Verwandten. So wurden die Passagiere der Reihe nach getauft. Einige, die sich versteckt hatten, wurden von Neptuns Polizei zur Stelle gebracht. Auch den Damen ging es ans Leder. Aber mit dem schwachen Geschlecht hatte Neptun Erbarmen; ihnen wurde das Wasserbad erspart. Sie wurden mit Kölnischwasser aus einem Gummizerstäuber bespritzt und erhielten ihren Namen: „Ich taufe dich im Namen Neptuns; dein Name sei künftig ,Kaulquappe"", oder „Dein Name heiße von nun an Dlsardine" " usw. Dann wurden sie als getauft entlassen. Alle Passagiere, mit Ausnahme der Patres und Brüder, sowie einzelner, die jede Äquatortaufe abgelehnt hatten, wurden der Reihe nach vorgerufen. Einzelne Reisende entgingen der Äquatortaufe dadurch, daß fie sich in ihre Kabinen einschlössen. Einer unserer Mitreisenden, ein protestantischer anglikanischer Prediger, ließ sich an jenem Tage krank melden. Den Abschluß der Äquatortaüfzeremonien bildete ein köstlicher Vorfall. Der als Täufer hantierende Pastor, ein reicher jüdischer Plantagenbesitzer, der die Taufe zwar anderen verschafft hatte, selbst aber das Wasser scheute, wurde auf Verabredung einiger Herren gepackt und samt seinem Pastorenornat kopfüber in Wasser gesteckt. Alles Schimpfen und Sträuben hat ihm nichts geholfen. Ich glaube noch selten so herzlich gelacht zu haben wie über die unfreiwillige Taufe dieses Juden. Den Getauften wurde nachher ein eigens schön gemalter Taufschein zugestellt. (Schluß folgt.) „Wer es fassen kann, der fasse e3!" (5. Fortsetzung.) In einer Meeresbucht der Gazellenhalb- näre drangen vor Jahren in diese wilde inseln, in der Südsee, steht einsam ein aus Steppe, deren Söhne noch dem schauerlich-Brettern gefügtes Kirchlein; darangelehnt sten Kannibalismus huldigten. Ihre ganze eine niedere Schule. Zwei deutsche Missio- Kraft setzten sie ein, um den halb tierischen Uferbewohnern den Segen der Kultur und Religion zu «vermitteln. Seit ein paar Jahren stand in der Nähe des Kirchleins eine neue kleine Bretterhütte. Zwei Schwestern «bewohnten die zwei Räume. Zu Zeiten, wenn die Missionäre auf Reisen unter den benachbarten Stämmen waren, lag die ganze Sorge für die Kanakengemeinde auf den Schultern der Schwestern. nicht gekannt, che die guten Bleichen zu ihnen gekommen find. „Schwester", fragte ein junges Mädchen eines Tages nach dem Unterricht, an dem auch Erwachsene teilnahmen, „warum bist du nur von deiner Hütte weggegangen? Hatte ein anderer Stamm sie dir angebrannt?" Felizitas strich der jungen Kanakin über das wollige Haar. „Weil ich euch so lieb Krankenbehandlung in Glen Cowie. Schwester Kamilla hat den Krankendieust und die Sorge für die Küche. Schwester Felizitas ist Katechetin. Die Großen und die Kinder sehen zu ihr auf wie zu einer Art Göttin, die alles weiß, alles «kann, fast soviel wie der große Gottesmann P. Wilden. Sie weiß so gut wie er, was der große Geist, den sie Heiland neunen, alles gesprochen und getan hat, als er einmal hier auf der «Erde gewesen ist. Und was man tun muß, um einmal zu ihm in fein schönes Land zu «kommen. Und wie es in dem schwarzen Schlund ist, in den man kommt, wenn man Schlimmes tut, das weiß sie auch. Und Lendentücher näht sie, die die Menschen von oben bis unten zudecken. Das haben die armen, nackten Urwaldkinder alles hatte, Ongolu, deshalb bin ich aus meinem Hause gegangen und zu euch gekommen. Ihr solltet doch auch den lieben Heiland kennenlernen und einmal in den schönen Himmel kommen." „Hat dein Vater und «deine «Mutter dich nicht geschlagen und nicht eingesperrt, weil du fortgelaufen bist?" fragte eine andere. „Nein, die haben such auch lieb, wenn sie euch auch nicht kennen. Sie beten für euch und mich." „Haben sie viel «Geld bekommen von, von — denen, die dich fortholten? Mashala der kleine Häuptling, hat so gesagt." Die Schwester lächelte. „Sie bekommen nur vom lieben Gott etwas dafür." —-„Was?" — „Den schönen Himmel und die ewige Freude beim lieben Gott." — „Wer gibt dir was dafür, daß du bei uns bist?" beharrte neugierig ein Kayakenknabe. „Das tut auch der liebe Gott. Wenn ihr glücklich seid, das macht auch uns glücklich. Ist denn das nicht ein schöner Lohn?" Das begriffen die Söhne und Töchter der Wildnis nicht, wie einer dem anderen etwas zunutze tun könne, ohne wenigstens Muscheln oder Tabak oder einen Dolch dafür einzutauschen. Wie treue Schäfchen oder zahme Hündchen hingen die' Kleinen an ihrer vergötterten Lehrerin. Wo sie sich auch sehen ließ, hingen sie ihr am weißen Habit, bettelten mit schwarzen Patschhändchen um Erzählungen vom kleinen, bleichen Jesukind, vom Schutzengel, von den guten Kindern weit im weihen Land, die ihnen die schönen Kleidchen und andere liebe Sachen geschickt hatten. Wenn dann die Lehrerin mit ihrer dunklen Schar unter einer Palmengruppe nahe dem Kirchlein lagerte, von den Rufen und Fragen und dem Verwundern und Staunen der Kleinen umschwirrt, dann schloß sie wohl für Augenblicke die Augen. Daun hörte sie nicht mehr das Fächeln der Palmen und das wirre Rauschen der Urwaldriesen, nein, das traute Säuseln des Heimatwaldes war es, und blonde und goldene Kinderscheitel waren es, die sie umgaben. Und sie glaubte die bittenden Stimmen zu hören: „Fräulein Leh'rin, wir wollen von den Heidenkindern sprechen!" Mit einem raschen