Helmut Rix Freiburg CDU 801.52: 807.212-22 DIE OSKISCHE WEIHUNG AN FATUUS YE. 183 Die Inschrift Ve. 183 aus Civita di Tricarico (MT) gehört zu den oskischen Texten, die beim bisherigen Stand der Forschung als allenfalls halb verständlich gelten können. Die jüngste Gesamtinterpretation, die E. Vetters von 19531, läßt drei der 12 Wörter unübersetzt und erklärt das Verständnis eines vierten als unklar. V. Pisani2, der auf Vetter fußt, läßt ebenfalls drei Wörter unübersetzt, darunter ein anderes als Vetter, und weicht an zwei weiteren Stellen von Vetter ab. Ein Gesamtverständnis gelingt ihm ebensowenig wie diesem. G. Bottiglioni3 schließlich referiert, mit Hinweis auf Vetters Vorbehalte, die Deutung Ribezzos4, die allein wegen der vielen angenommenen Abkürzungen verfehlt sein muß. Die hier vorgelegte Interpretation kann auch nicht alle Probleme des Textes lösen; doch hoffe ich, sowohl in den Details weiter als auch dem Gesamtverständnis näher zu kommen. Ausgangspunkt ist eine Neulesung. Bei einer Autopsie am 27.3.1974 im Museo Provinciale von Potenza5 ergab sich, daß das dritte Wort des Textes, das auf den zweigliedrigen Personennamen kXoFocto yaviaeo folgt, mit fa[ beginnt und nicht mit (7/< des griechisch-oskischen Alphabets kann dem vierstrichigen Sigma sehr ähnlich sein, sich von diesem nur durch das Fehlen der untersten Querhasta unterscheiden. Hier aber findet sich nicht nur keine Spur einer unteren Querhasta; vielmehr ist auch die obere Querhasta nicht waagrecht wie bei den anderen Sigmas des Textes (das der letzten Zeile ausgenommen), sondern nach links unten geneigt wie bei den anderen >/<. Unmittelbar hinter dem a ist kein Buchstabenrest zu erkennen. Die Lesung fa[ statt <7«K"[ ist sicher. Die Ergänzung von fa[ ergibt sich aus der anderen mit dieser Buchstabenfolge beginnenden Wortform des Textes, aus faxoFe Z.4. Diese Form kann nicht Lokativ 1 E. Vetter, Handbuch der italischen Dialekte I, Heidelberg 1953, pp. 120-122 mit weiterer Literatur. 2 V. Pisani, Le lingue dell'Italia antica oltre il latino, Torino 1964 , p. 50 s. 3 G. Bottiglioni, Manuale dei dialetti italici, Bologna 1954, p. 249 s. 4 Fr. Ribezzo, RIGI8, 1924, pp. 89-92 (und vorher Neapolis 1, 1913/4, pp. 389 s.). 5 Durchgeführt zusammen mit W. Pfaffel, auf einer von der DFG geförderten Reise zur Kontrolle der Lesungen oskischer Inschriften; der DFG sei auch an dieser Stelle für die Förderung gedankt. 191 Singular (Vetter) oder Dativ Singular (Pisani) eines «-Stammes sein, da der Ausgang dieser Formen auf der Inschrift >fei< (oder >F-ev<) bzw. >Ft]i< geschrieben sein müßte, wie >faiC£it< für [falqt] und >kXoF(XTT}1(J< für -[teis ] zeigen. Der andere oskische Beleg des Wortes, der Genetiv fatuveis (Ve. 165), gehört zu einem o-Stamm6, und ein o-Stamm ist auch die offenkundige lateinische Entsprechung, der Göttername Fatuus. Die Form eines o-Stammes ist schließlich auch fCCToFe - was noch niemand gesehen zu haben scheint -, und zwar der Vokativ, der auch syntaktisch und inhaltlich paßt, wie gleich zu zeigen ist. Nach dem