Aufraffen fand sie sich stets wieder zur Wirklichkeit. Abends, wenn die finstere Nacht des Urwaldes die Kinder der Wildnis umgab, dann holte sie wohl die kleinen, lieben Brieslein hervor, die dann und wann aus der Heimat zu ihr herüberfliegen. Wie Röslein im Moor, wir Lichtlein im Dunkel sind ihr diese Brieflein von Kinderhand. Menschen wurden aus den Kindern von einst; und manch inniges Bitten steigt aus ihrer Seele, daß die Samenkörnlein, die sie einst in weichen, reinen Grund gesät, hie und da zur Frucht reifen möchten. Nicht nur Rosen waren es, die Missionäre und Schwestern pflücken durften, immer war es noch ein Dornenfeld, wo ihnen solche blühten. Und diese Dornen, die Hartnäckigkeit und starre Anhänglichkeit so vieler, oft der einflußreichsten der Kanalen an ihre wilden, scheußlichen Gebräuche, verwundeten tief und hätten die Mutigsten mutlos machen können, wäre nicht an jedem neuen Tage das „Brot der Statten" ihre Speise gewesen. So arbeiteten sie unverdrossen, mit Einsetzung äußerster Kraft und Liebe. Immer größer wurde das Erntefeld, viel zu wenig waren der Arbeiter. Im Missionskirchlein wurde das Fest der sühnenden Liebe gefeiert, das Herz-Jesu-Fest. Einen Wald von Palmen und bunten Tropenblmnen. hatte Schwester Felizitas mit den Kindern zusammengetragen. Von feinem Throne schaute der eucharistische Heiland auf seihe schwarzen, neuerlösten und unerlösten Kinder. Schwester Felizitas glaubte aus feinen: Munde unhörbar die Heilandsworte zu hören: „Mich erbarmet des Volkes!" Den Tausenden, die hier noch in Seelennacht hungerten, gebrach es nicht allein am Brote, das die Seelen nährt und lebendig macht, es waren zu wenig Hände, die es den Hungrigen brachen. Glücklich kniete Schwester Felizitas mit der Mitschwester zwischen der dunklen Schar, wie einst an einem anderen Herz-Jesu-Tage daheim unter der lichten, blonden. Ihre Seele flog in dankbarem Erinnern über Land und Meer heim zum Gnadenaltare der Heimatkirche, wo sie zum ersten Male den Liebesruf des Herrn vernahm: „Gib mir dein Herz!" „Ich gab es dir, Herr, ganz und gern! Du gabst mir Hundertfältiges wieder: Den Frieden, der alle Begriffe übersteigt . . ." „Und dereinst will ich selber dein übergroßer Lohn sein", kam geheimnisvoll die Antwort aus dem armen Tabernakel. „Wenn sie es alle wüßten, Herr, wie süß dein Joch und wie leicht deine Bürde ist! Herr, erwecke Arbeiter für deinen Weinberg!" Nie in ihren Klosterjahren hatte die junge Missionärin diese letzte Bitte so flehend und dringlich auf den Altar gelegt. Sie hatte es sich lange selbst nicht eingestehen wollen, daß sie müde ist, an manchen Tagen der Überarbeit müde zum Sterben. Und das ist noch viel zu früh. Für sie ist ja noch heißer Erntemittag, und kaum sind die ersten Garben gebunden. Was soll werden, wenn ihr schon jetzt, wo sie kaum vierzig ist, die Sichel in der Hand schwer wird? Darf sie schon an Ruhe, an ewiges Glück denken, wo noch Millionen Unerlöster in Nacht und Knechtschaft sitzen? Mit inbrünstiger Bitte um neue Kraft rafft sie sich stets wieder zum schweren Tagewerke auf. Heute will es ihr kaum gelingen. Bleiern liegt die Müdigkeit in ihren Gliedern. Es ist ein beständiges Wehren gegen Ohnmacht. Als sie nack dem Segensamt in der Schule zwischen ihren Kindern sitzt, droht ihr der Grund unter den Füßen wegzugleiten. Die Kinder mit Tafel und Griffel tanzen wie in einem Jrreigen um sie herum. Um ihre Sinne legt sich Nebel. Sie erhob sich, tastete sich mühsam zur Wr, vermochte aber den Ausgang nicht mehr zu finden. Mit halben Sinnen stammelte sie nur mehr: „Wasser!" Die Kinder begannen ein wirres Geschrei. Das brachte die halb Ohnmächtige wieder zu sich. Sie erhob matt den Finger. Da wurde Ruhe. Zwei größere Mädchen hatten bereits Schwester Kamilla geholt. Die erschrak vor dem fiebernden Glanz in Felizitas' Augen und vor der gelben Blässe in ihrem Gesicht. „Ich habe es kommen sehen", klagte sie. „Einmal muß es sich rächen, Tag und Nacht immer für alle da, und nie für sich." Sie hatte es längst gesehen, wie es um Schwester Felizitas stand, wie ihre Wangen immer schmäler und bleicher und ihr Gang immer müder wurden. Die hatte immer nur gelächelt, wenn P. Wilden und die Mitschwester sie zu Vorsicht und Schonung mahnten. Noch am Tage vorher hatte der Pater sorgenvoll gesagt: „Sie reiben sich auf, Schwester. Wir müssen noch einmal um Hilfe heimschreiben." Sie hatte lächelnd den Kopf geschüttelt: „Hilfe, Hochwürden? Woher sollte die uns kommen?" „Bitten wir den Herrn der Ernte . . ." Nun lag Schwester Felizitas auf ihrer Kokosmatte und ruhte aus. Aber sie fand keinen Schlaf. Zu fieberhaft arbeiteten ihre Gedanken. Was hatte sie alles für diesen Tag vorgehabt! Nun wartete die kranke Lo-gama umsonst auf sie. Und sie sollte doch in einigen Tagen in ihrer Hütte getauft werden, ehe der „Große Geist" sie riefe. Es waren mehr als drei Stunden dorthin durch den pfadlosen Busch. Auch die Kinder des Nachbarstammes würden vergeblich warten auf ihre Lehrerin. Und mit Schwester Kamilla wollte sie die Frau des kleinen Häuptlings besuchen. Ihr wilder Mann war gestorben. Er hatte seine Frau, weil sie einmal heimlich mit zu der „bleichen Teufelin", wie er die Schwester nannte, zum Unterricht gegangen war, schwer mißhandelt. Die arme Kanakin hatte nun handgroße Wunden, in denen Würmer hausten, weil sie nicht früh genug um Hilfe gekommen war. Und sie verlangte stürmisch nad)' der Taufe, weil sie nicht dahin wollte, wo der „schwarze ©eist" ihren Mann mit glühenden Zangen zwicke. Sie wollte alles vom guten '©eiste der Fremden wissen und wartete deshalb jammernd auf die bleiche Frau, die der weiße Geist zu ihnen gesandt habe. Die Schwester litt es nicht mehr in ihrer Ruhe. Mühsam erhob sie sich, kleidete sich unter Schwindeln an und ging zur Mitschwester. „Gib mir Tee, Kamilla. Dann will ich versuchen..." „Was willst du versuchen", unterbrach sie die Mitschwester -sprachlos vor Überraschung. „Ob du nicht irgendwo im Busch ein besseres Lager finden könntest? Himmel, ich sehe einen Geist wandeln." „Es muß gehen, Kamilla. Was soll denn aus den Armen werden, die auf mich warten? Wir wissen doch nicht, ob P. Wilden heute von Kohubolu zurückkommt. Bruder Polders ist auch doppelt überlastet. Laß mich gehen!" Schwester Kamilla brauchte nicht weiter zu protestieren. Sie sah Felizitas wanken, ihr Geisicht weiß werden. In ihren Armen brachte sie sie wieder zu ihrer Matte in der Nebenkammer. Einige Schluck Wein führten sie wieder zu Bewußtsein. Eben war Schwester Kamilla nebenan, da kam P. Wilden herein. Sie sah es ihm an, daß er eine frohe Nachricht zu bringen hatte. „Endlich, Schwester Kamilla, endlich erreicht. Übermorgen schon kommt Hilfe, Schwester Rita. Sie ist zwar noch Novizin, aber Pater Rektor schrieb, daß an eine ältere Kraft zurzeit gar nicht zu denken sei. Diese junge Schwester böte trotz ihrer Jugend die Gewähr . . . Wer was haben Sie, Schwester?" Erst jetzt war ihm der schwere Ernst in Schwester Kamillas Gesicht aufgesallen. Und in diesem Augenblick ging auch die Tür zum Nebenraum auf. Schwester Felizitas lehnte bleich wie der Tod an der Bretterwand. „Wenn es jetzt nur nicht zu spät ist", sagte leise Schwester Kamilla. „Zu spät? Ja — was ist denn geschehen? Schwester Felizitas, Sie sind — sehr krank?" „Keine Sorge, Hochwürden", lächelte sie. „Es wird schon wieder gehen!" sie ihren Lieben ja wieder viel näher sein als hier. Und ihre Sorge für ihre schwarzen Lieblinge, die sollte erst recht beginnen, wenn sie einmal oben sein würde an den Quellen der Gnade, in der Heimat des Lichtes. Dann sollte erst ihre rechte Missionsarbeit beginnen. Sie fragte nicht mehr, warum sie der Meister so früh, mitten in ihres Lebens Reise, aus der drängenden Weinbergarbeit nähme. Ihr in der Nachfolge des Heilandes hell gewordener Geistesblick schaute immer tiefer in die Abgründe nnd Höhen der ewigen Schicksalslenkungen. Er hatte ihr Bewirtung in einem Zulu-Gehöft. Nach Negersitte muß das Mädchen oder die Frau, die das bierähnUche Getränk bereitet haß Gaste davon trinken, um den Verdacht der Giftbeimischung fernzuhalten. Der Missionär war erschrocken. So sieht der Tod aus einem Menschenantlitz, dachte er. Er wußte mit Sicherheit, daß diese kostbare Kraft für das Missionswerk so gut wie verloren war. Tag für Tag lag nun Schwester Felizitas in der Hütte auf ihrem harten Lager. Ein schleichendes Herzleiden, dem keine menschliche Kunst mehr seine Würgarbeit wehren konnte, brannte ihre Kraft aus. Durch das einzige kleine Fenster konnte sie ein Stückchen des blauen Himmels sehen, das Tor zur ewigen Heimat. Wenn sie so dalag und selbstverloren hinaufschaute, dann hatte sie alle Zeit und Wirklichkeit vergessen, auch die Heimat. Dort oben über den Sternen würde die Sichel in die Hand gegeben und sie auf seinen Acker gesandt. Nimmt er sie ihr wieder, lange bevor sie an Feierabend gedacht, so will sie nicht nach dem Warum fragen. Dann und wann in einsamen Leidensstunden, wenn die Missionäre und auch die Mitschwester draußen in der Mission waren, dann holte Schwester Felizitas wohl die Briefe von den Lieben daheim hervor. Die vom Vater, die sie immer wieder mit ernster Freude lesen muß. Sie fühlt, mit seinen beiden Kindern hat Gott auch den Vater für sich genommen. Ein Licht, das auf den Leuchter gestellt ist und weithin leuchtet, ist der Vater nun, Geist und Seele jeglicher idealer und sozialer Bestrebungen daheim im Städtchen. Und die Mutter, die stille, immer hilfs- und opferbereite Helferin, die in dem Fürsorgelberuf ihrer zweiten Tochter neu wieder auflebte. Dann die knappen Episteln von Heribert. Jedes Wort war Gold und erfüllte sie mit hoher Freude. Ein Briefchen von dem (Schluß Tage, an dem er das Missionskleid empfangen hatte, verwahrte sie wie ein Kleinod. „Der König rief, und sie alle, alle kamen!" Uber diesen Leitsatz schrieb er ihr Worte nach seiner Weise. Und dann Margret Hilbergs köstliche Briefchen. Sie war nicht mehr Lehrerin... folgt.) Eine romantische Sitte in Japan. In Japan werden zur Sommerszeit Scharen von Grillen in die Parkbaume gesetzt um durch ihr Zirpen die Spaziergänger zu erfreuen. (Atlantic.) Der Sohn des Freimaurers. Von Anna Kayser.