anschließenden, noch in der Lücke beginnenden adjektivischen Epitheton S]l2oFioi (so richtig Vetter) ist der Göttername zum Dativ fafvoFoi zu ergänzen. Für die Buchstabenfolge >xoFoi5< ist in der Lücke ausreichend Platz, da o als Punkt geschrieben ist. Ein Göttername im Dativ hinter dem Namen des Dedikanten im Nominativ ist der übliche Anfang privater oski-scher Weihinschriften: stenis. kalaviis. g 2anagtiai. diiviiai3... Ve. 140 (Aesernia), si-viiü magiü 2mefit(ei) Ve. 162 (Aeclanum), [az]az[i]a [-—i]2ea iovFtji [-(-)]a3pr]i... Pocc. 152 (Paestum), ozevio ziziöiea 2o[-]kt}io Mefizr]i 3ovziavai... Pocc. 164 (Rossano di Vaglio), ].stattiüs 2-?-]inmanüi3... Pocc. 33 (Vastogirardi), maras.staiis.banttiei[s] 2lüvkis.dekitis.marah[eis] 3vikturrai... Pocc. 16 (Pietrabbon-dante)7. Die Belege Vok. fazoFs und Dat. fa[zoFoi] dürfen (neben fatuveis Ve. 167) in Lejeunes Liste der Theonyme auf oskischen Inschriften (REA 74,1972, p. 13) aufgenommen werden. Die lautgesetzliche Form des Stammes vor vokalisch anlautender Endung müßte nach der gemeinsabellischen Synkope fatuo- oder, mit Stützvokal wie in praefucus etc., fatuuo- wie in fatuveis Ve. 1678 lauten, die Formen also *>fazFe, fazFoi< bzw. *>fazovFe, fazovFoi<. Die Form fazoFe (dann wohl auch fa[zo-FoiJ) sind nach dem Nominativ *fazoFo gebildet, wo die Endsilbensynkope eine Konsonantengruppe geschaffen hat, die wiederum die Binnensilbensynkope verhinderte. Damit ist der erste Satz des Textes bis auf eine Wörtform voll verständlich. Er lautet, mit der traditionellen Interpunktion, mit der Konjektur afaxeiz für afÄKen? und mit der neuen Ergänzung kXoFcczo yavKiea fa[roFoi S]i2oFioi ߣTO£Ö 7Z£h3eS fhovcroi. (XfOCKElZ 6 Worauf Vetter selbst verweist, ohne Konsequenzen zu ziehen. - Die theoretische Möglichkeit eines i-Stamms kann hier, wie das folgende zeigt, ignoriert werden. 7 Ausnahme: ߣflT£l ßapao2 cruaXXlEG... Pocc. 182 (Rossano di Vaglio). 8 Im Hirpinergebiet erfolgte zwischen t und dem Stützvokal u kein Einschub eines i (was M. Lejeune, REA 72, 1970, p. 297, als Ausnahme vermerkt), so wenig wie in Bantia (eituam Ve. 2, 13 etc.), aber anders als in Kampanien (eitiuvam Ve. 11) und in Samnium (eitiv(ad) Ve. 142). 9 Dazu zuletzt A.L. Prosdocimi, Lingue e dialetti dell'Italia antica, ed. A.L. Prosdocimi, Roma 1978, p. 1060. 192 und er bedeutet: 'Clovatus Gavicius weiht10 dem Fatuus Iovius recht11 und ehrerbietig ... (JXovaoi.). Unklar bleibt fÄovooi mit Punkt dahinter. Üblicherweise sieht man in letzterem einen Worttrennungspunkt und in der Form einen Dativ eines o-Stammes *flöso- = lat. Flörus. Doch welche Funktion hätte dieser? Der Adressat der Weihung ist Fatuus Iovius, und auch wer die hier vorgeschlagene Ergänzung nicht annehmen wollte, müßte sich damit auseinandersetzen, daß lat .Flörus ein Personenname ist (der Göttername ist Flora = osk. FlözM- in Dat. fluusaí Ve. 21; 147 A 24) und daß eine Person sich schlecht als Adressat einer Weihung eignet (lat. f acere und seine sabelli-schen Entsprechungen drücken in vergleichbaren Zusammenhängen