* (Fortsetzung.) Im glutroten Westen sank die Sonne still in eine fremde Unendlichkeit, schied, um ihr Licht in andere, dunkle Reiche zu tragen, und ließ sie in der Nacht. Sie schaute ihr nach, bis die Mendglut langsam verblutete und die Dämmerung ihre müden Schleier über Land und Men- schen legte. Sie merkte es kaum, wie Träne um Träne über ihre Wangen riefelte. Sie fühlte, da brachen im tiefsten Seelengrunde Quellen auf, die sie selbst bisher kaum gekannt, und drängten nach Befreiung. Diese erlösende Flut wurde ihr zur milden Trösterin, Erköserin. * Druck und Verlag der Bonifatius-Druckerei in Paderborn. Es war schon lange dunkel, als Maria um sich schaute und sich auf das, was geschehen war, besann. Sie atmete tief auf, strich mit der Hand über die Stirn und stand auf. Am offenen Fenster ließ sie das heiße Gesicht von der Abendluft kühlen. Aus den Fenstern eines hohen alten Hauses, einen Steinwurs weit, schimmerte ein rötliches Licht. Maria ging nie zur Ruhe, ohne einen Gruß hinüberzusenden. Lange sah sie wie gebannt hinüber. Und griff dann in plötzlichem Entschluß zu Hut und Mantel. Geräuschlos huschte sie die Treppe hinab und zur Haustür hinaus. Die Kapelle der Dominikanerinnen war noch offen, als Maria eintrat und sich ein stilles Plätzchen in einer Seitennische suchte. Hie und da ging eine Nonne lautlos von einer Kreugwegstation zur anderen. Der Rektor des Hauses kniete in seinem Chorstuhl und betete die Komplet. Zu beten war Maria Pirkholt nicht gekommen. Regungslos saß sie in ihrer Bank und sah in das zitternde Licht der ewigen Lampe. Ein heftiges Verlangen kam über sie nach seinem Lose. So verglühen zu dürfen, wunschlos, leidlos, hier sich eine Hütte bauen, wie jene Nonne mit dem stillen Gesicht, die eben zum Altare ging und die ewige Lampe nachfüllte, den Meißen Rosen auf dem Hochaltar neues Wasser gab, hie und da ein Stäubchen wegstrich und so den Geliebten bräutlich umsorgte. Nun verschwand sie durch die Klausur-türe, und eine andere Nonne kam, um zu schließen. Maria stand auf und ging dem Ausgange zu. Sie hatte das Gefühl, als ginge sie in die Fremde. Frierend zog sie den Mantel um sich. Aus dem Familienzimmer kamen noch die halben Laute abendlicher Unterhaltung. Maria lauschte einen Augenblick. Ferdinand war noch da. Und wie ihr schien, auch sein Kollege Herbholz. Ob der schon um Mährens Wreise wußte und — neue Hoffnungen hegte? Lautlos huschte sie die Treppe hinauf und erreichte, ohne gesehen zu werden, ihr Zimmer. Dort zündete sie ihre rotbeschirmte Stehlampe an und legte sich auf ihr Ruhebett. Aber das warme Rot tat ihr weh, und sie löschte das Licht. Durch die geschlossenen Vorhänge drang nur hier und dort ein schwacher Lichtschein in die Kammer, huschte über die alten, liebvertrauten Gegenstände und legte sich gütig auf ihr Gesicht. Wieder wollten ihr die Tränen in die Augen kommen. Ob so ihr Leben bleiben würde? Ein paar arme Mondstrahlen —? Und noch gestern hatte sie verlangend nach einer ganzen Sonne gegriffen. Aber sie war in der friedvollen Nähe der ewigen Liebe und des ewigen Lichtes ruhiger geworden. — Als der Morgen herbstwarm ins kleine Mädchenzimmer auf der Königstraße leuchtete, da grüßte er ein friedlich schlafendes Menschenkind, das in den gütigen Mutter-armen der Nacht ein Weilchen Vergessen gefunden hatte. Maria rieb sich die Augen und sah fremd um sich. Das große Erleben des vorigen Tages wollte wieder wie feindliches Düster auf ihr Gemüt sinken. Aber sie wehrte es ab, kühlte Gesicht und Augen, kleidete sich eilig um und ging zur Klosterkapelle hinüber, wo die Sakristanin eben zur Messe läutete. Als sie heimkam, nahm sie den Brief und ging zum Vater hinunter. Schweigend legte sie ihn in seine Hand. „Gib ihn auch Tante Elisabeth. Aber sonst niemand." Sie lächelte ihm zu und ging wieder. Pirkholt schnitt das Lächeln ins Herz. Ja, so war sein Kind. Kein Klagen, keine Duldermiene, keine überstürzte Handlung. Und er wußte doch, daß sie soeben die köstliche Erfüllung eines kaum gekannten Ideals begraben hatte. Wie es auch sein mochte, den Weg würde sie nicht verlieren. Auch als er voll tiefer Bewegung den Brief Mehrens gelesen hatte, machte er keinen Versuch, Maria zu einer Aussprache zu bewegen. In dem Gedanken, daß alles Gute und Große aus Leid geboren wird, ließ er den Dingen ihren Lauf. * * * Ruth Heltorf kam von ihrem täglichen Spaziergang zur Bergkapelle zurück. Dort auf der alten Bank, im Schatten des Kirchleins, weihte sie alle Tage der Erinnerung eine Stunde. Heute mußte sie immer an Maria Pirkholt denken, die einzige, der sie in der Pen- sionszeit innerlich nahegekommen war. Ob die Vorsehung sie beide schon damals für gleiches Geschick bestimmt hatte? So vieles hatte sie in Rudolf Mehrens ganzem Wesen an Herbert gemahnt. Darum bangte ihr für Maria. Wie würde sie es tragen? Schon in Valkenburg galt sie als Kloster-kandidatin. Wenn in einem Theaterstück eine Nonnenrolle zu vergeben war, dann spielte sie immer Maria Pirkholt in vollendeter Weise. Da war nur das einzige Bedenken gewesen, daß sie der letzte Sproß des alten Patrizierhauses war. Und nun —? Ob auch ihr Weg, so sonnenfroh begonnen, sich schon im grauen Nebel verlor, in einem Herbst ohne Ernte und Hoffnung? Eine träge Resignation lag Ruth bleiern im Gemüt. Ob das jene Art von Weltschmerz war, den sie früher manchmal belächelt hatte? Jedenfalls würde sie ihn als etwas Unhaltbares abschütteln müssen. Wenn sie es nur könnte! Eine Barmherzige Schwester begegnete ihr. Ihr Auge leuchtete auf. „Schwester Melitis! Grüß Sie Gott!" „Grüß Gott, Fräulein Heltorf!" „Nun, wieder auf dem Wege von Jerusalem nach Jericho? Wo haben Sie denn den Zerschlagenen?" „Hier oben im dritten Stock. Kommen Sie nur mit!" Ruth folgte der Schwester, fast ohne Bewußtheit, in ein hohes, graues Haus und stand nach ein paar Minuten an einem — Sterbelager. In blaugewürfelten Kissen lag ein junges todbleiches Menschenkind. Ruth erschauerte. Sie ahnte, hier schwebte der Fürst der Schatten über einem Opfer. Eine Luft, fremd und voller Geheimnisse, wehte sie wie von Ewigkeitsufern an. Es war zum ersten Male, daß sie Zeit und Ewigkeit sich begegnen sah. Alle Müdigkeit war von ihr abgefallen. Sie konnte den Blick nicht von dem weißen, schreckhaft abgezehrten Gesicht des jungen Kindes lassen. Das Jenseitige warf bereits einen -ernsten Schein auf die schmalen, vom Fieber ausgehöhlten Wangen, auf denen hektische Rosen brannten. Mit hingebender Liebe umsorgte Schwe- ster Melitis das sterbende Kind der Armut, trocknete ihm mit ihrer verarbeiteten Hand den Todesschweiß von der Stirn, flüsterte ihm tröstende Mutterworte zu. Die Kranke wurde unruhig. Die Seele drängte aus ihrem zerbröckelnden Erdenhause. Holzschnitzerei aus Dahomey. Das Vordringen des Christentums in Afrika hat bei den für die Bildwirkung sehr empfänglichen Negern die ersten Ansätze einer einheimischen christlichen Kunst gezeitigt. Unser Bild zeigt eine von einem Neger aus Dahomey angefertigte Holzschnitzerei die auf der Pariser Kolonialausstellung zu sehen war. Ruth war auf die Knie gesunken und sah erschüttert dem letzten Ringen zu. Trotz des furchtbaren Ernstes der Stunde hatte dieser Kampf nichts Schauriges für sie. Wohl eine ©tunbe lang kniete sie am Fußende des Bettes. Schwester Melitis hielt den in letztem Aufbäumen sich wehrenden Körper in ihren Armen. Bis die Sterbende ganz still wurde. Die Angst war nur äußerlich, körperlich gewesen. Als der vom Hei- matdrang der Seele überwundene Leib sich seinem Geschicke ergab, zog ein süßer Friede über das weiße Gösicht. Ein leises Lächeln . . ., ein staunendes Aufleuchten der großen Kinderaugen, die nie das Licht der Erde geschaut hatten ... ein langer, tiefer Atemzug . . . eine letzte Träne . . . und die schöne Seele der blinden Anneliese war zu ihrem Gott gegangen. Ein Weilchen noch hielt Schwester Melitis die Entschlafene in ihren Armen, während der Priester die Sterbegebete betete. Als sie die Tote dann sanft wie eine Mutter aufs Lager zurückgleitcn ließ, sah Ruth eine Träne auf das noch lächelnde Gesicht der toten Blinden fallen. Sie sah voll Bewunderung auf die Nonne, sah die Ergriffenheit in dem feinen Gesicht. Was der alte Graf Raueneck, der Ahnenstölze, wohl sagen würde, wenn er die Komtesse Jsa Maria, seine Enkelin, in dieser Armeleutkammer bei ihrer Samariterarbeit sehen könnte —?! Leise beugte sich Ruth über die Tote und strich ihr über die schmale, weiße Hand. Dann wandte sie sich zu Schwester Melitis und sprach mit zitternder Stimme: „Schwester, warum nahmen Sie mich nicht eher einmal mit?" „Ja, wir hätten Sie gebrauchen können,, besonders seit das blinde Kind so allein war und arm." „Ich ahnte ja nicht, daß ... es so etwas gäbe, solche Armut und Verlassenheit." „Ja, es ist hart, besonders wenn Armut und Not die Hausgenossen geprüfter Dulder sind wie hier. Und es gibt solche Kammern, wie bi elfe hier, viele." Ruth drückte der Schwester die Hand. Sie war ergriffen bis in die letzte Fiber. __ „Schwester Melitis, ich danke Ihnen. Sie sandte die Vorsehung mir heute in den Weg. Nicht umsonst. Wenn Sie mich gebrauchen können, ich bin zu jeder Stunde bereit. Bin nur noch ganz ungeschickt." „Mitnichten! Ich sehe nur ein gutes, hilfswilliges Menschenkind. Wenn Sie morgen einmal zu mir kommen wollen? Sie machen mir eine Freude." Ruth sagte zu und ging heim. An der Stätte des Todes hatte ein neues Leben in ihr zur Geburt gedrängt. Ihre Seele war ganz erfüllt von jener hohen Liebe, die am eigenen geliebten Ich vorübergeht zu den Armen, Glücklosen, Einsamen, Mühseligen. Acht Tage nach diesem Geschehnis bat sie die Eltern, bei Frau Karitas in die Lehre gehen zu dürfen. „Also doch eine halbe Nonne!" bemerkte der Onkel voll Ironie. „In Zivil!" lächelte sie. „Sieh zu, Onkel-chen, daß ich an dir nicht meine ersten Versuche mache." „Bleib mir vom Leibe mit Pflastern und Pillen. Aber zur ,Blauen Villa' dürftest du mal mitkommen. Campalla steckt in schlechten Heften. Melitta hat er auch weggegrault." „Soll ich Schwester Melitis einmal darum angehen? Ich könnte dann mitgehen." Der Justizrat gab ihr keine Antwort. Aber ein Blick traf sie voll lächelnden Sarkasmus, der zu sagen schien: „Campalla und eine Nonne! Welche Idee!" Frau Mathilde segnete Ruths Entschluß. So war's ihr recht. Fremde Wunden würden sie die eigenen vergessen lassen. Aber eine leise Sorge hatte sie doch. „Kind, wenn du nicht doch weiter denkst! Du weißt, es gäbe Onkel den Rest. Allerdings, wenn es Beruf wäre! Aber so . . ." „Keine Not, Tantchen! Für einen Flug, wie dein Sohn ihn wagt, reicht's bei deinem Töchterchen nicht. Und ein halbes Herz ins Kloster bringen, . . . dafür sind wir zu stolz." Am dritten Tage ihres praktischen Pflege-kurses ging Rilth, ganz in Gedanken, durch einen Flur der Klinik. Da kam einer der Assistenzärzte aus sie zu. Ein überraschter Blick beiderseits. Und er reichte ihr erfreut die Hand. „Mein