stets Kulthandlungen aus, hierin die alte Bedeutung der Wurzel fortsetzend12); auch bliebe die Sperrung der beiden Dative öjiofioi und fÁovaoi merkwürdig. Eine Interpretation von fhovooi als Dativus commodi ('für Floras') stößt sich wiederum am Dativ des Adressaten; man würde für den Interessenten einen Präpositionalausdruck mit pru oder úp erwarten. Nun ist es freilich durchaus nicht so selbstverstänldich, wie uns die Handbücher glauben machen, daß der Punkt in der Inschrift zwei verschiedene Funktionen hat, nämlich achtmal ein >cx zu bezeichnen und zweimal die Worttrennung, die andere acht Male unbezeichnet blieb. Die Punkte einheitlich als Worttrenner zu lesen, ist so absurd, daß es noch niemand vorgeschlagen hat (und jeder, der es versucht, wird dies verstehen). Die Alternative, eine konsequente Interpretation des Punktes als >o<, führt an der hier interessierenden Stelle (zur anderen später) zu einer Wörtform fXov-OOIO. Diese könnte der Nominativ-Akkusativ Plural eines neutralen Substantivs oder Adjektivs sein wie etwa oaicopo sacra' Ve. 196 (Messina) oder oraßaXavo eri-genda' Pocc. 17513 (Rossano di Vaglio), und damit das Akkusativobjekt zu afaKSiT weiht'. Eine Wortform fÁovooio scheint auf den ersten Blick freilich ein merwür-diges Gebilde zu sein; denn intervokalisches i ist schon uritalisch geschwunden14, und von den Bedingungen für die Entstehung eines -ii - ist keine gegeben: Lok. Sing, auf -Vi + Suffix -io- (osk. púmpaiians, umbr. pernaiaf; der Lok. Sing, der o-Stämme endet auf -ei, der der Konsonantenstämme auf -/); urital. gi - und ursabell. -hi - (o. maiiúí < *magiöi, o. maraiieis < *marhieis\ Strukturen wie *flösog(h>iio- sind nicht motivierbar). 10 Nicht Perfekt (Pisani), sondern Präsens (Vetter; M. Lejeune;, REA 72,1970, p. 291; zuerst Fr. Ribezzo, RIGI 8,1924, pp. 90 s.; dann C.D. Buck, A grammar of Osean and Umbrian, Boston 19292 = Hildesheim 1974). 11 Wohl für *H£TOZe8 < *medos-ted (Vetter). 12 J. Untermann, Indogermánica et Italica = Festschrift H. Rix, Innsbruck 1993, p. 466. 13 Im gleichen Text mit jüngerer Orthographie (a)naav(0 facienda' und aiCyico ahenea', sowie mit Mischorthographie ceyovco signa' (der anaptyklische Vokal ist mit seinem Muster lautlich identisch), cf. Lejeune, REA 74 (1972), p. 10. 14 M. Leumann, Lat. Grammatik (Neuausgabe) 1977, p. 126; F. Sommer-R. Pfister, Handbuch der lat. Laut-und Formenlehre I, Lautlehre, Heidelberg 1977, pp. 173 ss., G. Meiser, Lautgeschichte der umbrischen Sprache, Innsbruck 1986, p. 38. 193 Es gibt aber doch einen - zugegeben schmalen, aber doch gangbaren - Weg, eine Form fXovaoio [flösäiä] zu verstehen. Er wird durch die Form büvaianüd Ve. 150 (Pietrabbondante) = lat. Boviänö angedeutet, in der in die Lautgruppe V1uiV2 < VjUiiV2 ein anaptyktischer Vokal V2 eingeschoben ist. Auf den vorliegenden Fall übertragen, ergäbe sich eine Entwicklung V]SiiV2 > VjZiV2 > V1zV2jy2, konkret *flösiiö > *flöziä >flüzäiä = fXovaoio. Das Gemeinsame der beiden derart veränderten Gruppen wäre die intervokalische Folge von