gnädiges Fräulein, gestatten Sie: Hans Reinert, weiland Ihr ergebener Ritter vom Gondelfest am See. Dars ich annehmen, daß auch Sie sich erinnern?" Ruth war angenehm überrascht. „Ah, von der ,Burgundia°? Gewiß erinnere ich mich noch meines Kavaliers. Freut mich sehr, Sie wiederzusehen. Aber — wie kommen Sie in unser Städtchen?" „Seit acht Tagen bin ich Sekundant unseres verehrten Sanitätsrats. Das erste Einarbeiten ließ mich den Weg zum See noch nicht finden, wennschon es mich drängte, da ich liebe Grüße abzuladen habe." Ein großes Fragen stand in Ruths Augen, das rührte ihn. Sie senkte die Augen unter seinem forschenden Blick. „Ja, denken Sie sich die erbärmliche Kleinheit des Erdkreises", fuhr er fort. „In Rom, bei Sankt Peters Obelisk, rennt Minderbruder Helmuth — Sie kennen ihn gewiß noch — unseren guten Herbert beinahe über den Haufen. Und ich Barbar jage Hoch- Ein rührender Ausdruck der Ergebung war in ihrem Gesicht. Reinert sah es, und das ganze tragische Geschick dieses Menschenkindes ging in plötzlichem Begreifen durch seine Seele. Ihre eigenartige, ernste Schönheit machte ihm einen tiefen Eindruck. „Herbert, törichter Knabe!" fuhr es ihm durch den Sinn. Daß Jakob von Sichem einst sieben und nochmal sieben Jahre um seine Rachel hatte dienen können, das be- Arn 19. August — mitten in der Ferienzeit — wurde unser Missionszögling Georg Schwab! in feiner Heimat preppach (Bagern) Plötzlich born Tode ereilt. Der erst 13jährige kam beim Spiel mit einer elektrischen Leitung in Berührung und siel tot zu Boden. Das Seminar Ellwangen, an dem der Junge mit ganzer Seele hing, hat an ihm einen hoffnungsvollen Oriesterkandidaten verloren. „Als Priester hoffte unser Seminarist einst zu beten: Zch will hintreten zum Altare (Sotted; hoffen wir, daß er jetzt jubeln kann: Ich darf hintreten zum Throne Gottes." dero Vetter, Frater Werner, der als ehrwürdiger Vagabundus von Gottes Gnaden meine Heimatgaue durchwanderte, auf ein Haar in den Straßengraben. Als ich den frommen Bruder ,Fidelio' so selbstverständlich der losen Horde — meine Nichtsnutzigkeit an der Spitze — Platz machen sah, ich hätte an ihm mm Mörder werden können. Aus lauter Bewunderung natürlich." Ruth hörte hungrig zu. „Eine Menge Grüße soll ich ausrichten. Und — daß er sehr glücklich sei." „Danke! Das letzte-— freut mich besonders. Wie sollte es auch anders sein! Was er tut, tut er ganz." griff er nun. Diese Ruth Heltorf war mehr als Rachel. „Wann sehen wir Sie bei uns?" fragte Ruth. „Vielleicht morgen. Augenblicklich ist Hochdruck hier im Hause. Aber was sehe ich? — Samariterin? Ich bin ganz Bewunderung!" Ruth lächelte. „Ich glaube in Ihrem uni) meiner Verwandten Sinne zu handeln, wenn ich Sie bitte, sich Frack und Lack usw. zu schenken und in Gemütlichkeit einfach zum Tee zu kommen. Zur offiziellen Stunde würden Sie meinen Onkel auch schwerlich treffen." „Mit Vergnügen! Grüße nnd Empfehlung einstweilen. Bis morgen!" Es wurden Stunden heiterer Gemütlichkeit, die Dr. Reinert am folgenden Abend in der Wernerschen Villa verlebte. Als er auf Herbert zu sprechen kam, stieg eine Wolke in des Justizrats Stirn. Da wußte Reinert Bescheid und berührte das Thema nicht mehr. Er fand Herberts Vater sehr verändert. Hie und da zogen sich bereits weiße Fäden durch das früher so tiefschwarze Haar. In seinem ganzen Wesen lag die müde Interesselosigkeit eines Menschen, der ohne Sinn und Zweck dahinlebt. Dr. Reinert konnte sich nur schwer von dem kleinen behaglichen Kreise trennen. Der Gedanke an Herbert und sein ungeheures Opfer verließ ihn keinen Augenblick. Der Gegensatz schien ihm zu schroff. Diese feinen Menschen, dieses vornehme, behagliche Milieu und die kühle, arme Klosterzelle! Das mochte ein anderer begreifen. Er, der lebens- und schönheitsfrohe Hans Reinert, faßte es nicht, — nun erst recht nicht. Warum nicht, das wollte er sich nicht eingestehen. Wollte es vor sich selbst nicht gelten lassen, daß er vom ersten Augenblicke an unter dem Zauber von Ruth Heltorfs Eigenart stand. „Wie Nelkenduft, herb und würzig zugleich", empfand er die Sphäre, die das seltene Mädchen umgab. Ja, wenn ihm solch eine Blume an seinem Wege früher einmal geblüht hätte, er wäre nicht bis zur Stunde so unverwundet von Amors Pfeilen geblieben. Einen Augenblick hielt er Ruths Hand, als er 'gehen wollte. Eine Frage war auf seinen Lippen. Doch Werner und Frau Mathilde kamen ihm zuvor. „Hoffentlich sehen wir Sie nun öfter bei uns, Herr Doktor? Sie wissen, ein wenig heitere Gesellschaft tut unserem stillen Hause gut!" Reinert verbeugte sich. „Mit Vergnügen! Ihnen und der edlen Frau Musika werden meine Mußestunde gehören." „Ah, Frau Musika?" freute sich Ruth. „Da können wir der hohen Dame ja zusammen huldigen." „Sehr wohl. Doppelter Dienst — doppelter Genuß!" Reinert ging in Gedanken versuüken heim. Seine mit so viel Kunstsinn eingerichteten Räume kamen ihm plötzlich öde und seelenlos vor. „Prachtmenschen, diese Werners! Patrizier!" murmelte er, ließ sich tief in seinen Klubsessel sinken und begann zu träumen. Hans Reinert, der Realist, der gewohnt war, nur mit Wirklichkeiten zu rechnen, träumte . . . Die von der „Fidelitas" konstatierten überhaupt seit langem, daß der „Sturmius" seit einiger Zeit schrecklich solide geworden sei. Er wußte es selbst. Und wer ihn jetzt am Abend so gedankenschwer dasitzen sah, der mußte glauben, daß er sich mit Haut und Haaren dem tiefsten Lebensernst verschrieben habe. Wer die Schuld an dieser „Bekehrung" hatte — ein junger Novize mit ernstem Aszetengesicht, und nun noch ein schmales Mädchenantlitz mit braunen, traurigen Augen —, das sagte Reinert keinem. Mochten sie es seinem ernsten Berufe zuschreiben. Mit einem Machtwort rief er seine unbotmäßige Phantasie zurück. „Hände weg, alter Hans! ... 's ist Edelwild . . . Läßt sich nicht erjagen von solch plumpem Weidmann ... Bist halt zu fremd aus hoher Alp . . . Könnt' -niges Wesen, das die Stätten der Schmerzen durchwärme. Er konnte sich ba§ Haus der Wunden nicht mehr ohne ihr wohltuendes Wesen denken. So vergingen Wochen, Monate. (Fortsetzung folgt.) Eigentümer. Herausgeber und Verleger: Kongregation der Missionäre Söhne des heiligsten Herzens Jesu. Verwaltung: Missionshaus ..Maria Fatima". Post Untcrpremstätten b. Graz. Östcrr. Verantwortlicher Redakteur für Österreich: P. Alois Wilf-ling. F. S. C., Gcneralassistent, Missionshaus ..Maria Fatima", Post Unterpremstätten bei Graz; für Deutschland: P. Heinrich WohnhaaS. F. S. C„ Mifstonsfeminar St. Josef. Ellwangen-Jagst, Württemberg. — Universitäts-Bnchdrniteret ..Styria , Graz. modernen Menschen schreckhaft, weil sie auf Grund von Verkennung und Entstellung, Übertreibung und Verirrung früherer Zeiten UHifr achtung' des Leibes und Selbstquälerei dahinter vermuten, oder weil sie wenig Sinn für Veredlung der Seele aus religiös-sittlichen Gründen haben'. Schon die stoischen Philosophen gebrauchten das Wort askein s.m sittlichen Sinn als Übung zur Tugend. Der hl. Paulus nahm es in den christlichen Sprachschatz auf (Ap. 24, 16). Die christliche Aszeje ist das beharrliche Ringen des menschlichen Willens, mit Hilfe der göttlichen Gnade die christliche Vollkommenheit zu erlangen. Sie geht somit jeden Menschen an. nicht bloß Fromme und bevorzugte Stände. Die Notwendigkeit, nach Vollendung und Heiligkeit zu streben, ergibt sich aus dem Zustand der Menschennatur, die infolge der Erbsünde dem Gesetz Gottes widerstreitet, und aus der Verpflichtung, nach dem von Christus aufgestellten, ewig gültigen Lebensideal zu leben. Ihre Quintessenz ist die Nachfolge Christi. Die Aszese ist also nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Weil die Heiligung des Menschen das gesamte Leben umfassen muß. kann jedes menschliche Tun in den Dienst des Voll-kommenheitsstrebens gestellt werden. Da die christliche Vollkommenheit restlose Erfüllung aller Pflichten gegen den Nächsten und die Gemeinschaft erfordert, gewinnt die Aszese gerade heute größte Bedeutung, da mit den Opfern und Verzichten den Notleidenden viel zu helfen ist. Alle Übungen der Aszese müssen aber dem Fortschritt in der Liebe Gottes und des Nächsten dienen. Sie sind verfehlt, sobald sie pharisäische Schaustellung bezwecken oder aus Überhebung, Hochmut und Stolz hervorgehen. Wahre Aszese kann nur da bestehen, wo ernst und wahr, im Bewußtsein eigener Unfähigkeit, aber im Vertrauen auf göttliche Hilfe um das ewige Leben gerungen wird. Die Aszese bekämpft deshalb, was hindert: Sünde und niedere Triebe. Sie ermöglicht dadurch der Gnade eine steigende Reinigung der Seele (Reinigungsweg). Im Elau-benslicht erschließt sie langsam die geheimnisvollen Tiefen der Übernatur und entfaltet im Willen die mächtige Triebkraft der Gnade zu herrlich erblühendem Tugendleben (Erleuchtungsweg). Schließlich faßt sie es zusammen zu einem Leben und Weben aus der allbeherrschen-den Liebe (Einigungsweg), die in den Heilige» zu heldenhafter Größe emporsteigt. Das innerste Wesen der Aszese ist die Liebe, sofern sie alle Gebote erfüllt, Wurzel und Seele aller anderen Tugenden ist. Da dem Menschen aber Vollkommenes nicht erreichbar ist, bleibt auch jede sittliche Vollkommenheit auf Erden unvollkommen. Die Aszese kann somit niemals fertiger Besitz werden, sondern nur stets Streben nach Besserem, stetes Weitervordringen ins unermeßliche Reich des freigewollten Guten sein. Um dem den Menschen aller Zeiten eigenen Zug nach Seelenpflege entgegenzukommen, hat die Kirche im Ordensstand einen Vollkommenheitsstand geschaffen. Dieser Vollkommenheitsstand macht das Leben in der Welt nicht minderwertiger, sondern ist nur e i n Weg, auf dem durch das dreifache Ordensgelübde der dreifachen Lust entsagt und so die Erreichung der Vollkommenheit erleichtert wird. Dasselbe Ziel kann auf anderen Wegen und in der Welt erreicht werden. Es kommt nur darauf an, daß die eine Gerechtigkeit erstrebt werde. Außerhalb der Kirche fehlt die Aszese nicht völlig, ist aber beim Mangel oder Versiegen der Gnade unvergleichlich dürftiger. Schon die Stoiker kannten die Aszese als Tugendübung. Eine ganz einseitige Richtung nahm sie im Buddhismus, im Manichäismus und in den mit ihm zusammenhängenden dualistischen Sekten des Mittelalters (Gnostizismus, Montanismus, Katharer, Vugomilen usw.) an, denen der Leib bös und vernichtungswürdig erschien und darum bis zur Selbstvernichtung gesteigerter Grausamkeit preisgegeben wurde,, womit nicht selten aber zügellose Ausschweifung verbunden war. Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts, namentlich Luther, unterschätzten die A. oder lehnten sie von ihrem Standpunkt der Wertlosigkeit aller guten Werke völlig ab. Diese Haltung wirkt heute noch in der neuen (Rietschl, Harnack) und neuesten protestantischen Theologie (Tröltsch, Rust usw.) als unausrottbares Vorurteil gegen die katholische Aszese nach. Die katholische Aszese wird dabei fälschlich als äußere „Weltflucht" angesehen, der die „innere Weltüberwindung" des Protestantismus vorzuziehen sei, während sie Seelcnveredlung aus Liebe zu Gott, ist, die ohne Weltflucht möglich ist. Verlag „Ars sacra“ Josef Müller, München 13, Friedlichste. 18. Guidos Heilandsliebe. Des kleinen Guido vertrauliche Jesus-Freundschaft. Von Vikar O. Th. Müller. 12". (32 Seite» Text und acht Kupfertiefdruckbilder.) Mk. —.40, 8 —.65, Frk. -.50. In jeder unschuldigen Kinderseele schlummert der Funke der Heilandsliebe — etwas von jenem Feuer, das der Herr vom Himmel gebracht hat und von dem „er will, daß es brenne". Mit anderen Worten: jede Kindesseele ist auf den Heiland gestimmt: das ist eine der Wirkungen der heiligen Taufe. Aber der Funke muß geweckt, die Harfe muß von einer kundigen Hand erührt werden, daß sie ihren lieblichen Ton ören lasse. Diese Kunst verstand meisterhaft die Mutter des kleinen Guido, deren ganze Erziehungsweisheit dahin abzielte, Jesus zum Mittelpunkt und zu einem wahren Herzensbedürfnis für ihre Kinder zu machen. Dem vorliegenden, hübsch ausgestattete» Büchlein wohnt eine ähnliche Zauberkraft inne, weil es so ergreifend von Guidos Heilandsliebe zu erzählen weiß. Denn außer dem Worte der Mutter macht auf die Menschen, besonders auf die Jugend, nichts einen mächtigeren und nachhaltigeren Eindruck als das Beispiel, zumal wenn es den Weg zu höchsten Höhen weist, die wir als Christen'erreichen sollten. Höheres als die Liebe zu Jesus gibt es aber hienieden nicht. Der eigentümliche Reiz des Büchleins besteht darin, dah es dieses Ideal in einem Knaben zeigt, der mit seiner Frömmigkeit die Fröhlichkeit und Aufgeschlossenheit der unverdorbenen Jugend verbaird: sein Nutzen, daß es eindringlich betont, wie die echte Liebe sich äußern mutz im Opfern, Entsagen, Leiden. — Möge das Schriftchen recht vielen — Erwachsenen und Kindern — auch ein Führer zur Heilandsliebe jein!. Vater unser. Von Ida Bohatta-Morpurgo. Zehn farbige Bilder und handgeschriebene Verslein auf extrastarkem Karton. Eeschenkausstattung Mk. 1.20, 8 1.65, Frk. 1.50. Das schönste Gebet hat uns der Herr selbst gelehrt: Vater unser . . . Und wenn die Großen es beten, kniet das Kind mit gefalteten Händchen dabei und fühlt sich ein wenig bedrückt von den dunkelschwingenden Worten, die es nicht versteht. Da kommt der ratlosen Mutter jetzt dies feine Buch zu Hilfe. Das zeigt in bunten Bildern, wie man betet, und gibt gleich noch ein paar erklärende kindliche Worte mit auf den Weg. Nimm dein Kiird bei der Hand und schau mit ihm Seite für Seite an: da leuchtet der Blick des Kindes auf — es hat verstanden was es heißt: „Vater unser, der du bist im Himmel" und „führe uns nicht in Versuchung". Jetzt wird es nicht mehr plappern, sondern voll Innigkeit beten. — Mütter, Lehrerinnen, Katecheten und die Kinder sollten dies Büchlein be- sitzen; denn es hat eine große Aufgabe zu erfüllen. Es soll die Kleinen richtig das Vaterunser boten lehren. Religiöse Lebensweisheit. Denksprüche aus den Schriften des hl. Alfons von Liguori. Von Domchorvikar Dr. Josef Nepp. 12". (32 Seiten Text und 8 Kupfertiefdruckbilder.) Mk. —.40, 8 —.65, Frk. —.50. Schon wieder eines von den köstlichen Büchlein, mit denen der unermüdliche Verlag „Ars sacra" die Leserwelt erfreut. Diesmal ist es eine Sammlung tiefsinniger Gedanken, die Dom-vikar Dr. Josef Nepp aus den Schriften des hl. Alfons von Liguori zusammengestellt und mit einer kurzen Lebensbeschreibung herausgegeben hat. Alfons von Liguori ist leider noch nicht so bekannt, wie er es verdient. Besitzen wir in ihm einen jener Geister, die den Menschen unendlich.viel zu geben vermögen. Die Herausgabe solcher „Ernten" wird besonders von all jenen begrüßt werden, die aus karg bemessenen Lesestunven oder Minuten etwas mitnehmen möchten, die lesen, nicht um die Zeit umzubringen, sondern um sich den Tag reich zu machen. Besondere. Anerkennung verdient auch der sinnige künstlerische Bilderschmuck. Wer in einer stillen Stunde in eine Welt erhabenster Gedanken aufsteigen will, der wähle dieses reizende Büchlein zum Führer. Unseren lieben Lesern geben wir kurz bekannt, daß das Missionsseminar St. Paulus in Graz, Paulustorgasse 10, nach Premstättcn bei Graz verlegt wurde. Das neue Missionshaus führt zu Ehren unserer Lieben Frau vom Rosenkränze den Titel: Missionshaus,Seiln Intime" Die neue Adresse lautet: Missionshaus.Seiln Fatima, Pest Merpremstätten b. Graz Näheres werden >vir in den nächsten Nummern bringen. Recht herzlich Bitten wir heute schon, all die Liebe und alles Interesse und alle Hilfe, die unsere Leser dem bisherigen Miisionshaus entgegengebracht haben, mtS auch in dem neuen Heime schenken zu wollen. Alle Zuschriften, soivvhl für das Missioiisseminar als auch für den „Stern der Neger", sind also in , Zukunft zu richten an die neue Adresse: Missionshaus..Maria Fatima", Rost Mervremstütten b. Graz Universitäls-Buchdruckeret „Styria", Graz.