stimmhaftem, nicht-nasalem oder -liquiden Dauerlaut + i. Wie im Fall büvaianüd ist dabei das i erst durch die Anaptyxe (± 300 v.Chr.) zwischen Vokale geraten. Eine Morphostruktur urosk. (oder ursabell.) *flös-iio- (daraus mit Synkope *flöz-io- und mit Anaptyxe flüsoio-) ist aber als -iio- Zugehörigkeitsbildung zu *flös- Blume, Blüte' alles andere als ungewöhnlich. Altererbte und junge Bildungen mit Suffix -iio- > -io- sind im Oskischen wie überhaupt im Sabellischen gerade im weiteren Bereich des religiösen Wortschatzes nicht selten: osk.fiisiais Ve. 86+ (Capua) = lat. feriae < *fesiiä\ osk. (hürtin) kerriiin + Ve 147 (in horto) Cereali' < *kerseiei; osk. Momerttiais Ve 86 + (Capua) < -mert(i)iä-; weiter umbr. gomia kurniaf trächtig' Hg. VI a 58.1 a 7 < *gom(o)-iiä- und umbr. feliuffiliu säugend' T I a 14. VI b 3, schließlich sabell. *bou-(i)io- zum Rind gehörig', das Grundwort von büvaianüd.. Das Grundwort, die Entsprechung von lat. f lös, ist im Sabellischen zwar nicht direkt, aber in der dem lateinischen Götternamen Flora entsprechenden Weiterbildung belegt: osk. Fluusai (Dat. Sg.) Ve. 25 (Pompei) und 147 (Agnone). FXovaoio kann als Objekt von «f v)f(XKEiT weiht' nur die Weihgabe bezeichnen, möglicherweise eine öfter dargebrachte Weihgabe, wenn man das Präsens afocKeiT ernstnehmen könnte. Als Pluralform kann fÄ0Vo< liest 4avzi o f ovo Fe kXo5Favr\iG nXccusiod und ist zu verstehen als: Aber, o Fatuus,.. [Imperativ]., (das) des Clovatus'. Er enthält also die Bitte, die der Dedikant mit seiner Weihung verbindet, im Imperativ II wie bei Bitten an die Gottheit üblich. Die bekannte Adversativkonjunktion avu setzt sie von der Konstatierung der Weihung ab. Der Vokativ faroFe wurde schon oben besprochen. Die Annahme, daß davor die aus dem Lateinischen und Griechischen bekannte Anredepartikel o [5] steht und daß sich diese dem sabellischen Lautwandel zu 5 (bzw. hier > ü) entzogen hat, ist unproblematisch. Da die Bedeutung des Prädikatsverbs nXaßETOÖ (einstweilen) unbekannt ist, muß offen bleiben, ob der Genetiv kXo-Favriio ein Objektsgenetiv ist, wie er etwa neben lat. miseret steht, oder elliptisch für (das Haus) des Clovatus' (Typ griech. eig "AlSov); jedenfalls bezieht sich die Bitte auf den Dedikanten selbst oder auf seinen näheren Umkreis. Nach der oben erwähnten Funktion des Fatuus als Wochnerinnenschreck wären Bedeutungen des Typs erbarme dich des C.' oder verschone (das Haus) des C.' denkbar. Eine Klärung könnte ein weiterer Beleg des Verbums bringen, eine Andeutung wenigstens die Etymologie, wenn diese gefunden ist. Povzetek POSVETITEV FATUUSU VE 183 (V OSKUŠČINI) Predlog branja in prevoda za Ve. 183: %koFaxo Xau%t£0 fa[roFOi S]iofioi |iexaeS Jteh5e8 floucioia afa^ert 4aara o fatoFe x\o5Faxr\ia 7$,an£xo8 'Clovatus Gavicius posveča Fat[uusu] Ioviousu prvino (= prvo od letnega pridelka) pravilno in spoštljivo. Toda, o Fatuus, 7tXa(t£TO8 (velelnik) Clovatusa'. Novosti tega tolmačenja: dajalnik in zvalnik imena božanstva Fatuus (ojevska osnova), členek zvalnika o in fXot>aoio < flOs(i)ia prvina. 195